I care - PflegeExamen KOMPAKT 9783132439405

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I care - PflegeExamen KOMPAKT
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Table of contents :
Titelei
Vorwort
Teil I Grundlagen des Pflegeberufs
1 Professionelle Pflege
1.1 Geschichte der Pflege
1.2 Was ist Pflege?
1.3 Pflege als Beruf
1.3.1 Merkmale einer Profession
1.3.2 Nichtberufliche Pflege
1.4 Pflegeverständnis
1.5 Gesellschaftliche Herausforderungen und Entwicklungen
1.6 Berufspolitisch organisierte Pflege
2 Ausbildung und Beruf konkret
2.1 Die verschiedenen Lernorte
2.1.1 Berufsfachschule
2.1.2 Praxis
2.2 Die Pflegeausbildung
2.2.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen
2.2.2 Ausbildungsvertrag
2.2.3 Ausbildungsvergütung und Arbeitszeiten
2.2.4 Prüfung
2.2.5 Studium
2.3 Arbeitsfelder der Pflege
2.4 Fort- und Weiterbildung
2.5 Kompetenz und Pflegekompetenz
2.5.1 Berufliche Handlungskompetenz
2.5.2 Modelle zur Entwicklung von Pflegekompetenz
2.6 Selbstfürsorge und Stressmanagement
2.6.1 Stress und Stressentstehung
2.6.2 Stressreaktion
2.6.3 Stress am Arbeitsplatz
2.6.4 Körperliche Belastung
2.6.5 Belastung durch Schichtarbeit
2.6.6 Psychische Belastungen
2.6.7 Strategien der Stressbewältigung
3 Pflege als Prozess gestalten
3.1 Grundlagen
3.2 Pflegeprozessmodell
3.2.1 Pflegeprozessmodell nach WHO
3.2.2 Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier
3.3 Pflegeplanung
3.3.1 Pflegeplanung in der Prüfung
3.3.2 Pflegeplanung in der Praxis
3.4 Pflegediagnosen
3.5 Pflegestandards und Assessments
3.6 Pflegedokumentation und Pflegeübergabe
3.6.1 Inhalte der Dokumentation
3.6.2 Anforderungen an die Dokumentation
3.6.3 Dokumentationsarten
3.6.4 Pflegeübergabe
3.6.5 Pflegevisite
4 Pflegewissenschaft
4.1 Wissensquellen von Pflegenden
4.1.1 Strukturierte Wissensquellen
4.1.2 Unstrukturierte Wissensquellen
4.2 Kennzeichen einer Wissenschaft
4.3 Aufgaben der Pflegewissenschaft
4.4 Pflegeforschung
4.4.1 Die Rolle von Pflegenden in der Pflegeforschung
4.4.2 Forschungsansätze
4.4.3 Wie gut ist Forschung?
4.4.4 Evidence-based Nursing (EBN)
5 Pflegetheorien und Pflegemodelle
5.1 Theorien, Modelle, Konzepte
5.1.1 Pflegetheorien ...
5.1.2 Pflegemodelle ...
5.1.3 Pflegekonzepte
5.1.4 Kriterien zur Beurteilung von Pflegetheorien
5.2 Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle
5.2.1 Die Theorie des Selbstpflegedefizits von Dorothea Orem
5.2.2 Das Roper-Logan-Tierney-Modell
5.2.3 Das Rahmenmodell fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs von Monika Krohwinkel
5.2.4 Die Theorie der interpersonalen Beziehungen in der Pflege von Hildegard Peplau
5.2.5 Das Modell der Krankheitsverlaufskurve von Juliet Corbin und Anselm Strauss
5.2.6 Das Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege von Marie-Luise Friedemann
5.2.7 Die Theorie der kulturspezifischen Fürsorge von Madeleine Leininger
6 Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem
6.1 Sozialsystem
6.1.1 Sozialversicherungen
6.2 Gesundheitssystem
6.2.1 Gesetze und Struktur
6.2.2 Einrichtungen der Versorgung
6.3 Organisation in der Pflege
6.3.1 Pflegeorganisationssysteme
6.3.2 Weitere Organisationskonzepte
6.4 Finanzierung im Gesundheitssystem
6.4.1 Krankenhaus
6.4.2 Rehabilitationsklinik
6.4.3 Pflegeheim
6.4.4 Häusliche Pflege
7 Rechtliche Grundlagen der Pflege
7.1 Das Grundgesetz
7.2 Arbeitsrecht
7.2.1 Jugendarbeitsschutzgesetz
7.3 Pflegerelevante Rechtsgebiete
7.3.1 Weisungsrecht
7.3.2 Delegation
7.3.3 Schweigepflicht
7.3.4 Körperverletzung
7.3.5 Unterlassene Hilfeleistung
7.3.6 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen
7.3.7 Schutz des freien Willens
7.3.8 Sorgerecht
7.3.9 Betreuungsrecht
7.3.10 Patientenverfügung
7.3.11 Testament
7.3.12 Fahrlässige Tötung
7.3.13 Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid
7.4 Spezielle Gesetze im Pflegebereich
7.5 Rechte von Kindern im Krankenhaus
7.5.1 EACH-Charta
7.5.2 Einwilligungen, Aufsicht und Haftung
8 Qualitäts- und Fehlermanagement
8.1 Pflegequalität
8.1.1 Gesetzliche Grundlagen zur Pflegequalität
8.2 Qualitätsmanagement
8.2.1 Grundsätze
8.2.2 Qualitätsmanagementsysteme
8.2.3 Instrumente zur Qualitätssteigerung
8.3 Patientensicherheit und Fehlermanagement
Teil II Mit Menschen arbeiten
9 Grundlagen der Entwicklung und Psychologie
9.1 Der Mensch
9.1.1 Der Mensch aus verschiedenen Perspektiven
9.1.2 Das Menschenbild in der Pflege
9.2 Entwicklungspsychologie
9.2.1 Psychosexuelle Entwicklung nach Freud
9.2.2 Psychosoziale Entwicklung nach Erikson
9.2.3 Verhaltenspsychologische und lerntheoretische Ansätze
9.2.4 Kognitive Entwicklungstheorie nach Piaget
9.2.5 Entwicklungsaufgaben nach Havighurst
9.3 Die Lebensphasen
9.3.1 Kindheit
9.3.2 Jugend/Adoleszenz
9.3.3 Erwachsenenalter
9.4 Persönlichkeitspsychologie
9.5 Bedürfnisse, Motive und Emotionen
9.5.1 Bedürfnisse
9.5.2 Motivation
9.5.3 Emotionen
9.6 Sexualität und Geschlecht
9.6.1 Sexualität im Alter
9.6.2 Auswirkung von Krankheit auf Sexualität
9.6.3 Sexualität und Pflege
9.7 Der Mensch zwischen Gesundheit und Krankheit
9.7.1 Pathogenese und Salutogenese
9.7.2 Individuelle Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit
9.7.3 Gesellschaftliche Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit
9.7.4 Bewältigungsstrategien im Umgang mit Krankheit
10 Mit Menschen kommunizieren
10.1 Grundlagen
10.1.1 Verbale Kommunikation
10.1.2 Nonverbale Kommunikation
10.1.3 Die Axiome von Paul Watzlawick
10.1.4 Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun
10.2 Professionelle Kommunikationsgestaltung
10.2.1 Innere Haltung
10.2.2 Aktives Zuhören
10.2.3 Empathie und Mitgefühl
10.2.4 Entwicklung der Gesprächskompetenz
10.3 Kommunikation in der Anwendung
10.3.1 Kommunikation im Team und mit Ärzten
10.3.2 Kommunikation mit Pflegeempfängern aller Altersstufen und deren Bezugspersonen
10.3.3 Humor in der Pflege
11 Mit Menschen zusammenarbeiten
11.1 Soziale Rollen
11.2 Soziale Gruppen und Teams
11.2.1 Soziale Gruppen
11.2.2 Von der Gruppe zum Team
11.2.3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit
11.2.4 Autorität und Führung
11.3 Aufbau einer Pflegebeziehung
11.3.1 Pflegebeziehung und Pflegeprozess
11.3.2 Professionelle Beziehungsgestaltung
11.4 Unternehmenskultur im Gesundheitswesen
11.4.1 Mobbing im Pflegeberuf und Interventionsmöglichkeiten
12 Ethisch handeln
12.1 Grundlagen der Ethik
12.2 Warum braucht Pflege eine Ethik?
12.2.1 Verletzlichkeit
12.2.2 Bedeutung für die Pflege
12.2.3 Verantwortungsbereiche in der Pflege
12.2.4 Nutzen einer Pflegeethik
12.3 Ethische Normen für die Pflege
12.3.1 Der ICN-Ethikkodex
12.3.2 Die Pflegecharta
12.4 Ethische Reflexion und Entscheidungsfindung
12.4.1 Prinzipienethik
12.4.2 Entscheidungsfindungsmodelle – Prozess der Entscheidungsfindung
12.5 Ethische Grenzsituationen in der Pflege
12.5.1 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen
12.5.2 Selbstbestimmung am Lebensende
12.5.3 Hirntod und Organspende
Teil III Pflegebasismaßnahmen
13 Hygiene
13.1 Grundlagen der Infektionslehre
13.1.1 Krankheitserreger
13.1.2 Kolonisation und Infektion
13.1.3 Übertragungswege
13.1.4 Nosokomiale Infektion
13.2 Standardhygiene
13.2.1 Maßnahmen der Standardhygiene
13.2.2 Händehygiene
13.2.3 Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
13.2.4 Reinigung, Desinfektion und Sterilisation
13.2.5 Umgang und Aufbereitung von Medizinprodukten
13.2.6 Schutz vor Infektionen
13.2.7 Umgang mit Klinikwäsche
13.2.8 Umgang mit Pflegeutensilien
13.3 Isolationsmaßnahmen
13.3.1 Allgemeine Regeln
13.3.2 Spezielle Arten der Isolation
13.3.3 Situation des Pflegeempfängers
13.4 Multiresistente Erreger
13.4.1 MRSA
14 Wahrnehmen und Beobachten
14.1 Wahrnehmen
14.2 Beobachtung
14.2.1 Ziele der Beobachtung
14.2.2 Systematische Beobachtung
14.2.3 Hilfsmittel zur Interpretation und Beurteilung der Beobachtung
14.2.4 Dokumentation
14.3 Bewusstsein und Orientierung
14.3.1 Physiologische Grundlagen
14.3.2 Bewusstseinsstörungen
14.3.3 Orientierungsstörungen
14.4 Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und kontrollieren
14.4.1 Puls
14.4.2 Blutdruck
14.4.3 Atmung
14.4.4 Körpertemperatur
15 Mobilisation, Positionierung und Schlaf
15.1 Grundlagen der Kinästhetik
15.1.1 Allgemeines
15.1.2 Ziele der Kinästhetik
15.1.3 Grundlegende Konzepte
15.1.4 Kinästhetik in der Praxis
15.1.5 Kinästhetik Infant Handling
15.2 Bei der Positionierung unterstützen
15.2.1 Prinzipien einer guten Positionierung
15.2.2 Positionierungsarten und ihre Indikationen
15.3 Bei der Mobilisation unterstützen
15.3.1 Ziele der Mobilisation
15.3.2 Prinzipien der Mobilisation
15.3.3 Mobilisation im Bett
15.3.4 Aus dem Bett mobilisieren
15.4 Das Bett des Pflegeempfängers
15.5 Hygienische Prinzipien beim Bettenmachen
15.6 Guten Schlaf fördern
15.6.1 Schlafphasen
15.6.2 Schlafanamnese
15.6.3 Schlafstörungen (Dyssomnien)
15.6.4 Auswirkungen von Schlafstörungen
15.6.5 Pflegerische Maßnahmen zur Schlafförderung
15.6.6 Schlaffördernde Medikamente und ihre Nebenwirkungen
16 Körperpflege und Bekleidung
16.1 Hautpflege
16.1.1 Haut beobachten und beurteilen
16.1.2 Säureschutzmantel
16.1.3 Wassertemperatur
16.1.4 Hautreinigungs- und Hautpflegeprodukte
16.2 Bei der Körperpflege unterstützen
16.2.1 Grundregeln bei der Körperpflege
16.2.2 Grundregeln bei der Intimpflege
16.2.3 Therapeutische Ganzkörperwaschungen
16.2.4 Mund- und Lippenpflege
16.2.5 Augen-, Ohren- und Nasenpflege
16.2.6 Haar- und Nagelpflege
16.2.7 Säuglingsbad
16.2.8 Nabelpflege
16.3 Bekleidung
16.4 Grundlagen der Basalen Stimulation
16.4.1 Hintergrundwissen
16.4.2 Grundannahmen
16.4.3 Zentrale Lebensthemen
16.4.4 Pflegemaßnahmen nach Sinnesbereichen
17 Prophylaxen
17.1 Einführung
17.2 Dekubitusprophylaxe
17.2.1 Entstehungsmechanismus
17.2.2 Risikofaktoren
17.2.3 Einteilung in Kategorien
17.2.4 Dekubitusgefährdete Körperstellen
17.2.5 Dekubitusrisiko einschätzen
17.2.6 Pflegeinterventionen zur Dekubitusprophylaxe
17.3 Prophylaxe der Bettlägerigkeit
17.3.1 Risikofaktoren
17.3.2 Auswirkungen
17.3.3 Pflegeinterventionen zur Prophylaxe von Bettlägerigkeit
17.4 Intertrigoprophylaxe
17.4.1 Risikofaktoren
17.4.2 Intertrigogefährdete Körperstellen
17.4.3 Intertrigorisiko einschätzen
17.4.4 Pflegeinterventionen zur Intertrigoprophylaxe
17.5 Prophylaxe der Mangelernährung
17.5.1 Risikofaktoren
17.5.2 Auswirkungen
17.5.3 Mangelernährung erkennen/einschätzen
17.5.4 Pflegeinterventionen zur Prophylaxe von Mangelernährung
17.6 Pneumonieprophylaxe
17.6.1 Risikofaktoren
17.6.2 Pneumonierisiko einschätzen
17.6.3 Pflegeinterventionen zur Pneumonieprophylaxe
17.7 Thromboseprophylaxe
17.7.1 Risikofaktoren
17.7.2 Thromboserisiko einschätzen
17.7.3 Pflegeinterventionen zur Thromboseprophylaxe
17.8 Kontrakturenprophylaxe
17.8.1 Risikofaktoren
17.8.2 Kontrakturrisiko einschätzen
17.8.3 Pflegeinterventionen zur Kontrakturprophylaxe
17.9 Harninkontinenzprophylaxe
17.9.1 Harninkontinenz einschätzen
17.9.2 Pflegeinterventionen zur Harninkontinenzprophylaxe
17.10 Harnwegsinfektprophylaxe (Zystitisprophylaxe)
17.10.1 Risikofaktoren
17.10.2 Auswirkungen
17.10.3 Harnwegsinfektion einschätzen
17.10.4 Pflegeinterventionen zur Harnwegsinfektprophylaxe
17.11 Obstipationsprophylaxe
17.11.1 Risikofaktoren
17.11.2 Auswirkungen
17.11.3 Obstipationsrisiko einschätzen
17.11.4 Pflegeinterventionen zur Obstipationsprophylaxe
17.12 Soor- und Parotitisprophylaxe
17.12.1 Parotitis
17.12.2 Parotitis- und Soorrisiko einschätzen
17.12.3 Pflegeinterventionen zur Parotitis- und Soorprophylaxe
17.13 Deprivationsprophylaxe
17.13.1 Risikofaktoren
17.13.2 Auswirkungen
17.13.3 Deprivationsrisiko einschätzen
17.13.4 Pflegeinterventionen zur Deprivationsprophylaxe
17.14 Sturzprophylaxe
17.14.1 Risikofaktoren
17.14.2 Auswirkungen
17.14.3 Sturzrisiko einschätzen
17.14.4 Pflegeinterventionen zur Sturzprophylaxe
17.15 Aspirationsprophylaxe
17.15.1 Ursachen und Risikofaktoren
17.15.2 Aspirationsrisiko einschätzen
17.15.3 Pflegeinterventionen zur Aspirationsprophylaxe
18 Ernährung
18.1 Nährstoffe
18.1.1 Makronährstoffe
18.1.2 Mikronährstoffe
18.2 Energie- und Flüssigkeitsbedarf
18.2.1 Energiebedarf
18.2.2 Flüssigkeitsbedarf
18.3 Ernährung in verschiedenen Lebensphasen
18.3.1 Ernährung von Säuglingen
18.3.2 Ernährung von Kindern und Jugendlichen
18.3.3 Ernährung des Erwachsenen
18.3.4 Ernährung im Alter
18.4 Ernährungszustand erfassen
18.4.1 Körperlänge und -gewicht bestimmen
18.4.2 Erfassung einer Mangelernährung
18.5 Flüssigkeitsbilanz erheben
18.5.1 Durchführung
18.6 Künstliche Ernährung
18.6.1 Enterale Ernährung
18.6.2 Parenterale Ernährung
18.7 Kostformen und Diäten
18.8 Essen und Trinken anreichen
18.8.1 Angebot und Auswahl
18.8.2 Unterstützungsbedarf erkennen und Speisen verteilen
18.8.3 Position bei der Nahrungsaufnahme
18.8.4 Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme
19 Ausscheidung
19.1 Urin
19.1.1 Urinzusammensetzung
19.1.2 Physiologie der Miktion
19.1.3 Urin beobachten und kontrollieren
19.2 Stuhl
19.2.1 Physiologie der Defäkation
19.2.2 Stuhl beobachten und kontrollieren
19.3 Bei der Ausscheidung unterstützen
19.3.1 Kinder bei der Ausscheidung unterstützen
19.3.2 Hilfsmittel für die Harn- und Stuhlentleerung
19.3.3 Hilfsmittel bei bettlägerigen Menschen
19.3.4 Harninkontinenz
19.3.5 Stuhlinkontinenz
19.3.6 Inkontinenzhilfsmittel
19.3.7 Beim Abführen unterstützen
19.3.8 Darmeinläufe
19.4 Übelkeit und Erbrechen beobachten und kontrollieren
19.4.1 Behandlung und Pflege
19.4.2 Hilfestellung beim Erbrechen
19.5 Umgang mit Blasenkathetern
19.5.1 Transurethraler Blasenkatheter
19.5.2 Intermittierender Selbstkatheterismus
19.5.3 Suprapubischer Blasenkatheter
20 Medikamentenmanagement
20.1 Begriffe und Grundlagen
20.1.1 Zugänglichkeit
20.1.2 Indikation und Kontraindikation
20.1.3 Unerwünschte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen
20.1.4 Wirkstoff und Hilfsstoff
20.1.5 Arzneiformen
20.1.6 Therapieformen
20.2 Medikamente anfordern und lagern
20.2.1 Medikamente bestellen
20.2.2 Medikamente lagern
20.2.3 Verfallsdatum prüfen
20.3 Medikamente richten und verabreichen
20.3.1 Medikamentenverordnungen umsetzen
20.3.2 Medikamente stellen
20.3.3 Umgang mit Bedarfsmedikation
20.3.4 Fehlermanagement
20.3.5 Medikamente verabreichen
20.3.6 Nebenwirkungen beobachten
20.4 Besonderheiten bei Kindern
20.5 Besonderheiten bei älteren Menschen
21 Schmerzmanagement
21.1 Grundlagen
21.1.1 Schmerz
21.1.2 Schmerzarten und Schmerzqualitäten
21.1.3 Akuter und chronischer Schmerz
21.2 Schmerzmanagement in der Pflege
21.2.1 Schmerzassessment
21.2.2 Schmerzerfassung bei Kindern
21.2.3 Schmerzerfassung bei alten Menschen
21.2.4 Gezielte pflegerische Beobachtung
21.3 Schmerzprävention
21.4 Schmerztherapie
21.4.1 Medikamentöse Schmerztherapie
21.4.2 Nicht medikamentöse Schmerztherapie
22 Informieren, Schulen, Anleiten und Beraten
22.1 Patientenedukation
22.2 Informieren
22.3 Schulen
22.3.1 Mikroschulungen
22.4 Anleiten
22.4.1 Anleitungsbedingungen
22.4.2 Anleitungsprozess
22.5 Beraten
22.5.1 Beratungsbedarf erkennen
22.5.2 Voraussetzungen und Anforderungen
22.5.3 Beratungen durchführen
23 Notfallsituationen
23.1 Häufige Notfallsituationen im stationären Bereich
23.1.1 Allgemeine Grundlagen
23.1.2 Einschätzung von Notfallsituationen
23.1.3 Krankheitsbilder mit Atemnot
23.1.4 Erbrechen
23.1.5 Nadelstichverletzung
23.1.6 Sturz
23.1.7 Transfusionszwischenfall
23.1.8 Schock
23.1.9 Plötzliche Bewusstlosigkeit
23.1.10 Anhaltende Bewusstlosigkeit
23.1.11 Zerebraler Krampfanfall
23.1.12 Herzrhythmusstörungen
23.1.13 Angina pectoris und Herzinfarkt
23.2 Kardiopulmonale Reanimation (CPR)
23.2.1 Ergänzende Maßnahmen
23.2.2 Reanimation bei Kindern
23.3 Polytrauma
23.4 Erste Hilfe leisten vor Ort
23.4.1 Allgemeines Vorgehen
23.4.2 Intoxikationen
23.4.3 Verletzungen
23.4.4 Verätzungen
23.4.5 Verbrennungen oder Verbrühungen
23.4.6 Kälteschäden
23.4.7 Hitzeschäden
23.4.8 Elektrounfälle
23.5 Wichtige Medikamente in Notfallsituationen
Teil IV Pflegetechniken
24 Injektionen und Blutentnahme
24.1 Injektionen
24.1.1 Injektionsarten
24.1.2 Vor- und Nachteile von Injektionen
24.1.3 Rechtliche Bestimmungen
24.1.4 Vorbereitung von Injektionen
24.1.5 Durchführung der Injektion
24.1.6 Injektionsarten
24.2 Blutentnahme
24.2.1 Venöse Blutentnahme
24.2.2 Kapillare Blutentnahme
24.2.3 Blutentnahme aus zentralvenösen Kathetern und Kanülen
24.2.4 Fehlerquellen bei der Blutentnahme
25 Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen
25.1 Venöse Gefäßzugänge
25.1.1 Periphervenöse Gefäßzugänge (PVK)
25.1.2 Zentralvenöser Gefäßzugang (ZVK)
25.2 Infusionen
25.2.1 Grundlagen
25.2.2 Einteilung von Infusionslösungen
25.2.3 Infusionsmanagement
25.3 Bluttransfusionen
25.3.1 Transfusionsarten
25.3.2 Blutgruppenserologie
25.3.3 Umgang mit Blutprodukten
25.3.4 Bluttransfusion
26 Punktionen und Biopsien
26.1 Punktionen
26.2 Biopsien
26.3 Durchführung von Punktionen und Biopsien
27 Sonden und Drainagen
27.1 Grundlagen
27.2 Pflege von Menschen mit Sonden
27.2.1 Sauerstoffsonden
27.2.2 Magensonden
27.2.3 Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)
27.3 Pflege von Menschen mit Drainagen
27.3.1 Grundlagen
27.3.2 Thorax- und Pleuradrainagen
28 Wundmanagement
28.1 Grundlagen
28.1.1 Wundarten und Wundbeurteilung
28.1.2 Prinzipien der Wundheilung
28.1.3 Phasen der Wundheilung
28.2 Moderne Wundtherapie
28.2.1 Wundreinigung
28.2.2 Phasengerechte Wundversorgung
28.2.3 Auswahl der Wundauflage
28.2.4 Verbandwechsel
28.3 Wunddokumentation
28.3.1 Schriftliche Dokumentation
28.3.2 Fotodokumentation
29 Verbandtechniken
29.1 Grundlagen
29.2 Verbandarten
29.2.1 Bindenverband
29.2.2 Gipsverband
29.2.3 Schlauchmullverband
29.2.4 Netzschlauchverbände
29.3 Kompressionstherapie
30 Pflege bei Fieber
30.1 Grundlagen
30.2 Pflegerische Maßnahmen
30.2.1 Fieberanstieg
30.2.2 Fieberhöhe
30.2.3 Fieberabfall
30.2.4 Fieber bei Kindern
30.2.5 Fieber bei älteren Menschen
30.2.6 Fiebersenkende Maßnahmen
30.2.7 Fieberbedingte Begleiterscheinungen
31 Wickel und Auflagen
31.1 Grundlagen
31.1.1 Kalte Wickel und Auflagen
31.1.2 Warme Wickel und Auflagen
31.2 Hinweise zur Anwendung
Teil V Menschen in unterschiedlichen Settings pflegen
32 Die 4 Handlungsfelder der Pflege
32.1 Präventive und gesundheitsfördernde Pflege
32.1.1 Prävention
32.1.2 Gesundheitsförderung
32.2 Kurative Pflege
32.3 Rehabilitative Pflege
32.3.1 Ziele und Zielgruppen
32.3.2 Formen und Leistungen
32.3.3 Einrichtungen
32.3.4 Rehabilitationsbehandlung
32.4 Palliative Pflege
33 Pflege von Menschen im Krankenhaus: Kinder und alte Menschen
33.1 Das Kind im Krankenhaus
33.1.1 Kommunikation
33.1.2 Pflegerische Beobachtung und Maßnahmen
33.1.3 Rechte von Kindern im Krankenhaus
33.2 Alte Menschen im Krankenhaus
33.2.1 Typische Pflegeprobleme von alten Menschen
33.2.2 Veränderungen im Alter
33.2.3 Pflegerische Maßnahmen bei alten Menschen
33.2.4 Menschen mit Demenz im Krankenhaus
34 Pflege von Menschen im häuslichen Umfeld
34.1 Grundlagen
34.2 Pflegegrade
34.2.1 Einschätzung des Pflegegrads
34.2.2 Einteilung der Pflegegrade
34.3 Versorgung im häuslichen Umfeld
34.4 Besonderheiten der häuslichen Pflege
34.5 Spezielle Formen der ambulanten Pflege
34.5.1 Ambulante Intensivpflege und Heimbeatmung
34.5.2 Häusliche Kinderkrankenpflege
34.6 Umgang mit Angehörigen
34.7 Verhalten in besonderen Situationen
35 Pflege von Menschen in stationären Langzeiteinrichtungen
35.1 Rahmenbedingungen
35.1.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen
35.1.2 Rahmenkonzepte
35.1.3 Organisationsstrukturen
35.2 Wohnen und Alltag
35.2.1 Einzug und Eingewöhnung
35.2.2 Psychosoziale Begleitung und Beziehungsgestaltung
35.2.3 Tod und Verabschiedung
36 Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung
36.1 Grundlagen
36.1.1 Formen geistiger Behinderung
36.1.2 Häufige Begleiterkrankungen
36.1.3 Rechtliche Grundlagen
36.2 Pflegeschwerpunkte
36.2.1 Umgang mit geistig Behinderten
37 Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Menschen
37.1 Der chronisch kranke Pflegeempfänger
37.1.1 Grundlagen
37.1.2 Pflege eines chronisch kranken Menschen
37.2 Der multimorbide Mensch
37.2.1 Grundlagen
37.2.2 Pflege eines multimorbiden Menschen
38 Pflege von Menschen mit malignen Tumoren
38.1 Grundlagen
38.1.1 Tumoren
38.1.2 Diagnostik
38.1.3 Tumortherapie
38.2 Tumortherapiebedingte Pflegeprobleme
38.2.1 Pflegebasismaßnahmen
38.2.2 Übelkeit und Erbrechen
38.2.3 Fatigue
38.2.4 Knochenmarksuppression
38.2.5 Orale Mukositis
38.2.6 Hautreaktionen bei Chemotherapie
38.2.7 Hautreaktionen bei Strahlentherapie
38.2.8 Diarrhö
38.2.9 Obstipation
38.2.10 Umgang mit Schmerzen
38.2.11 Gesundheitsförderung und Alltagsbewältigung
39 Pflege von Menschen in der perioperativen Phase
39.1 Grundlagen
39.1.1 Einteilung der Operationen
39.2 Präoperative Pflege
39.3 Maßnahmen am OP-Tag
39.4 Intraoperative Pflege
39.5 Postoperative Pflege
39.5.1 Pflege im Aufwachraum
39.5.2 Pflege auf Station
39.5.3 Perioperative Schmerzmedikation
39.6 Wunddrainagen
39.7 Fäden ziehen und Klammern entfernen
40 Pflege von Menschen auf der Intensivstation
40.1 Intensivstation
40.1.1 Intensiveinheiten
40.1.2 Möglichkeiten der Überwachung
40.1.3 Atemwegssicherung und Intubation
40.1.4 Katecholamine
40.1.5 Delirprävention
40.1.6 Kommunikation
40.2 Pflege von Brandverletzten
40.2.1 Spezielle Ausstattung
40.2.2 Verbrennungskrankheit
40.2.3 Pflegerische Aufgaben
40.3 Pflege bei Transplantationen
40.3.1 Gesetzliche Regelungen
40.3.2 Ablauf einer Organspende
40.3.3 Pflege bei Organtransplantation
41 Pflege des sterbenden Menschen
41.1 Der Sterbeprozess
41.1.1 Sterbephasen nach Kübler-Ross
41.1.2 Finale Sterbephase
41.1.3 Tod
41.1.4 Umgang mit Verstorbenen und deren Bezugspersonen
41.1.5 Trauerbegleitung
41.2 Palliative Care
41.2.1 Palliative Haltung
41.2.2 Multidisziplinäres Team
41.2.3 Palliative Pflege
41.2.4 Besonderheiten in der Pflege
41.2.5 Symptomkontrolle
42 Pflege von Menschen unterschiedlicher Kulturen
42.1 Zentrale Elemente kultursensibler Pflege
42.2 Kommunikation in der transkulturellen Pflegepraxis
42.2.1 Innere Haltung
42.2.2 Gestik und Mimik
42.2.3 Übersetzungshilfen
42.3 Religionen
42.3.1 Christentum
42.3.2 Islam
42.3.3 Judentum
42.3.4 Hinduismus
42.3.5 Buddhismus
43 Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett
43.1 Schwangerschaft
43.1.1 Verlauf und Mutterschutz
43.1.2 Überwachung
43.1.3 Beratung
43.1.4 Schwangerschaftsbeschwerden
43.1.5 Pflege bei Gestationsdiabetes mellitus (Schwangerschaftsdiabetes)
43.1.6 Pflege bei Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Eklampsie
43.1.7 Pflege bei drohender Frühgeburt
43.1.8 Pflege bei Placenta praevia
43.1.9 Pflege bei Schwangerschaftsabbruch
43.1.10 Pflege bei Fehl- oder Totgeburt
43.2 Geburt
43.2.1 Zeichen der bevorstehenden Geburt
43.2.2 Geburtsphasen und Wehen
43.2.3 Geburtsverletzungen und Komplikationen
43.2.4 Pflegerische Versorgung direkt nach der Geburt
43.3 Wochenbett
43.3.1 Pflege der gesunden Wöchnerin
43.3.2 Komplikationen im Wochenbett
43.3.3 Pflege des Neugeborenen
43.3.4 Pflege von Frühgeborenen
Teil VI Pflege von Menschen mit speziellen Erkrankungen
44 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Herzens
44.1 Anatomie und Physiologie des Herzens
44.1.1 Aufbau, Lage, Form und Größe
44.1.2 Aufgabe und Funktion
44.1.3 Feinbau
44.1.4 Gefäßversorgung
44.1.5 Reizleitungs- und Reizbildungssystem
44.2 Pflegebasismaßnahmen
44.3 Mitwirken bei der Diagnostik
44.3.1 Elektrokardiogramm
44.3.2 Echokardiografie
44.3.3 Herzkatheteruntersuchung
44.4 Die wichtigsten Medikamente bei Herzerkrankungen
44.5 Erkrankungen des Herzens
44.5.1 Koronare Herzkrankheit
44.5.2 Herzinfarkt
44.5.3 Herzinsuffizienz
44.5.4 Herzrhythmusstörungen
44.5.5 Entzündliche Herzerkrankungen
44.5.6 Erkrankungen der Herzklappen
44.5.7 Angeborene Herzfehler
44.5.8 Perioperative Pflege bei Herz-OPs
45 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems
45.1 Anatomie und Physiologie des Kreislauf- und Gefäßsystems
45.1.1 Aufgaben
45.1.2 Aufbau
45.1.3 Große Gefäße des Körperkreislaufs
45.1.4 Gefäßfunktionen
45.1.5 Fetaler Kreislauf
45.1.6 Lymphgefäßsystem
45.2 Pflegebasismaßnahmen
45.3 Mitwirken bei der Diagnostik
45.3.1 Funktionsprüfungen
45.3.2 Ultraschalluntersuchungen
45.3.3 Angiografie
45.4 Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems
45.4.1 Arterielle Hypertonie
45.4.2 Arterielle Hypotonie
45.4.3 Periphere arterielle Verschlusskrankheit
45.4.4 Akuter Arterienverschluss
45.4.5 Tiefe Venenthrombose
45.4.6 Aneurysma
45.4.7 Varikosis
45.4.8 Thrombophlebitis
45.5 Erkrankungen der Lymphgefäße
45.5.1 Lymphangitis und Lymphadenitis
45.5.2 Erysipel
45.5.3 Lymphödem
45.6 Antikoagulation und Thrombolyse
45.6.1 Grundlagen
45.6.2 Betreuung und Überwachung bei Antikoagulation
45.6.3 Betreuung und Überwachung bei Thrombolysetherapie
45.6.4 Pflege bei herabgesetzter Blutgerinnung
46 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Atmungssystems
46.1 Anatomie und Physiologie
46.1.1 Atmungssystem
46.1.2 Aufbau der Lunge
46.2 Pflegebasismaßnahmen
46.3 Spezielle Pflege
46.3.1 Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung
46.3.2 Tracheostomapflege
46.3.3 Perioperative Pflege nach Lungen-OPs
46.4 Mitwirken bei der Diagnostik
46.5 Übersicht über die wichtigsten Medikamente
46.6 Nichtinfektiöse Erkrankungen
46.6.1 Asthma bronchiale
46.6.2 Chronische Bronchitis
46.6.3 Mukoviszidose
46.6.4 Bronchopulmonale Dysplasie
46.6.5 ARDS
46.7 Infektiöse Erkrankungen
46.7.1 Pneumonie
46.7.2 Tuberkulose
46.7.3 Influenza
46.7.4 Laryngitis subglottica (Pseudokrupp)
46.7.5 COVID-19
46.8 Maligne Erkrankungen
46.8.1 Bronchialkarzinom
46.9 Erkrankungen des Lungenkreislaufs
46.9.1 Pulmonale Hypertonie und Cor pulmonale
46.9.2 Lungenembolie
46.9.3 Lungenödem
47 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Verdauungssystems
47.1 Anatomie und Physiologie
47.1.1 Aufgaben
47.1.2 Aufbau
47.1.3 Die Organe
47.1.4 Verdauung und Ernährung
47.2 Pflegebasismaßnahmen
47.3 Pflege von Menschen mit Enterostoma
47.3.1 Einteilung von Enterostomata
47.4 Mitwirken bei der Diagnostik
47.4.1 Kontrastmittel
47.4.2 Apparative Verfahren
47.4.3 Endoskopische Untersuchungen
47.5 Übersicht über die wichtigsten Medikamente
47.6 Erkrankungen des Verdauungssystems
47.6.1 Gastroösophageale Refluxkrankheit
47.6.2 Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit
47.6.3 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
47.6.4 Glutensensitive Enteropathie
47.6.5 Ileus
47.6.6 Appendizitis
47.6.7 Divertikulose und Divertikulitis
47.6.8 Kolorektales Karzinom
47.6.9 Hepatitis
47.6.10 Leberzirrhose und Leberinsuffizienz
47.6.11 Gallenerkrankungen
47.6.12 Pankreatitis
47.6.13 Bauchwandhernien
47.6.14 Peritonitis
47.6.15 Akutes Abdomen
48 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Niere und der Harnwege
48.1 Anatomie und Physiologie der Niere
48.1.1 Aufgaben, Lage, Form und Größe
48.1.2 Aufbau und Funktion
48.2 Anatomie und Physiologie der ableitenden Harnwege
48.2.1 Nierenbecken und Harnleiter
48.2.2 Harnblase
48.2.3 Die Harnröhre
48.2.4 Harnblasenentleerung
48.3 Pflegebasismaßnahmen
48.4 Mitwirken bei der Diagnostik
48.4.1 Anamnese
48.4.2 Klinische Untersuchung
48.4.3 Apparative Untersuchungen
48.5 Die wichtigsten Medikamente
48.6 Erkrankungen der Niere und des Harnsystems
48.6.1 Glomerulonephritis
48.6.2 Akutes Nierenversagen
48.6.3 Chronische Niereninsuffizienz
48.6.4 Nierenersatzverfahren (Dialyse)
48.6.5 Harnwegsinfektionen
48.6.6 Urolithiasis
48.6.7 Vesikoureteraler Reflux
48.7 Wasser- und Elektrolythaushalt
48.7.1 Wasserräume und Wasserverteilung
48.7.2 Osmolalität im Extra- und Intrazellularraum
48.7.3 Die wichtigsten Elektrolyte
48.7.4 Regulationsmechanismen
48.7.5 Störungen des Elektrolythaushalts
48.8 Säure-Basen-Haushalt
48.8.1 Azidose
48.8.2 Alkalose
49 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels
49.1 Anatomie und Physiologie
49.1.1 Wichtige hormonproduzierende Organe
49.2 Pflegebasismaßnahmen
49.3 Stoffwechselstörungen und ernährungsbedingte Erkrankungen
49.3.1 Diabetes mellitus
49.3.2 Hyperurikämie und Gicht
49.3.3 Lipidstoffwechselstörungen
49.3.4 Adipositas
49.4 Erkrankungen der Schilddrüse
49.4.1 Hypothyreose
49.4.2 Hyperthyreose
49.4.3 Struma
49.5 Erkrankungen der Nebennieren
49.5.1 Morbus Cushing
49.5.2 Morbus Addison
50 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Blut- und Immunsystems
50.1 Anatomie und Physiologie
50.1.1 Aufgaben und Zusammensetzung des Blutes
50.1.2 Bildung und Abbau der Blutzellen
50.1.3 Aufbau und Funktion des Immunsystems
50.1.4 Lymphatische Organe
50.1.5 Impfungen
50.2 Pflegebasismaßnahmen
50.3 Mitwirken bei der Diagnostik
50.3.1 Blutuntersuchung
50.3.2 Knochenmarkspunktion
50.3.3 Lymphknotenbiopsie
50.3.4 Allergietests
50.4 Erkrankungen der Erythrozyten
50.4.1 Anämie
50.5 Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems
50.5.1 Allgemeine Grundlagen
50.5.2 Leukämien
50.5.3 Maligne Lymphome
50.5.4 Myelodysplastisches Syndrom
50.6 Gerinnungsstörungen
50.6.1 Gesteigerte Blutungsneigung
50.6.2 Gesteigerte Thromboseneigung (Thrombophilie)
50.7 Erkrankungen des Immunsystems
50.7.1 Allgemeine Grundlagen
50.7.2 HIV-Infektion und AIDS
50.7.3 Autoimmunerkrankungen
50.7.4 Allergien
51 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Bewegungssystems
51.1 Anatomie und Physiologie
51.2 Pflegebasismaßnahmen
51.3 Mitwirken bei der Diagnostik
51.3.1 Anamnese und klinische Untersuchung
51.3.2 Bildgebende Verfahren
51.3.3 Gelenkspiegelung und Gelenkpunktion
51.4 Traumatologische Erkrankungen
51.4.1 Distorsion
51.4.2 Luxation
51.4.3 Frakturen – Grundlagen
51.4.4 Schädelfrakturen
51.4.5 Frakturen der Wirbelsäule
51.4.6 Verletzungen der oberen Extremitäten
51.4.7 Verletzungen der unteren Extremitäten
51.4.8 Amputationen
51.5 Orthopädische Erkrankungen
51.5.1 Arthrose
51.5.2 Osteoporose
51.5.3 Akute Osteomyelitis
51.5.4 Eitrige Arthritis
51.5.5 Knochentumoren
51.5.6 Erkrankungen der Wirbelsäule
51.5.7 Erkrankungen des Knies und des Fußes
51.6 Rheumatische Erkrankungen
51.6.1 Grundlagen
51.6.2 Rheumatoide Arthritis
51.6.3 Morbus Bechterew
51.6.4 Kollagenosen
52 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems
52.1 Anatomie und Physiologie
52.1.1 Einteilung
52.1.2 Aufbau des zentralen Nervensystems (ZNS)
52.1.3 Aufbau des peripheren Nervensystems (PNS)
52.2 Pflegebasismaßnahmen
52.3 Grundlagen des Bobath-Konzepts
52.3.1 Grundprinzipien
52.3.2 Ziele
52.3.3 Handling – Führen von Bewegungen
52.4 Mitwirken bei Diagnostik
52.4.1 Anamnese und klinische Untersuchung
52.4.2 Bildgebende Verfahren
52.4.3 Apparative Verfahren
52.5 Wichtigste Medikamente
52.6 Erkrankungen des ZNS
52.6.1 Hirnischämie und -infarkt
52.6.2 Schädel-Hirn-Trauma
52.6.3 Apallisches Syndrom
52.6.4 Hirntumoren
52.6.5 Hydrozephalus
52.7 Entzündliche Erkrankungen des ZNS
52.7.1 Meningitis
52.7.2 Enzephalitis
52.7.3 Durch Zecken übertragende Infektionen des ZNS
52.7.4 Multiple Sklerose
52.8 Epileptische Anfälle und Epilepsie
52.8.1 Epilepsie
52.9 Basalganglienerkrankungen
52.9.1 Parkinson-Syndrom
52.9.2 Chorea Huntington
52.10 Motorische Degenerationen
52.10.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
52.11 Erkrankungen am Rückenmark
52.11.1 Querschnittsyndrom
52.11.2 Bandscheibenvorfall
52.11.3 Spinalkanalstenose
52.12 Kopf- und Gesichtsschmerzen
52.12.1 Spannungskopfschmerz
52.12.2 Migräne
52.12.3 Trigeminusneuralgie
52.13 Erkrankungen im peripheren Nervensystem
52.13.1 Karpaltunnelsyndrom
52.13.2 Guillain-Barré-Syndrom
52.14 Anlage- und Entwicklungsstörungen
52.14.1 Neuralrohrdefekte (Spina bifida)
52.14.2 Infantile Zerebralparese
53 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Sinnesorgane
53.1 Einführung
53.2 Erkrankungen des Auges
53.2.1 Anatomie und Physiologie
53.2.2 Diagnostik
53.2.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges
53.2.4 Konjunktivitis und Keratitis
53.2.5 Katarakt
53.2.6 Glaukom
53.2.7 Altersbedingte Makuladegeneration
53.2.8 Sehbehinderung und Blindheit
53.2.9 Fehlsichtigkeit
53.2.10 Schielen
53.3 Erkrankungen des Ohres
53.3.1 Anatomie und Physiologie
53.3.2 Diagnostik
53.3.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Ohres
53.3.4 Mittelohrentzündung (Otitis media)
53.3.5 Hörsturz
53.3.6 Tinnitus
53.3.7 Schwerhörigkeit
53.3.8 Lärmschaden
53.3.9 Gehörlosigkeit
54 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Haut
54.1 Einführung
54.2 Anatomie und Physiologie
54.3 Pflegebasismaßnahmen
54.4 Wichtige Leitsymptome
54.4.1 Juckreiz
54.4.2 Urtikaria
54.4.3 Exanthem
54.4.4 Ekzem
54.5 Mitwirken bei der Diagnostik
54.5.1 Apparative Untersuchungen
54.5.2 Hauttests
54.5.3 Biopsie
54.6 Die wichtigsten Medikamente bei Erkrankungen der Haut
54.6.1 Lokaltherapeutika
54.6.2 Systemische Therapeutika
54.7 Erkrankungen der Haut
54.7.1 Ekzemkrankheiten (Dermatitiden)
54.7.2 Psoriasis
54.7.3 Neurodermitis atopica
54.7.4 Arzneimittelexanthem
54.7.5 Follikulitis, Furunkel und Karbunkel
54.7.6 Mykotische Hauterkrankungen
54.7.7 Skabies (Krätze)
54.7.8 Hauttumoren
54.8 Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten
54.8.1 Gonorrhö („Tripper“)
54.8.2 Syphilis (Lues)
55 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Geschlechtsorgane
55.1 Weibliche Geschlechtsorgane
55.1.1 Anatomie und Physiologie
55.1.2 Pflegebasismaßnahmen
55.1.3 Spezielle Pflegemaßnahmen in der Gynäkologie
55.1.4 Mitwirken bei der Diagnostik
55.1.5 Mammakarzinom
55.1.6 Ovarialkarzinom
55.1.7 Zervixkarzinom
55.1.8 Endometriumkarzinom
55.1.9 Endometriose
55.1.10 Descensus und Prolaps uteri
55.2 Männliche Geschlechtsorgane
55.2.1 Anatomie und Physiologie
55.2.2 Pflegebasismaßnahmen
55.2.3 Mitwirken bei der Diagnostik
55.2.4 Prostatitis
55.2.5 Benigne Prostatahyperplasie
55.2.6 Prostatakarzinom
55.2.7 Hodentumoren
55.2.8 Hodentorsion
55.2.9 Phimose
56 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Psyche
56.1 Bedeutung für den Patienten
56.2 Pflegebasismaßnahmen
56.3 Mitwirken bei der Diagnostik und Therapie
56.3.1 Pflegerische Beobachtung
56.3.2 Professioneller Beziehungsaufbau
56.3.3 Psychotherapie
56.3.4 Medikamentöse Therapie
56.3.5 Herausfordernde Situationen bewältigen
56.4 Psychosen des schizophrenen Formenkreises
56.4.1 Schizophrenie
56.5 Affektive Störungen
56.5.1 Depression
56.5.2 Manie
56.5.3 Bipolare affektive Störung
56.6 Sucht und Abhängigkeit
56.6.1 Alkoholabhängigkeit
56.7 Essstörungen
56.7.1 Anorexia nervosa
56.7.2 Bulimie
56.8 Organisch bedingte psychische Störungen
56.8.1 Delir
56.8.2 Demenz
56.9 Belastungs- und Anpassungsstörungen
56.9.1 Akute Belastungsreaktion
56.9.2 Posttraumatische Belastungsstörung
56.9.3 Anpassungsstörung
56.10 Angst- und Zwangsstörungen
56.10.1 Angststörungen
56.10.2 Zwangsstörungen
56.11 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
56.11.1 Persönlichkeitsstörungen
56.11.2 Störungen der Impulskontrolle
56.12 Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen
56.12.1 Frühkindlicher Autismus
56.12.2 ADHS
57 Pflege von Menschen mit organübergreifenden Infektionen
57.1 Pflegebasismaßnahmen
57.2 Mitwirken bei der Diagnostik
57.3 Sepsis
57.3.1 Prophylaxe
57.3.2 Pathophysiologie und Verlauf
57.3.3 Symptome und Komplikationen
57.3.4 Vorgehen bei Sepsis
57.4 Virale Infektionen
57.4.1 Masern
57.4.2 Mumps (Parotitis epidemica)
57.4.3 Röteln
57.4.4 Windpocken (Varizellen)
57.4.5 Gürtelrose (Herpes zoster)
57.5 Spezielle organübergreifende bakterielle Infektionen
57.5.1 Clostridieninfektionen
57.5.2 Legionellose
57.5.3 Salmonellose
Anschriften
Sachverzeichnis
Impressum/Access Code

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I care – PflegeExamen KOMPAKT Sandra Heiligmann, Tobias Herbers, Margarete Klimek, Gesine Komander-Wergner, Annette Lauber, Jennifer Ludwig, Daniela Schleyer, Lucio Cecconi, Heike Adelt, Katja Schrade   2., überarbeitete Auflage 134 Abbildungen

Vorwort Liebe Auszubildende, Sie haben sich für einen tollen Beruf entschieden und stehen kurz vor dem Examen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie anstrengend und zeitintensiv die Phase vor so einer großen Prüfung sein kann. Viele Fragen gehen einem dann durch den Kopf: Wo soll man anfangen? Welches Buch soll man zum Lernen verwenden? Was ist wichtig und was nicht und wie soll das eigentlich alles in so kurzer Zeit möglich sein? Wir haben die Lösung: Mit „I care PflegeExamen KOMPAKT“ lernen Sie schnell, leicht – und effektiv! WAS? Unsere erfahrenen Autoren und Fachbeiräte haben für Sie alle prüfungsrelevanten Inhalte zusammengefasst. Im Buchteil „Pflege bei speziellen Erkrankungen“ finden Sie alle zentralen Inhalte aus der Anatomie, Physiologie und Krankheitslehre – mit Fokus auf die wichtigsten Krankheitsbilder. WIE? Mit „I care – PflegeExamen KOMPAKT“ unterstützen wir Sie aktiv in Ihrer Prüfungsvorbereitung! So können Sie einfach und schnell Wissenslücken schließen. Zudem hilft Ihnen das Buch als „roter Faden“, damit Sie von Anfang an alle wichtigen Inhalte im Blick haben. WOMIT? Wenn Sie während der Ausbildung bereits mit I care gelernt haben, finden Sie sich in der Kapitelstruktur besonders leicht zurecht, da das Buch gleich aufgebaut ist wie „I care – Pflege“. Einführende Lern-Mindmaps helfen Ihnen, schnell einen Überblick über große Themenfelder zu bekommen. Am Ende jedes Kapitels erwartet Sie in der Box

„KOMPAKT“ eine auf die absoluten Kernfakten reduzierte Zusammenfassung des Kapitels. WOFÜR? Eine stressfreie Prüfungsvorbereitung und ein erfolgreiches Examen! Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen Start in Ihr Berufsleben und viel Freude an der Arbeit in einem verantwortungsvollen Beruf, nah am Menschen! Ihre Pflegeredaktion Lernen nach Themenbereichen Sie möchten sich gezielt auf die einzelnen Prüfungstage vorbereiten und sortiert nach Themenbereichen lernen? Dann klicken Sie auf www.thieme.de/icare-pflegeexamen und schauen Sie sich unsere Übersicht an. Diese zeigt Ihnen schnell und auf einen Blick, welcher Inhalt welchem Themenbereich zugeordnet ist und an welchem Prüfungstag das Thema geprüft wird – egal ob für die schriftliche oder für die mündliche Prüfung!  

Inhaltsverzeichnis Titelei Vorwort

Teil I Grundlagen des Pflegeberufs 1 Professionelle Pflege 1.1 Geschichte der Pflege 1.2 Was ist Pflege? 1.3 Pflege als Beruf 1.3.1 Merkmale einer Profession 1.3.2 Nichtberufliche Pflege 1.4 Pflegeverständnis 1.5 Gesellschaftliche Herausforderungen und Entwicklungen 1.6 Berufspolitisch organisierte Pflege

2 Ausbildung und Beruf konkret 2.1 Die verschiedenen Lernorte 2.1.1 Berufsfachschule 2.1.2 Praxis

2.2 Die Pflegeausbildung 2.2.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen 2.2.2 Ausbildungsvertrag 2.2.3 Ausbildungsvergütung und Arbeitszeiten 2.2.4 Prüfung 2.2.5 Studium 2.3 Arbeitsfelder der Pflege 2.4 Fort- und Weiterbildung 2.5 Kompetenz und Pflegekompetenz 2.5.1 Berufliche Handlungskompetenz 2.5.2 Modelle zur Entwicklung von Pflegekompetenz 2.6 Selbstfürsorge und Stressmanagement 2.6.1 Stress und Stressentstehung 2.6.2 Stressreaktion 2.6.3 Stress am Arbeitsplatz 2.6.4 Körperliche Belastung 2.6.5 Belastung durch Schichtarbeit 2.6.6 Psychische Belastungen 2.6.7 Strategien der Stressbewältigung

3 Pflege als Prozess gestalten 3.1 Grundlagen 3.2 Pflegeprozessmodell 3.2.1 Pflegeprozessmodell nach WHO

3.2.2 Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier 3.3 Pflegeplanung 3.3.1 Pflegeplanung in der Prüfung 3.3.2 Pflegeplanung in der Praxis 3.4 Pflegediagnosen 3.5 Pflegestandards und Assessments 3.6 Pflegedokumentation und Pflegeübergabe 3.6.1 Inhalte der Dokumentation 3.6.2 Anforderungen an die Dokumentation 3.6.3 Dokumentationsarten 3.6.4 Pflegeübergabe 3.6.5 Pflegevisite

4 Pflegewissenschaft 4.1 Wissensquellen von Pflegenden 4.1.1 Strukturierte Wissensquellen 4.1.2 Unstrukturierte Wissensquellen 4.2 Kennzeichen einer Wissenschaft 4.3 Aufgaben der Pflegewissenschaft 4.4 Pflegeforschung 4.4.1 Die Rolle von Pflegenden in der Pflegeforschung 4.4.2 Forschungsansätze 4.4.3 Wie gut ist Forschung?

4.4.4 Evidence-based Nursing (EBN)

5 Pflegetheorien und Pflegemodelle 5.1 Theorien, Modelle, Konzepte 5.1.1 Pflegetheorien ... 5.1.2 Pflegemodelle ... 5.1.3 Pflegekonzepte 5.1.4 Kriterien zur Beurteilung von Pflegetheorien 5.2 Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle 5.2.1 Die Theorie des Selbstpflegedefizits von Dorothea Orem 5.2.2 Das Roper-Logan-Tierney-Modell 5.2.3 Das Rahmenmodell fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs von Monika Krohwinkel 5.2.4 Die Theorie der interpersonalen Beziehungen in der Pflege von Hildegard Peplau 5.2.5 Das Modell der Krankheitsverlaufskurve von Juliet Corbin und Anselm Strauss 5.2.6 Das Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege von Marie-Luise Friedemann 5.2.7 Die Theorie der kulturspezifischen Fürsorge von Madeleine Leininger

6 Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem 6.1 Sozialsystem 6.1.1 Sozialversicherungen 6.2 Gesundheitssystem 6.2.1 Gesetze und Struktur 6.2.2 Einrichtungen der Versorgung 6.3 Organisation in der Pflege 6.3.1 Pflegeorganisationssysteme 6.3.2 Weitere Organisationskonzepte 6.4 Finanzierung im Gesundheitssystem 6.4.1 Krankenhaus 6.4.2 Rehabilitationsklinik 6.4.3 Pflegeheim 6.4.4 Häusliche Pflege

7 Rechtliche Grundlagen der Pflege 7.1 Das Grundgesetz 7.2 Arbeitsrecht 7.2.1 Jugendarbeitsschutzgesetz 7.3 Pflegerelevante Rechtsgebiete 7.3.1 Weisungsrecht 7.3.2 Delegation 7.3.3 Schweigepflicht

7.3.4 Körperverletzung 7.3.5 Unterlassene Hilfeleistung 7.3.6 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen 7.3.7 Schutz des freien Willens 7.3.8 Sorgerecht 7.3.9 Betreuungsrecht 7.3.10 Patientenverfügung 7.3.11 Testament 7.3.12 Fahrlässige Tötung 7.3.13 Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid 7.4 Spezielle Gesetze im Pflegebereich 7.5 Rechte von Kindern im Krankenhaus 7.5.1 EACH-Charta 7.5.2 Einwilligungen, Aufsicht und Haftung

8 Qualitäts- und Fehlermanagement 8.1 Pflegequalität 8.1.1 Gesetzliche Grundlagen zur Pflegequalität 8.2 Qualitätsmanagement 8.2.1 Grundsätze 8.2.2 Qualitätsmanagementsysteme 8.2.3 Instrumente zur Qualitätssteigerung 8.3 Patientensicherheit und Fehlermanagement

Teil II Mit Menschen arbeiten 9 Grundlagen der Entwicklung und Psychologie 9.1 Der Mensch 9.1.1 Der Mensch aus verschiedenen Perspektiven 9.1.2 Das Menschenbild in der Pflege 9.2 Entwicklungspsychologie 9.2.1 Psychosexuelle Entwicklung nach Freud 9.2.2 Psychosoziale Entwicklung nach Erikson 9.2.3 Verhaltenspsychologische und lerntheoretische Ansätze 9.2.4 Kognitive Entwicklungstheorie nach Piaget 9.2.5 Entwicklungsaufgaben nach Havighurst 9.3 Die Lebensphasen 9.3.1 Kindheit 9.3.2 Jugend/Adoleszenz 9.3.3 Erwachsenenalter 9.4 Persönlichkeitspsychologie 9.5 Bedürfnisse, Motive und Emotionen 9.5.1 Bedürfnisse 9.5.2 Motivation 9.5.3 Emotionen 9.6 Sexualität und Geschlecht

9.6.1 Sexualität im Alter 9.6.2 Auswirkung von Krankheit auf Sexualität 9.6.3 Sexualität und Pflege 9.7 Der Mensch zwischen Gesundheit und Krankheit 9.7.1 Pathogenese und Salutogenese 9.7.2 Individuelle Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit 9.7.3 Gesellschaftliche Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit 9.7.4 Bewältigungsstrategien im Umgang mit Krankheit

10 Mit Menschen kommunizieren 10.1 Grundlagen 10.1.1 Verbale Kommunikation 10.1.2 Nonverbale Kommunikation 10.1.3 Die Axiome von Paul Watzlawick 10.1.4 Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun 10.2 Professionelle Kommunikationsgestaltung 10.2.1 Innere Haltung 10.2.2 Aktives Zuhören 10.2.3 Empathie und Mitgefühl 10.2.4 Entwicklung der Gesprächskompetenz

10.3 Kommunikation in der Anwendung 10.3.1 Kommunikation im Team und mit Ärzten 10.3.2 Kommunikation mit Pflegeempfängern aller Altersstufen und deren Bezugspersonen 10.3.3 Humor in der Pflege

11 Mit Menschen zusammenarbeiten 11.1 Soziale Rollen 11.2 Soziale Gruppen und Teams 11.2.1 Soziale Gruppen 11.2.2 Von der Gruppe zum Team 11.2.3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit 11.2.4 Autorität und Führung 11.3 Aufbau einer Pflegebeziehung 11.3.1 Pflegebeziehung und Pflegeprozess 11.3.2 Professionelle Beziehungsgestaltung 11.4 Unternehmenskultur im Gesundheitswesen 11.4.1 Mobbing im Pflegeberuf und Interventionsmöglichkeiten

12 Ethisch handeln 12.1 Grundlagen der Ethik 12.2 Warum braucht Pflege eine Ethik? 12.2.1 Verletzlichkeit 12.2.2 Bedeutung für die Pflege

12.2.3 Verantwortungsbereiche in der Pflege 12.2.4 Nutzen einer Pflegeethik 12.3 Ethische Normen für die Pflege 12.3.1 Der ICN-Ethikkodex 12.3.2 Die Pflegecharta 12.4 Ethische Reflexion und Entscheidungsfindung 12.4.1 Prinzipienethik 12.4.2 Entscheidungsfindungsmodelle – Prozess der Entscheidungsfindung 12.5 Ethische Grenzsituationen in der Pflege 12.5.1 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen 12.5.2 Selbstbestimmung am Lebensende 12.5.3 Hirntod und Organspende

Teil III Pflegebasismaßnahmen 13 Hygiene 13.1 Grundlagen der Infektionslehre 13.1.1 Krankheitserreger 13.1.2 Kolonisation und Infektion 13.1.3 Übertragungswege 13.1.4 Nosokomiale Infektion 13.2 Standardhygiene 13.2.1 Maßnahmen der Standardhygiene

13.2.2 Händehygiene 13.2.3 Persönliche Schutzausrüstung (PSA) 13.2.4 Reinigung, Desinfektion und Sterilisation 13.2.5 Umgang und Aufbereitung von Medizinprodukten 13.2.6 Schutz vor Infektionen 13.2.7 Umgang mit Klinikwäsche 13.2.8 Umgang mit Pflegeutensilien 13.3 Isolationsmaßnahmen 13.3.1 Allgemeine Regeln 13.3.2 Spezielle Arten der Isolation 13.3.3 Situation des Pflegeempfängers 13.4 Multiresistente Erreger 13.4.1 MRSA

14 Wahrnehmen und Beobachten 14.1 Wahrnehmen 14.2 Beobachtung 14.2.1 Ziele der Beobachtung 14.2.2 Systematische Beobachtung 14.2.3 Hilfsmittel zur Interpretation und Beurteilung der Beobachtung 14.2.4 Dokumentation 14.3 Bewusstsein und Orientierung 14.3.1 Physiologische Grundlagen

14.3.2 Bewusstseinsstörungen 14.3.3 Orientierungsstörungen 14.4 Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und kontrollieren 14.4.1 Puls 14.4.2 Blutdruck 14.4.3 Atmung 14.4.4 Körpertemperatur

15 Mobilisation, Positionierung und Schlaf 15.1 Grundlagen der Kinästhetik 15.1.1 Allgemeines 15.1.2 Ziele der Kinästhetik 15.1.3 Grundlegende Konzepte 15.1.4 Kinästhetik in der Praxis 15.1.5 Kinästhetik Infant Handling 15.2 Bei der Positionierung unterstützen 15.2.1 Prinzipien einer guten Positionierung 15.2.2 Positionierungsarten und ihre Indikationen 15.3 Bei der Mobilisation unterstützen 15.3.1 Ziele der Mobilisation 15.3.2 Prinzipien der Mobilisation 15.3.3 Mobilisation im Bett

15.3.4 Aus dem Bett mobilisieren 15.4 Das Bett des Pflegeempfängers 15.5 Hygienische Prinzipien beim Bettenmachen 15.6 Guten Schlaf fördern 15.6.1 Schlafphasen 15.6.2 Schlafanamnese 15.6.3 Schlafstörungen (Dyssomnien) 15.6.4 Auswirkungen von Schlafstörungen 15.6.5 Pflegerische Maßnahmen zur Schlafförderung 15.6.6 Schlaffördernde Medikamente und ihre Nebenwirkungen

16 Körperpflege und Bekleidung 16.1 Hautpflege 16.1.1 Haut beobachten und beurteilen 16.1.2 Säureschutzmantel 16.1.3 Wassertemperatur 16.1.4 Hautreinigungs- und Hautpflegeprodukte 16.2 Bei der Körperpflege unterstützen 16.2.1 Grundregeln bei der Körperpflege 16.2.2 Grundregeln bei der Intimpflege 16.2.3 Therapeutische Ganzkörperwaschungen 16.2.4 Mund- und Lippenpflege

16.2.5 Augen-, Ohren- und Nasenpflege 16.2.6 Haar- und Nagelpflege 16.2.7 Säuglingsbad 16.2.8 Nabelpflege 16.3 Bekleidung 16.4 Grundlagen der Basalen Stimulation 16.4.1 Hintergrundwissen 16.4.2 Grundannahmen 16.4.3 Zentrale Lebensthemen 16.4.4 Pflegemaßnahmen nach Sinnesbereichen

17 Prophylaxen 17.1 Einführung 17.2 Dekubitusprophylaxe 17.2.1 Entstehungsmechanismus 17.2.2  Risikofaktoren 17.2.3 Einteilung in Kategorien 17.2.4 Dekubitusgefährdete Körperstellen 17.2.5 Dekubitusrisiko einschätzen 17.2.6 Pflegeinterventionen zur Dekubitusprophylaxe 17.3 Prophylaxe der Bettlägerigkeit 17.3.1 Risikofaktoren 17.3.2 Auswirkungen

17.3.3 Pflegeinterventionen zur Prophylaxe von Bettlägerigkeit 17.4 Intertrigoprophylaxe 17.4.1 Risikofaktoren 17.4.2 Intertrigogefährdete Körperstellen 17.4.3 Intertrigorisiko einschätzen 17.4.4 Pflegeinterventionen zur Intertrigoprophylaxe 17.5 Prophylaxe der Mangelernährung 17.5.1 Risikofaktoren 17.5.2 Auswirkungen 17.5.3 Mangelernährung erkennen/einschätzen 17.5.4 Pflegeinterventionen zur Prophylaxe von Mangelernährung 17.6 Pneumonieprophylaxe 17.6.1 Risikofaktoren 17.6.2 Pneumonierisiko einschätzen 17.6.3 Pflegeinterventionen zur Pneumonieprophylaxe 17.7 Thromboseprophylaxe 17.7.1 Risikofaktoren 17.7.2 Thromboserisiko einschätzen 17.7.3 Pflegeinterventionen zur Thromboseprophylaxe 17.8 Kontrakturenprophylaxe

17.8.1 Risikofaktoren 17.8.2 Kontrakturrisiko einschätzen 17.8.3 Pflegeinterventionen zur Kontrakturprophylaxe 17.9 Harninkontinenzprophylaxe 17.9.1 Harninkontinenz einschätzen 17.9.2 Pflegeinterventionen zur Harninkontinenzprophylaxe 17.10 Harnwegsinfektprophylaxe (Zystitisprophylaxe) 17.10.1 Risikofaktoren 17.10.2 Auswirkungen 17.10.3 Harnwegsinfektion einschätzen 17.10.4 Pflegeinterventionen zur Harnwegsinfektprophylaxe 17.11 Obstipationsprophylaxe 17.11.1 Risikofaktoren 17.11.2 Auswirkungen 17.11.3 Obstipationsrisiko einschätzen 17.11.4 Pflegeinterventionen zur Obstipationsprophylaxe 17.12 Soor- und Parotitisprophylaxe 17.12.1 Parotitis 17.12.2 Parotitis- und Soorrisiko einschätzen

17.12.3 Pflegeinterventionen zur Parotitis- und Soorprophylaxe 17.13 Deprivationsprophylaxe 17.13.1 Risikofaktoren 17.13.2 Auswirkungen 17.13.3 Deprivationsrisiko einschätzen 17.13.4 Pflegeinterventionen zur Deprivationsprophylaxe 17.14 Sturzprophylaxe 17.14.1 Risikofaktoren 17.14.2 Auswirkungen 17.14.3 Sturzrisiko einschätzen 17.14.4 Pflegeinterventionen zur Sturzprophylaxe 17.15 Aspirationsprophylaxe 17.15.1 Ursachen und Risikofaktoren 17.15.2 Aspirationsrisiko einschätzen 17.15.3 Pflegeinterventionen zur Aspirationsprophylaxe

18 Ernährung 18.1 Nährstoffe 18.1.1 Makronährstoffe 18.1.2 Mikronährstoffe 18.2 Energie- und Flüssigkeitsbedarf

18.2.1 Energiebedarf 18.2.2 Flüssigkeitsbedarf 18.3 Ernährung in verschiedenen Lebensphasen 18.3.1 Ernährung von Säuglingen 18.3.2 Ernährung von Kindern und Jugendlichen 18.3.3 Ernährung des Erwachsenen 18.3.4 Ernährung im Alter 18.4 Ernährungszustand erfassen 18.4.1 Körperlänge und -gewicht bestimmen 18.4.2 Erfassung einer Mangelernährung 18.5 Flüssigkeitsbilanz erheben 18.5.1 Durchführung 18.6 Künstliche Ernährung 18.6.1 Enterale Ernährung 18.6.2 Parenterale Ernährung 18.7 Kostformen und Diäten 18.8 Essen und Trinken anreichen 18.8.1 Angebot und Auswahl 18.8.2 Unterstützungsbedarf erkennen und Speisen verteilen 18.8.3 Position bei der Nahrungsaufnahme 18.8.4 Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme

19 Ausscheidung

19.1 Urin 19.1.1 Urinzusammensetzung 19.1.2 Physiologie der Miktion 19.1.3 Urin beobachten und kontrollieren 19.2 Stuhl 19.2.1 Physiologie der Defäkation 19.2.2 Stuhl beobachten und kontrollieren 19.3 Bei der Ausscheidung unterstützen 19.3.1 Kinder bei der Ausscheidung unterstützen 19.3.2 Hilfsmittel für die Harn- und Stuhlentleerung 19.3.3 Hilfsmittel bei bettlägerigen Menschen 19.3.4 Harninkontinenz 19.3.5 Stuhlinkontinenz 19.3.6 Inkontinenzhilfsmittel 19.3.7 Beim Abführen unterstützen 19.3.8 Darmeinläufe 19.4 Übelkeit und Erbrechen beobachten und kontrollieren 19.4.1 Behandlung und Pflege 19.4.2 Hilfestellung beim Erbrechen 19.5 Umgang mit Blasenkathetern 19.5.1 Transurethraler Blasenkatheter 19.5.2 Intermittierender Selbstkatheterismus

19.5.3 Suprapubischer Blasenkatheter

20 Medikamentenmanagement 20.1 Begriffe und Grundlagen 20.1.1 Zugänglichkeit 20.1.2 Indikation und Kontraindikation 20.1.3 Unerwünschte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen 20.1.4 Wirkstoff und Hilfsstoff 20.1.5 Arzneiformen 20.1.6 Therapieformen 20.2 Medikamente anfordern und lagern 20.2.1 Medikamente bestellen 20.2.2 Medikamente lagern 20.2.3 Verfallsdatum prüfen 20.3 Medikamente richten und verabreichen 20.3.1 Medikamentenverordnungen umsetzen 20.3.2 Medikamente stellen 20.3.3 Umgang mit Bedarfsmedikation 20.3.4 Fehlermanagement 20.3.5 Medikamente verabreichen 20.3.6 Nebenwirkungen beobachten 20.4 Besonderheiten bei Kindern 20.5 Besonderheiten bei älteren Menschen

21 Schmerzmanagement 21.1 Grundlagen 21.1.1 Schmerz 21.1.2 Schmerzarten und Schmerzqualitäten 21.1.3 Akuter und chronischer Schmerz 21.2 Schmerzmanagement in der Pflege 21.2.1 Schmerzassessment 21.2.2 Schmerzerfassung bei Kindern 21.2.3 Schmerzerfassung bei alten Menschen 21.2.4 Gezielte pflegerische Beobachtung 21.3 Schmerzprävention 21.4 Schmerztherapie 21.4.1 Medikamentöse Schmerztherapie 21.4.2 Nicht medikamentöse Schmerztherapie

22 Informieren, Schulen, Anleiten und Beraten 22.1 Patientenedukation 22.2 Informieren 22.3 Schulen 22.3.1 Mikroschulungen 22.4 Anleiten 22.4.1 Anleitungsbedingungen 22.4.2 Anleitungsprozess

22.5 Beraten 22.5.1 Beratungsbedarf erkennen 22.5.2 Voraussetzungen und Anforderungen 22.5.3 Beratungen durchführen

23 Notfallsituationen 23.1 Häufige Notfallsituationen im stationären Bereich 23.1.1 Allgemeine Grundlagen 23.1.2 Einschätzung von Notfallsituationen 23.1.3 Krankheitsbilder mit Atemnot 23.1.4 Erbrechen 23.1.5 Nadelstichverletzung 23.1.6 Sturz 23.1.7 Transfusionszwischenfall 23.1.8 Schock 23.1.9 Plötzliche Bewusstlosigkeit 23.1.10 Anhaltende Bewusstlosigkeit 23.1.11 Zerebraler Krampfanfall 23.1.12 Herzrhythmusstörungen 23.1.13 Angina pectoris und Herzinfarkt 23.2 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) 23.2.1 Ergänzende Maßnahmen 23.2.2 Reanimation bei Kindern 23.3 Polytrauma

23.4 Erste Hilfe leisten vor Ort 23.4.1 Allgemeines Vorgehen 23.4.2 Intoxikationen 23.4.3 Verletzungen 23.4.4 Verätzungen 23.4.5 Verbrennungen oder Verbrühungen 23.4.6 Kälteschäden 23.4.7 Hitzeschäden 23.4.8 Elektrounfälle 23.5 Wichtige Medikamente in Notfallsituationen

Teil IV Pflegetechniken 24 Injektionen und Blutentnahme 24.1 Injektionen 24.1.1 Injektionsarten 24.1.2 Vor- und Nachteile von Injektionen 24.1.3 Rechtliche Bestimmungen 24.1.4 Vorbereitung von Injektionen 24.1.5 Durchführung der Injektion 24.1.6 Injektionsarten 24.2 Blutentnahme 24.2.1 Venöse Blutentnahme 24.2.2 Kapillare Blutentnahme

24.2.3 Blutentnahme aus zentralvenösen Kathetern und Kanülen 24.2.4 Fehlerquellen bei der Blutentnahme

25 Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen 25.1 Venöse Gefäßzugänge 25.1.1 Periphervenöse Gefäßzugänge (PVK) 25.1.2 Zentralvenöser Gefäßzugang (ZVK) 25.2 Infusionen 25.2.1 Grundlagen 25.2.2 Einteilung von Infusionslösungen 25.2.3 Infusionsmanagement 25.3 Bluttransfusionen 25.3.1 Transfusionsarten 25.3.2 Blutgruppenserologie 25.3.3 Umgang mit Blutprodukten 25.3.4 Bluttransfusion

26 Punktionen und Biopsien 26.1 Punktionen 26.2 Biopsien 26.3 Durchführung von Punktionen und Biopsien

27 Sonden und Drainagen

27.1 Grundlagen 27.2 Pflege von Menschen mit Sonden 27.2.1 Sauerstoffsonden 27.2.2 Magensonden 27.2.3 Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) 27.3 Pflege von Menschen mit Drainagen 27.3.1 Grundlagen 27.3.2 Thorax- und Pleuradrainagen

28 Wundmanagement 28.1 Grundlagen 28.1.1 Wundarten und Wundbeurteilung 28.1.2 Prinzipien der Wundheilung 28.1.3 Phasen der Wundheilung 28.2 Moderne Wundtherapie 28.2.1 Wundreinigung 28.2.2 Phasengerechte Wundversorgung 28.2.3 Auswahl der Wundauflage 28.2.4 Verbandwechsel 28.3 Wunddokumentation 28.3.1 Schriftliche Dokumentation 28.3.2 Fotodokumentation

29 Verbandtechniken

29.1 Grundlagen 29.2 Verbandarten 29.2.1 Bindenverband 29.2.2 Gipsverband 29.2.3 Schlauchmullverband 29.2.4 Netzschlauchverbände 29.3 Kompressionstherapie

30 Pflege bei Fieber 30.1 Grundlagen 30.2 Pflegerische Maßnahmen 30.2.1 Fieberanstieg 30.2.2 Fieberhöhe 30.2.3 Fieberabfall 30.2.4 Fieber bei Kindern 30.2.5 Fieber bei älteren Menschen 30.2.6 Fiebersenkende Maßnahmen 30.2.7 Fieberbedingte Begleiterscheinungen

31 Wickel und Auflagen 31.1 Grundlagen 31.1.1 Kalte Wickel und Auflagen 31.1.2 Warme Wickel und Auflagen 31.2 Hinweise zur Anwendung

Teil V Menschen in unterschiedlichen Settings pflegen 32 Die 4 Handlungsfelder der Pflege 32.1 Präventive und gesundheitsfördernde Pflege 32.1.1 Prävention 32.1.2 Gesundheitsförderung 32.2 Kurative Pflege 32.3 Rehabilitative Pflege 32.3.1 Ziele und Zielgruppen 32.3.2 Formen und Leistungen 32.3.3 Einrichtungen 32.3.4 Rehabilitationsbehandlung 32.4 Palliative Pflege

33 Pflege von Menschen im Krankenhaus: Kinder und alte Menschen 33.1 Das Kind im Krankenhaus 33.1.1 Kommunikation 33.1.2 Pflegerische Beobachtung und Maßnahmen 33.1.3 Rechte von Kindern im Krankenhaus

33.2 Alte Menschen im Krankenhaus 33.2.1 Typische Pflegeprobleme von alten Menschen 33.2.2 Veränderungen im Alter 33.2.3 Pflegerische Maßnahmen bei alten Menschen 33.2.4 Menschen mit Demenz im Krankenhaus

34 Pflege von Menschen im häuslichen Umfeld 34.1 Grundlagen 34.2 Pflegegrade 34.2.1 Einschätzung des Pflegegrads 34.2.2 Einteilung der Pflegegrade 34.3 Versorgung im häuslichen Umfeld 34.4 Besonderheiten der häuslichen Pflege 34.5 Spezielle Formen der ambulanten Pflege 34.5.1 Ambulante Intensivpflege und Heimbeatmung 34.5.2 Häusliche Kinderkrankenpflege 34.6 Umgang mit Angehörigen 34.7 Verhalten in besonderen Situationen

35 Pflege von Menschen in stationären Langzeiteinrichtungen 35.1 Rahmenbedingungen

35.1.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen 35.1.2 Rahmenkonzepte 35.1.3 Organisationsstrukturen 35.2 Wohnen und Alltag 35.2.1 Einzug und Eingewöhnung 35.2.2 Psychosoziale Begleitung und Beziehungsgestaltung 35.2.3 Tod und Verabschiedung

36 Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung 36.1 Grundlagen 36.1.1 Formen geistiger Behinderung 36.1.2 Häufige Begleiterkrankungen 36.1.3 Rechtliche Grundlagen 36.2 Pflegeschwerpunkte 36.2.1 Umgang mit geistig Behinderten

37 Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Menschen 37.1 Der chronisch kranke Pflegeempfänger 37.1.1 Grundlagen 37.1.2 Pflege eines chronisch kranken Menschen 37.2 Der multimorbide Mensch 37.2.1 Grundlagen

37.2.2 Pflege eines multimorbiden Menschen

38 Pflege von Menschen mit malignen Tumoren 38.1 Grundlagen 38.1.1 Tumoren 38.1.2 Diagnostik 38.1.3 Tumortherapie 38.2 Tumortherapiebedingte Pflegeprobleme 38.2.1 Pflegebasismaßnahmen 38.2.2 Übelkeit und Erbrechen 38.2.3 Fatigue 38.2.4 Knochenmarksuppression 38.2.5 Orale Mukositis 38.2.6 Hautreaktionen bei Chemotherapie 38.2.7 Hautreaktionen bei Strahlentherapie 38.2.8 Diarrhö 38.2.9 Obstipation 38.2.10 Umgang mit Schmerzen 38.2.11 Gesundheitsförderung und Alltagsbewältigung

39 Pflege von Menschen in der perioperativen Phase 39.1 Grundlagen

39.1.1 Einteilung der Operationen 39.2 Präoperative Pflege 39.3 Maßnahmen am OP-Tag 39.4 Intraoperative Pflege 39.5 Postoperative Pflege 39.5.1 Pflege im Aufwachraum 39.5.2 Pflege auf Station 39.5.3 Perioperative Schmerzmedikation 39.6 Wunddrainagen 39.7 Fäden ziehen und Klammern entfernen

40 Pflege von Menschen auf der Intensivstation 40.1 Intensivstation 40.1.1 Intensiveinheiten 40.1.2 Möglichkeiten der Überwachung 40.1.3 Atemwegssicherung und Intubation 40.1.4 Katecholamine 40.1.5 Delirprävention 40.1.6 Kommunikation 40.2 Pflege von Brandverletzten 40.2.1 Spezielle Ausstattung 40.2.2 Verbrennungskrankheit 40.2.3 Pflegerische Aufgaben

40.3 Pflege bei Transplantationen 40.3.1 Gesetzliche Regelungen 40.3.2 Ablauf einer Organspende 40.3.3 Pflege bei Organtransplantation

41 Pflege des sterbenden Menschen 41.1 Der Sterbeprozess 41.1.1 Sterbephasen nach Kübler-Ross 41.1.2 Finale Sterbephase 41.1.3 Tod 41.1.4 Umgang mit Verstorbenen und deren Bezugspersonen 41.1.5 Trauerbegleitung 41.2 Palliative Care 41.2.1 Palliative Haltung 41.2.2 Multidisziplinäres Team 41.2.3 Palliative Pflege 41.2.4 Besonderheiten in der Pflege 41.2.5 Symptomkontrolle

42 Pflege von Menschen unterschiedlicher Kulturen 42.1 Zentrale Elemente kultursensibler Pflege 42.2 Kommunikation in der transkulturellen Pflegepraxis 42.2.1 Innere Haltung

42.2.2 Gestik und Mimik 42.2.3 Übersetzungshilfen 42.3 Religionen 42.3.1 Christentum 42.3.2 Islam 42.3.3 Judentum 42.3.4 Hinduismus 42.3.5 Buddhismus

43 Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett 43.1 Schwangerschaft 43.1.1 Verlauf und Mutterschutz 43.1.2 Überwachung 43.1.3 Beratung 43.1.4 Schwangerschaftsbeschwerden 43.1.5 Pflege bei Gestationsdiabetes mellitus (Schwangerschaftsdiabetes) 43.1.6 Pflege bei Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Eklampsie 43.1.7 Pflege bei drohender Frühgeburt 43.1.8 Pflege bei Placenta praevia 43.1.9 Pflege bei Schwangerschaftsabbruch 43.1.10 Pflege bei Fehl- oder Totgeburt 43.2 Geburt

43.2.1 Zeichen der bevorstehenden Geburt 43.2.2 Geburtsphasen und Wehen 43.2.3 Geburtsverletzungen und Komplikationen 43.2.4 Pflegerische Versorgung direkt nach der Geburt 43.3 Wochenbett 43.3.1 Pflege der gesunden Wöchnerin 43.3.2 Komplikationen im Wochenbett 43.3.3 Pflege des Neugeborenen 43.3.4 Pflege von Frühgeborenen

Teil VI Pflege von Menschen mit speziellen Erkrankungen 44 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Herzens 44.1 Anatomie und Physiologie des Herzens 44.1.1 Aufbau, Lage, Form und Größe 44.1.2 Aufgabe und Funktion 44.1.3 Feinbau 44.1.4 Gefäßversorgung 44.1.5 Reizleitungs- und Reizbildungssystem 44.2 Pflegebasismaßnahmen 44.3 Mitwirken bei der Diagnostik

44.3.1 Elektrokardiogramm 44.3.2 Echokardiografie 44.3.3 Herzkatheteruntersuchung 44.4 Die wichtigsten Medikamente bei Herzerkrankungen 44.5 Erkrankungen des Herzens 44.5.1 Koronare Herzkrankheit 44.5.2 Herzinfarkt 44.5.3 Herzinsuffizienz 44.5.4 Herzrhythmusstörungen 44.5.5 Entzündliche Herzerkrankungen 44.5.6 Erkrankungen der Herzklappen 44.5.7 Angeborene Herzfehler 44.5.8 Perioperative Pflege bei Herz-OPs

45 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems 45.1 Anatomie und Physiologie des Kreislaufund Gefäßsystems 45.1.1 Aufgaben 45.1.2 Aufbau 45.1.3 Große Gefäße des Körperkreislaufs 45.1.4 Gefäßfunktionen 45.1.5 Fetaler Kreislauf

45.1.6 Lymphgefäßsystem 45.2 Pflegebasismaßnahmen 45.3 Mitwirken bei der Diagnostik 45.3.1 Funktionsprüfungen 45.3.2 Ultraschalluntersuchungen 45.3.3 Angiografie 45.4 Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems 45.4.1 Arterielle Hypertonie 45.4.2 Arterielle Hypotonie 45.4.3 Periphere arterielle Verschlusskrankheit 45.4.4 Akuter Arterienverschluss 45.4.5 Tiefe Venenthrombose 45.4.6 Aneurysma 45.4.7 Varikosis 45.4.8 Thrombophlebitis 45.5 Erkrankungen der Lymphgefäße 45.5.1 Lymphangitis und Lymphadenitis 45.5.2 Erysipel 45.5.3 Lymphödem 45.6 Antikoagulation und Thrombolyse 45.6.1 Grundlagen 45.6.2 Betreuung und Überwachung bei Antikoagulation

45.6.3 Betreuung und Überwachung bei Thrombolysetherapie 45.6.4 Pflege bei herabgesetzter Blutgerinnung

46 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Atmungssystems 46.1 Anatomie und Physiologie 46.1.1 Atmungssystem 46.1.2 Aufbau der Lunge 46.2 Pflegebasismaßnahmen 46.3 Spezielle Pflege 46.3.1 Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung 46.3.2 Tracheostomapflege 46.3.3 Perioperative Pflege nach Lungen-OPs 46.4 Mitwirken bei der Diagnostik 46.5 Übersicht über die wichtigsten Medikamente 46.6 Nichtinfektiöse Erkrankungen 46.6.1 Asthma bronchiale 46.6.2 Chronische Bronchitis 46.6.3 Mukoviszidose 46.6.4 Bronchopulmonale Dysplasie 46.6.5 ARDS 46.7 Infektiöse Erkrankungen

46.7.1 Pneumonie 46.7.2 Tuberkulose 46.7.3 Influenza 46.7.4 Laryngitis subglottica (Pseudokrupp) 46.7.5 COVID-19 46.8 Maligne Erkrankungen 46.8.1 Bronchialkarzinom 46.9 Erkrankungen des Lungenkreislaufs 46.9.1 Pulmonale Hypertonie und Cor pulmonale 46.9.2 Lungenembolie 46.9.3 Lungenödem

47 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Verdauungssystems 47.1 Anatomie und Physiologie 47.1.1 Aufgaben 47.1.2 Aufbau 47.1.3 Die Organe 47.1.4 Verdauung und Ernährung 47.2 Pflegebasismaßnahmen 47.3 Pflege von Menschen mit Enterostoma 47.3.1 Einteilung von Enterostomata 47.4 Mitwirken bei der Diagnostik 47.4.1 Kontrastmittel

47.4.2 Apparative Verfahren 47.4.3 Endoskopische Untersuchungen 47.5 Übersicht über die wichtigsten Medikamente 47.6 Erkrankungen des Verdauungssystems 47.6.1 Gastroösophageale Refluxkrankheit 47.6.2 Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit 47.6.3 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen 47.6.4 Glutensensitive Enteropathie 47.6.5 Ileus 47.6.6 Appendizitis 47.6.7 Divertikulose und Divertikulitis 47.6.8 Kolorektales Karzinom 47.6.9 Hepatitis 47.6.10 Leberzirrhose und Leberinsuffizienz 47.6.11 Gallenerkrankungen 47.6.12 Pankreatitis 47.6.13 Bauchwandhernien 47.6.14 Peritonitis 47.6.15 Akutes Abdomen

48 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Niere und der

Harnwege 48.1 Anatomie und Physiologie der Niere 48.1.1 Aufgaben, Lage, Form und Größe 48.1.2 Aufbau und Funktion 48.2 Anatomie und Physiologie der ableitenden Harnwege 48.2.1 Nierenbecken und Harnleiter 48.2.2 Harnblase 48.2.3 Die Harnröhre 48.2.4 Harnblasenentleerung 48.3 Pflegebasismaßnahmen 48.4 Mitwirken bei der Diagnostik 48.4.1 Anamnese 48.4.2 Klinische Untersuchung 48.4.3 Apparative Untersuchungen 48.5 Die wichtigsten Medikamente 48.6 Erkrankungen der Niere und des Harnsystems 48.6.1 Glomerulonephritis 48.6.2 Akutes Nierenversagen 48.6.3 Chronische Niereninsuffizienz 48.6.4 Nierenersatzverfahren (Dialyse) 48.6.5 Harnwegsinfektionen 48.6.6 Urolithiasis

48.6.7 Vesikoureteraler Reflux 48.7 Wasser- und Elektrolythaushalt 48.7.1 Wasserräume und Wasserverteilung 48.7.2 Osmolalität im Extra- und Intrazellularraum 48.7.3 Die wichtigsten Elektrolyte 48.7.4 Regulationsmechanismen 48.7.5 Störungen des Elektrolythaushalts 48.8 Säure-Basen-Haushalt 48.8.1 Azidose 48.8.2 Alkalose

49 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels 49.1 Anatomie und Physiologie 49.1.1 Wichtige hormonproduzierende Organe 49.2 Pflegebasismaßnahmen 49.3 Stoffwechselstörungen und ernährungsbedingte Erkrankungen 49.3.1 Diabetes mellitus 49.3.2 Hyperurikämie und Gicht 49.3.3 Lipidstoffwechselstörungen 49.3.4 Adipositas 49.4 Erkrankungen der Schilddrüse

49.4.1 Hypothyreose 49.4.2 Hyperthyreose 49.4.3 Struma 49.5 Erkrankungen der Nebennieren 49.5.1 Morbus Cushing 49.5.2 Morbus Addison

50 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Blut- und Immunsystems 50.1 Anatomie und Physiologie 50.1.1 Aufgaben und Zusammensetzung des Blutes 50.1.2 Bildung und Abbau der Blutzellen 50.1.3 Aufbau und Funktion des Immunsystems 50.1.4 Lymphatische Organe 50.1.5 Impfungen 50.2 Pflegebasismaßnahmen 50.3 Mitwirken bei der Diagnostik 50.3.1 Blutuntersuchung 50.3.2 Knochenmarkspunktion 50.3.3 Lymphknotenbiopsie 50.3.4 Allergietests 50.4 Erkrankungen der Erythrozyten 50.4.1 Anämie

50.5 Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems 50.5.1 Allgemeine Grundlagen 50.5.2 Leukämien 50.5.3 Maligne Lymphome 50.5.4 Myelodysplastisches Syndrom 50.6 Gerinnungsstörungen 50.6.1 Gesteigerte Blutungsneigung 50.6.2 Gesteigerte Thromboseneigung (Thrombophilie) 50.7 Erkrankungen des Immunsystems 50.7.1 Allgemeine Grundlagen 50.7.2 HIV-Infektion und AIDS 50.7.3 Autoimmunerkrankungen 50.7.4 Allergien

51 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Bewegungssystems 51.1 Anatomie und Physiologie 51.2 Pflegebasismaßnahmen 51.3 Mitwirken bei der Diagnostik 51.3.1 Anamnese und klinische Untersuchung 51.3.2 Bildgebende Verfahren 51.3.3 Gelenkspiegelung und Gelenkpunktion 51.4 Traumatologische Erkrankungen

51.4.1 Distorsion 51.4.2 Luxation 51.4.3 Frakturen – Grundlagen 51.4.4 Schädelfrakturen 51.4.5 Frakturen der Wirbelsäule 51.4.6 Verletzungen der oberen Extremitäten 51.4.7 Verletzungen der unteren Extremitäten 51.4.8 Amputationen 51.5 Orthopädische Erkrankungen 51.5.1 Arthrose 51.5.2 Osteoporose 51.5.3 Akute Osteomyelitis 51.5.4 Eitrige Arthritis 51.5.5 Knochentumoren 51.5.6 Erkrankungen der Wirbelsäule 51.5.7 Erkrankungen des Knies und des Fußes 51.6 Rheumatische Erkrankungen 51.6.1 Grundlagen 51.6.2 Rheumatoide Arthritis 51.6.3 Morbus Bechterew 51.6.4 Kollagenosen

52 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems

52.1 Anatomie und Physiologie 52.1.1 Einteilung 52.1.2 Aufbau des zentralen Nervensystems (ZNS) 52.1.3 Aufbau des peripheren Nervensystems (PNS) 52.2 Pflegebasismaßnahmen 52.3 Grundlagen des Bobath-Konzepts 52.3.1 Grundprinzipien 52.3.2 Ziele 52.3.3 Handling – Führen von Bewegungen 52.4 Mitwirken bei Diagnostik 52.4.1 Anamnese und klinische Untersuchung 52.4.2 Bildgebende Verfahren 52.4.3 Apparative Verfahren 52.5 Wichtigste Medikamente 52.6 Erkrankungen des ZNS 52.6.1 Hirnischämie und -infarkt 52.6.2 Schädel-Hirn-Trauma 52.6.3 Apallisches Syndrom 52.6.4 Hirntumoren 52.6.5 Hydrozephalus 52.7 Entzündliche Erkrankungen des ZNS 52.7.1 Meningitis

52.7.2 Enzephalitis 52.7.3 Durch Zecken übertragende Infektionen des ZNS 52.7.4 Multiple Sklerose 52.8 Epileptische Anfälle und Epilepsie 52.8.1 Epilepsie 52.9 Basalganglienerkrankungen 52.9.1 Parkinson-Syndrom 52.9.2 Chorea Huntington 52.10 Motorische Degenerationen 52.10.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) 52.11 Erkrankungen am Rückenmark 52.11.1 Querschnittsyndrom 52.11.2 Bandscheibenvorfall 52.11.3 Spinalkanalstenose 52.12 Kopf- und Gesichtsschmerzen 52.12.1 Spannungskopfschmerz 52.12.2 Migräne 52.12.3 Trigeminusneuralgie 52.13 Erkrankungen im peripheren Nervensystem 52.13.1 Karpaltunnelsyndrom 52.13.2 Guillain-Barré-Syndrom 52.14 Anlage- und Entwicklungsstörungen

52.14.1 Neuralrohrdefekte (Spina bifida) 52.14.2 Infantile Zerebralparese

53 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Sinnesorgane 53.1 Einführung 53.2 Erkrankungen des Auges 53.2.1 Anatomie und Physiologie 53.2.2 Diagnostik 53.2.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges 53.2.4 Konjunktivitis und Keratitis 53.2.5 Katarakt 53.2.6 Glaukom 53.2.7 Altersbedingte Makuladegeneration 53.2.8 Sehbehinderung und Blindheit 53.2.9 Fehlsichtigkeit 53.2.10 Schielen 53.3 Erkrankungen des Ohres 53.3.1 Anatomie und Physiologie 53.3.2 Diagnostik 53.3.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Ohres 53.3.4 Mittelohrentzündung (Otitis media) 53.3.5 Hörsturz

53.3.6 Tinnitus 53.3.7 Schwerhörigkeit 53.3.8 Lärmschaden 53.3.9 Gehörlosigkeit

54 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Haut 54.1 Einführung 54.2 Anatomie und Physiologie 54.3 Pflegebasismaßnahmen 54.4 Wichtige Leitsymptome 54.4.1 Juckreiz 54.4.2 Urtikaria 54.4.3 Exanthem 54.4.4 Ekzem 54.5 Mitwirken bei der Diagnostik 54.5.1 Apparative Untersuchungen 54.5.2 Hauttests 54.5.3 Biopsie 54.6 Die wichtigsten Medikamente bei Erkrankungen der Haut 54.6.1 Lokaltherapeutika 54.6.2 Systemische Therapeutika 54.7 Erkrankungen der Haut 54.7.1 Ekzemkrankheiten (Dermatitiden)

54.7.2 Psoriasis 54.7.3 Neurodermitis atopica 54.7.4 Arzneimittelexanthem 54.7.5 Follikulitis, Furunkel und Karbunkel 54.7.6 Mykotische Hauterkrankungen 54.7.7 Skabies (Krätze) 54.7.8 Hauttumoren 54.8 Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten 54.8.1 Gonorrhö („Tripper“) 54.8.2 Syphilis (Lues)

55 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Geschlechtsorgane 55.1 Weibliche Geschlechtsorgane 55.1.1 Anatomie und Physiologie 55.1.2 Pflegebasismaßnahmen 55.1.3 Spezielle Pflegemaßnahmen in der Gynäkologie 55.1.4 Mitwirken bei der Diagnostik 55.1.5 Mammakarzinom 55.1.6 Ovarialkarzinom 55.1.7 Zervixkarzinom 55.1.8 Endometriumkarzinom 55.1.9 Endometriose

55.1.10 Descensus und Prolaps uteri 55.2 Männliche Geschlechtsorgane 55.2.1 Anatomie und Physiologie 55.2.2 Pflegebasismaßnahmen 55.2.3 Mitwirken bei der Diagnostik 55.2.4 Prostatitis 55.2.5 Benigne Prostatahyperplasie 55.2.6 Prostatakarzinom 55.2.7 Hodentumoren 55.2.8 Hodentorsion 55.2.9 Phimose

56 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Psyche 56.1 Bedeutung für den Patienten 56.2 Pflegebasismaßnahmen 56.3 Mitwirken bei der Diagnostik und Therapie 56.3.1 Pflegerische Beobachtung 56.3.2 Professioneller Beziehungsaufbau 56.3.3 Psychotherapie 56.3.4 Medikamentöse Therapie 56.3.5 Herausfordernde Situationen bewältigen 56.4 Psychosen des schizophrenen Formenkreises

56.4.1 Schizophrenie 56.5 Affektive Störungen 56.5.1 Depression 56.5.2 Manie 56.5.3 Bipolare affektive Störung 56.6 Sucht und Abhängigkeit 56.6.1 Alkoholabhängigkeit 56.7 Essstörungen 56.7.1 Anorexia nervosa 56.7.2 Bulimie 56.8 Organisch bedingte psychische Störungen 56.8.1 Delir 56.8.2 Demenz 56.9 Belastungs- und Anpassungsstörungen 56.9.1 Akute Belastungsreaktion 56.9.2 Posttraumatische Belastungsstörung 56.9.3 Anpassungsstörung 56.10 Angst- und Zwangsstörungen 56.10.1 Angststörungen 56.10.2 Zwangsstörungen 56.11 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 56.11.1 Persönlichkeitsstörungen

56.11.2 Störungen der Impulskontrolle 56.12 Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen 56.12.1 Frühkindlicher Autismus 56.12.2 ADHS

57 Pflege von Menschen mit organübergreifenden Infektionen 57.1 Pflegebasismaßnahmen 57.2 Mitwirken bei der Diagnostik 57.3 Sepsis 57.3.1 Prophylaxe 57.3.2 Pathophysiologie und Verlauf 57.3.3 Symptome und Komplikationen 57.3.4 Vorgehen bei Sepsis 57.4 Virale Infektionen 57.4.1 Masern 57.4.2 Mumps (Parotitis epidemica) 57.4.3 Röteln 57.4.4 Windpocken (Varizellen) 57.4.5 Gürtelrose (Herpes zoster) 57.5 Spezielle organübergreifende bakterielle Infektionen 57.5.1 Clostridieninfektionen 57.5.2 Legionellose

57.5.3 Salmonellose

Anschriften Sachverzeichnis Impressum/Access Code

Teil I Grundlagen des Pflegeberufs 1 Professionelle Pflege 2 Ausbildung und Beruf konkret 3 Pflege als Prozess gestalten 4 Pflegewissenschaft 5 Pflegetheorien und Pflegemodelle 6 Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem 7 Rechtliche Grundlagen der Pflege 8 Qualitäts- und Fehlermanagement

1 Professionelle Pflege 1.1 Geschichte der Pflege ca. 500 v.Chr.: In Indien werden erstmals Pflegende als Berufsgruppe erwähnt, die neben Ärzten in Vorläufern von Krankenhäusern arbeiten.

ca. 400 v.Chr.: In Europa verbreitet sich die griechische Medizin nach Hippokrates. Ärzte betrachten die Krankenpflege als Teil ihrer Aufgabe bzw. übertragen sie an ihre Schüler. 1. Jh.: Urchristen betrachten Krankenpflege als selbstverständlichen Teil der christlichen Nächstenliebe. Ab 5. Jh.: Nonnen und Mönche sind in Klöstern für Pflege zuständig (Hildegard von Bingen). 12. Jh.: Außerhalb der Klöster entstehen Hospitäler/Herbergen, die neben Kranken auch Findelkinder und Hilfsbedürftige aufnehmen. Sie werden von Geistlichen und erstmals bezahlten Krankenpflegern versorgt. 17. Jh.: Katholische Pflegeorden entstehen nach dem Vorbild der Vinzentinerinnen. Statt in Klöstern leben sie in sog. Mutterhäusern und werden vom Orden in die Hospitäler entsandt. Dieses System wird auch von den späteren evangelischen Diakonissen und Rotkreuzschwestern übernommen. 1782: Die erste Krankenwärterschule wird von Franz Anton Mai gegründet, die nach 3 Monaten mit einem Examen abschließt. In vielen Krankenhäusern arbeiten Pflegende immer noch ohne Ausbildung. 1836: Die Kaiserswerther Diakonie wird gegründet. Unverheiratete, bürgerliche Frauen verpflichten sich für 5 Jahre als Diakonissen. Sie erhalten Unterricht in Anatomie, Arzneimittellehre und pflegerischen Tätigkeiten. 1859: Die englische Krankenschwester Florence Nightingale schreibt ein wegweisendes Buch zur Ausbildung und zum Selbstverständnis der Pflege. Sie gilt als die erste Pflegetheoretikerin.

1860: Nightingale gründet die erste Schwesternschule Englands. Der Berliner Arzt Virchow fordert eine berufsmäßige Ausbildung der Krankenpflege. 1863: In der Schweiz wird das Rote Kreuz mit angeschlossener Pflegeschule gegründet. 1883: In Deutschland wird die gesetzliche Sozialversicherung eingeführt. Die Zahl der Krankenhäuser verdoppelt sich. 1899: In den USA offizielle Gründung des International Council of Nurses (ICN). 1903: Agnes Karll fordert eine 3-jährige Ausbildung für Pflegerinnen. Sie gründet die erste Berufsorganisation Deutschlands, woraus sich der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) entwickelt. 1906: Preußen führt Vorschriften über die staatliche Prüfung von Pflegepersonen ein. Die Pflege ist nun ein gesetzlich anerkannter und geregelter Beruf. Voraussetzung für die Berufszulassung sind die Ausbildung und eine Prüfung. 1900–1914: Pflegende arbeiten unter harten Bedingungen (12–36-Stunden-Schichten). Oft geben sie den Beruf erschöpft nach wenigen Jahren auf. Ab 1918: In der Weimarer Republik bessern sich die Bedingungen für Pflegende langsam. Der 8-Stunden-Tag wird eingeführt. 1919/20: Die ersten Tarifverträge werden abgeschlossen. 1923: Der 10-Stunden-Tag wird wieder erlaubt. 1926: Das letzte Heiratsverbot für freie Schwestern fällt.

1933–1945: Berufsverbände werden vereinheitlicht und unter NS-Führung gestellt. In der neuen NSSchwesternschaft (auch braune Schwestern) soll eine Pflegeelite herangezogen werden. 1939: Rund 10 % der Pflegenden gehören der NSSchwesternschaft an. Jüdische Pflegende und Ärzte werden aus dem Beruf verdrängt. Sie dürfen nur noch Juden pflegen und behandeln. 1940: Im „Euthanasie“-Programm werden geistig behinderte und psychisch kranke Patienten aus Heilund Pflegeanstalten in Gaskammern ermordet. Pflegende bereiten die Patienten für den Transport vor und „beruhigen“ sie während der Fahrt mit Medikamenten. Pflege in der DDR: Das Gesundheitssystem wird verstaatlicht und zentral gelenkt. Pflegende erhalten erst eine 2-, dann 3-jährige Ausbildung. Kennzeichnend sind der hohe Ausbildungsgrad und Stellenwert in der Gesellschaft. Durch die Mangelwirtschaft gibt es wenige der notwendigen Materialien, was Pflegende dazu zwingt, erfinderisch zu sein. Pflege in der BRD: Die Organisation der Pflege bleibt zersplittert. Verbände und Schwesternschaften werden wieder gestärkt. Es gibt Meinungsverschiedenheiten über den Umfang der Pflegeausbildung. Bei den Schwesternschaften steht Nächstenliebe vor umfangreichem Wissen. 1965 und 1985 treten neue Krankenpflegegesetze in Kraft, in denen auch die Ausbildung geregelt wird. 1990er: Es entstehen zunehmend Pflegestudiengänge, welche die Professionalisierung und Spezialisierung vorantreiben. 2004: Mit der neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung ändert sich die

Berufsbezeichnung der examinierten Pflegefachkräfte zu „Gesundheits- und (Kinder)Krankenpfleger/in“. Stärker als bisher werden die präventive, rehabilitative und palliative Arbeit der Pflegefachkräfte betont. 2020: Das Pflegeberufegesetz (PflBG) von 2017 für die generalistische Ausbildung wird umgesetzt (siehe Kap. ▶ 2.2.1). Erstmals werden die ehemals 3 Pflegeberufe (Altenpflege, Krankenpflege und Kinderkrankenpflege) zusammen unterrichtet und Auszubildende durchlaufen alle Settings der Pflege. Daneben gibt es ein primärqualifizierendes Studium zur/zum Pflegefachfrau/Pflegefachmann mit akademischem Grad (B.Sc.) oder (B.A.).

1.2 Was ist Pflege? Definition „Pflege“ nach ICN Pflege umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung – allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen – von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, die Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse, Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung.

Definition „Pflege“ nach WHO Der gesellschaftliche Auftrag der Pflege ist es, dem einzelnen Menschen, der Familie und ganzen Gruppen dabei zu helfen, ihr physisches, psychisches und soziales Potenzial zu bestimmen und zu verwirklichen, und zwar in dem für die Arbeit anspruchsvollen Kontext ihrer Lebens- und Arbeitsumwelt. Deshalb müssen die Pflegenden Funktionen aufbauen und erfüllen, welche die Gesundheit fördern, erhalten und Krankheit verhindern. Zur Pflege gehört auch die Planung und Betreuung bei Krankheit und während der Rehabilitation und sie umfasst zudem die physischen, psychischen und sozialen Aspekte des Lebens in ihrer Auswirkung auf Gesundheit, Krankheit, Behinderung und Sterben. Pflegende gewährleisten, dass der Einzelne und die Familie, seine Freunde, die soziale Bezugsgruppe und die Gemeinschaft ggf. in alle Aspekte der Gesundheitsversorgung einbezogen werden und unterstützen damit Selbstvertrauen und Selbstbestimmung. Pflegende arbeiten auch partnerschaftlich mit Angehörigen anderer an der Erbringung gesundheitlicher und ähnlicher Dienstleistungen beteiligter Gruppen zusammen. Gemeinsamkeiten der Definitionen des ICN (International Council of Nurses) und der WHO (World Health Organization): Pflege findet in 4 Handlungsfeldern (siehe Kap. ▶ 32) statt und umfasst: Gesundheit fördern und Krankheit verhüten (gesundheitsfördernde und präventive Pflege) Gesundheit wiederherstellen (kurative Pflege)

Kranke und Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft integrieren (rehabilitative Pflege) Leiden lindern und sterbende Menschen betreuen (palliative Pflege) Pflegende versorgen und betreuen einzelne Menschen, Familien und ganze Gruppen in allen Lebenssituationen eigenverantwortlich. Pflegende gestalten das Gesundheits-/Pflegemanagement, Bildung und die Gesundheitspolitik mit. Pflegende berücksichtigen alle Aspekte des Lebens und der Gesundheitsversorgung (physisch, psychisch und sozial) und fördern somit die Selbstbestimmung des Menschen. Pflegende arbeiten partnerschaftlich mit anderen Gesundheitsberufen, dem Pflegeempfänger und seinen Angehörigen zusammen. Die Definitionen beschreiben die Grundlagen, Tätigkeiten, Ziele und Pflichten (inkl. Haltungen und Normen) der beruflich Handelnden. Dadurch legen sie auch das Berufsverständnis fest, das für alle Angehörigen der Berufsgruppe verbindlich ist.

1.3 Pflege als Beruf Pflege als Beruf, als eine Arbeit, die eine geregelte Ausbildung erfordert und für die man bezahlt wird, hat sich in Deutschland erst im 20. Jahrhundert etabliert. Seitdem entwickelt sich die Pflege kontinuierlich zu einer Profession weiter.

Im Pflegeberufegesetz (2017) wurden erstmals die sog. „vorbehaltenen Tätigkeiten“ (§4 Pflegeberufegesetz) definiert, die nur von der Berufsgruppe der Pflegefachkräfte durchgeführt und nicht an z.B. Pflegehelfer delegiert werden dürfen. Dazu zählen: die Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege.

1.3.1 Merkmale einer Profession Neben den „vorbehaltenen Tätigkeiten“, sind die primärqualifizierende Akademisierung und die festgelegte Qualifikation von Lehrkräften (pädagogische Ausbildung auf Masterniveau) weitere wichtige Schritte auf dem Weg zur Profession. Um von einer Profession sprechen zu können, müssen weitere Voraussetzungen erfüllt sein: Wissen auf wissenschaftlicher Grundlage (z.B. durch eigene Forschung – Pflegewissenschaft) kontrollierter Berufszugang, u.a. akademische Ausbildungsgänge (z.B. primärqualifizierendes Studium Pflege) verbindlicher Berufskodex/verbindliches Berufsbild (z.B. Ethikkodex für Pflegende des ICN) Berufsverbände (z.B. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe – DBfK) autonomer Berufsstand (z.B. Pflegekammer, Entscheidungsfreiheit in der inhaltlichen Gestaltung von Ausbildung und Studium, vorbehaltene Tätigkeiten)

gesellschaftliche Relevanz (z.B. Versorgung von Pflegebedürftigen) vergleichsweise hohes Einkommen (tarifliches Gehalt) und gute Aufstiegsmöglichkeiten Noch erfüllt der Pflegeberuf nicht alle Anforderungen. Entscheidend auf dem Weg zur Profession wird sein, wie sich Pflegefachkräfte in der Gesellschaft und Berufspolitik positionieren.

1.3.2 Nichtberufliche Pflege Nichtberufliche Pflege (auch informelle Pflege oder Laienpflege): wird von Menschen ohne pflegeberufliche Ausbildung durchgeführt, z.B. von Angehörigen. Sie spielt eine große Rolle in der Versorgung. Rund ⅔ der Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen (meist Frauen) gepflegt. Dies ist oft eine enorme Belastung für die Angehörigen. Daher müssen professionell Pflegende auch die Angehörigen mit im Blick haben und sie beraten und unterstützen.

1.4 Pflegeverständnis Maßgeblich für unser Verständnis von Pflege ist, wie sie aus unterschiedlichen Perspektiven, z.B. vonseiten des Gesetzgebers, von Institutionen oder einzelnen Personen aufgefasst und ausgeübt werden soll. Aspekte, die das Pflegeverständnis dabei prägen, sind: Wie werden die Begriffe „Gesundheit“ und „Krankheit“ verstanden? Welches Menschenbild liegt zugrunde?

Mit welcher inneren Haltung arbeiten Pflegende? Welches Ziel verfolgt pflegerisches Handeln?

1.5 Gesellschaftliche Herausforderungen und Entwicklungen demografischer Wandel und Pflegebedürftigkeit: Der Anteil der älteren und pflegebedürftigen Menschen an der Gesellschaft wächst, gleichzeitig sinkt die Anzahl junger Menschen, die die Pflege durchführen können. veränderte Familienbilder: Kleinere Familien, die oft entfernt voneinander leben, und mehr Einpersonenhaushalte führen dazu, dass weniger Angehörige die Pflege übernehmen können. Gefahren für die Kindergesundheit: Durch Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung sind immer mehr Kinder von Übergewicht und deren Folgeerkrankungen betroffen. Auch Kinderarmut ist ein Gesundheitsrisiko. Familien aus sozial schwächeren Schichten versäumen häufiger Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter. Neben Entwicklungsstörungen bleiben versteckte psychische Verletzungen oft unentdeckt und werden unzureichend therapiert. Zunehmende Nachfrage und Fachkräftemangel: Bereits heute können viele Stellen nicht mehr besetzt werden, da es an Personal und Nachwuchs fehlt. Dieses Problem wird sich in Zukunft verschärfen. Die „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP) des Bundesministeriums für Gesundheit und die Rekrutierung von ausländischen Pflegefachkräften sind Versuche, dem entgegenzuwirken.

1.6 Berufspolitisch organisierte Pflege Die Interessenvertretung beruflich Pflegender findet in Deutschland durch folgende Institutionen statt: Berufsverbände (z.B. DBfK, DBVA oder BeKD e. V.): repräsentieren die Berufsgruppe, setzen sich z.B. bei Ministerien oder Behörden für Belange Pflegender ein, beraten ihre Mitglieder in Rechtsfragen, organisieren Fort- und Weiterbildungen sowie Kongresse. Mitglieder sind selbstständige und angestellte Angehörige des Berufs, auch Auszubildende, Studenten („Junge Pflege“ des DBfK) und Rentner. Der deutsche Pflegerat e. V. ist der Dachverband und setzt sich u.a. für die politische Umsetzung pflegeberuflicher Ziele ein. Gewerkschaften (z.B. ver.di): vertreten Arbeitnehmerinteressen z.B. bei Tarifverhandlungen, kämpfen für höhere Löhne, organisieren Streiks und unterstützen und beraten ihre Mitglieder in arbeitsrechtlichen Angelegenheiten. Mitglieder sind nur Angestellte und Auszubildende z.B. aus dem öffentlichen Dienst. Pflegekammern: werden auf Länderebene organisiert, eine Bundespflegekammer wird angestrebt. Pflegekammern finanzieren sich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder, 2020 gab es in 4 Bundesländern eine Pflegekammer, wobei die in Niedersachsen 2021 wieder aufgelöst wurde. In vier weiteren Bundesländern gibt es Regierungsaktivitäten zur Errichtung einer Pflegekammer. ▶ Aufgaben der Pflegekammer. Die exemplarischen Aufgaben sind: Selbstverwaltung der Pflege Bündeln der berufsständischen Interessen

Aufstellen einer eigenen Berufsordnung Führen eines Berufsregisters aller Pflegefachkräfte Regelungen über Fort- und Weiterbildung Verfassen von Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung pflegerischer Berufsausübung Beraten von Berufsangehörigen in juristischen, ethischen, fachlichen und berufspolitischen Fragen (…) Mehr Infos zu den Pflegekammern finden Sie auf www.dbfk.de

KOMPAKT Professionelle Pflege Der Pflegeberuf war lange Zeit vom Ideal der Nächstenliebe und dem Bild des Assistenzberufes der Ärzte geprägt. Die Professionalisierung setzte daher in Deutschland verzögert ein und dauert immer noch an. Gerade die einheitliche Organisation in einer Pflegekammer und die Weiterentwicklung der Pflegeausbildung (inkl. Studium) sind Aspekte, die in naher Zukunft weiter vorangetrieben werden müssen. Mit der Einführung der „vorbehaltenen Tätigkeiten“ im Pflegeberufsgesetz (PflBG) wurden erstmals berufliche Aufgaben definiert, die nur von examinierten Pflegefachkräften durchgeführt werden dürfen. Ein einheitliches Berufs- und Pflegeverständnis sind die Basis professionellen Handelns.

Professionelle Pflege betrachtet den Menschen ganzheitlich, d. h., sie berücksichtigt alle Lebensumstände und handelt daraufhin individuell nach den 4 Handlungsfeldern. Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen steht professionelle Pflege vor der Herausforderung des Fachkräftemangels.

2 Ausbildung und Beruf konkret 2.1 Die verschiedenen Lernorte 2.1.1 Berufsfachschule

Hier werden die fachlichen Grundlagen mit Unterstützung der Lehrkräfte erarbeitet. Im Skills-Lab bzw. Demonstrationsraum werden verstärkt die praktischen Fertigkeiten eingeübt. Ziel ist es, berufliche Handlungskompetenz zu erwerben. Nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG) soll Lernen noch stärker selbstorganisiert (SOL) und problemorientiert (POL) stattfinden. Zudem wird Pflege exemplarisch anhand der relevantesten Krankheitsbildern bzw. Pflegephänomenen gelernt und muss auf ähnliche Situationen selbstständig übertragen werden. ▶ Lernmethoden für die Schule und zuhause. Folgende Methoden können das Lernen erleichtern: Lernumgebung und Zeitpunkt: sorgen Sie für eine angenehme Lernumgebung (z.B. aufgeräumter Tisch, gute Lichtverhältnisse, regelmäßig frische Luft) und schalten Sie Störquellen für diese Zeit aus (Handy, TV). Setzen Sie sich feste Zeiten zum Lernen und aktive Pausen (nach spätestens 90 min Lernen), berücksichtigen Sie dabei ihre produktiven Zeiten. Überblick verschaffen und Themen eingrenzen: Was sind Schwerpunkte, was ist besonders prüfungsrelevant? Welche Themen sind ähnlich, sodass ein leichter Transfer möglich ist? Lernplan erstellen: Halten Sie fest, wann und wie lange Sie welches Thema lernen wollen. Mindmaps erstellen: um einen Überblick bei komplexen Inhalten zu bekommen bzw. die Zusammenhänge von verschiedenen Inhalten darzustellen. Inhalte zusammenfassen: z.B. auf Lernkarten, dabei beschäftigen Sie sich aktiv mit dem Inhalt, wodurch er besser behalten werden kann.

Lerntyp herausfinden und unterschiedliche Kanäle nutzen: Im Internet gibt es eine Vielzahl von Lerntypentests, nutzen Sie z.B. auch Videos oder Podcasts. Lerngruppen/-tandems bilden: Dabei geht es vor allem darum, sich über das erlernte Wissen auszutauschen, aber auch sich gegenseitig abzufragen, um ggf. bestehende Lücken schnell zu erkennen.

2.1.1.1 Theoretische Ausbildung Die theoretische Ausbildung umfasst 2100 Stunden, die sich über 5 Kompetenzbereiche verteilen ( ▶ Tab. 2.1 ). Tab. 2.1 Kompetenzbereiche des Unterrichts.* Kompetenzbereiche

Stunden

I.

Pflegeprozesse und Pflegediagnostik in akuten und dauerhaften Pflegesituationen verantwortlich planen, organisieren, gestalten, durchführen, steuern und evaluieren.

1000

II.

Kommunikation und Beratung personen- und situationsbezogen gestalten.

280

III.

Intra- und interprofessionelles Handeln in unterschiedlichen 300 systemischen Kontexten verantwortlich gestalten und mitgestalten.

IV.

Das eigene Handeln auf der Grundlage von Gesetzen, Verordnungen und ethischen Leitlinien reflektieren und begründen.

160

V.

Das eigene Handeln auf der Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen und berufsethischen Werthaltungen und Einstellungen reflektieren und begründen.

160

-

Stunden zur freien Verteilung

200

*Anlage 6 PflAPrV

2.1.2 Praxis

Hier wird das theoretisch erworbene Wissen umgesetzt. In allen Pflegesettings (akut und dauerhaft stationär, teilstationär und ambulant) werden die Auszubildenden durch Praxisanleitung und Praxisbegleitung unterstützt. Diese Anleitungen und Begleitungen müssen von den Auszubildenden dokumentiert werden.

2.1.2.1 Praktische Ausbildung Die praktische Ausbildung umfasst 2500 Stunden, in denen bei 250 Stunden nachweislich eine Praxisanleitung stattgefunden haben muss. Die ersten Orientierungseinsätze finden beim Träger der praktischen Ausbildung statt. Anschließend werden während der Pflichteinsätze folgende Bereiche durchlaufen: die ambulante Akut- und Langzeitpflege die stationäre Akut- und Langzeitpflege die pädiatrische Versorgung die psychiatrische Versorgung Der Vertiefungseinsatz findet i.d.R. wieder beim Träger der Ausbildung statt.

2.2 Die Pflegeausbildung 2.2.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen Im Pflegeberufegesetz (PflBG) sind folgende Punkte der 3jährigen generalistischen Pflegeausbildung festgelegt: die Organisation die Dauer der Ablauf

die Inhalte Ziel: den Pflegeberuf zukunftsfähig machen, indem Kompetenzen während der Ausbildung erworben werden, die zu einer selbstständigen, umfassenden und prozessorientierten Pflege von Menschen aller Altersstufen in allen Pflegesettings befähigen. Bis 2026 besteht die Möglichkeit im dritten Lehrjahr einen Vertiefungsschwerpunkt zu wählen mit den Abschlüssen „Pflegefachfrau/Pflegefachmann“, „Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in“ oder „Altenpfleger/in“. Anschließend entscheidet der Bundestag nach einer Evaluation, ob diese Unterteilung weitergeführt oder aufgehoben werden soll. Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) empfiehlt den Abschluss Pflegefachfrau/Pflegefachmann zu wählen, da dieser als Einziger automatisch EU-weit anerkannt wird. Die Pflegeberufe-Ausbildungs- und -Prüfungsverordnung (PflAPrV) legt Mindestanforderungen an die Ausbildung fest (z.B. Umfang der Praxisanleiterstunden muss 10 % der praktischen Ausbildungszeit betragen) und regelt die Inhalte und den Ablauf der Prüfungen. ▶ Links. Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe sowie das Pflegeberufegesetz können Sie hier nachlesen: www.gesetze-im-internet.de/pflaprv/ www.gesetze-im-internet.de/pflbg/

2.2.2 Ausbildungsvertrag Der Ausbildungsvertrag wird mit dem Ausbildungsträger (ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtung) über die Dauer der Ausbildung geschlossen.

Inhalte des Ausbildungsvertrags sind: Berufsziel, Beginn und Dauer der Ausbildung, Gliederung der praktischen Ausbildung, Arbeitszeit, Ausbildungsvergütung, Dauer der Probezeit, Anspruch auf Urlaubstage, Voraussetzungen für die Kündigung des Ausbildungsvertrags, Verweis auf Tarifverträge und Betriebs- oder Dienstvereinbarungen.

2.2.3 Ausbildungsvergütung und Arbeitszeiten Jeder Auszubildende hat ein Recht auf eine Ausbildungsvergütung. Die Höhe hängt vom Ausbildungsjahr und vom Ausbildungsträger ab. Arbeiten im Schichtbetrieb, auch an Feiertagen und an Wochenenden, gehört dazu. Auszubildende haben ein Recht auf Überstundenvergütung, Zulagen und Zuschläge (z.B. bei der Arbeit in psychiatrischen Einrichtungen).

2.2.4 Prüfung Zwischenprüfung: findet zum Ende des zweiten Lehrjahres statt. Hierbei wird schriftlich, praktisch und mündlich geprüft. Dabei wird der aktuelle Ausbildungsstand ermittelt. Die Ausbildung wird unabhängig vom Ergebnis fortgesetzt. Sollte das Ausbildungsziel gefährdet sein, überlegen alle an der Ausbildung Beteiligten (Auszubildender, Schule, Träger) gemeinsam, durch welche Maßnahmen ein erfolgreicher Abschluss noch gewährleistet werden kann und setzen diese um. Staatliche Prüfung: Der schriftliche und mündliche Teil wird an der Berufsfachschule abgelegt. Die

praktische Prüfung wird meist in der Einrichtung des Vertiefungseinsatzes durchgeführt. Es werden alle aufgeführten Kompetenzen der Anlage 2 der PflAPrV geprüft.

2.2.5 Studium In den letzten Jahren sind immer mehr Studiengänge in der Pflege entstanden, auch solche, die für eine Tätigkeit qualifizieren, in der man an der direkten Patienten/Bewohnerbetreuung beteiligt ist. Ausgewählte Fächer sind: (Psychiatrische) Pflege, Pflegepädagogik, Pflegemanagement, Pflegewissenschaft, Advanced Practice Nursing, Community Health Nursing, Praxisentwicklung, Gerontologie. Arten des Studiums Primärqualifizierendes Pflegestudium: Das Studium dauert wie die Ausbildung drei Jahre und es wird neben der Berufszulassung ein Bachelorabschluss erlangt. Der Berufstitel ist dann Pflegefachfrau/-mann (B.A. = Bachelor of Arts oder B.Sc. = Bachelor of Science). Lernorte sind hier Hochschule und Praxis. Duales Pflegestudium: Ausbildungsbegleitend, meist ab dem 2. Ausbildungsjahr, wird an der Hochschule studiert. Der überwiegende Teil des Studiums erfolgt jedoch unmittelbar nach Abschluss der Ausbildung für 2– 3 Semester und endet mit einem Bachelortitel. Bachelor: Auch nach der Ausbildung kann noch studiert werden. Zusätzlich ist eine Hochschulzugangsberechtigung (z.B. Fach-/Abitur) notwendig. Die Studiengänge dauern meist zwischen 6–7 Semester. Viele können auch berufsbegleitend oder sogar als Fernstudium absolviert werden.

Master: Nach dem Bachelorabschluss ist es möglich, ein Masterstudium zu absolvieren. Dieses dauert zwischen 3–5 Semester. Sie haben inhaltlich einen wissenschaftlichen Schwerpunkt und eröffnen im Anschluss die Möglichkeit einer Promotion. Links www.pflegestudium.de/studiengaenge/ www.pflegeausbildung.net/alles-zurausbildung/pflegestudium/uebersicht-derstudiengaenge.html

2.3 Arbeitsfelder der Pflege Generalistisch ausgebildete Pflegefachkräfte können in verschiedenen Bereichen (Settings) des Gesundheitswesens tätig sein: Krankenhäuser: akut kranke Menschen werden meist für wenige Tage gepflegt, die Aufgaben können je nach Fachbereich sehr unterschiedlich sein. Ambulante Pflegedienste betreuen pflegebedürftige Menschen aller Altersstufen in ihrer häuslichen Umgebung. Fachkliniken sind auf bestimmte Erkrankungen spezialisiert, z.B. psychiatrische Kliniken oder Sportkliniken. Rehabilitationseinrichtungen: Im Anschluss an einen Klinikaufenthalt werden die Betroffenen hier auf den Alltag vorbereitet. Sie lernen den Umgang mit ihrer Erkrankung bzw. Behinderung, um wieder selbstständig leben (und ggf. arbeiten) zu können.

Kurkliniken: Hier wird Krankheiten vorgebeugt, indem Risikofaktoren minimiert werden. Beispiele sind Kuren für Menschen mit Adipositas oder Mutter-/Vater-KindKuren. Altenpflegeeinrichtungen (stationäre Langzeitpflege): bieten Wohn-, Betreuungs- und Pflegeangebote für (meist ältere) Menschen, die nicht mehr alleine leben können oder möchten. Hospize: Hier werden sterbende Menschen unterstützt, die letzte Lebensphase möglichst beschwerdearm und sinnerfüllt zu verbringen. Pflegestützpunkte: Pflegekräfte beraten rund um das Thema Pflegebedürftigkeit, insbesondere zu möglichen Hilfs- und Unterstützungsangeboten. Medizinischer Dienst (MD): Zu den Aufgaben von Pflegekräften zählen z.B. die Pflegebedürftigkeit (den Pflegegrad) festzustellen, zu Versorgungsfragen zu beraten, die Pflegequalität zu sichern, indem sie Pflegeeinrichtungen begutachten.

2.4 Fort- und Weiterbildung Durch den kontinuierlichen Fortschritt in Medizin und Pflege hört das Lernen niemals auf. Eine regelmäßige Weiterqualifizierung ist wichtig für die Pflegequalität und kommt sowohl Pflegenden als auch Pflegeempfängern zugute. Fortbildungen helfen Pflegenden, ihr Wissen auf den neuesten wissenschaftlichen Stand zu bringen. Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens müssen bestimmte Pflichtfortbildungen anbieten (z.B. zum Thema

Brandschutz oder Hygiene). Darüber hinaus gibt es auch allgemeine Fortbildungen, wie z.B. Kommunikation, EDV, autogenes Training, Gesundheitsförderung usw. Offizielle Nachweise über die Teilnahme an Fortbildungen werden durch die Registrierungsstelle für beruflich Pflegende vergeben. Weiterbildungen sind durch Weiterbildungsordnungen geregelt, umfangreicher als Fortbildungen und mit einer neuen oder erweiterten Berufsbezeichnung und beruflichen Aufgabe verbunden (z.B. Fachpflegekraft für Intensivpflege und Anästhesie). Eine Fachweiterbildung ist eine Art der Spezialisierung. Voraussetzung für den Beginn der Weiterbildung ist meist eine mindestens 2-jährige Berufstätigkeit, ein Teil davon im angestrebten Fachgebiet. Die Fachweiterbildung findet i.d.R. berufsbegleitend statt, dauert meist 2 Jahre und schließt mit einer Prüfung ab.

2.5 Kompetenz und Pflegekompetenz Definition Kompetenz „Kompetenz“ ist die Fähigkeit, eine komplexe Situation zu erfassen, zu analysieren und basierend auf Kenntnissen und Wissen angemessen zu handeln.

2.5.1 Berufliche Handlungskompetenz Die berufliche Handlungskompetenz ermöglicht es Pflegenden, die Aufgaben und Herausforderungen des Pflegealltags zu bewältigen.

Im Pflegeberufegesetz wird zwischen fachlicher, personaler, sozialer, methodischer, interkultureller und kommunikativer Kompetenz unterschieden. Das Modell der beruflichen Handlungskompetenz beschreibt die einzelnen Kompetenzen und ihr Zusammenwirken ( ▶ Abb. 2.1). Modell – Berufliche Handlungskompetenz. Abb. 2.1  (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

2.5.1.1 Kompetenzen im PflBG Eine konkrete Ausführung der beruflichen Handlungskompetenzen für den Pflegeberuf wird in § 5 Abs. 3 des PflBG vorgenommen. Die in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen sollen die Pflegefachkraft zur Ausführung folgender Aufgaben befähigen: 1. (a-g) Den Pflegeprozess individuell durchführen und dabei die gesundheitsfördernden, präventiven und rehabilitativen Aspekte berücksichtigen.

(h) Einleiten und Durchführen von lebenserhaltenden Sofortmaßnahmen sowie Maßnahmen in Krisen- und Katastrophensituationen

(i) Unterstützen anderer Berufsgruppen im Rahmen des Pflegekontextes sowie mitwirken an deren praktischer Ausbildung. 2. Durchführen von ärztlich angeordneten Maßnahmen 3. Im interdisziplinären Team effektiv zusammenarbeiten und fachlich kommunizieren Besonders betont wird in diesem Paragraph die Fähigkeit zum Wissenstransfer und zur Selbstreflexion. Drei der in §5 Abs. 3 beschriebenen Aufgaben (a, b, d) werden in §4 als sog. ▶ Vorbehaltene Tätigkeiten der Pflege definiert.

2.5.2 Modelle zur Entwicklung von Pflegekompetenz 2.5.2.1 Entwicklung von Pflegekompetenz nach Olbrich Pflegerisches Handeln hat 4 Dimensionen. Für jede Dimension ist eine bestimmte Kompetenz notwendig ( ▶ Tab. 2.2 ).

Die Kompetenzen müssen mit der Zeit entwickelt werden und bauen aufeinander auf (vom regelgeleiteten Handeln hin zum aktiv-ethischen Handeln). Der Kompetenzerwerb ist eine Art Prozess, der von Erfahrungen und Reflexion beeinflusst wird. Feedback, Anleitung und Korrektur, z.B. durch Lehrende, sind bei der Entwicklung von Kompetenzen wichtig. Dafür ist die Auseinandersetzung mit sich selbst und der beruflichen Rolle zentral. Tab. 2.2 Übersicht der Pflegekompetenz nach Olbrich. Dimension

Kompetenz

Beispiel

regelgeleitetes Handeln

sich Wissen aneignen (Routine als Kenntnisse in und Wissen über Basis von Kompetenz) pflegerische oder medizinische Themen aufbauen und erweitern

situativbeurteilendes Handeln

wahrnehmen und sich vertieft einfühlen

einfühlen in die Situation des Patienten

reflektierendes Handeln

selbstreflektiert sein

eigenes Handeln hinterfragen: „Was tue ich warum und wann?“

aktiv-ethisches Handeln

als Person stark sein (höchste Kompetenzstufe)

stellvertretend für die Interessen des Patienten eintreten, wenn er dies selbst nicht kann (moralisches Denken und Handeln sind hierfür die Voraussetzung)

2.5.2.2 Entwicklung von Pflegekompetenz nach Benner Die Kompetenzentwicklung verläuft über 5 Stufen, die nacheinander durchlaufen werden (vom Neuling bis zum Pflegeexperten). 1. Neuling: Auszubildender oder Pflegender, der in einen neuen Bereich wechselt – handelt nach erlernten Regeln. 2. Fortgeschrittener Anfänger: Berufsanfänger in der Pflege – erkennt wiederkehrende Aspekte in Pflegesituationen.

3. Kompetent Pflegender: Pflegefachkraft mit ca. 2–3 Jahren Erfahrung in einem bestimmten Pflegebereich – handelt planvoll. 4. Erfahrener Pflegender: Pflegefachkraft mit ca. 3–5 Jahren Erfahrung in einem bestimmten Pflegebereich – erfasst Pflegesituation als Ganzes. 5. Pflegeexperte: Pflegefachkraft erfasst Pflegesituationen intuitiv, erkennt direkt Kern eines Problems und leitet erforderliche Pflegemaßnahmen ab.

Aufgabenbereiche Benner beschreibt 7 Aufgabenbereiche der Pflegepraxis, in denen sich insgesamt 31 Kompetenzen wiederfinden (Pflegeexperten haben alle 31 Kompetenzen). Die 7 Bereiche sind: 1. Helfen (Beispielkompetenz: Patienten dazu ermutigen, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich an der Genesung zu beteiligen) 2. Beraten und betreuen (Beispielkompetenz: Patienten beraten, wie er mit den Folgen seiner Erkrankung umgehen kann) 3. Diagnostik und Patientenüberwachung (Beispielkompetenz: Veränderungen des Gesundheitszustands erkennen, mögliche Probleme und Komplikationen erahnen) 4. Wirkungsvolles Handeln bei Notfällen (Beispielkompetenz: kompetent handeln in Notfallsituationen) 5. Durchführung und Überwachung von Behandlungen (Beispielkompetenz: Medikamente mit Sorgfalt verabreichen, auf Wirkung, Nebenwirkungen und Unverträglichkeit achten)

6. Überwachung und Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung (Beispielkompetenz: Maßnahmen hinsichtlich ihrer Sicherheit prüfen) 7. Organisation und Zusammenarbeit (Beispielkompetenz: im therapeutischen Team zusammenarbeiten, um dem Patienten eine optimale Therapie zu ermöglichen)

KOMPAKT Ausbildung und Beruf konkret In dem PflBG und der PflAPrV werden die Mindestanforderungen festgelegt und grundlegende Aussagen zu den Ausbildungszielen und Prüfungen getroffen. Der Ausbildungsvertrag regelt weitere wichtige Aspekte zwischen Arbeitgeber und Auszubildenden. 2020 wurde die generalistische Pflegeausbildung in ganz Deutschland eingeführt, die späteren Einsatzfelder erstrecken sich über den gesamten Gesundheitsbereich, vom klassischen Arbeitsfeld Krankenhaus bis hin zum Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). Aktuell gibt es ca. 270 Studiengänge für Pflege und die Anzahl nimmt weiter zu. Erworbenes Wissen und Kenntnisse in konkreten Situationen adäquat anwenden zu können, bezeichnet man als Kompetenz. Bei der Handlungskompetenz wird zwischen fachlicher, personaler, sozialer, methodischer, interkultureller und kommunikativer Kompetenz unterschieden.

Die Entwicklung der Pflegekompetenz erfolgt prozesshaft. Mit der Zeit generieren Pflegende mehr Wissen und Erfahrung. Durch einen kritischen und selbstreflektierten Umgang damit, nimmt ihre Kompetenz stetig zu. Durch die andauernde Weiterentwicklung in Pflege und Medizin hört das Lernen niemals auf. Fort- und Weiterbildung sichern die Pflegequalität.

2.6 Selbstfürsorge und Stressmanagement

2.6.1 Stress und Stressentstehung Definition Stress und Stressoren Stress ist eine unspezifische Reaktion des Körpers auf jede an ihn gestellte Anforderung durch Stressoren. Dies können körperliche und seelische Anspannungen und Belastungen sein. Stressoren sind Umweltreize, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Stress auslösen. Ob ein Stressor bei einem Menschen Stress auslöst, ist davon abhängig, wie die Person den Stressor wahrnimmt, interpretiert und bewertet. Auch die genetische Veranlagung, Prägung und die individuellen Ressourcen spielen eine Rolle. Stress entsteht, wenn zu wenig wahrgenommene Ressourcen oder Bewältigungsmöglichkeiten (= Copingstrategien) zur Verfügung stehen, um mit dem Stressor umzugehen. ▶ Bewertung. Nach dem Transaktionalen Stressmodell von Richard Lazarus (amerik. Psychologe, 1922–2002) wird ein Stressor unbewusst beurteilt: primäre Bewertung: Ist der Stressor für mein Wohlbefinden irrelevant, positiv/günstig oder negativ? sekundäre Bewertung: Stellt der Stressor im Hinblick auf meine Ressourcen und Copingstrategien eine Bedrohung dar, handelt es sich um eine Schädigung/einen Verlust oder um eine Chance/Herausforderung? Die Stressbewältigung (Coping) kann problemorientiert (Situation/Ziel/Einstellung wird verändert) oder emotionsorientiert (Gefühle/Gedanken werden verändert) sein.

Je besser Stressoren durch den situationsangemessenen Einsatz von Ressourcen und Copingstrategien bewältigt werden konnten, desto eher werden zukünftige Ereignisse als positiv bzw. als Chance bewertet (= Neubewertung).

2.6.2 Stressreaktion Je höher die Bedeutung des Ereignisses und je geringer die Bewertung der Bewältigungsfähigkeiten, desto höher ist das Stressniveau und damit die körperlichen Symptome, z.B. Ausschüttung der Stresshormone, hohe Muskelspannung, Herzrasen und Schwitzen. Diese kurzfristige Stressreaktion ist evolutionär bedingt (Flucht oder Angriff) und wichtig, um die Leistungsfähigkeit zu steigern, Aufmerksamkeit zu fokussieren und neue Herausforderungen anzunehmen. Gesundheitsgefährdend wird es i. d. R. erst, wenn Erholungsphasen ausbleiben und Stress zum Normalzustand wird (= langfristige Stressreaktion). Der erhöhte Stresshormonspiegel wirkt sich negativ auf Körper und Psyche aus. Typische Symptome sind z.B.: Rückenschmerzen Magenbeschwerden Gereiztheit Depressionen gesundheitsschädigendes Verhalten (Rauchen, Alkohol, Medikamente etc.)

2.6.3 Stress am Arbeitsplatz Pflegende beschreiben ihre Arbeit als sinnstiftend, interessant und abwechslungsreich. Daneben zeichnet sich der Pflegeberuf aber auch durch hohe körperliche (z.B. schweres Heben und Tragen) und seelische/emotionale

Belastungen aus (z.B. hohe Verantwortung, Zeit- und Leistungsdruck, Konfrontation mit Leid und Tod). Hinzu kommt die schwierige Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf. Seit vielen Jahren zeigen Studien, dass Beschäftigte in der Pflege krankheitsbedingt überdurchschnittlich häufig ausfallen. Zuletzt wurde dies im TK-Gesundheitsreport (2019) bestätigt. Besonders viele Fehltage entstehen durch psychische Störungen und Erkrankungen des Bewegungsapparats, aber auch Langzeiterkrankungen spielen eine große Rolle.

2.6.4 Körperliche Belastung Die Folgen von körperlicher Fehlbelastung führen sehr häufig zur Arbeitsunfähigkeit von Pflegenden. Dazu zählen Erkrankungen der Gelenke, des Bindegewebes, der Wirbelsäule, des Rückens, des Weichteilgewebes sowie der Knochen und Knorpel. Besonders häufig ist die Lendenwirbelsäule betroffen. Wirbelsäulenbelastende Pflegetätigkeiten sind: direkte, patientenbezogene Tätigkeiten, z.B. Mobilisation patientenunabhängige Tätigkeiten, z.B. Ein- und Ausräumen von Materialien auf der Station zusätzliche belastende Faktoren, z.B. Körperhaltungen/Zwangshaltungen während der Tätigkeiten, Gewicht des Patienten/Gegenstandes Zur Prävention gegen Rückenbeschwerden gibt es verschiedene Ansatzpunkte ( ▶ Tab. 2.3 ). Tab. 2.3 Faktoren und Handlungsfelder für Präventionsmaßnahmen. Faktoren/Ansätze technisch-bauliche Faktoren (Arbeitsumgebung)

Handlungsfelder bauliche Gegebenheiten Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln

Faktoren/Ansätze organisatorische Faktoren (Arbeitsbedingungen)

Handlungsfelder Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufe, Arbeitsaufgaben Personalschlüssel, Dienstplangestaltung Fort- und Weiterbildungen

personen-/verhaltensbezogene Faktoren

Trainings- und Gesundheitszustand erhalten und fördern zur Verfügung stehende Hilfsmittel nutzen rückenschonende Arbeitsweisen erlernen und konsequent anwenden sichere und funktionale Arbeitsschuhe tragen

2.6.5 Belastung durch Schichtarbeit 2.6.5.1 Die innere Uhr des Menschen Die innere Uhr des Menschen folgt einem ca. 24-stündigen Schlaf-Wach-Rhythmus, der vor allem durch den HellDunkel-Wechsel beeinflusst wird (zirkadianer Rhythmus). Durch den Schlaf-Wach-Rhythmus werden alle biologischen Rhythmen (z.B. Stoffwechsel, HerzKreislauf-Funktion) gesteuert. Den eigenen Rhythmus einzuhalten ist wichtig für die Regeneration und Gesundheit des Menschen. Nach der eigenen inneren Uhr werden 2 Zeittypen unterschieden: Frühtyp (Lerche) und Spättyp (Eule). Zu welchem Typ man gehört, kann nicht beeinflusst werden. Durch soziale Faktoren (z.B. Arbeitszeiten) kann es zu einer chronischen Störung der inneren Uhr kommen, dem sozialen Jetlag.

2.6.5.2 Mögliche Auswirkungen von Schichtarbeit

Auf Dauer kann die Störung der inneren Uhr körperliche Folgen haben, z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt, Appetitlosigkeit, Unruhe, erhöhtes Unfallrisiko durch Müdigkeit und Erschöpfung, Schlafstörungen.

2.6.5.3 Grundregeln für mehr Lebensqualität im Schichtdienst Eiweiß- und kohlenhydratreiche Mahlzeiten, kleine bekömmliche Zwischenmahlzeiten während der Nacht, ausreichend trinken Schlaf-Wach-Zeiten in den letzten Tagen der jeweiligen Schicht um 1–2 h verschieben Schlafhygiene beachten (z.B. ca. 7–8 h Schlaf, störende Geräusch- und Lichtquellen beseitigen, Schlafrituale einhalten) im Nachtdienst Wachheit durch kleine Pausen und helle Lichtverhältnisse fördern Dienstplangestaltung: vorwärtsrotierende Schichtfolge (Früh-Spät-Nacht), Ruhezeiten ermöglichen (z.B. max. 4 Nachtdienste in Folge, geblockte Wochenendzeiten, möglichst lange Ruhephasen nach Nachtschicht)

2.6.6 Psychische Belastungen 2.6.6.1 Unangenehme Gefühle Der Pflegeberuf geht mit körpernahen und intimen Tätigkeiten einher. Dabei können im Umgang mit anderen Menschen unangenehme Gefühle hervorgerufen werden. Für einen professionellen Umgang mit den eigenen Gefühlen müssen diese wahrgenommen, anerkannt und benannt werden.

▶ Ekel. Ekel ist ein Gefühl der Abneigung und des Widerwillens, das Übelkeit hervorrufen kann. Er ist ein normaler Schutzreflex und wird in einer konkreten Situation über die Sinneswahrnehmung ausgelöst (häufig über den Geruch). Umgang mit Ekel (sog. Ekelmanagement): Ekelempfinden vor dem Patienten nicht zeigen, d.h., das Problem der emotionalen Dissonanz akzeptieren durch kognitives Umprogrammieren ein Ereignis bewusst neu bewerten sich mit Kollegen austauschen und sich gegenseitig unterstützen belastende Situationen nicht alleine bewältigen, sich im Team abwechseln Einmalhanhschuhe und Schutzkleidung tragen, Duftaromen verwenden, ggf. Raum lüften sich bewusst von belastenden Situationen distanzieren Auch Patienten können sich ekeln, z.B. in der klinischen Umgebung, vor Mitpatienten oder vor dem eigenen Körper. Pflegende sollten offen mit dem Pflegeempfänger über Ekelgefühle sprechen und gemeinsam nach möglichen Bewältigungsstrategien suchen. ▶ Scham. Scham ist ein Gefühl des Bloßgestelltseins oder der Befürchtung, bloßgestellt zu werden. Das Gefühl entsteht bei Verletzung der Intimsphäre oder als Schuldgefühl bei tatsächlichem oder vermeintlichem Versagen (soziale Scham). Krankheit kann Schamgefühle erzeugen, da sie oft mit einer verminderten Fähigkeit zur Selbstbestimmung (z.B. Inkontinenz) und einem eingeschränkten Leistungsvermögen (z.B. sich selbst zu waschen) einhergeht. Scham dient als Selbstschutz und Schutz der menschlichen Würde, sie fördert eine respektvolle Haltung der Menschen

untereinander. Dieses Wissen ist die Basis für ein menschenwürdiges Pflegeverständnis. Umgang mit Scham: Grenzen klar und deutlich abstecken sich mit Kollegen über schambesetzte Situationen austauschen und Unterstützung einfordern Intimsphäre des Patienten wahren (z.B. anklopfen, Berührungen ankündigen, Sichtschutz aufstellen, Besucher aus dem Zimmer bitten) ▶ Ärger, Wut, Aggression. Ärger umschreibt eine Gruppe von Gefühlen, die verschiedene Erregungsniveaus und Intensitäten aufweisen können: von Missmut bis hin zur Wut. Aus evolutionsbiologischer Sicht ist Ärger eine Reaktion auf eine Bedrohung und führt zu Angriff oder Flucht. Als zivilisierte Menschen fühlen wir uns im übertragenen Sinne bedroht, z.B. durch Überforderung, Ungerechtigkeit, Unverständnis oder andere Meinungen. Ärger dient als Selbstschutz, indem man für sich oder andere Menschen einsteht, und er motiviert dazu, Situationen zu verändern. Umgang mit Ärger: kontrolliert abreagieren (z.B. körperliche Aktivität, Gespräche, kontrolliertes Schreien) Bei länger anhaltendem Ärger sollte die Situation analysiert werden: Stressor identifizieren, Belastung einschätzen, Stressor verändern und/oder Einstellung und Verhalten zum Stressor ändern, Bewältigungsressourcen stärken. Wichtig: Ärger nicht permanent unterdrücken, dies kann zu gesundheitlichen Störungen (physisch und psychisch) führen. ▶ Aggression. Aggression ist kein Gefühl, sondern ein Verhalten, das durch Gefühle hervorgerufen wird. Es werden 2 Formen unterschieden: konstruktiv (aufbauende) Aggression:

als Reaktion auf einen (verbalen) Angriff auf die eigene Macht als Fähigkeit zur Selbstbehauptung, Selbsterhaltung und Selbstschutz als Ausdruck für ein intaktes Selbstwertgefühl destruktive Aggression: ein Angriffsverhalten, das (un)bewusst darauf zielt, Menschen zu schädigen. Darunter fällt auch die Autoaggression (wenn die Aggression sich gegen sich selbst richtet).

2.6.6.2 Gewalt Gewalt ist der Einsatz physischer oder psychischer Mittel, um einer anderen Person Schaden zuzufügen, sie dem eigenen Willen zu unterwerfen oder ausgeübter Gewalt mit Gegengewalt zu begegnen. Beispiele von Gewalt gegenüber pflege- und hilfebedürftigen Personen: Nichtbeachten, Entzug von Zuwendung, Vernachlässigung Verweigern von Toilettengängen Zwangsernährung Bevormundung abfällige Bemerkungen, Bedrohungen oder Beschimpfungen Freiheitsbeschränkung/-entziehung Es werden 3 Formen der Gewalt unterschieden: personelle Gewalt: Eine Person beeinträchtigt eine andere Person in ihren Grundbedürfnissen aktiv durch Misshandlung oder passiv durch Vernachlässigung. Ursachen: z.B. psychische Überforderung durch Stress, Frustration, überhöhtes Helferideal etc.

institutionelle Gewalt: ist eine strukturbedingte und indirekte Gewalt. Rahmenbedingungen können als Gewalt empfunden werden und auch Gewaltbereitschaft fördern. Gewaltfördernde Rahmenbedingungen sind z.B. dauerhaft zu wenig Personal, mangelnde Arbeitsorganisation, keine Finanzierung von pflegeerleichternden Hilfsmitteln, eine vorgegebene Strukturierung des Tagesablaufs, der sich nicht an den Bedürfnissen der Patienten orientiert. kulturelle Gewalt: entsteht indirekt und hat ihren Ursprung in der Wertehaltung, der Religion oder Ideologie einer Gesellschaft, z.B. Einstellung gegenüber bestimmten Personengruppen einer Gesellschaft. Pflichten bei institutioneller Gewalt Arbeitnehmer (§ 15, § 16 ArbSchG): Meldung mithilfe einer Überlastungsanzeige. Arbeitgeber (§ 618 BGB, § 5 ArbSchG): Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeitern, muss auf Überlastungshinweise mit Maßnahmen reagieren.

Merke Gewalt Keine Toleranz gegenüber Gewalt! Kollegen oder Vorgesetzte direkt ansprechen oder melden.

2.6.6.3 Burn-out Definition Burn-out-Syndrom Emotionaler, geistiger und körperlicher Erschöpfungszustand nach länger bestehender hoher Arbeitsbelastung, Stress und/oder

Selbstüberforderung. Das Syndrom geht mit einem Krankheitsgefühl einher und dauert länger als 6 Monate an. Die Anzahl der Erkrankten hat in den letzten Jahren stark zugenommen, auch bei den Pflegekräften. Zu den Ursachen zählen: Zeit- und Leistungsdruck, psychisch belastende Situationen im Arbeitsalltag. Burn-out verläuft in verschiedenen Phasen, die nicht immer chronologisch ablaufen müssen. Es gibt verschiedene Modelle (mit 4 bis 12 Phasen), die die Phasen unterschiedlich differenzieren. Exemplarisch hier das 5-Phasen-Modell nach Müller und Timmermann (1994): 1. Enthusiasmus und Idealismus, z.B. Drang nach Anerkennung und übertriebener Ehrgeiz 2. Realismus und Pragmatismus, z.B. Ausblenden von Warnsignalen und Überforderung, erste (körperliche und psychische) Beschwerden 3. Stagnation und Überdruss, z.B. Rückzug, Reduktion sozialer Kontakte, zunehmende Ängstlichkeit 4. Frustration und Depression, z.B. innere Leere, Ablenkung durch Essgewohnheiten, Alkohol und Medikamente, Funktionieren wie ein Roboter 5. Apathie und Verzweiflung, z.B. Niedergeschlagenheit, Gleichgültigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Hoffnungslosigkeit, totale Erschöpfung, Suizidgedanken

Gefährdete Personen stellen sehr hohe Anforderungen an sich selbst haben ein ausgeprägtes Helfersyndrom (häufig im Sozial- und Gesundheitsbereich)

haben mangelnde Stressbewältigungsstrategien

Unterstützungsmaßnahmen Kollegen, die Symptome zeigen, behutsam darauf ansprechen dabei unterstützen, therapeutischen und ärztlichen Rat zu suchen

2.6.6.4 Helfersyndrom Personen, die vom Helfersyndrom betroffen sind, haben für sich das Ideal verinnerlicht, nur dann gut zu sein, wenn sie anderen Menschen helfen. Durch die resultierende Anerkennung wird das Selbstwert- und Zugehörigkeitsgefühl gesteigert. Betroffene übersehen dabei eigene Bedürfnisse und überschreiten oft auch ihre Belastungsgrenzen, weil es ihnen selbst schwer fällt, Hilfe anzunehmen. Dieses Muster wurde meist in der Kindheit erlernt und kann zu Burn-out oder Depressionen führen.

Gefährdete Personen Personen in helfenden Berufsfeldern Personen, die das Gefühl haben ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Bestätigung nur über Dank und Anerkennung von Hilfeempfängern herstellen zu können.

Unterstützungsmaßnahmen Motive des Helfers behutsam hinterfragen und für eigene Bedürfnisse sensibilisieren Betroffene nicht ausnutzen, sondern beim Nein sagen unterstützen Betroffenen Anerkennung zeigen, ohne dass sie eine Hilfeleistung erbringen müssen

2.6.6.5 Psychischen Überlastungen vorbeugen

Zur Vorbeugung gegen psychische Belastungen kann die Supervision hilfreich sein. Dabei handelt es sich um eine personen- und organisationsbezogene Beratungsform: Die berufliche Rolle und das konkrete Handeln der Teilnehmer werden in Beziehung gesetzt. ▶ Ziele und Aufgaben . In einer Supervision werden: Veränderungsprozesse gestaltet Lösungen und Handlungsalternativen entwickelt die Zusammenarbeit und eine wertschätzende Kommunikation im Team gefördert u.a. Versorgungsqualität und Patientenorientierung verbessert die Organisationsentwicklung vorangetrieben (durch Veränderung von Arbeitsstrukturen).

2.6.7 Strategien der Stressbewältigung Um mit den vielfältigen Anforderungen in Beruf und Privatleben zurechtzukommen, können gutes Zeitmanagement und gute Organisationsfähigkeit hilfreich sein. Zu einer aktiven Stressbewältigung gehört es: persönliche Stressbelastungen zu analysieren verschiedene Stressbewältigungsmethoden kennenzulernen und auszuprobieren ein persönliches Antistressprogramm zu entwickeln persönliche Zufriedenheit und Stressniveau regelmäßig zu kontrollieren.

2.6.7.1 Ressourcen stärken Da Stress entsteht, wenn zu wenige Ressourcen wahrgenommen werden, ist es ein Ansatz, diese zu stärken.

Dabei sind 3 Faktoren wichtig: Selbstbewusstsein/Selbstvertrauen stärken: sich eigene Stärken bewusst machen soziale Kontakte nutzen: Gespräche mit anderen können entlasten, daher gezielt schauen, wer helfen kann. Wissen: gibt Sicherheit, mit schwierigen Situationen umzugehen. Was weiß ich über die stressauslösende Situation? Wo kann ich mir mehr Wissen aneignen?

2.6.7.2 Einstellungen ändern Alles-oder-nichts-Strategien aufgeben: Kleine Erfolge können auch etwas bewegen. realistische (Zwischen-)Ziele setzen und das Erreichen wertschätzen Schwierigkeiten nicht als Bedrohung, sondern als Herausforderung sehen sich nicht alles zu Herzen nehmen/nicht alles persönlich nehmen Fort- und Weiterbildungen zu Kommunikation und Konfliktlösung wahrnehmen (z.B. gewaltfreie Kommunikation nach M. Rosenberg, Stressmanagement nach G. Kaluza)

2.6.7.3 Work-Life-Balance Zeitmanagement optimieren (z.B. nach der sog. Eisenhower-Methode, Aufgaben delegieren) Freizeit gestalten: Hobbys und soziale Kontakte konkret einplanen regelmäßig Zufriedenheitserlebnisse schaffen für sich selbst eine Regelung zum Einspringen an freien Tagen treffen

Entspannungsmethoden: kurzfristig: Atemübungen, positive Selbstgespräche, kleine körperliche Übungen langfristig: körperliche Bewegung, Yoga, Qigong und Tai-Chi, Pilates, Progressive Muskelentspannung

KOMPAKT Selbstfürsorge und Stressmanagement Stress entsteht, wenn der Stressor mit den wahrgenommenen Ressourcen nicht zu bewältigen ist. Kurzfristige Stressreaktionen (Herzrasen, Schwitzen) sind normal – langfristige Stressreaktionen machen krank. Der Pflegeberuf ist durch körperliche, seelische und emotionale Belastungen gekennzeichnet: Unangenehme Gefühle wie Ekel oder Scham spielen ebenso eine Rolle wie die körperlichen Belastungen durch die Schichtarbeit oder rückenbelastende Pflegetätigkeiten. Ein bestehendes Helfersyndrom oder eine länger andauernde Überlastung können zu einem Burn-out oder einer Depression führen. Supervision ist eine Möglichkeit, psychischer Belastung vorzubeugen. Strategien zur Stressbewältigung: Ressourcen stärken, Einstellung ändern, Work-Life-Balance fördern

3 Pflege als Prozess gestalten 3.1 Grundlagen Definition

Pflegeprozess Der Pflegeprozess ist ein systematischer und zielgerichteter Arbeitsablauf, mit dem Pflegende Probleme des Pflegeempfängers erkennen und pflegerische Maßnahmen zielgerichtet planen, organisieren, durchführen und evaluieren. Der Pflegeprozess ist somit ein Problemlösungsprozess. Im Idealfall ist die Pflege nach Ablauf des Pflegeprozesses beendet, weil alle Pflegeprobleme gelöst wurden und kein weiterer Pflegebedarf besteht. In der Praxis ist dies meist nicht der Fall, aus folgenden Gründen: Pflegeprobleme können nach dem Durchlaufen des Prozesses weiterhin bestehen (selbst wenn sich der Zustand des Pflegeempfängers bessert). Es können neue Pflegeprobleme (ggf. mit Zustandsverschlechterung) hinzukommen. Der Pflegeprozess wird daher häufig mehrfach durchlaufen. Dabei baut er auf dem Wissen und der Erfahrung aus den vorherigen Durchläufen auf. Vorteile des Pflegeprozesses Patientenorientierung: Der Mensch steht im Mittelpunkt, individuelle Ressourcen und pflegerelevante Probleme werden erfasst und Bedürfnisse berücksichtigt. klare Struktur: Informationen werden für alle an der Pflege Beteiligten strukturiert dargestellt, dies macht die Zusammenhänge der Pflegemaßnahmen klar. Personalplanung: Pflegerischer Aufwand ist besser abschätzbar, Personalaufwand ist besser planbar.

Arbeit nachweisen: Pflegeplanungen helfen, den pflegerischen Aufwand nachzuweisen. Besonders in der ambulanten Pflege und Altenpflege ist eine ausführliche Dokumentation wichtig, damit der Pflegeempfänger angemessen eingestuft wird und ausreichende finanzielle Mittel bewilligt werden. Ziel konsequent verfolgen: Ziele und Maßnahmen werden schriftlich in der Pflegeplanung festgehalten. Alle Beteiligten sind somit informiert und können gemeinsam auf das Ziel hinarbeiten. Wirksamkeit von Pflegemaßnahmen belegen: Überprüfung, ob Pflegemaßnahmen oder neu entwickelte Pflegetechniken helfen, die Ziele zu erreichen. Qualität sichern: Auf Grundlage der Pflegeplanung können Maßnahmen laufend oder zu festgelegten Zeitpunkten evaluiert, angepasst und verbessert werden.

3.2 Pflegeprozessmodell Es gibt verschiedene Pflegeprozessmodelle: z.B. das 4Phasen-Modell nach Monika Krohwinkel, das USamerikanische 5-Phasen-Modell, das 4-schrittige Modell der WHO und das etablierte 6-Phasen-Modell von Verena Fiechter und Martha Meier. Alle Pflegeprozessmodelle beschreiben folgende Phasen oder Schritte: Pflegeanamnese → Pflegeplanung → Pflegedokumentation. In den Modellen werden die einzelnen Phasen nacheinander und aufeinander aufbauend durchlaufen. In Deutschland gibt es 2 relevante Modelle:

das 4-schrittige Pflegeprozessmodell nach Yura und Walsh (WHO-Modell) das 6-schrittige Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier

3.2.1 Pflegeprozessmodell nach WHO Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (2017) und dem 2. Pflegestärkungsgesetz (2017) ist das Pflegeprozessmodell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wieder in den Fokus gerückt. Das 4-Phasen-Modell bildet dabei die Grundlage für die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation. Die Phasen des Modells: 1. Einschätzung des Pflegebedarfs bzw. Pflegeanamnese (durch Informationssammlung) 2. Planung der Pflege 3. Durchführung der Pflege 4. Evaluation der Pflege (Wirksamkeit der Pflege für den Pflegeempfänger) Kritik am Modell: Das Formulieren von Pflegezielen rückt in den Hintergrund.

3.2.2 Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier Der 6-schrittige Pflegeprozess nach Fiechter und Meier beschreibt den Regelkreis detaillierter als das WHOModell, macht den Prozess leichter fassbar und ist im deutschsprachigen Raum stark verbreitet ( ▶ Abb. 3.1). Berufsanfänger sollten dieses Modell nutzen, um sich der Schritte und ihrer Bedeutung bewusst zu werden.

Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier. Abb. 3.1 Im Regelkreis werden alle 6 Schritte nacheinander und aufeinander aufbauend durchlaufen. (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

3.2.2.1 Schritt 1: Informationssammlung Bei der Informationssammlung werden alle pflegerelevanten Daten über den Pflegeempfänger

erhoben. Sie erfolgt kontinuierlich bei jeder Interaktion und mit unterschiedlichen Methoden, z.B. Gespräch, Beobachtung, Sichtung der Patientenakte, Anwenden von Assessmentinstrumenten. ▶ Informationsgelegenheiten. Informationssammlung findet statt bei: jedem Kontakt mit Pflegeempfänger: tägliche Begegnung: Berichtet der Pflegeempfänger über Veränderungen oder neue Probleme? tägliche Beobachtung: Hat sich etwas verändert? Kommunikation im interprofessionellen Team: neue medizinische Befunde? Fortschritte bei der Physio- oder Ergotherapie? Kommunikation mit Angehörigen: Was berichten oder beobachten diese? ▶ Informationsquellen. Pflegende nutzen direkte und indirekte Informationsquellen. Die Art der Informationsquelle muss in der Dokumentation vermerkt sein. direkte Informationsquellen: Pflegeempfänger, Befragung oder Beobachtung des Pflegeempfängers durch die Pflegefachkraft indirekte Informationsquellen: andere Personen (Angehörige, Freunde, Betreuer des Pflegeempfängers), Verlegungsschreiben, mitgebrachte Arztbriefe, Pflegeüberleitungsberichte, alte Akten ▶ Informationsarten. Objektive und subjektive Informationsarten sind gleichermaßen wichtig. In der Dokumentation sollten subjektive Informationen als solche gekennzeichnet werden.

objektive Informationen: messbare Informationen oder Daten (z.B. Gewicht, Blutdruck, Flüssigkeitsausfuhr, aber z.B. auch Wundbeschreibung) subjektive Informationen: von einer Person empfunden und mitgeteilt (z.B. Schmerzstärke, Wirkung eines Medikaments)

Pflegeanamnese Die Pflegeanamnese gehört zur Informationssammlung und bildet die Grundlage des Pflegeprozesses. Sie ist eine Methode der strukturierten Datenerhebung. Dabei werden grundlegende pflegerelevante Informationen systematisch und zielgerichtet erfasst. Die Pflegeanamnese erfolgt meist im Rahmen eines Aufnahmegesprächs, häufig mit standardisierten Pflegeanamnesebögen. Generell wichtig: unter 4 Augen (Privatsphäre) ruhige Atmosphäre ▶ Kommunikationsregeln beherrschen Zeit für Fragen einplanen nicht länger als 60 min (Überforderung des Pflegeempfängers vermeiden) Inhalte des Gesprächs: körperliches Befinden und aktueller und zu erwartender pflegerischer Hilfebedarf: Körperpflege, Bewegungseinschränkungen, Ausscheidung Lebensumstände: soziales Umfeld und Unterstützung (Beruf, Familie, Wohnverhältnisse) Gewohnheiten: Essen, Bewegung, Rauchen, Alkohol vorhandene oder zu erwartende psychische Belastungen/Probleme

Besonderheiten: Kommunikation (Sprachstörungen, Sprachverständnis usw.), Allergien, Medikationen, Hilfsmittel Es ist nicht einfach, offen über alle Themen zu sprechen, da evtl. mit den Fragen eine persönliche Grenze überschritten werden kann. Bei unangenehmen Fragen ist es wichtig, möglichst offen zu fragen, wie der Pflegeempfänger z.B. mit der jetzigen Situation zurechtkommt, oder ehrlich zu sein und zu begründen, warum diese Frage wichtig ist. Eine weitere Herausforderung ist, dass nicht immer auf alle Fragen gleich zu Beginn ehrlich geantwortet wird (z.B. aus Angst oder Schamgefühl).

Patientenbeobachtung Während der pflegerischen Tätigkeit können sowohl der Pflegebedarf als auch die Ressourcen eingeschätzt werden. Zudem ist es möglich, den Nutzen der Pflegemaßnahmen einzuschätzen. Besonders wichtig ist die Beobachtung bei Pflegeempfängern, die sich nicht oder nur unzuverlässig äußern können. Mehr dazu in Kap. ▶ 14.

3.2.2.2 Schritt 2: Pflegeprobleme und Ressourcen erkennen ▶ Pflegeprobleme. Pflegeprobleme sind physische, psychische, emotionale, soziale und organisatorische Beeinträchtigungen, die eine Person in der Selbstpflege einschränken. Weiterhin versteht man darunter besondere Gefahren (z.B. Pneumonie), die eine Person oder ihr soziales Umfeld nicht kompensieren können. Man unterscheidet folgende Arten von Problemen: aktuelle Pflegeprobleme: Sie bestehen zum Zeitpunkt der Erhebung und sind meist offensichtlich und damit gut identifizierbar. potenzielle Pflegeprobleme: existieren noch nicht, können aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten.

verdeckte Pflegeprobleme: wurden noch nicht vom Pflegeempfänger genannt oder von der Pflegefachkraft erkannt. generelle Pflegeprobleme: zu erwartende Einschränkungen, die bei vielen Patienten mit dem gleichen Krankheitsbild auftreten (z.B. Schmerzen nach einer OP). individuelle Pflegeprobleme: die tatsächlichen Probleme des Pflegeempfängers (aktuell, potenziell oder verdeckt), abhängig von der persönlichen Lebenssituation oder anderen Eigenschaften (z.B. Pflegeempfänger macht sich Sorgen um die Zukunft und leidet unter Schlafproblemen). Wichtig bei der Formulierung: Handelt es sich um ein Pflegeproblem? Kann es von der Pflege behandelt werden oder fällt es eher in den medizinischen Bereich? Ist das Problem aus der Sicht des Pflegeempfängers formuliert und stellt es für ihn überhaupt ein Problem dar? Oder kann es im Alltag durch Ressourcen ausgeglichen werden? PÄSR-Schema einhalten: Ist das Problem präzise benannt? Ist die Ätiologie (Ursache) des Problems angegeben? Sind die Symptome des Problems beschrieben? Sind die Ressourcen mit aufgeführt? ▶ Ressourcen. Ressourcen sind in der Pflege Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einflüsse, die den Betroffenen bei der Bewältigung seiner Probleme unterstützen können. Sie werden daher im Zusammenhang mit den Pflegeproblemen betrachtet. Sie können unterteilt werden in: körperliche Ressourcen, z.B.: Pflegeempfänger kann allein laufen.

innere Ressourcen, z.B.: Pflegeempfänger kann Zusammenhänge erkennen. räumliche Ressourcen, z.B.: Pflegeempfänger wohnt in behindertengerechter Wohnung. soziale Ressourcen, z.B.: Pflegeempfänger wird durch Angehörige unterstützt. ökonomische Ressourcen, z.B.: Pflegeempfänger bezieht Leistungen der Pflegeversicherung. spirituelle Ressourcen, z.B.: Pflegeempfänger findet Kraft im eigenen Glauben.

3.2.2.3 Schritt 3: Pflegeziele festlegen Pflegeziele beschreiben das Pflegeergebnis bzw. den zukünftigen „Soll-Zustand“, der innerhalb einer vorgegebenen Zeit durch die Pflegemaßnahmen erreicht werden soll. Sie sind somit die Evaluationsgrundlage für die Pflegemaßnahmen. Bei der Formulierung von Zielen sollte Folgendes beachtet werden: idealerweise gemeinsam mit dem Pflegeempfänger und evtl. dessen Angehörigen beziehen sich auf ein Verhalten, einen Zustand, einen Befund, auf Wissen oder eine Fähigkeit Bei längeren Prozessen ist eine Aufteilung in Nah-, Teilund Fernziele sinnvoll (z.B. in der Langzeitpflege). positiv formulieren mithilfe der SMART-Kriterien formulieren: spezifisch: Ist das Ziel individuell auf den Pflegeempfänger zugeschnitten? messbar: Kann das Ziel überprüft werden? akzeptiert: Ist der Pflegeempfänger mit dem Ziel einverstanden und arbeitet bei der Zielerreichung

mit? realisierbar: Ist das Ziel erreichbar? terminierbar: Bis wann soll das Ziel erreicht werden?

3.2.2.4 Schritt 4 und 5: Pflegemaßnahmen planen und durchführen Pflegemaßnahmen müssen auf den individuellen Bedarf, die Ressourcen des Pflegeempfängers und auf die geplanten Pflegeziele ausgerichtet sein. Sie sollten möglichst konkret anhand folgender Fragen formuliert werden: Was soll von wem getan werden? Wann bzw. wie oft? Wie, womit und evtl. wo? Die ausgewählten Maßnahmen sollen von allen Pflegekräften durchgeführt werden. Abweichungen sind je nach Bedarf und Tagesform des Pflegeempfängers möglich, müssen aber begründet und dokumentiert werden.

3.2.2.5 Schritt 6: Evaluation: Beurteilung der Wirksamkeit Regelmäßig, aber spätestens, wenn das in den Pflegezielen festgelegte Datum erreicht ist, wird das Ziel mit der tatsächlichen Situation des Pflegeempfängers abgeglichen. Ziele, die der Erhaltung eines Zustandes dienen, gelten andauernd weiter. Konnte ein Ziel nicht erreicht werden, muss nach den Ursachen gesucht und der Pflegeprozess fortgeführt werden. Mögliche Gründe dafür, dass ein Pflegeziel nicht erreicht wird, und passende Abhilfe nennt ▶ Tab. 3.1 . Tab. 3.1 Gründe, aus denen Pflegeziele nicht erreicht werden. Grund

Abhilfe

Grund

Abhilfe

Es lagen nicht alle Informationen vor.

Die Informationssammlung muss wiederholt und aktualisiert werden.

Die Zeit für die Zielerreichung war zu kurz angesetzt.

Die Maßnahme muss noch längere Zeit wie geplant durchgeführt werden.

Das Ziel war von vornherein zu hoch gesteckt.

Es muss ein niedrigeres (Teil-)Ziel gesetzt werden.

Der Zustand des Pflegeempfängers hat sich verschlechtert oder verbessert.

Es muss ein anderes, dem neuen Zustand angepasstes Ziel gesetzt werden.

Die geplanten Maßnahmen konnten nicht Der Zeitplan muss verändert werden. Falls umgesetzt werden, da keine Zeit dafür blieb ein Pflegeempfänger nicht kooperiert, oder der Pflegeempfänger die Maßnahme müssen die Gründe dafür gefunden werden. verweigerte. Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

3.3 Pflegeplanung Definition Pflegeplanung Die Pflegeplanung ist ein Instrument, in dem Pflegekräfte einzelne Schritte des Pflegeprozesses schriftlich festhalten können. Sie besteht in der Regel aus den Pflegeproblemen und Ressourcen, den Zielen und den geplanten Maßnahmen. Ganz gleich nach welcher Pflegetheorie die Pflegeplanung strukturiert ist, begonnen wird immer mit dem für den Pflegeempfänger wichtigsten Problem. Daher ist es unabdingbar, diesen bei der Planung einzubeziehen. Eine Pflegeplanung ist wenn möglich nicht an den Aufenthalt in einer Einrichtung gebunden, sondern soll den Betroffenen durch die verschiedenen Fachdisziplinen und Settings begleiten.

Merke Pflegeplanung Die eine optimale und einzig richtige Pflegeplanung gibt es nicht. Aufgrund unterschiedlicher Pflegeverständnisse oder Fachkenntnisse kann es zu einer unterschiedlichen Gewichtung der Probleme sowie Wahl der Maßnahmen kommen.

3.3.1 Pflegeplanung in der Prüfung Orientieren Sie sich an den haus- bzw. schulinternen Vorgaben. Beachten Sie Pflegetheorien, Leitbilder aber auch Behandlungsvorgaben der Ärzte. Wählen Sie geeignete Pflegemaßnahmen nach dem aktuellen fachwissenschaftlichen Stand aus (z.B. Pflegestandards, Klassifikationssysteme). Versetzen Sie sich in die Rolle des Pflegeempfängers, um die Pflegeprobleme zu priorisieren und die für ihn passenden Maßnahmen zu wählen. Noch besser: Besprechen Sie die Pflegeplanung wenn möglich direkt mit dem Pflegeempfänger. Prüfen Sie, ob die Pflegeprobleme und Ziele zusammenpassen und ob mit den Maßnahmen das Problem bearbeitet bzw. das Ziel erreicht werden kann. Sollten Sie einen Ihnen unbekannten Pflegeempfänger zugewiesen bekommen, nutzen Sie bei der Informationssammlung auch die Expertise der Pflegefachkräfte, die den Pflegeempfänger kennen.

3.3.2 Pflegeplanung in der Praxis

Krankenhaus: Durch die kurzen Liegezeiten liegen selten ausführliche Pflegeplanungen vor. Es wird oft mit Standardpflegeplänen gearbeitet. stationäre Altenpflege: Für jeden Bewohner muss eine Pflegeplanung vorliegen. zeichnet sich überwiegend durch Langzeitziele aus hohe Bedeutung von psychosozialen Belangen der Bewohner Pflegeplanung wird vom MDK und Heimaufsicht genutzt, um Pflegequalität und Pflegebedürftigkeit zu überprüfen. Das „Strukturmodell zur Entbürokratisierung der Pflegedokumentation“ ((angelehnt an den 4schrittigen Pflegeprozess nach WHO, ▶ SIS [strukturierte Informationssammlung]) soll die Dokumentation in der Langzeitpflege reduzieren, damit mehr Zeit für die Pflege und Betreuung des Pflegeempfängers bleibt. ambulante Pflege: Pflegeplanung wie in der stationären Altenhilfe Zusätzlich: Klient entscheidet, was in den Pflegeplan aufgenommen wird bzw. was von der professionellen Pflegefachkraft durchgeführt werden soll und was nicht.

3.4 Pflegediagnosen

Pflegediagnosen bieten eine einheitliche und wissenschaftlich fundierte Bezeichnung für wiederkehrende Pflegeprobleme und Ressourcen. Pflegediagnosen bestehen meist aus 3–4 Elementen und folgen in ihrer Formulierung dem ▶ PÄSR-Schema. Sie verfolgen (genauso wie die Pflegeprobleme) das Ziel, den Aufwand für die Pflege des Pflegeempfängers darzustellen, und bilden die Grundlage für die Pflegemaßnahmen. Durch die Standardisierung unterstreichen sie die eigenverantwortliche Arbeit der Pflegenden und tragen zur ▶ Professionalisierung bei. ▶ Klassifikation. Am häufigsten werden im deutschen Sprachraum folgende Klassifikationssysteme verwendet: NANDA International: wissenschaftlich überprüfte und regelmäßig überarbeitete, klar definierte Pflegediagnosen, die zusammen mit den NIC (Nursing Interventions Classification = Pflegemaßnahmen) und NOC (Nursing Outcome Classification = Pflegeergebnis/Ziel) den Pflegeprozess vollständig abbilden können. ENP (European Nursing Care Pathways): bietet Pflegediagnosen, Pflegeziele und Pflegemaßnahmen in der Form von Praxisleitlinien an und unterstützt Pflegende bei der Auswahl geeigneter, u. a. wissenschaftlich belegter Pflegemaßnahmen ICNP (International Classification of Nursing Practice): Sammlung von spezifischen Begriffen, mit deren Hilfe Pflegediagnosen, Pflegeinterventionen und Pflegeergebnisse erstellt werden können. Es bestehen bereits vorformulierte Pflegediagnosen sowie Pflegemaßnahmen.

3.5 Pflegestandards und Assessments Bei der Erstellung der Pflegeplanung sollten die hausinternen Pflegestandards sowie die aktuellen Expertenstandards berücksichtigt werden. Pflegestandards: Sie legen ein bestimmtes Qualitätsniveau oder zu erreichendes Leistungsniveau fest sowie angemessene Pflegemaßnahmen, mit denen die Qualität erreicht und überprüft werden kann. Standardpflegepläne: Sie beschreiben übliche Maßnahmen bei häufig wiederkehrenden pflegerischen Problemstellungen. Diese sollten der individuellen Patientensituation angepasst werden. Expertenstandards: Sie sind wissenschaftlich fundierte Abhandlungen zu zentralen, pflegerischen Themen. Sie tragen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität bei und dienen professionell Pflegenden als Basis und Orientierung für ihr pflegerisches Handeln. Sie wurden vom Deutschen Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) in Kooperation mit dem Deutschen Pflegerat e. V. (DPR) entwickelt. Informationen dazu finden Sie auf www.dnqp.de/de/expertenstandards-undauditinstrumente. Expertenstandards sind bislang rechtlich nicht verbindlich. Aber sie geben den aktuellen, wissenschaftlich begründeten Stand sorgfältigen pflegerischen Arbeitens wieder. Wird davon unbegründet abgewichen, kann das also durchaus haftungsrechtliche Konsequenzen haben. Aktuell (Stand 2022) gibt es 11 Expertenstandards, von denen einige bereits aktualisiert wurden: 1. „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ 2. „Entlassungsmanagement in der Pflege“

3. „Schmerzmanagement in der Pflege“ 4. „Sturzprophylaxe in der Pflege“ 5. „Förderung der Harnkontinenz in der Pflege“ 6. „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ 7. „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ 8. „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ 9. „Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ 10. „Förderung der physiologischen Geburt“ 11. „Erhaltung und Förderung der Mobilität“ Screening: In der Medizin sind das Instrumente, die Risiken in großen Personengruppen aufdecken können. In der Pflege „screenen“ Pflegekräfte Pflegebedürftige auf häufige oder altersgemäß zu erwartende Risiken. Diese Screenings sind häufig dem weiterführenden Assessmentinstrument vorangestellt (z.B. MNA). Assessment: Der Begriff „Assessment“ wird unterschiedlich verwendet: Er beschreibt eine Informationssammlung bzw. Evaluation eines Patienten zur Problemerfassung im Allgemeinen. Er beschreibt Instrumente/Skalen, die Pflegende bei der Risiko- und Problemeinschätzung unterstützen. Ein Instrument kann niemals die Einschätzung durch die Pflegefachkraft ersetzen. Viele der Instrumente sind nicht hinreichend auf ihre Validität und Reliabilität geprüft, was einen reflektierten Einsatz durch die Pflegefachkraft erforderlich macht. Beispielhafte Assessmentinstrumente:

Atemskala nach Bienstein zur Einschätzung des ▶ Pneumonierisikos Mini Nutritional Assessment (MNA) und Pflegerische Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen (PEMU) zur Bestimmung des ▶ Ernährungszustandes Barthel-Index zur Einschätzung der Selbstpflegefähigkeit NRS (numerische Rating-Skala), VAS (visuelle Analogskala) und BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) zur ▶ Schmerzerfassung Geriatrisches Assessment zur Feststellung der körperlich-funktionellen und psychosozialen Situation eines älteren Menschen. Skalen zum Abschätzen des Dekubitus-Risikos: z. B. Braden, Braden Q (für Kinder), Norton Skalen zur Ermittlung des Sturzrisikos: z. B. Hendrich, Morse, STRATIFY Mini Mental Status-Test (MMST): zur Diagnostik und Verlaufsbeurteilung bei Demenz

3.6 Pflegedokumentation und Pflegeübergabe In einer Dokumentation werden alle Informationen über den Pflegeempfänger und dessen Behandlung umfassend und lückenlos schriftlich festgehalten. Grundsätzlich fällt die Pflegedokumentation unter den Datenschutz. Nur unmittelbar an der Versorgung beteiligte Personen dürfen Einsicht in die Dokumentation nehmen. Der Zugang für Dritte ist verboten bzw. es muss das Einverständnis des

Pflegeempfängers eingeholt werden, bevor Dokumente/Informationen weitergegeben werden dürfen.

3.6.1 Inhalte der Dokumentation geplante und durchgeführte Maßnahmen weitere Beobachtungen Besonderheiten und Veränderungen Dadurch können Entwicklungen und Verläufe der individuellen Krankheitsgeschichten dargestellt werden. Außerdem dient die Dokumentation als Abrechnungsgrundlage wie auch zur rechtlichen Absicherung.

Merke Dokumentation Als Merksatz gilt: „Was nicht dokumentiert ist, wurde nicht gemacht“.

3.6.2 Anforderungen an die Dokumentation gut lesbar verständlich in Fachsprache nachvollziehbar so korrigieren, dass der ursprüngliche Text lesbar bleibt möglichst zeitnah – durch Datum und Uhrzeit kenntlich machen

Dopplungen vermeiden wertfreie Beschreibung Leitsatz: „So kurz wie möglich und so ausführlich wie nötig.“

3.6.3 Dokumentationsarten handschriftlich: momentan noch überwiegend EDV-gestützt: Verbreitung nimmt stark zu und gewinnt im Rahmen der Entbürokratisierung bzw. der Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation an Bedeutung.

3.6.4 Pflegeübergabe In der Pflegeübergabe werden pflegerelevante Informationen möglichst gut strukturiert an die folgende Schicht weitergegeben, sodass eine kontinuierliche Versorgung gesichert wird. Die Übergabe folgt dabei den oben genannten Anforderungen an die Dokumentation. Unterschieden wird dabei in: patientenferne Übergabe (z.B. im Stationszimmer) patientennahe Übergabe (z.B. am Bett des Pflegeempfängers) Übergabe in der Großgruppe (z.B. mit allen Pflegekräften des Frühdienstes) Übergabe in einer individuellen Gruppe (z.B. Tourenübergabe in der ambulanten Pflege) mündlich (die Regel) schriftlich (selten)

3.6.5 Pflegevisite Die Pflegevisite kann im Rahmen einer patientennahen Übergabe durchgeführt werden. Mit dem Patienten werden pflegerische und patientenzentrierte Besonderheiten besprochen. Dabei kann gemeinsam mit dem Pflegeempfänger seine Pflegeplanung entwickelt oder überprüft werden. Sie kann im stationären und ambulanten Bereich eingesetzt werden.

KOMPAKT Pflegeprozess und Pflegeplanung Der Pflegeprozess ist ein systematischer und zielgerichteter Arbeitsablauf, mit dem Pflegende Probleme des Pflegeempfängers erkennen, priorisieren und pflegerische Maßnahmen planen, organisieren, durchführen und evaluieren. Vorteile: Patientenorientierung, klare Struktur, Personalplanung, Nachweisbarkeit, Ziele verfolgbar, Belegung von Wirksamkeit, Qualitätssicherung wichtige Pflegeprozessmodelle: 4-Phasen-Modell der WHO und 6-schrittiges Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier (Informationssammlung, Pflegeprobleme und Ressourcen erkennen, Pflegeziele festlegen, Pflegemaßnahmen planen, Durchführung der Pflege, Evaluation). Pflegediagnosen erfolgen mit den Klassifikationssystemen NANDA International, ENP, ICNP. Sinn von Pflegediagnosen: einheitliche Bezeichnung für wiederkehrende Pflegeprobleme, Grundlage für Pflegemaßnahmen, tragen zur Professionalisierung bei.

Bei der Erstellung der Pflegeplanung sollten die hausinternen Pflegestandards sowie die aktuellen Expertenstandards berücksichtigt werden. Dokumentation: umfassend, lückenlos, schriftlich, unterliegt dem Datenschutz, dient zur rechtlichen Absicherung Pflegeübergabe: patientennah/-fern, Großgruppe oder individuell, mündlich oder schriftlich

4 Pflegewissenschaft 4.1 Wissensquellen von Pflegenden Wenn Pflegende grundsätzliche, pflegerische Fragen klären möchten, nutzen sie strukturierte und unstrukturierte

Wissensquellen.

4.1.1 Strukturierte Wissensquellen Strukturierte Wissensquellen schöpfen aus logischem Denken bzw. Schlussfolgern und wissenschaftlichem Erforschen: Logisches Denken bzw. Schlussfolgern: Grundlage von Wissenschaft und Forschung. Es wird zwischen induktivem (vom Einzelfall hin zum Allgemeinen) und deduktivem (vom Allgemeinen hin zum Einzelfall) Vorgehen unterschieden. Durch logisches Denken können Probleme gelöst werden, es kann Grundlage für gezieltes Handeln sein (z.B. Schmerzmittelgabe bei Patienten mit Schmerzen). Wissenschaftliches Erforschen: Vermutungen, Aussagen oder logische Schlussfolgerungen (Hypothesen) werden systematisch nach festgelegten Methoden überprüft und können dadurch bewiesen oder widerlegt werden.

4.1.2 Unstrukturierte Wissensquellen Unstrukturierte Wissensquellen sind Intuition, Erfahrung, Versuch und Irrtum, Tradition und Autorität: Intuition (Bauchgefühl) lässt sich wissenschaftlich schwer erklären. ist individuell verschieden und kann nicht gesteuert werden. Pflegeexperten können Pflegesituationen oft intuitiv erfassen. Erfahrung

wächst durch wiederkehrende Situationen und Handlungen (z.B. Ablauf einer Reanimation auf einer Intensivstation). Zusammenhänge werden sichtbar. Blick für das Gesamtgeschehen bzw. klinisches Urteilsvermögen bildet sich über Erfahrung aus. Erfahrungswissen gibt Sicherheit (da es jedoch subjektiv ist, ist es nicht verallgemeinerbar und nur begrenzt als Grundlage von Pflegewissen nutzbar). Versuch und Irrtum: Eine Pflegefachkraft wendet eine Maßnahme an, von der sie annimmt, dass sie eine bestimmte Wirkung hat. Bliebe die erwünschte Wirkung aus, würde sie eine weitere Maßnahme testen. Dieses Vorgehen kann sehr zeitaufwendig sein und dem Patienten evtl. schaden. Tradition und Autorität basiert auf Erkenntnissen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. tritt meist als Routine auf („Das machen wir schon immer so …“) und wird von Autoritäten (Personen mit viel Erfahrung, Fachwissen oder Macht) gestützt. ist nicht unfehlbar und ist kritisch zu hinterfragen.

4.2 Kennzeichen einer Wissenschaft Wissenschaft zielt darauf ab, durch Forschung Erkenntnisse über Zusammenhänge, Gesetzmäßigkeiten, Ursachen und Abläufe im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung zu

gewinnen. Hauptziel ist dabei der Erkenntnisgewinn = Wissensgewinn. Wissenschaft kann als Überbegriff verstanden werden, der auf 3 Säulen basiert: 1. Forschung: regelgeleitete und systematische Untersuchung, die nach wissenschaftlichen Methoden Wissen generiert. Dieses Wissen wird in Form von Theorien und Konzepten zusammengefasst. 2. Theorien: Zusammenfassung logisch verknüpfter und klar definierter Aussagen, die wissenschaftlich begründbar und nachprüfbar sind. Sie beschreiben oder erklären einen Bereich der Wirklichkeit. Dadurch können komplexe Dinge leichter verstanden oder auch vorhergesagt werden. 3. Lehre: In der Lehre werden die aus der Forschung gewonnenen Erkenntnisse und Theorien vermittelt.

4.3 Aufgaben der Pflegewissenschaft Pflegewissenschaft erforscht die Pflegepraxis und forscht gleichzeitig auch für diese. Aufgaben und Ziele der Pflegewissenschaft sind u.a.: überprüft, begründet und produziert Pflegewissen = Grundlagenforschung (z.B.: Welchen Einfluss hat eine regelmäßige Mobilisation auf den kranken Menschen?) beantwortet Fragen aus der Pflegepraxis = angewandte Forschung (z.B.: Stürzen nach der Einführung des Expertenstandards weniger Menschen auf dieser Station?) erforscht Phänomene aus der Pflegepraxis (z.B. chronische Schmerzen, Immobilität)

erforscht Auswirkungen von Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit auf Betroffene (z.B.: Wie gehen Betroffene mit der Diagnose und den Symptomen von MS um?) überprüft Wirksamkeit von Pflegemaßnahmen, verbessert diese und/oder entwickelt neue (z.B.: Nehmen die Patienten durch Zwischenmahlzeiten an Gewicht zu?) überprüft und entwickelt ▶ Assessmentinstrumente wie z.B. NRS zur Beurteilung von Schmerzen vermittelt Theorien und Forschungserkenntnisse durch Lehre (z.B. in Form von Expertenstandards) erschließt neue Handlungsmöglichkeiten für Pflegende (z.B. selbstständige Diagnostik von Wunden und Übernahme von Verbänden durch Wundmanager) unterstützt die Entwicklung einer einheitlichen Fachsprache (z.B. über die Nutzung der NANDAPflegeklassifikationssysteme) befasst sich mit berufspolitischen Themen (z.B. Einführung der Pflegekammer) trägt zur ▶ Professionalisierung und zur Selbstständigkeit des Pflegeberufs bei (z.B. durch den Ausbau pflegebezogener Studiengänge)

4.4 Pflegeforschung Pflegeforschung produziert Pflegefachwissen und betreibt sowohl Grundlagenforschung (Überprüfung, Weiterentwicklung von Pflegetheorien) als auch angewandte Forschung (beantwortet Fragen aus der

Praxis). Das Forschungsgebiet Pflege kann in verschiedene Ebenen eingeteilt werden: Mikro-Ebene: Pflegepraxis (z.B. Interaktion mit Menschen mit Demenz) Meso–Ebene: Pflege als Organisation und Institution (z.B. Entlassungsmanagement) Makro-Ebene: Pflegepolitik (z.B. Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die Betroffenen) historische Pflegeforschung: z.B. Wurzeln der Grundpflege

4.4.1 Die Rolle von Pflegenden in der Pflegeforschung Damit Pflegende, Pflegeempfänger und Angehörige fortlaufend von den Erkenntnissen aus der Pflegewissenschaft profitieren können, muss jede Pflegefachkraft zu deren Umsetzung in der Pflegepraxis beitragen. Die Rolle von Pflegenden in der Pflegeforschung ist es, Forschungsberichte zu lesen und die Erkenntnis daraus in die Praxis zu integrieren (z.B. kein Metoclopramid [MCP] mehr bei Übelkeit verabreichen). bei Forschungstätigkeiten mitzuwirken (z.B. als „Study Nurse“ Befragungen durchführen). ggf. als Pflegeexperte zu beurteilen, ob ein Forschungsprojekt in der Praxis umgesetzt werden kann (z.B. die Einführung von geschützten Essenszeiten, in denen keine Untersuchungen/Visiten stattfinden).

4.4.2 Forschungsansätze

4.4.2.1 Quantitative Forschung Die quantitative Forschung arbeitet mit großen Zahlenmengen, objektiv messbaren Daten und standardisierten Erhebungen. Ziele bestätigt oder verwirft eine Theorie oder Hypothese (z.B.: Stimmt es, dass Menschen mit einem erhöhten BMI häufiger Bluthochdruck haben als Personen mit einem BMI im Normbereich?) erstellt eine Hypothese aus einer Theorie heraus (z.B.: Menschen mit einem BMI über 30 leiden häufiger unter Bluthochdruck als Menschen mit einem BMI im Normbereich), die mit standardisierten Verfahren überprüft wird (z.B. Messung des Gewichts direkt morgens nach dem Aufstehen) nutzt objektiv messbare Daten in großer Zahl, um allgemeingültige Aussagen und Gesetzmäßigkeiten abzuleiten (z.B. Gewichts- und Größenmessung, Blutdruckmessung mit geeichtem Gerät) bezieht allgemeine Aussagen auf den Einzelfall = Deduktion (z.B.: Personen mit einem BMI über 30 leiden deutlich häufiger unter Bluthochdruck; wenn ein Patient einen BMI über 30 hat, hat er ein deutlich höheres Risiko, an Bluthochdruck zu erkranken)

4.4.2.2 Qualitative Forschung Die qualitative Forschung untersucht anhand kleinerer Personengruppen Phänomene aus der Sicht der Betroffenen. Ziele Hypothesen-/Theorienbildung (z.B. Aussagen zu treffen, wie pflegende Angehörige ihren Alltag erleben)

untersucht Phänomene aus der Sicht der Betroffenen (z.B. Befragungen von pflegenden Angehörigen mittels strukturierter Leitfadeninterviews) erforscht und interpretiert Zusammenhänge und Bedeutungen, überträgt diese auf ähnliche Situationen (z.B.: Personen, die wissen, wie sie Hilfsmittel beantragen können, sind weniger gestresst als Personen, die dieses Wissen nicht haben. Diese Personen werden dann auch eher in der Lage sein, andere Hilfsangebote einzufordern, z.B. Verhinderungspflege) Schlüsse werden vom Einzelfall auf die Allgemeinheit gezogen = Induktion (z.B.: Einzelne Personen, die sich gut mit dem Pflegesystem auskennen, erleben in ihrem Alltag weniger Stress, da sie wissen, wo sie zur Not Hilfe bekommen. Daraus kann geschlossen werden, dass alle Personen, die wissen, wo sie Hilfe einfordern können, besser mit der Pflege von Angehörigen zurechtkommen).

4.4.3 Wie gut ist Forschung? Die sog. Gütekriterien (Maßstäbe) können helfen, die Qualität von Forschungsergebnissen zu beurteilen. Für quantitative und qualitative Forschung gelten unterschiedliche Gütekriterien. Das Gütekriterium Transparenz (Nachvollziehbarkeit: „Haben die Forscher das Vorgehen genau beschrieben und begründet?“) gilt jedoch für beide Forschungsansätze.

4.4.3.1 Gütekriterien quantitativer Forschung Objektivität: „Waren die Wissenschaftler unabhängig, indem sie standardisierte Erhebungsinstrumente und Auswertungsmethoden gewählt haben?“

Reliabilität: „Wie zuverlässig/genau misst das verwendete Instrument?“ Validität: „Misst das Instrument, was es messen soll? Eignet es sich dafür, den Gegenstand zu untersuchen?“

4.4.3.2 Gütekriterien qualitativer Forschung Glaubwürdigkeit: „Sind die Forscher und interviewten Personen und ihre Aussagen vertrauenswürdig, unvoreingenommen und unabhängig?“ Angemessenheit: „Kann die Situation der Personen nachvollzogen werden? Wird deutlich, wie wichtig der untersuchte Bereich für die Pflegepraxis ist?“ Übertragbarkeit: „Können die Ergebnisse auf andere Bereiche oder Personengruppen übertragen werden?“ Da Übertragbarkeit das Ziel qualitativer Forschung ist, gilt es, dieses Gütekriterium besonders zu beachten!

4.4.3.3 Weitere kritische Fragen Ist der Forschungsbericht logisch aufgebaut? Ist die Problemstellung erkennbar? Sind die Ziele der Studie und die Forschungsfragen klar formuliert? Passt der gewählte Forschungsansatz zur Fragestellung? Werden Ergebnisse erst dargestellt und anschließend interpretiert? Wird die Forschungsfrage beantwortet?

4.4.4 Evidence-based Nursing (EBN) Definition

Evidence-based „Evidence-based“ („evidenzbasiert“) bedeutet „wissenschaftlich begründet“. Pflege als ▶ Profession zielt auf eine wissenschaftlich fundierte Pflegepraxis ab, das sog. „Evidence-based Nursing“. EBN ist sowohl ein Konzept für die Pflegepraxis als auch eine Methode, interne (Erfahrung des Pflegepersonals) und externe Evidenz (Wissen aus pflegewissenschaftlichen Studien) zu verknüpfen. EBN basiert auf 4 Punkten: Bedürfnisse des Pflegeempfängers Erfahrungen des Pflegepersonals (interne Evidenz) belegbares wissenschaftliches Pflegewissen (externe Evidenz) Bedingungen der Umgebung. Die Umsetzung von EBN erfolgt stets vor dem Hintergrund der individuellen Pflegeempfängersituation. Dies kann auch bedeuten, bewusst und begründet von wissenschaftlichen Empfehlungen (z.B. Standards) abzuweichen. Die EBN-Methode wird auch als eine Art Problemlösungsprozess beschrieben, der aus 6 Schritten besteht: 1. Aufgabenstellung: abklären, ob die Lösung des Problems in den pflegerischen Bereich oder eher in den medizinischen Bereich fällt. Ziel: Problem der eigenen Profession erkennen und benennen 2. Formulierung einer präzisen klinischen Frage: z.B. anhand des PIKE-Schemas 3. Literaturrecherche: z.B. in Datenbanken (CareLit, Cinahl) und Fachzeitschriften (Pflegewissenschaft)

4. Rechercheergebnisse kritisch beurteilen: z.B.: Welches Studiendesign wurde herangezogen? 5. Implementierung und Adaptation: z.B. Maßnahme einführen und anpassen 6. Evaluation: z.B. beurteilen, ob die eingesetzte Maßnahme wirksam war

KOMPAKT Pflegewissenschaft Im Arbeitsalltag treten häufig Fragen und Probleme auf, die Pflegende lösen müssen. Dazu nutzen sie strukturierte (logisches Denken und wissenschaftliches Erforschen) und unstrukturierte (z.B. Erfahrung und Intuition) Wissensquellen. Wissenschaft verfolgt das Ziel, durch Forschung neue Erkenntnisse zu gewinnen. Neben der Forschung sind die Theorieentwicklungen und die Lehre weitere Säulen der Wissenschaft. Pflegewissenschaft ist sehr praxisorientiert, d.h., es wird konkret nach Antworten auf Probleme oder Themen der Praxis gesucht. Sie trägt zu einer Qualitätssteigerung und Professionalisierung der Pflege bei. Grob lassen sich 2 Ansätze der Forschung unterscheiden. Die quantitative Forschung untersucht große Gruppen und möchte somit allgemeingültige Aussagen treffen können. In der qualitativen Forschung wird bei kleineren Gruppen zunächst ein Phänomen genauer untersucht, um Theorien zu bilden, die im Verlauf auch quantitativ überprüft werden können.

Pflegende haben die wichtige Rolle, bei der Forschung mitzuwirken und die Erkenntnisse aus der Forschung reflektiert in den Pflegealltag zu integrieren. Zur kritischen Einschätzung von Forschungsarbeiten gibt es Gütekriterien und Fragen, an denen sich Pflegekräfte orientieren sollten. Das Evidence-based Nursing ist eine Methode, mit der Forschungserkenntnisse in der Praxis gezielt umgesetzt werden können. Durch die individuelle Beurteilung der (Pflegeempfänger-)Situation werden die Erkenntnisse der Forschung mit den Erfahrungen der Pflegefachkraft verknüpft.

5 Pflegetheorien und Pflegemodelle 5.1 Theorien, Modelle, Konzepte Einen Überblick gibt ▶ Abb. 5.1.

5.1.1 Pflegetheorien ... bestehen aus miteinander logisch verknüpften Aussagen aus dem Bereich der Pflege (z.B. Selbstpflege-DefizitTheorie nach Orem), dienen als theoretische Grundlage und schaffen ein gemeinsames Pflegeverständnis, beschreiben, was Pflege ist und welche Aufgaben Pflege hat, formulieren Hinweise oder Regeln für die Pflegepraxis, stellen Hypothesen oder Fragestellungen für die Pflegeforschung auf, werden auch als konzeptuelle Modelle bezeichnet.

5.1.2 Pflegemodelle ... werden aus Pflegetheorien abgeleitet, tragen zu einem besseren Verständnis der Wirklichkeit bei, werden auch als Theorien mittlerer Reichweite bezeichnet (z.B. Selbstpflege/Dependenzpflege), definieren und verdeutlichen Aufgaben und Ziele von Pflegenden, beschreiben das Pflegeverständnis, sind die Basis für die Entwicklung einrichtungsspezifischer Pflegekonzepte.

5.1.3 Pflegekonzepte ... gelten als kleinste Bausteine einer Theorie oder eines Modells (z.B. Konzept der Selbstpflegeerfordernisse), ... beinhalten Aussagen zum jeweiligen Pflegemodell, Pflegesystem oder Pflegeprozess,

... formulieren Teilziele und geben verbindliche Pflegemaßnahmen für die Praxis vor (Umsetzung muss regelmäßig intern geprüft werden), ... dienen zur Überprüfung von Pflegetheorien in der Praxis ( ▶ Abb. 5.1), ... müssen realistisch, nachprüfbar und ergebnisorientiert sein. Empirische Konzepte beschreiben beobachtbare/messbare Phänomene (z.B. Schmerz, Mobilität). Abstrakte Konzepte beschreiben nicht beobachtbare/messbare Phänomene (z.B. Lebensqualität, Wohlbefinden). Umsetzung von Pflegetheorien in die Pflegepraxis. Abb. 5.1  (Aus: Schewior-Popp S, Sitzmann F, Ulrich L. Thiemes Pflege. 15. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2020)

5.1.4 Kriterien zur Beurteilung von Pflegetheorien Pflegetheorien können nach Abstraktionsgrad bzw. Reichweite differenziert werden.

5.1.4.1 Reichweiten von Pflegetheorien Theorien großer Reichweite (Grand theories, globale Theorien, konzeptuelle Modelle) sind abstrakt und umfangreich, beschreiben, was Pflege einzigartig macht und definieren Pflege auf wissenschaftlicher Basis. Theorien mittlerer Reichweite (auch Pflegemodelle genannt) betrachten einzelne Pflegesituationen und Pflegehandlungen, können in der Praxis angewendet werden, geben aber keine konkreten Pflegemaßnahmen vor (vgl. Pflegemodelle). Theorien geringer Reichweite (Praxis- oder Mikrotheorien; auch als Konzepte bezeichnet) sind situationsbezogen und praxisnah, beschränken sich auf ein Praxisgebiet und geben zielorientierte Pflegemaßnahmen vor.

5.1.4.2 Schwerpunkte von Theorien großer Reichweite Bedürfnistheorien („Was tun Pflegende?“): Zentrale Aufgabe ist es, die Bedürfnisse des Pflegeempfängers zu erkennen und ihn bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse zu unterstützen. Besteht ein Bedürfnisdefizit, kann dieses u.a. durch die Pflegefachkraft kompensiert werden. Vertreterinnen sind z.B. Henderson; Orem; Roper, Logan, Tierney oder Krohwinkel. Interaktionstheorien („Wie tun Pflegende das, was sie tun?“): Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen Pflegenden und Pflegeempfängern. Pflegende haben die Aufgabe, den Beziehungsprozess bewusst zu gestalten.

Vertreterinnen wie Peplau und Orlando gehen von der Annahme aus, dass die Beziehung zum Pflegeempfänger dessen Heilungsprozess maßgeblich beeinflusst. Ergebnistheorien („Welches Ziel verfolgen Pflegende bei dem, was sie tun?“): Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass sich pflegebedürftige Menschen in einem Ungleichgewicht mit ihrer Umgebung befinden. Pflegende sollen sie bei der Wiederherstellung des Gleichgewichts und der Stabilität unterstützen, dies wird als das Ergebnis pflegerischer Intervention angesehen. Vertreterinnen sind z.B. Rogers oder Roy.

5.2 Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle 5.2.1 Die Theorie des Selbstpflegedefizits von Dorothea Orem 5.2.1.1 Grundlagen Der pflegetheoretische Ansatz von Pflegetheoretikerin Dorothea Orem (1914–2007) besteht aus 3 Teiltheorien: 1. Theorie der Selbstpflege 2. Theorie des Selbstpflegedefizits 3. Theorie des Pflegesystems Alle 3 Theorien stehen miteinander in Verbindung und ermöglichen eine differenzierte Beschreibung pflegerischer Aufgaben und Handlungsweisen.

5.2.1.2 Theorie der Selbstpflege

Zentrale Konzepte der Theorie der Selbstpflege sind Selbstpflege, Selbstpflegebedarf und situativer Selbstpflegebedarf. Selbstpflege: Menschen sorgen für sich selbst, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden, indem sie Handlungen der Selbstpflege ausführen (z.B. Körperpflege). Erwachsene haben diese Handlungen erlernt und führen sie zielgerichtet, bewusst und selbstständig aus, um ihren Selbstpflegebedarf zu decken. Dependenzpflege: In bestimmten Lebens- und Entwicklungsphasen (u.a. im Säuglings-, Kindes- und höheren Lebensalter, bei Krankheit oder Behinderung) kann Unterstützung bei der Selbstpflege durch andere Personen (z.B. Angehörige) erforderlich sein. Selbstpflegebedarf: Dieser ergibt sich aus allgemeinen (z.B. „Aufrechterhaltung einer ausreichenden Sauerstoffzufuhr“), entwicklungsbedingten (z.B. „Entwicklungsstadien der Kindheit, Jugend und des Eintritts in das Erwachsenenalter“) und gesundheitsbedingten (z.B. „Inanspruchnahme und Sichern einer geeigneten medizinischen Unterstützung bei Gefahr oder bestehender Erkrankung“) Selbstpflegeerfordernissen. situativer Selbstpflegebedarf: Handlungen und Aktivitäten der Selbstpflege, die erforderlich sind, um den individuellen Selbstpflegebedarf zu decken. Der situative Selbstpflegebedarf wird durch die grundlegenden Bedingungsfaktoren beeinflusst. Aufgabe der Pflegepersonen ist es, den situativen Selbstpflegebedarf eines Menschen einzuschätzen. grundlegende Bedingungsfaktoren: Alter, Geschlecht, Entwicklungsstand, Gesundheitszustand, soziokulturelle Orientierung, Faktoren des

Gesundheitspflegesystems, familiäre Systemfaktoren, Lebensstrukturen und regelmäßige Aktivitäten, Umweltfaktoren sowie Verfügbarkeit und Angemessenheit von Ressourcen.

5.2.1.3 Theorie des Selbstpflegedefizits Selbstpflegekompetenz: Fähigkeit eines Menschen, seine Selbstpflegeerfordernisse zu erfüllen. Zur Selbstpflegekompetenz gehören alle bewussten Handlungen der Selbstpflege sowie das Wissen darüber, wie Selbstpflegeerfordernisse in einer konkreten Situation erfüllt werden können. Dependenzpflegekompetenz: erworbene Fähigkeit von Menschen, Selbstpflegeerfordernisse von anderen Menschen zu erkennen und zu erfüllen, z.B. bei Familienmitgliedern oder Freunden. Selbstpflegeeinschränkungen: Beschränktes Wissen, eingeschränkte Urteils- und Entscheidungsfähigkeit oder Einschränkungen bei der Durchführung zielgerichteter Handlungsabläufe können die Selbstpflegekompetenz begrenzen und zu einem Selbstpflegedefizit führen. Selbstpflegedefizit liegt vor, wenn der situative Selbstpflegebedarf die Selbstpflegekompetenz übersteigt, und Wissen und Fähigkeiten einer Person zur Deckung des situativen Selbstpflegebedarfs teilweise (ein oder mehrere Aspekte der Selbstpflege sind betroffen) oder vollständig (alle Aspekte der Selbstpflege sind betroffen) nicht ausreichen.

5.2.1.4 Theorie des Pflegesystems Pflegekompetenz: Fähigkeiten, die Menschen durch eine spezialisierte Aus- und Weiterbildung entwickeln, um bewusst mit pflegebedürftigen Menschen zu interagieren und gemeinsam mit ihnen die Pflege durchzuführen.

3 Pflegesysteme: Pflegekompetenz wird in 3 Varianten von Pflegesystemen umgesetzt: vollständig kompensatorisch: bei Pflegeempfängern, ... die nicht in der Lage sind, bewusst zu handeln; denen das motorische Vermögen zur Umsetzung ihrer Entscheidungen fehlt, und/oder die keine eigenen Entscheidungen treffen, wohl aber unter Anleitung handeln können, z.B. vollständige Übernahme der Körperpflege bei Intensivpatienten. teilweise kompensatorisch: wenn sowohl Pflegeperson als auch der Pflegeempfänger handeln, z.B. wenn Patienten Teile ihrer Körperpflege selbstständig durchführen, andere Teile von der Pflegeperson übernommen werden unterstützend-erzieherisch und entwicklungsorientiert: Unterstützenderzieherisches Handeln erfolgt mit einer entwicklungsorientierten Zielsetzung, wenn Pflegeempfänger die erforderlichen Maßnahmen der Selbstpflege zwar durchführen und erlernen können, aber hierbei Unterstützung benötigen, z.B. wenn Menschen mit Demenz durch die Pflegeperson eine orientierende Anleitung zur Körperpflege benötigen, die Handlungen dann aber unter Anleitung selbst durchführen (= anleiten und beraten). Unterstützung/Übernahme: Je weniger ein Pflegeempfänger in der Lage ist, seine Selbstpflegeerfordernisse zu erfüllen, desto größer ist die kompensatorische Unterstützung bzw. Übernahme der erforderlichen Handlungen durch die Pflegeperson.

Methoden des Helfens: In allen Pflegesystemen setzen Pflegepersonen spezifische Methoden des Helfens ein, um die vorhandenen Einschränkungen von Menschen zu kompensieren bzw. die Wiederherstellung erforderlicher Fähigkeiten zur Ausführung der Selbstpflege zu ermöglichen. Hierzu gehört es, für andere Menschen zu handeln und zu agieren, andere Menschen zu führen und anzuleiten, anderen Menschen physische oder psychologische Unterstützung zu geben, für andere Menschen ein entwicklungsförderndes Umfeld zu errichten und zu erhalten, andere Menschen zu unterrichten.

5.2.2 Das Roper-Logan-Tierney-Modell 5.2.2.1 Grundlagen Das Pflegemodell der englischen Pflegewissenschaftlerinnen Nancy Roper (1918–2004), Winifred Logan (1931–2010) und Alison Tierney (*1976) basiert auf einem Modell des Lebens, das auf ein Modell der Pflege übertragen wird. Es betont die Individualität der Lebensgestaltung eines Menschen und unterstützt eine an den individuellen Bedürfnissen ausgerichtete Pflege.

5.2.2.2 Modell des Lebens Die 5 zentralen Konzepte sind: 12 Lebensaktivitäten, Lebensspanne, Abhängigkeits-/Unabhängigkeits-Kontinuum, Einflussfaktoren der Lebensaktivitäten, Individualität im Leben

12 Lebensaktivitäten: gelten als die zentralen Komponenten des Modells. Alle Lebensaktivitäten sind wichtig, einige haben allerdings eine höhere Priorität als andere, z.B. wird der Lebensaktivität „Atmen“ die höchste Bedeutung zugemessen. Sie beschreiben die zentralen Aktivitäten jedes Menschen, die sich wechselseitig beeinflussen und in jeweils individueller Ausprägung ausgeübt werden: 1. für eine sichere Umgebung sorgen 2. kommunizieren 3. atmen 4. essen und trinken 5. ausscheiden 6. sich sauber halten und kleiden 7. regulieren der Körpertemperatur 8. sich bewegen 9. arbeiten und spielen 10. seine Geschlechtlichkeit leben 11. schlafen 12. sterben Lebensspanne: umfasst die Lebensphasen eines Menschen von der Geburt bis zum Tod. Die jeweilige Lebensphase – z.B. Säuglingsalter, Kindheit, Adoleszenz usw. – nimmt Einfluss auf das Verhalten und die jeweilige Ausgestaltung der Lebensaktivitäten. Abhängigkeits-/Unabhängigkeits-Kontinuum: ist eng mit der Lebensspanne und den Lebensaktivitäten verbunden. So können nicht alle Lebensaktivitäten in jeder Phase der Lebensspanne völlig unabhängig ausgeführt werden (z.B. Säuglinge, Kleinkinder oder

ältere Menschen). Unabhängigkeit und Abhängigkeit können bei einem Menschen in den einzelnen Lebensaktivitäten unterschiedlich stark ausgeprägt sein (hängt auch von spezifischen Einflussfaktoren der Lebensaktivitäten ab). Einflussfaktoren der Lebensaktivitäten: Roper, Logan und Tierney unterscheiden 5 Gruppen von Faktoren, die die Ausübung der Lebensaktivitäten beeinflussen: 1. biologische Faktoren: anatomische und physiologische Leistungsfähigkeit des Körpers 2. psychologische Faktoren: intellektuelle und emotionale Aspekte, z.B. die kognitive Entwicklung 3. soziokulturelle Faktoren: soziale, religiöse, ethische und kulturelle Aspekte, die Einfluss auf die Ausgestaltung der Lebensaktivitäten nehmen 4. umgebungsabhängige Faktoren: z.B. Klima, Zugang zu sauberem Wasser und Qualität von Luft und Wasser 5. wirtschaftspolitische Faktoren: z.B. politische, finanzielle und wirtschaftliche Verhältnisse in einer Kommune oder einem Land Individualität im Leben: Vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensphase, der Abhängigkeit/Unabhängigkeit in der Ausführung und der jeweiligen Einflussfaktoren ergibt sich für jeden Menschen eine individuelle Ausgestaltung der Lebensaktivitäten (wie, wann, wie häufig, wo und warum ein Mensch eine Lebensaktivität ausführt). Auch das Wissen und die Annahmen über eine Lebensaktivität sowie die spezifische Haltung, die ein Mensch einer Lebensaktivität gegenüber einnimmt, sind Ausdruck der individuellen Lebensgestaltung. Individualität im Leben

ist das Ergebnis des Einflusses der anderen Konzepte des Modells.

5.2.2.3 Pflegemodell Roper, Logan und Tierney übertragen die im Modell des Lebens beschriebenen Konzepte auf die Lebensaktivitäten und beschreiben ihre wechselseitige Wirkung auf das Pflegemodell. Individualisierung der Pflege: Anhand der 5 Konzepte können individuelle Lebensmuster sowie aktuelle und potenzielle Probleme eines Menschen in den Lebensaktivitäten bestimmt werden. Ziel professioneller Pflege ist es, die Pflegeempfänger so zu unterstützen, dass ihre Lebensstrukturen und -gewohnheiten trotz notwendiger Pflege nur minimal beeinflusst werden („Individualisierung der Pflege“). Das erfolgt durch die Umsetzung des Pflegeprozesses (Einschätzen, Planen, Durchführen und Bewerten). Pflege dient als Unterstützung, um zu verhindern, dass erkannte potenzielle Probleme im Zusammenhang mit den LAs zu aktuellen Problemen werden; erkannte aktuelle Probleme zu lösen; nach Möglichkeit jene Probleme zu lindern, die nicht gelöst werden können; positiv mit solchen Problemen umzugehen, die nicht gelöst oder geändert werden können; das Wiederauftreten eines gelösten Problems zu verhindern; sich so wohl wie möglich zu fühlen, möglichst schmerzfrei zu leben und die Lebensqualität auch dann noch zu maximieren, wenn der Tod unvermeidlich ist.

5.2.3 Das Rahmenmodell fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs von Monika Krohwinkel 5.2.3.1 Grundlagen Auf der Basis einer Forschungsstudie zur „ganzheitlichrehabilitativen Prozesspflege von Menschen mit Apoplex in Akutkrankenhäusern“ hat die Pflegewissenschaftlerin Monika Krohwinkel (*1941) das „Modell fördernder Prozesspflege“ entwickelt. Zentrale Bestandteile des Modells sind die ABEDLs (Aktivitäten, Beziehungen und existenzielle Erfahrungen des Lebens, wie z.B. sich bewegen, sich beschäftigen, lernen, sich entwickeln, im Kontakt sein und bleiben, mit sich und anderen fördernde Erfahrungen machen, am sozialen Leben teilnehmen und mitwirken) und deren primäre Einflussfaktoren, das primäre pflegerische Interesse, die primäre pflegerische Zielsetzung sowie die primären pflegerischen Handlungen. Das Rahmenmodell wird v.a. in der stationären Altenhilfe, der ambulanten Pflege, der stationären Akutpflege sowie in Einrichtungen der Behindertenhilfe angewendet.

5.2.3.2 ABEDLs und ihre primären Einflussfaktoren Existenzielle Erfahrungen: Bei der Ausführung von Lebensaktivitäten, in sozialen Beziehungen und beim Sichern ihrer sozialen Bereiche machen Menschen Erfahrungen, die fördernd, belastend oder auch gefährdend sein können. Diese existenziellen Erfahrungen, die den „Kern eines Menschen berühren“ können in allen ABEDLs gemacht werden und sind aus diesem Grund im Modell auch allen anderen ABEDLs zugeordnet. Sie werden aber auch im Zusammenhang

mit Lebens- und Entwicklungsprozessen, Gesundheitsund Krankheitsprozessen sowie im Kontext alltäglicher, wiederkehrender Lebens- und Pflegesituationen gemacht. primäre Einflussfaktoren: Die jeweilige Umgebung mit ihren Ressourcen und Defiziten (u.a. andere Personen, physikalische, ökonomische, kulturelle Aspekte) beeinflusst die jeweiligen Lebens- und Entwicklungsprozesse. Diese Einflüsse werden als primäre Einflussfaktoren der Fähigkeiten, Probleme und Bedürfnisse in den Aktivitäten, Beziehungen und existenziellen Erfahrungen des Lebens beschrieben. Konzepte und Kategorien: Um den benannten Aktivitäten nachkommen zu können, benötigen Menschen eine Reihe von Fähigkeiten, die als ABEDLeinbeziehende Konzepte (I–IV) mit jeweils zugeordneten Kategorien strukturiert sind. Für die Anwendung der Konzepte und Kategorien der ABEDLs im Pflegeprozess – z.B. für die Einschätzung des Pflegebedarfs – liegen für alle Kategorien der Konzepte jeweils differenzierte Beschreibungen vor. Hierdurch wird ein genauer Blick auf die Fähigkeiten, Probleme und Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person in der jeweiligen ABEDL möglich.

5.2.3.3 Primäres pflegerisches Interesse Das primäre pflegerische Interesse gilt nicht nur der pflegebedürftigen Person und ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen und Problemen, sondern auch denen ihrer mitbetroffenen Bezugspersonen (einzelne Menschen, aber auch ganze Familien). Das primäre pflegerische Interesse bezieht auch diejenigen Einflussfaktoren (Lebens- und Entwicklungsprozesse, Gesundheits- und Krankheitsprozesse sowie Ressourcen und Defizite aus der Umgebung der Person) ein, die sich auf die

Fähigkeiten einer Person auswirken, Unabhängigkeit und Wohlbefinden in den ABEDLs zu verwirklichen.

5.2.3.4 Primäre pflegerische Zielsetzung Primäre pflegerische Zielsetzung: Der pflegebedürftigen Person und ihren mitbetroffenen Bezugspersonen beim Erhalt, Erlangen oder Wiedererlangen von Fähigkeiten und Ressourcen zur Realisierung von Unabhängigkeit und Wohlbefinden in den ABEDLs helfen. Die pflegerischen Hilfeleistung wird an den Wünschen und Vorstellungen der jeweiligen Person ausgerichtet, unabhängig davon, ob sie gesund ist, eine Gesundung eintritt, eine dauerhafte Erkrankung oder Behinderung vorliegt oder ein Sterbeprozess beginnt.

5.2.3.5 Primäre pflegerische Handlungen Krohwinkel sieht die fördernde Kommunikation mit pflegebedürftigen Menschen und ihren mitbetroffenen Bezugspersonen als wesentliches Element der primären pflegerischen Handlungen. Fördernd kommunizieren bedeutet, betroffenen Personen authentisch, mit Wertschätzung, empathisch und kongruent-fördernd zu begegnen. Neben diesen Haltungsaspekten gehören zur fördernden Kommunikation auch fachlich-inhaltliche und methodisch-kommunikative Kompetenzen. Pflegende fördern, indem sie Betroffene unterstützen, anleiten, beaufsichtigen, informieren, beraten und begleiten. Dabei erfolgt pflegerisches Handeln im Sinne der pflegebedürftigen Menschen und ihrer mitbetroffenen Bezugspersonen, indem sie bei den für sie wesentlichen Anteilen von Unabhängigkeit und Wohlbefinden in den ABEDLs unterstützt und gefördert werden.

5.2.4 Die Theorie der interpersonalen Beziehungen in der Pflege von Hildegard Peplau 5.2.4.1 Grundlagen Hildegard Peplaus (1909–1999) theoretischer Ansatz thematisiert insbesondere kommunikatives Handeln im Pflegeprozess und die Interaktion zwischen Pflegeperson und Pflegeempfänger. Sie versucht zu klären, wie die Beziehung zwischen beiden aussehen sollte, damit sie den Gesundungsprozess bestmöglich unterstützt. Peplau beschreibt 4 Phasen, die jede Beziehung zwischen Pflegeperson und Pflegeempfänger durchläuft, sowie typische Rollen, die von beiden in den Phasen der Beziehung eingenommen werden. Die Theorie ist in allen Bereichen der Pflegepraxis einsetzbar; insbesondere in der psychiatrischen Pflege (Probleme mit Kommunikation und Beziehungen sind dort ein vorrangiges Problem).

5.2.4.2 Phasen und Rollen in der Beziehung zwischen Pflegeperson und Pflegeempfänger 4 Phasen (aufeinander folgend und teilweise überlappend) kennzeichnen den Beziehungsprozess zwischen Pflegeperson und Pflegeempfänger: Orientierungsphase: Sie beginnt, wenn der Pflegeempfänger professionelle Hilfestellung zur Klärung eines gesundheitlichen Problems sucht. Pflegepersonen unterstützen dabei, das Problem besser zu verstehen, sie informieren über professionelle Unterstützungsleistungen, planen deren Nutzung und helfen, innere Spannungen

abzubauen und für eine konstruktive Lernerfahrung zu nutzen. Pflegeempfänger sind in der Orientierungsphase aktiv, indem sie u.a. Fragen zum weiteren Vorgehen stellen. Pflegeperson und Pflegeempfänger begegnen sich in dieser Phase zunächst als Fremde, die übereinstimmende Bewertung und die Verständigung über die künftige Zusammenarbeit markieren den Übergang zur Identifikationsphase. Identifikationsphase: Der Pflegeempfänger beginnt, sich mit der Pflegeperson zu identifizieren. Indem die Pflegeperson aufkommende positive und negative Gefühle des Pflegeempfängers zulässt und ihm jederzeit umfassende pflegerische Unterstützung signalisiert, können diese Gefühle bearbeitet werden und persönliches Wachstum ermöglichen. Wenn Betroffene in Situationen geraten, die vergangene Gefühle wie Abhängigkeit oder Hilflosigkeit hervorrufen, weisen sie Pflegepersonen in dieser Phase oft Ersatzrollen zu, z.B. die Mutter- oder Geschwisterrolle. Für Pflegepersonen ist es wichtig, diese Rollenzuschreibungen zu erkennen, damit die Beziehung positiv genutzt werden kann. Identifikation und Ablösung überschneiden sich in der Nutzungsphase. Nutzungsphase: Pflegeempfänger schwanken in dieser Phase häufig zwischen dem Wunsch nach Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit; dies kann sich in schnell wechselnden Stimmungslagen ausdrücken.

Pflegeperson nimmt in dieser Zeit eine Reihe von Rollen ein: Sie beantwortet Fragen des Patienten, berät im Umgang mit aufkommenden Gefühlen und fördert gesundheitsförderliche Erfahrungen, ermöglicht dem Patienten, durch diese Erfahrungen zu lernen und mit diesem neuen Wissen mit seiner Erkrankung zurechtzukommen. Die Pflegeperson fungiert je nach Erfordernis als Berater/in, als Lehrende/Lehrender, als Informationsquelle usw. (verlangt hohe kommunikative Kompetenzen). Peplau sieht es als sehr wichtig an, dass die Pflegeperson einen demokratischen Führungsstil pflegt (von gegenseitiger Akzeptanz geprägt, erlaubt dem Pflegeempfänger jederzeit eine aktive Beteiligung am Pflegeplan). Weitere Rollen im Beziehungsprozess sind denkbar und nützlich (müssen bewusst eingesetzt werden). Betroffene profitieren von der angebotenen Unterstützungsleistung der Pflegeperson; es entwickelt sich mit zunehmender Unabhängigkeit des Pflegeempfängers eine mehr symmetrische Beziehung zwischen beiden. Ablösungsphase: Identifikation mit der Pflegeperson wird schrittweise aufgehoben (verläuft meist parallel zum medizinischen Genesungsprozess). Die Phase setzt den erfolgreichen Abschluss aller vorhergehenden Phasen voraus. Der Betroffene kann zunehmend wieder für sich selbst sorgen, entwickelt seine Selbstständigkeit und wird von der Pflegeperson dabei unterstützt. Die Beziehung zwischen Pflegeperson und Pflegeempfänger bewegt sich also in einem

Kontinuum, an dessen Ende beide in der Lage sein sollen, als Erwachsene zu handeln.

5.2.5 Das Modell der Krankheitsverlaufskurve von Juliet Corbin und Anselm Strauss 5.2.5.1 Grundlagen Das Modell der Krankheitsverlaufskurve (Chronic Illness Trajectory Model), auch Trajekt-Modell genannt, wurde von Juliet Corbin und Anselm Strauss (1916–1996) auf der Basis umfangreicher Forschungen zu chronischen Krankheiten und deren Bedeutung für betroffene Menschen entwickelt und beschrieben. Im Modell wird davon ausgegangen, dass es Gemeinsamkeiten und Parallelen im Hinblick auf den Krankheitsverlauf und die von Menschen mit einer chronischen Erkrankung eingesetzten Bewältigungsstrategien gibt. Das Modell soll Pflegepersonen dabei unterstützen, typische Probleme von Menschen mit einer chronischen Erkrankung sowie deren Bewältigungshandlungen im Krankheitsverlauf besser zu verstehen. Es gewinnt angesichts der Zunahme chronisch kranker Menschen in allen Handlungsfeldern der Pflege zunehmend an Bedeutung. Das Modell zählt zu den Theorien mittlerer Reichweite.

5.2.5.2 Krankheitsverlaufskurve Der Verlauf chronischer Krankheit ist laut Corbin und Strauss vergleichbar mit einer Schiffsreise: Obwohl eine Vorstellung vom Reiseverlauf besteht, kann die konkrete Reiseroute an vielen Stellen abweichen. Mittels wechselnder

Bewältigungsstrategien arbeiten chronisch Kranke daran, größtmögliche Kontrolle über den Krankheitsverlauf zu erlangen und diesen positiv zu beeinflussen. So steht nicht der Krankheitsverlauf im Vordergrund des Modells, sondern die Auswirkungen auf die Betroffenen und ihre Bezugspersonen. Die Kernaussagen sind: Krankheitsverlaufskurven sind individuell und von Mensch zu Mensch verschieden (Form, Dauer, Bewältigungsarbeit und Auswirkungen). Einfluss auf die Krankheitsverlaufskurve nehmen z.B. das Wesen der Krankheit selbst, die Reaktionen der betroffenen Menschen auf die Erkrankung sowie Menge und Art der Bewältigungsstrategien, die einem betroffenen Menschen und seinen Bezugspersonen zur Verfügung stehen. Diese können einzelne Phasen der Krankheitsverlaufskurve stabilisieren, verbessern, verlängern etc. Die Krankheitsverlaufskurve umfasst also nicht nur den (patho-)physiologischen Ablauf einer Erkrankung, sondern auch alle Anstrengungen eines chronisch kranken Menschen selbst, seiner Bezugspersonen und weiterer professioneller Helfer, die in ihrem Verlauf tätig werden. Corbin nennt dies „Arbeit“, im engeren Sinne „Bewältigungsarbeit“, die von den Betroffenen und Beteiligten organisiert und im Krankheitsverlauf geleistet wird. Es lassen sich 9 Phasen der Krankheitsverlaufskurve mit typischen Kennzeichen beschreiben ( ▶ Tab. 5.1 ). Die individuelle Form einer Krankheitsverlaufskurve entsteht durch den Wechsel akuter, stabiler, instabiler, kritischer Phasen. Chronische Erkrankungen wirken auch auf die Biografie eines Menschen: Körperliche Veränderungen haben

Auswirkungen auf den Körper, die Identität und die Selbstkonzeption eines Menschen. Zur Bewältigung der Auswirkungen einer chronischen Erkrankung muss biografische (u.a. biografische Konsequenzen der chronischen Krankheit verstehen) und krankheitsbezogene Arbeit (u.a. Durchführung der erforderlichen Behandlungen) sowie Arbeit, die sich auf das Alltagsleben bezieht (u.a. Umverteilung der Aufgaben im Haushalt), geleistet werden. Tab. 5.1 Neun Phasen der Krankheitsverlaufskurve. Krankheitsphase

Kennzeichen

vor dem Beginn der chronischen Krankheit (Pretrajectory)

Risiko, eine chronische Krankheit zu entwickeln

Beginn des Krankheitsverlaufs (Trajectory onset)

Auftreten erster Krankheitssymptome; erstmalige Auseinandersetzung mit der Bedeutung der möglichen Diagnose

stabile Phase (Stable)

Krankheitsursache und -symptome sind unter Kontrolle.

unstabile Phase (Unstable)

Krankheitsursachen und -symptome können nicht kontrolliert werden; häufig Behandlung im häuslichen Umfeld.

akute Phase (Acute)

Schwere und belastende Symptome bzw. Komplikationen treten auf: Häufig ist ein Krankenhausaufenthalt notwendig.

kritische Phase (Crisis)

Kritische bzw. lebensbedrohliche Situationen erfordern eine Notfall- bzw. Intensivbehandlung.

Phase der Rückkehr (Comeback)

körperliche Heilung mit teilweiser Rückkehr zu einem akzeptablen Leben mit Begrenzung durch die Krankheit und deren Folgen

Phase der Abwärtsbewegung (Downward)

starker körperlicher Abbau und zunehmende Unfähigkeit zur Symptomkontrolle

Phase des Sterbens (Dying)

Zeitraum vor dem Tod mit weiterem körperlichem Verfall

Nach: Lauber A. Grundlagen beruflicher Pflege. Verstehen & pflegen. Band 1. Stuttgart: Thieme; 2018

5.2.6 Das Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege von Marie-Luise Friedemann 5.2.6.1 Grundlagen Das Modell von Friedmann (*1942) basiert auf den Grundsätzen der Systemtheorie, nach denen sich Systeme aus mehreren Subsystemen zusammensetzen und in Beziehung mit anderen Systemen stehen. Jeder Mensch kann als System gesehen werden, das aus Subsystemen, z.B. Körperorganen, besteht. Gleiches gilt für Familien oder Gemeinden, die mehrere Subsysteme, z.B. einzelne Menschen, Familien etc. umfassen. Die Gesamtwirkung eines Systems ist dabei anders als die Summe der Wirkungen der Subsysteme. Soziale Systeme – zu diesen gehört u.a. das Familiensystem – verfügen über die Besonderheit, dass sie Entscheidungen treffen und damit ihr System gezielt verändern können. Außerdem können ihre Subsysteme gleichzeitig Subsysteme mehrerer anderer Systeme sein. Damit kann ein Subsystem mehrere Systeme beeinflussen – auf diese Weise entsteht ein komplexes Zusammenspiel. Basierend auf diesen Annahmen formuliert Friedemann ihre Theorie des systemischen Gleichgewichts, die sie der familien- und umweltbezogenen Pflege zugrunde legt.

5.2.6.2 Zentrale Konzepte der Theorie Umwelt, Mensch, Gesundheit, Pflege, Familie und Familiengesundheit gehören zu den zentralen Konzepten der familien- und umweltbezogenen Pflege. Entsprechend ihrer systemtheoretischen Annahmen unterscheiden sich die

Strukturen und Prozesse der Familie (System) von denen der zu ihr gehörenden Menschen (Subsysteme). Gesundheit und Pflege werden bei Friedemann deswegen sowohl aus der Perspektive des Individuums als auch aus der Perspektive der Familie betrachtet. Umwelt = alle Systeme außerhalb des Systems Mensch oder Familie, z.B. Gegenstände, Gebäude, politische und soziale Systeme, Biosysteme und die Natur. Alle Systeme dieses Gesamtsystems sind über einen ständigen Energiefluss miteinander verbunden und voneinander abhängig. Dies erfordert ständige Anpassungs- und Wiederanpassungsvorgänge, um eine aufeinander abgestimmte Ordnung (Kongruenz) aufrechterhalten zu können. Mensch: Auch der Mensch wird als ein System betrachtet. Wenn Muster und Rhythmus des menschlichen Systems nicht mit denen anderer Systeme übereinstimmen, entsteht Spannung (Energie kann zwischen den Systemen nicht ungehindert fließen). Diese Spannung nehmen Menschen als Angst wahr. Um die Angst zu bekämpfen und Kongruenz zu erreichen, werden entweder eigene systemische Ziele und Prozesse an die der anderen Systeme angepasst oder aber störende Einflüsse rückgängig gemacht, um die eigenen Prozesse beibehalten zu können. Mittels der Verhaltensweisen Systemerhaltung, Systemänderung, Kohärenz und Individuation (Prozessdimensionen) strebt der Mensch nach den Zielen Stabilität, Wachstum, Regulation/Kontrolle und Spiritualität (Zieldimensionen) → dienen der Erhaltung des Systems und der Bekämpfung der Angst. Kongruenz wird dann erreicht, wenn alle 4 Ziele in einem individuell richtigen Ausmaß erreicht werden und die Muster und Prozesse des menschlichen Systems mit denen anderer Systeme harmonieren. Gesunde Menschen müssen

hierzu in allen 4 Prozessdimensionen Verhaltensweisen entwickeln, um die Ziele des menschlichen Systems erreichen zu können. Gesundheit = Ergebnis der Kongruenz des menschlichen Systems in Rhythmus und Muster sowohl nach innen (in Bezug auf die Subsysteme) als auch nach außen (in Bezug auf die Umwelt). Gesundheit erscheint als ein Gefühl von Wohlbefinden, wirkt als positive Kraft Störungen des Systems entgegen und hat eine angstreduzierende Funktion. Systeminkongruenz kann Gesundheit beeinträchtigen; bei den betroffenen Menschen ist das Symptom Angst beobachtbar. Störungen im organischen System können eine körperliche Krankheit auslösen. Familie = ein System mit Subsystemen, die bestimmte Aufgaben lösen (z.B. Eltern die Kindererziehung) und innerhalb des Systems definierte Rollen übernehmen. Auch gute Freunde oder andere wichtige Bezugspersonen können eine Familie bilden. Die Ziel- und Prozessdimensionen des Familiensystems sind vergleichbar mit denen des menschlichen Systems: Traditionen, Gewohnheiten und Werte ermöglichen Stabilität und schützen das System vor der Angst, es könnte zerfallen. Grundlegende Werte und Lebensauffassungen werden von den Mitgliedern des Familiensystems anerkannt und an nachfolgende Generationen weitergegeben (sorgt für Zusammengehörigkeit und Sicherheit). Familien unterscheiden sich u.a. in Bezug auf die Gewichtung der Prozessdimensionen. Kongruenz im Familiensystem verlangt eine ausgewogene Gewichtung der Ziel- und Prozessdimensionen und lässt sich am Wohlbefinden der einzelnen Familienmitglieder messen. Familiengesundheit: Entsprechend gelten 3 Kriterien als Ausdruck von Familiengesundheit:

wenn sie in allen 4 Prozessdimensionen handelt wenn Kongruenz innerhalb der Familie und zwischen der Familie und der Umwelt besteht und wenn die Familienmitglieder wenig Angst empfinden und mit der Familie im Allgemeinen zufrieden sind Pflege = Dienstleistung auf allen Systemebenen. Sie unterstützt die Empfängersysteme in ihrem Streben nach Kongruenz und Gesundheit. Sie erfolgt in Übereinstimmung mit dem Gesundheitsstreben des Systems und unter aktiver Beteiligung von Pflegeperson und Pflegeempfänger. Pflege darf keinesfalls „verabreicht“ werden, sondern kann nur über aktive Beteiligung des Empfängersystems zu Wachstum und damit zu Gesundheit führen.

5.2.6.3 Systemische Pflege des Individuums und von Familien Sowohl in der systemischen Pflege von Einzelnen als auch in der von Familien beschreibt Friedemann den Pflegeprozess in 9 Schritten, aus deren Anfangsbuchstaben das Wort Kongruenz gebildet werden kann: 1. Klassifizieren der systemischen Prozesse innerhalb der 4 Prozessdimensionen 2. Offen die Theorie erklären und die systemischen Prozesse erklären 3. Nachforschen, welche Änderungen stattfinden sollen 4. Gutheißen der nützlichen Handlungen 5. Repetieren und Verstärken der nützlichen Handlungen 6. Umlernen der mangelhaften Handlungen 7. Experimentieren mit neuen Handlungen 8. Nützlichkeit und Erfolg der Änderungen prüfen

9. Zusprechen, Ermuntern, Loben Pflegepersonen haben im Pflegeprozess die Aufgabe, störende und gesundheitsfördernde Prozesse sowie Ressourcen in gemeinsamen Gesprächen mit der Familie zu identifizieren, eine systemische Betrachtung der Prozesse anzuregen und die Familie in der Wiederherstellung von Kongruenz zu beraten und zu unterstützen. Prozessschritte Schritt 1: Zu Beginn der Pflege erfolgt eine ausführliche Datensammlung, orientiert an den Prozessdimensionen des Empfängersystems. Schritt 2: Die wichtigsten Konzepte der Theorie des systemischen Gleichgewichts werden anhand des Diagramms erklärt. Auf diese Weise können weitere Informationen gesammelt und Unklarheiten offen angesprochen werden. Für den Pflegeempfänger bzw. die Familie werden so auch der theoretische Bezugsrahmen und der Sinn und Zweck der Fragen deutlich. Schritt 3: Die erhobenen Daten ermöglichen erste Vermutungen und Schlussfolgerungen der Pflegeperson über Zusammenhänge zwischen Gesundheitsproblemen, Gefühlen und Handlungen. Sie werden gemeinsam mit dem Pflegeempfänger bzw. der Familie verifiziert oder korrigiert, wodurch gleichzeitig notwendige Änderungen in den Zieldimensionen deutlich werden. Schritt 4: Anschließend erfolgt eine nähere Betrachtung der Handlungen innerhalb jeder Prozessdimension. Auf diese Weise wird die individuelle Gewichtung der einzelnen Ziele Regulation/Kontrolle, Wachstum, Stabilität und Spiritualität deutlich. Obwohl viele Menschen viel Energie einsetzen, um das System über systemerhaltende Handlungen zu stabilisieren, können Situationen dennoch eine Systemänderung erforderlich

machen. Es ist eine wichtige Aufgabe von Pflegepersonen, die Schwierigkeit dieses Prozesses für den Einzelnen und für Familien anzuerkennen und hierfür nötige Unterstützungsprozesse, z.B. von Familienmitgliedern und anderen Bezugspersonen, zu fördern. Schritt 5–7: Bereits ausgeübte, nützliche Handlungen werden im Pflegeprozess verstärkt, als unzulänglich identifizierte Handlungen erfordern ein Umlernen. Gegebenenfalls sind auch das Erlernen und Testen neuer Handlungen erforderlich. Pflegepersonen unterstützen diese Prozesse, indem sie anleiten und helfen, neue Handlungen einzuüben. Sie orientieren sich dabei an den individuellen Fähigkeiten der betroffenen Person oder der Familie. Schritt 8: Die Evaluation der Pflege erfolgt nach Möglichkeit bei Einzelpersonen gemeinsam mit der Familie. Die Wirksamkeit der Pflege zeigt sich dabei in verminderter Angst und einem gesteigerten Wohlbefinden des Betroffenen. Deshalb kommt seiner subjektiven Bewertung große Bedeutung zu. Beobachtungen und Einschätzungen der Pflegeperson im Prozess können sich korrigierend und/oder positiv verstärkend auf die Strategien des Betroffenen auswirken. Schritt 9: Die Schritte des Pflegeprozesses müssen in der Abfolge nicht starr eingehalten, sondern können variiert werden. Ebenso können mehrere Schritte zusammen erfolgen und Schritt 9 parallel zu allen anderen Schritten ausgeführt werden.

5.2.7 Die Theorie der kulturspezifischen Fürsorge von Madeleine Leininger

5.2.7.1 Grundlagen In der von Pflegetheoretikerin Madeleine Leininger (1925–2012) entwickelten Theorie der kulturspezifischen Fürsorge steht das Konzept „Fürsorge“ (engl.: „care“) im Mittelpunkt. Unter Fürsorge versteht sie helfende, unterstützende und fördernde Verhaltensweisen zum Wohle anderer Menschen. Sie stellen für sie das Spezifische professioneller Pflege dar: Fürsorge sieht sie als Voraussetzung für Wohlbefinden, Gesundheit, Heilung, Genesung, Wachstum, Überleben und den Umgang mit Behinderungen und Tod. In den Forschungen im Rahmen ihrer Theorie hat Leininger festgestellt, dass die Fürsorge und die damit verbundenen Verhaltensweisen stark von der jeweiligen Kultur beeinflusst werden. Unter „Kultur“ (culture) versteht sie die „erlernten, gemeinsamen und übermittelten Werte, Überzeugungen, Normen und Lebensweisen einer bestimmten Gruppe, welche deren Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen auf eine strukturierte Weise leiten“. Zwischen den einzelnen Kulturen gibt es diesbezüglich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Die Gemeinsamkeiten bezüglich der Fürsorgehandlungen bezeichnet Leininger als „kulturspezifische Fürsorgeuniversalität“; Unterschiede nennt sie „kulturspezifische Fürsorgediversität“. Diese Unterschiede beziehen sich sowohl auf die Tätigkeiten derjenigen, die die Fürsorge erbringen, als auch auf die Empfänger der Fürsorge. Pflege kann nach Ansicht von Leininger nur dann effektiv und erfolgreich erbracht werden, wenn sie „kulturkongruent“ stattfindet, d.h., wenn kulturelle Besonderheiten bei der Pflege berücksichtigt werden.

Hierfür benötigen Pflegepersonen Wissen über kulturspezifische Werte und Ausdrucksweisen der Fürsorge. Dieses Wissen muss mittels Forschung gewonnen werden.

5.2.7.2 Grundannahmen Madeleine Leininger formuliert eine Reihe von Grundannahmen, die auch die weitere Forschung zu ihrer Theorie unterstützen sollen. Hierzu gehören u.a.: Die Fürsorge (care) bildet den Kern der professionellen Pflege und ist unzweifelhaft ihr dominierender, zentraler und verbindender Mittelpunkt. Fürsorge und Fürsorgen (caring) sind Voraussetzung für das Wohlbefinden, die Gesundheit, die Heilung, das Wachstum, das Überleben und den Umgang mit Behinderungen und Tod. Fürsorge (Fürsorgen) ist eine wesentliche Voraussetzung für die Heilung und Genesung von Menschen, denn ohne Fürsorge gibt es keine Heilung und Genesung. Hinsichtlich der kulturbezogenen Begrifflichkeiten, Bedeutungen, Ausdrucksweisen, Muster, Prozesse und Strukturen der Fürsorge gibt es in allen Kulturen sowohl Unterschiede als auch Ähnlichkeiten (Gemeinsamkeiten/Übereinstimmungen). Jede menschliche Kultur hat zum einen generisches (laienhaftes, volkstümliches oder einheimisches) Wissen über die Fürsorge und entsprechende Methoden und zum anderen im Allgemeinen auch professionelles Pflegewissen und -methoden, die transkulturelle Unterschiede aufweisen. Eine professionelle Pflege, die positiv, gesundheitsförderlich, zufriedenstellend und kulturell fundiert ist, trägt zum Wohlbefinden des Einzelnen, der

Familien, Gruppen und Gemeinschaften in ihrer jeweiligen Umwelt bei. Eine kulturkongruente oder positive professionelle Pflege ist nur dadurch zu gewährleisten, dass die Pflegenden die individuellen, gruppenspezifischen, familiären und gemeinschaftlichen kulturspezifischen Werte, Ausdrucksformen und Muster der Fürsorge kennen und diese für die betreffenden Menschen auf eine angemessene und sinnvolle Weise umsetzen. Die „kulturspezifische Fürsorge“ (cultural care) beinhaltet die subjektiv und objektiv erlernten und übermittelten Werte, Überzeugungen und strukturierten Lebensweisen, die einer anderen Einzelperson oder Gruppe helfen, sie unterstützen, es ihnen erleichtern oder sie dabei fördern, sich Wohlbefinden und Gesundheit zu erhalten, ihre menschlichen Lebensbedingungen und Lebensweisen zu verbessern und mit Krankheiten, Behinderungen oder dem Tod umzugehen.

5.2.7.3 Das Sunrise-Modell Leininger hat ihre Theorie in dem sog. Sunrise-Modell („Sonnenaufgangsmodell“) veranschaulicht. Das Modell bietet einen Gesamtüberblick über die Dimensionen der Theorie und soll auch Forscher bei ihrer Arbeit unterstützen. Das Modell verdeutlicht, dass der kulturelle Hintergrund eines Menschen wie auch die Ausdrucksweisen, Muster und Methoden der Fürsorge einer kulturellen Gruppe sowie deren Vorstellungen über Gesundheit und Wohlbefinden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Alle Faktoren zusammen werden als kulturelle, soziostrukturelle Dimension bezeichnet, die

wiederum eng mit dem Welt- und Wirklichkeitsverständnis verbunden ist. Dazu gehören: technologische, religiöse und wirtschaftliche Einflussfaktoren bildungsbedingte und politisch-gesetzliche Faktoren verwandtschaftliche und soziale Faktoren Auch kulturelle Werte und Lebensweisen, der Umweltkontext, Sprache und die ethnografische Entwicklung nehmen Einfluss auf Muster und Methoden der Fürsorge und auch auf die Sichtweise von Gesundheit und Wohlbefinden – von Einzelnen oder von Gruppen. Hieraus ergeben sich wiederum generische und professionelle Pflegesysteme: generische Pflegesysteme: volkstümliche oder laienhafte Pflegesysteme, die kulturell erlerntes und übermitteltes, traditionelles Wissen enthalten professionelle Pflegesysteme: Wissen und praktische Fähigkeiten, die unterrichtet und erlernt wurden und in professionellen Institutionen, wie z.B. Krankenhäusern, ausgeübt werden. Die professionelle Pflege verbindet diese beiden Pflegesysteme miteinander: Sie muss entscheiden, ob in einer Pflegesituation Fürsorgehandlungen des generischen Pflegesystems oder/und professionelle Fürsorgehandlungen eingesetzt werden. Grundsätzlich gibt es dabei 3 mögliche Entscheidungen: 1. Die kulturspezifischen Fürsorgehandlungen können bei der Pflege in der Gesundheitseinrichtung beibehalten werden – dies entspricht der Bewahrungs- und/oder Erhaltungsfunktion kulturspezifischer Fürsorge.

2. Die kulturspezifischen Fürsorgehandlungen können bei der Pflege in der Gesundheitseinrichtung nur teilweise beibehalten werden – dies entspricht der Anpassungs- und/oder Verständigungsfunktion kulturspezifischer Fürsorge. 3. Die kulturspezifischen Fürsorgehandlungen müssen verändert werden, weil sie z.B. schädlich für den betroffenen Menschen sind. Dies entspricht der Änderungs- oder Umstrukturierungsfunktion kulturspezifischer Fürsorge. Wenn eine kulturkongruente Pflege für und mit einem Pflegeempfänger umgesetzt werden soll, müssen diese Möglichkeiten bei pflegerelevanten Entscheidungen und Pflegemaßnahmen berücksichtigt und jeweils situationsadäquat eingesetzt werden. Professionelle Pflege ist für Madeleine Leininger folglich eng mit einer kultursensiblen Fundierung und Ausrichtung verbunden.

KOMPAKT Pflegetheorien und Pflegemodelle Pflegetheorien beschreiben, je nach Reichweite, allgemein, was Pflege ist, bzw. betrachten einzelne Aspekte der Pflege und geben Pflegemaßnahmen vor. Es werden 3 Schwerpunkte bei den Theorien großer Reichweite unterschieden: Bedürfnistheorien, Interaktionstheorien und Ergebnistheorien. Ausgewählte Pflegetheorien „Die Theorie des Selbstpflegedefizits“ von Dorothea Orem geht davon aus, dass Menschen vorübergehend oder dauerhaft in Situationen kommen können, in denen der situative Selbstpflegebedarf die Selbstpflegekompetenz

übersteigt (Theorie des Selbstpflegedefizits). Pflegepersonen unterstützen Pflegeempfänger (teil-)kompensatorisch sowie unterstützenderzieherisch/entwicklungsorientiert (Theorie der Pflegesysteme) bei der (Wieder-)Erlangung von Fähigkeiten zur Selbstpflege. „Das Roper-Logan-Tierney-Modell“ beschreibt Lebensaktivitäten (LA) und deren Einflussfaktoren über die Lebensspanne in einem Kontinuum von Abhängigkeit und Unabhängigkeit. Pflegepersonen unterstützen bei der (Wieder-)Erlangung von Unabhängigkeit in der Ausübung der LA. „Das Rahmenmodell fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs“ von Monika Krohwinkel beschreibt Aktivitäten, Beziehungen und existenzielle Erfahrungen des Lebens und deren Einflussfaktoren. Pflegepersonen unterstützen beim Erhalt, Erlangen und Wiedererlangen von Fähigkeiten und Ressourcen zur Realisierung von Unabhängigkeit und Wohlbefinden in den ABEDLs (primäre pflegerische Zielsetzung). „Die Theorie der interpersonalen Beziehungen in der Pflege“ von Hildegard Peplau beschreibt Phasen und Rollen in der Interaktion von Pflegepersonen und Pflegeempfängern im Pflegeprozess (Orientierungs-, Identifikations-, Nutzungsund Ablösungsphase). Pflegepersonen unterstützen den Genesungsprozess, indem sie diese Rollen bewusst einnehmen und die Phasen des Beziehungsprozesses aktiv gestalten. „Das Modell der Krankheitsverlaufskurve“ von Juliet Corbin und Anselm Strauss beschreibt typische Phasen der Auseinandersetzung mit chronischen Erkrankungen. Pflegepersonen unterstützen bei der biografischen,

krankheits- und auf das Alltagsleben bezogenen Bewältigungsarbeit und bei der (Wieder-)Erlangung von Kontrolle über den Krankheitsverlauf. „Das Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege“ von Marie-Luise Friedemann betrachtet Pflegeempfänger als Subsysteme des Familiensystems. Pflegepersonen unterstützen Einzelpersonen und Familien im Pflegeprozess bei der (Wieder-)Erlangung von Kongruenz und Gesundheit. „Die Theorie der kulturspezifischen Fürsorge“ von Madeleine Leininger beschreibt Fürsorge (engl. „care“) als das Spezifische der Pflege und betont die Bedeutung kultureller Aspekte in der Pflege. Pflege ist dann effektiv, wenn sie kulturkongruent gestaltet wird, indem kulturspezifische Werte, Ausdrucksformen und Muster der Fürsorge von Einzelpersonen und/oder Familien/Gruppen berücksichtigt und angemessen und sinnvoll umgesetzt werden. Wie professionelle Pflege Pflegesysteme im Interesse einer kulturkongruenten Pflege verbindet, veranschaulicht Leininger in ihrem „Sunrise-Modell“.

6 Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem Das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem sichert die Versorgung und Information kranker und pflegebedürftiger Menschen und regelt die Rahmenbedingungen des Pflegeberufs.

6.1 Sozialsystem Das Sozialsystem wirkt wie ein Netz, das die Menschen auffängt und sie unterstützt, wenn sie krank sind oder einen Unfall haben. Ziel ist es, Menschen in Not zu helfen und finanziellen und gesundheitlichen Notlagen vorzubeugen. Es wird über Steuern und Abgaben von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Dieses Netz besteht aus 3 Kernprinzipien: Fürsorgeprinzip: staatliche finanzielle Hilfen (z.B. Wohngeld, Grundsicherung)

Versorgungsprinzip: finanzielle Hilfen für Menschen, die etwas für die Gemeinschaft erbracht haben (z.B. Kindergeld, Beamtenversorgung) Versicherungsprinzip: finanzielle Leistungen durch die Versicherungen

6.1.1 Sozialversicherungen Die Sozialversicherungen (SV) sind ein Teil des Sozialsystems. Sie bieten finanzielle Hilfe im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Alter, Arbeitslosigkeit und Betriebsunfällen ( ▶ Abb. 6.1). Das System zeichnet sich durch 6 Grundprinzipien aus, die auf dem Wunsch nach Gerechtigkeit, Sicherheit und Unabhängigkeit beruhen – gleichzeitig muss das System finanzierbar sein. Grundprinzipien des Systems sind: Versicherungspflicht: gesetzlich vorgeschriebene Pflicht, gegen bestimmte Risiken versichert zu sein. Ausnahme: Bestimmte Berufsgruppen (z.B. Selbstständige, Beamte) sind von der Krankenversicherungspflicht befreit. Beitragsfinanzierung: Die SV werden größtenteils aus Beiträgen von Arbeitnehmern (AN) und Arbeitgebern (AG) finanziert, und zwar proportional zum Einkommen, d.h., wer mehr verdient, zahlt bis zu einer bestimmten Obergrenze auch höhere Beiträge und umgekehrt. Solidarität: Versicherungsmitglieder tragen über ihre Beiträge die Risiken der anderen mit. Einem Versicherten stehen, unabhängig von der Höhe seiner Beiträge, alle Leistungen zu. Dadurch wird ein gerechter Ausgleich in der Gesellschaft geschaffen zwischen Kranken und Gesunden, Alten und Jungen, Familien und Alleinstehenden und gut und weniger gut Verdienenden. Durch das Umlageverfahren werden die Beiträge der einen Generation für die Ausgaben der anderen Generation verwendet (Generationenvertrag). Aufgrund des ▶ demografischen Wandels, bei dem immer weniger Jüngere für immer mehr Ältere aufkommen müssen, ist dies zunehmend eine Herausforderung für das deutsche Sozialversicherungssystem. Äquivalenz: Dieses Prinzip steht im Gegensatz zum Solidarprinzip. Die Leistungen richten sich nach der Höhe der eingezahlten Beiträge, d.h., wer viele bzw. teurere Leistung in Anspruch nimmt, muss höhere Beiträge zahlen (z.B. private Krankenversicherung), und wer viel eingezahlt hat, bekommt später mehr Geld zurück (z.B. Rentenversicherung). Freizügigkeit: Innerhalb der EU erhalten alle Menschen eines Landes die gleichen sozialen Leistungen. Selbstverwaltung: Versicherungsträger arbeiten finanziell und organisatorisch selbstständig unter der Aufsicht des Staates. Die 5 Säulen der Sozialversicherung. Abb. 6.1 

(Aus: Hell W. Alles Wissenswerte über Staat, Bürger, Recht. Staatsbürger- und Gesetzeskunde. Stuttgart: Thieme; 2018)

6.1.1.1 Sozialversicherungsträger Die Leistungen der SV werden in Deutschland durch die Sozialversicherungsträger erbracht. Träger sind die Einrichtungen oder Institutionen, die Geld, Sachmittel und Personal als Leistung an Empfänger zur Verfügung stellen. Es werden dabei 3 Formen unterschieden: öffentliche Träger: Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, z.B. Bund, Landkreis, Stadt, gesetzliche Krankenkassen freigemeinnützige Träger: soziale Vereinigungen, karitative Organisationen oder kirchliche Organisationen, z.B. DRK, Diakonie, Wohlfahrtsverbände private Träger: Privatpersonen, Unternehmen, private Krankenkassen Die Kontrolle der Sozialversicherungsträger erfolgt über die ihnen übergeordneten Ministerien: Das Bundesministerium für Gesundheit ist für die gesetzliche Krankenversicherung und die Pflegeversicherung zuständig. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist für die gesetzliche Renten- und Unfallversicherung sowie die Bundesagentur für Arbeit zuständig.

6.1.1.2 Krankenversicherung Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Die Aufgabe der GKV ist es, die Gesundheit ihrer Versicherten zu fördern, zu erhalten und wiederherzustellen. Die gesetzliche Grundlage ist das 5. Sozialgesetzbuch (SGB V). Finanzierung: 14,6 % des Bruttoeinkommens plus ggf. einkommensabhängige Zusatzbeiträge (zu gleichen Teilen von AG und AN; Stand 2022). Die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern wird z.T. aus Steuermitteln finanziert.

Private Krankenversicherung (PKV) Die PKV steht Personen offen, die nicht versicherungspflichtig oder aus bestimmten Gründen von der Versicherungspflicht befreit sind. Die gesetzlichen Grundlagen stehen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und in diversen Gesetzen zu Versicherungen im Allgemeinen (VAG, VVG, AVG). Die Beitragshöhe ist abhängig vom Alter, Gesundheitszustand und den gewünschten Versicherungsleistungen. Bei bestimmten Erkrankungen kann die PKV Personen ablehnen (z.B. bei psychischen Erkrankungen). 2019 waren ca. 88 % der deutschen Bevölkerung in der gesetzlichen und ca. 11 % in der privaten Krankenversicherung versichert. 1,7 % der Bevölkerung hatten eine andere Versicherung oder fallen durch das Netz und haben keine Versicherung, davon sind oft Selbstständige und Arbeitslose, die keine Hilfe vom Staat erhalten, betroffen. Es ist zudem von einer hohen Dunkelziffer bei Wohnungslosen und illegalen Einwanderern auszugehen. Wer in einer GKV versichert ist und wer in eine private Krankenversicherung wechseln kann, zeigt ▶ Tab. 6.1 . Tab. 6.1 Gesetzliche und private Krankenversicherung: Einzahler, Leistungsempfänger und Leistungen. Einzahler

Leistungsempfänger

Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Leistungen

Einzahler Arbeitnehmer Arbeitgeber Steuermittel (für Mitversicherung von Kindern)

Leistungsempfänger pflichtversichert, z. B.: Arbeiter, Angestellte Auszubildende Rentner

Leistungen nicht pflichtversichert, z. B.: Arbeiter und Angestellte, deren Gehalt die Versicherungspflichtgrenze überschreitet

Kinder (bis 18, max. bis 26 Jahre)

Selbstständige Beamte, Personen in beamtenähnlicher Stellung

Studenten

Richter

Ehepartner (mit Einkommen unter 450 €)

Soldaten

Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld

Geldleistungen (z. B. Krankengeld, Mutterschaftsgeld) Sachleistungen (u. a.: Krankenhausbehandlung, häusliche Pflege, Krankheitsfrüherkennung, ärztliche Behandlungen, Anschlussheilbehandlung)

Geistliche geringfügig Beschäftigte (450-Euro-Jobs)

Künstler, Publizisten Private Krankenversicherung (PKV) In der PKV Versicherte

freiwillig versichert: Arbeiter und Angestellte, deren Gehalt eine bestimmte Grenze überschreitet Selbstständige

Geldleistungen, abhängig von gewähltem Tarif Sachleistungen, abhängig von gewähltem Tarif

freiberufliche Ärzte, Zahnärzte, Veterinärmediziner und Heilpraktiker Studenten beihilfeberechtigte Beamte Die Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

▶ Wechsel. Ein Wechsel von einem Anbieter der GKV zu einem anderen ist möglich (→ Wahlfreiheit). Man ist dann mindestens 18 Monate bei einem Anbieter versichert. Hat man sich einmal für die PKV entschieden, ist es nur unter bestimmten Umständen möglich, zurück in die GKV zu wechseln. ▶ Beitragsbemessungsgrenze. Gehaltsgrenze, die höchstens zur Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge herangezogen wird. Im Jahr 2022 lag die Grenze bei 58050 € pro Jahr (4837,50 € pro Monat) für die GKV. ▶ Versicherungspflichtgrenze. Gehaltsgrenze, ab der ein Arbeitnehmer nicht mehr in der GKV pflichtversichert ist. 2021 lag sie bei 64350 € pro Jahr (5362,50 € pro Monat).

6.1.1.3 Pflegeversicherung Aufgrund des ▶ demografischen Wandels ist im Laufe der Jahre mit immer mehr pflegebedürftigen Menschen zu rechnen. Daher wurde 1995 die Pflegeversicherung eingeführt, um eine Absicherung gegen dieses Risiko zu

schaffen, die Lebensumstände der Pflegebedürftigen zu verbessern und die Pflegenden abzusichern. Die rechtliche Grundlage regelt das SGB XI. Die Pflegekassen sind den Krankenkassen angeschlossen. Wer krankenversichert ist, ist automatisch über diesen Anbieter auch pflegeversichert. Finanzierung: Durch Umlageverfahren, Beiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (nach Bruttoeinkommen), Beiträge in privater Pflegeversicherung richten sich nach individuellem Versicherungsrisiko und gewünschten Leistungen. Leistungen Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung, Pflegehilfsmittel, Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege, vollstationäre Pflege Pflegesachleistung: wenn professionell Pflegende die Pflege übernehmen Pflegegeld: wenn ein Angehöriger die Pflege übernimmt Pflegekurse und soziale Sicherung für pflegende Angehörige Teilkaskoversicherung: Nicht alle Kosten werden gedeckt, abhängig vom Pflegegrad wird ein bestimmter Betrag an Geld- und/oder Sachleistungen festgelegt. Leistungen müssen beantragt werden und sind mit der Bedingung der Vorversicherungszeit und Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad 1–5) verbunden. Mehr Infos zu den Pflegegraden finden Sie in Kap. ▶ 34.2.

6.1.1.4 Rentenversicherung Hauptaufgabe ist es, die Versicherten bei Gefährdung oder Minderung der Erwerbstätigkeit sowie im Alter zu unterstützen. Die rechtliche Grundlage ist im SGB VI geregelt. Finanzierung: Durch Umlageverfahren, aus 3 Töpfen: Beiträgen der Versicherten, Beiträgen der AG und Zuschüssen des Bundes Pflichtversichert sind Angestellte und Arbeiter, Empfänger von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit, Eltern in Elternzeit, Personen, die Kindererziehungszeit erbracht haben, private Pflegepersonen (z.B. pflegende Angehörige), bestimmte Gruppen von Selbstständigen. Nicht pflichtversichert sind Beamte, Richter, Soldaten, einige Selbstständige und Freiberufler. Leistungen Altersrente Erwerbsminderungsrente Witwen-, Witwer- und Waisenrente (Hinterbliebenenrente) Zuschüsse an die Krankenversicherung der Rentner

Rehabilitationsmaßnahmen bei Gefährdung der Erwerbstätigkeit Rente muss beantragt werden und wird nach dem Äquivalenzprinzip gezahlt, d.h., abhängig von der Höhe des früheren Einkommens und der Dauer der Einzahlung.

6.1.1.5 Unfallversicherung Bei Arbeits- und Schulunfällen, Berufskrankheiten oder arbeitsbedingten Gefahren greift die Unfallversicherung. Sie ist also zuständig für Unfälle, die auf dem Weg zur oder bei der Arbeit passieren. Die gesetzliche Grundlage ist das SGB VII. Finanzierung: Beiträge der Unternehmen und Beiträge von Bund, Ländern und Gemeinden. Für die Versicherten ist die gesetzliche Unfallversicherung beitragsfrei.

6.1.1.6 Arbeitslosenversicherung Aufgabe ist es, den Lebensunterhalt zu sichern und Maßnahmen zur (Wieder-)Eingliederung ins Erwerbsleben zu ermöglichen. Gesetzliche Grundlage ist das SGB III. Finanzierung: Beiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Umlagen und Mittel des Bundes Es werden 2 Formen unterschieden: Arbeitslosengeld I ist beitragsfinanziert und ersetzt den Lohn zeitlich befristet, die Dauer ist abhängig von den vorherigen Arbeitsjahren, die Höhe ist abhängig vom zuvor verdienten Bruttogehalt (grundsätzlich 60 % des Nettogehalts). Arbeitslosengeld II (auch „Hartz IV“): Grundsicherung, die auch als Aufstockung zu einem niedrigen Einkommen bezogen werden kann Weitere Leistungen: Berufsberatung, Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung Bewerbungstraining Förderung von beruflichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen Eingliederungszuschuss

6.2 Gesundheitssystem Definition Gesundheitssystem

Das Gesundheitssystem in Deutschland setzt sich aus staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen zusammen. Es umfasst alle Einrichtungen und Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit Gesundheit stehen. Grob können 4 Gruppen unterschieden werden: Akteure auf Bundesebene, Leistungsfinanzierer, Leistungserbringer, Leistungsempfänger ( ▶ Abb. 6.2 ).

Das deutsche Gesundheitssystem. Abb. 6.2 Eine Vielzahl von Personen, Einrichtungen, Institutionen und Organisationen regelt, organisiert und finanziert das deutsche Gesundheitssystem. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

6.2.1 Gesetze und Struktur ▶ Gesetzgebung. Die wichtigsten Gesetze in Bezug auf das Gesundheitssystem sind: Sozialgesetzbuch (SGB I–XII) Pflegestärkungsgesetz I und II (siehe Kap. ▶ 34.2) Patientenrechtegesetz Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe Struktur Akteure auf Bundesebene: Bundestag, Bundesrat, Bundesministerium für Gesundheit und Bundesbehörden Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA): oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen; legt z.B. fest, welche Leistungen von der GKV erstattet werden; Pflege ist hier nicht vertreten. GKV-Spitzenverband: zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen Länderebene:Die Bundesländer haben 3 Aufgaben: 1. Sicherstellung der stationären Versorgung durch Krankenhausund Investitionspläne 2. Übernahme der Investitionskosten der Krankenhäuser 3. Bereitstellen öffentlicher Gesundheitsdienste, i.d.R. durch kommunale Gesundheitsämter. Zu deren Aufgaben gehören z.B.: Vorsorgen und Gesundheitsfürsorge, z.B. Einschuluntersuchungen Überwachung und Beratung in den Bereichen Hygiene, Infektionskrankheiten, Arzneimittelverkehr und Umweltmedizin Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten, z.B. Nachverfolgung von Kontaktpersonen von Infizierten

6.2.2 Einrichtungen der Versorgung 6.2.2.1 Krankenhäuser Krankenhäuser, werden in folgende Versorgungsstufen eingeteilt: Stufe I: Grundversorgung: mind. eine der beiden Fachrichtungen: Innere Medizin oder Chirurgie

Stufe II: Regelversorgung: Innere Medizin und Chirurgie, bei Bedarf auch eine weitere Fachrichtung, z.B. Gynäkologie, Geburtshilfe, HNO Stufe III: Schwerpunktversorgung: Zur Regelversorgung kommen noch z.B. Pädiatrie, Neurologie und/oder Gesichtschirurgie dazu. Stufe IV: Maximalversorger haben alle vorab genannten Fachrichtungen sowie spezielle diagnostische Geräte und Einrichtungen. Es sind oft Unikliniken, die gleichzeitig noch einen Lehr- und Forschungsauftrag wahrnehmen. ▶ Krankenhausträger. In Deutschland werden 3 Arten von Krankenhausträger unterschieden: 1. öffentliche Träger, z.B. Kommunen bei Kreiskrankenhäusern, Länder bei Unikliniken, Bund bei Bundeswehrkrankenhäusern. 2. freigemeinnützige Träger, z.B. DRK, Caritas, Diakonie 3. private Träger: Die Anzahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft nimmt stetig zu. Zu den Aufgaben des Krankenhausträgers gehört: Gesamtverantwortung übernehmen Kostenerstattung mit den Krankenkassen verhandeln reibungslose Organisation sicherstellen Aufgabenverteilung im Krankenhaus Medizin: Ärztlicher Direktor, Chefärzte, Oberärzte, Assistenzärzte Pflege: Pflegedirektion, Pflegedienstleitung, Stationsleitungen, Pflegefachkräfte Technik und Informatik: Technischer Direktor, Abteilungsleitungen, Sachbearbeiter Verwaltung: Verwaltungsdirektor, Abteilungsleitung, Sachbearbeiter Die Säulen sind voneinander abhängig und unterstützen sich gegenseitig. Innerhalb einer Säule gibt es eine disziplinarische Weisungsbefugnis. Zwischen den Säulen Medizin, Pflege und Verwaltung gibt es Delegations- und Anweisungsmöglichkeiten. Die meisten Häuser haben ein Organigramm, in dem die hierarchische Struktur eingesehen werden kann. Die konkrete Leistungserbringung findet im ▶ interdisziplinären Team auf den fachbereichsspezifischen Stationen statt.

6.2.2.2 Häusliche Pflege Die häusliche Pflege wird in Kap. ▶ 34 „Pflege von Menschen im häuslichen Umfeld“ ausführlich behandelt.

6.2.2.3 Stationäre Langzeitpflege

Informationen hierzu finden Sie in Kap. ▶ 35 „Pflege von Menschen in stationären Langzeiteinrichtungen“.

6.3 Organisation in der Pflege Die Arbeitsorganisation umfasst die Planung, Koordination und Durchführung der Pflegemaßnahmen. Sie ist ausschlaggebend für die Pflegequalität, die Effizienz der Abläufe und somit für die Zufriedenheit von Pflegeempfängern und Pflegenden.

6.3.1 Pflegeorganisationssysteme Definition Pflegeorganisationssysteme Sie beschreiben, wie die zu leistende Pflegearbeit und die Pflegeabläufe im Team organisiert werden. Die Auswahl eines Systems ist stark von der Personalstruktur und anderen Rahmenbedingungen abhängig.

6.3.1.1 Funktionspflege Tätigkeitsorientierte Vorgehensweise, bei der komplexe Pflegeaufgaben unterteilt und von verschiedenen Pflegefachkräften übernommen werden. Vorteile: hohe Effektivität durch klare, hierarchische Struktur, weniger zeitintensiv, kostengünstig, mehr Routine, Einsatz von Pflegehelfern zur Entlastung möglich Nachteile: Informationsverlust, monotone Arbeitsabläufe, wenig Spielraum, Unterteilung in „höherwertige“ und „niedrige“ Arbeiten, Entfremdung zwischen Pflegeempfängern und Pflegenden (keine ganzheitliche Pflege möglich)

6.3.1.2 Bereichspflege Schichtbezogene Verantwortung der Pflegenden für eine Patientengruppe. Vorteile: besserer Informationsaustausch, dadurch weniger Fehlerquellen, großer Handlungs- und Entscheidungsfreiraum, dadurch höhere Arbeitsmotivation und -zufriedenheit, intensiver Kontakt zum Pflegeempfänger Nachteile: ggf. schlechte Information über Pflegeempfänger außerhalb des eigenen Bereichs, Hilfsbereitschaft der Kollegen kann abnehmen, höhere Kosten, höhere psychische Belastung für Pflegefachkräfte

6.3.1.3 Bezugspflege/Primary Nursing

Ganzheitlich ausgerichtetes Pflegesystem, bei dem eine Pflegefachkraft die gesamte Pflege (inkl. Planung) von der Aufnahme bis zur Entlassung für einen oder mehrere Pflegebedürftige übernimmt. Vorteile: Aufbau einer Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegefachkraft, dadurch auch verbesserte Kommunikation und feste Ansprechpartner für Pflegebedürftige, Schwierigkeiten werden schneller erkannt, Pflegefachkraft erlebt Arbeit als Ganzes. Nachteile: Probleme bei Ausfall der Bezugspflegekraft, höhere emotionale Belastung, höhere Stressbelastung durch Verantwortung, zeit- und kostenintensiv Primary Nursing ist eine Form der Bezugspflege, bei der die Primary Nurse gemeinsam mit der Associate Nurse eine „Rund-um-die-UhrVerantwortung“ hat. Die Associate Nurse führt die Pflege entsprechend der von der Primary Nurse erstellten Pflegeplanung durch und weicht nur von dieser ab, wenn der Patientenzustand oder eine ärztliche Anweisung dies erfordern.

6.3.2 Weitere Organisationskonzepte Die nachfolgenden Konzepte sind nicht allein auf die Pflege beschränkt, sondern verbinden mehrere Akteure des Gesundheitssystems.

6.3.2.1 Case Management bzw. Fallmanagement koordiniert und steuert alle patientenbetreffenden Behandlungen, Sach- und Dienstleistungen verschiedener Berufsgruppen über den Krankenhausaufenthalt hinaus und versucht dabei, das optimale Leistungsangebot zu finden fördert das Selbstmanagement durch Beratung unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes wird insbesondere bei komplexen Fällen angewendet

6.3.2.2 Clinical Pathways bzw. klinische Behandlungs-/Versorgungspfade sind standardisierte Ablaufpläne für die Durchführung (häufig auftretender) medizinischer Behandlungen im Krankenhaus wurden entwickelt, um die Qualität der Versorgung im Krankenhaus bei gleichzeitig kürzeren Aufenthalten und einer knappen Kostenkalkulation zu gewährleisten definieren alle Abläufe und Zuständigkeiten von der Aufnahme des Patienten über die Untersuchungen und Behandlungen bis zur Entlassung

6.4 Finanzierung im Gesundheitssystem

6.4.1 Krankenhaus Im Krankenhaus spricht man auch von einem dualen Finanzierungssystem, da die Finanzierung aus 2 Töpfen erfolgt: 1. Investitionskosten (z.B. Neubauten, Anschaffung von medizinischen Großgeräten) werden durch die Krankenhausförderung der Bundesländer aus Steuermitteln finanziert. 2. Betriebskosten (z.B. Personalkosten, Verbrauchsmaterial) und Behandlungskosten werden von den Krankenkassen übernommen. Die Behandlungskosten werden nach Fallpauschalen bzw. DRGs (Diagnosis Related Groups) bezahlt. Seit 2019 gilt verpflichtend darüber hinaus die Abrechnung nach PEPP (Pauschalisiertes Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik). In diesen Klassifikationssystemen werden Patienten in bestimmte Fallgruppen eingeordnet. Zu jeder Fallgruppe ist ein fester Betrag hinterlegt, der die Behandlung und Therapie abdecken muss. Durch Zusatzentgelte (ZE) werden Kosten erstattet, die nicht von den Fallpauschalen abgedeckt sind, wie z.B. Blutprodukte, teure Medikamente oder Prothesen. Pflege im DRG Seit 2020 sind die Pflegepersonalkosten aus dem DRG-Katalog ausgegliedert und werden über ein krankenhausindividuelles Pflegebudget bezahlt, das jährlich mit den Krankenkassen ausgehandelt wird. Anders als von den DRGs bekannt, gibt es für die Pflege keine festgelegten Geldsätze, stattdessen werden alle tatsächlich geleisteten Pflegepersonalkosten erstattet (=Selbstkostendeckungsprinzip). Wichtig für Pflegende: Nebendiagnosen (z.B. Dekubitus) sind nach den Kriterien der ICD (International Classification of Diseases/Internationale Klassifikation der Krankheiten) zu dokumentieren. Ebenso kann eine hochaufwendige Pflege über den Pflege-Komplex-Maßnahmen-Score (PKMS) erfasst und abgerechnet werden.

6.4.2 Rehabilitationsklinik In Rehabilitationskliniken erfolgt die Finanzierung abhängig von der Betroffenengruppe durch verschiedene Sozialversicherungen: gesetzliche Rentenversicherung bei Erwerbstätigen, Arbeitssuchenden und Anschlussheilbehandlungen (bei Hauptziel Wiedererlangung der Erwerbstätigkeit) gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten

gesetzliche Krankenversicherung bei Kindern und Jugendlichen, nicht berufstätigen Erwachsenen, Rentnern und bei Anschlussheilbehandlungen (bei Hauptziel Wiederherstellung der Gesundheit) Sozialhilfe bei Bedürftigen ohne Renten- und Krankenversicherung Beihilfestelle bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Beamte, Richter, Soldaten)

6.4.3 Pflegeheim Bewohner: Pflegesachleistung durch Pflegeversicherung, je nach Pflegegrad und zusätzlich privates Vermögen. Dieser Anteil wird von der Sozialhilfe übernommen, sofern der Bewohner oder seine Familie nicht selbst dafür aufkommen können. Land (nur in einigen Bundesländern): Pflegewohngeld In Pflegeheimen für Menschen mit Behinderung: Eingliederungshilfe, gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (bis 25 Jahre), Privat oder Sozialhilfe bei Bedürftigen

6.4.4 Häusliche Pflege Behandlungspflege (z.B. Verbände, Injektionen) zahlt GKV Pflegeversicherung zahlt je nach Pflegegrad (Sach- und Geldleistung) Darüberhinausgehende Kosten müssen privat oder bei Bedürftigen durch Sozialhilfe finanziert werden.

KOMPAKT Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem Die 5 Säulen der Sozialversicherung sind: Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung Die Sozialversicherungen sind ein Teil des Sozialsystems. Sie bieten finanzielle Hilfe im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Alter, Arbeitslosigkeit und Betriebsunfällen. Grundprinzipien des Sozialsystems: Versicherungspflicht, Beitragsfinanzierung, Solidarität, Äquivalenz, Freizügigkeit, Selbstverwaltung Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen sind: SGB V (enthält die Bestimmungen zur GKV); SGB IX (Reha und Teilhabe behinderter Menschen), SGB XI (Pflegeversicherung, Pflegegrade 1–5) Im Gesundheitssystem können 4 Gruppen unterschieden werden: Akteure auf Bundesebene, Leistungsfinanzierer, Leistungserbringer, Leistungsempfänger

Die Leistungen werden u.a. durch öffentliche Gesundheitsdienste, in Krankenhäusern, in stationären Pflegeeinrichtungen und in der häuslichen Pflege erbracht. Pflegeorganisationssysteme: Funktionspflege, Bereichspflege, Bezugspflege (inkl. Primary Nursing) Case Mangement umfasst die Koordination aller Maßnahmen über die verschiedenen Settings und Disziplinen hinweg für einen Patienten mit einem komplexen Krankheitsbild. Die Finanzierung im Gesundheitssystem gestaltet sich je nach Einrichtung unterschiedlich: Im Krankenhaus gibt es eine duale Finanzierung: Betriebs- und Behandlungskosten werden über die DRGs finanziert, Investitionskosten aus Steuermitteln. Die Pflege wird seit 2020 gesondert über das Pflegebudget finanziert. In Rehabilitationskliniken erfolgt die Finanzierung abhängig von der Betroffenengruppe, meist durch die Renten-, Unfall- oder Krankenversicherungen. In Pflegeheimen wird die Pflegesachleistung durch die Pflegeversicherung gezahlt, die Differenz tragen die Betroffenen selbst bzw. bei Bedarf die Sozialhilfe. Das gilt auch für die ambulante Pflege, wobei dort zusätzlich Maßnahmen der Behandlungspflege von den Krankenkassen finanziert werden.

7 Rechtliche Grundlagen der Pflege 7.1 Das Grundgesetz Das Grundgesetz (GG) ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und steht über allen

Gesetzen. Somit hat es Vorrang vor allen anderen Rechtsnormen des Bundes und der Länder. Es ist durch die Ewigkeitsklausel vor willkürlichen Veränderungen geschützt. Die Grundrechte sind somit für jeden Menschen garantiert. Darin integriert finden sich u.a. die Menschenund Bürgerrechte ( ▶ Abb. 7.1). Unterteilung der Grundrechte. Abb. 7.1 Die im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte lassen sich in erster Linie in Menschen- und Bürgerrechte unterteilen. (Aus: Hell W. Alles Wissenswerte über Staat, Bürger, Recht. Staatsbürger- und Gesetzeskunde. Stuttgart: Thieme; 2018)

7.2 Arbeitsrecht Pflegende arbeiten meist als Angestellte, z.B. im Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung. Aus diesem Angestelltenverhältnis ergeben sich Rechte und Pflichten, die im Arbeitsvertrag enthalten sind.

Probezeit: maximal 6 Monate In dieser Zeit kann von beiden Seiten eine Kündigung des Arbeits- oder Ausbildungsvertrags ohne Angaben von Gründen erfolgen. Urlaub: Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf mindestens 20 Tage Urlaub bei einer 5-Tage-Woche und 24 Tage bei einer 6-Tage-Woche im Kalenderjahr. Je nach Arbeits- oder Tarifvertrag können es auch mehr Urlaubstage sein. Gehalt: wird im Arbeitsvertrag geregelt, meist durch einen Verweis auf den Tarifvertrag Sonderzahlungen (z.B. Weihnachts- oder Urlaubsgeld) sind besondere Leistungen, auf die kein Anspruch besteht, außer sie sind im Arbeitsvertrag festgehalten. Kündigung: Eine Kündigung ist eine einseitige Willenserklärung, durch die ein Arbeitsverhältnis beendet wird. Sie kann vom Arbeitgeber (AG) oder vom Arbeitnehmer (AN) ausgesprochen werden. Eine (schriftliche!) Kündigung durch den AN ist unter Einhaltung einer Frist jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich. Eine (schriftliche!) Kündigung durch den AG darf nur unter Berücksichtigung des Kündigungsschutzes erfolgen, der i.d.R. nach der Probezeit in Kraft tritt. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) regelt die Vorschriften zu Fristen und Kündigungsgründen.

Man unterscheidet verhaltensbedingte (z.B. wegen wiederholten Zuspätkommens), betriebsbedingte (z.B. aufgrund von betrieblichen Erfordernissen) und personenbedingte (z.B. Entzug des Führerscheins bei Kraftfahrern) Kündigungen. Bei einer außerordentlichen Kündigung müssen keine Fristen eingehalten werden, dabei muss ein wichtiger Grund vorliegen (z.B. Straftat, Arbeitsverweigerung, Beleidigung). Sonderkündigungsschutz besteht z.B. für Schwangere, Schwerbehinderte, Auszubildende (§ 22 Berufsbildungsgesetz), Betriebsratsmitglieder. Pflichten: Pflegekräfte sind dazu verpflichtet, die vereinbarte Arbeit zu leisten, die Schweigepflicht einzuhalten, dem AG treu zu sein und mit Materialien sorgfältig und wirtschaftlich umzugehen. Haftung: Handelt die Pflegefachkraft im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, haftet der Arbeitgeber für den entstandenen Schaden (durch seine Haftpflichtversicherung). Kann jedoch nachgewiesen werden, dass die Pflegefachkraft vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, kann der Arbeitgeber Regressansprüche geltend machen, d.h., den Ausgleich des Schadens vom Arbeitnehmer einfordern.

7.2.1 Jugendarbeitsschutzgesetz Für Auszubildende unter 18 Jahren gilt das Jugendarbeitsschutzgesetz. Dieses besagt u.a.:

§ 1 Geltungsbereich: gilt für alle Personen unter 18 Jahren, die in einem Berufsausbildungsverhältnis stehen § 8 Dauer der Arbeitszeit: 8 h täglich, nicht mehr als 40 h wöchentlich § 11 Ruhepausen: angemessene Ruhepausen müssen gewährt werden. Bei 4–6 h 30 min; bei einer Arbeitszeit über 6 h 60 min § 12 Schichtzeit: maximal 10 h § 13 Tägliche Freizeit: Erholungszeit von mindestens 12 h ohne Unterbrechung § 14 Nachtruhe: Jugendliche dürfen nur von 6–20 Uhr beschäftigt werden; ab 16 Jahre in Mehrschichtbetrieben (Krankenhäusern) bis 23 Uhr. § 15 5-Tage-Woche: Jugendliche dürfen maximal an 5 Tagen in der Woche arbeiten, wobei die beiden wöchentlichen Ruhetage nach Möglichkeit aufeinander folgen sollten. § 16 Samstagsruhe und § 17 Sonntagsruhe: In Krankenhäusern sowie Pflegeeinrichtungen ist die Samstags- und Sonntagsarbeit für Jugendliche erlaubt. Mindestens 2 Sonntage im Monat müssen beschäftigungsfrei bleiben. § 18 Feiertage: An gesetzlichen Feiertagen dürfen Jugendliche nicht beschäftigt werden, dies gilt auch für den 24. Dezember und den 31. Dezember nach 14 Uhr. § 19 Urlaub: mindestens 27 Werktage jährlich, wenn der Jugendliche zu Beginn des Kalenderjahrs noch nicht 17 Jahre ist; mindestens 25 Werktage jährlich, wenn der Jugendliche zu Beginn des Kalenderjahrs noch nicht 18 Jahre ist

7.3 Pflegerelevante Rechtsgebiete 7.3.1 Weisungsrecht Grundsätzlich hat der AG gegenüber der Pflegefachkraft das Weisungsrecht. Er kann bestimmten Mitarbeitern eine Weisungsbefugnis übertragen. Meist sind das Führungskräfte (Stationsleitungen), häufig auch Ärzte oder andere Vorgesetzte. Bezugspersonen oder Angehörige von Pflegeempfängern können dem Pflegepersonal keine Weisungen erteilen. Pflegekräfte müssen jede Weisung fachlich prüfen. Bei Unsicherheiten ist der Vorgesetzte zu kontaktieren. Mögliche strafbare Handlungen sowie fachlich nicht korrekte Maßnahmen müssen und dürfen Pflegekräfte nicht durchführen. Für eventuelle Folgen können sie persönlich verantwortlich gemacht werden.

ACHTUNG Jede Weisung muss auf ihre Fachlichkeit geprüft werden!

7.3.2 Delegation Unter Delegation versteht man das Weiterreichen von Aufgaben innerhalb eines Systems durch den Arbeitgeber (Direktions- und Weisungsrecht). Dazu gehört in der Gesundheitsversorgung auch das Übertragen von ärztlichen Aufgaben an das Pflegepersonal. Nicht alle Aufgaben können delegiert werden. Es wird unterschieden in: allgemein delegationsfähige ärztliche Leistungen: Präsenz des Arztes ist nicht notwendig. Nachdem er sich überzeugt hat, dass das Personal ausreichend

qualifiziert ist, kann er die Aufgabe delegieren. Beispiele: Dauerkatheterwechsel, Wechsel einfacher Verbände, Messverfahren. im Einzelfall delegationsfähige ärztliche Leistungen: Ärzte müssen für den einzelnen Fall entscheiden, ob die Pflegefachkraft die nötigen Kompetenzen für die Maßnahme besitzt, und das Risikopotenzial der Maßnahme für den Patienten abwägen, beispielsweise bei Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen. nicht delegationsfähige ärztliche Leistungen: Diese Aufgaben müssen Ärzte selbst durchführen, da sie besonders schwierig oder risikoreich sind (z.B. Bluttransfusion anhängen). Alle Aufklärungsgespräche für Diagnostik und Therapie fallen ebenfalls unter diesen Bereich der nicht delegationsfähigen Leistungen. Bei der Delegation werden folgende Verantwortungsbereiche unterschieden: Anordnungsverantwortung: Wer delegiert, muss sicherstellen, dass die Anordnung richtig, klar und eindeutig ist und die beauftragte Person die nötigen Kompetenzen hat, um diese auszuführen. Er hat gleichzeitig die Überwachungspflicht. Übernahme- und Durchführungsverantwortung: Wer eine Aufgabe übernimmt, muss fachlich dazu in der Lage sein und die Verantwortung tragen. Bei der Durchführung der Maßnahme sollte sorgfältig und nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gearbeitet werden. Bei nicht eindeutigen Anweisungen sollte nachgefragt werden.

7.3.2.1 Anordnung Eine Anordnung, z.B. eines Arztes, muss klar und deutlich formuliert sein. Wird eine Tätigkeit delegiert, sollte dies

immer schriftlich erfolgen. Pflegende sollten bei unklarer Formulierung nachfragen und auf eine schriftliche Delegation bestehen, um Missverständnisse auszuschließen.

7.3.2.2 Weigerungsrecht – Remonstrationspflicht Anordnungen müssen „möglich und zumutbar“ sein. Liegen berechtigte Gründe (z.B. fehlende Kenntnisse, Maßnahme gefährdet nach Einschätzung der Pflegefachkraft die Versorgungsqualität) gegen die Übernahme einer delegierten Aufgabe vor, so darf/muss die Übernahme abgelehnt werden (Remonstrationsrecht). Wird dies nicht getan, liegt ein Übernahmeverschulden vor. Ausnahme: Lebensrettende Maßnahmen müssen immer ergriffen werden, sonst macht man sich unter Umständen der unterlassenen Hilfeleistung strafbar.

7.3.3 Schweigepflicht Wird im Strafgesetzbuch (StGB) § 203 und § 204 geregelt. Geheimnisse (= Informationen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und ein berechtigtes Interesse zur Geheimhaltung für den Betroffenen besteht) und Informationen des Patienten dürfen an keine Personen weitergegeben werden, die nicht an der Behandlung beteiligt sind (z.B. auch Angehörige und Freunde des Pflegeempfängers oder eigene Kollegen). Die Geheimhaltungspflicht gilt für medizinische und private Informationen. Pflegekräfte können durch eine ausdrückliche oder eine mutmaßliche Einwilligung von der Schweigepflicht entbunden werden:

ausdrücklich: Einwilligung wird schriftlich oder mündlich mitgeteilt mutmaßlich: Einwilligung liegt nicht vor, ist aber zu erwarten und die Nichtbeachtung liegt vermutlich im Interesse des Betroffenen (z.B. Benachrichtigung der Angehörigen, wenn Pflegeempfänger im Sterben liegt). Wenn Gefahr für Leib und Leben anderer Personen besteht, greift der rechtfertigende Notstand als Ausnahme von der Schweigepflicht – das gilt auch für Pflegekräfte. Die Schweigepflicht gilt auch über den Tod des Patienten hinaus und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

7.3.4 Körperverletzung Medizinische und pflegerische Eingriffe (z.B. Injektionen) stellen grundsätzlich eine Körperverletzung (StGB § 223) dar und bedürfen eines Rechtfertigungsgrunds, um vor dem Gesetz zulässig zu sein. Die wichtigsten Rechtfertigungsgründe sind: ausdrückliche Einwilligung (mündlich und schriftlich) mutmaßliche Einwilligung (z.B. bei bewusstlosen Personen) Nothilfe bei akuter Bedrohung, um größere Schäden zu verhindern (z.B. bei Reanimation)

7.3.5 Unterlassene Hilfeleistung Wird im § 323 c StGB geregelt. Wer bei Notfällen und allgemeiner Gefahr (Brand, Katastrophen usw.) keine Hilfe leistet, obwohl die Hilfe

erforderlich und das Hilfeleisten zumutbar war, kann bestraft werden. Wenn bereits Hilfe geleistet wird, ist keine weitere Hilfe erforderlich, allerdings muss man sich überzeugen, ob die Menschen vor Ort tatsächlich effektive Hilfe leisten. Einer Pflegefachkraft kann grundsätzlich zugemutet werden, weitere Hilfe anzufordern und eine Ersthilfe einzuleiten. Eine Hilfeleistung ist unzumutbar, wenn man sich z.B. selbst in Gefahr bringt.

7.3.6 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen bestimmten Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten. Eine Freiheitsentziehung ist die schwerste Form davon und liegt vor, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben ist. Willigt ein Patient in eine solche Maßnahme ein, ist sie rechtlich bedenkenlos. Grundsätzlich sind freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) nur bei Eigen- oder Fremdgefährdung zulässig, wenn sie dem Wohl des Patienten dienen (z.B. Notwendigkeit eines medizinischen Eingriffs, einer Behandlung etc.) und alle alternativen Maßnahmen erfolglos waren. Juristisch werden 2 Formen von FEM unterschieden.

7.3.6.1 Unterbringung Wird in § 1906 Abs. 1 BGB geregelt. Ein Patient wird gegen seinen Willen an einen anderen Ort gebracht. Folgende 2 Voraussetzungen rechtfertigen eine Unterbringung: Es liegt eine Selbst- oder Fremdgefährdung vor (z.B. bei Demenz oder psychischen Erkrankungen inkl. der

strafrechtlichen Unterbringung). Es ist eine Heilbehandlung notwendig und der Betroffene verweigert sie. Details regelt außerdem das Unterbringungsgesetz (UBG) der einzelnen Bundesländer.

7.3.6.2 Fixierung Wird in § 1906 Abs. 4 BGB geregelt und ist in 2 Formen unterteilt: Eine mechanische Fixierung (z.B. durch hochgestellte Bettseitenteile oder Fixierungsgurte) kann in einer Notsituation angewendet werden, z.B. bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung (§§ 32, 34, 35 StGB). Dafür muss eine schriftliche ärztliche Anordnung vorliegen. Für längere Fixierung (dauerhaft oder regelmäßig) ist zeitnah (spätestens am folgenden Werktag) eine richterliche Genehmigung notwendig. Bei 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung wird die richterliche Genehmigung bereits nach 30 min notwendig. Vorsorgebevollmächtigte dürfen nicht über eine Fixierung entscheiden. Die medikamentöse Fixierung durch Schlafmittel und Psychopharmaka gilt dann als freiheitsbeschränkende Maßnahme, wenn sie allein aus dem Grund erfolgt, einen Menschen ruhigzustellen.

Merke Detaillierte Dokumentation Bei einer Fixierung muss jeder Schritt im Entscheidungsprozess dokumentiert sein (z.B. in hauseigenen Formblättern).

ACHTUNG

Bei einer 5- oder 7-Punkt-Fixierung muss eine kontinuierliche und persönliche Eins-zu-eins-Überwachung durch qualifiziertes Pflegepersonal gewährleistet sein. ▶ Pflegerelevante Aspekte . Bei einer Fixierung müssen nachfolgende Punkte beachtet werden: Durch die Fixierung werden Pflegebedürftige in die Bettlägerigkeit gezwungen. Dadurch steigt das Risiko für alle damit verbundenen (generellen) Pflegeprobleme, wie z.B. Sturz, Pneumonie, Thrombose, entsprechende ▶ Prophylaxen sind nach Bedarf durchzuführen. Zudem haben die Betroffenen psychischen Stress und Ängste, die häufig zu Depressionen führen können. Es besteht auch Verletzungs- und Strangulationsgefahr durch Gurte, daher muss regelmäßig der Hautzustand, die Durchblutung, Sensibilität und Motorik überprüft werden. Überwachung: Fixierte Personen müssen kontinuierlich überwacht werden. Anwendung: Die Fixierungen müssen korrekt angelegt werden. Entkleiden und Durchsuchen: Pflegebedürftige sollten nach Möglichkeit nicht entkleidet werden, um ihre Intimsphäre zu wahren. Vor der Fixierung müssen die Personen auf gefährliche Gegenstände (z.B. Feuerzeug, Messer etc.) durchsucht werden. Besprechen: Ist der Pflegebedürftige wieder verbal ansprechbar, sollte das weitere Vorgehen mit ihm besprochen und die Fixierung so bald wie möglich schrittweise aufgehoben werden. Fixierungen und FEM sollten möglichst vermieden werden, indem

das Verhalten hinterfragt und nach somatischen Ursachen gesucht wird (insb. Schmerzen bei Personen, die diese nicht adäquat äußern können), die Medikation überprüft wird, Deeskalationsstrategien angewendet werden, die Umgebung passend gestaltet wird, ausreichende personelle Betreuung gewährleistet wird, passende Maßnahmen der Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.14) geplant werden.

Merke Fixierungen Eine Fixierung darf niemals zur Arbeitserleichterung eingesetzt werden – sie führt auch zu keiner. Bei korrekter Durchführung benötigt der betroffene Pflegeempfänger intensive pflegerische Betreuung: Bobachtung, Dokumentation, Prophylaxen usw.

7.3.7 Schutz des freien Willens Grundsätzlich ist der freie Wille des Menschen zu respektieren. Kann ein Mensch die Folgen seines Handelns jedoch noch nicht oder nicht mehr vollständig überblicken, übernimmt eine zweite Person die Entscheidungen. Sie benötigt dazu eine Vertretungsvollmacht. Bei unter 18-Jährigen übernehmen diese Aufgabe automatisch die Sorgeberechtigten Bei kognitiv eingeschränkten Personen kann eine rechtzeitig erstellte Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung den freien Willen schützen.

▶ Vorsorgevollmacht. In einer Vorsorgevollmacht wird eine Vertrauensperson bevollmächtigt, sofort bestimmte Entscheidungen für die kognitiv eingeschränkte Person zu treffen, ohne von einem Vormundschaftsgericht bestellt worden zu sein. Diese Entscheidungen lassen sich auf bestimmte Bereiche (z.B. Vermögen, Gesundheit) beschränken.

ACHTUNG Pflegende sollten für jeden Patienten die Vertretungsvollmacht prüfen: Gibt es eine Vorsorgevollmacht und/oder Patientenverfügung? Gibt es einen Betreuer? ▶ Link. Ein vorgefertigtes Vollmacht-Formular kann vom Bundesjustizministerium (www.bmj.de) heruntergeladen werden. Eine notarielle Beurkundung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.

7.3.8 Sorgerecht Das Sorgerecht wird durch die §§1626 bis 1698b des BGB geregelt. Darin haben Eltern(-teile) das Recht zur Personensorge: Pflege, Beaufsichtigung und Erziehung des Kindes und Bestimmung seines Aufenthalts Vermögenssorge: Verwaltung des Kindesvermögens, inkl. Anlage und Verbrauch Bei ehelichen Kindern teilen sich Mutter und Vater das Sorgerecht, auch wenn sie später getrennt leben oder sich scheiden lassen sollten. Nur in bestimmten Fällen kann das Sorgerecht durch ein Familiengericht auf einen Elternteil übertragen werden. Grundlage für eine solche Entscheidung ist immer das Kindeswohl.

Bei nichtehelichen Kindern hat grundsätzlich die Mutter das Sorgerecht, außer beide erklären das Sorgerecht gemeinsam übernehmen zu wollen, ein Familiengericht überträgt es den Eltern gemeinsam, die Eltern heiraten, ein Elternteil beantragt das gemeinsame Sorgerecht und es steht dem Kindeswohl nicht im Weg. ▶ Auskunftsrecht. Sie dürfen nur Auskunft über die persönlichen Verhältnisse (z.B. Gesundheitszustand) eines Kindes geben, wenn der Elternteil auch das Sorgerecht hat, der Elternteil mit dem Sorgerecht diesem zugestimmt hat.

7.3.9 Betreuungsrecht Vertritt eine Person eine andere volljährige Person in rechtlicher Hinsicht, spricht man von einer Betreuung. Die Voraussetzungen sind in §1896 BGB geregelt: Es muss ein ärztliches Gutachten über eine psychische Erkrankung bzw. eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung vorliegen. Eine Einwilligung ist nicht zwangsläufig erforderlich. Grundsätzlich kann ein Betreuer nur bestellt werden, wenn der Patient seine Angelegenheiten ganz oder teilweise (Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkte Geschäftsfähigkeit) nicht mehr selbstständig erledigen kann. Der Betreuer muss immer im Sinne und zum Wohle des Betreuten entscheiden.

Unterschieden werden die Bereiche: Geldangelegenheiten, Aufenthaltsort, Gesundheitsfragen. Dabei können auch nur einzelne Aufgabenkreise innerhalb der Bereiche festgelegt werden. Der Betreuer muss fachlich und persönlich geeignet sein (Wünsche des Betreuten sind hierbei zu berücksichtigen). Zuständig für das Betreuungsverfahren ist das örtliche Betreuungsgericht. Wichtig: Der Pflegebedürftige wird bei Entscheidungen immer zuerst gefragt, dann der Betreuer. Solange der Betreute noch selbst entscheiden kann (d.h., sich der möglichen Konsequenzen bewusst ist), darf er das auch.

ACHTUNG Eine Betreuung ist keine Entmündigung! ▶ Link. Mehr Infos zum Betreuungsrecht finden Sie auf der Seite des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz unter www.bmj.de

7.3.10 Patientenverfügung Jeder volljährige Mensch darf (und sollte) eine Patientenverfügung (PV) verfassen. Darin trifft er vorab Entscheidungen darüber, wie in bestimmten Situationen oder Umständen verfahren werden soll, falls er zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ist, sich dazu zu äußern. Sie sichert die Selbstbestimmung eines Menschen.

Die PV ist bindend für das medizinische Personal. Wer sich nicht an die PV hält, macht sich strafbar. Bei der Formulierung muss einiges beachtet werden; daher ist es sinnvoll, vorgefertigte Formulare zu verwenden, z.B. vom Bundesgesundheitsministerium unter www.bundesgesundheitsministerium.de/patientenverfue gung.html Die Unterschriften sollten regelmäßig neu geleistet werden. Eine notarielle Beglaubigung ist nicht notwendig.

7.3.11 Testament Ein Testament ist die willentliche Bestimmung eines Erblassers. Darin wird zu Lebzeiten festgelegt, wer welches Vermögen nach dem Versterben erhalten soll. Es muss grundsätzlich vollständig handschriftlich (bei Bedarf als 3Zeugen-Testament) oder mithilfe eines Notars verfasst werden.

7.3.12 Fahrlässige Tötung Sie liegt vor, wenn ein Patient aus Unachtsamkeit zu Tode kommt, beispielsweise wenn durch Verwechslung ein falsches Medikament gegeben wird, was dann zum Herzversagen führt.

7.3.13 Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid Die rechtlichen Grundlagen dazu regeln das GG und das StGB. Bei der Sterbehilfe unterscheidet man die folgenden Begriffe:

aktive Sterbehilfe: Eine andere Person führt den Tod eines Sterbenden herbei. Geschieht dies auf Wunsch, spricht man von Tötung auf Verlangen. Wenn es gegen den Wunsch erfolgt, spricht man von Totschlag. Beide Formen sind verboten und strafbar. passive Sterbehilfe: Durch einen Therapieabbruch oder den Verzicht auf weitere Eingriffe, also durch das Unterlassen von Maßnahmen, tritt der Tod schneller ein. indirekte Sterbehilfe: Handlungen, die in der Sterbephase das Leiden nehmen, dadurch aber die Lebenszeit verkürzen, z.B. durch Schmerzmedikation Beihilfe zum Suizid: Bereitstellung von Medikamenten, die das Leben beenden. Wichtig dabei: Der Betroffene muss das Medikament selbstständig einnehmen können und die Konsequenzen dieser Medikamenteneinnahme verstehen. Die letzten 3 Formen sind in Deutschland nicht strafbar, sofern umfassende Beratungsgespräche angeboten wurden, in denen alle Handlungsoptionen dargestellt wurden. Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid sind komplexe Themen, die unter moralischen und rechtlichen Gesichtspunkten viel diskutiert werden. Weiteres zur ethischen Perspektive bei Sterbehilfe lesen Sie in Kap. ▶ 12.

7.4 Spezielle Gesetze im Pflegebereich Das Arzneimittelgesetz regelt eine ordnungsmäßige und sichere Arzneimittelversorgung von Menschen und Tieren. Verstöße können mit Gefängnisstrafen bestraft werden (siehe Kap. ▶ 20).

Die EU-Medizinprodukteverordnung (MDR) und die europäischen Vorgaben zu In-Vitro-Diagnostika (IVDR) regeln u.a. welche technischen und medizinischen Anforderungen notwendig sind, damit Medizinprodukte eingesetzt werden können. Auf nationaler Ebene werden in Deutschland diese Regelungen durch das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) ergänzt. Mehr Infos zu diesem Thema in Kap. ▶ 13.2.5 Das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz regelt die zivilrechtlichen Fragen von Pflege- und Heimverträgen und gilt für alle betreuten Wohnformen. Das Infektionsschutzgesetz regelt die gesetzlichen Pflichten zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen. Die Schaffung eines Informationssystems von Bund und Ländern ist gesetzlich vorgeschrieben. Das Transplantationsgesetz regelt, unter welchen Umständen bei Lebenden und bei Toten eine Organentnahme und eine Organspende gestattet sind. Auch hier muss der Betroffene eingewilligt haben, damit es zulässig ist (siehe auch Kap. ▶ 40.3.1 und Kap. ▶ 12.5.3).

7.5 Rechte von Kindern im Krankenhaus In Deutschland setzt sich das Aktionskomitee Kind im Krankenhaus (AKIK) u.a. für die Rechte von Kindern ein.

7.5.1 EACH-Charta Die 1988 entstandene Charta der European Association for Children in Hospitals (EACH) umfasst 10 Forderungen, die

aktuell in Deutschland noch nicht gesetzlich verankert sind. 1. Kinder sollen nur dann aufgenommen werden, wenn die Behandlung nicht ambulant erfolgen kann. 2. Kinder haben das Recht, eine Bezugsperson (Eltern) jederzeit bei sich zu haben. 3. Eltern sollen ermutigt werden mit dem Kind im Krankenhaus zu bleiben, um aktiv die Pflege zu übernehmen, ohne dass ihnen zusätzliche Kosten entstehen. 4. Kinder und Eltern sollen verständlich informiert werden, wobei jeder Form von Stress vorzubeugen ist. 5. Kinder und Eltern sollen in die Entscheidungen mit einbezogen werden. Unnötige Eingriffe sollen vermieden werden. 6. Kinder sollen mit anderen Kindern betreut werden, die entwicklungsbedingt ähnliche Bedürfnisse haben. Es soll keine Altersbegrenzung für Besucher von Kindern geben. 7. Die Umgebung soll dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechen und Möglichkeiten zum Spielen, zur Erholung und Schulbildung bieten. 8. Das betreuende Personal soll auf die speziellen Bedürfnisse von Kindern und Familien eingehen können. 9. Die Kontinuität der Pflege soll sichergestellt werden. 10. Kinder sollen mit Takt und Verständnis behandelt werden, ihre Intimsphäre ist jederzeit zu wahren.

7.5.2 Einwilligungen, Aufsicht und Haftung

Beide Elternteile müssen in geplante Interventionen bei unter 18-jährigen einwilligen. Es sei denn, ein Elternteil hat eine Bevollmächtigung des Partners oder der Eingriff ist alltäglich und harmlos, z.B. Blutentnahmen oder Injektionen. In akuten Situationen (in denen die Eltern nicht erreichbar sind) darf der behandelnde Arzt entscheiden. Eine Person gilt als einsichtsfähig, wenn sie Art und Umfang einer Maßnahme durch altersgemäße Aufklärung verstehen kann. Es gibt keine pauschal festgelegte Altersgrenze. Der behandelnde Arzt legt fest, ob Kinder selbstständig entscheiden dürfen. Ab 12 Jahren sollten Kinder mit in die Entscheidung einbezogen werden. Verweigern Eltern eine indizierte Behandlung, kann das Jugendamt die Pflegschaft vorübergehend übernehmen. Pflegende haben durch ihren Arbeitsvertrag die Aufsichtspflicht für die ihnen anvertrauten Kinder und müssen, auch wenn die Eltern mit aufgenommen sind, in regelmäßigen Abständen das Befinden der Kinder überprüfen. Pflegende sollten sich das Einverständnis der Eltern holen, wenn sie Maßnahmen durchführen wollen, die unter die Körperverletzung fallen, z.B. Haare oder Nägel schneiden. Freiheitsentziehende Maßnahmen bei Kindern Darunter versteht man den Einschluss oder die Unterbringung in einem Time-out-Raum, aber auch 3Punkt- oder 5-Punkt-Fixierungen Benötigt die Zustimmung des Sorgeberechtigten und eine familienrichterliche Genehmigung, bei der sich ein Verfahrensbeistand ein Bild der Situation machen

muss. Dieser sucht mit den beteiligten Personen nach alternativen Möglichkeiten, um freiheitsentziehende Maßnahmen zu vermeiden. Pflegerisch gelten die bereits beschriebenen ▶ Maßnahmen und Vorkehrungen.

KOMPAKT Rechtliche Grundlagen der Pflege Das GG steht über allen Gesetzen, enthalten sind die Menschen- und Bürgerrechte. Arbeitsrecht: Pflegende sind Angestellte: Rechte und Pflichten sind im Arbeitsvertrag festgehalten. Weisungsrecht hat immer der AG, der die Weisungsbefugnis weitergeben kann (z.B. an Vorgesetzte, Ärzte). Jede Weisung muss fachlich geprüft werden. Delegation: Unterscheidung in Anordnungsverantwortung (liegt z.B. beim Arzt) und Übernahme-/Durchführungsverantwortung. Anordnungen müssen verweigert werden, wenn notwendige Kenntnisse und Fertigkeiten fehlen (Remonstrationspflicht). Pflegekräfte unterliegen während der Arbeit immer der Schweigepflicht. Körperverletzung ist bei therapeutischen Maßnahmen mit (ausdrücklicher oder mutmaßlicher) Einwilligung oder im Notfall nicht strafbar. Pflegende sind zur Hilfe verpflichtet: Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind nur bei Selbst- oder Fremdgefährdung zulässig (Unterbringung und Fixierung).

Schutz des freien Willens: durch die Eltern, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung Betreuungsrecht: Ein Betreuer wird bestellt, wenn ein Patient seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbstständig regeln kann. Passive und indirekte Sterbehilfe sowie die Beihilfe zum Suizid sind in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Aktive Sterbehilfe ist verboten. Die EACH-Charta beschreibt die eingeforderten Rechte für Kinder im Krankenhaus.

8 Qualitäts- und Fehlermanagement 8.1 Pflegequalität Definition

Pflegequalität Pflegequalität ist der Grad der Übereinstimmung zwischen den Zielen der Berufsgruppe Pflege und dem erreichten Erfolg in der Pflege. Die Pflegequalität kann aus verschiedenen Perspektiven beurteilt werden. Die einzelnen Akteure des Gesundheitswesens verfolgen unterschiedliche Ziele: Den Krankenkassen ist die Kosteneffizienz pflegerischer Maßnahmen wichtig: hohe Wirkung bei niedrigen Kosten. Patienten wünschen sich guten und schnellen Behandlungserfolg. Der amerik. Wissenschaftler Avedis Donabedian (1919– 2000) unterteilt die Pflegequalität in 3 Kategorien: Strukturqualität = Rahmenbedingungen, unter denen pflegerische Leistungen erbracht werden (z.B. Anzahl und Qualifikation der Mitarbeiter oder Ausstattung mit Hilfsmitteln) Prozessqualität = direkte Pflege, also die Planung, Durchführung und Evaluation der Maßnahmen aus der individuellen Pflegeplanung unter Berücksichtigung von Pflegestandards Ergebnisqualität = Ergebnis der Pflegeleistung (geplantes Pflegeziel erreicht?); ausschlaggebend sind dabei die Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung, der Behandlungserfolg und die Mitarbeiterzufriedenheit Die Struktur- und Prozessqualität beeinflussen die Ergebnisqualität: Wird die Struktur- und Prozessqualität verbessert, führt das zu einer höheren Ergebnisqualität. Sind z.B. nicht ausreichend gut geschulte Mitarbeiter

vorhanden, die nach dem aktuellsten wissenschaftlichen Stand pflegen können, wirkt sich dies negativ auf den Behandlungserfolg der Patienten aus. Fiechter und Meier gliedern Pflegequalität zur genaueren Beschreibung in 4 Stufen ( ▶ Abb. 8.1). Qualitätsstufenmodell nach Fiechter und Meier. Abb. 8.1 Nach dem Modell kann die Pflegequalität in eine der 4 Stufen eingeteilt werden. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

8.1.1 Gesetzliche Grundlagen zur Pflegequalität Neben dem eigenen Interesse der Krankenhäuser, ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen besteht eine gesetzliche Verpflichtung, die pflegerische Qualität zu sichern und weiterzuentwickeln. Wichtige Regelungen finden sich im Sozialgesetzbuch (SGB V, XI) sowie in landesrechtlichen Heimgesetzen.

8.1.1.1 Krankenhaus SGB V – Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung: §70 beschäftigt sich mit Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit. Krankenkassen und Krankenhäuser haben dafür zu sorgen, dass eine bedarfsgerechte

Versorgung der Patienten nach dem aktuellsten Wissen erfolgt. Die Versorgung soll zudem zweckmäßig, also das Notwendige nicht überschreiten und wirtschaftlich sein. §135a regelt die Verpflichtung zur Qualitätssicherung (QS, oft auch Qualitätsentwicklung genannt). Die Leistungserbringer sind verpflichtet, die Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen zu sichern und weiterzuentwickeln. Dazu werden 2 Ansätze unterschieden: interne QS: Bearbeitung der konkreten Unterschiede von Soll- und Ist-Zustand, je nach Handlungsbedarf des Hauses externe QS: Beteiligung an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen, die einen Vergleich der Häuser ermöglichen, z.B. anhand der Anzahl neu entstandener Dekubiti, sowie die Teilnahme an Überprüfungen durch externe Organisationen nach festgelegten Kriterien (Zertifizierung).

8.1.1.2 Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtung SGB XI – Regelungen der sozialen Pflegeversicherung: §112 (Qualitätsverantwortung) macht die Pflegeeinrichtungen für die Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität verantwortlich. Sie sind verpflichtet, ein Qualitätsmanagement durchzuführen, die ▶ Expertenstandards umzusetzen und bei der Qualitätsprüfung mitzuwirken, die vom Medizinischen Dienst (MD) vorgenommen wird. Pflegekräfte oder Ärzte des MDK kommen ohne Vorankündigung in die Einrichtungen und überprüfen

neben den allgemeinen Pflegeleistungen die medizinische Behandlungspflege, die soziale Betreuung sowie Unterkunft und Verpflegung. Dazu werden auch Pflegebedürftige befragt. Die Ergebnisse der Qualitätsprüfung werden anschließend im Internet veröffentlicht und müssen in den Pflegeeinrichtungen aushängen. ▶ Heimgesetze. Das Heimgesetz (HeimG) regelte Rahmenbedingungen wie z.B. die Ausstattung, Qualifikation des Personals und Betreuungskonzepte in der stationären Pflege älterer, pflegebedürftiger oder volljähriger Menschen mit Behinderung. Mittlerweile wurde das HeimG durch das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) sowie durch landesrechtliche Regelungen ersetzt. Mehr Infos dazu in Kap. ▶ 35.

8.2 Qualitätsmanagement Definition Qualitätsmanagement Unter Qualitätsmanagement (QM) sind nach DIN EN ISO 9000:2015 alle Tätigkeiten zum Leiten und Lenken eines Krankenhauses bzw. einer Pflegeeinrichtung zu verstehen, die dazu dienen, die Qualität der angebotenen Dienstleistungen zu verbessern.

8.2.1 Grundsätze Um die vorhandene Qualität einer Einrichtung festzustellen, zu sichern und zu verbessern, werden folgende Grundsätze verfolgt:

Kundenorientierung: Im Mittelpunkt des QM steht die Zufriedenheit des Kunden. Verantwortung der Unternehmensleitung: Die Führungskräfte einer Einrichtung müssen die erforderlichen Bedingungen dafür schaffen, dass die Mitarbeiter den Qualitätsansprüchen gerecht werden können, z.B. durch einen angemessenen Personalschlüssel. Mitarbeiterorientierung: Die Mitarbeiter müssen über die notwendige Qualifikation zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen. Dies kann durch regelmäßige Fortund Weiterbildungen erreicht werden. Auch die Mitarbeitermotivation soll durch entsprechende Rahmenbedingungen gefördert werden. Prozessorientierung: Ein komplexes (Pflege-)Ziel wird in einzelne Teilschritte (Prozesse) untergliedert, die anschließend genau beschrieben werden, z. B. in Pflegestandards. Systemorientierung: Alle Prozesse (Leistungen, die eine Einrichtung erbringt) werden als System betrachtet. Diese stehen miteinander in Wechselbeziehung und müssen daher aufeinander abgestimmt sein. Verbesserung: Durch kontinuierliches Evaluieren der Leistungen können diese verbessert werden. Dies ist das Ziel des QM. Zusammenarbeit: Die gelungene Kommunikation und Kooperation mit allen beteiligten Partnern (z.B. Reinigungsfirma) sowie eine Zuverlässigkeit ist wichtig, um die eigene Qualität zu stärken. Für die Umsetzung der Grundsätze sind Qualitätsmanager gemeinsam mit der Unternehmensleitung zuständig. In der Qualitätspolitik werden die Absichten und Ziele eines

Unternehmens beschrieben. Wichtig dabei ist, dass alle Mitarbeiter darüber informiert sind und sich damit identifizieren können, um danach zu handeln. Folgende Themen sollten darin angesprochen werden: Selbstverständnis des Unternehmens = ▶ Leitbild Umgang mit Fehlern Anspruch an die eigene Leistung Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit Zur Erarbeitung der Ziele und Maßnahmen kann der PDCAZyklus (PDCA: plan, do, check, act) herangezogen werden ( ▶ Abb. 8.2). Er ist, wie der Pflegeprozess (siehe Kap. ▶ 3), ein Problemlöseprozess und wird spiralförmig und kontinuierlich durchlaufen. Dieser Zyklus ist dabei nicht nur dem QM vorbehalten: Pflegefachkräfte verwenden ihn meist täglich und unbewusst zur Qualitätssicherung ihrer Arbeit. PDCA-Zyklus. Abb. 8.2 Zur kontinuierlichen Steigerung der Qualität kann der PDCA-Zyklus eingesetzt werden. (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

8.2.2 Qualitätsmanagementsysteme Definition Qualitätsmanagementsysteme Bei QM-Systemen handelt es sich um bewährte Methoden/Strukturen zur Überprüfung der Prozess-, Struktur- und

Ergebnisqualität mit dem Ziel, die vorhandene Qualität zu erfassen, zu sichern und weiterzuentwickeln. Im deutschen Gesundheitswesen haben sich 3 QM-Systeme durchgesetzt: DIN EN ISO 9001: Das QM-System legt Mindestanforderungen für die Steigerung der Kundenzufriedenheit und die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse fest. Unternehmen können sich zertifizieren lassen, wenn sie alle Anforderungen erfüllen. Dies wird anhand eines QM-Handbuches überprüft. EFQM-Modell (EFQM: European Foundation for Quality Management) für Exzellenz: Mit diesem Modell können Unternehmen Stärken und mögliche Verbesserungsansätze identifizieren. Ein Unternehmen kann sich anhand eines Punktesystems selbst bewerten und sich bei Erreichen einer bestimmten Punktezahl um den Europäischen Qualitätspreis bewerben. KTQ-Verfahren (KTQ: Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen): Das Verfahren ist auf Krankenhäuser ausgerichtet und dient dazu, ein bereits vorhandenes QM-System zu bewerten und zu verbessern. Einrichtungen führen mithilfe des KTQManuals eine Selbstbewertung in festgelegten Kategorien anhand des PDCA-Zyklus durch. Nach Anpassung verschiedener Prozesse erfolgt eine Fremdbewertung durch KTQ-Visitatoren, die ein Zertifikat erteilen, sofern eine bestimmte Punktzahl erreicht wurde. ▶ Qualitätsmanagementsystem einführen. Ein QMSystem in einem Unternehmen einzuführen ist sehr komplex, da es einige Veränderungen mit sich bringt. Die Umsetzung sollte gut geplant und strukturiert nach dem

PDCA-Zyklus erfolgen. Audits (= Qualitätskontrollen) dienen dazu, das QM-System zu überprüfen. interne Audits z. B. durch QM-Beauftragte des Unternehmens externe Audits durch unternehmensfremde Personen, meist während einer Zertifizierung Das QM-Handbuch ist das zentrale Element der Dokumentation des QM-Systems. Folgende Punkte sollten enthalten sein: Angaben zur Qualitätspolitik, zum QM-System, zu den Bewertungssystemen, zum Unternehmensleitbild und zum Leistungsumfang des Unternehmens Hinweise zur Verwendung und Aktualisierung des QMHandbuchs Verfahrens- und Arbeitsanweisungen aller Prozesse innerhalb des Unternehmens

8.2.3 Instrumente zur Qualitätssteigerung Pflegeleitbild: beschreibt die Werte, Normen und Ziele der pflegerischen Arbeit Pflegeprozess und Dokumentation (siehe Kap. ▶ 3) Pflege- und Expertenstandards (siehe Kap. ▶ 3.5) Pflegevisite (siehe Kap. ▶ 3.6.5) Patientenfallbesprechung: interdisziplinäre Besprechung über den Behandlungsprozess und die pflegerische Versorgung eines Patienten. Es wird die Wirkung bisheriger Maßnahmen evaluiert und Alternativen diskutiert. Ebenso können bei der Versorgung auftretende ethische Konflikte analysiert werden. Daher wird die Patientenfallbesprechung

überwiegend bei Patienten mit komplexen/multiplen Krankheitsbildern abgehalten. Mitarbeiterqualifizierung: Durch regelmäßige Fort-, Weiterbildungen und lebenslanges Lernen tragen Pflegende zu einer hohen Qualität ihrer Arbeit bei. Mitarbeitergespräche (oder Personalentwicklungsgespräche) finden zwischen einem Mitarbeiter und einer Führungskraft statt. Mögliche Themen sind die Zusammenarbeit, bestehende Probleme, Leistungen und (Weiterentwicklungs-)Ziele des Mitarbeiters. Qualitätszirkel: interdisziplinäre Arbeitskreise, die Maßnahmen zur Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung besprechen Beschwerdemanagement legt eine systematische Vorgehensweise im Umgang mit Beschwerden fest und dient dazu, durch Aufdeckung von Schwachstellen Verbesserungspotenziale zu finden. In Befragungen wird überprüft, ob die im QM gesetzten Ziele erreicht werden konnten. Risikomanagement ist eine Führungsaufgabe, in der die aktuellen und potenziellen Risiken in einer Gesundheitseinrichtung identifiziert, analysiert und bewertet werden, um Schaden von Patienten, Mitarbeitern und Besuchern fernzuhalten.

8.3 Patientensicherheit und Fehlermanagement Definition

Patientensicherheit Patientensicherheit bedeutet nicht nur die Abwesenheit von unerwünschten Ereignissen. Auch Maßnahmen, die zur Vermeidung von unerwünschten Ereignissen und zur Einhaltung von Qualitätsstandards beitragen, werden unter diesem Begriff zusammengefasst.

Definition Fehlermanagement Das Fehlermanagement beschreibt einen systematischen Umgang mit Fehlern in der Organisation. Ziel ist es, Fehler zu erkennen, zu beurteilen und zu korrigieren. Es soll eine Unternehmenskultur geschaffen werden, die offen mit Fehlern umgeht, sie nicht als Versäumnis einer einzelnen Person zuschreibt und die versucht, aus Fehlern zu lernen. Fehlerberichtssysteme Grundgedanke: Man kann aus Fehlern anderer lernen. Ziel: Patientenversorgung verbessern und Patientensicherheit erhöhen Fehlerarten: unerwünschtes Ereignis, vermeidbares unerwünschtes Ereignis, Fehler, Beinaheschaden, Behandlungsschaden anonymisierte Erfassung von Ereignissen, die zu physischen oder psychischen Schädigungen von Patienten, Mitarbeitern und/oder Besuchern hätten führen können bzw. führten Diese Ereignisse werden analysiert, Lösungs- und Verbesserungsstrategien werden entwickelt und

anschließend wird der gesamte „Fall“ anonymisiert und unternehmensintern veröffentlicht. Das meistverbreitete System: CIRS (Critical Incident Reporting System) ▶ Links. Anonymisierte Berichte über kritische Ereignisse im Gesundheitswesen können hier eingesehen werden: www.kh-cirs.de www.cirsmedical.de

KOMPAKT Qualitäts- und Fehlermanagement Pflegequalität ist der Grad der Übereinstimmung zwischen den Pflegezielen und dem erreichten Erfolg. Donabedian unterteilt die Pflegequalität in 3 Kategorien: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Das Qualitätsstufenmodell von Fiechter und Meier unterteilt in 4 Stufen von gefährlicher bis optimaler Pflege. Gesetzliche Grundlage sind SGB V (§70 Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit und §135a Interne und externe Qualitätssicherung) und SGB XI (§112 Qualitätsverantwortung, überprüft durch den MDK). Qualitätsverbesserung erfolgt mithilfe des PDCAZyklus. Qualitätsmanagementsysteme: DIN EN ISO 9001, EFQMModell für Excellence und KTQ-Verfahren Instrumente zur Qualitätssteigerung: Pflegeleitbild, Pflegeprozess, Pflege- und Expertenstandards, Pflegevisite, Patientenfallbesprechungen, Mitarbeiterqualifizierung, Qualitätszirkel etc.

Das verbreitetste Fehlerberichtssystem ist das Critical Incident Reporting System (CIRS).

Teil II Mit Menschen arbeiten 9 Grundlagen der Entwicklung und Psychologie 10 Mit Menschen kommunizieren 11 Mit Menschen zusammenarbeiten 12 Ethisch handeln

9 Grundlagen der Entwicklung und Psychologie 9.1 Der Mensch

Die Pflege ist besonders durch die enge Zusammenarbeit mit Menschen geprägt. Daher ist es besonders wichtig, sich zu fragen, was den Menschen ausmacht.

9.1.1 Der Mensch aus verschiedenen Perspektiven Das komplexe Wesen des Menschen beschäftigt viele Wissenschaftsbereiche, wobei jeder Bereich einen etwas anderen Schwerpunkt bei seinem Menschenbild setzt. Naturwissenschaftlich-medizinische Perspektive: Der Fokus liegt auf rein körperlichen Prozessen. Krankheit entspricht einer Störung des „Funktionierens“ nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip. Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten des Menschen: mit Wahrnehmungs-, Denkund Verarbeitungsprozessen, Gedächtnis, Lernen etc. Die psychosomatische Perspektive beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen von Körper und Geist und ist die Schnittmenge von Psychologie und Medizin. Die soziologische Perspektive sieht den Menschen als ein Wesen, das mit anderen Menschen zusammenlebt und sich mit ihnen austauscht. Sie beschäftigt sich mit Rollen, Erwartungen, Gruppen, Gemeinschaft etc. Der kulturwissenschaftliche Ansatz geht von dem starken Einfluss der Kultur auf den Menschen aus. Er beschäftigt sich mit Wertesystemen, Traditionen, Bildung, Philosophie etc. Die philosophische Perspektive versteht den Menschen als ein Wesen, der seinem Leben einen Sinn geben möchte. Auslöser sind häufig existenzielle Erfahrungen (Krankheit, Leid, Tod).

Die ethische Perspektive sieht den Menschen als ein denkendes und gestaltendes Wesen, das nach bestimmten moralischen Werten handelt, wie Gerechtigkeit und Solidarität. Aus der theologischen Perspektive ist der Mensch ein Wesen, das übernatürliche Erfahrungen macht bzw. eine Verbindung mit einer übernatürlichen (meist göttlichen) Macht eingeht.

9.1.2 Das Menschenbild in der Pflege Pflegekräfte kommen mit allen Menschenbildern in Berührung und bilden häufig die Schnittstelle zwischen den einzelnen Disziplinen. Das Menschenbild in der Pflege ist stark von dem Begriff der „Ganzheitlichkeit“ geprägt: Ganzheitlichkeit = Wechselwirkung und Zusammenspiel von physischen, psychischen und sozialen Anteilen des Menschen Ganzheitliche Pflege = sich mit dem Menschen als Ganzem auseinandersetzen (Biografie, Lebenssituation, Fähigkeiten zur Selbstpflege) Kritik: Der absolute Anspruch einer ganzheitlichen Wahrnehmung und Betreuung des Pflegebedürftigen ist in der Praxis nur bedingt realisierbar.

9.2 Entwicklungspsychologie Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit der Entstehung und Veränderung psychischer Funktionen. Die zentrale Frage ist: Welche Faktoren (Veranlagung, Umwelt, Erziehung etc.) beeinflussen das Denken, Erleben und Verhalten eines Menschen im Verlauf seines Lebens?

Daraus ist das Modell „Entwicklung über die Lebensspanne“ mit 4 Hypothesen entstanden. Der Entwicklungsprozess: 1. dauert lebenslang und ist individuell, 2. vollzieht sich mehrdimensional (körperlich, kognitiv, sozioemotional), 3. ist formbar (veränderbar) und 4. wird von mehreren Faktoren beeinflusst (z.B. Erbanlagen und Umwelt).

9.2.1 Psychosexuelle Entwicklung nach Freud Grundlage des Ansatzes von dem Arzt Sigmund Freud (1856–1939) ist die Psychoanalyse. Die Theorie geht davon aus, dass der Mensch immer in einem Konflikt steht zwischen den biologischen Bedürfnissen (Trieben) und dem gesellschaftlich erwarteten Verhalten. Die Persönlichkeitsentwicklung ist nach Freud abhängig von dem Umgang mit aggressiven und sexuellen Trieben in der Kindheit. Die Entwicklung verläuft in 5 Phasen: 1. orale Phase (0–1 Jahr): Erfahrung der Umwelt durch den Mund 2. anale Phase (1–3 Jahre): Gefühl von Selbstbestimmung durch Zurückhalten von Urin und Stuhl 3. phallische Phase (3–6 Jahre): Kind begehrt gegengeschlechtlichen Elternteil 4. Latenzphase (6–12 Jahre): Triebe werden auf kulturelle Interessen (z.B. Lesen) umgelenkt, das ÜberIch entwickelt sich 5. genitale Phase (ab 12 Jahren): führt zur Partnersuche

Treten Störungen in den einzelnen Phasen auf, kann dies zu Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter führen. Die Persönlichkeit besteht aus 3 Teilen: Das „Es“ hat biologische Bedürfnisse. Das „Ich“ vermittelt zwischen eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen. Das „Über-Ich“ hat Ideen und Vorstellungen darüber, was richtig und falsch ist.

9.2.2 Psychosoziale Entwicklung nach Erikson Der Psychoanalytiker Erik H. Erikson (1902–1994) geht davon aus, dass der Mensch immer in einem Konflikt zwischen 2 Gefühlen steht. Durch die Bewältigung dieser Krisen in den Phasen entsteht eine gesunde Persönlichkeit. Das Modell unterscheidet 8 Phasen: 1. Vertrauen vs. Misstrauen (1. Lebensjahr): Durch eine Bezugsperson wird Urvertrauen entwickelt; fehlt es an Zuwendung, entsteht Misstrauen. 2. Autonomie vs. Scham und Zweifel (2. und 3. Lebensjahr): Das Kind entdeckt die Umwelt und wird selbstständiger. Wird es kritisiert, eingeschränkt oder überfordert, kann ein fehlendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entstehen. 3. Initiative vs. Schuldgefühl (4. und 5. Lebensjahr): Das Kind möchte die Welt begreifen und stellt viele Fragen. Leistungsdruck und zu viele Angebote können dies beeinträchtigen. 4. Kompetenz vs. Minderwertigkeitsgefühl (6. Lebensjahr bis Pubertät): Das Kind vergleicht sich mit

anderen und entdeckt eigene Begabungen. Durch Misserfolge und Kritik kann es sich minderwertig fühlen. 5. Identität vs. Identitätsdiffusion (Pubertät bis 20. Lebensjahr): Jugendlicher sucht seine Identität. 6. Intimität und Solidarität vs. Isolierung (20–45 Jahre): „Ich“ verwandelt sich in manchen Bereichen in ein „Wir“. 7. Generativität vs. Selbstabkapselung (45–65 Jahre): Weitergabe von Wissen und Erfahrungen. Gelingt dies nicht, fehlt das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. 8. Integrität vs. Verzweiflung (65 Jahre bis Tod): Der ältere Mensch reflektiert sein Leben; ist er mit dem Ergebnis unzufrieden, kann das Gefühl von Sinnlosigkeit und Angst vor dem Tod entstehen.

9.2.3 Verhaltenspsychologische und lerntheoretische Ansätze 9.2.3.1 Behaviorismus Durch ein Experiment belegte der Psychologe John Watson (1878–1958), dass es beim Menschen möglich ist, ein Verhalten durch die Wiederholung von Reizen „zu trainieren“ (= Konditionierung).

9.2.3.2 Operante Konditionierung Nach dem Psychologen B. F. Skinner (1904–1990) können erwünschte Verhaltensweisen durch positiv verstärkende Reize (z.B. Belohnung, Lob) und negativ verstärkende Reize (z.B. Tadel) hervorgerufen werden.

9.2.3.3 Lernen durch Beobachtung Das Lernen durch Beobachtung bzw. am Modell von Psychologe Albert Bandura (1925–2021) ist eine der

wichtigsten Theorien des sozialen Lernens. In dieser Theorie haben Vorbilder eine große Bedeutung für das Erlernen bestimmter Verhaltensweisen.

9.2.4 Kognitive Entwicklungstheorie nach Piaget Die Grundgedanken der Theorie von Biologe Jean Piaget (1896–1980) sind, dass ein Kind seine Entwicklung aktiv mitentwickelt, es sich durch eigene kognitive Vorstellungen seine Umwelt erklärbar macht und diese Vorstellungen durch Erfahrungen aus der Umwelt immer wieder angepasst werden (Adaption). Für die Adaption sind 2 Prozesse entscheidend: 1. Assimilation: Neue Informationen werden so verändert, dass sie zu der aktuellen Vorstellung passen. 2. Akkommodation: Die neue Entdeckung lässt sich nicht in die aktuellen Vorstellungen integrieren, man passt sich an und eine neue bzw. erweiterte Vorstellung wird erstellt. Die Entwicklungsphasen nach Piaget können Sie der ▶ Abb. 9.1 entnehmen. Die 4 kognitiven Entwicklungsphasen nach Piaget. Abb. 9.1  (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2015)

9.2.5 Entwicklungsaufgaben nach Havighurst Nach Erziehungswissenschaftler Robert J. Havighurst (1900– 1991) stellt jede Lebensphase bestimmte Aufgaben an ein Individuum, die es bewältigen muss. Sie lassen sich in 3 Bereiche aufteilen: Biologie/Körper: Wachstum, Pubertät, Klimakterium Gesellschaft: Bildung und Beruf Person (Wünsche, Ziele, Werte): Berufswunsch, Wunsch nach Familie

KOMPAKT Mensch und Entwicklungspsychologie Nur durch die ganzheitliche Betrachtung können alle Bedürfnisse des Menschen erfasst werden. Sie ist die Grundlage umfassender Pflege. Die Entwicklungspsychologie untersucht, wie sich die psychischen und kognitiven Funktionen (Denken, Erleben, Verhalten) im Verlauf des Lebens entwickeln. Dabei werden 5 grundlegende Ansätze bzw. Theorien unterschieden:

Die psychosexuelle Entwicklung nach Freud, wonach der Mensch im Konflikt zwischen den Trieben und dem gesellschaftlich erwarteten Verhalten steht. Die psychosoziale Entwicklung nach Erikson, bei der Menschen im Konflikt zwischen 2 Gefühlen stehen. Die verhaltenspsychologischen und lerntheoretischen Ansätze nach Watson, Skinner und Bandura, bei denen es um das Erlernen von Verhaltensweisen geht. Die kognitive Entwicklungstheorie nach Piaget, die beschreibt wie Kinder sich die Welt erklärbar machen. Die verschiedenen Entwicklungsaufgaben nach Havighurst, die in jeder Lebensphase an ein Individuum gestellt werden.

9.3 Die Lebensphasen Das Wissen über Veränderungen in den Entwicklungsphasen dient bei jüngeren Personen dazu, Störungen rechtzeitig zu erkennen und kann bei Erwachsenen helfen, deren Erleben und Verhalten besser zu verstehen. Von den jeweiligen Risikofaktoren können Pflegemaßnahmen abgeleitet werden, die zur Förderung der Gesundheit beitragen.

9.3.1 Kindheit Definition Kindheit Sie wird in 4 Abschnitte unterteilt:

pränatal/perinatal: Empfängnis bis Geburt Säuglings- und Krabbelalter: Geburt bis etwa 2 Jahre frühe Kindheit: 2–6 Jahre mittlere Kindheit: 6–11 Jahre Die Entwicklung des Kindes wird durch die Sozialisation beeinflusst, welche als Prozess der Eingliederung eines Individuums in die Gesellschaft und deren Normen, Werte und soziale Rollen definiert werden kann. Die Sozialisation verläuft in 3 Phasen: 1. primäre Sozialisation: Erziehung und Interaktion in der Kernfamilie 2. sekundäre Sozialisation: durch Kindergarten, Schule, Freunde 3. tertiäre Sozialisation: durch den Beruf

9.3.1.1 Entwicklungsbereiche Motorische Entwicklung: Mit Start der Fetalperiode (ab ca. 9. Woche) beginnen ungeborene Kinder, sich zu bewegen. Bei Neugeborenen sind die Bewegungen vor allem durch die „Primitivreflexe“ geprägt. Mit der Zeit werden die Bewegungen kontrollierter. Wichtige Meilensteine sind das Greifen, Umdrehen, Sitzen, Krabbeln, Stehen und Gehen. Entwicklung der Sinneswahrnehmung: Riechen und Schmecken sind bereits im Mutterleib vorhanden. Hören: Ab der Hälfte der Schwangerschaft werden Geräusche wahrgenommen, die Stimme der Mutter wird wenige Tage nach der Geburt erkannt.

Sehen ist zunächst nur bis 25 cm möglich, ab dem 6. Monat ist die Sehschärfe wie bei einem Erwachsenen. Emotionale Entwicklung: Grundlage für eine normale Entwicklung ist eine verlässliche Bindung zu mind. einer Bezugsperson. Säuglinge treten v.a. durch soziales Lächeln/Lachen und Fremdeln in Interaktion. Ab ca. 18 Monaten erlebt das Kind selbstbezogene Gefühle wie Stolz und Scham, ab dem 3./4. Lebensjahr (LJ) lernt es, das sich nicht alles um sich selbst dreht und entwickelt soziale Kompetenzen. Kognitive Entwicklung: nach ▶ Piaget Sprachliche Entwicklung verläuft in 5 Stadien: Lallstadium ab ca. 4 Monaten, silbenähnliche Laute („Lalala“) Einwortstadium ab ca. 12 Monaten, z.B. Mama, Ball Zweiwortstadium ab ca. 18 Monaten, z.B. Ball haben Telegrammstil ab ca. 24 Monaten, kurze einfach Sätze Ab dem 3. Lebensjahr nimmt der Wortschatz deutlich zu Moralische Entwicklung verläuft in 3 Stufen: 1. Autoritätsmoral: Das Kind orientiert sich an einer Bezugsperson, die entscheidet, was richtig oder falsch ist. Im Mittelpunkt stehen die eigenen Interessen (Belohnung). 2. Gruppenmoral: Das Kind orientiert sich an Regeln der Gruppe, um dazuzugehören.

3. Grundsatz-/Prinzipienmoral: ethische Werte, wie Gleichberechtigung aller Menschen, werden verinnerlicht.

Merke Durchschnittswerte Alle Altersangaben dienen nur als Anhaltspunkte. Die individuelle Entwicklung kann in einzelnen Bereichen davon abweichen, ohne dass eine Entwicklungsstörung vorliegt. Erst wenn ein Kind in mehreren Bereichen deutlich zurücksteht, sollte eine Entwicklungsstörung in Betracht gezogen werden, besonders wenn Kinder bereits erworbene Fähigkeiten wieder verlieren.

9.3.1.2 Entwicklungsstörungen in der Kindheit Risikofaktoren in der pränatalen Phase: Erkrankungen, psychische Belastungen oder Fehlverhalten der Mutter, genetische Defekte in der perinatalen Phase: Komplikationen im Geburtsverlauf in der weiteren Entwicklung: v.a. psychosoziale Probleme und schlechte Paarbeziehung der Eltern, emotionale Zurückweisung, sexueller Missbrauch, Gewalt, zu hoher Medienkonsum, Mangelversorgung bei schwierigen Lebensbedingungen (z.B. Ernährung, Vorsorgeuntersuchung), Schul-/Versagensängste Krankheiten wie z.B. ▶ Autismus, ▶ Hypothyreose oder ▶ Herzfehler können zu Entwicklungsstörungen bei Kindern führen.

Präventive Ansätze

Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft und im Kindesalter (U1–U11), bei denen die Untersuchungsergebnisse im Mutterpass bzw. im Kinderuntersuchungsheft dokumentiert werden. kommunale/aufsuchende Familiengesundheitspflege in prekären Settings (Wohnvierteln) Schulung aller an der Erziehung/Bildung beteiligten Berufsgruppen auf Risikofaktoren

9.3.2 Jugend/Adoleszenz umfasst die Zeitspanne vom 11.–18. Lebensjahr. Die Pubertät beschreibt die Phase, in der die Geschlechtsreifung stattfindet. Bei Mädchen setzt diese ca. 2 Jahre früher ein als bei Jungen. Entwicklungsaufgaben sind: selbstständig werden, komplexe Denkfähigkeit entwickeln, gesunde Gemeinschaft mit Gleichaltrigen pflegen, mit der körperlichen Reifung umgehen, eine Sexualmoral entwickeln und sexuelle Beziehungen eingehen sowie die eigene Identität finden (vgl. Kap. ▶ 9.2 und Kap. ▶ 9.6)

9.3.2.1 Entwicklungsstörungen in der Jugend Risikofaktoren Alkohol- und Drogenmissbrauch durch Konformitätsdruck der Peergroup (besonders bei Jungen) Essstörungen (besonders bei Mädchen) Leistungsdruck und Versagensängste in der Schule Konflikte in der Schule/mit Gleichaltrigen (Mobbing), mit den Eltern, dem Partner oder Liebeskummer können im Extremfall zu einem Suizidversuch führen. Selbstmord ist die zweithäufigste Todesursache bei deutschen Jugendlichen.

Präventive Ansätze Vorsorgeuntersuchungen J1 und J2 sonstige Ansätze wie bei Kindern

9.3.3 Erwachsenenalter Die längste Phase des Lebens wird in 3 Abschnitte unterteilt: frühes Erwachsenenalter (18–40 Jahre): Herausforderungen besonders im sozialen Bereich, z.B. Wechseln in das berufliche Umfeld und Aufbau neuer sozialer Kontakte, Eingehen von festen Partnerschaften, Gründen einer Familie. Verantwortung wächst und dadurch steigt der Erfolgsdruck. Wiederholtes Scheitern kann zu Entwicklungsstörungen führen. mittleres Erwachsenenalter (40–65 Jahre): Das eigene Leben wird reflektiert, nicht selten mit der Konsequenz einer radikalen Lebensveränderung (Midlife-Crisis). Sie wird auch als die „Rush-Hour“ des Lebens bezeichnet, da es mehrere Belastungen gibt. Die eigene Karriere wird weiterverfolgt, gleichzeitig benötigen die Kinder und ggf. Eltern Hilfe. Es kommt zu ersten degenerativen körperlichen Veränderungen. Das Klimakterium („Wechseljahre“) hat bei Frauen körperliche und psychische Auswirkungen, die sehr belastend sein können. spätes Erwachsenenalter (ab 65 Jahre bis zum Tod): Da dieser Abschnitt sehr lang ist und die Menschen sehr unterschiedlich sind, wird diese Zeitspanne nach Lebensjahren nochmals unterteilt: Höheres Lebensalter (65–80 Jahre) und hohes Lebensalter (80+ Jahre). Zudem wird das kalendarische Alter (Geburtsdatum) vom biologischen Alter (gesundheitliche und geistige

Verfassung) unterschieden. Neben den körperlichen Veränderungen (s.u.) gibt es einschneidende Ereignisse, z.B. die Selbstständigkeit der Kinder oder das Ausscheiden aus dem Berufsleben. Bedeutende Risikofaktoren sind Altersarmut, soziale Isolation und Entwurzelung (Altern außerhalb der vertrauten Umgebung).

9.3.3.1 Psychosoziale Alterstheorien Es gibt verschiedene Alterstheorien, welche die Veränderung des psychosozialen Erlebens im Alter sehr unterschiedlich beschreiben: Defizitmodell (überholt): reduziert Altern auf das Schwinden körperlicher und geistiger Fähigkeiten, die zum sozialen Rückzug führen. Disengagementtheorie: Ältere besinnen sich auf sich, ziehen sich zurück. Aktivitätstheorie: Ältere wünschen sich viele soziale Kontakte. Kontinuitätstheorie: Der Wunsch nach dem Maß an sozialen Kontakten hängt von der Persönlichkeit ab. sozial-emotionale Selektivitätstheorie: Abnahme sozialer Kontakte durch Wegfallen von zweckgebundenen Kontakten (Beruf), dafür sind vorhandene Kontakte intensiver. Kompetenzmodell: zufriedenes Altern ist möglich, wenn Menschen auch im Alter ihre Kompetenzen/Interessen pflegen, z.B. das Lernen einer Sprache.

9.3.3.2 Physiologische Veränderungen im Alter Veränderungen, die im Laufe des Lebens auf natürliche Weise eintreten, werden als Biomorphose bezeichnet. Die

Biomorphose verläuft individuell, es lassen sich jedoch typische Altersveränderungen benennen. Diese sind: verringerte Bewegungs- und Leistungsfähigkeit: u.a. da die Körperzellen im Alter weniger Flüssigkeit speichern und es außerdem zu einem physiologischen Muskelabbau kommt Veränderungen der Haut: Die Zellteilungsfähigkeit erschöpft sich. Die Haut wird dünner, weniger elastisch und Fettpolster nehmen ab. Die Schweiß- und Talgsekretion lässt nach, wodurch die Funktion des Säureschutzmantels abnimmt (→ begünstigt Pilzinfektionen). Veränderungen der Knochen: Die Knochentrabekel werden schmaler und weniger. Daher verringert sich die Knochenstabilität (wichtig: Sturzprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17.14 ). Veränderungen der Organe: Durch die Abnahme der Zellmasse nimmt z.B. auch die Funktionsfähigkeit der Nieren, des Gehirns, der Leber und der Lunge ab. Veränderungen des Wasser- und Elektrolythaushalts: Der Wassergehalt des Körpers sinkt im Alter auf unter 50 % und das Durstgefühl ist reduziert (Gefahr der Exsikkose). Veränderung der Sensorik: Einschränkung von Sehund Hörfähigkeit, der Sprachwahrnehmung sowie des Tastsinns verlängerte Reaktionszeit: Im Alter benötigt man mehr Zeit, neue Informationen aufzunehmen, sie zu verarbeiten, neue Abläufe zu begreifen und sie einzuüben. ▶ Auswirkungen auf den Alltag. Alle zuvor beschriebenen Veränderungen sind ein Teil des physiologischen Alterungsprozesses. Meistens wirken sie sich negativ auf

das Wohlbefinden des alternden Menschen aus. In dieser Situation ist es sinnvoll, nicht der nachlassenden Leistungsfähigkeit nachzutrauern, sondern die bestehenden Fähigkeiten und Möglichkeiten zu erkennen und zu fördern.

9.3.3.3 Pathologische Veränderungen im Alter Physiologische Veränderungen bei alten Menschen erhöhen das Risiko für pathologische Veränderungen. Die 5 häufigsten Krankheitsanzeichen (die sog. geriatrischen Is) sind: Immundefizite Immobilität Instabilität Inkontinenz iatrogene Störungen (unerwünschter krankhafter Zustand als Folge einer diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme) Darüber hinaus leiden alte Menschen häufiger an chronischen Erkrankungen. Liegen mehr als zwei chronische Erkrankungen vor, wird von ▶ Multimorbidität gesprochen.

9.4 Persönlichkeitspsychologie Persönlichkeit beschreibt die Gesamtheit aller zeitlich stabilen Persönlichkeitsmerkmale/-eigenschaften (Traits), die das Verhalten und Erleben eines Menschen beeinflussen. Mit diesen Traits beschäftigt sich die Persönlichkeitsforschung. Über die Jahre haben sich 5 Eigenschaften („Big Five“) bei der Beschreibung einer Persönlichkeit bewährt. Diese sind:

Bedürfnis nach emotionaler Stabilität Extraversion (Introversion als Gegenteil) Offenheit gegenüber Neuem Verträglichkeit (gegenüber anderen Menschen) Gewissenhaftigkeit Um ▶ Persönlichkeitsstörungen zu identifizieren, wird eine Einschätzung zu den folgenden 5 Kriterien vorgenommen: Reaktionen auf und der Umgang mit Emotionen Leistungsfähigkeit Autonomie im eigenen Handeln und Verhalten Fähigkeit zur Anpassung an die jeweilige Umwelt Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen

KOMPAKT Lebensphasen und Persönlichkeitspsychologie Die Lebensphasen eines Menschen lassen sich unterteilen in Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter: Die Entwicklung im Kindesalter lässt sich in Bereiche einteilen und beschreiben, z.B. die motorische oder emotionale Entwicklung. Verschiedene Risikofaktoren (z.B. Komplikationen in der pränatalen Phase, während der Geburt, psychosoziale Probleme) können die Entwicklung eines Kindes stören. Präventive Maßnahmen wie die Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter (U1–U11) sollen diese frühzeitig erkennen. In der Jugend/Adoleszenz stehen die körperliche Reifung und die zunehmende Selbstständigkeit im

Mittelpunkt. Leistungs- und Konformitätsdruck können in dieser Phase zu Störungen in der Entwicklung führen. Das Erwachsenenalter wird durch die physiologischen Veränderungen im Alter geprägt (z.B. verringerte Bewegungsfähigkeit, Veränderung der Sensorik). Verschiedene Alterstheorien beschreiben, wie sich Aspekte des psychosozialen Lebens im Alter verändern (z.B. Defizitmodell oder Kompetenzmodell). Die Persönlichkeitspsychologie beschäftigt sich mit den zeitlich stabilen Merkmalen des Menschen im Verhalten und Erleben. Mit den „Big Five“ (emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit) lässt sich eine Persönlichkeit beschreiben.

9.5 Bedürfnisse, Motive und Emotionen 9.5.1 Bedürfnisse Unter einem Bedürfnis versteht man ein zunächst nicht zielgerichtetes Verlangen, einen Mangelzustand zu beseitigen oder einen besseren Zustand zu erreichen. Der Psychologe Abraham Maslow (1908–1970) hat in Form einer Pyramide die Bedürfnisse hierarchisiert ( ▶ Abb. 9.2). Grob unterscheidet Maslow 2 Arten: Defizitbedürfnisse (essentielle Bedürfnisse): deren Nicht-Befriedigung kann zu physischen oder psychischen Erkrankungen führen

Wachstumsbedürfnisse: sind grenzenlos und können daher nie vollständig erfüllt werden Es müssen zunächst die unteren Bedürfnisse, die Defizitbedürfnisse, erfüllt sein, bevor die höher stehenden Wachstumsbedürfnisse relevant werden. Menschen haben ständig unterschiedliche Bedürfnisse, diese können sich zwischen den Personen unterscheiden und auch von der Hierarchie abweichen. Für Pflegekräfte ist es wichtig, die für den Pflegeempfänger wichtigsten Bedürfnisse herauszufinden und danach die Pflege zu planen, um ihm bei der Bedürfnisbefriedigung zu helfen. Pflegeempfänger benötigen Hilfe dabei, ihre existenziellen Bedürfnisse (körperliche Grundbedürfnisse und Sicherheitsbedürfnisse) zu befriedigen (z.B. Schlaf wegen Schmerzen nicht möglich, Störungen in der Nahrungsaufnahme) Bedürfnispyramide nach Maslow. Abb. 9.2 Nach Maslow kommen die höher stehenden Bedürfnisse erst zur Geltung, wenn die darunter aufgeführten Bedürfnisse erfüllt sind. (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

9.5.2 Motivation Motive leiten unser Handeln, sie sind antreibender Grund für ein Verhalten. Bei unschlüssigen Verhaltensweisen ist es sinnvoll, nach den Motiven zu schauen, die sich dahinter verbergen. Die aus einem Motiv resultierende Handlungsbereitschaft bezeichnet man als Motivation. Es wird dabei in intrinsische (von innen) und extrinsische (von außen) Motivation unterschieden. Je wahrscheinlicher eine Zielerreichung und je wichtiger das Ziel, desto höher wird die Motivation sein. Man spricht von Leistungsmotivation, wenn jemand seine Situation durch ein bestimmtes Verhalten verbessern möchte. Dabei ist die intrinsische Motivation besonders wichtig.

Die intrinsische Motivation eines Patienten kann gestärkt werden, indem z.B. Ressourcen gewürdigt, erreichbare Ziele gesteckt, Ziele verdeutlicht, ein positives Feedback gegeben wird.

9.5.3 Emotionen Die Begriffe „Emotionen“ und „Gefühle“ werden oft synonym verwendet. Einige Autoren unterscheiden jedoch: Gefühl = innere subjektive Empfindung Emotion = eine von außen erkennbarer Reaktion Emotionen entstehen in 4 Teilprozessen: 1. Wahrnehmen und Bewerten einer Situation (oft unbewusst) auf Grundlage unserer Erfahrungen und Wertesysteme 2. Intensität der subjektiv empfundenen Gefühle, abhängig von der Situation oder dem Menschen, der die Gefühle auslöst, z.B. Freude, Zuneigung, Gleichgültigkeit, Ärger, Angst, Abneigung, Niedergeschlagenheit, Scham und Trauer 3. körperliche Reaktion, wie z.B. Herzrasen bei Angst, Schwitzen bei Aufregung 4. Ausdruck der Emotionen durch Mimik, Haltung und Verhaltensweisen Emotionen sind wichtig, um schnell Entscheidungen zu treffen und sich so vor Gefahren zu schützen (z.B. Angst). Außerdem spielen sie im sozialen Miteinander eine entscheidende Rolle und motivieren uns, auf eine bestimmte Weise zu handeln.

9.6 Sexualität und Geschlecht Beim Geschlecht wird unterschieden in: Das biologisch-genetische Geschlecht (engl. sex): wird durch den Chromosomensatz bestimmt und an den sich daraus entwickelnden Geschlechtsteilen festgemacht. In der Pubertät entwickeln sich diese weiter und die sekundären Geschlechtsmerkmale (z.B. Brüste bei der Frau, Bartwuchs beim Mann) bilden sich aus. Die soziale Geschlechterrolle (engl. gender) basiert auf gesellschaftlichen Vorstellungen wie Jungen und Mädchen bzw. Männer und Frauen sich verhalten sollen. Aufgrund von Emanzipations- und Gleichberechtigungsbewegungen und diverser politischer Diskussionen weichen diese Vorstellungen in der Gesellschaft langsam auf (z.B. Einführung des dritten Geschlechts „divers“). Die eigene Geschlechtsidentität entwickelt sich bereits in den ersten Lebensjahren. Dabei sind sowohl das biologische Geschlecht als auch die durch Erziehung vermittelte soziale Geschlechterrolle wichtig. Meist durch die Entwicklung der Pubertät ausgelöst, bekommen manche Menschen Schwierigkeiten, ihr biologisches Geschlecht mit der Geschlechterrolle und ihrer eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen. Dies kann zu erheblichen Störungen führen.

9.6.1 Sexualität im Alter Sexualität ist nach Maslow ein körperliches Grundbedürfnis ( ▶ Abb. 9.2), das auch im Alter vorhanden ist. Viele ältere Menschen wünschen sich intime Nähe und

körperliche Partnerschaft. Es geht dabei nicht nur um den Geschlechtsakt, sondern überwiegend auch darum, mal in den Arm genommen und gestreichelt zu werden, sich zu küssen oder einfach nur eng nebeneinander zu sitzen. Oft werden diese Wünsche nicht ausgesprochen und ausgelebt, da sie mit Schamgefühlen behaftet sind, insbesondere wenn kein fester Partner mehr vorhanden ist.

9.6.2 Auswirkung von Krankheit auf Sexualität Sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, ist die Basis für erfüllten Sex. Durch eine Krankheit (z.B. Depressionen) und/oder ein verändertes Körperbild (z.B. nach Mamma-Ablation, Verlust einer Extremität oder bei Enterostoma) kann man sich schnell unattraktiv und unwohl fühlen. Auch die Partner der Betroffenen müssen lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Personen mit chronischen Krankheiten und chronischen Schmerzen erleben häufig sexuelle Beeinträchtigungen oder Funktionsstörungen und stehen bzw. fühlen sich ggf. unter Leistungsdruck durch den Partner. Das Thema sollte offen angesprochen werden. Die Betroffenen sind meist dankbar, dass ihre Beeinträchtigungen ernst genommen werden, selbst wenn keine schnelle Lösung vorhanden ist.

9.6.3 Sexualität und Pflege Wahrung der Intimsphäre Insbesondere, wenn die zu pflegende Person etwa gleichaltrig ist, kann es zu Schamgefühlen auf

beiden Seiten kommen. Bei der Aufnahme sollte erfragt werden, ob bei intimen Handlungen, wie z.B. Legen eines Katheters, eher eine gleich- oder gegengeschlechtliche Pflege bevorzugt wird. Das Bezugspflegesystem sichert die Intimsphäre auf struktureller Ebene: Immer dieselbe Pflegefachkraft unterstützt bei der Körperpflege und ist Ansprechpartner für sensible Themen. Weiterhin sollten alle Schritte bei Pflegemaßnahmen vorab kommuniziert werden, wobei umgangssprachliche Bezeichnungen für die Intimbereiche zu vermeiden sind. Abgrenzung von Annährungsversuchen Hinterfragen Sie, ob der Annäherungsversuch wirklich willentlich auf die Person bezogen erfolgt oder ob es sich um eine körperliche Reaktion aufgrund einer Pflegehandlung (z.B. Erektion bei Intimpflege am Morgen) handelt. Kommunizieren Sie offen und sachlich, dass kein Interesse besteht bzw. dass Sie nicht mit Kosenamen angesprochen werden möchten. Nutzen Sie Fallbesprechungen oder kollegiale Beratungen als Instrument, um situationsspezifische Handlungsempfehlungen zu bekommen. Pflegeempfängern sexuelle Selbstbestimmtheit ermöglichen ggf. auf Wünsche nach körperlicher Nähe eingehen, wenn es für einen selbst passt, z.B. sich neben einen Bewohner setzen und den Arm um die Schulter legen beim Reden.

In Langzeiteinrichtungen: abschließbare Einzelzimmer anbieten, Ehepartner bzw. neu gefundenen Partner auf Wunsch in einem Zimmer unterbringen, störungsfreie Zeiten ermöglichen, zeitliche Absprachen für Pflegemaßnahmen treffen, Raum und Zeit bieten, wo sich Bewohner/innen kennenlernen können, passive Sexualassistenten, mit denen offen über das Thema gesprochen werden kann.

9.7 Der Mensch zwischen Gesundheit und Krankheit Definition Gesundheit Laut der WHO ist „Gesundheit ein Zustand vollkommen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“. Die Definition verdeutlicht die verschiedenen Ebenen von Gesundheit, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Über den Begriff des Wohlbefindens können sich auch Menschen gesund fühlen, die aus medizinischer Sicht krank sind. Aber nicht jeder, der sich wohlfühlt, ist auch im medizinischen Sinne gesund.

Definition Krankheit Krankheit ist demzufolge definiert als Störung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens.

9.7.1 Pathogenese und Salutogenese 9.7.1.1 Pathogenese Die Pathogenese beschäftigt sich mit der Entstehung von Krankheiten. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den Ursachen und Risikofaktoren. Unser Gesundheitssystem ist bislang überwiegend pathogenetisch geprägt, d.h., der Fokus liegt auf einer schnellen Diagnosestellung und der Behandlung der Beschwerden.

9.7.1.2 Salutogenese Der Soziologe Aaron Antonovsky (1923–1994) stellt die Frage in den Mittelpunkt, warum Menschen trotz krank machender Einflüsse gesund bleiben bzw. was Menschen gesund erhält. Das Konzept der Salutogenese besteht aus 4 wichtigen Komponenten: Gesundheits-Krankheits-Kontinuum: Gesundheit und Krankheit sind 2 Pole. Im Laufe des Lebens bewegt sich der Mensch zwischen diesen Polen, wobei die Pole selbst nicht erreicht werden können. Man hat immer gesunde und kranke Merkmale gleichzeitig. Stressoren und Spannungszustände sind allgegenwärtig und wirken auf den Menschen ein. Widerstandsressourcen wirken sich positiv auf den Umgang mit den Stressoren aus, z.B. körperliche Faktoren, finanzielle und soziale Rückhalte. Kohärenzgefühl: Grundeinstellung zur Welt und zum Leben. Es wird stark durch die Erfahrungen, Erlebnisse und Lebensereignisse, insbesondere in der Kindheit, geprägt. Diese Einstellung ist abhängig von 3 weiteren Eigenschaften: Gefühl der Verstehbarkeit: Fähigkeiten, Informationen zu verarbeiten.

Gefühl der Handhabbarkeit: Vertrauen in sich selbst, Schwierigkeiten und Probleme bewältigen zu können. Gefühl der Sinnhaftigkeit: Das Leben mit seinen Herausforderungen hat einen Sinn.

9.7.1.3 Bedeutung für die Pflege Das Modell der Salutogenese spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Aufgabe der Pflege ist es, alle gesundheitsfördernden Kräfte und Ressourcen des Betroffenen gemeinsam mit ihm zu identifizieren und zu aktivieren. Durch Beratung können Pflegekräfte die Verstehbarkeit und Handhabbarkeit einer Erkrankung fördern.

9.7.2 Individuelle Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit 9.7.2.1 Gesundheitsverhalten Zu den individuellen Einflüssen auf Gesundheit und Krankheit zählt das individuelle Gesundheitsverhalten. Die eigenen Verhaltensweisen beeinflussen den persönlichen Gesundheitszustand (positiv oder negativ). Trotz besseren Wissens üben viele Menschen gesundheitsschädigende Verhaltensweisen aus. Es stellt sich die Frage nach dem Warum. Die 3 folgenden Modelle sollen helfen, dieses Verhalten zu verstehen, vorherzusagen und ggf. auch zu beeinflussen.

Health-Belief-Modell – Modell der gesundheitlichen Überzeugung Es sind 2 Hauptfaktoren relevant: Bedrohung: Inwieweit nimmt eine Person die Krankheit als Bedrohung wahr? Abhängig vom Schweregrad der

wahrgenommenen Symptome und der subjektiven Verwundbarkeit (z.B. bestimmte Krebserkrankungen in der Familiengeschichte). Kosten-Nutzen-Abwägung: Ist der Gewinn der gesundheitsfördernden Maßnahmen die Mühe wert? Je größer die Bedrohung ist und je mehr eine KostenNutzen-Abwägung zugunsten des Nutzens ausfällt, desto eher verändern Menschen ihr Gesundheitsverhalten. Daneben beeinflussen auch soziodemografische Faktoren (Geschlecht, Alter, soziale Schicht) und Handlungsanreize das Verhalten. Pflegende können dabei helfen, gesundheitliche Überzeugungen zu entwickeln, indem sie über die Bedrohung durch eine Krankheit aufklären, den Nutzen von förderlichen Maßnahmen verdeutlichen und bei den Kosten Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen.

Locus of Control (Kontrollüberzeugung) Es werden unterschieden: externale Kontrollüberzeugungen: Die eigene Gesundheit ist abhängig von äußeren Faktoren (z.B. Ärzte, Zufall, Schicksal). internale Kontrollüberzeugungen: Die eigene Gesundheit wird als beeinflussbar wahrgenommen. Dies ist förderlich für ein positives Gesundheitsverhalten und zentraler Punkt für die Übernahme von Eigenverantwortung für die Gesundheit und Selbstständigkeit beim Durchführen gesundheitsförderlicher Maßnahmen. Pflegende können internale Kontrollüberzeugungen stärken, indem sie z.B. körperliche Trainingsfortschritte positiv rückmelden und somit verdeutlichen, dass das eigene Verhalten Einfluss auf die Gesundheit hat.

Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) SWE beschreibt das Ausmaß des Vertrauens einer Person in die eigenen Fähigkeiten, eine Herausforderung zu bewältigen. Je höher die SWE, desto eher werden Personen ihr Gesundheitsverhalten erfolgreich ändern. Durch diese 4 Mechanismen kann die SWE gestärkt werden: 1. Bewältigungserfahrungen ermöglichen: kleine Erfolge des Patienten loben 2. Lernen am Modell/stellvertretende Erfahrungen: von Erfolgen anderer berichten („andere haben es geschafft, dann kann ich das auch!“) 3. verbale Informationsvermittlung/Überzeugung durch andere: auf der Grundlage von Fachkenntnissen nachvollziehbar erklären, dass der Patient es schaffen kann 4. emotionale Erregung: emotionale Blockaden durch Gespräche lösen

9.7.2.2 Begriffe und Modelle der Verhaltensänderung Compliance = Übereinstimmung des Patientenverhaltens mit medizinischen oder pflegerischen Empfehlungen. Adhärenz = Einhalten des gemeinsam vereinbarten Behandlungswegs (Patient – Arzt/Pflegefachkraft). Einhalten der Empfehlungen und die aktive Mitarbeit sind besonders bei chronisch Kranken wichtig. partizipative Entscheidungsfindung: Der Patient wirkt bei gesundheitlichen Entscheidungen mit. Dies kann die Adhärenz verbessern. Voraussetzung dafür ist: der Informationsaustausch in beide Richtungen, insbesondere die ▶ Patientenedukation Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten

Gleichberechtigung von Patient und Arzt/Pflegefachkraft Verantwortung wird gemeinsam übernommen ▶ Transtheoretisches Modell. Menschen durchlaufen verschiedene Stufen, bis sie ihr Gesundheitsverhalten dauerhaft verändert haben. 1. Absichtslosigkeit: Es besteht keine Intention, das problematische Verhalten in der nächsten Zeit zu ändern (Verleugnung). 2. Absichtsbildung: Es wird erwogen, das problematische Verhalten in den nächsten 6 Monaten zu verändern. 3. Vorbereitung: Erste Schritte werden eingeleitet. 4. Handlung: Das Gesundheitsverhalten wird geändert. 5. Aufrechterhaltung: Das geänderte Verhalten wird seit mehr als 6 Monaten beibehalten (Durchhaltevermögen). 6. Stabilisierung: Es gibt keine Rückfallgefahr mehr. Pflegende sollten die Absichtsstufe des Pflegeempfängers kennen, um konkrete und in dieser Stufe nötige Hilfestellungen geben zu können (z.B. auf Selbsthilfegruppen hinweisen, mit Informationsbroschüren versorgen).

9.7.3 Gesellschaftliche Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit Der Mensch beeinflusst nicht nur selbst sein GesundheitsKrankheits-Kontinuum. Er ist ebenso den Einflüssen seiner Umgebung und der Gesellschaft ausgesetzt: Gesundheits- und Krankheitsverständnis: Je nach Vorstellung von dem, was gesund oder krank ist, werden Kosten einer Therapie durch die Gemeinschaft finanziert

oder auch nicht (z.B. Anerkennung von Alkoholismus als Krankheit). die Lebensbedingungen (z.B. Krankenversicherungspflicht) die Zugehörigkeit eines Individuums zu bestimmten Gruppen: Die 5 Merkmale der gesellschaftlichen Stellung (Beruf, Einkommen, Bildung, Herkunft und Geschlecht) haben einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensbedingungen und das Gesundheitsverhalten. Die Gesundheitswissenschaften (Public Health) verfolgen die ▶ Gesundheitsförderung auf gesellschaftlicher Ebene. Durch die Maßnahmen konnten bereits zahlreiche Erfolge in verschiedenen Gesellschaftsgruppen erreicht werden (z.B. durch Hygienemaßnahmen, Infektionsprophylaxe, Impfkampagnen etc.).

9.7.4 Bewältigungsstrategien im Umgang mit Krankheit Jeder Mensch entwickelt während seines Lebens individuelle Strategien, um mit belastenden Situationen umzugehen. Diese Bewältigungsstrategien werden unter dem Begriff „Coping“ zusammengefasst.

9.7.4.1 Unbewusste Bewältigungsstrategien/Abwehrmechanismen Vor allem zu Beginn einer Krankheit schützen unbewusst ablaufende Reaktionen vor einer psychischen Überforderung, man spricht von Abwehrmechanismen: Verdrängung: Patient verdrängt angstauslösende Gedanken und Gefühle vorübergehend aus dem Bewusstsein.

Vigilanz: Patient nimmt bedrohliche Aspekte seiner Krankheit besonders intensiv wahr und versucht, sie durch gezielte Aufmerksamkeit zu kontrollieren (z.B. Dialysepatient lässt aus Angst vor einem Shuntverschluss die Punktion nur von einer vertrauten Pflegefachkraft zu). Regression: Die Psyche des Patienten greift auf frühere Entwicklungsstufen zurück, um das seelische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Patienten verhalten sich unselbstständig, sind oft unvernünftig, treffen ungern Entscheidungen und zeigen wenig Eigeninitiative.

9.7.4.2 Bewusste Bewältigungsstrategien Ein erster Schritt in Richtung bewusster Bewältigung ist, dass der Patient seine Krankheitssituation anerkennt und sich daraufhin seine Ressourcen bewusst macht. Mögliche Bewältigungsstrategien bzw. Reaktionen sind: handlungsorientierte Reaktionen, z.B. konstruktive Aktivität, Zupacken, Kompensation, Rückzug, Zuwendung kognitive Reaktionen, z.B. ablenken, Selbstaufwertung, Erfolge suchen, hinnehmen von allem, was die Krankheit bringt, Akzeptanz, Problemanalyse der Krankheit, Herunterspielen der Krankheit emotionale Reaktionen, z.B. Haltung bewahren, mit dem Schicksal hadern, Schuldzuweisungen, Fehler bei sich selbst suchen, Religiosität, Angst, Wut, Verzweiflung, Resignation

Merke Strategien

Nicht immer sind Bewältigungsstrategien, die Menschen mehr oder weniger bewusst ergreifen, auch hilfreich. Pflegende sollten herausfinden, welche Bewältigungsstrategie der Patient verfolgt, und ihn bei der Suche nach weiteren hilfreichen Strategien unterstützen. Dazu kann auch therapeutische bzw. seelsorgerische Unterstützung angeboten werden.

KOMPAKT Bedürfnisse, Sexualität und das Gesundheitsverhalten Die menschlichen Bedürfnisse lassen sich nach Maslow in Form einer Pyramide hierarchisieren. Neben den Bedürfnissen wird das menschliche Handeln auch durch Motive und Emotionen beeinflusst. Das Geschlecht eines Menschen lässt sich unterscheiden in das biologisch-genetische Geschlecht, die soziale Geschlechterrolle und die eigene Geschlechtsidentität. Sexualität gehört nach Maslow zu den körperlichen Grundbedürfnissen und spielt auch im Alter und bei Krankheit eine Rolle. Pflegende haben hier die Aufgabe, die sexuelle Selbstbestimmtheit und die Intimsphäre des Pflegebedürftigen zu ermöglichen und zu wahren. Der Mensch befindet sich im Laufe seines Lebens immer auf einem sogenannten Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit. Das Konzept der Salutogenese (Antonovsky) beschreibt, warum der Menschen trotz der vielen pathogenetischen Einflüsse (meistens) gesund bleibt.

Der Gesundheitszustand ist abhängig vom eigenen Gesundheitsverhalten, der Umwelt und der Gesellschaft. Jeder Mensch nutzt andere (bewusste und unbewusste) Bewältigungsstrategien (Coping), um mit seiner Krankheit oder belastenden Situationen umzugehen. Pflegende unterstützen den Patienten bei der Suche nach hilfreichen Strategien.

10 Mit Menschen kommunizieren 10.1 Grundlagen Wann immer Menschen zusammen sind, kommunizieren sie miteinander. Es ist ein Grundbedürfnis, sich anderen

mitzuteilen, dadurch stellen wir eine Beziehung zu anderen Menschen her.

10.1.1 Verbale Kommunikation erfolgt über die gesprochene Sprache oder das geschriebene Wort Gesagtes wird durch paraverbale Ausdrucksformen unterstützt, wie z.B. Wortwahl, Stimmlage, Sprechtempo, Lautstärke, Tonfall, Sprache und Formulierung. Verbaler und paraverbaler Ausdruck werden abhängig von der Gesprächssituation und der Beziehung der Gesprächspartner verwendet (z.B. Kommunikation mit Vorgesetzten versus Patient).

10.1.2 Nonverbale Kommunikation meist unbewusst über die Körpersprache unterstreicht die emotionale Bedeutung des Gesagten und weist auf das Befinden hin Körpersprache ist jedoch nicht immer eindeutig, z.B. aufgrund von kulturellen Unterschieden (siehe Kap. ▶ 42), Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehlern Pflegekräfte sollten bewusst auf die nonverbale Kommunikation der Patienten achten, um Emotionen und Bedürfnisse zu erkennen und darauf eingehen zu können. Zu den nonverbalen Ausdrucksformen gehören: Mimik, Blickkontakt, Gestik, Körperhaltung, äußeres Erscheinungsbild, räumlicher Abstand zueinander, Körperkontakt.

kongruente Nachricht = Verbale und nonverbale Botschaften drücken dasselbe aus. inkongruente Nachricht = Verbale Aussagen und nonverbale Botschaft stimmen nicht überein, es können Kommunikationsstörungen entstehen.

10.1.3 Die Axiome von Paul Watzlawick Die zwischenmenschliche Kommunikation ist sehr komplex. Um sie zu beschreiben, hat der Philosoph Paul Watzlawick (1921–2007) 5 Grundsätze (Axiome) formuliert, die unsere Kommunikation bestimmen. Mit den Axiomen möchte er zeigen, wie eng Kommunikation mit Beziehungen und Emotionen zusammenhängt und wieso es zu Konflikten und Missverständnissen innerhalb der Kommunikation kommen kann. Die 5 Axiome sind: 1. Man kann nicht nicht kommunizieren (Stichworte: nonverbale Kommunikation, Körpersprache). 2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt (Stichworte: Inhalt einer Aussage und zwischenmenschliche Beziehung). 3. Kommunikation besteht immer aus Ursache und Wirkung (Stichworte: Reiz und Reaktion). 4. Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten: analog = Beziehungsebene, z.B. durch Mimik oder Gestik digital = Sachinformation, z.B. durch Sprache oder Schrift 5. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär: symmetrisch = gleichrangig, z.B. Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Kollegen

komplementär = nicht gleichrangig, z.B. hierarchische Kommunikation zwischen Arzt und Patient Kommt es zu Missverständnissen innerhalb der Kommunikation, ist es hilfreich, sich der 5 Axiome bewusst zu sein und durch eine offene, vorwurfsfreie Kommunikation den Konflikt zu lösen.

10.1.4 Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun An einer Kommunikation sind ein Sender und ein Empfänger beteiligt. Der Sender verschickt immer Botschaften, die gleichzeitig beim Empfänger auf 4 Ebenen ankommen und interpretiert werden müssen ( ▶ Abb. 10.1). Dies läuft meist unbewusst ab, kann jedoch auch trainiert werden. Hört der Empfänger mit dem Ohr, das der Sender gemeint hat, gelingt Kommunikation. Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun. Abb. 10.1 Jede Nachricht hat 4 Seiten – jeder Empfänger hat 4 Ohren. (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

Wenn Sender und Empfänger unterschiedliche Seiten einer Nachricht als Kernaussage gewichten, kann es zu einer Kommunikationsstörung kommen. Durch gegenseitiges Rückfragen und Feedback können Unklarheiten und Missverständnisse beseitigt werden. Dazu haben sich folgende Feedback-Regeln bewährt: sich gegenseitig respektieren und achten Kritik am Verhalten und nicht an der Person äußern Ich-Botschaften senden, seine Gefühle mitteilen über die konkrete Situation sprechen und Verallgemeinerungen vermeiden Wünsche an den Gesprächspartner formulieren

10.2 Professionelle Kommunikationsgestaltung 10.2.1 Innere Haltung Unter der inneren Haltung können die Sicht von Pflegekräften auf ihre Pflegeempfänger sowie das Maß, in dem sich eine Pflegefachkraft auf den Pflegeempfänger einlassen kann, verstanden werden. Die innere Haltung hat einen großen Einfluss auf die Beziehungsgestaltung, das Kommunikationsverhalten und die Gestaltung der Pflege.

10.2.1.1 Personenzentrierter Ansatz nach Rogers Der Psychologe Carl Rogers (1902–1987) ging davon aus, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, sich zu verändern, in seiner Persönlichkeit zu wachsen und seine Probleme selbst zu lösen. Der Berater unterstützt den Patienten darin, seine Fähigkeiten und Ressourcen zu entdecken (Hilfe zur Selbsthilfe). Grundlage dafür ist eine vertrauensvolle Beziehung, die durch 3 Grundhaltungen des Beraters aufgebaut werden kann: Empathie (sich in den Gesprächspartner hineinversetzen) bedingungsfreie Akzeptanz (den Gesprächspartner so sein lassen, wie er ist) Kongruenz (in der Situation authentisch sein)

10.2.2 Aktives Zuhören Das aktive Zuhören zielt darauf ab, dass sich ein hilfe- oder ratsuchender Mensch verstanden und angenommen fühlt. Es baut dabei auf den 3 Grundhaltungen nach Rogers auf. Weitere Merkmale des aktiven Zuhörens sind:

zugewandte und offene Körperhaltung einsetzen wertschätzende, nicht wertende Art einnehmen eigene Meinung, Ratschläge und Urteile zurückhalten Patientenperspektive einnehmen ▶ 4-Ohren-Modell anwenden wahrgenommene Gefühle, Bedürfnisse oder Absichten rückmelden Techniken der Gesprächsführung offene Fragen stellen und nachfragen Aufmerksamkeit und Verständnis signalisieren Schweigen aushalten und nutzen auf inkongruentes Verhalten aufmerksam machen zusammenfassen, paraphrasieren, verbalisieren, Unklares klären

10.2.3 Empathie und Mitgefühl Definition Empathie Empathie ist die Fähigkeit, sich in Gedanken, Gefühle und Sichtweisen anderer Menschen hineinzuversetzen. Empathie kann weiter unterteilt werden in kognitive Empathie = erlernbare Fähigkeit, eine andere Perspektive vorübergehend einzunehmen, aber ohne das Leid zu nah an sich heranzulassen. emotionale Empathie = reales Mitfühlen von Schmerzen und Leiden anderer Menschen, das mit

körperlichen (Stress-)Reaktionen einhergeht. ▶ Mitgefühlstraining. Im Gegensatz zur emotionalen Empathie ist Mitgefühl ein positives Gefühl der Fürsorge. Es kann trainiert werden (z.B. in Workshops). Dabei wird das emotionale Mitempfinden in helfendes Verhalten umgewandelt. Zudem stärkt es die emotionale Widerstandsfähigkeit.

10.2.4 Entwicklung der Gesprächskompetenz Die Aspekte des Gesprächsfalters helfen, die eigene Gesprächskompetenz zu reflektieren und zu trainieren ( ▶ Abb. 10.2). Der linke Flügel steht für eine professionelle innere Gesprächshaltung. Der rechte Flügel beinhaltet einen kompetenten sprachlichen Ausdruck. Optimal ist es, wenn man immer beide Flügel im Blick hat. Innere Haltung und sprachlicher Ausdruck wirken aufeinander ein (Wechselwirkung) und stärken oder schwächen die Gesprächspartner und die Situation (Impulskraft). Gesprächsfalter nach Sandra Mantz. Abb. 10.2 Gesprächskompetenz kann erworben werden. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

10.3 Kommunikation in der Anwendung Pflegende haben täglich unzählige Gesprächssituationen mit unterschiedlichen Gesprächspartnern (Kollegen, Pflegeempfängern, Angehörigen, Ärzten etc.). Jedes Gespräch erfordert dabei Flexibilität, eine hohe

Auffassungsgabe und die stete Bereitschaft, sich auf die Situation und die Person einzulassen.

10.3.1 Kommunikation im Team und mit Ärzten Kommunikationsziele: Informationen über Pflege und Therapie zum Wohle des Patienten austauschen, ein wertschätzendes Arbeitsklima schaffen. Innere Haltung: Jedes Teammitglied ist wichtig und gehört dazu. Gesprächskultur: Informationen werden aktiv und vollständig weitergegeben, dabei wird differenziert und mit Fachwörtern berichtet. Feedback wird konstruktiv gegeben und regelmäßig selbst eingefordert. Nachfragen erfolgen konkret und eindeutig.

10.3.2 Kommunikation mit Pflegeempfängern aller Altersstufen und deren Bezugspersonen Kommunikationsziele: Die Person fühlt sich akzeptiert, sicher und ernst genommen. Innere Haltung: Jede Person verdient Aufmerksamkeit und Respekt. Jede vertrauensbildende Kommunikation ist förderlich für die Genesung. Bezugspersonen spielen für die Genesung und die weitere Versorgung eine wesentliche Rolle. Gesprächskultur: einfache und verständliche Sprache entsprechend dem kognitiven Entwicklungsstand nutzen, Pflegeempfänger und Bezugspersonen stets informieren und wo möglich im Pflegeprozess rechtzeitig integrieren.

Die nachfolgenden Hinweise gelten grundsätzlich für (fast) jede Kommunikationssituation. Sie sollten jedoch bei den genannten Personengruppen besonders berücksichtigt werden, da eine Missachtung schneller zu Kommunikationsstörungen sowie zum Vertrauensverlust führen kann.

10.3.2.1 Hinweise zur Kommunikation mit demenziell Erkrankten Bei einer Demenz ist die nonverbale oder paraverbale Kommunikation besonders wichtig. Folgende Empfehlungen können für die Kommunikation gegeben werden: Zentrieren Sie sich, indem Sie versuchen, die eigene Gefühlslage vor dem Kontakt auszublenden, um nicht unbewusst Stress und Eile auf den Patienten zu übertragen. Nehmen Sie Blickkontakt auf, und zwar vor jeder verbalen oder nonverbalen Kontaktaufnahme. Kommunizieren Sie über den Körper (z.B. über einen Händekontakt bei Ansprache). Nehmen Sie über biografische Informationen Zugang zum Patienten auf. Fassen Sie sich kurz: einfache, kurze Sätze, zu viel Information in einem Satz vermeiden Geben Sie Entscheidungshilfe (z.B. kurze und prägnante geschlossene Fragen stellen, keine WarumFragen). Zeigen Sie Wertschätzung (z.B. durch Verzicht auf Richtigstellung und Korrektur von Sachaussagen). Beenden Sie bewusst den Kontakt (z.B. die Hand zum Abschied geben und die Distanz vergrößern).

10.3.2.2 Kommunikation mit Kindern und ihren Bezugspersonen Ehrlichkeit ist wichtig, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, daher behutsam auf unangenehme Situationen vorbereiten und keine beschönigenden Aussagen treffen, wie z.B. „das tut nicht weh“ oder „die Medizin schmeckt gut“. Bezugspersonen einbinden und informieren, um sie auf ihre Rollen bei einer Maßnahme vorzubereiten, damit das Kind eine Unterstützung spürt. Geeignete Kommunikationsform entsprechend dem Entwicklungsstand wählen, ggf. Hilfsmittel einsetzten (z.B. Handpuppen etc.). Auch sehr kleine Kinder direkt ansprechen, damit sie wissen, was mit ihnen geschieht.

10.3.3 Humor in der Pflege Definition Humor Die Fähigkeit eines Menschen, negativen Dingen, Unzulänglichkeiten oder Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen und über sich und andere Lachen zu können. Humor ist nicht nur für betroffene Personen wichtig, sondern auch für Pflegende. In der Burnoutprävention wird Humor und gezieltes Lachen genutzt, um ▶ Stress abzubauen. Lachen wirkt sich dabei auf 3 Bereiche aus: physiologisch: Puls und Blutdruck normalisieren sich, Cortisol wird abgebaut, Spannung in der Muskulatur

wird reduziert, Durchblutung und Sauerstoffaustausch wird angeregt. psychologisch: Steigerung des Wohlbefindens, Durchbrechen von negativen Gedanken, Stärkung von Copingstrategien und Resilienz, verbesserte Akzeptanz der Krankheit, Verbesserung des Gedächtnisses sozial: Reduktion von zwischenmenschlichen Spannungen, Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und Enttabuisierung von peinlichen Situationen Im Pflegealltag Humor und Witz richtig einzusetzen, erfordert viel Einfühlungsvermögen und ein Gespür für die Situation. Basis für eine gelungene Umsetzung ist die genaue Beobachtung, wie der Gegenüber Humor nutzt und auf Humor reagiert. ▶ Link. Mehr zum Thema Humor in der Pflege finden Sie unter www.humorhilftheilen.de

KOMPAKT Grundlagen und Anwendung professioneller Kommunikation Paul Watzlawick formuliert 5 Axiome. Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun: Jede Nachricht hat 4 Seiten – jeder Empfänger hat 4 Ohren. Kommunikationsstörungen entstehen (u.a.), wenn verbale Aussagen und nonverbale Botschaften nicht übereinstimmen, der Sender und der Empfänger unterschiedliche Seiten einer Nachricht betonen. Durch Rückfragen und Feedback können Missverständnisse und Unklarheiten beseitigt und ihnen vorgebeugt werden:

Feedback-Regeln beachten! Der personenzentrierte Ansatz nach Rogers, Empathie, Akzeptanz und Kongruenz spielen eine zentrale Rolle in der Gestaltung von Pflegebeziehungen. Verbale und paraverbale Kommunikation ist abhängig von der Gesprächssituation und dem Gesprächspartner: Spricht man mit einem Vorgesetzten? Mit einem Patienten? Oder einem Kind? Kommunikation gelingt, wenn man sich bewusst auf den jeweiligen Kommunikationspartner (u.a. seine kognitive Fähigkeiten) und dessen (emotionale) Situation einlässt. Humor in der Pflege hilft Stress zu reduzieren und kann im Umgang mit Patienten ebenfalls positiv eingesetzt werden. Hier ist viel Fingerspitzengefühl gefragt.

11 Mit Menschen zusammenarbeiten 11.1 Soziale Rollen

Jeder Mensch nimmt in seinem Leben unterschiedliche Rollen ein (z.B. Rolle als Mutter, Schwester, Patient, Pflegefachkraft). An eine Rolle werden explizite (bewusste) und implizite (unbewusste) Erwartungen gestellt. Von einer Pflegefachkraft werden fachliche Expertise und soziale Kompetenz erwartet. Von einem Pflegeempfänger wird erwartet, dass er die angebotene Hilfe annimmt und den Empfehlungen der pflegerischen und medizinischen Fachkräfte folgt. Vorübergehend kann eine Rolle in den Vordergrund treten und eine andere in den Hintergrund.

Merke Rollen im Genesungsprozess Machen Sie sich im Umgang mit Pflegeempfängern immer bewusst, dass diese auch andere Rollen einnehmen (z.B. die Patientin, die zu Hause ihre kleine Tochter hat), da das Nichterfüllen-Können einer Rolle den Genesungsprozess beeinflussen kann. Rollenkonflikte Interrollenkonflikt = konkurrierende Erwartungen an eine Person in unterschiedlichen Rollen, z.B.: Freunde wollen sich abends treffen und man hat Spätschicht. Um Interrollenkonflikten im Pflegealltag vorzubeugen, sollte reflektiert mit persönlichen Gefühlen, Stimmungen und Einstellungen umgegangen werden. Intrarollenkonflikt = konkurrierende Erwartungen an eine Person in derselben Rolle (oft gleichzeitig), z.B.: Ein Patient muss auf Toilette, gleichzeitig benötigt der

Arzt Informationen und Angehörige wünschen eine Beratung.

11.2 Soziale Gruppen und Teams 11.2.1 Soziale Gruppen Eine soziale Gruppe besteht aus mindestens 2 Personen, die gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten und/oder die gleichen Interessen haben. Dazu interagieren sie über einen längeren Zeitraum miteinander, wodurch sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Es werden 2 Arten von Gruppen unterschieden: formelle Gruppen: Ziele, Normen und Rollen sind offiziell festgesetzt. Die Treffen werden i.d.R. fest organisiert und planmäßig geleitet (z.B. Schulklasse). informelle Gruppen: entwickeln sich spontan, Normen und Rollen sind nicht offiziell festgesetzt (z.B. Freundeskreis). Gruppenphänomene Ressourcen und Fähigkeiten können gebündelt werden, verschiedene Perspektiven können hilfreich sein, um ein Problem zu lösen. Die Arbeitsfähigkeit und die Motivation können abnehmen, keiner fühlt sich verantwortlich. Konformitätsdruck = Die Individuen in einer Gruppe verspüren den Druck, sich den in der Gruppe vorherrschenden Meinungen oder Denkweisen anzupassen. Groupthink = Durch den Wunsch nach Konsens in der Gruppe werden schlechte Entscheidungen getroffen, da

sich die Individuen innerhalb der Gruppe an die vermeintlich vorherrschende Meinung anschließen.

11.2.2 Von der Gruppe zum Team Definition Team Ein Team ist eine soziale Gruppe mit einem besonders starken Gruppenzusammenhalt, die sich für ihre Leistungen gemeinsam verantwortlich fühlt und in der die Mitglieder in hohem Maß miteinander interagieren.

11.2.2.1 Voraussetzungen für eine gute Teamentwicklung Die Mitglieder sind diszipliniert, zielorientiert, gesprächsbereit, kritikfähig, verantwortungsbewusst und vertrauen einander. Alle kommunizieren miteinander. Leistungen der einzelnen Mitglieder werden anerkannt und wertgeschätzt. Die Mitglieder sind bereit, voneinander zu lernen und Wissen und Erfahrungen weiterzugeben. Jeder hat ein Interesse daran, dass sich alle wohlfühlen.

11.2.2.2 Phasen der Teamentwicklung 1. Forming (Orientierung): sich als Team zusammenfinden oder sich neu in ein Team einfinden 2. Storming (Kampf- oder Konflikt): Suche nach der Position im Team und einer gemeinsamen Identität. Personen gehen sehr unterschiedlich damit um: Manche

lehnen sich auf, andere ziehen sich eher zurück. Die Phase kostet oft Kraft und Mut. Hier sind die Führungskompetenzen des Teamleiters gefragt. 3. Norming (Stabilisierung): Das Team hat sich gefunden. Gemeinsame Normen werden festgelegt. Die Teammitglieder öffnen sich füreinander und unterstützen sich durch Feedback. 4. Performing (Produktion): Das Team bündelt seine Ressourcen und kann leistungsstark auf das Ziel hinarbeiten. 5. Adjourning (Auflösung): Teams, die nur vorübergehend zusammenkommen (z.B. in Projekten), lösen sich auf. Die Zusammenarbeit endet.

11.2.2.3 Kollegiale Beratung Ist eine Form der professionellen Problemlösung durch eine Gruppe von beruflich Gleichgestellten und wird auch als Intervision bezeichnet. Voraussetzung ist die absolute Vertraulichkeit über die Inhalte. Die Beratung läuft nach vereinbarten Schritten ab, z.B.: 1. Die Rollen werden verteilt: Fragensteller, Moderator, Protokollant, Berater 2. Beratungssuchende Person berichtet kurz von ihrer Problematik und formuliert eine möglichst konkrete Frage zu dem Problem, ggf. unterstützt sie der Moderator. 3. Berater stellen ggf. Verständnisfragen und formulieren dann offen ihre Gedanken zur Problematik. 4. Nach einem Feedback der beratungssuchenden Person formuliert die Gruppe konkrete Lösungsvorschläge. 5. Die beratungssuchende Person beurteilt die Vorschläge und berichtet, wie sie weiter vorgehen möchte.

11.2.2.4 Kritik, Konflikte und Krisen im Team Viele nicht ausgesprochene Kritikpunkte können sich unbemerkt zu einem Konflikt bis hin zur Krise entwickeln, daher sollten diese frühzeitig angesprochen und bearbeitet werden. Kritik Zur Kritikfähigkeit gehören das Annehmen und das Üben von Kritik. Ziele von konstruktiver Kritik: Fehler minimieren, Qualität steigern, sich fachlich weiterentwickeln Übt man Kritik, sollte dies möglichst zeitnah, persönlich, unter 4 Augen und sachlich geschehen. Konflikte Ein Konflikt entsteht, wenn entgegengesetzte Interessen, Zielsetzungen oder Wertvorstellungen von Personen oder Gruppen aufeinandertreffen. Konfliktpotenzial haben z.B. der Dienstplan, unkoordinierte Tagesabläufe im interdisziplinären Team. Konfliktprävention: freundlicher und wohlwollender Grundton, Wertschätzung und Toleranz im Umgang ▶ Konflikteskalation. Findet in Ebenen und Stufen statt: 1. Ebene: Win-win → Beide Parteien können noch gut aus der Sache herauskommen. a. Verhärtung: Standpunkte prallen aufeinander b. Polarisation/Debatte: beharren auf eigenem Standpunkt, verbale Gewalt c. Taten statt Worte: dadurch entstehen Misstrauen und negative Gefühle 2. Ebene: Win-lose → Eine der Parteien ist der Verlierer.

a. Image und Koalitionen: Schlechtmachen der Gegenpartei, Verbündete für eigene Position suchen b. Gesichtsverlust: direkte Angriffe/Bloßstellung der Gegenpartei c. Drohstrategie zur Machtdemonstration 3. Ebene: Lose-lose → Beide Parteien verlieren. a. begrenzte Vernichtungsschläge ohne Rücksicht auf die eigenen Werte b. Zersplitterung der Gegenpartei c. gemeinsam in den Abgrund: absolute Konfrontation und Vernichtung beider Parteien ▶ Konfliktlösung. Tipps, um Konflikte zu meistern: Konflikt offen ansprechen sachlich bleiben nicht persönlich werden Ich-Botschaften verwenden Erlebnisse selbstkritisch reflektieren: Was ist mein Anteil am Konflikt? Wird ein Konflikt nicht gelöst, kommt es zu einem Fortschreiten der Eskalation. Die Ebene 1. kann noch ohne externen Choach gelöst werden. Für Ebene 2. und 3. wird eine externer Mediator benötigt. Krise Versteckte oder angesammelte Konflikte können eskalieren und zu einer Krise führen. Diese Krise ist oftmals ein Wendepunkt, der eine Veränderung zur Folge hat. Tipps, um eine Krise zu bewältigen: jeden Konflikt einzeln bearbeiten, Hilfe von außerhalb holen (z.B.

Supervision, Mediation) Teams, die zusammen Krisen gemeistert haben, bringt so schnell nichts mehr auseinander.

11.2.3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit Definition Interdisziplinarität Menschen unterschiedlicher Fachgruppen verbinden ihre jeweilige Fachkompetenz, um Lösungen für komplexe Aufgaben zu entwickeln. Ziele Kompetenzen, Wissen und Perspektiven zum Wohle des Patienten fächerübergreifend bündeln wirtschaftliche Situation des Unternehmens sichern Voraussetzungen gemeinsame Fachsprache Wertschätzung und Anerkennung unterschiedlicher Kernkompetenzen Kooperationsbereitschaft Kommunikationskompetenz strukturelle Voraussetzungen (z.B. Fallbesprechungen) Instrumente ▶ Case Management ▶ Primary Nursing Fallbesprechung

gemeinsame Dokumentationssysteme Disease-Management-Programme integrierte Versorgung

11.2.4 Autorität und Führung Mit der Autorität ist ein bestimmtes Ansehen verbunden. Es gibt verschiedene Formen, diese sind: Persönlichkeitsautorität, z.B. Personen, die durch ihre Ausstrahlung andere motivieren Fachautorität, z.B. Personen, die andere durch ihre Fachkompetenz beeindrucken Amtsautorität, z.B. durch eine offizielle Führungsposition ▶ Führungsstile. Forschungen zu den Führungsstilen und deren Auswirkungen haben gezeigt, dass es den idealen Führungsstil nicht gibt. Deswegen wurde der situative Führungsstil eingeführt, der sich an den zu erledigenden Aufgaben und den zu führenden Persönlichkeiten orientiert. Führungsverhalten ist je nach Situation: autoritär: Eine Person hat die Kontrolle (z.B. in Notfallsituationen gibt eine Person Anordnungen und diese werden sofort umgesetzt). demokratisch/partizipativ: Mitarbeiter entscheiden mit (z.B. bei Teambesprechungen werden alle Perspektiven angehört und dann wird abgestimmt). laissez-faire: Dieser Führungsstil bedeutet, dass die Führung sich zurückhält. Er kann sinnvoll sein, wenn Ideen und kreative Lösungen gesucht werden.

transaktional: durch Zielvereinbarungen (z.B. legt die Leitung fest wann ein Einarbeitungskonzept für die Station vorliegen soll. Eine Gruppe von Pflegekräften erarbeitet dieses selbstständig und wird hierfür freigestellt.) transformational: durch Inspiration (z.B. Leitung motiviert Mitarbeiter, indem sie diese in ihren Fort- und Weiterbildungsbestrebungen unterstützt)

11.3 Aufbau einer Pflegebeziehung 11.3.1 Pflegebeziehung und Pflegeprozess Die Beziehung zum Pflegeempfänger ist die Basis pflegerischen Arbeitens. Nur wenn eine vertrauensvolle Beziehung besteht, sind die Pflegeempfänger bereit, Informationen über sich preiszugeben, welche die Grundlage für den Pflegeprozess bilden (siehe Kap. ▶ 3). Auch für die Evaluation der Maßnahmen ist ein ehrliches Feedback des Pflegeempfängers notwendig. Zudem stärkt eine gute Beziehung die Aufnahmebereitschaft des Pflegeempfängers für Informationen von der Pflegefachkraft.

11.3.2 Professionelle Beziehungsgestaltung Die Hauptverantwortung für die Beziehungsgestaltung liegt bei der Pflegefachkraft. Diese Verantwortung ergibt sich aus ihrem Berufsbild und aus dem bestehenden Wissensunterschied.

▶ Erstkontakt. Lässt sich professionell durch folgende Maßnahmen gestalten: mit Namen und Funktion vorstellen Pflegeempfänger mit Räumlichkeiten vertraut machen nicht überfordern, relevante Informationen langsam und verständlich äußern Zeit für Rückfragen einplanen auf Unsicherheit und Ängste eingehen Weitere vertrauensbildende Maßnahmen: Transparenz: Abläufe erläutern, Sinn und Zweck von Interventionen verdeutlichen Verlässlichkeit: Absprachen und zeitliche Vorgaben einhalten, über Verzögerungen informieren Diskretion ist ein absolutes Muss (siehe Schweigepflicht in Kap. ▶ 7.3.3).

11.4 Unternehmenskultur im Gesundheitswesen Basis einer Unternehmenskultur sind die Grundüberzeugungen und Werte, formuliert in Leitbildern. Sie beeinflussen einerseits das Ansehen in der Öffentlichkeit, andererseits das Wohlbefinden und die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen. ▶ Umgangskultur. Trotz vorhandener Kommunikationsund Gesprächsführungskompetenz ist der Umgangston im Berufsalltag manchmal rau und unfreundlich. Dies liegt nicht zuletzt an den Arbeitsbedingungen und der Verdichtung der Pflegeleistungen, aber auch daran, dass in Notfallsituationen keine Zeit für höfliche „Floskeln“ ist.

Dennoch sollten dies Ausnahmesituationen bleiben. Alle Mitarbeiter sollten sich aktiv für einen angemessenen Umgang engagieren. Der Schlüssel ist die Selbstreflexion, durch die man sich die eigenen Gedanken, Sprachmuster und das tägliche Tun bewusst machen kann.

11.4.1 Mobbing im Pflegeberuf und Interventionsmöglichkeiten Obwohl Pflege zu den sozialen Berufen zählt, ist Mobbing ein recht häufiges Problem. Insbesondere bei Auszubildenden ist das Risiko erhöht, von Mobbinghandlungen betroffen zu sein. Zu diesen zählen u.a. Gerüchte, Sticheleien, Beleidigungen ungerechte Kritik und Darstellen als unfähigen Mitarbeiter Vorenthalten wichtiger Informationen und Arbeitsbehinderung Beim Mobbing gibt es verschiede Phasen, die unterschiedliche Auswirkungen beim Betroffenen haben ( ▶ Tab. 11.1 ). Tab. 11.1 Phasen des Mobbings und deren Auswirkung auf die Betroffenen. allgemeine Phasenspezifika

individuelle Symptome

individuelle Reaktionsweisen

Vorphase: eventuell latente keine Symptome Konflikte

keine Reaktion

Phase I: manifeste Konflikte psychosomatische entstehen Reaktionen

Versuch rationaler Konfliktbewältigung

Phase II: erste Angriffe/Eskalationen

Zunahme psychosomatischer Reaktionen

Argumentation/erste Abwehrreaktion

Phase III: Eskalation/Stigmatisierung

Behandlungsbedürftigkeit

hilflose/aggressive Abwehrreaktionen

allgemeine Phasenspezifika

individuelle Symptome

individuelle Reaktionsweisen Gegenattacken/Existenzangst

Phase IV: Steigerung der Aggression

psychosomatisches Krankheitsbild

Phase V: Kündigung/Prozesse

kompensatorische Flucht in Krankheit

Arbeitsplatzverlust/Isolation

Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

Präventionsmöglichkeiten Im Team: Teamentwicklungsangebote nutzen, Training zu Kritik- und Konfliktthemen, Kommunikationskompetenz stärken, sich klar gegen Mobbinghandlungen positionieren für den Einzelnen: Selbstwertgefühl aufbauen, soziales Umfeld und Netzwerk pflegen, eigene Resilienz stärken Interventionsmöglichkeiten, falls es dennoch zu Mobbing kommt: Suchen Sie aktiv das Gespräch mit den Personen. Ziehen Sie den Mobbingbeauftragten oder eine Vertrauensperson hinzu. Setzen Sie Ihren Vorgesetzten, Personalrat, Betriebsrat oder JAV in Kenntnis. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet zu reagieren.

KOMPAKT Mit Menschen zusammenarbeiten Jeder Mensch nimmt unterschiedliche Rollen ein. An diese Rollen werden explizite und implizite Erwartungen gestellt. Um Rollenkonflikten vorzubeugen bzw. zu begegnen, hilft es, sich seine eigene Rolle wie auch die des Gegenübers

bewusst zu machen. Gruppenphänomene können positiv sein (z.B. Fähigkeiten werden gebündelt, um Probleme zu lösen), aber auch Nachteile mit sich bringen (z.B. fühlt sich niemand verantwortlich). Die Entwicklung von einer Gruppe zu einem Team findet in 5 Phasen statt. Durch kollegiale Beratung können Teammitglieder bei der Problemlösung von den Kompetenzen der anderen profitieren. Unsachgemäßer Umgang mit Kritik kann zu Konflikten bis hin zu Krisen führen, daher ist Kritikfähigkeit eine zentrale Kompetenz. Im Inter- und intradisziplinären Team kann es unterschiedliche Autoritäten geben. Für eine gute Zusammenarbeit hat sich der situative Führungsstil etabliert. Um eine professionelle Pflegebeziehung aufzubauen, muss Vertrauen geschaffen werden: Seien Sie transparent, verlässlich und diskret. Mobbing gibt es auch in der Pflege und hat für Betroffene starke Auswirkungen, positionieren Sie sich als Einzelner und im Team klar dagegen.

12 Ethisch handeln 12.1 Grundlagen der Ethik Ethik wird im Allgemeinen als philosophische Disziplin verstanden, die sich darum bemüht, moralisches Handeln

durch theoretische Reflexion zu hinterfragen und zu begründen. Wichtige Definitionen in ethischen Kontexten: Moral: Gesamtheit von Normen, Grundsätzen und Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft steuern. Moralische Einstellungen beeinflussen meist unbewusst unser Handeln. Ethik: reflektiertes Nachdenken über das moralische Handeln, um zu begründeten Entscheidungen zu gelangen Normen: Regeln, Gebote, Gesetze oder Handlungsvorschriften, die Werte schützen oder realisieren und das Zusammenleben in einer Gesellschaft ermöglichen Werte: sind angestrebte Zustände oder Vorstellungen darüber, was Menschen in ihrem Leben als wertvoll erachten leiten unser Handeln und unsere Entscheidungen moralische Werte: Sie sind Grundsätze, die das menschliche Miteinander betreffen, wie z.B. Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Treue, Mitmenschlichkeit, Frieden, Verantwortung. pflegerische Werte: Achtung der Individualität, Stärkung der Position pflegebedürftiger Menschen, Hilfe zur Selbsthilfe, Fürsorge, Respekt, Schutz der Privatsphäre, Teilhabe, Kommunikation, Gesundheitsförderung Wertekonflikt: Werte können miteinander in Konflikt geraten. Würde: Die Würde des Menschen ist das höchste Gut: rechtliche Dimension: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ (Artikel

1 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte), „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland). moralische Perspektive: Die Würde eines Menschen kann missachtet, ihm jedoch nicht genommen werden. Weil der Mensch Würde hat, hat er einen Anspruch auf Unversehrtheit. Menschen, die nicht in der Lage sind, dieses Recht selbst durchzusetzen, sind besonders zu schützen (z.B. Kinder, Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen).

12.2 Warum braucht Pflege eine Ethik? Die Verletzlichkeit und Würde des Menschen fordern uns dazu auf, im Umgang mit anderen Menschen achtsam zu sein.

12.2.1 Verletzlichkeit Die Ethikerin Hille Haker (*1962) unterscheidet Verletzlichkeit als anthropologische und als moralische Kategorie: Verletzlichkeit als anthropologische Kategorie besagt, dass jeder Mensch verletzlich ist und dies Teil des Menschseins ist. Verletzlichkeit als moralische Kategorie: In Krankheit und Alter sind Menschen auf Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen. Diese Abhängigkeit macht verletzlicher: Pflege kann wohltun, sie kann aber auch missachten oder sogar schädigend sein.

12.2.2 Bedeutung für die Pflege Pflegekräfte verbringen viel Zeit mit dem Pflegeempfänger, müssen häufig in dessen Intimsphäre eingreifen und sind erster Ansprechpartner für Bedürfnisse, Sorgen und Ängste. Pflegekräfte … müssen die Würde des Menschen achten und schützen, sollten ihr Handeln ethisch reflektieren können und ethisch vertretbare Entscheidungen treffen können. Immer wieder kommt es hierbei zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Diese Entscheidungen haben gewichtigen Einfluss auf die Qualität des Lebens in Krankheit, Gesundwerden oder Sterben.

12.2.3 Verantwortungsbereiche in der Pflege In der Pflegeethik ergeben sich folgende besondere Verantwortungsbereiche ( ▶ Tab. 12.1 ). Tab. 12.1 Ethische Verantwortungsbereiche in der Pflege. Bereich

ethische Reflexion

eigenständiger Tätigkeitsbereich

… sich das „Besondere“ in der PflegeempfängerPflegefachkraft-Beziehung bewusst machen und hinterfragen, ob die Art der Pflegehandlung diesem speziellen Pflegeempfänger aus seiner subjektiven Sicht eher nutzt oder schadet

mitverantwortlicher Tätigkeitsbereich

… sich entscheiden müssen, wie zu handeln ist, um den eigenen Wertekonflikt zu lösen

medizinischer Fortschritt

… die Bedeutung der neuen Techniken für den Pflegeempfänger als Mensch hinterfragen

Pflegeforschung, management, -pädagogik

… sich der Verantwortung bewusst sein, die hier für andere Pflegende übernommen wird, und das eigene Handeln auf ethische Aspekte prüfen

12.2.4 Nutzen einer Pflegeethik Die Auseinandersetzung mit Pflegeethik dient der Reflexion persönlicher sowie berufseigener Werte und beeinflusst folgende Aspekte: Sicherung der Pflegequalität: Das Wohl und die Bedürfnisse der Pflegeempfänger werden in den Vordergrund gestellt, ethische Prinzipien werden bewusst beachtet und Werte werden gelebt. Bewältigung von Konflikten: Entscheidungen können begründet werden, die eigene Haltung kann überdacht werden, gegenseitiges Verständnis kann entwickelt werden. Analyse von Rahmenbedingungen: Es wird geprüft, inwieweit das System der Institution zulässt, dass ethische Prinzipien und Rechte der zu pflegenden Menschen beachtet werden können.

12.3 Ethische Normen für die Pflege 12.3.1 Der ICN-Ethikkodex ... basiert auf der Achtung der Menschenrechte und der Würde des Menschen sowie einem respektvollen Umgang miteinander. ... ist seit 1953 Leitfaden ethischer Verhaltensnormen, nach denen Pflegende handeln sollen, um sozialen Werten und Bedürfnissen gerecht zu werden. ... umfasst die Bereiche zwischenmenschliches Verhalten, Berufsausübung, Profession und kollegiales Miteinander.

Jeder Pflegende soll sich mit den Inhalten auseinandersetzen, sie in die Praxis überführen, Handlungen daraus ableiten und Pflegesituationen reflektieren.

12.3.2 Die Pflegecharta ... wurde im Jahr 2005 zum Schutz der Menschenwürde hilfe- und pflegebedürftiger Menschen erstellt, um die Rolle und Rechtsstellung dieser Menschen zu stärken und eine würdevolle Pflege zu ermöglichen. ... enthält 8 Artikel, die die Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen formulieren. Diese basieren auf den Grundrechten des Grundgesetzes sowie Gesetzen des Sozialrechts: Art. 1: Selbstbestimmung zur Hilfe und zur Selbsthilfe Art. 2: körperliche und seelische Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit Art. 3: Privatheit Art. 4: Pflege, Betreuung und Behandlung Art. 5: Information, Beratung und Aufklärung Art. 6: Kommunikation, Wertschätzung und Teilhabe an der Gesellschaft Art. 7: Religion, Kultur, Weltanschauung Art. 8: palliative Begleitung, Sterben und Tod Die Pflegecharta soll den verantwortlichen Personen und Institutionen der Pflege, Betreuung und Behandlung als Handlungsleitlinie dienen.

12.4 Ethische Reflexion und Entscheidungsfindung Durch ethische Reflexion soll eine verantwortbare Praxis gelebt werden. Ziel ist es, die eigenen Handlungen auf rationaler Ebene vernünftig, einsichtig und nachvollziehbar begründen zu können.

12.4.1 Prinzipienethik Die Prinzipienethik, geprägt von T.L. Beauchamp und J.F. Childress, vereint unterschiedliche Aspekte mehrerer Ethiktheorien. Prinzipien sind Verhaltensnormen, Gesetzmäßigkeiten oder feste Regeln, die als Richtschnur des Handelns dienen und die das Denken und Handeln einer Person leiten. Die 4 formulierten Prinzipien dienen als Orientierung zur ethischen Entscheidungsfindung in der Medizin und der Pflege: Prinzip des Respektes vor der Autonomie: Es fordert Pflegende dazu auf, das Recht des Pflegeempfängers zu achten, gemäß seinen Wertvorstellungen und seinem Glauben zu leben und Entscheidungen zu treffen (z.B. hinsichtlich Zustimmung, Ablehnung, Selbstbestimmung). Wesentlich im Rahmen der Autonomie ist die persönliche Haltung Pflegender: Inwieweit ein Pflegeempfänger seine Autonomie wahrnehmen kann, wird davon beeinflusst, wie ihm begegnet wird! Prinzip der Fürsorge: Es fordert dazu auf, zum Wohle des zu pflegenden Menschen zu handeln und schädigende Bedingungen zu entfernen, für seine Rechte einzutreten und diese zu schützen. Prinzip des Nichtschadens: Grundsätzlich sollen Pflegende dem Menschen, der Pflege bedarf, keinen

Schaden zufügen. Bei schwierigen Therapieentscheidungen ist eine Nutzen-RisikoAbwägung durchzuführen. Prinzip der Gerechtigkeit: Gleichbehandlung aller Menschen und gerechte Verteilung von Ressourcen

12.4.1.1 Anwendung in der Pflege Die hier vorgestellten Prinzipien werden in einer konkreten Situation gegeneinander abgewogen und dienen so der Entscheidungsfindung. Pflegerisches Handeln wird anhand der Prinzipien ethisch reflektiert: Worauf sollen wir in der Pflege achten? Was sollen wir tun?

12.4.2 Entscheidungsfindungsmodelle – Prozess der Entscheidungsfindung Entscheidungsfindungsmodelle dienen der persönlichen Orientierung, aber auch als Leitfaden bei Fallbesprechungen ( ▶ Abb. 12.1). Sie ermöglichen eine systematische Betrachtung und eine gemeinsame Entscheidungsfindung. Prozess der Entscheidungsfindung. Abb. 12.1 Das Modell in der Übersicht.

12.5 Ethische Grenzsituationen in der Pflege

Ethische Grenzsituationen in der Pflege stellen ungewöhnliche Situationen dar, in denen nicht die üblichen Maßnahmen zur ihrer Bewältigung Anwendung finden können. Wann sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen ethisch vertretbar? Wie kann die Selbstbestimmung am Lebensende gesichert werden? Wann ist ein Mensch wirklich tot?

12.5.1 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen Fixiert werden darf ein Pflegeempfänger nur, wenn die Freiheitsbeschränkung unausweichlich ist. Handlungsempfehlung: Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind immer zu vermeiden! Eine freiheitsentziehende Maßnahme dient immer dem Schutz des Patienten und/oder anderer Menschen und niemals der „Erleichterung“ der Arbeit (siehe auch Kap. ▶ 7.3.6). Vor der Entscheidung für freiheitsentziehende Maßnahmen werden die ethischen Prinzipien als Grundlage zur Problemlösung angewendet. Prinzip der Autonomie: Kann durch ein kreatives, individuelles Konzept eine freiheitsentziehende Maßnahme ersetzt bzw. hinausgezögert werden? Achte ich als Pflegeperson auf die Selbstbestimmung des Pflegeempfängers auch im Kleinsten? Ein fixierter Mensch kann entscheiden, ob er lieber Tee oder Kaffee trinken möchte. Prinzip der Fürsorge: Wird ein Pflegeempfänger vor (selbstzugefügten) Schaden durch eine freiheitsentziehende Maßnahme bewahrt? Eine Abwägung von Vor- und Nachteilen

sowie der erneuten Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Autonomie ist hilfreich. Prinzip des Nichtschadens: Welche Verletzungen können durch diese freiheitsentziehende Maßnahme (z.B. Druckstellen oder Strangulation) entstehen? Pflegefachkräfte überwachen den fixierten Menschen engmaschig und verhindern das Auftreten möglicher Schäden. Prinzip der Gerechtigkeit: Pflegefachkräfte müssen allen Pflegeempfängern unter gerechter Verteilung von Ressourcen die notwendige Pflege zukommen lassen. Begrenzte personelle Ressourcen rechtfertigen keine freiheitsentziehenden Maßnahmen und stehen aufgrund der erforderlichen engmaschigen Überwachung im Widerspruch dazu.

12.5.2 Selbstbestimmung am Lebensende 12.5.2.1 Sterbehilfe Bislang wurde zwischen „aktiver, „passiver“ und „indirekter“ Sterbehilfe unterschieden, die Ausführungen dazu lesen Sie im Kap. ▶ 7.3.13. Der Deutsche Ethikrat unterteilt die Entscheidungen und Handlungen am Lebensende in folgende 5 Kategorien: Sterbebegleitung: Pflege von Sterbenden Therapien am Lebensende: Leben wird auf Wunsch verlängert, Leiden gelindert Sterbenlassen: „passive Sterbehilfe“ Beihilfe zur Selbsttötung: Ein todbringendes Mittel wird in die Nähe des Sterbenden gestellt, das Mittel wird jedoch nicht verabreicht.

Tötung auf Verlangen: „aktive Sterbehilfe“

12.5.2.2 Kritische Stimmen zur Sterbehilfe Vor allem die Deutsche Hospizstiftung setzt sich für die Palliative Care ein (siehe Kap. ▶ 41.2). Die Beihilfe zum Suizid und das Töten auf Verlangen lehnt sie strikt ab. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) plädiert hingegen dafür, Sterbende selbst entscheiden zu lassen, wie lange sie ihre Leiden ertragen können – und möchten. Sie befürwortet die Palliative Care, toleriert aber Hilfe zur Beendigung eines Lebens.

12.5.2.3 Patientenverfügung Es gilt der Wille des Patienten, wenn er diesen klar in einer Patientenverfügung formuliert hat oder sich gegenüber Verwandten oder Freunden eindeutig mündlich darüber geäußert hat. Die Patientenverfügung sichert das Selbstbestimmungsrecht und gibt dem Personal Handlungssicherheit und juristische Sicherheit. Mehr über die Patientenverfügung erfahren Sie in Kap. ▶ 7.3.10.

12.5.3 Hirntod und Organspende Ein Mensch gilt laut Bundesärztekammer (BÄK) als hirntot, wenn die Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms endgültig und nicht behebbar erloschen ist (siehe auch Kap. ▶ 41.1.3). Die Bundesärztekammer empfiehlt, nach Eintritt des Hirntods die Therapie bald zu beenden, Ausnahmen sind Schwangere oder die Bereitschaft zur Organspende (siehe Kap. ▶ 40.3). Kritiker halten diese „neurologische“ Todesdefinition der BÄK für falsch. Sie sagen, der Mensch funktioniere „biologisch“ weiter und könne noch Tage, Wochen oder gar Jahre leben. Er sei kein toter, sondern ein sterbender Mensch. Sie bezweifeln außerdem, dass die heutzutage

möglichen Untersuchungen tatsächlich alle Hirnfunktionen erfassen können. Einig sind sich beide Parteien in einem: Der Ausfall der Hirnfunktionen ist nach bisherigem Wissen nicht reversibel. Jeder muss für sich entscheiden, welcher Argumentation er folgt. Für Pflegefachkräfte ist insbesondere der ▶ Organspendeprozess herausfordernd. Nach dem bescheinigten Hirntod sorgen Pflegende mit dafür, dass der Organismus alle biologisch wichtigen Funktionen aufrechterhält und führen pflegerische Maßnahmen wie z.B. Lagerungen oder Körperpflege durch. Die Versorgung erfolgt weiterhin mit Würde und Respekt. Der hirntote Mensch zeigt keine sichtbaren Todeszeichen – dieser Umstand kann Pflegende in ein Dilemma bringen. Ein Austausch darüber im Team kann hier Entlastung bringen.

KOMPAKT Ethisch handeln Hilfe- und pflegebedürftige Menschen sind von der Unterstützung anderer Menschen abhängig, dies macht sie besonders verletzlich. Pflegende müssen den Anspruch auf Unversehrtheit schützen. Häufig stehen sie in einem Konfliktfeld aus unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Die Entscheidungen, die Pflegende hierbei treffen, haben gewichtigen Einfluss auf die Qualität des Lebens in Krankheit, im Gesundwerden oder im Sterben. ICN-Ethikkodex: Leitfaden ethischer Verhaltensnormen für Pflegende Pflegecharta: 8 Artikel, die auf Basis der Grundrechte die Rolle und Rechte der Pflegeempfänger stärken Prinzipienethik: 4 Prinzipien dienen zur Orientierung in Medizin und Pflege:

Prinzip des Respekts vor der Autonomie Prinzip der Fürsorge Prinzip des Nichtschadens Prinzip der Gerechtigkeit Entscheidungsfindungsmodelle dienen der persönlichen Orientierung, aber auch als Leitfaden bei Fallbesprechungen. Mit ethischen Grenzsituationen werden Pflegende häufig am Lebensende eines Menschen (Sterbebegleitung, Hirntod und Organspende) oder bei der Abwägung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen (z.B. Fixierung) konfrontiert.

Teil III Pflegebasismaßnahmen 13 Hygiene 14 Wahrnehmen und Beobachten 15 Mobilisation, Positionierung und Schlaf 16 Körperpflege und Bekleidung 17 Prophylaxen 18 Ernährung 19 Ausscheidung 20 Medikamentenmanagement 21 Schmerzmanagement 22 Informieren, Schulen, Anleiten und Beraten 23 Notfallsituationen

13 Hygiene 13.1 Grundlagen der Infektionslehre 13.1.1 Krankheitserreger

Definition Krankheitserreger Krankheitserreger können in anderen Lebewesen eine Infektion oder übertragbare Erkrankung auslösen. Bakterien: sind Einzeller, die sich durch Zellteilung vermehren. Mit manchen Bakterien leben wir in Symbiose (Beispiel: Bakterien der Hautflora. Sie sind Bestandteil des Säureschutzmantels). Bakterien werden unterschieden nach: Aussehen: kugel-, stäbchen-, faden- und schraubenförmig Färbeverhalten: gramnegativ oder grampositiv aerob/anaerob: Aerobe Bakterien benötigen O2 zum Leben, anaerobe nicht. Viren: sind kleiner als Bakterien. Sie sind keine eigenständigen Lebewesen, da sie zur Fortpflanzung eine Wirtszelle benötigen. Zu unterscheiden sind: RNA- und DNA-Viren unbehüllte und behüllte Viren (Viren mit einer Lipidmembran lassen sich durch alkoholische Desinfektionsmittel leichter eliminieren) Pilze: vermehren sich über Sporen. Unterschieden werden: Hefen, z.B. Candida, eine Sprosspilzart Schimmelpilze Parasiten: Lebewesen, die zum Leben einen Wirt benötigen, z.B. Milben, Würmer und Zecken. Es gibt Blut-, Darm- und Gewebeparasiten, z.B. Hautparasiten.

Prionen: proteinartige, infektiöse Partikel

13.1.2 Kolonisation und Infektion Bei der Kolonisation (= Besiedelung) befallen die Erreger Haut und Schleimhäute sowie offene Wunden bzw. Sekrete und Exkrete. Sie lösen aber keine Infektion aus. Bei der Infektion dagegen dringen die Erreger in den Körper ein, vermehren sich dort und lösen eine Abwehrreaktion aus. Die Infektion geht i.d.R. mit den klassischen Zeichen einer Entzündung einher: Rötung lokale Überwärmung Schwellung Schmerz eingeschränkte Funktion

13.1.3 Übertragungswege Infektionsquellen können Sekrete sein, z.B. Blut, Urin, Stuhl, Speichel und Gegenstände, mit denen der Pflegeempfänger in Kontakt kommt (z.B. Stethoskop, RRManschette, Trinkgefäße). Wasser, Luft, Lebensmittel etc. können ebenfalls Erreger übertragen.

13.1.3.1 Übertragungsarten direkte Übertragung: Die Erreger gehen von einem Menschen auf den anderen direkt über. indirekte Übertragung: Ein Zwischenträger überträgt die Infektion, z.B. Wasser, Gegenstände, Lebensmittel oder auch Vektoren, z.B. Insekten und andere Personen.

endogene Infektion: Infektion mit körpereigenen Erregern. Eine Zystitis kann z.B. durch Darmkeime ausgelöst werden. exogene Infektion: Der Erreger stammt aus der Umgebung, er ist körperfremd. enterale Infektion: Die Erreger werden über den Mund/Verdauungstrakt aufgenommen. parenterale Infektion: Bei nicht enteralen Infektionspforten, z.B.: Einatmen von Erregern (Inhalationsinfektion) Eindringen über die Haut (z.B. permuköse Infektion über die Schleimhaut) Eindringen über den Harntrakt (urogenitale Infektion) Eintrittspforten: natürliche Körperöffnungen, Hautwunden, Gefäßzugänge, durch intakte Haut, Injektionen.

13.1.3.2 Übertragungswege Tröpfcheninfektion wird vermittelt über Sekrettröpfchen, die während des Niesens, Hustens und beim Sprechen in die Luft gelangen. aerogene Infektion: Hierbei werden Erreger durch Aerosole oder durch Staubpartikel in der Luft übertragen. Kontaktinfektion: Sie entsteht durch direkten Kontakt mit erregertragendem Material. Sehr häufig ist die Schmierinfektion: Hierbei werden Erreger von kontaminierten Händen auf die Haut „geschmiert“ oder direkt in eine Eintrittspforte gebracht. Bei einer fäkaloralen Infektion werden die Erreger aus dem Stuhl oral, z.B. durch kontaminiertes Wasser oder Lebensmittel, aufgenommen.

weitere Übertragungsarten: sexuelle Übertragung (über Samen- oder Vaginalflüssigkeit), diaplazentare Übertragung (über Plazenta oder Fruchtwasser von Mutter auf Kind), perinatale Übertragung (im Geburtskanal), postnatale Übertragung (über das Stillen), vektorielle Übertragung (über tierischen Zwischenüberträger wie Mücke, Floh, Zecke)

13.1.4 Nosokomiale Infektion Definition Nosokomiale Infektion Nosokomiale Infektionen sind Infektionen, die im Krankenhaus, im Pflegeheim oder ambulant durch ärztliche oder pflegerische Maßnahmen erworben wurden. Harnwegsinfekte sind die häufigsten nosokomial erworbenen Infekte.

13.1.4.1 Potenzielle Ursachen Faktor Pflegeempfänger: krankheitsbedingte Vorschädigung (z.B. Immunschwäche) Umweltfaktoren: Krankenhaus- und Pflegeheimumgebung (z.B. Nähe der Pflegeempfänger zueinander, Kontamination der Geräte und Gegenstände, nicht desinfizierte Hände des Personals) technologische Faktoren: Eintrittspforten durch invasive Maßnahmen menschliche Faktoren: Nichtbeachtung der Hygienemaßnahmen

13.2 Standardhygiene

Definition Standardhygiene Die Standardhygiene (= Basishygiene) umfasst die hygienischen Maßnahmen, die bei der Versorgung von Pflegeempfängern in einer Einrichtung immer durchzuführen sind. Sie sollen die Kontamination oder Kolonisation von Pflegeempfängern und Personal mit pathogenen Keimen verhindern.

13.2.1 Maßnahmen der Standardhygiene Händehygiene mit Händedesinfektion und Händewaschen Tragen von Schutzhandschuhen Tragen persönlicher Schutzkleidung Flächendesinfektion und Reinigung des Pflegeempfängerumfeldes sowie der Arbeitsflächen Desinfektion von gebrauchten Medizinprodukten, z.B. Salbentuben Sterilisation von gebrauchten Instrumenten Einsatz von Sicherheitskanülen inklusive sachgerechter Entsorgung Einhaltung der Hustenetikette, erkältetes Pflegepersonal trägt Mund-Nasen-Schutz bei der Versorgung von Pflegeempfängern. Jede Gesundheitseinrichtung formuliert in ihren Hygieneplänen konkrete Vorgaben zu diesen Punkten.

13.2.2 Händehygiene

13.2.2.1 Allgemeine Regeln Fingernägel sind kurz und rund geschnitten. kein Nagellack, keine künstlichen Fingernägel kein Schmuck an den Händen und Unterarmen bei Entzündung an Händen und Unterarmen den Betriebsarzt aufsuchen Händewaschen entsprechend den Indikationen konsequente Hautpflege der Hände

13.2.2.2 Indikationen Händewaschen zum Dienstbeginn und nach Dienstende vor und nach der Pause nach dem Besuch der Toilette bei sichtbarer Verschmutzung vor und nach dem Rauchen Die Hände sollten mit hautverträglicher, rückfettender Flüssigseife gewaschen und mit lauwarmem Wasser gründlich abgespült werden. Anschließend werden sie mit Einmalpapiertüchern abgetrocknet und mit Hautschutzcreme gepflegt.

13.2.2.3 Hygienische Händedesinfektion Die hygienische Händedesinfektion beseitigt wirkungsvoll transiente („nicht heimische“, vorübergehend an der Hautoberfläche vorhandene) Mikroorganismen. Sie ist die effektivste Methode der Prävention nosokomialer Infektionen. Indikationen: vor und nach dem Dienst vor und nach jedem Kontakt mit dem Pflegeempfänger vor aseptischen Tätigkeiten, z.B. Verbandwechsel, Absaugen, Richten von Infusionen

nach Kontakt mit potenziell infektiösem Material, z.B. Ausscheidungen nach Kontakt mit Oberflächen der unmittelbaren Umgebung des Pflegeempfängers vor dem Anziehen und nach dem Ausziehen der Schutzhandschuhe Bei einigen Krankheitserregern (z.B. Norovirus, Rotavirus) müssen spezielle Desinfektionsmittel verwendet werden (Einwirkzeit nach Herstellerangaben). Die 6 Schritte der Händedesinfektion können ▶ Abb. 13.1 entnommen werden. Händedesinfektion Schritt für Schritt. Abb. 13.1  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

13.2.2.4 Chirurgische Händedesinfektion

Ziel: Abtötung der transienten Bakterienflora und die weitgehende Reduktion der residenten („heimischen“, in der Oberhaut siedelnden) Hautflora Indikation: alle operativen Eingriffe. Die Hände werden (nach Waschen mit Wasser und Seife) entsprechend der 6-Schritte-Methode 3–5 min (abhängig von Mittel und Methode) inklusive der Unterarme 2-mal hintereinander desinfiziert.

13.2.3 Persönliche Schutzausrüstung (PSA) Die Hygienepläne der Gesundheitsinstitutionen sowie die Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI) regeln den Einsatz der persönlichen Schutzausrüstung:

13.2.3.1 Schutzhandschuhe Die Schutzhandschuhe sollen verhindern, dass Keime übertragen werden, wenn ein Kontakt mit erregerhaltigem Material zu erwarten ist. Grundsätzlich muss vor dem Anziehen und nach dem Ausziehen eine Händedesinfektion erfolgen. Schutzhandschuhe … müssen gewechselt werden, sobald sie mit einem kontaminierten Bereich in Kontakt gekommen sind, dürfen nicht desinfiziert werden, müssen nach jeder Tätigkeit am Pflegeempfänger gewechselt werden, sollten so kurz wie möglich und so lange wie nötig getragen werden (→ Hautirritationen, Kontaktdermatitis), dürfen nicht in der Kitteltasche getragen werden, sind kein Ersatz für Händedesinfektion,

müssen nach Gebrauch kontaminationsfrei abgelegt werden. Nach TRBA 250 (technische Regeln zum Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen) sollen Handschuhe bei folgenden Indikationen getragen werden. Indikationen unsterile Handschuhe Legen von peripheren Gefäßzugängen und Blutentnahmen Umgang mit benutzten Instrumenten, z.B. Kanülen, Skalpellen Extubation Pflege von inkontinenten Pflegeempfängern Entsorgung und Transport von potenziell infektiösen Abfällen Reinigung und Desinfektion von kontaminierten Flächen und Gegenständen Reparatur, Wartung, Instandsetzung von kontaminierten medizinischen Geräten Indikationen sterile Handschuhe Punktionen, Biopsien und Injektionen in Gelenke Legen von zentralen Gefäßzugängen Operieren, Instrumentieren, Versorgen von Wunden endotracheales Absaugen Legen eines Blasenkatheters

13.2.3.2 Schutzkleidung Eine Übersicht zu Berufs-, Bereichs- und Schutzkleidung finden Sie in ▶ Tab. 13.1 . Indikationen für das Tragen von Schutzkleidung

Einmalschürze/Bettenschürze: bei engem Kontakt mit dem Pflegeempfänger, z.B. Waschen Schutzkittel: bei isolierten Pflegeempfängern Schutzanzug: bei neuen, unbekannten Erregern oder Erregern mit viralem hämorrhagischem Fieber Augenschutz/Schutzbrille: bei Gefahr, mit erregerhaltigen Aerosolen in Kontakt zu kommen (z.B. beim Absaugen) Mund-Nasen-Schutz: zum Schutz des Pflegeempfängers und bei Gefahr, mit erregerhaltigen Flüssigkeiten (Spritzer, große Tröpfchen) in Kontakt zu kommen spezielle Atemschutzmasken (FFP2 oder FFP3): Schutz vor Erregern, die über Aerosole übertragen werden Tab. 13.1 Berufskleidung, Bereichskleidung, Schutzkleidung. Art der Kleidung Berufskleidung

Bereichskleidung

Schutzkleidung

Wo und wann wird Gesundheitsinstitutionen, bestimmte Bereiche Versorgung von sie getragen? bei Patientenversorgung der Klinik, z.B. OP, Pflegeempfänger mit Intensivstation bestimmten Krankheitserregern Wie sieht sie aus?

kurzärmliges Oberteil, lange Hose

wie Berufskleidung, nur farblich entsprechend dem Bereich, z.B. grüne Kleidung für OP

Wann wird sie gewechselt?

täglich nach Dienstende, täglich, nach Bedarf entsprechend der spätestens alle 2 Tage und beim Verlassen Indikation oder bei Bedarf, z.B. bei des Bereichs Verschmutzung

Entsorgung

Klinikwäsche

Klinikwäsche

Einmalschürze, Schutzkittel, Schutzanzug, Schutzbrille, MundNasen-Schutz, spezielle Atemschutzmasken

entsprechend den Hygieneleitlinien

13.2.4 Reinigung, Desinfektion und Sterilisation Definition Reinigung Bei der Reinigung wird Schmutz entfernt. Dies kann chemisch oder physikalisch sowie manuell oder maschinell erfolgen. Dabei wird die Zahl der Krankheitserreger reduziert.

Definition Desinfektion Desinfektion ist die Reduzierung, Inaktivierung und Abtötung von Krankheitserregern bis zu einem Zustand, in dem Ansteckung verhindert wird (Antisepsis). Sie kann chemisch und thermisch erfolgen. Desinfektionsverfahren Einlegemethode: Gegenstände werden vollständig in entsprechende Lösung gelegt, z.B. Desinfektionswanne. Die vom Hersteller vorgegebene Einwirkzeit muss beachtet werden. Wischdesinfektion: Gegenstände und Flächen werden inklusive Verschmutzungen mit Desinfektionslösung feucht abgewischt. Die Einwirkzeit bzw. Trocknungszeit muss beachtet werden. Sprühdesinfektion: nur bei schlecht zugänglichen Flächen nutzbar. Nicht immer effektiv, da die Benetzung unvollständig sein kann. Es besteht die Gefahr der Reizung von Atemwegen und Augen.

thermische Desinfektion: Krankheitserreger auf Gegenständen werden durch Hitze abgetötet. Anhaftender Schmutz muss vorher entfernt worden sein. Desinfektion mit strömendem Dampf: Matratzen, Kissen, Textilien lassen sich effektiv desinfizieren. Desinfektion mit Strahlen: Kurzwellige UV-Strahlen inaktivieren Bakterien, z.B. im Trinkwasser oder Warmwasser. thermisch-chemische Desinfektion: Kombination aus Hitze und chemischen Reinigungsmitteln, z.B. in Steckbeckenspülautomaten Umgang mit Desinfektionsmitteln Für Flächen > 1 m2 sind alkoholhaltige Lösungen ungeeignet (Explosionsgefahr). Desinfektionsmittellösungen müssen immer mit kaltem Wasser angesetzt werden, sonst besteht die Gefahr des Wirkungsverlustes durch Ausdunstung von toxischen Dämpfen. Dabei muss auf die korrekte Konzentration geachtet werden (Dosiertabellen!). Desinfektionsmittelwannen müssen abgedeckt werden (Ausdunstung der toxischen Dämpfe). Bei Kontakt mit Konzentraten müssen Augenschutz und chemikalienbeständige Handschuhe (Nitril) getragen werden. Tücher zur Desinfektion regelmäßig wechseln bzw. Einmaltücher bevorzugen Die Nutzungszeit einer Desinfektionslösung entspricht den Herstellerangaben. Anbruchdatum der Einmaldesinfektionstücher immer sichtbar vermerken! Indikationen

Pflegeempfängernahes Umfeld täglich wischdesinfizieren, z.B. Nachtschränkchen, Bett, Touchscreens der Überwachungsgeräte und EDV-Geräte. Mit Blut, Stuhl oder Erbrochenem kontaminierte Flächen sofort desinfizierend reinigen. Der Boden braucht nur in Risikobereichen desinfiziert zu werden (durch das Reinigungspersonal). Schlussdesinfektion des Zimmers (durch das Reinigungspersonal) inklusive aller Gegenstände und Geräte erfolgt bei Infektionskrankheit oder Entlassung/Verlegung des Pflegeempfängers.

Definition Sterilisation Sterilisation ist ein Verfahren zur Abtötung von vermehrungsfähigen Mikroorganismen, inklusive Sporen und Viren (Asepsis). Die Wahl des Sterilisationsverfahrens richtet sich nach dem Material des Sterilguts. Es gibt folgende Methoden: Dampf-/physikalische Sterilisation Sterilisation mit ionisierenden Strahlen Plasmasterilisation Gassterilisation

13.2.5 Umgang und Aufbereitung von Medizinprodukten Definition

Medizinprodukte Medizinprodukte sind Gegenstände oder Stoffe, die zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken bei Menschen angewendet werden, z.B. Instrumente, Verbandstoffe, Infusionsgeräte, Röntgengeräte.

13.2.5.1 Richtlinien zum Umgang mit Medizinprodukten Die beim RKI angesiedelte Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben eine gemeinsame Richtlinie zur Aufbereitung von Medizinprodukten aufgestellt. Seit Mai 2021 ist das Medizinprodukterecht neu geregelt. Übergeordnet gelten nun die europäische Medizinprodukteverordnung (Medical Device Regulation, kurz MDR) und die EU-Verordnung zu In-Vitro-Diagnostika (In-Vitro Diagnostics Regulation, IVDR). Ergänzt wird dieses europäische Recht durch nationale Gesetze und Verordnungen. In Deutschland regelt das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) die Durchführung der EU-Regeln und ergänzt spezifisch nationale Anforderungen, die z.B. für die Anwendung von Medizinprodukten gelten. Weiterhin gilt außerdem die Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV).

13.2.5.2 Aufbereitung Einmalprodukte dürfen nicht wiederaufbereitet und müssen nach Gebrauch entsorgt werden. auf Station: z.B. Blutdruckmessgeräte, mit alkoholischen, hautfreundlichen Desinfektionslösungen

in der ZSVA (zentrale Sterilgut-Versorgungsabteilung): z.B. chirurgische Instrumente

13.2.5.3 Aufbewahrung Medizinprodukte werden in geschlossenen Behältern, Schränken oder Schubläden aufbewahrt. Die Lagerung soll staubfrei, trocken, ohne Sonneneinstrahlung und bei Raumtemperatur erfolgen. Bei der Aufbewahrung gilt die Regel „first in, first out“. Ein Behandlungsindikator auf sterilisierten Produkten verändert während der Sterilisation die Farbe und weist so auf die erfolgreiche Sterilisation hin. Alle Medizinprodukte dürfen erst unmittelbar vor der Anwendung geöffnet werden.

13.2.6 Schutz vor Infektionen ACHTUNG Spitze Gegenstände wie Kanülen und Lanzetten müssen in durchstichsicheren Behältern entsorgt werden. Ein Recapping ist verboten, weil dadurch die Gefahr einer Stichverletzung gegeben ist.

13.2.6.1 Verhalten bei Kontakt mit erregerhaltigem Material Vorgehen bei Nadelstich- oder Schnittverletzungen: siehe Kap. ▶ 23.1.5 bei Kontakt auf intakter Haut: gründliche Desinfektion durchführen bei Kontakt mit Schleimhäuten oder Augen: umgehend spülen (Kochsalzlösung oder Wasser)

Jede Verletzung, auch wenn sie nicht blutet, entsprechend dokumentieren. Falls möglich, potenzielle Infektionsquelle (Pflegeempfänger) identifizieren, um eine serologische Testung (auf Hepatitis B oder C sowie HIV) durchführen zu können → dafür ist eine Einwilligung des Pflegempfängers erforderlich. Verletzung unverzüglich einem Durchgangsarzt bzw. Betriebsarzt melden durchgangsärztlichen Bericht (Unfallmeldung) an zuständigen Versicherungsträger senden Postexpositionsprophylaxe (PEP-Prophylaxe) bei einem hohen Infektionsrisiko

13.2.7 Umgang mit Klinikwäsche Benutzte Wäsche muss umgehend in einem speziellen Wäschesack entsorgt werden. Sie darf nicht auf dem Fußboden oder unter dem Bett des Pflegeempfängers abgelegt werden. Klinikwäsche wird mit einem desinfizierenden Verfahren gereinigt. Saubere Klinikwäsche wird in verschlossenen Schränken oder Wagen gelagert.

Merke Händedesinfektion vor Wäscheentnahme Wegen der Gefahr einer Schmierinfektion müssen benutzte Handschuhe ausgezogen und die Hände vor der Entnahme der frischen Wäsche aus einem Schrank oder Wagen desinfiziert werden!

13.2.8 Umgang mit Pflegeutensilien Pflegeutensilien (z.B. Waschschüssel, Toilettenstühle, Rasierapparate) müssen nach Gebrauch entsprechend den Hygienerichtlinien oder dem Desinfektionsplan der Klinik aufbereitet werden (Art der Desinfektionslösung und Einwirkzeit beachten!). Steckbecken und Urinflaschen werden in Automaten unter thermisch-reinigender Desinfektion aufbereitet. Für die Pflege isolierter Pflegeempfänger werden die Pflegeutensilien ausschließlich patientenbezogen benutzt.

13.3 Isolationsmaßnahmen Definition Isolation Isolation ist eine prophylaktische Hygienemaßnahme mit dem Ziel, eine Übertragung von Krankheitserregern auf Pflegeempfänger, Personal und Besucher zu verhindern. Die konkreten Isolationsmaßnahmen richten sich nach dem Übertragungsweg der Krankheitserreger. Sie sind im Hygieneplan der Einrichtung festgelegt.

13.3.1 Allgemeine Regeln Pflegeempfänger in der Regel in Einzelzimmern mit einer Nasszelle/Bad unterbringen. Ein Schild an der Tür weist auf besondere Hygienemaßnahmen hin. Besucher werden aufgefordert,

das Pflegeteam vor Betreten des Zimmers zu kontaktieren. Aus Datenschutzgründen dürfen die Infektionskeime nicht öffentlich genannt werden. Um die besonderen Hygienemaßnahmen einzuhalten, richten sich die Mitglieder des therapeutischen Teams nach einer Legende, die innerbetrieblich festgelegt worden ist. Pflegeempfänger dürfen das Zimmer nur zu Untersuchungen und mit Einhaltung entsprechender Schutzmaßnahmen verlassen. die Anzahl der Kontaktpersonen, inklusive der Besucher, auf ein Minimum reduzieren (Bezugspflege) isolierte Pflegeempfänger möglichst zuletzt versorgen Pflegeutensilien pflegeempfängerbezogen nutzen, täglich desinfizieren und bis zur Entlassung im Zimmer lassen Einwegmaterial entsprechend dem Tagesbedarf im Zimmer lagern. Pflegewagen nicht mit ins Zimmer nehmen Zimmergegenstände (Nachtkästchen), Bad, Kontaktflächen (Türgriffe, Rufanlage) täglich desinfizieren Die Nutzung der persönlichen Schutzausrüstung richtet sich nach dem Hygieneplan der Klinik. Flüssigkeitsdichte, langärmlige Schutzkittel, die am Rücken geschlossen sind, Handschuhe und Mund-NasenSchutz tragen. Bei aerogener Übertragung ist eine FFP2Maske erforderlich. Einweggeschirr nutzen und direkt im Zimmer des Pflegeempfängers entsorgen, herkömmliches Geschirr direkt in den Essenswagen entsorgen (keine Zwischenlagerung außerhalb des Pflegeempfängerzimmers)

Pflegeempfänger, die operiert werden und isoliert sind, am Ende des OP-Programms einplanen Isolationszimmer zuletzt reinigen, Schlussdesinfektion des Zimmers nach der Aufhebung einer Isolation bzw. nach der Entlassung Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Um einer Keimübertragung entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Pflegeempfänger und Angehörigen über die Schutzmaßnahmen zu informieren und sie in den Umgang mit Schutzkleidung sowie in die korrekte Händedesinfektion einzuweisen.

13.3.2 Spezielle Arten der Isolation Schutzisolation oder Umkehrisolation: Ziel ist, die Pflegeempfänger vor Keimen der Umgebung zu schützen. Angewandt wird sie z.B. bei Pflegeempfänger mit einem geschwächten Immunsystem, z.B. nach einer Chemotherapie. Kohortenisolation: Pflegeempfänger mit derselben Infektionskrankheit werden gemeinsam in einem Patientenzimmer isoliert.

13.3.3 Situation des Pflegeempfängers Die Isolationsunterbringung ist aufgrund der eingeschränkten Kontakte mit Angehörigen und Kommunikation für den Pflegeempfänger, v.a. für Kinder und alte Menschen, sehr belastend. Die Pflegefachkräfte sollten bei jeder Pflegeintervention bei dem isolierten Pflegeempfänger darauf achten, dass sie die Zeit auch für Gespräche nutzen, da sie oft die einzigen Kontaktpersonen sind. Es ist auch wichtig, die Wünsche des Pflegeempfängers zu erfragen und diese, wenn möglich, zu

erfüllen (z.B. Wunschkost, Lesestoff, Fernsehen, Laptop/Tablet mit Internetzugang, bei Kindern desinfizierbares Spielzeug).

13.4 Multiresistente Erreger Definition Multiresistente Erreger Multiresistente Erreger (MRE) sind Erreger, die gegen mehrere Antibiotika resistent (widerstandsfähig) sind. Der unüberlegte Einsatz von Antibiotika fördert die Entwicklung von Resistenzen. Zu den bedeutendsten multiresistenten Erregern gehören: MRSA: methicillinresistenter Staphylococcus aureus ESBL: meist gramnegative Enterobakterien, die das Enzym „extended spectrum betalactamase“ bilden VRE: Vancomycin-resistente Enterokokken MRGN: multiresistente gramnegative Bakterien Der multiresistente Keim, der im klinischen Alltag am häufigsten Probleme verursacht, ist MRSA. Deswegen wird auf ihn im Folgenden speziell eingegangen. Bei Befall mit ESBL, VRE und MGRN unterscheiden sich die Isolationsund Hygienemaßnahmen nicht von denen, die bei MRSABefall zu berücksichtigen sind.

13.4.1 MRSA MRSA sind häufig Verursacher ▶ nosokomialer Infektionen und gegen gängige Antibiotika resistent. Staphylokokken

gedeihen in warmem und feuchtem Milieu, z.B. auf der Haut, in der Nase, im Rachen, in den Achseln, Leisten und im Perianalbereich, außerdem in Sekreten der Atemwege, in Wunden, im Urin oder im Blut.

13.4.1.1 Übertragung Die Erreger werden meistens als Kontaktinfektion direkt über die Hände übertragen oder indirekt, z.B. über die Kleidung oder die Dokumentation der Pflegeempfänger. In seltenen Fällen wird MRSA über Tröpfchen übertragen, die Gefahr einer aerogenen Infektion besteht nicht.

13.4.1.2 Gefährdete Pflegeempfänger Menschen mit chronischen Erkrankungen, z.B. Diabetes mellitus Menschen mit Wunden, z.B. OP-Wunden, oder mit chronischen Hautläsionen, z.B. Ulcus cruris Pflegeempfänger mit Dialyse Menschen, die oft Antibiotika einnehmen oder im Krankenhaus oder in stationären Pflegeeinrichtungen (Pflegeheimen) sind Pflegeempfänger mit dauerhaft liegenden Zugängen, z.B. Tracheostoma oder PEG ältere Menschen aufgrund altersspezifischer Immunschwäche Personen mit häufigem Kontakt zu MRSA-Trägern, z.B. Klinikpersonal Personen, die beruflich direkten Kontakt mit Tieren in der Landwirtschaft haben, z.B. Schweinezüchter

13.4.1.3 Screening auf MRSA In den meisten Kliniken werden die o.g. Risikopersonen bereits bei der Aufnahme auf MRSA getestet. Mithilfe

eines Abstrichtupfers werden beide Seiten der Nase und ggf. des Rachens abgestrichen. Bestehende Wunden oder dauerhaft liegende Zugänge (z.B. PEG) werden ebenfalls abgestrichen. Bei Pflegeempfänger mit Blasenkatheter wird Urin abgenommen. Bis zum Ergebnis des Tests (meistens 1 Tag) wird der gefährdete Pflegeempfänger in einem Einzelzimmer untergebracht.

13.4.1.4 Isolationsmaßnahmen Pflegeempfänger mit MRSA werden isoliert in Einzelzimmern oder mit anderen MRSA-Patienten (Kohortenisolation). beim Betreten des Zimmers: langärmlige Einmalschutzkittel tragen Wenn der Erreger im Mund-Nasen-Raum oder in der Lunge sitzt, müssen zusätzlich Handschuhe und ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden. weitere Maßnahmen siehe Kap. ▶ 13.3

Merke Langlebige MRSA MRSA kann Monate auf Flächen, Instrumenten und Kleidung überleben. Wird der Pflegeempfänger entlassen, muss das Zimmer inklusive der Pflegeutensilien schlussdesinfiziert werden. Alle benutzten Pflegemittel werden fachgerecht entsorgt.

13.4.1.5 Sanierungsmaßnahmen bei Besiedelung Ziel: Erreger vom Körper entfernen (Eradikation) bei bloßer Besiedelung ohne Infektion: keine Antibiose

Bei Besiedelung der Nase wird über 5 Tage eine antibiotische Nasensalbe aufgetragen. Ist der Rachen besiedelt, muss der Patient über 5–7 Tage mit einer entsprechenden Mundspüllösung gurgeln. Ist die Haut befallen, müssen der Körper und die Haare an 5 aufeinanderfolgenden Tagen mit einer antibakteriellen Waschlotion gewaschen werden. Als Waschutensilien sollen Einwegartikel genutzt werden, z.B. Einwegzahnbürste, Einwegrasierer usw. Das Bett wird täglich bezogen, die Matratze und alle Pflegeutensilien werden wischdesinfiziert. Bei Befall einer Wunde werden nanokristalloide Silberwundauflagen und/oder PolihexanidWundspüllösungen zur Dekontamination angewendet. 3 Tage nach Abschluss der Sanierung werden an 3 folgenden Tagen Abstriche abgenommen. Bei negativen Ergebnissen wird die Isolation aufgehoben.

KOMPAKT Hygiene Krankheitserreger (Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten und Prionen) lösen Infektionen oder übertragbare Erkrankungen aus. Übertragungswege: Tröpfcheninfektion, aerogene Infektion, Kontaktinfektion etc. Übertragungsarten: direkt, indirekt, enteral, parenteral, endogen und exogen Ursachen nosokomialer Infektionen: z.B. Pflegeempfänger-, Umweltfaktoren, technologische oder menschliche Faktoren

Händehygiene Händewaschen nicht zu häufig, nur bei bestimmten Indikationen Händedesinfektion ist die effektivste Maßnahme zur Vermeidung nosokomialer Infektionen. Hautpflege und Hautschutz sind wichtig, um Hautschäden und somit mögliche Eintrittspforten zu verhindern. Maßnahmen der Standardhygiene: u.a. Händedesinfektion, Händewaschen, Schutzhandschuhe, Schutzkleidung, Hustenetikette, Desinfektion und Sterilisation Isolationsmaßnahmen sollen die Übertragung von Krankheitserregern (auf Pflegeempfänger, Personal, Besucher) verhindern. Maßnahmen bei MRSA: u.a. Isolieren, Schutzkleidung tragen, Sanierung (z.B. antibiotische Nasensalbe, Mundspüllösung).

14 Wahrnehmen und Beobachten 14.1 Wahrnehmen Definition

Wahrnehmung Wahrnehmen bedeutet, Umweltreize mit den Sinnen aufzunehmen und zu verarbeiten. ▶ Die 6 Sinnesorgane. Die Sinneswahrnehmung erfolgt durch: Sehen: visuelle Wahrnehmung Hören: auditive Wahrnehmung Riechen: olfaktorische Wahrnehmung Schmecken: gustatorische Wahrnehmung Fühlen über Tasten: taktile Wahrnehmung und über verschiedene Rezeptoren in der Haut Gleichgewicht: vestibuläre Wahrnehmung ▶ Der psychologische Wahrnehmungsprozess. Die menschliche Wahrnehmung erfolgt in einem Prozess. Dieser besteht aus Selektion, Ergänzung, Strukturierung, Kategorisierung, Generalisierung und Interpretation. Da die Wahrnehmung immer an die wahrnehmende Person gebunden ist, erfolgt der Prozess subjektiv. Beeinflussende Faktoren körperliche Einflussfaktoren, wie Gewöhnungseffekt (z.B. Duft von Parfüm wird nur begrenzte Zeit wahrgenommen), Verschmelzung (z.B. zwei Gerüche verschmelzen zu einem), Wahrnehmungsschwelle (ab welcher Intensität ein Reiz wahrgenommen wird, ist individuell und z.B. alters- und tageszeitabhängig) und Entwicklungsstand der wahrnehmenden Person psychische Einflussfaktoren, z.B. Interessen, Motivation, Emotionen, Bedürfnisse, Erfahrungen, Werte und soziale Situation Wahrnehmungsfehler

Rosenthal-Effekt: Erfolgt durch das Urteil anderer. Beispiel: Ein Pflegeempfänger wird als „extrem schwierig“ angekündigt, dadurch kann die Pflegebeziehung erschwert sein. Halo- oder Hofeffekt: Eine Eigenschaft, die dem Wahrnehmenden wichtig ist, überblendet alle anderen Eigenschaften. Vorabinformationen Sie aktivieren Vorurteile, ohne dass uns dies bewusst ist. Kontrastfehler: Durch Unterschiede, die man vergleicht, werden die wahrgenommenen Eigenschaften unproportional verstärkt. Stereotype: vereinfachende und generalisierende Zuordnung von Eigenschaften an Angehörige/Mitglieder bestimmter Gruppen Milde-Härte-Effekt: Sympathie beeinflusst die Wahrnehmung, demnach wird generell milder und günstiger oder kritischer beurteilt. Effekt der zentralen Tendenz: Aufgrund mangelnder Fachkenntnisse entsteht eine Neigung, die Mitte einer (gedachten) Skala zu verwenden. Man bleibt im neutralen Bereich, um keinem zu schaden.

Merke Bewusstmachen Das Wissen um die Wahrnehmungsfehler lässt uns die eigene Wahrnehmung kritisch überprüfen. Es ermöglicht uns, unsere Mitmenschen sowie die Umwelt bewusster und präziser wahrzunehmen.

14.2 Beobachtung Definition Beobachtung Beobachtung ist die zielgerichtete und systematische Wahrnehmung eines Vorgangs, um diesen genau zu erfassen.

14.2.1 Ziele der Beobachtung Ziel der Beobachtung eines Pflegeempfängers ist, seinen körperlichen und psychischen Zustand auf Grundlage des Fachwissens wahrzunehmen. Es werden u.a. Pflegeprobleme/-diagnosen, Ressourcen, Bedürfnisse, Ängste ermittelt. Diese Informationen sind die Grundlage des Pflegeprozesses, siehe Kap. ▶ 3.

14.2.2 Systematische Beobachtung Die Beobachtung des Pflegeempfängers findet bei allen pflegerischen Interventionen und zu jeder Zeit statt. Eine Beobachtung kann aber auch geplant stattfinden (z.B. wenn stündlich die Vitalparameter kontrolliert werden) oder sich ganz gezielt auf bestimmte Beobachtungsaspekte fokussieren. In einem solchen Fall spricht man von systematischer Beobachtung. Beobachtungskriterien: Bewusstsein, Sprache, Vitalparameter, Schmerzen, Mimik und Körperhaltung, Ernährungszustand, Ausscheidungen, Zugänge etc. objektive Beobachtung: Es werden Informationen oder Daten gewonnen, die messbar, überprüfbar und vergleichbar sind, z.B. Gewicht, Blutdruck.

subjektive Beobachtung: Die Pflegefachkraft macht Beobachtungen zum Verhalten, Schmerzen und zur emotionalen Situation des Pflegeempfängers (Achtung: können fehlerbehaftet sein, siehe Kap. ▶ 14.1). Mittels Skalen oder Messinstrumenten können diese besser objektiviert werden.

14.2.3 Hilfsmittel zur Interpretation und Beurteilung der Beobachtung Um die Beobachtung des Pflegeempfängers zu objektivieren, zu interpretieren und zu klassifizieren und daraufhin geeignete Maßnahmen einzuleiten, gibt es verschiedene Hilfsmittel. Messinstrumente objektivieren durch definierte Einheiten die Beobachtung, z.B. Blutdruckmessgerät, Waage, Thermometer, Maßband, Stoppuhr. Skalen/Assessmentinstrumente verfügen über definierte Normwerte und Tabellen. Die ermittelten Werte und Beobachtungen können interpretiert und Abweichungen klassifiziert werden, z.B. Glasgow-KomaSkala, Schmerzskala. Bestimmte Risiken werden auch durch Skalen abgeschätzt, z.B. Mangelernährung. Beobachtungsbögen enthalten bestimmte Kriterien und erleichtern die Dokumentation, z.B. Vitalwerte-, Schmerzprotokoll, Wunddokumentationsbogen.

14.2.4 Dokumentation Die Pflegenden dokumentieren Beobachtungen, z.B. mittels Beobachtungsbögen. Dies ist zum einen aus rechtlichen Gründen wichtig, zum anderen können Pflegende und Ärzte den Erfolg ihrer Arbeit besser überprüfen.

KOMPAKT Grundlagen der Patientenbeobachtung Wahrnehmung heißt, dass Reize aus der Umwelt durch Sinnesorgane unbewusst aufgenommen und verarbeitet werden. Interpretiert das Gehirn den wahrgenommenen Reiz als relevant, wird er bewusst. Am Ende der Kette steht evtl. eine Reaktion. Zu den Wahrnehmungsfehlern gehören: Rosenthal-Effekt, Halo- oder Hofeffekt, Kontrastfehler, Stereotype, MildeHärte-Effekt und Effekt der zentralen Tendenz. Vorabinformationen aktivieren unbewusst Vorurteile. Beobachtung verläuft im Unterschied zur Wahrnehmung gezielt und ggf. systematisch. Die Beobachtung des Pflegeempfängers ist eine wichtige Grundlage des Pflegeprozesses. Hilfsmittel (Assessmentinstrumente und Skalen) helfen, Beobachtungen zu objektivieren und vergleichbar zu machen.

14.3 Bewusstsein und Orientierung 14.3.1 Physiologische Grundlagen Definition Bewusstsein

Das Bewusstsein eines Menschen umfasst das Wissen um die eigene Person und die eigenen Erlebnisse. Es umfasst das menschliche Gesamterleben, lässt den Menschen eigenständig entscheiden und folgerichtig handeln.

Definition Orientierung Orientierung ist eine korrekte Einschätzung der aktuellen Realität: zur Zeit, zum Ort, zur eigenen Person und zur Situation.

14.3.2 Bewusstseinsstörungen Eine Bewusstseinsstörung ist mit einer (akuten) Gesundheitsstörung gleichzusetzen. Dies kann lebensbedrohlich sein. Bei den Bewusstseinsstörungen werden die qualitativen und die quantitativen Störungsformen unterschieden. ▶ Quantitative Bewusstseinsstörungen. Diese beziehen sich auf die Funktionen des Gehirns, im Sinne von Wachheit und Vigilanz. Als Ursachen für diese Bewusstseinsstörungsform gelten: ▶ Schlaganfall traumatische Verletzungen des Gehirns, z.B. eine Gehirnerschütterung Gehirnentzündung, Hirnblutung oder Hirnödem Stoffwechselentgleisungen, z.B. Blutzuckerentgleisung oder Nieren-, Leberfunktionsstörung Vergiftungen Die quantitativen Bewusstseinsstörungen sind unterschiedlich ausgeprägt (siehe ▶ Tab. 14.1 ).

Tab. 14.1 Abstufung der quantitativen Bewusstseinsstörungen. Bewusstseinsstörung Kriterien Benommenheit

Denken und Handeln sind verlangsamt. Pflegeempfänger wirkt schläfrig, ist jedoch leicht aufweckbar, z.B. durch das Ansprechen. Er kann Fragen zur Orientierung (Zeit, Person, Situation) korrekt beantworten. Reaktionsvermögen und Informationsverarbeitung sind herabgesetzt.

Somnolenz

abnorme Schläfrigkeit Aufwecken ist nur durch lautes Ansprechen oder Anfassen möglich. Die Orientierungsfragen werden noch korrekt beantwortet, aber sehr zögerlich und kurz (einfach).

Sopor

tiefschlafähnlicher Zustand, nur durch starken Schmerzreiz, z.B. durch Kneifen, ist Aufwecken möglich Störungen in der Orientierung und Kommunikation

Koma (Bewusstlosigkeit)

Der Pflegeempfänger ist nicht mehr aufweckbar, seine Reflexe sind nicht mehr auslösbar (erloschen).

Die genaue quantitative Einstufung der Bewusstseinsstörung erfolgt durch die ▶ Glasgow-Koma-Skala. ▶ Qualitative Bewusstseinsstörungen. Diese gehen mit veränderter Bewusstseinsklarheit einher: Hier sind nur bestimmte Bewusstseinsinhalte verändert. Der Kranke ist wach und kann sogar komplexe Handlungen ausführen. Ursachen für diese Form der Bewusstseinsstörungen sind psychische Erkrankungen, starke Belastungsstörungen oder Drogenkonsum. Die qualitativen Bewusstseinsstörungen werden in ▶ Tab. 14.2  beschrieben. Tab. 14.2 Qualitative Bewusstseinsstörungen. Zustand

Definition

Symptome

Zustand

Definition

Bewusstseinstrübung

mangelnde Bewusstseinsklarheit

Symptome Informationserfassung und verarbeitung sind eingeschränkt, dadurch beeinträchtigte Reaktion (Handeln). Der Betroffene ist verwirrt und desorientiert, oft auch unruhig und ablenkbar.

Bewusstseinseinengung

Das Bewusstsein ist nur auf einen kleinen Ausschnitt des Gesamterlebens reduziert (eingeengt).

Fokussierung der Wahrnehmung und Handlungen auf einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben, z.B. Innenwelt verminderte Ansprache und Reaktion auf die Außenreize

Bewusstseinsverschiebung Gefühl einer Intensitätssteigerung von Wachheit und Wahrnehmung

intensiviertes Erleben der Sinneseindrücke, z.B. Musik ist lauter und deutlicher, Farben erscheinen kräftiger

14.3.3 Orientierungsstörungen Definition Orientierungsstörungen Bei einer Orientierungsstörung ist die Fähigkeit eines Menschen gestört, die eigene Person, die Zeit, den Ort und die Situation korrekt einzuschätzen. ▶ Ursachen. Orientierungsstörungen können vielfältige Ursachen haben, z.B.: Dehydratation/Exsikkose Schlafmangel

Hypoxie ▶ Hypoglykämie Drogen Alkohol ▶ Demenz ▶ Bereiche. Orientierungsstörungen können in verschiedenen Bereichen vorkommen: Zeitliche Desorientierung: Datum, Wochentag, Jahr, Jahreszeit sind dem Betroffenen nicht bekannt. Örtliche Desorientierung: Der aktuelle Ort ist nicht bekannt. Situative Desorientierung: Die aktuelle Situation ist fremd, sie kann nicht erfasst werden. Orientierungsstörungen zur eigenen Person: Angaben zur eigenen Person sind nicht möglich.

KOMPAKT Bewusstsein und Orientierung Das Bewusstsein umfasst das menschliche Gesamterleben, erst dadurch kann der Mensch eigenständig entscheiden und folgerichtig handeln. Bewusstseinsstörungen werden eingeteilt in: quantitative Bewusstseinsstörungen: Benommenheit, Somnolenz, Sopor und Koma (Bewusstlosigkeit) qualitative Störungen: Bewusstseinstrübung, einengung und -verschiebung Die Orientierung ermöglicht dem Menschen, die aktuelle Realität einzuschätzen: zur Zeit, zum Ort, zur eigenen

Person und zur Situation. In all den Bereichen kann es zu Störungen kommen.

14.4 Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und kontrollieren 14.4.1 Puls 14.4.1.1 Physiologische Grundlagen

Während der Systole kontrahiert der Herzmuskel und pumpt schlagartig Blut in die Aorta. Dadurch wird eine Pulswelle erzeugt, die das Blut in die peripheren Gefäße treibt. Diese Pulswelle kann als Puls an oberflächlichen Arterien getastet werden. Der Puls gibt somit Aufschluss über die Herzfrequenz.

14.4.1.2 Messen des Pulses Zeitpunkt/Indikationen: Puls bei Aufnahme und im Verlauf täglich messen, immer unter den gleichen Bedingungen (z.B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück). Engmaschige Überwachung bei Verschlechterung des Allgemeinzustands, Veränderungen der anderen Parameter (Blutdruck, Temperatur), in Notfallsituationen, in der Kardiologie und postoperativ. häufigster Messort: A. radialis (Innenseite Handgelenk), leicht zugänglich Messtechnik: Arterie mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger tasten (nicht mit Daumen, Eigenpuls!), Puls 15 s zählen, ermittelten Wert mit 4 multiplizieren. Dabei auf Rhythmus und Qualität achten. Bei Neuaufnahme, Arrhythmie, Brady- oder Tachykardie Puls 1 min auszählen. Indikatoren für andere Messorte: Beurteilung der Beindurchblutung (A. tibialis posterior, A. dorsalis pedis); kein Puls am Handgelenk tastbar, z.B. bei Schock (Hals- oder Leistenarterie)

14.4.1.3 Puls beurteilen Zu den Beurteilungskriterien des Pulses gehören: Pulsfrequenz, Pulsrhythmus und Pulsqualität. altersentsprechende Normwerte: siehe ▶ Tab. 14.3 

Pulsfrequenz: Anzahl der getasteten Pulswellen pro Minute Pulsrhythmus: rhythmischer Puls: gleich lange Abstände zwischen den Pulswellen arrhythmischer Puls: unterschiedlich lange Abstände zwischen den Pulswellen Physiologische Schwankungen nach unten (z.B. bei Sportlern, im Schlaf) oder oben (z.B. bei psychischer Erregung, Anstrengung, Kaffeekonsum) sind möglich. Wichtig ist: Wie geht es dem Pflegeempfänger? Hat er Luftnot? Ist er kaltschweißig? Sind andere Vitalparameter auffällig? Bradykardie: z.B. durch Medikamente (Betablocker, Digitalispräparate etc.), Vergiftungen, Störungen der Erregungsbildung bzw. -überleitung im Herzen (z.B. bei Hyperkaliämie), erhöhtem Hirndruck (Vagusreiz) Tachykardie: z.B. durch Schmerzen, Fieber, verminderte Herzpumpleistung, Flüssigkeitsmangel, Schilddrüsenüberfunktion, Hypokaliämie, Herzinfarkt, Medikamente (z.B. Bronchodilatatoren) Die Pulsqualität gibt Auskunft darüber, wie hart die Pulswellen sind, wie rasch sie ansteigen und wie hoch ihre Amplitude ist. Ein harter Puls ist z.B. häufig im Zusammenhang einer Hypertonie zu beobachten, ein weicher Puls hingegen kann Anzeichen einer Hypotonie sein. Info an Arzt, wenn … der Puls stark erhöht, erniedrigt oder unregelmäßig ist, weitere Begleiterscheinungen zu beobachten sind (z.B. Schwindel, Abgeschlagenheit,

Bewusstseinsstörungen), mehrere Vitalparameter auffällig sind, es im Verlauf zu Veränderungen kommt. Tab. 14.3 Puls: Normwerte und Abweichungen. Pulsfrequenz

Normwerte

Bradykardie

Tachykardie

Alter

Schläge pro Minute

Frühgeborenes (Geburt vor der 37. SSW)

140–160

< 140

> 160

Neugeborenes (0−4 Wochen)

120–140

< 120

> 140

Säugling (< 1 Jahr)

110–130

< 110

> 130

Kleinkind (1−6 Jahre)

100–120

< 100

> 120

Schulkind (7−12 Jahre)

80–110

< 80

> 110

Jugendlicher (13−18 Jahre)

60–80

< 60

> 80

Erwachsener (19−64 Jahre)

60–80

< 60

> 80

älterer Mensch (> 64 Jahre)

60–90

< 60

> 90

14.4.2 Blutdruck 14.4.2.1 Physiologische Grundlagen Der gemessene Blutdruck ist ein Maß für die Kraft, die das zirkulierende Blut auf die Gefäßwände ausübt. Er ist abhängig von der Pumpleistung des Herzens und dem Gefäßwiderstand der Arterien. Pumpleistung: ergibt sich aus dem Schlagvolumen (in ml) und der Herzfrequenz (Schläge/Minute) Gefäßwiderstand: ist abhängig vom Durchmesser der Gefäße. Je kleiner der Durchmesser, desto größer ist der Widerstand. Hinzu kommt bei älteren Menschen z.B. die arteriosklerotische Veränderung der Gefäße. Folglich ist der Blutdruck höher.

Windkesselfunktion: Die elastische Aorta dehnt sich während der Systole aus und nimmt Blut auf. Dann zieht sie sich in der Diastole zusammen und sorgt dafür, dass das Blut mit nur moderatem Druckabfall gleichmäßig weiterfließt. weitere Beobachtungskriterien: Blutdruckamplitude und mittlerer arterieller Druck (MAD).

14.4.2.2 Messen des Blutdrucks Zeitpunkt/Indikationen: Blutdruck bei Aufnahme und im Verlauf täglich messen, immer unter den gleichen Bedingungen (z.B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück). Bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung. Bei der ersten Kontrolle an beiden Armen den Blutdruck messen. Bei unterschiedlichen Werten immer am Arm mit den höheren Werten messen. Technik: Der Blutdruck kann indirekt mithilfe einer Druckmanschette auskultatorisch, palpatorisch oder oszillatorisch gemessen werden. Bei der direkten Messung wird der Blutdruck in der Arterie gemessen und am Monitor dargestellt. Das gängigste Verfahren ist die indirekte auskultatorische Blutdruckmessung nach Riva-Rocci (mit Manschette und Stethoskop): Oberarm auf Herzhöhe positionieren passende Manschettengröße wählen (ca. ⅔ der Oberarmlänge) Manschette nicht zu locker anlegen Manschette zügig aufpumpen und Radialispuls tasten (sobald Puls verschwindet + 30 mmHg) Stethoskopkopf beim Messen nicht mit dem Daumen fixieren (Vorsicht: Eigenpuls!)

nicht zu lange stauen und Druck nicht zu rasch oder zu langsam ablassen das erste hörbare Pulsgeräusch entspricht dem systolischen Wert und das letzte hörbare Pulsgeräusch entsprcht dem diastolischen Wert.

ACHTUNG Keine Blutdruckmessung am betroffenen Arm: bei Shunt, Lymphödem, Ablatio mammae, Gefäßzugang oder Parese/Plegie!

14.4.2.3 Blutdruck beurteilen systolischer arterieller Blutdruck: Druck in den großen Arterien während der Systole (Auswurfphase), entspricht dem systolischen Druck in der linken Herzkammer diastolischer arterieller Blutdruck: Druck in den großen Arterien während der Diastole (Erschlaffungsphase) mittlerer arterieller Druck (MAD): Druck, der durchschnittlich in den Arterien herrscht (normal: 70– 105 mmHg) Blutdruckamplitude: Differenz zwischen systolischem und diastolischem Druck altersentsprechende Normwerte: siehe ▶ Tab. 14.4  Hypotonie (beim Erwachsenen < 100/60 mmHg): primäre Hypotonie: Ursache unbekannt sekundäre Form: Ursache bekannt, z.B. Herzerkrankungen, Volumenmangel, fehlerhafte antihypertensive Medikation

Hypertonie (beim Erwachsenen > 140/90 mmHg): schädigt langfristig Herzmuskel, Nieren und Innenwände der Gefäße (Arteriosklerose). Die WHO unterscheidet verschiedene Stufen bzw. Schweregrade ( ▶ Tab. 14.5 ). primäre Hypertonie: Ursache unbekannt sekundäre Hypertonie: z.B. Nierenerkrankung, hormonproduzierender Tumor, Rauchen, Übergewicht, mangelnde Bewegung Info an Arzt, wenn … der Blutdruck stark erhöht oder erniedrigt ist, weitere Begleiterscheinungen zu beobachten sind (z.B. Schwindel, Abgeschlagenheit, Bewusstseinsstörungen), mehrere Vitalparameter auffällig sind, blutdrucksenkende Medikamente nicht ausreichend oder zu stark wirken. Tab. 14.4 Normwerte des Blutdrucks in den Altersklassen. Normwerte RR

systolischer Wert

diastolischer Wert

Alter in Jahren

in mmHg

Frühgeborenes (Geburt vor der 37. SSW)

50

30

Neugeborenes (0−4 Wochen)

65

45

Säugling (< 1 Jahr)

80

50

Kleinkind (1−6 Jahre)

90

60

Schulkind (7−12 Jahre)

100

60

Jugendlicher (13−18 Jahre)

120

80

Erwachsener (19−64 Jahre)

120

80

älterer Mensch (> 64 Jahre)

140

90

Tab. 14.5 Schweregrade der arteriellen Hypertonie. Schweregrad

systolisch (mmHg)

diastolisch (mmHg)

hoch-normaler Blutdruck

130–139

85–89

Schweregrad

systolisch (mmHg)

diastolisch (mmHg)

milde Hypertonie (Stufe 1)

140–159

90–99

mittlere Hypertonie (Stufe 2) 160–179

100–109

schwere Hypertonie (Stufe 3) > 180

> 110

Quelle: WHO

14.4.3 Atmung 14.4.3.1 Physiologische Grundlagen Der Körper benötigt für den Stoffwechsel ständig Zufuhr von Sauerstoff. Sauerstoffarmes Blut wird mit Sauerstoff aus der Einatemluft angereichert. Der Gasaustausch findet in den Lungenbläschen (Alveolen) statt. Kohlenstoffdioxid, das beim Stoffwechsel entsteht, wird durch die Ausatmung abgegeben.

14.4.3.2 Atmung beurteilen Zu den Beurteilungskriterien gehören: Atemfrequenz, Atemrhythmus, Atemqualität, Atemgeräusche und Atemgeruch. Eupnoe: normale Atmung (siehe ▶ Tab. 14.6 ) Dyspnoe: Atemnot Orthopnoe: starke Atemnot, bei der sich der Pflegeempfänger aufrichtet, um die Atemhilfsmuskulatur einzusetzen Schnappatmung: Pflegeempfänger schnappt nur noch gelegentlich nach Luft, die Schnappatmung geht der Apnoe voraus Apnoe: Pflegeempfänger atmet nicht mehr

Hautkolorit: Zyanose (Blaufärbung) der Haut, Nägel und Schleimhäute deutet auf O2-Unterversorgung hin, bei Neugeborenen und Säuglingen zeigt sich ein lividegräuliches Mund-Nasen-Dreieck. Bei einer bestehenden Anämie kann eine Zyanose fehlen. Tab. 14.6 Physiologische Atemfrequenz in verschiedenen Altersklassen. Atemfrequenz

Eupnoe

Alter

Atemzüge pro min

Frühgeborenes (Geburt vor der 37. SSW) 30–60 Neugeborenes (0−4 Wochen)

30–50

Säugling (< 1 Jahr)

20–40

Kleinkind (1−6 Jahre)

20–30

Schulkind (7−12 Jahre)

18–25

Jugendlicher (13−18 Jahre)

16–22

Erwachsener (19−64 Jahre)

12–18

älterer Mensch (> 64 Jahre)

12–18

Atemfrequenz erheben Zeitpunkt/Indikationen: Atemfrequenz bei Aufnahme und im Verlauf täglich erfassen, immer unter den gleichen Bedingungen (z.B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück) v.a. bei Lungen- und Herzerkrankungen, Therapie mit Opioiden, Schädel-Hirn-Trauma. Bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung, z.B. subjektive Atemnot. Ein Atemzug besteht immer aus einer Ein- und Ausatmung. Technik: Atmung vom Pflegeempfänger unbemerkt beobachten und auszählen, da es sonst zu falschen Messergebnissen kommen kann. Ein Tipp: Atmung im Anschluss an die Pulsmessung 1 Minute auszählen. Bei Kindern < 2 Jahren: Bei Ihnen ist die Thorax- und Zwerchfellatmung nicht sicher beobachtbar, hier Hand vorsichtig auf den Thorax unterhalb des

Schwertfortsatzes legen und das Heben und Senken fühlen. apparative Untersuchungen der Atemfunktion: Lungenfunktionstest (Lufu): Bestimmung der Atemund Lungenvolumina Blutgasanalyse (BGA): Bestimmung der CO2- und Sauerstoffwerte im arteriellen Blut Sauerstoffsättigung (sO2): Anteil des mit Sauerstoff gesättigten Hämoglobins

Veränderung der Atemfrequenz Tachypnoe: beschleunigte Atmung (beim Erwachsenen > 20 Atemzüge/min), z.B. bei Fieber, Atemwegserkrankungen, Herzinsuffizienz, Schock, Anämie Bradypnoe: verlangsamte Atmung (beim Erwachsenen < 12 Atemzüge/min), z.B. bei Schädel-Hirn-Trauma, gesteigertem Hirndruck, Entzündungen des Gehirns, Überdosierung von Opiaten

Veränderungen der Atemtiefe flache und langsame Atmung: z.B. bei Opiatvergiftung (Blutgasanalyse durchführen, da u.U. CO2 nicht ausreichend abgeatmet wird!) flache und schnelle Atmung: meist schmerzbedingte Schonatmung vertiefte Atmung: Azidose, hier versucht der Körper, CO2 durch sehr tiefe Atemzüge abzuatmen (KußmaulAtmung aufgrund metabolischer Azidose). Schonatmung: reduzierte Atemtiefe aufgrund von Schmerzen

Hyperventilation: unphysiologisch vertiefte oder beschleunigte Atmung, dabei wird mehr geatmet, als für den Gasaustausch nötig ist.

Veränderungen des Atemrhythmus Schlafapnoe: Atempausen > 10 Sekunden während des Schlafes, Ursache: meist verengte Atemwege oder Bluthochdruck Cheyne-Stokes-Atmung: Die Atemzüge werden immer flacher bis eine Atempause eintritt, dann wird die Atmung wieder tiefer. Ursache: lebensbedrohliche Störung des Atemzentrums, z.B. bei dekompensierter Herzinsuffizienz und in der Sterbephase Biot-Atmung: unregelmäßige Atempausen, Atemtiefe schwankt, Ursache: Störung des Atemzentrums, z.B. bei erhöhtem Hirndruck oder bei Frühgeborenen

Atemgeräusche inspiratorischer Stridor: pfeifendes Geräusch bei Einatmung, typisch bei Verengung der oberen Atemwege, z.B. Kehlkopfentzündungen oder Aspiration exspiratorischer Stridor: pfeifendes Geräusch bei Ausatmung, typisch bei Verengung der unteren Atemwege, z.B. Asthma bronchiale Rassel- und Brodelgeräusche: hörbar bei In- und Exspiration, typisch für Pneumonie Schnarchen: flatternde Bewegung des Gaumensegels, da Zunge zurückfällt

Geruch der Ausatemluft Azeton („obstartig“): Bei anhaltendem Insulinmangel bauen die Zellen Fett ab, um Energie zu gewinnen. Dabei entstehen Ketonkörper, die in die Atemluft gelangen und einen obstartigen Geruch verursachen.

Ammoniak: Bei schweren Lebererkrankungen reichert sich Ammoniak im Blut an. Dies führt zu einem stechendbeißenden Atemgeruch. Urin: bei Nierenerkrankungen

14.4.4 Körpertemperatur 14.4.4.1 Physiologische Grundlagen Das Regelzentrum der Thermoregulation sitzt im Hypothalamus. Dieses Hirnareal erhält ständig Informationen über die Körpertemperatur von den Thermorezeptoren des Körpers. Weicht der Istwert vom Sollwert ab, reagiert der Hypothalamus mit Ausgleichsmaßnahmen: Ist der Istwert zu niedrig, wird die Wärmeproduktion z.B. durch hochfrequente Muskelarbeit erhöht („Zittern“). Ist der Istwert zu hoch, wird die Wärmeabgabe z.B. durch Erhöhung der Schweißproduktion gesteigert.

Merke Fieber Fieber ist eine Reaktion des Körpers auf Infektions-, Tumor- oder Autoimmunerkrankungen, bei der im Hypothalamus der Sollwert der Körperkerntemperatur erhöht ist. Die Zellen des Immunsystems arbeiten bei höherer Temperatur schneller. Informationen zur Pflege bei Fieber finden Sie in Kap. ▶ 30.

14.4.4.2 Körpertemperatur messen Zeitpunkt: Temperatur bei Aufnahme und im Verlauf täglich messen, immer unter den gleichen Bedingungen

(z.B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück); bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung Indikatoren für häufigere Messungen: Infektionen oder erhöhte Infektionsgefahr (z.B. nach OPs, bei ZVK oder Immunabwehrschwäche); Bewusstseinsstörungen; zerebrale Erkrankungen; Verbrennungen und Erfrierungen; Frühgeburt, kranke Kinder und Säuglinge Messorte: äußerer Gehörgang (aurikulär): mit InfrarotOhrthermometer; bei langem Liegen auf dem Ohr oder bei viel Ohrenschmalz besteht die Gefahr verfälschter Werte im After (rektal): bei schwer kranken Frühgeborenen, ggf. mittels rektaler Temperatursonde; Kontraindikation bei Erwachsenen: Hämorrhoiden, hohe Blutungsneigung (z.B. bei Marcumar-Einnahme) unter der Zunge (sublingual): ungeeignet bei: Kindern, desorientierten Personen, Unruhe, Dyspnoe Haut bei Frühgeborenen: mittels Temperatursensor (Rücken, Bauch) oder peripher mittels Temperatursonde (Fußrücken oder Fußsohle) Messorte beurteilen: Stirn, Leiste, Achsel (Schalentemperatur): wird im klinischen Umfeld selten gemessen, da zu ungenau rektal und aurikulär: entspricht in etwa der Körperkerntemperatur vaginal: entspricht zwar in etwa der Körperkerntemperatur, wird in der Praxis dennoch kaum angewendet (Intimsphäre!)

Info an Arzt, wenn … die Temperatur stark erhöht oder erniedrigt ist, Begleiterscheinungen zu beobachten sind (z.B. Blässe oder Rötung der Haut, Zittern, Schüttelfrost, Schwitzen, Durstgefühl, verminderte Urinausscheidung), mehrere Vitalparameter auffällig sind.

14.4.4.3 Körpertemperatur beurteilen Normwerte: siehe ▶ Tab. 14.7  physiologische Temperaturschwankungen: z.B. durch Hormone (bei Frauen während des Monatszyklus Schwankungen von 1°C), körperliche Aktivität, Sport, Sauna, im Tagesverlauf (die Morgentemperatur ist ca. 0,5°C niedriger als die Abendtemperatur) Hypothermie: Werte unter 36,0°C, z.B. durch postoperativ gestörte Thermoregulation. Achtung: Immunabwehr und Blutgerinnung sind beeinträchtigt. Im Extremfall drohen Bewusstseins- und Herzrhythmusstörungen. Hyperthermie: Werte über 37,5°C, z.B. durch unerwünschte Arzneimittelwirkung, Flüssigkeitsmangel beim Neugeborenen, „Hitzschlag“. Achtung: Die Abgrenzung zu Fieber ist schwer und erfolgt durch den Arzt. Fieber: Werte über 38,1°C: siehe Kap. ▶ 30 Bei jeder Temperaturabweichung ist der Arzt zu informieren! Tab. 14.7 Körpertemperatur: Physiologische Normwerte abhängig vom Messort. Messort

Normwerte

Messort

Normwerte

aurikulär

35,9–37,6°C

rektal

36,5–37,4°C

sublingual 36,1–37,1°C

KOMPAKT Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und erheben Zeitpunkt von Puls-, Blutdruck- und Temperaturmessung: bei Aufnahme des Patienten (Ausgangswert), dann einmal täglich, engmaschiger, falls sich Zustand verschlechtert Puls beim Puls besonders achten auf: Frequenz, Rhythmus, Qualität normale Pulsfrequenz beim Erwachsenen: 60–80/min wenn Puls arrhythmisch: eine komplette Minute auszählen Puls zu schnell (> 100/min): Tachykardie, Puls zu langsam (< 60/min): Bradykardie Blutdruck physiologischer Blutdruck beim Erwachsenen: 120–129/80– 89 mmHg Hypotonie: < 100/60 mmHg über längeren Zeitraum Hypertonie: > 140/90 mmHg über längeren Zeitraum Atmung bei der Atmung besonders achten auf: Frequenz, Atemtiefe, Rhythmus, Atemgeräusch (Stridor?), Geruch, Körperhaltung, Mimik

Eupnoe: normale Atmung beim Erwachsenen: 14–18 Atemzüge/min Tachypnoe: beschleunigte Atmung Bradypnoe: verlangsamte Atmung bei flacher, verlangsamter Atmung: Blutgasanalyse, sonst Gefahr der „CO2-Narkose“ Körpertemperatur Die Körperkerntemperatur sollte relativ konstant 37°C betragen. Weicht die Temperatur zu stark nach unten ab (Hypothermie), drohen im Extremfall tödliche Herzrhythmusstörungen.

15 Mobilisation, Positionierung und Schlaf 15.1 Grundlagen der Kinästhetik

15.1.1 Allgemeines Definition Kinästhetik Kinästhetik ist ein Instrument bzw. Werkzeug, das sich mit dem Ablauf menschlicher Bewegung beschäftigt. Im Vordergrund steht hier die Wahrnehmung der eigenen Bewegung des Pflegeempfängers und der Pflegefachkraft. Das Prinzip der Kinästhetik beruht auf der Erkennung und Nutzung der Ressourcen des Pflegeempfängers.

15.1.2 Ziele der Kinästhetik Das Konzept der Kinästhetik hilft dabei: die natürlichen Bewegungsmuster abzurufen, die Mobilität zu fördern, die Kraft effizient zu nutzen, rückenschonend zu arbeiten.

15.1.3 Grundlegende Konzepte Die menschlichen Bewegungsmuster werden im kinästhetischen Modell in 6 einzelne Konzepte aufgegliedert: 1. Interaktion 2. funktionelle Anatomie 3. menschliche Bewegung 4. menschliche Funktionen

5. Anstrengung 6. Umgebung

15.1.3.1 Interaktion Der Fokus liegt auf der persönlichen Wahrnehmung (Muskelspannung, Schmerz) und der Wahrnehmung der Bewegung. Als Basis dienen alle menschlichen Sinne. Die Elemente Zeit, Raum und Anstrengung organisieren die Bewegung. Die Bewegung erfolgt über 3 Interaktionsformen: gleichzeitig-gemeinsame Interaktion, schrittweise Interaktion und einseitige Interaktion.

15.1.3.2 Funktionelle Anatomie Knochen und Muskeln Knochen tragen Gewicht, ohne Kraft aufbringen zu müssen. Muskeln halten und bewegen Knochen. Für die Bewegung nutzen wir die Festigkeit der Knochen und die Kraft der Muskeln. Die beiden Eigenschaften Kraft und Festigkeit geben dem Menschen Halt und ergänzen einander. Ist die Muskelkraft gering, können die Knochen immer noch das menschliche Gewicht tragen.

Massen und Zwischenräume Der Körper besteht aus Massen (z.B. Kopf, Brustkorb, Becken, Extremitäten), von denen Bewegungen ausgehen und Bewegungskaskaden ausgelöst werden können.

Zwischenräume verbinden die Massen (z.B. Hals, Achsel, Taille und Hüfte) und bilden die Transportbewegungsebenen. Die stabileren Bewegungsebenen, z.B. Knie, sind Haltungsbewegungsebenen. Verlagert sich das Gewicht einer Masse, wird das Gewicht der nächstgelegenen Masse über die beweglichen Zwischenräume „nachgezogen“.

Merke Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen Bei der initiierten Bewegung unterstützen Sie die Massen und lassen die Zwischenräume für die (Eigen-)Bewegung frei.

15.1.3.3 Menschliche Bewegung Der menschliche Organismus ist für Bewegung vorgesehen. Mit und durch Bewegung passen wir uns ständig der Umwelt an: Sie ist zielgerichtet (z.B. Greifen), stabilisierend (z.B. Ausgleichsbewegungen) und reagierend (z.B. beim Stolpern). Bewegungen können auch: haltend sein: Der Körper balanciert sich über kleinste Beuge- und Streckbewegungen der Halteebenen kontinuierlich aus. transportierend sein: Durch viele aufeinanderfolgende Gewichtsverlagerungen kann der Mensch seine Position wechseln und sich fortbewegen (Transportbewegung). parallel erfolgen: Die rechte und linke Körperhälfte können sich synchron bewegen. spiralartig erfolgen: Der Körper kann sich auch bei Einschränkungen durch Abstützen einer Körperhälfte in Bewegung setzen.

15.1.3.4 Menschliche Funktionen Die Kinästhetik unterscheidet 7 Grundpositionen ( ▶ Abb. 15.1). Eine sichere Grundposition ist die beste Voraussetzung dafür, evtl. über weitere Zwischenpositionen, in die gewünschte Lage zu kommen. Für jede Bewegung organisiert sich der Körper in einer bestimmten Reihenfolge. Die 7 Grundpositionen der Kinästhetik. Abb. 15.1  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

15.1.3.5 Anstrengung

Jede Bewegung benötigt Kraft im Sinne von Anspannung. Bewegung ist immer dynamisch und eine Kombination aus: Drücken (z.B. Abstützen auf der Matratze, den Fuß auf dem Boden abdrücken, um vorwärts zu kommen) und Ziehen (z.B. das Bein anziehen, einen Gegenstand hochheben).

Merke Anstrengung minimieren Je besser die Kombination aus Drücken und Ziehen ist, desto effektiver und wenig anstrengender ist die Aktivität.

15.1.3.6 Umgebung Der Raum kann Bewegung fördern oder sie behindern, Hilfsmittel können helfen oder bremsen. Pflegende sollten sich die Umgebung genau anschauen, in der sie einen Pflegeempfänger mobilisieren: Bett: Sobald der Pflegeempfänger an die Bettkante mobilisiert ist, sollte die Betthöhe so verändert werden, dass er sich im Sitzen mit den Füßen abstützen kann. Darüber kann er sich selbst ausbalancieren und stabilisieren. Matratze: Widerstand fördert die Bewegung. Ist die Matratze zu weich, wird die Eigenbewegung des Pflegeempfängers eher behindert. Hilfsmittel: Um die Bewegungsfreiheit des Pflegeempfängers nicht einzuschränken, sollen nur so viele Hilfsmittel wie nötig verwendet werden. Weiche Kissen bieten zu wenig Widerstand. Eingerollte Handtücher bieten Widerstand, um sich abzustützen und darüber die eigene Bewegung zu initiieren.

15.1.4 Kinästhetik in der Praxis Gemeinsames Bewegen entsteht durch das Führen und Folgen, initiiert durch Impulse. Die wichtigsten Regeln für die Praxis sind: Ressourcen des Pflegeempfängers einschätzen anatomisches Wissen einsetzen: z.B. Welche Bewegung belastet welches Gelenk? Kommunikation: den Pflegeempfänger informieren Zeit lassen: Die Mobilisation ist im Tempo des Pflegeempfängers durchführen. unterstützen, nicht übernehmen: Was kann der Pflegeempfänger selbstständig machen? Ressourcen erkennen und fördern eindeutige Sprache nutzen und klare Anweisungen geben

15.1.5 Kinästhetik Infant Handling Das Kind erlernt bereits im Mutterleib die Bewegungsmuster. Nach der Geburt wird seine Aktivität durch die Schwerkraft und Körperproportionen gehemmt. Durch kinästhetische Prinzipien können die Eigenbewegungen des Neugeborenen unterstützt werden: Impulse des Kindes (z.B. Drehung des Kopfes zur Seite) in Bewegungen einbeziehen, z.B. beim Wickeln. Parallele Bewegungen möglichst vermeiden, spiralige Bewegungen bevorzugen, da diese dem natürlichen Bewegungsmuster entsprechen. Beim Ablegen des Kindes das natürliche Bewegungsmuster beibehalten: Nicht Kopfüber „im freien Fall“, sondern zuerst mit den Füßen die Unterlage

spüren lassen, dann über die Seitenlage (Füße, Gesäß, Schulter) in Rückenlage bringen.

KOMPAKT Grundlagen der Kinästhetik Kinästhetik ist ein Instrument bzw. Werkzeug, das sich mit dem Ablauf menschlicher Bewegung beschäftigt. Das Konzept der Kinästhetik hilft dabei, die physiologischen Bewegungsmuster abzurufen, Mobilität zu fördern, Kraft effizient zu nutzen und rückenschonend zu arbeiten. Leitsatz der Kinästhetik: „Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen.“ Kinästhetik Infant Handling: Die Eigenbewegungen des Kindes unterstützen und natürliche Bewegungsmuster beibehalten.

15.2 Bei der Positionierung unterstützen Menschen sind oft aufgrund ihrer Erkrankung oder durch die Therapie in ihrer Mobilität eingeschränkt. Die vorübergehende oder langfristige Immobilität bringt dabei Risiken mit sich (z.B. Thrombose, Pneumonie, Dekubitus). Deshalb ist die Unterstützung des Pflegeempfängers bei der Mobilisation oder Übernahme des Positionswechsels besonders wichtig.

15.2.1 Prinzipien einer guten Positionierung

bequeme Position wählen Ressourcen des Pflegeempfängers nutzen und Selbstständigkeit fördern Atemwege freihalten Scherkräfte und Druck auf ▶ Prädilektionsstellen vermeiden Krankheits- und bei Kindern entwicklungsbedingte Indikationen und Kontraindikationen berücksichtigen Vorlieben, Tagesablauf und Schlaf-Wach-Rhythmus berücksichtigen Prinzipien der ▶ Kinästhetik oder des ▶ Bobath-Konzepts integrieren Positionswechsel in vorgegebenen Intervallen durchführen, ggf. mit anderen Pflegeinterventionen kombinieren und dokumentieren. auf rückenschonende Arbeitsweise achten

15.2.2 Positionierungsarten und ihre Indikationen Mögliche Positionen und ihre Indikationen finden Sie in ▶ Tab. 15.1 . Tab. 15.1 Möglichkeiten der Positionierung und Indikationen. Positionierungsart

Indikation

Rückenlage

Wirbelsäulen- und Beckenfrakturen, Wirbelsäulen-OP, bei Reanimation

Oberkörperhochlage

Herz- und Lungenerkrankungen, zur Atemunterstützung, evtl. Arme und Schultern mit Kissen unterstützen, z.B. Positionierung in V-A-T-I-Lage, Nahrungsaufnahme, Lesen, Fernsehen usw.

halbhohe Oberkörperhochlage

Schädel-Hirn-Trauma, erhöhter Hirndruck, Schilddrüsen-OP

Positionierungsart

Indikation

90°-Seitenlage

Positionierung bei Hemiplegie, nach Lungen-OP

30°-Seitenlage

Druckentlastung von Schulter, Sitzbein und Trochanter der obenliegenden Seite

Bauchlage und 135°-Lage, Verletzungen im Rückenbereich, Druckentlastung des halbe Bauchlage Rücken-, Gesäß- und Sakralbereichs, zur besseren Belüftung der dorsalen Lungenbereiche, auf Intensivstation bei ARDSPflegeempfängern (acute respiratory distress syndrome = akutes Lungenversagen) Herzbettlage (Hochlagerung des Oberkörpers in [halb-]sitzender Position, Beine tief gelagert)

dekompensierte Herzinsuffizienz, Angina-pectoris-Anfall, Lungenödem

Schocklage = Trendelenburg-Lage

Schock mit Volumenmangel, ZVK-Anlage

Beintieflage = AntiTrendelenburg-Lage

periphere arterielle Durchblutungsstörungen, nach OPs am arteriellen Gefäßsystem

Beinhochlage

Förderung des venösen Rückflusses, nach Venen-OPs und bei Venenentzündungen

stabile Seitenlage

Bewusstlosigkeit

Nestlage

agitierte und desorientierte Pflegeempfänger, Säuglinge und Sterbende

bauchdeckenentspannende nach abdominalen OPs, gastroenterologischen Erkrankungen Lage

15.3 Bei der Mobilisation unterstützen 15.3.1 Ziele der Mobilisation Mobilisation verfolgt präventive, rehabilitative und therapeutische Ziele: Beweglichkeit wiederherstellen, erhalten und/oder verbessern

Dekubitus-, Thrombose-, Pneumonie-, Sturz- und Kontrakturenprophylaxe Aktivierung des Kreislaufs Förderung der Selbstständigkeit Steigerung des Selbstwertgefühls Steigerung des Wohlbefindens Wiederaufnahme von Aktivitäten

15.3.2 Prinzipien der Mobilisation Für jede Form der Mobilisation gelten allgemeine Prinzipien: vor jeder Mobilisation Vitalzeichenkontrolle (siehe Kap. ▶ 14) Ressourcen ermitteln und Motivation fördern krankheitsbedingte Indikationen und Kontraindikationen sowie ärztliche Anordnung berücksichtigen geeignete Hilfsmittel bereitstellen (z.B. Unterarmgehstützen, Rollator, Gehwagen) individuelle Bedürfnisse sowie Wünsche des Pflegeempfängers berücksichtigen Pflegeempfänger zu einzelnen Schritten der Mobilisation fachgerecht und angemessen informieren/anleiten Vorgehensweise gemeinsam mit dem Pflegeempfänger planen Prinzipien der Kinästhetik (z.B. Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen, siehe Kap. ▶ 15.1) oder des Bobath-Konzepts (z.B. immer von der mehr betroffenen Seite aus Bewegung einleiten, siehe Kap. ▶ 52.3) berücksichtigen

Scherkräfte vermeiden (Dekubitusprophylaxe! Siehe Kap. ▶ 17.2) Sicherheit beachten (z.B. Stolperfallen beseitigen, auf angemessenes Schuhwerk achten) auf rückenschonende Arbeitsweise achten (z.B. Bett auf Arbeitshöhe stellen) Mobilisation und ggf. Auffälligkeiten zeitnah dokumentieren

15.3.3 Mobilisation im Bett Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Pflegeempfänger bei der Mobilisation im Bett zu unterstützen. Besonders wichtig dabei ist die Integration der kinästhetischen Prinzipien.

15.3.3.1 Mobilisation durch Drehbewegungen Nach den allgemeinen Vorbereitungsmaßnahmen (Information, Arbeitshöhe des Bettes, Wahrung der Intimsphäre) stellt der Pflegeempfänger die Beine auf, stützt sich ab und dreht sich abwechselnd auf die rechte und linke Seite. Ziel der Drehbewegungen ist, eine Eigenbewegung des Pflegeempfängers in Richtung Kopfende zu initiieren.

15.3.3.2 Bewegen durch Gleiten Die Pflegefachkraft steht am Kopfende, das Bett steht auf der Arbeitshöhe und das Kopfende ist entfernt. Die Pflegefachkraft gibt dem Pflegeempfänger Anweisungen: Die Beine möglichst Gesäß nah aufstellen, die Arme überkreuzt vor den Brustkorb und das Kinn zwischen die Brust legen ( ▶ Abb. 15.2). Selbst legt die Pflegefachkraft ihre Hände flach unter den oberen Rücken und gibt dem Pflegeempfänger Kommando, worauf er sich mit den Beinen abstützt und in Richtung Kopfende bewegt. Diese

Mobilisationsart ist für Pflegempfänger mit Wirbelsäulenerkrankungen oder -operationen indiziert. Bewegen ans Kopfende durch Gleiten. Abb. 15.2  (Foto: A. Fischer, Thieme)

15.3.3.3 Bewegen mit Hilfstuch Hier arbeiten zwei Pflegefachkräfte synchron, ein Stecklaken fungiert als Gleithilfsmittel und das Bett steht auf der Arbeitshöhe. Die Pflegefachkräfte fassen das Tuch körpernah auf der Brustkorb- und Beckenhöhe. Der Pflegeempfänger nimmt die gleiche Position wie bei den vorherigen Mobilisationstechniken ein. Auf ein Kommando und sobald der Impuls vom Pflegeempfänger erfolgt,

bewegen ihn die Pflegefachkräfte rückenschonend in Richtung Kopfende fort.

15.3.3.4 Mobilisation an die Bettkante Die Pflegefachkraft informiert den Pflegeempfänger über die anstehende Mobilisation, ggf. stellt sie Hilfsmittel bereit, kontrolliert die Vitalzeichen und entscheidet, ob sie ggf. eine zweite Pflegefachkraft zur Hilfe benötigt. Der Pflegeempfänger wählt die Bettseite, zu dieser er sich positioniert, ggf. mit Unterstützung ( ▶ Abb. 15.3). Dann winkelt er die Beine an und schiebt sie nacheinander aus dem Bett. Anschließend drückt er sich mit dem Arm von der Bettkante ab und richtet den Oberkörper, ggf. mit Unterstützung der Schulter, auf. Im Sitzen soll er nach vorne blicken. Im Sinne der Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.14) zieht er, ggf. mit Unterstützung der Pflegefachkraft, rutschfestes Schuhwerk an und stellt beide Füße stabil auf den Boden. Mobilisation an die Bettkante. Abb. 15.3  (Foto: A. Fischer, Thieme)

Nach längerer Phase der Immobilität oder bei Hypotonie ist es wichtig, mittels Vitalzeichenkontrolle und Beobachtung des Pflegeempfängers die Kreislaufstabilität zu überprüfen und den Pflegeempfänger nicht unbeaufsichtigt sitzen zu lassen. Bei Pflegeempfängern, die einen Schlaganfall erlitten haben, wird bei der Mobilisation das Bobath-Konzept angewendet, siehe Kap. ▶ 52 „Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems“.

15.3.4 Aus dem Bett mobilisieren 15.3.4.1 Vom Bett aufstehen

Ist für den Pflegeempfänger im Rahmen der (Früh)Mobilisation der erste Stehversuch geplant, informiert ihn die Pflegefachkraft ausführlich über die geplante Mobilisation (Ziel, Unterstützung durch ggf. 2 Pflegefachkräfte, genaue Anweisungen). Anschließend muss die Pflegefachkraft die Kreislaufstabilität des Pflegeempfängers durch Kontrolle der Vitalzeichen überprüfen. Der Pflegeempfänger kann durch Aktivierung der Muskelpumpe an den Beinen und tiefen Atemzügen die Kreislauffunktion unterstützen. Dann erfolgt der Transfer an die Bettkante, siehe ▶ „Mobilisation an die Bettkante". Aus dem sicheren Sitz und unter klaren Anweisungen stellt sich der Pflegeempfänger vor das Bett, ggf. mit Unterstützung der Pflegefachkräfte. Um einen stabilen Stand zu erreichen, wird der Pflegeempfänger aufgefordert, den Rücken gerade zu halten, das Becken nach vorne zu richten und geradeaus zu schauen.

ACHTUNG Es ist wichtig, auch bei zuvor überprüfter Kreislaufstabilität, auf die Anzeichen eines Kreislaufkollapses zu achten, z.B. Blässe, Kaltschweißigkeit, Tunnelblick. Das Befinden des Pflegeempfängers ist zu erfragen (Schwindel? verschwommenes Sehen? Ohrensausen? usw.) Fühlt sich der Pflegeempfänger sicher und steht stabil, kann er die ersten Schritte auf der Stelle versuchen oder einen Transfer in einen Mobilisations- oder Toilettenstuhl unternehmen bzw. versuchen.

15.3.4.2 Beim Gehen begleiten Das Gehen gibt dem Pflegeempfänger das Gefühl der Selbstständigkeit, auch wenn er dabei begleitet wird. Die Pflegefachkraft klärt mit ihm das Ziel, wie weit der Weg sein

soll, z.B. ins Bad, in den Speisesaal usw. Davor muss die Pflegefachkraft die individuelle und aktuelle Situation des Pflegeempfängers berücksichtigen (Kreislaufstabilität, benötigte Unterstützung, Einsatz von Hilfsmitteln) und vorausschauend planen, z.B. Maßnahmen der Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.14) berücksichtigen, Sitzgelegenheit in der Nähe bereithalten usw. Die Pflegefachkraft, ggf. unterstützt durch eine zweite Pflegefachkraft, kann den Pflegeempfänger seitlich durch „Unterhaken“ begleiten, vor dem Pflegeempfänger rückwärtsgehen und ihn dabei an den Händen halten oder, beim Einsatz von Gehwagen oder Rollator, am Becken von hinten sichern.

ACHTUNG Verliert der Pflegeempfänger seine Stabilität und droht zu fallen, ist es wichtig, ihn abzusichern (v.a. den Kopf). Lassen Sie sich kontrolliert gemeinsam mit dem Pflegeempfänger auf den Boden gleiten.

15.3.4.3 Hilfsmittel Eine ganze Reihe von Hilfsmitteln unterstützt den Pflegeempfänger vorübergehend oder dauerhaft bei der Mobilisation und Bewegung. Wichtig dabei ist die gezielte, individuelle, und ressourcenorientierte Auswahl sowie eine körpergrößenangepasste Einstellung des Hilfsmittels. Eine Auswahl: Unterarmgehstützen: sichern den Stand des Pflegeempfängers, wenn er über ausreichend Gleichgewicht, Rumpfstabilität und Kraft in den Armen verfügt. Hierfür ist eine optimale Einstellung wichtig: die Handgriffe sind bei aufrecht stehendem Menschen mit gestreckten Armen auf der Handgelenkshöhe. Die

maximale Belastung der Extremitäten wird ärztlich angeordnet und mit Physiotherapeuten eingeübt. Gehbock: auch Gehrahmen genannt, ist ein einfaches Gestell mit vier Füßen. Der Pflegeempfänger muss seine Bewegungen koordinieren können und Kraft besitzen, um ihn anheben zu können. Er wird in der Rehabilitationsphase eingesetzt. Gehwagen: Eulenburg’sches Modell reicht bei individueller Höheneinstellung bis unter die Achseln des Pflegeempfängers und wird in der Rehabilitationsphase nach orthopädischen Operationen oder bei neurologischen Erkrankungen eingesetzt. Lässt sich nur an den Rädern bremsen. Rollator: stabiler Gehwagen mit Bremsen an den Haltegriffen und Sitzfläche, der den Bewegungsradius des Pflegeempfängers sicher erweitert, z.B. auch außerhalb des Zimmers. Die Handgriffhöhe soll so eingestellt werden, dass der Pflegeempfänger aufrecht gehen und geradeaus schauen kann (keine gebückte Position). Deltarad: ein weiterentwickelter Rollator mit drei Rädern und Bremsen an den Haltegriffen, einfacher in der Handhabung und Einsatz, lässt sich zusammenklappen, passt gut in den Kofferraum eines PKWs und wird gerne außerhalt des Hauses eingesetzt.

15.4 Das Bett des Pflegeempfängers Die Pflegeempfängerbetten sind i.d.R. höhenverstellbar. Diese Funktion ermöglicht eine rückenschonende Arbeitsweise für die Pflegekräfte und wenn die Betthöhe maximal minimiert wird, dient es der Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.14) bei der Mobilisation. Weitere

Funktionen des Bettes verhelfen dem Pflegeempfänger seine Position leicht zu verändern. Die o.g. Betten können je nach Bedarf mit unterschiedlichem Zubehör aufgerüstet werden. ▶ Bettbegrenzungen. Diese dürfen nur mit Einwilligung des Pflegeempfängers oder auf richterliche Anordnung angebracht werden. Der Einsatz bei Eigen- und Fremdgefährdung ist nur auf 24 h zu begrenzen. Die Bettbegrenzungen gehören zu den Maßnahmen der Freiheitsberaubung (§239 Strafgesetzbuch, siehe Kap. ▶ 7.3.6). Zubehör Zum weiteren Zubehör gehören Aufhängevorrichtungen, z.B. für eine Urinflasche, Ablaufsysteme, Stangen, die als Infusionsständer dienen. Der sog. Aufrichter (Haltegriff an einer Stange) soll dem Pflegeempfänger bei der Mobilisation helfen, er erlaubt aber keine physiologischen Bewegungsmuster. Daher wird sein Einsatz kontrovers gesehen und seine Indikation ist immer streng zu prüfen (z.B. kein Einsatz bei Pflegeempfängern mit Neigung zur Spastik). Spezialmatratzen/-betten Müssen die Pflegeempfänger absolute oder eingeschränkte Bettruhe einhalten, werden ergänzend zu den dekubitusprophylaktischen Maßnahmen Weichlagerungs-, Mikro-, Simulations- oder Wechseldrucksysteme eingesetzt. Für Pflegeempfänger, die mehr als 150 kg wiegen, gibt es bariatrische Betten. Die Auswahl des Bettes für Kinder richtet sich nach dem Alter, Größe und Indikation, z.B. Inkubatoren für Frühgeborene oder kranke Säuglinge, spezielle Wärmebetten oder Beistellbetten.

15.5 Hygienische Prinzipien beim Bettenmachen Pflegende sollten beim Bettenmachen folgende Grundprinzipien beachten: vor Kontakt mit frischer Wäsche ▶ hygienische Händedesinfektion durchführen, je nach Hausstandard Einmalschürze anziehen, benutzte Bettwäsche nie auf dem Fußboden ablegen, sondern sofort im Wäscheabwurf entsorgen (Keimverschleppung), vor dem Bettenmachen für eine geeignete Unterlage für Kopfkissen und Bettdecke sorgen, z.B. ausklappbare oder ausziehbare Ablagefläche des Bettes, Stuhl (Flächendesinfektion beachten), Bettdecke und Kopfkissen nicht wild aufschütteln (Infektionsprophylaxe, Keime nicht verwirbeln).

15.6 Guten Schlaf fördern Schlaf fördert das Wohlbefinden und dient der Regeneration. Im Schlaf … sinken Herzfrequenz und Blutdruck, die Atmung wird langsamer, flacher und regelmäßiger, die Körpertemperatur sinkt um 0,4°C, die Muskelspannung nimmt ab und die Augen sind geschlossen. Der Mensch orientiert sich am zirkadianen Rhythmus (Schlaf-Wach-Rhythmus in 24 h). Dieser wird vom SchlafWach-Zentrum im Gehirn gesteuert.

15.6.1 Schlafphasen Es wird zwischen REM-Phasen und Non-REM-Phase unterschieden. Die Non-REM-Phase wird je nach Schlaftiefe in 3–4 Stadien unterteilt. Stadium 1 (Einschlafen, SEM-Phase: Slow Eye Movement): Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen, Augen rollen langsam, Muskeltonus ist vorhanden und im EEG sind kleine Ausschläge mit Zacken zu sehen. Stadium 2 (leichter Schlaf): Das Bewusstsein ist nicht vorhanden, Augen rollen nicht, Muskeltonus ist herabgesetzt, im EEG schlaftypische Veränderungen. Stadium 3 (Übergang zum Tiefschlaf): ca. 30 min nach dem Einschlafen, Augen sind still, im EEG-Deltawellen (Delta Schlaf) Stadium 4 (Tiefschlaf): Muskeltonus weiter herabgesetzt, im EEG langsame Deltawellen

Die Leitlinie der AASM (American Academy of Sleep Medicine) fasst die Stadien 3 und 4 zusammen, sodass nach dieser Klassifikation nur noch 3 Non-REM-Stadien unterschieden werden: N1 (Dösen und Übergang vom Wachzustand in den Schlaf), N2 (stabiler Schlaf) und N3 (Tiefschlaf). Die REM-Schlafphase (REM: Rapid Eye Movement, Traumphase) dient der psychischen Erholung. In dieser Phase rollen die Augen, die Lider flattern und die willkürliche Muskulatur ist so gut wie gelähmt. Ein Schlafzyklus setzt sich aus mehreren aufeinander folgenden Non-REM-Phasen und einer abschließenden REM-Phase zusammen. Pro Nacht durchläuft der Mensch 4–7 Schlafzyklen (je 70–90 min). Wird er nicht geweckt, wacht er physiologisch nach Abschluss einer REM-Phase auf. Im Laufe der Nacht wird die REM-Phase immer länger und die Nicht-REM-Phase (Tiefschlafphase) immer kürzer.

15.6.1.1 Schlafbedarf Der Schlafbedarf ist altersabhängig: Kind: Säugling 16–20 h, Kleinkind 12–15 h, Schulkind 10–11 h, Jugendlicher 7–9 h Erwachsener: 6–9 h alter Mensch: ca. 7 h (kürzere Tiefschlafphasen, Gesamtschlafdauer und Traumphasen)

15.6.2 Schlafanamnese Die Schlafanamnese dient der Schlaferfassung. Dabei werden folgende Aspekte erfragt: Schlafqualität und Schlafdauer Begleiterscheinungen (Schnarchen)

Befinden nach dem Aufwachen Einnahme von Schlafmitteln individuelle Schlafgewohnheiten Einschlafrituale besonders bei Kindern und alten Menschen Schlafstörungen Detaillierter lassen sich die Informationen in einem Schlafprotokoll erfassen, z.B. bei chronischen Schlafstörungen.

15.6.3 Schlafstörungen (Dyssomnien) akute Schlafstörungen: Dauer bis zu 3 Wochen. Die Ursache ist meist leicht identifizierbar: z.B. Stress, Trauma, Jetlag, Prüfung. chronische Schlafstörungen: Dauer länger als 3 Wochen. Oft ist die Ursache unklar. Mögliche organische Ursachen sind z.B.: Schmerzen, Inkontinenz, Herzkrankheit, Schlaf-Apnoe-Syndrom. Verschiedene Gruppen von Schlafstörungen zeigt ▶ Tab. 15.2 . Tab. 15.2 Die 6 Hauptgruppen von Schlafstörungen.* Schlafstörung

Beschreibung

Insomnie

Ein- und Durchschlafschwierigkeiten oder Früherwachen oder eine Kombination aus diesen

schlafbezogene Atmungsstörungen

Schnarchen, Schlafapnoe, Hypoventilationsstörungen, Hypoxie

zentrale Störungen ausgeprägte Tagesschläfrigkeit, Narkolepsie, Hypersomnie, diese der Tagesschläfrigkeit gilt als Begleitsymptom einiger Erkrankungen, z.B. Infekten, (Hypersomnolenz) Tumoren, Diabetes mellitus, Hypothyreose, bei psychischen Störungen, als Folge eines Alkohol- oder Drogenmissbrauchs und als Nebenwirkung von Medikamenten wie Hypnotika, Psychopharmaka, Antihistaminika oder Antihypertonika.

Schlafstörung

Beschreibung

zirkadiane SchlafWach-RhythmusStörungen

Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus

Parasomnien

Anfallsartig oder periodisch auftretende Phänomene, die während des Schlafes auftreten, z.B. Schlafwandeln, Nachtschreck oder Enuresis (nächtliches Einnässen).

schlafbezogene häufige einfache, stereotype Bewegungen u.a. das Syndrom der Bewegungsstörungen unruhigen Beine (Restless-Legs-Syndrom) oder Bruxismus (Zähneknirschen) * nach ICSD-3 (2014)

15.6.4 Auswirkungen von Schlafstörungen Schlafmangel kann Folgen haben: Konzentrationsschwäche, innere Unruhe, Reizbarkeit und Ungeduld Zerschlagenheit, Müdigkeit, gesteigertes Schmerzempfinden Veränderungen der Persönlichkeit, Abnahme der Kreativität Risikofaktor für ▶ Diabetes mellitus, ▶ Adipositas und Störung der Immunreaktionen

15.6.5 Pflegerische Maßnahmen zur Schlafförderung In einer fremden Umgebung zu schlafen, ist nicht immer einfach. Besonders während eines Klinikaufenthalts kann der Schlaf gestört sein. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Die ▶ Tab. 15.3  zeigt Ursachen und Maßnahmen zur pflegerischen Unterstützung bei Schlafstörungen. Tab. 15.3 Häufige Ursachen für Schlafstörungen während eines Klinikaufenthalts.

Einflussfaktoren

pflegerische Maßnahme

psychische Einflussfaktoren Ängste (vor dem Alleinsein bei Kindern, vor der Diagnose, vor der Zukunft u.a.)

Gespräche anbieten, Musik, (Vor)Lesen atemstimulierende Einreibung, z.B. mit Lavendelöl Tees mit beruhigender Wirkung, z.B. Melisse, Hopfen Kindern ggf. Telefonat mit einer Bezugsperson ermöglichen

ungewohnte Umgebung, Heimweh

abendliche Telefonate ermöglichen persönliche Gegenstände am Bett, z.B. Fotos

physische Einflussfaktoren Bewegungsmangel

Motivation, Anleitung zu Bewegungsübungen Physiotherapie, Spaziergang (auf dem Flur)

Schmerzen

schmerzlindernde, entspannende Positionierung Wärme- oder Kälteanwendungen Bedarfsmedikation verabreichen

Nykturie

Toilettenstuhl oder Urinflasche ans Bett stellen Klingel in Reichweite

Hunger, Durst, trockener Mund

Spätmahlzeit Getränk, feuchte Wattestäbchen bei Nahrungskarenz

motorische Unruhe, kalte Füße

Wärmeanwendungen, z.B. Bauchwickel oder Brustauflage Fußbad mit Lavendelöl

arterielle Hypertonie

kaltes Fußbad, Achtung: Durchblutungsstörungen

umgebungsbedingte Einflussfaktoren Licht

Licht dimmen Nachtlicht

Gerüche

lüften

Einflussfaktoren Raumtemperatur: Wärme/Kälte

pflegerische Maßnahme entsprechende Bettdecke bzw. Zweitdecke warmes Getränk nur Bettbezug statt Bettdecke

Lärm, Geräusche, z.B. Schnarchen

für ruhiges Zimmer sorgen Ohrstöpsel

ACHTUNG Neugeborene und Säuglinge wegen Gefahr des plötzlichen Kindstods (SIDS, Sudden Infant Death Syndrome) möglichst immer in Rückenlage im eigenen Bettchen am Elternbett schlafen lassen, Überwärmung vermeiden, auf Bettdecken, Felle, Kuscheltiere etc. verzichten (Verlegung der Atemwege!). Am besten Babyschlafsack verwenden.

15.6.6 Schlaffördernde Medikamente und ihre Nebenwirkungen Zu den ärztlich verordneten schlaffördernden Medikamenten gehören: Benzodiazepine: verlängern den weniger tiefen Schlaf und verkürzen die Tiefschlafstadien inklusive REMSchlaf. Nebenwirkungen: Sie wirken relaxierend auf die Muskulatur (Sturzgefahr), die lange Halbwertszeit führt tagsüber zur Beeinträchtigung der Vigilanz (ebenso Sturzgefahr) und des Gedächtnisses (Überhang), Gefahr der Atemdepression (Achtung: pulmonale Vorerkrankung). Nach 2–4 Wochen tritt eine Gewöhnung ein, was zu einer Dosiserhöhung und einer Suchtgefahr (psychisch wie physisch) führen kann. Der Erholungseffekt ist durch das veränderte Schlafmuster geringer. Bei abruptem Absetzen der Benzodiazepine

kann die Schlaflosigkeit heftiger auftreten (ReboundInsomnie). Ältere Menschen und Kinder können mit Unruhe, Angst oder Aggression reagieren (paradoxe Reaktion). Beispiele: Noctamid, Diazepam. Benzodiazepin-Analoga: Wirkung und Nebenwirkung wie bei Benzodiazepinen, jedoch mit geringer Halbwertszeit und Gewöhnung. Beispiele: Zolpidem, Zopiclon. Antidepressiva: wirken beruhigend und schlafanstoßend, insgesamt schwächer, jedoch mit substanztypischen Nebenwirkungen wie Obstipation und Mundtrockenheit. Zudem führen sie zur Gewöhnung und haben eine lange Halbwertszeit (Überhang). Beispiele: Amitriptylin, Doxepin. Antihistaminika: wirken antiallergisch und bewirken Müdigkeit, die entspannt und den Schlaf anstößt. Sie wirken schwächer, sind rezeptfrei erhältlich und können einen Überhang erzeugen. Beispiele: Vivinox Sleep (Diphenhydramin), Wick MediNait (Doxylamin).

KOMPAKT Mobilisation, Positionierung und Schlaf Prinzip der Positionierung: Eine gute Positionierung muss für den Pflegeempfänger bequem sein. Dabei sollen seine Ressourcen berücksichtigt und seine Selbstständigkeit gefördert werden. Ziele der Mobilisation: Mobilisation wirkt präventiv, z.B. Thrombose-, Dekubitus-, Kontrakturprophylaxe, rehabilitativ und therapeutisch. Prinzip der Mobilisation: Vor jeder Mobilisation Blutdruck kontrollieren und Befinden des Pflegeempfängers erfragen (Kreislaufinstabilität)! Indikationen und Kontraindikationen

berücksichtigen, Ressourcen ermitteln, Motivation fördern und ggf. Hilfsmittel bereitstellen rückenschonende Arbeitsweise: z.B. beim Bettenmachen immer die Arbeitshöhe beachten. hygienische Prinzipien beim Bettenmachen: hygienische Händedesinfektion vor Kontakt mit frischer Wäsche durchführen, ggf. Einmalschürze anziehen, benutzte Bettwäsche direkt im Wäscheabwurf entsorgen, nie auf dem Boden zwischenlagern, wildes Aufschütteln der Bettdecken, Kopfkissen vermeiden (Infektionsprophylaxe) Schlafphasen: Non-REM-Phase in Stadien: 1. Einschlafen (SEM-Phase: Slow Eye Movement), 2. leichter Schlaf, 3. Übergang zum Tiefschlaf: (Delta Schlaf), 4. Tiefschlaf und REM-Schlafphase (Rapid Eye Movement, Traumphase) Schlafstörungen: akut (bis 3 Wochen) und chronisch (mit Auswirkungen wie z.B.: Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, gesteigertes Schmerzempfinden), als Risikofaktor für Diabetes mellitus Gesunder Schlaf fördert das Wohlbefinden des Pflegeempfängers und unterstützt den Genesungsprozess.

16 Körperpflege und Bekleidung 16.1 Hautpflege 16.1.1 Haut beobachten und beurteilen

Hautbeobachtung und -beurteilung sind eine zentrale Aufgabe von Pflegenden. Meist erfolgen sie im Rahmen der Körperpflege und liefern wertvolle Informationen zum Allgemeinzustand des Pflegeempfängers. Die Beurteilung erfolgt anhand der nachfolgenden Kriterien.

16.1.1.1 Hautalter Neugeborene: Die Haut eines Neugeborenen ist sehr dünn und somit anfälliger für äußere Reize (UVStrahlung) und externe Stoffe. Kinder: Die Haut der Kinder ist sehr elastisch, fettarm und wasserreich (hält länger Feuchtigkeit). Sie benötigt einen hohen UV-Schutz. Jugendliche: Die Haut Jugendlicher unterliegt den hormonellen Veränderungen der Pubertät. Sie wird fettiger und derber. Es bildet sich die Schambehaarung und vermehrte Körperbehaarung. Die Talgproduktion ist noch unausgeglichen, was Akne zur Folge hat. Diese kann sich infizieren und bei nicht fachgerechter Behandlung tiefe Narben hinterlassen. Erwachsene: Der Alterungsprozess der Haut führt zu fortschreitender Abnahme des Feuchtigkeits- und des Lipidgehalts. Zudem verringert sich der Kollagenanteil, wodurch die Hautelastizität nachlässt. Alte Menschen: Die Haut im Alter ist wesentlich dünner, trockener und weniger elastisch. Durch frühere Schädigungen, Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, Rheuma) und physiologisch (durch verminderte Durchblutung) ist sie anfälliger für Infektionen und Verletzungen. Die Haut der geriatrischen Pflegeempfänger benötigt sorgfältige Beobachtung und reichhaltige Pflege.

16.1.1.2 Hautkolorit

Das Hautkolorit (Syn.: Hautfarbe) lässt Rückschlüsse auf die Durchblutung der Haut zu. Hautrötung: durch Vasodilatation (Erweiterung der Blutgefäße) bei Aufregung, körperlicher Anstrengung (physiologisch) oder bei arterieller Hypertonie, Entzündungen, Fieber, Verbrennungen (pathologisch) Hautblässe: durch Vasokonstriktion (Verengung der Blutgefäße) bei Kälteexposition (physiologisch) oder bei Anämie, arterieller Hypotonie bis zum Schock (pathologisch) Blaufärbung (Zyanose): durch verminderte O2Sättigung des Blutes bei verminderter Herzleistung, respiratorischer Insuffizienz bis zur Atemdepression durch Medikamentenüberdosierung oder im Schock. Die Blaufärbung wird zuerst an Lippen und Fingernägeln sichtbar. Achtung: Bei Anämie tritt keine bzw. nur eine geringe Zyanose auf. Gelbfärbung (Ikterus): durch Störungen des Bilirubinabbaus und der -ausscheidung, bei Säuglingen (physiologisch bis zum 6. Tag) oder bei Leber- und Gallenerkrankungen Bei der Beobachtung dieser Veränderungen ist es wichtig zu unterscheiden, ob das Kolorit der Haut plötzlich (akut) oder dauerhaft auftritt und ob bereits (Vor-)Erkrankungen bestehen. Durch diese Informationen lassen sich die möglichen Gründe (allergische Reaktion, Schock etc.) besser eingrenzen.

16.1.1.3 Hauttemperatur Die Hauttemperatur beträgt physiologisch 28–33°C und ist abhängig von der Durchblutung, dem Feuchtigkeitsgehalt, der Schweißbildung und der Umgebungstemperatur. Die Haut gibt Aufschluss über den Allgemeinzustand, sie ist: kühl und blass bei verminderter Durchblutung

warm bis heiß bei vermehrter Durchblutung lokal überwärmt als Zeichen eines Entzündungsvorgangs

16.1.1.4 Beschaffenheit der Hautoberfläche Die gesunde Haut ist intakt, angenehm trocken und geschmeidig. Sie kann feucht, sehr trocken bis schuppig oder fettig sein. Zur Beurteilung der Haut gehört immer auch die Einschätzung des ▶ Dekubitusrisikos. Veränderungen der Hautanhangsgebilde (z.B. dünner werdende Haare, rissige oder gerillte Nägel) können Auskunft über den Flüssigkeits- und Hormonhaushalt (z.B. Hypothyreose), bestehende Mangelerscheinungen oder Mykosen geben.

16.1.1.5 Hautturgor Auch die Spannung der Haut (Hautturgor) ist wichtig für die Einschätzung des Allgemeinzustands: physiologischer Hautturgor: Haut ist prall und elastisch verminderter Hautturgor (bei Dehydratation oder Malnutrition): Haut ist schlaff mit stehender Hautfalte erhöhter Hautturgor (gibt es Ödeme?): z.B. bei Herzoder Nierenfunktionseinschränkung

16.1.2 Säureschutzmantel Um die Haut in ihrer physiologischen Funktion zu erhalten, ist es wichtig, sie entsprechend zu pflegen. Als dünner Hydrolipidmantel stellt der Säureschutzmantel mit einem pH-Wert von ca. 5,5 eine Barriere für Krankheitserreger dar. Er besteht aus Talg, Schweiß und Bestandteilen der Hornzellen und ... dient der Temperatur- und Flüssigkeitsregulation,

schützt die Haut vor Austrocknung. Bei Neugeborenen und Säuglingen sind die Talg- und Schweißdrüsen noch nicht entwickelt, daher ist der Säureschutzmantel noch nicht stabil.

16.1.3 Wassertemperatur Bereits durch Waschen mit klarem Wasser wird der Säureschutzmantel verändert. Je höher die Wassertemperatur ist, desto stärker wird er in seiner Funktion als Schutzfilm beansprucht. Optimale Wassertemperatur für eine reinigend-aktivierende Waschung sind 34°C. Weitere Wassertemperaturen siehe Kap. ▶ 16.2.3 „Therapeutische Waschungen“.

Merke Nachspülen und Trocknen Um Hautirritationen vorzubeugen, müssen nach jeder Reinigung Seifenreste gründlich mit klarem Wasser und einem frischen Waschlappen abgespült werden und die Haut anschließend, besonders in den Hautfalten, abgetupft bzw. abgetrocknet werden, um Intertrigo und Candidainfektionen vorzubeugen.

16.1.4 Hautreinigungs- und Hautpflegeprodukte ▶ Tab. 16.1  zeigt die Eigenschaften und Wirkungen von Hautreinigungs- und Hautpflegeprodukten auf die Haut. Tab. 16.1 Hautreinigungs- und Hautpflegemittel und deren Wirkung auf die Haut. Produkt

Eigenschaft

Wirkung auf die Haut

Produkt

Eigenschaft

Seifen

primär alkalisch: pH 8–11; lösen nicht nur den wasserlöslichen Schmutz, sondern auch den Hydrolipidmantel; lassen die Haut aufquellen

Veränderung des pH-Wertes

wasch- und oberflächenaktive Substanzen (Tenside): enthalten hydro- und lipophile Substanzen, rückfettende Anteile, z.B. Olivenöl, und Zusätze zur pHRegulierung (neutral bis sauer)

geringere Veränderung des pHWertes

Badeöle mit Emulgator verbinden sich mit Wasser besser, dadurch ist eine flächenhafte Auftragung möglich. Langsam spreitende Öle (Öle ohne Emulgator) verbinden sich nicht mit Wasser, keine flächenhafte Auftragung möglich.

meistens in der Dermatologie anwendbar

Syndets

Badeöle

Wirkung auf die Haut Austrocknung der Haut evtl. Juckreiz durch Eindringen der Alkalisalze in die Haut Deoseife: Zerstörung der Hautflora und Reduktion der Immunabwehr

Rückfettung je nach Zusatz

hohes Rückfettungspotenzial kein Abtrocknen, nur Abtupfen Gefahr der Hautporenverschließung, Achtung: bei Pflegeempfängern mit Fieber → Störung der Thermoregulation

O/W-Emulsionen Öl-in-Wasser-Emulsionen: Wasseranteil > Fettanteil, evtl. Zusätze von Urea (Harnstoff): feuchtigkeitsbindende Substanz

für normale und fettige Haut

W/O-Emulsionen Wasser-in-Öl-Emulsion, Wasseranteil < Fettanteil, Pflegebalsam

für trockene und beanspruchte Haut

mit Urea-Zusatz auch für trockene Haut ziehen schnell ein

ziehen langsam ein bilden einen Fettfilm auf der Haut schützen vor Austrocknung

Produkt

Eigenschaft

Wirkung auf die Haut

Salben und Pasten

höherer Pulveranteil, durch direkte Applikation der Wirkstoffe auf die Zusatz von Wirkstoffen nur Haut medizinisch indiziert, Anwendung nur auf ärztliche Anordnung

pflanzliche Öle

kaltgepresst, aus kontrolliertem Anbau, bilden keinen Fettfilm auf der Haut

für die Pflege trockener, empfindlicher Baby-, Kinder- und Altershaut

16.2 Bei der Körperpflege unterstützen 16.2.1 Grundregeln bei der Körperpflege Die Körperpflege kann dem Zustand und den Ressourcen des Pflegeempfängers entsprechend im Bett, am Waschbecken oder in der Dusche erfolgen. Dabei sind folgende Regeln zu beachten: Informationen sammeln (Allgemeinzustand, Ressourcen, Wünsche, z.B. bezüglich Reihenfolge, Wassertemperatur) Fenster schließen (Zugluft vermeiden, angenehme Raumtemperatur) vor und nach der Körperpflege ▶ hygienische Händedesinfektion und Flächendesinfektion durchführen Pflegeutensilien und frische Kleidung bereitlegen, die Reihenfolge der Handlungskette berücksichtigen, möglichst pflegeempfängereigene Artikel, auf Vollständigkeit prüfen Privat- und Intimsphäre wahren (Besucher, ggf. Bezugspersonen und Bettnachbarn aus dem Zimmer bitten)

vor dem Transfer aus dem Bett immer Vitalparameter kontrollieren (Kreislaufstabilität überprüfen, siehe Kap. ▶ 14.4) Stuhlfläche beim Waschen am Waschbecken mit einem Handtuch bedecken nur zu waschende Körperteile entkleiden, damit der Pflegeempfänger nicht auskühlt (Ausdunstungskälte) Waschwasser wechseln: vor der Intimpflege, bei sichtbarer Verschmutzung und nach Kontamination des Wassers bei Pilzinfektion immer Einmalwaschlappen verwenden und diese sofort entsorgen (Gefahr der Infektionsausbreitung!) + unsterile Handschuhe tragen! Prophylaxen (siehe Kap. ▶ 17) in die Körperpflege integrieren unterstützungsbedürftige Pflegeempfänger und Kinder nie alleine im Bad lassen (Sturz- und Kreislaufkollapsgefahr!) rückenschonend arbeiten

16.2.2 Grundregeln bei der Intimpflege Für die Intimpflege gelten folgende Grundregeln (unabhängig vom Alter): Einverständnis des Pflegeempfängers einholen Intimsphäre schützen vor der Intimpflege immer Waschwasser wechseln Einmalhandschuhe tragen Handtuch unterlegen, damit der Pflegeempfänger ggf. nicht im Nassen liegen muss

Einmalwaschlappen nutzen, diese bei Pilzinfektion nach jedem Wischvorgang sofort entsorgen im Bereich der Harnröhre von innen nach außen waschen von der Symphyse Richtung Anus waschen und bei der Frau: Bauch und Leistenregion waschen, große Schamlippen sanft spreizen, kleine und große Schamlippen ausgehend von der Harnröhrenöffnung reinigen und trocknen beim Mann: zuerst Penisschaft waschen, Vorhaut zurückziehen, Harnröhreneingang und Eichel waschen, abtrocknen und Vorhaut zurückschieben (Gefahr einer Paraphimose), abschließend Hodensack in Richtung Analbereich waschen

16.2.3 Therapeutische Ganzkörperwaschungen Bei der therapeutischen Ganzkörperwaschung ( ▶ Tab. 16.2 ) wird ähnlich wie bei der Körperpflege im Bett verfahren, die Intimpflege wird allerdings ausgelassen. Dem Waschwasser werden keine reinigenden Zusätze zugefügt, je nach Bedarf jedoch bestimmte Waschzusätze (z.B. Lavendelöl). Tab. 16.2 Unterschiede und Gemeinsamkeiten: beruhigende und belebende Ganzkörperwaschung. Einsatzmöglichkeiten beruhigende Ganzkörperwaschung

belebende Ganzkörperwaschung

Anwendung

z.B. bei Unruhe, Agitation, Schmerz

z.B. bei Bewusstseinsstörung, Somnolenz, Depression

Waschzusätze

z.B. Lavendel, Mandarine

z.B. Zitrone, Rosmarin

Wassertemperatur

38–39°C

18–22°C

Waschrichtung

in Haarwuchsrichtung, vom Hals nach auswärts

gegen die Haarwuchsrichtung, von den Händen beginnend zum Hals, von Füßen zur Hüfte usw.

Einsatzmöglichkeiten beruhigende Ganzkörperwaschung

belebende Ganzkörperwaschung

Grundsätze

Eine Hand hält immer Kontakt zum Pflegeempfänger. Möglichst wenig sprechen, einzelne Handlungsschritte erklären. Pflegeempfänger während der Maßnahme beobachten; empfindet er die Waschung als unangenehm, Maßnahme abbrechen.

Aktivität/Ruhe

Im Anschluss an die Im Anschluss an die Waschung Waschung Ruhe ermöglichen, kann eine Mobilisation folgen. bei der Einnahme einer für den Pflegeempfänger angenehmen Position unterstützen.

16.2.4 Mund- und Lippenpflege Ziele: Reinigung des Mundraums (Wohlbefinden), Feuchthalten der Schleimhaut (intakte Mundschleimhaut), Vermeidung von Infektionen (Prophylaxe, z.B. gegen Soor, Parotitis, siehe Kap. ▶ 17.12) Beobachtung: Mundschleimhaut auf Beläge, Färbung, Borken, Aphthen, Risse, Blutungen, Druckstellen durch Prothese. Sind die Lippen trocken, rissig? Zähne und Zahnfleisch intakt? Durchführungshinweise: Inspektion (mit Lichtquelle und Spatel), ggf. Mundhöhle auswischen, sofern der Pflegeempfänger nicht selbst die Mundpflege durchführen kann (angefeuchtete, weiche Kompresse oder Schaumstoffstäbchen), bei der Zahnpflege bzw. Prothesenpflege nach Bedarf unterstützen, ggf. Speichelfluss anregen (z.B. Zitronendrops). Lippenpflege mit Pflegecreme durchführen. Zahnprothesen: Um Druckstellen und eine Rückbildung des Kiefers zu vermeiden, sollte der Pflegeempfänger die Zahnprothese kontinuierlich (auch nachts) tragen. Die

Zahnprothese nach jeder Nahrungsaufnahme abspülen und mindestens 1-mal täglich putzen ( ▶ Abb. 16.1). Dafür zuerst die Oberkieferprothese entfernen, danach die Unterkieferprothese. Diese Reihenfolge ist für den Pflegeempfänger angenehmer. Zahnprothesenreinigung. Abb. 16.1 Die Zahnprothesen sind sehr bruchempfindlich, daher sollte das Waschbecken vorher mit Wasser gefüllt werden oder eine Nierenschale oder ein Waschlappen in das Waschbecken gelegt werden, damit bei einem versehentlichen Fallenlassen kein Defekt oder Bruch passieren kann. (Foto: K. Oborny, Thieme)

16.2.5 Augen-, Ohren- und Nasenpflege Augenpflege: Die Augen verfügen über eine Selbstreinigungsfunktion, daher reicht es, sie im Rahmen der Gesichtspflege mit einem sauberen

Waschlappen zu waschen. Bei sedierten und bewusstseinseingeschränkten Pflegeempfängern werden die Augenlider mit 0,9 % NaCl und weichen sterilen Kompressen gereinigt. Dabei ist die Wischrichtung zu beachten (von außen nach innen). Ohrenpflege: Die Ohrmuscheln werden im Zuge der Gesichtspflege gewaschen. Die Reinigung mit Wattestäbchen ist kontraindiziert, da dadurch das Ohrenschmalz tiefer in den Gehörgang gedrückt wird, was zur Verschlechterung des Hörvermögens führen kann. Nasenpflege: Die gesunde Nasenschleimhaut ist feucht, daher benötigt die Nase bei intakter Nasenschleimhaut keine besondere Pflege. Bei beatmeten Pflegeempfängern und bei einer liegenden nasalen Sonde sind Reinigung und Anfeuchtung der Nase mit steriler Kochsalzlösung und Nasensalbe nötig.

16.2.6 Haar- und Nagelpflege Haarpflege: Zur Haarpflege gehören das tägliche Kämmen und ggf. Frisieren der Haare sowie die regelmäßige Haarwäsche. Diese kann 1–2-mal in der Woche unter der Dusche, am Waschbecken oder im Bett mithilfe des dafür vorgesehenen Haarwaschbeckens oder einer umfunktionierten Mülltüte durchgeführt werden. Rasur: Es gibt die Möglichkeit zur Trocken- oder Nassrasur. Vor der Nassrasur sollte die aktuelle Medikation des Pflegeempfängers überprüft werden, eine Kontraindikation stellt die Gabe von ▶ Antikoagulanzien dar (Blutungsgefahr!). Während der Nassrasur wird die Haut einzelner Gesichtsareale gespannt gehalten und in langen, sanften Strichen rasiert. Anschließend werden die Schaumreste mit

einem feuchten Waschlappen entfernt und die Haut wie gewohnt gepflegt. Nagelpflege: Die Nägel sollten sauber und kurz gehalten werden. Überragt die Nagelplatte die Fingeroder Zehenkuppen, werden die Nägel geschnitten, sofern der Pflegeempfänger sein Einverständnis dazu gibt. Die Nägel der Finger werden rund und die der Füße gerade geschnitten, um ein Einwachsen zu verhindern. Während der Maßnahme wird die Haut inspiziert und anschließend eingecremt. Bei Pflegeempfänger mit Diabetes mellitus sollte die Fußpflege aufgrund der erhöhten Gefahr von Wundinfektionen von medizinischen Podologen durchgeführt werden.

16.2.7 Säuglingsbad Das Säuglingsbad kann dem Wohlbefinden, der Wahrnehmungsförderung, Körperreinigung und Therapie dienen. Die Art des Bades und die Wahl der Pflegeprodukte richtet sich nach den Bedürfnissen und dem Zustand des Kindes. Dabei sind folgende Sicherheitsaspekte zu beachten: Zeitpunkt: Nicht unmittelbar nach einer Mahlzeit (Belastung des Kreislaufes und Gefahr des Erbrechens) Wassertemperatur: 37–38°C, obligatorisch ist eine Kontrolle der Temperatur mit einem Badethermometer (Gefahr einer Verbrühung). Badedauer sollte maximal 5–10 min betragen (Schutz der Babyhaut). Hautpflege: Nach dem Bad das Kind in ein Handtuch wickeln und sorgfältig abtrocknen, insbesondere die Hautfalten (Gefahr der Mazerationen und Mykosen).

Pflegeprodukte sollen immer mit Bedacht ausgewählt werden. Als unbedenklich gelten Pflegeprodukte mit DHA-Siegel die mild, rückfettend, pH-neutral sind und keine Duft-, Farb- und Konservierungsstoffe enthalten. Schutz vor Wegrutschen oder Untertauchen: Auch ältere Säuglinge oder Kleinkinder dürfen aufgrund der möglichen Ertrinkungsgefahr nie allein gelassen werden. Auch Säuglinge, die bereits sitzen können, müssen beim Baden festgehalten werden. Materialien Hände-, Flächendesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe, Schutzkittel Wickelunterlage vorbereiten: 2 Badehandtücher, Waschlappen, Badethermometer, ggf. Badezusatz und Pflegeprodukte, Windel, frische Kleidung, Kamm/weiche Bürste, sonstige Materialien, z.B. Waage, Thermometer Babywanne oder Badeeimer mit Wasser kippsicher vorbereiten Müll-, Wäscheabwurf Durchführung ggf. Wärmelampe einschalten oder angenehme Raumtemperatur schaffen; ca. 22–24°C unsterile Handschuhe anziehen Kind auf Wickelablage ablegen (mit den Füßen zuerst), Unterkörper entkleiden, Windel entfernen, ggf. reinigen, Handschuhe ausziehen, Hände desinfizieren, Kind weiter entkleiden Aus hygienischen Gründen das Gesicht des Kindes ohne Waschzusatz zuerst waschen. ggf. Badezusatz hinzufügen

Säugling sicher fassen: Kopf ruht auf dem linken Unterarm, rechte Hand umfasst Oberschenkel und das Kind vorsichtig ins Bad tauchen, zuerst berühren die Füße den Wannenboden. Oberschenkel loslassen und mit der rechten Hand das Kind waschen Waschreihenfolge: Gesicht, Kopf, Hals, Achseln, Arme hin zu den Händen, Oberkörper, Bauch, Leisten Beine hin zu den Füßen, Genitalbereich von vorne nach hinten, Gesäß Kind aus der Badewanne heben (Füße zuletzt), zügig auf die Wickelauflage legen und in ein Handtuch wickeln, anschließend sorgfältig abtrocknen, speziell die Hautfalten. Kind eincremen, wickeln, Hände desinfizieren, ggf. Nabelpflege durchführen, zügig anziehen Lippen-, Augen-, Ohren- und Haarpflege durchführen

16.2.8 Nabelpflege Die Nabelschur ist das Bindeglied zwischen Mutter und Kind in der Schwangerschaft. Nach der Geburt verliert sie ihre Funktion. Sie fällt i.d.R. nach dem 7.–10. Lebenstag ab. In dieser Zeit sollen folgende Aspekte beachtet werden, um einen physiologischen Heilungsprozess zu gewährleisten: vor Kontakt mit Nabel Hände desinfizieren und Handschuhe anziehen, bei Frühgeborenen sterile Handschuhe nutzen, die Nabelgegend darf keinesfalls mit den Händen berührt werden. bei einem unauffälligen Nabel: mit einem sterilen Wattestäbchen/Tupfer und steriler Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %) die Verkrustungen vorsichtig entfernen. Den Nabelrest und die Hautumgebung auf

Infektionszeichen inspizieren. Nabelrest anschließend mit sterilen Kompressen verbinden. bei einem auffälligen Nabelrest bzw. -grund (z.B. schmierig, übler Geruch, gerötet): Nach ärztlicher Absprache Hautdesinfektion des Nabelringes, des Nabelschnurrestes einschließlich der Nabelklemme bzw. des Nabelgrundes mit einem Schleimhautantiseptikum (z.B. Octenisept) durchführen, ggf. nach ärztlicher Anordnung mit Lokaltherapeutika behandeln. Anschließend mit sterilen Kompressen verbinden. Windeln ca. 6–8-mal täglich wechseln oder bei Bedarf (Durchnässung, Stuhl), um eine Kontamination des Nabels zu verhindern. baden erst nach dem Abfallen des Nabels; bis dahin nur waschen, keine Badezusätze verwenden

16.3 Bekleidung KOMPAKT Körperpflege Die Hautbeobachtung ist wichtig, um den Allgemeinzustand des Pflegeempfängers zu beurteilen. Beobachtet werden: Farbe, Temperatur, Oberfläche und Turgor der Haut. Die Körperpflege dient u.a. der Infektionsprophylaxe, sie fördert das Wohlbefinden sowie die Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit des Pflegeempfängers. Bei der aktivierenden Pflege wird der Pflegeempfänger in seiner Selbstpflege unterstützt. Grundsätzliche Regeln:

Pflegeempfänger informieren, ggf. Vitalparameter kontrollieren, vorhandene Ressourcen sowie Wünsche und Rituale erfragen Maßnahme mit dem Pflegeempfänger planen (eigene Pflegemittel, Reihenfolge) und organisieren (Material vollständig?) Intimsphäre schützen therapeutische Waschungen: basal-beruhigende Waschung: bei verwirrten, agitierten, schmerzgeplagten und sterbenden Pflegeempfängern, Waschen mit der Haarwuchsrichtung und warmem Wasser ohne Reinigungszusätze, ggf. mit Aromen wie Lavendel oder Mandarine belebende Waschung: bei bewusstseinsgestörten, somnolenten Pflegeempfängern sowie Pflegeempfänger mit Wahrnehmungsstörungen und Depression. Waschen gegen Haarwuchsrichtung und mit kühlerem Wasser ohne Reinigungszusätze, ggf. mit Waschzusätzen wie Zitrone, Rosmarin oder Latschenkiefer Mundpflege dient der Reinigung der Zähne und der Mundschleimhaut sowie der Soor- und Parotitisprophylaxe. Sie fördert das Wohlbefinden des Pflegeempfängers. Dabei wird die Mundschleimhaut beobachtet: trocken (Dehydratation)? Weißliche Beläge (Soorinfektion)? Farbe? Intaktheit? Schmerzen? Augenpflege: z.B. bei sedierten Pflegeempfängern mit in 0,9 % NaCl getränkten Kompressen von außen nach innen wischen

Ohrenpflege: nur mit klarem Wasser waschen, keine Wattestäbchen nutzen Nasenpflege: bei liegender Nasensonde mit 0,9 % NaCl reinigen und anfeuchten, ggf. mit Nasensalbe eincremen Säuglingsbad: nie nach einer Mahlzeit durchführen, Wassertemperatur von 37–38°C, mit einem Badethermometer kontrollieren; Pflegeprodukte mit DHASiegel verwenden, Badedauer maximal 5–10 min, anschließend das Kind sorgfältig abtrocknen, insbesondere die Hautfalten, das Kind durchgehend vor Wegrutschen oder Untertauchen schützen Nabelpflege: hygienische Aspekte beachten, Nabelrest und die Hautumgebung auf Infektionszeichen inspizieren, Nabelschnurrest aseptisch mit sterilen Kompressen und Kochsalzlösung, bzw. bei auffälligem Nabel mit Octenisept, reinigen und mit sterilen Kompressen verbinden Der Pflegeempfänger sollte auch in der Klinik oder im Pflege-/Seniorenheim nach Möglichkeit eigene Bekleidung tragen. Wichtig ist, dass die Kleidung nicht einengt, bequem sitzt und leicht in der Handhandhabung ist. Schuhe sollten einen sicheren Stand bei der Mobilisation bieten. Je nach Zustand des Pflegeempfängers kann es sein, dass er Unterstützung beim An- und Auskleiden benötigt. Dabei orientiert sich die Pflegefachkraft an den Ressourcen des Pflegeempfängers.

16.4 Grundlagen der Basalen Stimulation 16.4.1 Hintergrundwissen Definition Basale Stimulation Basale Stimulation ist ein Konzept zur Förderung der Wahrnehmung, Kommunikation, Bewegung sowie der persönlichen und räumlichen Orientierung bei stark beeinträchtigten Menschen.

„Basal“ bezieht sich auf die frühentwickelten Sinne des Menschen. Mit „Stimulation“ sind Anregungen gemeint, die den Pflegeempfänger einladen, ein Pflegeangebot anzunehmen. Das Konzept der Basalen Stimulation wurde in den 1970erJahren für den Bereich der Sonderpädagogik von Prof. Andreas Fröhlich (* 1946) entwickelt und gemeinsam mit Prof. Christel Bienstein (* 1951) in den 1980er-Jahren in die Pflege übertragen.

16.4.2 Grundannahmen Von der basalen Stimulation profitieren besonders Menschen, die wahrnehmungs- und aktivitätsbeeinträchtigt sind, z.B. Frühgeborene, Menschen im Koma, nach einem Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Demente und sterbende Menschen.

16.4.2.1 Das pflegerische Verständnis Die Pflegenden versuchen mit dem Konzept der Basalen Stimulation, die Fähigkeiten und Ressourcen eines Menschen mit Einschränkungen zu entdecken und zu fördern. Dazu werden Impulse des Pflegeempfängers aufgenommen und weiterverfolgt.

16.4.2.2 Ganzheitlichkeit des Menschen Zentral für die Basale Stimulation ist, dass Pflegende dem zu pflegenden Menschen mit Empathie begegnen, ihn als Individuum betrachten und in seiner Ganzheitlichkeit wahrnehmen. Damit dies gelingt sind folgende beiden Aspekte mit einzubeziehen: Bezugspersonen: Dies sind v.a. Mitbetroffene und CoTherapeuten. Nach Anleitung können sie durch Berührung, atemstimulierende Einreibungen (ASE),

Massagen oder wahrnehmungsfördernde Waschung die Zielsetzung des Konzepts unterstützen. Entwicklungsbereiche: Der Mensch bildet eine Einheit aus unterschiedlichen Entwicklungsbereichen ( ▶ Abb. 16.2). Ein isoliertes Erleben eines dieser Bereiche ist unmöglich. Alle Entwicklungsbereiche sind gleichwertig und in deren Zentrum steht die Wahrnehmung. Ganzheitlichkeit der Entwicklung. Abb. 16.2 Entwicklungsbereiche und ihre Vernetzung. (Nach: Fröhlich, 2010)

16.4.2.3 Körperliche Existenz und Kommunikation

Der Körper ist das Bezugssystem, über das Menschen in Beziehung miteinander treten. Erst beim Kontakt mit einem anderen Menschen erfährt er seine Existenz. Die Basale Stimulation geht davon aus, dass der wahrnehmungsbeeinträchtigte Mensch über seinen Körper kommunizieren kann, z.B. durch die Atmung und die Muskelspannung. Zudem ist der Körper auch ansprechbar für Reize wie Berührungen, Temperaturunterschiede und Lageveränderungen. Die Pflegefachkräfte sollen die Kommunikationsmöglichkeit auf der basalen Ebene durch folgende Aspekte gezielt nutzen und in die täglichen Pflegeinterventionen integrieren: Berührung und Nähe, Distanz und Abwehr, Wärme und Kühle, Sicherheit und Irritation, Aufforderung und Beruhigung

16.4.2.4 Gefahr der Habituation Definition Habituation Habituation ist die Gewöhnung an eine gleichbleibende Wahrnehmungssituation. Was konstant bleibt, wirkt nicht mehr informativ und wird ausgeblendet. An Stelle der fehlenden neuen Informationen entstehen dann (selbst) erzeugte Wahrnehmungen (Halluzinationen). Mögliche Formen der Habituation und Reaktionen darauf können sein:

Veränderte Wahrnehmung: Wenn die Aktivität des Körpers und die Sinnesorgane eingeschränkt werden, versucht das Gehirn aus den Wahrnehmungen Wirklichkeit zu entwickeln (Halluzinationen). Pflegefachkräfte sorgen, z.B. durch Veränderung der Position oder der Blickrichtung, für die Unterbrechung der Habituation. Den eigenen Körper nicht mehr spüren: Ein Mensch, der krankheitsbedingt lange seine Position nicht verändern kann, gerät schnell in eine propriozeptive Habituation. Die Folge: er spürt seinen Körper nicht mehr. Die Körpergrenzen verschwimmen und Körperteile verlieren ihre „körperliche Identität“. Eine Spastik kann in einer solchen Situation dem Pflegeempfänger im Sinne eines sekundären Krankheitsgewinns „helfen“, da er so die betroffene Extremität wieder spürt. Weitere Reaktionen: Rückzug nach innen (Teilnahmslosigkeit und Apathie), Entwicklung von Stereotypien (rhythmisches Klopfen), Selbstverletzungen (kratzen, beißen). Viele dieser Reaktionen haben das Ziel, den Körper wieder mit Informationen zu versorgen.

16.4.3 Zentrale Lebensthemen Zentrale Lebensthemen bezeichnen in der Basalen Stimulation eine Reihe von sehr individuellen Bedürfnissen, Sorgen, Kräften und Schwächen ( ▶ Tab. 16.3 ). Wichtiges Ziel ist, dass der Pflegeempfänger in diesen Bereichen Unterstützung erfährt. Tab. 16.3 Lebensthemen und mögliche Maßnahmen. Lebensthema

Maßnahmen (Beispiele)

Lebensthema Leben erhalten und Entwicklung erfahren

Maßnahmen (Beispiele) ASE oder atemsynchrone Bewegungen (Atmung) durchführen Lieblingsspeisen und Getränke (Appetit) anbieten Gewohntes machen, z.B. „Tanzen“ bei der Mobilisation

das eigene Leben spüren

Berührungen, Waschungen durchführen, die den Körper nachformen Pflegeempfänger wählt Kleidung selbst aus

Sicherheit erleben und Vertrauen aufbauen

den Pflegeempfänger immer mit Namen ansprechen

den eigenen Rhythmus entwickeln

den Pflegeempfänger beobachten und dementsprechend die Pflegeinterventionen koordinieren

die Außenwelt erfahren

die Matratze (Größe und Grenzen) ertasten lassen

an einer deutlich wahrnehmbaren Körperstelle berühren (basale Initialberührung)

Blickwinkel des Bettes verändern Beziehung aufnehmen und Begegnung gestalten

Schwer beeinträchtigte Menschen können sich ihre Bezugspersonen nicht selbst aussuchen, deshalb genau auf Signale achten, z.B. Stöhnen, Hand-, Kopfbewegung.

Sinn und Bedeutung geben

Angehörige bitten, Fotos zu bringen

das eigene Leben gestalten

gewohnte eigene Gegenstände in die Hand geben und berühren lassen

durch druckbetonte aktivierende Waschung dem Pflegeempfänger die Muskulatur bewusst machen

Anziehen vertrauter, persönlicher Kleidung autonom leben und Verantwortung übernehmen

Pflegeempfänger entscheidet, welche Kleidung er anziehen möchte

die Welt entdecken und sich entwickeln

Erkunden des Bettes beim Positionswechsel, verschiedene Anteile des Bettes berühren lassen

Klingel in die Reichweite legen und Pflegeempfänger selbst entscheiden lassen, wann er Hilfe braucht.

Das Zimmer kurzzeitig verlassen, je nach Mobilitätsgrad.

16.4.4 Pflegemaßnahmen nach Sinnesbereichen Kern der Basalen Stimulation ist die Förderung eines Grundvertrauens durch individuell angepasste Rituale, Wiederholungen und persönliche Pflegeangebote ( ▶ Abb. 16.3). Mögliche Sinneserfahrungen bei der Basalen Stimulation. Abb. 16.3  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2015)

Basale Stimulation nutzt die folgenden Wahrnehmungsbereiche, um Angebote zu Kommunikation und körperlichen Erfahrungen zu machen.

16.4.4.1 Somatische Erfahrungen

Somatische Sinneserfahrungen sind im Kontext der Basalen Stimulation eminent wichtig. Grundsätzlich sollte Folgendes beachtet werden: Interventionen am Pflegeempfänger sollten jeweils nur von einer Pflegefachkraft vorgenommen werden (und nicht von mehreren gleichzeitig). Die Pflegehandlungen sollen ohne Unterbrechung durchgeführt werden. Jeder Abbruch bedeutet für den Pflegeempfänger Neuanfang und Neuorientierung, was für ihn anstrengend sein kann. Die Bewegungen sollen langsam und rhythmisch sein, z.B. wie bei der atemstimulierenden Einreibung (ASE, siehe Kap. ▶ 46.3.1). Die Berührungen sollen großflächig sein, dadurch kann der Pflegeempfänger sie besser lokalisieren und zuordnen.

16.4.4.2 Vibratorische Erfahrungen Vibration erfährt der Mensch bereits im Mutterleib, z.B. durch Sprechen oder Bewegungen der Mutter. In der Praxis zeigt sich, dass vibratorische Stimuli aufmerksamer, wacher und gleichzeitig entspannter machen. Möglichkeiten: vibratorische Stimuli vor der Mobilisation bei länger bettlägerigen Pflegeempfängern sanfte Vibrationen einsetzen, z.B. mit einer elektrischen Zahnbürste (eher ungeeignet ist das Vibrax-Gerät) mit Vibrationen an gelenknahen Stellen beginnen, z.B. Fersenbein oder Handwurzelknochen (nicht an großen Muskeln)

16.4.4.3 Taktile Erfahrungen

Ein pflegebedürftiger Mensch, der lange Zeit im Bett liegt, hat kaum Möglichkeiten, taktile oder haptische Erfahrungen zu machen. Bei diesen Menschen beobachtet man Zupf- und Greifbewegungen, die als Nesteln bezeichnet werden. Nesteln ist ein Zeichen motorischer Unruhe und tritt oft im Zusammenhang mit sensorischer Deprivation auf. Angebote zur Förderung taktiler Erfahrungen: dem Betroffenen ein Fuß- oder Handbad anbieten dem Pflegeempfänger vor der Körperpflege Wasch- oder Pflegeutensilien in die Hände geben, damit er sie betasten kann (z.B. Waschlappen, Zahnbürste) Bei der Mundpflege kann die Pflegefachkraft die Hand des Pflegeempfängers führen. Angehörige können, auf der Biografie des Pflegeempfängers Bezug nehmend, einen taktilen Kasten zusammenstellen (z.B. mit kleinem Werkzeug).

16.4.4.4 Vestibuläre Erfahrungen Bettlägerige Menschen erhalten wenig vestibuläre Reize, dadurch erhalten sie weniger Informationen über den eigenen Standort (Wo befinde ich mich im Raum und in welcher Position?), die Schwerkraft (z.B. Gewicht) und über die eigene Geschwindigkeit. Mögliche Angebote zur Förderung der vestibulären Erfahrung: Pflegefachkräfte können den Kopf des Pflegeempfängers leicht drehen und in eine andere Position bringen. Schaukelbewegungen und leichtes Kreisen des Körpers aktivieren das vestibuläre System (z.B. im Rahmen der Körperpflege, Mobilisation). Pflegefachkräfte können die Extremitäten des Patienten in ein Handtuch legen, hochheben und schaukeln.

16.4.4.5 Audiorhythmische Erfahrungen

Besonders in der Klinik sind Pflegebedürftige – meist hilflos – vielen unbekannten Geräuschen ausgesetzt. Das kann zu Stress führen oder sie können sich daran gewöhnen (= Habituation). Gleichzeitig können Geräusche aber auch zur positiven Stimulation der Pflegebedürftigen genutzt werden. Mögliche Angebote: bekannte und geliebte Geräusche anbieten, z.B. Lieblingsmusik, Sportschau, Filmserien passende Lautstärke vorsichtig austesten, z.B. bei Hörbeeinträchtigungen die Lautstärke langsam steigern akustische Reize zeitlich begrenzt einsetzen, um eine Überstimulation zu vermeiden Patienten von den Betriebsgeräuschen der Station abschirmen, z.B. Tür schließen

16.4.4.6 Orale und olfaktorische Erfahrungen Der Mund ist unsere sensibelste Körperregion. Unsere Zungenspitze ist mit den meisten taktilen Rezeptoren ausgestattet. Jeder Mensch hat als kleines Kind versucht, die Welt mit dem Mund zu erkunden. Auch unser Geruch entscheidet, ob uns jemand sympathisch ist. Die Sensibilität des Mundes und der Geruchssinn können bei wahrnehmungsgestörten Pflegeempfängern gezielt angesprochen werden, z.B.: die Mundpflege vorsichtig anbahnen, über Berührungen der Wangen bis zum Mundwinkel stimulierender Einsatz von Geschmack und Geruch, z.B. Lippen mit Honig oder Lieblingsgetränk benetzen elektrische Zahnbürste einsetzen, dient gleichzeitig als vibratorischer Stimulus bekannte und geliebte Düfte (z.B. Obst) in die Nähe des Pflegeempfängers stellen

16.4.4.7 Visuelle Erfahrungen Das Sehen ist unser Hauptsinn, mit dem wir uns die Welt erschließen. Auch wahrnehmungsbeeinträchtigte Pflegeempfänger erfahren visuelle Reize. Aber vielleicht sind sie verschwommen und nicht sinnhaft oder sie sind zu wenig kontrastreich, da zu häufig die Zimmerdecke angestarrt wird. Mögliche Angebote zur Förderung der visuellen Reize: Pflegeempfänger häufiger aufsetzen Hilfreich sind Kontraste – klare Linien und eindeutige Farben. für Tag-Nacht-Rhythmus sorgen hastige Bewegungen vermeiden Bett so positionieren, dass der Pflegeempfänger aus dem Fenster schauen kann Hilfsmittel oder medizinische Geräte sollen das Blickfeld des Patienten nicht einschränken. visuelle Angebote machen, z.B. große Uhr, Blumen, Foto von Familienangehörigen

KOMPAKT Grundlagen der Basalen Stimulation Basale Stimulation ist ein Konzept zur Förderung der Wahrnehmung, Kommunikation, Bewegung sowie der persönlichen und räumlichen Orientierung bei stark beeinträchtigten Menschen. Der Mensch wird in seiner Ganzheitlichkeit angesprochen. Die zentralen Lebensthemen, in denen die Basale Stimulation Unterstützung geben soll, sind: 1. Leben erhalten und Entwicklung erfahren.

2. Das eigene Leben spüren. 3. Sicherheit erleben und Vertrauen aufbauen. 4. Den eigenen Rhythmus entwickeln. 5. Die Außenwelt erfahren. 6. Beziehungen aufnehmen und Begegnungen gestalten. 7. Sinn und Bedeutung geben. 8. Das eigene Leben gestalten. 9. Autonom leben und Verantwortung übernehmen. 10. Die Welt entdecken und sich entwickeln. Basale Stimulation nutzt folgende Sinnesbereiche: somatische Stimulation, z.B. durch ASE, Initialberührung vibratorische Stimulation, z.B. mit elektrischer Zahnbürste an gelenknahen Stellen taktile Stimulation, z.B. Gegenstände ertasten lassen vestibuläre Stimulation, z.B. mit Schaukelbewegungen audiorhythmische Stimulation, z.B. Lieblingsmusik, Vorlesen orale und olfaktorische Stimulation, z.B. geliebte Gerüche in Patientennähe; Lippen mit Lieblingsgetränk benetzen visuelle Stimulation, z.B. für Tag-Nacht-Rhythmus sorgen, visuelle Angebote machen

17 Prophylaxen 17.1 Einführung Es gibt keine professionelle Pflege ohne Prophylaxen. Alle Maßnahmen, die im prophylaktischen Sinne eingesetzt

werden … dienen dem Erhalt der Gesundheit und der Gesundheitsförderung, beugen Sekundärerkrankungen vor, schützen den Pflegeempfänger vor Schmerzen, Behinderung und Gefahren/Risiken. Prophylaktische Maßnahmen umfassen folgende Schritte: 1. Gefahren/Risiken wahrnehmen und beurteilen 2. Maßnahmen (am besten mit dem Pflegeempfänger) ressourcenorientiert planen 3. Maßnahmen durchführen, handeln 4. Ergebnis/Erfolg der Maßnahmen auswerten, evaluieren Im Pflegealltag: Prophylaxen werden nie routinemäßig durchgeführt. Dies könnte unnötig Ressourcen verbrauchen (z.B. Zeit oder Geld), die bei anderen Maßnahmen fehlen. Bei der Planung und Umsetzung der Maßnahmen achten die Pflegenden darauf, dass der Pflegeempfänger informiert und miteinbezogen wird, dass die Risiken ausgeschaltet und die Maßnahmen regelmäßig, entsprechend der individuellen Risikoeinschätzung durchgeführt werden, dass rationell und effektiv gearbeitet wird, indem Handlungen z.B. kombiniert werden. Prophylaxen sind eine Teamaufgabe, d.h., alle Pflegenden ziehen an einem Strang: Es nutzt nichts, wenn eine Prophylaxe z.B. nur vom Frühdienst durchgeführt wird.

Die Pflegenden dokumentieren zeitnah und evaluieren die Effektivität der durchgeführten prophylaktischen Maßnahmen (Interventionen).

Merke Prophylaxen integrieren Prophylaxen sollen immer in andere pflegerische Interventionen integriert werden. Ein informierter und miteinbezogener Pflegeempfänger wird kooperativer und so ggf. früher selbstständig.

17.2 Dekubitusprophylaxe Definition Dekubitus Lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden Gewebes, insbesondere an Knochenvorsprüngen, verursacht durch zu lange und/oder zu starke Einwirkung von Druck- und Scherkräften.

17.2.1 Entstehungsmechanismus Bei der Dekubitusentstehung spielen 3 Faktoren eine wichtige Rolle: Druck (Auflagedruck) Zeit (Dauer des Drucks) Disposition (individuelle Risikofaktoren)

17.2.2  Risikofaktoren Hauptrisikofaktoren ( ▶ Abb. 17.1) sind: Beeinträchtigung der Mobilität Störung der Durchblutung beeinträchtigter Hautzustand verminderte Gewebstoleranz Einwirkung von Scherkräften und Druck auf die Haut Hinzu kommen individuelle Faktoren: personenbezogene Faktoren: z.B. Gewicht, Sensibilitätsund Bewusstseinsstörungen (z.B. bei Diabetes mellitus, Schlaganfall, Demenz, etc.) umgebungsbezogene Faktoren: z.B. im Bett vergessene Gegenstände, Matratze, knittrige Bettlaken therapiebezogene Faktoren: z.B. Katheter, Sedativa, Sonden/Drainagen, Pflaster Dekubitusentstehung. Abb. 17.1  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

17.2.3 Einteilung in Kategorien Nach EPUAP (European Pressure Ulcer Advisory Panel) werden 4 Kategorien unterschieden: Dekubitus Kategorie I: umschriebene, nicht „wegdrückbare“ (persistierende) Hautrötung (positiver Fingertest), kein Hautdefekt Dekubitus Kategorie II: Schädigung von Epidermis und Dermis, ggf. mit Blasenbildung und nässendem oberflächlichem Hautdefekt Dekubitus Kategorie III: Schädigung von Epidermis, Dermis und Subkutis. Nekrosenbildung und ggf. auch Ausbildung von Wundtaschen möglich Dekubitus Kategorie IV: wie Kategorie III + Schädigung von Muskeln, Sehnen und Knochen. Septische Komplikationen sind möglich.

Merke Risikofaktoren Dekubitus Je mehr ein Mensch auf pflegerische Unterstützung angewiesen bzw. je stärker seine Gesundheit beeinträchtigt ist, desto höher ist sein Dekubitusrisiko!

17.2.4 Dekubitusgefährdete Körperstellen Besonders gefährdet sind Hautstellen mit wenig Unterhautfettgewebe, wie z.B. Knochenvorsprünge. Man bezeichnet diese Stellen als Prädilektionsstellen ( ▶ Abb. 17.2). Früh- und Neugeborene können bereits von einer

Elektrode, die auf die Haut geklebt wurde, einen Dekubitus erleiden. Prädilektionsstellen für einen Dekubitus bei Menschen jeden Alters. Abb. 17.2  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

17.2.5 Dekubitusrisiko einschätzen Es gibt unterschiedliche Assessmentinstrumente und Skalen zur Einschätzung einer Dekubitusgefährdung. Sie unterscheiden sich in ihren Zielgruppen und Kriterien. Das Dekubitusrisiko wird immer eingeschätzt, wenn ein Risiko nicht sicher ausgeschlossen werden kann, z.B.: bei Aufnahme, in individuell festgelegten zeitlichen Abständen oder bei Veränderungen der Aktivität und Mobilität, Durchblutung oder des Hautzustandes, veränderten personen-, umgebungs- und therapiebedingten Faktoren (z.B. Anlage oder Entfernung von Kathetern, Sonden).

Assessments Initiales Assessment wird bei Pflegempfängern, die neu in den Pflegeprozess eintreten, durchgeführt. Hierbei prüft die Pflegefachkraft gemäß des ▶ Expertenstandards mögliche Druck- und Scherkräfte, inspiziert die gesamte Hautoberfläche, besonders die Prädilektionsstellen sowie Deformitäten, z.B. Kontrakturen, auf mögliche Druckstellen. Differenziertes Assessment wird eingesetzt, wenn das initiale Assessment eine Dekubitusgefahr ergibt. Hier muss die Pflegefachkraft alle weiteren Dekubitusrisikofaktoren herausfinden.

17.2.6 Pflegeinterventionen zur Dekubitusprophylaxe Das Ziel der Dekubitusprophylaxe ist die Entlastung gefährdeter Körperstellen von Druck- und Scherkräften. Bewegungsförderung: Eigenbewegung des Patienten fördern, regelmäßige Positionswechsel durchführen und individuelle Gewebetoleranz berücksichtigen (Mikround Makropositionswechsel), Wirkung von Druck-, Scherkräften vermeiden (z.B. durch Freilagerung und Kinästhetik beim Positionswechsel) Hautpflege: Hautzustand bei Pflegeinterventionen kontrollieren (Fingertest) und das Wohlbefinden des Pflegeempfängers erfragen (Schmerzen? Bequeme Position?). Die Haut sollte trocken und gut durchblutet sein. Zur Körperpflege milde, pH-neutrale Waschemulsion dem Hautzustand angepasste – bei feuchter Haut eine O/W-Emulsion und bei trockener Haut W/O-Emulsion verwenden. Bei Inkontinenz Produkte zum Schutz der Hautbarriere und bei Säuglingen bzw. Kleinkindern Windeln mit hoher

Saugkraft nutzen. Kontraindiziert sind alkoholische Präparate, hautabdeckende Pasten und Puder. Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Für eine gesunde Haut sollte auf eine eiweiß-, vitamin- (A und C) und mineralstoffreiche (Zink) Kost und auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden (erhöht Gewebeelastizität). Risikofaktoren reduzieren: z.B. bei Inkontinenz Maßnahmen zur Kontinenzförderung; bei Kachexie Ernährungszustand verbessern druckverteilende Hilfsmittel: z.B. Wechseldruck- oder Mikro-Stimulations-Systeme (MiS) einsetzen Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“.

17.3 Prophylaxe der Bettlägerigkeit Definition Bettlägerigkeit Ein längerfristiger Zustand, bei dem sich der Mensch überwiegend im Bett aufhält. Bettlägerigkeit beginnt, wenn sich ein Mensch nicht mehr ohne Unterstützung von einem Ort zum nächsten bewegen kann (Ortsfixierung).

17.3.1 Risikofaktoren Z. n. Sturz (z.B. Immobilität durch Oberschenkelhalsfraktur) Operationen am Bewegungsapparat

Bewegungseinschränkung (z.B. durch Schmerzen oder Gelenksteifigkeit) Z. n. kritischen Erkrankungen mit Intensivbehandlung

17.3.2 Auswirkungen Durch die Abnahme der Mobilität kommt es schon nach kurzer Zeit zu einer Verringerung von Knochenmasse und Skelettmuskulatur. Die Betroffenen können sich kaum bis gar nicht mehr selbstständig fortbewegen und verlieren dadurch oft den Anschluss an das soziale Alltagsleben. Ebenso betroffen sind kognitive und kommunikative Fähigkeiten. Das Risiko für Dekubitus, Kontrakturen, Thrombosen, Nieren-, Herz- und Lungenerkrankungen, Inkontinenz und Infektionen steigt ( ▶ Abb. 17.3). Auswirkungen langfristiger Bettlägerigkeit. Abb. 17.3 Aufgrund der eingeschränkten Mobilität hält sich der Pflegeempfänger größtenteils im Bett auf. Dieser Zustand hat Auswirkungen auf vielen Ebenen. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

17.3.3 Pflegeinterventionen zur Prophylaxe von Bettlägerigkeit Grundregel: Reize schaffen, die Aktivität des Pflegeempfängers fördern und frühzeitig mobilisieren. Maßnahmen der ▶ Kontraktur- und ▶ Sturzprophylaxe anwenden

bei längerem Krankenhausaufenthalt Case Management einschalten (um bestmögliche Nachbetreuung zu gewährleisten), ggf. Überleitungspflege einschalten Pflegeempfänger und Angehörige über geeignetes Mobiliar und Hilfsmittel informieren (z.B. Matratze mit verstärktem Rand für leichteres Aufsitzen) bei langer Liegedauer gezielt Reize schaffen (z.B. Bild aufstellen, Musik, Fenster öffnen, bestimmter Duft, Gespräche) Angehörige in die Pflege einbinden und in Grundtechniken (z.B. bei der Mobilisation, Kinästhetik, Bobath-Konzept) schulen Pflegeempfänger zur Mitarbeit bei der Mobilisation motivieren, loben geeignete Hilfsmittel zur Mobilisation gemeinsam mit dem Pflegeempfänger auswählen und diese korrekt einstellen Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den Expertenstandard „Erhalt und Förderung der Mobilität“.

17.4 Intertrigoprophylaxe Definition Intertrigo Die Intertrigo ist eine stark gerötete, nässende Läsion der Haut, die v.a. im Bereich von Hautfalten auftritt und durch Haut-zuHaut-Kontakt, Hitze, Reibung und Feuchtigkeit entsteht. Die Haut juckt und brennt. Durch die vorgeschädigte Haut kann es leicht zu Pilz- oder bakteriellen Infektionen kommen.

17.4.1 Risikofaktoren ▶ Adipositas starkes Schwitzen ▶ Inkontinenz ▶ Diabetes mellitus Säuglinge und Kleinkinder unzureichende Körperpflege

17.4.2 Intertrigogefährdete Körperstellen Kinder: z.B. Hals- und Nackenfalten, Achseln, Ellenbeuge, Oberschenkel, Leiste, Analfalte Erwachsene: z.B. Leisten, Bauch, Brust, Achseln, Analfalte, Zehenzwischenräume, Skrotum

17.4.3 Intertrigorisiko einschätzen Bei der Einschätzung der Intertrigogefahr können folgende Fragen helfen: Schwitzt der Pflegeempfänger stark? Besteht eine Inkontinenz? Gibt es Vorerkrankungen, die eine Intertrigo begünstigen? Wie ist der aktuelle Haut- und Körperpflegezustand? Liegt Haut auf Haut? Bewegt sich der Pflegeempfänger viel?

17.4.4 Pflegeinterventionen zur Intertrigoprophylaxe Das Ziel ist intakte Hautverhältnisse zu erhalten, Feuchtigkeitsansammlungen und Reibung zu vermeiden. Mögliche Maßnahmen: Haut und Hautfalten nach dem Waschen sorgfältig abtrocknen (nicht reiben, sondern tupfen!) sorgfältige Hautbeobachtung, gefährdete Hautstellen häufiger kontrollieren keinen Puder oder Zinkpaste anwenden (verstärkt Hautschädigung) ggf. Baumwollkompressen zwischen Hautfalten einlegen geeignetes Hautpflegeprodukt verwenden bei Inkontinenz: Inkontinenzhilfsmittel regelmäßig wechseln leichte, atmungsaktive und hautfreundliche Kleidung tragen (z.B. aus Baumwolle) verschwitzte Kleidung wechseln Feuchtigkeit minimieren, z.B. durch leichte Bettdecke und Lüften des Zimmers

17.5 Prophylaxe der Mangelernährung Definition Mangelernährung Mangelernährung (Malnutrition) ist ein anhaltendes Defizit an Energie und/oder Nährstoffen, entstanden durch eine länger andauernde negative Bilanz zwischen Aufnahme und Bedarf.

Mangelernährung kann Auswirkungen auf den Ernährungs- und Gesundheitszustand sowie Entwicklung bei Kindern haben und die physischen und psychischen Funktionen beeinflussen. Auch übergewichtige Menschen können mangelernährt im Sinne von fehlernährt sein.

17.5.1 Risikofaktoren Ausgewählte Risikofaktoren, die eine Mangelernährung begünstigen: kognitive Beeinträchtigung (z.B. bei Menschen mit Demenz) Medikamente (Appetitlosigkeit als Nebenwirkung) Funktionseinschränkungen der Arme und Hände (z.B. bei Hemiparese) Läsionen im Mundinnenraum, Schmerzen beim Kauen und Schlucken, drückende oder lose Zahnprothese Schluckstörung (Dysphagie) Operationen am Gastrointestinaltrakt unangenehme Gerüche, fehlende soziale Zuwendung bei der Mahlzeit Müdigkeit, ▶ Fatigue, Appetitlosigkeit erhöhter Energiebedarf, z.B. durch Wunden, ständige Bewegung bei ▶ Demenz, bei Verbrennungen Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, verminderte Flüssigkeitsaufnahme, Diuretika Bettlägerigkeit, soziale Isolation

unzweckmäßiges Ess- und/oder Trinkgeschirr oder Besteck

17.5.2 Auswirkungen Mangelernährung kann zu Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und Infektionen führen. Krankheiten verschlechtern sich und die Mortalitätsrate steigt. Die Muskelkraft und somit der Mobilitätsradius nehmen ab, sodass Betroffene Unterstützung im Alltag benötigen und sich aus dem aktiven Leben zurückziehen. Das Risiko eines Sturzes und des kognitiven Leistungsverfalls nimmt zu.

17.5.3 Mangelernährung erkennen/einschätzen Anamnesegespräch: Essgewohnheiten und Nahrungsbedürfnisse, Kau- und Schlucktätigkeit, Xerostomie (Mundtrockenheit), Zahnprothese erfragen. Körperliche, geistige und soziale Fähigkeiten thematisieren. Gewichtsverlauf beobachten Anzeichen von Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel erfassen (z.B. stehende Hautfalten, weiter Hosenbund, geringe Ess- oder Trinkmengen, hervorspringende Knochen, atrophierte Muskulatur)

17.5.3.1 Assessmentinstrumente zur Einschätzung von Mangelernährung Ergänzend zu einer ausführlichen Anamnese sollten folgende Assessmentinstrumente bei der Einschätzung einer

Mangelernährung eingesetzt werden: Krankenhaus: Nutritional-Risk-Screening-2002 (NRS 2002) und Subject Global Assessment (SGA) Geriatrie: Mini Nutritional Assessment (MNA) bzw. die Kurzversion MNA-SF (Short Form) ambulantes Setting: Malnutrition Universal Screening Tool (MUST) stationäre Langzeitpflege: pflegerische Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen (PEMU) Pädiatrie: Pediatric Yorkhill Malnutrition Score (PYMS), Screening Tool for the Assessment of Malnutrition in Pediatrics (STAMP) und Screening Tool for Risk of Impaired Nutritional Status and Growth (STRONGKIDS)

Merke Beobachtung des Gewichtsverlaufs und BMI Der BMI erfasst nicht sensibel genug die Anzeichen einer Mangelernährung. Bei Menschen mit Störungen des Wasserhaushaltes (Ödeme, Exsikkose), Krümmungen der Wirbelsäule, Amputationen und Schwangeren ist es günstiger, den Gewichtsverlauf zu beobachten.

17.5.4 Pflegeinterventionen zur Prophylaxe von Mangelernährung Beispiele für Maßnahmen zur Prophylaxe von Mangelernährung: Analyse der kognitiven und kommunikativen Beeinträchtigung

Hilfsmittel wie Brille, Hörgerät, Zahnprothese regelmäßig reinigen, Funktionalität prüfen Wunschessen des Pflegeempfängers erfragen (z.B. lieber herzhaft oder süß) möglichst natürliche Essumgebung schaffen (z.B. Pflegeempfänger an den Tisch mobilisieren) bei der Einnahme einer geeigneten Position unterstützen und Ressourcen des Pflegeempfängers beachten (z.B. Essen im Sitzen am Tisch) Mund gründlich inspizieren (z.B. Soor) bei Schmerzen rechtzeitig Schmerzmedikamente verabreichen (z.B. bei Läsionen im Mundinnenraum) Essgepflogenheiten des Pflegeempfängers ermitteln (z.B. Rituale und kulturelle Besonderheiten beachten) zusätzlichen Energiebedarf in Ausnahmesituationen errechnen (z.B. bei Wunden) mit der Ergotherapie über geeignete Hilfsmittel sprechen (z.B. Ess-/Trinkgeschirr oder Besteck) bei ▶ Dysphagie Logopäden hinzuziehen Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“.

17.6 Pneumonieprophylaxe Definition Pneumonie Unter einer Pneumonie (Lungenentzündung) versteht man eine Entzündung der Alveolen (Lungenbläschen) und/oder des

Lungeninterstitiums (Lungenzwischengewebe). Sie wird durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten sowie durch allergische, chemische und physikalische Mechanismen ausgelöst. Die nosokomiale Pneumonie ist eine im Krankenhaus erworbene Lungenentzündung.

17.6.1 Risikofaktoren Die Hauptrisikofaktoren sind: ungenügende Belüftung kleinster Lungensegmente (z.B. durch Schonatmung bei Schmerzen) vermehrte Sekretansammlung in der Lunge (z.B. durch fehlendes Abhusten aufgrund von allgemeiner Schwäche) absteigende Infektionen (z.B. Bronchitis) Aspiration bei Dysphagie (z.B. bei Schlaganfall) Weitere Risikofaktoren liegende Sonden im Nasen- oder Rachenraum chirurgische Eingriffe am Abdomen/Thorax eingeschränkte Mobilität vorerkrankte Lunge (z.B. COPD, Emphysem), Mukoviszidose und Rauchen Frühgeborene (unreife Lungenentwicklung) Keimübertragung durch Klimaanlagen kontaminierte Wasserleitungen (Legionellen-Bakterien, Aspergillus-Pilze) schlecht gelüftete, feuchte Wohnräume Besonders gefährdete Pflegeempfänger sind: beatmete, immunsupprimierte, parenteral ernährte Pflegeempfänger

und Tumorerkrankte während und nach einer Zytostatikatherapie.

17.6.2 Pneumonierisiko einschätzen Pflegende können durch Anamnese, Beobachtung und Assessment (z.B. Bienstein-Atemskala) feststellen, ob ein Pneumonierisiko vorliegt: Mobilität/Sitzhaltung: Sitzt oder liegt der Pflegeempfänger längere Zeit am Tag? Schmerzen/Operationen: Hat der Pflegeempfänger Schmerzen und vermeidet dadurch tiefes Einatmen? Lungengeräusche: Sind Lungengeräusche hörbar (Giemen, Rasseln)? Husten/Sputum: Hustet der Pflegeempfänger? Ist es ein produktiver Husten mit Auswurf? Medikamente: Nimmt der Pflegeempfänger Medikamente, die die Atmung beinträchtigen können, wie Muskelrelaxanzien oder Opiate (Morphin)? Atemwegserkrankungen: Leidet der Pflegeempfänger unter COPD, Bronchitis, Asthma bronchiale? Aspiration: Hat der Pflegeempfänger eine Schluckstörung oder eine Bewusstseinsstörung und dadurch fehlende Schutzreflexe (Husten- , Schluckreflex)? Sauerstoffsättigung/Atemfrequenz: Wie hoch ist die Sauerstoffsättigung und die Atemfrequenz? Rauchen: Raucht der Pflegeempfänger? Wenn ja, seit wann und wie viel? Schlaf: Schnarcht der Pflegeempfänger? Macht er Atempausen? Schlafposition?

Umfeld/Beruf: Besteht eine Exposition durch Lüftungsanlagen, (Bau)Staub, Chemikalien? Impfung: Ist der Pflegeempfänger gegen Pneumokokken geimpft? Früh-/Neugeborene/Kinder: Sind die Atemwege ausreichend entwickelt? Sind die Kinder viel an der frischen Luft und in Bewegung? Können Sie den atemaktivierenden Anleitungen folgen? Gibt es unterstützende Bezugspersonen?

17.6.3 Pflegeinterventionen zur Pneumonieprophylaxe Die Maßnahmen zur Pneumonieprophylaxe umfassen: die konsequente Einhaltung der Standardhygiene (siehe Kap. ▶ 13) die Beobachtung und Kontrolle der ▶ Atmung quantitativ (z.B. Atemfrequenz, Atemtiefe) qualitativ (z.B. Geräusche, Schmerzen) atemvertiefende und sekretmobilisierende Maßnahmen nach dem „LISA“-Prinzip ( ▶ Tab. 17.1 ) Tab. 17.1 Das „LISA“-Prinzip bei der Pneumonieprophylaxe: Ziele und Pflegeinterventionen. Ziel L= Lungenbelüftung aktivieren

Pflegeinterventionen Mobilisation: regelmäßig und dem Zustand des Pflegeempfängers angepassen atemunterstützende Positionierung: Oberkörperhochlage, Dehnlage, Bauchlage, V-A-T-I-Lagen, atemerleichternde Körperstellung (z.B. Kutschersitz) atemvertiefende Maßnahmen: z.B. Kontaktatmung, Lippenbremse, ASE

Ziel

Pflegeinterventionen

I = Infektion vermeiden

Mundpflege: tägliche Inspektion und sorgfältige Reinigung der Mundhöhle hygienisches Arbeiten: konsequent hygienische Händedesinfektion einhalten, um nosokomiale Infektion zu vermeiden

S = Sekret verflüssigen

Flüssigkeitszufuhr anpassen bzw. erhöhen: Trinkverhalten beobachten, Getränke anbieten, bei Immunsuppression nur abgekochtes Wasser anbieten spezielle Drainagepositionierungen: Seitenposition in leichter Kopftief- und Bauchlage Huffing: forciertes Ausatmen Inhalation: Atemluft anfeuchten, z.B. mit Dosieraerosol Atemphysiotherapie Perkussion und Vibration: abhängig vom Gesundheitszustand des Pflegeempfängers, z.B. Vibrax Sekret absaugen: dabei hygienisch arbeiten, geschlossene Systeme bei endotrachealem Absaugen verwenden und bei oralem/nasalem Absaugen Einwegkatheter nutzen

A = Aspiration vermeiden

orale Ernährung so lange wie möglich aufrechterhalten bzw. so früh wie möglich beginnen aufrechte Sitzposition zur Nahrungsaufnahme bei Dysphagie und Aspirationsrisiko ggf. keine orale Nahrungsaufnahme, Logopädie hinzuziehen Zeit lassen: Auf die Schlucktätigkeit und Bedürfnisse des Pflegeempfängers achten und ihm Zeit lassen.

Merke Schonatmung Bei der Medikamenteneinnahme ist abzuklären, ob Muskelrelaxanzien und/oder Opiate nötig sind und ob der Pflegeempfänger leichte Schmerzmittel benötigt, um eine Schonatmung zu vermeiden.

17.7 Thromboseprophylaxe Definition Thrombose Verschluss oder Verengung eines Gefäßes durch ein Blutgerinnsel (Thrombus). Es können sowohl Arterien als auch Venen betroffen sein. Besonders häufig kommt es in den Becken- und tiefen Beinvenen zu einer Thrombose.

17.7.1 Risikofaktoren 3 Faktoren spielen bei der Entstehung einer Thrombose eine wesentliche Rolle (Virchow-Trias): 1. Veränderungen der Gefäßwand (Gefäßwandschäden, z.B. Arteriosklerose) 2. Veränderungen der Strömungsgeschwindigkeit (verlangsamter Blutfluss, z.B. durch Immobilität) 3. erhöhte Gerinnungsneigung (z.B. bei Exsikkose, nach Operationen)

17.7.2 Thromboserisiko einschätzen Das individuelle Risiko ergibt sich aus folgenden Risikofaktoren: expositionelle (zeitlich begrenzte bzw. akute) Risikofaktoren, z.B. OP, Traumen oder Immobilität dispositionelle (angeborene oder erworbene) Risikofaktoren, die ein bestehendes Risiko akut erhöhen, z.B. Asphyxie vor/unter der Geburt, hohes Lebensalter, Rauchen, Thrombosen in der Anamnese, genetische

Disposition, Adipositas, Schwangerschaft, Wochenbett, ausgeprägte Varikosis Treten beide Faktoren kombiniert auf, steigt das Thromboserisiko. Es gibt unterschiedliche Assessmentinstrumente, die zur Einschätzung des Thromboserisikos hinzugezogen werden können: z.B. Frowein (1997), Kümpel (1995), DVT-Risk-Assessment-Scale nach Autar (2002).

17.7.3 Pflegeinterventionen zur Thromboseprophylaxe Für Pflegeempfänger mit geringem Thromboserisiko reichen Basismaßnahmen und medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe. Menschen mit mittlerem und hohem Thromboserisiko benötigen zudem ▶ Antikoagulanzien.

Merke Beine nicht ausstreichen Beine des Pflegeempfängers nicht ausstreichen (EBN Südtirol 2011): Ein positiver Effekt ist nicht belegt und zudem könnte das Ausstreichen vorhandene Thromben lösen (Gefahr einer Lungenembolie!). Ziel der Thromboseprophylaxe ist es, den venösen Rückfluss zu verbessen und die Gerinnungsneigung in den Gefäßen zu reduzieren: Basismaßnahmen: Frühmobilisation; Durchführung von Bewegungsübungen, z.B. Bettfahrrad, Fußkreisen; auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten

medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS): Unterstützen den Rückfluss des Blutes zum Herzen; sie müssen einwandfrei passen, um einen optimalen Sitz zu gewährleisten, Beine des Pflegeempfängers morgens nach dem Abwickeln eines Kompressionsverbands ausmessen. Je nach Hersteller werden die Maße an verschiedenen Stellen des Beines ermittelt. MTPS regelmäßig wechseln. Kontraindikationen sind z.B. ausgeprägte ▶ Herzinsuffizienz, Durchblutungsstörungen, starke Beinödeme, lokale Hautdefekte. Kompressionsverbände: Unterscheidung in Wechselverbände (werden abends abgewickelt und täglich neu angelegt) und Dauerverbände (diese unterstützen Tag und Nacht den Blutrückstrom). Mehr Infos zum Kompressionsverband in Kap. ▶ 29.3.

Merke Kompression Kompressionsstrümpfe und -verbände sind kontraindiziert bei kritischen peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen, schweren Neuropathien, ausgeprägten peripheren Ödemen und lokalen Hautdefekten, Nekrosen und Verletzungen.

17.8 Kontrakturenprophylaxe Definition Kontraktur Bei einer Kontraktur kommt es durch Degeneration (Schrumpfung, Verkürzung) von Muskeln, Sehnen oder Bändern zu Funktions- und Bewegungseinschränkung eines Gelenks. Der Pflegeempfänger kann das betroffene Gelenk nur eingeschränkt oder gar nicht mehr aktiv bewegen.

17.8.1 Risikofaktoren

Immobilität bzw. eingeschränkte Mobilität (z.B. bei Bettlägerigkeit) Schmerzen, Fehl- und Schonhaltung eines Gelenks, bestimmte Medikamente (Neuroleptika) Bei ▶ Demenz, Multimorbidität oder ▶ Schlaganfall sowie ▶ Morbus Parkinson und ▶ ALS besteht ein hohes Kontrakturrisiko. Nichtbeachtung der notwendigen individuellen Unterstützungsflächen in Hohlräumen, z.B. im Rücken, Nacken, Kniekehle oder Fußgelenk bei Kindern: angeboren (infantile Zerebralparese, intrauterine Zwangshaltung, Knochen- und Weichteildefekte) oder erworben (Gonarthritis). Folgen von Unfällen bzw. Operationen (Schulter-, Handgelenkfrakturen, Querschnittslähmungen, schwere Verbrennungen) Die meisten Kontrakturen entstehen im Schulter- und Kniegelenk. In der Langzeitpflege kann es auch zum Spitzfuß kommen (u.a. durch anhaltenden Druck der Bettdecke).

17.8.2 Kontrakturrisiko einschätzen Zur Einschätzung des Kontrakturrisikos können die Pflegefachkräfte bei dem Pflegeempfänger seine Bewegung im Bett, Gang und Sitzposition gezielt beobachten und u.a. komplexe Instrumente wie das „Resident Assessment Instrument (RAI)“ oder das „Geriatrische Bases-Assessment (GBA)“ hinzugezogen werden. Auch Mobilitätsassessmentinstrumente wie „MOTPA“ (Mobilitätstest für Patienten im Akutkrankenhaus) oder „EBoMo“ (Erfassungsbogen „Mobilität“) eignen sich für die ergänzende Einschätzung.

17.8.3 Pflegeinterventionen zur Kontrakturprophylaxe ▶ Tab. 17.2  zeigt häufige Risikofaktoren und Beispiele für pflegerische Maßnahmen zur Vermeidung einer Kontraktur. Es gilt der Grundsatz: Bewegung, Bewegung, Bewegung! Tab. 17.2 Pflegerische Interventionen, die das Kontrakturrisiko reduzieren. Risikofaktor Reduktion des Bewegungsgrades und demenzielle Abbauprozesse

Beispiele für pflegerische Interventionen möglichst normalen Tagesablauf gewährleisten bewegungsmotivierende Situationen kreieren passives und aktives Bewegen der Arme und Beine Patient soll so viel wie möglich selbst übernehmen, z.B. bei der Körperpflege.

falsche oder fehlende Positionierung

Kopfteil des Bettes in Rücken- und Seitenlage flach stellen auf korrekte Positionierung achten nach dem Prinzip „Muskeltonus abgeben erhält Bewegung“ auf aufrechtes Sitzen und physiologische Stellung der Gelenke achten

Schmerzen und Schonhaltung

Schmerzursachen analysieren, medikamentöse Schmerztherapie abklären alltagspraktische Übungen einbinden (z.B. Gegenstand vom Boden aufheben) interdisziplinär arbeiten (Physiotherapie)

ruhigstellende Medikamente

interdisziplinäre Zusammenarbeit: Sind alle verordneten Medikamente notwendig? (Stichwort: Polypharmazie, sedierende Wirkung)

Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

17.9 Harninkontinenzprophylaxe

Definition Harninkontinenz Harninkontinenz bezeichnet ein Symptom, eine Gruppe von Symptomen oder klinische Befunde, deren gemeinsames Kennzeichen der unfreiwillige Harnverlust ist. Es wird unterschieden zwischen: Belastungsinkontinenz, frühere Bezeichnung Stressinkontinenz, z.B. bei Schwäche der Beckenbodenmuskulatur. Dranginkontinenz, Unterscheidung zwischen motorischer (Störung der zentalen Steuerung) und sensorischer (Blasenerkrankungen) Dranginkontinenz. Mischinkontinenz aus Belastungs- und Dranginkontinenz. Überlaufinkontinenz, auch: Harninkontinenz bei chronischer Harnretention (Harnabflussstörung). Reflexinkontinenz: unfreiwillige reflektorische Miktion bei Nervenschäden (z.B. Querschnittlähmung) Die Risikofaktoren einer Harninkontinenz werden in Kap. ▶ 19.3.4 beschrieben.

Merke Institutionell erworbene Harninkontinenz Ein Risikofaktor einer klinik-/heimerworbenen Harnwegsinkontinenz ist ein Blasenverweilkatheter, deswegen sollte die Indikation streng geprüft werden.

17.9.1 Harninkontinenz einschätzen Die Einschätzung der Gefahr einer Harninkontinenz liegt bei der Pflegefachkraft. Bei der Anamnese in einem geschützten Raum und ruhiger Atmosphäre spricht sie mit offenen Fragen das Thema „Ausscheidung“ an, z.B. „Besteht bei Ihnen oft starker Harndrang?“ Dabei achtet sie auf jegliche Äußerungen und Verhaltensauffälligkeiten des Pflegeempfängers, wie, „Ich bin undicht“, nervöses Hinund-Her-Rutschen auf dem Stuhl, mitgebrachte Inkontinenzartikel, nasse Unterhosen im Schrank/auf der Heizung sowie Uringeruch. Zu den Instrumenten zur Erfassung eines Harninkontinenzrisikos zählen, z. B. Miktionsprotokoll, Restharnbestimmung und Vorlagegewichttest. Zudem gibt es Kontinenzprofile, die eine Einschätzung ermöglichen, inwieweit ein Pflegempfänger von Harninkontinenz bedroht bzw. betroffen ist.

17.9.2 Pflegeinterventionen zur Harninkontinenzprophylaxe Nachfolgende pflegerische Maßnahmen fördern die Harnkontinenz: Intimsphäre wahren Toilettengänge in bestimmten Zeitabständen bzw. im individuell festgelegten Rhythmus anbieten Hilfsmittel, z.B. Klingel in die Reichweite legen, nachts Toilettenstuhl bzw. Urinflasche bei Männern individuell angepasste Inkontinenzhilfsmittel einsetzen, z.B. Vorlagen Kontinenz fördernde Umgebung schaffen: gut gekennzeichnete und erreichbare Toilette,

Barrierefreiheit, Nachtbeleuchtung Regelmäßige Bewegung und gezielte Übungen trainieren die Beckenbodenmuskulatur. sorgfältige und bedarfsgerechte ▶ Intimpflege durchführen, auf Wischrichtung von Symphyse zum Anus achten Bei Mädchen und Frauen während der Menstruation Tampons und Einlagen regelmäßig, spätestens alle 8 h, wechseln. Frauen mit Wochenfluss auf besondere Hygieneaspekte hinweisen, siehe Kap. ▶ 43 „Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett“.

17.10 Harnwegsinfektprophylaxe (Zystitisprophylaxe) Definition Harnwegsinfekt (HWI) Akute Harnwegsinfektionen sind Entzündungen der ableitenden Harnwege. Meistens gelangen die Erreger, v.a. Bakterien, insbesondere E. coli, auf dem aszendierenden Weg in die Harnblase. Die Harnwegsinfektion äußert sich durch häufigen Harndrang (Pollakisurie) bei gleichzeitig schmerzhafter Miktion (Algurie) und erschwerter Harnentleerung (Dysurie). Es kann zu leichten Blutungen (Hämaturie) und Unterbauchschmerzen kommen. Mehr Informationen zum Harnwegsinfekt in Kap. ▶ 48.6.

17.10.1 Risikofaktoren

Harnwegsinfekte können in jedem Alter auftreten und gehören zu den häufigsten ▶ nosokomialen Infektionen. Besonders gefährdet sind Pflegeempfänger mit einem ▶ transurethralen Blasenverweilkatheter. Frauen sind aufgrund der Kürze der weiblichen Harnröhre häufiger betroffen als Männer. Weitere Risikofaktoren: Hindernisse oder Fehlbildungen der Harnwege Immunsuppression ▶ Diabetes mellitus Blasenentleerungsstörungen aufgrund neurologischer Ursachen Prostatahyperplasie ▶ Inkontinenz hormonell erweiterte Harnwege während der Schwangerschaft mangelnde Flüssigkeitsaufnahme

17.10.2 Auswirkungen Eine Infektion der Harnröhre und Harnblase ist meistens aszendierend und kann von der Harnröhre bis zu den Nieren aufsteigen (Gefahr der Pyelonephritis, siehe Kap. ▶ 48.6).

17.10.3 Harnwegsinfektion einschätzen Zu beachten ist: das Trinkverhalten die Ausscheidung (Konzentration, Menge, Beimengungen, ggf. durch U-Stix differenziert)

17.10.4 Pflegeinterventionen zur Harnwegsinfektprophylaxe Beratung des Pflegeempfängers bezüglich der Risikofaktoren ausreichende Flüssigkeitsmenge anbieten, Kontraindikationen (Herz- und Niereninsuffizienz) beachten strenge Indikation zum Legen und Liegezeit von einem Blasenverweilkatheter beachten korrekte Händehygiene beachten: ▶ Händedesinfektion und Handschuhe bei der Intimpflege Wischrichtung (von der Symphyse zum Anus) beachten hygienischer Umgang mit Blasenverweilkatheter beachten: bei der Intimpflege von der Harnröhre wegwischen, Stuhlverunreinigungen mit Octenisept reinigen, kein Kontakt des Abflussbeutels mit dem Boden, Abflussbeutel unterhalb des Blasenniveaus hängen etc. Harndrang nicht aufschieben lassen regelmäßige Toilettengänge anbieten und ggf. begleiten auf vollständige Blasenentleerung achten täglicher Wechsel der Unterwäsche bedarfsgerechter Wechsel der Inkontinenzvorlagen, Schutzhose verbunden mit Intimpflege Unterkühlung des Pflegeempfängers vermeiden (Sitzen auf dem Toilettenstuhl, Toilette, Warten in kalten Fluren etc.)

säuernde Getränke (Cranberry-, Johannisbeersaft, schwarzer Tee, Nierentee) anbieten

17.11 Obstipationsprophylaxe Definition Obstipation Als Obstipation bezeichnet man eine seltene, weniger als 3-mal pro Woche und mühsame Entleerung von hartem Stuhl, die länger als 3 Monate besteht. Die Obstipation ist gekennzeichnet durch harte Konsistenz des Stuhls, zu lange Verweildauer des Stuhls im Darm, Probleme beim Absetzen des Stuhls (starkes Pressen) sowie subjektiv unvollständige Entleerung.

17.11.1 Risikofaktoren Ursachen und Risikofaktoren können Sie der ▶ Abb. 17.4 entnehmen. Mögliche Ursachen einer Obstipation. Abb. 17.4  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

17.11.2 Auswirkungen Pflegeempfänger mit Obstipation leiden häufig an Unbehagen, Völlegefühl, Appetitlosigkeit und Müdigkeit. Verhaltene Stühle benötigen mehr Platz im Darm und der Betroffene muss mehr Kraft aufwenden, um den Stuhl herauszupressen. Dadurch können organische Schäden entstehen, z.B.: Megakolon (aufgetriebener Dickdarm) Hämorrhoiden mechanischer Ileus (Darmverschluss, siehe Kap. ▶ 47.6.5) Harndrangsymptomatik bzw. -inkontinenz, v.a. bei Frauen mit ▶ Adipositas Der häufige Gebrauch von Laxanzien und Darmeinläufen stört das Zusammenspiel von Tonus und Peristaltik und führt zur chronischen Kolitis.

17.11.3 Obstipationsrisiko einschätzen Derzeit gibt es keine spezifischen Instrumente zur Erfassung des Obstipationsrisikos. Durch die Anamnese kann der Pflegeempfänger nach seiner individuellen Defäkationsfrequenz befragt werden. Es gilt: Solange der Pflegeempfänger Wohlbefinden im Zusammenhang mit der Ausscheidung angibt, muss keine Veränderung vorgenommen werden.

17.11.4 Pflegeinterventionen zur Obstipationsprophylaxe ▶ Tab. 17.3  zeigt die wichtigsten Risikofaktoren und die jeweiligen Maßnahmen. Tab. 17.3 Pflegeinterventionen, die Obstipation vorbeugen. Risikofaktoren Diät, Stress, depressive Gemütszustände

pflegerische Intervention Gespräch mit Ursachenanalyse anbieten Entspannungsübungen ggf. psychotherapeutische Unterstützung anbieten

neue Umgebung mit verändertem Tagesablauf

individuelle Defäkationsrituale eruieren und ermöglichen, z.B. morgens Kaffee oder ein kaltes Glas Wasser (reflektorische Darmentleerung) für ruhige Umgebung sorgen und Intimsphäre wahren Stuhlentleerung durch geeignete Position ermöglichen: vorgebeugte sitzende Position mit angewinkelten Beinen oder beim Einsatz vom Steckbecken: Oberkörper erhöhen und Beine anwinkeln lassen

Risikofaktoren ballaststoffarme Ernährung verminderte Flüssigkeitszufuhr

pflegerische Intervention Umstellung der Ernährung auf ballaststoffreich, ggf. mit Trockenobst und Flüssigkeitszufuhr anpassen (Verträglichkeit und Kontraindikationen beachten)

Nahrungskarenz, Kostaufbau Fieber altersbedingte Darmflora und prä- und probiotische Nahrungsmittel anbieten Motilitätsbeschwerden Präbiotika (= unverdauliche Stoffe, die physiologische Bakterien der Darmflora in ihrem Wachstum fördern): z.B. Artischocken, Zwiebeln, Chicorée Probiotika (= Mikroorganismen wie z.B. Milchsäurebakterien und spezielle Hefen, die das Immunsystem der Darmflora unterstützen und gesundheitsgefährdende Substanzen abbauen): z.B. Joghurts, Quarkzubereitungen, Käse und Fruchtdrinks verminderte Bewegung, Immobilität geschwächte Abdominalmuskulatur

Mobilisation, Motivation zu Spaziergängen zur tiefen Bauchatmung anleiten stufenweiser (Wieder-)Aufbau der Abdominalmuskulatur Kolonmassage, ggf. dazu Anleitung anbieten

Stoffwechselstörung, z.B. Kaliummangel, Hypothyreose

in ärztlicher Absprache Kontrolle der Blutparameter und ggf. Substitution

Polypharmazie, Opiate, Psychopharmaka

Indikationsüberprüfung: kurativ vs. palliativ, ggf. Austausch der Medikamente

Nach: I care Pflege, Stuttgart: Thieme; 2020

ACHTUNG Probiotische Lebensmittel sind nicht für immunsupprimierte Pflegeempfänger geeignet, da die Gefahr der Bakteriämie besteht.

17.12 Soor- und Parotitisprophylaxe Definition Parotitis Parotitis ist eine Entzündung der Ohrspeicheldrüse. Man unterscheidet die bakterielle akute Parotitis (Parotitis acuta) und die virale Parotitis epidemica (Mumps).

Definition Soor Soor ist der Befall der Mundschleimhaut mit Hefepilzen (CandidaMykosen).

17.12.1 Parotitis Bei der Parotitis sterben die physiologisch in der Mundflora lebenden Bakterien ab bzw. werden funktionslos. Somit können sie den Verdauungs- und den Atmungstrakt nicht mehr vor schädlichen Eindringlingen schützen. Krankheiten (z.B. Soor) können sich ausbreiten.

17.12.1.1 Symptome Schmerzen unterhalb des Ohrläppchens oder am Unterkiefer Schwellung reduzierte Speichelproduktion Speichel ist weißlich grau, trüb und schmeckt salzig

17.12.1.2 Risikofaktoren

Retrograd eingedrungene Keime können sowohl in der Drüse selbst als auch im Ausführgang die Parotitis hervorrufen. Xerostomie (dauerhafte Mundtrockenheit) kann die Ursache für eine Parotitis sein, aber v.a. ist sie die Folge einer Parotitis. Nicht entzündliche Ursachen sind Stoffwechselstörungen in der Leber, in der Niere, im Pankreas und andere hormonelle Dysregulationen. Parotitis- und soorgefährdet sind Pflegeempfänger mit: Infektionskrankheiten, eingeschränkter Immunkompetenz (HIV), malignen Erkrankungen, endotrachealer Beatmung, Antibiotikabehandlung, Steroidinhalationen, Nahrungskarenz, herabgesetzte Kautätigkeit, Sonden oder parenterale Ernährung, unvollständig entwickelter Mundflora (Säuglinge)

Merke Bedeutung von Speichel Speichel hält den Selbstreinigungsmechanismus der Mundhöhle aufrecht. Fehlt der Speichel, können Bakterien, Viren und Pilze eindringen und sich vermehren.

17.12.1.3 Auswirkungen Durch den fehlenden Speichel haben Pflegeempfänger Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken. Nahrungsbestandteile kleben an den Zähnen (Kariesgefahr) und der Zunge, Pilzbeläge breiten sich entlang der trockenen Mundschleimhaut aus. Parotitis und Soor können Folgeschäden an anderen Organen verursachen, z.B. kann der Mundsoor durch Ausbreitung in die Speiseröhre zu Ösophagusstrikturen,

zu Atrophien der Schleimhäute, Soorpneumonie und zur ▶ Sepsis führen. Die virale Parotitis kann Schäden an primären Geschlechtsorganen, am Herzen und im ZNS auslösen bzw. die bakterielle Parotitis im Kindes- und Erwachsenenalter in eine chronisch rezidivierende Form übergehen.

17.12.2 Parotitis- und Soorrisiko einschätzen Soor- und Parotitisprophylaxe immer einleiten, sobald die orale Nahrungsaufnahme beeinträchtigt ist bzw. die Mundpflege nicht selbstständig durchgeführt werden kann. Pflegeempfänger zum Mundstatus befragen: klebende Zunge, trockener Mund, trockene Kehle? tägliche Begutachtung, um Veränderungen frühzeitig zu erfassen: z.B. visuelle Analogskala von 1 bis 10 von Fitch et al. (1999) oder Brushed-Assessment ( ▶ Tab. 17.4 ) von Hayes und Jones (1995) zur Beurteilung der Mundhöhle. Tab. 17.4 Das BRUSHED-Assessment. Abkürzung

Zeichen

Ausprägung

B

Blutung

Schleimhaut, Gaumen, Gerinnungsstatus?

R

Rötung

Zahnfleischrand, Schleimhaut, Gaumen, Zunge, Stomatitis?

U

Ulzeration

Größe, Form, infiziert, Herpes simplex?

S

Speichel

Beschaffenheit, Xerostomie, Hypersalivation?

H

Halitosis

Art des Mundgeruchs, azidotisch, süßlich?

E

externe Faktoren

entzündete Lippen/Mundwinkel, Endotrachealtubus?

Abkürzung

Zeichen

Ausprägung

D

Debris (Ablagerungen)

sichtbare Plaque, Fremdkörper?

Nach: Hayes und Jones 1995

17.12.3 Pflegeinterventionen zur Parotitisund Soorprophylaxe Ziel ist es, die Speichelproduktion und somit eine physiologische Mundflora zu gewährleisten, da diese vor Keimen schützt. Mögliche Pflegeinterventionen: mind. 2-mal täglich gründlich Zähne bzw. Prothesen putzen, Zunge reinigen und Zahnseide verwenden Wangentaschen mit einem in Wasser getränkten Stieltupfer befeuchten Utensilien nach jeder Anwendung reinigen Mundspüllösungen und Materialien des Mundpflegesets täglich wechseln ausreichend trinken, Kaugummis kauen im Sinne der ▶ Basalen Stimulation kleine Stückchen von Obst, in Kompressen eingewickelt, in die Wangentaschen legen Dauerhafte Mundtrockenheit (Xerostomie) ist oft auch medikamentös bedingt (z.B. Antidepressiva).

ACHTUNG Kamille, Myrrhe und Zitrone haben eine schleimhautaustrocknende Wirkung. Auf antiseptische Wirkstoffe (z.B. Teesorten wie Salbei und Thymian, ätherische Öle oder Chlorhexidin) bei gesundem Mundstatus verzichten.

Diese zerstören neben den Bakterien auch die physiologische Mundflora!

17.13 Deprivationsprophylaxe Definition Deprivation Deprivation ist der Zustand der Reizverarmung bzw. der fehlenden Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse. Eine Person ist depriviert, wenn ihre objektiven (z.B. Gesundheitszustand, sozioökonomischer Status, soziale Eingebundenheit) und subjektiven (z.B. Berufszufriedenheit, psychischer Zustand, soziale Beziehungen) Lebensumstände schlecht sind.

17.13.1 Risikofaktoren Krankenhausaufenthalt bzw. Heimübertritt ▶ Demenz sensorische und soziale Reizarmut Hör- und Sehschäden räumliche Isolation Trennung von der Familie bzw. der Gesellschaft Verlust bzw. Liebesentzug der Bezugsperson fehlende Herausforderungen fehlende Bezugsperson bei Kindern

17.13.2 Auswirkungen Deprivation findet teilweise oder vollständig statt. Für Pflegende besteht die Gefahr, dass sie die Bedürfnisse von deprivierten Patienten übersehen, da diese nicht besonders auffallen und nichts einfordern. Die Ursachen und Folgen finden Sie in ▶ Abb. 17.5. Ursachen und Folgen der Reizarmut. Abb. 17.5  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

17.13.3 Deprivationsrisiko einschätzen Screening mit Ja/Nein-Fragen (lässt sich eine dieser Fragen mit Nein beantworten, besteht ein Deprivationsrisiko): Bewegung: Erfährt der Pflegeempfänger täglich Ganzkörperbewegungsreize durch das Gehen bzw.

werden alle Gelenke mindestens 1-mal am Tag vom Pflegeempfänger bewegt? Berührung: Erfährt der Pflegeempfänger täglich Eigenoder Fremdberührungen am ganzen Körper und geschieht dies durch mehrere Reize (z.B. kaltes, warmes Wasser, Bürste etc.)? kognitive Herausforderungen: Wird der Pflegeempfänger vor verschiedene kognitive Herausforderungen gestellt und kann er diese auch bewältigen? soziale Kontakte: Bewegt sich der Pflegeempfänger täglich außerhalb des Zimmers in Gruppen und nimmt er dort aktiv an Gesprächen teil?

17.13.4 Pflegeinterventionen zur Deprivationsprophylaxe Ziel: eine möglichst reizvolle und angemessene Umgebung gestalten. Menschliche Zuwendung und Spaß stehen im Vordergrund! Abwechslung schafft Reize und ein strukturierter Tagesablauf gibt Orientierung. Mögliche Pflegeinterventionen: ▶ Bezugspflege Angehörige in die tägliche Pflege einbinden Besuche so oft es geht ermöglichen ▶ beruhigende oder anregende Waschung beruhigende und anregende Massagen mit ätherischen Ölen durchführen Musik, Blumenduft etc. basale Stimulationstechniken anwenden (siehe Kap. ▶ 16.4)

Teller ansprechend anrichten, gemeinsam essen Setting Pädiatrie Känguruhen und umgrenzend positionieren bzw. „swaddeln“ bei Säuglingen alters- und bedürfnisgerechte Betreuung sowie Beschäftigung wirken angstlösend anstehende Pflegeinterventionen mit spielerischen Elementen verbinden, z.B. Finger- oder Ratespiele Setting Langzeitpflege Pflegeempfänger in Alltag einbinden, z.B. Post sortieren, Kochen, Blumen gießen ggf. Ergo-, Musik- und Sozialtherapeuten einschalten ▶ Validation anwenden

17.14 Sturzprophylaxe Definition Sturz Ereignis, bei dem eine Person unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer tieferen Ebene aufkommt (sitzend/hockend oder liegend).

17.14.1 Risikofaktoren personenbezogene Risikofaktoren: Beeinträchtigung funktioneller und/oder sensomotorischer Fähigkeiten, z.B. Gang- und Gleichgewichtsstörungen

Gesundheitsstörungen, die z.B. mit Schwindel, körperlicher Schwäche einhergehen, Schwierigkeiten beim Aufstehen (Sarkopenie) kognitive akute und/oder chronische Beeinträchtigungen, z.B. Demenz, Delir Veränderungen der Psyche, z.B. Angst, Unruhe ▶ Kontinenzprobleme Nykturie (nächtlicher Harndrang) Sehbeeinträchtigung (Visusminderung), ungeeignete Brille Sturzangst oder (Beinah)Sturzvorgeschichte medikamentenbezogene Risikofaktoren: Polypharmazie (mehrere Medikamente gleichzeitig) psychotrope Medikamente (Medikamente, die auf die Psyche wirken) Antihypertensiva (Medikamente zur Blutdrucksenkung) Schlafmittel, Diuretika Nebenwirkungen von Medikamenten, z.B. Schwindel, Benommenheit umgebungsbezogene Risikofaktoren: steile Treppen, fehlende Haltegriffe und Stützmöglichkeiten Hindernisse auf dem Boden, Stolperfallen (z.B. Teppich) schlechte Beleuchtung zu lange/große Kleidung, falsches Schuhwerk ungewohnte Umgebung

keine angezogene Bremsen bei Gehwagen, Rollstuhl oder Toilettenstuhl ▶ freiheitsentziehende Maßnahmen

17.14.2 Auswirkungen körperliche Verletzungen: Schmerzen, Frakturen, Hämatome, Prellungen, Wunden etc. psychische Beeinträchtigungen: Angst vor weiteren Stürzen Verlust der Selbstständigkeit: z.B. nach Oberschenkelhalsfraktur auf Hilfe angewiesen Negativspirale Sturzangst: Nach einem Sturzereignis entwickeln besonders ältere Menschen eine Sturzangst. Sie bewegen sich weniger, um Stürze zu vermeiden, die Skelettmuskulatur und die Kraft bauen ab, wodurch das Sturzrisiko wiederum steigt.

17.14.3 Sturzrisiko einschätzen Im Vordergrund steht die Erfassung von Risikofaktoren im Rahmen der pflegerischen Anamnese. Verändern sich Faktoren wie z.B. der Gesundheitszustand, die Umgebung oder die Medikation, muss das Sturzrisiko erneut erfasst werden. Nach jedem Sturz muss das Sturzrisiko erneut eingeschätzt und ein Sturzereignisprotokoll ausgefüllt werden. Inhalte des Sturzereignisprotokolls sind neben den Sturzumständen (z.B. Angaben zu Person, Datum, Uhrzeit, Sturzumgebung, Aktivität vor Sturz) auch die unmittelbaren physischen und psychischen Sturzfolgen sowie die eingeleiteten Folgemaßnahmen.

ACHTUNG

Beinahestürze sind ein Alarmzeichen für ein erhöhtes Sturzrisiko. Sturzereignisse können ein Indiz für Krankheiten wie Arrhythmien, Herzinfarkte oder Schlaganfälle sein. Ein Sturz kann somit Anlass für weitere Abklärung sein.

17.14.4 Pflegeinterventionen zur Sturzprophylaxe ▶ Tab. 17.5  zeigt wichtige Sturzrisikofaktoren und entsprechende pflegerische Interventionen. Tab. 17.5 Sturzrisikofaktoren und entsprechende Pflegeinterventionen. Risikofaktoren längerer Klinikaufenthalt Muskelschwäche, Gangunsicherheit

pflegerische Interventionen Kraft, Ausdauer, Koordination, Körperwahrnehmung und Balance trainieren, Treppensteigen üben

kognitive Beeinträchtigung, Konzentrationsschwäche

auf eine angemessene Flüssigkeitszufuhr achten

Pflegeabhängigkeit

Orientierung im Raum geben durch Hinweise auf Türbilder, Haltegriffe usw.

bereits vorangegangener Sturz Sturzangst

Sicherheit geben durch verbales Orientieren Wiederholung der Bewegungsabläufe soziale Interaktion initiieren, z.B. Gruppenangebote, Spaziergänge

Harninkontinenz, v.a. Dranginkontinenz Diarrhö ungeeignete Kleidung

Harnblase, Beckenboden trainieren Ablauf beim Vorlagenwechsel üben, v.a. wenn eine Hand zum Festhalten benötigt wird Kleidung sollte weit und leicht zu öffnen sein (für schnelles An- und Ausziehen)

Risikofaktoren Risikoverhalten bzw. kein sturzrisikobewusstes Verhalten

pflegerische Interventionen Aufklärung und Anleitung zur Notwendigkeit und Nutzung von Hilfsmitteln (Sturzvermeidung) geeignete Höhe des Hilfsmittels herstellen (Gehwagen) Bett auf die niedrigste Ebene stellen

eingeschränkte Seh- bzw. Hörfähigkeit

Brille und Hörgeräte auf Funktionsfähigkeit prüfen und Notwendigkeit erläutern

schlechte Beleuchtung

Bewegungssensoren und Haltegriffe (im häuslichen Umfeld Wohnraumanpassung/Wohnraumberatung)

Ablehnung von Hilfsmitteln Hindernisse (Kabel, Infusionsständer etc.) bauliche Einschränkungen (steile Treppen, enge Durchgänge) ungewohnte Umgebung im Krankenhaus, Pflegeheim

auf barrierefreie Durchgänge achten Pflegeempfänger begleiten Warnschilder (nasser Boden) anbringen

Pflegeempfänger gezielt an die neue Umgebung gewöhnen, zeigen, wo Toiletten, Lichtschalter, Rufanlage sind Übungen zum Selbstmanagement anbieten

Hypnotika, Sedativa Polypharmazie

Patienten über Medikamentenwirkung und Sturzgefahr aufklären und gezielt überwachen Hüftprotektoren empfehlen (Aufpralldruck wird vermindert) ggf. Medikation anpassen lassen

neurologische Einschränkungen (z.B. Morbus Parkinson) Verlust der zentralen und peripheren (Senso)Motorik

auf regelmäßige, pünktliche und fachgerechte Einnahme der Medikamente achten auf Verletzungsquellen hinweisen (Fußstütze am Rollstuhl) Pflegeempfänger begleiten

Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den Expertenstandard „Sturzprophylaxe in der Pflege“.

17.15 Aspirationsprophylaxe Definition Aspiration Eine Aspiration ist das Eindringen von flüssigen (z.B. Magensäure, Erbrochenes) oder festen (z.B. Fremdkörper) Stoffen in die Atemwege infolge fehlender Schutzmechanismen, wie z.B. dem Schluckreflex.

17.15.1 Ursachen und Risikofaktoren neurogene ▶ Dysphagie: z.B. bei Morbus Parkinson, MS, Schlaganfall Fehlbildungen: Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, v.a. bei Kindern, die noch nicht operiert wurden. Tumorerkrankungen im Hals-Nasen-Ohren-Bereich oder in der Speiseröhre Struma, Divertikel der Speiseröhre Veränderungen der anatomischen oder physiologischen Strukturen, z.B. Tracheostoma, transnasale Ernährungssonde Xerostomie neurologische Veränderungen, wie z.B. Demenz Zustand nach Intubation

17.15.2 Aspirationsrisiko einschätzen Folgende Merkmale oder Zustände, die von der Pflegefachkraft beobachtet werden können, sind Hinweise auf ein erhöhtes Aspirationsrisiko:

langes Kauen und/oder deutlich verlangsamter Schluckakt wiederholter Husten und Räuspern nach dem Schlucken unkontrollierter Speichelfluss Nahrungsreste im Mund, auf der Kleidung belegte Stimme nach dem Schluckversuch Ablehnung der Nahrung und Flüssigkeit

Merke Notfallsituation Beim Verschlucken mit Würgen, Dyspnoe, gerötetem Gesicht, Zyanose der Lippen besteht Erstickungsgefahr! Notfallmaßnahmen sind einzuleiten und der Arzt ist zu informieren!

17.15.3 Pflegeinterventionen zur Aspirationsprophylaxe Pflegefachkräfte beobachten Pflegeempfänger, die aspirationsgefährdet sind, bei der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme Schluckversuch durchführen Kostform anpassen, Getränke ggf. eindicken Pflegeempfänger in eine aufrechte Sitzposition zum Trinken und zur Nahrungsaufnahme bringen Bei der Nahrungsdarreichung befindet sich die Pflegefachkraft auf der gleichen Ebene wie der Pflegeempfänger, sein Kopf nicht überstrecken (lassen) und Schnabelbecher vermeiden.

Sitz und Funktion der Zahnprothese beachten, bzw. überprüfen Dem Pflegeempfänger Zeit zum Kauen, Schlucken und Nachschlucken geben. Nach der Nahrungsaufnahme die aufrechte Sitzposition für 30 min beibehalten, um Reflux zu vermeiden. Während und nach der Verabreichung von ▶ Sondenkost den Pflegeempfänger in 30°-Oberkörperhochlagerung positionieren. Nahrung und Getränke in kleinen Portionen verabreichen nach jeder Nahrungsaufnahme Mundpflege durchführen

KOMPAKT Prophylaxen Keine Prophylaxe ist wichtiger als die andere, aber zwischen allen Prophylaxen bestehen Zusammenhänge. Der Kern aller Prophylaxen ist die Bewegung! Prophylaxen lassen sich immer in die Pflege integrieren! Pflegeinterventionen: Dekubitusprophylaxe: Mobilisation, Hautpflege, Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Risikofaktoren reduzieren, druckverteilende Hilfsmittel Prophylaxe der Bettlägerigkeit: z.B. Sturzprophylaxe, gezielt Reize schaffen, zur Bewegung motivieren, informieren über Mobilisation, Mobiliar und Hilfsmittel Intertrigoprophylaxe: z.B. Haut und Hautfalten nach dem Waschen gründlich abtrocknen (tupfen, nicht reiben!), sorgfältige Hautbeobachtung, atmungsaktive Kleidung

Prophylaxe der Mangelernährung: z.B. Wunschessen und Rituale beachten, natürliche Essumgebung schaffen, erhöhten Energiebedarf berücksichtigen Pneumonieprophylaxe: z.B. sekretmobilisierende Maßnahmen, Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Absaugen, Medikamente, Positionierung Thromboseprophylaxe: z.B. Frühmobilisation, Bewegungsübungen, MTPS, Kompressionsverbände Kontrakturenprophylaxe: z.B. passives und aktives Bewegen, alltagspraktische Übungen, Schmerzmanagement Harninkontinenzprophylaxe: Kontinenz fördernde Umgebung schaffen, z.B. Nachtbeleuchtung, Hilfsmittel, z.B. Klingel in die Reichweite legen, nachts Toilettenstuhl bzw. Urinflasche bei Männern, individuell angepasste Inkontinenzhilfsmittel einsetzen, z.B. Vorlagen Harnwegsinfektprophylaxe: hygienischer Umgang mit Blasenverweilkatheter beachten, ausreichende Flüssigkeitszufuhr Obstipationsprophylaxe: z.B. Prä- und Probiotika, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Bewegung, Defäkationsrituale gewährleisten, ggf. Laxanzien Soor- und Parotitisprophylaxe: z.B. 2-mal täglich Zähne bzw. Prothesen putzen, Mundspüllösungen, ausreichend Flüssigkeit Deprivationsprophylaxe: reizvolle und angemessene Umgebung gestalten, z.B. mithilfe von Basaler Stimulation, Blumen, Musik Sturzprophylaxe: Risikofaktoren reduzieren, z.B. Muskelschwäche, Sturzangst, Harninkontinenz, Diarrhö,

eingeschränkte Seh- und Hörfähigkeit, Stolperfallen, Medikamente Aspirationsprophylaxe: Getränke ggf. eindicken, aufrechte Sitzposition beachten, Zeit zum Kauen, Schlucken und Nachschlucken geben, nach jeder Nahrungsaufnahme Mundpflege durchführen

18 Ernährung 18.1 Nährstoffe Nährstoffe können nach Menge (Mikro- und Makronährstoffe), energetischen Eigenschaften und

Notwendigkeit für den Körper unterschieden werden. Die Ernährung hat einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit und ist neben der Zufuhr von wichtigen Nährstoffen auch mit gesellschaftlichen Aspekten und Genuss verbunden.

18.1.1 Makronährstoffe Die wichtigsten Makronährstoffe, ihren Energiegehalt und den empfohlenen Anteil an der täglichen Energiegesamtzufuhr können Sie der ▶ Tab. 18.1  entnehmen. Tab. 18.1 Makronährstoffe im Überblick. Nährstoffe

Grundeinheit

Energie

4,1 kcal/g

empfohlene Menge (nach der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) Erwachsene

Kinder

> 50 % der gesamten Energiezufuhr*

55–60 %

Kohlenhydrate

Zucker (Monosaccharid)

Fett

Glyzerin, Fettsäuren 9,3 kcal/g

30 % der gesamten Energiezufuhr

25–30 %

Protein

Aminosäuren

4,1 kcal/g

15–20 % der Energiezufuhr (0,8–1 g/kgKG/Tag)

10–15 %

Wasser

-

0 kcal/g

30–35 ml/kg KG

0–4 Monate: 130 bis 1 Jahr: 110 bis 4 Jahre: 95 bis 10 Jahre: 60 (Angaben in ml/kgKG/Tag)

*Aktuell wird der hohe Kohlenhydratanteil kontrovers diskutiert, v.a. für Menschen mit Adipositas und Diabetes mellitus.

18.1.1.1 Kohlenhydrate

Aufbau: Einfachzucker = Monosaccharide, z.B. Glukose, Fruktose; sehr schnell resorbierbar Zweifachzucker = Disaccharide, z.B. Haushalts- und Milchzucker; relativ schnell resorbierbar Mehrfachzucker = Polysaccharide, z.B. Stärke; langsam resorbierbar Aufnahme: Polysaccharide werden im Darm gespalten und vom Blut (als Blutzucker) in die Körperzellen transportiert. Dort werden sie als Energiequellen genutzt oder in Form von Glykogen gespeichert. Aufgabe: Hauptenergielieferant, Baustoff/Bestandteil von Gewebe Vorkommen: überwiegend in pflanzlichen Lebensmitteln, Getreideprodukte (Brot, Nudeln) enthalten Polysaccharide, Süßwaren enthalten meist Mono- und Disaccharide, in geringeren Mengen auch in Obst und Gemüse enthalten. Besonderheiten bei Menschen mit Diabetes mellitus: Sie sollten vor allem Mehrfachzucker zu sich nehmen, damit der Blutzucker nur langsam steigt (siehe auch Kap. ▶ 49.3.1).

18.1.1.2 Ballaststoffe Aufbau: unverdauliche Mehrfachzucker Aufnahme: werden durch Bakterien der Dickdarmflora (Mikrobiotika) zersetzt Aufgabe: beschleunigen und erleichtern die Stuhlabgabe durch wasserbindende Eigenschaften, sorgen für eine gesunde Darmflora durch erhöhte Zahl von Darmbakterien

Vorkommen: Obst und Gemüse, Vollkornprodukte, Leinsamen, Kleie therapeutischer Einsatz: Diarrhö, Obstipation, Reizdarmsyndrom, Darmentzündungen, Fettstoffwechselstörungen (z.B. Senkung des Cholesterinspiegels) spezielle Ballaststoffe: Präbiotika: Ballaststoffe, die das Wachstum bestimmter physiologischer Bakterien, z.B. Bifidobakterien, erhöhen Probiotika: gesundheitsförderliche Mikroorganismen, z.B. Milchbakterien oder spezielle Hefen, die das Immunsystem unterstützen und gesundheitsschädigende Substanzen abbauen Symbiotika: Kombination aus Prä- und Probiotika

18.1.1.3 Proteine Aufbau: Aminosäuren Aufnahme: müssen regelmäßig aufgenommen werden, da der Körper keine Proteine speichern kann. Sie werden im Magen und Duodenum aufgespalten und im Dünndarm resorbiert. In der Leber werden daraus eigene Aminosäuren aufgebaut. Bei einem Mangel werden körpereigene Strukturen (Skelettmuskel) abgebaut. Aufgabe: sind Baustoff von Zellen, Bestandteil von Enzymen, Hormonen, Transportstoffen, Gerinnungs- und Antikörpern, dienen auch als Energielieferant Vorkommen: in fast allen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln (z.B. Eier, Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse)

Besonderheiten bei kranken und alten Menschen: Nach Operationen, Tumorerkrankungen, bei Wundheilungsstörungen oder zur Regeneration ist der Eiweißbedarf bis zu 2g/kgKG/Tag erhöht, bei Niereninsuffizienz muss die Eiweißzufuhr beschränkt werden (ca. 0,6g/kgKG/Tag). Pflegeempfänger nach Magenresektion und Menschen nach Trauma und Verbrennungen verlieren in den ersten Tagen viel Körpereiweiß, eine gezielte Gabe von Eiweiß (i.d.R. über Supplemente) ist sinnvoll.

18.1.1.4 Fette Aufbau der Triglyzeride: Glycerin (Alkohol) mit 3 Fettsäuren. Fettsäuren können sein: kurz-, mittel- und langkettig essenziell und nicht essenziell gesättigt, einfach ungesättigt, mehrfach ungesättigt Neben den Triglyzeriden sind Phospholipide und Cholesterin wichtige Fette, HDL = High-DensityCholesterin („gutes Cholesterin“) und LDL = LowDensity-Cholesterin („schlechtes Cholesterin“). Aufnahme: Fette werden gespalten, in die Darmzellen aufgenommen, gespeichert, über die Lymphe abtransportiert und im Körper verteilt. Aufgaben: Energieträger und -speicher, Träger für essenzielle Fettsäuren und fettlösliche Vitamine, Baustoff und Bestandteil von Membranen, Isolation von Organen, Vorstufen für Botenstoffe Vorkommen: gesättigte Fettsäuren: vorwiegend in tierischen Fetten (z.B. Milchfett, Butter, Fleisch)

ungesättigte Fettsäuren: Fisch, pflanzliche Fette (z.B. Lachs, Pflanzenöle) Besonderheiten bei Fettresorptionsstörung: Fette mit hohem Anteil mittelkettiger Fettsäuren sind vorteilhaft. Besonderheiten bei Pankreasinsuffizienz: Orale Zufuhr von Lipase

18.1.1.5 Wasser Aufgaben: Lösungsmittel, Transportmittel, Kühlmittel, Grundlage für biochemische Funktionen, Zellbestandteil Flüssigkeitslieferanten: Wasser, verdünnte Säfte, Tees, Obst (z.B. Wassermelone), Gemüse (z.B. Gurke) Zufuhrmenge: ca. 1,5–3 l täglich, genaue Angaben siehe ▶ Tab. 18.4  Besonderheiten bei kranken und alten Menschen: angedickte Getränke bei Schluckstörungen, besonders geformte Tassen können die Flüssigkeitsaufnahme erleichtern, bei Herz- und Niereninsuffizienz reduzierte, bei Fieber und erhöhter Schleimproduktion erhöhte Flüssigkeitszufuhr

18.1.1.6 Alkohol enthält viel Energie (Kalorien) max. 10 g/Tag für Frauen und 20 g/Tag für Männer wird in der Leber abgebaut wirkt sich negativ auf Resorption, Verstoffwechselung und Ausscheidung von Nährstoffen aus dauerhaft erhöhter Konsum führt zur Fettleber und nachfolgend zu ▶ Leberzirrhose Auf Alkohol verzichten sollten Schwangere, Stillende, Kinder, Jugendliche und Personen, die Medikamente

einnehmen.

18.1.2 Mikronährstoffe 18.1.2.1 Vitamine Aufnahme: Vitamine sind essenziell, d. h., sie müssen regelmäßig über die Nahrung aufgenommen werden ( ▶ Tab. 18.2 ). Man unterscheidet: fettlösliche Vitamine: A, D, E und K (Merke: E-D-KA); können gespeichert werden, sind in fetthaltigen Lebensmitteln enthalten wasserlösliche Vitamine: B-Vitamine (B 1, B2, B6, B12), Folsäure, Pantothensäure, Biotin, Niacin, Vitamin C; können nur kurze Zeit gespeichert werden, müssen regelmäßig aufgenommen werden Aufgabe: Sie dienen vorrangig als Cofaktoren von Enzymen und Transportproteinen. Besonderheiten bei kranken Menschen: Nebenwirkungen von Medikamenten können die Versorgung mit Nährstoffen beeinträchtigen, deshalb sind regelmäßige laborchemische Kontrollen notwendig. Tab. 18.2 Vitamine: Vorkommen und Mangelerscheinungen. Vitamin

Vorkommen

Mangelerscheinung Bemerkung

Vitamin A

Karotten, Leber, Lebertran

Nachtblindheit

-

Vitamin B1

Samen, Nüsse, Weizenkeime, mageres Schweinefleisch

Beriberi (Müdigkeit, Lethargie, Störungen von Herz, Kreislauf, Nerven und Muskeln)

Mangelerscheinungen treten in unseren Breiten so gut wie nie auf.

(Thiamin)

Vitamin

Vorkommen

Vitamin B2

Milch, Innereien, Eier, Pellagra (Diarrhö, Mangelerscheinungen Nüsse, Samen, Fisch, Hautentzündung, treten in unseren Breiten Pilze Demenz), hypochrome so gut wie nie auf. Anämie (Anämie mit geringem Hämoglobingehalt)

(Riboflavin)

Vitamin B3

Fleisch, Nüsse, Fisch

(Niacin) Vitamin B5

Mangelerscheinung Bemerkung

Pellagra (s. Vitamin B2) Mangelerscheinungen treten in unseren Breiten so gut wie nie auf.

Hefe, Getreide, (Pantothensäure) Hering, Pilze, Eigelb, Leber

Burning-Feet-Syndrom (brennende Füße)

Vitamin B6

Hefe, Hafer, Nüsse, Bohnen, Avocados, Bananen

Störungen der Eiweißsynthese

-

Folsäure (Folat, Vitamin B9)

Hefe, Leber, Spinat

Anämie

besonders wichtig für schwangere Frauen (vermindertes Risiko für Neuralrohrdefekte beim Fetus)

Vitamin B12

Leber, Nieren, Eier, Käse

perniziöse Anämie, ggf. gekoppelt mit neurologischen Symptomen (Kribbeln, Gangunsicherheit u.a.)

Vitamin C (Ascorbinsäure)

Zitrusfrüchte, Kiwi, Preiselbeeren, Tomaten, Kohl, Paprika, Früchte und Gemüse allgemein

Skorbut, verzögerte Wundheilung, Infektanfälligkeit

Vitamin D (Calciferole)

Margarine, Fettfische Rachitis (gestörter Einbau von Mineralien in den Knochen während des Wachstums)

Bei Neugeborenen und Säuglingen erfolgt eine Vitamin-D-Gabe zur Prophylaxe der Rachitis. Vitamin D kann i.d.R. nicht ausreichend über Lebensmittel aufgenommen werden.

Vitamin E (Tocopherole)

Gemüse, Samenöle, grünes Blattgemüse

-

(Pyridoxin)

(Cobalamin)

keine spezifischen Symptome

-

Vitamin

Vorkommen

Mangelerscheinung Bemerkung

Biotin (Vitamin H; zum VitaminB-Komplex gehörend)

Hefe, Leber, Eigelb, Eiweißschädigung Tomaten, Sojabohnen, Reis, Weizenkleie

Vitamin K (Phyllo- und Menachinone)

grünblättriges Gemüse, Eigelb, Käse, Leber

-

Blutungsneigung durch Neugeborene haben fehlende einen niedrigen VitaminBlutgerinnung K-Spiegel; deshalb erfolgt eine prophylaktische Gabe. Marcumar als Gegenspieler (siehe Kap. ▶ 45.6)

Modifiziert nach: Biesalski HK. Ernährungsmedizin. Stuttgart: Thieme; 2017

18.1.2.2 Mineralstoffe Aufnahme: Sie müssen regelmäßig mit der Nahrung zugeführt werden ( ▶ Tab. 18.3 ). Man unterscheidet: Mengenelemente (> 50 mg/kg Körpertrockenmasse): Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium, Chlorid, Phosphor und Schwefel Spuren- oder Mikroelemente (< 50 mg/kg Körpertrockenmasse): Eisen, Jod, Fluorid, Zink, Selen, Kupfer, Mangan, Chrom, Molybdän, Kobalt, Nickel Aufgaben: Wasserhaushalt in Balance halten (siehe Kap. ▶ 25), Baustoff für Knochen und Zähne, Cofaktoren für Enzyme, Proteine und Hormone Besonderheiten bei kranken Menschen: veränderter Bedarf bei ▶ Elektrolytstörungen Tab. 18.3 Mineralstoffe: Vorkommen und Mangelerscheinungen. Mineralstoff Vorkommen

Mangelerscheinung

Bemerkung

Natrium

Teilnahmslosigkeit, Muskelkrämpfe

selten; siehe Kap. ▶ 48.7.5„Störungen des Elektrolythaushalts"

Salz, salzhaltige Produkte (Brot, Wurstwaren, Käse)

Mineralstoff Vorkommen

Mangelerscheinung

Bemerkung

Chlorid

sehr selten: nach Diarrhö/Dehydratation

-

Kalium

Gemüse, Obst, Fleisch

Muskelschwäche, Störungen der Herztätigkeit, Darmverschluss

nur bei hohen Verlusten, bei starkem Erbrechen/Diarrhö oder bei chronischen Nierenerkrankungen (siehe Kap. ▶ 48.7.5)

Kalzium

Milch und Milchprodukte, kalziumreiche Mineralwässer, einige Gemüsesorten (Brokkoli, Grünkohl, Lauch)

Osteoporose

wichtig bei Frauen nach Menopause zur Osteoporoseprophylaxe (siehe Kap. ▶ 48.7.5)

Phosphor

Fleisch, Fisch, Eier, Milch(produkte)

Wachstumsstörungen und Störungen der Knochenmineralisation

sehr selten, bei Nierenfunktionsstörungen

Magnesium

Vollkornprodukte, Funktionsstörungen von Hülsenfrüchte, Herz- und Milch(produkte), Skelettmuskeln Fleisch, Fisch, Gemüse

Einsatz bei (drohender) vorzeitiger Wehentätigkeit (siehe Kap. ▶ 48.7.5)

Eisen

Fleisch(produkte), grünes Gemüse, Vollkornprodukte

Anämie, Abgeschlagenheit, Infektanfälligkeit

-

Jod

Seefisch, Milch(produkte), mit Jodsalz hergestellte Produkte

Kropfbildung (Vergrößerung der Schilddrüse = Struma), Müdigkeit

Jodmangel ist in Deutschland seltener geworden.

Fluorid

fluoridiertes Speisesalz, schwarzer Tee, Mineralwasser, Seefisch

Zahnkaries

häufig kombinierte Gabe von Vitamin D und Fluorid bei Säuglingen

Zink

Fleisch, Milch(produkte), Vollkornprodukte

Wachstumsstörungen, Infektanfälligkeit, Störungen der Wundheilung

-

Selen

Fisch, Fleisch, Eier, Nüsse

Muskelerkrankungen, Störungen der Haarund Nagelbildung

Mangelerscheinungen eher selten

Mineralstoff Vorkommen

Mangelerscheinung

Bemerkung

* Bei einer ausgewogenen Ernährung sind ausgeprägte Mangelerscheinungen selten.

18.2 Energie- und Flüssigkeitsbedarf 18.2.1 Energiebedarf Der Gesamtumsatz (= Energiebedarf) setzt sich aus dem Grundumsatz und dem Arbeitsumsatz zusammen. Grundumsatz (Ruheenergiebedarf) ist die Energie, die der Körper in 24 h benötigt, um bei einer Außentemperatur von 23–25 °C und völliger körperlicher Ruhe seine Funktionen aufrechtzuerhalten. Er ist abhängig von Geschlecht, Körpergewicht und Alter. Formel der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE): Frau: (0,047 × Gewicht in kg – 0,01452 × Alter in Jahren + 3,21) × 239 = kcal/Tag Mann: (0,047 × Gewicht in kg + 1,009 – 0,01452 × Alter in Jahren + 3,21) × 239 = kcal/Tag Als Faustformel (grober Schätzwert) gilt: Gewicht in kg × 21,6 kcal (Frau) bzw. 24 kcal (Mann). Arbeitsumsatz (Leistungsumsatz) ist der darüber hinausgehende Mehrverbrauch, der für körperliche und geistige Aktivität benötigt wird. Dazu wird der Grundumsatz mit dem PAL-Wert (Physical Activity Level) multipliziert (Gesamtumsatz = Grundumsatz × PAL-Wert) Kinder haben einen PAL-Wert von 1,4–1,8. Erwachsene haben einen PAL-Wert von 1,0–2,4 (je nach körperlicher Aktivität).

Grundsätzlich besteht ein erhöhter Energiebedarf bei Infektionen, Fieber, Mangelernährung, motorischer Unruhe, Morbus Parkinson, Krebs, in Schwangerschaft und Stillzeit, nach OPs.

18.2.2 Flüssigkeitsbedarf Der Flüssigkeitsbedarf ist abhängig vom Lebensalter ( ▶ Tab. 18.4 ). Grundsätzlich besteht ein erhöhter Bedarf bei Flüssigkeitsverlust durch Erbrechen, Diarrhö oder starkes Schwitzen, ein erniedrigter Bedarf bei Herz-/Niereninsuffizienz. Besonderheiten bei Sondennahrung: Flüssigkeit in der Sondennahrung muss in der Flüssigkeitsbilanzierung berücksichtigt werden. Tab. 18.4 Flüssigkeitsbedarf erheben (nach DGE). Alter (Jahre)

empfohlene Wasserzufuhr durch Getränke und feste Nahrung (ml/kg und Tag)

Säugling (< 1)

110−130

Kleinkind (1−6)

75−95

Schulkind (7−12)

50−60

Jugendlicher (13−18)

40

Erwachsener (19−64)

35

älterer Mensch (> 64)

30

Praxisbeispiel: Frau, 79 Jahre, 64 kg: 30 ml × 64 kg = 1920 ml empfohlene Wasserzufuhr pro Tag

18.3 Ernährung in verschiedenen Lebensphasen

18.3.1 Ernährung von Säuglingen Säuglinge sollten in den ersten 6–8 Lebensmonaten nach Bedarf (ca. 6–8-mal/Tag) gestillt werden. Kann oder möchte eine Mutter nicht stillen, gibt es hergestellte Säuglingsnahrung, die auf die Entwicklung des Kindes abgestimmt ist (Pre-Nahrung). HA-Nahrung (hypoallergen) schützt Kinder vor Allergieentwicklung. Bei einer bestehenden Kuhmilchallergie kann das Kind EHF-Nahrung (extensiv hydrolysiertes Molkeneiweiß) erhalten. Eine zusätzliche Flüssigkeitszufuhr ist nicht notwendig. Ab dem 5.–6. Lebensmonat sollte ergänzend schrittweise Beikost eingeführt werden, dieser Zeitpunkt hat auch allergiepräventive Wirkung. Ab dem 10–12. Lebensmonat beginnt die Umstellung auf die Familienkost. Dabei wird von folgenden Nahrungsmitteln abgeraten: pure Kuhmilch und Milchprodukte, rohe Eier, Honig, Gewürze, Salz und Süßungsmittel.

18.3.2 Ernährung von Kindern und Jugendlichen Mit steigendem Alter wird die Ernährung an die des Erwachsenen angepasst. Vorübergehendes Ablehnen von Lebensmitteln bei gesunden und normalernährten Kindern ist unbedenklich. Zu den typischen Ernährungsabweichungen gehören: extrem vorsichtige Esser, „Trennköstler“, Obst- und Gemüsemuffel, Wenig- und Vielesser. Kranke Kinder sollen das Essen möglichst selbstständig aufnehmen und können bei Bedarf dabei unterstützt werden (siehe Kap. ▶ 18.8).

18.3.3 Ernährung des Erwachsenen

Die Mengenempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) werden häufig in Form einer Ernährungspyramide dargestellt. Eine ausgewogene Ernährung setzt sich aus 8 Lebensmittelgruppen zusammen. Diese sind (von der „Basis“ zur „Spitze“ der Pyramide): 1. Getränke, z.B. Wasser, Kräuter- und Früchtetee, verdünnte Säfte 2. Gemüse und Salat 3. Obst 4. Brot, Getreide und Beilagen (2, 3 und 4 = pflanzliche Lebensmittel sollten häufig verzehrt werden) 5. Milch und Milchprodukte 6. Fisch, Fleisch, Wurst und Eier (5 + 6 = tierische Lebensmittel sollten in Maßen verzehrt werden) 7. Fette und Öle sollten sparsam verzehrt werden. 8. „Extras“ = Süßigkeiten, Snacks, Alkohol. Sie werden geduldet, wenn Lebensmittel aus Basis und Mittelfeld ausreichend im Speiseplan vertreten sind.

18.3.4 Ernährung im Alter Es gibt keine allgemeingültigen Empfehlungen für die Ernährung von Senioren, da die Gruppe sehr heterogen ist. Faktoren, die berücksichtigt werden sollten, sind: Der Energiebedarf sinkt bei gleichbleibendem Vitaminund Mineralstoffbedarf. Das bedeutet: lieber Obst statt Kuchen. Durstgefühl nimmt ab: auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten

Nährstoffreserven sollten gefüllt sein, um Krankheiten gut zu überstehen: ausreichende Proteinmengen (0,8– 1,5g/kgKG) bei langer Bettlägerigkeit ggf. Vitamin D zuführen bei bestimmten Erkrankungen ggf. Vitamin-, Mineralstoff-, Enzympräparate, Eiweißkonzentrate, Trinknahrungen Medikamente können zu einem veränderten Nährstoffbedarf führen (z.B. senkt Metformin die Aufnahmen von Vitamin B12 und Folsäure). bei Schluckstörungen (Dysphagie): Lebensmittel schluckfähig machen (z.B. Flüssigkeiten eindicken) Ernährung bei ▶ Demenz: ausreichendes Speiseangebot „greifbar“ machen (z.B. jederzeit, auch nachts, Fingerfood) persönlichen Geschmack berücksichtigen Speisen sollten als solche erkennbar sein.

Merke! Struktur im Alltag Mahlzeiten strukturieren den Tag und haben eine hohe soziale Bedeutung.

18.4 Ernährungszustand erfassen In den Kliniken wird der Ernährungszustand anhand der folgenden Kriterien erfasst: das äußere Erscheinungsbild, z.B. zu weite Kleidung, tief liegende Augen

Körperlänge und -gewicht BMI und Waist-to-Hip-Ratio Körperoberfläche (KOF oder KO) Ernährungsgewohnheiten

18.4.1 Körperlänge und -gewicht bestimmen Körperlänge und -gewicht werden meist direkt zu Beginn eines Klinikaufenthalts erhoben. Je nach Krankheit, Therapie und Verlauf müssen die ermittelten Ausgangswerte regelmäßig kontrolliert werden, z.B. das Gewicht bei Herzinsuffizienz.

18.4.1.1 Körperlänge messen Erwachsene und Kinder werden meist stehend mithilfe einer Messlatte gemessen. Der Pflegeempfänger stellt sich ohne Schuhe mit geradem Rücken und erhobenem Kopf zur Messlatte, der Messschieber wird zum Kopf geschoben, der Pflegeempfänger tritt nach vorne und der Wert wird abgelesen. Kann der Pflegeempfänger nicht stehen, wird die Körperlänge liegend mit einem Messband ermittelt (Körperendpunkte werden auf ebener Fläche markiert, dann abgemessen). Der günstigste Zeitpunkt der Messung ist morgens (i. d. R. sind wir morgens größer, im Tagesverlauf werden die Bandscheiben der Wirbelsäule zusammengepresst). Bei Säuglingen und kleinen Kindern wird die Körperlänge mithilfe einer Messmulde gemessen. Die ermittelten Messwerte werden dokumentiert. Wurde die Körperlänge nur annähernd ermittelt, muss dies vermerkt werden.

Die Bewertung der Körpergröße bei Kindern erfolgt anhand der Perzentilenkurven. Dabei werden gleichzeitig auch das Körpergewicht und der Kopfumfang altersentsprechend bewertet.

18.4.1.2 Körpergewicht bestimmen Das Körpergewicht hilft, den Ernährungs- und Gesundheitszustand eines Pflegeempfängers einzuschätzen, Medikamente exakt zu dosieren und die Therapie zu überwachen, z.B. bei der Gabe von Diuretika. Zur Verfügung stehen: Sitz- und Stehwaage, digitale Bettwaage, Lifter mit integrierter Waage und spezielle Säuglings- und Inkubatorwaagen. Bei Kindern lassen die ermittelten Werte von Gewicht und Größe den Entwicklungszustand anhand eines Somatogramms visualisieren.

Voraussetzungen und Durchführung Um exakte Messwerte zu ermitteln, gilt es folgende Punkte zu beachten: Die Waage muss geeicht und tariert sein sowie stabil auf einem festen Untergrund stehen. Die Bedingungen sollten immer möglichst gleich sein: dieselbe Waage die gleiche Tageszeit (am besten morgens, nach dem Toilettengang) die gleiche oder vergleichbare Kleidung (ohne Schuhe) Abweichende Bedingungen müssen dokumentiert werden. Sitzwaage feststellen und Sitzfläche evtl. mit einem Tuch abdecken. Der Pflegeempfänger soll seine Füße auf dem dafür vorgesehenen Trittbrett abstellen.

18.4.1.3 Körperoberfläche Die Körperoberfläche (KOF oder Body Surface Area = BSA) ist die Oberfläche des gesamten Körpers, die mit der Haut bedeckt wird. Sie wird aus dem Körpergewicht und der Körpergröße anhand der Dubois-Normtabelle für Erwachsene ermittelt. Anhand der KOF werden z.B. Dosis der Chemotherapeutika, Energieumsatz und Ausmaß einer Verbrennung berechnet.

18.4.1.4 Body-Mass-Index (BMI) Der BMI kann als grober Richtwert zur Klassifikation von Untergewicht, Übergewicht und Adipositas verwendet werden ( ▶ Tab. 18.5 ).

Der BMI ersetzt nicht die pflegerische Beobachtung, er dient nur als Anhaltspunkt. Dabei ist zu beachten: Bei Kindern und Jugendlichen (bis 18 Jahre) werden zur Einschätzung von Größe und Gewicht Perzentilenkurven verwendet. Liegt der BMI über der 90. Perzentile, spricht man von Übergewicht. Mit steigendem Alter werden vom MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V.) höhere BMI-Werte akzeptiert (ab 65 Jahren BMI = 24–29). Bei amputierten Gliedmaßen muss das Gewicht entsprechend angepasst werden, d.h., die fehlenden Gliedmaßen müssen auf das Gewicht addiert werden, z.B. Fuß und Unterschenkel 6 % des KG. Bei einigen Erkrankungen muss der errechnete BMIWert besonders kritisch hinterfragt werden, z.B. bei Aszites oder Ödemen. Hier ist das Körpergewicht durch Wassereinlagerungen erhöht und nicht durch Körperfett.

Tab. 18.5 Klassifikation von Untergewicht, Übergewicht und Adipositas (nach WHO). Einteilung

BMI

Untergewicht

< 18,5

Normalgewicht

18,5–24,9

Übergewicht

≥ 25

Präadipositas

25–29,9

Adipositas I

30–34,9

Adipositas II

35–39,9

Adipositas III

≥ 40

Adipositas gilt ab einem BMI ≥ 30

18.4.1.5 Waist-to-Hip-Ratio Das Waist-to-Hip-Ratio (WHR) oder das Taille-HüfteVerhältnis (THV) gibt Aufschluss über die Fettverteilung im Körper und lässt Rückschlüsse auf bestimmte Gesundheitsrisiken zu (z.B. kardiovaskuläre Erkrankungen). Das Waist-to-Hip-Ratio wird wie folgt berechnet:

Die Messung des Hüftumfangs erfolgt in Höhe des Trochanter major (meist weitester Umfang der Hüfte), der Taillenumfang auf Nabelhöhe. Der WHR sollte bei Männern unter 0,9 und bei Frauen unter 0,85 liegen.

18.4.2 Erfassung einer Mangelernährung Mangelernährung oder Malnutrition liegt vor, wenn ein Mangel oder ein Exzess an Energie, Protein und weiteren Nährstoffen zu messbaren Abweichungen führt. Der Begriff Fehl- oder Mangelernährung umfasst sowohl die Unterernährung (bei Kindern Dystrophie und Atrophie bis Kachexie, wie bei Erwachsenen) als auch Überernährung.

Wichtiger, als den BMI zu ermitteln, ist es, Anzeichen einer Mangelernährung festzustellen, z. B. über: 5 % unbeabsichtigter Gewichtsverlust in 3 Monaten bzw. 10 % in 6 Monaten zu weit gewordene Kleidung, ausgezehrter Körper, tief liegende Augen, Appetitlosigkeit, schlecht heilende Wunden Wadenumfang geringer als 31 cm an der dicksten Stelle Trizepshautfaltendicke und mittlerer Armumfang laborchemische Parameter (Albuminwerte, Kreatininausscheidung in 24 h) BIA- (bioelektrische Impedanzanalyse) und DXAMessungen (duales Röntgen-Absorptions-Verfahren) zur Bestimmung des Fett-, Knochen- und Muskelanteils des Körpers

ACHTUNG Auch adipöse Menschen können mangelernährt sein! Maßnahmen bei Anzeichen einer Unter-/Mangelernährung: Ess- und/oder Trinkprotokolle führen zur Erfassung des Ess- und Trinkverhaltens (wie viel wurde wirklich verzehrt/getrunken?). Nährwertberechnung der verzehrten Speisen, z.B. mittels App Mini Nutritional Assessment zur Bestimmung des Ernährungszustands älterer Menschen Prophylaxe der Mangelernährung (siehe Kap. ▶ 17.5)

KOMPAKT

Ernährungsmanagement Makronährstoffe: Kohlenhydrate, Fett, Protein, Wasser Mikronährstoffe: Vitamine, Mineralstoffe Energiebedarf = Ruheenergiebedarf × PAL-Wert Flüssigkeitsbedarf = 35 ml/kg KG (Erwachsener) Die Ernährungspyramide (mit 8 Gruppen) gibt Mengenempfehlungen für Lebensmittel. Mit zunehmendem Alter sinken der Energiebedarf und das Durstgefühl, der Proteinbedarf steigt, Vitamine und Mineralstoffe müssen evtl. zugeführt werden. Der Ernährungszustand wird erfasst anhand des äußeren Erscheinungsbildes, z.B. zu weite Kleidung, tief liegende Augen, Körperlänge und -Gewichtes, BMI und Waist-to-HipRatio, Körperoberfläche (KOF oder KO) und Ernährungsgewohnheiten. Der BMI kann als grober Richtwert zur Klassifikation von Unter-, Übergewicht und Adipositas verwendet werden (bei Kindern kommen Perzentilenkurven zum Einsatz). Anzeichen einer Mangelernährung: 5 % bzw. 10 % unbeabsichtigter Gewichtsverlust in 3 bzw. 6 Monaten, zu weit gewordene Kleidung, tief liegende Augen, schlecht heilende Wunden etc.

18.5 Flüssigkeitsbilanz erheben Definition Flüssigkeitsbilanz Die Flüssigkeitsbilanz ist die Differenz zwischen Einfuhr (Zufuhr) und Ausfuhr (Ausscheidung) innerhalb von 24 h ( ▶ Abb. 18.1).

Flüssigkeitsbilanz.

Abb. 18.1 Die tägliche Flüssigkeitsaufnahme und Ausscheidung sollen physiologisch ausgeglichen sein. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2015)

Die Flüssigkeitsbilanzierung erfolgt auf ärztliche Anordnung und ist z.B. bei Herz- oder Niereninsuffizienz, bei enteraler und parenteraler Ernährung sowie bei Stoffwechselentgleisungen indiziert. Wichtig dabei: Alle Flüssigkeiten, die der Pflegeempfänger zu sich nimmt, inklusive Sondennahrung, Infusionen und je nach Klinikstandard Bluttransfusionen (Einfuhr) und wieder ausscheidet (Ausfuhr), müssen exakt dokumentiert werden (z.B. auch Sekret aus einer Magensonde oder Drainage, Erbrochenes).

Ergänzend wird bei Erwachsenen 1-mal täglich, bei Säuglingen 2-mal täglich das Gewicht kontrolliert.

18.5.1 Durchführung Über die Durchführung der Flüssigkeitsbilanzierung sollen die Pflegeempfänger und alle mit ihnen in Kontakt stehenden Personen von den Pflegenden informiert werden. In einem am Bett des Pflegeempfängers platzierten Bilanzdokumentationsbogen werden alle zugeführten und ausgeschiedenen Flüssigkeiten mit Angabe von Menge, Uhrzeit und Art der Flüssigkeit dokumentiert. Die Bilanzierung beginnt nach der ersten morgendlichen Miktion (bei Pflegeempfänger ohne Blasenkatheter). Diese Menge wird verworfen oder ggf. dem Vortag zugerechnet. Die Pflegefachkraft informiert den Pflegeempfänger über das Fassungsvermögen der benutzten Trinkgefäße, diese werden immer vollgefüllt. Um die Ausscheidungsmenge genau zu erfassen, nutzen die Pflegeempfänger ein Steckbecken oder eine Urinflasche. Nach Ablauf der 24 h entleert der Pflegeempfänger die Harnblase nochmals, diese Menge wird noch dokumentiert und anschließend erfolgt die Bilanzierung, d.h., es wird die Differenz zwischen Ein- und Ausfuhr aller Flüssigkeiten berechnet. Bei intensivbetreuten Patienten wird ein Urimeter (geschlossenes Harnableitungssystem mit Messbehälter) verwendet. Bei Säuglingen und kleinen Kindern werden die Windeln abgewogen und vom vorher bestimmten Trockengewicht subtrahiert.

▶ Perspiratio insensibilis. Unter Perspiratio insensibilis versteht man einen unbemerkten Flüssigkeitsverlust über die Haut und Atmung. Sie kann nicht gemessen werden und muss daher berechnet werden. Sie sollte bei der Flüssigkeitsbilanzierung berücksichtigt werden.

Merke Perspiratio insensibilis Als Faustregel beim Erwachsenen gelten ca. 900 ml über 24 h. Davon werden 200–400 ml über die Haut, 400–600 ml über die Atmung und 100 ml über den Stuhl ausgeschieden. Bei Fieber rechnet man zusätzlich pro Tag ca. 500 ml Flüssigkeitsverlust pro 1°C erhöhter Temperatur.

18.5.1.1 Bilanz auswerten Die Bilanzierung kann wie folgt ausfallen: positive Bilanz: Die zugeführte Flüssigkeitsmenge ist größer als die ausgeschiedene, z.B. bei einer Nierenoder Herzinsuffizienz, es können Ödeme entstehen. negative Bilanz: Die ausgeschiedene Flüssigkeitsmenge ist größer als die zugeführte, z.B. bei Diuretika-Therapie, Diarrhö, Erbrechen. ausgeglichene Bilanz: Ein- und Ausfuhr sind gleich. Der Flüssigkeitshaushalt ist ausgeglichen. Informieren Sie stets den Arzt über die Ergebnisse der Bilanzierung.

18.5.1.2 Mögliche Fehlerquellen Die Dokumentation der Einfuhrmenge ist unvollständig, z.B. wird die Eintragung vergessen. Dokumentierte Getränke werden nicht vollständig getrunken, z.B. wird nur ein halbes Glas getrunken,

obwohl ein ganzes Glas dokumentiert wurde. Flüssigkeiten, die nicht genau berechnet werden können, werden falsch geschätzt, z.B. wenn der Pflegeempfänger schwitzt, erbricht oder bei Inkontinenz. Flüssigkeiten werden nicht mitgerechnet, z.B. Infusionen, Medikamente. Ob Blutersatzprodukte (z.B. Erythrozytenkonzentrate) mit in die Bilanz einbezogen werden, ist von klinikeigenen Standards abhängig.

18.6 Künstliche Ernährung So lange wie möglich sollte die Ernährung auf physiologische Weise erfolgen. Ist dies nicht mehr (ausreichend) möglich, sollte ein Einbezug der künstlichen Ernährung nach folgendem Schema erfolgen: orale Ernährung + Supplemente (Nährstoffkonzentrate): Ernährung durch Essen und Trinken ggf. mit Hilfsmitteln (Ess- und Trinkhilfen) und/oder speziellen Kostformen (passierte Speisen, Andickungspulver) künstliche Ernährung, alleinig oder als supplementierende Anwendung: oral bilanzierte Diäten: orale Nahrungssupplementation (ONS = Trinknahrung) enterale Ernährung: Sondenernährung über Magen-/Dünndarmsonde, z.B. PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie, siehe Kap. ▶ 27.2.3) parenterale Ernährung: Ernährung unter der Umgehung des Magen-Darm-Traktes durch Infusion

von kleinmolekularen Nährstofflösungen in den Blutkreislauf (i.v.). Ziel der künstlichen Ernährung ist es, Nahrungsdefizite auszugleichen, einer Mangelernährung vorzubeugen und einen ausreichenden Ernährungsstatus sicherzustellen.

18.6.1 Enterale Ernährung Indikationen: Orale Nahrungsaufnahme ist nur eingeschränkt oder gar nicht möglich, noch nicht ausgeprägte SaugTrink-Schluck-Koordination, Trinkschwäche bis Nahrungsverweigerung, Schluckstörung oder Fehlbildungen bei Kindern. Magen-Darm-Trakt ist intakt. Es liegen Krankheiten mit erhöhtem Nährstoff- und Energiebedarf vor, z.B. Morbus Parkinson, maligne Tumoren. Formen: kurzzeitige Ernährung (2–4 Wochen): naso-, orogastrale bzw. -jejunale Sonden langfristige Ernährung (> 4 Wochen), endoskopisch implantierte Sonden: PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie), Jet-PEG (jejunal tube through-PEG), PEJ (perkutane endoskopische Jejunostomie) oder operativ angelegte FKJ (Feinnadel-Jejunostomie) Applikation: intermittierende Applikation = Bolusapplikation: Mehrmals täglich wird eine bestimmte Menge appliziert (nur bei gastraler Sondenlage). kontinuierliche Applikation = Dauertropfapplikation über Schwerkraft oder Ernährungspumpe (bei allen

jejunal liegenden Sonden, bei gastraler Lage) Auswahl und Dosierung des Substrats richten sich nach Nährstoff- und Energiebedarf. Wassergehalt der Sondennahrung auf den täglichen Flüssigkeitsbedarf anrechnen Kostaufbau: langsam und schrittweise; stufenweise Steigerung über 3–5 Tage nach Arztanordnung Spülen: vor und nach jeder Nahrungs- und Medikamentengabe, nur mit Wasser Schwerkraftapplikation: direkt aus der Flasche/dem Beutel; Regulierung über Rollenklemme Ernährungspumpen: sehr genaue Regulierung möglich (z.B. 10 ml/h) Hygiene: Standardhygiene beachten (Händewaschen, Händedesinfektion, Anschlüsse nicht berühren, Überleitungssysteme nach 24 h wechseln) angebrochene Flaschen: maximal 24 h im Kühlschrank aufbewahren Sondennahrung bei Raumtemperatur in maximal 8 h applizieren Komplikationen und pflegerische Maßnahmen (siehe auch Kap. ▶ 27) Aspiration: vor jeder Nahrungsapplikation Kontrolle der Sondenlage durchführen, z.B. durch Auskultation des Magens bei Luftinsufflation (bei PEG nicht notwendig) während und nach Verabreichung: Oberkörper um 30° hochlagern

gastrointestinale Symptome: Diarrhöen, abdominale Krämpfe und Meteorismus können unterschiedliche Ursachen haben (z.B. zu schneller Kostaufbau, bakterielle Kontamination, zu kalte Nahrung, Ballaststoffmangel, Medikamente, zu hohe Einlaufgeschwindigkeit, Grunderkrankungen). Rückstau der Nahrung: auf Dosierung vom Vortag zurückgehen ausgetrocknete Schleimhäute: regelmäßige Mundpflege und/oder Nasenpflege (Soor- und Parotitisgefahr, siehe Kap. ▶ 17.12) Druckstellen bei transnasaler Sonde: Sonde abwechselnd an unterschiedlichen Stellen fixieren (siehe Kap. ▶ 17.2) Pneumonie bei transnasaler Sonde: ▶ Pneumonieprophylaxe durchführen Wundinfektion bei PEG: regelmäßiger hygienisch einwandfreier Verbandwechsel

18.6.2 Parenterale Ernährung Infusionslösungen: Kohlenhydratlösungen Aminosäurelösungen Fettlösungen Elektrolytlösungen bzw. Elektrolytkonzentrate Applikation: Applikation einzelner Substrate in einzelnen Beuteln Zweikammerbeutel: Kohlenhydrat- und Aminosäurelösung, Fettzufuhr separat

Dreikammerbeutel (AIO-Systeme = All-In-OneLösungen): Kohlenhydrate, Aminosäuren, Fette: sichere, effektive und risikoreduzierte Darreichungsform für alle Indikationen Elektrolyte (Mengenelemente) sind meist enthalten, Spurenelemente und Vitamine müssen zugesetzt werden. Formen der parenteralen Ernährung: kurzfristige Ernährung bis zu 7 Tage: periphervenöser Zugang längerfristige Ernährung: zentralvenöser Zugang, z.B. ZVK, Port Komplikationen: Hyper- bzw. Hypoglykämie (siehe Kap. ▶ 49.3) Hypertriglyzeridämie Hyperkapnie (erhöhter Gehalt an Kohlenstoffdioxid) Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts Störungen des Säure-Basen-Haushalts Störungen des Vitamin- und Spurenelementehaushalts Unverträglichkeitsreaktionen Zu beachten: regelmäßige Kontrolle von Blutzuckerspiegel, Elektrolyten, Säure-Basen-Haushalt, Leber- und Nierenfunktion, siehe Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) unter www.dgem.de/leitlinien Zuspritzen von Medikamenten ist i.d.R. nicht erlaubt. Kohlenhydrat-, Aminosäure- und Elektrolytlösungen mit einer hohen Osmolarität (mehr als 800 mosmol/l,

siehe Kap. ▶ „Einteilung nach Osmolarität“ ) dürfen nicht über periphervenöse Zugänge verabreicht werden, da es zu Gefäßirritationen führt.

18.7 Kostformen und Diäten Definition Diät Diät ist eine Kostform mit bestimmten Zielsetzungen und Schwerpunkten hinsichtlich der Auswahl und Zubereitung von Lebensmitteln, Energiegehalt und Nährstoffzusammensetzung. Diäten müssen individuell an die persönlichen Bedürfnisse und Erkrankungen angepasst werden. Grundsätzlich kommen Diäten zum Einsatz, wenn: eine ärztliche Verordnung vorliegt, bestimmte Nährstoffe Unverträglichkeiten bzw. Allergien auslösen oder Gewichtsanpassungen vorgenommen werden müssen. Es werden 4 wissenschaftlich gesicherte Diäten definiert: 1. Vollkost – leichte Vollkost – vegetarische Vollkost 2. energiedefinierte Diäten, z. B. bei Diabetes mellitus, Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie, Adipositas 3. eiweiß- und elektrolytdefinierte Diäten, z. B. bei Leberinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, Hypertonie 4. gastroenterologische Diäten sowie Sonderdiätformen, z. B. glutenfreie Kost bei Zöliakie, ballaststoffreduziert bei Stenosen im Intestinaltrakt

Nicht mehr empfohlen werden: spezielle Diabetiker-Lebensmittel lange perioperative Nahrungskarenzen, stattdessen gelten eine neue präoperative Flüssigkeitsregel (Glukosedrink bis 2 h vor OP) und ein schneller postoperativer Kostaufbau (siehe Kap. ▶ 39.5). Schonkost, stattdessen gilt die (leichte) Vollkost Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. empfiehlt im DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Kliniken neben der Vollkost und leichter Vollkost: energiereduzierte Kost (Adipositas) besondere Verpflegung bei Mangelernährung spezielle Kostform bei Kau-Beschwerden oder -störungen spezielle Kostform bei Dysphagie, weitere diätetische Kostformen, z.B. glutenfreie oder ballaststoffreduzierte Kost

KOMPAKT Ernährungsmanagement Die Flüssigkeitsbilanz ist die Differenz zwischen Einfuhr (Zufuhr) und Ausfuhr (Ausscheidung) innerhalb von 24 h. Physiologisch soll die Bilanz ausgeglichen sein. Negative Bilanz: bei Ausfuhr > Einfuhr und positive Bilanz: Ausfuhr < Einfuhr. Zu beachten ist die Perspiratio insensibilis mit ca. 900 ml bei Erwachsenen. künstliche Ernährung: enteral oder parenteral, kurz- oder langfristig, intermittierend oder kontinuierlich, per Schwerkraft oder mittels Ernährungspumpe, naso-, orogastrale, jejunale Sonden oder PEG, Jet-PEG, PEJ, FKJ

Diät ist eine Kostform, bei der die Auswahl und Zubereitung von Lebensmitteln, Energiegehalt und Nährstoffzusammensetzung bestimmt wird.

18.8 Essen und Trinken anreichen 18.8.1 Angebot und Auswahl Essen und Trinken haben vielerlei Funktionen (physisch, psychisch und sozial). Bei der Auswahl des Essens sollten Pflegende folgende Aspekte berücksichtigen: Appetit des Pflegeempfängers, was möchte er essen? Gibt es kulturelle oder religiöse Wünsche/Besonderheiten? Gesundheitliche Einschränkungen nach der EDEKARegel erfragen: Empfindlichkeiten und Unverträglichkeiten (z.B. Laktoseintoleranz) diätetische Kost (z.B. fettarm) Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme (z.B. Dysphagie, fehlende Zahnprothese) krankheitsbedingte Kost (z.B. erhöhter Energiebedarf) Allergien

18.8.2 Unterstützungsbedarf erkennen und Speisen verteilen

Der Unterstützungsbedarf bei der Nahrungsaufnahme variiert abhängig vom Alter und aktuellem Gesundheitszustand des Pflegeempfängers. Der Hilfebedarf erstreckt sich von vollständig selbständig bis hin zu einem sehr hohen Hilfebedarf und muss täglich neu bewertet und an die individuellen Ressourcen angepasst werden. Beim Servieren des Essens müssen folgende Aspekte beachtet werden: Der Unterstützungsbedarf des Pflegeempfängers muss bekannt sein und entsprechend berücksichtigt werden. Die Essenszeiten sollen immer gleich sein. Während des Essens sollten keine Störungen wie z.B. Blutabnahmen, Visiten usw. erfolgen. zu prüfen sind: richtiger Pflegeempfänger? (mit Namen ansprechen), richtiges Essen? (Karte vorlesen, evtl. Abdeckung anheben), richtiger Zeitpunkt? (angeordnete oder bereits durchgeführte Untersuchungen) besonders Pflegeempfänger mit kognitiver Beeinträchtigung auf die Temperatur der Speisen hinweisen (z.B. „der Tee ist noch heiß“) Nach dem Abräumen ist die Nahrungsaufnahme zu dokumentieren (z.B. wie viel hat der Pflegeempfänger gegessen?).

18.8.3 Position bei der Nahrungsaufnahme Benötigt ein Pflegeempfänger Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme, ist sie von den Pflegenden zu leisten. Zuerst wird der Pflegeempfänger dabei unterstützt, eine zum Essen angenehme Position einzunehmen: Die sitzende Position am Tisch oder an der Bettkannte ist für den Pflegeempfänger optimal für die

Nahrungsaufnahme und sollte nach Möglichkeit bevorzugt werden. Dabei ist seine Sicherheit zu beachten (Kreislauf, stabile Position, Bodenkontakt mit den Füßen). Kann der Pflegeempfänger krankheitsbedingt das Bett nicht verlassen, wird er mit erhöhtem Oberkörper positioniert (Achtung: Kontraindikationen). Dabei ist die Körperphysiologie zu beachten (Knick in der Hüfte und aufrechter Oberkörper zur Aspirationsprophylaxe). Der Pflegeempfänger soll sein Essen gut sehen können (evtl. Brille aufsetzen). In liegender Position ist die Drehung auf die linke Seite zu bevorzugen, da die meisten Menschen Rechtshänder sind.

ACHTUNG Nur Pflegeempfänger mit ausreichender Rumpfstabilität an die Bettkante mobilisieren (Sturzgefahr!).

18.8.4 Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme Aktivierende Pflege: Die Pflegefachkraft unterstützt den Pflegeempfänger bei der Nahrungsaufnahme ressourcenorientiert (Grundsatz: so viel wie nötig, so wenig wie möglich). Folgende Prinzipien gilt es bei der Unterstützung zu beachten: Regeln der Händehygiene beachten für angenehme Atmosphäre sorgen, Zeit einplanen, ggf. Zimmer lüften Pflegeempfänger nach Gewohnheiten fragen

einfachen Zugang ermöglichen: Niedriges Geschirr steht vorne, höheres hinten. Das Tablett steht dabei vor dem Pflegeempfänger, nicht vor der Pflegefachkraft. ggf. Hilfsmittel (Brille, Zahnprothese, spezielles Besteck) vorbereiten Die Pflegefachkraft positioniert sich auf Augenhöhe des Patienten. Temperatur der Speisen und Getränke prüfen bei Bedarf Packungen oder Flaschen öffnen Anleitung oder Handführung, ggf. Speisen anreichen Reihenfolge und Geschwindigkeit des Essens bestimmt der Pflegeempfänger. Beim Trinken ist der Schnabelbecher als Trinkhilfe zu vermeiden. Der Kopf wird zu weit nach hinten überstreckt, was die Gefahr einer Aspiration erhöht. Als Hilfsmittel kann ein Strohhalm genutzt werden. Besteht eine ▶ Dysphagie, kann Flüssigkeit mit einem Dickungsmittel angedickt werden. Bei seheingeschränkten Pflegeempfängern wird die Anordnung des Geschirrs und der Speisen auf dem Teller erläutert, z.B. „die Erbsen liegen auf 6 Uhr“. Werden Medikamente mit dem Essen verabreicht, muss der Pflegeempfänger darüber informiert werden. Vorgaben zur Medikamenteneinnahme beachten (vor, mit oder nach dem Essen). Zudem muss die Kompatibilität der Nahrung mit dem Medikament zuvor geprüft werden (z.B. besser keine Milchprodukte bei der Antibiotikagabe, diese behindern die Aufnahme des Medikaments). abschließend Nahrungsaufnahme dokumentieren

Merke

Verhalten bei Aspiration Aspiriert der Pflegeempfänger während der Nahrungsaufnahme, wird er zum kräftigen Abhusten aufgefordert. Bleibt das ohne Erfolg, schlagen Sie dem Pflegeempfänger bis zu fünf Mal kräftig zwischen die Schulterblätter. Zeigt dies ebenfalls keine Wirkung, kann bei vollständig verlegten Atemwegen das HeimlichManöver angewendet werden. So kann ein Fremdkörper u.U. herausgedrückt werden. Der Arzt ist zu informieren. Ggf. muss ein Schluckversuch mit dem Logopäden durchgeführt und die Kostform angepasst werden.

KOMPAKT Essen und Trinken anreichen Bei der Auswahl der Kost ist neben den Patientenwünschen auch die EDEKA-Regel zu beachten: Empfindlichkeiten und Unverträglichkeiten, diätetische Kost, Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme, krankheitsbedingte Kost und Allergien. Zur Nahrungsaufnahme nur die Pflegeempfänger mit ausreichender Rumpfstabilität an die Bettkante mobilisieren (Sturzgefahr!). Im Sinne der aktivierenden Pflege fördert die Pflegefachkraft bei der Unterstützung während der Nahrungsaufnahme die Ressourcen des Pflegeempfängers (Grundsatz: so viel wie nötig, so wenig wie möglich). Schluckversuche vor der Nahrungsaufnahme bei Aspirationsgefahr durchführen, ggf. Getränke andicken. Werden Medikamente mit dem Essen verabreicht, muss der Pflegeempfänger darüber informiert werden.

Immer die Kompatibilität der Medikamente mit den Speisen prüfen.

19 Ausscheidung 19.1 Urin 19.1.1 Urinzusammensetzung Hauptbestandteile: Wasser (95 %), Elektrolyte und Harnstoff weitere Bestandteile: Harnsäure, Kreatinin, wasserlösliche Vitamine, organische Säuren, Hormone und Farbstoffe (Urochrome: Gelbfärbung des Urins)

19.1.2 Physiologie der Miktion Die Harnblase hat eine Reservoirfunktion. Sie fasst bei einem Erwachsenen 800–1000 ml Urin. Bei einer Füllung von ca. 200 ml steigt der Druck in der Harnblase und die Dehnungsrezeptoren der Blasenwand werden aktiviert. Die afferenten Fasern leiten diesen Impuls zum Gehirn weiter, der als Harndrang wahrgenommen wird. Die hemmenden Impulse aus dem Gehirn lassen dem Menschen noch Zeit, eine Toilette aufzusuchen ( ▶ Tab. 19.1 ). Der Detrusor (Blasenmuskel) kontrahiert, der innere Schließmuskel entspannt sich, der Beckenboden sinkt ab und der äußere Schließmuskel öffnet sich. Die Bauchpresse unterstützt die Urinausscheidung (Miktion). Bei einem Säugling fasst die Blase 50–90 ml Urin. Bei Kindern gibt es eine einfache Faustregel: Alter × 30 + 30, z.B. bei einem 5-jährigen Kind: 5(Alter) × 30 =150 + 30 = 180 ml Urin. Die willentliche Kontrolle der Miktion bei einem Kind beginnt ab ca. dem 18. Lebensmonat durch das Toilettentraining. Tab. 19.1 Anzahl und Menge der täglichen Miktionen. Beobachtung

Alter

Menge pro Miktion

Neugeborenes: 5–10 ml Säugling: 15–30 ml Schulkind: ca. 150 ml Erwachsener: 200–400 ml

Anzahl der Miktionen pro Tag

Neugeborenes: 6–8/d Säugling: 12–18/d Schulkind: 6–8/d Erwachsener: 4–6/d

Nach: Beyer H. Ausscheiden. In: Hoehl M, Kullick P. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Stuttgart: Thieme; 2019

19.1.3 Urin beobachten und kontrollieren Die wichtigsten Kriterien für die Beobachtung von Urin zeigt ▶ Tab. 19.2 . Tab. 19.2 Beobachtungskriterien und Veränderungen der Urinausscheidung. Beobachtungskriterium Veränderung Physiologie Farbe/Aussehen hell- bis dunkelgelb und klar

Ursachen

physiologische Abweichungen rot

Rote Bete

Beobachtungskriterium Veränderung Physiologie

Ursachen

orange

Vitamin-B-Präparate

blau

z.B. Amitriptylin (Antidepressivum)

pathologische Veränderungen

Geruch unauffällig

dunkelgelbbraun

Flüssigkeitsdefizit

bierfarben mit gelbem Schaum

Bilirubinurie bei Gallenwegs- und Lebererkrankungen (Ikterus)

hellrötlich bis blutig

Blutungen bei Nieren- und Blasenerkrankungen, Antikoagulanzientherapie

wasserhell ins grünliche schimmernd

Diabetes mellitus und Diabetes insipidus

milchig, flockig

Entzündung (Leukozyturie, Pyurie)

milchig-trüb

Phosphaturie, z.B. bei Hungerzuständen, alkalischer Kost

physiologische Abweichungen typischer Geruch nach Speisen

z.B. Spargel

pathologische Veränderungen

Menge (in 24 h) Erwachsene: ca. 2000 ml Schulkinder: bis 1500 ml Säuglinge: bis 500 ml

Veränderungen des Harnstrahls

Foetor hepaticus (intensiv, süßlich, frische Leber)

Lebererkrankungen

Azeton (obstartig)

Diabetes mellitus (Ketoazidose), Fasten

Ammoniak (beißend, „Pferdestallgeruch“)

Harnwegsinfekte, länger stehender Urin

Ausscheidungsmenge in 24 h Oligurie weniger als 500 ml

verminderte Flüssigkeitszufuhr oder Flüssigkeitsverlust, z.B. bei Diarrhö, Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz

Anurie weniger als 100 ml

Herzinsuffizienz, Nierenerkrankungen, Nierenversagen im Schock, urämisches Koma

Polyurie mehr als 2000 ml

extreme Flüssigkeitszufuhr, Diabetes mellitus und Diabetes insipidus, Diuretikatherapie in der polyurischen Phase, nach akutem Nierenversagen (ANV)

zu Beginn: häufiger Harndrang und Miktion, jedoch verzögert und schwacher Harnstrahl später: unvollständige Entleerung mit Restharn

Prostatahyperplasie oder Prostataadenom

Beobachtungskriterium Veränderung Physiologie Pollakisurie

pH-Wert schwach sauer (pH 5–6) ernährungsbedingt

Ursachen

häufige Miktion in kleinen Zystitis, Pyelonephritis Mengen, Gesamtharnmenge bleibt gleich saure Reaktion pH bis 4,8

eiweißreiche Ernährung, starkes Schwitzen, Diarrhö, Fieber

neutrale bis alkalische Reaktion

pflanzliche Ernährung, Infektionen der Nieren oder der ableitenden Harnwege

pH bis 7,2 spezifisches Gewicht 1,015–1,025 g/l Ausscheidungsmenge ist von der Trinkmenge und der Nierenfunktion abhängig

hohes spezifisches Gewicht Glukose- und Albuminurie, z.B. bei Diabetes mellitus oder Nierenerkrankungen niedriges spezifisches Gewicht

Funktionsstörungen der Niere (Hyposthenurie)

gleichbleibende Niereninsuffizienz (Isosthenurie), durch Verlust Konzentration trotz geringer der Konzentrationsfähigkeit der Niere oder hoher Trinkmenge

19.1.3.1 Miktionsstörungen Die Entleerung der Blase kann gestört sein, z.B. durch Dysurie, Inkontinenz, Harnverhalt. Besteht ein Harnverhalt (Retention), kann der Urin aus der Blase nicht mehr vollständig entleert werden. Es bleibt der sog. Restharn zurück. Ursachen können sein: Abflussbehinderungen, z.B. durch Nierensteine, Tumoren, Verletzungen Prostatahyperplasie oder -adenom neurogene Blasenentleerungsstörung, z.B. bei multipler Sklerose, Diabetes mellitus, Hemi- und Paraplegie Post-OP, z.B. nach Dauerkatheterentfernung Es ist wichtig, eine Harnretention frühzeitig zu erkennen, um Komplikationen zu vermeiden (z.B. Nierenversagen durch Rückstauungsschäden am Harnsystem). Abhilfe schaffen Katheterisierung der Harnblase, medikamentöse Therapie und Beseitigung der Abflussbehinderung.

Merke Überlaufblase

Wenn beim Harnverhalt die Blase maximal gefüllt ist, kann tröpfchenweise Urin abgehen. Dies muss kein Zeichen für eine Inkontinenz sein. Eine Überlaufblase zeigt sich meist mit Schmerzen und Druckgefühl im (Unter-)Bauch. Bei dementen Menschen kann dies ein Grund für Unruhe sein.

19.2 Stuhl 19.2.1 Physiologie der Defäkation Der Defäkationsprozess wird vom vegetativen Nervensystem beeinflusst. Die Dehnungsrezeptoren der Darmwand signalisieren dem Gehirn über die afferenten Fasern, dass der Enddarm gefüllt ist. Die spinalen Reflexe aus dem Rückenmark setzen dann die Darmperistaltik in Gang. Als Antwort auf die Enddarmfüllung wird über die efferenten Nervenfasern die glatte Muskulatur des Darms aktiviert, sie kontrahiert und der innere Schließmuskel erschlafft. Der äußere Schließmuskel wird willentlich beeinflusst und erschlafft erst, wenn die Defäkation möglich ist. Stuhlzusammensetzung: 75 % Wasser, 10 % Abfallprodukte (Zellulose), 7 % Epithelien, 8 % Salze, Schleim und Bakterien.

19.2.2 Stuhl beobachten und kontrollieren Die Beobachtungskriterien für die Stuhlausscheidung können Sie der ▶ Tab. 19.3  entnehmen. Tab. 19.3 Beobachtungkriterien für die Stuhlausscheidung. Beobachtungskriterien

Veränderungen

mögliche Ursachen

Farbe/Aussehen hell- bis dunkelbraun

physiologische Abweichungen grünlich

Spinat Bei Säuglingen: Ernährung der Mutter

schwarz

Eisen-, Kohlepräparate, Rotwein

rötlich gefärbt

Rote Bete

pathologische Veränderungen grünlich, ockerfarben, „Dyspepsiestuhl“

Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Infektionen

grünlich-schwarzbraun, „Hungerstuhl“

Nahrungskarenz

Beobachtungskriterien

Geruch nicht übermäßig übelriechend

Veränderungen

mögliche Ursachen

schwarz und glänzend, „Teerstuhl“

Blutung im Magen oder in den oberen Darmabschnitten

tonig, fettglänzend

Pankreaserkrankungen

grauweiß, entfärbt (acholisch), „Lehmstuhl“

fehlendes Sterkobilin bei Gallenwegs- und Lebererkrankungen

physiologische Abweichungen abhängig von der Nahrung und bei kohlenhydratreicher Ernährung eher der Verweildauer im Darm säuerlich, bei fleischhaltiger Kost geruchsintensiver pathologische Veränderungen

Menge/Konsistenz/Form Menge ist ernährungsbedingt und beträgt bei Neugeborenen 100–200 g pro Tag Erwachsenen etwa 120–300 g pro Tag

Beimengungen

faulig-jauchig (tiefbraun)

Fäulnisdyspepsie

nach Aas (verwesendem Fleisch) riechend

Zerfallsprozesse im Darm bei Karzinom

physiologische Abweichungen größere Menge

sehr ballaststoffreiche Ernährung (bis zu 500 g)

kleinere Mengen

bei ballaststoffarmer, eiweißreicher Ernährung

pathologische Veränderungen grau-weiß, trocken, „Kalkseifenstuhl“

Fehlernährung eines Säuglings mit unverdünnter Kuhmilch

große Mengen

Malabsorption

flüssig

Diarrhö bei Darminfektionen

fester als normal

Obstipation

trocken-hart

Kotsteine bei schwerer Obstipation

bleistiftförmig

Stenosen des Enddarms

physiologische Abweichungen Weintraubenschalen, Tomatenschalen usw.

unverdaute Nahrung

pathologische Veränderungen

19.2.2.1 Diarrhö

Blutauflagerungen

Blutungen aus den Analfissuren, Hämorrhoiden, Rektum- und Analkarzinom

Schleim

gereizte Darmschleimhaut bei evtl. Darminfektionen

blutiger Schleim

Colitis ulcerosa, nach schweren Diarrhöen

Parasiten

Maden-, Spul- und Bandwürmer (makroskopisch) Wurmeier und pathogene Keime (mikroskopisch)

Definition Diarrhö Bei der Diarrhö handelt es sich um eine häufige, dünnflüssige Stuhlausscheidung, mehr als 3-mal am Tag, oft von Darmkrämpfen (Tenesmen) begleitet. Eine Diarrhö kann folgende Ursachen haben: Darminfektionen Lebensmittelvergiftungen Nebenwirkungen von Medikamenten (Antibiotika, Zytostatika) Nahrungsmittelallergien unzureichende Kaufähigkeit Überdosis von Laxanzien psychische Reize (Angst, Stress, Aufregung) krankhafte Veränderungen des Darms (Stenosen) Sondenkost

ACHTUNG Durch eine Diarrhö verliert der Mensch Flüssigkeit und Elektrolyte. Bei Kindern kann es schnell zu einer Exsikkose kommen und bei alten Menschen zusätzlich zu Verwirrtheitszuständen. ▶ Maßnahmen. Nach ärztlicher Absprache können folgende Maßnahmen eingesetzt werden: vorübergehende Nahrungskarenz von ca. 6 h, Säuglinge werden weiter gestillt ausreichend Flüssigkeit anbieten: leichter Schwarztee, Kamilleoder Fencheltee, klare Brühe, kaliumreiche Obstsäfte (Ausgleich von Elektrolyten, Vitaminen und Nährstoffen) geriebene Äpfel oder Möhren, Reis oder Reiswaffel, Zwieback ggf. intravenöse Flüssigkeits- und Elektrolytesubstitution ▶ Flüssigkeitsbilanzierung und Vitalzeichenkontrolle durchführen (Fieber deutet auf eine Infektion hin), auf Anzeichen einer

Exsikkose achten, z.B. stehende Hautfalte sorgfältige Hautpflege im Perianalbereich alle beteiligten Personen sollen auf Händehygiene achten bei positiver Veränderung (Abklingen der Diarrhö) langsamer Kostaufbau (leichte, fettarme Kost) Alle Maßnahmen und Beobachtungen müssen zeitnah dokumentiert werden.

19.2.2.2 Stuhlinkontinenz Definition Stuhlinkontinenz Stuhlinkontinenz ist das Unvermögen, den Stuhl willkürlich zurückzuhalten. Eine Stuhlinkontinenz kann folgende Ursachen haben: sensorische Ursachen: Diarrhöen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarm, breiige Konsistenz des Stuhls, „paradoxe Diarrhö“, neurogene Störungen muskuläre Ursachen: Schädigung des Schließmuskels durch Geburten, postoperativ bei Analfisteln, Rektumtumoren oder prolaps, Stuhlabgang gleichzeitig mit Flatulenzen oder bei körperlicher Belastung (Bauchpresse) neurogene Ursachen: Beckenbodeninsuffizienz durch chronische Obstipation oder Überdehnung während der Entbindung, diabetische Neuropathie, Multiple Sklerose, Querschnittlähmung psychische Ursachen: Demenz, psychische Erkrankungen ▶ Schweregrade der Stuhlinkontinenz. Die Stuhlinkontinenz ist für die Betroffenen sehr belastend und oft ein Tabuthema. Um für den Pflegeempfänger die effektivste Therapieform zu wählen, ist eine gezielte Diagnostik unabdingbar. Man unterscheidet 3 Grade der Stuhlinkontinenz: Grad 1: unkontrollierter Abgang von Darmgasen Grad 2: unkontrollierter Abgang von dünnflüssigem Stuhl Grad 3: unkontrollierter Verlust von festem Stuhl

▶ Stuhlprotokoll. Die Diagnostik kann durch Pflegende mithilfe eines Stuhlprotokolls und einer gezielten Beobachtung (Mobilität, Auffinden der Toilette, Umgang mit Kleidung beim Toilettengang) unterstützt werden. Das Protokoll ist über mind. 2 Wochen anhand folgender Kriterien zu führen: Zeiten der Entleerung, Inkontinenzereignisse, Stuhlkonsistenz, Auslöser für Inkontinenzereignisse, Beeinträchtigung des Wohlbefindens. ▶ Die Stuhlkontinenz beeinflussen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die Stuhlkontinenz zu verbessern. Beispiele sind: Verhaltenstraining (Förderung der funktionellen Fähigkeiten, Stuhlregulierung, Ernährungsberatung, geplante Entleerungszeiten, transanale Irrigation) Stuhleindickung Physiotherapie (Beckenboden-, Sphinktertraining, evtl. Biofeedback) Einsatz von Hilfsmitteln (Vorlagen, Analtampon)

19.2.2.3 Obstipation Definition Obstipation Obstipation ist eine seltene Entleerung (weniger als 3-mal die Woche) von hartem Stuhl. Obstipation wird oft von Völlegefühl, Bauchkrämpfen, Meteorismus, Appetitverlust, Zungenbelag, Mundgeruch, Kopfschmerzen und Unruhe begleitet. Eine Obstipation kann folgende Ursachen haben: organische Ursachen: Darmerkrankungen (Divertikulitis, Tumoren, Entzündungen, Stenosen), neurologische Störungen (Schlaganfall, Querschnittlähmung, diabetische Neuropathie), endokrine Störungen (Hypothyreose), metabolische Ursachen (unregelmäßige Essenszeiten), rektoanale Erkrankungen (Analfissur) funktionelle Ursachen: Motilitätsstörungen des Darms (verlangsamte Darmpassage nach Laxanzienmissbrauch), Unterdrückung der Defäkation (Mehrbettzimmer, fremde

Umgebung), ballaststoffarme Ernährung, Flüssigkeitsmangel, Bewegungsmangel, Elektrolytverschiebungen auslösende Medikamente: Analgetika, v.a. Opioide, Antidepressiva, Anti-Parkinson-Mittel, Antihypertonika, Antazida, Eisenpräparate, Diuretika Maßnahmen zur Prophylaxe einer Obstipation werden in Kap. ▶ 17.11 besprochen.

19.3 Bei der Ausscheidung unterstützen Kann ein Pflegeempfänger zur Verrichtung der Ausscheidung nicht mehr selbstständig die Toilette nutzen, können unterschiedliche Hilfsmittel zum Einsatz kommen. Wird z.B. ein Toilettenstuhl genutzt, muss der Stuhl immer durch Bremsen „festgestellt“ werden und die Rufanlage (Klingel) in Reichweite liegen (Sturzgefahr!). Bei bettlägerigen Pflegeempfängern wird häufig eine Urinflasche oder ein Steckbecken genutzt. Dabei muss besonders auf die Gefahr von Druckstellen (Vermeidung der Reibe- und Scherkräfte beim Einsetzen des Steckbeckens) geachtet werden. Die Wahrung der Intimsphäre steht immer an oberster Stelle!

19.3.1 Kinder bei der Ausscheidung unterstützen Die Ausscheidung bei Kindern erfolgt während der ersten Monate reflektorisch. Die Kontrolle der Ausscheidung wird von einem Kind erst beherrscht, wenn die neurophysiologischen und anatomischen Strukturen ausgereift sind. Ein Kind nimmt die Blasenfüllung zwischen dem 18. und 30. Lebensmonat wahr. Die Darmfüllung wird eher wahrgenommen. Mit dem 3. Lebensjahr können die meisten Kinder ihre Ausscheidung kontrollieren.

Merke Ohne Druck Kinder dürfen hinsichtlich der Kontinenzentwicklung nie unter Druck gesetzt werden. Eine erzwungene Kontrolle der Ausscheidung kann zu Entwicklungsstörungen führen und bleibende Schäden hinterlassen.

Bis ein Kind die Kontrolle über die eigene Ausscheidung erlangt, braucht es Windeln. Entsprechend seines Lebensrhythmus und der Bewegungsfreiheit kommen infrage: Einmalwindeln: diese sind durch Supraabsorber saugfähiger, teurer in der Anschaffung und verursachen mehr Abfall. Baumwollwindeln: können nach dem Waschen bei 90°C wieder verwendet werden, die Verwendung von Waschmittel trägt zu Wasserverunreinigung bei, sind weniger saugfähig und weniger komfortabel im Tragen.

19.3.1.1 Wickeln des Säuglings ▶ Häufigkeit und Zeitpunkt. Die Ausscheidungen Urin und Stuhl können die empfindliche Kinderhaut angreifen. Deswegen ist es wichtig, die Windeln zeitnah nach der Ausscheidung zu wechseln. Am günstigsten ist es, den Säugling nach den Mahlzeiten zu wickeln, da oft nach dem Stillen Stuhlgang abgesetzt wird. Ablauf benötigte Materialien: Handschuhe, Windel, warmes Wasser, weiche Papiertücher, Feuchttücher, ggf. Hautpflegemittel Hände waschen und desinfizieren, ggf. Wärmelampe einschalten. Handschuhe anziehen, Unterkörper entkleiden, Windel öffnen und nach innen umschlagen (das Kind liegt auf der sauberen Außenfläche, die ggf. als Auffangschutz dient). Grobe Stuhlreste mit Papiertüchern entfernen, das Gesäß mit Feuchttüchern sorgfältig reinigen, nicht reiben und auf die Wischrichtung (von der Symphyse zum Anus) achten. Die Haut abtupfen bzw. behutsam abtrocknen, dabei die Haut inspizieren und bei Bedarf Hautschutzcreme auftragen. Gebrauchte Windel im Abwurf entsorgen. Achtung: Eine Hand bleibt immer auf dem Kind! Neue Windel unterlegen und so verschließen, dass noch 2 Finger zwischen der Windel und dem Bauch Platz haben. Handschuhe ausziehen, Hände desinfizieren, Säugling wieder anziehen und Arbeitsfläche desinfizieren.

Merke Gemeinsam bewegen

Bei der Bewegung des Säuglings sind die Grundlagen des ▶ Infant Handlings zu beachten. Das Kind langsam, sanft und entsprechend der Physiologie von einer zur anderen Seite bewegen. ▶ Beobachtung. Bilden sich im Bereich der Körperfalten und -öffnungen (ggf. nässende) Rötungen, handelt es sich um eine ▶ Windeldermatitis. Die Haut in dem Bereich sorgfältig abtupfen, länger „offen strampeln“ lassen, ggf. lockerer wickeln und ggf. Hautschutzcreme auftragen.

19.3.2 Hilfsmittel für die Harn- und Stuhlentleerung Ist der Pflegeempfänger nicht selbst in der Lage, die Toilette zu erreichen, unterstützen die Pflegefachkräfte ihn beim Transfer vom Bad bis zur Toilette. Dabei können Sie Hilfsmittel einsetzen, wie z.B. Toilettenstuhl, Rollator oder Rollstuhl. Sehr hilfreich sind Nachtbeleuchtung und Handläufe. ▶ Toilettenstuhl anwenden. Manche Pflegeempfänger können in den Toilettenstuhl mobilisiert werden, wenn ein Transfer zur Toilette nicht mehr möglich ist. Dabei achten die Pflegefachkräfte darauf, dass sich unter dem Toilettenstuhl Bettpfanne oder Eimer befindet, die Bremsen des Toilettenstuhls festgestellt werden und die bettseitige Armlehne abgesenkt wird. Vor dem Transfer die Sitzplatte entfernen. Den Pflegeempfänger beim Transfer unterstützen, die Armlehne hochstellen und den Pflegeempfänger ins Bad fahren oder Sichtschutz aufstellen. Klingel und Toilettenpapier in Reichweite legen.

ACHTUNG Äußern bewegungseingeschränkte Pflegeempfänger den Wunsch einen Toilettenstuhl nachts am Bett haben zu wollen, sollten die Pflegefachkräfte beachten, dass dies mit einer erhöhten Sturzgefahr verbunden ist. Es ist sicherer, den Pflegeempfänger auf die Klingel hinzuweisen und bei Bedarf den Toilettenstuhl ins Zimmer zu bringen sowie beim Transfer unterstützend tätig zu sein.

19.3.3 Hilfsmittel bei bettlägerigen Menschen

Ist der Einsatz des Toilettenstuhls nicht möglich, können andere Hilfsmittel eingesetzt werden. ▶ Urinflasche anlegen. Bei Männern wird oft eine Urinflasche verwendet. Der Pflegeempfänger kann auf dem Rücken oder auf der Seite liegen. Die Urinflasche muss den Urin sicher auffangen. Es ist wichtig, dass der Pflegeempfänger nach dem Anlegen der Urinflasche zugedeckt wird (Intimsphäre wahren), die Urinflasche nach der Miktion entfernt wird (Gefahr von Druckstellen und Infektion) und der Pflegeempfänger die Möglichkeit der Händehygiene erhält. ▶ Steckbecken anwenden. Nutzen die Pflegefachkräfte ein Steckbecken, um die Ausscheidung des Pflegeempfängers zu unterstützen, achten sie auf den Schutz der Intimsphäre: mit Bettdecke zudecken, Sichtschutz aufstellen, Besucher aus dem Zimmer herausbitten. Es ist wichtig, den Ablauf zu erläutern, auf die rückenschonende Arbeitshöhe zu achten und Handschuhe anzuziehen. Das Steckbecken kann im Liegen und auf der Seite eingesetzt werden, ggf. muss eine zweite Pflegefachkraft unterstützen. Folgendes ist zu beachten: Die korrekte und bequeme Positionierung erfragen, ggf. Position korrigieren. Schärkräfte vermeiden Bei Männern zusätzlich eine Urinflasche anlegen. Um die Bauchpresse einsetzen zu können, wird der Oberkörper des Pflegeempfängers erhöht, ggf. Beine anwinkeln und aufstellen lassen. Im Sinne der Intimsphäre verlässt die Pflegefachkraft den Raum und legt dem Pflegeempfänger die Klingel in Reichweite. Unmittelbar nach der Ausscheidung soll das Steckbecken entfernt werden. Nach der Ausscheidung: Intimpflege durchführen, dem Pflegeempfänger Möglichkeit der Händehygiene anbieten, ggf. bei der Positionierung unterstützen und das Befinden erfragen. Steckbecken nie auf dem Fußboden abstellen, sofort im Spülautomaten hygienisch aufbereiten. Ausscheidung dokumentieren

Merke

Steckbecken Bei Pflegeempfängern mit Verletzungen/Z.n. Operation im Rücken- oder Beckenbereich ist das Einsetzen eines Steckbeckens nur in Rücksprache mit dem Arzt möglich.

19.3.4 Harninkontinenz Definition Harninkontinenz Harninkontinenz gilt als Sammelbezeichnung für ein Symptom, eine Gruppe von Symptomen oder klinischen Befunden, deren gemeinsames Kennzeichen der unfreiwillige Harnverlust ist.

19.3.4.1 Risikofaktoren Der Nationale ▶ Expertenstandard zur Förderung der Harnkontinenz in der Pflege fasst die Risikofaktoren der Harninkontinenz zusammen und teilt sie in 2 Kategorien ein. ▶ Pflegeempfängerabhängige Risikofaktoren. Dazu gehören z.B.: kognitive und körperliche Einschränkungen Erkrankungen (Demenz, Morbus Parkinson, Schlaganfall, Diabetes mellitus) Medikamente (Diuretika, ACE-Hemmer, Antidepressiva) Harnwegsinfektionen Beckenbodeninsuffizienz (durch Schwangerschaft oder Adipositas) Obstipation Östrogenmangel Veränderungen oder Operationen der Prostata psychischer, körperlicher und sexueller Missbrauch Alter (gilt nicht als alleiniger Risikofaktor, sondern in Kombination mit o.g. Faktoren) ▶ Pflegeempfängerunabhängige Risikofaktoren. Dazu gehören z.B. ein nicht Kontinenz förderndes Umfeld (weite Toilettenwege, nicht angepasste Kleidung) oder ungeeignete Hilfsmittel.

Merke Institutionell erworbene Harninkontinenz Ein Blasenverweilkatheter ist ein Risikofaktor für eine klinik-/heimerworbene Harnwegsinkontinenz. Die Indikation dafür sollte immer streng geprüft werden.

19.3.4.2 Inkontinenzformen Die ▶ Tab. 19.4  gibt einen Überblick über Formen der Harninkontinenz, deren Ursachen und Therapiemöglichkeiten. Tab. 19.4 Formen, Ursachen und Therapie der Harninkontinenz. Inkontinenzform

Symptome

Ursachen

Therapie

Belastungsinkontinenz anfangs nur tröpfchenweiser Harnverlust bei Lachen, Husten, Niesen und Lastenheben bis hin zur vollständigen Blasenentleerung bei abdominaler Druckerhöhung

Schwäche der Beckenbodenmuskulatur (Schwangerschaft, Entbindung, Adipositas)

Beckenbodentraining

Senkung der weiblichen Genitalorgane

lokale Östrogentherapie

Östrogenmangel nach der Menopause

Erhöhung des Sphinktertonus durch Medikamente

Dranginkontinenz Beim Vorliegen einer Belastungs- und Dranginkontinenz wird von einer Mischinkontinenz gesprochen.

unfreiwilliger Harnverlust mit intensivem Harndrang

motorische Dranginkontinenz: degenerative Erkrankungen des ZNS, Demenz, Einnahme von Barbituraten

Reflexinkontinenz

unfreiwillige reflektorische Miktion mit Restharnbildung, meist ohne Harndrang

Elektrostimulation Biofeedback

evtl. OP kausale medikamentöse Therapie Kontinenztraining evtl. OP

sensorische Dranginkontinenz: Harnblasenerkrankungen (Zystitis, Steine, Tumor) Rückenmarkkompression oder - gezielte Blasenentleerung kontusion (Bandscheibenvorfall, durch: MS, Tumor, Medikamente Querschnittlähmung) intermittierenden Selbstkatheterismus Triggern evtl. Urostomie Harnableitung über Blasenkatheter

Inkontinenzform

Symptome

Ursachen

Überlaufinkontinenz

Harndrang, Harnträufeln, Pollakisurie, Restharnbildung

Einengung der Harnröhre durch Prostatavergrößerung oder Harnröhrenstriktur

Therapie Operation Harnableitung über Blasenkatheter

Der nationale ▶ Expertenstandard zur Förderung der Harnkontinenz in der Pflege klassifiziert die Harninkontinenzformen entsprechend den Fähigkeiten und der Abhängigkeit des Betroffenen von Hilfe und Materialien in: Kontinenz unabhängig erreichte Kontinenz abhängig erreichte Kontinenz unabhängig kompensierte Inkontinenz abhängig kompensierte Inkontinenz nicht kompensierte Inkontinenz ▶ Sekundäre monosymptomatische Enuresis (Einnässen). Sekundäre monosymptomatische Enuresis besteht, wenn Kinder, die bereits länger als 6 Monate die Miktion kontrollieren konnten und keine somatische Fehlfunktion aufweisen, ihre Ausscheidung nicht kontrollieren können bzw. wieder einnässen. Häufig spielen psychische oder psychosomatische Faktoren eine Rolle, z.B. Trennung der Eltern, Schulprobleme oder ein Krankenhausaufenthalt. Es ist wichtig, zuerst die Ursache zu beheben und dann das Kontinenztraining einzuführen.

19.3.4.3 Kontinenztraining Ziel des Kontinenztrainings ist die physiologische Miktion. Ein Miktionsprotokoll unterstützt die pflegerische Beobachtung und liefert wichtige Informationen für die individuelle Planung eines Trainings. Die Kriterien dabei sind: Flüssigkeitsaufnahme, Miktionsgewohnheiten, Inkontinenzvorfälle. Es gibt 3 Arten des Kontinenztrainings: 1. angebotene Toilettengänge: zur Stärkung der Blasenkontrolle (verbale Aufforderung, positive Unterstützung) 2. Toilettengänge zu individuellen Zeiten: zur Unterstützung der Ausscheidung nach einem festen Plan, der auf dem jeweiligen Ausscheidungsmuster des Pflegeempfängers basiert

3. Toilettengänge zu festen Zeiten: zur Gewohnheitsbildung und zur Vermeidung inkontinenter Episoden

19.3.5 Stuhlinkontinenz Die Therapie und der Umgang mit der Stuhlinkontinenz richten sich nach den Ursachen der Erkrankung. Siehe dazu das Kapitel ▶ „Stuhlinkontinenz"

19.3.6 Inkontinenzhilfsmittel Die Wahl der Hilfsmittel wird durch den Grad und die Form der Inkontinenz, die Situation des Pflegeempfängers und das Geschlecht bestimmt. Die ausgeschiedene Urinmenge entscheidet über die Häufigkeit des Wechsels. Es wird zwischen aufsaugenden und aufsammelnden Hilfsmitteln unterschieden: aufsaugende Hilfsmittel: Inkontinenzvorlagen, die die Anatomie und die Bedürfnisse des Pflegeempfängers berücksichtigen, z.B. Tag- und Nachtvorlagen, höschenförmige Einlagen, Einmalslips aufsammelnde Hilfsmittel: ableitende Systeme, die den Urin in ein Reservoir leiten, z.B. Kondomurinal, externer Urinableiter ▶ Pflege. Beim Wechsel der Hilfsmittel sind folgende Punkte zu beachten: Intimsphäre wahren Händehygiene (-desinfektion) evtl. allergische Reaktion auf das Material beobachten oder erfragen Informationen des Herstellers (Größe, Hautpflege, Rasur, Anlagetechnik, Funktionsfähigkeit) nach Stuhlausscheidung immer direkt einen Wechsel vornehmen und Intimpflege sowie Hautbeobachtung durchführen Wechselintervall: mindestens 4-mal täglich Wohlbefinden, Mobilität und Ressourcen des Pflegeempfängers berücksichtigen

19.3.7 Beim Abführen unterstützen Wenn die ausgewählten Maßnahmen zur Obstipationsprophylaxe (z.B. Kolonmassage, mild angesäuerte Milchprodukte oder Bewegung, siehe Kap. ▶ 17.11) nicht die gewünschte Wirkung zeigen, werden abführende Maßnahmen nötig, die die Stuhlausscheidung fördern bzw. unterstützen. Dazu zählen u.a.: Klistiere (kleine Flüssigkeitsmengen werden in den Enddarm verabreicht) Abführ-Suppositorien manuelles Ausräumen der Rektumampulle Letzteres kommt v. a. dann infrage, wenn die zuvor genannten Maßnahmen keine Wirkung zeigen, der Stuhl verhärtet ist und/oder der Pflegeempfänger nicht pressen kann.

Definition Manuelles Ausräumen Manuelles (digitales) Ausräumen: manuelle Entfernung der Kotsteine mit einem doppelt behandschuhten Finger. Diese Maßnahme wird als sehr schmerzhaft und unangenehm empfunden. Sie greift stark in die Intimsphäre des Pflegeempfängers ein und wird ausschließlich auf ärztliche Anordnung durchgeführt. Mögliche Komplikationen sind: Blutungen bei Hämorrhoiden, Verletzungen der Darmwand und des Schließmuskels.

19.3.8 Darmeinläufe Definition Darmeinlauf Bei einem Darmeinlauf (Klistier, Klysma, [griech. Einlauf]) wird über den After Flüssigkeit in den Darm retrograd eingebracht, um die Defäkation (Stuhlausscheidung) anzuregen.

19.3.8.1 Wirkmechanismen

Die eingebrachte Einlaufflüssigkeit regt den Darm aufgrund von 3 verschiedenen Reizen an: mechanischer Reiz: Druckrezeptoren erkennen Füllung des Darmlumens thermischer Reiz: Temperatur der Flüssigkeit chemischer/osmotischer Reiz: Zusammensetzung der Flüssigkeit

19.3.8.2 Indikationen kontrollierte Darmentleerung bei ▶ Querschnittlähmung Darmreinigung vor Rektoskopie/Koloskopie Darmentleerung vor OPs und Geburten (Ziel: kontrollierter Stuhlabgang) zur Applikation von Arzneimitteln (entzündungshemmende Medikamente, Laxanzien) zur Diagnostik (Darstellung der unteren Darmabschnitte mittels Kontrastmittel) Anregung der Defäkation bei Obstipation Verlängerung des Kontinenzintervalls bei Kolostomieträgern

19.3.8.3 Kontraindikationen Zustand nach Darmoperationen (Gefahr: Nahtinsuffizienz) Verdacht auf ein akutes Geschehen im Bauchraum (Komplikationsvermeidung) Blutungen im Magen-Darm-Trakt (Gefahr: verstärkte Blutung) mechanischer Darmverschluss (Gefahr: Darmruptur) frühe Schwangerschaft (Gefahr: Abort) schwere Herzerkrankung (Gefahr: hohe Belastung des Herzens) Niereninsuffizienz (Gefahr: hohe Belastung der Nieren)

19.3.8.4 Arten Einläufe können unterteilt werden nach: der applizierten Flüssigkeitsmenge (z.B. Mikroklist, Klistier, Einlauf) der Indikation/Funktion (Reinigungseinlauf, rektale Darmspülung, Kontrastmitteleinlauf)

dem Prinzip (z.B. hoher Einlauf, Hebe-Senk-Einlauf) Die Art der Verabreichung ist abhängig von den Anforderungen an die Darmentleerung und wird ärztlich angeordnet. ▶ Spüllösungen. Ist die Temperatur der applizierten Spüllösung zu gering, kann dies zu massiven Darmkrämpfen und Schmerzen führen. Empfohlen wird eine Temperatur von ca. 37°C. Die Spüllösungen können unterschiedlich zusammengesetzt sein: Klistier: geringe Flüssigkeitsmenge mit Zusatz von Sorbit (osmotische Wirkung), Glyzerin (löst Defäkationsreflex aus), Paraffinum subliquidum (macht Stuhl geschmeidig) oder salinischen Zusätzen (hypertone Lösung mit osmotischer Wirkung) Einlauf: größere Flüssigkeitsmenge, wird meist mit Leitungswasser und Glyzerin hergestellt (Zusätze wie Laxanzien sind nach Anordnung möglich) ▶ Flüssigkeitsmenge von Einläufen. Die Menge der Flüssigkeit richtet sich nach Alter des Menschen und nach Art des Einlaufs: Reinigungseinlauf: 500–1000 ml hoher Einlauf: 1500–2000 ml Hebe-Senk-Einlauf: 1500–2000 ml Medikamenteneinlauf: ca. 250 ml Bei Säuglingen und Kleinkindern wird ausschließlich 0,9 % NaCl verwendet (Gefahr der Wasserintoxikation durch nicht isotone Flüssigkeiten): Säuglinge: 30–50 ml Kleinkinder: 100–300 ml Schulkinder: 300–500 ml ▶ Darmrohr. Darmrohre gibt es in verschiedenen Größen und aus unterschiedlichen Materialien. Manche haben eine Blockung. Der Durchmesser (Stärke) des Darmrohrs und die Flüssigkeitsmenge richten sich nach dem Alter des Pflegeempfängers und der Art des Einlaufs. Vor dem Einführen sollte unbedingt kontrolliert werden, ob die Rohrspitze scharfe Kanten hat (Verletzungsgefahr für den Patienten)!

19.3.8.5 Darmeinlauf durchführen Vorbereitung

Pflegeempfänger über Ablauf informieren, Kindern altersgerecht die Maßnahme erläutern, Bezugsperson kann zum Beruhigen dabeibleiben geeigneten Zeitpunkt wählen (nicht während der Besuchszeiten) Intimsphäre schützen (Trennwand, Vorhang, Türschild)! Material: Handschuhe, Händedesinfektionsmittel, Darmrohr, Schlauchklemme (wenn System keine eigene Klemme hat), Beutel mit der Einlaufflüssigkeit, wasserundurchlässige Unterlage, Reinigungstücher, Papiertücher, Creme oder Gleitmittel (für das Darmrohr), Infusionsständer (um Beutel mit Flüssigkeit anzuhängen), Bettschüssel (Steckbecken), Toilettenstuhl, Bettwäsche, Handtuch, Waschlappen, Sichtschutz

Merke Schutz der Intimsphäre Einläufe werden als ein gravierender Eingriff in die Intimsphäre erlebt. Daher ist ein empathisches Auftreten der Pflegefachkraft und der Schutz der Intimsphäre das oberste Gebot. Durchführung Hände desinfizieren, unsterile Einmalhandschuhe und Schutzschürze anziehen Bett auf Arbeitshöhe bringen Pflegeempfänger auffordern, sich auf die linke Seite zu drehen, Beine leicht anwinkeln (Flüssigkeit fließt so leichter ins Kolon), wasserundurchlässige Unterlage unterlegen Darmrohr mit dem Einlaufbeutel verbinden, abklemmen, Flüssigkeit einfüllen, Darmrohr vollständig entlüften und erneut abklemmen Spitze des Darmrohrs mit anästhesierender Creme oder Gleitmittel einreiben Einlaufbeutel oberhalb des Pflegeempfängerniveaus anbringen Darmausgang inspizieren, bei sichtbaren Hämorrhoiden Arzt informieren Pflegeempfänger bitten, tief durch den Mund zu atmen (Schließmuskel entspannt sich leichter)

Darmrohr unter leichter Drehbewegung ca. 10 cm in den Darm einführen bei Schmerzen, Blut oder einem spürbaren Widerstand Maßnahme abbrechen und Arzt informieren Klemme am Einlaufbeutel öffnen und Flüssigkeit langsam einlaufen lassen Schwenkeinlauf: Flüssigkeitsbeutel heben und senken, bis Spülflüssigkeit bräunlich verfärbt ist (hohe Kreislaufbelastung, deshalb sind eine sorgfältige Beobachtung des Pflegeempfängers und Vitalzeichenkontrolle wichtig!) Reinigungseinlauf: Ist die Flüssigkeit vollständig eingelaufen, Darmrohr erneut abklemmen und anschließend ziehen; dabei Handschuh über das Ende des Darmrohrs stülpen und alles gemeinsam verwerfen Bett herunterfahren Pflegeempfänger sollte versuchen, Flüssigkeit mindestens 5–10 min zu halten. Ggf. Nachtstuhl oder Steckbecken bereithalten. Alternativ Pflegeempfänger zur Toilette begleiten (Vorsicht: erhöhte Sturzgefahr! Stuhldrang, Kreislaufprobleme) ▶ Nachsorge. Pflegeempfänger aufklären, dass es auch später noch zu Darmentleerungen oder Windabgängen kommen kann, Rufsystem in Reichweite legen, ggf. Bettwäschewechsel, Bett herunterfahren, Gebrauchsartikel entsorgen, Abstellflächen und Hände desinfizieren, für Frischluftzufuhr sorgen, nach Arztanordnung Stuhlprobe abnehmen, Maßnahme dokumentieren. Auf die Verabreichung von Klistiere und Zäpfchen wird in Kap. ▶ 20.3.5 näher eingegangen.

19.4 Übelkeit und Erbrechen beobachten und kontrollieren Definition Übelkeit Übelkeit (Nausea) ist eine unangenehme Empfindung im Rachen oder Oberbauch. Nimmt die Spannung im Ösophagus, Magen und Darm zu, hat

man das Gefühl, erbrechen zu müssen.

Definition Erbrechen Erbrechen (Emesis, Vomitus) ist ein Schutzreflex, bei dem der Magen- bzw. Darminhalt stoßartig entgegen der Peristaltik über den Mund entleert wird. Übelkeit, Würgen und Erbrechen können Symptome einer zugrunde liegenden Erkrankung sein. Die Medulla oblongata steuert den Vorgang des Erbrechens. Bei Reizung des Brechzentrums folgen Übelkeit, Blässe, Schweißausbruch und vermehrte Speichelsekretion. Auch bei Reizung des Nervus vagus kann Übelkeit auftreten. Erbrechen kann auch ein Selbstschutz des Körpers vor toxischen Substanzen und verdorbenen Lebensmitteln sein.

Merke Tief atmen Das Brechzentrum steht in Verbindung mit dem Atemzentrum. Tiefes Atmen kann dem Erbrechen entgegenwirken. Ursachen für Erbrechen: zentrales Erbrechen: Das Erbrechen ist schwallartig, ohne Vorwarnung und wird durch direkte Reizung des Brechzentrums hervorgerufen, z.B. durch Hirntumor, Migräne, Meningitis, Hirnödem, Schädel-Hirn-Trauma, Zytostatika oder Digitalis. reflektorisches Erbrechen: Hier wird das Brechzentrum indirekt über das vegetative Nervensystem gereizt, z.B. bei Magen-DarmErkrankungen, psychische Reize (Ekel, Angst), bei alten Menschen ▶ Herzinsuffizienz, Stauungsgastritis und ▶ Niereninsuffizienz. Weitere Formen: hormonell bedingtes Erbrechen: z.B. während der Schwangerschaft „postoperative nausea and vomiting" (PONV): Stimulation des Brechzentrums, z.B. durch Narkotika oder Opiate

antizipatorisches Erbrechen: wird hervorgerufen durch schlechte Erfahrungen mit bestimmten Gerüchen, Situationen oder Stoffen, z.B. Chemotherapie

Merke Erbrechen von Blut Blut im Magen führt zu schwallartigem Erbrechen. Erbricht ein Pflegeempfänger frisches Blut oder Hämatin (angedautes Hämoglobin), handelt es sich um ein lebensbedrohliches Geschehen (Notfall), bei dem der Arzt sofort informiert werden muss. ▶ Beobachtung des Erbrochenen. Übelkeit und Erbrechen können für die Betroffenen sehr belastend sein. Oft fühlen sie sich dem Zustand bzw. Vorgang machtlos ausgeliefert. Die Klärung der Ursachen und die Begleitung des Pflegeempfängers wirken dem Gefühl des Kontrollverlusts entgegen. Das Erbrochene wird auf Menge, Geruch, Aussehen (Beimengungen), Häufigkeit und Farbe des Erbrochenen kontrolliert ( ▶ Tab. 19.5 ). Tab. 19.5 Beobachtungskriterien für Erbrochenes. Beobachtungskriterien

Merkmale

Begleitumstände, Zeitpunkt, Häufigkeit

Wann? Frequenz? Medikamente?

Brechvorgang

spastisch, der Mageninhalt entleert sich explosionsartig

Pylorusstenose bei Säuglingen

Rumination: unfreiwilliges Zurückdrängen von kleinen Speisemengen vom Magen

frühkindliche Essstörungen bei älteren Säuglingen

würgend, angekündigt von Übelkeit, erhöhtem Speichelfluss, Blässe, Schweißausbruch

Reisekrankheit

schwallartige Entleerung des Mageninhalts

Hirndruckzeichen

Regurgitation: Rückfluss des Nahrungsbreis in die Mundhöhle

Ösophagusstenose, Ösophagusdivertikel, Hiatushernie

Farbe/Aussehen hell, frische Galle, Magensaft bis dunkelgrün, evtl. Beimengungen von Nahrungsresten

mögliche Ursachen

physiologische Abweichungen rot

Trinken von rotem Tee oder z.B. Essen Roter Bete

pathologische Veränderungen angedaut, säuerlich riechend

Störung der Magenpassage, z.B. bei Tumoren

Beobachtungskriterien

Geruch leicht säuerlich

Merkmale

mögliche Ursachen

grünlich gelb

hinter dem Choledochusgang liegende Abflussstörungen, Nüchternerbrechen

frisches Blut, Koagel

Magenblutung, z.B. bei Ulzera

frisches hellrotes Blut

Ösophagusvarizenblutung oder Blutung aus einer Arterie im Magen bei Ulzera

braunschwarz

„Kaffeesatz“-Erbrechen durch Magenblutung, z.B. bei Ulzera („angedautes“ Blut durch Magensäure → Hämatin)

braun, übelriechend (kotig)

Miserere (Kopremesis): Koterbrechen bei einem Ileus

physiologische Abweichungen abhängig von der Nahrung und der Verweildauer im Magen

z.B. Gerüche von Kräutern und Gewürzen (Knoblauch)

pathologische Veränderungen kotig

bei einem Ileus

intensiv sauer

Passagehindernis im Magen

19.4.1 Behandlung und Pflege Längere Übelkeit und Erbrechen können sehr belastend für den Pflegeempfänger sein und wirken sich negativ auf seinen Zustand aus. Pflegefachkräfte können ihn durch kompetentes Handeln unterstützen, z.B.: Abneigung gegen bestimmte Speisen identifizieren und diese nicht anbieten, Bezugspersonen diesbezüglich aufklären Speisen sorgfältig wählen (z.B. nicht stark riechende) für Flüssigkeitssubstitution sorgen, Wunschgetränke Essen appetitlich anrichten, in kleinen Mengen anbieten Gesellschaft leisten Bonbons oder Eiswürfel anbieten Zimmer lüften, ggf. Aromatherapie zur Appetitsteigerung anwenden

19.4.2 Hilfestellung beim Erbrechen

dem Pflegeempfänger empathisch begegnen v. a. Kinder trösten, beruhigen und in der Nähe bleiben den Oberkörper erhöhen (Aspirationsprophylaxe) ggf. den Zahnersatz entfernen, anschließend reinigen und erst nach Wunsch des Pflegeempfängers die Zahnprothese einsetzen Nierenschale und Zellstoff in Reichweite stellen, aber außerhalb der Sicht, bei Bedarf anreichen das Erbrochene schnellstmöglich entsorgen, den Raum lüften und Mundhygiene anbieten Nachsorge Nach dem Erbrechen soll der Pflegeempfänger sich ausruhen und erst in Begleitung aufstehen. Mögliche Folgen des persistierenden Erbrechens (Exsikkose, Störungen des Elektrolyten- und Säure-Basen-Haushaltes) erkennen und rechtzeitig gegensteuern! Antiemetische Behandlung wird bei persistierender Übelkeit und Erbrechen ärztlich angeordnet. Die Pflegefachkraft beobachtet die Wirkung und Nebenwirkung der Therapie.

KOMPAKT Bei der Ausscheidung unterstützen Beobachtung der Ausscheidungen: Menge, Farbe, Geruch, Beimengungen, Häufigkeit, Konsistenz Die Kontinenzentwicklung bei Kindern soll als ein Prozess betrachtet werden, bei dem die Kinder nicht unter Druck gesetzt werden dürfen. Miktionsstörungen können sich durch Schmerzen, erschwertes oder fehlendes Wasserlassen und einen Verlust der Kontrolle über die Blasenfunktion zeigen. Von einem Harnverhalt spricht man, wenn die Blase nicht oder nicht mehr vollständig entleert wird. Harninkontinenzformen: Belastungs-, Drang-, Reflex- und Überlaufinkontinenz. Sekundäre monosymptomatische Enuresis (Einnässen) besteht bei Kindern, die nach 6 Monaten Kontrolle der Miktion ohne Nachweis somatischer Fehlfunktion diese wieder verlieren und einnässen.

Stuhlentleerungsstörungen: Diarrhö kann zu Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten führen; Obstipation (erschwerte und seltene Stuhlausscheidung), Stuhlinkontinenz (Unvermögen, den Stuhl zu halten) ist für den Pflegeempfänger u.a. mit Scham verbunden. Als Hilfsmittel bei der Ausscheidung können z.B. Toilettenstuhl, Rollator oder Rollstuhl, Steckbecken und Urinflasche eingesetzt werden. Dabei ist die Sicherheit des Pflegeempfängers zu beachten (Kreislaufstabilität und festgestellte Bremsen). Bei der Unterstützung des Pflegeempfängers steht die Wahrung der Intimsphäre an erster Stelle. Darmeinläufe wirken über mechanischen, thermischen und chemisch/osmotischen Reiz. Eingesetzt werden Reinigungs- und Schwenkeinläufe, Darmspülungen und Klistiere. Hat ein Pflegeempfänger erbrochen, Mundpflege anbieten, Raum gut lüften.

19.5 Umgang mit Blasenkathetern 19.5.1 Transurethraler Blasenkatheter 19.5.1.1 Grundlagen Definition Transurethraler Blasenkatheter Ein transurethraler Blasenkatheter wird durch die Harnröhre (Urethra) in die Blase eingeführt und dient der vorübergehenden künstlichen Harnableitung.

Katheteranlage ▶ Indikationen. Die Indikation für einen transurethralen Blasenkatheter muss medizinisch begründet sein und regelmäßig evaluiert werden! Therapeutisch werden Harnkatheter eingesetzt bei Blasenentleerungsstörungen, Harnabflussbehinderungen unterhalb der Blase, Prostatavergrößerungen, lang andauernden Operationen, großen abdominalen Operationen oder Blasenspülungen. Diagnostisch benötigt man Harnkatheter, um Harnblase (Zystogramm) und Harnröhre (Urethrogramm) darzustellen, Kontrastmittel zu instillieren, die Harnausscheidung zu bilanzieren oder die Nierenfunktion zu überwachen. ▶ Kontraindikationen. Harnröhrenabriss, nicht passierbare Harnröhrenverengungen oder eine akute Prostatitis. ▶ Komplikationen. Keimverschleppung mit Infektionen von Harnröhre, Harnblase sowie einer aszendierenden Infektion der Niere. Bei Männern: Infektion der Prostata (Prostatitis) und des Nebenhodens. Harnröhrenstrikturen (Harnröhrenverengungen).

Katheterarten ▶ Einmalkatheter. Einmalkatheter sind aus Polyvinylchlorid (PVC). PVC beinhaltet Weichmacher. Bei längerer Liegezeit entweichen die Weichmacher und der Katheter wird hart, deshalb ist er nur zur einmaligen Harnableitung geeignet. Dauerkatheter (Blasenverweilkatheter)

Katheter aus Latex sind sehr weich und kostengünstig, verkrusten aber schnell und deshalb besteht die Gefahr, dass sie okkludieren. Eine Liegezeit von einer Woche sollte daher nicht überschritten werden. Katheter aus Polyurethan sind eine latexfreie Alternative, jedoch nicht so gut verträglich wie Katheter aus Silikon. Katheter aus Silikon sind dagegen gut verträglich (= gute Biokompatibilität). Beide Katheter dürfen je nach Herstellerangabe nicht länger als 4– 6 Wochen liegen. Blockung: Dauerkatheter sind Zwei-Lumen-Katheter. Ein Lumen dient der Harnableitung, über das andere wird ein Ballon mit sterilem Aqua destillata gefüllt, wodurch der Katheter in der Blase fixiert wird. Die Füllmenge beträgt i.d.R. 8–10 ml und sollte dokumentiert werden. Die Blockung erfolgt wenn der Katheter sicher in der Harnblase liegt und verhindert das Herausrutschen aus der Blase. ▶ Spülkatheter. Spülkatheter verfügen über 3 Lumen. Das dritte Lumen ist zum Spülen der Blase.

Kathetergrößen und Katheterspitzen ▶ Kathetergrößen. Kathetergrößen werden in Charrière (Ch.) angegeben. 1 Charrière entspricht 0,33 mm Innendurchmesser. Die üblichen Kathetergrößen liegen bei Männern zwischen 14 und 18 Ch., bei Frauen zwischen 12 und 14 Ch. und bei Kindern zwischen 8 und 10 Ch. ▶ Katheterspitzen. Der schnabelförmige Tiemann-Typ wird als Einmalkatheter bei Männern verwendet. Der Nélaton-Typ wird bei beiden Geschlechtern eingesetzt.

19.5.1.2 Transurethralen Blasenkatheter legen Das Legen eines transurethralen Blasenkatheters ist grundsätzlich eine ärztliche Aufgabe, die an Pflegefachpersonal delegiert werden kann. Die Durchführung wird in ▶ Tab. 19.6  beschrieben. Um ein aseptisches Vorgehen sicherzustellen, wird die Durchführung durch 2 Pflegefachkräfte empfohlen. Tab. 19.6 Transurethralen Blasenkatheter legen: Material, Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge. Vorbereitung und Durchführung Material

Vorbereitung und Durchführung 2 sterile Katheter (Erwachsener ≤ 18 Ch.), steriler Urinbeutel (bei Dauerkatheteranlage), unsterile Handschuhe und Schutzschürze, Schleimhautdesinfektionsmittel (z.B. Octenisept), Schutzunterlage, Auffangschale, Lochtuch*, Tupferschale mit 6 Kugeltupfern*, sterile Handschuhe (3 ×)*, anästhesierendes Gleitmittel (z.B. Instillagel), 1 Fertigspritze mit 10 ml Aqua dest. zum Blocken* Vorbereitung Pflegeempfänger über Maßnahme und Ablauf aufklären auf Raumtemperatur achten, Fenster und Türen schließen, andere Pflegeempfänger, wenn möglich aus dem Zimmer bitten (Intimsphäre wahren) Intimpflege durchführen (lassen) rückenschonende Arbeitshöhe beachten Arbeitsfläche desinfizieren und Abwurf bereitstellen Materialien griffbereit legen (entsprechend dem Ablauf) und sinnvoll anordnen (sterile Materialien patientenfern, unsterile patientennah) Durchführung** Frau

Mann hygienische Händedesinfektion durchführen und Schutzschürze anlegen Pflegeempfänger beim Einnehmen der Rückenlage unterstützen und Schutzunterlage unter dem Gesäß platzieren Beine in gebeugter Haltung spreizen (lassen), ggf. Gesäß mit einem Kissen unterlagern

Das Becken ist gestreckt oder durch ein Kissen leicht angehoben.

auf Wunsch den Oberkörper zudecken und leicht erhöht positionieren hygienische Händedesinfektion durchführen unter aseptischen Bedingungen das Katheterset öffnen das Verpackungstuch als sterile Unterlage auf der desinfizierten Arbeitsfläche ausbreiten falls kein bestücktes Katheterset vorhanden: steril verpackte Materialien öffnen und aseptisch auf die sterile Fläche gleiten lassen Verpackung des Katheters öffnen (oberen perforierten Teil) und vorsichtig auf die sterile Arbeitsfläche gleiten lassen Arbeitsmaterialien so platzieren, dass alle Materialien mit der sterilen Hand gut erreichbar sind unsterile Handschuhe anziehen und das sterile Lochtuch an den Rändern entnehmen und so platzieren, dass … der Genitalbereich (Vulva) gut sichtbar ist

der Penis auf dem Lochtuch aufliegt

Kugeltupfer mit Schleimhautdesinfektionsmittel tränken (lassen) unsterile Handschuhe ausziehen, Hände desinfizieren und sterile Handschuhe anziehen (Rechtshänder ziehen rechts zwei sterile Handschuhe übereinander, Linkshänder links) mit der linken Hand ... ... die großen Schamlippen spreizen

... den Penis fassen und Vorhaut zurückziehen, bis die Harnröhre freiliegt

Vorbereitung und Durchführung Die Hand verbleibt bis nach Einführen des Katheters in dieser Position. Vorsicht: Die linke Hand ist nun unsteril! Die Kugeltupfer entnehmen. Vorsicht: Mit jedem Tupfer nur einmal wischen! große Schamlippen und Symphyse in Richtung Anus (von vorne nach hinten) desinfizieren kleine Schamlippen und Harnröhrenmündung desinfizieren

die Eichel rundherum von oben nach unten in Richtung Peniswurzel desinfizieren (3-mal) mit einem weiteren Tupfer die Harnröhrenöffnung desinfizieren

letzten Tupfer vor die Scheidenöffnung legen Einwirkzeit des Schleimhautdesinfektionsmittels beachten (z.B. Octenisept 1 min)! sterilen Handschuh rechts ausziehen lassen, den darunterliegenden sterilen Handschuh belassen das Gleitgel mit der sterilen Hand auf die Katheterspitze geben

wenig Gleitgel mit der sterilen Hand auf die Katheterspitze und die Harnröhrenöffnung geben Konus der Gleitmittelspritze auf die Harnröhrenöffnung aufsetzen und das Gleitmittel vorsichtig applizieren

Schamlippen mit der linken (unsterilen) Hand spreizen und den Katheter mit der rechten (sterilen) Hand in die Harnröhre einführen, bis Urin fließt

Penis mit der linken (unsterilen) Hand senkrecht halten und den Katheter mit der rechten (sterilen Hand) in die Harnröhre einführen, bis ein Widerstand spürbar ist. Dann wird der Penisschaft leicht nach vorne (Richtung Beine) gezogen, um den Widerstand zu überbrücken. Katheter behutsam vorschieben, bis Urin fließt

Der Vorgang muss abgebrochen und der Katheter verworfen werden, wenn ... der Katheter unsteril geworden ist (z.B. durch Kontakt mit unsterilen Hautregionen) das Einführen nicht beim ersten Versuch klappt (ggf. zweiten Katheter bereitstellen) Schmerzen oder ein spürbares Hindernis beim Einführen auftreten (Vorsicht: Prostatahyperplasie) Katheter blocken (i.d.R. 8–10 ml Aqua dest., kein NaCl! Herstellerangaben beachten!) und vorsichtig zurückziehen Katheter mit der Dauerkatheteranlage konnektieren (alternativ kann auch vor dem Einführen die Konnektion erfolgen) Vorsicht: nicht mehr als 500 ml Urin pro Stunde ablassen (durch die plötzliche Druckentlastung kann es sonst zu Blutungen an der Blasenschleimhaut kommen); sind 500 ml abgelaufen, Katheterschlauch des Urinbeutels abklemmen und ca. ½−1 h warten Nachsorge

Vorbereitung und Durchführung Intimpflege durchführen. Beim Mann: Vorhaut wieder über die Eichel schieben (Paraphimose!) Pflegeempfänger nach Wohlbefinden fragen, beim Ankleiden und bequemer Positionierung unterstützen und über den Umgang mit dem Katheter informieren und darin anleiten (s.u.) Bett runterfahren (Sturzgefahr!) Arbeitsflächen desinfizieren und Materialien aufräumen Dokumentation: Datum, Katheterart und Größe (Charrière), Menge der applizierten Blockungsflüssigkeit, Menge des abgelassenen Urins, Besonderheiten bei der Durchführung, Indikation, Handzeichen der Pflegefachkraft * Material i. d. R. im sterilen Katheterset enthalten ** Die Durchführung ist für Rechtshänder beschrieben. Linkshänder nehmen entsprechend die „andere“ Hand.

19.5.1.3 Pflege bei transurethralem Blasenkatheter Vor und nach jeder Manipulation am Kathetersystem eine ▶ Händedesinfektion durchführen und unsterile Schutzhandschuhe tragen. Körperpflege und Intimpflege 2-mal täglich Intimpflege mit Einmalwaschlappen und Wasser durchführen, dabei die Wischrichtung „weg von der Harnröhre“ beachten. Wenn sich Borken gebildet haben, müssen diese entfernt werden, um Infektionen vorzubeugen. Bei Verunreinigung, z.B. durch Stuhl, muss mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel (z.B. Octenisept) gesäubert werden. Mit einem liegenden Dauerkatheter kann geduscht werden (nicht baden, Infektionsgefahr!). Flüssigkeitszufuhr Pflegeempfänger sollte 2–3 l pro Tag trinken (falls keine Kontraindikation besteht), hierdurch wird die Blase gespült, das Infektionsrisiko sinkt und Verkrustungen am Katheter werden vorgebeugt. Ggf. ist eine ▶ Ein- und Ausfuhrbilanz notwendig (z.B. bei Herzinsuffizienz). Katheterpflege Pflegefachkräfte achten auf Menge, Farbe, Konzentration und Beimengungen des Urins. Ableitungssystem immer zugfrei, ohne durchhängende Schlaufen, unterhalb des Blasenniveaus (auch bei mobilen Pflegeempfängern) anbringen und Diskonnektion vermeiden.

Auf ungehinderten Urinabfluss achten (Vorsicht: Abknicken des Katheters vermeiden). Urinbeutel regelmäßig (1-mal pro Schicht) und vor jedem Transport des Pflegeempfängers leeren, danach ist der Ablaufschlauch zu desinfizieren. Urinproben sind nur an der dafür vorgesehenen Probeentnahmestelle nach vorheriger Desinfektion abzunehmen.

Blasenspülung durchführen Zur Blasenspülung wird i. d. R. eine physiologische Kochsalzlösung oder Ringerspüllösung verwendet. ▶ Indikationen. Nach urogenitalen Operationen, bei Koagelbildung oder Blutung im Bereich der Blase, der Harnleiter, der Niere, zur Vorbeugung einer Blasentamponade ▶ Spülgeschwindigkeit. Spülungen nach Blutungen und Koagelbildung sollten mit einer höheren Geschwindigkeit einlaufen als bei der Instillation von Medikamenten. Hier ist eine längere Verweilzeit in der Blase gewünscht, damit das Medikament über die Blasenschleimhaut wirken kann. ▶ Beobachtung. Die ablaufende Spülmenge wird auf Farbe, Menge und Beimengungen beobachtet. Ist der Katheter blockiert, wird mit einer NaCl-Lösung angespült. Die Menge der eingelaufenen Spülmenge muss über das abführende Lumen des Katheters wieder ablaufen. Zur Überwachung wird eine ▶ Ein- und Ausfuhrbilanz erstellt.

Transurethralen Dauerkatheter entfernen Pflegeempfänger über Maßnahme und Ablauf aufklären auf Raumtemperatur achten, Fenster und Türen schließen, andere Pflegeempfänger, wenn möglich aus dem Zimmer bitten, ggf. Sichtschutz aufstellen Pflegeempfänger beim Einnehmen der Rückenlage unterstützen, ggf. Bettschutz unterlegen Abwurf bereitstellen und rückenschonende Arbeitshöhe beachten Hände desinfizieren und unsterile Handschuhe anziehen mit Spritze Katheter vollständig entblocken und Katheter vorsichtig entfernen Intimpflege durchführen (lassen)

in den nächsten Stunden auf spontane Miktion achten und dokumentieren

19.5.2 Intermittierender Selbstkatheterismus Definition Intermittierender Selbstkatheterismus Beim intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK) katheterisiert der Pflegeempfänger die Harnblase mehrfach täglich selbst (ca. 4–6-mal in 24 h). Indikationen neurogene Blasenentleerungsstörung chronische Restharnbildung, z.B. bei Querschnittlähmung, Spina bifida, Multiple Sklerose, Prostatahyperplasie Kontraindikationen Verletzungen der Harnröhre oder der Blase (Blut im Urin) Harnröhrenstriktur (Verengung der Harnröhre) ▶ Vorteile. Vorteile des ISK im Vergleich zur dauerhaften Harnableitung (transurethraler Blasenkatheter): mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im Alltag geringere Komplikationsrate (z.B. Harnwegsinfektionen) Erhalt der Speicher- und Entleerungsfunktion der Blase ▶ Anleitung. Die Technik des ISK ist leicht erlernbar. Ist der Pflegeempfänger ausreichend mobil und kognitiv in der Lage, den Selbstkatheterismus zu erlernen, gilt es bei der Anleitung folgende Grundsätze zu beachten: für ruhige Umgebung sorgen (Schild: Bitte nicht stören!) professionelle, vertrauensvolle Beziehung aufbauen Ablauf Schritt für Schritt erklären. Katheterismus am Modell demonstrieren, den Pflegeempfänger dabei zunehmend in die Durchführung miteinbeziehen. Kinder können die Technik ab dem 5. Lebensjahr erlernen. Das Ziel ist die sichere, selbstständige Durchführung (Handlungskompetenz). Zeit für Fragen lassen

über Hilfsmittel zur Katheterisierung informieren (z.B. Spiegel für Frauen) über Katheterisierung im häuslichen Umfeld informieren (z.B. Ablauf, Hygiene, Häufigkeit der Katheterisierung etc.) über unterschiedliche Kathetersysteme informieren auf Sorgen und Ängste eingehen

19.5.3 Suprapubischer Blasenkatheter Definition Suprapubischer Blasenkatheter Der suprapubische Blasenkatheter (SPK) wird durch die Bauchdecke direkt in die Blase gelegt und dient der dauerhaften Harnableitung. ▶ Indikationen. Wenn der Harn längerfristig abgeleitet werden soll, z.B. bei großen Rektum- und Dickdarmoperationen (aufgrund von Nervenirritationen kommt es zu Blasenentleerungsstörungen), bei Querschnittlähmung, Polytraumen, Harnröhrenverletzungen oder Stenosen (z.B. Prostatavergrößerung), bei neurogenen Blasenentleerungsstörungen. ▶ Kontraindikationen. Raumfordernde Prozesse im Unterbauch (z.B. Blasentumoren), Blutgerinnungsstörungen, Schwangerschaft, Hauterkrankungen im Punktionsbereich ▶ Vorteile. Geringes Infektionsrisiko, kein Verletzungsrisiko für die Harnröhre, Vermeidung von Harnröhrenstrikturen, Spontanmiktion mit Restharnbestimmung möglich, Blasentraining möglich, da der Schließmuskel der Blase nicht durch einen Katheter beeinträchtigt ist ▶ Nachteile. Kein Spülkatheter möglich, Blutungsgefahr, Fehlpunktion, Anlage nur durch einen Arzt möglich

19.5.3.1 Anlage eines suprapubischen Katheters Der Pflegeempfänger wird durch den Arzt aufgeklärt und gibt sein schriftliches Einverständnis. Vorbereitung gerinnungshemmende Medikamente nach Rücksprache mit Arzt rechtzeitig absetzen

Gerinnungskontrolle im Labor Haarentfernung am Unterbauch und Waschen des Operationsgebietes Wenn keine Kontraindikation vorliegt, soll der Pflegeempfänger 0,5–1 l Flüssigkeit zu sich nehmen: In der Blase müssen mindestens 200 ml enthalten sein, damit der SPK gelegt werden kann. Material Für kurzen Einsatz wird meist ein Einwegkatheter aus Polyurethan verwendet und mit einem Faden an der Haut fixiert. Bei längerem Einsatz über Wochen wird ein Silikonkatheter mit Ballonblockung verwendet.

19.5.3.2 Pflegemaßnahmen nach Anlage Verband auf Nachblutung kontrollieren sicherstellen, dass Urin ungehindert ablaufen kann (z.B. Ablaufbeutel unter Blasenniveau) sicherstellen, dass kein Zug auf dem Katheter ist, sonst wird Einstichstelle gereizt auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von 2–3 l achten, wenn nicht kontraindiziert (z.B. bei Herzinsuffizienz) forcierte Diurese ist wichtig, damit Harnsalze, Blutkoagel oder andere Makromoleküle den Katheter nicht okkludieren Katheter nie diskonnektieren, da sonst Gefahr der Keimbesiedelung besteht

19.5.3.3 Verbandwechsel am Anfang täglicher Verbandwechsel unter aseptischen Bedingungen wenn die Wunde trocken ist, nicht nachblutet und kein seröses Exsudat austritt, Verbandwechsel alle 2 Tage ist Austrittsstelle gerötet, sezerniert oder infiziert, täglicher Verbandwechsel mit Beachtung der aseptischen Verbandtechnik Durchführung Kathetereinstichstelle und Umgebung werden auf Rötung, Schwellung, Verkrustung und evtl. Sekretbildung aus dem Einstichkanal inspiziert.

Kathetereinstichstelle und umliegendes Areal werden von innen nach außen mit Hautdesinfektionsmittel desinfiziert (Einwirkzeit von mindestens 30 s beachten). Sterile Schlitzkompresse anbringen und mit steriler Kompresse abdecken sowie Fixierung mit Fixierpflaster Maßnahmen zeitnah dokumentieren (Datum, Wundverhältnisse) Bei reizloser Wunde kann nach 3–4 Tagen ein transparenter Wundverband angebracht werden.

19.5.3.4 Entfernen eines SPK Bei Spontanmiktion und unauffälligen Restharnwerten (< 100 ml) wird der SPK auf Arztanordnung entfernt. Die Einstichstelle wird mit einem Druckverband versorgt. Kompressen werden auf die Einstichstelle gedrückt und mit Fixomullstretch-Pflaster befestigt. Nach Entfernen des SPK sollte der Pflegeempfänger ca. 1 h lang liegen. Läuft viel Urin aus der Einstichstelle, kann für ca. 1 h ein Sandsack zur Kompressionsunterstützung aufgelegt werden. Normalerweise ist die Einstichstelle nach ca. 24 h verschlossen und der Druckverband kann entfernt werden.

KOMPAKT Umgang mit Blasenkathetern Das größte Risiko bei der Anlage eines transurethralen Blasenkatheters sind die Keimverschleppung mit Infektion von Harnröhre und Harnblase sowie eine aufsteigende Infektion der Niere. Daher hat im Umgang mit Blasenkathetern eine strenge hygienische Arbeitsweise höchste Priorität – besonders beim Legen eines Blasenkatheters, aber auch bei der Pflege bei liegendem DK. Weitere wichtige Punkte: vor jedem Kontakt mit dem Katheter: Händedesinfektion durchführen und Schutzhandschuhe anziehen 2-mal täglich Intimpflege durchführen (lassen), Schleimhautdesinfektion (z.B. Octenisept) bei Verunreinigungen Flüssigkeitszufuhr von 2–3 l Beobachtung des Urins (Menge, Farbe, Konzentration und Beimengungen)

Ableitungssystem immer zugfrei, ohne durchhängende Schlaufen, unterhalb des Blasenniveaus anbringen und Diskonnektion vermeiden Urinbeutel regelmäßig (1-mal pro Schicht) und vor jedem Transport des Pflegeempfängers leeren

20 Medikamentenmanagement 20.1 Begriffe und Grundlagen Definition

Arzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper kommen. Aufgrund ihrer Eigenschaften dienen sie zur Heilung, zur Linderung oder zur Verhütung von Krankheiten bzw. zur medizinischen Diagnosestellung.

20.1.1 Zugänglichkeit Das Arzneimittelgesetz (AMG) regelt in Deutschland den Umgang mit Arzneimitteln. Insbesondere legt dieses Gesetz die Zugänglichkeit von Medikamenten fest. Frei zugängliche Arzneimittel sind in Drogerien für jedermann erhältlich (z.B. Vitamine). Apothekenpflichtige Arzneimittel sind ausschließlich in Apotheken erhältlich, die über das Nebenwirkungspotenzial aufklären (z.B. Paracetamol). Verschreibungspflichtige Arzneimittel sind nur auf ärztliche Anordnung in Apotheken erhältlich. Diese Medikamente können u.U. bei unsachgemäßem Gebrauch zu erheblichen Schäden führen (z.B. Antibiotika). Betäubungsmittel (BtM) sind besonders stark wirksame Medikamente, die ein hohes Nebenwirkungsund Suchtpotenzial aufweisen. Die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) regeln den Umgang mit diesen Arzneimitteln.

20.1.2 Indikation und Kontraindikation

Indikationen = Krankheiten und Situationen, bei denen der Einsatz von Arzneimitteln angezeigt ist Kontraindikationen = Umstände/Situationen/Bedingungen, bei denen der Arzneistoff nicht eingesetzt werden darf absolute Kontraindikation: wenn der Schaden höher ist als der Nutzen (z.B. Penicillin-Gabe bei einer bekannten Penicillin-Allergie) relative Kontraindikation: wenn Nutzen höher ist als der Schaden (z.B. Sauerstoffgabe bei COPDPatienten in Notfallsituationen)

20.1.3 Unerwünschte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen unerwünschte Wirkung = unerwünschte Reaktion neben der erwünschten Wirkung (z.B. allergische Reaktion wie Juckreiz) Nebenwirkungen = alle unerwünschten oder erwünschten Wirkungen eines Medikamentes jenseits der erwünschten Hauptwirkung: Begleiterscheinungen (z.B. sedierende Wirkung bei Opiaten). Wechselwirkungen = wechselseitige (meist hemmende oder verstärkende) Effekte zwischen mehreren Medikamenten

20.1.4 Wirkstoff und Hilfsstoff Wirkstoff = Substanz in einem Medikament, die die gewünschte pharmakologische Wirkung erzielt Hilfsstoff = Stoff ohne pharmakologische Wirkung, der den Wirkstoffen beigegeben wird, um z.B. den Geschmack zu verändern

20.1.5 Arzneiformen Unterschiedliche Wirkstoffe und Zielgruppen erfordern verschiedene Arzneiformen. Der Arzt entscheidet, welche Darreichungsform beim Pflegeempfänger Anwendung findet. flüssige Form: z.B. Lösung, Sirup, Saft, Injektions- oder Infusionslösung, Spray feste Form: z.B. Tablette, Kapsel, Dragee, Granulat, Brausetablette halbfeste Form: z.B. Suspension, Creme, Emulsion, GelSuppositorium weitere Formen: z.B. Pflaster

20.1.6 Therapieformen lokale Therapie: Die Medikamente werden „direkt“ auf der Körperoberfläche, auf eine Wunde oder in einen lokal begrenzten Raum im Körper (z.B. in den Gelenkspalt) auf- oder eingebracht. systemische Therapie: Der Wirkstoff wird an einer bestimmten Stelle appliziert, dann vom Körper resorbiert und über das Blutgefäßsystem im Körper verteilt. Das kann enteral (über den Verdauungstrakt) oder parenteral (den Darm umgehend) geschehen: enterale Applikationen: (per) oral, sublingual, bukkal (Wangentasche), rektal parenterale Applikationen: Injektion, nasal, otal (Ohr), konjunktival (Auge), inhalativ, transdermal, epikutan (Hautoberfläche), vaginal

20.2 Medikamente anfordern und lagern

20.2.1 Medikamente bestellen Das Medikamentenmanagement in Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen unterscheidet sich grundsätzlich. Im Krankenhaus ist zumeist eine klinikeigene Apotheke vorhanden, sodass Pflegende Medikamente auf Verordnung des Arztes bestellen. Sowohl Engpässe als auch eine überflüssige Lagerhaltung lassen sich durch eine bedarfsgerechte Bestellung vermeiden. In stationären Langzeiteinrichtungen stellen niedergelassene Ärzte den Pflegeempfängern Verordnungen aus. Öffentliche Apotheken händigen die entsprechenden Medikamente aus. Die Dreiecksbeziehung (Pflegeempfänger/Pflegeheim, Arztpraxis und Apotheke) erfordert eine zeitintensivere Abstimmung sowie Reichweitenberechnungen der Pflegefachkraft (z.B. bei Dauermedikation). Medikamente sind Eigentum der Pflegeempfänger. Betäubungsmittel können in stationären Langzeiteinrichtungen und im ambulanten Setting nur mit speziellen 3-teiligen amtlichen BtM-Rezepten (8 Tage gültig zur Einlösung) angefordert werden: Das Deckblatt dient zur Verrechnung mit der Krankenkasse, einer der Durchschläge verbleibt beim Arzt und der 2. Durchschlag ist die Dokumentation der Apotheke (3 Jahre Aufbewahrungspflicht). Im Krankenhaus werden Betäubungsmittel über BtMAnforderungsscheine bestellt.

20.2.2 Medikamente lagern 20.2.2.1 Aufbewahrung

Die Art der Aufbewahrung ist nach Eingang der Medikamente sofort zu prüfen: Raumtemperatur? Kühlschrank? Lichtschutz erforderlich? Abschließbarer Schrank? Angebrochene flüssige oder halbfeste Arzneimittel (z.B. Tropfen oder Salben) sind gut sichtbar mit Anbruchdatum sowie verbleibender Haltbarkeit zu kennzeichnen. Im klinischen Setting werden die Medikamente alphabetisch in Schränken gelagert. In stationären Pflegeeinrichtungen müssen alle (Bedarfs-)Medikamente bewohnerbezogen getrennt voneinander aufbewahrt werden (auch im Kühlschrank). Das Weiterverwenden eines Medikamentes für andere Pflegeempfänger ist unzulässig und stellt einen Straftatbestand dar.

20.2.2.2 First-in-first-out-Prinzip Medikamente, die als Erste in den Schrank einsortiert wurden, werden auch als Erste herausgenommen. Neu gelieferte Medikamente werden hinter den bereits vorhandenen eingeordnet. Grund: gleichmäßige Erneuerung des Vorrats, Berücksichtigung des Verfallsdatums. Das Umpacken von Medikamenten oder Entfernen der Originalverpackung ist nicht zulässig.

20.2.2.3 Betäubungsmittel (BtM) Die Lagerung von BtM muss separat in einem abschließbaren und gegen Einbruch gesicherten Schrank erfolgen. In jeder Schicht trägt eine zuständige Pflegefachkraft den Schlüssel bei sich. ▶ Dokumentation im klinischen Setting. Zu- und Abgänge sind im BtM-Buch zu dokumentieren, dabei sind folgende Regeln zu beachten:

Zugänge werden mit der Nummer des BtMAnforderungsscheins (Aufbewahrungsdauer: 3 Jahre) sowie dem Datum der Lieferung vermerkt. Die Seiten des Buches sind fortlaufend nummeriert. Streng verboten ist das Entfernen von Seiten. Dokumentation von Abgängen: Datum, Patientenname, entnommene Menge und aktueller Bestand, Unterschrift der entnehmenden Pflegeperson, ggf. Name des anordnenden Arztes Fehleintragungen dürfen nur durchgestrichen, in keinem Fall entfernt oder unleserlich gemacht werden. Einmal im Monat kontrolliert ein Arzt den Bestand und dokumentiert diesen mit seiner Unterschrift. Sollte bei der Entnahme ein Präparat versehentlich unbrauchbar werden (z.B. eine Morphinampulle zerbrechen), muss diese in Gegenwart von 2 Zeugen entsorgt und dies mit Unterschrift bestätigt werden. Tägliche Kontrollen des Bestandes wirken unerklärlichen Fehlbeständen (z.B. durch Vergessen der Eintragung bei Entnahme) entgegen. Tritt trotzdem ein Fehlbestand auf, so ist der zuständige Arzt darüber zu informieren. Dokumentation in stationärer Langzeitpflege In Pflegeheimen erfolgt die BtM-Dokumentation ebenfalls auf amtlichen Formularen. Statt eines Betäubungsmittelbuches wird auf Karteikarten zurückgegriffen, um die Dokumentation bewohnerbezogen zu gestalten. Wichtig ist, dass bei jeder Arzneimitteländerung (auch beim Handelsnamen) eine neue Karteikarte verwendet wird. Diese ist wie folgt aufgebaut: Name des Pflegeempfängers

Handelsname des Betäubungsmittels (Abgleich mit der Verpackung!) Feld „Nachweispflichtiger Teilnehmer“: Hier wird das Pflegeheim eingetragen Feld „Zugang/Abgang“: Hier werden die Lieferapotheke sowie der neue kumulative Bestand eingetragen (mit Datum) Name und Anschrift des verordnenden Arztes Nummer des Betäubungsmittelrezeptes oder Anforderungsscheines

20.2.3 Verfallsdatum prüfen Medikamente dürfen nach Überschreiten des Verfallsdatums nicht mehr angewendet werden! Abgelaufene Medikamente sollten zur sachgerechten Entsorgung an die Apotheke weitergeleitet werden. Der Medikamentenbestand ist regelmäßig von den Pflegekräften zu prüfen. Die klinikeigene Apotheke bzw. die Vertragsapotheke des Pflegeheimes kontrollieren die ordnungsgemäße Lagerung halbjährlich. Flüssige Medikamente sollten auf Eintrübungen, Kristallbildungen und Verunreinigungen geprüft werden. Chargennummern der Medikamente müssen Pflegende bei Rückrufaktionen überprüfen und betroffene Arzneimittel aus dem Umlauf nehmen.

20.3 Medikamente richten und verabreichen 20.3.1 Medikamentenverordnungen umsetzen

Aus der Verordnung des Arztes muss hervorgehen, ob es sich um eine Dauermedikation, Einzelgabe oder Bedarfsmedikation handelt. Zudem muss die Verordnung immer schriftlich erfolgen und folgende Informationen enthalten: Name und Geburtsdatum des Patienten Medikamentenbezeichnung, Verabreichungsform und Konzentration bzw. Dosis Zeitpunkt und Häufigkeit der Gabe Ist in der Verordnung ein Markenname (Handelsname) eines Präparats vermerkt, das nicht im Bestand ist, kann ein Austauschpräparat (sog. Generikum) gefunden werden. Hierzu eignet sich die Rote Liste, das Intranet oder die direkte Ansprache des Arztes als Informationsquelle. Bei Unsicherheiten ist immer der Arzt zu kontaktieren!

20.3.2 Medikamente stellen Arzneimittel in festen oralen Darreichungsformen (z.B. Tabletten, Dragees) können im Voraus gerichtet werden. Flüssige Medikamente werden direkt vor der Applikation gerichtet. Richtlinien beim Stellen von Medikamenten: Arbeitsplatz: Er muss konzentriertes, ablenkungsarmes Arbeiten ermöglichen. Nächtliches Stellen der Medikamente ist zu vermeiden. Hygiene: Die Arbeitsfläche und die Hände müssen vorab desinfiziert werden und der Dispenser muss sauber sein. Tages-Dispenser: Sie werden mit Vor- und Nachnamen und ggf. Geburtsdatum beschriftet (z.B. mit Patientenaufkleber).

Beachtung der 6-R-Regel ( ▶ Abb. 20.1). Mitunter ergänzt man die 6-R-Regel durch die Punkte „richtige Anwendungsdauer“, „richtige Aufbewahrung“, „richtiges Risikomanagement“ und „richtige Entsorgung“ und spricht dann von der 10-R-Regel. Entnahme aus der Umverpackung: Angebrochene Packungen werden zunächst aufgebraucht. Blisterverpackungen: Medikamente sollten in den Blisterverpackungen belassen werden, um eine einfache Kontrolle zu ermöglichen. Bei dementen oder verwirrten Personen ist dies aus Sicherheitsgründen nicht empfehlenswert (Gefahr des Verschluckens der Blisterverpackung). Bestand im Auge behalten: Beim Entnehmen wird der Bestand überprüft, um rechtzeitige Nachbestellungen zu tätigen. 4-Augen-Prinzip: Die gerichteten Medikamente werden vor der Abgabe an den Pflegeempfänger von einer 2. Pflegeperson kontrolliert. Fehlermanagement: siehe Kap. ▶ 20.3.4 6-R-Regel. Abb. 20.1 Die konsequente Anwendung der 6-R-Regel beugt Fehlern vor. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

▶ Stationäre Pflegeeinrichtungen. In vielen stationären Pflegeeinrichtungen stellen Vertragsapotheken oder Pharmazieunternehmen die Medikamente bewohnerbezogen

in einer Verblisterung zusammen. Der Verblisterer haftet für die korrekte Zusammenstellung, jedoch bleibt die korrekte Verabreichung im Verantwortungsbereich der Pflege. ▶ Häusliche Pflege. In der häuslichen Pflege gehört die Medikamentengabe zur Behandlungspflege. Die Medikamente werden zumeist in Einwochendispensern gestellt bzw. der Klient oder der Angehörige zum Richten der Medikamente angeleitet. Folgende Aspekte gilt es zu beachten: Die Medikamente sollten in einem Medizinschrank gelagert werden. Verfallsdaten und Bestände sollten regelmäßig erfasst werden. Sind Kinder oder demenziell Erkrankte im Haushalt, müssen die Medikamente für sie unzugänglich gelagert werden. Bei Demenz oder Suizidgefahr des Pflegeempfängers ist die Lagerung der Medikamente und der Dispenser in der Sozialstation empfehlenswert.

20.3.3 Umgang mit Bedarfsmedikation Bedarfsmedikamente werden nicht regelmäßig, sondern nur bei bestimmten Symptomen (z.B. Schmerzen, Unruhezustand) oder Situationen verabreicht. Der Arzt verordnet sie mit dem Zusatz „bei Bedarf“. Der zuständigen Pflegefachkraft sollten folgende Informationen vorliegen: Name des zu verabreichenden Arzneimittels Darreichungsform Einzeldosis und Häufigkeit der Verabreichung Höchstdosis in 24 h

Symptome oder Situationen, welche die Verabreichung des Bedarfsmedikaments rechtfertigen Die Annahme von telefonischen Anordnungen sollte möglichst vermieden werden. Falls das nicht möglich ist, ist nach dem VuG-Prinzip vorzugehen (dokumentieren, vorlesen und genehmigen lassen). Die Verordnung muss auch mit der Anmerkung „VuG“ dokumentiert und abgezeichnet werden.

20.3.4 Fehlermanagement Das Richten von Medikamenten kann wie jede oft wiederholte Tätigkeit mit Fehlern einhergehen. Pflegende sprechen Fehler an und sensibilisieren das gesamte Team dafür. Die meisten Unregelmäßigkeiten sind auf das fehlerhafte Teilen von Tabletten und fehlende Medikamente zurückzuführen.

20.3.5 Medikamente verabreichen Ausführliche Hinweise zur Verabreichung eines Arzneimittels finden sich immer im Beipackzettel, in der Roten Liste und im Intranet der Institution. Folgende Hinweise sind bei der Verabreichung zu beachten:

20.3.5.1 Orale Arzneimittelform Achten Sie auf genügend Flüssigkeit bei der Einnahme, d.h., mind. 100 ml Wasser/Tee (besteht eine ärztlich verordnete Einfuhrbeschränkung, hat diese allerdings Vorrang). Kontrollieren Sie bei kognitiv eingeschränkten und psychisch erkrankten Pflegeempfängern sowie bei ▶ Dysphagie nach dem Schlucken den Mundraum. Bei Schluckbeschwerden bzw. Verschlucken trotz angemessener Lagerung ist die Medikamentengabe

abzubrechen und mit dem Arzt über eine andere Applikationsform zu beratschlagen. Tabletten mit einer Sollbruchstelle dürfen geteilt und i. d. R. auch gemörsert werden (Achtung: Teilweise besitzen Tabletten eine Schmuckkerbe und dürfen nicht geteilt werden!). Magensaftresistente Formen, Retardformen sowie Dragees und sublinguale Tabletten (Ausnahme: Sollbruchstelle liegt vor) nicht teilen, öffnen oder mörsern. Apotheken können bei Bedarf über ein Ersatzmedikament beraten. Kapseln dürfen i. d. R. geöffnet und aufgelöst werden (nicht bei: Zytostatika, Retardformen). Medikamente getrennt voneinander mörsern, lösen und verabreichen sowie erst unmittelbar vor Verabreichung zerkleinern. Tablettenreste immer verwerfen. Medikamente zur sublingualen Applikation (z.B. Nitrospray bei Angina pectoris) werden unter die Zunge gebracht. Bukkal zu verabreichende Arzneimittel werden in die Wangentasche gelegt.

20.3.5.2 Rektale Arzneimittelform Vor der Verabreichung von Zäpfchen (Suppositorien) oder flüssigen Arzneimitteln (z.B. über Rektiolen) sollte der äußere Analbereich eingecremt werden (z.B. mit Vaseline) und das Suppositorium leicht angewärmt werden (reduziert Schmerzen!).

20.3.5.3 Weitere Arzneimittelformen ▶ inhalativ ▶ kutan/epikutan ▶ parenterale Medikamentengabe ▶ Augentropfen

▶ Ohrentropfen

20.3.6 Nebenwirkungen beobachten Nebenwirkungen können bei jedem Medikament auftreten. Treten wirkstoffabhängige Nebenwirkungen (z.B. Juckreiz, Exantheme, Atemnot, Stridor, plötzlich auftretende Kaltschweißigkeit, Unwohlsein) auf, sind sie auf eine allergische Reaktion zurückzuführen (siehe Kap. ▶ 23). Entsprechende Maßnahmen sind einzuleiten, z.B. sofortiges Stoppen der Infusion, Rücksprache mit dem Arzt.

Merke Notfall erkennen Bei Bewusstseinsveränderungen, Dyspnoe oder Blutdruckabfall alarmieren Sie sofort einen Arzt und leiten stabilisierende Erstmaßnahmen ein. Ein ▶ allergischer Schock ist eine akute Notfallsituation und erfordert sofortige Intervention. Im Beipackzettel werden Nebenwirkungen nach ihrer Häufigkeit (sehr häufig, häufig, gelegentlich, selten, sehr selten, unbekannt) klassifiziert. Für Pflegende ist es sehr wichtig, Wirkung und Nebenwirkung der verabreichten Medikamente zu kennen. Nur so können Nebenwirkungen schnell erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Häufige Nebenwirkungen sind: Diarrhö Obstipation Zittern Kreislaufbeschwerden Schlafstörung

Kopfschmerzen

20.4 Besonderheiten bei Kindern Die Wirkungen und Nebenwirkungen von vielen Medikamenten sind am kindlichen Organismus nicht ausreichend getestet und dokumentiert, da Medikamente zumeist an jungen, gesunden Männern getestet werden. Bei der Medikamentengabe bei Kindern sollte auf folgende Besonderheiten geachtet werden: Die Verdauungsorgane von Säuglingen sind sehr empfindlich und können Stoffe nicht so verwerten und transportieren wie bei älteren Kindern. Die Haut von Säuglingen ist noch sehr dünn, weil die Wirkstoffe deswegen schneller aufgenommen werden, sind Salben und Cremes mit Vorsicht und nie am ganzen Körper gleichzeitig anzuwenden! Je nach Körperfett und -flüssigkeit werden Medikamente im Körper anders verteilt. Fettlösliche Medikamente werden deshalb bei Kindern niedriger, wasserlösliche Medikamente höher dosiert. Medikamente werden über die Nieren und die Leber verstoffwechselt. Bei Säuglingen dauert dieser Prozess länger, da Nieren und Leber noch unreif sind. Ältere Kinder bauen Substanzen schneller ab, im Vergleich zum Körpergewicht ist ihre Leber größer als bei Erwachsenen. Häufige Applikationsformen bei Kindern sind Säfte, Tropfen oder Lösungen sowie Zäpfchen. Zur richtigen Dosierung der Medikamente sind mitgelieferte Dosierhilfen (Messbecher, Spritzen) oder klinikeigene Spritzen (mit Milliliter-Angaben) zu benutzen. Rücksprache mit dem Arzt ist nötig, wenn nicht

sichergestellt werden kann, dass das Kind (durch Spucken oder Herauslaufen) die gesamte Menge bekommen hat. Die Medikamentengabe erfolgt direkt und unverdünnt – nicht etwa in einer Trinkflasche oder im Essen des Kindes.

20.5 Besonderheiten bei älteren Menschen Auch bei älteren Menschen sollten bei der Medikamentengabe die altersspezifischen Besonderheiten beachtet werden: Die Stoffwechselvorgänge und die Ausscheidung über Nieren und Leber können insuffizient sein. Substanzen können sich im Körper anreichern und zur Intoxikation führen. Nebenwirkungen, die bei jüngeren Menschen eher harmlos erscheinen (z.B. Hypotonie, Schwindel), können von älteren Menschen nicht mehr so gut kompensiert werden (z.B. können vermehrt Stürze auftreten). Multiple Erkrankungen im Alter erfordern das Einnehmen mehrerer Medikamente. Diese können miteinander in Wechselwirkung treten. Über die Priscus-Liste (z.B. bei gesetzlichen Krankenkassen online einsehbar) können Medikamente eingesehen werden, welche für das höhere Lebensalter wenig geeignet sind.

KOMPAKT Medikamentenmanagement Arzneimittel können frei zugänglich, apothekenpflichtig oder verschreibungspflichtig sein. Betäubungsmittel

unterliegen besonders strengen Regelungen: Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) und Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Arzneimittel weisen neben der erwünschten Hauptwirkung meist auch unerwünschte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen auf. Diese müssen beobachtet und dokumentiert werden. Arzneimittel können lokal oder systemisch (enteral und parenteral) verabreicht werden. Orale Applikationsformen wie Tabletten, Kapseln, Retardtabletten und Dragees weisen unterschiedliche Eigenschaften auf und müssen entsprechend verwendet werden (z.B. nicht mörsern oder auflösen). Je nach Setting (ambulante Pflege, stationäre Langzeitpflege und Krankenhaus) gibt es Besonderheiten in der Bestellung, Aufbewahrung und dem Stellen von Medikamenten. Betäubungsmittel bedürfen einer speziellen Form der Dokumentation. Stellen und Verabreichen von Medikamenten erfolgen unter Beachtung der 6-R-Regel. Zur professionellen Arbeitsweise gehört auch ein adäquater Umgang mit Fehlern (Fehlermanagement). Physiologische Besonderheiten bei Kindern und älteren Menschen müssen bei der Medikamentengabe beachtet werden.

21 Schmerzmanagement 21.1 Grundlagen 21.1.1 Schmerz

Definition Schmerz Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben werden kann (International Association for the study of pain, IASP 1986). „Schmerz ist, was nach Aussage des Patienten wehtut“ (nach Juchli 1994). Schmerz ist ein komplexes Erleben, das sehr von der subjektiven Wahrnehmung bestimmt wird. Es trifft nicht nur die verletzte oder geschädigte Körperstelle, sondern den Menschen als Ganzes. Deswegen ist ein über Schmerzen klagender Mensch immer ernst zu nehmen. Physische, soziale, geistige, psychische und kulturelle Faktoren spielen bei der Empfindung der Schmerzintensität eine maßgebliche Rolle ( ▶ Abb. 21.1). Nachweislich besteht Schmerzempfinden ab der 24. Gestationswoche. Kinder, die Schmerzreaktionen zeigen oder Schmerzen äußern, sind immer ernst zu nehmen. Bei älteren Menschen ab 65 Jahren gehören Schmerzen oft zum Alltag. Dieser Umstand kann dazu führen, dass die Schmerztoleranz sinkt. Ebenen des Schmerzempfindens. Abb. 21.1 Viele verschiedene Faktoren haben Einfluss darauf, wie ein Mensch Schmerz empfindet. (Nach: Köther I. Altenpflege. Stuttgart: Thieme; 2016)

21.1.1.1 Funktion Schmerzen sind ein Warnsignal des Körpers. Schmerz … alarmiert: Er meldet, wenn der Körper geschädigt wurde. hat eine Schutzfunktion: Der Körper reagiert auf einen Reiz innerhalb von Millisekunden. dient der Heilung: Er zwingt zur Ruhe, damit z.B. eine Fraktur heilen kann.

21.1.1.2 Physiologie des Schmerzes Der physiologische Prozess der Schmerzwahrnehmung (Nozizeption) besteht aus der Aufnahme, Weiterleitung und Verarbeitung von Schmerzreizen. Ein Schmerzreiz entsteht, wenn freie Nervenendigungen (Schmerzrezeptoren), z.B. in der Haut, den Schleimhäuten, der Muskulatur oder im Bindegewebe, auf einen Reiz reagieren. Vegetative Symptome können die Nozizeption begleiten, wie z.B.: Blässe Schweißausbrüche Übelkeit Erbrechen

erhöhter Blutdruck erhöhte Puls- und Atemfrequenz Der Betroffene weist dabei u. U. Schwäche, Schonhaltung oder eine steife und verkrampfte Körperhaltung auf.

21.1.2 Schmerzarten und Schmerzqualitäten nozizeptiver Schmerz: direkte Reizung der Schmerzrezeptoren im oder am menschlichen Körper. Weitere Einteilung: somatischer Schmerz: in Haut, Muskeln, Bindegewebe, Knochen und Gelenken (Oberflächenschmerz, Tiefenschmerz): stechend, scharf, begrenzt, gut lokalisierbar Beispiel: Schnittverletzung am Finger, Herzstiche bei einem Angina-pectoris-Anfall viszeraler Schmerz: im Brust-, Bauch- und Beckenraum (Eingeweideschmerzen): dumpf, ziehend, drückend, schlecht lokalisierbar (da weniger Schmerzrezeptoren). Beispiel: Im Pankreas ausgelöste Schmerzen werden im Lendenwirbelbereich empfunden: Die Gefahr von Fehldiagnosen ist hier deutlich erhöht. neuropathischer Schmerz: entsteht durch eine Funktionsstörung oder Schädigung des peripheren oder zentralen Nervensystems: einschießend, schneidend, stechend, attackenweise auftretend, bohrend. Beispiel: Bandscheibenvorfall, Tumoren. Sind viele Nerven betroffen, spricht man von Polyneuropathie. psychogener Schmerz: liegt keiner organischen Ursache zugrunde. Er entsteht durch Konflikte, psychische Überforderung, Angst, Depression oder

Stress. Schmerzqualität häufig nicht beschreibbar und geht mit Symptomen wie Kopfschmerz oder Schlafstörung einher. Der Schmerz ist für die Person real.

21.1.3 Akuter und chronischer Schmerz 21.1.3.1 Akute Schmerzen Sie treten plötzlich auf, halten nur kurz an und gehen mit einer Gewebeschädigung (Verletzungen, Quetschungen, Frakturen, Verbrennungen) einher. Sie haben eine sinnvolle und lebensnotwendige Funktion. Pflegerische Maßnahmen den Pflegeempfänger ernst nehmen entlastende Positionierung anbieten evtl. Gegendruck anbieten bzw. zu diesem anleiten Pflegeempfänger beruhigen und Ängste nehmen vom Schmerzgeschehen ablenken evtl. Wärme- oder Kälteanwendungen durchführen den zu Pflegenden, soweit möglich, nicht alleine lassen Akute Schmerzen sollten zügig gelindert werden – gleichzeitig muss auch die Ursache des Schmerzes geklärt werden. Siehe hierzu auch den Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ und Kap. ▶ 21.2.

ACHTUNG Plötzliches Fieber, Blutdruckabfall und ein schneller Puls können auf eine akute Verschlechterung hinweisen (z.B. eine Schocksymptomatik, siehe Kap. ▶ 23.1.8). In diesem Fall muss umgehend der Arzt informiert werden.

21.1.3.2 Chronische Schmerzen Chronische Schmerzen bestehen schon 3–6 Monate und sind kontinuierlich vorhanden oder treten immer wieder auf. Sie haben ihre sinnvolle Melde-, Schutz- und Heilfunktion weitgehend verloren. Die chronische Schmerzkrankheit ist auf die Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses zurückzuführen und stellt ein eigenständiges Krankheitsbild dar. Chronische Schmerzen wirken sich auch auf die Psyche und das soziale Leben aus: Betroffene leiden oft unter depressiven Verstimmungen und ziehen sich zurück. Das Hauptaugenmerk dieser Menschen richtet sich auf den eigenen Körper, was das Umfeld oft nur schwer akzeptieren kann. ▶ Pflegerische Maßnahmen. Die Versorgung von Menschen mit chronischen Schmerzen ist anspruchsvoll: Ganzheitliche Verfahren und die Betreuung durch spezialisierte Schmerztherapeuten können den Leidensdruck der Pflegeempfänger lindern. Pflegende sollten eine vertrauensvolle und angstreduzierende Kommunikation mit dem Pflegeempfänger anstreben, die ihn in seiner Selbstpflege stärkt und auf Schmerzlinderung fokussiert. Siehe hierzu auch den Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ und Kap. ▶ 21.2.

21.2 Schmerzmanagement in der Pflege Jeder Mensch hat ein Recht auf eine angemessene Schmerzlinderung (Deutsche Schmerzgesellschaft e. V., 2007). Ziele des Schmerzmanagements in der Pflege sind, bestehende Schmerzen zu lindern, unnötige Schmerzen zu vermeiden und einer Chronifizierung der

Schmerzen vorzubeugen. Dabei hilft der Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“. Schmerzmanagement umfasst (unter aktiver Beteiligung des Pflegeempfängers): gezieltes und strukturiertes Erfassen von Schmerzen Erfassen schmerzbedingter Pflegeprobleme, Ressourcen und Planung von Maßnahmen Koordination und Planung schmerztherapeutischer Maßnahmen Überwachung von Wirkung und Nebenwirkung Prophylaxe gegen schmerzmittelbedingte Nebenwirkungen Beratung und Schulung des Pflegeempfängers stetige Überprüfung der Maßnahmen im therapeutischen Team frühzeitige Information des Arztes bei Schmerzveränderungen

21.2.1 Schmerzassessment Schmerzassessments dienen zur strukturierten und systematischen Einschätzung und Beurteilung von Schmerzen. Dabei werden Instrumente zur Selbst- und Fremdeinschätzung unterschieden. Die Äußerungen des Pflegeempfängers haben aufgrund der Subjektivität des Schmerzerlebens immer Vorrang. Zur Erfassung und Bewertung von Schmerzintensität und -qualität mittels Selbsteinschätzung eignen sich u. a. folgende Instrumente:

21.2.1.1 Schmerzanamnese erheben Schmerzanamnesen können zur Erfassung und Rekonstruktion eines lang andauernden Schmerzgeschehens

eingesetzt werden. Inhalte der Anamnese: Schmerzgeschehen (z.B. Beginn, Veränderungen, Lokalisation, Art und Intensität) Begleitsymptome oder Nebenwirkungen eingenommener Medikamente als wirksam erwiesene Linderungsmöglichkeiten soziales Umfeld und Lebensgewohnheiten Bei chronischen Schmerzen muss mit dem Pflegeempfänger ermittelt werden, ob es sich um eine stabile oder instabile Schmerzsituation handelt. Liegt eine instabile Schmerzsituation vor, muss ein differenziertes multidimensionales Schmerzassessment durch einen pflegerischen Schmerzexperten erfolgen. Eine stabile Schmerzsituation zeichnet sich z.B. durch folgende Kriterien aus: Eine medikamentöse und/oder nichtmedikamentöse Therapie wird angewendet. Die Schmerzsituation ist für den Menschen akzeptabel. Bewältigungsstrategien stehen für Krisen und Komplikationen bereit. Der zu Pflegende ist mit der Situation zufrieden und kann am Alltag teilhaben.

21.2.1.2 Schmerztagebuch führen Das Schmerztagebuch ist ein Hilfsmittel für den chronisch schmerzbelasteten Menschen und den Arzt zugleich. Das Ziel ist es, Schmerzauslöser zu identifizieren, Schmerzen zu beurteilen und die Schmerztherapie zu optimieren. Dokumentation von: Ausmaß und Verlauf chronischer Schmerzen

eingenommenen Medikamenten inkl. Wirkung und Nebenwirkung Allgemeinbefinden (z.B. Verdauung, Schlaf, Aktivitäten)

21.2.1.3 Schmerzskalen zur Einschätzung Schmerzskalen helfen Menschen mit Schmerzen, die wahrgenommene Schmerzintensität zu beschreiben. Zuverlässige Schmerzskalen sind: numerische Ratingskala (NRS): Sie besteht aus einer Skala von 0 (= kein Schmerz) bis 10 (= stärkster vorstellbarer Schmerz). visuelle Analogskala (VAS): Sie besteht aus einer ca. 10 cm langen Linie, an deren Ende sich zwei Pole – „kein Schmerz“ und „stärkster vorstellbarer Schmerz“ – befinden („Schmerzlineal“). verbale Ratingskala (VRS): Sie wird nicht visuell dargestellt, sondern der Pflegeempfänger wählt sein Schmerzempfinden anhand festgelegter Begriffe (keine, leichte, mäßige, starke, sehr starke Schmerzen). Wong-Baker-Gesichtsskala (Smiley-Skala): Sie besteht aus fünf Gesichtern (Smileys), die unterschiedliches Schmerzempfinden visualisieren. Häufige Anwendung findet sie bei Kindern ab 3 Jahren und kognitiv-eingeschränkten Personen. Bei akuten Schmerzen (z.B. nach Operationen) sind Skalen zur Schmerzeinschätzung mehrmals täglich vor und nach der Schmerzmittelgabe anzuwenden. Wichtig sind das zeitnahe Dokumentieren der Schmerzintensität sowie das Informieren des Arztes bei Schmerzspitzen.

21.2.2 Schmerzerfassung bei Kindern

Bei kleinen Kindern, die sich nicht oder kaum über Schmerzen äußern können, ist eine Einschätzung zur Schmerzsituation schwierig. Je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes werden Assessmentinstrumente zur Selbst- oder Fremdeinschätzung eingesetzt. ▶ Säuglinge. Schmerzen zeigen sich bei Säuglingen oft durch: Weinen, Unruhe, Veränderung des Schlaf-WachRhythmus angespannte Körperhaltung, verzerrte Mimik Hautfarbe und -durchblutung (Blässe, Marmorierung) veränderte Vitalzeichen (Tachykardie, angestrengte Atmung, Tachypnoe, Sauerstoffsättigungsabfälle) Bei Säuglingen kann nur eine Fremdeinschätzung durch Pflegende, Eltern und das therapeutische Team vorgenommen werden (Berner Schmerzscore für Neugeborene oder Neonatal Infant Pain Scale für Früh- und Neugeborene – NIPS). Pflegerische Maßnahmen sind: nonnutrives Saugen am Schnuller, Saccharoselösung vor schmerzhaften Maßnahmen verabreichen und Einhalten von Ruhephasen sowie Hautkontakt („Känguruhen“ und Tragen) ermöglichen. ▶ Kleinkinder. Bei Kleinkindern (1–3 Jahre) zeigen sich Schmerzen oft durch: Anspannung, Unruhe, veränderte Mimik und Körperhaltung, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen Verschlechterung des Allgemeinzustandes (Tachykardie, Dyspnoe, Blutdruckanstieg) keine oder diffuse Nennung der Schmerzlokalisation („Bauchschmerzen“)

Kleinkinder werden ebenfalls von Pflegenden in enger Zusammenarbeit mit den Eltern fremdbeobachtet und eingeschätzt (z.B. Kindliche Unbehagens- und Schmerzskala in ▶ Abb. 21.2, anwendbar bis zum 4. Lebensjahr). Pflegerische Maßnahmen: vorherige Aufklärung von Kind und Eltern (bei potenziell schmerzhaften Eingriffen), Anwesenheit der Eltern, Hautkontakt mit Eltern, spielerische Ablenkung. KUSS-Skala. Abb. 21.2 Pro Variable darf nur eine Aussage angekreuzt werden und der Beobachtungszeitraum beträgt maximal 15 Sekunden. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

▶ Kinder und Jugendliche. Bei Kindern und Jugendlichen zeigen sich ähnliche Schmerzkennzeichen wie bei Kleinkindern. Eine Selbsteinschätzung mit der ▶ WongBaker-Gesichtsskala ist ab etwa 4 Jahren möglich. Kinder über 7 Jahre können zur Schmerzlokalisation sowie intensität und -qualität Aussagen treffen. Die pflegerischen Maßnahmen entsprechen denen bei Kleinkindern (vorherige Aufklärung über die Prozedur, Anwesenheit der Eltern mit ggf. Hautkontakt, spielerische Ablenkung).

21.2.3 Schmerzerfassung bei alten Menschen Viele ältere Menschen leiden an schweren kognitiven Einschränkungen (z.B. Demenz) und können u. U. nicht selbst Auskunft über ihre Schmerzsituation geben. Bevor eine Fremdeinschätzung erfolgt, sollte jedoch der kognitive Status erhoben werden (z.B. Mini-Mental-State-Examination – MMSE). Als Grundsatz gilt: Selbsteinschätzung vor Fremdeinschätzung. Bei leichten oder mittleren Beeinträchtigungen kann oftmals noch die ▶ verbale Ratingskala, kurz VRS, angewendet werden. Ist eine Selbsteinschätzung nicht möglich, können Schmerzassessments zur Fremdeinschätzung einen Anhaltspunkt liefern, z.B. die BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz). Nach diesem Assessment übernehmen Pflegende eine Einschätzung über wichtige Items wie Atmung, negative Lautäußerung, Gesichtsausdruck, Körpersprache und die Fähigkeit des Pflegeempfängers, sich trösten zu lassen.

21.2.4 Gezielte pflegerische Beobachtung Die Anwendung von Skalen zur Schmerzeinschätzung sollte immer mit einer gezielten pflegerischen Beobachtung einhergehen. Folgende Symptome stehen in enger Verbindung mit Schmerzen: Vitalwerte: erhöhter Blutdruck, beschleunigter Puls, beschleunigte Atmung gastrointestinale Beschwerden: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Appetitlosigkeit, Nahrungsverweigerung, verringertes Körpergewicht Aktivitätsmuster und Körperbewegungen: starre Haltung, Bewegungsdrang oder eingeschränkte

Bewegung, Veränderung des Ganges, Schonhaltung, höheres Ruhebedürfnis, Schlafstörungen Kommunikation und Verhalten: veränderte Mimik und Gestik, Stöhnen, Jammern, Weinen, Schimpfen sowie abweisendes, aggressives, zurückgezogenes Verhalten

Merke Kinder: Emotionale Seite des Schmerzes Der Aufenthalt in der Klinik, die Trennung von den Eltern/Geschwistern, die erforderlichen Untersuchungen etc. können bei Kindern Schmerzen verstärken.

21.3 Schmerzprävention Neben erkrankungsbedingten Schmerzen können medizinisch notwendige Eingriffe, wie z.B. Injektionen und Punktionen sowie pflegerische Maßnahmen wie Lagerung und Mobilisation, Schmerzen hervorrufen. Pflegefachkräfte handeln schmerzpräventiv, indem sie: vorausschauend arbeiten: rechtzeitig vor Mobilisation Schmerzmittel verabreichen schmerzhafte Tätigkeiten bündeln: Einbinden der Pflegeempfänger in Abläufe und Maßnahmen, Ruhepausen einplanen Schmerztherapien schmerzlos ermöglichen: schmerzlose Applikation des Medikamentes (besser oral, sublingual, transdermal oder rektal als s.c.- oder i.m.Injektion) ambulante Pflege und Hilfen einbeziehen: Bezugspersonen über geplante und potenziell

schmerzhafte Maßnahmen informieren das Alter und den Entwicklungsstand der Pflegeempfänger miteinbeziehen: siehe pflegerische Maßnahmen bei Kindern in Kap. ▶ 33.1: Beim Legen eines i.v.-Zugangs oder bei Blutentnahmen: mit sog. EMLA-Pflaster an mind. 2 verschiedenen Stellen vor dem Legen die Haut betäuben (mind. 1 h vorab kleben) Bezugspersonen bei schmerzhaften Maßnahmen miteinbeziehen, Hautkontakt ermöglichen (z.B. Kind auf dem Arm halten, reduziert Angst und Stress, wirkt positiv auf Schmerzbewältigung)

21.4 Schmerztherapie Die moderne Schmerztherapie zielt in erster Linie auf die Schmerzfreiheit des Pflegeempfängers ab und ist ein grundlegendes Menschenrecht.

21.4.1 Medikamentöse Schmerztherapie In der medikamentösen Schmerztherapie werden vorwiegend schmerzlindernde bzw. schmerzstillende Medikamente (Analgetika) eingesetzt. Dabei wird zwischen Nichtopioidanalgetika (Nichtopioide), schwach und stark wirksamen Opioiden sowie Koanalgetika und Lokalanästhetika unterschieden.

21.4.1.1 Analgetika im Überblick ▶ Tab. 21.1  gibt einen Überblick über die wichtigsten Nichtopioid-Analgetika und Opiate.

Nichtopioide wirken überwiegend im Bereich der Nozizeptoren. Opioide wirken über Opioidrezeptoren, die sich im zentralen Nervensystem befinden und die neuronale Erregung hemmen. Nichtopioide und Opioide können mit Koanalgetika kombiniert werden. Schwache und starke Opioide dürfen niemals kombiniert werden, da sie sich in ihrer Wirkung beeinträchtigen. Koanalgetika (= adjuvante, „unterstützende“ Analgetika): Antidepressiva beschleunigen die analgetische Wirkung. Antikonvulsiva hemmen die Schmerzweiterleitung. Bisphosphonate sind gut geeignet bei Knochenschmerzen. Glukokortikoide wirken entzündungshemmend und schmerzstillend. Opioide unterliegen i. d. R. dem ▶ Betäubungsmittelgesetz. Tab. 21.1 Übersicht über wichtige Analgetika. Klassifikation

Wirkstoffgruppen Indikation

NichtopioidAnalgetika

Paracetamol

Fieber, Schmerzen

Hinweise wirkt nicht entzündungshemmend! KI: Lebererkrankung

Ibuprofen

akute Schmerzen, Fieber, Entzündungen

gut verträglich NW: Verdauungsstörungen für Schwangere bis 28. SSW

Klassifikation

Wirkstoffgruppen Indikation

Hinweise

Diclofenac

Schmerzen, Entzündungen

NW: Magen-DarmBeschwerden

Metamizol

starke Schmerzen, Koliken

langsam i.v. applizieren! KI: Schwangerschaft NW: Blutdruckabfall, Agranulozytose

Opioide

schwach wirksame Opioide: Tramadol, Tillidin

stark wirksame Opioide: Fentanyl, Oxycodon, Piritramaid, Morphin

nicht tumorbedingte, mittelstarke bis starke Schmerzen, orthopädische Erkrankung, Traumen

NW: Übelkeit, Erbrechen, Atemdepression KI: Ileus, Schädel-HirnTrauma NW: Atemdepression, Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Miosis (stecknadelkopfgroße Pupillen), Sucht, Abhängigkeit und Missbrauch KI: Ateminsuffizienz, COPD, Asthma bronchiale, akutes Abdomen oder Ileus

KI = Kontraindikation | NW = Nebenwirkung

Merke Abhängigkeit Eine Opioidabhängigkeit entsteht meistens aus einer falschen Dosierung oder unsachgemäßer Einnahme (Missbrauch). Bei einer professionell begleiteten Schmerztherapie ist das Risiko einer Abhängigkeit eher als gering einzuschätzen.

21.4.1.2 WHO-Stufenschema

Um Schmerzen systematisch zu behandeln, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Therapieschema ausgearbeitet ( ▶ Abb. 21.3). Der Dreistufenplan orientiert sich an der Schmerzstärke und empfiehlt welche Analgetika eingesetzt werden sollten. Zusätzlich können auf allen 3 Stufen nichtmedikamentöse Maßnahmen (Kälte-/Wärmeanwendungen etc.) angewendet werden. Der Dreistufenplan ist folgendermaßen aufgebaut: Stufe 1: Nichtopioide (bei mäßigen Schmerzen) leichte Schmerzmittel, wirken peripher an den Nozirezeptoren Bei unzureichender Wirksamkeit können Medikamente der Stufe 2 kombiniert werden. Stufe 2: Nichtopioide und schwach wirksame Opioide (bei starken Schmerzen) mittelstarke Schmerzmittel, wirken im zentralen Nervensystem im Bereich der Opioidrezeptoren Bei unzureichender Wirksamkeit der Medikamente in Stufe 1 und 2 erfolgt der Übergang in Stufe 3. Stufe 3: Nichtopioide und stark wirksame Opioide (bei stärksten Schmerzen) starke Schmerzmittel, wirken im zentralen Nervensystem im Bereich der Opioidrezeptoren können mit Medikamenten der Stufe 1 kombiniert werden, jedoch nicht mit Stufe 2 (keine Wirkungssteigerung, sondern nur zunehmende Nebenwirkungen zu erwarten) Bei unzureichender Wirkung müssen weiterführende invasive Maßnahmen in Betracht gezogen werden (z.B. peridurale, intrathekale oder intraventrikuläre Schmerzmittelapplikation).

Stufenschema nach WHO. Abb. 21.3  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

21.4.1.3 Transdermale therapeutische Systeme (TTS) Transdermale therapeutische Systeme = spezielle Pflaster, deren Wirkstoff über die Haut aufgenommen wird. Die Wirkstoffaufnahme (z.B. von Fentanyl TTS) erfolgt dabei kontinuierlich und gleichmäßig. Hinweise zum Umgang: Die mögliche Applikationsstelle muss dem Beipackzettel entnommen werden. Die Applikationsstelle muss intakt, sauber, trocken und möglichst haarfrei (keine Rasur, da Läsionsgefahr!) sein. TTS dürfen nicht zerschnitten werden.

Kontakt mit der Klebestelle unbedingt vermeiden (ggf. Einmalhandschuhe benutzen). In der Dokumentation werden Applikationstag, -uhrzeit und -stelle, das Datum des nächsten Wechsels und wie das Pflaster verworfen wurde, vermerkt. Bei der Entsorgung im ambulanten Bereich muss dieses so verworfen werden, dass ein Missbrauch ausgeschlossen wird (durch Zerschneiden, Klebefläche unbrauchbar machen etc.). Alte Pflaster müssen vor dem Wechsel unbedingt entfernt werden (Gefahr der Überdosierung!). Vollbäder und Sonnenbäder können die Wirkstoffaufnahme verstärken. Die Vigilanz (Wachheit) des Pflegeempfängers sollte stets kontrolliert werden.

21.4.1.4 Regionalanästhesie Die Regionalanästhesie wird v.a. nach Operationen angewendet, bei denen mit starken postoperativen Schmerzen zu rechnen ist. Dabei kommen zentrale Schmerzkatheter (Spinal- und Periduralkatheter) oder periphere Schmerzkatheter (Plexuskatheter, Femoraliskatheter oder Ischiadikuskatheter) zum Einsatz. Über eine Schmerzpumpe wird der Katheter kontinuierlich oder bei Bedarf mit einer Bolusgabe mit langwirkenden Lokalanästhetika beschickt. Regionalanästhesien können „patientenkontrolliert“ erfolgen (Patient controlled Analgesia, PCA). Pflegende müssen dabei sicherstellen, dass der Patient das Verfahren versteht und anwenden kann. In Bezug auf die Hygiene sind Schmerzkatheter wie zentrale Venenkatheter zu handhaben (siehe Kap. ▶ 25).

21.4.1.5 Grundregeln bei der medikamentösen Schmerztherapie

Folgende Regeln sind zu beachten: ▶ Durchführungsverantwortung übernehmen Einnahme nach festem Schema gewährleisten: Schmerzmittel sind zu festen Zeiten zu verabreichen, um den Wirkstoffspiegel konstant zu halten. auf Bedarfsmedikation und Interventionsgrenzen achten: Bedarfsmedikamente sollten für Schmerzspitzen verordnet werden. Maßnahmen zu Schmerzlinderung sollten erfolgen (nach Expertenstandard des DNQP, siehe Kap. ▶ 3.5): ab einem Wert von 3/10 auf der NRS bei akuten Schmerzen in Ruhe ab einem Wert von 5/10 auf der NRS unter Belastung nicht invasive Applikation bevorzugen: Je schonender die Applikationsform, desto wahrscheinlicher ist die regelmäßige Einnahme des Medikamentes. regelmäßige ▶ Schmerzerfassung durchführen Pflegeempfänger beobachten und Verlauf kontrollieren: Wirkungen und Nebenwirkungen von Analgetika sind durch gut informierte Pflegende zu überwachen. zeitnah dokumentieren: Zur Schmerztherapie im interdisziplinären Team ist eine zeitnahe Dokumentation notwendig (besondere Dokumentationspflicht bei Betäubungsmitteln beachten).

21.4.2 Nicht medikamentöse Schmerztherapie Nicht medikamentöse Therapien sind eine wertvolle Ergänzung zur medikamentösen Therapie – insbesondere bei

chronischen Schmerzen. Wohlbefinden und eine Reduzierung des Schmerzerlebens können durch vielfältige Maßnahmen erreicht werden: Kälteanwendungen (z.B. Gelpacks): möglicher Einsatz bei akutem Trauma, Prellung, Schwellung, entzündlichen Prozessen (Achtung: Kälteschäden vermeiden! Bei Kindern altersdifferenziert anwenden! Keine Anwendung bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Durchblutungsstörungen!) Wärmeanwendungen (z.B. Körnerkissen): möglicher Einsatz bei Gelenkbeschwerden, Rücken- und Muskelschmerzen, Krämpfen, Koliken (Achtung: Verbrennungen vermeiden! Bei Kindern altersdifferenziert anwenden! Keine Anwendung bei Menschen mit kognitiven Einschränkungen!) Wickel und Auflagen (siehe Kap. ▶ 31) Maßnahmen der ▶ basalen Stimulation, z.B. ▶ ASE und ▶ beruhigende Körperwaschung transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Reizstromtherapie zur lokalen Schmerzlinderung Aromatherapie: Schmerzhemmende ätherische Öle sind Grapefruit, Jasmin, Muskatellersalbei, Patchouli, Ylang-Ylang. Lokal betäubend wirken z.B. Nelke, Zimt, Piment und Pfefferminze. Sie können in einer Aromaduftlampe, als Badezusatz (Emulgator beimischen, z.B. Milch, Sahne) oder als Massageöl mit einem Basisöl verwendet werden (Achtung: Bei Kindern Fachexperten hinzuziehen, ätherische Öle können Atemwege reizen bis hin zum Atemstillstand). Ablenkung und kognitive Entspannungstechniken: schmerzlindernde Entspannungspraktiken wie autogenes Training, Meditation, progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Ablenkende Strategien wie Fernsehen,

Musik hören, Bücher vorlesen und Gespräche können ebenfalls Abhilfe schaffen. Bei allen Anwendungen ist zu beachten: Vorlieben und Abneigungen des Pflegeempfängers zuvor in der Anamnese erfragen. Maßnahmen stets mit zuständigem Arzt besprechen. Bei der Durchführung für eine ruhige Umgebung sorgen, Pflegeempfänger dabei gründlich beobachten. Maßnahmen, die als unangenehm empfunden werden, unverzüglich abrechen.

KOMPAKT Schmerzmanagement Schmerz ist subjektiv und die Aussage des Pflegeempfängers ist der wichtigste Anhaltspunkt für die Erfassung von Schmerzen. Akute und chronische Schmerzen bedürfen unterschiedlicher Schmerztherapien. Die Herangehensweise bei chronischen Schmerzen sollte z.B. generell ganzheitlich und angstreduzierend sein. In der Praxis orientieren sich Pflegende an dem Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ des DNQP. Schmerzassessments (z.B. NRS, bei Kindern KUSS oder Wong-Baker-Gesichtsskala) ermöglichen eine strukturierte und systematische Erfassung von Schmerzen. Sie müssen bei starken Schmerzen mehrmals täglich erfolgen. Chronische Schmerzpatienten profitieren von einer ausführlichen Schmerzanamnese und dem Führen eines Schmerztagebuchs.

Instrumente zur Selbsteinschätzung sind immer Instrumenten zur Fremdeinschätzung vorzuziehen (Ausnahme: schwere kognitive Beeinträchtigung des Pflegeempfängers und nicht verbal kommunizierende Säuglinge und Kinder). Schmerzprävention: Schmerzen können durch präventive Maßnahmen vermieden werden (vorausschauend arbeiten, schmerzhafte Tätigkeiten bündeln, nicht schmerzhafte Applikation des Medikaments, bei Kindern u.a. Hautkontakt mit Bezugsperson und EMLA-Pflaster). medikamentöse Schmerztherapie: Die Verabreichung von Analgetika nach ärztlicher Anordnung (Nichtopioide, Opioide, Koanalgetika, Lokalanästhetika) erfolgt durch Pflegekräfte. Wirkungen, Nebenwirkungen und Besonderheiten bei der Applikation müssen bekannt sein. WHO-Stufenschema: Der Dreistufenplan der WHO gibt Empfehlungen über Analgetika, die für leichte, mittelstarke und starke Schmerzen geeignet sind. Das Schema wird solange aufsteigend durchlaufen, bis der angestrebte Zustand erreicht ist. nicht medikamentöse Therapie: z.B. Aromatherapie, Kälte- und Wärmeanwendungen, Wickel und Auflagen, basale Stimulation, progressive Muskelentspannung

22 Informieren, Schulen, Anleiten und Beraten 22.1 Patientenedukation

Unter dem Begriff „Patientenedukation“ fasst man alle Maßnahmen zusammen, die Pflegeempfänger und Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung helfen. Darunter fallen: das Informationsgespräch Schulungen und Anleitungen Beratungsgespräche Alle Maßnahmen haben zum Ziel, die Selbstständigkeit und Kompetenz des pflegebedürftigen Menschen zu stärken, um ihm damit seine bestmögliche Selbstkontrolle, Autonomie und Würde im Alltag zurückzugeben. Im Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) wird Patientenedukation als wichtiger Bestandteil der professionellen Pflege erwähnt. Umso wichtiger ist es, diese gezielt, geplant, strukturiert und individuell wahrzunehmen und auch zu dokumentieren und zu evaluieren.

22.2 Informieren Pflegende informieren Pflegeempfänger z.B. über bevorstehende Pflegemaßnahmen, notwendige Untersuchungen, verordnete Medikamente, allgemeine Stationsabläufe, Räumlichkeiten der Station oder zuständige Pflegekräfte. Es werden also sowohl einfachere als auch relativ komplexe Informationen weitergegeben. Einige Informationen können zwar spontan weitergegeben werden, in vielen Fällen ist jedoch auch eine gezielte Vorbereitung notwendig. Damit Pflegekräfte gezielt und individuell informieren können, müssen vorab folgende Fragen geklärt sein:

Kenntnisstand: Verfüge ich über die notwendigen Informationen und kann ich diese objektiv, sicher und kompetent vermitteln? Welchen Kenntnisstand hat der Pflegeempfänger? Informationsvermittlung: Wie vermittle ich die Information? Abhängig von der Komplexität und dem Umfang z.B. schriftlich, mithilfe von Broschüren und Skizzen? Rahmenbedingungen: An welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt gebe ich die Informationen weiter? Wichtig ist, dass bei persönlichen Themen z.B. für Privatsphäre gesorgt wird und dass (bei komplexen Sachverhalten, für Verständnisfragen) genügend Zeit eingeplant ist.

22.3 Schulen 22.3.1 Mikroschulungen Für Pflegende entsteht im Berufsalltag häufig die Notwendigkeit, sog. Mikroschulungen bei ihren Pflegeempfängern und/oder Angehörigen durchzuführen. Hierunter versteht man relativ kurze Schulungen (Dauer ca. 15–30 min), in denen jeweils nur eine bestimmte Fertigkeit und das hierfür notwendige Wissen vermittelt werden. Im Gegensatz hierzu werden bei einer vollständigen Schulung alle notwendigen Informationen und Fertigkeiten vermittelt bzw. eingeübt, die mit dem jeweiligen Krankheitsbild in Zusammenhang stehen, z.B. eine Diabetesschulung. Das Ziel einer Schulung besteht darin, Wissen und/oder Fertigkeiten geplant, zielorientiert und strukturiert zu vermitteln und die Pflegeempfänger damit zur

selbstständigen Durchführung bestimmter Maßnahmen zu befähigen. Mikroschulungen können in folgenden Bereichen sinnvoll sein: Umgang mit Ernährungspumpen Wechsel eines Verbands Anziehen von Kompressionsstrümpfen Wechsel eines Stomabeutels Verhalten bei einem Angina-pectoris-Anfall usw.

22.3.1.1 Mikroschulungen durchführen Vorwissen des Pflegeempfängers ermitteln: Was weiß der Pflegeempfänger schon? Wissen ergänzen: Welche wichtigen Informationen benötigt der Pflegeempfänger noch? Handlung vormachen: Welche Schritte beinhaltet die Maßnahme und wie kann ich diese dem Pflegeempfänger am besten nahebringen? Handlung durchführen lassen: Zeigt der Pflegeempfänger Sicherheit oder Unsicherheit? (In dieser Phase nur eingreifen, wenn der Pflegeempfänger etwas falsch macht) Rückfragen ermöglichen: Welche Fragen hat der Pflegeempfänger an mich? Was hat er noch nicht ganz verstanden? Informationsmaterial zur Verfügung stellen: Sind Broschüren, Skizzen oder Informationsblätter zur Handlung verfügbar, die ich dem Pflegeempfänger geben kann? Wissensüberprüfung: Welche Verständnisfragen eignen sich, um das erworbene Wissen zu überprüfen?

Dokumentation: In der Pflegedokumentation wird festgehalten, zu welchem Aspekt und in welchem Umfang der Pflegeempfänger beraten wurde und welche Fertigkeiten er erworben hat. Am nächsten Tag sollten diese Fertigkeiten nochmals überprüft werden.

22.4 Anleiten Bei der Anleitung werden dem zu Pflegenden und/oder seinen Angehörigen gezielt und strukturiert alltagspraktische Fertigkeiten vermittelt. Ziel ist es, die Selbstständigkeit des Betroffenen/der Angehörigen zu fördern und die Handlungskompetenz zu stärken. Meistens entstehen Anleitungssituationen spontan aus einer realen Situation heraus, andere Anleitungen sollten aufgrund der Komplexität geplant und terminiert werden.

22.4.1 Anleitungsbedingungen Um bereits vorab gute Bedingungen für eine Anleitung zu schaffen, reflektiert die Pflegefachkraft ihre eigene Kompetenz bei der Durchführung der Anleitung und festigt ihre theoretischen und praktischen Kenntnisse. Pflegende führen Anleitungen mit einer klaren und transparenten Zielvereinbarung durch. Das Arbeitsumfeld optimieren Pflegende durch eine störungs- und stressfreie Umgebung, in der ausreichend Materialien für die Anleitungssequenz vorhanden sind. Der Pflegeempfänger wird von der Pflegefachkraft auf die Situation vorbereitet. Dabei überprüft sie, ob Motivation und Vorwissen vorhanden sind.

22.4.2 Anleitungsprozess

Den Anleitungsprozess führt die Pflegefachkraft in 4 Schritten durch: 1. Vorbereitung und Erklärung: Überprüfung des Umfeldes sowie des Zustandes des Pflegeempfängers und eigene Vorbereitung auf die Situation. Danach erklärt die Pflegefachkraft die Inhalte (z.B. mit Informationsmaterial). 2. Zeigen: Erklärung und ggf. Vormachen der wesentlichen Schritte. Der Pflegeempfänger kann jederzeit Fragen stellen. 3. Durchführung: selbstständige Durchführung der erlernten Fähigkeiten. Die Pflegefachkraft bleibt Ansprechpartner bei Unsicherheiten. 4. Reflexion: Die durchgeführte Maßnahme wird reflektiert. Bei Unsicherheiten zeigt die Pflegefachkraft Lösungsmöglichkeiten auf. In der Durchführung von Anleitungen sollte die Pflegefachkraft die Altersstufen der Pflegeempfänger berücksichtigen: Kinder werden grundsätzlich immer mit in die Anleitung miteinbezogen und in klarer Sprache (nicht „kindisch“ oder in der dritten Person) angesprochen. Pflegende bauen über einen freundlichen und vertrauensvollen Umgang mit den Eltern einen Zugang zu den Kindern auf. Ältere Pflegeempfänger: eine geringe Konzentrationsfähigkeit sowie Auffassungsgabe sprechen für kurze Anleitungen. Tagesform und Beeinträchtigungen der Sinne (z.B. Hören und Sehen) werden von der Pflegefachkraft berücksichtigt.

22.5 Beraten Unter Beratung kann allgemein die Hilfe bei der Bewältigung von Problemen verstanden werden.

22.5.1 Beratungsbedarf erkennen Ein Beratungsbedarf liegt vor, wenn ein Pflegeempfänger ein Problem nicht allein lösen kann. Pflegeempfänger kommen nicht immer von sich aus auf Pflegende zu, um sich beraten zu lassen (subjektives Beratungsbedürfnis). Häufig müssen Pflegende den Beratungsbedarf selbst erkennen (objektives Beratungsbedürfnis). Häufige Beratungsinhalte sind z.B. Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt, Umgang mit Einschränkungen in der Selbstständigkeit, z.B. nach Operationen, Inanspruchnahme, Vermittlung und Finanzierung von Pflegeleistungen oder Möglichkeiten der Durchführung einer notwendigen Wohnraumanpassung.

22.5.2 Voraussetzungen und Anforderungen Beratungsgespräche im pflegerischen Alltag finden häufig spontan statt und werden handlungsbegleitend zu einer Pflegemaßnahme durchgeführt. Nicht immer erlaubt der Stationsablauf ein ausführliches Gespräch, sodass mehrere kurze Gespräche geführt werden müssen. Folgende Voraussetzungen für ein gelungenes Beratungsgespräch sind erforderlich: Beziehungsaufbau gestalten: Zum Beziehungsaufbau braucht es Akzeptanz, Empathie, Kongruenz und ▶ aktives Zuhören.

fachliche Kompetenz: Um verschiedene Lösungswege für das Problem aufzuzeigen, ist umfangreiches Fachwissen zum Beratungsthema erforderlich. soziale Kompetenz: Der Pflegeempfänger muss als Experte seiner eigenen Situation akzeptiert werden und er allein wählt den Lösungsweg. kommunikative Kompetenz: Suggestivfragen und negative Formulieren sollten vermieden werden.

22.5.3 Beratungen durchführen Beziehung herstellen: Schaffen Sie beim ersten Kontakt eine vertrauensvolle Atmosphäre, um emotional belastende Situationen aufzufangen. Problem benennen: Der Pflegeempfänger benötigt ausreichend Zeit, seine Probleme und Sorgen darzulegen. Durch vorschnelle Lösungen fühlt er sich möglicherweise nicht ernst genommen. Rückfragen ermöglichen die vollständige Erfassung der Probleme. Lösung suchen: Im Beratungsgespräch kann der Pflegeempfänger die eigene Situation reflektieren und Zusammenhänge ordnen, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Ziel ist, dass der Pflegeempfänger die Entscheidung selbst trifft.

KOMPAKT Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Die Patientenedukation hat zum Ziel, die Selbstständigkeit und Kompetenz des Pflegeempfängers (und seiner Angehörigen) zu stärken, um ihm damit seine bestmögliche Selbstkontrolle, Autonomie und Würde im Alltag zurückzugeben. Die

Patientenedukation kann durch folgende Maßnahmen gestärkt werden: Informieren: Vor einem Informationsgespräch: Kenntnisstand des Pflegeempfängers kennen, gute Vorbereitung, Anschauungsmaterial (Broschüren etc.) besorgen, genügend Zeit einplanen In einer Mikroschulung werden eine bestimmte Fertigkeit und das hierfür notwendige Wissen vermittelt. Sie bedarf einer gezielten Vorbereitung. Eine Anleitung findet während einer realen Situation statt und soll einen Pflegeempfänger dazu befähigen, eine Handlung selbstständig durchzuführen. Unter Beratung kann allgemein die Hilfe bei der Bewältigung von Problemen verstanden werden.

23 Notfallsituationen 23.1 Häufige Notfallsituationen im stationären Bereich 23.1.1 Allgemeine Grundlagen

Jede Pflegefachkraft im stationären Bereich muss folgende Fragen beantworten können: Wie lautet die Telefonnummer des Reanimationsteams? Wo ist das Reanimationsbrett? Wo ist der Notfallkoffer, wie geht er auf und was ist im Koffer? Wo sind Beatmungsbeutel, Sauerstoffgerät, Absaugung und wie funktionieren diese? Gibt es eine Patientenverfügung? Will der Pflegeempfänger gerettet werden?

23.1.2 Einschätzung von Notfallsituationen Nur wenn die Notfallsituation erkannt wird und die Symptome des Pflegeempfängers richtig eingeordnet werden, können Pflegekräfte richtig reagieren. In der Notaufnahme haben sich hierfür verschiedene Triage-Systeme etabliert, von denen das Manchester-Triage-System (MTS) das am häufigsten verwendete ist. Hierbei schätzt eine erfahrene Pflegefachkraft die Dringlichkeit einer ärztlichen Behandlung standardisiert ein und ordnet dem Patienten eine Farbe zu. Das Vorgehen ist in ▶ Abb. 23.1 exemplarisch aufgezeigt. Ersteinschätzung eines Patienten in der Notaufnahme. Abb. 23.1 Ersteinschätzung nach dem Manchester-Triage-System (MTS). (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

Um in Notfallsituationen strukturiert vorzugehen, hat sich das ABCDE-Schema in jeder Situation bewährt (Prinzip: „Treat first what kills first“): A: airway = Atemwege frei? B: breathing = Besteht Atemnot? Atmet der Patient normal? C: circulation = Besteht ein suffizienter Kreislauf? Ist die Blutzirkulation in Ordnung? Anzeichen für Schock? D: disability = Bestehen neurologische Defizite? Bewusstseinsstatus? E: exposure = Oberkörper des Patienten entkleiden und nach weiteren Verletzungen suchen

23.1.3 Krankheitsbilder mit Atemnot 23.1.3.1 Entstehung Atemnot (Dyspnoe) entsteht, wenn der Körper entweder mehr Sauerstoff benötigt, als die Atmung liefern kann, oder wenn der Kohlenstoffdioxidspiegel im Blut steigt, ohne dass der Körper diesen abatmen kann ( ▶ Tab. 23.1 ). Hierbei ist der Anstieg des Kohlenstoffdioxids im Blut ein stärkerer Antrieb von Atemnot als das Fehlen von Sauerstoff. In jedem Fall möchte der Körper dieses Missverhältnis ausgleichen und steigert deshalb Atemund Herzfrequenz. Gelingt es dem Körper nicht, das Gleichgewicht wieder herzustellen, entwickelt der Patient typische Symptome wie Angst, Unruhe, „Ringen“ nach Luft, Blauverfärbung (Zyanose) der Schleimhäute („blaue Lippen“) und der Haut. Tab. 23.1 Krankheitsbilder mit Atemnot. Krankheitsbild

Ursache

Leitsymptome

Lungenarterienembolie Embolus in Husten, einer Schmerzen, Lungenarterie schneller Puls, schnelle Atmung, evtl. Hypotonie

Erstmaßnahmen Sauerstoffgabe mit Maske und Reservoirbeutel ggf. Gabe von Morphin und Heparin

Krankheitsbild

Ursache

Leitsymptome

Pneumonie

Infektion

Husten, Schmerzen, Fieber

Erstmaßnahmen Sauerstoffgabe mit Maske und Reservoirbeutel Gabe von Antibiotika Verabreichung von Kortison und Salbutamol (Inhalation)

Asthma bronchiale und Atemluft kann COPD nicht richtig ausgeatmet werden, Bronchien sind verkrampft und Schleimhäute geschwollen.

Husten und exspiratorischer Stridor (Pfeifen beim Ausatmen)

Lungenödem

Das linke Herz ist zu schwach. Das Blut staut sich in der Lunge und Flüssigkeit tritt in die Alveolen.

rasselndes Atemgeräusch mit wässrigschaumigem Auswurf und Husten

Positionierung in Herzbettlage

Fremdkörper in oberen Atemwegen oder Verengung der oberen Atemwege

inspiratorischer Stridor (pfeifendes Atemgeräusch)

Mund- und Rachenraum ausräumen und absaugen

zu hoher Säureanteil im Blut (z.B. im Rahmen einer diabetischen Ketoazidose)

▶ Kußmaulatmung

Verlegung der Atemwege

metabolische Azidose durch Stoffwechselstörung

Anleiten zur ▶ Lippenbremse und zum ▶ „Kutschersitz“ Achtung: Sauerstoffgabe in hohen Dosen (> 4 l/min) kann bei fortgeschrittener COPD zum Atemstillstand durch CO2-Narkose führen!

hoch dosierte Sauerstoffgabe entwässernde (z.B. Furosemid) und herzkraftsteigernde Medikamente (Katecholamine); evtl. Gabe von Morphin (dämpft Gefühl von Atemnot)

Guedeltubus und Wendltubus; ggf. endotracheale Intubation Bauch des Patienten von hinten umgreifen und komprimieren (HeimlichManöver); bei Kindern: zum Husten anregen; ggf. kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter, Thorax-/Abdomenkompression Verlegung auf Intensivstation. Dort: ggf. künstliche Beatmung evtl. Gabe von Bikarbonat

Krankheitsbild

Ursache

Leitsymptome

Störung des Atemzentrums

z.B. durch zu hohe Dosierung von Opiaten

sehr flache und langsame Atmung, evtl. Atempausen

Erstmaßnahmen Sauerstoffsättigung überwachen evtl. künstliche Beatmung und Verlegung auf Intensivstation

23.1.3.2 Allgemeine Erstmaßnahmen Die Pflegefachkraft sollte den Arzt informieren und evtl. angeordnete Medikamente verabreichen. Der Pflegeempfänger wird in eine aufrechte Position gebracht und bekommt Sauerstoff (Vorsicht bei Pflegeempfängern mit COPD, siehe ▶ Tab. 23.1 ). Weitere Maßnahmen sind: Fenster öffnen beengende Kleidung öffnen Vitalparameter und Sauerstoffsättigung messen Pflegeempfänger beruhigen (Angst erhöht Sauerstoffbedarf und verstärkt Atemnot) bei Atemstillstand ▶ kardiopulmonale Reanimation einleiten

23.1.4 Erbrechen 23.1.4.1 Erstmaßnahmen Pflegeempfänger aufsetzen oder in stabile Seitenlage bringen (Aspirationsprophylaxe) Handschuhe zum Eigenschutz anziehen Pflegeempfänger nicht alleine lassen evtl. schlecht sitzende Zahnprothese entfernen Erbrochenes auf Menge, Geruch und Aussehen begutachten und evtl. Probe entnehmen nach Arztangabe Antiemetikum (Medikament gegen Brechreiz) verabreichen

Merke Erbrechen Erbrechen kann auf eine lebensbedrohliche Störung hindeuten. Dazu gehören Infektionen des Magen-Darm-Trakts, gesteigerter Hirndruck, Vergiftungen, Herzinfarkt oder ein Darmverschluss. Deshalb bei plötzlichem Erbrechen den Arzt informieren und auf weitere Symptome achten.

23.1.4.2 Hämatemesis (Bluterbrechen) Erbricht der Pflegeempfänger Blut, sollte die Pflegefachkraft sofort den Arzt informieren. Kreislaufparameter und Blutgerinnung werden kontrolliert. Der Pflegeempfänger darf nicht aufstehen (Kollapsgefahr). Bei gastrointestinaler Blutung (z.B. blutendes Magengeschwür) muss diese, meist endoskopisch, gestillt werden (ggf. Schockmaßnahmen und Transport auf Intensivstation oder in Endoskopie). Bei einer Blutungsquelle im Magen erscheint Blut durch Einwirkung der Magensäure oft „kaffeesatzartig“.

23.1.5 Nadelstichverletzung Die Gefahr einer Nadelstichverletzung liegt in der Übertragung von Infektionskrankheiten (bes. HIV, Hepatitis). Aus diesem Grund sollte jede Pflegekraft eine Nadelstichverletzung ernst nehmen und diese nicht aus Angst vor „falschem Verhalten bei der Injektion“ verschweigen. Genaue Hinweise zum Vorgehen erteilt die zuständige Berufsgenossenschaft. Maßnahmen Unmittelbar im Anschluss an eine Nadelstichverletzung, sollte der Blutfluss an der Wunde gefördert und intensiv desinfiziert werden.

Anschließend sollte ein Bericht für die Berufsgenossenschaft ausgefüllt werden (meist über den diensthabenden Arzt der zentralen Notaufnahme). Nadelstichprotokoll ausfüllen (hauseigener Standard) Ggf. potenzielle Infektionsquelle (Patient) identifizieren, um serologische Testung durchführen zu können (auf Hepatitis B oder C sowie HIV), dafür ist eine Patienteneinwilligung erforderlich. Ist dies nicht möglich, folgen mehrere Testungen auf HIV und Hepatitis. Die genauen Zeitabstände werden durch den Betriebsarzt organisiert. Bei nachgewiesener HIV- oder HBV-Infektion des Patienten kann ggf. eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) begonnen werden (antiretrovirale Substanz bei HIV, Impfung bei HBV).

23.1.6 Sturz 23.1.6.1 Maßnahmen Bewusstsein kontrollieren auf Wunden inspizieren nach Schmerzen fragen Blutdruck und Puls messen, Pupillenreaktion prüfen Arzt informieren (mindestens bei Auffälligkeiten bzw. Verletzungen) Sturz dokumentieren, ggf. ▶ Sturzereignisprotokoll Sturzursache klären und Sturzrisiken reduzieren (unter Beachtung des Expertenstandards „Sturzprophylaxe in der Pflege")

23.1.6.2 Blutungen Patienten sind im Krankenhaus besonders gefährdet, bei einem Sturz eine innere oder äußere Blutung zu erleiden. Gründe

dafür sind die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente, Zugänge, frische OP-Wunden, Katheter, Drainagen usw. äußere Blutung: mit Kompressen komprimieren (vorher unbedingt Handschuhe anziehen!) innere Blutung: Ist nicht klar, ob der Patient eine innere Blutung hat, müssen Pupillenreaktion und Vitalparameter mehrfach kontrolliert und außerdem Bauch- und Oberschenkelumfang beobachtet werden, um ggf. Einblutungen frühzeitig zu erkennen.

23.1.7 Transfusionszwischenfall Ein Transfusionszwischenfall ist immer ein Notfall und kann zum Schock führen. Treten während einer Transfusion folgende Symptome auf, muss die Transfusion sofort gestoppt und ein Arzt informiert werden: Fieber Schüttelfrost Knochenschmerzen Übelkeit Blut im Urin Die Symptome können sofort oder erst nach Stunden eintreten. Mehr zum Transfusionszwischenfall in Kap. ▶ 25.3.

23.1.8 Schock 23.1.8.1 Entstehung Bei einem Schock ist die Mikrozirkulation gestört und das Gewebe minderdurchblutet. Der vorhandene Sauerstoff reicht nicht aus, um den Bedarf der Zellen zu decken. Die sich entwickelnde Stoffwechselstörung führt zum Zelltod bzw. zum Organversagen. Jeder Schock bedeutet Lebensgefahr! Je nach Ursache wird der Schock in 4 verschiedene Unterformen eingeteilt ( ▶ Tab. 23.2 ).

Tab. 23.2 Schock. Krankheitsbild

Ursache

hypovolämischer Schock

Zirkulierende Blutmenge ist verringert (z.B. durch Blutungen, starkes Erbrechen, Flüssigkeitsverlust durch Verbrennungen, Störungen des ZNS). Achtung: hohe Sterblichkeit im Kindesalter (Säuglinge und Kleinkinder besonders gefährdet für Flüssigkeitsmangel)!

Schocklage („Beine hoch“)

Das Herz ist nicht in der Lage, genügend Blut in den Kreislauf zu pumpen. Dies führt zu einer Minderdurchblutung.

Positionierung in Flachlage, bis systolischer Blutdruck > 80 mmHg erreicht hat, dann Herzbettlage

kardiogener Schock

Maßnahmen venöser Zugang, um Flüssigkeits- und Blutverlust auszugleichen Blutdrucksteigerung durch gefäßverengende Wirkstoffe (z.B. Katecholamine) Schockursache beseitigen: z.B. Blutung stillen, Medikamente gegen Erbrechen

Achtung: Schocklage und Flüssigkeitszufuhr sind kontraindiziert. Sauerstoff verabreichen, Beatmung auf Intensivstation medikamentöse Therapie: gefäßverengende und herzkraftsteigernde Wirkstoffe (z.B. Noradrenalin), entwässernde Wirkstoffe (z.B. Furosemid) und Opiate distributiver Schock (Unterformen: septischer Schock, anaphylaktischer Schock, neurogener Schock)

Ursache ist eine Verschiebung des im Gefäßsystem zirkulierenden Volumens. Dieses kann entweder nach extravasal wandern (septischer und anaphylaktischer Schock) oder sich primär im venösen System befinden (neurogener Schock).

Positionierung in Schocklage ggf. Fiebersenkung medikamentöse Therapie: Volumengabe gefäßverengende Wirkstoffe, ggf. Antibiotika, ggf. Histaminblocker/Kortison

Krankheitsbild

Ursache

obstruktiver Schock

Verlegung von großen Blutgefäßen (z.B. Vena-CavaKompressionssyndrom, Lungenarterienembolie u.a.)

Maßnahmen Beseitigung der Ursache medikamentöse Therapie: Volumenexpander, gefäßverengende Wirkstoffe (z.B. Noradrenalin), Kortison, Antihistaminika

23.1.8.2 Symptome Hypotonie Tachykardie und Tachypnoe kalter Schweiß Agitiertheit Schwindel bis zur Bewusstseinsstörung Oligurie, Zyanose, Blässe (v.a. bei Hypovolämie) Halsvenen sind kollabiert (bei Hypovolämie) bzw. gestaut (bei Herzversagen)

23.1.8.3 Notfallmaßnahmen Ziel ist: die Kreislaufsituation zu verbessern, die Sauerstoffversorgung sicherzustellen und schockauslösende Faktoren zu eliminieren. Vitalparameter und Bewusstsein müssen kontinuierlich kontrolliert werden (siehe Kap. ▶ 14.4). Die speziellen Maßnahmen je nach Schockform können ▶ Tab. 23.2  entnommen werden.

23.1.9 Plötzliche Bewusstlosigkeit Bei plötzlicher Bewusstlosigkeit spricht die Pflegefachkraft den Pflegeempfänger zunächst an. Dann prüft sie durch Kneifen unterhalb des Schlüsselbeins die Schmerzreaktion. Reagiert der Pflegeempfänger nicht, werden für maximal 10 Sekunden

Puls und Atmung überprüft. Liegt kein Puls vor, wird mit der ▶ kardiopulmonalen Reanimation begonnen. Dauert eine Bewusstlosigkeit nur wenige Sekunden, spricht man von einer Synkope.

23.1.9.1 Ursachen Diese können z.B. sein: orthostatische Dysregulation ▶ Herzrhythmusstörungen Volumenmangel zerebrale Durchblutungsstörung ▶ Epilepsie

23.1.9.2 Maßnahmen Sprache beobachten (verwaschene Sprache kann Hinweis auf Schlaganfall sein, siehe Kap. ▶ 52.6.1) Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und Blutzucker messen Pupillenreaktion prüfen (normal: Engstellung bei Lichteinfall) Bei niedrigem Blutdruck und hohem Puls werden die Beine des Patienten hoch- und der Oberkörper flach gelagert (Schocklagerung).

23.1.10 Anhaltende Bewusstlosigkeit 23.1.10.1 Maßnahmen Atemwege freihalten und Patienten in stabile Seitenlage bringen engmaschige Kontrolle der Vitalparameter Abschätzung der Tiefe der Bewusstseinsstörung, z.B. mithilfe der ▶ Glasgow-Koma-Skala Pupillenreaktion prüfen

ACHTUNG Kinder < 1 Jahr werden in die neutrale „Schnüffelposition“ gebracht, das bedeutet: Kopf, Hals und Luftwege bilden eine Linie, der Hals ist dabei nur leicht überstreckt.

23.1.11 Zerebraler Krampfanfall Informationen zum Krankheitsbild Epilepsie finden Sie in Kap. ▶ 52.8.

23.1.11.1 Maßnahmen weitere Pflegekräfte und Arzt benachrichtigen Notfallkoffer/-wagen holen (lassen) Patienten vor Verletzungen schützen (z.B. kantige Gegenstände aus dem Umfeld entfernen) Patienten nicht festhalten, nicht schütteln, keinen Mundkeil einführen! Wenn ein epileptischer Anfall länger als 5 min andauert oder der Patient zwischen einzelnen Anfällen das Bewusstsein nicht wiedererlangt, handelt es sich um das lebensbedrohliche Krankheitsbild „Status epilepticus“.

23.1.11.2 Maßnahmen bei Status epilepticus Vorbereiten des Materials für venösen Zugang Aufziehen der Medikamente nach ärztlicher Anordnung Guedeltubus und Intubationsbesteck bereitstellen (Not-)Arzt: venösen Zugang legen, i.v.-Applikation eines Antikonvulsivums, z.B. Lorazepam. Bei Kindern: Verabreichung von speziellen Suppositorien („Rectiolen“), welche mit Midazolam gefüllt sind nach Anfall: Vitalparameter kontrollieren, Pupillen kontrollieren, auf Flüssigkeitszufuhr achten

antikonvulsive Therapie optimieren, evtl. Auslöser behandeln

23.1.12 Herzrhythmusstörungen 23.1.12.1 Ursachen geschädigter Herzmuskel (z.B. bei Herzinfarkt, Kardiomyopathie) Intoxikation (z.B. durch Digitalis, Antidepressiva) Elektrolytstörungen (z.B. bei Kaliummangel, Kalziummangel) Hormonstörung (z.B. bei Hyperthyreose) Herzklappenfehler Ausführliche Informationen zu Herzrhythmusstörungen finden Sie in Kap. ▶ 44.5.1. ▶ Fehlalarm. Gibt der EKG-Monitor Alarm, ist nicht immer ein medizinisches Problem die Ursache. Eventuell hat sich auch nur ein Kabel gelöst oder die Alarmgrenzen sind falsch gewählt. Dies muss gewissenhaft geprüft werden, indem der Pflegeempfänger angeschaut und nach seinem Befinden gefragt wird.

23.1.12.2 Symptome Hinweise auf ernste Herzrhythmusstörung: keine adäquate Reaktion auf Ansprache Patient ist kurzatmig Patient ist kaltschweißig Vorgehen: Alarmton belassen, nach Hilfe rufen, Sauerstoff verabreichen, bei Atemstillstand oder Schnappatmung Notfallteam rufen und Reanimationsmaßnahmen einleiten

23.1.13 Angina pectoris und Herzinfarkt

23.1.13.1 Ursache Durchblutungsstörung des Herzmuskels.

23.1.13.2 Symptome Druck- oder Engegefühl in der Brust Schmerzen mit Ausstrahlung in Oberarm, Schulter oder Kiefer ggf. Beschwerden wie durch „Sodbrennen“ Angst Ausführliche Informationen zu Herzinfarkt in Kap. ▶ 44.5.2.

23.1.13.3 Maßnahmen Arzt informieren Positionierung in Herzbettlage eng anliegende Kleidung des Patienten öffnen Bedarfsmedikation, z.B. Nitro-Spray verabreichen (nur wenn RR systolisch > 100 mmHg) Vitalparameter messen (Arrhythmien?) Sauerstoffgabe EKG-Monitoring und Pulsoxymetrie Defibrillator bereithalten i.v.-Zugang und Blutabnahme vorbereiten (CK, CK-MB, Troponin) evtl. Verlegung auf Intensiv- oder Überwachungsstation

23.2 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) Definition Kardiopulmonale Reanimation (CPR)

Die CPR ist die Wiederbelebung eines Patienten mit Herz-KreislaufStillstand und/oder Atemstillstand, v.a. durch Aufrechterhaltung eines Minimalkreislaufs durch periodische Thoraxkompression und Beatmung (30:2). Ohne CPR wären nach einer gewissen Zeit alle lebenswichtigen Organe durch Sauerstoffmangel irreversibel geschädigt. Ein hypoxischer Hirnschaden entsteht bereits nach 3–5 min. Der European Resuscitation Council (ERC) bzw. sein deutscher Ableger German Resuscitation Council (GRC), veröffentlicht regelmäßig evidenzbasierte Standards zum Vorgehen bei einer Reanimation. Diese Standards unterscheiden zwischen Basismaßnahmen ( ▶ Abb. 23.2) für nicht-medizinisches Personal und Situationen, in denen keine weiteren Hilfsmittel zur Verfügung stehen, und erweiterten Maßnahmen ( ▶ Abb. 23.3) für Situationen mit zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln bzw. für solche mit anwesendem Fachpersonal. Basic Life Support (BLS). Abb. 23.2 Ablauf der Reanimation nach dem Basic-Life-Support-Algorithmus. (Aus: Theresa M. Olasveengen, et al., Basismaßnahmen zur Wiederbelebung Erwachsener (Basic Life Support), Leitlinien des European Resuscitation Council 2021, Notfall + Rettungsmedizin 2021; 4)

Advanced Life Support (ALS). Abb. 23.3 Ablauf der Reanimation nach dem Advanced-Life-Support-Algorithmus. (Aus: Theresa M. Olasveengen, et al., Basismaßnahmen zur Wiederbelebung Erwachsener (Basic Life Support), Leitlinien des European Resuscitation Council 2021, Notfall + Rettungsmedizin 2021; 4)

▶ Vorgehen. Wird ein reaktionsloser Patient aufgefunden: laut um Hilfe rufen, ggf. Alarmknopf drücken Luftwege des Patienten freimachen und Atmung überprüfen (nicht länger als 10 Sekunden) Keine Zeit mit Pulskontrollen verschwenden! Diese sind oft nicht verlässlich. Patient zeigt sichere Lebenszeichen (Bewusstsein, gezielte Bewegung, normale Atmung oder Husten): Sauerstoff geben Überwachungsmonitor anschließen

Venenverweilkanüle legen lassen, weitere Untersuchungen einleiten Wenn der Patient nicht bzw. nicht normal atmet, wird: (außerklinisch) ein Notruf abgesetzt bzw. (innerklinisch) das Reanimationsteam alarmiert und eine Reanimation eingeleitet. 30 Thoraxkompressionen verabreichen, dann 2 Atemspenden, immer im Wechsel Initial wird häufig mit dem BLS Algorithmus begonnen. Sobald weitere Fachkräfte vorhanden bzw. Hilfsmittel (z.B. Defibrillator) zur Verfügung stehen, wird dann in den ALS Algorithmus gewechselt. Das genaue Vorgehen wird durch das innerklinische Reanimationsteam festgelegt. ▶ Hygiene. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie wurden beide Leitlinien durch spezifische Hygienemaßnahmen ergänzt, da bei der Reanimation von COVID-positiven Patienten, infektiöse Aerosole entstehen können. Die Empfehlungen lauten: Im BLS des erwachsenen Patienten kann ggf. auf die Beatmung verzichtet werden. Für die Defibrillation sollten Klebepads verwendet werden Grundsätzlich ist eine Schutzausrüstung (FFP-Maske, Schutzbrille, Haube, Kittel) zu tragen. Die Intubation sollte zur Vergrößerung des Abstandes zwischen Personal und Patient mittels Videolaryngoskop erfolgen.

23.2.1 Ergänzende Maßnahmen für Reanimation Antidekubitusmatratzen luftleer machen oder Reanimationsbrett unterschieben Atemwege z.B. durch Guedel-Tubus freihalten und mit Gesichtsmaske und Beatmungsbeutel beatmen

sobald wie möglich zusätzlich Sauerstoff geben

23.2.2 Reanimation bei Kindern Die für Kinder gültigen evidenzbasierten Algorithmen für die Reanimation heißen „Paediatric basic life support“ und „Paediatric advanced life support“. Wesentliche Unterschiede zum erwachsenen Patienten sind: 5 Initialbeatmungen vor Einleitung der Thoraxkompression beim bewusstlosen Kind. Der Grund liegt in der wesentlich häufigeren respiratorischen Ursache des kindlichen Herz-Kreislauf-Stillstands. Danach erfolgen die Thoraxkompression und Beatmung des Kindes, unabhängig vom Alter, in einem Zyklus von 15:2, bei Neugeborenen in einem Zyklus von 3:1. Bei Säuglingen: Thoraxkompression mit thoraxumfassender Zweidaumentechnik oder mit zwei Fingerspitzen, bei Beatmung Mund und Nase mit Mund bedecken oder speziellen Beatmungsbeutel nutzen.

23.3 Polytrauma Definition Polytrauma Mehrere Körperregionen oder Organe sind verletzt, wobei mindestens eine Verletzung oder die Kombination von Verletzungen lebensbedrohlich ist. Ein Polytrauma ist ein besonders schwerwiegendes Verletzungsmuster. Deswegen existieren dafür spezielle Algorithmen. Bei der Versorgung von Traumapatienten kommen v.a. folgende strukturierte Algorithmen zur Anwendung:

ATLS (advanced trauma life support) für die innerklinische Versorgung PHTLS (pre hospital trauma life support) für die außerklinische Versorgung Innerklinisch findet die Versorgung von polytraumatisierten Patienten im Schockraum statt. Das ist ein speziell ausgestatteter Raum mit erweiterten Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten. Meist leitet ein erfahrener Unfallchirurg als „Trauma-leader“ das Versorgungsteam. ▶ Spezielle Beobachtungsparameter. Je nach Verletzung sind besondere Parameter zu beachten ( ▶ Abb. 23.4). Beobachtungsparameter bei Traumata. Abb. 23.4  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

23.4 Erste Hilfe leisten vor Ort

Merke Verpflichtung zur Hilfe Nach §323c Abs. 1 StGB ist jeder verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten, wenn es zumutbar ist. Bei einem Notruf Telefonnummer 112 wählen Die „5 W“ müssen beantwortet bzw. befolgt werden: Wo ist der Notfall? Was ist geschehen? Wie viele Verletzte/Beteiligte? Welche Verletzungen? Warten auf Rückfragen der Rettungsleitstelle!

23.4.1 Allgemeines Vorgehen Allgemeine Maßnahmen bei außerklinischen Notfällen: Eigenschutz beachten (z.B. Schutzhandschuhe tragen, Unfallstelle sichern) Vitalparameter prüfen (v.a. Atmung) bei Bedarf Notruf absetzen und ggf. ▶ Reanimation einleiten bewusstlose Person in stabile Seitenlage bringen weiteres Vorgehen gemäß BLS Algorithmus ( ▶ Abb. 23.2)

23.4.2 Intoxikationen Giftnotruf kontaktieren bei Verdacht auf Gasvergiftung Betroffenen ggf. an die frische Luft bringen (Eigenschutz!)

Giftreste und/oder Erbrochenes sicherstellen Erbrechen nicht künstlich hervorrufen

23.4.3 Verletzungen offene Wunden und Knochenbrüche steril verbinden Blutungen mit Druckverband versorgen Fremdkörper nicht entfernen (Gefahr von zusätzlichen Blutungen) Knochenbrüche ruhigstellen und Schonhaltung unterstützen (z.B. Knie unterlagern), geschlossene Brüche kühlen Betroffenen in Rückenlage bringen und Beine hochlagern (Schocklage)

23.4.4 Verätzungen vorsichtig alle benetzten Kleidungsstücke entfernen betroffene Körperregionen mit Wasser spülen oder mit Kompressen abtupfen betroffenes Körperteil hochlagern bei Verätzung des Verdauungstrakts: Betroffenen kleine Schlucke Wasser trinken lassen, nicht zum Erbrechen bringen bei Verätzungen des Auges: Auge öffnen und wiederholt vorsichtig ausspülen (vom inneren Augenwinkel nach außen)

23.4.5 Verbrennungen oder Verbrühungen Betroffenen aus Gefahrensituation holen kleinflächige Verbrennungen mit lauwarmen Wasser kühlen, großflächige Verbrennungen (mehr als 2 DIN-A4-Seiten) nicht kühlen (Unterkühlungsgefahr!)

heiße Kleidung entfernen, aber mit der Haut verklebte Kleidung belassen Brandwunden locker und steril abdecken, Brandblasen nicht öffnen Betroffenen in Rückenlage bringen und Beine hochlagern (Schocklage) weitere Versorgung in spezialisierte Kliniken (Verbrennungszentren) bei Verbrennungen 2. Grades von mehr als 15 % Körperoberfläche bzw. von mehr als 10 % KÖF bei Verbrennungen 3. Grades

23.4.6 Kälteschäden Schutz vor weiterer Auskühlung bzw. Wärme zuführen (z.B. nasse Kleidung entfernen, Umgebungstemperatur anheben, Decken, warme Getränke, eigene Körperwärme) langsames Erwärmen (ca. 0,5–1°C Temperaturanstieg pro Stunde) erfrorene Körperregion ruhigstellen und jegliche Bewegung vermeiden

ACHTUNG Betroffene nicht vor Aufwärmen in Schocklage bringen. Strömt eine größere Menge an unterkühltem Blut aus der Körperperipherie zum Herzen, kann dies zu einem Herzstillstand führen.

23.4.7 Hitzeschäden Bei Hitzschlag (Überwärmung des Organismus, Lebensgefahr!) und Sonnenstich (Überwärmung des Gehirns): Kleidung entfernen

In kühle Umgebung bringen, ggf. mit kühlem Wasser abwaschen Flüssigkeitszufuhr zur Stabilisierung

23.4.8 Elektrounfälle Eigenschutz: Berühren Sie niemals einen Menschen, der an einer Stromquelle „hängt“! Strom abschalten (Hauptschalter). Ist das nicht möglich, kann mithilfe eines nicht stromleitenden Hilfsmittels (z.B. Besenstil) der Betroffene von der Stromquelle getrennt werden. Verbrennungen an Ein- und Austrittsstellen (Strommarken) steril abdecken

23.5 Wichtige Medikamente in Notfallsituationen In ▶ Tab. 23.3  sind die wichtigsten Notfallmedikamente aufgeführt. Tab. 23.3 Wichtige Notfallmedikamente. Substanzen und Handelsnamen

Indikation

Nebenwirkung

Adrenalin/Epinephrin (z.B. Suprarenin)

z.B. Herz-Kreislauf-Stillstand, Bradykardie

Noradrenalin/Norepinephrin (z.B. Arterenol)

z.B. Hypotonie, septischer Schock

z.B. Herzrhythmusstörungen, Hypokaliämie, Hypertonie, Angina pectoris

Dobutamin (z.B. Dobutrex)

z.B. kardiogener Schock, Herzinsuffizienz

Katecholamine

Dopamin Antiarrhythmika Amiodaron (z.B. Cordarex) Verapamil (z.B. Isoptin)

z.B. Tachykardie, Herzrhythmusstörungen

z.B. Bradykardie, AV-Block, Arrhythmie, Hypotonie

Substanzen und Handelsnamen

Indikation

Nebenwirkung

Metoprolol (z.B. Beloc) Antihypertonika Glyzerolnitrat (z.B. Nitrolingual) z.B. Angina pectoris, Myokardinfarkt, hypertensiver Urapidil (z.B. Ebrantil) Notfall

z.B. Hypotonie, Kopfschmerz, Übelkeit

diverse Atropin

z.B. Bradykardie

z.B. Tachykardie, Arrhythmie

Prednisolon (z.B. Solo-Decortin H)

z.B. Asthmaanfall

z.B. Immunsuppression

Terbutalin (z.B. Bricanyl)

z.B. Bronchospastik, Asthma bronchiale

z.B. Tachykardie, Hypotonie

Natrium-Hydrogenkarbonat

z.B. Azidose, Hyperkaliämie

z.B. CO2-Bildung

Midazolam (z.B. Dormicum)

z.B. Angst, Unruhe, Krampfanfall

z.B. Amnesie, Atemdepression, Muskelrelaxation

Beachten Sie immer die Angaben des Herstellers/der Apotheke, den internen Hausstandard und die ärztliche Anordnung! Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

KOMPAKT Notfallsituationen Jede Pflegekraft im stationären Bereich sollte auf Notfälle vorbereitet sein (z.B. Nummer von Reanimationsteam, wo sind Reanimationsbrett und Notfallkoffer) und Erstmaßnahmen (Umgang mit Sauerstoff, Beatmungsbeutel, Absaugung; CPR) einleiten können. Ein Transfusionszwischenfall ist immer ein Notfall. bei Atemnot an folgende Krankheitsbilder denken: Lungenarterienembolie, Verlegung der Atemwege, Pneumonie, Lungenödem, Asthma bronchiale und COPD, metabolische Azidose, Störungen des Atemzentrums Einschätzung der Dringlichkeit: Manchester-Triage-System (MTS)

Vorgehen im Notfall nach ABCDE-Schema strukturieren: A (airway): Atemwege frei? B (breathing): Atemnot? Atmet Patient normal? C (circulation): suffizienter Kreislauf? Blutzirkulation? Anzeichen für Schock? D (disability): neurologische Defizite? Bewusstseinsstatus? E (exposure): weitere Verletzungen? bei Anzeichen für Schock: Kreislaufsituation verbessern, O2 verabreichen, Vitalparameter kontinuierlich kontrollieren bei Synkope: an möglichen Schlaganfall denken wenn ein Patient bewusst- und reaktionslos ist und nicht normal atmet: Indikation zur Reanimation bei Personen mit Atemstillstand nicht unnötig Zeit auf die Kontrolle des Karotispulses verwenden Reanimationsablauf: 30-mal Thoraxkompression, 2-mal Beatmen, bei Kindern: 5-mal initial Beatmen, 15-mal Thoraxkompression, 2-mal Beatmen, bei Neugeborenen: 5mal initial Beatmen, 3-mal Thoraxkompression, 1-mal Beatmen bei Kreislaufstillstand: automatischen Defibrillator sobald verfügbar anwenden bei Notruf: „5 W“ beantworten

Teil IV Pflegetechniken 24 Injektionen und Blutentnahme 25 Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen 26 Punktionen und Biopsien 27 Sonden und Drainagen 28 Wundmanagement 29 Verbandtechniken 30 Pflege bei Fieber 31 Wickel und Auflagen

24 Injektionen und Blutentnahme 24.1 Injektionen Definition

Injektion Bei einer Injektion werden sterile Flüssigkeiten mithilfe einer Spritze und einer dünnen Hohlnadel in das Gewebe gespritzt. Je nach Applikationsart und -ort werden zwischen 0,1 und 20 ml Flüssigkeit injiziert.

24.1.1 Injektionsarten Injektionen werden normalerweise nach ihrem Applikationsort unterschieden: intrakutane Injektion: Bei einer i.c.-Injektion werden geringe Flüssigkeitsmengen in die Dermis (Lederhaut) injiziert, z.B. bei Allergie- oder Tuberkulintests. subkutane Injektion: Bei einer s.c.-Injektion wird die Flüssigkeit in die Subkutis (Unterhautfettgewebe) injiziert, z.B. zur Insulingabe oder Antikoagulanzientherapie. intramuskuläre Injektion: Bei einer i.m.-Injektion wird in einen Muskel injiziert. Intramuskulär wird z.B. injiziert bei Impfungen, zur Schmerztherapie oder bei Resorptionsstörungen von Vitamin B12, B6 und Folsäure bei Magenteilresektionen. intravenöse Injektion: Bei der i.v.-Injektion wird durch die Punktion einer Vene ein Medikament in die venöse Blutbahn injiziert. Anwendung, wenn ein rascher Wirkungseintritt erwünscht ist, z.B. auf Intensivstationen, in Notfallsituationen, nach Operationen. Die i.v.-Injektion ist dem Arzt vorbehalten und wird i. d. R. nur an Intensiv- oder Anästhesiefachkräfte mit Fachweiterbildung delegiert.

24.1.2 Vor- und Nachteile von Injektionen

24.1.2.1 Vorteile Injektionen haben viele Vorteile. Grundsätzlich sind sie indiziert, wenn: ein schneller Wirkungseintritt ohne Wirkstoffverlust notwendig ist (z.B. in Notfallsituationen) keine orale Aufnahme möglich ist (z.B. bei Dysphagie, bewusstseinseingetrübten Pflegeempfängern) eine lokale Wirkung angestrebt wird (z.B. bei der Injektion eines Lokalanästhetikums) eine Steuerung von Wirkstoffeintritt und -dauer nötig ist (z.B. Depotmedizin) eine exakte Dosierung nötig ist (z.B. bei Frühgeborenen) Wirkstoffe über den Magen-Darm-Trakt nicht absorbiert werden (z.B. Insulin) oder bei oraler Aufnahme MagenDarm-Beschwerden auslösen würden (z.B. steroidale Antirheumatika)

24.1.2.2 Nachteile Die Eigenständigkeit des Pflegeempfängers geht verloren, jemand muss spritzen oder das Spritzen muss gelernt werden. Daneben treten Nebenwirkungen und Komplikationen sowie Verletzungen massiver und schneller auf als bei oraler oder dermaler Applikation.

24.1.3 Rechtliche Bestimmungen Die Injektion ist ein invasiver Eingriff in den Körper eines Menschen und kann ohne Zustimmung des Pflegeempfängers oder Betreuers als Körperverletzung gewertet werden. Die Anordnungsverantwortung trägt der Arzt. Die ▶ Durchführungsverantwortung liegt bei Pflegenden, wenn sie die Injektion durchführen. Führt eine Pflegefachkraft eine Injektion aus, muss sie die Wirkungen

und Nebenwirkungen des Medikaments kennen. Bei Komplikationen muss die Pflegefachkraft Sofortmaßnahmen einleiten können. Falls eine Pflegefachkraft eine an sie delegierte Injektion nicht fachlich fehlerfrei durchführen kann, muss sie das Weigerungsrecht (Remonstrationsrecht) in Anspruch nehmen und die Aufgabe ablehnen.

24.1.4 Vorbereitung von Injektionen 24.1.4.1 Material Vor dem Richten der Materialien müssen eine ▶ hygienische Händedesinfektion, das Schließen von Fenstern und eine Wischdesinfektion der Arbeitsfläche erfolgen. Über dem Material darf nicht gesprochen, gehustet oder geniest werden. Folgende Materialien sind zu richten: Spritzentablett Spritzen Aufzieh- und Injektionskanülen Injektionslösung (meist Medikament) Desinfektionsmittel Handschuhe, Tupfer Abwurfbehälter Material zur Beschriftung

24.1.4.2 Anordnung überprüfen, Regeln beachten Beim Richten der Injektion muss die 6-R-Regel beachtet werden: richtiger Pflegeempfänger richtiges Medikament

richtige Dosierung richtige Applikationsform richtiger Zeitpunkt und richtige Dokumentation Standards zum Schutz vor toxischen Substanzen müssen beachtet werden, z.B. Umgang mit Chemotherapeutika. Haltbarkeitsdaten von Materialien müssen überprüft werden. hygienische Händedesinfektion durchführen, Einmalhandschuhe anlegen Für die Entnahme eines Medikamentes in einer geringeren Dosierung, als in der Ampulle vorhanden ist, kann man folgende Formel als Berechnungsgrundlage nutzen: ml des Medikaments ÷ mg des Medikaments × angeordnete mg = Menge der aufzuziehenden Injektionslösung

24.1.4.3 Injektionslösung aufziehen Grundsätzlich erfordert das Aufziehen von Injektionslösungen folgende Schritte: Wischdesinfektion des Arbeitsplatzes/Spritzentabletts: unsterile Handschuhe anziehen, Wischdesinfektion, Einwirkzeit beachten Händehygiene: Handschuhe danach verwerfen, hygienische Händedesinfektion durchführen Prüfen mit der 6-R-Regel: Material/Medikamente vorbereiten Steriles Vorgehen: steriles Material nur an vorgesehenen Stellen öffnen, Spritzenkonus und Kanülenansatz niemals mit den Händen berühren, zur Injektion des aufgezogenen Medikaments/Zusatzes in

eine Trägerlösung bzw. zur s.c.-, i.v.-Applikation eine entsprechende frische Injektionskanüle nutzen. Besonderheiten beim Aufziehen aus einer Glasampulle Injektionslösung aus dem Ampullenkopf (Glasolive) leicht herausklopfen Ampulle mit einem Tupfer an der Sollbruchstelle öffnen (Gefahr: Schnittverletzung) bzw. ohne Sollbruchstelle mittels Ampullensäge öffnen Bei der Aufziehkanüle möglichst kleines Lumen wählen (ggf. vorhandene feine Glassplitter werden nicht mitaufgezogen). oberen Rand der Ampulle nicht mit Aufziehkanüle berühren (unsteril) Besonderheiten beim Aufziehen aus einer Stechampulle Verschluss der Stechampulle öffnen, Gummiseptum mit einem in Desinfektionsmittel getränkten Zellstofftupfer desinfizieren (30 s Einwirkzeit) Kanüle und Spritze aseptisch zusammensetzen, Spritze mit so viel Luft füllen, wie Flüssigkeit aus der Ampulle entnommen wird (sonst Unterdruck in Ampulle möglich, Entnahme erschwert) Mehrdosenentnahmebehältnisse mit Mini-Spike mit Anbruchdatum, Uhrzeit und Handzeichen versehen, Lagerung nach Herstellerangaben, Haltbarkeit beachten (meist 24 h) Besonderheiten beim Aufziehen und Mischen von Trockensubstanzen Verschluss der Stechampulle öffnen, Gummiseptum mit einem in Desinfektionsmittel getränkten Zellstofftupfer desinfizieren (30 s Einwirkzeit)

Überleitungskanüle auf der einen Seite in das Gummiseptum des Lösungsmittels einstechen, auf der anderen Seite in das Gummiseptum der Trockensubstanz einstechen Lösungsmittel vollständig unter leichtem Schwenken überleiten und Trockensubstanz komplett und restlos auflösen (aufgrund der Empfindlichkeit der ungelösten Substanz sowie der Schaumbildung niemals Schütteln!)

24.1.5 Durchführung der Injektion beim Betreten des Zimmers des Pflegeempfängers ▶ hygienische Händedesinfektion durchführen Pflegende informieren über die Injektion und holen ein mündliches Einverständnis ein. 6 R-Regel erneut beachten unsterile Handschuhe anziehen und Wischdesinfektion der Arbeitsfläche (Nachttisch) vornehmen, Handschuhe verwerfen und hygienische Händedesinfektion durchführen geeignete Injektionsstelle inspizieren und auswählen Pflegeempfänger bei Bedarf dabei unterstützen, eine angenehme Position einzunehmen: Je entspannter der Mensch, desto weniger schmerzhaft ist der Einstich. Injektionsgebiet wird mit Hautdesinfektionsmittel desinfiziert (Einwirkzeit je nach Herstellerangaben beachten). Injektion je nach Injektionsart verabreichen (siehe ▶ Tab. 24.1 ) ggf. eingebauten Schutzmechanismus der Injektionsspritze aktivieren (z.B. bei Clexane),

Kanüle/Spritze in Abwurfbehälter entsorgen (Achtung: kein Recapping!)

24.1.6 Injektionsarten Eine Übersicht über die gängigen Injektionsarten gibt ▶ Tab. 24.1  Tab. 24.1 Übersicht über die gängigen Injektionsarten. subkutane (s.c.-)Injektion

intramuskuläre (i.m.-)Injektion

Isotone wässrige Lösungen Isotone wässrige oder auch werden injiziert. ölige Lösungen werden Resorptionszeit: ca. 30 min injiziert. Resorptionszeit: ca. 10–20 min

intravenöse (i.v.-)Injektion Medikament oder Infusionen werden injiziert. Resorptionszeit: sehr kurz

Injektionsorte Bereiche 1. Wahl: Unterbauch, Oberschenkel, Gesäß Bereiche 2. Wahl: Oberbauch, Oberarm bei Langzeitapplikation: Spritzenkalender anlegen

Musculus gluteus medius (mittlerer Gesäßmuskel) Musculus gluteus minimus (kleinerer Gesäßmuskel) Musculus vastus lateralis (äußerer breiter Oberschenkelmuskel)

über venösen Zugang, z.B. Venenverweilkanüle (VVK), Zentralvenenkatheter (ZVK), implantierten Katheter (Port)

Kontraindikationen gestörte Hautdurchblutung

allgemein: wie bei s.c.-Injektion

Entzündungen oder Ödeme

Pflegeempfänger mit gesteigerter Blutungsneigung

Operationsgebiet Schockzustand

Pflegeempfänger mit Verdacht auf Herzinfarkt

Allgemeine Kontraindikationen gibt es nicht, aber: Vene für geplante Shuntanlage nicht punktieren nach Lymphknotenresektion keine Injektion auf betroffener Seite

subkutane (s.c.-)Injektion

intramuskuläre (i.m.-)Injektion

intravenöse (i.v.-)Injektion

Hinweise zur Durchführung Verwendung von braunen G26Kanülen (kurz) Hautfalte bilden und im 90°- bzw. bei kachektischem Pflegeempfänger im 45°-Winkel einstechen langsam injizieren und Kanüle zügig entfernen (bei Insulingabe 10 s warten) kein Recapping

Verwendung von gelben G20-Kanülen (lang), bei sehr kachektischem Pflegeempfänger, Säuglingen und Kindern kleinere G21Kanüle (grün) Methoden: ventrogluteale Injektion nach v. Hochstetter oder nach Sachtleben (CristaMethode, Anwendung v.a. bei Kindern), Oberschenkelinjektion, Injektion in den Deltamuskel am Oberarm (kürzere Kanüle als bei glutealer Injektion!)

VVK: Spritzenkonus aufsetzen und Medikament langsam einspritzen ZVK: Dreiwegehahn notwendig bei Port: spezielle Kanüle erforderlich

Komplikationen Hämatombildung bei Langzeitanwendung (z.B. bei Diabetikern) ggf. Lipombildung Abszessbildung (durch Keimverschleppung)

Nervenschädigung mit funktionalen Einschränkungen und starken Schmerzen Hämatombildung Abszessbildung bis hin zu generalisierter Sepsis (durch Keimverschleppung)

24.2 Blutentnahme

z.B. Entzündung, Nekrosenbildung, durch Fehlinjektion in falsches Gefäß (z.B. Arterie) oder Gewebe (z.B. Subkutis) Infektion, Sepsis Hämatome, Paravasate, Schmerzen

Merke Blutentnahme Die Blutentnahme dient der Diagnosefindung und -stellung, als Verlaufskontrolle von Therapien und zur Beurteilung des Schweregrads einer Erkrankung (Prognosestellung).

24.2.1 Venöse Blutentnahme Die venöse Blutentnahme gehört grundsätzlich zu den ärztlichen Aufgaben, kann aber an Pflegende delegiert werden.

24.2.1.1 Punktionsstellen Ellenbeuge oder Unterarm (Venen liegen dort oberflächlich) evtl. Handrücken (aber schmerzhaft) Fußrücken nur in Ausnahmefällen bei Jugendlichen und Erwachsenen, da Gefahr der ▶ Thrombophlebitis hier höher ist (Entzündung der oberflächlichen Venen) Kinder: Arm-, Fuß- und Kopfvenen Bei der Auswahl der Punktionsstelle muss zusätzlich darauf geachtet werden, dass … keine Infusion am selben Arm läuft (Risiko verfälschter Werte!), kein Shunt und kein Lymphödem (z.B. nach Mastektomie) am Arm vorliegen.

24.2.1.2 Material

Desinfiziertes Spritzentablett, Butterfly-System oder Sicherheitskanüle mit Klappdeckel, Blutentnahmeröhrchen (z.B. Vacutainer-System oder Monovetten mit Patientenetikett), Stauschlauch, Hautdesinfektionsmittel, Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe, Abwurfbehälter, Tupfer und Pflaster

24.2.1.3 Vorbereitung und Durchführung Händedesinfektion und Materialien auf desinfizierter Arbeitsfläche vorbereiten Pflegeempfänger informieren, empathisch auf seine Situation eingehen (Laborergebnis kann sehr entscheidend sein) Positionierung: liegend oder sitzend (je nach Situation und Kreislaufzustand), Arm mit Unterarmpolster unterlegen ▶ hygienische Händedesinfektion durchführen Stauschlauch wird ca. eine Handbreit oberhalb der gewählten Punktionsstelle vorsichtig angebracht, Vene ertasten (sollte sich wie gut gefüllter Fahrradschlauch anfühlen und nicht pulsieren) Achtung: Stauschlauch sollte nicht länger als eine Minute liegen und auf sog. „Pumpen“ mit der Faust sollte verzichtet werden (Gefahr verfälschter Blutergebnisse – erhöhte Kalium- und Magnesiumwerte!) Punktionsstelle mit Desinfektionsspray besprühen, mit einem Tupfer abwischen, erneut besprühen und Einwirkzeit (je nach Herstellerangaben) beachten Punktionsstelle nicht mehr berühren! Unsterile Handschuhe anlegen Haut wird unterhalb der Punktionsstelle straffgezogen und im 30°-Winkel zügig in Richtung des Venenverlaufs

punktiert (dabei zeigt die angeschliffene Seite der Kanüle nach oben). Wenn die Haut durchstochen ist, wird der Winkel etwas abgeflacht. Bei erfolgreicher Punktion der Vene fließt Blut zurück und der Stauschlauch kann geöffnet werden. bei Verwendung von mehreren Blutentnahmeröhrchen: Kanüle während des Wechsels gut fixieren anschließend Tupfer auf die Einstichstelle legen, Kanüle herausziehen und in Abwurfbehälter entsorgen Einstichstelle mit Tupfer gut komprimieren (mind. 1 min), Arm sollte dabei gestreckt sein, das wirkt einer Hämatombildung entgegen Einstichstelle mit Pflaster versorgen und Blutentnahmeröhrchen leicht schwenken, damit die Zusätze mit dem Blut vermischt werden

24.2.1.4 Komplikationen Vene lässt sich nicht punktieren: anderen Arm nehmen oder proximal (oberhalb) der bereits punktierten Stelle erneut versuchen, anderenfalls Unterstützung holen arterielle Fehlpunktion: Falls versehentlich arteriell punktiert wurde, hat das auf die Laborparameter keinen Einfluss (Ausnahme: Blutgase). Wichtig ist, dass die Punktionsstelle länger komprimiert werden muss, ggf. mit einem Druckverband. Pflegeempfänger klagt über starke Schmerzen: Dann wurde wahrscheinlich ein Nerv getroffen, in diesem Fall muss die Punktion sofort abgebrochen werden!

24.2.1.5 Blutabnahme bei Kindern

Bei schwerkranken Kindern sollte auf die Entnahme von Blut in der Ellenbeuge verzichtet werden, um dort später noch eine Venenverweilkanüle zu legen. Alternativ zum Stauschlauch kann die Pflegefachkraft auch mit der Hand stauen – nicht zu fest, der Radiuspuls muss tastbar sein. Schmerzpräventiv wirken EMLA-Pflaster, die an mindestens zwei verschiedenen Orten eine Stunde vor der Blutentnahme geklebt werden. Bei Säuglingen und Frühgeborenen wird als schmerzlindernde Maßnahme unmittelbar vor der Blutentnahme oral Glukose 30 % gegeben. Bei einer kapillären Blutentnahme beim Säugling kann die Durchblutung der Ferse durch Auflegen einer angewärmten Kalt-/Warm-Kompresse angeregt werden, um so schmerzhaftes Drücken zu vermeiden. Die Anwesenheit einer Bezugsperson ist für Kinder bei potenziell schmerzhaften Eingriffen von hoher Wichtigkeit und wirkt angstlösend.

24.2.2 Kapillare Blutentnahme Die kapillare Blutentnahme ist risikoärmer als die Gefäßpunktion und kann nach Schulung ggf. auch selbstständig vom Pflegeempfänger durchgeführt werden.

Merke Desinfektion der Punktionsstelle Die Einstichstelle muss nur desinfiziert werden, wenn im Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung punktiert wird. Im Rahmen der häuslichen Pflege reicht es aus, wenn sich der Pflegeempfänger vor der Punktion die Hände gründlich wäscht.

24.2.2.1 Indikation

Blutzuckermessung, Blutgerinnung (Quickwert/INR), Blutgasanalyse (BGA), Screening auf Stoffwechselerkrankungen bei Säuglingen

24.2.2.2 Punktionsstellen seitlich der Fingerbeere – weniger sensibel als Oberseite Ohrläppchen Unterarm oder Ferse (bei Neugeborenen und Säuglingen)

24.2.3 Blutentnahme aus zentralvenösen Kathetern und Kanülen 24.2.3.1 Material Desinfiziertes Spritzentablett, unsterile Handschuhe, Desinfektionsmittel, Blutentnahmeröhrchen mit Adapter, 10ml-Spritze, Spritze mit 10 ml 0,9 %iger NaCl-Lösung, Verschlusskonus

24.2.3.2 Vorbereitung Pflegeempfänger informieren ▶ Hände desinfizieren und Handschuhe anziehen laufende Infusionen stoppen

24.2.3.3 Durchführung möglichst einen „freien“ Schenkel wählen, an dem keine Medikamente (z.B. Heparin, Antibiose) appliziert werden, um die Gefahr verfälschter Laborparameter zu reduzieren! Klemme schließen, Verschlusskonus bzw. Infusionsschlauch entfernen und den Luer-Ansatz desinfizieren (hausinternen Standard beachten)

10-ml-Spritze ansetzen, Klemme öffnen und ca. 10 ml Blut aspirieren, Klemme schließen und Spritze verwerfen (Verunreinigung durch Infusionsrückstände werden vermieden) Adapter aufsetzen und Klemme öffnen, unter leichtem Sog die Blutentnahmeröhrchen füllen. Klemme vor dem Entfernen des Adapters schließen. Der benutzte Schenkel wird mit 0,9 %iger NaCl-Lösung freigespült. Der Luer-Ansatz wird mit dem Verschlusskonus verschlossen oder die pausierte Infusion wird wieder angeschlossen und gestartet.

24.2.3.4 Alternative Zugänge für die Blutentnahme über arteriellen Zugang über Venenverweilkatheter (Achtung: durch starken Sog kann es zur Hämolyse und zu verfälschten Messwerten kommen!)

24.2.4 Fehlerquellen bei der Blutentnahme falscher Pflegeempfänger falsches Blutentnahmeröhrchen oder falsches Patientenetikett zu lange Stauung Blutentnahme am Arm mit laufender Infusion schlechte Vermischung des Blutes mit den Zusätzen in den Blutentnahmeröhrchen Lagerungs- und Transportfehler: Blut muss innerhalb von 2–3 h erschütterungsfrei an das Labor geliefert werden

KOMPAKT

Injektionen und Blutentnahme Der Eigenschutz und der Patientenschutz spielen im Rahmen von Injektionen und Blutentnahmen eine zentrale Rolle: Prävention von Nadelstichverletzungen: Kanülenabwurf bereithalten und kein Recapping! zum Eigenschutz immer Schutzhandschuhe tragen zur Prävention von Infektionen: hygienische Händedesinfektion und aseptische Arbeitsweise 6-R-Regel beachten, um Verwechselungen zu vermeiden mündliches Einverständnis des Patienten einholen Bei fachlicher Unsicherheit kann die delegierte Aufgabe abgelehnt werden (Weigerungsrecht!).

25 Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen 25.1 Venöse Gefäßzugänge

25.1.1 Periphervenöse Gefäßzugänge (PVK) Periphervenöse Gefäßzugänge (PVK; Synonyme: Viggo, Braunüle) liegen in einer peripheren Vene. Zur Verabreichung von: Nährlösungen, Transfusionen und Medikamenten. Zugang bei: Erwachsenen: über Handrücken oder Unterarm (alternativ: Ellenbeuge, Fuß) Kleinkindern: über Handrücken, Unterarm, Ellenbeuge oder Fußrücken Säuglingen: über Kopfhautvene oder Hand- bzw. Fußrückenvene Früh- und Neugeborenen: über Nabelvenenkatheter bei Primärversorgung

25.1.1.1 Kanülenarten Venenverweilkanüle (VVK, PVK): sehr häufig in der Klinik. Anwendung: Verabreichung von Infusionen, Medikamenten. Liegezeit 2–5 Tage. Häufigste Komplikation: ▶ Thrombophlebitis Midline-Katheter: Katheterspitze liegt in einem größeren Gefäß, z.B. in der V. axillaris. Zugang z.B. über die V. basilica, Liegedauer länger als bei einer VVK Butterflykanüle: Anwendung: einmalige Medikamentenverabreichung, Kurzinfusionen, Blutentnahme, Liegezeit: Minuten bis wenige Stunden, erhöhte Verletzungs- und Dislokationsgefahr durch die starre Kanüle

25.1.1.2 Legen einer peripheren Venenverweilkanüle Das Legen von Venenverweilkanülen kann vom Arzt an Pflegende delegiert werden. Schwerpunkte der

pflegerischen Aufgaben: Vorbereitung Bei Kindern mind. eine Stunde vorab an 2 Stellen EMLAPflaster zur Schmerzreduzierung kleben Materialien vorbereiten: Stauschlauch, Desinfektionsmittel, Schutzhandschuhe, sterile Kompresse, Kanüle (z.B. Butterfly, VVK), steriler Kombistopfen bzw. Konnektionsventil, Fixierpflaster, optional Dreiwegehahn oder steriles Extensionsset ggf. aseptisch verordnetes Medikament oder Infusion vorbereiten ggf. Blutentnahmeröhrchen Abwurf bereitstellen Pflegeempfänger soll sitzen oder auf dem Rücken liegen. ggf. Punktionsstelle rasieren ggf. für 5 min feuchtwarmen Wickel anlegen (bei schlecht sichtbaren Venen) Nachbereitung Dreiwegehahn oder steriles Extensionsset anschließen (Verzicht auf Mandrins! RKI 2017) transparentes VVK-Pflaster anlegen (alternativ: steriler Pflasterverband) ggf. verordnetes Medikament oder Infusion anschließen zusätzliche Fixierung durch Mullbinde oder Netzschlauchverband Dokumentation: Anlagedatum, Punktionsort Lob und Belohnung für Kinder ▶ Verbandwechsel. Grundsätzlich erfolgt ein Verbandwechsel:

bei einem transparenten PVK-Pflaster i. d. R. alle 7 Tage (Herstellerangaben beachten!), bei sterilem Pflasterverband alle 72 h, vorausgesetzt es besteht kein Verdacht auf eine Komplikation (mind. 1mal täglich Einstichstelle durch Sichtfenster auf Entzündungszeichen kontrollieren, Pflegeempfänger nach Schmerzen fragen). Zudem muss ein VW erfolgen bei: Verschmutzung, Ablösung, Durchfeuchtung des Fixiermaterials. Durchführung: ▶ Hände desinfizieren und Einmalhandschuhe anlegen aseptisch arbeiten mithilfe der ▶ Non-Touch-Technik alten Verband entfernen (ggf. mit Octenidin oder Pflasterlöser einsprühen) und Einstichstelle inspizieren (PVK dabei gut fixieren) Haut mit einem Hautdesinfektionsmittel (z.B. mit Octenidin) besprühen, mit steriler Kompresse wischen (von innen nach außen), erneut besprühen (die vom Hersteller angegebene Einwirkzeit beachten) Flügel der VVK mit Pflasterstreifen fixieren, Folienpflaster anlegen und mit einer Mullbinde sichern Inspektion der Einstichstelle und Beobachtung auf Komplikationen, wie: Entzündungszeichen, Hautirritationen, Paravasat (PVK aus/neben das Gefäß gerutscht und Infusionsflüssigkeit läuft in das Gewebe anstatt in die dafür vorgesehene Vene), Schmerzen bei jedem VW die Indikation der PVK überdenken, ggf. kann PVK nach Arztangabe entfernt werden bei Entzündungszeichen PVK entfernen bei Paravasat keine weitere i.v. Gabe mehr, ggf. mit Einmalspritze Paravasat langsam aspirieren und verwerfen, PVK entfernen, steril verbinden und Arm hochlegen. Bis zur vollständigen Resorption des

Paravasats mehrmals täglich Beobachtung auf Entzündungszeichen sowie weitere Hautveränderungen (z.B. Spannungsblasen, Nekrosen). Die Maßnahmen bei einem paravenösem Verlauf von Zytostatika werden in Kap. ▶ 38.2.6 beschrieben. Dokumentation der Maßnahme

25.1.2 Zentralvenöser Gefäßzugang (ZVK) Zentralvenöse Gefäßkatheter (ZVK) werden in eine größere Körpervene eingeführt und dann bis vor den rechten Vorhof in die V. cava vorgeschoben. Der Zugang erfolgt i. d. R. über die V. jugularis interna/externa oder V. subclavia. Möglich ist auch der periphere Zugang, z.B. über die V. basilica, V. cephalica oder V. femoralis. Bei Kindern eignet sich ggf. auch die V. saphena magna.

25.1.2.1 Nicht implantierter zentralvenöser Katheter – ZVK Nicht implantierbare Katheter werden direkt durch die Haut in die Vene gelegt. Indikationen Applikation von Lösungen, die periphere Venen stark reizen, z.B. Aminosäurelösungen, Kalium Situationen, in denen peripherer Zugang nicht möglich ist, z.B. bei Volumenmangel und/oder Schock, Verbrennungen oder schlechten Venenverhältnissen wenn ein Pflegeempfänger viele verschiedene Medikamente erhält, die nicht miteinander kompatibel sind Kontraindikationen besondere, schwierige anatomische Verhältnisse: Gefahr der Fehlpunktion

herabgesetzte Blutgerinnung ▶ Anlage eines ZVKs. Meist wird ein ZVK auf der Intensivstation oder im OP gelegt, da ein Monitor zur Überwachung benötigt wird. Pflegende sind für die Vor- und Nachbereitung des Eingriffs zuständig. Komplikationen Komplikationen während des Legens: Fehlpunktion, Pneumothorax, Hämatothorax, Chylothorax, Luftembolie, ZVK-Fehllage, Verletzung des N. brachialis (Nervengeflecht, das den Arm versorgt) Komplikationen nach dem Legen: ▶ Thrombophlebitis, ▶ Thrombose, Infektion, Fehllage des Katheters (z.B. durch unzureichende Fixierung) Bei Anzeichen einer Bakteriämie (Leukozytose, Körpertemperatur über 37,4°C, Schüttelfrost) muss der Arzt informiert und der ZVK schnellstmöglich entfernt werden, um eine Sepsis zu vermeiden. Zur Diagnosesicherung wird i. d. R. eine Blutkultur abgenommen und die Katheterspitze im Labor untersucht. Anzeichen wie Kloßgefühl im Hals und Stridor sowie Hämatome können von einer ernstzunehmenden Blutung durch eine Fehlpunktion der A. carotis herrühren. ▶ Pflege eines ZVKs. Nach der Anlage muss eine Röntgenkontrolle des Thorax erfolgen, um die korrekte Lage des ZVKs sicherzustellen. Erst dann darf der ZVK verwendet werden. Grundsätzlich sind folgende Regeln im Umgang mit einem ZVK wichtig: Pflegende müssen im Umgang geschult sein (Dokumentation!). Diskonnektion am System vermeiden

ZVK-Zuleitungen steril behandeln, Ansätze immer mit sterilen Verschlussstopfen verschließen (keine Wiederverwendung!) vor jeder Manipulation: ▶ hygienische Händedesinfektion, Schutzhandschuhe und Verschlussstopfen am Lumen desinfizieren Wenn keine kontinuierliche Bespülung des ZVKs angeordnet ist, müssen die Lumen mit 10 ml NaCl 0,9 % durchgespült werden. Lumen nie mit „Gewalt“ durchspülen (Gefahr der Lungenembolie!) Dokumentation: nach Anlage, täglich: Haut- bzw. Verbandzustand und -wechsel Inspektion der Einstichstelle: bei sterilen transparenten Folienverbänden: täglich bei sterilem Pflasterverband: nach 72 h Ein Verbandwechsel erfolgt alle 7 Tage bei einem sterilen transparenten Folienverband (Herstellerangaben beachten!) oder alle 72 h bei sterilem Pflasterverband. Ein VW muss zudem erfolgen bei Verschmutzung, Ablösung, Durchfeuchtung des Fixiermaterials oder wenn der Verdacht auf eine Komplikation (z.B. Entzündungszeichen, Schmerzen) besteht ( ▶ Abb. 25.1). Verbandwechsel ZVK. Abb. 25.1 Durchführung eines ZVK-Verbandwechsels.

Abb. 25.1a Unsterile Handschuhe anziehen. Arbeitsfläche wischdesinfizieren. Handschuhe ausziehen. Hände desinfizieren. Material vorbereiten (2× unsterile Handschuhe, sterile Kugeltupfer, sterile Pinzette, sterile Kochsalzlösung, neues Verbandmaterial, Hautdesinfektionsmittel, Abwurf).

(Foto: K. Oborny, Thieme)

Abb. 25.1b Materialien öffnen und sinnvoll (entsprechend des Ablaufs) anordnen. (Foto: K. Oborny, Thieme)

Abb. 25.1c Sterile Tupfer mit Kochsalzlösung tränken und unsterile Handschuhe anziehen. (Foto: K. Oborny, Thieme)

Abb. 25.1d Verband vorsichtig entfernen und abwerfen, ZVK dabei mit einer Hand fixieren. Handschuhe ausziehen und ebenfalls verwerfen. Hände erneut desinfizieren. (Foto: K. Oborny, Thieme)

Abb. 25.1e Unsterile Handschuhe anziehen. Pinzette und Kugeltupfer entnehmen. Einstichstelle von innen nach außen (zirkulär) mit Kochsalzlösung reinigen. Wichtig: Ein Tupfer pro Wischdurchgang. Abschließend mit Hautdesinfektionsmittel (Kombinationspräparat: Alkohol + CHX oder Octenidin) besprühen. (Foto: K. Oborny, Thieme)

Abb. 25.1f Sterilen Verband anbringen. Für trockene Einstichstellen eignen sich transparente Pflasterverbände. Blutet oder nässt die Punktionsstelle, sollte saugfähiges Material (z.B. sterile Schlitzkompressen) aufgelegt und mit einem Fixierverband spannungsfrei versorgt werden. (Foto: K. Oborny, Thieme)

25.1.2.2 Teilweise implantierte zentralvenöse Katheter Beim teilweise implantierbaren Katheter (TCVAD, z.B. Hickman-Broviac-Katheter) wird ein Teil des Katheters subkutan entlanggeführt und dann in die Vene gebracht. Das Katheterende liegt außerhalb des Körpers. Diese Katheter werden nur vom ärztlichen Personal angeschlossen und eignen sich gut für die parenterale Ernährung, da sie mehrere Jahre liegen können.

25.1.2.3 Implantierter zentralvenöser Katheter – Port Definition Port

Der Port ist ein subkutan implantiertes Kathetersystem. Er bietet einen dauerhaften Zugang zum venösen oder arteriellen Gefäßsystem oder zu bestimmten Körperhöhlen (z.B. Bauchhöhle, Epiduralraum). Indikationen langfristige Medikamentenapplikation, z.B. bei chronischen Erkrankungen, zur Verabreichung von Chemotherapeutika ambulante Infusionstherapie, z.B. zur parenteralen Ernährung häufig geplante Blutabnahmen oder Bluttransfusionen, z.B. bei schlechten Venenverhältnissen Die Punktion (Kanülierung) eines Ports darf nur durch einen Arzt oder speziell geschultes Personal erfolgen. Die Pflege eines bereits angestochenen Ports erfolgt durch geschultes Pflegefachpersonal. ▶ Pflege eines Ports. Es gibt einige Besonderheiten im Umgang mit einem Port: für Injektionen und Spülungen mindestens 10-mlSpritzen verwenden, um keinen zu großen Druck zu erzeugen wenn keine kontinuierliche Bespülung des Ports angeordnet ist, müssen die Lumen regelmäßig mit 20 ml NaCl 0,9 % durchgespült werden – je nach Anordnung kann der Port mit Heparin geblockt werden (vor jeder Applikation geblockte Menge abziehen!) Diskonnektion am System vermeiden Zuleitungen steril behandeln, Ansätze immer mit sterilen Verschlussstopfen verschließen (keine Wiederverwendung!)

vor jeder Manipulation: ▶ hygienische Händedesinfektion und Ansatzstück des Infusionssystems desinfizieren Lumen nie mit „Gewalt“ durchspülen (Gefahr der Lungenembolie!) Dokumentation: nach Anlage Haut- bzw. Verbandzustand und -wechsel: täglich Portnadel kann i. d. R. 7 Tage liegen, dann muss mit einer neuen Nadel punktiert werden Verbandwechsel wird je nach Verbandmaterial ca. alle 2 Tage durchgeführt.

25.2 Infusionen 25.2.1 Grundlagen Mit einer Infusion wird eine kontrollierte Flüssigkeitsmenge in den Körper infundiert. Damit möchte man den Stoffwechsel des Organismus wieder ins Gleichgewicht bringen, wenn er (z.B. aufgrund von Krankheit, Unfall oder Mangelernährung) ständig oder vorübergehend seine Funktionen nicht aufrechterhalten kann. Mit der Gabe von Infusionen werden folgende Ziele verfolgt: sichere Applikation von Medikamenten Nährstoffzufuhr sicherstellen Volumen im Organismus ausgleichen (Isovolämie) Konzentration der Elektrolyte in Normbereich bringen (Isoionie)

osmotischer Druck ausgleichen (Isotonie)

25.2.1.1 Rechtliche Bestimmungen Der Arzt trägt die Anordnungsverantwortung, er entscheidet, was in welchem Zeitraum infundiert werden soll, und ordnet dies schriftlich an. Auch das Anlegen einer Infusion ist grundsätzlich eine ärztliche Tätigkeit, die aber an Pflegende delegiert werden kann. Führt die Pflegefachkraft dies aus, so übernimmt sie die ▶ Übernahmeund Durchführungsverantwortung.

25.2.1.2 Infusionen und Zubehör Überleitsystem/Infusionsbesteck: Es gibt Bestecke für schwerkraft- und pumpengesteuerte Infusionen. Infusionsfilter: halten Mikropartikel und Keime sowie Pyrogene vom Pflegeempfänger fern (Anwendung z.B. bei immunsupprimierten Menschen) Rückschlagventile erlauben nur eine Fließrichtung, so können z.B. Kurzinfusionen an Dauerinfusionen angeschlossen werden und Blut oder Infusionslösungen fließen nicht zurück in das Infusionssystem. Adapter und Konnektoren Dreiwegehahn: Verbindungsstück mit Luer-LockAnschluss, die es ermöglichen, zwei Infusionen gleichzeitig laufen zu lassen Hahnenbank: besteht aus mehreren verbundenen Dreiwegehähnen. Dadurch können mehr als 2 Infusionen gleichzeitig laufen. Mehrfachverbindungen: Es gibt eine Verbindung zum Pflegeempfänger und mehrere Abgänge (2–5) am anderen Ende, über die Infusionen laufen können.

Nutzungsdauer des Infusionssystems (nach RKI 2017): kristalloide Lösungen: nicht häufiger als alle 96 h wechseln reine Lipidlösungen: bei jeder neuen Infusion wechseln bzw. spät. nach 24 h Blut und Blutersatzprodukte: alle 6 h wechseln

25.2.1.3 Applikationsmöglichkeiten intravenöse Infusion: Eine Lösung wird über einen PVK oder ZVK in das venöse Blutsystem verabreicht. subkutane Infusion: Eine Lösung wird über das Unterhautfettgewebe verabreicht (z.B. im ambulanten Bereich zur Vorbeugung einer Exsikkose). intraarterielle Infusion: Applikation einer Lösung über einen arteriellen Zugang zu diagnostischen Zwecken, z.B. zur Kontrastmittelgabe bei einer Angiografie intraossäre Infusion: Applikation eines Medikaments im Notfall über das Knochenmark

25.2.1.4 Infusionstechniken Schwerkraftinfusion: Die Flüssigkeitszufuhr wird durch das hydrostatische Druckgefälle zwischen Infusionsbehälter und Pflegeempfänger bewirkt. Infusion über elektrische Pumpensysteme: Flüssigkeiten werden über Infusionsschlauchpumpen oder Infusionsspritzenpumpen verabreicht. Es können eine konstante Infusionsrate und eine Dosiergenauigkeit gewährleistet werden. Druckinfusion: Mithilfe einer Druckmanschette kann schnell viel Flüssigkeit verabreicht werden (z.B. in Notfallsituationen).

25.2.2 Einteilung von Infusionslösungen 25.2.2.1 Einteilung nach Osmolarität Durch die Osmose werden zwei unterschiedlich stark konzentrierte Flüssigkeiten so ausgeglichen, dass sie gleich stark konzentriert sind. Die zwei Flüssigkeiten sind durch eine semipermeable (halb durchlässige) Wand getrennt. Durch diese Wand wird so lange Flüssigkeit treten, bis beide Seiten dieselbe Konzentration gelöster Teilchen haben. Dabei tritt nur Flüssigkeit durch die Wand, keine Teilchen. Semipermeable Wände im Körper sind z.B. Zellmembranen oder Gefäßwände ( ▶ Abb. 25.2). Beobachtungsparameter bei Traumata. Abb. 25.2 Durch die semipermeable Membran kann nur Flüssigkeit hindurchtreten, aber keine Teilchen.

a Die Osmolarität und damit die Anzahl der gelösten Teilchen ist in beiden Lösungen gleich. Es findet keine Osmose statt.

b Die Osmolarität der rechten Lösung ist geringer. Durch Osmose diffundiert so lange Flüssigkeit von rechts nach links durch die semipermeable Membran, bis die Konzentration gelöster Teilchen auf beiden Seiten gleich ist.

c Die Osmolarität der rechten Lösung ist größer. Demzufolge diffundiert Flüssigkeit von links nach rechts, bis die Osmolarität auf beiden Seiten gleich ist. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

Welche Infusion ein Pflegeempfänger benötigt, richtet sich immer danach, woran es dem Organismus mangelt. Grundsätzlich werden Infusionen eingeteilt in isotone, hypotone und hypertone Lösungen ( ▶ Tab. 25.1 ). Tab. 25.1 Infusionslösungen und Osmolarität. isotone Lösungen

hypotone Lösungen

hypertone Lösungen

Osmolarität

gleich wie Blutplasma

geringer als Blutplasma

höher als Blutplasma

Indikation

bei Flüssigkeitsdefiziten, wenn physiologisches Trinken nicht möglich ist oder nicht ausreicht

wenn Flüssigkeit ersetzt werden muss, aber die Konzentration von Elektrolyten im Blutserum hoch ist (z.B. Hypernatriämie)

wenn Volumen ersetzt und der Kreislauf stabilisiert werden soll, z.B. bei akuten Blutungen

Beispiel

isotone Lösungen

hypotone Lösungen

hypertone Lösungen

0,9 %ige NaCl-Lösung

5 %ige Glukoselösung

z.B. Plasmaexpander

25.2.2.2 Einteilung nach Dauer der Infusion Kurzinfusion: Infusion wird innerhalb von 15 min bis 3 h infundiert, z.B. Antibiotika gelöst in 100 ml 0,9 %iger NaCl-Lösung. Dauerinfusion: Infusionen laufen z. T. über den ganzen Tag, z.B. Ernährungslösungen.

25.2.2.3 Einteilung nach Zusammensetzung kristalloide Lösungen: bestehen aus in Wasser gelösten Substanzen, z.B. Elektrolyten. Wasser und Elektrolyte können aufgrund von Diffusion und Osmose die Zellmembran passieren, z.B. isotonische Kochsalzlösung 0,9 %, Ringerlösung, Glukoselösung 5 %. kolloidale Lösungen: bestehen aus Makromolekülen, z.B. Polysacchariden oder Polypeptiden. Diese können die Zellmembran nicht passieren und verbleiben bis zu ihrem Abbau intravasal. Hyperonkotische kolloidale Lösungen (z.B. Plasmaexpander) können auch Wasser binden. Energie- und Nährstofflösungen: dienen der Zufuhr von Fetten, Kalorien und essenziellen Aminosäuren, z.B. Lipidlösungen, Aminosäurenlösungen

25.2.2.4 Einteilung nach Verwendungszweck zur Elektrolytzufuhr zur Energiezufuhr (parenterale Ernährung) zur Osmo-Onko-Therapie zum Volumenersatz

zur Korrektur des Säure-Basen-Haushalts

25.2.3 Infusionsmanagement Pflegende richten, verabreichen und überwachen die Infusionstherapie. Der Arzt hat die Anordnungsverantwortung, er entscheidet, was in welchem Zeitraum infundiert werden soll, und ordnet dies schriftlich an.

25.2.3.1 Regeln beim Richten von Infusionen Infusionen und Perfusorspritzen erst unmittelbar vor Gebrauch richten (max. 1 Stunde davor) und beschriften (Medikament, Datum, Uhrzeit, Handzeichen) vor dem Richten: Fenster und Türen schließen, Händedesinfektion, Handschuhe anziehen, Arbeitsfläche desinfizieren, Handschuhe ausziehen und eine erneute ▶ hygienische Händedesinfektion durchführen Materialien auf der Arbeitsfläche richten Infusionslösung auf Trübung, Ausflockung, Verfärbung und Ablaufdatum überprüfen Händedesinfektion Gummiverschluss der Infusion desinfizieren (nach Hygienevorschrift des Hauses) Dorn in die stehende oder schräg gehaltene Infusionsflasche einstechen, Rollklemme schließen und Infusionsflasche umdrehen und Tropfenkammer durch Komprimieren bis zur Markierung füllen Eine versehentliche Kontamination des Dorns des Infusionsbesteckes erfordert das Verwerfen des Systems. Eine Desinfektion reicht nicht aus.

Plastikflaschen: Filter geschlossen halten Glasflaschen: Filter öffnen Rollklemme langsam öffnen und Infusionssystem luftleer befüllen (Achtung: Luftembolie!) Rollklemme schließen, Etikett aufkleben (Name des Pflegeempfängers, Datum, Uhrzeit, ggf. zugesetzte Medikamente, Handzeichen der Pflegefachkraft) sowie 6-R-Regel beachten Bei Transport Belüftungsfilter wieder schließen, da dieser ggf. mit Flüssigkeit benetzt werden kann und so die ausreichende Belüftung (Unterdruck in der Infusion) gefährdet. Erst wenn Infusion am Patienten angeschlossen ist, Filter wieder öffnen.

25.2.3.2 Zuspritzen von Medikamenten Soll ein Medikament in eine Infusion hinzugefügt werden, so geht die Pflegefachkraft wie folgt vor: Arbeitsplatzhygiene und Händehygiene Verordnetes Medikament (6-R-Regel) steril in einer Spritze ▶ aufziehen, Kanüle wechseln, in desinfizierte Gummimembran einstechen und in die Trägerlösung einspritzen. Hier unbedingt auf die Kompatibilität der Lösung mit dem Medikament achten (Eintrübung? Ausflocken?) Überdruck vermeiden: werden Medikamente über 5 ml in eher kleinere Glasflaschen zugespritzt, muss vorab die entsprechende Menge an Luft abgezogen werden Beschriftung der Infusion

25.2.3.3 Verabreichen von Infusionen Zustand des Pflegeempfängers überwachen (vor, während und nach der Verabreichung)

Punktionsstelle kontrollieren, z.B. auf Entzündungszeichen (ggf. Rücksprache mit Arzt) Dokumentation der Therapie Abhängen der Infusion: jeweilige Schenkel abklemmen und zügig mit sterilem Verschlusskonus verschließen

25.2.3.4 Besonderheiten beim Infusionsmanagement Infusionen anwärmen: Bei ausgeprägter Hypothermie (z.B. nach langen Operationen) erhalten Pflegeempfänger ggf. Infusionen, die auf 37°C erwärmt sind. lichtgeschützte Medikamente: Einige Medikamente müssen vor Licht geschützt und in einen lichtundurchlässigen Behälter verabreicht werden (z.B. Adalat, Konakion). Alternativ Aluminiumfolie umwickeln. Kurzinfusionen nacheinander anhängen: Infusionssystem zwischen zwei aufeinanderfolgenden Medikamenten durchspülen (z.B. NaCl mit 0,9 %), dabei die Kompatibilität von Infusionslösungen beachten bei der Gabe von Blutprodukten über den ZVK-Zugang oder Schenkel mit NaCl 0,9 % nachspülen ▶ Tab. 25.2  zeigt mögliche Probleme im Rahmen der Verabreichung von Infusionen und die entsprechenden Maßnahmen. Tab. 25.2 Infusionen überwachen: Probleme und Maßnahmen. Problem

Maßnahme

Infusion läuft zu langsam oder gar nicht Infusion hängt zu tief, Höhendifferenz reicht nicht aus.

Infusion höher hängen, Arm des Pflegeempfängers in eine andere Position bringen

Infusionsflasche ist nicht ausreichend belüftet.

Filter öffnen (häufig bei Glasflaschen)

Konnektoren sind nicht geöffnet.

Durchfluss gewährleisten (z.B. Dreiwegehahn oder Rollenklemme öffnen)

Problem

Maßnahme

Infusionsleitung ist abgeknickt.

Durchfluss gewährleisten (häufig bei mobilen Menschen)

Venöser Zugang ist verlegt.

Verband lösen und am Zugang leicht manipulieren, mit Einmalspritze Blut aspirieren (niemals mit Druck spülen → Embolie!)

Infusion ist paravasal gelaufen.

Zugang entfernen und neuen legen lassen

Rückstau von Blut in PVK oder Infusionsleitung

mit 50 ml 0,9 %iger Kochsalzlösung und neuem Infusionssystem freispülen (Schwerkraftsystem oder Infusionspumpe, nach Arztanordnung, direkte i.v. Gabe ist Arzttätigkeit)

Infusion läuft zu schnell Das System hat ein Leck.

Leck beheben (z.B. Luer-Lock-Ansatz des Infusionssystems mit dem PVK richtig verbinden) oder System wechseln

Höhendifferenz zwischen Pflegeempfänger und Infusion ist zu groß.

Höhe reduzieren

andere Komplikationen Pflegeempfänger klagt über Luftnot.

Infusion stoppen und Arzt informieren; evtl. kann das Herz die erhöhte Flüssigkeitszufuhr nicht verarbeiten.

plötzliches Auftreten von Hämatomen an der Einstichstelle der Venenverweilkanüle (z.B. bei HeparinApplikation)

engmaschig überwachen, ggf. Infusion stoppen und Arzt informieren

Pflegeempfänger klagt über Unwohlsein, Kribbeln, hat Hautveränderungen.

Infusion stoppen und Arzt informieren; allergische Reaktion auf das Medikament

Schmerzen an Einstichstelle, überwärmter Arm

Zugang sofort entfernen, antiseptische Umschläge anlegen und Arzt informieren (Achtung: Thrombophlebitis)

Flocken im Infusionssystem

Infusion sofort stoppen, Kompatibilität der Lösungen prüfen und Arzt informieren

25.2.3.5 Schwerkraftgesteuerte Infusionen ▶ Berechnung der Infusionsgeschwindigkeit . Die Geschwindigkeit einer Infusion kann mittels Rollenklemme eingestellt werden. Allerdings beträgt die Abweichung ±50

%. Deshalb sollten darüber nur Infusionen laufen, die nicht hochwirksam sind, z.B. Kristalloide. Grundsätzlich gilt:

Berechnung:

25.2.3.6 Infusionsschlauch- und Infusionsspritzenpumpen Mit Infusionspumpen können Lösungen kontrolliert infundiert werden. Diese Infusionstechnik kommt v.a. bei der Pflege von Kindern zum Einsatz, da dem kleinen Organismus die Infusionslösungen oder Medikamente besonders kontrolliert verabreicht werden müssen. Unterscheidung Infusionsschlauchpumpen (Infusomaten): Infusionslösungen werden über ein spezielles Infusionssystem infundiert. Ein Sensor überwacht, ob Luft im System ist. Die Abweichung der Förderrate beträgt ±5 %, d. h. bei 100 ml ±5 ml. Infusionspritzenpumpen (Perfusoren): Medikamente werden in 20–60-ml-Spritzen in kleinen Förderraten infundiert. Die Abweichung der Förderrate kann bei ±2 % liegen, d. h., bei 100 ml ±2 ml. Vor der Benutzung der Infusionspumpen muss eine Geräteeinweisung stattgefunden haben. Sobald Medikamente potent (wirksam) sind, sollten sie über Infusionspumpen laufen (z.B. Ernährungslösungen, Heparin, Chemotherapeutika). Umgang mit Infusionspumpen Spritzenwechsel: sorgfältiger Umgang, auf aseptisches Arbeiten achten, Zugänge verschließen, um Bolusgabe

zu verhindern (z.B. mit Klemme, Achtung: kann Schlauch beschädigen) Beschriftung: alle Leitungen beschriften (z.B. mit kleinen Aufklebern) Leitungen kurz halten: nur so lange, wie es zum Bewegen notwendig ist (Stolper- und Sturzgefahr!). Kinder sollten so viel Bewegungsfreiheit haben, dass sie am Tagesablauf teilnehmen können und auch im Spielverhalten uneingeschränkt sind. Kompatibilität: auf Verträglichkeit der Lösungen achten, wenn mehrere Substanzen über einen Zugang infundiert werden sollen Bei Druckalarm: Dreiwegehahn, der ggf. Durchfluss versperrt, nie öffnen, ohne vorher Leitung zu entlasten (Bolusapplikation!) Bei Luftalarm: ggf. Infusionssystem wechseln Wie Sie eine Flüssigkeitsbilanz erheben, wird in Kap. ▶ 18.5 beschrieben.

25.3 Bluttransfusionen Je nach Körpergröße zirkulieren im menschlichen Organismus 5–6 l Blut. Blut transportiert u.a. Sauerstoff und Nährstoffe, ist Teil der Immunabwehr und der Blutgerinnung und erhält ein stabiles Säure-Basen-Milieu aufrecht. Durch größere Verletzungen oder Erkrankungen kann es zum Verlust oder Fehlen bestimmter Blutkomponenten kommen ( ▶ Tab. 25.3 ). Dieser Funktionsverlust ist i. d. R. eine vitale Bedrohung für Betroffene. Bluttransfusionen können diesen Funktionsverlust kompensieren und so gesundheitlichen Schaden abwenden.

Definition Bluttransfusion Eine Bluttransfusion ist die intravenöse Gabe von menschlichen Blutbestandteilen. Gewinnung, Verarbeitung, Lagerung, Transport, Anwendung und Nachsorge von Bluttransfusionen unterliegen dem Transfusionsgesetz (TFG). Das Gesetz will Risiken auf ein Minimum reduzieren. Tab. 25.3 Indikationen für Bluttransfusionen. Indikation Anämie

Blutprodukt Erythrozytenkonzentrat (EK)

bei akutem Blutverlust Störung der Thrombozytenbildung

Thrombozytenkonzentrat (TK)

bei hämatologischen Erkrankungen Mangel an Thrombozyten bei großem Blutverlust Granulozytopenie aufgrund schwerer Infektion, z.B. Sepsis bei massivem Blutverlust mit plasmaarmem Volumenersatz

Granulozytenkonzentrat (GK) gefrorenes Frischplasma (GFP)

Lebererkrankungen prophylaktisch vor invasiven Operationen

Thrombozytenkonzentrat (TK)

25.3.1 Transfusionsarten Fremdtransfusion: Blutspender und Blutempfänger sind nicht identisch. Eigentransfusion: Blutspender und Blutempfänger sind identisch. Vor geplanten Operationen kann Eigenblut gespendet werden.

25.3.2 Blutgruppenserologie Auf der Erythrozytenoberfläche befinden sich Glykoproteine, die körperfremde Stoffe erkennen und eine Immunreaktion hervorrufen können. Diese Glykoproteine werden Blutgruppen-Antigene genannt. Sie können in verschiedene Systeme klassifiziert werden. Relevant sind vor allem das AB0-System und das Rhesus-System.

25.3.2.1 Antigen Substanzen, die der menschliche Organismus als fremd erkennt und mithilfe des Immunsystems bekämpft.

25.3.2.2 Antikörper Werden vom Immunsystem bei Kontakt mit Antigenen (Immunglobuline) gebildet. Sie neutralisieren entweder die Antigene oder markieren sie für die weitere Immunabwehr.

25.3.2.3 AB0-Blutgruppensystem Das System teilt die Erythrozyten nach Antigen-Eigenschaft in 4 Gruppen ein (A, B, AB, 0). Während des ersten Lebensjahres entwickeln sich Antikörper gegen die Antigene, die sich nicht an der Oberfläche befinden. Erhält dann ein Mensch mit Blutgruppe A beispielsweise ein EK der Blutgruppe B, verkleben die Erythrozyten (Hämagglutination) und die Blutzelle löst sich auf (Hämolyse), es kommt zu einem ▶ Transfusionszwischenfall. Blutgruppe 0 kann im Notfall als Universalspender dienen, da sie keine Antigene besitzt. Blutgruppe AB kann als Universalempfänger bezeichnet werden, da sie keine Antikörper besitzt. Dennoch muss stets der Rhesus-Faktor mit beurteilt werden.

25.3.2.4 Rhesus-Blutgruppensystem Das Rhesus-System kennt 5 Antigene, davon ist das Antigen D am stärksten wirksam. Hat ein Erythrozyt die Rhesus-

Eigenschaft D, spricht man von „Rhesus-positiv“. Hat ein Erythrozyt die Rhesus-Eigenschaft D nicht, spricht man von „Rhesus-negativ“. Die Antikörper werden erst nach Kontakt entwickelt. Ist ein Mensch Rhesus-negativ und erhält als Ersttransfusion Rhesus-positiv, kommt es zur Antikörperbildung (Anti-D). Die Ersttransfusion verläuft komplikationsfrei. Bei einer zweiten Transfusion mit Rhesuspositiv würden jedoch enorme Komplikationen entstehen, da die gebildeten Anti-D-Antikörper mit dem Antigen reagieren würden.

25.3.3 Umgang mit Blutprodukten Je nach Blutprodukt müssen der Umgang, die Lagerung und die Haltbarkeit beachtet werden.

25.3.3.1 Erythrozytenkonzentrat (EK) Blutbestandteil: intakte Erythrozyten Lagerung: bei Temperaturen von +4°C (±2°C) Transporttemperatur: 1–10°C (Kühlkette darf nicht unterbrochen werden) Haltbarkeit: je nach Hersteller: 28–49 Tage Kontrolle vor Transfusion: Beutel unversehrt? Konzentrat frei von Koageln oder sichtbarer Hämolyse?

25.3.3.2 Thrombozytenkonzentrat (TK) Blutbestandteil: funktionelle Thrombozyten (erythrozyten- und leukozytenarm) Lagerung: bei Temperaturen von 22°C (±2°C); damit keine Verklumpung entsteht, werden TKs ständig in Bewegung gehalten. Transporttemperatur: keine Temperaturschwankungen Haltbarkeit: bis zu 5 Tage

25.3.3.3 Granulozytenkonzentrat-Apharese (GK) Blutbestandteil: neutrophile Granulozyten Lagerung: Raumtemperatur und Ruhelage Haltbarkeit: maximal 24 h

25.3.3.4 Gefrorenes Frischplasma (GFP/FFP) Blutbestandteil: funktionelle Gerinnungsfaktoren Lagerung: bei unter –30°C Haltbarkeit: ohne Unterbrechung der Kühlkette 1–3 Jahre Nach Auftauen durch spezielle Geräte muss Plasma innerhalb von ca. 4–6 h transfundiert werden.

25.3.4 Bluttransfusion Die Durchführung einer Bluttransfusion ist immer Aufgabe des Arztes. Pflegende konzentrieren sich auf die Vorbereitung der Transfusion, Überwachung des Pflegeempfängers und Früherkennung von Komplikationen: vor Einleiten der Transfusion: Pflegende nehmen Blutprodukte in Empfang und kontrollieren: Lieferschein und Konserve (Übereinstimmung!), Haltbarkeitsdatum, Unversehrtheit. Vorbereitung: Transfusionsbesteck. Der Arzt wird informiert und bis zum Anhängen wird das Blutprodukt entsprechend der Lagerungstemperatur gelagert. Vorbereiten der Infusion: Blutprodukt, Transfusionsbesteck, Infusionsständer, Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Kanüle, 10-mlEinmalspritze, Bedside-Test (Sicherheitskontrolle für den Arzt)

Starten der Transfusion: über peripheren Zugang oder ZVK (Aufgabe des Arztes!). Laufzeit: i.d.R. höchstens 1 Stunde, Blutprodukte müssen alleine laufen. während der Transfusion: engmaschige Überwachung: Vitalparameter (siehe Kap. ▶ 14.4), Hautveränderungen wie Urtikaria (Nesselsucht), Flush (Rötung). Befinden, Schmerzen. Die Klingel muss in Reichweite des Pflegeempfängers angebracht sein. nach der Transfusion: Transfusionssystem entfernen, Zugang mit 0,9 % NaCl durchspülen. Weitere Vitalzeichenkontrolle und Patientenbeobachtung nach Arztanordnung für mindestens 8 h. Insbesondere in den ersten 30 min nach der Transfusion ist das Risiko für eine unerwünschte Reaktion erhöht. Blutkonserve und System verpacken, mit Name des Pflegeempfängers, Datum und Uhrzeit versehen und für 24 h im Kühlschrank (Station oder Labor) aufbewahren. Der Arzt dokumentiert die transfundierten Produkte, Anzahl, Chargennummer, Datum und Uhrzeit.

ACHTUNG Treten während oder nach der Transfusion Symptome wie z.B. Fieber, Hypotonie, Tachykardie, Kaltschweißigkeit, Unruhe auf, deutet dies auf einen Transfusionszwischenfall hin. Es handelt sich um einen akuten Notfall (siehe Kap. ▶ 23.1.7). In diesem Fall Transfusion sofort stoppen und Arzt unverzüglich benachrichtigen.

KOMPAKT Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen Gefäßzugänge

typische periphervenöse Gefäßzugänge: Venenverweilkanüle, Midline-Katheter oder Butterflykanüle typische zentralvenöse Gefäßzugänge: ZVK (nicht implantiert), Hickman-Broviac-Katheter oder GroshongKatheter (teilweise implantiert) und Portkatheter (implantiert) hygienische Händedesinfektion, Schutzhandschuhe, aseptisches Arbeiten tägliche Inspektion der Einstichstelle Indikation täglich evaluieren Auf Anzeichen einer Bakteriämie achten (z. B. Fieber, Schüttelfrost)! Infusionen i. d. R. intravenöse Applikation (seltener: subkutan, intraarteriell, intraossär) Einteilung: nach der Dauer: Kurz- oder Dauerinfusion nach der Zusammensetzung: kristalloide, kolloidale, Energie- oder Nährstofflösung nach Verwendungszweck: z.B. zur Elektrolytzufuhr, Energiezufuhr, zum Volumenersatz Infusionen können schwerkraft- oder pumpengesteuert appliziert werden. Infusionen richten (frühstens 1 h vor Applikation): Arbeitsplatzhygiene und Händehygiene Materialien richten und auf Auffälligkeiten (Trübung, Verfärbung etc.) prüfen ▶ Händedesinfektion

Gummiverschluss der Infusion desinfizieren (nach Hygienevorschrift des Hauses) Dorn in die stehende oder schräg gehaltene Infusionsflasche einstechen, Rollklemme schließen und Infusionsflasche umdrehen und Tropfenkammer durch Komprimieren bis zur Markierung füllen bei Plastikflaschen: Filter geschlossen halten, bei Glasflaschen: Filter öffnen Rollklemme langsam öffnen und Infusionssystem luftleer befüllen (Achtung: Luftembolie!) Rollklemme schließen, Etikett aufkleben (Name des Pflegeempfängers, Datum, Uhrzeit, ggf. zugesetzte Medikamente, Handzeichen der Pflegefachkraft) sowie 6-R-Regel beachten Bluttransfusionen Mit dem AB0- und dem Rhesus-System können Blutgruppen klassifiziert werden. Transfusionszwischenfall (Symptome z.B. Fieber, Hypotonie, Tachykardie, Kaltschweißigkeit, Unruhe) → Transfusion sofort stoppen und einen Arzt rufen pflegerische Beobachtung des Patienten (Vitalzeichen, Symptomatik) noch für weitere 8 h empfohlen

26 Punktionen und Biopsien 26.1 Punktionen Definition Punktion Eine Punktion ist das Einstechen einer Kanüle (Hohlnadel) in ein Blutgefäß, ein Organ oder einen vorgebildeten Hohlraum bzw. eine neu gebildete Höhle. Wird bei der Punktion Flüssigkeit abgezogen, bezeichnet man diese Flüssigkeit als Punktat. Indikationen diagnostisch: zytologische Untersuchung von Körperflüssigkeiten wie Blut, Liquor, Einbringen von Diagnostika (z.B. Kontrastmittel) therapeutisch: z.B. Einbringen von Therapeutika (z.B. Zytostatika), Entlastung bei Gelenkerguss, Pleuraerguss, Aszites ▶ Punktat. Beim Punktat wird in der Diagnostik je nach Zusammensetzung und Eiweißgehalt der Flüssigkeit zwischen Transsudat und Exsudat unterschieden: Transsudat: eiweißarme Flüssigkeitsansammlung in einer Körperhöhle, bei der Flüssigkeit aus der Blutbahn ausgetreten ist. Transsudate weisen auf Ödeme,

Stauungen oder erhöhte Gefäßdurchlässigkeit hin. Sind meist klar, hellgelb bis grünlich. Exsudat: eiweißreiche Flüssigkeitsansammlung, bei der Flüssigkeit durch durchlässige Kapillaren in Körperhöhlen gelangt. Exsudate weisen auf Entzündungen, Tumorerkrankungen und Verletzungen hin. Sind meist trüb, hellgelb bis grün, blutig oder jauchig. Die häufigsten Punktionen und ihre Besonderheiten finden Sie in ▶ Tab. 26.1 . Tab. 26.1 Häufige Punktionen und ihre Besonderheiten. Punktionen

Aszitespunktion

Pleurapunktion

Lumbalpunktion

Knochenmarkspunktion

Definition

Aszites (Bauchwassersucht) ist eine pathologische Flüssigkeitsansammlung in der freien Bauchhöhle.

Punktion der Pleurahöhle (Spaltraum zwischen Rippen- und Lungenfell)

Entnahme von Liquor durch Punktion des Duralsacks im Lendenwirbelbereich

Punktion des Knochenmark und Entnahme von Knochenmarkszellen

Indikation (Beispiele)

diagnostisch, bei Verdacht auf Infektion therapeutisch: Entlastung bei Leberzirrhose oder Lymphabflussstörungen

diagnostisch: bakteriologische oder zytologische Untersuchung therapeutisch: Entlastung bei Pleuraerguss

diagnostisch, bei Verdacht auf: entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, Subarachnoidalblutung, Blut-Liquor-SchrankenStörung, Tumorerkrankung

diagnostisch, bei Verdacht auf eine Erkrankung des Blutund Immunsystems therapeutisch: zur Stammzelltherapie (selten)

therapeutisch: Spinalanästhesie zur Schmerzreduzierung und zur Druckentlastung bei einem ▶ Hydrozephalus Positionierung

Nachsorge

Rückenlage mit leicht erhöhtem Oberkörper

sitzende Position

Bauchumfang messen und dokumentieren

nach 1–2 h Röntgenthorax, um Pneumothorax auszuschließen

evtl. Humanalbumin als Kurzinfusion verabreichen, um Eiweißverlust auszugleichen Verband anlegen und mittels Laparotomiebinde 1–2 h komprimieren 24 h auf Nachblutungen oder Austritt von Flüssigkeit achten

26.2 Biopsien

Arme auf den Nachttisch legen, um Raum zwischen den Rippen zu vergrößern

Verband 1-mal täglich wechseln, bis Einstichstelle verheilt ist Komplikationen: Fieber, Verschlechterung der Atmung (Hinweis auf Pneumo- oder Hämatothorax!)

sitzende Position mit gebeugtem Oberkörper (Rundrücken)

Patient liegt in Seitenlage mit angezogenen Beinen

steriles Wundpflaster anlegen

ca. 4 min mit steriler Kompresse komprimieren und Wundverband anlegen, um Nachblutungen zu vermeiden; evtl. Beckendruckverband anlegen

„normale“ Nachwirkungen: Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen bei Lähmungserscheinungen oder Bewusstseinsstörungen (Arzt informieren) zum Trinken anhalten (zur Reduktion der Kopfschmerzen)

Sandsack auf Punktionsstelle und 1 h Bettruhe MonitorÜberwachung bei Schmerzen ein Analgetikum verabreichen

Definition Biopsie Bei einer Biopsie wird Gewebe entnommen, um es histologisch zu untersuchen. Dabei kann es sich um Zellen oder Gewebestücke handeln. ▶ Indikation. Biopsien dienen zur Sicherung einer Diagnose. Dabei werden Zellen oder Gewebestücke wie z.B. Haut, Schleimhaut etc. entnommen und feingeweblich beurteilt. ▶ Biopsieformen. Er werden verschiedene Formen von Biopsien unterschieden. Die Wahl der Biopsie hängt von dem zu untersuchenden Organ, der Gewebeart und der Größe des zu untersuchenden Bereichs ab. Es wird unterschieden zwischen: Stanzbiopsie, Feinnadelbiopsie: Gewebe wird mit einer Nadel entnommen, z.B. aus dem Rückenmark, der Leber, der Nieren, dem Knochenmark (durch Drehbewegung mit Jamshidi-Hohlnadel wird Knochenmark herausgestanzt). Exzisionsbiopsie: Gewebe wird mit einem Skalpell entnommen, z.B. bei V. a. Hauttumor. endoskopische Biopsie: Gewebe wird über ein Endoskop mit kleiner Zange herausgeschnitten, z.B. am Magen-Darm-Trakt oder an der Blase.

26.3 Durchführung von Punktionen und Biopsien Vorbereitung Belastbarkeit des Patienten einschätzen und Patienten informieren schriftliche Aufklärung durch den Arzt Laborwerte, speziell Gerinnungswerte müssen vorliegen Patient muss 6 h vor Eingriff nüchtern sein (damit er im Notfall eine Narkose erhalten kann). Bei Kindern wird der Eingiff ggf. unter Narkose durchgeführt. Notwendige Materialien werden steril vorbereitet: Händedesinfektionsmittel, Hautdesinfektionsmittel, Desinfektionsmittelschale, sterile Tupfer Lokalanästhesie nach Anordnung, Einmalspritze, Kanülen sterile Handschuhe, steriler Einmalkittel, Mundschutz sterile Kompressen 10 × 10 cm, steriles Lochtuch Abwurfbehälter ggf. Auffanggefäß für Punktat steriler Wundverband, steriles Pflaster ggf. sterile Laborröhrchen für bakteriologische Untersuchungen Zellstoff, Abwurfschale, Pflaster, Schere Patient wird je nach Punktions- oder Biopsieort gelagert. evtl. Rasur entsprechender Punktions- oder Biopsiestelle

Mittels „Sprüh-Wisch-Sprüh-Methode“ wird Hautdesinfektion durchgeführt. Einstichstelle wird mit sterilem selbstklebendem Schlitztuch abgedeckt. ▶ Aufgaben von Pflegenden während des Eingriffs. Pflegende assistieren dem Arzt bei der Probeentnahme und beobachten den Patienten: Patient: bei der Positionierung unterstützen begleiten und informieren Schmerzen erfragen Vitalparameter erheben Materialien steril anreichen Proben für die laborchemische Untersuchung vorbereiten Nachbereitung sterilen Verband anbringen Untersuchungsmaterial beschriften und ins Labor bringen Patienten mind. 2 h nach dem Eingriff überwachen: Vitalzeichenkontrolle: Erhöhte Temperatur deutet auf eine Infektion hin. ggf. Einhaltung der Bettruhe Schmerzen: Analgetika verabreichen (siehe Kap. ▶ 21) Punktionsstelle: Verband wird auf Nachblutung kontrolliert. evtl. spezifisches Gewicht und Menge des Punktats dokumentieren Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz je nach Hausstandard und Zustand des Patienten

KOMPAKT Pflege bei Punktionen und Biopsien Bei einer Punktion wird – aus diagnostischen (z.B. zur zytologischen Untersuchung) oder therapeutischen (z.B. bei einem Pleuraerguss) Gründen – Flüssigkeit aus einem Blutgefäß, einem Organ oder einem Hohlraum abgezogen. Bei einem Punktat wird ein Transsudat (eiweißarm) von einem Exsudat (eiweißreich) unterschieden. häufigste Punktionen: Aszites-, Pleura-, Lumbal- und Knochenmarkspunktion Bei einer Biopsie wird Gewebe zur histologischen Untersuchung entnommen. Biopsiearten: Stanzbiopsie/Feinnadelbiopsie, Exzisionsbiopsie und endoskopische Biopsie Pflegerische Mitwirkung: Vorbereitung des Eingriffs (z.B. Materialien richten) Assistenz während des Eingriffs (z.B. steril anreichen) Patienten überwachen und begleiten

27 Sonden und Drainagen 27.1 Grundlagen Definition

Sonden und Drainagen Sonden und Drainagen sind künstliche Verbindungen in das Körperinnere, über die Flüssigkeiten dorthin transportiert oder von dort abgeleitet werden (z.B. Wundsekret). Sie können in der Akutsituation (z.B. Wunddrainagen) oder über einen längeren Zeitraum notwendig sein (z.B. Ernährungssonden). Probleme und Folgen, die sich aus der Anwendung von Sonden und Drainagen für Patienten ergeben können: Bewegungseinschränkungen mit erhöhtem Dekubitus-, Pneumonie- und Thromboserisiko psychische Belastung: Angst, Schamgefühl, Ekel, Unwohlsein erhöhtes Infektionsrisiko: Mikroorganismen können durch die offene Verbindung leichter in das Körperinnere eintreten. Dekubitusgefahr: durch Druck auf die Haut bzw. Schleimhaut Verwachsungen: Systeme können in das Gewebe einwachsen.

27.2 Pflege von Menschen mit Sonden Definition Sonden Flexible oder starre, meist schlauchförmige Instrumente, die in Körperkanäle und Hohlräume eingeführt werden und diagnostischen oder therapeutischen Zwecken dienen. Der Durchmesser von Sonden wird in Charrière (Ch.) angegeben.

Je nach Indikation gibt es verschiedene Typen von Sonden: Einlumige Sonden dienen meist dazu, Magensaft ablaufen zu lassen, Patienten künstlich zu ernähren oder Sauerstoff zu verabreichen. Doppelläufige Sonden besitzen ein zweites, kleineres Lumen, das z.B. zur Belüftung dient, wenn Magensaft abgesaugt werden muss.

27.2.1 Sauerstoffsonden Mithilfe von Sauerstoffsonden kann Patienten mit Dyspnoe oder Atemwegserkrankungen Sauerstoff nach Arztanordnung (Verabreichungsform, Menge, Dauer) verabreicht werden.

27.2.1.1 Applikationshilfsmittel Sauerstoffkatheter/-sonden: weiche PVCSchlauchsysteme zum Einführen in die Nase (ca. 1 cm) Sauerstoffbrillen: weiche PVC-Schlauchsysteme mit ca. 1 cm langen Einflussstutzen für beide Nasenlöcher Mehr Informationen zur Verabreichung von Sauerstoff finden Sie in Kap. ▶ 46.3.1.

27.2.2 Magensonden Magensonden (sog. gastrointestinale Sonden) werden meist nasal (selten oral) über den Ösophagus eingeführt. Die Größe der Magensonde richtet sich nach der Indikation und der Körpergröße des Patienten und liegt zwischen 7 und 15 Charrière.

27.2.2.1 Indikationen Applikation von Sondennahrung

Ableitung von gestautem Magensaft, z.B. bei Ileus oder Blutung Verabreichung von Medikamenten, z.B. bei intubierten Patienten Entleerung des Mageninhalts, z.B. nach Vergiftungen Zuführen von Spülflüssigkeit, z.B. bei einer orthograden Darmspülung Gewinnung von Magensaft, z.B. zu diagnostischen Zwecken

27.2.2.2 Sonden Ablaufspülsonden: Über Ablaufsonden kann Magensaft oder Blut ablaufen (sog. Entlastungssonden), z.B. bei einem Ileus, zur Spülung des Magens, z.B. bei Intoxikation oder zur Schienung von Anastomosen. Ernährungssonden: zur kurzfristigen (max. 4 Wochen) oralen Nahrungsaufnahme und Medikamentenverabreichung therapeutische Sonde: Linton-Nachlas-Sonde (3 Lumen): bei blutenden Magenfundusvarizen Sengstaken-Blakemore-Sonde (3 Lumen): bei Ösophagusvarizen

27.2.2.3 Kontraindikationen Fehlbildungen, Verletzungen und Tumore in Mund-, Nasen- und/oder Rachenraum Ösophagusvarizen und -tumoren (außer bei therapeutischen Sonden) Soorösophagitis Nasennebenhöhleninfektion (orale Sonden möglich)

27.2.2.4 Sondenarten PVC-Sonden: zur kurzzeitigen Anwendung (z.B. als Ablaufsonde), lassen sich leicht legen Silikon- und Polyurethansonden: längere Verweildauer (z.B. zur Ernährung auf Intensivstation), werden vom Patienten besser toleriert, sind schwieriger zu legen

27.2.2.5 Magensonde legen Das Legen einer Magensonde muss immer ärztlich angeordnet sein. Der Arzt kann es an Pflegende delegieren. ▶ Material. Siehe ▶ Abb. 27.1. Material zum Legen einer Magensonde. Abb. 27.1 Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe und Schutzschürze, Einmalunterlage (Bettschutz), Magensonde: Ablauf-/Spül-/Ernährungssonde (und eine Ersatzsonde), anästhesierendes Gleitgel, Müllabwurf, wasserfester Stift, Zellstoff und Nierenschale, ggf. Glas mit Wasser und 1 Strohhalm, Pflaster zum Fixieren, Blasenspritze (20–50 ml), Stethoskop, ggf. Indikatorstreifen (Säurenachweis), ggf. Ablaufbeutel. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020. Foto: K. Oborny, Thieme)

Vorbereitung Patienten über die Maßnahme und den Ablauf informieren Intimsphäre schützen (z.B. Sichtschutz aufstellen, Fenster und Türen schließen) Arbeitsflächen desinfizieren und Abwurf bereitstellen Materialien griffbereit legen und sinnvoll anordnen (entsprechend dem Ablauf) rückenschonende Arbeitsweise beachten Patienten sitzend oder liegend mit leicht erhöhtem Oberkörper positionieren Nase reinigen bzw. reinigen lassen − mit Watteträger und Aqua dest. oder Nase schnäuzen lassen, ggf. nasal absaugen

Einmalunterlage zum Schutz auf die Brust legen Tipp: Rechtshänder stehen an der linken Bettseite (rechts vom Patienten). Durchführung ▶ hygienische Händedesinfektion, unsterile Handschuhe und Schutzschürze anlegen Verpackung öffnen und Sonde entnehmen Länge der Magensonde abmessen: Der Patient sitzt dazu aufrecht oder ist mit erhöhtem Oberkörper positioniert. Er schaut dabei nach vorne. Länge der Sonde von der Nasenspitze über das Ohr bis zur Magengrube abmessen und mit dem Stift markieren. Dies gilt für alle Altersgruppen. Magensonde an der Spitze mit dem anästhesierenden Gel einreiben (bei Säuglingen mit abgekochtem Wasser bzw. NaCl 0,9 %). ggf. Führungsdraht/Mandrin kurz lösen und mehrmals vor-/zurückschieben (Herstellerangaben beachten!) Kopf leicht in den Nacken legen (lassen) und Sonde vorsichtig in ein Nasenloch einführen („nach unten“ Richtung Gaumen, nicht „nach oben“) Bei Erwachsenen: nach ca. 10 cm den Kopf leicht nach vorne beugen (lassen) und weiter vorsichtig vorschieben, bei Frühgeborenen/Säuglingen beugt die Pflegefachkraft bereits nach 2 cm den Kopf leicht nach vorne. Patient, sobald die Magensonde den Nasen-RachenRaum erreicht hat, zum Schlucken auffordern (Glas Wasser und Strohhalm), nicht bei Magensaftdiagnostik oder nach einer Anästhesie des Rachens. Säuglinge leicht anpusten, um Schluckreflex auszulösen. Sonde zügig bis zur Markierung vorschieben und Führungsdraht entfernen, Sonde zugfrei an der Nase

fixieren Handschuhe ausziehen und Hände desinfizieren Lage der Sonde kontrollieren: Schutzhandschuhe anziehen, mit der Blasenspritze ca. 20−50 ml Luft applizieren und gleichzeitig mit dem Stethoskop Magengeräusche abhören − bei „gurgelndem“ Geräusch liegt die Sonde richtig (Luft im Anschluss wieder vorsichtig abziehen). Alternativ mit der Blasenspritze Magensaft abziehen und mit Indikatorstreifen auf Säuregehalt testen. Lage jejunaler Sonden mit Bildgebung kontrollieren. Wird die Sonde über den Mund gelegt, den Patienten bitten, die Zunge leicht hinauszustrecken. Das Zäpfchen mit der Sonde möglichst nicht berühren (Würge- und Vagusreiz). bei korrekter Lage: Sonde an der Wange fixieren und je nach Sondenart: Ernährungssonde: Sondierung von Tee/Sondenkost Ablauf-/Spülsonde: Konnektion eines Ablaufbeutels bei Bedarf Nasenpflege durchführen Dokumentation: Datum, Sondenart, -material und Indikation, Charrière-Zahl, Seite des Nasenlochs, Länge bzw. Tiefe der Sonde, Besonderheiten bei der Durchführung, Befinden des Patienten, Handzeichen der Pflegefachkraft

27.2.2.6 Komplikationen beim Legen Der Vorgang muss abgebrochen bzw. die Sonde zurückgezogen werden, wenn: beim Einführen ein Widerstand zu spüren ist der Patient erbricht (Aspirationsgefahr)

der Patient hustet und/oder zyanotisch wird (u. U. liegt die Sonde in der Luftröhre) atemsynchrone Luftgeräusche aus der liegenden Sonde zu hören/fühlen sind (u. U. liegt die Sonde in der Luftröhre) die Lagekontrolle negativ ausfällt, d. h. die korrekte Lage nicht zweifelsfrei festgestellt wird (u. U. hat sich die Sonde im Rachen aufgerollt oder ist in der Luftröhre hängen geblieben) der Patient über Schwindel klagt oder kollabiert (u. U. Bradykardie durch Reizung des Nervus vagus)

27.2.2.7 Pflege bei liegender Magensonde Magensonde bzw. betroffene Haut (Naseneingang, rücken) mehrfach täglich inspizieren, auf Verkrustungen, Verschmutzungen und Druckstellen achten Täglich Fixierungspflaster erneuern und Position der Fixierung verändern (Dekubitusprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17.2) Verkrustungen mit warmem Wasser lösen Nasenpflege 2-mal täglich durchführen (Watteträger, Aqua dest. und Nasensalbe) Soor- und Parotitisprophylaxe durchführen (siehe Kap. ▶ 17.12) Ernährungssonden: Vor jeder Applikation (Sondennahrung, Medikament etc.) muss eine Lagekontrolle durchgeführt werden. Überprüfen, ob Markierung der Magensonde noch an der Nasenspitze liegt Ablauf-/Spülsonden: Ablaufbeutel unter Magenniveau hängend platzieren

ablaufende Flüssigkeit auf Menge, Konsistenz, Farbe, Beschaffenheit, Beimengungen sowie Geruch kontrollieren und dokumentieren, bei Auffälligkeiten Arzt informieren

27.2.3 Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) Definition PEG Die perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) ist ein mithilfe eines Endoskops künstlich gelegter Zugang zum Magen über die Bauchdecke. Sie dient der längerfristigen enteralen Ernährung. Das Legen ist eine ärztliche Aufgabe und kann nicht delegiert werden, Pflegende assistieren beim Eingriff. Die Anlage einer PEG zur Sicherstellung der Ernährung stellt in manchen Fällen ein ethisches Problem dar und sollte gerade bei palliativen Patienten immer umfassend diskutiert werden. Die Einwilligungserklärung erfolgt durch den Patienten (Patientenverfügung) oder den gesetzlichen Vertreter. Bei Kindern wird nach 3 Monaten meist auf ein Button-System umgestellt (einfachere Handhabung und kaum Einschränkungen beim Sport oder Schwimmen).

27.2.3.1 Indikationen für eine PEG ausgeprägte Dysphagie (Schluckstörung), z.B. nach Schlaganfall Wachkoma, Tumoren im Mund- und Rachenbereich wenn eine orale Ernährung länger als 30 Tage nicht möglich sein wird

27.2.3.2 Verbandwechsel PEG Täglicher aseptischer Verbandswechsel in den ersten 10 Tagen nach dem Eingriff dann alle 2–3 Tage (bei reizloser Wunde reichen sterile Kompressen mit Pflaster, Hausstandard ist maßgeblich) Wichtig: Mobilisation der Sonde (Drehen und ca. 1–3 cm hinauf und herunter bewegen), damit sie nicht an der Magenwand anwächst. Drehen nicht bei JET-PEG (Lage im Jejunum). Nach 2–3 Wochen kein Verband mehr nötig (Vernarbung erfolgt, keine Infektionsgefahr mehr). Wegen erhöhter Keimbelastung wird die PEG im Krankenhaus weiterhin mit einem Verband versorgt. Nach Abheilung sind Duschen, Baden sowie die Reinigung mit klarem Wasser und einer milden Seife möglich. Pflegende verzichten auf den dauerhaften Einsatz von Wunddesinfektionsmitteln/Salben bei reizloser Einstichstelle – diese können zu Mykosen oder Ekzemen führen.

27.2.3.3 Pflege der PEG/Button Entzündung der Einstichstelle: Arztinformation! Nach Hausstandard ein Hautdesinfektionsmittel nutzen und für trockene Wundverhältnisse sorgen (regelmäßiger Verbandwechsel, ggf. Schlitzkompresse) Verstopfung vermeiden: 1–2-mal tägliches Spülen mit 20–40 ml Wasser, vor und nach jeder Nahrungsgabe, nicht spülen mit Säften (Ausflocken) und Schwarz- und Kräutertees (Verfärbungen der Sonde); bei JET-PEG nur mit hygienischen Lösungen (z.B. NaCl 0,9 %) Verstopfung lösen: gestauten Sondeninhalt mit Spritze abziehen, mit einer 10- oder 20ml Spritze lauwarmes Wasser mit moderatem Druck applizieren

Pflege eines Button-Systems: Buttonballon mit 3–5 ml sterilem Wasser (kein NaCl 0,9 %) blocken, täglich um 360° drehen und verheilte Eintrittsstelle wie PEG reinigen, alle 3 Tage Sicherheitsverbinder ersetzen, einmal pro Woche Buttonballon entblocken und auf Dichtigkeit überprüfen, einmal pro Monat Buttonsystem komplett entfernen und kontrollieren sowie desinfizieren, nach 3–6 Monaten oder bei Defekt vollständiger Buttonwechsel

27.3 Pflege von Menschen mit Drainagen 27.3.1 Grundlagen Definition Drainage Durch eine Drainage sollen Flüssigkeiten oder Gase nach außen abgeleitet werden. Drainagen liegen in Körperhöhlen oder Geweben. Bei einer Lymphdrainage wird durch Massage Flüssigkeit im Gewebe so abgeleitet, dass sie über Lymphbahnen abtransportiert werden kann.

27.3.1.1 Indikationen Ableiten von z.B.: Blut/Sekret oder Luft, z.B. aus der Pleura oder den Gelenken Gallensekret Liquor/Blut aus den Hirnventrikeln Wundsekrete/Eiter aus Wunden

Urin über einen Blasenkatheter

27.3.1.2 Drainagesysteme offene Drainagen: Sekret wird passiv in den Verband geleitet (z.B. Easy-Flow-Drainage) halboffene Drainagen: besitzen einen Auffangbeutel, können passiv und aktiv sein (z.B. Robinson-Drainage) geschlossene Drainagen: Ableitungsschlauch und Auffangbehälter sind verbunden, Sonden sind meist aktiv, d. h. sie haben einen Unterdruck (z.B. Redon- oder Bülau-Drainage)

27.3.1.3 Drainagearten Passive Drainagen funktionieren über Schwerkraft oder Kapillarwirkung, aktive Drainagen benötigen eine äußere Sogquelle. Drainagen ohne Sog: Die Wirkung entsteht durch den Gewebedruck aufgrund der Schwerkraft. Durch den Höhenunterschied wird das Sekret in den Sekretbeutel gesogen und kann mithilfe des Auslassventils abgelassen werden (z.B. Robinson-Drainage oder Kapillardrainage [Gummilasche, Easy-Flow-Drainage oder PenroseDrainage]). Drainagen mit Sog: Mittels Unterdruck in der Sekretflasche werden Wundflüssigkeiten und Blut durch die Sogwirkung (ca. 0,9 bar) kontinuierlich aus dem Gewebe abgesaugt (z.B. Redondrainage). Des Weiteren kann unterschieden werden in: innere Drainagen: Sie werden operativ angelegt und dienen vor allem der Umgehung von inneren Hindernissen. äußere Drainagen: Sie werden wesentlich häufiger angelegt, die Ableitung erfolgt aus dem Körperinneren

nach außen.

27.3.1.4 Umgang mit Drainagen Die Anlage einer Drainage ist eine ärztliche Tätigkeit. Pflegende achten darauf, dass Drainagen frei ablaufen können und kontrollieren ggf. den Sog. Schwerkraft-Drainagen unterhalb des Niveaus der Austrittsstelle positionieren größtmögliche Bewegungsfreiheit für den Patienten ermöglichen Patienten zum Umgang mit Drainagen aufklären und anleiten (kein Kontakt mit dem Fußboden, keine Manipulation, kein Zug) Ableitungsschlauch patientennah fixieren, sodass er nicht abknicken kann Auf zugfreie, abgepolsterte, durchgängige und unter Körperniveau fixierte Ableitung achten

27.3.1.5 Beurteilungskriterien und Dokumentation Grundsätzlich nach der Anlage: Drainagesystem, Lokalisation, Anzahl, Anlagedatum der Drainagen tägliche Beobachtung des Wundsekrets: Aussehen, Menge (tritt sehr viel seröses Sekret aus, Arzt informieren), Geruch (nur bei offenem System möglich), Konsistenz, Beimengungen, Farbe

27.3.1.6 Wechsel der Ablaufsysteme nach ärztlicher Anordnung, wenn der Auffangbehälter voll ist, oder bei Verlust des Sogs (z.B. bei Redondrainagen) möglichst keine Manipulation am geschlossenen System (Gefahr aufsteigender Infektionen)

Diskonnektionsstelle wird vor dem Wechsel desinfiziert, ggf. vorhandene Klemmen schließen. Neues Auffangsystem wird mithilfe der ▶ Non-TouchTechnik mit Drainagesystem verbunden. Klemmen öffnen. Dokumentation des Wechsels/des neuen Auffangbehälters

27.3.1.7 Komplikationen Infektionen: erfolgen oft aufsteigend entlang des Drainageschlauchs Arrosion: Ableitung verwächst mit Gewebe Dislokation: durch Bewegung des Patienten Schmerzen: durch Stauung des Sekrets oder zu straffen Verbands

27.3.2 Thorax- und Pleuradrainagen Definition Thorax- und Pleuradrainagen Thoraxdrainagen leiten Flüssigkeit und/oder Luft aus Brustkorb (Thorax), Pleuraspalt oder Mediastinalraum ab. Pleuradrainagen zählen zu den Thoraxdrainagen. Sie leiten Flüssigkeit und Luft aus dem Pleuraspalt, um den physiologischen Unterdruck der Pleura zur Entfaltung der Lungen wiederherzustellen. Häufig werden die Begriffe synonym verwendet. Thoraxdrainagen werden in der Herzchirurgie zur Ableitung von Blut- oder Wundsekret aus dem Operationsgebiet eingesetzt und fungieren dabei als normale Wunddrainagen.

Pleuradrainagen sind sehr verbreitet, sie zählen zu den geschlossenen aktiven Drainagen.

27.3.2.1 Indikationen von Pleuradrainagen geschlossener und offener Pneumothorax (Luft im Pleuraspalt) Hämatothorax (Blut im Pleuraspalt) Hämatopneumothorax (Blut und Luft im Pleuraspalt) Serothorax/Pleuraerguss (seröse Flüssigkeit im Pleuraspalt) Pyothorax/Pleuraempyem (Eiter im Pleuraspalt) Chylothorax (Lymphe im Pleuraspalt)

27.3.2.2 Pleuradrainagensysteme Bülau-Drainage: zur Ableitung von Sekreten oder Luft aus dem Pleuraspalt Monaldi-Drainage: zur Ableitung von Luft, Pleuraspülung, z.B. bei Tuberkuloseherden

27.3.2.3 Auffangsysteme Einflaschensystem: Mit diesem System kann Luft aus dem Pleuraspalt entweichen, jedoch nicht zurückströmen. Außerdem kann es Sekret ableiten, wenn es sich unterhalb des Patientenniveaus befindet und nach dem Schwerkraftprinzip agiert. Zweiflaschensystem: Dem Wasserschloss ist eine weitere Kammer vorgeschaltet, die das Sekret auffängt. Dreiflaschensystem: Hier wird aktiv gesaugt. Die dritte Flasche wird auch als Saugkontrollkammer oder Sogbegrenzungskammer bezeichnet. Einwegsysteme funktionieren wie Dreiflaschensysteme und haben zusätzlich verschiedene Sicherheitsventile.

elektrische Thoraxdrainage: Der Unterdruck wird durch eine akkubetriebene Saugpumpe erzeugt. Die Parameter des Verlaufs werden auf einem Display angezeigt. Am gebräuchlichsten sind die Einwegsysteme mit 3 Kammern (Dreiflaschensystem).

27.3.2.4 Pflegerische Aufgaben aseptischer Verbandwechsel nach Arztanordnung Patienten beobachten: Atemfrequenz und -rhythmus, Geräusche, Schmerzen, Emphysem, Entzündungszeichen Menge und Aussehen des Sekrets beurteilen und dokumentieren Fixierung kontrollieren Saugsystem auf Funktion und Dichtigkeit prüfen eingestellte Stärke des Sogs kontrollieren bei System mit Steigrohr-Manometer: überprüfen, ob dieses ständig „blubbert“ (ständiges Blubbern kann Hinweis auf Pneumothorax sein) Wechsel des Einmalsystems: Drainage mit zwei Kunststoffschlauchklemmen abklemmen, Sog ausstellen und über Belüftungsventil Unterdruck ablassen, System wechseln (Non-Touch-Technik), Sog wieder einstellen und Klemmen entfernen ▶ atemunterstützende Maßnahmen durchführen (Pneumonie- und Atelektasenprophylaxe)

27.3.2.5 Komplikationen Blutungen Fehlpunktion, z.B. Punktion der Lunge, Verletzung von Nerven, Zwerchfell oder bei zu tiefer Punktion der Bauchorgane und Thoraxorgane (z.B. Herz)

▶ Herzrhythmusstörungen Infektion der Punktionsstelle, aufsteigende Infektion über die Drainage Hautemphysem (pathologische Luftansammlung in der Subkutis)

27.3.2.6 Information des Arztes Bei: Verschlechterung der Atemsituation des Patienten Infektion oder ▶ Schock Drainage fördert Luft („blubbern“) Bildung eines Hautemphysems Patient hat Schmerzen aufgrund der Drainage. Menge und/oder Aussehen des Sekrets ändern sich.

KOMPAKT Sonden und Drainagen allgemeine Probleme: Bewegungseinschränkungen, psychische Belastung, ggf. soziale Einschränkungen, erhöhtes Infektionsrisiko, Dekubitusgefahr, Verwachsungen Sonden: Starre PVC-Sonden dürfen nur wenige Tage liegen (z.B. als Ablauf-Spülsonde oder zu therapeutischen Zwecken). Silikon- und Polyurethansonden sind zur kurzzeitigen Ernährung (max. 4 Wochen) zu verwenden.

PEG-Sonden oder ein Button-System (häufig bei Kindern) dienen der längerfristigen Ernährung. Drainagen: patientengerechte Aufklärung über den Umgang mit der Drainage steriler Verbandwechsel nach Arztanordnung, auf Anzeichen von Komplikationen achten (z.B. Entzündungszeichen an der Einstichstelle, Körpertemperaturanstieg), Dokumentation des Sekretes (Menge, Farbe), Kontrolle des Sogs und der Dichtigkeit der Drainage

28 Wundmanagement 28.1 Grundlagen Definition Wunde Schädigung der Haut und ggf. des darunterliegenden Gewebes.

28.1.1 Wundarten und Wundbeurteilung 28.1.1.1 Akute Wunden Ursache: äußere Gewalteinwirkung (Trauma) Arten: Schnitt-, Stich-, Biss-, Schuss-, Schürfwunden, Verbrennung, Verätzung, Strahlung, Stromschlag Heilung: in der Regel unkompliziert ohne Wundheilungsstörung (Infektion)

28.1.1.2 Chronische Wunden Ursache: Wundart (z.B. sekundäre Wundheilung), Begleiterkrankungen und umstände, z.B. chronisch venöse Insuffizienz, Polyneuropathie, Malnutrition oder ▶

pAVK Arten: Ulcus cruris unterschiedlicher Genese, Dekubitus, diabetisches Fußulkus, ulzerierende Tumoren Heilung: dauert länger als 8 Wochen an, Behandlung muss immer eine Therapie der Grunderkrankung beinhalten, siehe auch den Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“

Merke Psychische Belastung Die psychische Belastung bei chronischen Wunden ist hoch! Oft isolieren sich die Betroffenen z.B. aufgrund von Wundaussehen oder Geruch.

28.1.1.3 Entstehungsursache Für die Wundbehandlung und den Heilungsverlauf ist es wichtig, die Entstehungsursache zu kennen. Man unterscheidet dahingehend folgende Wunden: mechanische Wunden: durch Schürf-, Schnitt-, Stich-, Schuss-, Platz-, Quetsch-, Kratz-, Riss und Bissverletzungen, auch Ablederungen (Décollement) und Pfählungsverletzungen thermische Wunden: durch Verbrennungen (Hitze oder Strom) sowie Erfrierungen, Schweregrad je nach Temperatur, Dauer und Intensität der Einwirkung chemische Wunden: durch Kontakt mit Säuren, Laugen oder Gasen (z.B. Verätzung) strahlenbedingte (aktinische) Wunden: durch Röntgenstrahlung, radioaktive Strahlen oder starke UV-Strahlen, ähneln Brandwunden, heilen jedoch problematischer iatrogene Wunden: durch operative Eingriffe, z.B. Punktionen, Gewebeentnahmen Ulkus-Wunden: durch Durchblutungs- und Stoffwechselstörungen, Tumoren, Hautinfekte, systemische Erkrankungen, die ein Magen-/Darmgeschwür nach sich ziehen

28.1.1.4 Offene und geschlossene Wunden offene Wunde: Die Haut- oder Schleimhautoberfläche ist zerstört, die Wunde ist von außen sichtbar und offen (z.B. Schnittwunde). geschlossene Wunde: Die Hautoberfläche ist intakt, das darunterliegende Gewebe ist jedoch geschädigt, z.B. Bindegewebe, Muskeln, Sehnen, Bänder, Knochen.

Charakteristisch: Hämatome, Schwellungen, Bewegungseinschränkungen.

28.1.1.5 Grad der Keimbesiedelung Je nach Grad der Kontamination werden Wunden folgendermaßen unterschieden: aseptische Wunden: nahezu keimfrei und ohne Entzündungszeichen, meist durch Operation zugefügt oder auch frische Verletzungen (z.B. Schnittwunden), die nicht älter als 4–6 h sind. Die Wundränder sind glatt und liegen nah beieinander. Die Wundheilung verläuft komplikationsfrei, der Verschluss erfolgt durch Klammern, Nähte, Pflaster. kontaminierte Wunden: bakteriell besiedelte Wunden, solange die Immunabwehr intakt ist ohne Entzündungszeichen (z.B. Verbrennung, Drainageausgänge, Tracheostoma). Die Wunden werden meist offen behandelt. Die Wunde heilt langsam

vom Wundgrund ausgehend, ggf. kommt es zu Wundheilungsstörungen, Narbenbildung. kolonisierte Wunden: vermehrungsfähige Bakterien sind in der Wunde enthalten, haben jedoch keinen Einfluss auf die Wundheilung, keine Entzündungszeichen. Durch bloßes Betrachten kann nicht zwischen kontaminierten und kolonisierten Wunden unterschieden werden. kritisch kolonisierte Wunden: infektgefährdete Wunde mit zunehmender Exsudation und Rötung infizierte Wunden: bakterielles Wachstum mit Keimbesiedelung, hohe Keimbelastung, typische Entzündungszeichen (Rötung, Schwellung, Schmerz, Wärme und Funktionseinschränkung), Wunde sondert Exsudat ab, übelriechend, Gefahr der systemischen Infektion meist mit Fieber und Entzündung des Unterhautgewebes, evtl. ▶ Sepsis

28.1.2 Prinzipien der Wundheilung Beim Heilungsprozess wird zwischen primärer und sekundärer Wundheilung unterschieden. primäre Wundheilung: Das Wundgebiet ist sauber, keimfrei und gut durchblutet, z.B. bei aseptischen OP-Wunden oder frischen Schnittwunden. Glatte, nah aneinander liegende Wundränder können genäht oder geklammert werden. Nach ca. 10–12 Tagen ist eine primäre Wundheilung abgeschlossen und es verbleibt eine feine Narbe. sekundäre Wundheilung: Das Wundgebiet ist stark verschmutzt, die Wundränder sind zerklüftet, die Wunde ist sehr tief (z.B. bei Dekubitus, Ulcus cruris) oder älter als 6 h. Solche Wunden dürfen nicht verschlossen werden, sondern müssen offen, also sekundär heilen. Mit der Zeit granuliert die Wunde von unten nach oben zu und es bildet sich Epithelgewebe, das die Wunde verschließt. Es bleibt eine Narbe zurück.

28.1.3 Phasen der Wundheilung Die Wundheilung verläuft in 3 Phasen ( ▶ Abb. 28.1): 1. Exsudationsphase (Reinigungs-, Inflammations- oder Entzündungsphase): Bei Verletzung werden Blutgefäße zerstört, die Wunde blutet und Wundexsudat tritt aus. Fremdkörper und Bakterien werden so ausgeschwemmt. Eine Engstellung der Gefäße (Vasokonstriktion) wirkt weiterem Blutverlust entgegen und das durch die Blutgerinnung gebildete Fibrin verklebt die Wunde. Makrophagen (Fresszellen) beseitigen Fremdkörper und Bakterien durch Phagozytose. 2. Proliferationsphase (Granulationsphase): Neues Gewebe füllt die Wunde auf. Bindegewebszellen (Fibroblasten) wachsen in den Schorf ein. Die Fibroblasten produzieren Kollagen zur Festigung von Gewebe. Kapillargefäße sprießen ein und Endothelzellen lagern sich an. Es entsteht neues, gefäßreiches Granulationsgewebe. 3. Regenerationsphase (Epithelisierungsphase): Fibroblasten werden zu Fibrozyten und Myofibroblasten und bewirken, dass sich die Oberfläche zusammenzieht. Das Granulationsgewebe verliert Wasser, Epithelzellen überziehen das bestehende Gewebe mit feinem Epithel (oberste Zellschicht der Haut), indem sie vom Wundrand in die Mitte wandern. Die Zellschicht verdickt sich und die Wunde schließt sich von außen nach innen.

Wundheilungsprozess. Abb. 28.1 Die einzelnen Phasen können sich überlappen und teilweise parallel ablaufen. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020. Foto: K. Oborny, Thieme)

Merke Phasengerechte Wundtherapie Moderne Wundauflagen unterstützen die Wundheilung phasengerecht. Ein feuchtwarmes Wundmilieu trägt zur Wundheilung bei (optimale Granulation/Epithelisierung ab 28°C).

28.1.3.1 Wundheilungsstörung Die Wundheilung kann durch lokale oder systemische Faktoren gestört werden. Lokale Störfaktoren Schorfbildung Hypergranulation (überschießende Bildung von Granulationsgewebe) Fremdkörper in der Wunde Keimbesiedlung, ggf. Infektionen, Beläge, Nekrosen Nahtdehiszenz durch vermehrten Zug auf noch zu schwach durchwachsene Wunde Hämatome, Ödeme Druck auf betroffene Region unzureichende Ruhigstellung (z.B. Gelenknähe) Wunddehiszenz durch Spannung auf Wundränder (Folge: Wundränder klaffen auseinander) vorgeschädigtes Gewebe Austrocknung oder Auskühlung der Wunde (z.B. durch Wundspülung mit zu kalter Lösung) Systemische Störfaktoren systemische Infektionen (gelangen Bakterien über die Wunde in die Blutbahn, besteht die Gefahr einer Sepsis oder eines septischen Schocks) Alter (Durchblutung und Regeneration der Haut nehmen im Alter ab)

Allgemeinzustand (z.B. Stress, Rauchen, Alkohol, geschwächter Immunzustand) Grunderkrankung (z.B. Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Durchblutungsstörungen wie pAVK) psychische Belastungen (z.B. psychische Erkrankung kann Mitarbeit und Kooperationsbereitschaft einschränken, Alkohol- oder Drogenabusus) Ernährung (z.B. geringe Flüssigkeitszufuhr, mangelhafte Ernährung, Eiweißmangel) Medikamenteneinnahme (z.B. Antibiotika, Diuretika, Zytostatika) beeinflussen den Wundheilungsprozess negativ

ACHTUNG Für eine erfolgreiche Wundbehandlung ist es wichtig, die lokalen und systemischen Störfaktoren zu kennen und sie zu beseitigen, bevor mit der eigentlichen Wundbehandlung begonnen wird!

28.2 Moderne Wundtherapie 28.2.1 Wundreinigung Die Wundbehandlung beginnt mit der Wundreinigung. Um Infektionen vorzubeugen und die Wunde genau beurteilen zu können, müssen zunächst Verschmutzungen, überschüssiges Wundexsudat, Verbandsreste, Beläge, Zelltrümmer, Nekrosen oder der Biofilm entfernt werden.

Merke Vollständige Benetzung Bei der Wundreinigung muss die komplette Wundoberfläche erfasst und mit der Wundspüllösung unter Berücksichtigung der Einwirkzeit vollständig benetzt sein. Alle Wunden (primär/sekundär heilend, infiziert) werden von innen nach außen gereinigt. Durch diese Wischrichtung wird die Gefahr verringert, dass zusätzliche Erreger in die Wunde gelangen. Die Reduktion von Erregern in der Wunde ist das Ziel der Wundreinigung. Wunden werden grundsätzlich per Wischen und nicht per Tupfen gereinigt (jeweils eine neue sterile Kompresse bzw. ein neuer steriler Tupfer pro Wischvorgang). primär heilende, aseptische Wunden: mechanische Reinigung mit sterilem Tupfer oder steriler Kompresse, angefeuchtet mit Wundspüllösung, z.B. NaCl 0,9 %, Ringerlösung (je nach Hausstandard). Bei Infektionen wird nach ärztlicher Anordnung ein Antiseptikum verwendet. sekundär heilende Wunden: umfassende Reinigungsmaßnahmen durch Débridement (z.B. chirurgisch, mechanisch) und Wundspülung.

Merke Débridement

Die Abtragung von abgestorbenem Gewebe (z.B. Fibrinbeläge, Nekrosen) oder Fremdkörpern bis an intakte anatomische Strukturen heran wird als Débridement (Wundtoilette) bezeichnet. Wichtig: frisch gebildetes Gewebe sollte dabei nicht entfernt werden.

28.2.1.1 Mechanisches Débridement Ziel: nicht festhaftende Zellbestandteile und Biofilm entfernen Vorgehen: Beläge und Verschmutzungen mit geeigneter Wundspüllösung (bei nicht infizierter Wunde) oder einem Antiseptikum (bei infizierter Wunde) unter Verwendung steriler Kompressen oder Tupfer auswischen oder spülen.

28.2.1.2 Chirurgisches Débridement Ziel: Nekrosen oder Fibrinbeläge abtragen Vorgehen: Wunde wird chirurgisch mit Skalpell, Pinzette etc. gereinigt (ärztliche Tätigkeit). Der Eingriff ist invasiv und nicht gewebeschonend. Daher wichtig: rechtzeitige, lokale Analgesie, da die Abtragung sehr schmerzhaft sein kann.

ACHTUNG Das chirurgische Débridement nicht bei Gerinnungsstörungen oder Einnahme von Gerinnungshemmern durchführen. Grundsätzlich gilt: Vor jedem Débridement die Durchblutungssituation des betroffenen Gewebes klären.

28.2.1.3 Wundspülung Wundspüllösungen sollten grundsätzlich steril, physiologisch, erwärmbar, nicht resorbierbar, reizlos, farblos, nicht ätzend und atraumatisch sein. Die Lösung sollte vor Gebrauch auf Körpertemperatur angewärmt werden. Kalte Spüllösungen verursachen Schmerzen und Kältereize behindern die Wundheilung. unkonservierte Spüllösungen: Ringerlösung oder physiologische Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %), Anwendung bei nicht infizierten Wunden, nach Anbruch verwerfen konservierte Spüllösungen: Ringerlösung oder NaCl mit Konservierungsstoff, z.B. Prontosan, Lavasorb, Octenilin; nicht für infizierte Wunden, Aufbrauchfristen nach Herstellerangaben Antiseptika: Octenidin oder Polihexanid, antiseptische Wirkung (Erreger werden abgetötet), Einwirkzeit beachten, Anwendung bei infizierten Wunden, nicht für den dauerhaften Gebrauch geeignet, Kontraindikationen beachten (z.B. nicht auf Knorpelgewebe) PVP-Jod: z.B. Betaisodona, antiseptische Wirkung, Nachteil: Verfärbung der Wunde erschwert die Wundbeurteilung, außerdem Kontraindikationen (z.B. Schilddrüsenerkrankungen)

Merke Leitungswasser – ja oder nein? Laut der Empfehlung „Infektionsprävention in Heimen“ (2005) des Robert-Koch-Instituts (RKI) dürfen zum Spülen von Wunden nur sterile Lösungen verwendet werden. Verkeimte Duschköpfe und Ablagerungen in den Leitungsrohren können das Wasser und somit auch die mit Wasser gespülte Wunde kontaminieren.

Vorbereitung unsteriles Material pflegeempfängernah herrichten: Händedesinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Bettschutz, ggf. Nierenschale (zum Auffangen der Spüllösung), Abwurfbehälter steriles Material pflegeempfängerfern herrichten: Spritze (20-ml-Spritze oder Blasenspritze), ggf. Knopfkanüle oder Einmalspülkatheter. Auf Körpertemperatur angewärmte Spüllösung, z.B. Ringerlösung, NaCl 0,9 % oder konservierte Spüllösung (z.B. Prontosan), bei infizierten Wunden (z.B. Octenisept), ggf. Verbindungsspike oder Kanüle. Anatomische Pinzette, Kugeltupfer bzw. Kompressen Desinfektion: Hände und Arbeitsfläche Durchführung Pflegeempfänger informieren, Besucher aus Zimmer bitten ggf. zuvor ein Schmerzmittel nach ärztlicher Anordnung verabreichen Fenster schließen, Sichtschutz, Bett auf Arbeitshöhe stellen Pflegeempfänger auffordern, sich so zu positionieren, dass Wunde versorgt werden kann und er bequem liegt Materialien zur Wundspülung ordnungsgemäß herrichten Spüllösungen auf Körpertemperatur anwärmen ▶ Händedesinfektion, unsterile Handschuhe anziehen alten Verband entfernen, alte Wundauflage inspizieren unsterile Handschuhe verwerfen, Händedesinfektion neue unsterile Handschuhe anziehen, Spüllösung mittels Spritze in die Wunde geben, so lange spülen, bis klare Flüssigkeit aus der Wunde zurückfließt ist eine Wundtasche zu spülen, sterile Knopfkanüle oder Einmalkatheter verwenden eingebrachte Spülflüssigkeit sollte wieder komplett herauslaufen Wundumgebung mit sterilen Kompressen trocken wischen

Merke Wunde steril versorgen Achten Sie darauf, dass nur sterile Materialien mit der Wunde in Berührung kommen.

28.2.2 Phasengerechte Wundversorgung Eine moderne Wundauflage … hält die Wunde feucht und warm, schützt vor Sekundärinfektionen, verhindert Wärmeverluste, absorbiert überschüssiges Wundexsudat, ermöglicht den Gasaustausch, gibt keine Fasern oder Fremdstoffe ab,

schützt das empfindliche neue Gewebe unterstützt einen atraumatischen Verbandwechsel und ist wirtschaftlich.

28.2.3 Auswahl der Wundauflage Angepasst an die Wundheilungsphase wird die geeignete Wundauflage ausgewählt ( ▶ Tab. 28.1 ). Entscheidungskriterien: Welches Wundstadium, welche Heilungsphase liegt vor? Infektionszeichen (Rötung, Schwellung, Schmerz …)? Wie ist der Hautzustand? Wie sehen die Wundränder aus? Wie viel Exsudat wird produziert? Wie ist die Schmerzsituation des Pflegeempfängers? Besteht Wundgeruch, muss dieser gebunden werden? Wie ist die Kontinenzsituation? Bedürfnisse des Pflegeempfängers: Wird die Auflage toleriert? Einfache Handhabung der Auflage? Kann die Wundauflage schmerzfrei entfernt werden? Ist die Versorgung wirtschaftlich?

28.2.3.1 Arten von Wundauflagen Hydrogele wirken autolytisch, unterstützen durch Abgabe von Feuchtigkeit den Abbau von Nekrosen und Fibrinbelägen. hydroaktive Wundauflagen zur Nasstherapie: kontinuierliche Abgabe von Ringerlösung. Wundexsudat und Abfallstoffe werden aufgenommen und gebunden. Alginate: Wundexsudat, Zelltrümmer und Bakterien werden aufgesaugt. Blutstillende Wirkung durch Kalzium silberhaltige Wundauflagen: Die bakterizide Wirkung des Silbers tötet Keime auf physikalische Weise ab. Aktivkohleauflagen mit Silber hemmen die Funktion der Bakterienenzyme, Gerüche und Toxine werden gebunden. Hydrophobe Wundauflagen: Bakterien werden gebunden und können beim Verbandwechsel entfernt werden. Aktivkohlekompressen: große Saugkapazität, binden Eiweißmoleküle und Bakterien, dadurch geruchsbindend Vlieskompressen mit Superabsorber: hohe Saugleistung, feuchtes Mikroklima der Wunde wird aufrechterhalten Hydrofaser: Bei Kontakt mit der Wunde verwandelt sich die Wundauflage in ein transparentes Gel. Wundexsudat wird in vertikaler Richtung aufgenommen, dadurch bleibt die Wundumgebung trocken. Feinporige Polyurethanschaum-/Hydropolymerverbände: hohes Absorptionsvermögen, Wunde trocknet aber nicht aus. Keime, Zelltrümmer und überschüssiges Wundexsudat werden in Polyurethanschaumstruktur eingeschlossen.

Hydrokolloidverbände nehmen überschüssiges Wundexsudat auf und bilden ein gelbes, übelriechendes Gel (nicht zu verwechseln mit Eiter), macht eine Wundspülung erforderlich. Hydrokolloidähnliche Wundauflagen: Weiterentwicklung der Hydrokolloidverbände, durch Transparenz gute Wundbeobachtung möglich, keine Gelbildung Hydrogelkompressen wirken rehydratisierend bei trockenen Wunden, atraumatischer Verbandwechsel möglich und kühlender, schmerzlindernder Effekt. Semipermeable Transparentfolienverbände: durch Transparenz gute Wundbeobachtung möglich. Semipermeable Transparentfolie ist wasser- und keimdicht und bietet Infektionsschutz. Exsudat kann nicht aufgenommen werden. Vakuumtherapie: Schaumstoffverband wird auf Wundoberfläche gebracht, mit Folie abgeklebt und an Vakuumquelle angeschlossen, Wundsekret und toxische Zerfallsprodukte werden kontinuierlich abgesaugt und ein feuchtes Wundmilieu bei gleichbleibenden Temperaturen aufrechterhalten.

28.2.3.2 Wechselintervall Das Intervall ist abhängig von … der Heilungsphase und dem Zustand der Wunde, der Exsudatmenge (Aufnahmefähigkeit der Wundauflage) und den Herstellerangaben.

Merke Wechselintervall von Wundauflagen Grundsätzlich gilt: „So häufig wie nötig und so selten wie möglich.“ Tab. 28.1 Wundauflagen in den einzelnen Wundstadien. Wundstadium

Beschreibung

Wundau

Wundstadium Nekrose

Beschreibung Avitales Gewebe behindert Wachstum gesunder Zellen und bietet Bakterien optimalen Nährboden zur Ansiedlung und Vermehrung. Wird im Rahmen des chirurgischen Débridements abgetragen. Beschaffenheit: trocken bis feucht Farbe: schwarz, braun, grünlich bis gelb

Fibrinbeläge

Fibrinbeläge können die Heilung behindern. Bei chronischen Wunden kommt es zur vermehrten Fibrinbildung. Beschaffenheit: fest bis weich Farbe: gelb bis bräunlich (meist geruchlos)

Wundau trockene Hyd Hyd hyd feuchte Alg Hyd

Wundstadium infizierte Wunde

Wundgeruch

Beschreibung

Wundau

bakterielles Wachstum, Keimbesiedlung ist auf den Körper übergegangen

silb

Infektionszeichen

Wu

z.B. bei Tumorwunden oder infizierten Wunden

Akt

psychische Belastung und Einschränkung der Lebensqualität

hyd Ant

Wundstadium stark exsudierende Wunde

Beschreibung Exsudat ist prinzipiell gut und wichtig, hält die Wunde feucht, spült u. a. Zelltrümmer aus der Wunde.

Wundau Vlie fein Sup

Große Wundexsudationsmengen (z.B. durch Infektion) sind primär ursächlich zu behandeln.

unterminierte Wunde

Tiefe Taschen, Wundhöhlen und Fisteln erschweren die Wundversorgung, da die Wundauflage Kontakt zum Wundgrund benötigt. Wundhöhlen müssen aufgefüllt werden, sonst schließt sich die Wunde nur oberflächlich und im Inneren bleibt ein infektgefährdeter Hohlraum zurück.

Alg Cav Hyd Achtung: rückstand

Wundstadium granulierende Wunde

Beschreibung Granulationsgewebe ist gut durchblutet, gekörnt, feucht, glänzend, sauber und rot gefärbt. Neues Gewebe ist sehr empfindlich, deshalb ein Produkt wählen, das Wundruhe gewährleistet.

epithelisierende Wunde

Die Wunde wächst vom Rand her langsam zu, neues Gewebe wird gebildet. Die Wundexsudation nimmt ab.

Wundau fein Poly Hyd hyd Hyd

tran hyd Hyd sem

Wunde in dieser Phase vor Austrocknung schützen, lange Wundruhe gewährleisten durch atraumatischen Verbandwechsel.

Nach: Protz K, Timm JH. Wundmanagement. In: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020. Fotos: K. Protz, Thieme

28.2.4 Verbandwechsel 28.2.4.1 Grundregeln Jeder Verbandwechsel ist aseptisch durchzuführen. ▶ Händedesinfektion vor und nach jedem Kontakt mit dem Pflegeempfänger, vor jeder aseptischen Maßnahme, nach jedem Kontakt mit kontaminierten Substanzen wasserabweisende Schutzkleidung/Einmalschürze tragen Zopf oder Haarschutz tragen keine lackierten Fingernägel, künstliche Nägel oder Gelnägel tragen

unsterile Handschuhe anziehen, sterile Instrumente verwenden, nach dem ▶ NonTouch-Prinzip arbeiten nur sterile Materialien im direkten Wundkontakt einsetzen Verfallsdatum der eingesetzten Materialien beachten, keine angebrochenen Materialien verwenden Wundauflage nur zuschneiden, wenn dies laut Hersteller gestattet ist sterile von unsterilen Materialien trennen nicht über sterile Materialien hinweg arbeiten Sterilverpackungen nur an den dafür vorgesehenen Laschen öffnen jede Arbeitsfläche vor Nutzung wischdesinfizieren evtl. kontaminierte Flächen umgehend desinfizieren jede Keimverschleppung vermeiden aufwendige Verbandwechsel zu zweit durchführen Schmerzen berücksichtigen, ggf. Medikamentengabe für Verbandswechsel, schmerzvermeidend arbeiten z.B. durch bequeme Lagerung, unnötige Reize wie Berührungen oder Druck vermeiden, bei Bedarf Pause einlegen

Merke Reihenfolge Wundversorgung Sind mehrere Wunden nacheinander zu versorgen, gilt folgende Reihenfolge: 1. aseptische Wunden 2. kontaminierte und kolonisierte Wunden 3. infizierte, septische Wunden 4. Wunden, die mit MRSA oder anderen multiresistenten Erregern besiedelt sind. So wird das Risiko für Keimverschleppung deutlich reduziert! ▶ Non-Touch-Technik . Non-Touch-Technik (engl. no touch = keine Berührung) bedeutet, dass die Wunde nur mit sterilen Instrumenten oder sterilen Handschuhen in Kontakt kommen darf. Es kann somit ein Vorgehen ausgewählt werden: 1. arbeiten mit unsterilen Handschuhen und steriler Pinzette oder 2. arbeiten mit sterilen Handschuhen.

28.2.4.2 Verbandwechsel bei primären und sekundären Wunden Vorbereitung Pflegeempfänger informieren, geeigneten Zeitpunkt auswählen, ggf. Schmerzmittel rechtzeitig vor Verbandwechsel verabreichen, Intimsphäre schützen, Besucher aus dem Raum bitten, Bett auf Arbeitshöhe stellen, auf guten Lichteinfall achten Materialien auf wischdesinfiziertem Tablett oder Verbandwagen vorbereiten: unsterile Einmalhandschuhe, sterile Kompressen bzw. Tupfer, sterile Pinzetten, Schutzkleidung anziehen (keine langärmeligen Jacken oder Kittel tragen), bei Erkältungen des Personals Mund-Nasenschutz anlegen, Verbandmaterial und Wundspülung/Antiseptika nach ärztlicher Anordnung, Reinigungs- und

Hautdesinfektionsmittel bei primär heilenden Wunden, Fixiermaterialien, Schere, Abwurfbehälter, Steriles fern vom Pflegeempfänger, Unsteriles nah am Pflegeempfänger anordnen Verbandwechsel bei primär heilenden Wunden ▶ Händedesinfektion, alten Verband mit unsterilen Handschuhen entfernen, Verband und Handschuhe im Abwurf verwerfen Wunde inspizieren, Hände erneut desinfizieren, unsterile Handschuhe anziehen ggf. Sprühdesinfektion mit passendem Hautdesinfektionsmittel mit steriler Pinzette und steriler Kompresse/Kugeltupfer Wundrand von innen nach außen wischen Wunde nach ärztlicher Anordnung versorgen, ggf. Klammern/Fäden ziehen Handschuhe verwerfen, Hände desinfizieren, VW dokumentieren Verbandwechsel bei sekundär heilenden Wunden Händedesinfektion, alten Verband mit unsterilen Handschuhen entfernen, alten Wundverband inspizieren (z.B. Geruch, Wundexsudatmenge), Wundverband verwerfen, Handschuhe ausziehen, Händedesinfektion, neue Handschuhe anziehen sterile Wundreinigung durchführen, pro Wischgang neue Kompresse verwenden gereinigte Wunde inspizieren (Wundrand, Wundgrund, Wundumgebung, Exsudat, Lokalisation, Geruch, Farbe, Tiefe) Handschuhwechsel, Händedesinfektion, ggf. Fotodokumentation phasengerechte Wundversorgung mit entsprechenden Produkten, dazu Händedesinfektion, Handschuhe, sterile Arbeitsmaterialien und Arbeitsweise Wundverband fixieren, Handschuhe entsorgen und hygienische Händedesinfektion Arbeitsfläche reinigen und Material entsorgen Hände desinfizieren, anschließend Wunddokumentation

28.3 Wunddokumentation Aufgabe und Funktion: Grundlage für eine koordinierte Therapie macht den Verlauf einer Wundbehandlung nachvollziehbar ermöglicht Koordination im behandelnden Team rechtliche und ökonomische Absicherung: Maßnahmen, die nicht dokumentiert sind, gelten als nicht durchgeführt. Je nach Einrichtung gibt es spezielle Wunddokumentationsbögen oder EDV-gestützte Systeme.

28.3.1 Schriftliche Dokumentation Zur schriftlichen Wunddokumentation gehören eine Wundanamnese und ein Wundassessment (Wundeinschätzung).

28.3.1.1 Wundanamnese

Die erfassten Daten der Wundanamnese bilden die Grundlage für die Wunddokumentation. Beispiele für Daten: relevante Angaben zum Pflegeempfänger: z.B. Alter, Erkrankungen, Kontinenzsituation, Medikamente, soziales Umfeld, Lebensgewohnheiten (Rauchen, Alkohol, Bewegung und Ernährung) Wissen über Krankheit (Pflegeempfänger/Angehörige): Wundursache, Bedeutung von Maßnahmen, Symptome, Wundheilung Wund- und therapiebedingte Einschränkungen: z.B. Schmerzen, Einschränkungen in Mobilität/Kleidung/Schlaf/Hygiene, Begleiterscheinungen (z.B. Gerüche), psychosoziale Aspekte wie soziale Isolation und Ängste vorhandene Hilfsmittel (wundbezogen): z.B. An- und Ausziehhilfen, medizinische Kompressionsstrümpfe, Positionierungshilfen gesundheitsbezogene Selbstmanagementkompetenzen: z.B. im Umgang mit Einschränkungen, zur Wunde und Wundversorgung, zur Ernährung, zum Hautschutz

28.3.1.2 Wundassessment Der Wundstatus sollte aktuell und möglichst genau festgehalten werden. Die Angaben sind schriftlich zu dokumentieren. Aspekte der Wundeinschätzung Wundlokalisation: ausformuliert, in Dokumentation/Schaubild eingezeichnet Wundgröße: Länge, Breite und Tiefe der Wunde in cm, Taschen, Fisteln Wundrand/-umgebung: z.B. unterminiert, mazeriert, nekrotisch, ödematös, gerötet häufigste Gewebeart: z.B. Nekrose, Fibrinbelag, Granulationsgewebe, Knochen, Sehnen Wundgeruch: ja/nein Exsudation: Menge, Beschaffenheit, Farbe Infektionszeichen: Rötung, Schwellung, Überwärmung, Funktionseinschränkung, Schmerzen Wundschmerzen: Schmerzintensität (Schmerzskala), Schmerzqualität (pochend, brennend, stechend usw.) Angaben zur Therapie medizinische Wunddiagnose: z.B. Grunderkrankung, Wundart, Schweregrad Wunddauer: Einschätzung der Belastung, Pflegezeit, Heilungszeit Wundklassifikation: z.B. Ulcus cruris venosum/arteriosum/mixtum, Dekubitus Schweregradeinteilung: z.B. Dekubitusklassifikation nach EPUAP Bisherige diagnostische und therapeutische Maßnahmen zur Wundversorgung und Grunderkrankung (Angaben zu verwendeten Produkten mit Name, Größe etc., verwendete Spüllösung usw.) Rezidivanzahl: Anzahl der Rezidive, rezidivfreie Zeit

28.3.2 Fotodokumentation Ziele: schriftliche Dokumentation mit Foto unterstützen, Wundstatus visualisieren, aktuellen Heilungsverlauf verdeutlichen

Voraussetzungen: Pflegeempfänger bzw. Betreuer über Erstellung und Verbleib der Bilder aufklären, schriftliches Einverständnis einholen. Das Foto muss dem jeweiligen Pflegeempfänger sowie der körperlichen Lokalisation zuzuordnen sein. Somit müssen Name, Geburtsdatum/Patientencode, Erstellungsdatum und Körperregion vermerkt werden. Foto erst nach der Wundreinigung erstellen. Wundrand und Wundumgebung mit aufnehmen. Wundgröße durch Einmalmaßband kenntlich machen. Auf Bildschärfe und Schatten achten. Technik: Digitalkamera mit Blitz- und Makrofunktion, Computer mit Archivierungssoftware und Kameraanschlussmöglichkeit. Karte löschen: Nach dem Überspielen der Fotos auf den Computer, Speicherkarte immer direkt löschen! Verwenden mehrere Bereiche oder Stationen die Kamera, ist der Datenschutz nicht mehr gegeben. Beachten Sie auch die Datenschutzhinweise des jeweiligen Unternehmens.

KOMPAKT Wundmanagement Wunde: Schädigung der Haut und ggf. des darunterliegenden Gewebes Ursache: Für die Wundbehandlung und den Heilungsverlauf ist die Entstehungsursache der Wunde entscheidend. Einteilung von Wunden: akute oder chronische Wunde? Offene oder geschlossene Wunde? Verletzungstiefe? Keimbesiedelung? Heilungsprozess: primär und sekundär heilende Wunde? 3 Phasen der Wundheilung: Exsudationsphase, Proliferationsphase und Regenerationsphase Störfaktoren Wundheilung: lokale (z.B. Keimbesiedelung, Fremdkörper) und systemische (z.B. Alter, Ernährung) Störfaktoren Débridement (Wundtoilette): Entfernung von Verschmutzungen und Fibrinbelägen bei chronischen Wunden. Es wird zwischen mechanischem (z.B. Wundspülung) und chirurgischem (z.B. Wundreinigung mit Skalpell) Débridement unterschieden. Wundspülung: unkonservierte, konservierte, aseptische Lösungen, Bewertung von PVP-Jod und Leitungswasser Anforderungen an moderne Wundauflagen: optimales Wundmillieu, phasengerechte Unterstützung Kriterien zur Auswahl einer geeigneten Wundauflage: z.B. Heilungsphase, Exsudatmenge, Infektionszeichen Verbandwechsel: Non-Touch-Technik, Unterschiede bei primär und sekundär heilenden Wunden Dokumentation: Wundanamnese, Wundassessment (z.B. Wundrand, Wundgrund, Wundumgebung, Exsudat, Lokalisation, Geruch, Farbe, Tiefe), Fotodokumentation

29 Verbandtechniken 29.1 Grundlagen Einteilungskriterien Lokalisation: z.B. Kopf-, Augen-, Handverband

verwendetes Material: z.B. Binden, Gips Wirkungsweise: z.B. Wund-, Druck-, Kompressionsverband Aussehen: z.B. Rucksack-, Dreiecktuchverband Eigennamen: z.B. Desault-, Gilchrist-Verband Indikationen Distorsionen (Verstauchungen) Luxationen (Verrenkungen) Frakturen (Brüche) Wunden Blutstillung Thromboseprophylaxe und -therapie Fixierung von Wundauflagen zum Auftragen von lokalen Arzneimitteln (z.B. Salben) Ziele Schutz vor Keimen, mechanischen oder thermischen Einflüssen Wundsekret aufsaugen (Wundverband) Blutungen stillen (Druckverband) Fehlstellungen korrigieren (Extensionsverband) Gefäße im Rahmen der Thromboseprophylaxe komprimieren (Kompressionsverband) Gliedmaßen oder Gelenke ruhigstellen (Gipsverband, Stützverband)

Merke Körperstellen

Vor dem Anlegen eines Verbands muss die Haut trocken und sauber sein. Hautdefekte müssen gut abgedeckt und druckgefährdete Körperstellen abgepolstert sein. Grundsätzlich sollte ein Verband straff angelegt werden – er darf jedoch nicht einschnüren. Vor- und Nachbereitung Hygienisch arbeiten: ▶ Hände desinfizieren, Materialien auf wischdesinfizierter Arbeitsfläche vorbereiten, ggf. Wundversorgung durchführen Informieren und beraten: Pflegeempfänger über mögliche Komplikationen in Zusammenhang mit dem Verband informieren (z.B. Sensibilitäts- und Durchblutungsstörungen bei Gipsverbänden) und darauf hinweisen, sich bei Veränderungen zu melden. Pflegeempfänger nach Anlage des Verbands nach Befinden fragen (Schmerzen?) und sicherstellen, dass der Verband gut sitzt und nicht einschnürt.

29.2 Verbandarten 29.2.1 Bindenverband Definition Bindenverband Elastischer, mit Textilbinden gewickelter Verband. Allgemein gilt:

Bindenbreite orientiert sich am Durchmesser der zu verbindenden Extremität. Verband immer herzwärts wickeln, Ausnahme: absteigender Kornährenverband. Binde mit der dominanten Hand so abrollen, dass in die Binde hinein gesehen werden kann. Verband in physiologischer Grundstellung anlegen (Extension oder Flexion). Bindenabschluss sollte nicht an einem sich verjüngenden Körperteil liegen: Gefahr der Lockerung. Bindenabschluss sollte nicht über einer Wunde liegen. Zu Beginn kreisförmig wickeln, um die Binde zu befestigen (Kreisgang). Dann an konisch zulaufenden Gliedmaßen im Schraubengang wickeln (Spiralgang). Bei gelenküberschreitenden Verbänden Kornährenverband anlegen (Achtertouren).

29.2.1.1 Bindenarten Bindenarten unterscheiden sich nach Elastizität: Kurzzugbinden: um ca. 50 % dehnbar. Bewirken hohen Druck bei Muskelanspannung und niedrigen Druck in Ruhe. Indikation: starke Kompression, z.B. bei tiefer Venenthrombose Mittelzugbinden: um ca. 90 % dehnbar. Indikation: mittelstarke Kompression, z.B. bei komprimierender Wundversorgung Langzugbinden: um ca. 180 % dehnbar. Bewirken geringen Druck bei Muskelanspannung und hohen Druck in Ruhe. Indikation: bei leichten Kompressionsverbänden, z.B. um Bänder und Gelenke zu

entlasten. Wegen hoher Ruhekompression nicht über Nacht anwenden!

Merke Beine wickeln Es gilt der Grundsatz: „Immer von innen nach außen wickeln.“

29.2.1.2 Verbände mit Binden Handverband: kann auf- oder absteigend gewickelt werden, Schmuck an Fingern oder Handgelenk der betroffenen Hand entfernen Knieverband: oft als Schildkrötenverband gewickelt, Knie ist leicht angewinkelt oder gestreckt ( ▶ Abb. 29.1) Fußverband grundsätzlich von innen nach außen wickeln (Kornährenverband an Zehengrundglied beginnen), Pflegeempfänger sollte sitzen, Verband sollte keine Falten bilden. Stumpfbandagierung reduziert postoperativ Ödeme und Hämatome, wirkt Phantomschmerz entgegen, formt den Stumpf (wichtig für spätere Prothesenanpassung). Schildkrötenverband am Knie. Abb. 29.1  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

29.2.2 Gipsverband Indikationen: Ruhigstellung von Gliedmaßen und Gelenken, z.B. bei Frakturen, auch bei entzündlichen Knochen- und Gelenkprozessen oder zur Korrektur von Fehlstellungen

Gipsarten: geschlossene Gipsverbände (zirkulär angelegt), Longuetten (z.B. Gipsschienen), Gipskorsett (gespaltener Verband), Kombinationen Castverband: Kunststoff, nach Aushärtung vergleichbar stabil wie Gips, sehr leicht, bunt Spaltung: Der Gips wird ggf. nach der Aushärtung gespalten, um verstärkte Weichteilschwellung mit einhergehender Durchblutungsstörung oder Nervenschädigung zu vermeiden. DMS-Kontrolle: um Komplikationen zu vermeiden Durchblutung (Hautfarbe, Hauttemperatur), Motorik (Finger, Zehen bewegen, Schwellungen), Sensibilität (Schmerzen, Taubheitsgefühl, Kribbeln) prüfen

29.2.3 Schlauchmullverband Indikationen: Fixierung von Verbänden und Wundauflagen Vorteile: ist sehr dehnbar und anschmiegsam, rutscht nicht und liegt fest an, ohne abzuschnüren, liegt auch über konischen Körperpartien glatt an Anlage: Mit Applikator (Anbringhilfe): Schlauchmull wird dazu über Applikator gerollt und über das zu verbindende Körperteil gestülpt. Ohne Applikator: Schlauchmull über betreffendes Körperteil spannen, Festigkeit durch Spannung und drehen in der Längsachse, am Ende verankern mit 180° Drehung, Pflaster zur Befestigung (nicht zirkulär!) Arten: Kopfverband, Brustverband, Gilchrist-Verband, Handverband, Fingerverband

29.2.4 Netzschlauchverbände

Indikationen: Fixierung von Verbänden und Wundauflagen, Vermeidung des Einsatzes von Pflaster (z.B. bei Allergie, Hautreizungen durch häufige Verbandwechsel) Vorteile: besteht aus einem weitmaschigen und extrem dehnbaren Baumwoll-Polyamid-Gemisch, kann an jeder Stelle und in jede Richtung geschnitten werden, reißt nicht ein und franst nicht aus, passt sich gut an Körperoberfläche an, schnürt nicht ein, normaler Wärmeund Feuchtigkeitsaustausch der Haut bleibt uneingeschränkt erhalten Anlage: Den Netzschlauchmull an zu verbindendem Körperteil ungedehnt abmessen und über Wundauflage ziehen, ggf. doppelte Länge verwenden und noch einmal umstülpen. Arten: nach Körperpartie, Extremitäten, Kopf

29.3 Kompressionstherapie Wirkungsweise: Erhöhter Druck verengt die Gefäße und unterstützt den venösen Rückfluss zum Herzen. Indikationen: chronische Venenkrankheiten (z.B. Varikose), thromboembolische Venenkrankheiten (z.B. Venenthrombosen der Extremitäten), Ödeme unterschiedlicher Genese

ACHTUNG Bei einer fortgeschrittenen pAVK, einer dekompensierten Herzinsuffizienz, septischer Phlebitis und Phlegmasia coerulea dolens (Sonderform der Phlebothrombose) ist eine Kompressionstherapie kontraindiziert!

Ziele: Entstauung, Erhaltung einer Entstauung oder Prävention von Ulzera oder Thrombose (siehe auch Thromboseprophylaxe in Kap. ▶ 17.7). Anlage: unabhängig von der Bandagierungstechnik (z.B. Pütter, Fischer, Sigg) ist die korrekte Durchführung entscheidend für den Erfolg Grundsätze: Schlauchverband als Hautschutz, Unterpolsterung verhindert Druckulzera, Druckpolster/Pelotten verstärken die Effektivität, zur Befestigung Pflasterfixierstreifen benutzen, passende Breite der Binde, mindestens 2 Binden erforderlich, Fuß immer in Funktionsstellung (Dorsalflexion), zu Beginn guten Anlagedruck beachten, Binderolle unter permanentem Zug unmittelbar auf der Haut abrollen, Binden nicht zu straff anziehen, bei Vorfußödem/Lymphödem auch die Zehen komprimieren Sofort entfernen bei: Schmerzen, Verfärbung der Zehen, akute Bewegungseinschränkung, Missempfindungen, Kurzatmigkeit, Schweißausbrüche

KOMPAKT Verbandtechniken Einteilung von Verbänden nach: Lokalisation, Material, Wirkungsweise, Aussehen und Eigenname Indikationen von Verbänden: Distorsionen, Luxationen, Frakturen, Wunden, Blutstillung, Thromboseprophylaxe und therapie, Fixierung von Wundauflagen, zum Auftragen von lokalen Arzneimitteln Ziele von Verbänden: Schutz vor äußeren Einflüssen, Wundsekret aufsaugen, Blutstillung, Korrektur von Fehlstellungen, Ruhigstellung von Gliedmaßen oder Gelenken

Verbandarten: Bindenverband, Gipsverband, Schlauchmullverband, Netzschlauchverband Kompressionstherapie: Ziel ist die Entstauung und Prävention von Ulzera oder Thrombosen durch Förderung des venösen Rückflusses, Kontraindikationen beachten.

30 Pflege bei Fieber 30.1 Grundlagen Definition

Fieber Erhöhung der Körpertemperatur (über 38°C) infolge einer Sollwertverstellung im Wärmeregulationszentrum des Hypothalamus. Fieber hat eine Warn- und Schutzfunktion. Es regt das Immunsystem an und dämpft gleichzeitig das Wachstum von Erregern. Verschiedene Ursachen können zu einer Sollwertverstellung im Wärmeregulationszentrum führen: infektiöses Fieber: z.B. bei Pneumonie resorptions- oder aseptisches Fieber: z.B. durch Gewebezerfall bei Operationen toxisches Fieber: z.B. Reaktion auf Medikamente „Durstfieber": bedingt durch Flüssigkeitsmangel, besonders häufig bei Säuglingen und alten Menschen zentrales Fieber: z.B. infolge eines Schädel-HirnTraumas, durch Schädigung des Wärmeregulationszentrums

30.2 Pflegerische Maßnahmen Ziele: Ursache(n) des Fiebers erkennen, Komplikationen vermeiden und Wohlbefinden fördern. Die Auswahl der pflegerischen Maßnahmen ist abhängig vom jeweiligen Fieberstadium. Die 3 Fieberstadien sind: Fieberanstieg, Fieberhöhe und Fieberabfall.

30.2.1 Fieberanstieg

Fieber kann langsam oder schnell ansteigen. Ein schneller Anstieg geht meist mit Schüttelfrost einher. Durch Muskelzittern versucht der Körper, Wärme zu produzieren. Der Pflegeempfänger friert, die Extremitäten sind kühl. Pulsund Atemfrequenz sind erhöht. Die Belastung für den Organismus ist hoch. Pflegerische Maßnahmen in dieser Phase sind: warme Kleidung anziehen und den Pflegeempfänger zudecken Zimmertemperatur dem Wärmebedürfnis des fiebernden Menschen anpassen angewärmte Kalt-/Warm-Kompressen warme Getränke anbieten (bei Schüttelfrost – Verbrühungsgefahr!) ggf. nach Anordnung Assistenz bei der Abnahme einer Blutkultur bzw. einer Urinkultur weitere Krankenbeobachtung zur Diagnosefindung (z.B. Urin, Atmung, Wunde)

30.2.2 Fieberhöhe In der Fieberhöhe hat der Körper seine höchste Temperatur erreicht. Dem Pflegeempfänger ist heiß, Puls- und Atemfrequenz sind erhöht. Pflegerische Maßnahmen in dieser Phase sind: Ruhe ermöglichen (Belastungsgrenze des Pflegeempfängers sinkt) Pflegeempfänger nur leicht zudecken, um einen Wärmestau zu vermeiden (luftdurchlässige Bettwäsche) ggf. Unterstützung bei der Körperpflege oder der Mobilisation anbieten

häufig kühle Getränke anbieten (viel trinken! Wichtig für den Kreislauf und um eine Exsikkose zu vermeiden; Ausscheidung beobachten, ggf. ▶ Flüssigkeitsbilanzierung, Flüssigkeitsrestriktionen aufgrund von Herz- oder Niereninsuffizienz müssen beachtet werden. ggf. bei der Mund-, Lippenpflege unterstützen Vitalzeichen (Temperatur, Puls, Blutdruck), Hautkolorit, Bewusstsein engmaschig überwachen ( ▶ Abb. 30.1) geeignete Prophylaxen durchführen (siehe Kap. ▶ 17) Zimmer regelmäßig lüften (Zugluft vermeiden) ggf. nach Anordnung Gabe von Antibiotika, Infusionen, fiebersenkende Maßnahmen, bei Kopf- und Gliederschmerzen, ggf. Schmerzmedikation Messen allein reicht nicht. Abb. 30.1 Ob fiebersenkende Maßnahmen notwendig sind oder nicht, ist nicht allein von der Höhe der Temperatur abhängig, sondern z.B. auch vom Allgemeinzustand des Pflegeempfängers. Es muss immer individuell entschieden werden. (Foto: A. Fischer, Thieme)

30.2.3 Fieberabfall Stellt der körpereigene Temperaturregler den Sollwert wieder nach unten, nutzt der Körper die Schweißproduktion, um sich abzukühlen. Die Temperatur fällt, der Pflegeempfänger ist müde und erschöpft. Krisis: schneller Fieberabfall innerhalb weniger Stunden. Hohe Belastung kann zum Schock führen (lebensbedrohlicher Zustand)! Der Schweiß ist kleinperlig, kalt und klebrig. Maßnahmen: Arzt informieren, Pflegeempfänger nicht allein lassen, engmaschig Vitalzeichen kontrollieren Lysis: langsamer Fieberabfall über mehrere Tage. Belastung ist geringer, Organismus hat Zeit für

Umstellung. Der Schweiß ist großperlig und warm. Pflegerische Maßnahmen in dieser Phase sind: Ruhe ermöglichen häufig Getränke anbieten (viel trinken! Wichtig für den Kreislauf und um eine Exsikkose zu vermeiden; Ausscheidung beobachten, ggf. Flüssigkeitsbilanzierung, siehe Kap. ▶ 18.5). Bei Nieren- und Herzinsuffizienz kann eine Überwässerung zu Ödemen führen, somit ist die ärztliche Anordnung zur Flüssigkeitsmenge zu beachten. fiebersenkende Maßnahmen durchführen Vitalzeichen (Temperatur, Puls, Blutdruck), Hautkolorit, Bewusstsein engmaschig überwachen (zu schneller Fieberabfall kann zum Kreislaufkollaps führen) geeignete Prophylaxen durchführen (siehe Kap. ▶ 17) verschwitzte Kleidung und Bettwäsche zeitnah wechseln

30.2.4 Fieber bei Kindern Hinter Fieber bei Kindern muss nicht immer eine ernste Erkrankung stecken (z.B. Fieber beim Zahnen). Ernste Erkrankungen, wie z.B. eine Meningitis, als Ursache für Fieber, sollten zügig ausgeschlossen werden. Nicht immer ist ein Kind bei hohem Fieber teilnahmslos, schläfrig oder apathisch. Kinder neigen zu Fieberkrämpfen und bedürfen in den Fieberphasen erhöhter Beobachtung und Überwachung. Ebenfalls sollte die Trinkmenge beobachtet und ggf. angepasst werden. Verweigert das Kind das Trinken, muss ein Arzt hinzugezogen werden.

30.2.5 Fieber bei älteren Menschen

Bei älteren Menschen ist der Fieberverlauf häufig weniger intensiv. So kann es sein, dass trotz einer ernsthaften Infektion (z.B. Pneumonie) nur leichtes Fieber entsteht (subfebrile Temperatur). Die Gefahr von Kreislaufproblemen, Exsikkose oder Nierenversagen ist erhöht. Trinkmenge beobachten und regelmäßig Getränke anbieten. Bei länger andauernden Fieberzuständen und einem schlechten Allgemeinzustand des Pflegeempfängers besonders an Prophylaxen (siehe Kap. ▶ 17) denken.

ACHTUNG Bei sehr hohem Fieber können Schüttelfrost (starkes Muskelzittern), Fieberkrämpfe (bei Kindern meist tonischklonisch und generalisiert) und Fieberdelir (Anzeichen: Unruhe, Desorientierung, Halluzinationen) auftreten!

30.2.6 Fiebersenkende Maßnahmen Es gibt 2 Ansätze zur Senkung der Körpertemperatur: 1. Medikamente (Antipyretika): z.B. Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Ibuprofen und Metamizol 2. kühlende Maßnahmen: entziehen dem Körper Wärme; wärmeentziehende Maßnahmen sofort abbrechen bei Kreislaufproblemen, blasser oder kalter Haut, Unwohlsein ( ▶ Tab. 30.1 ) Ob fiebersenkende Maßnahmen ergriffen werden, entscheidet der Arzt. Bei allen Maßnahmen gilt: Die Körpertemperatur darf nicht zu schnell gesenkt werden (hohe Belastung!). Tab. 30.1 Kühlende Maßnahmen bei Fieber. Maßnahmen

Durchführungshinweise

Maßnahmen Wadenwickel

Durchführungshinweise 2 Tücher in lauwarmem Wasser (max. 10°C kälter als die Körpertemperatur) tränken und auswringen. Nässeschutz für das Bett nutzen und Tücher locker und faltenfrei um die Waden wickeln. Pflegeempfänger auf Wunsch locker zudecken. Wadenwickel nach ca. 5–10 min wechseln. Vorgang je nach Höhe des Fiebers 2–3-mal wiederholen. ACHTUNG: Bei Durchblutungsstörungen sind Wadenwickel kontraindiziert!

Waschungen

Waschung mit lauwarmem Wasser durchführen, dabei nur zu waschende Körperteile aufdecken (Intimsphäre schützen, Auskühlung verhindern), an Extremitäten beginnen wenig abtrocken, Verdunstungskälte nutzen dem Waschwasser fiebersenkende Zusätze (z.B. Pfefferminztee oder ein Schuss Zitronensaft) zugeben

trockene Kälteanwendungen

Lokale Kühlelemente z.B. in die Leistenregion legen (in die Nähe großer Blutgefäße). Tücher um Kühlelement wickeln, um lokaler Erfrierung vorzubeugen. Nach 30 min Maßnahme beenden, Körperstelle erst wieder kühlen, wenn sich diese wieder erwärmt hat.

30.2.7 Fieberbedingte Begleiterscheinungen ▶ Schüttelfrost. Schüttelfrost entsteht, wenn der Körper seine Solltemperatur erheblich höher fahren möchte als die bestehenden 37°C. Pflegerische Aufgaben dabei sind: Verletzungsgefahr bei heftigem Schüttelfrost verringern (Abpolstern von Kanten) und Arztinformation (ggf. Verordnung des Opiates Pethidin) wärmende Maßnahmen (Zudecken, Heizung höherstellen, Wärmematte verwenden)

Betreuung und Beobachtung des Pflegeempfängers (Vitalzeichen, Informationen geben und beruhigende Gespräche) ▶ Fieberkrämpfe. Fieberkrämpfe entstehen häufig bei Kindern, da eine hohe Körpertemperatur die Krampfschwelle im Gehirn senkt. Pflegefachkräfte … holen bei einem Krampfgeschehen sofort ärztliche Hilfe und bleiben bei dem Kind, schützen das Kind vor Verletzungen und polstern die Umgebung ab, verabreichen nach ärztlicher Anordnung Diazepam als Rektiole (Miniklistier) zur Unterbrechung des Anfalls, sorgen für eine langsame Senkung des Fiebers und stetige Kontrolle der Körpertemperatur, helfen dem erschöpften Kind nach dem Anfall ggf. beim Umziehen (Einnässen und Einkoten ist beim Anfall möglich) und betreuen und beraten die besorgten Eltern des Kindes. ▶ Fieberdelir. Fieberdelire sind ein Hinweis auf eine schwere Störung im Körper des Fiebernden (z.B. Elektrolytentgleisung). Menschen im Fieberdelir weisen einen Symptomkomplex aus physischen und psychischen Merkmalen auf: Hypertonie, Tachykardie, starkes Schwitzen und Übelkeit/Erbrechen können mit Verwirrtheit, Orientierungslosigkeit, Halluzinationen und Aggressivität einhergehen. Pflegende … rufen bei den ersten Anzeichen eines Fieberdelirs den Arzt, beobachten den Pflegeempfänger auf Zeichen einer Exsikkose (z.B. stehende Hautfalten, trockene Schleimhäute),

bereiten eine Blutentnahme vor bzw. führen diese auf ärztliche Anordnung durch (Elektrolyte wie Natrium werden u.a. überprüft), beruhigen halluzinierende und realitätsgestörte Pflegeempfänger durch eine zugewandte Haltung und Ansprache und haben die Sturzgefährdung, v.a. von älteren Pflegeempfängern, im Blick.

KOMPAKT Pflege bei Fieber Fieber hat eine Schutz- und Warnfunktion. 3 Phasen des Fiebers: Fieberanstieg, Fieberhöhe, Fieberabfall Im Fieberanstieg den Anstieg der Körpertemperatur unterstützen, in der Fieberhöhe Wärmestau vermeiden und bei schnellem Fieberabfall auf Komplikationen achten und diesen entgegenwirken Starker Schüttelfrost, ggf. mit Verletzungsgefahr, Fieberkrämpfe und Fieberdelir können bei sehr hohem Fieber und insbesondere bei Kindern sowie älteren Menschen vermehrt auftreten. Fiebersenkende Maßnahmen: Medikamente (Antipyretika) und kühlende Maßnahmen (z.B. Wadenwickel) kühlende Maßnahmen nur in Fieberhöhe und im Fieberabfall anwenden Fieber sollte nicht zu schnell gesenkt werden, um die Belastung für den Organismus gering zu halten.

engmaschige Beobachtung (Bewusstseinslage, Trinkmenge, Exsikkosezeichen) bei Kindern und älteren Menschen

31 Wickel und Auflagen 31.1 Grundlagen Wickel und Auflagen gehören zur Thermotherapie bzw. Hydrothermotherapie (in Kombination mit Wasser):

Wickel bestehen immer aus mehreren Lagen (innere Schicht: „Heilmittel“; mittlere Schicht: umhüllt Körperteil, verhindert Auslaufen; äußere Schicht: wärmt). Auflagen bestehen meist nur aus einer Lage (Auflage mit entsprechendem Zusatz). Allgemeine Ziele: Erwärmen oder Kühlen einzelner Körperabschnitte mit lokaler Wirkung (z.B. Kartoffelwickel bei Halsschmerzen) oder Wirkung auf den Gesamtorganismus (z.B. Wadenwickel, um Fieber zu senken); Wohlbefinden des Pflegeempfängers fördern und Beschwerden lindern ▶ Tab. 31.1  gibt einen Überblick über ausgewählte Wickel und Auflagen. Tab. 31.1 Übersicht – ausgewählte Wickel und Auflagen. Wickel/Auflage Indikation EukalyptusölBlasenauflage

beginnender oder chronischer Harnwegsinfekt im Anfangsstadium

Anwendungshinweise wirkt krampflösend, entzündungshemmend Kompresse (10 × 10 cm) mit 5 Tropfen des Eukalyptusöls beträufeln und gefaltet in Plastiktüte zwischen 2 Wärmflaschen anwärmen Kompresse für 30 min auf den Unterbauch in Höhe der Blase legen, mit Handtuch abdecken, ggf. Wärmflasche (Achtung, Verbrennungsgefahr!) auf Handtuch legen wichtig: Trinkmenge steigern (unterstützt die Eindämmung der Bakterien) bei fortgeschrittenem Harnwegsinfekt Arzt konsultieren

Wickel/Auflage Indikation klassischer Brustwickel

Selbstheilungskräfte aktivieren Bronchitis, Lungen- und Rippenfellentzündungen Bluthochdruck

Anwendungshinweise wirkt entspannend und schmerzlindernd 3 Tücher: Innentuch aus Leinen oder Baumwolle in kaltes Wasser legen, gut auswringen, möglichst faltenlos straff um den Oberkörper legen Zwischentuch aus Molton oder Frottee darüberlegen von außen Bettdecke oder Wolldecke auflegen Auflage verbleibt, bis sie durch die Körperwärme gut durchwärmt wurde (ca. 45–60 min) evtl. Wärme zuführen (Wärmflasche)

Kümmelölauflage

Blähungen Bauchschmerzen Verdauungsprobleme

wirkt krampflösend und verdauungsfördernd Olivenöl mit etwas Kümmelöl vermischen und sanft im Uhrzeigersinn auf dem Bauch verteilen und einmassieren feuchtwarmes Tuch auf den Bauch legen, darüber Frotteetuch und obenauf angewärmtes Kirschkernkissen legen Auflage bleibt so lange liegen, wie sie der Pflegeempfänger als angenehm empfindet.

Wickel/Auflage Indikation Quarkauflage

Entzündungen Sonnenbrand, Insektenstiche stumpfe Traumen

Anwendungshinweise wirkt u.a. kühlend, schmerzlindernd, abschwellend Quark abtropfen lassen, diesen fingerdick auf eine Kompresse streichen und Kompresse wie ein Päckchen zusammenfalten Päckchen auf zu behandelnde Stelle legen, mit Geschirrtuch abdecken, als Bettschutz ein zweites Tuch auflegen Achtung: Soll der Körperstelle Wärme entzogen werden, Kompresse entfernen, sobald sie sich erwärmt hat. Sonst geschieht genau das Gegenteil: Die Auflage gibt die entzogene Wärme wieder ab.

31.1.1 Kalte Wickel und Auflagen Wirkung: entziehen dem Körper zunächst Wärme, Gefäße verengen sich. Daher ist ein häufiger Wechsel des kalten Wickels notwendig, sonst kommt es zu einer „Gegenreaktion“ mit lokaler Erwärmung durch reflektorische Reizung der Blutgefäße ( ▶ Abb. 31.1) Indikation: z.B. bei Gicht, Arthritis, Fieber, Milcheinschuss Kühlende Quarkauflage. Abb. 31.1  (Aus: Al-Abtah J, Langels O. Wickel und Auflagen. In: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020. Foto: J. Al-Abtah; O. Langels, Thieme)

31.1.2 Warme Wickel und Auflagen Wirkung: führen Wärme von außen zu, sorgen für lokale Entspannung und Entkrampfung der Muskulatur. Dauer und Art der Zusätze sind entscheidend. Warme Wickel liegen so lange auf, wie sie als angenehm empfunden werden. Pflegeempfänger immer wieder fragen, ob Auflage zu heiß wird (Verbrennungsgefahr!). Indikation: z.B. bei Arthrose, akuten Verspannungen, Entzündungen der Atemwege oder der Blase

31.2 Hinweise zur Anwendung

Folgende Hinweise sollten bei jeder Anwendung beachtet werden: Wickel und Auflagen nur nach Absprache mit dem Arzt und mit dem Einverständnis des Pflegeempfängers anwenden. geeigneten Zeitpunkt wählen, Pflegeempfänger informieren über Art, Dauer, Durchführung und Zweck/ggf. Wirkungsweise, Allergien unbedingt erfragen, ggf. Einverständnis schriftlich dokumentieren. Materialien und Zimmer vorbereiten um einen Wärmestau zu vermeiden, auf Gummiunterlage oder synthetische Kleidung verzichten Pflegeempfänger und Reaktion auf Anwendung genau beobachten. Besonders Kinder und ältere Menschen reagieren z.T. sehr sensibel auf Temperaturreize und Zusätze. bei Kindern nur speziell für Kinder ausgezeichnete Produkte verwenden, da bereits wenige Tropfen eines unverdünnten, nicht für Kinder geeigneten ätherischen Öls, das versehentlich in Mund oder Nase gelangt, zu lebensbedrohlichen Verkrampfungen des Kehlkopfs (Atemstillstand!) führen können. Gesicht immer aussparen, auf vorgeschriebene Verdünnungsweise achten und Öl nicht direkt auf die Haut auftragen (zu starke Reizung!), auf stark wirksame Öle wie Eukalyptus, Kampfer, Thymian komplett verzichten

KOMPAKT Wickel und Auflagen Wickel bestehen aus mehreren Lagen. Auflagen bestehen aus einer Lage.

Ziele von Wickeln und Auflagen: Beschwerden lindern, Wohlbefinden fördern, Wärme entziehen oder zuführen Vorsicht bei thermischen Anwendungen! Verbrennung, Wärmestau oder Unterkühlung ausschließen! Vorsicht bei der Anwendung bei Kindern! Ätherische Öle können durch die Aufnahme über Mund oder Nase einen Atemstillstand hervorrufen, deshalb unbedingt verdünnen und nur nach Gebrauchsanweisung verwenden. Auf stark wirksame Öle wie Eukalyptus, Kampfer, Thymian komplett verzichten.

Teil V Menschen in unterschiedlichen Settings pflegen 32 Die 4 Handlungsfelder der Pflege 33 Pflege von Menschen im Krankenhaus: Kinder und alte Menschen 34 Pflege von Menschen im häuslichen Umfeld 35 Pflege von Menschen in stationären Langzeiteinrichtungen 36 Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung 37 Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Menschen 38 Pflege von Menschen mit malignen Tumoren 39 Pflege von Menschen in der perioperativen Phase 40 Pflege von Menschen auf der Intensivstation 41 Pflege des sterbenden Menschen 42 Pflege von Menschen unterschiedlicher Kulturen 43 Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett

32 Die 4 Handlungsfelder der Pflege Eine klare Zuordnung von einzelnen Pflegemaßnahmen zu nur einem Handlungsfeld ist schwierig, da je nach Zielsetzung bzw. Begründung der Maßnahme die Einteilung variieren kann. Allgemein unterteilt man pflegerisches Handeln in folgende 4 Handlungsfelder:

präventive und gesundheitsfördernde Pflege kurative Pflege rehabilitative Pflege palliative Pflege Da insbesondere präventive und gesundheitsfördernde Pflegemaßnahmen zu jedem Zeitpunkt möglich sind, kommt es häufig zu Überschneidungen.

32.1 Präventive und gesundheitsfördernde Pflege Prävention und Gesundheitsförderung (Public Health) haben das Ziel, die Gesundheit der Menschen zu erhalten bzw. zu verbessern. Beide Konzepte verfolgen jedoch unterschiedliche Strategien und unterschiedliche Ansätze ( ▶ Tab. 32.1 ). Tab. 32.1  Unterschiede von Prävention und Gesundheitsförderung. Kriterien

Prävention

Strategie bzw. Ziel

bestimmte Krankheiten vermeiden, Gesundheit und Wohlbefinden Gesundheit erhalten bzw. erhalten und verbessern verbessern

Ansatz

pathogenetisches Wirkprinzip: setzt an den Risikofaktoren an

salutogenetisches Wirkprinzip: setzt an den Ressourcen und Schutzfaktoren an

Zielgruppe

wendet sich an Menschen mit Risikofaktoren

wendet sich an alle Menschen

32.1.1 Prävention 32.1.1.1 Formen der Prävention

Gesundheitsförderung

Prävention hat das Ziel, Krankheitsrisiken zu minimieren. Präventionsformen werden unterschieden nach: Zeitpunkt und Zielgruppe Präventionsstrategie Präventionsmethode ▶ Zeitpunkt und Zielgruppe. Unterschieden werden 4 Arten der Prävention: Primordialprävention: richtet sich frühstmöglich an gesunde Menschen, um die Entstehung von Risikofaktoren für Krankheiten zu verhindern (z.B. durch Gesundheitsinformation und -erziehung). Primärprävention: richtet sich an gesunde Menschen mit Gesundheitsrisiken, soll die Entstehung der Krankheit verhindern (z.B. Unterstützung bei Selbstdiagnose, Raucherentwöhnung). Sekundärprävention: dient der Krankheitsfrüherkennung, evtl. sind erste Symptome vorhanden, es bestehen aber noch Heilungschancen (z.B. Krebsvorsorgeuntersuchungen, Gesundheitschecks). Tertiärprävention: Bei chronisch kranken Menschen sollen Folgeerkrankungen und das Fortschreiten der Krankheit verhindert/verlangsamt werden (z.B. durch Patientenschulungen bei Diabetes mellitus) . Präventionsstrategie Verhältnisprävention: Veränderung der Umwelt und der Lebensbedingungen Verhaltensprävention: Beeinflussung des individuellen Gesundheitsverhaltens Präventionsmethode

psychoedukative Verfahren, z. B. Beratung, Aufklärungskampagnen (AIDS, Alkohol) normativ-regulatorische Verfahren, z. B. Gesetze (Rauchverbot in Gaststätten, Anschnallpflicht) ökonomische Anreiz- und Bestrafungssysteme, z. B. Prämien, Erhöhung der Tabaksteuer

32.1.1.2 In der Pflege Alle Prophylaxen und ein Großteil der Schulungs- und Beratungsgespräche sowie pflegerische Handlungen, wie die Kontrolle des Blutdrucks und Blutzuckers bei Risikopatienten, gehören zum präventiven Handlungsfeld. Einsatzgebiete neben den stationären Settings bieten u.a. präventive Hausbesuche, Familiengesundheitspflege und die Pflegeüberleitung.

32.1.2 Gesundheitsförderung 32.1.2.1 Bereiche der Gesundheitsförderung Gesundheitsförderung versucht, gesundheitliche Ressourcen zu stärken. Sie erfolgt nach dem ganzheitlichen Ansatz und im Setting, d.h., der Mensch wird in seiner Umwelt, seinen Lebensbedingungen und seinem sozialen Umfeld betrachtet. Beispiele für Settings sind Schulen, Betriebe, Krankenhäuser, Stadtteile, aber auch bestimmte Religionsgemeinschaften oder Menschen in gleichen Lebenslagen, wie z.B. alleinerziehende Mütter. Gesundheitsfördernde Maßnahmen werden 5 zentralen Handlungsbereichen zugeordnet: 1. Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik (z.B. Finanzierung von Gesundheitsförderungsangeboten, Zugang zu Bildungsund Sozialeinrichtungen)

2. Schaffung von Gesundheit unterstützenden Umwelten (z.B. gute Wohn- und Arbeitsbedingungen) 3. Entwicklung von Gesundheitskompetenz, d.h., Menschen dazu befähigen, selbstbestimmt Entscheidungen für ihre Gesundheit zu treffen und dafür Verantwortung zu übernehmen (z.B. durch Beratung, Aufklärungskampagnen), und Bewältigungsstrategien im Umgang mit Gesundheit und Krankheit (z.B. durch ausgewogene Ernährung, Bewegung) 4. Stärkung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen (z.B. in Vereinen) 5. Neuorientierung der Gesundheitsdienste, die über die medizinisch-kurativen Betreuungsleistungen hinausgehen und den Zugang zu ihnen verbessern (z.B. Verankerung von Gesundheitsförderung in allen Bereichen des Gesundheitssystems)

32.1.2.2 In der Pflege Alle Pflegemaßnahmen, die das Ziel verfolgen, die Ressourcen der Pflegeempfänger aufrecht zu erhalten bzw. zu stärken, können dem gesundheitsfördernden Handlungsfeld zugeordnet werden.

32.2 Kurative Pflege Kurative Pflege verfolgt das Ziel Menschen möglichst vollständig von ihren Erkrankungen oder Beschwerden zu heilen, selbst wenn die Chancen eher gering sind. In manchen Fällen bedeutet dies auch, das Fortschreiten einer chronischen Krankheit zu verhindern. Im Krankenhaus ist die medizinische Behandlung (bedingt durch das Finanzierungssystem, siehe Kap. ▶ 6.4) sehr stark kurativ ausgerichtet. Beispiele für eine kurative Pflege sind

die Wundversorgung, das Medikamentenmanagement oder die Pflege von Sonden und Drainagen, also hauptsächlich die Mitwirkung an ärztlichen Maßnahmen. Viele Pflegemaßnahmen lassen sich auch anderen Handlungsfeldern zuordnen, da sie z.B. oftmals eine vorbeugende (präventive) Funktion haben (z.B. Vermittlung von Wissen, um Komplikationen oder Rezidive zu verhindern) oder dem Lindern von Leid zugeordnet werden können (z.B. Basale Stimulation in der palliativen Pflege).

32.3 Rehabilitative Pflege Rehabilitation umfasst alle Maßnahmen, die eine soziale Integration von benachteiligten Personen in den Alltag, den Beruf und die Gesellschaft ermöglichen. Dies beinhaltet, die Personen zu befähigen, ihr Leben mit ihrer Umwelt abzustimmen, auch indem die unmittelbare Umwelt den Bedürfnissen der Person angepasst wird.

32.3.1 Ziele und Zielgruppen Wiedereingliederung in die Gesellschaft Selbstständigkeit und Selbstbestimmung (wieder-)erlangen Menschen mit angeborener Behinderung, chronisch Kranke, Menschen mit Behinderungen nach Unfällen, Menschen mit Entwicklungsstörungen

32.3.2 Formen und Leistungen Rehabilitationsmaßnahmen sind vielfältig und abhängig von dem verfolgten Ziel und der Rehabilitationsform. Beispiele können Sie der ▶ Tab. 32.2  entnehmen. Die

verschiedenen Rehabilitationsformen greifen je nach Situation des betroffenen Menschen ineinander. Tab. 32.2 Rehabilitationsformen und -maßnahmen. Rehabilitationsform medizinische Rehabilitation

Maßnahmen der Rehabilitation

konkrete Beispiele

ärztliche Behandlung

Medikamente

pflegerische Rehabilitation

Selbsthilfetraining

Anwendung von Heilmitteln

Physio-/Ergotherapie Gehhilfen

Verordnung von Hilfsmitteln beruflich-schulische Rehabilitation Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Hilfen zur Erhaltung oder Anpassung des Arbeitsplatzes

technische Umgestaltung des Arbeitsplatzes

berufliche Weiterbildung

Umschulung

soziale Rehabilitation Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

heilpädagogische Förderung

Sprachförderung

sonstige, unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen zur Teilhabe

Hilfe zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben

barrierefreie Zugänge zu Behörden, Bahngleisen, Restaurants

Hilfe zur Verständigung mit der Umwelt

Reduktion der Rundfunkgebühren

finanzielle Absicherung

Krankengeld

Rehabilitationssport

Teilnahme an einer Herzsportgruppe

32.3.3 Einrichtungen Rehabilitation ist in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung möglich und es gibt Angebote für alle Altersstufen (z.B. geriatrische Rehabilitation).

Die Rehabilitation wird dabei an verschiedenen Orten erbracht: stationäre Rehabilitation: direkt nach einem Aufenthalt in einer Akutklinik (z.B. nach Herzinfarkt) oder als allgemeines Heilverfahren (bei Erkrankungen ohne akutes Ereignis, z.B. bei chronischen Rückenschmerzen) teilstationäre/ambulante Rehabilitation: Patient kommt für 4–6 h in die Klinik (auch im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung). mobile Rehabilitation: findet bei dem Betroffenen zu Hause statt (selten)

32.3.4 Rehabilitationsbehandlung Bei einigen Erkrankungen (z.B. Schlaganfall) ist ein frühzeitiger Beginn besonders bedeutungsvoll. Für die langfristige Verbesserung und Anpassung haben sich besondere Einrichtungen auf bestimmte Krankheiten und deren Folgen spezialisiert. Für die unterschiedlichen Erkrankungen liegen ausgearbeitete Rehabilitationskonzepte vor, wie z.B. das Behandlungskonzept für Pflegeempfänger mit Schlaganfall ( ▶ Abb. 32.1). An Rehabilitationsbehandlungen sind viele Berufsgruppen beteiligt (z.B. Ärzte, Pflegekräfte, Logopäden, Ergotherapeuten, Psychologen etc.), die in einem interdisziplinären Team zusammenarbeiten. Neurologisches Rehabilitationsphasenmodell. Abb. 32.1 Dieses Modell ist ein Beispiel für die Behandlungskonzepte, die für unterschiedliche Erkrankungen vorliegen. (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

32.4 Palliative Pflege Palliative Pflege ist laut WHO-Definition ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen und ihren Familien, die mit Problemen durch eine lebensbedrohliche Erkrankung konfrontiert sind. Palliative Pflege zeichnet sich durch folgende Aspekte aus: Die Linderung von körperlichen Symptomen (z.B. Schmerzen, Fatigue) und die Bewältigung psychosozialer Probleme (z.B. Krankheitsverarbeitung) steht im Vordergrund. Betroffene werden unterstützt, ihre verbleibende Zeit so aktiv und sinnerfüllt wie möglich zu gestalten. Um allen Bedürfnissen gerecht zu werden, wird interdisziplinär eng zusammengearbeitet. Das Motto für den Einsatz von therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen lautet: „Weniger ist mehr!“ Palliative Pflege findet auf Palliativstationen, in Hospizen, durch palliativmedizinische Konsiliardienste und spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) statt. Mehr zur palliativen Pflege, die in der Praxis auch als Palliative Care bezeichnet wird, finden Sie im Kap. ▶ 41 „Pflege des sterbenden Menschen“.

KOMPAKT Die 4 Handlungsfelder der Pflege Die präventive und gesundheitsfördernde Pflege beugt Krankheit vor und stärkt Gesundheit, z.B. durch

Beratung Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen, sowie durch Prophylaxen. Die kurative Pflege wirkt bei der Heilung von Krankheiten mit, z.B. durch die Gabe ärztlich angeordneter Medikamente oder eine Wundversorgung. Die rehabilitative Pflege umfasst alle Maßnahmen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch „Hilfe zur Selbsthilfe“, z.B. die aktivierend-therapeutische Pflege nach Bobath. Die palliative Pflege steigert die Lebensqualität und lindert Symptome, z.B. durch individuelles Schmerzmanagement.

33 Pflege von Menschen im Krankenhaus: Kinder und alte Menschen 33.1 Das Kind im Krankenhaus

Für Kinder und ihre Bezugspersonen ist ein Krankenhausaufenthalt meist sehr belastend. Viele haben Angst vor Schmerzen und dem Alleinsein. Kinder reagieren darauf oft mit Abwehr, so können sie Protest, Apathie, Depression und Resignation zeigen. Von zu Hause mitgebrachte Dinge (z.B. Kuscheltiere, Spielsachen), Rooming-in einer Bezugsperson bzw. regelmäßige Besuche der Eltern tragen zum Wohlbefinden des Kindes bei. Strukturen, die das Kind von zuhause kennt, sollten wenn möglich auch im Krankenhaus umgesetzt werden. Hat ein Kind Heimweh, sollte dies die Pflegefachkraft ansprechen und nach Bewältigungsmöglichkeiten suchen. Abwechslung im Klinikalltag ist für das Kind wichtig, denn Passivität wird als Strafe erlebt. Durch pädagogische Fachkräfte betreute Spielzimmer auf den Stationen und den Besuch vom Klinikclown nehmen viele Kinder sehr gut an. Steht ein geplanter operativer Eingriff an, bedarf es der Zustimmung beider Elternteile (sofern beide das Sorgerecht haben, siehe Kap. ▶ 7.3.8). In einer Notfallsituation kann der Arzt über die Notwendigkeit einer Behandlung entscheiden.

33.1.1 Kommunikation Beziehen Sie die Eltern oder Bezugspersonen nach Möglichkeit immer in die Pflege des Kindes ein. Sie kennen das Kind am besten und fühlen sich in dieser Ausnahmesituation gebraucht. Erklären Sie Eltern oder Bezugspersonen, dass eine Vorbereitung des Kindes auf einen geplanten Krankenhausaufenthalt von Bedeutung ist und wie diese kindgerecht (z.B. mit Büchern, Besuch im Teddykrankenhaus) umgesetzt werden kann.

Je jünger ein Kind ist, desto weniger kann es sich verbal ausdrücken. Achten Sie deshalb besonders auf die Körpersprache des Kindes. Sprechen Sie immer mit dem Kind während einer Pflegehandlung und erklären Sie ihm, was als Nächstes passiert (auch bei Säuglingen!). Seien Sie dabei ehrlich und sagen Sie dem Kind auch, dass es z.B. beim Legen einer Infusion einen kurzen „Pieks“ gibt.

33.1.2 Pflegerische Beobachtung und Maßnahmen In der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege muss eine besonders gute pflegerische Beobachtung geleistet werden – denn Veränderungen können von den Kindern meistens nicht verbal geäußert werden. Körperpflege: Sie ist eine gute Gelegenheit, das Kind umfassend pflegerisch zu beobachten. Eltern und Bezugspersonen, wann immer möglich, in die Körperpflege des Kindes miteinbeziehen. Ältere Kinder können Scham empfinden, wenn eine fremde Pflegefachkraft die Körperpflege durchführt. Bei Neuund Frühgeborenen sollten die Eltern für die Situation zuhause gut angeleitet werden (siehe auch „Säuglingsbad“ in Kap. ▶ 16.2.7). Schmerzbeobachtung: Säuglinge und Kleinkinder können sich verbal nicht hinreichend äußern, sollten sie Schmerzen haben. Eltern bemerken meist schnell, wenn sich das Verhalten des Kindes verändert. Beziehen Sie die Eltern eng in die Versorgung des Kindes ein und befragen Sie sie, ob es z.B. Anzeichen von Schmerzen zeigt (siehe auch Kap. ▶ 21). Vitalzeichen: Pflegende müssen Normwerte für Kinder kennen (siehe ▶ Tab. 33.1 ) und behutsam bei der

Erfassung von Vitalzeichen vorgehen. Dabei sind auch spezifische Messorte zu beachten, die aufgrund anatomischer Verhältnisse von den Messorten für Erwachsene abweichen. Sichere Instrumente zur Feststellung der Vitalzeichen (siehe Kap. ▶ 14.4) sind z.B. die Auskultation mit dem Stethoskop (Herzfrequenz) oder die Pulsoxymetrie (Sauerstoffsättigung und peripherer Puls). Tab. 33.1 Normwerte für Puls, Blutdruck, Atmung bei Kindern und Jugendlichen. Altersstufe

Puls (Schläge pro Minute)

Blutdruck (in mmHg)

Atmung (Atemzüge pro Minute)

Frühgeborenes (Geburt vor der 37. SSW)

140–160*

50/30

30–60

Neugeborenes (0–4 Wochen)

120–140*

65/45

30–50

Säugling (< 1 Jahr)

110–130*

80/50

20–40

Kleinkind (1–6 Jahre)

100–120

90/50

20–30

Schulkind (7–12 Jahre)

80–110

100/60

18–25

Jugendlicher (13–18 Jahre)

60–80

120/80

10–22

*Geeignete Pulsmessorte beim Säugling sind die A. brachialis und die A. temporalis.

Physiologische Entwicklung: In den ersten Lebensmonaten und -jahren erreichen Kinder viele motorische, sprachliche und soziale Meilensteine (z.B. Kopf heben, Beginn des Laufens, erste Wörter sprechen). Entwicklungsverzögerungen lassen sich ebenfalls an diesen Meilensteinen der Entwicklung ausmachen (siehe nachfolgende Infografik und Kap. ▶ 9). Medikamentengabe: Säuglinge und Kinder benötigen aufgrund von Größe, Gewicht und der Organreife eine geringe Dosierung von Medikamenten. Der Entwicklungsstand beeinflusst ebenfalls die Applikationsform (z.B. Zäpfchen statt Tabletten oder Medikamente mörsern). Mehr dazu in Kap. ▶ 20.4.

Ernährung: Die Ernährung von Kindern sollte sich am Energiebedarf ( ▶ Tab. 33.2 ), Entwicklungszustand, Verhalten, Wachstum und Ernährungsverhalten des Kindes orientieren. Säuglinge: Muttermilch oder industrielle Milchnahrung ab dem 4.–5. Lebensmonat: Einführung von Beikost, Beginn z.B. mit Karottenbrei nach dem 10.–12. Lebensmonat: Übergang zur Kindernahrung, ausgewogene Mischkost Tab. 33.2 Energiebedarf von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen mit PAL 1,4 (nach DGE). Alter

Energiebedarf in kcal (pro Tag) weiblich

männlich

0–4 Monate

500

550

4–12 Monate

600

700

1–4 Jahre

1100

1200

4–7 Jahre

1300

1400

7–10 Jahre

1500

1700

10–13 Jahre

1700

1900

13–15 Jahre

1900

2300

15–19 Jahre

2000

2600

Aus: Hoehl M, Kullick P. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Stuttgart: Thieme; 2019

▶ Entwicklungsverlauf. Die Perzentilen ermöglichen die Beurteilung des Entwicklungsverlaufs. Werte zwischen der 3. und der 97. Perzentile gelten als unbedenklich. Eckdaten der physiologischen Größen- und Gewichtsentwicklung zeigt ▶ Tab. 33.3 . Tab. 33.3 Normale Größen- und Gewichtsentwicklung. Alter

Körpergröße

Körpergewicht

Neugeborenes

ca. 50 cm

3–4 kg

Alter

Körpergröße

Körpergewicht

4.–5. Monat

ca. 60 cm

Geburtsgewicht verdoppelt

11.–12. Monat

ca. 75 cm (Geburtsgröße + 50 %)

Geburtsgewicht verdreifacht

2 Jahre

die Körpergröße erreicht die Hälfte der zu erwartenden Endgröße

12–14 kg

4 Jahre

Geburtsgröße verdoppelt

15–17,5 kg

6 Jahre

ca. 120 cm

Geburtsgewicht versechsfacht

10 Jahre

ca. 140 cm

Geburtsgewicht verzehnfacht

Aus: Hoehl M, Kullick P. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Stuttgart: Thieme; 2019

33.1.3 Rechte von Kindern im Krankenhaus Um die Rechte von Kindern im Krankenhaus zu stärken, entstand 1988 auf der 1. Europäischen Konferenz „Kind im Krankenhaus“ in den Niederlanden die EACH-Charta. Sie fordert 10 Punkte für die Krankenhausbehandlung von Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre. Eine gesetzliche

Wirkung der EACH-Charta in Deutschland besteht nicht. Mehr dazu in Kap. ▶ 7.5.1.

KOMPAKT Das Kind im Krankenhaus Kinder reagieren auf die große Belastung eines Krankenhausaufenthalts mit Abwehr, so können sie Protest, Apathie, Depression und Resignation zeigen. Rooming-in eines Elternteils, mitgebrachte Dinge von Zuhause (Kuscheltiere, Kissen, Spielzeuge), Klinikclowns, Teilnahme im stationseigenen Spielzimmer und eine kindgerechte Vorbereitung auf den Krankenhausaufenthalt können diesen angenehmer machen Pflege: Kommunikation: Pflegende sprechen mit dem Kind (auch mit dem Säugling!) während der Pflegemaßnahme und bereiten es auch auf unangenehme Maßnahmen ehrlich vor. Körperpflege: Gute Gelegenheit zur pflegerischen Beobachtung. Eltern immer miteinbeziehen Schmerzbeobachtung: genaue Beobachtung von Säuglingen und Kleinkindern notwendig Vitalzeichen: Normwerte und Messorte unterscheiden sich je nach Altersstufe. Physiologische Entwicklung: Motorische, sprachliche und soziale Meilensteine sind Hinweise für eine altersentsprechende Entwicklung. Medikamentengabe: Säuglinge und Kinder benötigen aufgrund von Größe, Gewicht und der Organreife eine

geringe Dosierung und oft eine besondere Applikationsform von Medikamenten. Ernährung: Die Ernährung von Kindern orientiert sich am Entwicklungszustand, Verhalten, Wachstum und Ernährungsverhalten.

33.2 Alte Menschen im Krankenhaus Ein Krankenhausaufenthalt ist v.a. bei alten Menschen mit vielen Ängsten und Befürchtungen verbunden ( ▶ Abb. 33.1). Befürchtungen und Ängste alter Menschen im Krankenhaus. Abb. 33.1 Einfühlungsvermögen zeigt sich in einem verstehenden Zugang zu den Gedanken, Gefühlen und Sichtweisen anderer Menschen. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

33.2.1 Typische Pflegeprobleme von alten Menschen Die pflegerischen Schwerpunkte im klinischen Umfeld ergeben sich aus den altersbedingten Veränderungen oder

Erkrankungen wie z.B.: Mobilitätseinschränkung, Exsikkose, Multimorbidität, Mangelernährung, Harninkontinenz, Verwirrtheitszuständen. Zu den Grundprinzipien der Pflege für alle pflegebedürftigen Menschen im Krankenhaus zählen: Hilfe zur Selbsthilfe Ressourcenorientierung Erhaltung der Selbstständigkeit Vermittlung von Sicherheit altersentsprechende Vermittlung von Informationen Bei alten Menschen sind diese Prinzipien besonders zu beachten, um ihnen für die Zeit nach dem Krankenhausaufenthalt ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

33.2.2 Veränderungen im Alter Veränderungen, die im Laufe des Lebens auf natürliche Weise eintreten, werden als Biomorphose bezeichnet. Sie verläuft individuell, jedoch lassen sich typische Altersveränderungen benennen. Darunter fallen: die verringerte Bewegungs- und Leistungsfähigkeit, Veränderungen der Haut, Knochen und Organe, Veränderungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes, Veränderungen der Sensorik sowie die verlängerte Reaktionszeit. Mehr Informationen hierzu finden Sie in Kap. ▶ 9 „Grundlagen der Entwicklung und Psychologie“.

33.2.3 Pflegerische Maßnahmen bei alten Menschen Pflegende können durch gezielte Maßnahmen die Adhärenz des alten Menschen fördern: Ausgangssituation, schriftlich im Rahmen der Pflegeanamnese, erfassen. geduldiger und empathischer Ansprechpartner sein bei Ängsten, Unsicherheiten und Schmerzen Orientierung geben: Räumlichkeiten zeigen, am besten gleich nach der Aufnahme Funktionen und Abläufe erklären: direkt nach der Aufnahme ausführlich informieren, z.B. über die Funktion der Rufanlage, des Telefons und über interne Abläufe aktivierende Pflege und Unterstützung bei der Selbstpflege: Die Pflege alter Menschen ressourcenfördernd und aktivierend gestalten, damit die Patienten ihre Gewohnheiten beibehalten können und um ihre Selbstständigkeit zu erhalten bzw. zu fördern. Pflegetätigkeiten sollten nicht vorschnell übernommen werden. Durch verbale, visuelle und assistierende Anleitung können alte Menschen ihre Ressourcen abrufen, wenn ihnen Zeit gegeben wird. Aktivierende Pflege vermittelt Sicherheit (Pflege kann so durchgeführt werden wie gewohnt), erhält die Selbstständigkeit und fördert Mobilität und Beweglichkeit.

33.2.4 Menschen mit Demenz im Krankenhaus

Menschen mit einer demenziellen Erkrankung brauchen im Krankenhaus eine besonders begleitende und aufmerksame Pflege. Aufgrund der chronischen organischen psychischen Störung verlieren sich Gedächtnisleistung, Orientierungsvermögen, Denk- und Urteilsvermögen und die Sprache zunehmend (Deutsche Alzheimer Gesellschaft 2019). Angst- oder aggressionsauslösend können sich die fremde Umgebung, das fremde Personal, andere Strukturen/Abläufe, andere Mitpatienten, Lärm/Stress und fehlende Bezugspersonen auswirken. Pflegefachkräfte achten daher auf die empfohlenen Pflegemaßnahmen in den Bereichen Kommunikation, Prophylaxen, Ernährung, psychosozialen Therapieansätze sowie der Information, Anleitung und Beratung. Mehr hierzu in Kap. ▶ 56.8.2.

KOMPAKT Grundlagen der Pflege von alten Menschen im Krankenhaus Die physiologischen Veränderungen im Alter können sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken und erhöhen das Risiko für pathologische Veränderungen. Daher ist es besonders wichtig, die Selbstpflegefähigkeit im klinischen Umfeld zu erhalten, Ressourcen zu erkennen und einzusetzen. pflegerische Grundprinzipien im Umgang mit alten Menschen im Krankenhaus: Hilfe zur Selbsthilfe, Ressourcenorientierung, Erhaltung der Selbstständigkeit, Vermittlung von Sicherheit, die altersentsprechende Vermittlung der Informationen und die Beobachtung des Patienten

Grundlagen der Pflege bei Demenzerkrankten im Krankenhaus: Erkrankte haben Einbußen in den Bereichen Gedächtnisleistung, Orientierungsvermögen, Denk- und Urteilsvermögen, Sprache. Fremde Umgebungen, fremdes Personal, andere Strukturen und Abläufe, andere Mitpatienten, Lärm/Stress und fehlende Bezugspersonen können Angst oder Aggression auslösen. pflegerische Maßnahmen im Bereich der Kommunikation, Prophylaxen, Ernährung, psychosozialen Therapieansätze sowie der Information, Anleitung und Beratung

34 Pflege von Menschen im häuslichen Umfeld 34.1 Grundlagen

Versorgungsschwerpunkte: Grundpflege, medizinischdiagnostische oder medizinisch-therapeutische Maßnahmen (Behandlungspflege), Pflegeberatung und Anleitung von Bezugspersonen und Pflegeempfängern, hauswirtschaftliche Versorgung, Betreuungs-, Beschäftigungs- und Aktivierungsangebote, ergänzende Angebote wie z.B. „Essen auf Rädern“ oder „Hausnotruf“ ambulant vor stationär: Dieser Grundsatz gilt auf Basis der gesetzlichen Regelung u.a. in §43 Abs. 1 des 11. Sozialgesetzbuches (SGB XI). Ziele und Aufgaben: Ressourcenerhalt, selbstständiges Leben ermöglichen, Sicherungspflege gewährleisten und Krankenhausvermeidungspflege durchführen, Entlastung und Miteinbezug pflegender Bezugspersonen Vorteile der ambulanten Pflege: Geringere Kosten für das Gesundheitssystem, höheres Wohlbefinden für den Klienten, schnellere Fortschritte auf dem Weg zur Gesundung bzw. Selbstständigkeit und ein geringeres Risiko für nosokomiale Infektionen. Fängt Pflegebedürftige nach frühen Krankenhausentlassungen auf. Pflegende begleiten den pflegebedürftigen Menschen meist über einen längeren Zeitraum. Finanzierung: Je nach Art der Pflege (Grund- oder/und Behandlungspflege) wird die Finanzierung durch das Sozialgesetzbuch (SGB) V (Krankenversicherung) bzw. SGB XI (Pflegeversicherung) geregelt. Einzelheiten werden zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen, den Trägern der ambulanten Pflegeeinrichtungen, dem medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sowie Vertretern der privaten Krankenversicherung und der Sozialhilfe ausgehandelt.

34.2 Pflegegrade Das 2. Pflegestärkungsgesetz (PSG II, 1.1.2017) hat eine grundlegende Veränderung des Pflegesystems und damit aller Beteiligten herbeigeführt. Kernelemente der Veränderung sind der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, 5 Pflegegrade (ersetzen 3 Pflegestufen) und das neue Begutachtungsinstrument (neues Begutachtungsassessment, NBA).

Definition Pflegebedürftigkeit nach SGB XI Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder ihrer Fähigkeiten aufweisen und deshalb Hilfe bedürfen. Pflegebedürftig ist, wer körperliche, kognitive, psychische oder gesundheitliche Belastungen nicht selbstständig ausgleichen kann. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, für mindestens 6 Monate, bestehen.

34.2.1 Einschätzung des Pflegegrads Nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (seit 01.01.2017) beurteilen und gewichten Gutachter 6 Lebensbereiche („Module“) auf die pflegerisch relevante Beeinträchtigung der Selbständigkeit: Mobilität (10 %): z.B. Treppensteigen, Transfers, Verlassen der Wohnung Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (7,5 %): z.B. Orientierung zu Ort und Zeit, Steuerung von Alltagshandlungen

Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (7,5 %): z.B. selbstschädigendes Verhalten Selbstversorgung (40 %): z.B. Körperpflege, Kleiden, Essenszubereitung, Ausscheiden Bewältigung von bzw. selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (20 %): z.B. Arztbesuche, Medikation, Verbandswechsel Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (7,5 %): z.B. Tagesablauf, Besuche, regelmäßige Wachund Schlafenszeiten Die Module „Außerhäusliche Aktivitäten“ sowie „Haushaltsführung“ werden ebenfalls begutachtet, fließen aber nicht in die Einstufung des Pflegegrades ein. Nach einer Begutachtung und Einstufung des Pflegebedürftigen erhält der Betroffene ... finanzielle Unterstützung, Pflegesachleistungen oder die Übernahme von Kosten einer teil- oder vollstationären Pflege. Bei Kindern werden ähnliche Lebensbereiche beurteilt. Als Vergleichsmaßstab dient die Selbstständigkeit von Kindern im vergleichbaren Alter ohne Beeinträchtigung.

34.2.2 Einteilung der Pflegegrade Je nach Selbstständigkeit wird der Pflegebedürftige durch den Medizinischen Dienst (bei gesetzlich Versicherten) bzw. durch eine GmbH namens Medicproof (bei privat Versicherten) einer dieser 5 Pflegegrade zugeordnet ( ▶ Tab. 34.1 ). Bei der Beantragung helfen Pflegende des mobilen Dienstes weiter.

Tab. 34.1 Pflegegrade. Pflegegrad

Einteilung

1

geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

2

erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

3

schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

4

schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten

5

schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung

34.3 Versorgung im häuslichen Umfeld Grundpflege: Nach den Bestimmungen der Pflegeversicherung versteht man darunter die Maßnahmen zur Körperpflege, Ernährung und Mobilität. Sie wird auf Antrag des Klienten bei der Pflegeversicherung bewilligt. Behandlungspflege: wird von einem Arzt verordnet und umfasst Maßnahmen wie Verbandwechsel, Wundversorgung, Injektionen, Blutzuckerkontrollen und Medikamentenüberwachung. Die Kosten übernimmt die Krankenkasse des Pflegeempfängers. Beratung und Anleitung: Pflegekurse für pflegende Bezugspersonen, Pflegeanleitung zu Hause, Beratungen nach §37 Abs. 3 SGB X (vorgeschriebene Beratung für Pflegegeldempfänger), Beratung zu Leistungen und Hilfsmitteln Hauswirtschaftliche Versorgung und Betreuungs-/Aktivierungsangebote: Hauswirtschaftliche Kräfte sichern bei erhöhter Pflegebedürftigkeit z.B. das Einkaufen oder die Essenszubereitung, die Wäschepflege und das Reinigen des Haushaltes. Angebote wie Gespräche, Vorlesen,

Spaziergänge und Begleitungen werden z.B. von Mitarbeitern der Nachbarschaftshilfe geleistet.

Merke Ärztliche Verordnung Um Leistungen der Behandlungspflege zu erhalten und erstattet zu bekommen, ist eine ärztliche Verordnung nötig. Diese muss je nach Verschreibungsdauer (meist alle 4 Wochen) erneuert werden. Im Einzelfall kann der Arzt auch eine Grundpflege oder eine hauswirtschaftliche Versorgung anweisen.

34.4 Besonderheiten der häuslichen Pflege Vom Pflegeempfänger zum Klienten: Pflegekräfte kommen als Gast zum Klienten oder Kunden. Sie müssen an der Haustür klingeln und dürfen Gegenstände in der Wohnung nicht einfach wegräumen oder abgelaufene Lebensmittel ohne Rücksprache wegwerfen. Erstgespräch: übernimmt meistens die Pflegedienstleitung und klärt auch die Beantragung eines Pflegegrades Pflegevisite: dient in regelmäßigen Abständen als Instrument zur Qualitätssicherung Pflegedokumentation: dient als Nachweis der geleisteten Arbeit und verbleibt bei einer Papierfassung meistens beim Klienten Pflegefachkräfte als Gesprächspartner: Tourenpläne sind zeitlich getaktet, dennoch kann die Pflegefachkraft sich auch individuell Zeit für ein Gespräch mit dem Klienten nehmen.

Hausnotrufsysteme: Notfallknopf an Armband oder Kette ermöglicht, jederzeit Hilfe anzufordern, z.B. nach einem Sturz. Schweigepflicht: gilt auch für ambulant tätige Pflegefachkräfte (betrifft v.a. Postgeheimnis, Fernmeldeoder Telekommunikationsgeheimnis) Hilfsmittelbeschaffung: Ambulante Pflegedienste helfen bei der Beantragung und Beschaffung.

34.5 Spezielle Formen der ambulanten Pflege 34.5.1 Ambulante Intensivpflege und Heimbeatmung Schwerstpflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sind auf ambulante Intensivpflege durch Pflegekräfte angewiesen. Spezielle Pflegedienste bieten daher eine 24Stunden-Betreuung an, die durch Pflegende im 3- bzw. 2Schicht-System übernommen wird. Spezielle Leistungen sind z.B. Heimbeatmung, Absaugung, Mobilisation, Begleitung zur Arbeitsstelle, Schule oder Freizeitaktivitäten.

34.5.2 Häusliche Kinderkrankenpflege Ganzheitliche und familienorientierte Pflege erhalten Familien mit chronisch kranken, behinderten oder sterbenden Kindern von der ambulanten Kinderkrankenpflege. Kinder können in ihrem familiären Umfeld wirkungsvoller gepflegt und mit ihren Bedürfnissen und Wünschen besser einbezogen werden. Häufig ergibt sich die Notwendigkeit der ambulanten

Kinderkrankenpflege aus einem Klinikaufenthalt. Schon bei der Überleitungspflege kann ein erster Kontakt zwischen dem zu pflegenden Kind und dem ambulanten Pflegedienst hergestellt werden. Dieses Vorgehen fördert die Vertrauensbasis des Kindes und seiner Eltern zu den ambulanten Pflegefachkräften.

34.6 Umgang mit Angehörigen Im Umgang mit den Klienten und deren Bezugspersonen können folgende Punkte eine gelungene Zusammenarbeit ermöglichen: Umfeld und Lebensgestaltung der Klienten akzeptieren (z.B. ungewöhnliche Alltagsrituale) Konflikte innerhalb von Familien aushalten (und nicht zu lösen versuchen) fachliche Verbesserungsvorschläge machen professionell auftreten helfend eingreifen (z.B. bei erschöpften Angehörigen) auf Unterstützungsmaßnahmen hinweisen (z.B. Kurzzeitpflege, Tagespflege, Nachtpflege, Verhinderungspflege nach §39 SGB XI, Selbsthilfegruppen)

34.7 Verhalten in besonderen Situationen Klient öffnet nach mehrmaligem Klingeln die Tür nicht: Ist kein Schlüssel vorhanden bzw. kann ein Schlüssel nicht durch Angehörige oder den Betreuer organisiert werden, darf die Pflegefachkraft durch ein

Fenster oder die Terrassentür hineinspähen, um zu überprüfen, ob sich der Klient in einer hilflosen Lage befindet. In diesem Fall informiert die Pflegefachkraft sofort die Polizei (Notrufnummer 110) bzw. die Rettungsleitstelle (112). Das selbstständige Aufbrechen von Türen oder Einschlagen von Fenstern ist nicht erlaubt. Kann keine Notsituation erkannt werden, sollte die Pflegedienstleitung (PDL) des Pflegedienstes trotzdem informiert werden (meistens ist ein Notfallstandard vorhanden). Verwahrlosung: Bedingt durch bestimmte Erkrankungen wie Suchterkrankungen, Depression oder das Vermüllungs- oder Diogenes-Syndrom, aber auch durch ein anderes Verständnis von Sauberkeit, können Personen und ihre Haushalte verwahrlosen. Pflegende können durch das Hinzuziehen weiterer Dienste und bei einem Betreuungsverfahren unterstützend beraten und agieren. Andere Ansichten von pflegenden Bezugspersonen: Gespräche und Beratungsangebote sowie das Hinzuziehen des Hausarztes können pflegende Bezugspersonen auch von anderen Ansichten von Pflege ihrer Pflegeempfänger überzeugen. Gewalt: Treten regelmäßig Hämatome oder sogar Frakturen bei Klienten auf, sind diese zu dokumentieren und die PDL zu informieren. Erhärtet sich der Verdacht auf Gewalt oder Missbrauch, sucht der mobile Dienst das Gespräch mit den Angehörigen, evtl. mit Unterstützung des Hausarztes. Bessert sich die Situation nicht, ist die Polizei einzuschalten. üble Gerüche: Chronische Wunden oder exulzerierende Tumoren riechen oft sehr stark. Nicht nur Pflegende werden dadurch belastet, sondern auch der Klient in seiner sozialen Teilhabe. Wundexperten können durch

spezielle Verbände den Geruch eindämmen. Duftsäckchen und Lüften helfen ebenfalls, den Geruch zu vermindern.

KOMPAKT Grundlagen der häuslichen Pflege Vorteile der häuslichen Pflege: ambulant vor stationär: Pflegeempfänger können trotz des Pflegebedarfs im gewohnten Umfeld bleiben bzw. wieder schneller zurückkehren. schnellere Fortschritte zur Gesundung/Selbstständigkeit sowie weniger nosokomiale Infektionen Pflegende Angehörige werden entlastet oder ergänzend unterstützt. geringere Kosten für das Gesundheitssystem Pflegeempfänger werden über längeren Zeitraum meist von dem gleichen Pflegepersonal betreut (trägt zum Wohlbefinden bei). Die häusliche bzw. ambulante (Kinderkranken-)Pflege bietet Leistungen der Grund-, Behandlungs- und Intensivpflege sowie hauswirtschaftlicher Art an. Je nach Leistungsart wird die Finanzierung durch das XI. (Krankenversicherung – Behandlungspflege) oder V. Sozialgesetzbuch (Pflegeversicherung – Grundpflege) geregelt. Pflegebedürftige werden entsprechend ihrer Selbstständigkeit vom MDK (bei gesetzlich Versicherten) oder durch Medicproof (bei privat Versicherten) in die Pflegegrade 1–5 eingestuft. Dabei wird die Selbstständigkeit in 6 Lebensbereichen beurteilt:

Mobilität kognitive und kommunikative Fähigkeiten Verhaltensweisen und psychische Problemlagen Selbstversorgung Bewältigung von bzw. selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte Entsprechend der Einstufung erhalten Klienten finanzielle Leistungen zur Grundpflege. Behandlungspflege muss immer ärztlich verordnet sein. Manche Situationen in der ambulanten Pflege stellen Pflegende vor eine besondere Herausforderung. Ob bei Verwahrlosungs- und Gewaltproblematik oder dem Nichtantreffen eines Klienten: Die Pflegedienstleitung (PDL) des ambulanten Pflegedienstes dient als erster Ansprechpartner. Spezielle Formen der häuslichen Pflege: ambulante Intensivpflege, Heimbeatmung, häusliche Kinderkrankenpflege

35 Pflege von Menschen in stationären Langzeiteinrichtungen 35.1 Rahmenbedingungen

Laut dem Statistischen Bundesamt waren 2019 rund 4,1 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Rund 818 000 Pflegebedürftige lebten 2019 in stationären Langzeiteinrichtungen. 94 % dieser Einrichtungen versorgen Menschen in einem höheren Lebensalter.

35.1.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen 35.1.1.1 Heimgesetze Das Bundes-Heimgesetz ist inzwischen durch landesrechtliche Regelungen der einzelnen Bundesländer abgelöst worden. Die Gesetze tragen je nach Zielsetzung in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Namen. Da diese Gesetze jedoch in wesentlichen Bereichen identisch sind, wird an dieser Stelle auf eine Auflistung der einzelnen Landesgesetze verzichtet. Ziele der Heimgesetze: Schutz der Bewohner, Förderung von Selbstständigkeit, Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Zentrale Aspekte sind: Heimvertrag: schriftlicher Vertrag zwischen Heimbetreiber und Pflegeempfänger, regelt z.B. die Leistungen und Entgelte Heimbeirat: wird von den Pflegeempfängern gewählt und stellt deren Mitwirkung sicher. Er ist z.B. Ansprechpartner für Anregungen und Beschwerden, Alltagsaktivitäten oder Veranstaltungen. Heimaufsicht: Ohne Anmeldung wird regelmäßig die Einhaltungen sämtlicher Bestimmungen durch die Heimaufsichtsbehörde der Bundesländer überprüft.

35.1.1.2 Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung übernimmt anteilig Kosten für körperbezogene Pflegemaßnahmen (Grundpflege), Betreuung und hauswirtschaftliche Versorgung. Der Kostenzuschuss für die vollstationäre Versorgung ist abhängig vom Pflegegrad (Stand 2022): Pflegegrad 1 = 125 Euro Pflegegrad 2 = 770 Euro Pflegegrad 3 = 1262 Euro Pflegegrad 4 = 1775 Euro Pflegegrad 5 = 2005 Euro Darüber hinaus entstehende Kosten sind vom Pflegeempfänger selbst zu entrichten. Mehr zu diesem Thema in Kap. ▶ 34.2.

35.1.2 Rahmenkonzepte Die Grundsätze einer Einrichtung werden in einem Leitbild festgehalten. Die dort aufgeführten abstrakten Ziele und Handlungsanweisungen werden in einem Rahmenkonzept in praktische und überprüfbare Kriterien übersetzt. Rahmenkonzepte berücksichtigen aktuelle Bedürfnisse, formulieren Zielsetzungen und Qualitätskriterien und bieten Orientierung für die tägliche Arbeit. Rahmenkonzepte können sich in der alltäglichen hauswirtschaftlichen Versorgung widerspiegeln (z.B. Selbstbestimmung, Mitwirken bei Tätigkeiten wie Zubereitung von Essen) oder in jahreszeitlich passenden Gestaltungsangeboten (z.B. Raumdekoration).

35.1.3 Organisationsstrukturen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten müssen klar geregelt sein. Ein Organisationskonzept regelt wer welche Aufgabe, zu welchem Zeitpunkt und mit welchen Mitteln zu erfüllen hat.

35.1.3.1 Aufbau- und Ablauforganisation Die Aufbauorganisation teilt Aufgaben in unterschiedliche Aufgabenbereiche ein (z.B. Pflegedienstleitung, Küchenleitung, Wohnbereichsleitung etc., ▶ Abb. 35.1) und legt Zuständigkeiten fest. Die Ablauforganisation beschreibt Arbeits- und Leistungsbringung (z.B. Einzug eines neuen Bewohners) und beeinflusst die Prozessqualität. Struktur und Aufbau eines Altenpflegeheimes. Abb. 35.1  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

35.1.3.2 Pflegeorganisation Ganzheitliche Pflegesysteme Pflegefachkraft versorgt kleine Gruppe von Pflegeempfängern Pflegefachkraft organisiert für die Gruppe pflegerische, hauswirtschaftliche, therapeutische, organisatorische Tätigkeiten Funktionale Pflegesysteme Pflegefachkraft versorgt große Gruppe von Pflegeempfängern

Pflegefachkraft ist immer für die gleichen Arbeitsschritte zuständig Ganzheitliche Pflegesysteme haben sich in der stationären Langzeitpflege durchgesetzt. Hier unterscheidet man 2 Arten: Bereichspflege 10 bis 15 Bewohner werden zu einer Gruppe zusammengefasst, für den Bereich zuständige Pflegekräfte übernehmen alle direkten und indirekten Maßnahmen. Bezugspflege ebenfalls Zusammenfassung einer Bewohnergruppe, allerdings mit kontinuierlicher Zuständigkeit bestimmter Pflegekräfte (Bezugspflegepersonen) Mehr Informationen zur Bereichs- und Bezugspflege finden Sie in Kap. ▶ 6.3.

35.2 Wohnen und Alltag 35.2.1 Einzug und Eingewöhnung ▶ Einzug. Vor dem Einzug können im Rahmen eines Informationsgesprächs Fragen geklärt und wichtige Informationen ausgetauscht werden. Inhalte sollten sein: Einrichtung vorstellen und kennenlernen Einrichtungsmöglichkeiten des Zimmers aufzeigen Betreuungs- und Beschäftigungsangebote hauswirtschaftliche Versorgung Pflegekonzept

Anamnese, medizinische/pflegerische/biografische Aspekte des künftigen Bewohners Ein Einzug in eine stationäre Langzeiteinrichtung ist ein bedeutender Schritt für den künftigen Bewohner. Er löst häufig Sorgen und Ängste aus. Aufgaben für die Pflegekräfte in diesem Kontext sind: Erstgespräch führen (Pflegeanamnese, Risikoeinschätzung, Pflegeprozessplanung einleiten) Fragen und Probleme klären Pflegeempfänger sollte sich sicher und angenommen fühlen sicherstellen, dass das Zimmer vertraut gestaltet werden kann Angehörige miteinbeziehen festen Ansprechpartner bestimmen, besonders während der Eingewöhnungszeit ▶ Alltagsbegleitung. Die ersten Wochen nach dem Einzug sind eine große Umstellung im Leben der meisten Pflegeempfänger. Der Verlust von Aufgaben und Verantwortungsbereichen kann als sehr belastend empfunden werden. Wichtig ist deshalb, sinnstiftende Tätigkeiten zu ermöglichen, mit dem Ziel, Struktur zu geben und Wohlbefinden zu steigern. Beispiele hierfür sind: hauswirtschaftliche Tätigkeiten (z.B. Speisesaal vorbereiten) Spaziergänge (z.B. auf dem Gelände, im Park) Zeitungsrunden (z.B. Vorlesen lassen) Musizieren (z.B. mit einfachen Instrumenten) Singen (z.B. bekannte Liedtexte)

Gesprächsrunden (z.B. über eigene Fotos, aktuelle Themen) Aktivierungs- und Bewegungsangebote (z.B. Spiele)

35.2.2 Psychosoziale Begleitung und Beziehungsgestaltung 35.2.2.1 Personenzentrierter Ansatz nach Kitwood Dieser Ansatz stellt psychosoziale Bedürfnisse von Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt. Ziel: „Personsein" erhalten, fördern und wiederherstellen, „Personsein" führt zu Wohlbefinden und beinhaltet: Gefühl von Sicherheit, Vertrauen und Hoffnung Kontakt zu anderen Menschen, „dazugehören“ etwas wert sein etwas tun/bewirken können Pflegekräfte müssen sich empathisch, wertschätzend und echt (= kongruent) verhalten, um auf diese Bedürfnisse eingehen zu können.

35.2.2.2 Psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm Dieses Modell beruht auf der Annahme, dass demente Menschen in frühere Phasen ihres Lebens („Prägungszeit“) zurückfallen. Je mehr aus der Biografie dieser Menschen bekannt ist (z.B. aus Bereichen wie Kultur, Sozialisation, Erfahrungen), desto besser kann man ihr Verhalten in der Demenz erklären und verstehen. Ziel: Durch individuelle, spezifische Maßnahmen können Erinnerungen aus der Prägungszeit geweckt werden. Auf diese Weise wird eine individuelle, reaktivierende Pflege ermöglicht.

Beispiel: Ein Zimmer ist mit persönlichen Möbelstücken und Gegenständen ausgestattet, um eine vertraute Umgebung zu schaffen.

35.2.2.3 Basale Stimulation Ziel: Wahrnehmung, Körper- und Bewegungserfahrungen fördern Es gibt verschiedene Arten der Stimulation: Taktil-haptische Stimulation (= Tast- und Berührungssinn): Berührungen sind gute Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Kündigen Sie die Berührung immer an und halten Sie diese konstant. Vermeiden Sie Berührungen durch mehrere Personen. Auditive Stimulation (= Hörsinn): Die Aufmerksamkeit wird auf einen auditiven Reiz (z.B. Stimme) gelenkt. Gleichzeitig werden zusätzliche Reize (Nebengeräusche wie z.B. Radio, Fernseher, weitere Stimmen) reduziert. Orale und olfaktorische Stimulation (= Geschmacksund Geruchssinn): Der Geschmackssinns wird z.B. durch die Lieblingsspeisen, süße/saure Speisen aktiviert. Biografiebezogene Düfte, z.B. Blumen für Gärtner, Maschinenöl für Mechaniker, aktivieren den Geruchssinn. Visuelle Stimulation (= Sehsinn): Dabei wird die Umgebung mit sinnvollen und eindeutigen Gegenständen gestaltet, z.B. Fotos, Farben oder Dekorationsgegenstände mit biografischem Bezug. Mehr Infos zur Basalen Stimulation finden Sie in Kap. ▶ 16.4 „Grundlagen der Basalen Stimulation“.

35.2.2.4 Berührungstherapie Ziel: den Körper positiv erfahren, den Körper als Ganzes wahrnehmen

Berührungen können bei Menschen mit einer eingeschränkten Wahrnehmung positiven Einfluss auf die Gemütslage haben. Sie können über Berührungen mit dem Pflegeempfänger kommunizieren und dessen Selbstwahrnehmung fördern. Setzen Sie dabei z.B. rhythmische Einreibungen oder unterschiedliche Berührungsintensitäten ein.

35.2.2.5 Realitätsorientierungstraining (ROT) Ziel: die Gedächtnisleistung fördern, die Orientierung verbessern Hierzu werden Orientierungshilfen angeboten, um einen Realitätsbezug zu geben. Sprechen Sie z.B. den Pflegeempfänger stets mit Namen an, begrüßen Sie ihn am Morgen und geben Sie ihm direkt Informationen zum aktuellen Wochentag, Datum und zu den heutigen Plänen. Stellen Sie ihm einfache Fragen während den Pflegemaßnahmen (z.B. welche Seife, die rote oder die gelbe Bluse etc.). Das bezieht den Pflegeempfänger ein und ermöglicht Selbstbestimmung.

35.2.2.6 Validation Spezielle Kommunikationstechnik, bei der das individuelle Erleben des Menschen mit Demenz im Vordergrund steht und weniger die Inhaltsebene. Ziel: Betroffene fühlen sich verstanden und angenommen. Vertrauensverhältnis zwischen Pflegefachkraft und Pflegeempfänger wird verbessert. Gefühle und Antriebe des Pflegeempfängers werden wahrgenommen und dem Betroffenen in kurzen Sätzen gespiegelt, z.B. Pflicht- oder Verantwortungsbewusstsein, Pünktlichkeit, Genauigkeit usw. Durch Gesprächslenkung auf das entsprechende Gefühl kann die Unterhaltung auf eine allgemeine Ebene geführt werden. Vermeiden Sie eine korrigierende Kommunikation.

35.2.2.7 10-Minuten-Aktivierung Ziel: Förderung des Gedächtnisses, des Auffassungs-, Erinnerungs- und Konzentrationsvermögens Pflegeempfänger können sich aufgrund von Erkrankungen nur eine begrenzte Zeit lang konzentrieren. Die 10Minuten-Aktivierung nutzt die Ressource eines kurzen Zeitraums mit Fokus auf individuelle Themen (z.B. Kochen). Die Pflegefachkraft stellt eine Themenkiste (z.B. Schuhkarton) zusammen ( ▶ Abb. 35.2). Dabei ist wichtig: Wählen Sie Inhalte/Themen, in denen der Pflegeempfänger Experte ist. Die Inhalte sollten unterschiedliche Sinne ansprechen (anfassen, riechen, schmecken, sehen, hören). Stellen Sie evtl. aktivierende Fragen zu den Inhalten. Vorteile: wenig Vorbereitungszeit, spontan anwendbar, individuell gestaltbar, eine kognitive Überforderung wird durch klar begrenzten Zeitumfang vermieden. Themen-Boxen für die 10-Minuten-Aktivierung. Abb. 35.2  (Foto: K. Oborny, Thieme)

35.2.2.8 Erinnerungspflege Im Rahmen täglicher Pflegemaßnahmen können Gegenstände oder Fotos genutzt werden, um Erinnerungen des Pflegeempfängers zu aktivieren. Erinnerungen können nicht nur über visuelle, sondern auch über orale, olfaktorische, auditive oder haptisch-taktile Reize geweckt werden. Ziel: Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukünftigem schaffen, Wohlbefinden und Ressourcen fördern, Beziehung zwischen Pflegefachkraft und Pflegeempfänger verbessern

35.2.2.9 Biografiearbeit Als zentraler methodischer Ansatz dient sie als Grundlage einer aktivierenden Kommunikation und Interaktion. Sie ist für sämtliche therapeutische Konzepte erforderlich (z.B.

Validation, 10-Minuten-Aktivierung). Die Biografie eines Menschen besteht aus der Lebensgeschichte, den Erlebnissen und Erfahrungen (zur Abgrenzung: Der Lebenslauf ist die zeitliche Abfolge biografischer Daten). Ziel: Der Pflegeempfänger wird individuell und passend aktiviert und gefördert.

35.2.2.10 Snoezelen Begriff (ausgesprochen „snuselen") besteht aus den niederländischen Wörtern „snuffelen" (= schnüffeln) und „doezelen" (= dösen). Ziel: Deprivationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.13), Sicherheit vermitteln, Entspannung ermöglichen, Aggression abbauen In einigen Einrichtungen gibt es spezielle Snoezelenräume. Der Snoezelenwagen hingegen ist mobil und in allen Wohnbereichen einsetzbar. Er ist für Pflegeempfänger mit fortgeschrittenem Pflegebedarf geeignet. Auf einem Snoezelenwagen befinden sich u. a. Lichtspiele und projektoren, Duftlampen, Kuscheltiere oder Spielkugeln. Unter Einsatz der verschiedenen Materialien können visuelle, akustische oder olfaktorische Reize gesetzt werden.

35.2.3 Tod und Verabschiedung In stationären Langzeiteinrichtungen tritt das Thema Sterben und Tod relativ häufig in Erscheinung. Durch eine lange Verweildauer entstehen intensive Beziehungen, die eine Abschiedskultur für Pflegefachkräfte und Bewohner bedeutsam und notwendig werden lassen. Möglichkeiten: frei zugängliche Trauerecke mit Fotos von Verstorbenen, Blumen, Gedenkbücher, ggf. religiöse Symbole

Gesprächsbereitschaft gegenüber Kollegen und Bewohnern Erinnerungen, Gedanken und Ängste ernst nehmen

KOMPAKT Pflege von Menschen in stationären Langzeiteinrichtungen Rahmenbedingungen Heimgesetze: garantieren Schutz und Selbstbestimmung der Bewohner Pflegeversicherung: anteilige Kostenübernahme für Pflege und Betreuung, gestaffelt in 5 Pflegegrade Organisationsstrukturen: Aufgabenbereiche, Arbeitsabläufe und Pflegemodelle Einzug vorab Informationsgespräch wichtiger Lebenseinschnitt zur Eingewöhnung feste Ansprechpartner Psychosoziale Begleitung personenzentrierter Ansatz nach T. Kitwood: Bedürfnisse erkennen psychobiografisches Modell nach Böhm: Verhaltensweisen verstehen Basale Stimulation: Wahrnehmung fördern Berührungstherapie: kommunizieren, Selbstwahrnehmung fördern Realitätsorientierungstraining (ROT): Orientierung verbessern

Validation: Kommunikation auf Gefühle/Antrieb ausrichten 10-Minuten-Aktivierung: Erinnerungen aktivieren in zeitlich begrenztem Rahmen Erinnerungspflege: tägliche Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart Biografiearbeit: zentrale Grundlage der Kommunikation Snoezelen: Deprivationsprophylaxe Tod und Verabschiedung Abschiedskultur Trauerecke Möglichkeit für Gespräche

36 Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung 36.1 Grundlagen

Die WHO (Regionalbüro Europa) definiert geistige Behinderung wie folgt:

Definition Geistige Behinderung „Geistige Behinderung bedeutet eine signifikant verringerte Fähigkeit, neue oder komplexe Informationen zu verstehen und neue Fähigkeiten zu erlernen und anzuwenden (beeinträchtigte Intelligenz). Dadurch verringert sich die Fähigkeit, ein unabhängiges Leben zu führen (beeinträchtigte soziale Kompetenz). Dieser Prozess beginnt vor dem Erwachsenenalter und hat dauerhafte Auswirkungen auf die Entwicklung. Behinderung ist nicht nur von der individuellen Gesundheit oder den Beeinträchtigungen eines Kindes abhängig, sondern hängt auch entscheidend davon ab, in welchem Maße die vorhandenen Rahmenbedingungen seine vollständige Beteiligung am gesellschaftlichen Leben begünstigen.“ (WHO, 2020) Abhängig vom IQ wird zwischen leichter, mittelschwerer, schwerer und schwerster geistiger Behinderung unterschieden. Trotz der o.g. Einschränkung empfinden diese Menschen Freude und Trauer, sie differenzieren zwischen Gut und Böse und sie sind individuelle Persönlichkeiten.

Merke Inklusion Geistige Behinderung ist keine Krankheit. Gesellschaftliches Ziel ist heute die Inklusion, d.h., die vollständige und gleichberechtigte Integration behinderter Menschen in das soziale Leben.

Das Recht auf Inklusion ist in der UNBehindertenkonvention festgeschrieben. Zielsetzung der aus 50 Artikeln bestehender Vereinbarung ist ein selbstbestimmtes menschenwürdiges Leben ohne Diskriminierung. Die ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) der WHO integriert folgende Sichtweisen auf Behinderung: Das medizinische Modell sieht Behinderung als Problem einer Person, d.h., Folge einer Krankheit, eines Unfalls oder einer anderen Störung. Demnach sollen Therapie und Heilung angestrebt werden. Das soziale Modell: hier liegt das Problem in der Gesellschaft. Die Forderung ist, die gesellschaftlichen Bedingungen so zu verändern, dass volle Integration für alle Menschen möglich ist.

36.1.1 Formen geistiger Behinderung Häufige Formen bzw. Ursachen geistiger Behinderung:

36.1.1.1 Down-Syndrom Das Down-Syndrom (Trisomie 21) ist eine angeborene genetische Anomalie, bei der das Chromosom 21 dreifach vorliegt. Menschen mit Down-Syndrom haben mandelförmige Augen, einen gedrungenen Körper, kurze und breite Hände sowie eine Konzentrations- und Lernschwäche. Eine individuelle und gezielte Förderung trägt maßgeblich zu ihrer Entwicklung bei.

36.1.1.2 Zerebralparese Eine Zerebralparese ist eine spastische Lähmung, die auf der Minderversorgung des zentralen Nervensystems mit Sauerstoff (Hypoxie) während der Schwangerschaft oder der Geburt beruht. Die Folge ist eine permanente Störung der Bewegung, der Haltung und der motorischen Funktionen.

Symptomatisch zeigen sich neben der Steifheit der Muskulatur mit verlangsamten Bewegungsabläufen, Athetose (unwillkürliche verkrampfte Bewegungen) und Ataxie (unkoordinierte und überschüssige Bewegungen). Häufig sind die Sprache, das Hören, Sehen oder die Wahrnehmung sowie die Intelligenz beeinträchtigt. Eine ▶ Epilepsie kann ebenfalls vorliegen.

36.1.1.3 Neuralrohrdefekt Der Neuralrohrdefekt ist eine pränatale Entwicklungsstörung im Bereich des Rückenmarks, der sog. „offene Rücken“ (Spina bifida). Abhängig von der Schwere der Störung zeigen sich die Symptome sehr unterschiedlich: als Bewegungseinschränkung bis zur Paraplegie, verminderte oder aufgehobene Sensibilität, Querschnittlähmung. Ist das Gehirn mitbeteiligt, können zudem schwere geistige Behinderungen auftreten.

36.1.1.4 Autismus-Spektrum-Störung Die autistischen Störungen zählen zu den neurologischen Entwicklungsstörungen. Auffälligkeiten zeigen sich im sozialen Umgang (z.B. fehlende Empathiefähigkeit), in der Kommunikation (z.B. fehlende Sprachmelodie) und im Verhalten (z.B. wiederholende und stereotype Verhaltensmuster). Unterschieden wird die Störung in „frühkindlichen Autismus“, „Asperger-Syndrom“ und „atypischen Autismus“. Kinder mit frühkindlichem Autismus stellen oft bereits vor dem 3. Lebensjahr die Kommunikation ein, sie sprechen zunehmend weniger, nehmen an Spielen nicht teil und zeigen kaum bzw. kein Interesse an sozialen Beziehungen. Typisch für diese Kinder ist das Wiederholen bestimmter Verhaltensweisen oder Satzfragmente. Ausführliche Informationen zum Thema Autismus finden Sie im Kap. ▶ 56 „Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Psyche“.

36.1.2 Häufige Begleiterkrankungen Einige Erkrankungen treten bei Menschen mit geistiger Behinderung öfter auf als gewöhnlich, weil häufig eine Prädisposition (Empfänglichkeit) für bestimmte Erkrankungen vorliegt ( ▶ Tab. 36.1 ). Tab. 36.1 Häufige Erkrankungen und mögliche Ursachen bei Menschen mit geistiger Behinderung. Erkrankung

Ursachen, z.B. …

gastroösophagealer Reflux

Nebenwirkung von Antiepileptika, veränderte Körperhaltung durch Skoliose, neurogen bedingte Spastiken

Obstipation

Bewegungsmangel, Medikamentennebenwirkungen, ggf. falsche Ernährung (z.B. zu wenig Flüssigkeit und ballaststoffarme Kost), endokrine Störungen, Verletzungen oder Dysfunktionen des Darms

Seh- und Hörbeeinträchtigungen

angeborene Defekte des Gehörgangs, zerebrale Lähmung, Zerumen und/oder Fremdkörper im Gehörgang

Skelettdeformationen

angeboren oder erworben, z.B. durch einseitige Körperhaltung oder Bewegung, Osteoporose durch Immobilität

Epilepsie

angeborene neurologische Störung; Menschen mit Behinderungen erleiden etwa 20-mal häufiger epileptische Anfälle als Menschen ohne Behinderung

Zahnerkrankungen

mangelnde Mundhygiene, Reflux, Wucherungen am Zahnfleisch, Bruxismus (Zähneknirschen), Trauma nach Sturz, Reflux

36.1.3 Rechtliche Grundlagen Folgende Gesetze und Gesetzesbücher regeln die Rechte eines Menschen mit Behinderung, seine Gleichstellung und Teilhabe: Das Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen. Ziel ist die Selbstbestimmung behinderter Menschen und

ihre umfassende Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 1 SGB IX). Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) soll die Zielsetzung des SGB IX stärken, v.a. durch Eingliederungshilfeleistungen, Teilhabe am Arbeitsleben oder an der Bildung. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) regelt die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im Bereich des öffentlichen Rechts. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Menschen mit Behinderung im privaten Rechtsverkehr. Schwerbehinderung nach SGB IX: Menschen mit Behinderung können sog. Nachteilausgleiche in Anspruch nehmen, z.B. durch einen Schwerbehindertenausweis, früheren Renteneintritt, Steuervorteile, besonderen Kündigungsschutz etc.

36.1.3.1 SGB IX – Rehabilitation von Menschen mit Behinderungen Entsprechend des SGB IX haben Menschen mit Behinderung eine körperliche, seelische, geistige oder eine Sinnesbeeinträchtigung, die sie an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft länger als 6 Monate hindern können. Das SGB IX enthält 3 Teile: Teil 1: Regelungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen Teil 2: besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung für Menschen mit Behinderungen (Eingliederungshilferecht) Teil 3: besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (Schwerbehindertenrecht)

Eine Schwerbehinderung liegt nach §2 Absatz 3 SGB vor, wenn die ärztlichen Gutachter des Versorgungsamtes einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 und mehr feststellen.

36.2 Pflegeschwerpunkte Besondere Herausforderung im Umgang mit geistig behinderten Menschen sind die Kommunikation und Beobachtung bzw. das frühzeitige Erkennen möglicher Symptome. Eine Klinikeinweisung reißt die kognitiv eingeschränkten Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung heraus. Die Orientierung in der Klinik gestaltet sich oft problematisch, da die Verarbeitung der neuen Eindrücke und Informationen beeinträchtigt ist. Da die Betroffenen sich oft nicht adäquat äußern können, entstehen schnell Missverständnisse, Unsicherheiten, Angst und das Gefühl von Überforderung.

Merke Erstkontakt Pflegende sollten sich direkt an den Pflegeempfänger selbst wenden. Sie sollten herausfinden, welche Fähigkeiten er besitzt und wie der Kontakt am besten aufgebaut wird. Kann sich der Betroffene nicht verbal äußern, kennen im Allgemeinen die Betreuer, z.B. die Eltern oder das Personal der betreuenden Einrichtung, die effektivsten Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation mit ihm.

36.2.1 Umgang mit geistig Behinderten

Der Umgang mit geistig behinderten Menschen soll im Sinne der Inklusion möglichst „normal“ sein. Neben Fachkompetenz und Flexibilität erweisen sich im Klinikalltag folgende Empfehlungen als nützlich: Aufnahme: Optimal ist, den Klinikaufenthalt eines behinderten Menschen im Vorfeld vorzubereiten, z.B. indem ein Platz für den Betreuer im Gästehaus der Klinik organisiert wird. Zudem sollte eine ausführliche ▶ Anamnese stattfinden, bei der außer den rein pflegerischen Informationen auch Abneigungen, Vorlieben und Rituale thematisiert werden. Dies erleichtert u.a. die Adhärenz und dient als Grundlage der Pflegeplanung. Betreuer einbeziehen: Sie haben die Schlüsselposition inne, denn sie kennen die Schutzbefohlenen am besten, z.B. wie die Kommunikation am effektivsten zu gestalten ist (bestimmte Initialberührungen, Worte oder nur Laute). So lassen sich manche Verhaltensweisen besser deuten, z.B. ausgeprägte Lutschbewegungen deuten auf Hunger, unruhiges Hin- und Herrutschen auf dem Stuhl signalisiert einen Urin- oder Stuhldrang. Pflegeplanung aus der Einrichtung berücksichtigen: Betreuer befragen. Zudem ressourcenorientiert und fördernd planen. Bezugspflege mit möglichst wenig Wechsel vermittelt Kontinuität und Sicherheit, reduziert Ängste. klinikeigenen Begleitdienst miteinbeziehen: Da Lesen und Schreiben nicht selbstverständlich sind, benötigen geistig behinderte Menschen intensivere Alltagsbetreuung. individuellen Tagesablauf berücksichtigen: Betreuer befragen, damit die individuelle Tagesstruktur im Klinikalltag Berücksichtigung findet.

Hilfsmittel einsetzen: Die Pflegenden sollen sich mit allen Hilfsmitteln vertraut machen, die der Kommunikation (Piktogramme), Bewegung oder Selbstversorgung (spezielles Essbesteck) dienen, und sie in den Pflegealltag integrieren. Assessment anwenden: Zum Einschätzen der Schmerzintensität kann die ▶ visuelle Analogskala, kurz VAS, oder die ▶ Wong-Baker-Gesichtsskala verwendet werden. Entlassung: Ausführliche Information und ggf. Anleitung des Pflegeempfängers und Betreuers, ggf. klinikeigenen Sozialdienst einschalten, um die bestmöglichen Bedingungen im ambulanten Bereich vorbereiten zu können.

36.2.1.1 Veränderungen wahrnehmen Durch die oft eingeschränkte Kommunikation mit geistig behinderten Menschen ist die Beobachtung umso wichtiger. Da selbst kleinste Veränderungen auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes hinweisen können, sollten Pflegende besonders auf folgende Zeichen achten: Körperzeichen: eingeschränkte oder unübliche Haltung, Hin- und Herschaukeln, Nesteln oder Unruhe Gesichtszeichen: verstärkter oder geminderter Blickkontakt, Tränen, zusammengekniffene Augen oder Zähne Lautzeichen: Wimmern, Seufzen, Weinen, ständiges Summen oder auffällige Sprache (z.B. Fluchen)

36.2.1.2 Weitere Tipps Lesen ist nicht selbstverständlich: Räume mit Symbolen kennzeichnen, alle Anweisungen ausführlich erläutern

Organisation: Für diagnostische Untersuchungen, die nicht auf der Station stattfinden, sollte der behinderte Mensch telefonisch angekündigt werden und ggf. von einer Pflegefachkraft begleitet werden. Verändertes Empfinden von Alter: Menschen mit Behinderung, v.a. ältere, schätzen sich oft jünger ein. Bei der Mobilisation, physiotherapeutischen und rehabilitativen Maßnahmen achten die Pflegefachkräfte auf die physiologischen Bewegungsmuster und verhindern eine Überschreitung der Belastungsgrenzen, z.B. nach chirurgischen Eingriffen. Nähe und Distanz: Der Wunsch nach körperlicher Nähe ist bei Menschen mit Behinderung oft sehr groß. Die Pflegenden entscheiden selbst, inwieweit sie das zulassen möchten. Ggf. wird dem behinderten Menschen in angemessenem Ton erklärt, wo die Grenzen sind.

KOMPAKT Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung häufigste Formen geistiger Behinderung: Trisomie 21, Zerebralparese, Neuralrohrdefekt und autistische Störungen Je nach Art und Ausprägung der Behinderung sind die Betroffenen für verschiedene Erkrankungen (z.B. Obstipation) prädisponiert. Rechtliche Grundlage: Sozialgesetzbuch (SGB), das Bundesteilhabegesetz (BTHG), das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) und das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Menschen mit geistiger Behinderung sollen vollständig und gleichberechtigt in unserer Gesellschaft integriert sein

(„Inklusion“). Pflegende gehen daher ganz „normal“ mit ihnen um. Folgendes kann im Umgang hilfreich ein: ausführliche Anamnese (Betreuer einbeziehen) Bezugspflege (sorgt für Sicherheit) individuellen Tagesablauf berücksichtigen Unterstützung im Alltag (z.B. Klinikbegleitdienst)

37 Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Menschen 37.1 Der chronisch kranke Pflegeempfänger

Definition Chronische Krankheit Die World Health Organisation (WHO) definiert chronische Krankheiten als „lang andauernde und im Allgemeinen langsam fortschreitende Krankheiten". Krankheiten, die 3 Monate oder länger andauern, gelten als chronisch.

37.1.1 Grundlagen Chronische Erkrankungen können angeboren oder die Folge von Erkrankung oder Unfällen sein. Es kann sich dabei um körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigungen handeln. Es werden 2 Verlaufstypen unterschieden: schubförmiger Verlauf (wiederholtes Auftreten) progredienter Verlauf (langsames Fortschreiten) Beispiele für chronische Krankheiten sind: Erkrankung des Herzens (z.B. Herzinsuffizienz) Erkrankung des Gehirns (z.B. Zustand nach Schlaganfall) Erkrankung der Atemwege (z.B. Asthma bronchiale) Erkrankung der Endokrinologie (z.B. Diabetes mellitus) Erkrankung des Verdauungssystems (z.B. Morbus Crohn) Erkrankung der Sinne (z.B. Schwerhörigkeit) Erkrankung der Haut (z.B. Wunden) Autoimmunerkrankungen (z.B. Lupus erythematodes) Suchterkrankung (z.B. Alkoholismus)

Eine chronische Krankheit oder die Folgen eines Unfalls verändern oft das ganze Leben der Betroffenen und deren Angehörigen. ▶ Folgen. Funktionseinbußen oder Schmerzen führen im Laufe der Zeit zu Veränderungen des Körperbilds und bringen psychische Belastungen wie Ängste und Sorgen mit sich. Es kommt zu Veränderungen im familiären, sozialen und beruflichen Leben. Nicht selten werden Betroffene für den Rest ihres Lebens von anderen abhängig und im weiteren Verlauf pflegebedürftig. Das Wissen um mögliche Komplikationen, eine fehlende Heilungsaussicht und eine eingeschränkte Lebenserwartung nehmen das Gefühl von Sicherheit.

37.1.1.1 Auseinandersetzung und Bewältigung Bewältigungsstrategien können dabei helfen, die Folgen einer Erkrankung abzumildern und Normalität im Alltag wiederherzustellen.

Definition Coping Bemühungen und Anstrengungen, sich mit Situationsanforderungen auseinanderzusetzen und mit ihnen umzugehen. Pflegende können den Pflegeempfänger bei der Bewältigung seiner Erkrankung gezielt unterstützen ( ▶ Abb. 37.1). Ein wichtiger Schritt ist, realistische Ziele zu entwickeln. Unterstützung. Abb. 37.1  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

37.1.1.2 Sekundärer Krankheitsgewinn Bei fast allen chronischen Krankheiten kann der Betroffene äußere Vorteile und Annehmlichkeiten aus seinem Kranksein ziehen. Das kann z.B. sein: vermehrte Aufmerksamkeit Rücksichtnahme andere Annehmlichkeiten (Essen ans Bett, Freistellung von der Arbeit usw.) Wenn ein Erkrankter sein Leiden erkennbar und gezielt (bewusst oder unbewusst) für seine Zwecke nutzt, können sich Therapeuten und Pflegefachkräfte missbraucht oder

manipuliert fühlen. Dies kann zu Ärger, Ablehnung und Spannungen in den Beziehungen führen. Um dies zu vermeiden, sollten Pflegekräfte dem Pflegeempfänger vermitteln, dass sie sich gern um ihn kümmern, unabhängig von dessen Krankheit.

37.1.2 Pflege eines chronisch kranken Menschen Ziel: größtmögliche Unabhängigkeit des Pflegeempfängers ermöglichen und erhalten! Ein Pflegemodell, das den Verlauf chronischer Krankheiten in ihren unterschiedlichen Phasen beschreibt, ist das Modell der Krankheitsverlaufskurve von Juliet Corbin und Anselm Strauss, auch ▶ Trajekt-Modell genannt. Es betrachtet den chronisch kranken Menschen ganzheitlich über einen langen Zeitraum, in dem dieser in unterschiedlichen Phasen einen entsprechenden Grad an Unterstützung benötigt.

37.1.2.1 Alltag gestalten und Ressourcen fördern Schwerpunkte pflegerischen Handelns: Patienten- und bedürfnisorientiert pflegen, persönliche Vorgehensweisen akzeptieren Gewohnheiten berücksichtigen Flexibilität Ressourcen aktivieren genügend Zeit einplanen Bezugspersonen einbeziehen Selbstmanagement fördern interdisziplinär arbeiten

ausgewogenes Nähe- und Distanz Verhältnis (mitfühlen, aber nicht mitleiden)

Merke Experte sein Chronisch kranke Menschen werden mit der Zeit zu Experten ihrer Krankheit und dem individuellen Umgang mit dieser. Für Pflegende gilt es, diese Kompetenzen anzuerkennen und in die Pflege zu integrieren (auch wenn etwas von empirischen Erkenntnissen abweicht).

37.2 Der multimorbide Mensch 37.2.1 Grundlagen Definition Multimorbidität Wenn ein Mensch gleichzeitig mehrere Krankheiten hat, bezeichnet man das als Multimorbidität (lat. morbidus = krank). Dieses Phänomen tritt meist im Alter auf, da das Risiko, mehrfach zu erkranken, mit zunehmendem Alter ansteigt. Es gibt viele Krankheiten, die nicht heilbar, aber medizinisch und pflegerisch gut behandelbar sind. Dadurch erreichen viele chronisch kranke und multimorbide Menschen ein hohes Alter.

37.2.1.1 Herausforderungen von Multimorbidität

Mehrfacherkrankungen können sich in Verlauf, Symptomen und Wechselwirkungen gegenseitig ungünstig beeinflussen. Man unterscheidet folgende Prozesse: Abhängige Multimorbidität: Krankheit und Symptome beeinflussen sich ungünstig gegenseitig, z.B. hoher Blutdruck und Arteriosklerose. Im Gegensatz gibt es auch Krankheiten, die sich nicht direkt beeinflussen. Dies wird als unabhängige Multimorbidität bezeichnet, z.B. Asthma bronchiale und Gallensteine. Neben- und Wechselwirkungen der Medikamente sich negativ auswirkende Pflege Behinderung der heilungsfördernden und vorbeugenden Maßnahmen Krankheiten, die häufig mit Mehrfacherkrankungen einhergehen, sind z.B.: Hypertonie, koronare Herzkrankheit, Herzrhythmusstörungen Lipidstoffwechselstörungen (Fettstoffwechselstörungen) chronische Rückenschmerzen Gelenkarthrose, Gicht Diabetes mellitus Hyper-/Hypothyreose (Schilddrüsenüberfunktion/unterfunktion) Asthma, COPD Varikosis (Krampfadern) Osteoporose Tumorerkrankungen Depression

▶ Erkrankungen im Alter. Eine Kombination dieser Erkrankungen ist besonders beim alten Menschen häufig. Oft werden sie begleitet von typischen Funktionsstörungen, die auch als die „I's“ der Geriatrie bezeichnet werden: Immobilität Instabilität (Sturzgefahr) Inkontinenz „impaired eyes and ears“ intellektueller Abbau Isolation

37.2.2 Pflege eines multimorbiden Menschen Kennzeichen von Multimorbidität: Krankheitsbelastung und Einschränkungen im Alltag sind hoch. Die Betroffenen sind zunehmend auf Hilfe angewiesen. Im Laufe der Zeit sinkt oft die Therapiebereitschaft, dadurch nehmen Risiken und Komplikationen weiter zu. Ziele der Pflege: Lebenssituation und Lebensqualität verbessern sowie Folgeerkrankungen und Komplikationen vermeiden.

37.2.2.1 Aufgaben der Pflege Prioritäten setzen: Pflege empfängerorientiert planen, Maßnahmen abwägen, Gesamtkonzept aus den Maßnahmen entwickeln Behandlungsoptionen abwägen: verschiedene Therapieoptionen gemeinsam abwägen, dabei Pflegeempfänger aktiv einbinden durch umfassende Aufklärung

Gesamtkonzept entwickeln: eng mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten und regelmäßig Rücksprache zur aktuellen Situation halten Case Manager einsetzen: zur besseren Abstimmung ▶ Case Manager hinzuziehen (Überblick und Koordination) Polypharmazie berücksichtigen: bei Einnahme von mehr als 3 verschiedenen Wirkstoffen: auf Neben- und Wechselwirkungen achten, z.B. Übelkeit, Schwindel auf verordnungsgemäße Einnahme achten regelmäßig mit dem Arzt Rücksprache halten, ob alle Medikamente notwendig sind, und Arzt informieren, wenn Probleme (z.B. Schluckstörungen) bei der Einnahme auftreten Patientenbeobachtung: zur Beurteilung von Wirkung der Gesamttherapie Patientenverfügung berücksichtigen: Information und Empfehlung, Behandlungswünsche schriftlich festzuhalten

KOMPAKT Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Menschen Chronische Krankheiten bestehen länger als 3 Monate, schreiten langsam fort oder verlaufen in Schüben und sind meist nicht heilbar. Hauptaufgaben der Pflege sind die Alltagsbewältigung und Förderung vorhandener Ressourcen. Der chronisch Kranke ist ein Experte seiner eigenen Krankheit und muss in die Maßnahmenplanung einbezogen

werden. Ein sekundärer Krankheitsgewinn kann zu Spannungen zwischen behandelndem Team und Pflegeempfänger führen. Liegen mehrere Krankheiten gleichzeitig vor, spricht man von Multimorbidität. Die größten Herausforderungen dabei sind die Wechselwirkungen der Erkrankungen selbst und ihrer Medikationen. Ziel der Pflege ist, bei chronischer Krankheit Folgeerkrankungen und Komplikationen zu vermeiden und so die Lebensqualität zu erhalten.

38 Pflege von Menschen mit malignen Tumoren 38.1 Grundlagen

38.1.1 Tumoren Definition Tumor = Schwellung, Geschwulst Benigne (gutartige) oder maligne (bösartige) Neubildung von Gewebe (Neoplasie), bedingt durch übermäßiges Zellwachstum ( ▶ Tab. 38.1 ). Tab. 38.1 Merkmale gutartiger und bösartiger Tumoren. Gutartige (benigne) Tumoren

Bösartige (maligne) Tumoren

wachsen langsam und expansiv (verdrängen wachsen schnell und invasiv (zerstören umgebendes Gewebe) umgebendes Gewebe) differenziertes Tumorgewebe (ähnelt Ursprungsgewebe)

undifferenziertes Tumorgewebe (kaum Ähnlichkeit mit Ursprungsgewebe)

bilden keine Metastasen

bilden Metastasen

z.B. Darmpolyp

z.B. Mammakarzinom

38.1.1.1 Disposition und auslösende Faktoren Faktoren, die zur Tumorentstehung führen können, werden Kanzerogene genannt. Zu ihnen zählen u.a.: erbliche Disposition: bei vielen bösartigen Tumorerkrankungen wird ein erhöhtes Erkrankungsrisiko vererbt, z.B. Mammakarzinom physikalische Faktoren oder chemische Substanzen: UV-Strahlung (z.B. malignes Melanom), radioaktive Strahlung, Inhaltsstoffe von Tabak, Asbest Mikroorganismen: onkogene Viren (Zusammenhang zwischen Infektion und Tumorbildung), z.B. HPV (Humanes Papillomavirus) und Zervixkarzinom

38.1.1.2 Metastasierung

Definition Metastasierung Wanderung von Tumorzellen aus dem Ursprungstumor an andere Orte im Organismus. Erfolgt über 3 Wege: lymphatisch (Lymphweg), hämatogen (Blutweg), kavitär (innerhalb einer Körperhöhle). Es entstehen Fernmetastasen. Die meisten Tumoren metastasieren lymphogen. Die erste Lymphknotenstation im Lymphabflussgebiet des Primärtumors nennt man Wächter- oder SentinelLymphknoten. Ist der Sentinel-Lymphknoten tumorfrei, so kann in den meisten Fällen davon ausgegangen werden, dass auch die ferneren Lymphknoten frei von Metastasen sind.

38.1.1.3 Symptome Oft werden Tumoren erst spät erkannt. Symptome treten bei zunehmendem Wachstum auf und zeigen sich durch: Schmerzen (z.B. durch raumforderndes Wachstum) Funktionsstörungen des betroffenen Organs (z.B. Konzentrationsstörungen bei Hirntumor) Blutungen (z.B. Tumor wächst in Gefäße ein) Ischämiezeichen (z.B. Tumor drückt Gefäße ab) allgemeine Krankheitszeichen wie Gewichtsabnahme, Leistungsminderung, Fieber B-Symptomatik = gleichzeitiges Auftreten von Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust

38.1.2 Diagnostik Tumore können auf zwei Wegen entdeckt werden. Zum einen durch Früherkennungsprogramme, zum anderen durch

gezielte Suche bei bestehendem Verdacht. Ein Tumor kann durch bildgebende Verfahren (z.B. Röntgen, Ultraschall, CT) sichtbar gemacht werden. Eine Biopsie (Gewebeprobe) sichert die Art des Tumors. Für Therapie und Prognose ist es wichtig zu wissen, wie schnell sich ein Tumor ausbreitet und wie aggressiv er wächst.

38.1.2.1 Staging Definition Staging Das Staging gibt Auskunft über die Tumorausbreitung (Größe, Lokalisation, Metastasierung), meist nach der TNM-Klassifikation. Das TNM-System ist eine international geltende Klassifikation für Tumoren, mit der die Ausbreitung einer Tumorerkrankung erfasst wird. Die Einschätzung erfolgt vor Beginn der Therapie. Die Klassifikation ist in 3 Kriterien eingeteilt: T = Tumorausbreitung: beschreibt die Größe und Ausbreitung des Primärtumors (T1–T4) N = nodaler Befall: gibt die Anzahl der Lymphknotenmetastasen an (N0, N1–N3) M = Metastasenbildung: beschreibt das Fehlen (M0) oder Vorhandensein (M1) von Fernmetastasen in anderen Organen. Beispiel: „T2 N1 M0“ → Tumor ist 2 bis < 5 cm groß, die erste Lymphknotenstation ist befallen, keine Zeichen für Fernmetastasen. Je nach Tumor können andere Größenangaben gelten. Die TNM-Klassifikation ist für jeden Tumor genau definiert und Grundlage für Therapieentscheidungen.

38.1.2.2 Grading Definition Grading Maß für die histologische Differenzierung der Tumorzellen. Das Grading beschreibt, wie stark das Tumorgewebe vom normalen Gewebe abweicht und liefert so eine Information über die Aggressivität des Tumors. Insgesamt gibt es 4 Stufen: G1: gut differenziertes Gewebe, wenig aggressives Zellwachstum G2: mäßig differenziertes Gewebe, mäßig aggressives Zellwachstum G3: schlecht differenziertes Gewebe, schnell und aggressives Zellwachstum G4: undifferenziertes Gewebe, sehr schnelles und aggressives Zellwachstum

Merke Grading und Prognose Je höher das Grading (je aggressiver der Tumor), desto schlechter ist die Prognose.

38.1.3 Tumortherapie Therapieansätze zur Tumorbehandlung: kurativ: Heilung der Erkrankung palliativ: Linderung der Beschwerden

interdisziplinär: Kombination verschiedener Fachgebiete (z.B. Chirurgie und Radiologie) neoadjuvant: zusätzliche Therapie vor Operation/Strahlentherapie (z.B. Chemotherapie) adjuvant: zusätzliche Therapie nach Operation/Strahlentherapie (z.B. Chemotherapie)

38.1.3.1 Operative Tumorentfernung Ziel: vollständige Tumorentfernung Der Tumorrand wird bis ins gesunde Gewebe hinein entfernt, um mikroskopisch kleinste Tumorreste sicher zu entnehmen. Meist werden ebenfalls lokale Lymphknoten entnommen (Lymphadenektomie). Ist eine radikale (komplette) Entfernung des Tumors nicht möglich, so kann eine Teilentfernung im Rahmen einer palliativen Therapie Symptomlinderung verschaffen.

38.1.3.2 Strahlentherapie Ziel: Zerstörung von Tumorzellen Die Zellteilung wird durch die Strahlentherapie gestört oder komplett verhindert. Die Strahlentherapie wirkt nicht systemisch, sondern nur lokal im Bereich des bestrahlten Feldes. Voraussetzung für den Erfolg ist die Strahlensensibilität des Tumors. Die Strahlenquelle kann außen (vor der Hautoberfläche) oder direkt am Tumor platziert werden: Teletherapie (perkutane Strahlentherapie): Strahlenquelle wird in errechneter Entfernung zum Körper angebracht. Die Strahlung erreicht den Tumor unter der Körperoberfläche. Brachytherapie: Strahlenquelle wird in den Körper eingeführt, gesundes Gewebe wird geschont. Dies kann über Seed-Implantation (Strahlenquelle wird direkt in

den Tumor implantiert und verbleibt dort) oder durch das Afterloading-Verfahren (Strahlenquelle wird über Hohlnadel/Schläuche temporär mit dem Tumor verbunden) erfolgen.

38.1.3.3 Chemotherapie (Zytostatikatherapie) Definition Zytostatika Zytostatika sind Medikamente, die auf unterschiedlichste Weise in Zellteilungsprozesse eingreifen und diese verhindern. Sie gehören zu den CMR-Arzneistoffen: cancerogen (krebserzeugend), mutagen (erbgutschädigend) und reproduktionstoxisch (fortpflanzungsgefährdend). Ziel: Wachstum und Verbreitung von Tumorzellen stoppen Zytostatika können systemisch (intravenös, oral) oder lokal verabreicht werden. Sie sind sehr aggressiv und greifen Zellen mit hoher Teilungsrate an (neben Tumorzellen z.B. auch Schleimhautzellen, Haarwurzelzellen).

ACHTUNG Zytostatika können über die Haut und über den Atmungstrakt aufgenommen werden. Der Umgang mit ihnen erfordert besondere Vorsichtsmaßnahmen (§ 14 der Gefahrstoffverordnung). ▶ Praxis. Im Umgang mit intravenösen Zytostatika gilt es folgende Aspekte zu beachten: Vorbereitung zur Applikation: erfolgt ausschließlich durch geschultes Pflegepersonal über 18 Jahre, i.d.R.

in einer Zentralapotheke. Die Infusion wird auf einer saugfähigen, flüssigkeitsdichten Unterlage gerichtet, dazu wird spezielle Schutzkleidung (flüssigkeitsdichte Handschuhe + Schutzkittel) getragen. Vorsichtsmaßnahmen während der Gabe: Der Arzt hängt die Infusion an. Pflegefachpersonen überwachen die Gabe und beobachten den Pflegeempfänger auf mögliche Begleit- und Nebenwirkungen (z.B. Allgemeinzustand, Befinden, Vitalzeichen, Blutzucker usw.). Verhinderung von Paravasat: Kommt es während der Chemotherapie zu einem Paravasat (Infusionsflüssigkeit fließt in das umliegende Gewebe), kann dies zu erheblichen Gewebeschäden führen. Deshalb sollten sich Pflegeempfänger während der Applikation möglichst wenig bewegen, um das Paravasat-Risiko zu reduzieren. Die Gabe erfolgt über einen zentralen Venenkatheter oder Port. Die Pflegefachperson kontrolliert engmaschig auf Anzeichen einer Paravasation (z.B. Schmerzen, Brennen, Schwellung, Rötung). Bei Zeichen eines Paravasats die Infusion stoppen, Zugang belassen, Paravasat-Set bereithalten und Arzt informieren. Entsorgung von Zytostatika: Alle Materialien, die in Kontakt mit Zytostatika gekommen sind, müssen getrennt in stichsicheren, bruchfesten und dichtschließenden Einwegbehältnissen entsorgt werden. Zur notfallmäßigen Reinigung bei verschütteten Zytostatika eignet sich das sog. „SpillKit“.

38.1.3.4 Weitere pharmakologische Therapieansätze Hormontherapie: möglich bei Tumoren, die durch Hormone zum Wachstum angeregt werden. Durch Verabreichung von Antihormonen wird dieser Effekt verhindert (z.B. Antiöstrogene bei Mammakarzinom).

Gezielte Tumortherapie (Targeted Therapy): individuelle biologische und zytologische Eigenschaften der Krebszelle werden genutzt. Unterschiedliche Ansätze, z.B. rezeptorbasierte Therapie mit monoklonalen Antikörpern, Immuntherapie.

KOMPAKT Grundlagen zu Tumorerkrankungen Tumoren können in benigne (gutartige) oder maligne (bösartige) Neubildung von Körpergewebe unterteilt werden. Die Metastasierung erfolgt häufig lymphogen. Im Rahmen der Diagnostik kommt dem Sentinel-Lymphknoten eine besondere Bedeutung zu. Die Tumortherapie richtet sich nach dem Staging (TNMKlassifikation) und Grading (Aggressivität). Die Tumortherapie setzt sich interdisziplinär zusammen: chirurgisch (OP), medikamentös (z.B. Chemotherapie) und/oder Strahlentherapie. Im Rahmen der Strahlentherapie wird zwischen Tele- und Brachytherapie unterschieden. Zytostatika greifen auf unterschiedlichste Weise in Zellteilungsprozesse ein. Dies führt zu den klassischen Nebenwirkungen an gesunden, sich schnell teilenden Zellen (Haarausfall, orale Mukositis, Diarrhö).

38.2 Tumortherapiebedingte Pflegeprobleme

Abhängig vom Tumor und ausgewählten Behandlungsverfahren sind die Intensität und Häufigkeit der Nebenwirkungen unterschiedlich und können je nach Schweregrad die Lebensqualität erheblich einschränken. Daher werden bereits im Vorfeld prophylaktische Maßnahmen ergriffen.

38.2.1 Pflegebasismaßnahmen Um therapiebedingte Probleme zu vermeiden und eine bestmögliche Lebensqualität zu erhalten, kommt bestimmten Pflegebasismaßnahmen eine besondere Bedeutung zu: Vorbeugen von Mangelernährung: ausgewogene und nach Vorlieben ausgerichtete Ernährung, Übelkeit vorbeugen und behandeln, Mukositisprophylaxe, keimarme Ernährung bei Leukozytopenie, Ernährungszustand mit Pflegeempfänger regelmäßig überprüfen, hochkalorische Zusatznahrung, „Krebsdiäten“ kritisch betrachten (Nährstoffmangel), Ernährungsberatung hinzuziehen. Mehr Informationen zur Prophylaxe von Mangelernährung finden Sie in Kap. ▶ 17.5. Mukositisprophylaxe: lutschen von Eiswürfeln während der Zytostatikatherapie, spezielle Mundpflege, weiche Zahnbürste, weiche und keine heißen Nahrungsmittel Infektionsprophylaxe: hohe Hygienestandards, über die auch der Pflegeempfänger und Angehörige informiert und geschult werden, ggf. Umkehrisolation, ggf. Wasserfilter psychosoziale Unterstützung: Der Pflegeempfänger und seine Angehörigen sehen sich mit existenziellen Ängsten konfrontiert. Hier ist ein angemessenes Einfühlungsvermögen von Pflegefachpersonen gefragt.

Der Fokus liegt auf der Motivation des Pflegeempfängers, um dessen Selbstheilungskräfte zu mobilisieren. Pflegepersonal nimmt eine vermittelnde Rolle ein bei Fragen zu Therapie, Vorbeugen und Behandlung von Nebenwirkungen etc. Bezugspersonen sollten, falls vom Pflegeempfänger erwünscht, in Beratungs- und Informationsgespräche miteinbezogen werden. Umgang mit Tumorpatienten kann für Pflegefachkräfte emotional belastend sein, Gespräche, Kooperation im Team und evtl. ▶ Supervision können hier helfen.

38.2.2 Übelkeit und Erbrechen 38.2.2.1 Ursachen Sowohl Chemotherapie als auch Bestrahlung können zu Übelkeit (Nausea) und Erbrechen (Emesis) führen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Übelkeit und Erbrechen auftreten, ist abhängig vom emetogenen (Brechreiz erzeugenden) Potenzial der Wirkstoffe. Eine Kombinationstherapie (Therapie mit verschiedenen Zytostatika) erhöht das Risiko. ▶ Chemotherapieinduziertes Erbrechen. Es wird unterschieden in: akutes Erbrechen (innerhalb von 24 h nach Therapiebeginn) verzögertes Erbrechen (24 h–5 Tage nach Therapiebeginn) antizipatorisches Erbrechen (vor oder bei Therapiestart, psychisch bedingt, meist ausgelöst durch frühere negative Erfahrungen mit Chemotherapie). ▶ Strahlenbedingtes Erbrechen. Diese Form ist abhängig von der Lokalisation und der Größe der bestrahlten Fläche, hier tritt überwiegend die akute Form auf.

▶ Tumorbedingtes Erbrechen . Ursachen für Übelkeit und Erbrechen können sein: Tumoren im Gastrointestinaltrakt, die zu einer Passagenbehinderung führen Tumoren/Metastasen im Hirn, die durch Drucksteigerung das Brechzentrum reizen Knochenmetastasen, die im Blut zu einer Hyperkalzämie führen eingeschränkte Nierenfunktion, die zu einer Urämie führt psychische Faktoren

38.2.2.2 Therapie und Pflege Medikamentöse Therapie Antiemetika blockieren die Übelkeit auslösenden Botenstoffe. Es werden Serotonin-, Neurokinin- und Dopamin-Rezeptor-Antagonisten unterschieden. Benzodiazepine wirken nur gering antiemetisch, jedoch angstlösend und eignen sich besonders für die antizipatorische Form. Kortikosteroide wirken bei Krebspatienten ebenfalls antiemetisch – Wirkmechanismus nicht vollständig bekannt. Pflegerische Maßnahmen Medikamente rechtzeitig zum verordneten Zeitpunkt verabreichen, auch vor Eintreten der Übelkeit Beobachtung auf Übelkeit, Erbrechen, Appetit und Ernährung, Info an Arzt und ggf. Therapieanpassung zu den Mahlzeiten für Frischluft sorgen (hohe Raumtemperatur vermeiden) kleine Mengen anbieten, appetitlich anrichten

trockene, leichte Speisen (z.B. Zwieback, Knäckebrot) stark gewürztes, fettreiches, süßes Essen vermeiden Vorsicht mit Lieblingsspeisen (könnten mit Übelkeit in Verbindung gebracht werden) dem Pflegeempfänger raten, eher langsam zu essen Ingwertee, Pfefferminz- bzw. Zitronenbonbons wirken antiemetisch Entspannungsmethoden oder Aromatherapie anbieten für Ablenkung sorgen (z.B. Musik, Fernsehen) starke Gerüche vermeiden (auch Parfüm, Zigaretten, Blumen) Hilfsmittel (z.B. Spuckbeutel) außer Sichtweite bereithalten und Erbrochenes schnell entsorgen Mundpflege anbieten, Pflegeempfänger Hände und Gesicht waschen lassen

Merke Antiemetische Therapie Eine optimale antiemetische Therapie verhindert schlechte Erfahrungen, vermindert damit die Angst vor der nächsten Therapie und die Gefahr antizipatorischer Übelkeit. Zudem kann einer möglichen Mangelernährung vorgebeugt werden.

38.2.3 Fatigue Definition Fatigue

Fatigue bezeichnet in der medizinischen Fachsprache eine körperliche und seelische Erschöpfung, die weit über ein normales Maß hinausgeht. Ausreichend Schlaf schafft keine Linderung. Schätzungsweise leiden zwischen 60 % bis 90 % aller Tumorerkrankten zumindest zeitweise darunter. Von Außenstehenden wird das Ausmaß der Problematik oft unterschätzt.

38.2.3.1 Ursachen die Tumorerkrankung selbst Therapie der Tumorerkrankung, z.B. Chemotherapie Nebenwirkungen von Medikamenten, z.B. Schmerzmittel Mangelernährung Hormonmangel Begleiterkrankungen chronische Infekte psychische Faktoren (Angst, Depression) Schlafstörungen Schmerzen Muskelabbau durch Mangel an körperlicher Aktivität

38.2.3.2 Symptome Von einer Fatigue spricht man, wenn mindestens 6 der in ▶ Abb. 38.1 dargestellten Symptome vorliegen. Auswirkungen von Fatigue. Abb. 38.1 Fatigue betrifft den Pflegeempfänger ganzheitlich und hat direkten Einfluss auf seine Lebensqualität. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

38.2.3.3 Therapie und Pflege Zur Behandlung der Fatigue ist eine multiprofessionelle Zusammenarbeit wichtig. Die Behandlung besteht u.a. aus: medikamentöse Therapie von Anämie, Vitamin- und Hormonmangel, Schmerzen Physiotherapie (z.B. aufbauendes Ausdauertraining)

psychoonkologische Therapie (z.B. Gesprächstherapie) Beratung über mögliche Strategien im Umgang mit Fatigue: körperliche Aktivität Energietagebuch führen Kräfte einteilen und Prioritäten setzen wichtige Aktivitäten auf Tageszeiten verlegen, an denen man sich leistungsfähiger fühlt auf erholsamen Schlaf achten (Tag-Nacht-Rhythmus) ausgewogene Ernährung ablenkende Tätigkeiten, die Spaß machen

Merke Fatigue im Endstadium Bei einer Fatigue im Endstadium einer Tumorerkrankung sollte kompensierend gepflegt werden. Der Pflegeempfänger sollte bestmöglich entlastet werden, damit er die gesparte Energie für die ihm wichtigen Dinge nutzen kann.

38.2.4 Knochenmarksuppression Eine Knochenmarksuppression bezeichnet die Schädigung des blutbildenden Knochenmarks mit Zellteilungs- und Zellreifungshemmung aller Knochenmarkszellen.

38.2.4.1 Ursachen Mögliche Ursachen: vom Knochenmark ausgehende Erkrankung (Leukämie)

knochenmarksverdrängendes Wachstum durch Primärtumor oder Metastasen Chemotherapie oder Bestrahlung

38.2.4.2 Symptome Je nach Art und Ausmaß der Blutbildungsveränderung treten bei einer Knochenmarksuppression folgende Symptome auf: Mangel an Erythrozyten und Hämoglobin = Anämie: Leistungsabfall, Müdigkeit, Atemnot, Tachykardie Mangel an Thrombozyten = Thrombozytopenie: erhöhte Blutungsgefahr, v.a. an Schleimhäuten von Mund und Nase, im Gastrointestinaltrakt und der Haut (Petechien) Mangel an Leukozyten = Leukozytopenie: erhöhte Infektionsgefahr, Gefahr von rezidivierenden Infekten und Fieber

38.2.4.3 Therapie und Pflege Bei einer Leukämie zielt die Therapie darauf ab, durch Chemo- oder Strahlentherapie alle Knochenmarkszellen und damit auch alle Tumorzellen zu zerstören. Produziert das Knochenmark im Verlauf wieder selbst gesunde Zellen, ist die Therapie erfolgreich und keine Stammzelltransplantation notwendig. Zu treffende Maßnahmen im Rahmen der Begleiterscheinungen sind: Bei Anämie Eisensubstitution und Transfusion von Erythrozytenkonzentraten körperliche Anstrengungen und Stress vermeiden Ruhephasen einhalten und Hilfe anbieten, z.B. bei der Körperpflege Atembeobachtung, ggf. Sauerstoffgabe

Bei Thrombozytopenie Sinkt die Zahl der Thrombozyten drastisch, erfolgt eine Transfusion von Thrombozytenkonzentrat i.m.-Injektionen und rektale Applikationen von Medikamenten vermeiden Blasenkatheterisierung vermeiden Blutentnahmen so selten wie möglich Trockenrasierapparate verwenden Zahnpflege mit weicher Bürste, keine Zahnseide benutzen Nase nur vorsichtig schnäuzen, Nasensalbe verwenden für weichen Stuhlgang sorgen Blutdruckmanschette nur so hoch wie unbedingt nötig aufpumpen (Hämatomgefahr) Vorsicht bei Gabe von Schmerzmitteln, die die Blutgerinnung beeinflussen (z.B. Acetylsalicylsäure) subkutane Thromboseprophylaxe nur unter strenger Indikationsstellung Bei Leukozytopenie Infektionsprophylaxe Infektbehandlung mit Antibiotika (bakterielle Infektion), Antimykotika (Pilzinfektion), Virostatika (Virusinfektion) Wachstumsfaktoren zur Stimulierung der Granulozytenbildung, z.B. G-CSF (Granulozytenkoloniestimulierender Faktor) 2-mal täglich Körpertemperatur messen, bei Fieber sofort Info an Arzt (Sepsisgefahr) Zugänge (z.B. Port, Blasenverweilkatheter) auf Infektionszeichen prüfen

Besucher/Personal mit einem Infekt sollten Zimmer nicht betreten Pflegeempfänger sollte Menschenansammlungen meiden, ggf. Mundschutz und Kittel außerhalb des Zimmers tragen von Blumen/Topfpflanzen im Zimmer abraten (Bakterien-/Sporenübertragung) Bettwäsche alle 2 Tage wechseln Blutdruckmessgerät/Stethoskop sollte beim Betroffenen verbleiben keimarme Kost (nur geschälte oder abgekochte Lebensmittel) Umkehrisolation bei stark erniedrigter Leukozytenzahl hygienische Händedesinfektion nach jedem Toilettenbesuch sorgfältige Mund- und Körperpflege (täglich duschen), Wasserkeimfilter anwenden Angehörige informieren und anleiten

ACHTUNG Infektionen gehören bei Tumorpatienten zu den häufigsten Komplikationen und Todesursachen.

38.2.5 Orale Mukositis Bei der oralen Mukositis ist die Mundschleimhaut entzündet.

38.2.5.1 Ursachen

Schleimhautepithelzellen sind aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer (10–14 Tage) sehr anfällig für Zytostatika und Bestrahlung. Besonders empfindlich ist die Mundschleimhaut. Durch Chemotherapie oder Bestrahlung wird die Zellwand dünner. Es kommt schneller zu Verletzungen und die Zellen sind durchlässiger für Krankheitserreger, besonders für Pilze. In Kombination mit einer schlechten Immunabwehr durch Leukozytopenie entwickelt sich leicht eine Mukositis.

38.2.5.2 Symptome Die WHO unterscheidet 4 Schweregrade der Mukositis ( ▶ Tab. 38.2 ). Hauptsymptome sind Schmerzen und Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme, die Schwere der Symptome ist dabei abhängig von der Ausprägung der Mukositis. Tab. 38.2 Erscheinungsbild und Einteilung der Mukositis der Mundschleimhaut (nach WHO). Schweregrad subjektive Symptome

objektive Symptome

Grad I

Brennen, Schmerzempfindlichkeit, Überempfindlichkeit bei heißen/scharfen Speisen

Schwellung der Schleimhaut, leichte Rötungen einzelner Stellen

Grad II

Schmerzen beim Essen, weiche Speisen noch möglich

fleckenförmiges Erythem, vereinzelt Beläge, kleine Erosionen (≤ 5 mm)

Grad III

starke Schmerzen, starkes Brennen konfluierende Blasen, flächige auch unabhängig vom Essen, oft nur Erosionen, ca. 25 % der Schleimhaut Trinken möglich von Ulzerationen betroffen, evtl. leicht blutend, Aphthen

Grad IV

sehr starke Schmerzen, keine orale Ernährung mehr möglich

blutende Ulzerationen und Nekrosen, ca. 50 % der Schleimhaut betroffen

Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

Besonders gefährdende Faktoren Bestrahlungen im Kopf-Hals-Bereich Mundtrockenheit (Xerostomie)

bestimmte Zytostatika (z.B. MTX, Vinblastin) hoch dosierte Chemotherapie oder allogene Knochenmarkstransplantation schlechte Mundhygiene und Vorschädigungen der Mundschleimhaut jüngeres Alter (erhöhte Zellteilungsrate)

38.2.5.3 Therapie und Pflege Prophylaktische Maßnahmen Gute Mund- und Zahnpflege mit weicher Bürste und Reinigung der Zahnzwischenräume Pflegeempfänger regelmäßig nach Symptomen fragen, Mundhöhle inspizieren und Zustand dokumentieren Mund regelmäßig anfeuchten und spülen (z.B. mit Wasser, Salbeitee, Kochsalzlösung) keine austrocknenden Spüllösungen verwenden (z.B. alkoholhaltige Lösungen) Speichelfluss anregen (z.B. zuckerfreie Bonbons oder Kaugummi) Pflegeempfänger informieren und beraten, um zur konsequenten Prophylaxe zu motivieren Maßnahmen bei geschädigter Schleimhaut aktuell keine studienbasierten Empfehlungen für bestimmte Spüllösungen Spüllösungen mit Lokalanästhetika (Achtung: anschließende Gefahr des Verschluckens!) systemische Schmerztherapie nach Anordnung Trinknahrung bei eingeschränkter Nahrungsaufnahme, ggf. parenterale Nahrung

homöopathische Medikamente wie Traumeel zur Unterstützung der Wundheilung Pilzbesiedlungen werden nach ärztlicher Anordnung durch Antimykotika behandelt

38.2.6 Hautreaktionen bei Chemotherapie Unter einer Chemotherapie kommt es häufig zu reversiblen Reaktionen der Haut. Der Pflegeempfänger sollte über mögliche Veränderungen aufgeklärt werden, um Unsicherheiten zu vermeiden. Hand-Fuß-Syndrom: schmerzhaftes Erythem (Hautrötung) mit Schwellung, Blasenbildung und anschließender Abschuppung. Maßnahmen: Gabe von Schmerzmitteln, harnstoffhaltigen Salben, kühle Kompressen allergische Reaktionen: z.B. Exanthem (Hautausschlag) oder Nesselsucht, kann in einen ▶ anaphylaktischen Schock übergehen. Maßnahmen: sofortige Info an Arzt, Erstmaßnahmen einleiten Alopezie (Haarausfall): wird psychisch als hoch belastend empfunden. Maßnahmen: Aufklärung über den zu erwartenden Haarausfall und Beratung über Haarersatz, Tücher, Mützen und Schutz der Kopfhaut Nagelveränderungen: Bildung von Pigmentflecken oder Vertiefungen, erhöhte Brüchigkeit, ggf. Verlust des Nagels (Onycholyse) Hyperpigmentation: Dunkelfärbung der Haut/Schleimhaut Hyperkeratose: Verdickung der obersten Hornhautschicht, Haut schält sich im Verlauf Photosensibilisierung: Haut wird überempfindlich gegen UV-Licht

38.2.7 Hautreaktionen bei Strahlentherapie Durch verbesserte technische Möglichkeiten werden strahlungsbedingte schwere Hautschäden immer seltener. Die Hautreaktion ist abhängig von der Strahlendosis und wird in Akut- und Spätreaktionen unterteilt. Akute Hautreaktionen: leichte Rötung, Schälen der Haut, Blasenbildung, Nekrosen. Reversibilität ist abhängig von der Stärke der Ausprägung. Spätreaktionen: Hyperpigmentation, Atrophie (Gewebsschwund), verminderte Sekretionsleistung der Haut (Schweiß-, Talg-, Speicheldrüsen). Bereits abgeklungene Hautschäden können durch eine adjuvante (folgende) Chemotherapie wieder aufflammen („Recall-Phänomen“).

38.2.7.1 Pflege der bestrahlten Haut Das bestrahlte Hautareal wird i.d.R. mit einem wasserfesten Stift markiert. Die Markierung muss erhalten bleiben, da sie die exakte Ausrichtung der Strahlenquelle ermöglicht. Die Haut sollte regelmäßig inspiziert und ihr Zustand dokumentiert werden. Derzeit gibt es verschiedene Empfehlungen für die Pflege bestrahlter Haut. Grundsätzlich gilt: Reibung, Druckstellen, Hitzeeinwirkung, einengende Kleidung vermeiden lauwarm duschen, pH-neutrale und rückfettende Waschlotion, Haut trocken tupfen, Haare nicht heiß föhnen Haut mit fett- und harnstoffhaltiger Creme pflegen Nägel kurz und gerade abschneiden

direkte Sonneneinwirkung vermeiden, Kopfbedeckung, Sonnenbrille und Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor verwenden

38.2.8 Diarrhö Wie die Zellen der Mundschleimhaut sind auch die sich schnell teilenden Zellen des Magen-Darm-Trakts von den Auswirkungen der Chemotherapie betroffen. Auch eine Bestrahlung kann Diarrhöen auslösen. Diese sind meist durch eine akute Schleimhautentzündung bedingt (Strahlenenteritis). Da die Ursache nicht beseitigt werden kann, erfolgt die Behandlung symptomatisch durch: Ersatz von Flüssigkeit diätetische Maßnahmen Medikamente (Antidiarrhoika, z.B. Loperamid, Opiumtropfen, Aplona)

38.2.9 Obstipation Ursachen: Tumorwachstum, Stoffwechselstörungen (z.B. Hyperkalzämie, Hypokaliämie, Dehydrierung), Strikturen (Verengung) nach Bestrahlung, unerwünschte Nebenwirkungen von Medikamenten (z.B. Antiemetika, Opiate) Maßnahmen: begleitende Gabe von Laxanzien (bei mechanischen Behinderungen nur nach strenger Indikationsstellung) nach ärztlicher Anordnung sowie allgemeine Maßnahmen der Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.11).

ACHTUNG

Vorsicht mit Einläufen und Klysmen bei Menschen mit Thrombozytopenie.

38.2.10 Umgang mit Schmerzen Die meisten Tumorpatienten leiden im Verlauf der Krankheit unter Schmerzen: tumorbedingt, z.B. durch Knochenmetastasen, Nervenkompressionen oder Infiltrationen therapiebedingt, z.B. durch eine OP, orale Mukositis unabhängig vom Tumorleiden, z.B. Migräne, Arthrose Schmerzen und psychische Faktoren hängen oft eng miteinander zusammen (Angst vor voranschreitender Erkrankung, Angst vor Schmerzen). Der Pflegeempfänger sollte das Gefühl haben, dass seine Schmerzen und Ängste ernst genommen werden und er sollte nicht über einen längeren Zeitraum unter seinen Schmerzen leiden müssen. Neben den Schmerzmedikamenten, die nach dem ▶ WHOStufenschema eingesetzt werden, sind Maßnahmen bedeutsam wie: Schmerzerfassung: täglich Schmerzen erfragen (z.B. mittels NRS), nach Rücksprache Schmerztherapie anpassen nichtmedikamentöse Maßnahmen: Wärme- und Kälteanwendungen, Massagen, Akupunktur und weitere Methoden können ergänzend eingesetzt werden. Ausführliche Informationen dazu finden Sie im Kap. ▶ 21 „Schmerzmanagement“.

38.2.11 Gesundheitsförderung und Alltagsbewältigung

Unter medizinischer Nachsorge wird die Betreuung des Pflegeempfängers nach dem Ende der Therapie verstanden. Ziele Erkennen/Behandeln von Rezidiven Erkennen/Behandeln von Folgeerkrankungen Erkennen/Behandeln von Unsicherheiten und psychischen Folgen Beratungsinhalte Rehabilitationsmaßnahmen: Erleichtern die Wiedereingliederung in das Alltagsleben. Sozialdienst frühzeitig hinzuziehen, um bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten. Selbsthilfegruppen: Angebote im Umfeld und Kontakte zu Selbsthilfegruppen werden als hilfreich empfunden; Hilfestellung bei der Informationsfindung. Sport: Regelmäßige Bewegung hat positive Auswirkungen auf die Lebensqualität. Betroffene sollten sich in den ersten 24 h nach Chemotherapie, Mediastinal- oder Ganzkörperbestrahlung schonen. Dies gilt auch bei geringen Hämoglobin- und Thrombozytenwerten (keine intensive körperliche Belastung). ▶ Palliative Versorgung. Ist eine Heilung nicht mehr möglich, sollten Fachleute der Palliativmedizin hinzugezogen werden, um Betreuungsmöglichkeiten (ambulant, Palliativstation, Hospiz) zu besprechen (siehe Kap. ▶ 41).

KOMPAKT Tumortherapiebedingte Pflegeprobleme

Betroffene und Angehörige haben einen hohen Beratungsbedarf. Dabei geht es v.a. um Prophylaxe und Maßnahmen bei möglichen Nebenwirkungen, z.B. ausgewogene Ernährung, angemessene Hygiene. Darüber hinaus können Rehabilitationsmaßnahmen, Selbsthilfegruppen und bei gegebenem Anlass auch palliative Versorgung thematisiert werden. Bösartige Tumorerkrankungen lösen bei Betroffenen existenzielle Ängste aus. Wichtig sind eine einfühlsame Begleitung, eine sensible Kommunikation und psychologische Unterstützung von einem interdisziplinären Team (Pflege, Klinikseelsorger, Ärzte usw.). Um Übelkeit und Erbrechen zu vermeiden und die Gefahr einer Mangelernährung zu reduzieren, müssen frühzeitig Antiemetika eingesetzt und verschiedene pflegerische Maßnahmen angewendet werden. Fatigue bezeichnet einen Zustand ausgeprägter Erschöpfung, ausgelöst durch maligne Erkrankung und Therapiemaßnahmen. Fatigue lässt sich durch Erholungsmaßnahmen nicht verbessern. Im Rahmen einer Knochenmarksuppression kann es zu einer Anämie, Thrombozytopenie und/oder Leukozytopenie kommen. Die orale Mukositis wird in 4 Schweregrade eingeteilt. Da die Schleimhaut sehr anfällig für Zytostatika und Strahlung ist, hat die Prophylaxe einen wichtigen Stellenwert. Hautreaktionen hängen von der Strahlendosis ab und werden in Früh- und Spätreaktionen unterteilt. Die meisten Tumorpatienten leiden unter Schmerzen, daher sind die regelmäßige Schmerzerfassung und ein

adäquates Schmerzmanagement von Bedeutung.

39 Pflege von Menschen in der perioperativen Phase 39.1 Grundlagen Das übliche Setting einer Operation ist:

ambulant (kleine Eingriffe, z.B. Adenotomie beim Kind) stationär (größere Eingriffe, z.B. Frakturversorgung mit Osteosynthese) ▶ Kinder und alte Menschen. Wird ein Kind stationär chirurgisch versorgt, sollte ein Elternteil mit aufgenommen werden. Dies reduziert Ängste. Bei alten und/oder kognitiv beeinträchtigten Menschen sollte eine Bezugspflege durchgeführt und ggf. eine Betreuungsperson eingesetzt werden. Dies hat nachweislich positive Auswirkungen auf die Genesung im perioperativen Verlauf. Das gefürchtete Übergangssyndrom oder der Ausbruch einer Demenz blieb oft aus.

39.1.1 Einteilung der Operationen 39.1.1.1 Elektive OPs Definition Elektive Operation Elektiv ist ein Eingriff, wenn er zwar medizinisch indiziert ist, aber nicht notfallmäßig erfolgt. Der Termin kann im Voraus gewählt werden, ohne dass die Gesundheit des Menschen beeinträchtigt wird. Elektive OPs werden heute meist prästationär vorbereitet, d.h., die Voruntersuchungen und Aufklärungsgespräche finden im Vorfeld der Operation ambulant statt. Somit wird der Klinikaufenthalt verkürzt und der Patient muss sich nicht mit den krankenhauseigenen Keimen auseinandersetzen.

Präoperative Diagnostik

Mit Voruntersuchungen soll das Narkose- und Operationsrisiko durch evtl. bestehende Veränderungen oder Vorerkrankungen eingeschätzt bzw. minimiert werden. Des Weiteren dienen sie als Vergleichswerte für die postoperative Phase. Die prästationäre Diagnostik richtet sich nach einem klinikeigenen Standard. Die allgemeine Labordiagnostik kann ambulant erfolgen und besteht aus der Bestimmung von Blutbild, Gerinnungsfaktoren, Elektrolyte und Blutzucker. Bei Hinweisen auf kardiale oder pulmonale Veränderungen wird noch ein Röntgenthorax, ein EKG oder eine Lungenfunktionsprüfung durchgeführt.

Aufklärung und Einwilligung Jede Operation ist im rechtlichen Sinne eine Körperverletzung. Deswegen ist es wichtig, dass der Patient dem Eingriff zustimmt und schriftlich sein Einverständnis gibt. Voraussetzung für die Einwilligung ist die ärztliche Aufklärung, die nicht an Pflegefachpersonen delegierbar ist. Bei Kindern bis 14 Jahre geben die Erziehungsberechtigten oder die gesetzlichen Betreuer die Einwilligung. Jugendliche, die älter als 14 Jahre sind, können unter bestimmten Bedingungen selbst einwilligen. So müssen z.B. die Art und Schwere des Eingriffs berücksichtigt werden und der Arzt muss sich von der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Jugendlichen überzeugt haben. Die Einwilligung muss schriftlich (auf dem Aufklärungsbogen) dokumentiert werden.

Bei Patienten, die gesetzlich betreut sind, muss der gesetzliche Betreuer zu dem Aufklärungsgespräch hinzugezogen werden und er entscheidet über die Durchführung der geplanten Operation. Durch seine Unterschrift (auf dem Aufklärungsbogen) wird seine Entscheidung dokumentiert.

39.1.1.2 Notfalloperationen Definition Notfalloperation Eine Notoperation ist ein operativer Eingriff, der nicht aufgeschoben werden kann. Er ist dringend notwendig, da sonst das Leben des Menschen unmittelbar gefährdet ist. Der Operateur und der Anästhesist entscheiden über die notwendigen diagnostischen Untersuchungen, um den Eingriff vorzunehmen. Wenn Patienten vor Notfalloperationen bewusstlos oder nicht ansprechbar sind, wird die mutmaßliche Einwilligung vorausgesetzt, d.h., der Wille des Betroffenen wird vermutet („Notfallindikation“), siehe auch Kap. ▶ 7 „Rechtliche Grundlagen der Pflege“.

39.1.1.3 Fast-Track-Chirurgie (Rapid Recovery) Definition Fast-Track-Chirurgie Fast-Track-Chirurgie („schnelle Erholung“) ist ein therapeutisches Konzept in der Chirurgie, das durch gezielte Anwendung verschiedener perioperativer Maßnahmen die Rekonvaleszenz

(Genesung) und Rehabilitation des Patienten unterstützt und Komplikationen vermeidet. Die Säulen der Fast-Track-Chirurgie sind z.B.: interdisziplinäre Zusammenarbeit (v.a. Chirurgen, Anästhesisten, Pflegekräfte, Physiotherapeuten) Vermeidung stressauslösender Faktoren, z.B. ausreichende Aufklärung und psychische Betreuung des Patienten optimale Schmerztherapie, z.B. Schmerzmittelpumpe Anwendung minimalinvasiver Operationsmethoden Einschränkung der Darmvorbereitung vor größeren Magen-Darm-Eingriffen frühzeitige Mobilisation frühzeitiger Kostaufbau

39.2 Präoperative Pflege Definition Präoperative Pflege Ziel der präoperativen Pflege ist, den Patienten bestmöglich auf den Eingriff vorzubereiten, die Genesung zu optimieren und Komplikationen zu vermeiden. Die präoperative Pflege wird entsprechend der Operationsdringlichkeit geplant. Handelt es sich um eine elektive Operation, kann die Vorbereitung prästationär erfolgen, d.h., Diagnostik und Aufklärungen werden

ambulant durchgeführt. Der Patient wird gezielt einbezogen, was Ängste reduziert und Sicherheit vermittelt. präoperatives Einüben von Fähigkeiten: Bestimmte Fähigkeiten und Techniken können bereits präoperativ mit dem Patienten eingeübt werden (solange dieser noch schmerzfrei ist und sich frei bewegen kann), um postoperative Komplikationen, wie z.B. eine Pneumonie oder Thrombose, zu vermeiden. Beispiele sind: Gehen mit Unterarmgehstützen, Umgang mit dem Rollstuhl, postoperative Mobilisation (En-blocAufstehen), Atemübungen (Atemtrainer nutzen), einfache Übungen zur Förderung des venösen Rückflusses. Ggf. können Physiotherapeuten und Angehörige das Erlernen der postoperativen Techniken unterstützen. präoperative Darmreinigung: richtet sich nach der Art und Lokalisation des operativen Eingriffs ( ▶ Abb. 39.1). psychische Betreuung: vermittelt dem Patienten Sicherheit. Das empathische Auftreten und die Gesprächsbereitschaft der Pflegefachkräfte vermindern die Ängste des Patienten und wirken vertrauensfördernd. Weitere Faktoren hierfür sind: sachliche und nachvollziehbare Informationen, bewusste Atemübungen, Elemente aus dem autogenen Training, Aromatherapie, Lesen oder Musik. Bei Kindern wirkt sich die Einbeziehung der Eltern in die o.g. Maßnahmen positiv aus, bei alten Menschen eine individuelle Betreuung durch eine Pflegefachkraft. Diese Pflegefachkraft begleitet den Patient bis zu der OPSchleuse. Zusammenstellen und Kontrollieren der Dokumentation: Spätestens am Vorabend der Operation, noch vor der Prämedikation, müssen alle notwendigen Unterlagen vollständig bereitliegen. Die Dokumentation umfasst: Patientenkurve (in der EDV

Dokumentation auf Aktualisierung der Vitalparameter achten), Einverständniserklärungen (Operation, Anästhesieverfahren), Anästhesieprotokoll inklusive Prämedikationsanordnung, alle aktuellen Befunde (Labor, Röntgenbilder, EKG usw.), alle alten Arztbriefe und Unterlagen des Patienten, präoperative Checkliste, Patientenidentifikationsarmband. Präoperative Darmreinigung. Abb. 39.1 Bei einem Eingriff am Magen-Darm-Trakt ist eine gründliche Darmreinigung erforderlich. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

39.3 Maßnahmen am OP-Tag präoperative Nüchternheit: Um bei der Narkoseeinleitung eine Aspiration von Mageninhalt zu verhindern, sollte vor Operationen eine Nahrungskarenz eingehalten werden. Ein Überblick über die Anforderungen an Nahrungs-, Flüssigkeits- und Medikamentenkarenz gibt ▶ Abb. 39.2. Besonderheiten bei Kindern sowie kognitiv eingeschränkten Personen: Kinder < 1 Jahr dürfen bis zu 4 h vor der Operation Muttermilch oder Formulanahrung erhalten. Kinder > 1 Jahr müssen eine präoperative Nahrungskarenz von 6 h einhalten. Bis zu 2 h vor der OP dürfen sie (klare) Flüssigkeiten trinken. Nahrungsmittel und Getränke aus der Nähe des Patienten entfernen, beim Zähneputzen darf Zahnputzwasser nicht getrunken werden, Angehörige und Besucher diesbezüglich informieren. präoperative Haarentfernung: Die WHO rät davon ab, Haare im OP-Gebiet zu rasieren (Mikroläsionen entstehen in der Haut → Eintrittspforte für Erreger, Infektionsrisiko erhöht). Haarentfernung nur mit Haarschneidemaschine vornehmen. Zu beachten sind folgende Regeln: Hautverletzungen vermeiden, dafür die Haut mit der 2. Hand strafen und bei Hautunebenheiten besonders vorsichtig vorgehen. Die Haare sollen mind. 30 cm um das vorgesehene OP-Gebiet gekürzt werden, dabei sind klinikeigene Schemata zu beachten. Bei OPs am Schädel gilt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

Körperreinigung und Hygiene: Ziel der präoperativen Körperreinigung ist die Anzahl der Hautkeime zu minimieren (Infektionsprophylaxe). Abhängig vom Zustand des Patienten und der präoperativ verfügbaren Zeit, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der präoperativen Körperreinigung: z.B. Duschen, Teilwaschung/Ganzwaschung, bei Kindern Vollbad, Waschung mit Antiseptika. Auf das Eincremen um das OP-Gebiet muss verzichtet werden. Weitere wichtige Aspekte: Am Operationstag: Nagellack entfernen, Nabelbereich bei Bauchoperationen reinigen, Hautfalten säubern, Make-Up entfernen, Schmuck und Piercings entfernen, medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) anlegen, Prämedikation verabreichen (danach Bettruhe da Sturzgefahr!) Transport zum OP: Zahn- und Körperprothesen entfernen, OP-Unterlagen mitnehmen Im Operationsvorraum: Seh- und Hörhilfen bei starker Einschränkung bis nach der Übergabe an das OP-Personal belassen, Perücken und Haartoupets entfernen. Thromboseprophylaxe: Am OP-Tag selbst ist keine medikamentöse Thromboseprophylaxe vorgesehen. Je nach Hausstandard und Anordnung MTPS ausmessen und ggf. beim Anziehen unterstützen. Prämedikation: dient der Anxiolyse (Angstlösung), Sedierung (Beruhigung) und erleichtert die Narkoseeinleitung. Der Anästhesist legt fest, welches Medikament (inklusive Dosierung und Zeitpunkt) der Patient erhält. Die Angaben hält er im Anästhesieprotokoll fest. Vor der Verabreichung der Prämedikation ist es wichtig, das Identifikationsarmband

zu überprüfen, dem Patient ggf. einen Toilettengang zu ermöglichen und ihn darüber aufzuklären, dass er das Bett anschließend nicht mehr alleine verlassen darf (Sturzgefahr). Bei Kindern klebt man vor der Anlage eines venösen Zugangs ein EMLA-Pflaster. Transport: erfolgt meist auf Abruf. Davor muss die zuständige Pflegefachkraft die vorbereiteten Dokumente final prüfen, ggf. vervollständigen und die OPVorbereitungscheckliste unterschreiben. Zahn-, Körperprothesen und Schmuck müssen spätestens jetzt entfernt werden. Nur eine examinierte Pflegefachkraft darf den prämedizierten Patient in den OP fahren und wieder abholen (am besten zu zweit). Entsprechend der vorgesehenen Operation sollen ggf. Lagerungsmittel, Bauchbinden etc. mitgeführt werden. Kinder und kognitiv eingeschränkte Patienten werden von Eltern bzw. Bezugspersonen bis zu der OP-Abteilung begleitet. Übergabe: Im OP-Eingangsbereich findet die Übergabe statt. Der Patient muss mit seinem Namen begrüßt werden. Seine Identität wird zusätzlich anhand des Identifikationsarmbandes überprüft. Der geplante Eingriff wird genannt und ggf. die zu operierende Extremität markiert. Die Maßnahmen dienen der Qualitätssicherung und sollen eine Verwechslung vermeiden. Präoperative Nüchternheit. Abb. 39.2 Anforderungen an Nahrungs-, Flüssigkeits- und Medikamentenkarenz im Überblick. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

KOMPAKT Präoperative Pflege und Maßnahmen am OP-Tag Zu der präoperativen Pflege gehören: Diagnostik, Aufklärung und Einwilligung, Einüben postoperativer Fähigkeiten, Darmreinigung, psychische Betreuung des Patienten, Information des Patienten über die Nahrungskarenz sowie das Zusammenstellen und Kontrollieren der Dokumentation Maßnahmen bzw. Aufgaben der Pflegefachkräfte am OP-Tag: Überwachung der präoperativen Nüchternheit, Kürzung der Haare, Körperreinigung und Hygiene, Thromboseprophylaxe, OP-Kleidung, Prämedikation, Transport und Übergabe im Operationsvorraum

39.4 Intraoperative Pflege Definition Intraoperative Pflege Intraoperative Pflege umfasst alle pflegerischen Tätigkeiten und Handlungen, die während einer Operation durchgeführt werden. Das pflegerische Team der OP-Abteilung besteht aus weitergebildeten Pflegefachkräften im Bereich Chirurgie und Anästhesie und den operations- sowie anästhesietechnischen Assistenten (OTA, ATA). An alle Mitglieder der OP-Abteilung werden besondere hygienische Anforderungen gestellt: Vor dem Betreten des OP-Traktes müssen sie die Straßenkleidung und Schmuck ablegen, ▶ Händedesinfektion durchführen und Bereichskleidung, OP-Haube, Mund-Nasen-Schutz und desinfizierbare Schuhe anziehen. Im Funktionsdienst des OP-Bereichs werden zwei Aufgabenbereiche unterschieden: der operative und der anästhesiologische Funktionsdienst (siehe ▶ Abb. 39.3). Positionierung des Patienten zur Operation: entsprechend des geplanten Eingriffs auf dem Operationstisch durch den operativen Funktionsdienst. Dabei muss ein freier Zugang zum Operationsgebiet gewährleistet werden und Komplikationen wie Nervenverletzungen oder Druckulzera prophylaktisch angegangen werden. Wichtig ist auch, dass der Patient während der OP nicht auskühlt. Berufsbezogene Kerntätigkeiten im OP-Bereich. Abb. 39.3  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

39.5 Postoperative Pflege Definition Postoperative Pflege Postoperative Pflege umfasst alle pflegerischen Tätigkeiten und Handlungen, die nach einer Operation durchgeführt werden.

39.5.1 Pflege im Aufwachraum Aufwachraum: Nach der abgeschlossenen Operation wird der Patient im Aufwachraum überwacht und weiterbetreut, bis seine Vitalfunktionen stabil sind (meist 1–2 h). Nach langandauernden Operationen, bestehenden Vorerkrankungen oder intraoperativ aufgetretenen Komplikationen ist es notwendig, dass der Patient auf die Intensivstation oder die Intermediate Care Station (IMC) verlegt wird. Die Schwerpunkte der Pflege umfassen: die kontinuierliche Überwachung der Bewusstseinslage,

das Monitoring der Atem- und Kreislauffunktionen, die frühzeitige Erkennung von Komplikationen, z.B. Nachblutung sowie die postoperative Schmerztherapie. Abholen aus dem Aufwachraum: Vor der Ankunft des Patienten bereitet die Pflegefachkraft das Zimmer für die postoperative Versorgung vor, z.B. Infusionsständer, RRGerät, ggf. Überwachungsbogen (falls keine EDVDokumentation vorliegt). Bei der Übergabe erhält die Pflegefachkraft Informationen über den intraoperativen Verlauf (z.B. Besonderheiten? Komplikationen?) und den Zustand des Patienten im Aufwachraum (z.B. Schmerzen, erhaltene Medikamente, Infusionen, Katheter, Positionierung). Die Pflegefachkraft spricht den Patienten mit Namen an, erkundigt sich nach seinem Befinden, kontrolliert den Wundverband und Drainagen. Der Patient wird aus dem Aufwachraum immer zu zweit abgeholt (im Notfall kann eine Person beim Patienten bleiben und die zweite Hilfe holen). Um die Sicherheit des Patienten zu gewährleisten, wird dieser abgeholt, wenn folgende Kriterien erfüllt sind: ausreichende Spontanatmung stabile Kreislaufverhältnisse, klares Bewusstsein ausreichende Schutzreflexe Normothermie adäquate Schmerztherapie

39.5.2 Pflege auf Station Überwachung: Auf der Station wird der Patient in sein Zimmer gebracht und entsprechend der OperateurAnordnung und der klinikinternen Standards positioniert. Abschließend wird das Wohlbefinden des

Patienten erfragt und die Klingel in seine Reichweite gelegt. Bei der postoperativen Überwachung auf Station gilt es, die in ▶ Abb. 39.4 abgebildeten Faktoren zu beachten.

Merke Überwachung Die Überwachungsmaßnahmen erfolgen zunächst in engmaschigen Intervallen (viertel- oder halbstündlich, je nach Anordnung). Ist der Zustand des Patienten stabil, kann das Intervall nach Rücksprache verlängert werden. Alle ermittelten Vitalparameter müssen in einem Überwachungsprotokoll (ÜBogen) dokumentiert werden. Abweichungen müssen unverzüglich dem behandelnden Arzt gemeldet werden. Körperpflege: Postoperativ Teilwaschung und Mundpflege (Mundtrockenheit durch Nahrungskarenz) anbieten und ggf. dabei unterstützen. Kleidungswechsel anbieten (OP-Hemd gegen eigene Kleidung austauschen). Frühmobilisation: Die frühzeitige postoperative Mobilisation dient der Thrombose-, Pneumonie- und Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17). Die Pflegenden richten sich dabei nach der Kreislaufsituation, Art und Ausmaß der durchgeführten Operation, hausinternen Standards und der ärztlichen Anordnung. Nach kleineren Eingriffen erfolgt die Frühmobilisation meist noch am selben Tag.

Merke Vitalzeichen kontrollieren Vor jeder Mobilisation Vitalzeichen kontrollieren (Sturzgefahr!).

postoperativer Kostaufbau: Der postoperative Kostaufbau richtet sich nach der Anästhesieart und der durchgeführten Operation. Nach Eingriffen am MagenDarm-Trakt kann der Kostaufbau erst erfolgen, wenn z.B. die Gefahr der Anastomoseninsuffizienz nicht mehr besteht. Bis dahin wird der Patient parenteral ernährt. Nach allen anderen in Intubationsnarkose (ITN) durchgeführten Operationen gilt die ärztliche Anordnung zum Nahrungsaufbau. Postoperative Überwachung des Patienten auf der Station. Abb. 39.4  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

39.5.3 Perioperative Schmerzmedikation Am OP-Tag erfolgt die Schmerzmittelgabe entsprechend der ärztlichen Anordnung meist parenteral über Kurzinfusion. Bei größeren und schmerzintensiven Eingriffen beginnt man mit der Analgesie bereits präoperativ:

PCA (patientenkontrollierte Analgesie): Der Patient kann sich selbst nach Bedarf mittels einer PCA-Pumpe i.v. oder über einen Periduralkatheter die vorab eingestellte Dosis eines Schmerzmittels applizieren. periphere Nervenblockaden: Diese Methode findet meistens in der Orthopädie Anwendung. Hierbei werden Nerven an bestimmten Stellen durch Applikation eines Lokalanästhetikums betäubt, entweder durch Injektion einer Einzeldosis oder über einen Katheter. Beobachtung des Patienten: Da das Schmerzempfinden individuell ist, gehört es zu den Aufgaben der Pflegenden, die Patienten gezielt anhand folgender Kriterien zu beobachten: Schmerzintensität und -qualität, Bewusstsein, Sensibilität und Vitalparameter. Dies ist im Überwachungsprotokoll zu dokumentieren.

39.6 Wunddrainagen Definition Wunddrainagen Drainagen sind flexible, weiche, oft perforierte Schläuche, die aus Wund-, Körper- oder Abszesshöhlen Sekret, Blut oder Eiter ableiten, um die Wundheilung zu fördern und Komplikationen zu vermeiden. Der Umgang mit Drainagen und die dabei wichtigen pflegerischen Schwerpunkte werden in Kap. ▶ 27 „Sonden und Drainagen“ erläutert.

39.7 Fäden ziehen und Klammern entfernen Für den Wundverschluss werden intraoperativ Fäden oder Klammern verwendet. Dadurch werden die Ränder der operativ gesetzten Wunde adaptiert und der primäre Wundheilungsprozess unterstützt, siehe Kap. ▶ 28 „Wundmanagement“. In der Tiefe wird selbstresorbierbares Nahtmaterial verwendet. Für die Hautoberfläche nutzt man meistens nichtresorbierbare Fäden und Klammern, die entfernt werden müssen. Den Zeitpunkt der Entfernung bestimmt der Arzt, abhängig von der Lokalisation der Wundversorgung bei Erwachsenen meist am 10.–14. Tag p. o., bei Kindern 4.–7 Tag p. o. Das Vorgehen wird in ▶ Tab. 39.1  beschrieben. Sollen Teilfäden oder -klammern entfernt werden, wird jeder zweite Faden bzw. jede zweite Klammer entfernt. Tab. 39.1 Vorgehen bei Fadenziehen und Klammerentfernung. Material und Schritte

Fadenentfernung

Material

Hände- und Hautdesinfektionsmittel 2 Paar unsterile Handschuhe sterile Pinzette sterile Tupfer steriles Tuch Wundschnellverband Abwurfbehälter steriles Fadenmesser oder Schere

Klammerentfernung

steriler Klammerentferner

Material und Schritte Vorbereitung

Fadenentfernung

Klammerentfernung

Patient über geplante Intervention/Maßnahme informieren Fenster und Türen schließen Hände- und Flächendesinfektion durchführen benötigte Materialien auf einem sterilen Tuch richten Bett auf eine rückenschonende Arbeitshöhe bringen, störende Kleidung entfernen, Intimsphäre beachten, Patient entsprechend der Wundlokalisation positionieren

Durchführung

▶ hygienische Händedesinfektion durchführen Arbeitsfläche gut erreichbar positionieren und unsterile Handschuhe anziehen Wundverband entfernen und inklusive Handschuhe fachgerecht entsorgen hygienische Händedesinfektion durchführen und unsterile Handschuhe anziehen Wunde sorgfältig inspizieren und desinfizieren Faden mit einer sterilen Pinzette anheben und direkt oberhalb der Haut einseitig mit dem Fadenmesser durchtrennen. Faden vorsichtig herausziehen, auf einer Kompresse ablegen und auf Vollständigkeit überprüfen. Bei fortlaufenden intrakutanen Nähten wird der Faden an einem Ende durchtrennt und mit einer Pinzette vorsichtig entfernt.

Der Hautklammerentferner wird zwischen die Haut und die Klammer geschoben. Durch Zusammendrücken des Griffs wird die Klammer aufgebogen und aus der Haut herausgehoben. Klammer auf einer Kompresse ablegen.

Material und Schritte Nachbereitung

Fadenentfernung

Klammerentfernung

Wunde erneut desinfizieren und sterilen Verband bzw. Schnellverband anlegen Handschuhe ausziehen Patient beim Anziehen helfen, ihn in gewünschte Position bringen, nach Wohlbefinden und Bedürfnissen fragen Bett runterfahren (Sturzgefahr!) Materialien fachgerecht entsorgen oder der Wiederaufbereitung zuführen (Instrumente) hygienische Händedesinfektion durchführen Maßnahme zeitnah dokumentieren

KOMPAKT Intra- und postoperative Pflege Intraoperative Aufgaben der Pflegefachkräfte: Positionierung des Patienten OP-Funktionsdienst: anreichen der Instrumente, bedienen der Medizintechnik, Versorgung der entnommenen Proben, Dokumentation Anästhesie-Funktionsdienst: Mitwirkung bei der Narkosevorbereitung, An- und Ausleitung, Überwachung während der Narkose, Dokumentation Abholen aus dem Aufwachraum: Abholung nur zu zweit. Nur kreislaufstabile, ansprechbare und orientierte Patienten werden auf die periphere Station verlegt, ansonsten auf die Intensivstation. Pflege auf der Station: Überwachung von Kreislaufsituation, Körpertemperatur, Orientierung und Bewusstsein, Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMSKontrolle), Flüssigkeitshaushalt und Ausscheidung,

Blutzuckerkontrolle bei Diabetikern, Wundverband und Drainagen, Infusionstherapie, Kostaufbau, Frühmobilisation, Schmerzerfassung Postoperatives Schmerzmanagement: bedarfsgerecht und ärztlich angeordnet, PCA (patientenkontrollierte Analgesie), periphere Nervenblockaden, Wirkung der Medikamente kontrollieren Fäden und Klammer entfernen: Zeitpunkt bestimmt der Arzt, Materialien steril vorbereiten, Patient entsprechend positionieren, Fäden und Klammer entfernen, dabei auf sterile Arbeitstechnik achten, Wunde inspizieren und Maßnahme dokumentieren

40 Pflege von Menschen auf der Intensivstation 40.1 Intensivstation

Auf Intensivstationen werden die Vitalfunktionen von vital gefährdeten Patienten kontinuierlich überwacht, wenn nötig unterstützt (z.B. durch Beatmung) oder auch Funktionen einzelner Organe ersetzt (z.B. mit Hämodialyse). Einteilung von vital gefährdeten Patienten: Überwachungspatient: Patienten mit potenziellen vitalen Gefährdungen zur vorsorglichen Überwachung und Risikominimierung, z.B. nach großen OPs, bei kardialen und pulmonalen Problemen kritisch Kranke: Patienten mit akuten vitalen Gefährdungen, z.B. Frühgeborene, Patienten mit Verbrennungen, Schock, Sepsis, Polytrauma, Koma, Blutungen, neurologischen Störungen oder Intoxikationen Kinder: Nach langen oder schweren Operationen kommen Kinder aus dem Operationssaal direkt auf die Intensivstation für eine systematische Überwachung der Lebensfunktionen v. a. nach großen Kopf-Operationen (z.B. Lippen-, Kiefer-, Gaumen-Spalten) oder nach großen Eingriffen im Brustkorb oder Bauchraum

40.1.1 Intensiveinheiten Die Definition einer Intensiveinheit war lange uneinheitlich. Erst durch das im Rahmen der ▶ COVID-19 Pandemie entwickelte DIVI-Intensivregister, mit dem die Verfügbarkeit von Intensivbetten in Deutschland verglichen werden kann, wurden offizielle Definitionen verfasst. Demnach werden unterschieden: Low Care Betten (sog. Intermediate Care/IMC): Für Patienten, die zwar überwachungspflichtig sind, aber keine aufwendige Intensivversorgung benötigen. Eine nicht invasive Beatmung muss dennoch möglich sein.

High Care Betten (sog. Intensive Care Units/ICU): Für Patienten, die überwachungspflichtig sind und invasiv beatmet werden müssen. Zusätzlich muss die Therapie mit Katecholaminen gewährleistet sein. Auch sollte die Möglichkeit einer Nierenersatztherapie (Dialyse) gegeben sein. ECMO Behandlungsplatz: Für Patienten, die zusätzlich einen Lungenersatz außerhalb des Körpers (Extra-Corporale-Membran-Oxygenierung; ECMO) benötigen, z.B. bei Covid-19-Patienten mit schwerer Gasaustauschstörung. Ein ECMO Behandlungsplatz ist die in Deutschland höchste intensivmedizinische Versorgungseinheit und nur in wenigen Zentren verfügbar. Jedes deutsche Krankenhaus muss seit April 2020 die Anzahl seiner verfügbaren Intensivbetten täglich an das DIVIIntensivregister melden.

40.1.2 Möglichkeiten der Überwachung Auf Intensivstationen gibt es viele Parameter, die überwacht werden können (z.B. Blutdruck, Sauerstoffsättigung, zentraler Venendruck).

Merke Grundsatz Ein zentraler Grundsatz auf Intensivstationen lautet: „Immer erst den Patienten anschauen – dann den Monitor.“ Zu jedem Schichtbeginn müssen die Alarmgrenzen jedes einzelnen Parameters kontrolliert werden. Unter einer Alarmgrenze wird der Wert verstanden, ab dem der Monitor

durch ein akustisches Signal über kritische Werte informiert. Folgende Parameter können erhoben werden: Sauerstoffsättigung: Die periphere Sauerstoffsättigung (SpO2) misst, wie viel Prozent des Hämoglobins mit Sauerstoff behaftet sind. Dies wird meist mittels eines Clips an der Fingerkuppe oder am Ohrläppchen (Pulsoxymetrie) gemessen. Bei beatmeten Patienten werden Werte zwischen 92-96 %, bei nicht beatmeten Patienten, je nach Vorerkrankung zwischen 88-96 % angestrebt. Blutdruck: Der Blutdruck gibt u.a. Auskunft über das Maß der Gewebeperfusion. Konkret lässt sich hiermit die Frage beantworten: Wie gut werden die Organe gerade durchblutet? Entscheidender als systolische und diastolische Werte ist hierbei der mittlere arterielle Druck (kurz: MAD). Er berechnet sich aus dem systolischen und diastolischen Blutdruckwert und wird auf dem Intensivmonitor meist in Klammern hinter dem kompletten Blutdruckwert (z.B. 120/80mmHg [93]) angezeigt. Normal liegt er bei Erwachsenen zwischen 70–105 mmHg. Liegt er über längere Zeit unter 60 mmHg, droht eine Minderdurchblutung der Organe. Bei der nicht invasiven Blutdruckmessung wird der Druck (nach Riva Rocci) über eine Blutdruckmanschette gemessen. Bei der invasiven Methode wird der Blutdruck über einen Druckabnehmer direkt in der Arterie gemessen. Hierzu wird eine Kanüle in eine Arterie gelegt (z.B. in die A. radialis). Diese Methode wird nur bei kritisch kranken Patienten angewendet und hat den Vorteil, dass Blutdruckänderungen sofort registriert werden können. Dies ist z.B. während einer Therapie mit Katecholaminen notwendig.

Gleichzeitig dient die arterielle Kanüle der regelmäßigen Abnahme von Blutgasanalysen. Herzfrequenz: Durch ein EKG-Kabel wird der Herzschlag kontinuierlich abgeleitet und am Monitor angezeigt. Bei Herzrhythmusstörungen (z.B. Kammerflimmern, supraventrikuläre Tachykardie) gibt der Monitor Alarm. Herzdrücke/Lungendrücke (sog. erweitertes hämodynamisches Monitoring): zentraler Venendruck (ZVD): Über einen ZVK kann der ZVD erfasst werden. Er ist ein Indiz für die Vorlast des Herzens, darf jedoch nur zusammen mit anderen Parametern (z.B. der venösen Blutfüllung) interpretiert werden. Seine Bedeutung hat in den letzten Jahren abgenommen. PiCCO: Mittels PiCCO-System (Pulse Contour Cardiac Output) lassen sich u.a. Aussagen über das Herzzeitvolumen treffen. Hierzu benötigt der Patient neben einem ZVK eine arterielle Kanüle. Über den ZVK wird ein definiertes Volumen einer kalten Infusionslösung injiziert. Anschließend wird die hierdurch im arteriellen System hervorgerufene Temperaturänderung gemessen. Diese ist abhängig vom zugrundeliegenden Herzzeitvolumen. Pulmonaliskatheter (PAK): Der PAK ist komplikationsreicher als das PiCCO-System (u.a. erhöhte Infektionsgefahr) und wird daher nur noch selten verwendet. In seiner ursprünglichen Form dient er u.a. der Bestimmung des Herzzeitvolumens und gibt Auskunft über die Drücke in den Lungengefäßen. Temperatur: Über Sonden, die z.B. anal, nasal oder oral liegen, kann die Temperatur des Patienten am Monitor überwacht werden. Teilweise sind diese

Systeme auch in Blasenverweilkathetern oder Magensonden integriert. Ausscheidung: Die Urinausscheidung erfolgt meist über einen Blasendauerkatheter mit Stundenurimeter. Auch andere Ausscheidungen (Wundsekret, Magensaft, Stuhlgang etc.) werden kontinuierlich überwacht. intrakranieller Druck (ICP): Über die intrakranielle Druckmessung lässt sich der Druck im knöchernen Schädel bestimmen. Notwendig bei Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma (SHT) oder intrakranieller Drucksteigerung z.B. durch einen Tumor oder eine Blutung. Über die Sonden kann Flüssigkeit abgelassen und dadurch der Druck im Schädel vermindert werden. intraabdomineller Druck (IAP): Der IAP misst den Druck innerhalb der Bauchhöhle und kann z.B. mit einem liegenden Blasenkatheter gemessen werden. Notwendig bei entzündlichen Prozessen im Bauchraum oder akuten Blutungen. Blutgasanalyse (BGA): Die arterielle BGA (abgenommen über eine arterielle Kanüle) liefert wichtige Werte der Sauerstoff- und Kohlendioxidkonzentration. Alternativ kann in bestimmten Fällen eine kapilläre BGA (aus dem Ohrläppchen) entnommen werden. Venöse BGAs (z.B. aus einem ZVK) liefern nur wenige Informationen zur Sauerstoff- und Kohlendioxidkonzentration und dienen lediglich der Beurteilung des Elektrolyt- und SäureBasen-Haushaltes.

40.1.3 Atemwegssicherung und Intubation Um ein Zurückfallen der Zunge bei komatösen Patienten zu verhindern, muss ihr Atemweg gesichert werden. Gleichzeitig dient die Atemwegssicherung dem Schutz vor

Aspiration bei Erbrechen. Der Goldstandard der Atemwegssicherung ist die endotracheale Intubation: Das Einführen eines Endotrachealtubus in die Luftröhre. Hierzu kann der Tubus nasal oder oral eingeführt werden. Es gibt 2 Vorgehen: elektive Intubation: geplante Intubation bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder vor einer OP notfallmäßige Intubation: bei akuter Verschlechterung des Allgemeinzustands Um die Stimmritze des Patienten bei der Intubation darzustellen, benötigt der Arzt ein Laryngoskop.

40.1.3.1 Beatmung Jede Intensivstation hat Möglichkeiten zur künstlichen Beatmung. Diese kann invasiv (über einen Endotrachealtubus, eine supraglottische Atemhilfe oder ein Tracheostoma) oder nicht invasiv (über eine festsitzende Gesichtsmaske) erfolgen. Am Beatmungsgerät (Respirator) lassen sich anschließend verschiedene Programme einstellen. Diese unterteilen sich in: vollkontrollierte Beatmungsformen (z.B. PCV, VCV): Das Beatmungsgerät übernimmt die gesamte Beatmung. Der Patient selbst kann auf den Beatmungszyklus keinen Einfluss nehmen. Eine kontrollierte Beatmung wird bei schwer kranken Patienten in Vollnarkose verwendet. assistierte Beatmungsformen (z.B. CPAP-ASB): Hierbei kann der Patient selber Einfluss auf den Atemzyklus nehmen. Er kann beispielsweise den Beginn der Einatmung selbst bestimmen und erhält dann Unterstützung durch den Respirator. Diese Beatmungsform wird insbesondere bei Patienten im

Weaning (Entwöhnung vom Beatmungsgerät) angewendet. Beatmungsart Alle Beatmungsformen geben entweder ein bestimmtes Volumen- oder einen bestimmten Druck vor. Diese Werte werden am Beatmungsgerät eingestellt. Bei der volumenkontrollierten Beatmung wird die Menge an Luft eingestellt, die der Patient pro Atemzug erhalten soll. Zusätzlich wird die Atemfrequenz eingestellt. Bei der druckkontrollierten Beatmung pumpt der Respirator so lange Luft in den Patienten, bis ein voreingestellter Druckwert erreicht wird. Je nach Dehnbarkeit der Lunge (Compliance) kann das pro Atemzug erhaltene Volumen daher variieren. Zusätzlich zum Maximaldruck stellt der Arzt eine bestimmte Atemfrequenz ein. Welche Beatmungsform präferiert wird, hängt vom Krankheitsbild und häufig von der jeweiligen Klinik ab. Die aktuelle Leitlinie zur invasiven Beatmung nennt hierzu keine explizite Präferenz. ▶ Anfeuchtung. Im Rahmen der Spontanatmung wird die Luft durch das feuchte Milieu der Atemwege angefeuchtet. Die durch den Respirator verabreichte Luft ist dagegen zunächst einmal trocken. Dies kann ggf. die Entstehung von Lungenentzündungen begünstigen. Aus diesem Grund wird die Atemluft des Patienten in vielen Kliniken zuvor angefeuchtet. Dies kann passiv, durch einen speziellen Filter (HME-Filter), oder aktiv durch eine in den Atemkreislauf eingebaute Befeuchtungsanlage erfolgen. Die Leitlinie zur invasiven Beatmung gibt bezüglich der Verwendung von Befeuchtungssystemen derzeit keine klare Empfehlung.

▶ Nicht invasive Beatmung (NIV). Während die invasive Beatmung durch ein in den Körper eingelegtes Hilfsmittel (z.B. Endotrachealtubus) erfolgt, geschieht die nicht invasive Beatmung lediglich über eine festsitzende Maske. Alternativ kann auch ein Beatmungshelm verwendet werden. Hierbei ist der Patient wach und verfügt über Schutzreflexe (z.B. Hustenstoß). Angewendet wird die NIVTherapie z.B. zur kurzzeitigen Überbrückung eines Sauerstoffdefizits bei wachen und kooperativen Patienten.

40.1.3.2 Weaning Beim Weaning wird der Patient vom Beatmungsgerät entwöhnt. Ziel ist es, die Spontanatmung wiederherzustellen. Voraussetzung: u.a. ausreichender Atemantrieb und wacher, kooperativer Patient, stabile Vitalparameter Vorgehen: Die Atemunterstützung durch den Respirator wird allmählich verringert. Die Entwöhnung kann wenige Stunden (z.B. nach einer OP) oder auch Tage bis Wochen andauern (z.B. bei Langzeitbeatmeten, bei Atemwegserkrankungen). intensive Überwachung: bei Tachypnoe, Tachykardie, Hypertonie, Kaltschweißigkeit sofort Arzt rufen Extubation: Bei ausreichender Spontanatmung kann der Tubus entfernt werden. Bei schwer erkrankten Patienten und bei Patienten nach Langzeitbeatmung erfolgt das Weaning meist in spezialisierten Reha-Kliniken, sogenannten Weaning Zentren.

40.1.4 Katecholamine Katecholamine erhöhen den Blutdruck und die Herzfrequenz. Bei Patienten in Vollnarkose oder bei schwer

kranken Patienten (z.B. mit Sepsis) werden sie zur Kreislaufunterstützung eingesetzt. Sie werden i.d.R. über einen Perfusor verabreicht.

ACHTUNG Von Katecholaminperfusoren hängt der Blutdruck und damit häufig das Leben des Patienten ab. Deswegen dürfen sie niemals pausiert werden. Zu den wichtigsten Katecholaminen gehören: Noradrenalin (Arterenol): Sorgt für eine Vasokonstriktion der peripheren Gefäße. Hierdurch kommt es zum Blutdruckanstieg. Die Herzfrequenz wird nur wenig verändert. Epinephrin (Suprarenin): Stärker wirksam als Noradrenalin und damit das häufigste Katecholamin im Rahmen der Reanimation. Dobutamin: Stärkt insbesondere die Herzkraft (Inotropie) und wird daher besonders bei Patienten eingesetzt, deren Pumpfunktion stark eingeschränkt ist. Gleichzeitig verursacht es häufig eine Tachykardie.

40.1.5 Delirprävention Definition Delir Als Delir wird eine akute Störung der kognitiven Funktionen bezeichnet. Zu den Symptomen gehören z.B. Agitiertheit, Bewusstseinsstörungen, Halluzinationen und Kreislaufstörungen

(Hypertonie, Tachykardie etc.). Rund 30–80 % der Intensivpatienten sind davon betroffen. Durch den Einfluss vieler Medikamente, sowie die Unruhe und den Stress auf einer Intensivstation, sind Intensivpatienten für die Entstehung eines Delirs besonders anfällig. Hierbei hat das Delir für den weiteren Krankheitsverlauf erhebliche Konsequenzen (z.B. erhöhte Letalität, verlängerte Liegezeiten, verschlechterte Kognition nach dem Intensivaufenthalt u.a.). ▶ Maßnahmen. Neben dem sparsamen Einsatz von Sedativa, sollten auch nicht pharmakologische Maßnahmen ergriffen werden. Hierzu gehört: die Mobilisation und Körperpflege am Tag die Einhaltung der Nachtruhe die bestmögliche Lärmreduktion Darüber hinaus wird empfohlen, Patienten regelmäßig auf das Vorliegen eines Delirs hin zu untersuchen. Am verbreitesten sind hierzu Bögen wie der CAM-ICU (Confusion Assessment Method for Intensive Care Unit) oder ICDSC (Intensive Care Delirium Screening Checklist). Beide Bögen sind frei im Internet abrufbar.

40.1.6 Kommunikation Die kontinuierliche Überwachung und die intensive Pflege auf Intensivstationen geben vielen Patienten Sicherheit. Einige Patienten fühlen sich durch die spezielle Situation aber auch hilflos und ausgeliefert. Die vielen Störungen (z.B. durch therapeutische Maßnahmen, Lärm) werden als unangenehm und beängstigend empfunden. Daher ist es besonders wichtig, ihnen Halt, Sicherheit und Orientierung zu vermitteln ( ▶ Tab. 40.1 ). Eltern, deren

Kinder mit schweren Erkrankungen auf der Intensivstation liegen, durchlaufen große Ängste um das Kind - daher sollten, wenn gewünscht, Gespräche mit erfahrenen klinikeigenen Psychologen angeboten werden, die Hilfestellungen bei der Bewältigung der Situation geben können. Tab. 40.1 Kommunikation mit Patienten und Angehörigen auf Intensivstationen. Ziel

Patient*

Angehörige

Vertrauen schaffen

persönlich vorstellen, klar ansprechen, zuhören und reagieren

einbeziehen, zuhören und erklären, transparent bleiben

Sicherheit vermitteln

Handlungen erklären, Wartezeiten begründen, Gegebenheiten des Umfelds erklären Gespräche anbieten

Orientierung geben

zeitliche und räumliche Orientierung allgemeine Informationen zur geben Station liefern

*Kommunikationsaspekte gelten für wache, ansprechbare wie auch für intubierte, bewusstlose/sedierte Patienten.

KOMPAKT Intensivstation Kritisch kranke Patienten werden auf Intensive Care Units (ICU, Intensivstation), Überwachungspatienten auf Intermediate Care Stations (IMC, Intensivüberwachungspflege) versorgt. (Monitor-)Überwachungsparameter: Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Herzfrequenz, Herzdrücke/Lungendrücke, Temperatur, Ausscheidung, ICP, IAP, BGA Durch die endotracheale Intubation können die Atemwege gesichert werden, invasive Beatmung invasive Beatmung und endotracheales Absaugen sind somit möglich. Nicht invasive-Beatmung (NIV): Beatmung ohne ein in den Körper eingelegtes Hilfsmittel (z.B. einen

Endotrachealtubus), sondern lediglich über eine festsitzende Maske. Selten wird auch ein Beatmungshelm verwendet. Weaning beschreibt den Entwöhnungsprozess, Ziel ist die Extubation. Delirprävention: Intensivpatienten sind für die Entstehung eines Delirs besonders anfällig. Daher sollte z.B. auf das Einhalten des Tag-Nacht-Rhythmus geachtet werden und der Patient regelmäßig auf ein Delir hin untersucht werden. Kommunikation: Vertrauen schaffen (z.B. einbeziehen, zuhören), Sicherheit vermitteln (z.B. Handlungen erklären), Orientierung geben (z.B. zeitlich, räumlich)

40.2 Pflege von Brandverletzten Unter bestimmten Voraussetzungen müssen Patienten mit einer thermischen Verletzung auf speziell ausgestatteten Intensivstationen, sogenannten Verbrennungszentren, behandelt werden. Besonders Verbrennungen von mehr als 10 % der Körperoberfläche, Verbrennungen an Händen, Gesicht und Genitalien sowie Verbrennungen durch Blitzschlag sollten dort behandelt werden.

40.2.1 Spezielle Ausstattung Einzel- oder Zweibettzimmer Zutritt nur mit steriler Kleidung, da eine stark erhöhte Infektionsgefahr für den Betroffenen besteht speziell klimatisierte Räume (Temperatur 30–35°C, erhöhte Luftfeuchtigkeit), da die Gefahr unzureichender

Thermoregulation besteht In den Zimmern herrscht ein Überdruck, damit keine Keime eindringen können.

40.2.2 Verbrennungskrankheit Bei ausgedehnten thermischen Verletzungen kommt es zur Verbrennungskrankheit. Die ausgedehnten Verbrennungen führen im Verlauf zu weiteren systemischen Schäden an Organen und Organsystemen. Es entsteht ein schweres, lebensgefährliches Krankheitsbild. Eingeteilt wird die Erkrankung in 3 Phasen:

40.2.2.1 1. Phase: Verbrennungsschock (ca. 1.–3. Tag) Über großflächige Wunden verliert der Körper viel Flüssigkeit (Exsudat); zudem verdunstet vermehrt Wasser über die verletzte Haut (Evaporation). Der Organismus verschiebt deshalb Flüssigkeit aus den Gefäßen in das Gewebe; als Reaktion auf Entzündungsmediatoren bilden sich massive Ödeme. Um die Durchblutung intakter Körperregionen sicherzustellen, kann ein Entlastungsschnitt (Escharotomie) erforderlich sein (z.B. an Extremitäten, Thorax). Therapie: Volumenmangel ausgleichen durch die Gabe von kolloidalen und kristalloiden Infusionen. Teilweise werden Patienten analgosediert, intubiert und beatmet. Wundversorgung sowie Temperaturregulation sicherstellen

40.2.2.2 2. Phase: Resorptionsphase (ca. 2.–8. Tag) Der Körper versucht nach 24–48 h, die Ödeme zu resorbieren.

Therapie: Diuretika-Gabe zur Rückresorption und Förderung der Ausscheidung, Flüssigkeitszufuhr reduzieren und Bilanz erstellen. Gabe von Elektrolyten und Eiweißen

40.2.2.3 3. Phase: Verbrennungskrankheit (8. Tag bis zur Wundheilung) Der Metabolismus ist gesteigert: Der Körper versucht, Verletzungen zu heilen und Wärmeverlust zu kompensieren. Symptome: ausgeprägtes Krankheitsgefühl, Fieber (Resorptionsfieber), erhöhter Sauerstoffverbrauch mit gesteigerter Ventilation, erhöhter Energieverbrauch (Ernährung)

40.2.3 Pflegerische Aufgaben Eine Verbrennungskrankheit ist lebensbedrohlich, deshalb müssen Patienten intensivmedizinisch überwacht werden. Hygienisches Arbeiten ist essenziell, da die ▶ Sepsis eine häufige, tödliche Komplikation ist. Die wichtigsten Aufgaben für Pflegende sind: Überwachung: engmaschige Kontrolle der Kreislaufparameter, Oxygenierung, Temperatur und Vigilanz des Patienten Flüssigkeitsbilanz: Toxische Zerfallsprodukte werden über die Nieren ausgeschieden. Daher muss die Diurese stündlich überwacht und die Flüssigkeitszufuhr bilanziert werden (siehe Kap. ▶ 18.5). So kann ein drohendes akutes Nierenversagen frühzeitig erkannt werden. Der Urin ist bei Verbrennungspatienten häufig dunkelbraun bis schwarz (Farbe durch frei gewordenes Myo- und/oder Hämoglobin).

Positionierung: häufig Spezialbetten, je nach Verbrennungsphase müssen z.B. Extremitäten bei Ödembildung hochgelagert werden. Schmerzkontrolle: Mithilfe von ▶ Assessmentinstrumenten erfassen Pflegende die Schmerzsituation des Patienten und verabreichen nach Arztanordnung Analgetika. Verbrennungen 1. und 2. Grades sind besonders schmerzhaft, da hier die Schmerzrezeptoren der Haut noch intakt sind. Wundversorgung: unter sterilen Bedingungen, bei ausreichender Analgesierung, engmaschige Kreislaufkontrolle (siehe Kap. ▶ 28) Ernährung: Aufgrund des Hypermetabolismus benötigt der Körper v.a. Eiweiße und Kohlenhydrate. Bei wachen Patienten: orale Ernährung. In der Akutphase: ggf. zusätzliche parenterale Ernährung Bewegung: Frühe Mobilisation ist wichtig (Analgosedierung!), da durch schmerzbedingte Schonhaltung verkürzte Narben entstehen: Es droht eine dauerhafte Bewegungseinschränkung; Muskeln und Sehnen verkürzen sich. Prophylaxen: bedarfsgerecht und nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), v.a. Kontrakturenprophylaxe (Narbengewebe sorgt für Bewegungseinschränkungen), Pneumonieprophylaxe und Dekubitus- und Obstipationsprophylaxe (eingeschränkte Beweglichkeit) psychosoziale Begleitung: Betroffene haben Ängste (Tod und Entstellung), frühzeitig Psychologen und Seelsorger hinzuziehen.

KOMPAKT Pflege von Brandverletzten

Bei ausgedehnten thermischen Verletzungen kommt es zur Verbrennungskrankheit (schweres, lebensgefährliches Krankheitsbild, 3 Phasen). regelmäßige Verbandswechsel nach Arztanordnung Auf hohe Zimmertemperatur achten, um ein Auskühlen des Patienten zu verhindern. Striktes hygienisches Arbeiten hat höchste Priorität wegen der erhöhten Sepsisgefahr!

40.3 Pflege bei Transplantationen Bei der Transplantation wird ein Organ, ein Organteil oder ein Gewebe an eine andere Stelle des Körpers oder auf ein anderes Lebewesen übertragen. autologe Transplantation: Transplantation findet am selben Körper statt, d.h., es wird beispielsweise Haut von einer Körperstelle an eine andere Stelle transplantiert (z.B. nach Verbrennungen). Auch kann z.B. ein Herzkranzgefäß durch eine Beinvene ersetzt werden. allogene Transplantation: postmortale Spende: Organe oder Gewebe werden von einem hirntoten Spender auf einen Empfänger übertragen. Lebendspende: Ein Mensch kann Teile seiner Leber oder eine seiner Nieren an einen Empfänger spenden. Der Spender muss volljährig und einwilligungsfähig sein, zudem muss er ein naher Verwandter sein oder in enger Beziehung zum Betroffenen stehen.

xenogene Transplantation: Hier werden Organe oder Gewebe zwischen zwei verschiedenen Arten transplantiert, z.B. Schweineklappen als Herzklappenersatz beim Menschen.

40.3.1 Gesetzliche Regelungen Die Rahmenbedingungen, unter denen eine Organübertragung legal ist, regelt in Deutschland das Transplantationsgesetz (TPG). Es sorgt u. a. für eine Chancengleichheit unter den Empfängern und wirkt kommerziellen Interessen entgegen.

40.3.1.1 Postmortale Spende Rechtliche Voraussetzung: die eindeutige Feststellung des Hirntods des Spenders durch 2 Ärzte sowie die mündliche oder schriftliche Einwilligung des Spenders, z. B. durch einen Organspendeausweis oder das mutmaßliche Einverständnis, welches durch die Angehörigen zur Geltung gebracht wird ▶ Vermittlung. Die Vermittlungsstelle Eurotransplant und die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) regeln die Organvergabe. An Eurotransplant sind die Länder Deutschland, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn beteiligt. Nach bestimmten Kriterien wird der ideale Empfänger für das jeweilige Organ ermittelt. Dabei spielen medizinische und ethische Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle.

40.3.1.2 Wichtige Kriterien für die Organvergabe Blutgruppenkompatibilität: Blutgruppen müssen übereinstimmen.

Gewebeverträglichkeit: Bei manchen Organen müssen bestimmte Antigene übereinstimmen. Konservierungszeit des Organs: Je kürzer das Organ konserviert werden muss, desto besser. Wartezeit des Empfängers: je länger die Wartezeit eines Empfängers, desto höher die Chance Dringlichkeit: Nach dem Allgemeinzustand des Empfängers wird die Dringlichkeit eingeteilt: HU (High Urgency = sehr dringlich), U (Urgency = dringlich), T (Transplantable = möglich).

40.3.2 Ablauf einer Organspende 1. Kontaktaufnahme mit der DSO: Intensivstation meldet einen möglichen Spender. Der Hirntod muss durch 2 Ärzte unabhängig voneinander festgestellt werden. 2. Frage nach der Einwilligung zur Organentnahme: Gespräch mit Angehörigen: Gibt es einen Organspendeausweis? Eine ▶ Patientenverfügung? 3. medizinische Versorgung des Verstorbenen: Sind alle Voraussetzungen erfüllt, wird der Spender sorgfältig untersucht (Tumorerkrankung? Infektionen?) 4. Übermittlung der Untersuchungsdaten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant zur Prüfung der Organvergabe-Kriterien 5. Organentnahme und Versorgung des Spenders: DSO organisiert Organentnahme 6. Organtransport und Transplantation: Konservierung der Organe und Transport zum Empfänger

40.3.3 Pflege bei Organtransplantation Prä- und postoperative Versorgung von Organempfängern orientieren sich in erster Linie an den allgemeinen Maßnahmen der prä- und postoperativen Pflege (siehe Kap. ▶ 39).

40.3.3.1 Spezielle Prä- und postoperative Pflege Präoperativ wird die erste Dosis Immunsuppressiva appliziert. Nach der Verpflanzung muss die Funktionsfähigkeit des transplantierten Organs engmaschig kontrolliert und überwacht werden. So lässt sich früh erkennen, wie gut der Körper das neue Organ annimmt oder ob Anzeichen einer behandlungsbedürftigen Abstoßungsreaktion vorliegen. Weitere pflegerische postoperative Schwerpunkte: Infektionsprophylaxe: Es besteht eine erhöhte Infektanfälligkeit, deshalb: Umkehrisolation, streng aseptisch arbeiten, Mikroverletzungen vermeiden (z.B. Verzicht auf Nassrasur), Körperhygiene Schulung von Patienten: Das Immunsystem ist allgemein schwächer, daher ist die Infektanfälligkeit höher: Hygiene- und Ernährungsregeln beachten (z.B. keine rohen oder halbrohen tierischen Produkte, Obst/Gemüse gründlich waschen). verantwortungsbewussten Lebensstil pflegen: gesunde Ernährung, Bewegung, Nachsorgeuntersuchung, Medikamenteneinnahme Symptome einer Abstoßungsreaktion: Fieber, Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit, Schmerzen, Abgeschlagenheit

psychische Betreuung: Häufig empfinden die Empfänger das neue Organ als Fremdkörper und benötigen evtl. psychologische Unterstützung, um die Compliance zu erhalten. Abstoßungsreaktion: Wird das Spenderorgan von den Immunzellen des Empfängers als fremd erkannt, lösen sie eine Immunantwort aus: Entzündungen entstehen, Antikörper bilden sich, die sich gezielt gegen das Gewebe des transplantierten Organs richten. Es werden verschiedene Formen von Abstoßungsreaktionen unterschieden: hyperakute Abstoßung: Das Transplantat wird bereits im OP von Antikörpern angegriffen. akute Abstoßung: Antikörper werden nach Transplantation gebildet (meist nach 1–3 Monaten). chronische Abstoßung: Nach Monaten oder Jahren kommt es zur Abstoßung (chronisches Transplantatversagen).

40.3.3.2 Immunsuppressiva Patienten müssen nach einer Transplantation lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern. Es gibt verschiedene Gruppen von Immunsuppressiva: Glukokortikoide: Entzündungshemmer verhindern die Bildung von Abwehrzellen. Calcineurinhemmer verhindern die Aktivität von TZellen. mTOR-Hemmer und DNA-Synthese-Hemmer verhindern Vermehrung von T-Zellen. Spezielle Antikörper zerstören gezielt T- und B-Zellen.

KOMPAKT Pflege bei Transplantationen autologe Transplantation (innerhalb des Körpers), allogene Transplantation (postmortale oder Lebendspende) und xenogene Transplantation (von anderer Art) Das Transplantationsgesetz regelt in Deutschland die Rahmenbedingungen. Eurotransplant und die DSO regeln die Organvergabe und organisieren den Ablauf (6 Schritte) einer Organspende. Infektionsprophylaxe wegen der erhöhten Infektanfälligkeit! Lebenslange Einnahme von Immunsuppressiva (z.B. Glukokortikoide), um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern. Schulung des Patienten, psychische Betreuung

41 Pflege des sterbenden Menschen 41.1 Der Sterbeprozess Sterben ist individuell und niemals gleich. Wann ein Sterbeprozess beginnt und wie lange er dauert, ist

verschieden und nicht vorhersehbar. Der Todeszeitpunkt ist stets ungewiss. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin unterteilt die letzte Lebenszeit eines Menschen in eine Terminalphase (= letzte Wochen bis Monate) und eine Finalphase (= letzte Tage bis Stunden). Beide Phasen sind nicht klar voneinander abzugrenzen.

41.1.1 Sterbephasen nach Kübler-Ross Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (1926–2004) hat in den 70er-Jahren Interviews mit sterbenden Menschen geführt. Dabei hat sie Parallelen im Verhalten vieler Menschen gesehen. Auf dieser Basis hat sie ein Modell entwickelt, das die (bewusste) Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben als eine Art Reifeprozess beschreibt. Nicht nur der Sterbende, sondern auch seine Angehörigen durchlaufen die 5 Phasen, siehe ▶ Tab. 41.1 .

Merke Wahrnehmen Im Mittelpunkt des Sterbeprozesses steht der Mensch. Für Pflegefachkräfte ist es wichtig, wahrzunehmen, was er gerade empfindet, ihn dort abzuholen und auf dem weiteren Weg zu begleiten. Der Schlüssel dieser Aufgabe liegt in der Kommunikation, sowohl verbal als auch nonverbal. Tab. 41.1 Die 5 Sterbephasen nach Elisabeth Kübler-Ross. Phase/Zustand

Der sterbende Mensch

Aufgaben der Pflegefachkräfte

Phase/Zustand Nicht-WahrhabenWollen

Der sterbende Mensch nimmt die Diagnose als Fehldiagnose wahr erlebt Schock, psychische Betäubung verlangt weitere Diagnostik

Zorn

Aufgaben der Pflegefachkräfte Wünsche des Betroffenen akzeptieren und darauf eingehen Gesprächsbereitschaft signalisieren, aber nicht aufdrängen

zieht sich zurück, will alleine sein

Zeit geben

begreift die unheilbare Erkrankung

das Verhalten des Betroffenen nicht persönlich nehmen

reagiert mit Zorn und Wut, ggf. mit Neid auf andere stellt sich die Frage: „Warum ich?“

weitere Fakten ersparen

Verständnis aufbringen Gefühle des Betroffenen zulassen und ihm zuhören

beschuldigt sich selbst oder das soziale Umfeld beschwert sich über vieles Verhandeln

klammern sich an kleinste Hoffnungsschimmer, um Lebenszeit zu gewinnen ggf. ernährt er sich gesund, raucht nicht mehr macht Versprechungen, um ein bestimmtes Ereignis zu erleben das Schicksal und Gott sind die Verhandlungspartner

die Hoffnungen des Betroffenen nicht zerstören, aber auch unrealistische Hoffnungen nicht nähren zuhören, ohne die Ideen zu bewerten

Phase/Zustand Depression

Der sterbende Mensch erkennt das Schicksal an gibt die Hoffnung auf erlebt tiefe Traurigkeit bereut viele Dinge nicht gemacht zu haben macht ggf. Testament, söhnt sich mit verstrittenen Personen aus kann sich auch zurückziehen

Annahme/Akzeptanz

kämpft nicht mehr „erwartet“ den Tod hat einen Weg gefunden, sein „Schicksal“ zu akzeptieren

Aufgaben der Pflegefachkräfte Traurigkeit zulassen und dem Betroffenen zeigen, dass Sie bei ihm sind nicht trösten, ablenken Verständnis signalisieren mitmenschliche Nähe schenken bei der Umsetzung bestimmter Wünsche unterstützen, z.B. jemanden zu sehen sich viel Zeit für den Betroffenen nehmen auf seine Wünsche eingehen, z.B. bestimmte Musik hören

wirkt müde und schläft viel

41.1.1.1 Grenzen des Modells Das Modell gibt keinen Anhalt dafür, wann ein Mensch versterben wird. Der Tod kann in jeder Phase auftreten. Manche Menschen sterben unerwartet oder können sich aufgrund ihres eingeschränkten Bewusstseins nicht mit dem Tod auseinandersetzen. Die Phasen müssen nicht chronologisch durchlaufen werden. Mehrere Phasen können parallel auftreten oder sich wiederholen, deswegen ist es sinnvoller, von Zuständen im Pflegeprozess zu sprechen. Nicht jeder Sterbende akzeptiert am Ende seinen bevorstehenden Tod.

Nicht immer erreichen Sterbende alle Phasen des Modells.

41.1.1.2 Psychosoziale Begleitung der Bezugspersonen Die Bezugspersonen von Sterbenden erleben oft einen Schock durch die infauste Diagnose. Ihr Leben gerät ins Wanken, ggf. suchen sie in alternativen Therapien Hoffnung. Begreifen sie, dass die Krankheit kurativ nicht zu behandeln ist, fallen sie „in ein tiefes Loch“. Leidend erleben sie den drohenden Verlust, das Abschiednehmen und spüren Trauer. Im Sterbeprozess wollen sie ihrem Angehörigen bestmöglich beistehen, gleichzeitig werden sie selbst von Unsicherheit geplagt. Pflegefachkräfte sollen die Betroffenheit der Bezugspersonen wahrnehmen und sie unterstützen. Das Gefühl, nicht allein zu sein, spendet Trost. Mit folgenden Maßnahmen können Sie Angehörigen helfen: Aufheben der regulären Besuchszeiten empathisch auftreten Übernachtungs- und Rückzugsmöglichkeiten im Klinikbereich aufzeigen, ggf. stationäre Aufnahme als Begleitperson Speisen und Getränke anbieten speziell geschulte Kollegen, auch ehrenamtliche, als Hilfsperson anbieten und organisieren ggf. auf Wunsch einen Seelsorger organisieren für Ruhephasen für die Angehörigen sorgen ▶ Eltern sterbender Kinder. Für die Eltern-KindBeziehung ist es besonders wichtig, den Eltern sterbender Kinder empathisch und sensibel zu begegnen. Sie wollen die letzten Tage mit ihrem Kind verbringen. Die Pflegenden

können sie, ohne sie zu überfordern, in die Pflege miteinbeziehen, z.B. in die Mundpflege. Auch hier sollten kleine Wünsche und Anliegen erfragt werden, um den Eltern die Situation zu erleichtern.

41.1.2 Finale Sterbephase Es kann sinnvoll sein, den Angehörigen im Vorfeld zu erklären, was vermutlich während des Sterbens passieren wird, um Ängste abzubauen. Folgendes ist häufig beim Sterbenden zu beobachten: Müdigkeit und Schwäche (bis zu 20 h Schlaf pro Tag) evtl. Auftreten von Angst mit starker Unruhe Hörvermögen bleibt lange erhalten: verbale Kommunikation sehr wichtig Reaktionen und Kommunikation über Mimik oder Atemfrequenz Kreislauf wird schwächer: Blutdruck fällt ab, Puls wird schneller und arrhythmisch, Extremitäten werden kalt, Haut blass oder marmoriert Ausscheidungen nehmen ab eingeschränkter Schluckreflex führt zu Speichelansammlung und diese zu rasselndem Atemgeräusch Veränderung der Atmung: Cheyne-Stokes-Atmung (periodisch wiederkehrendes An- und Abschwellen der Atmung mit kurzen Pausen) und ▶ Schnappatmung als Zeichen des Sauerstoffmangels am Ende des Sterbeprozesses Bewusstlosigkeit in den letzten Stunden

Merke

Respektvoller Umgang Obwohl sterbende Menschen weniger wahrnehmungsfähig wirken, ist ein wertschätzender und respektvoller Umgang von großer Bedeutung!

41.1.3 Tod Beim Herzstillstand setzt die Atmung aus und Zellen des Körpers sterben aufgrund des Sauerstoffmangels ab. Gehirnzellen sterben bereits nach wenigen Minuten ab, einige Muskelzellen können dagegen noch Stunden ihre Funktion aufrechterhalten. Aus diesem Grund kann es auch noch nach dem Tod zu Muskelzuckungen oder Stuhlabgang kommen. Lebenswichtige Funktionen können maschinell aufrechterhalten werden (z.B. die Atmung). Aus diesem Grund kann man einen Atem- und Herz-Kreislauf-Stillstand nicht mehr so einfach mit dem Tod gleichsetzen. In der Medizin unterscheidet man 3 verschiedene Zustände oder Phasen: klinischer Tod: Ein Mensch ist klinisch tot, wenn seine Atmung aussetzt und sein Kreislauf stillsteht. Der Eintritt des klinischen Todes stellt man am Auftreten aller unsicheren Todeszeichen fest ( ▶ Tab. 41.2 ). Möglich ist, dass der Sterbende nach minutenlangen Atempausen nochmals nach Luft schnappt bzw. der Monitor nochmals nach Eintreten der Nulllinie einzelne „unförmige“ Ausschläge anzeigt (kein Lebenszeichen). Hirntod: Es handelt sich um einen irreversiblen Verlust aller Gehirnfunktionen und damit auch der lebenserhaltenden zentralen Regulation von Atmung und Kreislauf. Der Ausfall aller Gehirnfunktionen ist das wissenschaftlich und juristisch anerkannte Kriterium

für den Tod. Ursachen des Hirntods sind zu 56 % Hirnblutungen sowie Schäden durch Sauerstoffmangel, Schädel-Hirn-Traumen und Hirninfarkte. biologischer Tod: Nach Eintreten des klinischen Todes sterben nach und nach alle Zellen des Organismus ab. Dadurch kommt es schließlich zum Ausfall aller Organe. Im weiteren Verlauf zersetzen sich die Gewebe und es sind sichere Todeszeichen zu beobachten ( ▶ Tab. 41.2 ).

41.1.3.1 Formalitäten nach dem Versterben Nach dem Herz- und Kreislaufstillstand erfolgt die Leichenschau durch den Arzt, der anhand sicherer Todeszeichen ( ▶ Tab. 41.2 ) eine Bescheinigung über den Tod ausstellt. Der Totenschein geht an das Standesamt, das die Sterbeurkunde ausstellt. Tab. 41.2 Todeszeichen. unsichere Todeszeichen kein Bewusstsein vorhanden keine spontane Atmung kein Puls Ausbleiben der Hirnstammreflexe (weite, lichtstarre Pupillen) Muskeln erschlaffen

sichere Todeszeichen Totenflecken durch Absacken des Blutes große Verletzungen und Zerstörungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind Leichenstarre beginnt nach 4–12 h am Kopf und breitet sich nach unten aus. Verschwindet nach 1–6 Tagen wieder in umgekehrter Reihenfolge. Autolyse als Verwesung: Körpereigene Enzyme und Bakterien zersetzen das Gewebe.

41.1.4 Umgang mit Verstorbenen und deren Bezugspersonen Pflegende sollten den Bezugspersonen Zeit lassen, den Tod zu begreifen und ihnen bei Bedarf empathisch begegnen.

Der Verstorbene wird so hergerichtet, dass die Angehörigen in Ruhe Abschied nehmen können. Es ist auch wichtig, die verschiedenen religiösen Rituale zu beachten, siehe Kap. ▶ 42 „Pflege von Menschen unterschiedlicher Kulturen“. Grundsätzlich sind alle Maßnahmen würdig und achtsam durchzuführen: Infusionszugänge, Blasendauerkatheter, Sonden entfernen oder belassen (je nach Hausstandard) Körperpflege durchführen (ggf. auch gemeinsam mit dem Angehörigen) Bett frisch beziehen und Verstorbenen kleiden (Wünsche der Angehörigen berücksichtigen) Positionierung: Verstorbenen flach auf den Rücken legen, Hände locker auf den Bauch legen, Augen schließen und Zahnprothese einsetzen (vor Eintritt der Leichenstarre!), Unterkiefer z.B. durch ein zusammengerolltes Handtuch fixieren (damit der Mund verschlossen ist) möglichst für eine ruhige Abschiedsatmosphäre sorgen (ggf. Abschiedsraum) und Angehörigen Zeit geben Nach spätestens 24 h kommt der Verstorbene in die Prosektur (Kühlraum). Angehörige über weitere Vorgehensweise informieren (Bestattungsinstitut) und alle persönlichen Dinge mitgeben.

41.1.5 Trauerbegleitung Der Verlust eines geliebten Menschen ist immer mit starken Gefühlen verbunden. Folgendes können Pflegende im Rahmen der Trauerbegleitung tun:

dafür sorgen, dass der Trauernde nicht allein ist, ggf. Verwandten oder Bekannten benachrichtigen auf Vereine und Beratungsstellen hinweisen (z.B. Trauercafés, Hospiz- oder Palliativdienste) Trauer- und Abschiedsrituale fördern (z.B. Musik, Duftlampe) sowie religiöse Rituale beachten (siehe Kap. ▶ 42). Sie geben Trost und helfen bei der Trauerbewältigung. ▶ Kinder und ihre Trauer. Kinder sollen frühzeitig miteinbezogen werden, damit sie begreifen können, dass der kranke Mensch immer schwächer wird. Dies erleichtert ihnen zu begreifen, was Sterben und Tod bedeuten. Der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer ist altersabhängig: Ein Kind (2–6 Jahre) sieht den Tod als etwas Vorübergehendes oder als Nichtleben. Zwischen 6 und 8 Jahren wird der Tod allmählich als irreversibel empfunden. Ein Kind zwischen 8 und 10 Jahren versucht, den Tod zu verstehen, sucht nach Erklärungen und übernimmt die spirituellen und religiösen Konzepte aus dem Umfeld. Ab 10 Jahren hat der Tod für das Kind die gleiche Bedeutung wie für einen Erwachsenen.

41.2 Palliative Care Definition Palliative Care „Palliative Care“ ist der Oberbegriff für die pflegerische, medizinische und seelsorgerische Versorgung von schwerkranken

und sterbenden Pflegeempfänger unter Einbezug derer Bezugspersonen. Der Begriff setzt sich aus „palliativ“ (lat. „pallium“ = Mantel) und „care“ (engl. = Fürsorge, Pflege) zusammen und bedeutet, der Sterbende und dessen Bezugspersonen werden „umhüllt und geschützt“.

Merke Palliative Care vs. Palliativpflege Palliativ Care basiert auf einem Konzept der palliativen Arbeit in einem multidisziplinären Team. Palliativpflege umfasst alle speziellen pflegerischen Maßnahmen, mit denen unheilbar kranke Menschen versorgt werden.

41.2.1 Palliative Haltung Die palliative Haltung ist gekennzeichnet durch 3 Werte: Autonomie: Es wird stets nach dem Willen des Pflegeempfängers und seiner Angehörigen gehandelt (Wahl- und Entscheidungsfreiheit). Die Fragen des Pflegeempfängers werden ehrlich beantwortet. Würde: Ein würdevoller Umgang bedeutet, die Grenzen zu akzeptieren. Die Agierenden wahren das notwendige „Nähe-Distanz-Verhältnis“ und prüfen dieses immer wieder neu. Lebensqualität: „Den Tagen mehr Leben geben“ – Hierbei geht es nicht darum, die begrenzte Lebenserwartung um jeden Preis zu verlängern, sondern vielmehr, die letzte Phase des Lebens so angenehm wie möglich zu gestalten.

41.2.2 Multidisziplinäres Team Das Palliative-Care-Team besteht aus unterschiedlichen Berufsgruppen, um alle (körperlichen, seelischen, sozialen und spirituellen) Bedürfnisse des Pflegeempfängers befriedigen zu können. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, um über den aktuellen Stand und Veränderungen beim Pflegeempfänger zu sprechen. Dabei werden auch Therapien und Maßnahmen festgelegt.

41.2.3 Palliative Pflege Aufgaben einer Palliative-Care-Pflegefachkraft: Betreuung und Begleitung des Pflegeempfängers unter Einbezug der Angehörigen Grund- und Behandlungspflege Sterbebegleitung Vernetzung der Berufsgruppen: Was braucht der Pflegeempfänger? Grenzen erkennen, setzen und einhalten („NäheDistanz-Verhältnis“) Pflegende entscheiden individuell (in enger Absprache mit dem Pflegeempfänger – sofern möglich), welche Pflegemaßnahmen der Pflegeempfänger benötigt: Was tut ihm gut? Wie kann seine Lebensqualität erhalten oder gesteigert werden? Wichtige Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit, Intuition, Kreativität und Flexibilität

41.2.4 Besonderheiten in der Pflege

Ernährung und Flüssigkeit: Hunger- und Durstgefühl lassen in der Finalphase nach; um den Mund dennoch feucht zu halten und damit das Wohlbefinden zu fördern, können z.B. eine regelmäßige Mundpflege durchgeführt, kleine Schlucke Tee verabreicht oder geschmackvoll angerichtete Häppchen angeboten werden. Haut- und Körperpflege: Eine vollständige Körperpflege ist oft zu belastend, daher ist eine individuelle, bedürfnisorientierte Pflege wichtig (z.B. Einreiben von Füßen oder Händen). Körperkontakt hat eine beruhigende Wirkung. Ausscheiden: In der Finalphase werden Pflegeempfänger häufig inkontinent: Schutzhose mit Einlagen anlegen (keinen DK!), kräfteschonender Wechsel der Einlagen Dekubitusprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.2): Regelmäßige Positionswechsel sind nicht unbedingt nötig, wenn der Pflegeempfänger dadurch Schmerzen und große Anstrengung erleiden muss (individuelle Positionierung, je nach Wunsch, Bedürfnis und Toleranz des Menschen). Auf Wechseldrucksysteme verzichten, sie können Unruhe auslösen. Mikropositionswechsel und Positionierungen in Nestlage werden häufig als angenehm empfunden. Prophylaxen spielen eine untergeordnete Rolle, sie müssen individuell abgewogen werden (siehe Kap. ▶ 17).

41.2.4.1 Basale Stimulation

Eine wertvolle Hilfe, um den bewusstseinseingeschränkten Pflegeempfänger zu erreichen, ist die ▶ Basale Stimulation. Durch Einsatz von gezielten Reizen sollen die verbliebenen Wahrnehmungsfähigkeiten des Pflegeempfängers erreicht werden. Dies können optische, akustische oder auch andere Reize sein. Auch Angehörige können mit einbezogen werden. Wickel und Auflagen können entspannend, angst-, krampfoder schleimlösend wirken (siehe Kap. ▶ 31). Wickel, Auflagen, Massagen und Einreibungen mit Duftölen stellen eine besondere Art der Zuwendung dar. Angehörige können dazu angeleitet werden, diese Einreibungen durchzuführen.

41.2.5 Symptomkontrolle Bei der Begleitung von Sterbenden geht es darum, belastende Symptome zu erkennen und zu lindern. Durch die Anamnese werden diese Symptome dokumentiert und bei Veränderungen stets neu erhoben. Häufige Symptome im palliativen Kontext: Schmerzen sind nicht nur als körperliche Sinneswahrnehmung zu verstehen, sondern müssen in einem umfassenden Zusammenhang gesetzt werden. Die Gesamtheit der physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimension wird als „Total Pain“ bezeichnet ( ▶ Abb. 41.1). Maßnahmen: z.B. ▶ Schmerzmanagement, Behandlung der Begleitsymptome (z.B. Obstipation, Übelkeit), psychoonkologische Betreuung Dyspnoe ist ein häufiges und belastendes Symptom von Palliativpflegeempfängern. Sie kann körperliche Ursachen haben, aber ebenso wie Schmerzen durch andere Faktoren beeinflusst sein. Maßnahmen: Arzt informieren, Morphin nach Anordnung, Sauerstoff

verabreichen, Pflegeempfänger beruhigen und Trost spenden Übelkeit und Erbrechen haben vielfältige Ursachen (z.B. Ileus, psychische Aspekte, unerwünschte Nebenwirkung von Medikamenten), Maßnahmen: siehe Kap. ▶ 19.4.2 Obstipation, z.B. durch eingeschränkte Bewegung, Analgetika, Opioide. Maßnahmen: Prophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.11), Abführmaßnahmen (z.B. Milch-HonigEinlauf, nach Arzt-Rücksprache), Kolonmassage Mundtrockenheit aufgrund der reduzierten Nahrungsaufnahme und verstärkter Mundatmung. Pflegerisches Ziel ist es, den Speichelfluss anzuregen. Maßnahmen: regelmäßige Mundpflege, vom Pflegeempfänger bevorzugte Getränke verwenden (z.B. auch Cola, Bier etc.) Angst tritt in der letzten Lebensphase häufig auf. Maßnahmen: Gespräche, Seelsorger/Psychologen hinzuziehen, Medikamente (Anxiolytika) Unruhe tritt häufig bei nicht mehr klar orientierten Menschen auf. Sie zeigt sich z.B. dadurch, dass der Pflegeempfänger laut ruft, seine Beine wiederholt durch die Bettgitter steckt oder immer wieder aufstehen will. Maßnahmen: Ursache finden (z.B. Stuhl- oder Urindrang), beruhigend einwirken, ggf. Medikamente (Sedativa) Juckreiz kann sehr quälend sein und hat vielfältige Ursachen (z.B. Schmerzmittel, Lebererkrankungen). Maßnahmen: kühlende Lotionen, Medikamente (z.B. Antihistaminika), siehe auch Kap. ▶ 54.4.1 Müdigkeit und Schwäche wird bei onkologischen Erkrankungen auch als ▶ Fatigue bezeichnet.

Maßnahmen: Ruhepausen gewährleisten, wache Zeit sinnvoll nutzen (z.B. Mobilisation, Angehörigen-Besuch) exulzerierende Wunden: Offene Wunden (z.B. durch einen Tumor) sind für Pflegeempfänger meist sehr unangenehm, vor allem wenn sie sichtbar sind und unangenehm riechen. Maßnahmen: das Problem offen, aber mit Feingefühl ansprechen, um gemeinsam Lösungen zu finden (z.B. Duftlampen, regelmäßiges Lüften). Siehe auch Kap. ▶ 28. Total Pain. Abb. 41.1 Schmerz bzw. das Schmerzerleben ist von vielen Faktoren abhängig. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

KOMPAKT Pflege des sterbenden Menschen Sterben ist stets individuell und niemals gleich. Die letzte Lebenszeit eines Menschen wird in die Terminalund die Finalphase eingeteilt.

Kübler-Ross beschreibt 5 Sterbephasen: Nicht-WahrhabenWollen – Zorn – Verhandeln – Depression – Annahme/Akzeptanz. Begleitung von Angehörigen: empathische Haltung der Pflegefachkräfte, Aufheben der regulären Besuchszeiten, ggf. Übernachtungs- und Rückzugsmöglichkeiten im Klinikbereich, Speisen und Getränke anbieten, Eltern sterbender Kinder ggf. in die Pflege miteinbeziehen. In der Medizin unterscheidet man 3 verschiedene Zustände: klinischen Tod, Hirntod und biologischen Tod. Es gibt unsichere (z.B. kein Puls, keine Atmung, lichtstarre Pupillen) und sichere (z.B. Totenflecken, Leichenstarre) Todeszeichen zur Bestimmung des Todes. Würdiger und achtsamer Umgang mit dem Verstorbenen und den Angehörigen: Pflege des Verstorbenen, religiöse Rituale berücksichtigen, Trauer- und Abschiedsrituale fördern, Kinder miteinbeziehen, Seelsorge etc. Palliative Care = Oberbegriff für die pflegerische, medizinische und seelsorgerische Versorgung von schwerstkranken und sterbenden Menschen. 3 Werte: Autonomie, Würde, Lebensqualität Bei der Begleitung von Sterbenden geht es darum, belastende Symptome zu erkennen und zu lindern, z.B. Schmerzen, Dyspnoe, Obstipation, Mundtrockenheit, Unruhe.

42 Pflege von Menschen unterschiedlicher Kulturen 42.1 Zentrale Elemente kultursensibler Pflege

Pflegende sollten fremde Kulturen und ihre Regeln sowie Rituale kennen und akzeptieren. Ein hohes Maß an Toleranz gegenüber dem „Fremden“ und die Bereitschaft, sich auf kulturelle Besonderheiten einzulassen, tragen zu einer vertrauensvollen Pflegebeziehung bei. Um diesen Grundsätzen gerecht zu werden, ist es wichtig, sich mit dem Begriff „Kultur“ auseinanderzusetzen.

Definition Kultur Kultur umfasst die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte einer Gesellschaft oder Gruppe, die u. a. Kunst, Literatur, Lebensformen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen einschließt. ▶ Eisbergmodell der Kultur. Am Beispiel des Eisbergmodells der Kultur lässt sich darstellen, welchen Einfluss die Kultur auf die Persönlichkeit und das Verhalten eines Menschen hat. Die Spitze des Eisbergs symbolisiert die sichtbaren (bewussten) durch Kultur geprägten Aspekte, z.B. Kunst, Kleidung, Umgangsformen, Ernährungsform und Sprache. Zu den verborgenen, oft unbewusst wirkenden Faktoren gehören z.B. Werte, Beziehungen, Traditionen, Glauben und Rituale. Pflegende können aus dem Eisbergmodell lernen, dass man vom äußeren Bild eines Menschen (der Spitze des Eisbergs) kein komplettes Bild davon ableiten kann, wie seine Kultur sein Verhalten und seine Persönlichkeit geprägt hat. Diese Einflüsse sind oftmals nicht einmal den Menschen selbst komplett bewusst. ▶ Die drei Ebenen der menschlichen Programmierung. Das Modell des Kulturwissenschaftlers Geert Hofstede

(1928–2020) beschreibt in 3 Ebenen, wie sich die menschlichen Eigenschaften aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren ergeben ( ▶ Abb. 42.1). Hofstede setzt den Einfluss der Kultur auf die Identitätsentwicklung eines Menschen mit einem Programmierungsprozess gleich. Drei Ebenen der menschlichen Programmierung. Abb. 42.1 Die Eigenschaften eines Menschen sind ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Die Merkmale können dabei erlernt oder angeboren sein.

▶ Transkulturelle Kompetenz. Nach dem Konzept der kulturellen Pflege (M. Leininger, siehe Kap. ▶ 5) entwickelte die Sozialanthropologin Dagmar Domenig die Theorie der

transkulturellen Kompetenz, die sich mit der Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund befasst.

Definition Transkulturelle Kompetenz 1. Ich nehme wahr, dass mein Gegenüber eine Situation anders sieht, einordnet und bewertet. 2. Ich weiß und kann einschätzen, warum er dies tut. 3. Ich kann mit dieser unterschiedlichen Perspektive meines Gegenübers umgehen und darauf entsprechend reagieren. Einer Pflegefachkraft gelingt es, über die kulturellen Grenzen hinweg komplikationslos zu interagieren, wenn sie: fähig zur Selbstreflektion ist (d.h., neutral, wertfrei und offen für andere Sichtweisen), Hintergrundwissen und kulturelle Erfahrungen hat (Kultur, Migration, Umgang mit Gesundheit und Krankheit) und Empathiefähigkeit besitzt.

42.2 Kommunikation in der transkulturellen Pflegepraxis Ein wichtiger Bestandteil der professionellen Pflegebeziehung ist die Kommunikation. Daher sollen in der transkulturellen Pflege einige Grundregeln beachtet werden.

42.2.1 Innere Haltung Wichtig ist ein prinzipiell respektvoller Umgang. Die innere Haltung einer Pflegefachkraft spielt dabei eine große Rolle. Der „fremde“ Pflegeempfänger fühlt sich wohl, wenn er vertrauensvolle Worte, Gesten und (ggf.) Berührungen erfährt, wenn man seine Verständigungsprobleme sowie seine Ängste erkennt und akzeptiert. Dies kann auch in wertschätzender Kommunikation zum Ausdruck gebracht werden. Sprechen Sie dafür in moderatem Tempo, in kurzen, vollständigen, leicht zu verstehenden Sätzen mit Blickkontakt.

42.2.2 Gestik und Mimik In der westlichen Kultur ist der direkte Augenkontakt selbstverständlich und gilt als Zeichen von Ehrlichkeit. In asiatischen Ländern ist direkter Augenkontakt dagegen eher unüblich bzw. gilt als unhöflich. Dort ist der ausweichende Blick ein Zeichen des Respekts (z.B. gegenüber Vorgesetzten). Freundliches Lächeln bedeutet nicht in jeder Kultur dasselbe. Es kann als ein Zeichen von Zuneigung verstanden werden, aber auch als Entschuldigung oder Ablehnung. Lautes Lachen gilt in vielen Kulturen als unhöflich. „Kopfschütteln“ wird z.B. in Bulgarien und Indien als Ja verstanden. Vorsicht mit Fingergesten! Diese können je nach kulturellem Hintergrund komplett verschiedene Bedeutungen haben (von „Ich bin einverstanden!“ bis zu „Ich verachte dich!“)

42.2.3 Übersetzungshilfen

Um die Sprachbarrieren zum Wohle des Pflegeempfängers zu überwinden, können Dolmetscher, klinikinterne Übersetzerdienste oder interkulturelle Pflegekräfte hilfreich sein. Weitere Hilfen zur Verständigung sind z.B. Informationstafeln, Beschilderungen, Broschüren und Kurzvideos in mehreren Sprachen zu Abläufen, Regeln und Schutzmaßnahmen.

42.3 Religionen Der Glaube spielt im kulturellen Leben vieler Menschen eine wichtige Rolle. In Krankheit und Genesung kann er eine wichtige Ressource sein. Die meisten Gläubigen empfinden Krankheit als eine Prüfung, nur wenige sehen sie als Strafe. Nicht alle Gläubigen halten alle Vorschriften gleichermaßen streng ein. Pflegende sollten den Pflegeempfänger fragen, ob und wenn ja, nach welchen religiösen Regeln er lebt.

42.3.1 Christentum Innerhalb des Christentums gibt es verschiedene Konfessionen: Die größten sind die katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen und die evangelischen Kirchen. Hinzu kommen kleinere christliche Gruppen und Sekten. Christen glauben an die Dreifaltigkeit (Gott-Vater, Gott-Sohn, GottHeiliger Geist) und die Wiederauferstehung nach dem Tod. Die grundlegende Schrift ist die Bibel (Heilige Schrift), sie besteht aus dem Alten und Neuen Testament. Der Sonntag gilt als Ruhetag und wird feierlich gestaltet, meist mit dem Besuch der Kirche zum Gottesdienst. Besonderheiten Ernährung:

Sonn- und feiertags essen Christen festlich. Freitags verzichten viele auf Fleisch. Ihre Fastenzeit liegt in den 40 Tagen vor Ostern. Körperpflege: Außer der (natürlichen) Scham ist nichts Außergewöhnliches zu beachten. Von einer gleichgeschlechtlichen Pflegefachkraft versorgt zu werden, wird sehr geschätzt. Sterben: Im Sterben oder in schwerer Krankheit fragen Christen oft nach einem Geistlichen (zur Krankensalbung oder zur Beichtabnahme). Jede Klinik verfügt über ein Seelsorger-Team mit Notfallkontaktdaten, somit steht jederzeit ein zuständiger Seelsorger/Pastor zur Verfügung. Christen sollte es ermöglicht werden, dass ihr kritisch krankes Neugeborenes vor dem Tod getauft wird. Eine Besonderheit ist bei der christlichen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas zu beachten: Sie lehnen Bluttransfusionen ab; ob Impfungen akzeptiert werden, ist die Entscheidung des Einzelnen.

42.3.2 Islam Der Islam ist eine im arabischen Raum entstandene Religion. Muslime glauben an einen Gott („Allah“). Zudem verehren sie seinen Propheten Mohammed. Die grundlegende Schrift ist der Koran. Die Gotteshäuser der Muslime heißen Moscheen. Gläubige Muslime beten 5-mal täglich in Richtung Mekka (heiligste Stadt im Islam). Innerhalb des Islams gibt es mehrere Glaubensgruppen. Die größten sind die Sunniten und Schiiten. In ihren Herkunftsländern

bestehen zwischen beiden z. T. Vorbehalte, die immer wieder zu Konflikten führen. Besonderheiten Körperkontakt zwischen den Geschlechtern ist in der Öffentlichkeit verboten, bei orthodoxen Muslimen gilt das auch für das Händeschütteln. Krankenbesuch ist eine heilige Pflicht und ein religiöser Akt. Der Kranke erhält neue Kraft und die Besucher nehmen ihm einen Teil des Leidens ab. Mit der Anzahl der Besucher steigt die Ehre des Pflegeempfängers. Ernährung: Verzicht auf Schweinefleisch und daraus hergestellte Nahrungsmittel, z.B. Gummibärchen (Gelatine), Joghurt, Frischkäse, bestimmte Käsesorten (Kälberlab) Muslime essen nur Fleisch geschächteter Tiere (rituelle Art des Schlachtens). Alkohol ist verboten, das gilt auch für alkoholhaltige Medikamente. Während des Ramadans (Fastenmonat) dürfen Muslime am Tag nichts essen, nichts trinken, dürfen keinen Geschlechtsverkehr haben und müssen auf Genussmittel (z.B. Kaffee, Tee, Rauchen) verzichten. Ausnahmen: z.B. bei Krankheit, Schwangerschaft oder einer Reise muss nicht gefastet werden. Körperpflege: Gleichgeschlechtliche Pflegende sind bei muslimischen Pflegeempfängern aufgrund des sehr ausgeprägten Schamgefühls gerne gesehen. Wenn die Angehörigen diese Aufgabe übernehmen möchten, muss die Grundpflege nicht direkt morgens

stattfinden. Sie kann auch nachmittags zur Besuchszeit stattfinden. Fließendes Wasser wird bevorzugt. Die Pflege mit Waschlappen entspricht nicht ihren Praktiken. Ein großer Becher mit Wasser kann hier Abhilfe schaffen. Unterscheidung zwischen kleiner (Gesicht, Hände, Arme und Füße) und großer Waschung (kompletter Körper) (rituelle) Waschung: vor dem Gebet, vor religiösen Handlungen, vor und nach dem Essen Muslime definieren den Intimbereich anders, bei Frauen: zusätzlich Hals und Oberschenkel, bei Männern: Körperregion zwischen Nabel und Knien. Pflegende sollen diese Körperbereiche bei der Grundpflege bedecken. Muslime entfernen sich die Achsel- und Intimbehaarung und sind in der Regel beschnitten. Sterben: Sollte sich der Zustand des Pflegeempfängers akut verschlechtern, müssen die Angehörigen und ggf. der Imam (Vorsteher der Gemeinde) informiert werden. Ist ein Muslim verstorben, schließen die Angehörigen ihm die Augen. Der Verstorbene wird rituell gewaschen und gekleidet. Nach der Waschung darf kein Andersgläubiger mehr den Verstorbenen berühren. Kann das nicht vermieden werden, soll man Einmalhandschuhe tragen.

42.3.3 Judentum

Juden glauben an den „Gott Israels“, Jahwe. Die Thora ist die grundlegende Schrift der Juden. Hierarchisch gilt der Rabbiner als Vorsteher der Gemeinde. Der Sabbat (von Freitagabend bis zum Samstagabend) gilt als Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll. Besonderheiten Ernährung: Da bei Juden der Verzehr von Blut verboten ist, essen sie nur Fleisch bestimmter, geschächteter Tiere (z.B. Rinder, Schafe, Ziegen, Wild, Geflügel außer Raubvögel, Fische mit Schuppen und Flossen). Das Fleisch muss „koscher“ sein, d.h., frei von jeglichen Blutresten. Juden essen Milch und Milchprodukte nicht zu Fleischgerichten. Zwischen Milch- und Fleischspeisen halten sie einige Stunden Abstand. Nach Milchspeisen reichen 30 min Wartezeit aus. Als neutrale Nahrungsmittel gelten Fisch, Eier, Gemüse und Früchte. Das Gebot der Trennung für Milch und Fleisch gilt auch für die Küchenutensilien wie z.B. Besteck. Körperpflege: Orthodoxe Jüdinnen reinigen sich am 7. Tag nach Ende der Menstruation und nach der Geburt eines Kindes in einem rituellen Tauchbad („Mikwe“ oder „Mikwa“). Juden verwenden fließendes Wasser: Duschen statt Baden oder Waschen mit dem Waschlappen. Händewaschen (auch unter fließendem Wasser) ist besonders wichtig: morgens nach dem Aufstehen, vor dem Gebet, vor und nach dem Essen.

Bei allen Waschungen ist es wichtig, dass fließendes Wasser verwendet wird, auch wenn das nur anteilig möglich ist, z.B. mit einem Becher die Hände begießen. Jüdische Männer sind in der Regel beschnitten. Sterben: Ein Sterbender soll nicht allein sein und er sollte ein Sündenbekenntnis sprechen sowie beten. Auf Wunsch sollte der zuständige Rabbiner benachrichtigt werden. Juden trauern schweigend und berühren den Verstorbenen zunächst nicht. Dann wird er gewaschen und in ein Totenhemd (aus Leinen) gekleidet. Bis zur Beerdigung wird der Verstorbene von einem Schomer (Wächter) begleitet. Die Angehörigen beten ein Kaddisch (Gebet für den Toten) und zünden eine Kerze an.

42.3.4 Hinduismus Der Hinduismus ist nach dem Christentum und Islam die drittgrößte Weltreligion. Ihm hängen ca. 1 Milliarde Gläubige an, die v.a. auf dem indischen Subkontinent leben. Er zerfällt in einige Teilreligionen, in denen mehrere Tausend Götter verehrt werden. Wichtig ist der Glaube an eine Wiedergeburt (Reinkarnation). Viele Hindus sehen sich einer bestimmten „Kaste“ zugehörig, die einem angeborenen, sozial-hierarchischen Status entspricht. Besonderheiten Hindus neigen dazu zu glauben, dass Krankheiten die Folge von schlechten Taten oder Fehlern sind, die ihnen früher oder in früheren Leben widerfahren sind.

Viele Kranke fasten oder ernähren sich streng vegetarisch. Vor allem Rindfleisch wird gemieden. Wie Muslime und Juden waschen sich Hindus gerne mit fließendem Wasser. Das Schamgefühl ist bei Hindu-Frauen sehr ausgeprägt. Den Angehörigen ist oft sehr wichtig, dass sie bei der Pflege mithelfen können. Im Sterbeprozess werden oft hinduistische Mönche als Begleiter hinzugebeten.

42.3.5 Buddhismus Auch der Buddhismus gehört zu den großen Weltreligionen. Im Mittelpunkt steht keine bestimmende Göttlichkeit, sondern die Überzeugung, dass der Mensch durch grundlegende Einsichten („Erleuchtung“) das der Welt und den Menschen innewohnende Leid und alle Unvollkommenheit überwinden kann. Am Ende steht nach einem Kreislauf der Wiedergeburten der Eingang in einen Zustand ewigen Glücks („Nirwana“). Besonderheiten Buddhisten legen Wert auf einen bewussten Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Verschwendung (z.B. von Essen) ist ihnen ein Gräuel. Viele Buddhisten ernähren sich vegetarisch. Ein wichtiges Element im Buddhismus ist die Meditation, für die die Kranken ein ruhiges Umfeld benötigen. Ebenso wie bei den Hindus ist es Buddhisten ein Herzensanliegen, bei der Pflege von Angehörigen mitzuhelfen.

Buddhisten möchten offen und ehrlich über ihren Zustand informiert werden. Für sie ist wichtig, dass sie ihren eigenen Sterbeprozess bewusst erleben und planen können.

KOMPAKT Kultursensible Pflege Pflegende sollten fremde Kulturen und ihre Regeln sowie Rituale kennen, tolerieren und akzeptieren. Jede Kultur hat Einfluss auf die Identitätsentwicklung eines Menschen, somit prägt sie die Persönlichkeit und das Verhalten des Einzelnen. Eine Kultur unterliegt durch Interaktion mit anderen Kulturen einem ständigen Wandel (Transkulturalität). Das Eisbergmodell der Kultur verdeutlicht, dass nur ein kleiner Teil der Kultur sichtbar ist, der weitaus größere Teil verborgen liegt und indirekt auf die Identitätsentwicklung einwirkt. Theorie der transkulturellen Kompetenz (D. Domenig) befasst sich mit der Pflege von Menschen mit Migrationshintergrund. Demnach sind für die Pflegefachkräfte Selbstreflexion, kulturelles Hintergrundwissen und Empathie sehr wichtig. Besonders hinsichtlich der Kommunikation, der Ernährung, Körperpflege und des Sterbens gibt es viele kulturelle Unterschiede.

43 Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett 43.1 Schwangerschaft

43.1.1 Verlauf und Mutterschutz Mit der erfolgreichen Befruchtung und Einnistung einer Eizelle in die Gebärmutterschleimhaut beginnt die Schwangerschaft. Sie wird in 3 Abschnitte (Trimenon/Trimester) eingeteilt: 1. Trimenon: Schwangerschaftswoche (SSW) 1–13 2. Trimenon: SSW 14–26 3. Trimenon: SSW 27–40 ▶ Mutterschutz. Der Mutterschutz einer schwangeren Frau beginnt 6 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin (ET) und endet 8 Wochen nach der Entbindung. Bei Mehrlingen, Frühgeburten sowie der Geburt eines behinderten Kindes verlängert sich die nachgeburtliche Schutzfrist auf bis zu 12 Wochen. Arbeitgeber müssen werdende Mütter vor Gefahren für Leben und Gesundheit schützen sowie besondere Vorgaben des Mutterschutzgesetzes anwenden (z.B. keine Nacht- oder Mehrarbeit, max. 8,5 Arbeitsstunden am Tag, Mindestruhezeit von 11 h vor erneutem Arbeitsantritt, Beschäftigung von 20–22 Uhr sowie an Wochenenden nur nach Zustimmung der Schwangeren).

43.1.2 Überwachung Die Schwangere darf an 10–12 Terminen zur Schwangerschaftsvorsorge bei einem Gynäkologen oder einer Hebamme teilnehmen. Dabei werden Parameter wie Körpergewicht, Blutdruck, Urinstatus (Eiweiß, Glukose) sowie Blutwerte (Hb), Stand des Uterus, Muttermundbefund, Lagekontrolle des Kindes und die Ermittlung der kindlichen Herzaktion erhoben und beurteilt. Gynäkologen bieten in der Schwangerschaft 3 Ultraschallscreenings sowie verschiedene Methoden zur Pränataldiagnostik an, welche

das Ziel verfolgen, pathologische Veränderungen beim Ungeborenen zu erkennen.

43.1.3 Beratung Ernährung: Der Energiebedarf steigt gegen Ende der Schwangerschaft geringfügig an (um ca. 10 %). Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Vollkorn- und Milchprodukten, fettarmem Fisch und Fleisch ist anzustreben.

ACHTUNG Zum Schutz vor Infektionen wie Listeriose und Toxoplasmose (können zu Schäden für das Kind führen) sollte auf den Verzehr von rohen tierischen Lebensmitteln verzichtet werden. Insbesondere von nicht richtig durchgebratenem Fleisch, Rohwurst, rohem Fisch, Rohmilch, Weichkäse, Räucherfisch, rohen Eiern und daraus hergestellten, nicht durcherhitzten Speisen und Produkten sollte abgesehen werden. Vitamine und Mineralstoffe: hoher Bedarf an Vitaminen, Mineralstoffen bzw. Spurenelementen (insbesondere Jod, Folsäure und Eisen) Gewicht: Gewichtszunahme von 10–16 kg ist physiologisch. Normalgewicht vor der Schwangerschaft wirkt der Entwicklung eines ▶ Gestationsdiabetes entgegen. Sport: Regelmäßige Bewegung trägt zu einem unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf bei. Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko und dem Risiko starker Erschütterungen (z.B. Kampf- und Leistungssport, Reiten) sind nicht empfehlenswert.

Vorsorgeuntersuchungen: Empfehlung, Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen, um den Schwangerschaftsverlauf und die Entwicklung des Kindes besser beobachten zu können. Koffein: maximal 200 mg Koffein pro Tag. Höhere Mengen oder koffeinhaltige Energydrinks können zu Unruhe, Hypertonie, Schlafstörungen und zu einer verringerten Aufnahme von Eisen und Kalzium führen. Alkohol: Selbst auf geringe Mengen Alkohol sollten Schwangere verzichten. Sonst besteht die Gefahr des fetalen Alkoholsyndroms oder der Alkoholembryopathie. Nikotin: Rauchen wirkt sich schädlich auf das Ungeborene aus (u.a. niedriges Geburtsgewicht, kindliche Entzugssymptomatik). Drogen: Substanzabhängige Schwangere benötigen eine Betreuung durch ein professionelles, interdisziplinäres Team. Medikamente: Jede Medikamenteneinnahme in der Schwangerschaft sollte in Rücksprache mit dem Arzt erfolgen (embryo-/fetotoxische Wirkungen sind möglich, z.B. bei Antibiotika, Antiepileptika, Antihypertensiva, Zytostatika).

43.1.4 Schwangerschaftsbeschwerden Merke Komplikationen Hinweise auf Komplikationen können sein: vaginale Blutungen starke Schmerzen im Bauchraum

wegfallende Kindsbewegungen Entwickeln von starken Ödemen sowie eine plötzliche starke Gewichtszunahme (> 2 kg/ Woche) Häufige Schwangerschaftsbeschwerden und Möglichkeiten zu deren Linderung sind: Hypotonie: entsteht durch die hormonell bedingte Tonusveränderung der Gefäßwände. Ein dauerhaft zu niedriger Blutdruck kann zu Kreislaufproblemen und zur Unterversorgung des Fetus führen. Maßnahmen: Regelmäßige Ruhe- und Entspannungszeiten, aber auch leichte körperliche Bewegung sowie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr unterstützen den Kreislauf Hautveränderungen: Veränderter Hormonhaushalt sorgt für stärkere Durchblutung der Haut und vermehrte Schweißbildung. Haut wird durch Wachstum des Bauches und ggf. Ödeme gedehnt. Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel kann es zu verstärktem Juckreiz kommen. Maßnahmen: bequeme Kleidung, regelmäßiges Eincremen und die Körperpflege mit pHneutralen Waschlotionen können Linderung verschaffen (siehe auch Kap. ▶ 54.4.1) Ödeme: Häufigste Lokalisation sind Fuß- und Handrückenödeme, ebenso wie geschwollene Augenlider. Ursache sind hormonelle Veränderungen (Progesteron erhöht Durchlässigkeit der Venenwände für Flüssigkeit und onkotischer Druck nimmt ab). So tritt mehr Flüssigkeit in das Unterhautfettgewebe über. Maßnahmen: Beine regelmäßig für 20–30 min hochlegen, eiweißreiche Kost, Ringe ablegen (Einschnürungen vermeiden), bei starken Ödemen können Kompressionsstrümpfe verschrieben werden Vaginale Infektionen: Vermehrte Durchblutung und Absonderung von Flüssigkeit in der Vagina können Pilz-

und bakterielle Infektionen begünstigen. Maßnahmen: gute Genitalhygiene, 1–2-mal am Tag mit klarem Wasser von vorne nach hinten reinigen, abgestimmte Waschlotionen mit saurem pH-Wert nutzen, bestehende Infektionen vom Gynäkologen behandeln lassen Varizen: Durch die höhere Blutmenge, den Druck des wachsenden Kindes und den verringerten Tonus der Gefäßwände bilden sich im Lauf einer Schwangerschaft oft Krampfadern (Varizen) bzw. verstärken sich. Zusätzliche Risikofaktoren: Übergewicht, Bewegungsmangel, langes Stehen, familiäre Veranlagung. Maßnahmen: Beine hochlegen, um venösen Rückfluss zu fördern, Wechselduschen, Bewegung, Schwimmen, Spazieren, ggf. Stützstrümpfe tragen Übelkeit und Erbrechen: Morgenübelkeit und Erbrechen, besonders im ersten Drittel der Schwangerschaft. Die Ursache ist nicht bekannt. Stress und fette, stark gewürzte Lebensmittel können die Symptomatik verstärken. Maßnahmen: eher kleine Mahlzeiten, Tees (Ingwer-, Kamille-, Fencheltee), ggf. Ernährungsumstellung, Bewegung, Entspannung, ggf. Antiemetika bei massiver Schwangerschaftsübelkeit (Hyperemesis gravidarum) Sodbrennen: Zunehmende Größe der Gebärmutter führt zu einer Lageveränderung des Magens, dadurch fließt Magensäure in die Speiseröhre zurück. Auch eine hormonell bedingte Schwäche der Kardiamuskulatur (Mageneingangsmuskulatur) kann zu Sodbrennen führen. Stress und fette, stark gewürzte Lebensmittel können Symptomatik verstärken. Maßnahmen: kleine Portionen essen, auf scharfe und fettreiche Speisen verzichten, Oberkörperhochlage nach dem Essen, ggf. Einnahme von Antazida oder H2-Rezeptoren-Blockern

Schmerzen: Besonders ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel kann es durch die Dehnung und Verlagerung der Gebärmutterbänder zu stechenden Schmerzen im seitlichen Bauchbereich kommen, die bis in die Labien ziehen. Die Schmerzen verschwinden von selbst nach kurzer Zeit. Oft kommt es auch zu Rückenschmerzen. Ursache: Schonhaltung, um Gewicht des Kindes auszugleichen. Auch Symphysenschmerzen, Druckschmerzen, Stauungsschmerzen oder Schmerzen beim Gehen treten häufig auf. Wichtig: Schmerz ist immer subjektiv! Maßnahmen: Bewegung, Schwimmen, Schonen, Entspannungs- und Lockerungsübungen, in Abstimmung mit dem Arzt ein verträgliches Schmerzmittel (z.B. Paracetamol) Schwangerschaftswehen fördern die Durchblutung des Uterus und das Wachstum der Muskulaturschicht der Gebärmutter. Sogenannte Senkwehen treten i.d.R. in den letzten Wochen vor der Geburt auf, sie sind nur wenig schmerzhaft und werden oft nicht bemerkt. Regelmäßige Schmerzen, die mit einer Verhärtung des Bauches einhergehen, können auf eine vorzeitige Wehentätigkeit oder eine Plazentalösung hindeuten und bedürfen ärztlicher Abklärung.

KOMPAKT Schwangerschaft Die Schwangerschaft ist ein physiologischer Prozess. Eine ausführliche Beratung der Schwangeren ermöglicht ein gesundheitsbewusstes Verhalten. Mutterschutz: beginnt 6 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin (ET) und endet 8 Wochen nach der Entbindung (bzw. 12 Wochen bei Mehrlingen, Frühgeborenen, Neugeborenen mit Behinderungen).

Arbeitgeber müssen wichtige Regelungen der Arbeitszeit und der Tätigkeiten beachten. Schwangerschaftsbeschwerden treten auch unabhängig von Komplikationen auf. Sie lassen sich meist selbst lindern. Hinweise auf Komplikationen wie Bauchschmerzen, vaginale Blutungen, hoher Blutdruck und Puls, urogenitale Infektionen oder unstillbares Erbrechen bedürfen einer ärztlichen Abklärung. Überwachung: 10–12 Termine zur Schwangerschaftsvorsorge bei einem Gynäkologen oder einer Hebamme sowie 3 Ultraschallscreenings bei einem Gynäkologen

43.1.5 Pflege bei Gestationsdiabetes mellitus (Schwangerschaftsdiabetes) Als Gestationsdiabetes mellitus (GDM) wird eine Glukosetoleranzstörung, die erstmals in der Schwangerschaft diagnostiziert wird, bezeichnet. Symptome: GDM verläuft häufig für die Schwangere asymptomatisch. Hinweise stellen vermehrte Harnwegsinfektionen oder ein makrosomes Ungeborenes (Gewicht über 97. Perzentile, d.h., Geburtsgewicht über 4500 g) dar. Zwischen der 24. und 28. SSW wird daher der Schwangeren ein Glukosetoleranztest empfohlen, um einen GDM zu erkennen. Pränatale Maßnahmen: Schwangere mit GDM gelten als Risikoschwangere. Sie benötigen die Betreuung durch Diabetologen und Ernährungsberater. Maßnahmen:

Regelmäßige Blutzuckerkontrollen (morgens nüchtern, nach Hauptmahlzeiten) Ernährungstherapie mit 3 Haupt- und 3 Zwischenmahlzeiten besondere Nährstoffverteilung (40–50 % Kohlenhydrate, 20 % Proteine, 30–35 % Fett) körperliche Aktivität (Walking, Schwimmen) in seltenen Fällen: Einstellung mit Insulin (meist reichen Bewegungs- und Ernährungstherapie aus) Peri- und Postnatale Maßnahmen: nach der Geburt kann die kindliche Insulinproduktion durch die Anpassung an hohe mütterliche Blutzuckerwerte erhöht sein. Deshalb werden bei den Neugeborenen engmaschige Blutzuckerkontrollen und eine regelmäßige Nahrungsaufnahme (bereits in der ersten halben Stunde Stillen, ggf. Gabe einer Säuglingsanfangsernährung) forciert. Bei sehr niedrigen Werten (< 45mg/dl) muss über eine intravenöse Gabe von Glukose entschieden werden. Der GDM bildet sich nach der Geburt meistens vollständig zurück, jedoch besteht ein erhöhtes Risiko bei einer erneuten Schwangerschaft wieder ein GDM zu entwickeln.

43.1.6 Pflege bei Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Eklampsie Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom und Eklampsie sind Komplikationen, die u.a. mit einem erhöhten Blutdruck einhergehen, die Ursache hierfür ist unklar. Gestationshypertonie: Blutdruck steigt auf Werte über 140/90 mmHg. Symptome entsprechen denen einer Hypertonie. Maßnahmen: körperliche Schonung und Ruhe sowie ausgewogene Ernährung bei leichten

Formen, bei Blutdruckwerten über 170/100 mmHg ▶ antihypertensive Therapie Präeklampsie: Gestationshypertonie nach der 20. SSW, die mit Proteinurie und Ödemen einhergeht. Sehstörungen, Kopf- und Oberbauchschmerzen, Ohrensausen, Schwindel und Erbrechen können symptomatisch auftreten. Maßnahmen: stationäre Aufnahme und Überwachung (Vitalzeichenkontrolle, siehe Kap. ▶ 14.4), Bettruhe, ▶ Ein- und Ausfuhrbilanzierung, auf Flüssigkeitseinlagerung und starke Gewichtszunahme achten, ggf. ist die Entbindung des Kindes notwendig HELLP-Syndrom: lebensbedrohliche Komplikation der Präeklampsie, bei der zusätzlich eine Hämolyse, Thrombozytopenie und ein Anstieg der Leberenzyme vorliegen. Als Leitsymptom tritt ein rechtsseitiger Oberbauchschmerz auf. Ebenso können Übelkeit und Erbrechen auftreten. Es kann prä-, peri- und bis zu 10 Tage postpartal auftreten. Maßnahmen: meist schnelle Entbindung des Kindes angestrebt (z.B. Kaiserschnitt) Eklampsie: Auftreten von ▶ generalisierten tonischklonischen Krampfanfällen im Verlauf einer Präeklampsie. Die Eklampsie kann vor, während oder nach der Geburt entstehen (bis 10 Tage postpartal). Symptome bzw. Vorboten sind z.B. Kopfschmerzen, Sehstörungen, Augenflimmern, Übelkeit und Erbrechen. Maßnahmen: siehe Präeklampsie. Präventiv kann eine Schwangere mit bekannter Präeklampsie Magnesiumsulfat i.v. erhalten, dies senkt die Krampfneigung.

43.1.7 Pflege bei drohender Frühgeburt Definition

Frühgeburt Eine Frühgeburt ist eine Lebendgeburt vor der vollendeten 37. SSW.

43.1.7.1 Symptome regelmäßige, schmerzende Uteruskontraktionen, vorzeitige Öffnung des Muttermunds vorzeitiger Blasensprung mit tropfen- oder schwallartigem Fruchtwasserabgang vor der 37. SSW menstruationsähnliche Krämpfe, Druck- oder Schweregefühl durch das Absinken des Kindes verstärkter, veränderter vaginaler Ausfluss Juckreiz oder Brennen in der Scheide, Schmerzen bei der Urinausscheidung

43.1.7.2 Maßnahmen Bettruhe bis zur 35. SSW sowie stressfreie und ruhige Umgebung starkes Pressen beim Stuhlgang vermeiden (Obstipationsprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17.11) Die medikamentöse Therapie mit Tokolytika (βSympathomimetika wie Feneterol) erfordert aufgrund ihrer Nebenwirkungen (u.a. Tachykardie, Herzrhythmusstörungen) eine engmaschige Überwachung der Vitalzeichen (siehe Kap. ▶ 14.4). regelmäßige Kardiotokografie-(CTG-)Kontrollen durch die Hebamme bei vorzeitigem Blasensprung: engmaschige Temperaturkontrollen (Gefahr des Amnioninfektionssyndroms), strikte Bettruhe (Nabelschnurvorfall möglich!)

enge psychische Begleitung, um die Mutter bestmöglich unterstützen zu können

43.1.8 Pflege bei Placenta praevia Definition Placenta praevia Bei einer Placenta praevia überdeckt die Placenta ganz oder teilweise den Muttermund. Dies kann bereits vorgeburtlich zu Komplikationen (wie Ablösung von Plazentateilen) führen. Meist wird die Placenta praevia im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung in der Schwangerschaft festgestellt. Begünstigt wird die atypische Lokalisation der Plazenta durch vorausgegangene Operationen am Uterus, Mehrlingsschwangerschaften und rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften ( ▶ Abb. 43.1). Leitsymptom ist eine schmerzlose vaginale Blutung (Frischblut) im letzten Trimenon. Placenta praevia. Abb. 43.1 Es werden 3 Formen der Placenta praevia unterschieden. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

43.1.8.1 Maßnahmen Beim reifen Kind wird eine schnelle Entbindung (per Sectio) angestrebt. beim unreifen Kind und schwacher Blutung: abwarten mit engmaschiger Überwachung von Mutter und Kind bei Wehentätigkeit: Tokolyse mit Wehenhemmern und Lungenreifespritze (Glukokortikoide) notwendig (Blutzuckerkontrollen!) Beobachtung auf hämorrhagische Schocksymptome (Blässe, Unruhe, Kaltschweißigkeit, Tachykardie, Dyspnoe) strenge Bettruhe bis zum Versiegen der Blutung

43.1.9 Pflege bei Schwangerschaftsabbruch Definition Schwangerschaftsabbruch (induzierter Abort)

Ein Schwangerschaftsabbruch ist die vorzeitige Beendigung einer Schwangerschaft durch die Entfernung des Fötus. Die Gründe dafür können unterschiedlich sein, z.B. ungeplante Schwangerschaft, nach Vergewaltigung, bei medizinischer Indikation.

43.1.9.1 Rechtliche Situation Ein Schwangerschaftsabbruch ist gemäß §218a (StGB) straffrei, wenn der Eingriff von einem Arzt bis zur 12. Woche nach der Empfängnis (14 Wochen nach der letzten Regelblutung) durchgeführt wird und die Schwangere mindestens 3 Tage vor dem Eingriff an einem Beratungsgespräch teilgenommen hat. Sie muss den Abbruch selbst verlangen. Der beratende Arzt darf den Abbruch nicht vornehmen. Nach der 12. Woche kann eine Schwangerschaft straffrei bei medizinischer Indikation (z.B. Gefahr für das Leben der Mutter, Trisomie 13, 18 oder 21) abgebrochen werden (Spätabbruch). Zuvor muss eine ausführliche ärztliche Beratung stattfinden und ggf. die gesetzlich vorgeschriebene Bedenkzeit von 3 Tagen eingehalten werden.

43.1.9.2 Vorgehen und Maßnahmen frühes Stadium: medikamentöses Vorgehen mit Antigestagen und Prostaglandin operativ: Vakuumaspiration mit anschließender Ausschabung (bis 14. SSW) ab ca. 14 SSW: eingeleitete Geburt (stille Geburt), ggf. zuvor Fetozid pflegerische Maßnahmen: „Pflege bei Fehl- oder Totgeburt“ (s. u.) Der Schwangerschaftsabbruch stellt ein ethischmoralisches Dilemma dar: Die Autonomie bzw.

Unversehrtheit der Mutter steht dem Recht auf Leben und Unversehrtheit des Ungeborenen gegenüber.

43.1.10 Pflege bei Fehl- oder Totgeburt Definition Fehl- oder Totgeburt Ein Kind, das weniger als 500 g bei der Geburt wiegt und keine Lebenszeichen zeigt, wird als Fehlgeburt bzw. Abort bezeichnet. Bei einer Totgeburt wiegt das Kind mehr als 500 g und zeigt ebenfalls keine Lebenszeichen bei der Geburt.

43.1.10.1 Ursachen Zu einem Abort kann es gezielt durch einen absichtlichen Schwangerschaftsabbruch oder auch spontan kommen. Die Ursachen sind dann oft unklar. Mögliche Faktoren sind: mütterliche Faktoren: z.B. Gebärmutterfehlbildungen, Zervixinsuffizienz, Infektionen, Traumen, Tumoren, vorzeitige Plazentalösung kindliche Faktoren: z.B. Fehlbildungen, gestörte Immuntoleranz exogene Faktoren: z.B. Strahlung, Medikamente

43.1.10.2 Symptome schmerzlose vaginale Blutungen wehenartige, ziehende Unterbauchschmerzen mit verstärkter Blutung bei Spätabort (nach 12. SSW): Blasensprung ohne Wehen oder Blutung

43.1.10.3 Maßnahmen Die Therapie ist abhängig vom Stadium des Abortgeschehens. bei Möglichkeit der Schwangerschaftserhaltung: strenge Bettruhe, Magnesiumsubstitution zur Ruhigstellung der Uterusmuskulatur bei Spontanabort bzw. Absterben des Kindes: in frühem Stadium Ausschabung, bei fortgeschrittener Schwangerschaft „natürliche“ Geburt des Kindes (stille Geburt) nach einem Abort: psychosoziale Unterstützung der Eltern, engmaschige Vitalzeichenkontrolle (siehe Kap. ▶ 14.4), auf vaginale Blutung/Lochien (z.B. Menge, Farbe, Geruch) und Rückbildung des Uterus achten (z.B. Uterus gut kontrahiert, weich oder schmerzhaft?), Abstillen (z.B. medikamentös, Brust kühlen, engen BH tragen, Salbeitee oder Pfefferminztee trinken) bei Rh-negativen Frauen: Anti-D-ImmunglobulinProphylaxe Rücksicht nehmen: Unterbringung im Einzelzimmer (nicht auf der Wochenbettstation, psychische Belastung hoch!), Wutausbrüche und Weinen nicht persönlich nehmen (gehört zum Trauerprozess) Zeit zum Abschied: Eltern Zeit zum Verabschieden lassen, Erinnerungsstücke anfertigen (Fotos, Fußabdrücke o.Ä.). Bestattungsgesetze sind bundesländerspezifisch geregelt (fehlgeborene Kinder unter 500 g unterliegen häufig nicht der Bestattungspflicht, können jedoch immer auf Wunsch der Eltern bestattet werden). Die Möglichkeit, das Kind beim Standesamt in das Personenstandsregister einzutragen, haben alle Eltern.

professionelle Hilfe: psychologische Weiterbetreuung organisieren, Kontaktadressen von Elterninitiativen und Selbsthilfegruppen mitgeben

KOMPAKT Komplikationen in der Schwangerschaft Gestationsdiabetes mellitus (Schwangerschaftsdiabetes) tritt oft ab 25. SSW auf, verläuft für die Schwangere häufig asymptomatisch Ernährungstherapie mit 5 abgestimmten Mahlzeiten, ggf. Insulin spritzen nach der Geburt: baldiges Stillen und Blutzuckerkontrolle des Kindes Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Eklampsie hypertensive Erkrankungen in der Schwangerschaft mit Werten über 140/90 mmHg Bei einer Eklampsie treten im Rahmen einer vorausgegangener Präklampsie Krampfanfälle in der Schwangerschaft, unter der Geburt und bis zu 10 Tage danach auf. HELLP-Syndrom: lebensbedrohliche Erkrankung! Leitsymptom ist der rechtseitige Oberbauchschmerz. Drohende Frühgeburt Symptome: vorzeitige Wehen vor der 37. SSW, Blutungen Pflege: Bettruhe, Schonung, psychosoziale Betreuung, Temperatur messen bei vorzeitigem Blasensprung Placenta praevia Mutterkuchen liegt vor dem Gebärmuttermund, vaginale Entbindung nicht möglich

bei Blutungen: Sectio bei reifem Kind, Symptome auf hämorrhagischen Schock erkennen Schwangerschaftsabbruch Gemäß § 218 unter Bedingungen straffrei (u.a. von Arzt durchgeführt, Beratungsgespräch) Vorgehen: medikamentös oder operativ Fehl- und Totgeburt psychosoziale Begleitung und Zeit zum Verabschieden/Trauern geben pflegerische Beobachtung: vaginale Blutung, Uteruskontraktion/Fundusstand, Abstillen

43.2 Geburt Zur bedarfs- und bedürfnisgerechten Unterstützung und Förderung einer physiologischen Geburt siehe auch den Expertenstandard „Förderung der physiologischen Geburt“.

43.2.1 Zeichen der bevorstehenden Geburt Abgang eines blutigen Schleimpfropfs Vor- und Senkwehen (treten vor Geburt auf, kindlicher Kopf tritt in das Becken ein) Kopf tritt tiefer Abgang von Fruchtwasser (sog. Blasensprung)

43.2.2 Geburtsphasen und Wehen

Eine Spontangeburt lässt sich in 3 Phasen unterteilen. Die Art der Wehen verändert sich von Phase zu Phase ( ▶ Abb. 43.2). Bei Mehrgebärenden sind die Phasen oft kürzer als bei Erstgebärenden. Kommt es unter der Geburt z.B. zu einem Geburtsstillstand oder einem fetalen Sauerstoffmangel, kann die Verwendung von Instrumenten (Vakuumextraktion [VE], Geburtszange [Forzeps]) notwendig sein. 1. Eröffnungsphase (ca. 6–9 h): Zeitraum vom Geburtsbeginn bis zur vollständigen Eröffnung des Muttermundes (längster Teil der Geburt). Eröffnungswehen sind regelmäßig wiederkehrend und schmerzhaft. Muttermund öffnet sich um ca. 1 cm/h 2. Austreibungsphase (ca. 1–2 h): Zeitraum zwischen vollständiger Eröffnung des Muttermunds und der Geburt des Kindes. Austreibungswehen sind kurz und heftig, über die anschließenden Presswehen kann die Frau aktiv mithelfen. Der kindliche Kopf tritt durch die Scheide (Dammschutz!), anschließend folgen die Schultern und der Rest des Körpers. 3. Nachgeburtsphase (bis zu 60 min): Zeitraum nach der Geburt des Kindes bis zur Geburt der Plazenta. Nachwehen unterstützen Kontraktion der Gebärmutter, die Plazenta löst sich von der Gebärmutterwand. Plazenta muss vollständig sein (Plazentarest: Gefahr von verstärkter Blutung, Entzündung, Misserfolg beim Stillen). Geburtsverlauf. Abb. 43.2 Vor und während der Geburt treten verschiedene Arten von Wehen auf. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme, 2020)

▶ Sectio. Ist eine Spontangeburt nicht möglich oder von der Mutter aus psychischen Gründen nicht leistbar, wird das Kind per Kaiserschnitt (Sectio caesarea, kurz Sectio) entbunden. Man unterscheidet zwischen primärer Sectio (Sectio vor Geburtsbeginn) und sekundärer Sectio (Sectio nach Geburtsbeginn). Ist eine rasche Entbindung innerhalb von 10–20 min (z.B. aufgrund schlechter kindlicher Herztöne) notwendig, spricht man von einem Notkaiserschnitt/einer Notsectio.

43.2.3 Geburtsverletzungen und Komplikationen 43.2.3.1 Pränatale Komplikationen Vor der Geburt des Kindes können sich folgende Komplikationen ergeben: Lageanomalien: bei einer Beckenendlage liegt das Kind nicht mit seinem Kopf voraus, sondern mit seinem Beckenende. Die Beine des Ungeborenen sind meistens

nach oben hochgeschlagen und die Arme liegen am Oberkörper. Möglichkeiten: äußere Wendung, spontane Entbindung in einer erfahrende Geburtsklinik, Sectio. Falls eine Querlage vorliegt, wendet die Schwangere Körperübungen an, um das Kind zur eigenständigen Drehung zu animieren. Ist dies nicht erfolgreich, kann von außen unter Ultraschallkontrolle das Kind gewendet werden – bleibt das Manöver erfolglos, wird zu einer Sectio geraten. Frühzeitige Plazentalösung: eine regelrecht sitzende Plazenta löst sich bereits vor der Geburt des Kindes ab. Je nach Schweregrad treten ein schmerzhafter und harter Uterus, vaginale Blutungen sowie Schocksymptomatik auf. Es herrscht Lebensgefahr für das Ungeborene und bei starken Blutungen auch für die Mutter. Maßnahme: Sectio bei lebendem Kind, vaginale Entbindung bei verstorbenem Kind oder sehr früher SSW (Unreife des Kindes) unter engmaschiger Überwachung der Mutter

43.2.3.2 Perinatale Komplikationen und Geburtsverletzungen Durch die starke Überdehnung des Gewebes kann es unter der Geburt zu Geburtsverletzungen kommen. Abgesehen von der Episiotomie (Dammschnitt) stellt der Dammriss die häufigste Geburtsverletzung dar. Auch Risse von Uterus, Scheide, Klitoris und Labien können vorkommen. Der Wundbereich ist geschwollen, schmerzhaft und gerötet. ▶ Dammriss. Beim Dammriss unterscheidet man folgende Schweregrade: Dammriss 1. Grades: Hauteinriss des Scheideneingangs, der Vagina und des Dammes Dammriss 2. Grades: Riss der Dammmuskulatur bis zum analen Sphinkter

Dammriss 3. Grades: Riss mit Verletzung des analen Sphinkters Dammriss 4. Grades: Dammriss 3. Grades mit Riss der Rektumvorderwand (Risiko Stuhl- und Urininkontinenz) Dammschnitt (Episiotomie) Einschneiden des Dammes mit dem Zweck, den Beckenausgang zu erweitern Der Dammschnitt beschleunigt die Geburt, verkürzt den Geburtsweg und vermindert den Druck auf den kindlichen Kopf (z.B. bei Frühgeburten, Zwillingsgeburten, Vakuumextraktion). Die Schnittführung kann median, mediolateral oder lateral verlaufen. Von einem routinemäßigen Dammschnitt sollte abgesehen werden (Problem: u.a. Wundheilungsstörung, glatte Wundränder heilen schlechter). ▶ Uterusruptur. Eine starke Überdehnung der Gebärmutter (z.B. durch mechanische Verlegung des Geburtskanals durch Tumoren, Narbenrupturen nach vorausgegangenem Kaiserschnitt) führt zu einem lebensbedrohlichen Riss der Gebärmutter. Symptome: starke Wehen (Wehenstürme) und starke Schmerzen. Die Wehen stoppen abrupt, keine kindlichen Herztöne und Kindsbewegungen mehr festzustellen, starke innere Blutungen führen zur Schocksymptomatik bei der Mutter. Maßnahmen: bei drohender Uterusruptur sofortige Tokolyse (Unterbrechung der Wehen) mit Notfallsectio, bei bereits entstandener Uterusruptur Notoperation (Reanimationsbereitschaft für Kind und Mutter, ggf. Hysterektomie notwendig)

▶ Nabelschnurvorfall. Bei einem Nabelschnurvorfall gelangt die Nabelschnurschlinge nach einem Blasensprung vor ein vorangehendes Kindsteil (z.B. Kopf). Durch den Druck den Kindes nach unten wird die Nabelschnur abgeklemmt und ein lebensgefährlicher Sauerstoffmangel beim Ungeborenen (Hypoxie) verursacht. Eine längere Bradykardie im CTG kann auf diese gefährliche Situation hinweisen. Risikofaktoren sind Mehrlingsschwangerschaften oder Lageanomalien und Frühgeburten (Kopf zum Zeitpunkt des Blasensprungs nicht „fest“ im Becken).

43.2.3.3 Postnatale Komplikationen Blutverlust über 500 ml: durch unvollständige Lösung der Plazenta, Geburtsverletzungen, Uterusatonie, Gerinnungsstörungen. Maßnahmen: Arzt hinzuziehen, Blutungsursache muss beseitigt werden und eine engmaschige Vitalzeichen- und Wochenflusskontrolle erfolgen, ggf. Blutkonserven respiratorische Anpassungsstörung beim Neugeborenen: Anzeichen wie angestrengte Atmung, Tachypnoe, Zyanose oder Blässe im perioralen Munddreieck oder an Fingern/Zehen

43.2.4 Pflegerische Versorgung direkt nach der Geburt Im Anschluss an die Geburt bleiben Mutter und Neugeborenes noch 2 h im Kreissaal. Geburtsverletzungen der Mutter werden von Arzt und Hebamme versorgt. Die Hebamme überwacht die Vitalzeichen und ermöglicht ein erstes Bonding (Kennenlernen des Babys im Haut-an-Hautkontakt, erstes Stillen). Bei verstärkter Nachblutung lagert sie die Mutter in die Position nach Fritsch (Rückenlage, sterile Kompressen

vor Vulva, ausgestreckte Beine auf Kniehöhe überkreuzt) und überwacht den Verlauf der Blutung. Das Neugeborene wird ebenfalls beobachtet und untersucht: Nabelschnur-pH-Wert: Abnahme von Blut aus der Nabelschnurarterie – pH-Wert wird beurteilt (normal: 7,4) Apgar-Score: in der 1., 5. und 10. Lebensminute werden Hautkolorit, Herzfrequenz, Muskeltonus und Bewegung, Atmung und Reflexe des Neugeborenen beurteilt. Werte von 7–10 nach 5 Lebensminuten weisen auf eine ungestörte Anpassung hin. U1 – erste klinische Untersuchung des Neugeborenen: Beurteilung der Vital- und Reifezeichen sowie kindliche Reflexe, äußere Inspektion auf Fehlbildungen und Abweichungen und das Wiegen und Messen des Säuglings

43.3 Wochenbett Definition Wochenbett Die ersten 6–8 Wochen nach der Geburt bezeichnet man als Wochenbett (Puerperium). Aufgaben des Wochenbettes Aufbau und Intensivierung der Mutter-Kind-Bindung Beginn und Aufrechterhaltung der Stillbeziehung Geburtsverletzungen heilen

Rückbildung aller schwangerschafts- und geburtsbedingten Veränderungen Wiederherstellen des Menstruationszyklus und Umstellung der Hormonsituation An- und Übernahme der neuen sozialen Rolle als Mutter oder Vater

43.3.1 Pflege der gesunden Wöchnerin 43.3.1.1 Stillen ▶ Muttermilch. Muttermilch ist die optimale Nahrung für den Säugling. Sie passt sich in Menge und Zusammensetzung den Bedürfnissen des Kindes an: Vormilch (Kolostrum) wird in den ersten Tagen nach der Geburt gebildet, ist vitamin- und eiweißreich sowie fett- und kohlenhydratarm (leicht verdaulich). Übergangsmilch wird nach Milcheinschuss gebildet. Die Milch enthält jetzt mehr Kohlenhydrate und Fette und weniger Eiweiß. Durch den Wegfall der Schwangerschaftshormone und der Plazentaausstoßung kann Prolaktin (Milchbildungshormon) wirken, die Milchbildung wird gesteigert. Durch die Stimulation der Brustwarze beim Stillen wird Oxytocin ausgeschüttet, dieses bringt die Milch ins Fließen. Die Brüste sind im Milcheinschuss meist prall und gespannt, regelmäßiges Anlegen oder ggf. das Entleeren der Brust von Hand ist wichtig, um einer Brustentzündung vorzubeugen. Bei starker Schwellung können Kohl- oder Quarkwickel für Linderung sorgen. reife Frauenmilch wird nach ca. 2 Wochen gebildet. Verändert sich während des Stillens, anfangs wässrigere Milch, dann fetthaltigere Milch. Enthält alles, was der Säugling an Nährstoffen braucht.

▶ Vorteile. Stillen fördert die Mutter-Kind-Beziehung. Die Stillhäufigkeit richtet sich nach dem Bedarf des Kindes (ad libitum). In den ersten Tagen nach der Geburt sollte das Kind ca. 8-mal in 24 h angelegt werden, also etwa alle 3 h. Dies steigert die Milchbildung und fördert den Milcheinschuss. Weitere Vorteile des Stillens: Muttermilch enthält Antikörper und senkt die Risiken für Diabetes Typ 1 und Plötzlichen Kindstod (SIDS) und senkt das Allergierisiko. Muttermilch ist kostenlos sowie jederzeit und überall verfügbar. Stillen fördert die Uterusrückbildung. ▶ Kontraindikationen. Diese sind: bestimmte Infektionskrankheiten (z.B. Hepatitis B) Zytostatikatherapie Drogenabhängigkeit bei der Mutter seltene Stoffwechselstörungen beim Säugling wie Galaktosämie oder Phenylketonurie Prinzipien und Stillpositionen Vorbereitung: Stillfreundliche Atmosphäre schaffen, bequeme Stillposition ermöglichen (im Sitzen z.B. Hocker unter Füße), Händedesinfektionsmittel, Getränk bereitstellen, Patientenruf in Griffnähe Prinzipien beim Anlegen: Kurze Brustmassage vor dem Anlegen fördert Milchbildung und Milchfluss. Kind liegt Bauch an Bauch mit der Mutter. Kind wird zur Brust geführt und nicht die Brust zum Kind. Kind sollte beim Stillen die gesamte Brustwarze mit Vorhof erfassen (Mund weit öffnen). Ein regelmäßiger Wechsel der Brust sowie der Stillposition fördert die vollständige Entleerung der Brüste und die Milchbildung. Schläft das Kind beim Stillen schnell ein, Hände und Füße

massieren, ggf. zwischenwickeln. Beim Beenden der Mahlzeit das Vakuum mit einem Finger lösen. Was tun bei wunden Brustwarzen? Saugverhalten des Kindes und Anlegetechnik prüfen. Nuckelt das Kind nur? Hat es die Brustwarze ausreichend im Mund? Luft und Licht an Brustwarze lassen. Muttermilchreste auf der Brustwarze antrocknen lassen. Pflegesalbe dünn auftragen (z.B. Lansinoh). Gesunde Seite zuerst anlegen und Stillzeit an betroffener Seite verkürzen. Ggf. Stillhütchen verwenden oder abpumpen, wenn Stillen extrem schmerzhaft ist. häufige Stillpositionen: Wiegehaltung, Rückengriff (Football-Haltung), Stillen im Liegen

43.3.1.2 Pflege Uterusrückbildung: Täglich Fundusstand kontrollieren. Der Fundus sollte gut kontrahiert (fest) und nicht schmerzhaft sein. Bewegung, Wochenbettgymnastik und Stillen fördern die Rückbildung. Wochenfluss (Lochien): Täglich Menge, Farbe und Geruch der Lochien kontrollieren. Versiegt der Wochenfluss frühzeitig (und ist der Fundus schmerzhaft und steigt die Temperatur), kann ein ▶ Lochialstau z.B. durch ein Koagel vorliegen. Regelmäßiger Vorlagenwechsel und Abspülen der Vulva mit klarem Wasser bei jedem Toilettengang (6–8-mal täglich), keine Tampons benutzen Blase und Darm: häufig reduzierte Stuhlentleerung in den ersten postpartalen Tagen (Lageveränderung des Darms, Angst vor Schmerzen, fehlende Mobilität, präpartaler Einlauf) – Obstipationsprophylaxe planen, vermehrte Urinausscheidung (sog. Harnflut – bis zu 3000 ml täglich) durch Ausschwemmung der schwangerschaftsbedingten Ödeme

Dammriss oder Dammschnitt: Kleine Risse verheilen ohne Naht. Größere Risse oder ein Dammschnitt werden nach der Geburt genäht (meist mit selbstauflösenden Fäden). Wöchnerinnen empfinden eine Kühlung der Geburtsverletzung meist als wohltuend (z.B. mit in Olivenöl getränkten Vorlagen aus der Tiefkühltruhe). Diese so lange auf die Naht legen, wie es als angenehm empfunden wird. Dammnaht oder Dammriss täglich auf Hämatome, Ödeme, Entzündungszeichen und Wundheilungsverlauf hin kontrollieren. Wegen des hohen Infektionsrisikos ist eine Beratung zur Intimhygiene notwendig. Die Wöchnerin sollte viel liegen und gehen, weniger sitzen und stehen. Eine gezielte Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.11) reduziert Schmerzen beim Stuhlgang. Kaiserschnitt (Sectio caesarea): Die erste Mobilisation erfolgt ca. 6–8 h nach der OP (abhängig vom Befinden der Mutter). Bis dahin erfolgen pflegerische Maßnahmen zur postoperativen Überwachung im Bett (siehe Kap. ▶ 39.5). Die Frau wird u.a. bei der Intimpflege, dem Vorlagenwechsel und der Körperpflege unterstützt. Auch das Handling und die Versorgung des Neugeborenen werden anfangs übernommen, bis die Frau mobil ist. Ein zeitnaher Hautzu-Haut-Kontakt (Bonding) zwischen Mutter und Kind sollte gefördert werden und ungestört stattfinden können. Thromboseprophylaxe: regelmäßige Mobilisation (je nach Kreislaufsituation), ausreichende Flüssigkeitszufuhr (2–3 l täglich), nach ärztlicher Anordnung subkutane Injektion von Heparin (z.B. nach Sectio, bei Gerinnungsstörungen) Babyblues ist bedingt durch die hormonelle Umstellung nach der Geburt und tritt bei vielen Frauen auf (ab 3. Tag postpartal). Er kann mit psychischer

Empfindsamkeit, Stimmungsschwankungen, Antriebslosigkeit und depressiver Verstimmung einhergehen. Er bedarf meist keiner therapeutischen Behandlung. Wochenbettdepression und Wochenbettpsychose: hält der Babyblues über 2 Wochen an oder kommen Symptome wie Halluzinationen, Wahnvorstellungen und Realitätsverlust hinzu, sollte die betroffene Frau oder ihr Umfeld therapeutische Unterstützung einholen.

43.3.1.3 Beratung im Wochenbett und Entlassberatung Hebammennachsorge wird im Wochenbett von der Krankenkasse übernommen und darüber hinaus bei weiterem Bedarf auch in der gesamten Stillzeit. Medikamente in der Stillzeit nur nach ärztlicher Rücksprache einnehmen. Auf Alkohol verzichten und Kaffee nur in Maßen genießen. Stillende Frauen haben einen täglichen Mehrbedarf von ca. 500–800 kcal. Eine ausgewogene Ernährung mit vielen Vitaminen, Ballaststoffen und Spurenelementen ist wichtig. Rückbildungsgymnastik zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur empfehlen. Ein Kurs wird bis zu einem Jahr nach der Geburt von der Krankenkasse bezahlt. Erste Menstruation ist nach 5–10 Wochen zu erwarten. Bei stillenden Müttern kann die Menstruation länger ausbleiben (Stillamenorrhö). Geschlechtsverkehr ist nach dem Versiegen des Wochenflusses (nach ca. 4 Wochen) wieder möglich, sofern sich die Frau dazu bereit fühlt. Geburtsverletzungen (z.B. Dammrisse) benötigen etwa 4–6 Wochen zur Heilung. An Verhütung denken!

Eine erneute Schwangerschaft wird nach vorausgegangener Spontangeburt nach frühestens 6 Monaten und bei Kaiserschnitt nach 12 Monaten empfohlen (Risiko für Fehl- oder Frühgeburten ist sonst erhöht). Kontrolltermin beim Gynäkologen vereinbaren (ca. 4–6 Wochen nach Entbindung) Termin für Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt vereinbaren (U3) Vitamin-D-Präparat zur Rachitisprophylaxe beim Neugeborenen

43.3.2 Komplikationen im Wochenbett Subinvolutio uteri puerperalis: bezeichnet die unzureichende Rückbildung des Uterus (i.d.R. durch ungenügende Nachwehen). Risikofaktoren sind Mehrlingsgeburten, Zustand nach Sectio, lange Geburtsverläufe und körperliche/psychische Erschöpfung. Symptomatisch tritt ein hoher Fundusstand auf, der Uterus fühlt sich teigig weich an. Es kann ein Druckschmerz an den Uteruskanten auftreten. Nach ärztlicher Verordnung wird Oxytocin i.m. oder i.v. substituiert. Neben der Beobachtung und ggf. Unterstützung regelmäßiger Ausscheidung sowie der täglichen Erhebung von Vitalzeichen und des Fundusstandes sind die Mobilisation und die Anleitung zur Bauchlage (mehrmals täglich 10 min) pflegerische Aufgabe. Stillen trägt ebenfalls zur Rückbildung bei. Lochialstauung: verminderter oder versiegender Wochenfluss innerhalb der ersten Tage post partum, der meist durch den Verschluss des Gebärmutterhalses durch Eihautreste oder Blutkoagel bedingt ist. Symptomatisch können des Weiteren Fieber,

Stirnkopfschmerz, Druckempfindlichkeit des Uterus, ein weicher und wenig kontrahierter Uterus und ein unangenehmer Geruch des Wochenflusses auftreten. Vergleichbar sind Therapie und Pflege mit denen bei Subinvolutio uteri. Infektionen im Bereich von Vulva und Damm treten meist in Zusammenhang mit Geburtsverletzungen auf. Es besteht die Gefahr, dass sich die Keime über Blut, Lymphe oder Schleimhaut ausbreiten. Entzündungszeichen sind regelmäßig zu erheben und zu dokumentieren, eine engmaschige Temperaturkontrolle ist erforderlich. Therapeutisch haben sich die lokale Anwendung von Schleimhautantiseptika, Sitzbäder mit entzündungshemmenden Wirkstoffen und regelmäßige Spülungen bewährt. ▶ Harnwegsinfekte treten aufgrund der weitgestellten Harnabflusswege in Schwangerschaft und Wochenbett häufig auf. Maßnahmen: Antibiotikagabe (z.B. Penicilline, die Stillen nicht verhindern), viel trinken, lokale Wärmeanwendungen Puerperalfieber (Wochenbettfieber): Hierunter werden alle fieberhaften Infektionen im Wochenbett zusammengefasst, die durch das Eindringen von Keimen in Geburtswunden bedingt sind. Risikofaktoren: Abwehrschwäche, Lochialstau und ein vorzeitiger Blasensprung Symptome: beeinträchtigtes Allgemeinbefinden, Fieber und Stirnkopfschmerz Komplikation: Puerperalsepsis Therapie: Antibiose, medikamentöse und pflegerische Maßnahmen zur Steigerung des Uterustonus, Spasmolytika zum besseren Abfluss der Lochien

Mastitis puerperalis: akute Entzündung der Brustdrüse bei der stillenden Frau. Trotz eingehaltener Prophylaxen (z.B. Händehygiene, Oberteil öffnen statt hochziehen, vollständige Brustentleerung, Stillpositionswechsel und ein häufiges korrektes Anlegen) kann die Erkrankung auftreten. Die Brust ist berührungsempfindlich, schmerzhaft und gerötet (einseitig/beidseitig). Axillare Lymphknoten können geschwollen sein. Unwohlsein, Müdigkeit und hohes Fieber begleiten die Brustentzündung. Eine Antibiotikatherapie ist je nach Erreger notwendig, es kann meist ganz normal weitergestillt werden. Von pflegerischer Seite können vor dem Stillen Wärmebehandlungen (z.B. warmer Waschlappen) und nach dem Stillen Kältebehandlungen (z.B. Quarkwickel, siehe Kap. ▶ 31) angeboten werden. Die Wärme bringt die Milch ins Fließen und erleichtert die Entleerung der Brust, die Kälte wirkt abschwellend und entzündungshemmend. Bettruhe und Ruhephasen sind je nach Krankheitsgefühl angezeigt. Eine Übersicht über mögliche Komplikationen im Wochenbett gibt ( ▶ Abb. 43.3). Wochenbett. Abb. 43.3 Mögliche Komplikationen und entsprechende Maßnahmen. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme, 2020)

KOMPAKT Geburt und Wochenbett Geburt Die Geburt untergliedert sich in Eröffnungs-, Austreibungs- und Nachgeburtsphase. Kinder kommen entweder bei einer regelhaften Geburt, einer vaginal-

operativen Geburt (Zangengeburt oder Vakuumextraktion) oder per Sectio caesarea zur Welt. Geburtsverletzungen (z.B. Dammriss) können durch die Dehnung des Gewebes entstehen und bedürfen je nach Schweregrad weiterer Behandlung. Mütter nach Kaiserschnitt benötigen besonders am ersten postoperativen Tag vermehrte Pflege und Unterstützung. Wochenbett Im Wochenbett beobachten die Pflegenden v.a. physiologische Vorgänge wie den Wochenfluss, das Stillen sowie die Rückbildung der schwangerschafts- und geburtsbedingten Veränderungen und beraten zu diesen Aspekten. Mögliche Komplikationen sind z. B. Infektionen (z.B. Mastitis puerperalis oder Harnwegsinfekte) und eine Verzögerung der Uterusrückbildung (Subinvolutio uteri). Eine fundierte Entlassberatung gibt den Eltern Sicherheit und ist eine sinnvolle Ergänzung zur Nachsorge im Wochenbett durch eine Hebamme.

43.3.3 Pflege des Neugeborenen 43.3.3.1 Beobachtung des Neugeborenen Einmal pro Schicht Allgemeinzustand kontrollieren, z.B. beim Wickeln, Wiegen oder Stillen: Hautkolorit, Atmung, Lebhaftigkeit, Trinkverhalten, Mekonium- und Urinausscheidung. Eine Neugeboreneninfektion macht sich durch reduziertes Trinkverhalten, Tachypnoe und Schläfrigkeit

bemerkbar. Hyperbilirubinämie zeigt sich zusätzlich durch ein gelbliches Hautkolorit. Eine Gewichtsabnahme von bis zu 10 % in den ersten Tagen nach der Geburt gilt als physiologisch. Ein normales Geburtsgewicht liegt beim reifen Neugeborenen zwischen 3000 g und 4000 g, die Länge zwischen 48 cm und 55 cm und der Kopfumfang zwischen 33 cm und 37 cm. Bis zum 14. Lebenstag sollte das Kind sein Geburtsgewicht wieder erreicht haben.

43.3.3.2 Körperpflege und Handling Nabelschnurrest fällt meist zwischen dem 7. und 10. Lebenstag ab. Empfohlen wird eine ▶ trockene Nabelpflege. Antiseptika nur bei Infektionszeichen (z.B. Rötung) verwenden und Windel unterhalb des Nabels schließen. Baden nach Abfallen des Nabels, bis dahin reicht Waschen. Badezusätze anfangs eher meiden. Muttermilch kann alternativ als Badezusatz verwendet werden. Der Kopf des Neugeborenen ist beim Handling immer zu stützen. Grundsätzlich ist dabei langsam vorzugehen, sodass Bewegungsabläufe vom Kind aktiv miterlebt werden können. Mehr Infos dazu unter ▶ Kinästhetik Infant Handling.

43.3.3.3 Untersuchungen des Neugeborenen und Prophylaxe Neugeborenenscreening: Untersuchung am 2. oder 3. Lebenstag auf seltene Stoffwechselerkrankungen (Abnahme von Fersenblut notwendig). Eine Aufklärung gemäß Gendiagnostikgesetz und ein schriftliches Einverständnis der Sorgeberechtigten ist notwendig. Hörscreening: Mit einem OAE-Test (otoakustischer Emissionstest) wird die Hörfähigkeit des Kindes überprüft.

Vitamin-K-Gabe: Um die Blutgerinnung des Neugeborenen zu unterstützen, werden 2 mg Vitamin K oral bereits bei der U1 verabreicht. Rachitisprophylaxe: täglich orale Gabe von Vitamin D bis zum 1. Lebensjahr Prophylaxe plötzlicher Kindstod: Das Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) ist die häufigste Todesursache im Säuglingsalter. Ein scheinbar gesundes Kind verstirbt plötzlich und ohne Vorwarnzeichen im Schlaf. Die Ätiologie ist weitgehend ungeklärt. Risiko senken durch: konsequente Rückenlage beim Schlafen, Schlafsack nutzen statt Bettdecke und Kissen, eigenes Bett im Elternschlafzimmer, kühle Raumtemperatur (18°C) beim Schlafen, rauchfreie Umgebung und Stillen.

43.3.4 Pflege von Frühgeborenen Definition Frühgeborene Neugeborene, die vor der vollendeten 37. SSW auf die Welt kommen, werden als Frühgeborene bezeichnet. Kommt das Neugeborene vor der 30. SSW mit meist < 1000 g Geburtsgewicht zur Welt, wird es als Frühstgeborenes bezeichnet.

43.3.4.1 Gesundheitsrisiken bei Frühgeborenen Aufgrund der Unreife von unterschiedlichen Organsystemen weisen Frühgeborene Gesundheitsrisiken auf: Atmung: Apnoen (durch nicht ausreichend ausgebildeten Atemantrieb) mit Sauerstoffmangelzuständen sind möglich. Infantiles Atemnotsyndrom (IRDS) durch fehlenden Oberflächenfilm (Surfactant) in den Alveolen macht ggf.

Intubation und Beatmung notwendig. Wochenlange Beatmungsphasen können eine bronchopulmonale Dysplasie hervorrufen, ggf. mit Spätfolgen für Lungenfunktion und Infektabwehr. Nervensystem: Probleme beim Atmen führen zu Hypoxien (Gefahr der hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie). Fragile Gefäße im Gehirn können reißen und führen zu ▶ Hirnblutungen. Anzeichen dafür sind: Krampfanfälle, Atemstillstände, Reflexverlust, Lethargie. Eine unausgereifte Temperaturregulation und fehlendes Unterhautfettgewebe bewirken eine schnelle Auskühlung des Frühgeborenen. Darm: Unreife des Darms kann nekrotisierende Enterokolitis (NEC) begünstigen. Untergang des Darmgewebes v.a. im terminalen Ileum und Colon ascendens, Umstellung auf parenterale Ernährung und ggf. kinderchirurgische Sanierung des Befundes (Anlage eines Stomas wird oft notwendig) Herz-Kreislauf-System: Hypoxien können zu Bradykardien führen. Ein offener Ductus Botalli (oft bei Frühgeborenen vor der 34. SSW) kann ▶ Herzinsuffizienz und eine Zyanose verursachen. Sonstiges: Retinaschaden durch längere sauerstoffreiche Beatmung (Frühgeborenenretinopathie) und ungenügende Reifung des Immunsystems führt zu Infektanfälligkeit.

43.3.4.2 Pflegerische Schwerpunkte Erstversorgung: Wärmeerhalt (Wärmelampe, 26–28°C Raumtemperatur, vorgewärmter Transportinkubator), vorsichtiges Handling (Kopf stützen), bei Ateminsuffizienz Maskenbeatmung, CPAPAtemunterstützung, Intubation mit maschineller Beatmung sowie Verabreichung von künstlich hergestellten Surfactant

Monitoring: kontinuierliches Monitoring mit ggf. Temperaturmessung alle 2–6 h über Sonde, Pulsoxymetrie und EKG mit ggf. intraarterieller Blutdruckmessung Versorgung im Inkubator: Der Inkubator ermöglicht eine stabile und ausreichende Umgebungstemperatur, eine hohe Luftfeuchtigkeit sowie eine angepasste Zufuhr von Sauerstoff. Inkubatorklappen nur kurz öffnen, möglichst Kind zudecken und nur angewärmte Materialien benutzen, weiches, mittiges Betten von Frühgeborenen, ggf. mit 2 Pflegefachkräften. Optimal Handling: mehrere Pflegemaßnahmen bündeln, um längere Ruhephase zu ermöglichen. Sorgfältige Händehygiene! Ernährung: meistens parenterale Ernährung am Anfang, schrittweiser enteraler Aufbau der Ernährung: 2–3ml/kgKG alle ca. 2 h mit Muttermilch oder Frühgeborenen-Nahrung, ggf. mit Nutzung einer Magensonde (wegen reduziertem Allgemeinzustand, Trinkschwäche und unkoordiniertem Saug-SchluckReflex). Stillversuche bei entsprechender Reife möglich. Bei Anzeichen von Überlastung (Bradykardie, Senkung der Sauerstoffsättigung), Pause von der Mahlzeit ermöglichen. Einbezug der Eltern: zeitnahes Kennenlernen des Kindes nach der Geburt ermöglichen sowie bei stabilen Werten die Känguru-Methode (Hautkontakt auf der Brust der Eltern, auch Känguruhen genannt) anwenden, schrittweises und permanentes Erklären und Anleiten von Pflegemaßnahmen bis zur Entlassung des Kindes

KOMPAKT Pflege von Neu- und Frühgeborenen

Neugeborenenpflege Der Nabelschnurrest sollte immer trocken sein, damit eine komplikationslose Abheilung möglich ist und die Nabelschnur zwischen dem 7. und 10. Lebenstag abfällt. Antiseptika sollten ohne Entzündungszeichen nicht zum Einsatz kommen. Beim Handling immer den Kopf des Neugeborenen stützen und auf langsame Bewegungsabläufe achten, damit das Neugeborene diesen folgen kann. Über SIDS-Prophylaxe werden die Eltern vor der Entlassung aufgeklärt. Dazu gehören z.B. die konsequente Rückenlage, die Verwendung eines Schlafsacks sowie die eher kühle (16–18°C) und rauchfreie Schlafumgebung des Säuglings. Frühgeborenenpflege Frühgeborene kommen vor der vollendeten 37. SSW zur Welt. Die Unreife von Lunge, Herz-Kreislauf-System, Nervensystem, Leber und Darm können viele erforderliche Behandlungen nötig machen (z.B. Intubation und Beatmung, Operationen, Phototherapie etc.). Haut-an-Hautkontakt (Känguruhen) dient der Stabilisierung und Entwicklungsförderung des Kindes sowie dem Beziehungsaufbau zu den Eltern.

Teil VI Pflege von Menschen mit speziellen Erkrankungen 44 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Herzens 45 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Kreislaufund Gefäßsystems 46 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Atmungssystems 47 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Verdauungssystems 48 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Niere und der Harnwege 49 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels 50 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Blut- und Immunsystems 51 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Bewegungssystems 52 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems 53 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Sinnesorgane 54 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Haut 55 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Geschlechtsorgane 56 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Psyche 57 Pflege von Menschen mit organübergreifenden Infektionen

44 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Herzens 44.1 Anatomie und Physiologie des Herzens 44.1.1 Aufbau, Lage, Form und Größe Das Herz liegt zwischen beiden Lungenflügeln in der Mitte des Thorax (Brustkorb). Der Raum zwischen den beiden Lungenflügeln

wird als Mediastinum bezeichnet. Das Herz wiegt beim gesunden Erwachsenen etwa 300 Gramm. Die Herzvorderseite (Vorderwand) wird durch Rippen und Sternum begrenzt. Die Herzhinterseite (Hinterwand) grenzt an die Speiseröhre. Funktionell wird das Herz in eine rechte und eine linke Herzhälfte unterteilt ( ▶ Abb. 44.1). Jede Herzhälfte besteht aus einem Vorhof und einer Kammer. Zwischen Vorhof und Kammer liegt jeweils eine Segelklappe (Mitral- bzw. Trikuspidalklappe). Zwischen den Herzkammern und dem arteriellen Gefäßsystem liegen die Taschenklappen (Pulmonal- bzw. Aortenklappe).

44.1.2 Aufgabe und Funktion Jeder Herzschlag besteht aus 2 Phasen: Systole: Zu Beginn der Systole steigt der Druck in den Kammern und durch die Kontraktion entsteht der 1. Herzton (Anspannungsphase). Die Taschenklappen öffnen sich und es wird Blut ins arterielle Gefäßsystem „gepumpt“ (Austreibungsphase). Diastole: Dann schließen sich die Taschenklappen wieder, was den 2. Herzton erzeugt. Während der Diastole entspannt sich das Herz (Entspannungsphase). Die AV-Klappen öffnen sich und die Kammern füllen sich passiv mit Blut (Füllungsphase). Das Herz pumpt das Blut durch 2 Kreislaufsysteme ( ▶ Abb. 44.1): Im Lungenkreislauf (kleiner Kreislauf) wird das aus dem Körperkreislauf zurückflutende sauerstoffarme Blut mit Sauerstoff angereichert. Blutfluss: rechte Herzkammer → Pulmonalklappe → Truncus pulmonalis → Lungenarterien → Lunge → Lungenvenen → linker Herzvorhof → Mitralklappe → Körperkreislauf Im Körperkreislauf (großer Kreislauf) durchströmt das Blut alle Organsysteme und versorgt diese mit Sauerstoff. Auf dem Weg zurück zum rechten Herzvorhof transportiert es Kohlenstoffdioxid als Abfallprodukt der Energiegewinnung zurück zur Lunge. Blutfluss: linke Herzkammer → Aortenklappe

→ Aorta → Arterien → periphere Organe, Muskulatur, Gehirn etc. → Venen → untere bzw. obere Hohlvene → rechter Herzvorhof → Trikuspidalklappe → Lungenkreislauf Der Weg des Blutes durch das Herz. Abb. 44.1 Die Pfeile stellen die Fließrichtung dar: blaue Pfeile = sauerstoffarmes Blut; rote Pfeile = sauerstoffreiches Blut. (Aus: Bommas-Ebert U, Teubner P, Voß R. Kurzlehrbuch Anatomie und Embryologie. Stuttgart: Thieme; 2011)

44.1.3 Feinbau Aufbau der Herzwand Herzinnenschicht (Endokard): kleidet das Herz innen aus und bildet die Segelklappen Herzmuskelschicht (Myokard): Der Herzmuskel ist zuständig für die Herzkraft und bildet das Reizleitungs- und

Reizbildungssystem. Histologisch ist er eine Mischform aus quergestreifter und glatter Muskulatur. Die Zellen sind durch viele „Gap Junctions“ verbunden und können Erregungen dadurch schnell weiterleiten. Herzaußenhaut (Epikard): bildet die äußere Bindegewebsschicht des Herzens und den inneren Anteil des Herzbeutels Umgeben ist das Herz vom Herzbeutel. Durch ihn ist das Herz gegen seine Umgebung verschiebbar. Dadurch kann die Herzkontraktion ohne Reibung ablaufen. Der Herzbeutel besteht aus zwei Anteilen: einem inneren Blatt, dem Epikard, und einem äußeren Blatt, dem Perikard. Das Epikard ist mit dem Herzmuskel verwachsen, das Perikard mit Strukturen, die dem Herzen benachbart sind (z.B. Zwerchfell). Zwischen Epikard und Perikard liegt ein dünner Flüssigkeitssaum, der die Verschiebbarkeit des Herzens innerhalb des Herzbeutels optimiert.

44.1.4 Gefäßversorgung Zur ausreichenden Versorgung mit Sauerstoff benötigt der schwer arbeitende Herzmuskel eine eigene Blutversorgung. Ist diese unterbrochen, kommt es zum Herzinfarkt. Die das Herz versorgenden Arterien werden als Koronargefäße bezeichnet. Sie entspringen direkt der Aorta. Es gibt 2 Hauptgefäße, wobei sich die linke Koronararterie rasch aufteilt. Deshalb spricht man oft von 3 Koronararterien ( ▶ Abb. 44.2): rechte Koronararterie: A. coronaria dextra (lat.) bzw. Right coronary artery (engl.), kurz: RCA. Sie versorgt den rechten Vorhof und die rechte Herzkammer. linke Koronararterie: A. coronaria sinistra (lat.) bzw. Left coronary artery (engl.), kurz: LCA. Sie versorgt primär den linken Vorhof, die linke Herzkammer und die Herzscheidewand. Sie teilt sich kurz nach Abgang aus der Aorta auf in: Ramus interventricularis anterior (lat.), kurz: RIVA, bzw. Left anterior descending coronary artery (engl.), kurz: LAD.

Er verläuft auf der Vorderseite des Herzens zwischen linker und rechter Herzkammer. Ramus circumflexus (lat.), kurz: RCX, bzw. Left circumflex coronary artery, kurz: LCX. Er läuft zwischen linkem Vorhof und linker Herzkammer. Der venöse Abfluss der Koronararterien erfolgt über den Sinus coronarius, eine große Vene auf der Rückseite des Herzens. Sie mündet in den rechten Vorhof. Herzkranzgefäße. Abb. 44.2 Die wichtigsten Koronargefäße im Überblick. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

44.1.5 Reizleitungs- und Reizbildungssystem

Das Reizleitungs- und Reizbildungssystem im Herzen ist für den elektrischen Antrieb des Herzens verantwortlich. Es ist in seiner Funktion autonom (d.h., vom Gehirn unabhängig) und besteht aus spezialisierten Herzmuskelzellen. Beeinflusst wird es vom vegetativen Nervensystem (Sympathikus und Parasympathikus). Die elektrische Erregung des Herzens wird beim Gesunden im Sinusknoten gebildet. Grundsätzlich ist jedoch jeder Anteil des Reizleitungs- und Reizbildungssystems zur Produktion elektrischer Erregungen fähig. Strukturen des Reizleitungs- und Reizbildungssystems: Sinusknoten: beim Gesunden der „Taktgeber“ des Herzens. Er liegt im rechten Vorhof, kurz neben der Einmündung der oberen Hohlvene, und gibt eine Herzfrequenz von etwa 80 Schlägen/min vor. AV-Knoten: Er liegt am Boden des rechten Vorhofs und verzögert die Weiterleitung der elektrischen Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern. Dadurch kontrahieren Vorhöfe und Kammern nicht gemeinsam. His-Bündel: leitet die elektrische Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern über. Tawara-Schenkel: Die beiden Tawara-Schenkel leiten die Erregung auf die rechte und linke Herzkammer über. Beide teilen sich in ihrem weiteren Verlauf weiter auf und enden in Form von Purkinje-Fasern im Myokard.

44.2 Pflegebasismaßnahmen Wie stark ein Patient pflegerisch unterstützt werden muss, hängt von seiner Belastungsgrenze ab. Diese variiert je nach Erkrankung (ggf. in Absprache mit dem Arzt). Beobachtung: Vitalparameter engmaschig kontrollieren und dokumentieren, Veränderungen und Auffälligkeiten dem Arzt mitteilen. Blutdruck und Puls mindestens 2- bis 3mal täglich kontrollieren, ggf. zusätzlich vor und nach

körperlichen Belastungen, um Veränderungen frühzeitig erkennen zu können Ruhe-EKG ableiten und/oder EKG-Monitor anschließen (auf Arztanordnung) Medikamentenmanagement: medikamentöse Therapie überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten (siehe Kap. ▶ 20) Mobilisation und Positionierung: Herzbettlagerung (entlastet das Herz) individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten ggf. Bettruhe nach Arztanordnung (z.B. im Akutstadium einer Erkrankung) Physiotherapie, Herzsportgruppe Körperpflege: individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten ggf. komplette Übernahme im Bett, z.B. im Akutstadium eines Herzinfarkts, akuter Herzinsuffizienz oder nach einem operativen Eingriff für Sitzmöglichkeiten beim Duschen sorgen Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Dekubitus-, Thrombose-, Kontrakturenprophylaxe: besonders bei verordneter Bettruhe oder stark eingeschränkter Belastung psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen (z.B. längerer Ausfall am Arbeitsplatz)

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Wegen des chronischen Charakters vieler Herzerkrankungen ist es wichtig, dass Patienten individuell informiert, beraten, angeleitet oder geschult werden über: Erkrankung, Verlauf und mögliche Symptome verordnete (Notfall-)Medikamente (Wirkung und Nebenwirkung)

KOMPAKT Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen Vitalparameter regelmäßig kontrollieren, v.a. Puls und Blutdruck lassen wichtige Rückschlüsse auf die Pumpfunktion des Herzens zu. Mobilisation und Körperpflege: individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft zeigen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: über Erkrankung, Verlauf und mögliche Symptome, verordnete (Notfall-)Medikamente

44.3 Mitwirken bei der Diagnostik Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen bei Patienten mit Herzerkrankungen sind: ärztliche Anamnese Puls und Blutdruckmessung (siehe Kap. ▶ 14.4) Elektrokardiogramm (EKG) Echokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens) Herzkatheteruntersuchung

44.3.1 Elektrokardiogramm

Das Elektrokardiogramm (kurz: EKG) zeichnet grafisch auf, wie sich die elektrische Erregung im Herzen ausbreitet. Es gibt Auskunft über sämtliche elektrischen Abläufe innerhalb der Herzaktion. Keine Auskunft gibt es über die Herzkraft! Pflegende sollten v.a. wissen, wie die Saug- bzw. Klebeelektroden positioniert werden. Im normalen Ruhe-EKG werden 12 Ableitungen abgeleitet. Dies bedeutet, dass das Herz aus insgesamt 12 verschiedenen Blickwinkeln beurteilt werden kann. Man unterscheidet: Extremitätenableitungen: 4 Kabel für die Ableitungen I, II, III (Einthoven) und aVF, aVL, aVR (Goldberger). Anlegen nach dem „Ampel-Prinzip“: Rot (re. Handgelenk), Gelb (li. Handgelenk), Grün (li. Fußgelenk), Schwarz (re. Fußgelenk) Brustwandableitungen: 6 Kabel für die Ableitungen V1 bis V6 (Wilson). V1 und V2 li. und re. des Sternums auf Höhe 4. ICR, V4 im 5. ICR in der Medioklavikularlinie, V6 im 5. ICR in der mittleren Axillarlinie. V3 und V5 jeweils zwischen den Nachbarelektroden Neben dem Ruhe-EKG gibt es folgende EKG-Arten: Monitor-EKG: kontinuierliche Überwachung der Herzaktion (auf Intensiv- oder Überwachungsstationen). Dazu werden 3 Elektroden am Brustkorb des Patienten nach dem „Ampelschema“ (rot, gelb, grün) geklebt. Langzeit-EKG: Aufzeichnung während der normalen täglichen Aktivität, meistens über 24 h Belastungs-EKG: Ableitung unter Belastung (z.B. auf dem Fahrradergometer)

44.3.2 Echokardiografie Die Ultraschalluntersuchung des Herzens wird als Echokardiografie bezeichnet. Mit ihr kann das Herz auf Klappenfehler, Bewegungsstörungen und verminderte Auswurfleistung untersucht werden. Grundsätzlich gibt es 2 Verfahren der Echokardiografie:

transthorakale Echokardiografie: Der Ultraschallkopf wird auf den Brustkorb des Patienten aufgesetzt. Weil manchmal Bewegungsstörungen des Herzens erst unter Belastung auftreten, wird das Verfahren mitunter unter körperlicher Belastung durchgeführt (Stressechokardiografie). transösophageale Echokardiografie (kurz: TEE): Der Ultraschallkopf wird wie bei der Magenspiegelung durch die Speiseröhre eingeführt. Dadurch kann das Herz von seiner Rückseite her untersucht werden. Vorteil: Die Herzklappen sind von hier aus sehr viel besser sichtbar als in der transthorakalen Echokardiografie. Entsprechend wird die TEE besonders zur Beurteilung der Vorhofohren und beim Verdacht auf Endokarditis eingesetzt. Pflegerisch wichtig: Vor der TEE muss der Patient nüchtern sein!

44.3.3 Herzkatheteruntersuchung Bei der Herzkatheteruntersuchung führt der Arzt einen dünnen Katheter über ein großes Blutgefäß zum Herzen. Je nachdem, ob das linke oder das rechte Herz untersucht werden soll, erfolgt der Eingriff über eine Arterie (Linksherzkatheter) oder über eine Vene (Rechtsherzkatheter). Mittels Linksherzkatheter können die Herzkranzgefäße sichtbar gemacht werden (Koronarangiografie). Dazu wird ein Katheter über eine große Arterie (meist A. radialis am Handgelenk, seltener A. femoralis in der Leiste) bis zum Herzen vorgeschoben. Anschließend wird über den Katheter Kontrastmittel gespritzt und die Koronargefäße so sichtbar gemacht. Festgestellte Engstellen können mit einem in die jeweilige Koronararterie platzierten Ballonkatheter aufgedehnt werden (perkutane transluminale koronare Angioplastie, kurz: PTCA). Zusätzlich wird häufig ein Drahtgeflecht (Stent) eingebracht, um die Engstelle offen zu halten.

44.3.3.1 Pflegerische Aufgaben Vorbereitung Laborwerte abnehmen bzw. bereitlegen (Quick/INR, pTT, TSH, T3, T4, Kreatinin)

Unterlagen zu Voruntersuchungen (z.B. Ruhe-EKG, BelastungsEKG, Echokardiografie) und unterschriebene Einverständniserklärung bereitlegen ggf. Morgenmedikation des Patienten nach Arztanordnung modifizieren (z.B. Pausieren von Clexane) Patienten nüchtern lassen (je nach Klinik ist ggf. ein leichtes Frühstück erlaubt) Leistengegend nach hausinternem Standard rasieren (bei Zugang über A. femoralis) Fußpulse tasten und Taststellen für spätere Kontrolle markieren. Zusätzlich Hautfarbe, Hauttemperatur und Sensibilität als Richtwert für Verlaufskontrollen erfassen. Flügelhemd und Thromboseprophylaxestrumpf am nicht punktierten Bein anziehen Patienten im Bett zur Untersuchung bringen ▶ Durchführung. Die Durchführung erfolgt meist durch die Pflegefachkraft des Herzkatheterlabors: i.v.-Zugang/Infusion und Kontrastmittel bereitlegen Monitor-EKG anlegen Röntgenschürzen bereitlegen nach der Untersuchung Druckverband anlegen Nachbereitung Patienten engmaschig überwachen (Blutdruck, Pulse, Sensibilität, Hautfarbe, Hauttemperatur der punktierten Extremität, Patient soll Missempfinden sofort melden) bei Punktion in der Leiste: Bettruhe für mindestens 6 h Druckverband: kontrollieren und auf Nachblutungen achten (Hypotonie, Tachykardie, Hämatome, frische Blutflecken) nach Arztanordnung lockern bzw. ganz entfernen ausreichend Flüssigkeitszufuhr (oral oder über Infusionen) sicherstellen, um das Kontrastmittel auszuschwemmen, ggf. Bilanzierung durchführen

Essen und Trinken sind i.d.R. sofort wieder erlaubt. Medikamentengabe nach Arztanordnung (z.B. Heparin über Perfusor, Plavix, ASS)

KOMPAKT Mitwirken bei der Diagnostik Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen bei Herzerkrankungen: ärztliche Anamnese, Puls und Blutdruckmessung EKG: für normales Ruhe-EKG werden 12 Ableitungen benötigt (Einthoven/Goldberger und Wilson). Für ein Monitor-EKG reichen die Extremitätenableitungen (meist zum Körperstamm hin verlagert). Echokardiografie: entweder transthorakal oder transösophageal. Bei der TEE (transösophageale Echokardiografie) muss der Patient nüchtern sein. Herzkatheter: nach Koronarangiografie Patient engmaschig überwachen, Druckverband in der Leiste kontrollieren, auf Fußpulse achten

44.4 Die wichtigsten Medikamente bei Herzerkrankungen Die wichtigsten Medikamente bei Herzerkrankungen werden in ▶ Tab. 44.1  aufgeführt. Tab. 44.1 Medikamente zur Behandlung von Herzerkrankungen. Wirkstoffgruppe

Beispiele für Wirkstoffe und Handelsnamen

Therapieziel und Nebenwirkung und Anwendung Beobachtungsaspekte (Bsp.)

Betablocker (β-Blocker)

Metoprolol (Beloc-Zok)

Herzentlastung, Bradykardie und z.B. bei Asthmasymptome Bluthochdruck und KHK

Wirkstoffgruppe

Beispiele für Wirkstoffe und Handelsnamen

Therapieziel und Nebenwirkung und Anwendung Beobachtungsaspekte (Bsp.)

Kalziumantagonisten

Nifedipin (Adalat) Herzentlastung, Hypotonie z.B. bei Bluthochdruck und KHK

Nitrate

Glyceroltrinitrat (Corangin Nitrospray)

Weitstellung der Gefäße, z.B. bei akuter Angina pectoris

Hypotonie, Kopfschmerzen

ACE-Hemmer

Ramipril (Delix)

Blutdrucksenker, protektive Effekte nach Herzinfarkt

Hypotonie, Reizhusten

Thrombozytenaggregationshemmer Acetylsalicylsäure (Aspirin), Clopidogrel (Plavix)

verhindern Blutungsneigung Thrombenbildung, z.B. zur Nachsorge bei Herzinfarkt oder PTCA

Antikoagulanzien

Heparin, Phenprocoumon (Marcumar), Apixaban (Eliquis)

verhindern Thrombenbildung, z.B. bei Vorhofflimmern, nach Lungenembolie

Diuretika

Furosemid (Lasix) Herzentlastung Elektrolytentgleisung durch verstärkte (insbesondere Ausscheidung von Hypokaliämie) Flüssigkeit, z.B. bei Herzinsuffizienz

Herzglykoside

Digoxin/Digitoxin Steigerung der Verwirrtheit, (Lanicor) Schlagkraft (nur Sehstörungen noch selten eingesetzt!), Verlangsamung der Herzfrequenz

Statine (Cholesterinsenker)

Simvastation (Zocor)

Cholesterinsenkung Muskelschmerzen und Stabilisierung bereits bestehender Plaques, z.B. bei KHK

Antiarrhythmika

Amiodaron (Cordarex)

z.B. bei Tachykardie können selbst Rhythmusstörungen auslösen

Blutungsneigung

44.5 Erkrankungen des Herzens 44.5.1 Koronare Herzkrankheit Definition Koronare Herzkrankheit (KHK) Bei der KHK sind die Herzkranzgefäße durch Arteriosklerose verengt. Der Herzmuskel ist dadurch minderdurchblutet und erhält zu wenig Sauerstoff. Hierdurch kommt es zum typischen Symptom „Angina pectoris“. Je nachdem, wie viele der insgesamt 3 großen Koronargefäße betroffen sind, spricht man von einer 1-, 2- oder 3-Gefäß-Erkrankung.

44.5.1.1 Ursachen Die Ursache einer KHK ist die Arteriosklerose. Arteriosklerose ist eine Erkrankung der Arterien. Hauptrisikofaktoren sind: Fettstoffwechselstörungen arterielle Hypertonie ▶ Diabetes mellitus Rauchen familiäre Veranlagung männliches Geschlecht Alter über 65 Jahre ▶ Pathophysiologie. Entzündungszellen dringen in die Gefäßwand ein, Fette und Kalk lagern ein (Plaquebildung) → Plaques wachsen an → Gefäßlumen wird enger → Blutfluss wird eingeschränkt → Durchblutungsstörungen → Gefäßwände werden starr → das Gefäß verliert die Fähigkeit zur Anpassung an verschiedene Druckverhältnisse

44.5.1.2 Symptome ▶ Angina pectoris. Die Angina pectoris ist das charakteristische Symptom für die Minderversorgung des Herzens mit Sauerstoff und somit das Leitsymptom der KHK. Typische Anzeichen sind:

Brustschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm, die Magengegend und den Unterkiefer Angst Engegefühl im Brustkorb Dyspnoe vegetative Symptome (z.B. starkes Schwitzen, Übelkeit) ▶ Chronisches Koronarsyndrom. Der Begriff des chronischen Koronarsyndroms (CCS) ersetzt seit 2019 die alte Bezeichnung „stabile KHK“. Hiermit wird verdeutlicht, dass es sich bei der KHK immer um einen dynamischen Erkrankungsprozess handelt und nicht um einen „stabilen, gleichbleibenden Zustand“. Die Beschwerden bei einem symptomatischen CCS lassen sich durch die Gabe von Nitro-Spray meist gut behandeln. Ein CCS ohne Beschwerden aber mit koronarangiografisch nachgewiesenen Stenosen (CCS Grad 0) wird als asymptomatische KHK bezeichnet. ▶ Akutes Koronarsyndrom. Sehr viel stärker sind die Symptome bei einem akuten Koronarsyndrom (kurz: ACS). Unter diesem Begriff werden zusammengefasst: instabile Angina pectoris: akute Verschlechterung einer bestehenden KHK, oft mit Ruhesymptomen. Der Übergang zum Herzinfarkt ist fließend. Daher wird eine instabile Angina pectoris bis zum Beweis des Gegenteils wie ein Herzinfarkt behandelt. NSTEMI (non ST-segment-elevation myocardial infarction): ein Herzinfarkt, der nur im Labor und anhand klinischer Symptome diagnostiziert werden kann. Das EKG sieht normal aus. STEMI (ST-segment-elevation myocardial infarction): Herzinfarkt, der sich in Labor, Symptomatik und EKG zeigt Das Krankheitsbild „Herzinfarkt“ finden Sie anschließend in Kap. ▶ 44.5.2.

44.5.1.3 Diagnostik Anamnese (Luftnot und Schmerzen unter Belastung? Risikofaktoren?)

klinische Untersuchung (Ödeme? Herzgeräusche?) Ruhe- und Belastungs-EKG (ST-Strecken-Veränderungen? TWellen-Veränderungen?) Blutuntersuchungen (Cholesterin? CK/CK-MB? Troponin T?) (Stress-)Echokardiografie (Auswurfleistung? Wandbewegungsstörungen?) Kardio-MRT/CT (Stenosen der Koronargefäße? Ischämien des Herzmuskels?) Koronarangiografie (aussagekräftigste Untersuchung)

44.5.1.4 Therapie ▶ Nichtmedikamentöse Therapie. Ziel: Risikofaktoren reduzieren, Fortschreiten der Arteriosklerose verlangsamen, z.B. durch: Gewichtsreduktion, fettarme Ernährung, körperliche Bewegung (z.B. Herzsportgruppen), Verzicht auf Nikotin ▶ Medikamentöse Therapie. Ziel: Sauerstoffbedarf des Myokards reduzieren, Thrombenbildung vermeiden, Fortschreiten der Arteriosklerose verlangsamen: Betablocker (z.B. Metoprolol) Kalziumantagonisten (z.B. Verapamil) Thrombozytenaggregationshemmer (z.B. ASS, Clopidogrel) Nitrate (z.B. Nitro-Spray) ACE-Hemmer (z.B. Ramipril) Statine (z.B. Simvastatin) ▶ Invasive Therapie. Ziel: Wiedereröffnung der Koronargefäße durch Koronarangiografie oder Bypass-OP: Koronarangiografie mit Ballondilatation (PTCA) und Stentimplantation. Im Anschluss müssen die Patienten üblicherweise für einige Monate ASS und einen anderen Thrombozytenaggregationshemmer (z.B. Clopidogrel, Brilique, Efient) einnehmen. Bypass-Operation, wenn die Durchführung einer PTCA nicht möglich ist (z.B. bei langstreckigen Stenosen). Operativ wird ein aortokoronarer Venenbypass (ACVB) angelegt und damit

die Engstelle überbrückt. Die Gefäßbrücken können z.B. aus Beinvenen gebildet werden. Alternativ kann ein arterieller Bypass gelegt werden. Hierzu wird das distale Ende der A. thoracica interna mit dem poststenotischen Gebiet des Koronargefäßes verbunden.

44.5.1.5 Spezielle Pflege Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit KHK: Beobachtung: auf Symptome einer Angina pectoris achten (z.B. Dyspnoe, Brustschmerzen, Schwitzen), um Maßnahmen schnell einleiten zu können Ernährung: cholesterinarme Kost Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über: Möglichkeiten zur Reduzierung von Risikofaktoren und präventive Maßnahmen Medikamentenwirkung und -nebenwirkung (siehe ▶ Tab. 44.1 ) Möglichkeiten zur Prophylaxe von Notfällen (z.B. Verzicht auf Vollbäder wegen der hohen Kreislaufbelastung) Verhalten im Notfall: Hilfe rufen, Notarzt informieren Anwendung der Notfallmedikamente (z.B. Nitro-Spray) perioperative Pflege: bei operativen Eingriffen (siehe Kap. ▶ 39)

KOMPAKT Koronare Herzkrankheit Die Risikofaktoren einer koronaren Herzkrankheit (KHK) sind: Fettstoffwechselstörungen, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Rauchen, familiäre Veranlagung, männliches Geschlecht, Alter über 65 Jahre.

Angina pectoris ist das Hauptsymptom einer KHK und äußert sich z.B. durch Brustschmerzen, thorakale Enge und Luftnot. Chronisches Koronarsyndrom (CCS): Ersetzt den alten Begriff der stabilen KHK. Bei einer asymptomatischen KHK spricht man von CCS Grad 0. Akutes Koronarsyndrom (ACS): Fasst die Begriffe der instabilen KHK und des Herzinfarkts zusammen. aussagekräftigste Untersuchung: Koronarangiografie Die Therapie soll die Risikofaktoren und den kardialen Sauerstoffverbrauch reduzieren. Bei Fortschreiten der Erkrankung: Wiedereröffnung der Koronararterien durch PTCA oder mit Bypass.

44.5.2 Herzinfarkt Definition Herzinfarkt Unter einem Herzinfarkt versteht man das Absterben (Nekrose) von Herzmuskelzellen aufgrund einer Durchblutungsstörung des Herzens. Meistens handelt es sich um das Fortschreiten der KHK mit aktuellem Verschluss des Gefäßes.

44.5.2.1 Ursachen Bei einem Herzinfarkt verschließt sich ein bereits durch die KHK verengtes Koronargefäß komplett. Meist geschieht dies durch einen Riss einer arteriosklerotischen Plaque mit nachfolgender Aktivierung der Blutgerinnung. Durch den entstehenden Thrombus werden die nachfolgenden Muskelareale nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Es kommt zur Herzmuskelnekrose. In seltenen Fällen kann das Gefäß auch durch einen arteriellen Thrombus, der z.B. aufgrund eines nicht antikoagulierten Vorhofflimmerns im linken Herzen entstanden ist, verschlossen werden.

44.5.2.2 Symptome Die Symptome entsprechen im Wesentlichen denen einer instabilen KHK (eine Abgrenzung gelingt oft erst durch Labor und EKG): starke thorakale Schmerzen (Angina pectoris) Dyspnoe Kaltschweißigkeit Todesangst Übelkeit und Erbrechen Ein stummer Infarkt – ohne wesentliche Schmerzen – ist möglich (vor allem bei Frauen und Menschen mit Diabetes mellitus). Hier äußert sich der Infarkt oft nur durch unklare Oberbauchbeschwerden (z.B. Übelkeit). Mögliche Komplikationen: Herzrhythmusstörungen (z.B. Kammerflimmern), Herzinsuffizienz bis zum kardiogenen Schock mit Kreislaufstillstand (sofort kardiopulmonale Reanimation einleiten, siehe Kap. ▶ 23.2), Herzwandaneurysma, Papillarmuskelabriss

44.5.2.3 Diagnostik In der Akutsituation Anamnese (typische Symptomatik) Messung der Vitalparameter 12-Kanal-EKG (ST-Strecken-Veränderungen, Herzrhythmusstörungen) Labor (Troponin, CK/CK-MB) transthorakale Echokardiografie (z.B. Wandbewegungsstörungen?) Im weiteren Krankheitsverlauf Herzrhythmusstörungen erkennen (regelmäßige Pulskontrolle) Symptome der Herzinsuffizienz erkennen (Beinödeme, Lungenödem, verminderte körperliche Belastbarkeit)

44.5.2.4 Therapie In der Akutsituation

Akut-PTCA zusätzlich medikamentöse Begleittherapie: 75–250 mg ASS i.v. (150–300mg oral), 5000 IE Heparin i.v., bei RRsyst. > 100 mmHg: Nitro-Spray s.l., Morphin i.v., ggf. Betablocker i.v., Sauerstoff bei SpO2 < 90 %

Merke Medikamente bei Infarkt Die wichtigsten Notfallmaßnahmen beim Herzinfarkt lassen sich gut mit der Eselsbrücke „Monas BH“ merken: Morphin, O2, Nitro-Spray, ASS, Betablocker, Heparin. ▶ Im weiteren Krankheitsverlauf. Medikamentöse Dauertherapie nach einem Herzinfarkt: Betablocker, ACEHemmer, zusätzlich gerinnungshemmende Medikamente (z.B. Ticagrelor, Prasugrel), Nitrate und Statine.

44.5.2.5 Spezielle Pflege Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Herzinfarkt: In der Akutsituation Patienten möglichst nicht allein lassen und Ruhe vermitteln Positionierung in Herzbettlage 2–3 l Sauerstoff bei SpO2 < 90 % verabreichen kontinuierliches Monitor-EKG, Pulsoxymetrie, Blutdruckmessung, im Verlauf 12-Kanal-EKG i.v.-Zugang legen (lassen) Blutentnahme vorbereiten (Troponin, CK/CK-MB, Gerinnung, Blutbild, Elektrolyte) Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z.B. ASS, Nitro-Spray, Heparin) auf Arztanordnung Anmeldung der Akut-PTCA und Verlegung in Arztbegleitung anschließend intensivmedizinische Überwachung

Im weiteren Krankheitsverlauf 1–2 Tage nach der Akut-PTCA Verlegung auf Normalstation ggf. Monitor-EKG über mehrere Tage nach dem Akutereignis insgesamt ruhiges Umfeld schaffen, Stress vermeiden Mobilisation: individuelle Frühmobilisation, in aufsteigenden Mobilisationsstufen, je nach Belastungsgrenze des Patienten (in Zusammenarbeit mit der Physiotherapie) siehe auch ▶ „Spezielle Pflege bei KHK“

KOMPAKT Herzinfarkt Ursache: Ein Herzinfarkt ist meist Zeichen einer fortgeschrittenen KHK mit koronarem Gefäßverschluss und nachfolgender Herzmuskelnekrose. Symptome: wie schwere instabile Angina pectoris; stumme Infarkte jedoch möglich Diagnostik: Abgrenzung einer instabilen Angina pectoris von einem Herzinfarkt oft nur durch EKG (ST-Hebungen) und Labor (v.a. Troponin) möglich Therapie: v.a. Akut-PTCA. Zusätzlich medikamentöse Begleittherapie: Morphin, O2, Nitro-Spray, ASS, ggf. Betablocker, Heparin (Monas BH). Pflege: Positionierung in Herzbettlage, Patienten nicht allein lassen, Medikamentenmanagement, später: Frühmobilisation

44.5.3 Herzinsuffizienz Definition Herzinsuffizienz

Bei der Herzinsuffizienz reicht die Pumpfunktion des Herzens nicht mehr aus, um genügend Blut auszuwerfen. Das Blut staut sich daher in den dahinter liegenden Kreislauf (Lungen-/Körperkreislauf). Die Herzinsuffizienz ist Folge verschiedener anderer Herzerkrankungen – z.B. einer KHK.

44.5.3.1 Ursachen Akute Herzinsuffizienz Herzinfarkt Herzrhythmusstörungen Herzmuskelentzündung akute Verschlechterung einer chronischen Herzinsuffizienz Chronische Herzinsuffizienz KHK oder Bluthochdruck (häufigste Ursache) Kardiomyopathie (primäre oder sekundäre Erkrankung der Herzmuskulatur) angeborene/erworbene Herzklappenfehler (selten)

44.5.3.2 Symptome Akute Herzinsuffizienz starke Luftnot (u.a. durch Lungenödem) Kreislaufversagen (kardiogener Schock) ▶ Chronische Herzinsuffizienz. Die Symptome unterscheiden sich, je nachdem welcher Teil des Herzens betroffen ist: Leistungsminderung, Erschöpfbarkeit und Schwäche Rechtsherzinsuffizienz (das Blut staut sich in den Körperkreislauf zurück): Beinödeme Halsvenenstauung Stauungsleber, Stauungsgastritis (mit Appetitlosigkeit, abdominalen Beschwerden)

Linksherzinsuffizienz (das Blut staut sich in den Lungenkreislauf zurück): Lungenödem und Dyspnoe Stauungspneumonie Im Stationsalltag sieht man meist Patienten mit Globalinsuffizienz. Hierbei vermischen sich Links- und Rechtsherzinsuffizienz zu einem gemeinsamen Bild. ▶ NYHA-Klassifikation. Die chronische Herzinsuffizienz wird in 4 Schweregrade eingeteilt. Die Einteilung wurde durch die New York Heart Association eingeführt und wird daher als NYHAKlassifikation bezeichnet: NYHA I: keine Symptome im Alltag. Die verminderte Pumpfunktion zeigt sich lediglich in der Echokardiografie. NYHA II: Auftreten von Symptomen nur unter stärkerer, körperlicher Belastung NYHA III: Auftreten von Symptomen bei leichter Belastung NYHA IV: dauerhafte Symptome, auch in Ruhe ▶ Kompensierte oder dekompensierte Herzinsuffizienz. Zusätzlich wird bei der chronischen Herzinsuffizienz unterschieden, ob der Körper es durch entlastende Mechanismen (z.B. Herzhypertrophie) schafft, die unzureichende Pumpfunktion zu kompensieren: kompensierte Herzinsuffizienz: Die Symptome sind gleichbleibend. Die Erkrankung ist medikamentös gut eingestellt. dekompensierte Herzinsuffizienz: Die Symptomatik wird stärker. Der Patient muss meist im Krankenhaus behandelt werden.

44.5.3.3 Diagnostik Echokardiografie: Einschätzung der Pumpfunktion Röntgen-Thorax: Einschätzung der Herzgröße Blutuntersuchung: Durch den Blutrückstau werden bestimmte Stoffe (z.B. BNP) freigesetzt.

EKG und Langzeit-EKG: Nachweis von Herzrhythmusstörungen Koronarangiografie: Nachweis einer (auslöschenden) ischämischen Kardiomyopathie

44.5.3.4 Therapie ▶ Generell. Behandlung der verursachenden Grunderkrankung (z.B. Implantation eines Stents bei KHK). ▶ Akute Herzinsuffizienz. Behandlung der lebensbedrohlichen Symptome des kardialen Lungenödems und des kardiogenen Schocks: Sauerstoff Schleifendiuretika (Furosemid) Katecholamine (z.B. Dobutamin) Verlegung auf die Intensivstation ggf. Beatmung ggf. extrakorporale Verfahren (VA-ECMO) Chronische Herzinsuffizienz medikamentöse Entlastung des Herzens, z.B. mit ACEHemmer, Betablocker, Diuretika, ggf. Digitalispräparate ggf. Herzschrittmacher operative Maßnahmen: z.B. koronarer Bypass bei KHK, Herzklappenrekonstruktion bzw. -ersatz bei Herzklappenfehlern (offenchirurgisch oder minimalinvasiv) oder (als Ultima Ratio) Herztransplantation ggf. als Überbrückung zur Transplantation: Einsatz extrakorporaler Verfahren (z.B. LVAD-Systeme)

44.5.3.5 Spezielle Pflege Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Herzinsuffizienz: Akute Herzinsuffizienz Patienten möglichst nicht allein lassen und Ruhe vermitteln

Positionierung in Herzbettlage 2–3 l Sauerstoff verabreichen (auf Arztanordnung) Vitalparameter erheben (inkl. Sauerstoffsättigung), ggf. Monitoring, EKG schreiben i.v.-Zugang legen (lassen) Blutentnahme vorbereiten (Troponin, CK/CK-MB, Gerinnung, Blutbild, Elektrolyte) Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z.B. Furosemid, Dobutamin) auf Arztanordnung Verlegung auf die Intensivstation (in Arztbegleitung) ggf. perioperative Pflege bei operativem Eingriff (siehe Kap. ▶ 39) Chronische Herzinsuffizienz Beobachtung: Atmung: Dyspnoe, (Reiz-)Husten, schaumiger Auswurf, Rasselgeräusche, Zyanose → kann auf ein beginnendes Lungenödem hindeuten Gewicht: tägliche Gewichtskontrollen, um Wassereinlagerungen (Ödeme) schnell zu erkennen Bilanzierung: ▶ Ein- und Ausfuhr bilanzieren, ggf. Flüssigkeitsbeschränkung berücksichtigen Mobilisation: körperliche Schonung, ggf. Bettruhe (auf Arztanordnung) auf eine Digitalisüberdosierung achten: Übelkeit und Erbrechen, Farbsehstörungen, Bradykardie bis hin zur Asystolie (Herzstillstand), Bewusstseinsveränderungen und Halluzinationen Obstipationsprophylaxe: bei eingeschränkter Flüssigkeitszufuhr (siehe Kap. ▶ 17.11)

KOMPAKT Herzinsuffizienz

Die Herzinsuffizienz ist Ausdruck einer verminderten kardialen Pumpfunktion. Eine Herzinsuffizienz kann akut oder chronisch einsetzen. Die Symptome der akuten Herzinsuffizienz sind akut lebensbedrohlich (kardiales Lungenödem und kardiogener Schock). Je nachdem, welche Herzhälfte betroffen ist, staut sich das Blut in den Lungen- (Linksherzinsuffizienz) oder den Körperkreislauf (Rechtsherzinsuffizienz). Therapie und Pflege richten sich nach der verursachenden Grunderkrankung (oft KHK). Ansonsten: herzentlastende Therapie (v.a. Sauerstoff, Herzbettlage, herzstärkende bzw. entlastende Medikamente), ggf. Schrittmacher oder operative Maßnahmen (Klappen-OP, Herztransplantation)

44.5.4 Herzrhythmusstörungen Definition Herzrhythmusstörungen Gestörte Herzfrequenz und/oder Unregelmäßigkeit im Herzschlag, verursacht durch eine Störung des Reizbildungs-/Reizleitungssystems. Unterschieden werden tachykarde, bradykarde und/oder arrhythmische Herzrhythmusstörungen. Eine häufige Herzrhythmusstörung ist das Vorhofflimmern. Eine weitere ist das lebensbedrohliche Kammerflimmern.

44.5.4.1 Ursachen Störung im Reizbildungs-/Reizleitungssystem des Herzens. Der normale Erregungsablauf ist gestört. Konkret werden unterschieden: kardiale Ursachen: KHK, Herzklappenfehler, Herzmuskelerkrankungen supraventrikulär: Die Ursache liegt im Bereich der Herzvorhöfe.

ventrikulär: Die Ursache liegt im Bereich der Herzkammern. extrakardiale Ursachen: Hormone, Medikamente, Elektrolytstörungen

44.5.4.2 Symptome Oft bemerkt der Patient von der Herzrhythmusstörung relativ wenig. Möglich sind jedoch Palpitationen (unregelmäßiger und spürbarer Herzschlag).

ACHTUNG Herzrhythmusstörungen werden oft erst durch eine mögliche Komplikation erkannt.

44.5.4.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Synkope (plötzliche Bewusstlosigkeit, siehe Kap. ▶ 23.1.9): Bewirkt die Herzrhythmusstörung den Ausfall einer oder mehrerer Herzaktionen, bleibt das Herz für einige Sekunden stehen und der Patient wird plötzlich kurzzeitig bewusstlos. Schlaganfall (siehe Kap. ▶ 52.6.1): Bestimmte Herzrhythmusstörungen (z.B. Vorhofflimmern) können über einen veränderten Blutfluss im Herzen zur Bildung von Blutgerinnseln führen. Lösen sich von diesen Blutgerinnseln kleine Stücke ab, werden sie in den Körperkreislauf geschwemmt und können ein Blutgefäß im Gehirn verschließen. In der Folge kommt es zum Schlaganfall. Herz-/Kreislaufstillstand: Manche tachykarde Herzrhythmusstörungen können einen Herz-/Kreislaufstillstand herbeiführen (z.B. Kammerflimmern). Hierbei schlägt das Herz so schnell, dass es effektiv kein Blut mehr auswerfen kann – der Kreislauf bricht zusammen.

44.5.4.4 Diagnostik Wichtig ist die herkömmliche Messung der Pulsfrequenz. Hierdurch können Frequenz (Tachykardie? Bradykardie?) und Rhythmus (rhythmisch? arrhythmisch?) des Herzschlags analysiert

werden. Apparativ werden zusätzlich EKG und Langzeit-EKG angewendet ( ▶ Abb. 44.3). Ruhe-EKG (Normalbefund). Abb. 44.3 EKG-Normalbefund ohne Rhythmusstörungen. (Aus: Trappe H-J, Schuster H-P. EKG-Kurs für Isabel. Thieme; 2020)

Der Herzschlag wird nach diesem Schema beschrieben: Beschreibung der Frequenz normofrequent: 60–80 Schläge/min Bradykardie: < 60 Schläge/min Tachykardie: > 100 Schläge/min Beschreibung des Rhythmus Abstand zwischen zwei Pulsschlägen bzw. zwei R-Zacken im EKG gleich: rhythmische Herzaktion Abstand zwischen zwei Pulsschlägen bzw. zwei R-Zacken im EKG variiert: arrhythmische Herzaktion Kombinationen Bradyarrhythmie = zu niedrige Frequenz + arrhythmisch Tachyarrhythmie = zu hohe Frequenz + arrhythmisch

Im weiteren Verlauf können Koronarangiografie und Echokardiografie nötig sein, um eine verursachende ▶ KHK oder ▶ Herzklappenfehler zu diagnostizieren. Kann dabei nicht die Ursache der Herzrhythmusstörung gefunden werden, kommen spezielle elektrophysiologische Untersuchungen im Herzkatheterlabor zum Einsatz.

44.5.4.5 Therapie Für eine adäquate Therapie muss zunächst geklärt werden, um welche Herzrhythmusstörung es sich genau handelt. Diese Analyse ist oft dadurch erschwert, dass sich die Störungen nur temporär zeigen, z.B. unter Belastung. Sie sollten daher durch Pulsmessung und durch Beobachtung des Monitor-EKGs erkennen können, wann eine Rhythmusstörung auftritt, um dann den Arzt zu informieren. Die anschließende Therapie erfolgt medikamentös oder via Herzschrittmacher: Medikamente: bei bradykarden Herzrhythmusstörungen: z.B. Parasympatholytika wie Atropin oder Sympathomimetika wie Alupent (Wirkung über das vegetative Nervensystem) bei tachykarden Herzrhythmusstörungen: z.B. Betarezeptorenblocker wie Lopresor oder Kaliumkanalblocker wie Amiodaron (Wirkung über Blockade bestimmter Elektrolytkanäle am Reizleitungs-/Reizbildungssystem) Herzschrittmacher: permanenter Herzschrittmacher: wird unter die Haut implantiert und verbleibt dort passagerer Herzschrittmacher: meist nur auf Intensivstationen verwendet. Die Steuerungseinheit befindet sich außerhalb des Körpers. Die elektrischen Sonden verlaufen wie ein zentraler Venenkatheter über ein Blutgefäß zum Herzen.

44.5.4.6 Spezielle Pflege Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit

Herzrhythmusstörungen: Beobachtung: Pulsschläge eine volle Minute zählen, um Herzrhythmusstörungen erkennen zu können. Monitor-/Ruhe-EKG auf Arztanordnung Antiarrhythmika-Therapie: Medikamente können andere Formen von Rhythmusstörungen auslösen Sturzprophylaxe: aufgrund des erhöhten Risikos von Synkopen (siehe Kap. ▶ 17.14) bei Herzschrittmacher-Implantation: Wundkontrolle und Verbandwechsel, Anleiten und Beraten: Infektionen erkennen, Umgang mit elektronischen Geräten und Magnetfeldern

KOMPAKT Herzrhythmusstörungen Herzrhythmusstörungen sind Ausdruck eines gestörten Reizleitungs-/Reizbildungssystems. mögliche schwerwiegende Folgen: Synkope, Schlaganfall oder Herz-/Kreislaufstillstand Analyse der Herzrhythmusstörung nach Frequenz und Rhythmus durch Pulsmessung und EKG Therapie: Medikamente oder Implantation eines Herzschrittmachers Pflege: Vitalparameter engmaschig kontrollieren, Sturzprophylaxe

44.5.5 Entzündliche Herzerkrankungen 44.5.5.1 Akut bakterielle Endokarditis Entzündung von Herzinnenhaut und Herzklappen Ursachen: oft durch Streptokokken

Symptome: Abgeschlagenheit, hohes Fieber, Dyspnoe sowie ein erhöhtes Schlaganfallrisiko durch septische Embolien; ggf. Petechien (Knötchen durch Mikroembolien, z.B. an den Fingern) und Nierenbeteiligung mit Protein- und Hämaturie Diagnostik: Abnahme von Blutkulturen sowie eine transösophageale Echokardiografie; DD: nicht infektiöse Endokarditis, z.B. durch autoimmune Kreuzreaktion Komplikation: bleibende Schädigung der Herzklappen; Herzinsuffizienz Therapie: Antibiotika Pflege: ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen Temperaturen regelmäßig kontrollieren, ggf. Materialien für Blutkulturen richten, bei Fieberanstieg Info an Arzt Unterstützung bei allen Einschränkungen Bettruhe nach Arztanordnung, später nach Arztanordnung mobilisieren

44.5.5.2 Myokarditis/Perikarditis Entzündung von Herzmuskel oder Herzbeutel Ursachen: meist Viren, manchmal Pilze, Parasiten, rheumatische Grunderkrankung Symptome: Herzrasen, Herzklopfen, Herzschmerzen, Leistungsschwäche Komplikation: Perikarderguss, Herzinsuffizienz, maligne Herzrhythmusstörungen Therapie: oft keine kausale Therapie möglich; lediglich symptomatische Unterstützung Pflege: ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen Temperaturen regelmäßig kontrollieren

44.5.6 Erkrankungen der Herzklappen

Erkrankungen der Herzklappen können alle 4 Klappen betreffen. Gestört ist entweder der Herzklappenschluss (Insuffizienz) oder die Öffnungsfähigkeit (Stenose) der erkrankten Klappe. Das linke Herz (Aorten- und Mitralklappe) ist prozentual häufiger betroffen als das rechte Herz. Die Aortenklappenstenose ist die häufigste Herzklappenerkrankung. Ursachen: angeboren, Endokarditiden, Z. n. Herzinfarkt, allg. Arteriosklerose Symptome: Betroffene bemerken die Erkrankung oft lange Zeit nicht, dann Zeichen der Herzinsuffizienz (z.B. Belastungsdyspnoe), je nach Klappenfehler z.B. Bluthusten, Schwindel, Blässe, Zyanose, veränderte Blutdruckamplitude (groß: Aorteninsuffizienz; klein: Aortenstenose) Diagnostik: Auskultation (Herzgeräusche!), Echokardiografie Komplikation: Herzinsuffizienz Therapie: symptomatisch und medikamentös; ggf. operativer Herzklappenersatz Pflege: ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen perioperative Pflege (siehe Kap. ▶ 39)

44.5.7 Angeborene Herzfehler 44.5.7.1 Ursachen Angeborene Herzfehler entstehen durch Fehler während der embryonalen Herzentwicklung. Sie kommen bei chromosomalen Störungen (z.B. Trisomie 21) gehäuft vor, Infektionen, Medikamenteneinnahme oder Drogenkonsum während der Schwangerschaft können ebenfalls Ursachen sein. Informationen zum fetalen Kreislauf finden Sie in Kap. ▶ 45 „Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems“.

44.5.7.2 Pathophysiologie

Bei vielen angeborenen Herzfehlern nimmt das Blut nicht den gewohnten Weg durch das Herz. Stattdessen gelangt es z.B. durch Löcher in der Herzscheidewand (Septum) vorschnell von den rechten Herzhöhlen in die linken Herzhöhlen oder umgekehrt. Der vorschnelle Übertritt von Blut aus einer Herzhälfte in die andere (z.B. von Rechts nach Links), unter Umgehung des Lungenkreislaufs, wird als Shunt bezeichnet. Man unterteilt in: ▶ Rechts-links-Shunt. Hierbei umgeht das Blut die Lunge und kann daher nicht mit Sauerstoff angereichert werden. Einige Klassifikationen bezeichnen diese Herzfehler daher auch als zyanotische Herzfehler. Hierzu zählen z.B.: Fallot-Tetralogie: Kombination aus Ventrikelseptumdefekt, Pulmonalklappenstenose, verdicktem rechten Herzen (sog. rechtsventrikuläre Hypertrophie) und einer nach rechts verlagerten Aorta (sog. überreitende Aorta). Die Fallot’sche Tetralogie gehört mit zu den schlimmsten Herzfehlern und erfordert mehrere Operationen zur Korrektur. Hypoplastisches Linksherzsyndrom: Das linke Herz ist unterentwickelt (hypoplastisch). Deswegen fließt das Blut aus dem Lungenkreislauf bereits über den offenen Ductus arteriosus in die Aorta. ▶ Links-rechts Shunt. Hierbei gelangt ein Teil des oxygenierten Blutes vom linken Herzen (höherer Druck) zurück ins rechte Herz (niedrigerer Druck). Die Oxygenierung des Blutes durch die Passage des Lungenkreislaufs wird also nicht beeinflusst. Aus diesem Grund werden diese Herzfehler auch als azyanotische Herzfehler bezeichnet. Hierzu zählen z.B.: Ventrikelseptumdefekt (VSD): Durch ein Loch in der Herzscheidewand auf Höhe der Kammern strömt Blut vom muskelstärkeren linken Herzen zurück ins rechte Herz. Vorhofseptumdefekt: Durch ein Loch in der Herzscheidewand auf Höhe der Vorhöfe strömt Blut vom muskelstärkeren linken Herzen zurück ins rechte Herz. Teilweise ist ein nicht vollständig verwachsenes Foramen ovale für den Herzfehler verantwortlich (sog. persistierendes Foramen ovale). Persistierender Ductus arteriosus: Durch einen nach der Geburt nicht vollständig verschlossenen Ductus arteriosus

gelangt Blut aus der Aorta zurück in die Lungenstrombahn. ▶ Herzfehler ohne Shunt. Hierzu zählen z.B.: Pulmonalklappenstenose: Die Pulmonalklappe ist verengt, wodurch das rechte Herz mehr Kraft aufwenden muss, um das Blut in den Lungenkreislauf auszuwerfen. Aortenklappenstenose: Die Aortenklappe ist verengt, wodurch das linke Herz mehr Kraft aufwenden muss, um das Blut in den Körperkreislauf auszuwerfen.

44.5.7.3 Symptome, Therapie und Pflege Kinder mit angeborenen Herzfehlern haben häufig eine Trinkschwäche. Um eine normale Entwicklung zu gewährleisten, werden die Defekte teilweise schon wenige Tage nach der Geburt operativ versorgt. Folgende Aspekte sind bei der Pflege wichtig: Wahrnehmen und Beobachten: Überwachung (Herzfrequenz, Atmung, Zyanose?) und perioperative Versorgung des Kindes, Trinkverhalten und Trinkfähigkeit Ernährung: mehrere kleine Mahlzeiten, ggf. Muttermilch über Magensonde psychosoziale Begleitung: Begleitung der Eltern und Geschwisterkinder

44.5.8 Perioperative Pflege bei Herz-OPs Beachten Sie auch die allgemeine perioperative Pflege (siehe Kap. ▶ 39)

44.5.8.1 Präoperative Pflege postoperative Fähigkeiten einüben (z.B. Umgang mit Thoraxdrainagen, En-bloc-Aufstehen, Pneumonieprophylaxe mittels Tri-Flow) kardiologische Untersuchungsberichte bereitlegen (z.B. EKG, Echokardiografie, Koronarangiografie) Rasur von Brust und Abdomen; ggf. des Beines bei Venenentnahme aus dem Bein

44.5.8.2 Postoperative Pflege Bei Bypass-OP: Beobachtung von Sternalcerclagen und Thoraxdrainagen täglicher Verbandwechsel langes Taubheitsgefühl im Bereich der Brust möglich Reha-Aufenthalt nach der OP

45 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems

45.1 Anatomie und Physiologie des Kreislauf- und Gefäßsystems 45.1.1 Aufgaben Über das Gefäß- bzw. Kreislaufsystem fließt Blut zu den Organen und zurück. Dieses geschlossene System aus Arterien, Venen und Kapillaren bildet die Grundlage für den Stofftransport innerhalb des Körpers. Es bringt Sauerstoff und Nährstoffe zu den einzelnen Organen und im Gegenzug CO2 und Abbauprodukte zu Lunge und Leber. Angetrieben wird es durch eine kräftige Pumpe – das Herz.

45.1.2 Aufbau Das Kreislaufsystem besteht aus 2 Anteilen, dem Körperund dem Lungenkreislauf ( ▶ Abb. 45.1). Körper- und Lungenkreislauf mit großen Arterien und Venen. Abb. 45.1 Schema des großen und kleinen Kreislaufs mit den wichtigsten großen Arterien und Venen. (Aus: Faller A, Schünke M. Der Körper des Menschen. Stuttgart: Thieme; 2020)

Es gibt 3 Arten von Blutgefäßen.

45.1.2.1 Arterien führen vom Herzen weg

bilden im Körperkreislauf das sog. Hochdrucksystem (mittlerer Druck 100 mmHg) führen im Körperkreislauf sauerstoffreiches und im Lungenkreislauf sauerstoffarmes Blut enthalten lediglich 15 % des gesamten Blutvolumens (sog. Widerstandsgefäße) ermöglichen Puls- und Blutdruckmessung haben relativ dicke Wände, die dem hohen Druck standhalten können sind vom „elastischen Typ“ oder vom „muskulären Typ“: elastisch: v.a. herznahe Arterien (z.B. Aorta) – dehnen sich bei der Systole aus und geben in der Diastole das aufgenommene Blut gleichmäßig ab (sog. Windkesselfunktion) muskulär: v.a. herzferne Arterien – können durch Anspannung den Durchmesser verändern und regulieren so die Organdurchblutung

45.1.2.2 Venen führen zum Herzen hin bilden im Körperkreislauf das sog. Niederdrucksystem (mittlerer Druck 20 mmHg) führen im Körperkreislauf sauerstoffarmes und im Lungenkreislauf sauerstoffreiches Blut enthalten 85 % des gesamten Blutvolumens (sog. Kapazitätsgefäße) haben im Vergleich zu Arterien eine relativ dünne Wand gewährleisten den venösen Rückfluss zum Herzen durch: arteriovenöse Kopplung: Parallel verlaufende Arterien befördern durch ihre Pulswelle auch den Weitertransport des venösen Blutes.

Muskelpumpe: Besonders im Bereich der Beine werden die Venen durch Kontraktion der Skelettmuskulatur komprimiert und das venöse Blut so weitertransportiert. Sogwirkung des rechten Vorhofs

45.1.2.3 Kapillaren bilden ein Netz aus kleinsten Blutgefäßen in Organen und Geweben sind der Ort des Gas- und Nährstoffaustauschs (sog. Mikrozirkulation) haben eine sehr dünne Wand (nur Endothelzellschicht) finden sich v.a. in Organen und Geweben mit hoher Stoffwechselaktivität (z.B. Leber, Nieren, Muskel). Gewebe mit niedriger Stoffwechselaktivität (z.B. Knorpel) haben dagegen nur wenige Kapillaren.

45.1.3 Große Gefäße des Körperkreislaufs 45.1.3.1 Große Arterien Das sauerstoffreiche Blut des linken Ventrikels wird in die Aorta gepumpt. Diese verläuft im Bereich des hinteren Mediastinums (Brustaorta) und setzt sich anschließend in den Bauchraum (Bauchaorta) fort. Von ihr zweigen alle wichtigen Gefäße ab ( ▶ Abb. 45.2). Große Arterien des Körperkreislaufs. Abb. 45.2  (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

45.1.3.2 Große Venen Die Venen des Körperkreislaufs führen das sauerstoffarme Blut zum rechten Herzen zurück. Sie entsprechen in ihrem Verlauf und Namen meist den begleitenden Arterien. Eine Besonderheit bilden u.a. das Pfortadersystem und das Venensystem der Beine. Alle Venen münden über die untere und obere Hohlvene in den rechten Vorhof ( ▶ Abb. 45.3). Große Venen des Körperkreislaufs. Abb. 45.3  (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

45.1.4 Gefäßfunktionen Transport und Abtransport von (u.a.) Sauerstoff, Nährstoffen, Immunzellen und Stoffwechselprodukten Regulation der Organdurchblutung: Abhängig von seiner Stoffwechselleistung benötigt nicht jedes Organ zu jeder Zeit gleich viel Blut. So benötigt der Darm beispielsweise nach einer Mahlzeit mehr Blut als während sportlicher Betätigung. Das Kreislaufsystem hat durch die muskelstarke Wand der Arterien 2 Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Vasodilatation: Weitstellung des Gefäßes erhöht die Organdurchblutung, z.B. bei vermehrter Ausschüttung von NO (Stickstoffmonoxid) aus dem Gefäßendothel oder erhöhter Konzentration von Laktat und CO2. Beispiel: Ein Sportler geht joggen. Seine Muskeln arbeiten. Um diese Leistung zu erbringen, benötigen sie mehr Blut. Durch die Aktivität wird Laktat produziert. Außerdem steigt die Menge an CO2. Hierdurch entspannt sich die Wand der zuführenden Arterien – es kommt zur Vasodilatation. Die Muskeln werden stärker durchblutet – und damit leistungsfähiger. Vasokonstriktion: Engstellung des Gefäßes verringert die Organdurchblutung, z.B. bei vermehrter Ausschüttung von Adrenalin (Sympathikusaktivierung) oder Angiotensin. Regulation des Blutdrucks: Im Normalfall liegt der Blutdruck bei etwa 120/80 mmHg. Die Höhe des Blutdrucks hängt vom Herzzeitvolumen (Schlagvolumen ×Herzfrequenz), der Gesamtblutmenge und dem Gefäßwiderstand des arteriellen Systems ab.

Der Körper kontrolliert seinen Blutdruck über „Messstationen“. Sie befinden sich im Bereich der Karotisgabel, der A. subclavia, des Aortenbogens sowie in der Wand des rechten Vorhofs. Aus den Faktoren Herzzeitvolumen, Gesamtblutmenge und Gefäßwiderstand ergeben sich 3 Mechanismen der Blutdruckregulation: 1. Änderung der Herzfrequenz (Beispiel: Aktivierung des Sympathikus → höhere Herzfrequenz → erhöhtes Herzzeitvolumen) 2. Änderung des Blutvolumens (Beispiel: Freisetzung von Aldosteron über das ReninAngiotensin-Aldosteron-System [RAAS] → Wasserausscheidung durch die Nieren sinkt → Erhöhung des Blutvolumens → höherer Blutdruck) 3. Änderung des Gefäßdurchmessers und damit des Gesamtwiderstands (Beispiel: Dämpfung des Sympathikus → größerer Gefäßdurchmesser → kleinerer Gesamtwiderstand → Blutdruck sinkt)

45.1.5 Fetaler Kreislauf Weil das ungeborene Kind von Fruchtwasser umgeben ist, kann es keine Luft atmen. Durch die Lunge fließt nur sehr wenig Blut. Den benötigten Sauerstoff erhält das Kind über das Blut der Mutter. Die Schaltstelle zwischen kindlichem und mütterlichem Blut ist die Plazenta. Von hier verlaufen 3 Blutgefäße zum Kind ( ▶ Abb. 45.4): eine Nabelvene verläuft zwischen Plazenta und kindlicher Leber und mündet über den Ductus venosus in die untere Hohlvene. Die Nabelvene transportiert sauerstoff- und nährstoffreiches Blut zum Kind.

zwei Nabelarterien verlaufen zwischen den Beinarterien des Kindes und der Plazenta. Sie transportieren sauerstoff- und nährstoffarmes Blut vom Kind weg. Die Umgehung der aus dem Kreislauf „ausgeschalteten“ Lunge wird gewährleistet durch: das Foramen ovale: Kurzschlussverbindung zwischen rechtem und linkem Vorhof den Ductus arteriosus Botalli: Kurzschlussverbindung zwischen Lungenarterie und Aorta Hieraus ergibt sich für den Blutfluss des ungeborenen Kindes folgender Verlauf: Plazenta → Nabelvene → Ductus venosus → untere Hohlvene → re. Vorhof → über das Foramen ovale in den linken Vorhof oder über die rechte Kammer, die Lungenarterie und den Ductus arteriosus Botalli → in die Aorta → periphere Arterien → Nabelarterien → Plazenta Fetaler und kindlicher Kreislauf. Abb. 45.4 Nach der Geburt verschließen sich Nabelvene, Nabelarterie, Foramen ovale, Ductus arteriosus Botalli und das Blut nimmt seinen gewohnten Verlauf. (Aus: Schwegler J, Lucius R, Hrsg. Der Mensch – Anatomie und Physiologie. 6. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2015)

Ein nicht vollständig verwachsenes Foramen ovale ist eine Ursache für ▶ angeborene Herzfehler.

45.1.6 Lymphgefäßsystem Über die dünne Wand der Blutkapillaren tritt ständig Flüssigkeit aus dem Blut in das Gewebe über. Ein Großteil (90 %) wird durch das venöse System resorbiert und nimmt anschließend seinen gewohnten Weg Richtung Herz. Der Rest (10 %) wird von Lymphgefäßen aufgenommen und auf diese Weise zurück in das Blutgefäßsystem geführt. Das Lymphgefäßsystem ist im Gegensatz zum Kreislaufsystem kein geschlossener Kreislauf. Seine Gefäße beginnen frei im Gewebe und münden im rechten und linken Venenwinkel in das venöse Blutgefäßsystem (jeweils an der Einmündung der Vv. jugulares). Auf diesem Weg

durchfließen sie mehrere Lymphknoten (siehe auch Kap. ▶ 50.1.4).

45.2 Pflegebasismaßnahmen Wahrnehmen und Beobachten: Vitalparameter regelmäßig (ggf. auch mehrmals täglich) messen. Blutdruck bei Patienten mit neu diagnostizierter Hypertonie, zu Therapiebeginn, an beiden Armen messen. Mobilisation, Positionierung und Schlaf: Bei Erkrankungen der Arterien (z.B. pAVK) wird die betroffene Extremität tief-, bei Erkrankungen der Venen (z.B. chronisch venöse Insuffizienz) dagegen hochgelagert. Prophylaxen: Insbesondere ist auf die Thromboseprophylaxe zu achten. Ggf. muss bei der Anwendung von hochmolekularem Heparin regelmäßig die pTT kontrolliert werden. Bei Gefäßerkrankungen, die eine Störung der Durchblutung bedingen (z.B. pAVK, CVI), ist verstärkt auf Dekubitusprophylaxe zu achten. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Risikofaktoren minimieren (z.B. Beratung hinsichtlich Raucherentwöhnungsprogramme der Krankenkassen oder für regelmäßiges Ausdauertraining), Medikamentenmanagement und Blutungsprophylaxe bei Patienten mit oraler Antikoagulation

45.3 Mitwirken bei der Diagnostik

45.3.1 Funktionsprüfungen Anhand von Lagerungsproben kann der Arzt die Funktion von Gefäßen und Kreislauf untersuchen. Alle Funktionsprüfungen sind rein qualitativer Natur und können lediglich einen ersten Anhalt für eine bestimmte Erkrankung liefern. Deshalb folgt auf die Funktionsprüfung meist noch eine weitere, apparative Untersuchung. Die wichtigsten Funktionsprüfungen: Prüfung der Kreislaufregulation: SchellongTest/Kipptisch-Untersuchung Prüfung der Arterien: z.B. Nagelbettprobe: zur Überprüfung der Durchblutung der Extremitäten im Notfall (Schock?). Durch kurzen Druck auf Finger-/Fußnagel blasst das darunterliegende Gewebe ab. Im Normalfall wird das Gewebe anschließend innerhalb von 2 Sekunden wieder rosig. Weitere: AllenTest, Ratschow-Lagerungsprobe. Gehtest/Laufbandtest Prüfung der Venen: Trendelenburg-Test, Perthes-Test

45.3.2 Ultraschalluntersuchungen Doppleruntersuchung/Gefäßdoppler: macht den Blutstrom im Gefäß hörbar. Anders als bei anderen Ultraschall-Untersuchungen wird jedoch kein Bild erzeugt. Die Analyse erfolgt allein anhand des pulssynchronen „Fauchens“. Doppler-Duplexsonografie: kombiniert den Ton der Doppleruntersuchung mit dem Bild der Sonografie. Die Untersuchung wird von allen hier genannten am häufigsten angewendet. Knöchel-Arm-Index vergleicht den Blutdruck an Armen und Beinen miteinander. Hieraus lassen sich

Rückschlüsse auf die Durchblutung der Beine ziehen.

45.3.3 Angiografie In das zu untersuchende Gefäß (Arterie oder Vene) wird Kontrastmittel injiziert. Dadurch lässt es sich auf dem Röntgenmonitor darstellen. Engstellen werden so direkt sichtbar gemacht. Weil das Kontrastmittel über die Nieren ausgeschieden wird, sollte vor der Untersuchung der Kreatininwert des Patienten bestimmt werden. Nach der Untersuchung kann die Ausscheidung des Kontrastmittels durch Infusionen gefördert werden.

45.4 Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems 45.4.1 Arterielle Hypertonie Definition Arterielle Hypertonie Über einen längeren Zeitraum bestehender, wiederholt gemessener, arterieller Blutdruck über 140/90 mmHg.

45.4.1.1 Ursachen primäre Hypertonie: keine auslösende Grunderkrankung („essenzielle Hypertonie“) häufig zusammen mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Rauchen)

genetische Disposition Männer sind häufiger betroffen sekundäre Hypertonie: als Folge einer anderen Erkrankung, wie z.B. einer Nierenerkrankung (z.B. Nierenarterienstenose), eines hormonproduzierenden Tumors oder eines Schlaf-Apnoe-Syndroms

45.4.1.2 Symptome Häufig verursacht die arterielle Hypertonie jahrzehntelang keine spezifischen Symptome. Dies macht die Erkrankung so gefährlich und verursacht bei den Patienten oft eine NonCompliance. Unspezifische Beschwerden können sein: Kopfschmerzen Schlafstörungen Schwindel Ohrensausen ggf. Belastungsdyspnoe

45.4.1.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Folgeerkrankungen Herzinsuffizienz und hypertensive Herzerkrankung Bildung arteriosklerotischer Plaques mit daraus resultierender KHK, pAVK, Nierenschädigung, Augenschädigung und Veränderungen an den Gehirngefäßen ▶ Notfall. Eine akute Komplikation ist der hypertensive Notfall. Dieser besteht, wenn der Blutdruck auf sehr hohe Werte ansteigt und zusätzlich folgende Symptome (sog. Endorganschädigung) auftreten: Verwirrtheit Kopfschmerzen

Ohrensausen Lungenödem (z.B. Dyspnoe, Zyanose, Rasselgeräusche, Panik) Schwindel Einblutungen in die Augen Angina pectoris (z.B. Brustschmerzen, Kaltschweißigkeit) Davon abzugrenzen ist die hypertensive Entgleisung, welche ebenfalls eine schwere Hypertonie (meist über 180/110 mmHg) bezeichnet, jedoch ohne Zeichen einer Endorganschädigung.

45.4.1.4 Diagnostik engmaschige Kontrolle der Vitalparameter Diagnose-Sicherung: 24-Stunden-Blutdruckmessung (syn. Langzeit-Blutdruck) oder mehrfache, unabhängige Messungen durch Arzt oder Patient selbst. Liegt hier der mittlere Wert über 140/90 mmHg, hat der Patient eine arterielle Hypertonie ( ▶ Tab. 45.1 ). anschließend: Ausschluss sekundärer Ursachen mittels Ultraschall, Röntgen und Labor Tab. 45.1 Klassifikation des Blutdrucks nach der WHO und ESC Leitlinie Hypertonie 2018. Klassifikation

systolischer Wert (mmHg) diastolischer Wert (mmHg)

optimaler Blutdruck

< 120

< 80

normaler Blutdruck

120–129

80–84

hochnormaler Blutdruck

130–139

85–89

milde Hypertonie (Stufe 1)

140–159

90–99

mittlere Hypertonie (Stufe 2) 160–179

100–109

schwere Hypertonie (Stufe 3) > 180

> 110

Die in ▶ Tab. 45.1  genannten Werte wurden für den erwachsenen Patienten entwickelt und sind für Kinder nicht anwendbar. In ▶ Tab. 45.2  werden die physiologischen Blutdruckwerte in verschiedenen Altersstufen angegeben. Tab. 45.2 Physiologische Blutdruckwerte in verschiedenen Altersstufen. Altersstufe in Jahren

Blutdruck (mmHg)

Frühgeborenes (Geburt vor der 37. SSW) 50/30 Neugeborenes (0–4 Wochen)

65/45

Säugling (< 1 Jahr)

80/50

Kleinkind (1–6 Jahre)

90/60

Schulkind (7–12 Jahre)

100/60

Jugendlicher (13–18 Jahre)

120/80

Aus: I care Pflege, Stuttgart: Thieme; 2020

45.4.1.5 Therapie Weil die arterielle Hypertonie meist über Jahrzehnte keine spezifischen Symptome verursacht, fühlen sich die Patienten häufig „gesund“. Dieses fehlende Krankheitsverständnis macht eine Therapie häufig schwierig. Der Patient sollte daher über seine Erkrankung aufgeklärt werden. Zu den therapeutischen Maßnahmen zählen: Basismaßnahmen: z.B. Bewegung, Gewichtssenkung, Alkohol meiden, Stress- und Salzreduktion Medikamente: v.a. ACE-Hemmer, AT1-RezeptorAntagonisten, Kalziumantagonisten, Betablocker bei hypertensivem Notfall: Urapidil, Nifedipin, ggf. NitroSpray

45.4.1.6 Pflege Beobachtung: mind. 2–3-mal täglich Vitalparameter kontrollieren auf Symptome eines hypertensiven Notfalls achten, um Maßnahmen schnell einleiten zu können

Ernährung: salz- und cholesterinarme Kost psychosoziale Begleitung: Stress vermeiden, für eine ruhige Atmosphäre sorgen, Gesprächsbereitschaft zeigen, Selbsthilfegruppen vermitteln Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: über Erkrankung und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) Möglichkeiten zur Reduzierung von Risikofaktoren (z.B. mit dem Rauchen aufhören, Gewicht reduzieren) und präventive Maßnahmen (z.B. regelmäßige Bewegung, Herzsportgruppen) Medikamentenwirkung und -nebenwirkung (siehe Kap. ▶ 20) über Symptome eines hypertensiven Notfalls informieren Verhalten im Notfall: Hilfe rufen, Notarzt informieren Anwendung der Notfallmedikamente (z.B. NitroSpray) Hypertensiver Notfall Arzt verständigen und Patienten nicht alleine lassen Patienten beruhigen und mit erhöhtem Oberkörper oder in Herzbettlage positionieren Monitor-EKG anlegen und Blutdruck überwachen 3–4 l Sauerstoff verabreichen auf Arztanordnung i.v.-Zugang legen (lassen) Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z.B. Nitrolingual, Urapidil, Nifedepin, Furosemid) auf Arztanordnung

ggf. Verlegung auf die Intensivstation

KOMPAKT Arterielle Hypertonie arterielle Hypertonie: Blutdruck liegt über eine längere Zeit > 140/90 mmHg. Diagnose: LangzeitBlutdruckmessung oder mehrfache Blutdruckmessungen durch Arzt oder Patient Die arterielle Hypertonie verursacht über eine lange Zeit keine Symptome. Langzeitschäden: Arteriosklerose (als Folge: u.a. KHK, Herzinfarkt, Schlaganfall) und Herzinsuffizienz hypertensiver Notfall: sehr hohe RR-Werte, Verwirrtheit, Kopfschmerzen etc. Therapie und Pflege: Nitro-Spray, Compliance fördern durch Information

45.4.2 Arterielle Hypotonie Definition Arterielle Hypotonie Eine Hypotonie liegt vor, wenn der systolische Blutdruck unter 100 mmHg abfällt. Hält dieser Zustand über längere Zeit an oder tritt er wiederholt auf, handelt es sich um eine chronische bzw. chronisch-rezidivierende Hypotonie. Kurzzeitig erniedrigte Blutdruckwerte werden als Hypotonus bezeichnet.

45.4.2.1 Ursachen

primäre Hypotonie: oft junge Frauen ohne sportliche Aktivität sekundäre Hypotonie: fehlerhafte antihypertensive Medikation (Überdosierung) Hypovolämie Hormonstörungen Herzerkrankungen

45.4.2.2 Symptome Die Patienten klagen über Schwindel, Kollapsneigung, geringe Kältetoleranz und allgemeine Abgeschlagenheit.

45.4.2.3 Therapie und Pflege Primäre Hypotonie regelmäßiges körperliches Ausdauertraining in Form von Laufen oder Schwimmen ausreichend Flüssigkeitszufuhr Betätigung der Muskel-Venen-Pumpe während des Stehens bzw. vor dem Aufstehen Wechselduschen, um den Kreislauf anzuregen Sekundäre Hypotonie Ursache identifizieren: z.B. hypertensive Medikation umstellen, Flüssigkeitshaushalt ausgleichen (z.B. mit Infusionen)

45.4.3 Periphere arterielle Verschlusskrankheit Definition

Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) Die pAVK ist eine chronische Erkrankung des Gefäßsystems mit fortschreitender, irreversibler Verengung oder Verschlüssen der Extremitätenarterien (90 % Beinarterien), meist infolge von Arteriosklerose.

45.4.3.1 Ursachen Typische kardiovaskuläre Risikofaktoren: Rauchen, ▶ Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Bewegungsmangel, erhöhte Blutfettwerte

45.4.3.2 Symptome Das typische Symptom der pAVK ist die Claudicatio intermittens. Hierunter versteht man bewegungsabhängige Beinschmerzen, die in Ruhe wieder nachlassen. Umgangssprachlich wird dieses Symptom auch als „Schaufensterkrankheit“ bezeichnet. In fortgeschrittenen Stadien verfärben sich betroffene Extremitäten blass und blau und fühlen sich kühl an. Im schlimmsten Fall kann eine Nekrose/Gangrän auftreten. Auf Basis der noch verbleibenden schmerzfreien Gehstrecke wird die pAVK nach Fontaine in 4 Stadien eingeteilt: Stadium I: keine Symptome Stadium IIa: Claudicatio intermittens mit einer schmerzfreien Gehstrecke von über 200 m Stadium IIb: Claudicatio intermittens mit einer schmerzfreien Gehstrecke von unter 200 m Stadium III: Ruheschmerz in Füßen und Beinen Stadium IV: Nekrose/Gangrän der betroffenen Extremität

45.4.3.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen ▶ akuter Arterienverschluss

erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) Nekrose/Gangrän als Ulcus cruris arteriosum (meist an den Zehen und am Knöchel → Autoamputation möglich)

45.4.3.4 Diagnostik bewegungsabhängige Beinschmerzen Knöchel-Arm-Index Duplexsonografie der Beinarterien (CT-)Angiografie

45.4.3.5 Therapie Die Therapie der pAVK ist abhängig vom Erkrankungsstadium: Stadium I: mehr Bewegung (Gehtraining, Gymnastik) Stadium II (Belastungsschmerz): Gehtraining (z.B. 3mal/Woche 30 min) bis an die individuelle Schmerzgrenze; bei fehlender Besserung ggf. angioplastische Rekanalisation Stadium III (Ruheschmerz): kein Gehtraining; angioplastische/gefäßchirurgische Rekanalisation; Schmerzmedikation Stadium IV (Ulkus/Gangrän): chirurgische Wundbehandlung (z.B. Nekrosenabtragung, Spalthautdeckung); gefäßchirurgische Rekanalisation Die medikamentöse Therapie beschränkt sich auf die Gabe von ASS/Clopidogrel zur Sekundärprävention. Zusätzlich können ggf. spezielle Vasodilatatoren (z.B. Naftidrofuryl) verabreicht werden.

45.4.3.6 Pflege

Beobachten: Haut des Patienten hinsichtlich Farbe und Temperatur beobachten Pulsstatus der Beine erheben (A. dorsalis pedis, A. tibialis posterior) Füße regelmäßig auf Verletzungen untersuchen Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Mobilisation: Gehtraining (Stadium II) bzw. eingeschränkte Bettruhe (Stadium III) betroffene Extremitäten tief positionieren Körperpflege: Haut nach dem Waschen sorgfältig trocknen, besonders zwischen den Zehenzwischenräumen Beine nicht einengen (z.B. keine Thromboseprophylaxestrümpfe, einschnürende Kleidung oder Schuhe) Prophylaxe: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandard Dekubitus-, Thrombose-, Kontrakturenprophylaxe: besonders bei bettlägerigen Patienten Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Erkrankung und möglicher Verlauf (zur Förderung der Compliance)

Möglichkeiten zur Reduzierung von Risikofaktoren (z.B. mit dem Rauchen aufhören, Gewicht reduzieren) und präventive Maßnahmen (z.B. regelmäßige Bewegung, Herzsportgruppen) Selbstpflege: z.B. keine Wechselduschen oder Vollbäder und gut trocknen (Haut soll nicht aufweichen), keine einschnürende Kleidung/Schuhe, Füße täglich auf Verletzungen untersuchen und tief positionieren, professionelle Fußpflege

KOMPAKT pAVK Ursache der pAVK ist eine Atherosklerose der Extremitätenarterien (v.a. der Beine) Risikofaktoren: Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Adipositas Einteilung nach Fontaine in 4 Stadien: keine Schmerzen, Bewegungsschmerz, Ruheschmerz, Ulkus Therapie: Gehtraining bis Stadium II, danach lediglich angioplastische/gefäßchirurgische Rekanalisation Pflege: Die Füße des Patienten sollten regelmäßig auf Verletzungen, Hauttemperatur und Farbe untersucht werden. Betroffene Extremitäten sollten tief gelagert werden. Keine Anwendung medizinischer Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS)

45.4.4 Akuter Arterienverschluss Definition

Akuter Arterienverschluss Akuter Verschluss eines arteriellen Gefäßes (z.B. Beinarterie, Lungenarterie, Gehirnarterie). Im Bereich der Gefäßerkrankungen ist dies der häufigste Notfall.

45.4.4.1 Ursachen Häufig: Embolie, d.h., Verschluss durch einen an anderer Stelle (z.B. intrakardial) entstandenen Thrombus Weniger häufig: fortschreitende Arteriosklerose mit vollständigem Gefäßverschluss

45.4.4.2 Symptome Die Symptome eines akuten Arterienverschlusses treten rasch und heftig auf. Sie variieren je nach Versorgungsgebiet des betroffenen Blutgefäßes. Zum Beispiel: Gehirn → ▶ Schlaganfall; Koronararterie → ▶ Herzinfarkt; Lungenarterien → ▶ Lungenembolie. Nach eingetretenem Gewebstod kann Besserung eintreten (sog. „fauler Frieden“ bei akutem Mesenterialinfarkt). Tritt der Gefäßverschluss in einer Extremitätenarterie auf, können die Symptome anhand des 6-P-Komplexes nach Pratt zusammengefasst werden: Pain (Schmerz) Pulselessness (fehlende Extremitätenpulse) Paraesthesia (Gefühlsstörung) Paleness (blasse, kühle Haut) Paralysis (eingeschränkte Bewegung) Prostration (Schocksymptomatik)

45.4.4.3 Diagnostik Das betroffene Gefäß muss dargestellt werden. Je nach Lokalisation geschieht dies mittels konventioneller

Angiografie, CT-Angiografie und/oder Duplexsonografie. Wird der Gefäßverschluss mittels Angiografie nachgewiesen, kann gleichzeitig eine geeignete Therapie (z.B. operative Embolektomie) festgelegt werden.

45.4.4.4 Therapie Merke Time is tissue Bei Arterienverschlüssen muss schnell behandelt werden. Es zählt buchstäblich jede Sekunde nach dem Grundsatz „Time is tissue“ bzw. „Time is brain“. Folgende Therapiemaßnahmen sind möglich: hochmolekulares Heparin über Spritzenpumpe Thrombolysetherapie operative Entfernung eines Embolus (Embolektomie) Aufdehnung des verschlossenen Gefäßes mittels Ballonkatheter Abtragung von Plaques mittels rotierender Messer oder Laser Werden entsprechende Therapiemaßnahmen nicht rechtzeitig eingeleitet, besteht die Gefahr, dass die Extremität amputiert werden muss.

45.4.4.5 Pflege ▶ Beobachtung. Auf Symptome achten, um Maßnahmen schnell einleiten zu können, z.B. plötzliche Bauchschmerzen, neurologische Ausfälle oder Schmerzen in den Beinen (vor allem Patienten mit bekanntem Vorhofflimmern oder fortgeschrittener pAVK)

Bei akutem Arterienverschluss der Beinarterien Arzt verständigen und Extremität tief lagern ggf. Watteverband anlegen (um Kälte, Wärme, Druck zu vermeiden) Patienten möglichst nicht allein lassen und Ruhe vermitteln i.v.-Zugang legen (lassen) Vitalparameter kontrollieren Kontrolle und Assistenz bei einer High-doseHeparintherapie/Lysetherapie (siehe Kap. ▶ 45.6) ggf. OP-Vorbereitung zur Embolektomie ▶ Postoperative Pflege nach Embolektomie. Beachten Sie auch die allgemeine perioperative Pflege (siehe Kap. ▶ 39). Vitalparameter und Fußpulse kontrollieren Hautfarbe und -temperatur kontrollieren Bein tief lagern und Gelenk nicht über 30° beugen (Optimierung der Restdurchblutung) Frühmobilisation auf Arztanordnung keine Injektionen/Infusionen an betroffener Extremität

KOMPAKT Akuter Verschluss einer Beinarterie Ursache: meistens durch Embolie oder Thrombose einer vorbestehenden pAVK Symptome: 6-P-Komplex mit Pain, Pulselessness, Paraesthesia, Paleness, Paralysis, Prostration

Therapie: durch Antikoagulation/Lyse, gefäßchirurgische Rekanalisation (z.B. Embolektomie) oder Aufdehnung des verschlossenen Gefäßes mittels Ballonkatheter Pflege: Vitalparameter und Pulse kontrollieren, Bein tief lagern, Schutz vor Verletzungen

45.4.5 Tiefe Venenthrombose Definition Tiefe Beinvenenthrombose Verschluss des tiefen Beinvenensystems durch ein Blutgerinnsel (Thrombus). Wesentlicher seltener kann das Venensystem des Arms betroffen sein (Armvenenthrombose).

45.4.5.1 Ursachen Die für die Entstehung einer Thrombose relevanten Faktoren sind nach dem deutschen Pathologen Rudolf Virchow (1821– 1902) benannt (Virchow-Trias ): 1. verlangsamter Blutstrom (z.B. durch Immobilität) 2. Schäden der Gefäßwand (z.B. durch Venenverweilkatheter) 3. erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes (z.B. im Rahmen von Tumorerkrankungen) Zur Thromboseprophylaxe müssen diese Risikofaktoren reduziert werden (siehe Kap. ▶ 17.7). Zusätzlich erhält der Patient bei längerer Immobilität eine ▶ Low-doseHeparintherapie.

45.4.5.2 Symptome

einseitige Beinschwellung Schmerzen im betroffenen Bein (besonders Waden- und Fußsohlendruckschmerz) glänzendes, rötlich-bläulich verfärbtes Bein ggf. erhöhte Herzfrequenz

45.4.5.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Lungenembolie: Abgelöstes thrombotisches Material wird über den Blutstrom in die Lunge geschwemmt (siehe Kap. ▶ 46.9.2). postthrombotisches Syndrom: Spätfolge einer Venenklappeninsuffizienz mit Venenabflussstörung nach durchgemachter Thrombose. Folgen sind Knöchelödeme, Pigmentveränderungen und Ekzeme. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Ulcus cruris venosum. Wichtigste therapeutische Maßnahme: Kompressionsstrümpfe

45.4.5.4 Diagnostik Klinische Zeichen einseitige, schmerzhafte Beinschwellung Meyer-Zeichen: Druckschmerz bei Kompression der Wade Payr-Zeichen: Druckschmerz an der Fußsohle Weitere Diagnostik Labor: Abnahme von D-Dimeren Sonografie der Beinvenen: Goldstandard zur Diagnosesicherung

45.4.5.5 Therapie Die Therapie dient neben der Auflösung des Blutgerinnsels, besonders der Verhinderung einer

Lungenembolie. Beides wird durch die Einleitung einer Antikoagulation erreicht. Zusätzlich erhält der Patient Kompressionsstrümpfe Klasse II. Eine strikte Bettruhe unter Antikoagulation und Kompression ist Studien zufolge nicht nötig, da die Gefahr einer Lungenembolie durch Mobilisation nicht steigt.

ACHTUNG Eine häufige Komplikation der TVT ist die Lungenembolie. Dadurch kann aus einem zunächst „peripheren“ Problem rasch ein lebensgefährlicher Verlauf mit Rechtsherzversagen werden. Für die Antikoagulation gibt es 3 Optionen: Gabe eines oralen Antikoagulans (z.B. Rivaroxaban [Xarelto], Apixaban [Eliquis] u.a.) hoch dosierte Therapie mit niedermolekularem Heparin (z.B. Clexane 0,8 ml 2-mal täglich s.c.) hoch dosierte Therapie mit hochmolekularem Heparin (z.B. Heparin-Natrium) über Spritzenpumpe (i. v.). Hierbei muss 2-mal täglich die pTT des Patienten kontrolliert werden. Die aktuelle Leitlinie empfiehlt alternativ die 2-mal tägliche s.c. Gabe von niedermolekularem Heparin. ▶ Anschlussbehandlung. Nach der Akuttherapie wird der Patient für mindestens 3–6 Monate weiter antikoaguliert (Sekundärprophylaxe), entweder mit einem neuen oralen Antikoagulans (z.B. Rivaroxaban, Apixaban) oder mit Marcumar. Wegen eines erhöhten Blutungsrisikos bei Tumorpatienten unter neuen oralen Antikoagulanzien, ist für diese Patientengruppe auch niedermolekulares Heparin als Erhaltungstherapie zugelassen. Zusätzlich sollte der Patient Risikofaktoren minimieren. Dies geschieht z.B. durch:

Kreisen der Beine bei langem Sitzen viel Bewegung (z.B. Nordic Walking) korrekte Einnahme der Sekundärprophylaxe bei Frauen: Verzicht auf die Antibabypille Rauchen aufgeben

45.4.5.6 Pflege Mitwirken bei der Therapie: medikamentöse Therapie überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten (z.B. auf Blutungen achten bei Antikoagulation) Kompressionstherapie (z.B. Beine wickeln) Beobachtung: Thromboseverdacht (z.B. bei einseitiger Beinschwellung) zügig einem Arzt mitteilen auf Symptome einer Komplikation achten (z.B. Dyspnoe, Rasselgeräusche, Reizhusten bei Lungenembolie), um Maßnahmen schnell einleiten zu können Mobilisation und Positionierung: betroffenes Bein hochlagern Frühmobilisation, auf Arztanordnung (wirkt sich positiv auf Schwellung und Schmerzen aus) Körperpflege: bei Bettruhe oder starken Schmerzen individuelle Unterstützung bei der Körperpflege im Bett kein Ausstreichen der Beine Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards

„Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21. Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17) unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards. Dekubitus-, Kontrakturen-, Obstipationsprophylaxe: besonders bei verordneter Bettruhe oder stark eingeschränkter Belastung psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: selbstständiges Anziehen der Kompressionsstrümpfe Erkrankung, Verlauf und Sekundärprophylaxe (s.o.) verordnete Medikamente (Wirkung und Nebenwirkung)

KOMPAKT Tiefe Venenthrombose Lokalisation: Meistens sind tiefe Beinvenen betroffen. Ursache: verlangsamte Blutströmung, Schäden der Gefäßwand, erhöhte Gerinnungsneigung (Faktoren der Virchow-Trias) Leitsymptome: einseitige Beinschwellung und Schmerzen Therapie: Antikoagulation (Heparin oder Rivaroxaban) und Beinvenenkompression Pflege: Bein wickeln und hochlagern, lebensbedrohliche Symptome einer Lungenembolie kennen, Mobilisation fördern, Patient über Sekundärprophylaxe informieren

45.4.6 Aneurysma Die lokale Erweiterung der arteriellen Gefäßwand wird als Aneurysma bezeichnet. Je nachdem, welche Wandschichten von der Erweiterung betroffen sind, unterscheidet man: falsches Aneurysma (Aneurysma falsum/spurium): Durch einen kleinen Defekt in der Gefäßwand (z.B. durch eine arterielle Punktion bei Koronarangiografie) bildet sich um das Gefäß ein Bluterguss. Normalerweise ist dies nicht schlimm und bildet sich von selbst zurück. In einigen Fällen muss der Defekt jedoch operativ verschlossen werden. echtes Aneurysma: häufig im Bereich der Aorta (thorakales Aortenaneurysma/Bauchaortenaneurysma). Es kommt zur Ausstülpung aller drei Gefäßwandschichten. Das Gefäß kann im Verlauf platzen. Hauptrisikofaktor ist die Atherosklerose. Ab einer gewissen Größe werden echte Aneurysmen operiert (Entfernung oder Verschluss mit spezieller Füllmasse, wie z.B. Coils). Aneurysma dissecans: Durch einen Einriss der innersten Gefäßwandschicht (Intima) bildet sich ein zweites Lumen zwischen Intima und Media. Ein Aneurysma dissecans kann im Verlauf platzen und ist lebensgefährlich. Im Klinikalltag wird es häufig nur als „Dissektion“ bezeichnet.

45.4.6.1 Symptome Meist asymptomatisch, je nach Lage ggf. Flankenschmerzen oder thorakales Druckgefühl (Aortenaneurysma), bzw. hammerschlagartige Kopfschmerzen (bei Subarachnoidalblutung durch eingerissenes Hirnarterienaneurysma).

45.4.6.2 Pflege Patienten mit bekanntem Bauchaortenaneurysma sollten schweres Heben und starkes Pressen (→ Obstipationsprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17.11) vermeiden. Bei Bluthochdruckpatienten auf plötzlich einsetzende Kopfschmerzen achten (Subarachnoidalblutung).

45.4.7 Varikosis Dieses Krankheitsbild wird im Volksmund häufig als „Krampfadern“ bezeichnet. Es handelt sich um eine sackartige Erweiterung oberflächlicher Beinvenen (V. saphena magna bzw. V. saphena parva). Risikofaktoren sind eine angeborene Bindegewebsschwäche, weibliches Geschlecht, zunehmendes Alter, sitzende oder stehende Tätigkeit oder Bewegungsmangel. Neben kosmetischen Problemen verspüren die Patienten ein diffuses Spannungs-, Druck-, Schwere- und Müdigkeitsgefühl.

45.4.7.1 Therapie und Pflege viel Gehen und langes Sitzen und Stehen vermeiden (SLRegel: Sitzen und Stehen ist schlecht – lieber laufen und liegen) Kompressionsstrümpfe Obstipationsprophylaxe keine schweren Lasten tragen Hitze in Sauna und Schwimmbad meiden Wechselduschen In fortgeschrittenen Stadien können die Varizen operativ entfernt (Varizenstripping) oder verödet werden.

45.4.8 Thrombophlebitis

Eine Thrombophlebitis ist die entzündliche Thrombose oberflächlicher Venen. Im Unterschied zur tiefen Beinvenenthrombose geht von der Thrombophlebitis meist kein Embolierisiko aus. Oft betroffen sind oberflächliche Venen der Hand, die infolge einer Gefäßpunktion entzündet sind. Ein Venenzugang sollte sofort entfernt werden und die betroffene Extremität hochgelagert werden. Anschließend sollte man kühlen und mit antiseptischen Umschlägen (z.B. Octenisept) behandeln. Regelmäßige sterile Verbandwechsel beugen einer Thrombophlebitis vor.

45.5 Erkrankungen der Lymphgefäße 45.5.1 Lymphangitis und Lymphadenitis Bei einer Lymphangitis sind die Lymphgefäße in Haut und Unterhaut entzündet. Dies zeigt sich durch einen roten Strich, der ausgehend von der Infektionsstelle in Richtung regionärer Lymphknoten zieht. Sie tritt meist durch eine lokale Infektion (z.B. nach einem Insektenstich) auf und wird im Volksmund oft als „Blutvergiftung“ bezeichnet. Medizinisch gesehen hat dieses Krankheitsbild jedoch wenig mit einer ▶ Sepsis zu tun. Oftmals heilt die Entzündung durch lokale Umschläge folgenlos ab.

45.5.2 Erysipel Ein Erysipel (Wundrose) ist eine örtlich begrenzte, bakterielle Entzündung von Haut und Unterhaut. Sie breitet sich über Lymphgefäße aus. Auslöser sind meist Streptokokken. Meist findet sich ein Erysipel im Bereich der unteren Extremität. Charakteristisch ist die scharf begrenzte, starke Rötung mit flammenden Ausläufern. Die Erkrankung ist mit Penicillin sehr gut behandelbar.

45.5.3 Lymphödem Ein Lymphödem zeigt sich durch eine sicht- und tastbare Flüssigkeitsansammlung im Unterhautfettgewebe. Im Unterschied zu herkömmlichen Ödemen sind diese Flüssigkeitsansammlungen nicht eindrückbar und werden durch einen behinderten Lymphabfluss hervorgerufen. Ursache können die operative Entfernung von Lymphknoten im Rahmen eines Mammakarzinoms oder Abflussbehinderungen durch Tumoren sein. Ein Lymphödem ist oft chronisch und führt zu einer starken Einschränkung der Patienten. Behandelt wird es mit physikalischen Maßnahmen (z.B. regelmäßige Lymphdrainage, gezielte Bewegungsübungen und Kompressionstherapie). Eine Behandlung mit Diuretika ist nicht sinnvoll.

45.6 Antikoagulation und Thrombolyse 45.6.1 Grundlagen Unter Antikoagulation versteht man die medikamentöse Herabsetzung der Blutgerinnung, z.B. zur Vorbeugung gegen ein Blutgerinnsel. Bei der Thrombolyse (kurz: Lyse) werden dagegen bereits vorhandene Blutgerinnsel medikamentös aufgelöst.

45.6.1.1 Physiologie der Hämostase

Die Blutstillung (Hämostase) ist eine lebenswichtige Funktion. Sie wird in 2 Phasen eingeteilt (primäre und sekundäre Hämostase).

Primäre Hämostase 1. Vasokonstriktion: Verengung des Gefäßabschnitts, zur Verkleinerung der Wundfläche und Senkung der Strömungsgeschwindigkeit: Thrombozyten lagern sich an die Gefäßwand an. 2. Thrombozytenadhäsion: Durch die geschädigte Gefäßwand werden bestimmte Substanzen (z.B. Kollagen und Von-Willebrand-Faktor) freigesetzt. Diese veranlassen die Thrombozyten, sich an die Gefäßwand anzulagern. Der Prozess der Anlagerung wird als Adhäsion bezeichnet. 3. Thrombozytenaggregation: Die Thrombozyten werden aktiviert und verbinden sich miteinander: Ein Thrombozytenpfropf entsteht.

Sekundäre Hämostase Nachdem eine Blutung durch die Prozesse der primären Hämostase provisorisch gestillt wurde (ca. 1–3 min), schließt sich der Prozess der sekundären Hämostase (ca. 6–10 min) an. Dabei wird der Thrombozytenpfropf durch Gerinnungsfaktoren stabilisiert. Dadurch entsteht ein Fibrinpfropf. Dies geschieht, indem das inaktive Fibrinogen durch die Einwirkung von Gerinnungsfaktoren in aktives Fibrin umgewandelt wird. Die Aktivierung von Fibrinogen wird durch folgende 2 Prozesse in Gang gesetzt: exogene Aktivierung: Durch den Gefäßwandschaden wird Faktor III freigesetzt. Dieser aktiviert zusammen mit Kalzium den Faktor VII und mündet über die Aktivierung des Faktors X in eine gemeinsame Endstrecke der Fibrinogenaktivierung.

endogene Aktivierung: Die Aktivierung beginnt, indem Faktor XII Kontakt mit der negativ geladenen Oberfläche der Thrombozyten bekommt. Hierdurch wird Faktor XI aktiviert, der über die Aktivierung von Faktor IX in die gemeinsame Endstrecke der Fibrinogenaktivierung mündet. Die sekundäre Hämostase spielt auch bei der Entstehung von Arteriosklerose eine wichtige Rolle.

45.6.1.2 Laborparameter Zur Beurteilung der Blutgerinnung eines Patienten können (je nach Erkrankung und Therapiemaßnahme) verschiedene Laborparameter bestimmt werden ( ▶ Tab. 45.3 ). Tab. 45.3 Laborparameter: Blutgerinnung. Parameter

Normalwerte*

Bemerkung

Thrombozyten

150000–450000/µl Blut

-

Blutungszeit

5–10 min

-

Quick-Wert

70–130 %

erniedrigt bei MarcumarTherapie

INR

0,9–1,1

erhöht bei MarcumarTherapie

pTT (partielle Thromboplastinzeit)

20–40 s

erhöht bei Heparin-Therapie

* Werte können je nach Untersuchungsmethode des jeweiligen Labors variieren.

45.6.2 Betreuung und Überwachung bei Antikoagulation Maßnahmen zur Antikoagulation kommen in Akutsituationen (z.B. bei akuter Lungenembolie) oder zur Dauertherapie (z.B. bei Vorhofflimmern) zum Einsatz. Alle sog. Antikoagulanzien führen zu einem erhöhten Blutungsrisiko. Dieses ist bei Cumarinen am höchsten und

bei Thrombozytenaggregationshemmern am niedrigsten ausgeprägt.

45.6.2.1 Thrombozytenaggregationshemmer Thrombozytenaggregationshemmer zählen nur im weiteren Sinne zu den Antikoagulanzien. Sie hemmen die Anlagerung von Thrombozyten an die Gefäßwand (primäre Hämostase). Indikationen: KHK, akutes Koronarsyndrom, pAVK, Schlaganfall, Prophylaxe nach Stentimplantation) Wirkstoff (Handelsname): Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel (Plavix, Iscover), Prasugrel (Efient), Ticagrelor (Efient) Betreuung und Überwachung: (häufig) lebenslange tägliche Einnahme auf Anzeichen von Blutungen achten ggf. vor Operationen absetzen (Ausnahme: ASS)

45.6.2.2 Heparin Heparin wird sowohl prophylaktisch (Low-dose-Therapie), z.B. zum Schutz vor Thrombosen, als auch therapeutisch (High-dose-Therapie), z.B. zur Behandlung von Thrombosen und Embolien eingesetzt. Es verstärkt die Wirkung körpereigener, gerinnungshemmender Mechanismen und hat dadurch insgesamt eine gerinnungshemmende Wirkung. Biochemisch gesehen bestehen Heparinmoleküle aus unterschiedlich langen Kohlenhydratketten. Sie werden häufig aus der Schweinedarmmukosa gewonnen. Es werden unterteilt: unfraktioniertes Heparin (= hochmolekulares Heparin) z.B. Heparin-Natrium

Gesamtmasse der aus der Schweinedarmmukosa gewonnenen Heparinmoleküle. Die Halbwertszeit ist kürzer als die des fraktionierten Heparins. Für die

intravenöse Gabe ist unfraktioniertes Heparin der Standard. therapeutische Anwendung: Verabreichung mittels Spritzenpumpe. Die Wirkung wird mittels Abnahme der pTT regelmäßig kontrolliert. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit des Medikaments sollte die Spritzenpumpe auch im Rahmen der morgendlichen Versorgung nicht gestoppt werden. prophylaktische Anwendung: Verabreichung mittels subkutaner Injektion (häufig 7500 IE 2mal/d). Eine regelmäßige pTT-Kontrolle ist hierbei nicht notwendig. fraktioniertes Heparin (= niedermolekulares Heparin) z.B. Clexane, Mono-Embolex

Fraktioniertes Heparin besteht ausschließlich aus etwa gleichlangen (eher kurzen = niedermolekularen) Heparinmolekülen. Ihre Halbwertszeit ist länger als die der hochmolekularen Heparine. Niedermolekulares Heparin ist der Standard für eine subkutane Gabe. therapeutische Anwendung: Verabreichung mittels 2-mal täglicher, gewichtsadaptierter Gabe (bei 80 kg Körpergewicht z.B. 0,8ml Clexane 2x/d). Regelmäßige Wirkkontrollen sind nicht notwendig. prophylaktische Anwendung: Verabreichung mittels 1-mal täglicher, fixer Gabe (z.B. 0,4ml Clexane 1x/d)

45.6.2.3 Cumarine Cumarine hemmen in der Leber die Produktion von VitaminK-abhängigen Gerinnungsfaktoren. Indikation: Schutz vor Schlaganfall beim Vorhofflimmern, langfristige Therapie von Embolien oder Thrombosen

Handelsname: Marcumar, Falithrom Die Wirkung von Cumarin kann über den Quick-/INRWert kontrolliert werden. Betreuung und Überwachung: zur Vitamin-K-reduzierten Ernährung beraten: grünes Gemüse eher meiden, da es viel Vitamin K enthält auf Anzeichen von Blutungen achten (inkl. Hirn-, Magen-, Darm- und Muskelblutungen) nach Marcumar-Ausweis fragen und wöchentliche Marcumar-Dosis (z.B. 5 Tabletten pro Woche) in Erfahrung bringen regelmäßige (ggf. tägliche) Quick-/INR-Kontrollen bei notfallmäßigen operativen Eingriffen oder einer versehentlichen Überdosierung können Cumarine durch die Gabe von Vitamin K (Konakion) oder Prothrombinkomplex (PPSB) inaktiviert werden

45.6.2.4 Neue, orale Antikoagulanzien (NOAK) Seit 2011 werden vermehrt neue Medikamente zur oral eingenommenen Antikoagulation angeboten. Beispiele sind Rivaroxaban (Xarelto), Apixaban (Eliquis) und Dabigatran (Pradaxa). Diese neuen oralen Antikoagulanzien (kurz: NOAK) haben im Vergleich zu den Cumarinen den Vorteil, dass sie z.B. beim Vorhofflimmern besser vor einem Schlaganfall schützen und gleichzeitig weniger Blutungen verursachen. Auch müssen die Patienten nicht mehr zum Hausarzt gehen, um ihren Quick-/INR-Wert zu kontrollieren. Wesentlicher Nachteil ist teilweise das Fehlen eines sicheren Gegenmittels.

Ü

45.6.3 Betreuung und Überwachung bei Thrombolysetherapie Durch die Thrombolysetherapie können bereits bestehende Thromben aufgelöst werden. Für eine optimale Wirkung muss das Medikament spätestens 4,5 h nach dem Gefäßverschluss appliziert werden. Hierzu wird ein körpereigener Gegenspieler der Blutgerinnung (tissue-typeplasminogen activator = tPA) intravenös appliziert oder per Katheter direkt an die verschlossene Stelle injiziert. Der Stoff wird unter den Produktnamen Actilyse, Rapilysin und Metalyse vertrieben. Das Verfahren kommt in erster Linie beim akuten Schlaganfall zur Anwendung. ▶ Kontraindikationen. sind u.a.: Zustand nach Hirnblutung nicht behandelbare Hypertonie Krebserkrankung mit erhöhtem Blutungsrisiko Schlaganfall in den letzten 6 Wochen Betreuung und Überwachung Überwachung der Vitalfunktionen am Monitor-EKG und mechanische Blutdruckmessung Bei Indikation für einen Blasenkatheter sollte dieser, zum Schutz vor Blutungen, vor Applikation des Medikaments gelegt werden. Überwachung des neurologischen Status (z.B. Pupillen, Vigilanz) Beobachtung des Patienten auf Nasenbluten, Hämatombildung und Hämaturie Unterstützung des Patienten bei den Aufgaben des täglichen Lebens (z.B. Körperpflege)

Verständnis zeigen für die Situation des Patienten, Ängste erkennen, Gesprächsbereitschaft zeigen

45.6.4 Pflege bei herabgesetzter Blutgerinnung Allgemein gilt es, den Patienten über die Wichtigkeit der Therapie zu informieren und über Blutungszeichen aufzuklären. Außerdem sollte der Patient über eine effektive Blutungsprophylaxe beraten werden. Maßnahmen können z.B. sein: weiche Zahnbürsten verwenden scharfkantiges Essen vermeiden (z.B. harte Brötchen) Falithrom-/Marcumar-Ausweis mit sich führen auf weichen Stuhlgang achten, da zu starkes Pressen Mikroblutungen auslösen kann bei ärztlichen und zahnärztlichen Interventionen immer auf gerinnungshemmende Therapie hinweisen

KOMPAKT Antikoagulation und Thrombolyse Die Blutstillung ist eine lebenswichtige Funktion und verläuft in zwei Phasen (primäre und sekundäre Hämostase) Antikoagulanzien reduzieren die Blutgerinnung und erhöhen damit das Blutungsrisiko. Antikoagulanzien werden zur Akut-Therapie (z.B. bei akuter Lungenembolie) oder zur präventiven LangzeitTherapie eingesetzt, z.B. bei Arteriosklerose, Vorhofflimmern, Schlaganfall, nach Stentimplantation.

Pflege: auf Blutungszeichen achten, Laborparameter regelmäßig kontrollieren (Quick, pTT, INR), Beratung des Patienten (z.B. Marcumar-Ausweis, Vitamin K, Blutungsneigung) Bei der Thrombolyse (kurz: Lyse) werden bereits vorhandene Blutgerinnsel medikamentös aufgelöst (z.B. innerhalb von 4,5 h nach einem Schlaganfall).

46 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Atmungssystems 46.1 Anatomie und Physiologie Lunge und Lungenkreislauf. Abb. 46.1 Lungenflügel, Lungengefäße und Bronchialbaum im Überblick. Gezeigt sind die Arterien (blau) und Venen (rot) des Lungenkreislaufs bis zu ihrem Übergang in die kleinen Segmentarterien. Die Gefäße des Körperkreislaufs sind entfernt.

(Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

46.1.1 Atmungssystem Das Atmungssystem besteht aus den oberen (Nase, Nasennebenhöhlen, Rachen) und unteren (Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien, Bronchioli) Luftwegen. Der Gasaustausch (Aufnahme von Sauerstoff und Abgabe von Kohlenstoffdioxid) findet in den Lungenbläschen (Alveolen) durch Diffusion statt.

46.1.2 Aufbau der Lunge Die Lunge besteht aus 2 Lungenflügeln ( ▶ Abb. 46.1), wovon sich der rechte, steiler abfallende Lungenflügel in 3, der linke Lungenflügel in 2 Lungenlappen gliedert. Zwischen den beiden Blättern des Brustfells (Pleura) liegt der Pleuraspalt mit Pleuraflüssigkeit; diese ist wichtig für die Atembewegung. Die Atmung wird vom Atemzentrum des zentralen Nervensystems reguliert. Bei der Einatmung (Inspiration) kontrahiert das Zwerchfell, die Zwerchfellkuppel sinkt ab (aktiv) und Luft strömt

ein. Bei der Ausatmung (Exspiration) entspannt sich das Zwerchfell, die Zwerchfellkuppel wird angehoben, Luft strömt aus (passiv). Das Atemzugvolumen (Gesamtmenge, die pro Atemzug ein- und ausgeatmet wird) beträgt in Ruhe ca. 500 ml. Die physiologische Atemfrequenz ist abhängig vom Lebensalter (siehe Kap. ▶ 14.4.3).

46.2 Pflegebasismaßnahmen Wahrnehmen und Beobachten: Atemfrequenz, Atemgeräusche, Atemnot (Dyspnoe), Zyanose (z.B. an Lippen, Fingernägeln), Husten und Auswurf (Sputum) Mobilisation, Positionierung und Schlaf: Dyspnoe kann die Mobilität einschränken und verringert die individuelle Belastungsgrenze. Pausen müssen bei Pflegemaßnahmen eingeplant werden. Atemerleichternd wirken die OberkörperHochlagerung mit Unterpolsterung der Arme, Drainagelagerungen oder andere atemunterstützende Positionierungen. Prophylaxen: Menschen mit Atemwegserkrankungen haben ein erhöhtes Pneumonierisiko. Wichtig ist eine individuelle und bedarfsgerechte Planung von Prophylaxen (siehe Kap. ▶ 17). Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Bei chronischen Atemwegserkrankungen haben Pflegeempfänger einen Beratungsbedarf, z.B. über Wirkung und Nebenwirkung von Medikamenten, atemvertiefende Maßnahmen wie Lippenbremse, Atemtrainer, Huffing, Inhalation, Grippeschutzimpfung als Prophylaxe vor schweren Verläufen, Pneumonieprophylaxe.

46.3 Spezielle Pflege 46.3.1 Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung

46.3.1.1 Atemunterstützende Maßnahmen Atemvertiefende Maßnahmen Ziele: Belüftung der Lunge fördern (Atemtiefe), Atemerleichterung, Atemqualität steigern, Sekretolyse, Selbsthilfe z.B. in Notfallsituationen, Folgeerkrankungen verhindern (Pneumonieprophylaxe) Lippenbremse: Pflegeempfänger atmet normal ein und bei fast geschlossenen Lippen wieder aus. Durch den entstehenden Druck werden die Bronchien offengehalten und ein Kollaps verhindert. Kontaktatmung: Die Pflegefachkraft legt ihre Hände unter leichtem Druck auf den Brustkorb des Pflegeempfängers und fordert ihn auf, „die Hände wegzuatmen“. Ausatmung über leichten Druck bewusst machen. Gleiches Vorgehen an Flanken und Bauch, um alle Lungenbezirke zu belüften. atemstimulierende Einreibung (ASE): Patient sitzt entspannt und ist nach vorne abgestützt (Kissen, umgekehrte Stuhllehne). Lotion/Massageöl in den Händen verreiben und auf dem Rücken verteilen, beide Hände auf die Schultern auflegen, ca. 4 kreisende Bewegungen seitlich der Wirbelsäule von oben nach unten durchführen (Druck von unten nach außen/oben). An den Flanken angekommen, Hände nacheinander an den Schultern ansetzen (1 Hand hält immer Kontakt). Einreibung erfolgt im Atemrhythmus des Pflegeempfängers. Dauer ca. 5–10 min ( ▶ Abb. 46.2) Anwendung von Atemtrainern: inspiratorischer Atemtrainer: fördert die tiefe Einatmung, vertieft die Atemzüge und sorgt für eine optimale Verteilung der eingeatmeten Luft in der Lunge. Anwendung bei Operationen im Brust- oder Bauchbereich (wegen Schonatmung). Beispiel „Triflow-Atemtrainer“: Pflegeempfänger saugen durch starke Einatmung Kunststoffbälle nach oben und halten diese kurz. Kontraindikation: Pflegeempfänger mit COPD oder starker Verschleimung der Bronchien exspiratorischer Atemtrainer: trainiert die Ausatmung. Bei der Ausatmung wird ein erhöhter Ausatmungsdruck

erzeugt, was die Atemwege offenhält. Auch das Aufblasen eines Luftballons oder das „Blubbern“ mit Hilfe eines Strohhalms können diesen Effekt erzeugen. Atemstimulierende Einreibung. Abb. 46.2 Die ASE wird am besten ohne Handschuhe und nur dann durchgeführt, wenn Sie selbst die Berührung des Pflegeempfängers nicht als unangenehm oder unangebracht empfinden. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020. Foto: A. Fischer, Thieme)

Atemunterstützende Positionen

Ziele: Atmung erleichtern, Belüftung (Ventilation) und Durchblutung (Perfusion) der Lunge verbessern Lunge wird in Rückenlage v.a. im hinteren Bereich der Lunge nicht vollständig belüftet. Abhilfe können atemunterstützende Positionen schaffen. Bauchlage: bessere Belüftung der hinteren Lungenabschnitte, der Gasaustausch wird erleichtert. Anwendung v.a. bei Pflegeempfänger mit akutem Lungenversagen in 135°-Stellung, z.B. auf Intensivstationen und nach ärztlicher Anordnung. Auf Komplikationen wie Gesichtsödeme oder Dekubitus achten. Oberkörperhochlage: erleichtert den Einsatz der Atem- und Atemhilfsmuskulatur (Zwerchfell kann sich leichter dehnen). Auf physiologische Sitzposition achten (Winkel 30–40°). Pflegeempfänger darf nicht in sich zusammensacken oder an das Fußende rutschen (ungünstige Position verstärkt Atemnot!). Hilfsmittel wie ein gefaltetes Handtuch unter dem Sitzbeinhöcker, ein festes Kissen zur Fußstütze, eine leicht erhöhte Knierolle oder ein Fußteil können dem Abrutschen entgegenwirken. Dehnlage: Je nach Art der Positionierung (Halbmondlage, Drehdehnlage, V-[unterer Lungenbezirk], A-[oberer Lungenbezirk], T-[vorderer Lungenbezirk], I-[vorderer Lungenbezirk]-Lage) werden bestimmte Lungenabschnitte besser belüftet und die Atemarbeit erleichtert. Auf Schmerzäußerungen achten, Positionierung ggf. abbrechen. Wichtig: Bauchatmung muss immer ungehindert möglich sein! Atemerleichternde Körperstellungen: Entspannung und Entlastung des Thorax und der verkrampften Muskulatur, Vergrößerung der Atemfläche, z.B. bei Atemnot oder Asthmaanfall Kutschersitz: Der Patient sitzt nach vorne gebeugt an der Bettkante oder auf einem Stuhl und stützt die Arme auf die Oberschenkel ab. Die Atemhilfsmuskulatur kann so die Atmung besser unterstützen und die Atemfläche vergrößert sich. Torwartstellung: Der Patient stützt die Arme im Stehen mit gestrecktem Oberkörper und leicht angewinkelten Beinen auf die Oberschenkel ab.

46.3.1.2 Maßnahmen zur Sekretmobilisation Wird viel zähes Bronchialsekret produziert, können folgende Maßnahmen das Abhusten erleichtern: ausreichend Flüssigkeit: mind. 2 l Flüssigkeit täglich, um zähes Sekret zu verflüssigen. Kontraindikationen: beschränkte Flüssigkeitszufuhr bei Herz- oder Nierenerkrankung Drainagelagerung: unterstützt die Sekretmobilisation, Sekret fließt bei leichter Kopftieflage (in Seiten- oder Bauchlage) der Schwerkraft folgend leichter aus den kleinen Bronchien in die Trachea ab. Kann der Pflegeempfänger die Position nicht selbst verlassen, darf er nicht allein gelassen werden. Kontraindikationen: akute Luftnot, erhöhter Hirndruck, Übelkeit Huffing (forciertes Ausatmen): Pflegeempfänger hustet in kurzen „huffs“, damit die Stimmritze offenbleibt und das Abhusten sanfter erfolgen kann. Diese Technik verhindert eine zu starke Kompression der Atemwege (geeignet bei COPD). Inhalation: Ziele: Befeuchtung der Schleimhäute, Lösen von Bronchialsekret, Applikation von Medikamenten. Je kleiner die Tröpfchen, desto tiefer gelangen diese in den Bronchialbaum. Die Druck- oder Ultraschallvernebelung ist wirkungsvollste Art der Inhalation, da die Tröpfchen sehr klein sind und die vernebelte Substanz bis in die Alveolen vordringen kann. Inhalative Substanzen: Schleimlöser, Bronchodilatator, Glukokortikoide. Wichtig: Nach der Inhalation muss das Gerät gereinigt werden und vollständig durchtrocknen (Pseudomonas aeruginosa)! Dosieraerosole enthalten in FCKW-freies Gas gepresste Medikamente zur Atemerleichterung. Durch Druck auf den Auslöser wird das Medikament zerstäubt. Handling für alte Menschen oder Kinder z.T. schwer (Spacer erleichtert Handhabung). Ablauf ohne Spacer: ausatmen, Mundstück an Lippen ansetzen, tief einatmen und gleichzeitig Auslöser drücken, Luft kurz anhalten (Wirkstoff verteilt sich in Lunge), nach Inhalation von Kortison, Mundpflege (Pilzgefahr!) Bei der Pulverinhalation wird durch einen tiefen Atemzug das enthaltene Pulver zersprengt. Darauf achten, dass die

Einatmung schnell und tief erfolgt (Wirkstoff gelangt so am besten in die Lunge). Atemphysiotherapiegeräte unterstützen die Sekretmobilisation und Lungenbelüftung. Beispiele sind: RCCornet, Acapella-PEP-Vibrationssystem, Shaker plus. Die korrekte Anwendung wird während der Physiotherapie trainiert, Pflegefachkräfte erinnern den Pflegeempfänger an die regelmäßige Durchführung. Perkussion: Pflegefachkraft klopft den Rücken des Pflegeempfängers leicht ab, um Sekret in feinen Bronchien zu lösen. Sekret wird in Richtung Hauptbronchus transportiert und kann dort leichter abgehustet werden. Kontraindikationen sind Operationen am Thorax und Verletzungen im Rückenbereich. Vibration: Sekret wird durch Schwingungen gelockert. Bei Anwendung eines Vibrationsgeräts (z.B. Vibrax) Vibration von außen in Richtung Wirbelsäule durchführen (Schulterblätter, Wirbelsäule, Nierengegend aussparen). Während der Anwendung tief ein- und ausatmen, anschließend Pflegeempfänger zum Abhusten auffordern bzw. ihn dabei unterstützen.

46.3.1.3 Atemwegssekret absaugen Grundsatz: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ (Absaugen reizt Atemwege und fördert die Schleimproduktion). Absaugen erfolgt immer auf ärztliche Anordnung (außer im Notfall). Ziele: Bronchialsekret entfernen und Atmung erleichtern (verbesserte Lungenbelüftung) Indikationen: zähes Sekret, Abhusten nicht möglich, Aspiration von Nahrung/Erbrochenem Kontraindikationen: starker Hustenreiz mit zähem Schleim (hier besser schleimlösende Maßnahmen), Lungenödem („Rasseln“ entsteht hier durch Flüssigkeit, die sofort nachläuft), vorherige Absaugversuche führen zu keiner Verbesserung, sterbende Pflegeempfänger, die subjektiv nicht unter Sekret leiden und nasales Absaugen bei Schädel-Hirn-Traumata (Gefahr der Perforation der Dura mater) Komplikationen: Würgereiz, Erbrechen, kurzfristiger Sauerstoffmangel, Vagusreizung (Bradykardie), Verletzung der

Schleimhäute (Perforation, Blutungen), Stimmritzenkrampf, Keimverschleppung (durch unhygienisches Arbeiten) Hygiene: strenges steriles Arbeiten (Gefahr der Keimverschleppung), bei nachgewiesenen Keimen im NasenRachen-Raum zusätzlich Schutzkleidung (Haube, Brille, Kittel) tragen, Einmalbenutzung des Katheters (oral/nasal/endotracheal). Arten der Absaugung nasales Absaugen: durch die Nase (Sekret in obere Atemwege entfernen) orales Absaugen: durch den Mund (Speichel oder aspirierte Fremdkörper entfernen) endotracheales Absaugen: meist über Tubus oder Tracheostoma

Nasales Absaugen ▶ Vorbereitung. Pflegeempfänger informieren (Ziel, Ablauf), Mundund Nasenpflege vor Absaugung durchführen (verhindert Keimverschleppung), Material bereitlegen, Sog einstellen (Erwachsene 0,4 bar, Kinder 0,2 bar), prüfen, ob die Absaugvorrichtung funktioniert, Pflegeempfänger mit leicht erhöhtem Oberkörper positionieren ▶ Material. Mundschutz und Schutzbrille, Mundpflegeartikel, ggf. anästhesierendes Gel, unsterile Handschuhe, einzeln verpackte sterile Handschuhe, sterile Absaugkatheter, Sauerstoff und geeignete Sonde, Watteträger, anästhesierendes Gel, Absaugvorrichtung mit angeschlossenem Absaugschlauch mit Fingertipp, Wasser zum Durchspülen, evtl. spezielles Probenentnahmeset für Laboruntersuchungen des Sekrets Durchführung ▶ Hände desinfizieren, Mundschutz anlegen und Sog einstellen, Einmalhandschuhe anziehen Katheterhülle öffnen (Katheter noch in der Hülle lassen) und Absaugkatheter und Absaugschlauch verbinden Katheterhülle und Absaugschlauch unter den Arm klemmen und sterilen Handschuh über die führende Hand ziehen (bei

Rechtshändern die rechte) Katheter steril mit der führenden Hand aus der Verpackung entnehmen anästhesierendes Gel mit der unsterilen Hand aus der Tube drücken und über die Katheterspitze tropfen lassen (ca. erbsengroße Menge). Diese am besten über einen Abwurf, Nierenschale o.Ä. halten Die linke Hand hält den Fingertip, der den Sog reguliert. Absaugkatheter ohne Sog (mit offenem Fingertip) vorsichtig waagerecht in die Nase einführen. Nach ca. 8–10 cm liegt die Katheterspitze im Rachenraum. Mit sanftem, gleichmäßigem Druck die Biegung überwinden (bei Widerstand Katheter etwas zurückziehen und vorsichtig unter leichter Drehbewegung erneut vorschieben). Rachenraum absaugen und zum Ende hin noch einmal tief in den unteren Rachenraum vorschieben. zum Absaugen: Fingertip am Absaugschlauch mit einem Finger verschließen, Katheter vorsichtig unter Sog zurückziehen; wenn kein Sekret befördert wird, Sog kurz unterbrechen (Verletzungen der Schleimhaut vermeiden) während des gesamten Absaugvorgangs Atmung, Bewusstsein, Hautkolorit und Befinden des Pflegeempfängers beobachten Katheter unter Sog herausziehen Nachbereitung Katheter in sterilem Handschuh aufrollen, Handschuh darüber ziehen und im Abwurf entsorgen Absaugschlauch mit Aqua dest. durchspülen und Sog abstellen Einmalhandschuhe ausziehen und Hände desinfizieren Vitalparameter kontrollieren Mund- und Nasenpflege durchführen Materialien aufräumen, ggf. Oberflächendesinfektion (z.B. Nachttisch etc.) Dokumentation (Art der Absaugung, Zeitpunkt, Sekretmenge, Aussehen und Konsistenz, Besonderheiten, Befinden)

Besonderheiten bei Kindern Kathetergröße entsprechend der Größe des Kindes wählen Sogstärke nicht über 0,2 bar Vorgang darf max. 10 Sekunden dauern

46.3.1.4 Sauerstoff verabreichen Ziele: Atemluft mit Sauerstoff anreichern, um den Sauerstoffbedarf des Pflegeempfängers zu erhalten oder zu verbessern. O2-Gabe: Sauerstoff ist ein Medikament, daher ärztliche Anordnung notwendig, außer im Notfall! Indikationen: Erkrankungen, die zu eingeschränktem Gasaustausch bzw. Sauerstofftransport führen (z.B. Herzerkrankungen, Lungenerkrankungen, Schock), Dämpfung des Atemzentrums durch Medikamente (z.B. Morphine), vorsorgliche Sauerstoffgabe (z.B. vor dem Absaugen). Komplikationen: Schädigung der oberflächenwirksamen Substanz „Surfactant“ (besonders gefährlich bei Frühgeborenen), Austrocknung der Schleimhäute des Respirationstrakts (deshalb Sauerstoff immer anfeuchten!), Gefahr des Atemstillstands bei Pflegeempfänger mit chronisch erhöhten Kohlenstoffdioxidwerten (z.B. bei COPD, Lungenemphysem) Sauerstoffquellen: Wandanschluss ( ▶ Abb. 46.3), Sauerstoffflaschen, spezielle Heimgeräte Applikationsformen: Sauerstoffbrillen (Verabreichung geringer O2-Mengen, meist ambulant, ggf. Verlust von O2 an Umgebungsluft), -masken (Verabreichung großer O2-Mengen, schränkt ein, beklemmendes Gefühl unter Maske), -sonden (Verabreichung geringer O2-Mengen, Sonde verrutscht leicht, reizt Nasenschleimhaut) Besonderheiten Pflege: System täglich wechseln, zur Befeuchtung der Schleimhäute steriles destilliertes Wasser verwenden, 2-mal pro Schicht Mund- und Nasenpflege durchführen, bei Nasensonden regelmäßig Nasenloch wechseln, auf Druckstellen achten

Beobachtung bei Sauerstoffgabe: Atemfrequenz, Atemtiefe, Zustand der Schleimhäute, Zyanose? Sauerstoffsättigung, Überprüfung der angeordneten Dosis, Überprüfung des Systems zur Befeuchtung, Hygiene des Applikationssystems (Sekret im System?) Gefahrgut Sauerstoff: Sauerstoff ist brandfördernd, deshalb u.a. keine Flammen/Funken im Raum mit Sauerstoff, gefüllte und leere Sauerstoffflaschen getrennt lagern, volle Flaschen sturzsicher aufbewahren, Sauerstoffflaschen vor direkter Sonneneinstrahlung schützen, Ventil nicht einölen Sauerstoffwandanschluss. Abb. 46.3 Zur Befeuchtung des Sauerstoffs ist ein Respiflo-System angeschlossen. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020. Foto: K. Oborny, Thieme)

46.3.2 Tracheostomapflege Definition Tracheostoma

Ein Tracheostoma (Trachea, griech. Luftröhre; Stoma, griech. Mund, Öffnung) ist eine künstlich angelegte Öffnung in der Luftröhre, die die Atmung bzw. Beatmung erleichtert ( ▶ Abb. 46.4). Ziel: Offenhalten der Atemwege Indikationen: künstliche Beatmung auf Intensivstation, ausgeprägte Schluckstörung, Aspirationsschutz bei Kehlkopfentfernung, schwere Verletzung, Stenose durch Tumoren Tracheostomaarten: chirurgische Tracheotomie (dauerhaft oder vorübergehend, Luftröhre wird mit Haut des Halses vernäht); Dilatationstracheotomie (Luftröhre wird von außen punktiert und Punktionsstelle mithilfe eines Plastikdilatators geweitet) Trachealkanüle. Abb. 46.4  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

Abb. 46.4 Trachealkanüle mit luftgefülltem Cuff. (Abb. von: Primed®)

46.3.2.1 Sprechen

Pflegeempfänger mit geblocktem Cuff können nicht sprechen (Atemluft gelangt nicht an Stimmbändern vorbei). Durch spezielle Innenkanülen oder Aufsätze mit Sprechventil kann man sprechen (nicht bei Kehlkopfentfernung). Pflegeempfänger mit Laryngektomie können lernen, über die Speiseröhre zu sprechen, sog. Ösophagusersatz-Stimme. Achtung: Vor Aufsetzen des Sprechaufsatzes muss die Kanüle entblockt sein, sonst droht Erstickungsgefahr!

46.3.2.2 Essen und trinken Tracheotomierte Pflegeempfänger können prinzipiell schlucken. Nach Eingriff am Kehlkopf bestehen häufig Schluckstörungen. Wenn der frisch tracheotomierte Pflegeempfänger essen und trinken darf, zunächst Schluckversuch mit Tee durchführen. Viel Speichel im Mund deutet auf Schluckstörung hin!

46.3.2.3 Verbandwechsel Verbandwechsel bei frisch tracheotomierten Pflegeempfängern: Tracheostoma mind. 1-mal pro Schicht inspizieren und Verbandwechsel durchführen (Stoma sollte immer so trocken wie möglich gehalten werden. Infektions- und Verletzungsgefahr ist sonst erhöht!) in den ersten 2–4 Wochen nach OP vorgehen wie bei aseptischem Verbandwechsel ▶ Material. Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe, sterile Handschuhe, NaCl-Lösung 0,9 %, sterile Kompressen/Watteträger, sterile Schlitzkompressen/Trachealkompresse, ggf. neues Kanülenhaltebändchen, ggf. Hautschutzprodukt (bei starker Sekretion), ggf. Wund- und Heilsalbe (bei trockener Haut), ggf. Schleimhautdesinfektion (bei Infektion), ggf. spezielle Wundauflagen (bei Infektion) Durchführung Pflegeempfänger informieren, Arbeitsfläche desinfizieren, Material herrichten

Haltebändchen und Kompresse mit unsterilen Handschuhen entfernen (Handschuhe anschließend verwerfen) ▶ Händedesinfektion, sterile Handschuhe anziehen Tritt vermehrt Sekret aus dem Stoma, kann es seitlich neben der Kanüle abgesaugt werden. reizloses Stoma mit sterilen, in NaCl getränkten Watteträgern von innen nach außen reinigen, bei Infektionszeichen Schleimhautantiseptikum verwenden auf Druckstellen, Blutungen und Infektionszeichen achten (ggf. Arzt informieren) Wundabstrich bei Verdacht auf Infektion bei Bedarf Hautschutzprodukt auftragen sterile Trachealkompresse anbringen und mit Haltebändchen fixieren (zwischen Finger und Haut einen fingerbreiten Abstand lassen) bei geblockter Kanüle Cuffdruck prüfen Dokumentation (Verbandwechsel, Aussehen, Cuffdruck)

46.3.2.4 Reinigung der Trachealkanüle herausnehmbares Innenteil mind. 3-mal täglich und nach Bedarf reinigen (mit NaCl, kein Leitungswasser wegen Infektionsgefahr!) Langzeittracheotomierte Pflegeempfänger haben meist eine Silberkanüle und reinigen diese selbst (warmes Wasser, Flaschenbürste). künstliche Nase (Wärme- und Feuchtigkeitsaustauscher) 1-mal täglich und bei Bedarf wechseln

46.3.2.5 Kanülenwechsel Der erste Kanülenwechsel erfolgt immer durch den Arzt, spätere Wechsel werden meist von der Pflegefachkraft durchgeführt. Die nachfolgend beschriebene Durchführung bezieht sich auf den Kanülenwechsel mit Cuff. Indikationen Liegedauer ist abgelaufen (i.d.R. nach 7–8 Tagen)

Cuff ist undicht Verlegung der Kanüle durch Sekret oder Borken ▶ Material. Händedesinfektionsmittel, unsterile und sterile Handschuhe, Absauganlage, Material zur Sauerstoffapplikation, Trachealkanülen in der angeordneten Größe (+ 1 Nummer kleiner und 1 Nummer größer), Führungshilfe, Spekulum, Material zum Verbandwechsel, wasserlösliches Gleitmittel, 20-ml-Spritze zum Entblocken des Cuffs, Cuffdruckmesser, Stethoskop Durchführung Pflegeempfänger über Ablauf informieren, Arbeitsfläche desinfizieren, Material herrichten ▶ Hände desinfizieren Cuff der neuen Kanüle auf Funktionsfähigkeit prüfen! (Cuff aufblasen, Dichtigkeit mit Cuffdruckmanometer prüfen) Pflegeempfänger in Rückenlage mit leicht überstrecktem Kopf bringen (Kissen entfernen) Präoxygenierung nach ärztlicher Anordnung Kanüle mit sterilem Gleitmittel gleitfähig machen Händedesinfektion und unsterile Handschuhe anziehen Haltebändchen und alten Verband entfernen alte Kanüle entblocken und entfernen beim Ziehen der Kanüle gleichzeitig steril absaugen (am besten Assistenz durch 2. Pflegefachkraft, da die Hand, mit der abgesaugt wird, steril sein muss – steriler Handschuh!) Monitoring während des Wechsels (Sauerstoff und Herzfrequenz) mit sterilen Kompressen das Tracheostoma reinigen (Inspektion) neue Kanüle mit Führungsdrain und untergelegter MetallineKompresse steril einführen (Führungsdrain sofort entfernen) Kanüle blocken und mit Haltebändchen fixieren endotracheal absaugen Pflegeempfänger beobachten und Vitalparameter prüfen

Materialien wegräumen Maßnahme dokumentieren

46.3.2.6 Besonderheiten Nur Nassrasur und immer vom Tracheostoma weg rasieren (Trockenrasur: Bartstoppeln können in Luftröhre gelangen) speziellen Duschschutz verwenden und nicht baden regelmäßig absaugen (kein ausreichender Druck für Hustenvorgang)

46.3.3 Perioperative Pflege nach Lungen-OPs Lungenresektionen gehören zu den häufigsten Operationen an der Lunge. Man unterscheidet: Segmentresektion: Entfernung eines oder mehrerer Segmente Lobektomie bzw. Bilobektomie: Entfernung eines bzw. zweier Lungenlappen Pneumektomie: Entfernung eines kompletten Lungenflügels Präoperative Maßnahmen Übung von atemvertiefenden Maßnahmen, z.B. mit Atemtrainer Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Vorsichtige Belastung in der ersten postoperativen Zeit, Menschen können selbst nach Pneumektomie zur normalen Leistungsfähigkeit gelangen Postoperative Maßnahmen Wahrnehmen und Beobachten: ggf. intensivmedizinische Betreuung notwendig Mobilisation, Positionierung und Schlaf: Mobilisation frühzeitig anstreben, regelmäßiges Atemtraining begleiten, Positionierung in der ersten Zeit nur auf operierter Seite oder auf Rücken (nach Lobektomie umgekehrt), erhöhte Oberkörperlage Mitwirken bei der Therapie: Atemtraining gegen Atelektasen (mit Triflow-Atemtrainer), durch Operation zunächst Abfall der Sauerstoffsättigung (ggf. Sauerstofftherapie notwendig), Thoraxdrainagen engmaschig auf Nachblutungen kontrollieren,

Aussehen des Sekrets dokumentieren und kontrollieren, ob Drainage Luft fördert (siehe auch Kap. ▶ 27) Prophylaxen: bedarfsgerecht, nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17). Pneumonieprophylaxe muss so geplant werden, dass der Pflegeempfänger schmerzfrei atmen und abhusten kann. Durch Schmerzen in der Schulter auf der operierten Seite kann eine Schonhaltung bzw. Kontraktur auftreten (prophylaktische Maßnahme: Schmerztherapie, Physiotherapie).

KOMPAKT Spezielle Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems atemunterstützende Maßnahmen: Lippenbremse, Kontaktatmung, atemstimulierende Einreibung (ASE), Anwendung von Atemtrainern atemunterstützende Positionen: Bauchlage, Oberkörperhochlage, Dehnlage, atemerleichternde Körperstellungen sekretmobilisierende Maßnahmen: ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Drainagelagerungen, Huffing, Inhalation durch Substanzen oder über Vernebler Ziele atemunterstützender Maßnahmen: Belüftung der Lunge, Atemqualität steigern, Abhusten erleichtern, Sekretstau verhindern Tracheostoma: Metalline täglich steril wechseln; absaugen so viel wie nötig, so wenig wie möglich, bei geblockter Kanüle Cuffdruck regelmäßig prüfen perioperative Pflege nach Lungen-OP: vorbereitendes Atemtraining vor OP, engmaschige Vitalzeichenkontrolle, Frühmobilisierung, Lagerung je nach Operation, Throraxdrainagenpflege, bedarfsgerechte Prophylaxen

46.4 Mitwirken bei der Diagnostik

Innerklinische Transporte: Pflegefachkräfte sorgen dafür, dass bei Transporten mit transportablen Sauerstoffgeräten, z. B. auf dem Weg zu einer Untersuchung, der Sauerstoff in der Gasflasche noch ausreicht (unter Stress neigen Menschen zu einem erhöhten Sauerstoffbedarf). Inhalt der Gasflasche wird berechnet aus: Flaschen-Volumen (l) ×Gasdruck (bar/1 bar). Pulsoxymetrie: ein Pulsoxymeter bestimmt fotometrisch über einen Clipsensor am Finger, Oberläppchen oder Zeh (oft bei Kindern) mithilfe von Infrarotwellen die arterielle Sauerstoffsättigung. Normwert liegt bei 97 %. Bei einem Wert unter 93 % muss von einem dramatischen Sauerstoffmangel ausgegangen werden. Blutgasanalyse (BGA): Arterielles Vollblut (z.B. aus der A. radialis oder A. femoralis) oder Kapillarblut (z.B. aus Ohrläppchen) ermöglicht durch labortechnische Auswertung Aussagen über Gasverteilung von Sauerstoff und Kohlendioxid, den pH-Wert und den Säure-Basen-Haushalt eines Menschen. Sputum und Trachealsekret: Sputum ist abgehustetes Bronchialsekret. Am besten gewinnt man es morgens. Inhalieren mit Kochsalzlösung oder schleimlösenden Medikamenten (Expektoranzien) steigert die Sekretmenge. Pflegeempfänger setzt sich aufrecht hin und hustet Sekret in ein steriles Gefäß ab (Atemtechnik: Huffing). Eine Trachealsekretprobe gewinnen Pflegefachkräfte mithilfe des Absaugens (z.B. über Tracheostoma) über vorgefertigte „Trachealsekretfallen“ (sterile Röhrchen, die zwischen Absaugkatheter und Absaugschlauch angeschlossen werden). Die Proben sollten schnell verschlossen werden und umgehend ins Labor transportiert werden (lagerbar bis max. 4 h bei Raumtemperatur, 24 h im Kühlschrank). Bei allen Schritten muss beachtet werden, dass potenziell infektiöses Material gewonnen und transportiert wird (Handschuhe, Kittel, Maske, ggf. Schutzbrille). Lungenfunktionsprüfung: Parameter wie Volumenverhältnisse, Elastizität (Dehnbarkeit, Compliance), Atemwiderstand (Resistance) werden bei der „Lufu“ überprüft.

Sie liefert keine konkreten Diagnosen, aber Ventilations- und Diffusionsstörungen können erkannt werden. Ferner werden verschiedene Einzeluntersuchungen unterschieden: Spirometrie und Ganzkörperplethysmografie, Diffusionskapazitätsmessung sowie Belastungstests. Große Mahlzeiten können das Atemvolumen beeinträchtigen. Lungenszintigrafie: Zwei nuklearmedizinische Untersuchungen, mit denen die Perfusion (Durchblutung) und die Ventilation (Belüftung) der Lunge dargestellt werden kann. Pflegeempfänger müssen davor nicht nüchtern sein. Bronchoskopie: Spiegelung der Luftröhre (Trachea) und der Bronchien. Dient je nach Indikation der Beurteilung der Verhältnisse, Probenentnahme, Sekretabsaugung, Fremdkörperentfernung und der Blutstillung. OP-Vorbereitung (Nüchternheit, i.v. Zugang) und Nachbereitung Pleurapunktion: diagnostische Entnahme einer kleinen Menge eines Pleuraergusses für eine laborchemische Untersuchung (z.B. auf Proteingehalt, maligne Zellen, Mikroorganismen), mehr dazu in Kap. ▶ 26 Thorakoskopie: endoskopische Beurteilung der Brusthöhle sowie der Pleura mit der Möglichkeit ergänzender chirurgischer Eingriffe. Nach der Operation erhält der Patient meistens eine Pleurasaugdrainage/Thoraxsaugdrainage. transthorakale Lungenbiopsie: Bei peripher sitzenden Gewebsveränderungen, die mit dem Bronchoskop nicht erreichbar sind, wird mithilfe einer Biopsienadel durch den Zwischenrippenraum eine Probe entnommen.

46.5 Übersicht über die wichtigsten Medikamente Die am häufigsten eingesetzten Medikamente bei Erkrankungen des Atemsystems sind ( ▶ Tab. 46.1 ): Bronchodilatatoren entspannen die Bronchialmuskulatur (Bronchodilatation). Glukokortikoide wirken antientzündlich und immunsuppressiv.

Expektoranzien wirken mukolytisch und/oder sekretolytisch. Antitussiva hemmen den Hustenreflex. antiinfektiöse Medikamente: erregerspezifische Anwendung Tab. 46.1 Die wichtigsten Medikamente bei Atemwegserkrankungen. Arzneigruppen

Wirkstoffgruppen gebräuchliche Wirkstoffe

Bronchodilatatoren langwirksame β2Sympathomimetika

Glukokortikoide

Salmeterol Formoterol

kurzwirksame β2Sympathomimetika

Terbutalin

langwirksame Anticholinergika

Tiotropiumbromid

kurzwirksame Anticholinergika

Ipratropiumbromid

inhalative Glukokortikoide

Beclometasondipropionat

Salbutamol

Ciclesonid Budesonid

Expektoranzien

systemische Glukokortikoide

Prednisolon

Sekretolytika

Acetylcystein

Prednison

Ambroxol Bromhexin Antitussiva

Opiate

Codein Dihydrocodein

Nebenwirkungen Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckanstieg, Tremor, Hypokaliämie, Hyperglykämie, allergische Reaktionen Mundtrockenheit, Obstipation, Tachykardie, Miktionsstörungen mit Harnverhalt, Akkommodationsstörungen, allergische Reaktionen Husten, Bronchospasmus, Heiserkeit, Mundsoor (durch Applikation vor einer Mahlzeit bzw. konsequente Mundhygiene vermeidbar) Osteoporose, Hautatrophie, Wundheilungsstörungen, Myopathie mit Muskelatrophie, SteroidDiabetes, Gewichtszunahme, Cushing-Syndrom, Wachstumsstörungen, Hypertonie, verminderte Infektabwehr, Glaukom, Katarakt, psychische Veränderungen allergische Reaktionen, Kopfschmerzen, Tachykardie, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Juckreiz, Hautausschlag Übelkeit, Erbrechen, Atemdepression, sedierende Wirkung, Kopfschmerzen, Obstipation

46.6 Nichtinfektiöse Erkrankungen 46.6.1 Asthma bronchiale Definition Asthma bronchiale Asthma bronchiale ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege, die durch eine Überempfindlichkeit des Bronchialsystems und Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist. Asthma tritt typischerweise anfallsartig auf und geht mit akuter Dyspnoe (Atemnot) einher.

46.6.1.1 Ursachen Bei der Entstehung von Asthma sind beteiligt: genetische Faktoren exogene Faktoren wie Virusinfektionen die Exposition mit Allergenen, inhalativen Reizstoffen und Medikamenten wie NSAR und Betarezeptorenblocker Man unterscheidet allergisches (extrinsisches) Asthma von nicht allergischem (intrinsischem) Asthma. Die meisten Asthmatiker entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Mischform. Im Asthmaanfall verursachen 3 Mechanismen die Atemwegsobstruktion: Schleimhautödem: entzündliche Schwellung der Bronchialschleimhaut Bronchospasmus: Verkrampfung der Bronchialmuskulatur Dyskrinie: vermehrte Produktion von zähem Schleim

46.6.1.2 Symptome Klassische Leitsymptome des Asthmas bronchiale sind: plötzliche, anfallsartige Dyspnoe und Tachypnoe trockener Husten Engegefühl im Brustkorb (v.a. bei der Ausatmung)

starke Unruhe und Ängstlichkeit Tachykardie

46.6.1.3 Komplikationen Schwere Komplikationen eines Asthmaanfalles sind: Pneumothorax (Luft im Pleuraspalt) Status asthmaticus Atemstillstand

46.6.1.4 Diagnostik Anamnese: Art, Häufigkeit und Einflussfaktoren von Asthmaanfällen körperliche Untersuchung im Anfallsgeschehen: Typisch sind eine verlängerte Ausatmung, trockene Rasselgeräusche, erhöhte Atem- und Herzfrequenz, manchmal ein paradoxer Puls (Puls fällt nach der Einatmung ab), Einsatz der Atemhilfsmuskulatur (Orthopnoe). Lungenfunktionsüberprüfung: Typischerweise zeigt sich eine reversible obstruktive Ventilationsstörung. Peak-Flow-Messung: Mit dem Peak-Flow-Meter wird der Atemspitzenstoß gemessen. Blutgasanalyse (BGA): Meistens besteht eine respiratorische Partialinsuffizienz, d.h. Hypoxämie bei normalem oder erniedrigtem Kohlenstoffdioxidpartialdruck.

46.6.1.5 Therapie Ziel: Anfälle vermeiden, aufgetretene Anfälle durchbrechen, ausreichende Sauerstoffversorgung gewährleisten Die Therapie besteht aus: meiden von Allergenen und anderen Auslösern medikamentöser Behandlung atemunterstützenden Maßnahmen Aufklärung und Beratung der Pflegeempfänger und deren Angehörige ▶ Medikamente. Es kommen 2 Wirkstoffgruppen zum Einsatz:

bronchienerweiternde Wirkstoffe: z.B. β2-Sympathomimetika (Nebenwirkungen: Tachykardie, Zittern) entzündungshemmende Wirkstoffe: z.B. Glukokortikoide (Nebenwirkungen: Infektanfälligkeit, Gewichtszunahme, Blutzuckererhöhung, Knochenerweichung, Hautveränderungen, Wachstumsstörungen) ▶ Therapieschema. Die Therapie orientiert sich an einem Stufenplan, welcher sich nach dem Schweregrad der Erkrankung richtet. Grundsätzlich kann jedoch wie folgt unterschieden werden: Dauer-/Basistherapie: inhalativ oder oral verabreichte Glukokortikoide (in niedrigen, mittleren oder hohen Dosen), langwirksame β2Sympathomimetika (LABA) ggf. zusätzlich Montelukast oder Theophyllin (oral oder s.c.) und bei starken allergischem Asthma Anti-IgE-Antikörper (s.c). Akuttherapie bei Bedarf: Glukokortikoide (i.v.), kurzwirksame β2-Sympathomimetika (RABA) Atemunterstützende Maßnahmen Atemgymnastik mit exspiratorischen Atemtrainern Atem- und Hustentechniken (Lippenbremse, schonendes „Hüsteln“) Atempositionen (z.B. Kutschersitz) warme Brustwickel oder Entspannungsübungen

46.6.1.6 Pflege Sofortmaßnahmen bei einem Asthmaanfall Hilfe rufen und Arzt informieren Bedarfsmedikamente verabreichen evtl. Kortisongabe durch Arzt Lippenbremse und Kutschersitz zur Atemerleichterung Fenster öffnen Pflegeempfänger beruhigen, nicht allein lassen

Beobachtung Vitalparameter und Sauerstoffsättigung: Puls: Tachykardien treten häufig auf (z.B. aufgrund von Medikamentennebenwirkungen, Dyspnoe, verstärkter Atemarbeit). Atmung: Veränderungen erfassen, dokumentieren und ggf. Arzt informieren (Atemfrequenz? Atemgeräusche? Einsatz der Atemhilfsmuskulatur? Sauerstoffsättigung?) Sauerstoffsättigung: erniedrigte Werte bei Asthmaanfällen erfordern eine Sauerstofftherapie (nach Arztanordnung) Haut: Ein Pflegeempfänger mit zyanotischem Hautkolorit bedarf einer Sauerstofftherapie. Hautausschläge können ein Hinweis auf eine allergische Reaktion sein. Blutzucker: Nach einer systemischen Kortisongabe steigt der Blutzucker an, deshalb v.a. bei insulinpflichtigen Diabetikern Blutzucker nach Gabe kontrollieren. Sodbrennen: Sodbrennen kann Asthma auslösen, es muss eine ursächliche Behandlung erfolgen. intensivmedizinische Überwachung: Intensivmedizinisch überwacht werden müssen Pflegeempfänger mit starker Dyspnoe, deutlicher Zyanose, Bewusstseinseintrübung durch Sauerstoffmangel und wenn Notfallmedikamente keine ausreichende Wirkung erzielen. ▶ Inhalationen. Inhalationen (z.B. mit Diskus, Turbohaler oder Dosieraerosol): Der korrekte Umgang mit den Inhalationshilfen muss zunächst geübt werden. Bei kortisonhaltigen Medikamenten ist neben den üblichen Nebenwirkungen darauf zu achten, dass Pflegeempfänger nach der Inhalation den Mund spülen bzw. eine Mundpflege durchführen (Soorprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17.12). ▶ Mobilisation. In anfallsfreien Intervallen kann der Asthmatiker aktiv sein und muss sich nicht besonders schonen. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Fachwissen vermitteln: Ursache, Symptome, Auslöser Medikamente: über Wirkungen und Nebenwirkung informieren

Anleitung: Dosieraerosol, Inhaliergerät, Peak-Flow-Messung, atemunterstützende Techniken Notfall: Verhaltensmaßnahmen im Asthmaanfall Alltagsbewältigung und Gesundheitsförderung: Asthmatagebücher, Peak-Flow-Messungen nach dem Ampelschema, Selbsthilfegruppen, Asthmaschulungen, Anschlussheilbehandlungen, Disease-Management-Programm (krankenkassenfinanziertes, aber zentral organisiertes Behandlungsprogramm für chronisch kranke Menschen) Kinder mit Asthma bronchiale: Zuvor genannte Maßnahmen (atemunterstützende Techniken, Dosieraerosol etc.) altersgerecht vermitteln und mit gesamter Familie einüben. Besonders auf Bedeutung von psychischem Gleichgewicht hinweisen (unbearbeitete Konflikte, Überforderungszustände u. Ä. können Atemwegsproblematik verstärken, Entspannungsübungen können dabei helfen). Familie auf Asthmaschulungen und Selbsthilfegruppen hinweisen.

46.6.2 Chronische Bronchitis Definition Chronische Bronchitis Von einer chronischen Bronchitis spricht man, wenn ein Patient in den letzten 2 Jahren jährlich mindestens 3 Monate ohne Unterbrechung an Husten mit Auswurf gelitten hat.

Definition COPD „Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung“ („chronic obstructive pulmonary disease“ = COPD) ist ein Oberbegriff für progredient verlaufende Erkrankungen, die mit einer nicht reversiblen Atemwegsobstruktion und Dyspnoe einhergehen. Die COPD ist eine der häufigsten Lungenerkrankungen.

46.6.2.1 Ursachen langjähriges Rauchen Feinstaub, Arbeit im Bergbau (seltenere Ursache) häufige Infektionen der Atemwege endogene Faktoren (z.B. Sensibilität der Bronchialschleimhaut)

46.6.2.2 Symptome Husten („Raucherhusten“) und Auswurf (v.a. morgens nach dem Aufstehen) Abhusten von zähem Schleim Infektanfälligkeit (bronchiale Infektionen) Dyspnoe, Atemnot Zyanose im Verlauf: Lungenemphysem, Bronchiektasen, ▶ Cor pulmonale

46.6.2.3 Diagnostik Untersuchung des Sputums Blutbild Röntgen-Thorax Lungenfunktionsprüfung Blutgasanalyse (BGA)

46.6.2.4 Therapie Die Therapie erfolgt nach einem festgelegten Stufenplan, der sich nach dem aktuellen Obstruktionsgrad, dem Ausmaß der Luftnot und der Häufigkeit jährlicher Exazerbationen richtet. Therapieaspekte sind: Rauchen: frühzeitiger Rauchverzicht, um den progredienten Verlauf aufzuhalten ▶ atemunterstützende Maßnahmen: Training der Atemhilfsmuskulatur, z.B. mittels exspiratorischer Atemtrainer, Atem- und Hustentechniken (z.B. Kutschersitz), Brustwickeln und Entspannungsübungen

Therapie bei Exazerbation (Verschlechterung des Krankheitsbilds): Je nach Schwere der Exazerbation werden bronchienerweiternde Medikamente, Lippenbremse, Kutschersitz, systemische Kortisontherapie, Antibiotika, Sauerstofftherapie und ggf. maschinelle Beatmung auf der Intensivstation notwendig. Sauerstoff-Langzeittherapie und NIV-Therapie: Bei Hypoxie und niedriger Sauerstoffsättigung erhalten Pflegeempfänger Sauerstoff per Nasenmaske oder -brille. Durch die nichtinvasive Beatmungstherapie (NIV-Therapie, siehe Kap. ▶ 40.1.3) wird der zu Pflegende mit einer druckdichten Atemmaske bei der Atmung unterstützt und die Atemmuskulatur entlastet.

ACHTUNG Bei der COPD kommt es aufgrund des dauerhaft erhöhten Kohlenstoffdioxidgehalts im Blut zur Adaption (Gewöhnung). Deswegen wird der Atemantrieb bei COPD über einen absinkenden Sauerstoffgehalt im Blut gesteuert. Eine Sauerstoffgabe kann nun zu einem verminderten Atemantrieb (Atemdepression) bis hin zum Atemstillstand führen. Aus diesem Grund ist selbst bei Zyanose und Dyspnoe die Sauerstoffgabe nur nach ärztlicher Anordnung sowie in verordneter Dosierung zu verabreichen. Eine regelmäßige Kontrolle der Vitalzeichen des Pflegeempfängers unter Sauerstofftherapie muss gewährleistet sein.

46.6.2.5 Pflege Beobachtung Vitalparameter und Sauerstoffsättigung: Puls: Tachykardien treten häufig auf (z.B. aufgrund von Medikamentennebenwirkungen, Dyspnoe, verstärkter Atemarbeit). Atmung: Veränderungen erfassen, dokumentieren und ggf. Arzt informieren (Atemfrequenz? Atemgeräusche? Einsatz der Atemhilfsmuskulatur? Sauerstoffsättigung?) Sauerstoffsättigung: Erniedrigte Werte erfordern eine Sauerstofftherapie (nach Arztanordnung!)

Bewusstsein: bei Sauerstofftherapie: Anzeichen einer Atemdepression zeigen sich durch Bewusstseinsstörungen. Körperhaltung: „Fassthorax“ (verkürzter und breiterer Thorax, der scheinbar in der Inspirationsstellung verharrt) durch chronische Überblähung der Lunge Husten und Sputum: Meist am Morgen tritt produktiver Husten mit bräunlichem Auswurf auf. Sekretlösende Maßnahmen schaffen Abhilfe. Haut: Dünne, pergamentartige Haut (durch Kortison verursacht) bedarf besonderer Pflege. Anstelle von Pflaster eher Mullbinden und Netzverbände nutzen und Hautläsionen mit Fettgaze verbinden. Blutzucker: Bei systemischer Kortisongabe muss der Blutzucker überwacht werden. Mobilisation auf ausreichende Pausen achten, je nach Belastbarkeit (Dyspnoe vermeiden) COPD-Medikamente möglichst vor der Mobilisation verabreichen, um die bestmögliche Atemsituation für den Pflegeempfänger zu schaffen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Rauchen: frühzeitiger Rauchverzicht, Maßnahmen der Rauchentwöhnung Medikamente: über Wirkungen und Nebenwirkung informieren Anleitung: Dosieraerosol, Inhaliergerät, Sauerstoffgerät, PeakFlow-Meter, atemunterstützende Maßnahmen Prophylaxe und Gesundheitsförderung: Grippeschutzimpfung, Disease-Management-Programm, Lungensportgruppen, ggf. hochkalorische Ernährung bei Unter-/Mangelernährung

46.6.3 Mukoviszidose Definition

Mukoviszidose Die Mukoviszidose (auch zystische Fibrose) ist eine angeborene, genetisch bedingte, chronisch fortschreitende Stoffwechselkrankheit, die durch eine zähflüssige Schleimproduktion der exokrinen Drüsen gekennzeichnet ist. So sind mehrere Organe betroffen, insbesondere die Lunge und die Bauchspeicheldrüse (Pankreas).

46.6.3.1 Ursachen Die Mukoviszidose ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung und tritt somit nur auf, wenn beide Elternteile das Mukoviszidose-Gen besitzen. Durch den Gendefekt sind die Chloridkanäle in den Zellwänden der exokrinen Drüsen in ihrer Funktion beeinträchtigt. Es wird zähflüssiges Sekret (Dyskrinie) produziert, das nur sehr schwer abfließen kann und die Ausführungsgänge der Drüsen verstopft (Mukostase).

46.6.3.2 Symptome Lunge: chronischer Husten mit Auswurf, häufige Atemwegsinfekte und Lungenentzündungen, Bronchiektasen und Lungenemphyseme bei zunehmender Zerstörung des Lungengewebes, (lebensbedrohliches) Husten von Blut (Hämoptyse), chronisch-respiratorische Insuffizienz im Spätstadium (mit Zyanose, Trommelschlägelfingern und Uhrglasnägeln) sowie Rechtsherzversagen. Meist ist die zunehmende Zerstörung der Lunge der lebenslimitierende Grund. Bauchspeicheldrüse: chronische Durchfälle, massiger und fettiger Stuhlgang, Blähungen, Gewichtsverlust, Diabetes mellitus durch Schädigung der Langerhans-Inseln im Verlauf Gedeihstörung: Kinder mit Mukoviszidose sind ausgesprochen mager und klein, da sie v.a. durch die Verdauungsprobleme nur schwer an Gewicht zulegen. Schweißdrüsen: Durch die gestörten Chloridkanäle wird salziger Schweiß produziert. Dieser gibt bei der Diagnostik erste Hinweise auf die Erkrankung (sog. Schweißtest nach Pilocarpin-Iontophorese).

weitere Symptome: Mekoniumileus bei Neugeborenen, Verstopfung, chronische Gallenabflussstörung mit biliärer Leberzirrhose, Unfruchtbarkeit (insbesondere bei Männern)

46.6.3.3 Diagnostik Die Diagnostik erfolgt mittels Schweißtest nach PilocarpinIontophorese, bei dem über 30 min Schweiß gesammelt und der Chloridgehalt des Schweißes bestimmt wird. Ist dieser Wert erhöht, wird die Diagnose mit einem Gentest abgesichert.

46.6.3.4 Therapie Eine ursächliche Therapie ist nicht möglich. Die Therapie zielt darauf ab, Beschwerden zu lindern und die Funktionsfähigkeit der Organe lange zu erhalten. Die mittlere Lebenserwartung liegt für ein Neugeborenes mit Mukoviszidose derzeit bei 53 Jahren (Deutsches Mukoviszidose-Register, Berichtsband 2019). Für die lebenslange tägliche Therapie (bis zu 6 h täglich) ist ein hohes Maß an Eigeninitiative und Engagement erforderlich. Die Sekretmobilisierung sowie die Infektionsprävention stehen dabei im Vordergrund. Letzte Therapieoption für die Lebensverlängerung ist eine Lungentransplantation.

46.6.3.5 Pflege Mitwirken bei der Therapie Atemphysiotherapie: Drainagelagerungen 3–4-mal täglich für 10–20 min, Abklopfen mit Vibrationstechnik oder einem Vibrationsgerät, Atemtrainer wie Flutter, Acapella choice oder RC-Cornet Sekretolyse: Inhalation mit hypertoner Kochsalzlösung oder mit rekombinanter humaner DNase Medikamente: Antibiotika bei pulmonalen Infekten, β2Sympathomimetika bei Bronchospasmen Sauerstoff-Langzeittherapie: bei Hypoxämie Pflegeziel ist die bestmögliche Atemfunktion. ▶ Ernährung. Aufgrund des erhöhten Kalorienbedarfs und Fettverlusts über den Stuhl:

hochkalorische, fett- und salzreiche Kost und Zwischenmahlzeiten anbieten Pankreasenzyme (z.B. Lipase) substituieren ▶ Psychosoziale Begleitung. Die Lebenserwartung von an Mukoviszidose Erkrankten hängt maßgeblich von ihrer Compliance ab. Gesprächsbereitschaft signalisieren auf Selbsthilfegruppen hinweisen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Bewegung: Regelmäßige Bewegung (z.B. Schwimmen, Reiten) trainiert die Lunge und kann zu einem verbesserten Allgemeinbefinden beitragen. Fachwissen vermitteln: um Compliance zu fördern Medikamente: über Wirkungen und Nebenwirkung informieren Infektionsprävention: Impfungen (Pertussis, Pneumokokken, Influenza, Haemophilus influenzae) sind empfohlen. Vermitteln von Kontaktadressen spezialisierter Mukoviszidose-Zentren sowie Rehabilitations- und Kurangeboten

46.6.4 Bronchopulmonale Dysplasie Definition Bronchopulmonale Dysplasie Die bronchopulmonale Dysplasie (BPD) ist eine potenziell reversible chronische Atemwegserkrankung unreifer Frühgeborener. Mit einer Inzidenz von 15–30 % aller Frühgeborenen < 1000 g Geburtsgewicht ist sie die häufigste chronische Lungenerkrankung im Kleinkindalter.

46.6.4.1 Ursachen Ursachen für die BPD bei Frühgeborenen können sein: Unreife des Lungengewebes

maschinelle Beatmung Zufuhr von hoher Sauerstoffkonzentration persistierender Ductus arteriosus botalli Infektionen

46.6.4.2 Symptome Die BPD zeigt sich durch: erhöhten Sauerstoffbedarf vertiefte, angestrengte Atmung (mit Einziehung) vermehrtes Bronchialsekret Bronchialobstruktion Tachypnoe Bei schweren Verläufen sind Komplikationen wie ▶ Cor pulmonale, ▶ Rechtsherzinsuffizienz, rezidivierende bronchopulmonale Infekte und psychomotorische Entwicklungsstörungen möglich.

46.6.4.3 Therapie und Pflege Therapeutisch werden folgende Optionen verfolgt: Substitution von Surfactant Oxygenierung (SpO2 ≥ 92–98 %, PO2 ≥ 50 mmHg) Behandlung von Infektionen und Entzündungen Flüssigkeitsretention in Kombination mit Diuretikagabe Bronchodilatatoren hochkalorische Ernährung Pflegefachkräfte arbeiten mit den Kindern und Eltern symptomatisch, prophylaktisch und an der Integration der Krankheit in den Alltag: Atembeobachtung Atemgymnastik, Sekretlösung und -entleerung Akzeptanz und Umgang mit der BPD Impfung gegen Pneumokokken, Keuchhusten und Haemophilus influenzae

Überleitung nach Hause mit einem ambulanten Pflegedienst

46.6.5 ARDS Definition Akutes Lungenversagen Beim akuten Lungenversagen (ARDS = Acute Respiratory Distress Syndrome = akutes Atemnotsyndrom) tritt ein plötzliches Versagen der Lungenfunktion bei Pflegeempfängern mit zuvor gesunder Lunge auf, das durch unterschiedliche Schädigungen des Lungengewebes entsteht.

46.6.5.1 Ursachen und Symptome Das ARDS ist eine seltene, aber in vielen Fällen tödlich verlaufende Erkrankung. Sie tritt häufig begleitend zu einer Sepsis, einem Schock, einem Polytrauma sowie bei der Aspiration von Magensaft und einer Langzeitbeatmung auf. Symptome wie eine akut einsetzende, rasch zunehmende Dyspnoe sowie Tachypnoe und zyanotische Schleimhäute treten auf und können innerhalb weniger Stunden zur Beatmungspflichtigkeit führen.

46.6.5.2 Therapie und Pflege Im Vordergrund steht die Ventilation der unbelüfteten Bezirke in der Lunge. Diese wird überwiegend durch maschinelle Beatmung in Bauchlage auf der Intensivstation vorgenommen.

46.6.5.3 Infantiles Atemnotsyndrom (IRDS) Frühgeborene (insbesondere vor der 32. SSW) besitzen in ihren Lungen nicht ausreichend Oberflächenfaktor („Surfactant“). Die innere Oberflächenspannung der Lunge ist reduziert und führt dazu, dass Alveolen kollabieren bzw. sich nicht richtig entfalten. Zudem kleiden sich die Alveolen mit hyalinen Membranen aus, die den Gasaustausch behindern.

KOMPAKT

Nicht infektiöse Erkrankungen Asthma bronchiale: chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege mit Atemwegsobstruktion. Sofortmaßnahmen bei einem Asthmaanfall sind: Hilfe rufen, Arztinformation, Bedarfsmedikamente verabreichen, Kortisongabe durch Arzt, Lippenbremse und Kutschersitz, Frischluftzufuhr, Pflegeempfänger beruhigen und nicht allein lassen. chronische Bronchitis: Pflegeempfänger leiden seit mind. 2 Jahren jährlich mind. 3 Monate ohne Unterbrechung an Husten mit Auswurf. Sauerstoffgabe bei COPD-Pflegeempfänger kann zum Atemstillstand führen (Sauerstoff nur nach ärztlicher Anordnung!). Mukoviszidose: Mukoviszidose ist eine angeborene, genetisch vererbte Stoffwechselerkrankung. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht. In ihrer Funktion veränderte Chloridkanäle führen zur Produktion von zähflüssigem Sekret. V.a. Lunge und Pankreas sind stark betroffen. Therapeutisch ist hohe Eigeninitiative der Pflegeempfänger gefragt: Sekretmobilisation und Infektionsprophylaxe nehmen am Tag mehrere Stunden ein. Bronchopulmonale Dysplasie: Die BPD ist eine durch Frühgeburtlichkeit erworbene chronische (potenziell reversible) Lungenerkrankung. Pflegende arbeiten mit den Eltern an der Verbesserung der Atemsituation (Atemgymnastik, Sekretlösung) und beraten zu prophylaktischen Maßnahmen. ARDS: seltenes, aber meist tödlich verlaufendes akutes Lungenversagen. Auslöser sind u. a. Sepsis, Polytrauma, Schock. Notwendig wird eine maschinelle Beatmung in Bauchlage auf der Intensivstation. Frühgeborene können das IRDS (infantile Atemnotsyndrom) aufgrund ihrer unreifen Lunge entwickeln.

46.7 Infektiöse Erkrankungen 46.7.1 Pneumonie

Definition Pneumonie Eine Lungenentzündung (Pneumonie) ist eine Entzündung der Lungenbläschen (Alveolen) und/oder des Lungenzwischengewebes (Lungeninterstitium).

46.7.1.1 Ursachen Die Pneumonie zählt zu den häufigsten Infektionserkrankungen weltweit. Verursacht wird die Pneumonie durch: Bakterien (häufigste Ursache) Viren Pilze Parasiten Aspiration (Fremdkörper, Flüssigkeiten, Magensaft) Lungenentzündungen können ambulant (CAP = community acquired pneumonia) oder nosokomial (HAP = hospital acquired pneumonia) erworben sein.

46.7.1.2 Symptome Abhängig davon, ob das Alveolargewebe oder das Zwischengewebe (Interstitium) betroffen ist, unterscheidet man zwischen einer typischen (alveoläre Lobärpneumonie) oder einer atypischen (interstitiellen) Pneumonie ( ▶ Tab. 46.2 ). Tab. 46.2 Symptome der typischen und atypischen Pneumonie im Vergleich. Kriterien

typische Pneumonie

atypische Pneumonie

Erkrankungsbeginn

plötzlich

schleichend

Fieber

hoch (bis 40°C) mit Schüttelfrost leicht erhöht

Husten

produktiv (bräunlich-gelber Auswurf)

trocken

Atemnot

von Beginn an ausgeprägt

langsam zunehmend

Begleitsymptome

Begleitpleuritis

„Grippesymptome“

Allgemeinbefinden

stark beeinträchtigt

mäßig beeinträchtigt

Bei Säuglingen und Kleinkindern können bei einer typischen Pneumonie folgende Symptome hinzukommen: Trinkunlust,

Weigerung der Nahrungsaufnahme, aufgeblähter Bauch, Tachypnoe, Tachykardie, aufgestellte Nasenflügel bei Einatmung.

46.7.1.3 Diagnostik Diagnostisch stehen Anamnese, körperliche Untersuchung, Röntgenthorax, Erregernachweis, Blutuntersuchungen und Blutgasanalyse zur Verfügung.

46.7.1.4 Therapie Die medizinische Therapie richtet sich nach dem Erreger der Pneumonie, somit kommen Antibiotika, Antimykotika und Virostatika zum Einsatz. Hustenstillende, schleimlösende und fiebersenkende Medikamente werden nach Bedarf eingesetzt.

46.7.1.5 Pflege Die pflegerische Therapie zielt darauf ab, die Lungenbelüftung zu verbessern, eine ausreichende Sauerstoffversorgung zu gewährleisten, Dyspnoe zu verhindern und Komplikationen frühzeitig zu erkennen. ▶ Beobachtung. Die pflegerische Beobachtung ist aufgrund möglicher Komplikationen wie ▶ Sepsis, septischer Embolie, respiratorischer Insuffizienz mit Sauerstoffmangel und anderer Komplikationen durch Immobilität und Nebenwirkungen besonders wichtig. Dazu sollten folgende Aspekte beachtet werden: Vitalparameter und Sauerstoffsättigung: erhöhte Puls- und Atemfrequenz bei Sauerstoffmangel, Kontrolle der Sauerstoffsättigung oder kontinuierliches Monitoring, ggf. Sauerstofftherapie nach Arztanordnung Körpertemperatur und Flüssigkeitsbilanz: Temperaturkontrolle, Trinkmenge erhöhen und bilanzieren, Maßnahmen bei Fieber (siehe Kap. ▶ 30) Husten und Sputum: Farbe des Sputums gibt Aufschluss über den Erreger (weiß: viral; gelb-grünlich: bakteriell; gräulich: meist abheilende bakteriell bedingte Pneumonie), gestörter Hustenreiz kann zu neuen (Aspirations-)Pneumonien führen, Dokumentation der Menge und Beschaffenheit des Sputums Schmerzen und Allgemeinbefinden: starke Schmerzen beim Atmen und Husten bei Beteiligung des Lungenfells mit

resultierender Schonhaltung, Minderbelüftung, unterdrücktes Abhusten begünstigen die Entzündung. Nach Arztanordnung werden Schmerzmittel verabreicht. Haut: Beobachtung auf Zyanose, Schweiß, Gänsehaut, Druckstellen, Pilzinfektionen (Mund- und Genitalbereich), allergische Reaktionen auf Antibiotika können sich durch ein Arzneimittelexanthem zeigen (Gefahr des anaphylaktischen Schocks, siehe Kap. ▶ 23.1.8). Stuhlgang: Antibiotika, Flüssigkeitsmangel und Immobilität begünstigen Obstipationen. Pflegemaßnahmen Hygiene: je nach Erreger ggf. Isolierung des Pflegeempfänger (siehe Kap. ▶ 13) Positionierung und Mobilisation: Oberkörperhochlage, körperliche Schonung, ggf. Bettruhe, bei Bedarf Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme und Körperpflege Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme: Bilanzierung des Flüssigkeitshaushalts Prophylaxen: Thrombose-, Dekubitus- und Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17) Beratung: Grippeschutzimpfung, PneumokokkenSchutzimpfung, schonende Hustentechniken, Schonung bei Infekten, Präventionsmaßnahmen (Mundpflege, vitaminreiche Ernährung, Aspirationsprophylaxe).

46.7.2 Tuberkulose Definition Tuberkulose Tuberkulose (Tbc) ist eine chronische, meldepflichtige Infektionskrankheit, die ein oder mehrere Organe befällt.

46.7.2.1 Ursachen

Die Tuberkulose wird von Mykobakterien hervorgerufen, die durch Tröpfcheninfektion aufgenommen werden. Die häufigste Form ist die Lungentuberkulose ( ▶ Abb. 46.5). Lungentuberkulose. Abb. 46.5 Gelangen Tuberkelbakterien in die Lunge, kommt es zur Primärinfektion. Ist die Immunabwehr gut, bildet sich ein Primäraffekt. Bei geschwächtem Immunsystem kommt es zu einer primären Tuberkulose. Bricht ein Primäraffekt auf, spricht man von postprimärer Tuberkulose. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

46.7.2.2 Symptome Die Tuberkulose kann offen oder geschlossen sein. Pflegeempfänger mit offener Tuberkulose scheiden Erreger aus und müssen isoliert werden. Bei der geschlossenen Tuberkulose gelangen keine Erreger aus dem Organismus. Bei der aktiven Tuberkulose zeigt der Mensch deutliche Symptome, wie Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Husten mit evtl. blutigem Auswurf und ein schlechtes Allgemeinbefinden. Radiologisch können im CT- oder Röntgen-Thorax Rundherde und/oder vergrößerte Lymphknoten nachgewiesen werden.

Merke Aktive, offene oder geschlossene Tuberkulose Formen der Tuberkulose: aktiv: deutliche Symptome und/oder radiologische Zeichen, kann offen oder geschlossen sein offen: Erreger werden ausgeschieden und können andere Menschen infizieren. Diese Patienten müssen isoliert werden. geschlossen: Erreger gelangen nicht auf natürlichem Weg aus dem Organismus.

46.7.2.3 Diagnostik Röntgen-Thorax Tuberkulin-Hauttest (intrakutane Injektion von gereinigtem Erregerextrakt, Ergebnis ist nach 2 Tagen einsehbar; nicht beweisender Test) Interferon-Gamma-Bluttest (erfolgreiche Nachweismethode, liefert zuverlässige Ergebnisse) mikroskopischer Nachweis von Mykobakterien bei offener Tbc (z.B. über Sputum oder Urin)

46.7.2.4 Therapie und Pflege Für die Bekämpfung der Tbc sind frühzeitige Erkennung und Isolierung (bei offener Tbc) besonders wichtig. Therapie: Gabe von Antituberkulotika (z.B. Isoniazid, Rifampicin) Hygiene: Pflegeempfänger mit offener Tbc im Einzelzimmer isolieren. Kinder, Schwangere und abwehrgeschwächte Personen sollten nicht in Kontakt mit dem Pflegeempfänger kommen. Ein spezieller Mundschutz (FFP2-Masken) ist für das Pflegepersonal erforderlich. Pflegeempfänger zum korrekten hygienischen Verhalten anleiten (z.B. in Tuch husten, nie in den Raum hinein- bzw. einen anderen Menschen anhusten, Tuch anschließend im Infektionsmüllbehälter verwerfen)

Ernährung: bei Unterernährung und Gewichtsverlust hochkalorische Kost anbieten Prophylaxe: Pflegeempfänger nach Möglichkeit vor vermeidbaren Infektionen schützen (z.B. kein Besuch von erkälteten Angehörigen)

46.7.3 Influenza Definition Influenza Die Influenza („echte“ Grippe) ist eine durch die Influenzaviren A und B ausgelöste hochfieberhafte Infektionserkrankung des Respirationstrakts.

46.7.3.1 Ursachen Influenzaviren werden über Tröpfcheninfektion verbreitet, sind hochansteckend und sorgen durch ständige Veränderungen in ihrem Erbgut für das stetige Entstehen neuer Virusvarianten. Eine jährliche Impfung gegen die aktuellen Grippeviren ist für Risiko-Personengruppen und medizinisches Personal ratsam.

46.7.3.2 Symptome und Therapie Rund die Hälfte aller Infizierten entwickeln hohes Fieber (bis zu 40°C), Schüttelfrost, bohrende Kopf- und Gliederschmerzen und ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl. Nach 1–2 Tagen folgen Schnupfen, trockener Husten mit zähem Auswurf und Schmerzen, Halsschmerzen und Heiserkeit. Nach einer Woche klingen die Symptome meist ab, Ermüdbarkeit und Kreislaufproblematik können noch länger andauern. Therapeutisch erfolgt in schweren Verläufen die stationäre Krankenhausaufnahme. Innerhalb der ersten 2 Tage der Influenza können Virostatika den Verlauf mildern und verkürzen, während Antibiotika nur bei bakteriellen Superinfektionen (Sekundärinfektion mit einem anderen Erreger) Anwendung finden.

46.7.3.3 Pflege

Wahrnehmen und Beobachten: engmaschige Temperaturkontrolle, Flüssigkeitsbilanzierung, Komplikationen erkennen (Atemnot, Brustschmerzen, Herzrhythmusstörungen) Isolierung: Hygienemaßnahmen (siehe Kap. ▶ 13) Prophylaxen nach Bedarf (siehe Kap. ▶ 17)

46.7.4 Laryngitis subglottica (Pseudokrupp) Definition Subglottische Laryngitis Die subglottische Laryngitis (Pseudokrupp) ist eine Virusinfektion (v.a. Parainfluenza-, RS-, Influenza- und Adenoviren) des Kehlkopfes, der die Trachea und die Stimmbänder befällt. Säuglinge und Kleinkinder (meist zwischen 18. Lebensmonat und 5 Jahren) sind besonders betroffen, da das weiche Gewebe der Glottis anschwillt und die noch kleinen Atemwege verengt.

46.7.4.1 Symptome Folgende Symptome treten häufig in der Nacht mit einem akuten Beginn auf: trockener, bellender Husten Atemnot Zyanose pfeifendes Geräusch (inspiratorischer Stridor) leichtes Fieber

46.7.4.2 Therapie und Pflege Bei leichter Symptomatik (kein Stridor): ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Atmen an der frischen Luft bzw. geöffnetes Fenster, Inhalation (z.B. im Bad bei laufender Dusche) Bei schwererer Symptomatik: verordnetes Kortison (Saft/Zäpfchen) geben, Inhalation eines Epinephrin-Aerosols, ggf. Einweisung in die Klinik bzw. notärztliche Versorgung

Zuwendung und Beruhigung

46.7.5 COVID-19 Definition COVID-19 COVID-19 (Abkürzung aus dem engl. für coronavirus disease 2019) ist eine Erkrankung, die durch eine Tröpfchen-/Aerosolinfektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (inklusive seiner Varianten) verursacht wird.

46.7.5.1 Diagnostik und Prävention Eine Infektion mit SARS-CoV-2 kann mit folgenden Tests nachgewiesen werden: Antigen-Schnelltests mit Nasen-/Rachenabstrich (zur Selbstanwendung oder durch medizinisches Fachpersonal) PCR-Tests mit Nasen-/Rachenabstrich (durch medizinisches Fachpersonal, Auswertung im Labor) Antikörpertest im Blut (weisen eine durchgemachte Infektion oder die Reaktion auf die Impfung nach) Zur Prävention von COVID-19 bzw. eines schweren Verlaufs stehen Impfungen bereit (z.B. mRNA- oder vektorbasiert sowie ein Totimpfstoff). Schützend wirken zusätzlich eine gute Händehygiene sowie das Tragen einer medizinischen OP-Maske/FFP-2-Maske.

46.7.5.2 Symptome Die vielseitigen Symptome treten meist nach einer Inkubationszeit von durchschnittlich 3–6 Tagen (je nach Variante) auf. Während dieser symptomlosen Zeit können bereits andere Menschen angesteckt werden. In einigen Fällen (insbesondere bei Kindern) können Infektionen mit SARS-CoV-2 gänzlich symptomlos verlaufen. Mögliche Symptome sind: Atemwegsinfektionen einhergehend mit Husten, Schnupfen, Halsschmerzen Fieber

Pneumonie Kopf-/Rücken-/Gelenk-/Gliederschmerzen Riech- und Geschmacksstörungen gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle)

46.7.5.3 Krankheitsverlauf und Therapie Der Krankheitsverlauf variiert stark. Während viele Infizierte mit einem milden Verlauf nach 14 Tagen keine Symptome mehr aufweisen, mussten in Deutschland … ca. 10 % der Infizierten hospitalisiert werden (RKI, 2021), 62 % der intensivmedizinisch behandelten Erkrankten beatmet werden (DIVI-Intensivregister; Stand 11. Juli 2021). Komplikationen bzw. Anzeichen für einen schweren Verlauf sind u.a. das Auftreten einer ▶ Pneumonie, sowie das ▶ ARDS. Virostatika (z.B. Remdesivir) und Glukokortikoide (z.B. Dexamethason) werden bei bestimmten Krankheitsverläufen eingesetzt. Die weitere Therapie versucht, v.a. die Symptome zu lindern und den Kreislauf des Patienten zu unterstützen (z.B. Sauerstofftherapie, Fiebersenkung, Atemunterstützung bis hin zur maschinellen Beatmung und ECMO-Therapie). Nicht immer bilden sich die Symptome vollständig zurück. Das Phänomen Long COVID bzw. Post-COVID-Syndrom bezeichnet Komorbiditäten oder Symptome (z.B. Dyspnoe, Fatigue) der COVID19-Erkrankung, die innerhalb von 4–8 Wochen (Long-COVID) bzw. 12 Wochen (Post-COVID) nach der Erkrankung weiterbestehen.

46.7.5.4 Pflege Isolation und Hygiene: siehe Kap. ▶ 13.3 Wahrnehmen und Beobachten: ausführliche Atemanamnese min. 3-mal täglich (Atemfrequenz, Atemtiefe, Atemgeräusche, Sauerstoffsättigung, Einziehungen, Orthopnoe, Zyanose, Husten, ggf. Auswurf) Vitalzeichenkontrolle min. 3-mal täglich (Puls, Blutdruck, Temperatur) Linderung der Symptome:

ggf. Pflege bei Fieber (siehe Kap. ▶ 30) Linderung der Dyspnoe: Sicherstellung der angeordneten Sauerstofftherapie, z.B. über Nasenbrille, Nasenpflege, Beobachtung der Nasenschleimhaut auf Veränderungen, atemerleichternde Lagerungen (z.B. Dehnlagerung, Bauchlagerung), atemvertiefende Techniken, Inhalationen psychosoziale Begleitung: Gespräche anbieten (Einsamkeit wegen Isolation, Angst vor schwerem Verlauf), ggf. Seelsorge, für Beschäftigung sorgen Prophylaxen: Pneumonie- und Thromboseprophylaxe, Intertrigoprophylaxe bei Fieber, bei älteren oder sehr schwachen Patienten Dekubitus- und Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17).

KOMPAKT Infektiöse Atemwegserkrankungen Pneumonie: Eine Lungenentzündung (Pneumonie) ist eine Entzündung der Lungenbläschen (Alveolen) und/oder des Lungenzwischengewebes (Lungeninterstitium), verursacht durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten. Tuberkulose: Tuberkulose (Tbc) ist eine chronische, meldepflichtige Infektionskrankheit, die ein oder mehrere Organe befällt und durch Tröpfcheninfektion übertragen wird. Bei einer offenen Tbc muss der Pflegeempfänger isoliert werden. Influenza: Die „echte Grippe“ wird ausgelöst durch hochansteckende Influenzaviren, die sich von Saison zu Saison verändern. Komplikationen (häufig bei Risikogruppen) machen diese Infektion potenziell lebensgefährlich. Laryngitis subglottica (Pseudokrupp): Eine Viruserkrankung, die bei Kleinkindern zu einem Anschwellen der Glottis führt und die Atemwege verengt. Leitsymptome sind ein bellender Husten und ein pfeifendes Geräusch bei der Einatmung. COVID-19: verursacht durch Tröpfchen-/Aerosolinfektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2. Leitsymptomatik ist eine Atemwegsinfektion, ggf. mit Fieber sowie Riech- und

Geschmackstörungen. Bei Komplikationen, starker Dyspnoe und schlechten AZ erfolgt ein Krankenhausaufenthalt, ggf. mit intensivmedizinischer Versorgung.

46.8 Maligne Erkrankungen 46.8.1 Bronchialkarzinom Definition Bronchialkarzinom Das Bronchialkarzinom ist ein maligner Tumor, der von den Epithelzellen der Bronchien und Alveolen ausgeht.

46.8.1.1 Ursachen Lungentumoren zählen zu den häufigsten Krebstodesursachen in Deutschland. Hauptrisikofaktor ist langjähriges Rauchen. Weitere Faktoren sind: Luftverschmutzung (Feinstaubinhalation) krebserzeugende Stoffe am Arbeitsplatz (Asbest, Arsen, ionisierende Strahlung) familiäre Veranlagung

46.8.1.2 Symptome Man unterscheidet Früh- und Spätsymptome: Frühsymptome: chronischer Husten, Auswurf Spätsymptome: Heiserkeit, Schluckstörungen, Atemnot, Blutdruckabfall mit Schwindel, obere Einflussstauung mit Halsvenenstauung und Schocksymptomatik

46.8.1.3 Diagnostik Besteht aufgrund der Symptome der Verdacht auf ein Bronchialkarzinom, wird die Diagnose über mehrere

Untersuchungen gesichert. Zur Basisdiagnostik zählen: bei Tumorverdacht: Röntgen-Thorax, -CT (ggf. kontrastmittelgestützt) Diagnose bestätigen: Bronchoskopie oder Thorakotomie, ggf. mit Gewebeprobe, Sputum-Diagnostik bei schlechtem AZ Tumorausdehnung beurteilen: Staging (Suche nach Metastasen mittels CT-Abdomen und -Kopf, AbdomenSonografie, Skelettszintigrafie), siehe Kap. ▶ 38.1.2 Beurteilen der Operabilität mittels Lungenfunktionstests: Ist die Lungenfunktion bereits vor der Operation sehr schlecht, gelten Pflegeempfänger als „funktionell inoperabel“.

46.8.1.4 Mitwirken bei der Therapie Die Therapie des Bronchialkarzinoms richtet sich nach dem histologischen Ergebnis und dem Stadium der Erkrankung. Kleinzellige Bronchialkarzinome (SCLC) metastasieren im Gegensatz zu nichtkleinzelligen Bronchialkarzinomen (NSCLC) sehr früh. Somit ergeben sich folgende Behandlungsstrategien: vollständige operative Entfernung: möglich, solange Tumor noch nicht metastasiert hat Bestrahlung und Chemotherapie: Tumorwachstum wird gehemmt (wichtig: Behandlung von Nebenwirkungen, z.B. Übelkeit, siehe Kap. ▶ 38.2). Palliative Maßnahmen kommen bei späteren Stadien des Bronchialkarzinoms zum Einsatz. Je nach Zustand des Pflegeempfängers zielt die Therapie auf Verlängerung der Lebenserwartung oder auf die Linderung des Leidensdruckes ab. Psychoonkologie: psychoonkologische Betreuung anbieten ▶ atemunterstützende Maßnahmen: Unabhängig von der gewählten medizinischen Therapie können Atemgymnastik, Atemtraining, spezielle Positionierungen, atemstimulierende Einreibungen, Inhalationen und Perkussion des Thorax zur Atemunterstützung angeboten werden.

46.8.1.5 Pflege Beobachtung

Atmung und Sauerstoffsättigung: Sauerstoffgabe nach ärztlicher Anordnung, bei abnormaler Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung sowie bei Zyanose Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe auch Kap. ▶ 21 Die Schmerztherapie muss dem Pflegeempfänger schmerzfreies Atmen und Husten ermöglichen, ggf. Anpassung der Schmerztherapie. Husten/Auswurf: Blutiges Sputum kann vorkommen, Arzt bei Veränderungen informieren. Allgemeinbefinden: Linderung der Luftnot steht im Vordergrund, ggf. Schlafmittel bei Schlaflosigkeit, Ernährungszustand beobachten und nach ärztlicher Anordnung intravenös ergänzen. Pflegebasismaßnahmen Positionierung: zur Atemerleichterung Position mit erhöhtem Oberkörper wählen, ggf. Unterarme unterstützen Mobilisation: angepasste Bewegungsangebote, nicht an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen, bei Gewichtsverlust größere Anstrengungen vermeiden, Frakturgefahr bei Knochenmetastasen Ernährung: Wunschkost, hochkalorische Kost oder mitgebrachte Speisen ▶ Prophylaxen. Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards. Thromboseprophylaxe: Thromboserisiko bei Krebserkrankungen stark erhöht (Tumoren schwemmen gerinnungsaktive Substanzen aus und Gefäße verändern sich) Pneumonieprophylaxe: Pneumonierisiko stark erhöht, wenn der Tumor die Bronchien verlegt und Bestrahlungstherapie erfolgt („Strahlenpneumonie“)

Dekubitusprophylaxe: Kachektische und immobile Pflegeempfänger sind besonders stark gefährdet, einen Dekubitus zu entwickeln. Zusätzlich zur Mobilisation und Positionierung eignen sich „Mikrolagerungen“ besonders, da diese den Pflegeempfänger nur wenig belasten. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Unterstützung bei der Aufklärung des Pflegeempfängers über Wirkungen, Nebenwirkungen und Komplikationen der Therapieformen über psychoonkologische und palliative Möglichkeiten informieren zu Ernährung und Bewegung beraten Maßnahmen zur Rauchentwöhnung aufzeigen Anleitung zu atemunterstützenden Maßnahmen medizinische Nachsorge durch Lungenfachärzte

KOMPAKT Bronchialkarzinom maligner Tumor, der von den Epithelzellen der Bronchien und Alveolen ausgeht. Prophylaxen (Thrombose-/Pneumonie-/Dekubitus- und ggf. Mangelernährungs-) in der pflegerischen Versorgung sind besonders wichtig.

46.9 Erkrankungen des Lungenkreislaufs 46.9.1 Pulmonale Hypertonie und Cor pulmonale Definition Pulmonale Hypertonie und Cor pulmonale

Eine pulmonale Hypertonie liegt vor, wenn der mittlere Blutdruck in der Pulmonalarterie auf > 20 mmHg und unter Belastung auf > 30 mmHg steigt. Bei einem Cor pulmonale liegt eine Hypertrophie und/oder Dilatation der rechten Herzkammer vor, die durch Rechtsherzbelastung bei einer pulmonalen Hypertonie entsteht.

46.9.1.1 Ursachen Die pulmonale Hypertonie tritt meist als Komplikation einer anderen Erkrankung des Herzens oder der Lunge auf (z.B. chronische Linksherzinsuffizienz, multiplen Lungenembolien, COPD, interstitielle Lungenerkrankungen). Das Cor pulmonale ist die längerfristige Folge einer solchen pulmonalen Hypertonie.

46.9.1.2 Therapie und Pflege Behandlung der Herzinsuffizienz (z.B. mit Diuretika, ACEHemmer) und des Grundleidens sowie medikamentöse Blutdrucksenkung im Lungengefäßsystem Pflegerische Beobachtung der Grunderkrankungen sowie auf Symptome eines Rechtsherzversagens (Beinödeme, gestaute Halsvenen, Stauungsleber mit Aszites, siehe Kap. ▶ 44.5.3).

46.9.2 Lungenembolie Definition Lungenembolie Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien durch einen Embolus (abgelöster Thrombus = Blutgerinnsel) aus dem venösen System.

46.9.2.1 Ursachen Meist ist die Lungenembolie Folge einer tiefen Beinvenenthrombose (Phlebothrombose). Risikofaktoren sind: Immobilität (z.B. Bettlägerigkeit, langes Sitzen, Gips) Gerinnungsstörungen

venöse Erkrankungen Kontrazeptiva

46.9.2.2 Symptome Die Lungenembolie geht mit folgenden Symptomen einher: plötzliche Atemnot, Zyanose, kaltschweißige blasse Haut Tachypnoe, Husten mit blutigem Auswurf Tachykardie, Blutdruckabfall atemabhängige thorakale Schmerzen (besonders beim Einatmen) Angst, Unruhe

ACHTUNG Eine schwere Lungenembolie (fulminante Lungenembolie) ist eine akut lebensbedrohliche Situation! Eine intensivmedizinische Überwachung ist zwingend erforderlich. Onkologische und postoperative Patienten sind besonders gefährdet.

46.9.2.3 Diagnostik Die Diagnostik muss schnell und gezielt ablaufen, da die Lungenembolie potenziell lebensgefährlich ist. Der Wells-Score wird angewendet, um die Wahrscheinlichkeit der Lungenembolie einzuschätzen. Des Weiteren erfolgt eine Blutuntersuchung beim Pflegeempfänger, bei der die sog. D-Dimere im Blutserum bestimmt werden. D-Dimere entstehen im Körper, wenn ein Blutgerinnsel aufgelöst wird. Ein positiver D-Dimere-Test (DDimere im Serum > 500 mg/ml) ist jedoch kein alleiniger Beweis für die Lungenembolie; Beeinflussung durch Infektionen, Tumoren, Schwangerschaft, Operationen möglich. Abschließend wird eine Bildgebung angestrebt (Kompressionssonografie der Beinarterien, Spiral-CT-Thorax mit Kontrastmittel, alternativ Lungenperfusionsventilationsszintigrafie).

46.9.2.4 Therapie und Pflege Bei Verdacht auf eine Lungenembolie sollten die nachfolgenden Maßnahmen schnellstmöglich getroffen werden: Arzt sofort verständigen! Positionierung in Oberkörperhochlage, Bettruhe und Sauerstoffgabe über Nasensonde, Frischluftzufuhr Vitalparameter kontrollieren Pflegeempfänger beruhigen und nicht allein lassen, Morphinderivate und Benzodiazepine gegen Schmerzen und Angstgefühl auf Arztanordnung bei Blutdruckabfall intravenöse Volumenzufuhr und Gabe vasoaktiver Substanzen (z.B. Adrenalin) auf Arztanordnung Gabe von Heparin zur Antikoagulation bzw. systemischen ▶ Thrombolyse auf Arztanordnung ab dem 2.–5. Tag ergänzende Marcumartherapie für mind. 3–6 Monate (Sekundärprophylaxe) auf Arztanordnung

46.9.3 Lungenödem Definition Lungenödem Ein Lungenödem ist eine Ansammlung von Flüssigkeit im Zellzwischenraum (sog. interstitielles Lungenödem) und in den Lungenbläschen (sog. alveoläres Lungenödem), die zu einer Störung des Gasaustauschs führt.

46.9.3.1 Ursachen kardiales Lungenödem: Linksherzinsuffizienz (häufigste Form) Überwässerung bei Niereninsuffizienz niedriger osmotischer Druck des Blutes (z.B. bei Albuminmangel) Schädigung der Gefäßwände (z.B. durch Beinaheertrinken, Reizgasinhalation)

46.9.3.2 Symptome rasch auftretende, schwere Atemnot rasselnde Atemgeräusche Zyanose starke Unruhe, Angst hohe Puls- und Atemfrequenz, Schweißausbruch, niedrige Sauerstoffsättigung

46.9.3.3 Diagnostik Auskultation der Lunge (Rasselgeräusche, Brodeln) Atemgeräusch ist abgeschwächt Klopfschall normal bis gedämpft Röntgen-Thorax

46.9.3.4 Therapie Sauerstoff Morphinderivate und Benzodiazepine (bei Panik und Schmerzen) Diuretika und Flüssigkeitsrestriktion Nitroglycerin (bei kardialem Lungenödem)

46.9.3.5 Pflege In der Akutsituation Arzt verständigen und Pflegeempfänger nicht alleine lassen Pflegeempfänger beruhigen und mit erhöhtem Oberkörper oder in Herzbettlage positionieren Vitalparameter erheben 3–4 l Sauerstoff verabreichen (auf Arztanordnung) i.v.-Zugang legen (lassen) Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z.B. Nitroglycerin, Benzodiazepine, Diuretika) auf Arztanordnung ggf. Verlegung auf die Intensivstation

▶ Im weiteren Verlauf. Beobachtung: Temperatur 1–3-mal täglich messen: erhöhte Temperaturen können auf eine Pneumonie hinweisen (erhöhtes Pneumonierisiko aufgrund verminderter Lungenbelüftung)

KOMPAKT Erkrankungen des Lungenkreislaufs Cor pulmonale: eine Hypertrophie und/oder Dilatation der rechten Herzkammer, die durch Rechtsherzbelastung bei einer pulmonalen Hypertonie entsteht. Pflegerisch auf Symptome des Rechtsherzversagens achten (Beinödeme, gestaute Halsvenen, Stauungsleber mit Aszites) achten. Lungenembolie: Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien durch einen Embolus aus dem venösen System (meist aus einer tiefen Beinvene). Onkologische Pflegeempfänger und Pflegeempfänger nach einer großen Operation sind besonders gefährdet. Lungenödem: Ansammlung von Flüssigkeit in der Lunge mit gestörtem Gastaustausch, oft aufgrund einer Herzinsuffizienz. Typisches Symptom: rasselndes Atemgeräusch. Wichtig: Pflegeempfänger in Herzbettlage bringen und Sauerstoff zuführen!

47 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Verdauungssystems 47.1 Anatomie und Physiologie

47.1.1 Aufgaben Neben der reinen Transportfunktion dient das Verdauungssystem der Versorgung des Körpers mit Nährstoffen. Der Verdauungsprozess beginnt bereits im Mund. Der Magen dient dann als Reservoir und gibt den Speisebrei portionsweise in den Dünndarm weiter. Hier wird er mit den Verdauungssäften aus Bauchspeicheldrüse und Leber vermengt. Im Dünndarm beginnt der Körper mit der Aufnahme von Nährstoffen. Der Dickdarm dient lediglich der Eindickung des verbliebenden Speisebreis und gibt ihn anschließend als Fäzes (Stuhl) an die Umwelt ab.

47.1.2 Aufbau 47.1.2.1 Bauchhöhle und Peritoneum Fast alle Organe des Verdauungssystems liegen in der Bauch- oder der Beckenhöhle. Die Bauchhöhle ist innen mit Bauchfell (Peritoneum) ausgekleidet. Inneres Blatt: Peritoneum viscerale (auf den Organen). Äußeres Blatt: Peritoneum parietale (der Bauchwand innen anliegend). Aufgabe des Peritoneums: Es dient als Verschiebeschicht zwischen einzelnen Organen und erfüllt Aufgaben der Infektabwehr. Einige Organe sind komplett von Peritoneum überzogen – sie liegen intraperitoneal. Dazu zählen u.a. Leber, Gallenblase, Milz, Magen. Andere Organe sind nur teilweise von Peritoneum überzogen – sie liegen retroperitoneal. Dazu zählen u.a. Pankreas, Nieren, Nebennieren, Harnleiter.

47.1.2.2 Gefäßversorgung und Innervation des Verdauungssystems

Die Organe des Verdauungssystems werden über 3 große Arterien versorgt, die alle der Aorta entspringen: Truncus coeliacus (versorgt den Magen, die Leber, Milz und Teile des Duodenums), A. mesenterica superior (versorgt den gesamten Dünndarm; zusätzlich den Dickdarm bis zur linken Flexur) und A. mesenterica inferior (versorgt das Colon descendens und das obere Rektum). Die nervale Innervation der Verdauungsorgane hat eine regulatorische Funktion. Sie setzt sich zusammen aus: Sympathikus: reduziert Bewegung und Durchblutung des Magen-Darm-Trakts und spannt den inneren Schließmuskel an Parasympathikus: erhöht Bewegung und Durchblutung des Magen-Darm-Trakts und entspannt den inneren Schließmuskel enterisches Nervensystem (Auerbach/MeissnerPlexus): unterstützt das vegetative Nervensystem in seiner Funktion und hat modulatorischen Einfluss auf Motorik, Durchblutung und Resorption

47.1.2.3 Allgemeiner Wandaufbau des Verdauungssystems Von innen nach außen werden folgende Schichten unterschieden: Die Schleimhautschicht (Mukosa) enthält je nach Organabschnitt verschiedene spezialisierte Zellen und Drüsen. Sie produziert ein schleimiges Oberflächensekret, das teilweise Verdauungsenzyme enthält. Die Bindegewebsschicht (Submukosa) enthält Blutgefäße und Nerven sowie den Meissner-Plexus. Die Muskelschicht (Muskularis) besteht aus einem inneren Ringmuskel und einer äußeren

Längsmuskelschicht. Zwischen den beiden Muskelschichten liegt der Auerbach-Plexus (Teil des autonomen, enterischen Nervensystems). Die Speiseröhre verfügt zusätzlich noch über eine Quermuskelschicht. Die Serosa bzw. Adventitia bilden eine Verschiebeschicht zwischen Muskulatur und umgebendem Bindegewebe. Sie entspricht bei intraperitoneal gelegenen Organen dem Peritoneum viscerale.

47.1.3 Die Organe 47.1.3.1 Mundhöhle und Rachen ▶ Aufgaben. Die Mundhöhle zerkleinert die Nahrung und vermischt sie mit Speichel und ist am Sprechen, Atmen und an der Abwehr von Krankheitserregern beteiligt. ▶ Lage und Aufbau. Die Mundhöhle beherbergt den größten Teil des Kauapparats (Zähne und Zunge). Die Zähne zerkleinern die aufgenommene Nahrung und sind wichtig für die Artikulation. Die Zunge durchmischt die Nahrung beim Kauen, ist am Schlucken und Sprechen beteiligt und nimmt Geschmack wahr. Durch den Kehlkopf im Rachen gelangt die Atemluft in die Luftröhre. Der Kehlkopf ist außerdem für die Stimmbildung verantwortlich und verhindert, dass beim Schlucken Nahrung in die unteren Atemwege gelangt.

47.1.3.2 Speicheldrüsen ▶ Aufgaben. Die Speicheldrüsen produzieren den Mundspeichel (täglich 500–1500 ml) und münden in der Mundhöhle bzw. im Mundvorhof. Der Speichel besteht zu 99 % aus Wasser, das restliche 1 % setzt sich zusammen aus: Schleimstoffen, Lysozym und IgA-Antikörper (wirkt

desinfizierend), Mineralstoffen, Amylase (Enzym beginnt mit der Kohlenhydratverdauung). Lage und Aufbau 600–1000 kleine Speicheldrüsen liegen verstreut in der Mukosa von Lippen, Wangen und Gaumen. 3 paarig angelegte große Speicheldrüsen: Die Ohrspeicheldrüse (Glandula parotidea) liegt im Bereich des Kieferwinkels. Die Unterkieferspeicheldrüse (Glandula submandibularis) liegt im Bereich des Unterkieferwinkels und produziert 70 % des gesamten Mundspeichels. Die Unterzungenspeicheldrüse (Glandula sublingualis) liegt in der Mundbodenmuskulatur direkt unter der Zunge.

47.1.3.3 Speiseröhre (Ösophagus) ▶ Aufgaben. Der Ösophagus transportiert die Nahrung mittels peristaltischer Wellen (abwechselnde Anspannung von Ring- und Quermuskulatur) in den Magen. Lage und Aufbau 25 cm langer Muskelschlauch zwischen Kehlkopf und Magen verläuft hinter der Luftröhre und vor der Wirbelsäule 3 physiologische Engstellen: Kehlkopfenge, Aortenbogenenge, Zwerchfellenge

47.1.3.4 Magen (Gaster) Aufgaben Bildung des Magensaftes

Bildung des Magenbreis (Chymus) durch die Mischung der zerkleinerten Nahrung mit Magensaft Reservoirfunktion: Der Magenbrei wird portionsweise in das Duodenum weitergegeben. Lage und Aufbau Form und Größe sind vom Füllungszustand abhängig. liegt intraperitoneal im linken Oberbauch und verläuft leicht gebogen Es gibt 4 Abschnitte mit unterschiedlichen Funktionen ( ▶ Abb. 47.1). Die Magendrüsen produzieren täglich etwa 2 l Magensaft. Dieser hat einen ph-Wert zwischen 1 und 4. Die wichtigsten Bestandteile des Magensafts sind Salzsäure und Pesinogen Die Magenschleimhaut ist in Falten gelegt und ermöglicht so die Dehnung bei Nahrungsaufnahme. Sie besteht aus: Hauptzellen: Sie produzieren Pepsinogen zur Eiweißverdauung und (etwas) Lipase zur Fettverdauung. Belegzellen (Parietalzellen): Sie produzieren Salzsäure und Intrinsic Factor. Die Salzsäure sorgt für ein antibakterielles, saures Milieu und ist an der Eiweißdenaturierung beteiligt. Der Intrinsic Factor wird benötigt, um im Dünndarm Vitamin B12 aufzunehmen. Nebenzellen: Sie produzieren schützenden Schleim, um die Magenwand vor der hochätzenden Salzsäure zu schützen. Innenansicht des Magens.

Abb. 47.1 Der Magen kann in 4 Abschnitte eingeteilt werden. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

47.1.3.5 Dünndarm (Duodenum, Jejunum, Ileum) Aufgaben weitere Durchmischung des Chymus durch Pendelbewegungen (wechselnde Entspannung/Anspannung der Längsmuskulatur) Hauptort der Verdauung (d.h., Aufspaltung von Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten) Resorption aufgespaltener Nahrungsmittel

Lage und Aufbau schließt sich an den Magenpförtner (Pylorus) an und ist insgesamt 3–5 m lang liegt (größtenteils) intraperitoneal und ist vom Dickdarm (Kolon) umrahmt weitere Unterteilung: Zwölffingerdarm (Duodenum): ist C-förmig aufgebaut und beherbergt in seinem Bogen den Pankreaskopf. Im mittleren Drittel des Bogens befindet sich die Papilla duodeni major (Papilla Vateri), wo Gallen- und Pankreasgang münden. Leerdarm (Jejunum) und Krummdarm (Ileum): Es besteht keine eindeutige anatomische Grenze zwischen den beiden Darmabschnitten. Das Ileum mündet mit der Bauhin-Klappe in das Kolon. In die Darmwand sind zahlreiche Lymphfollikel (PeyerPlaques) eingestreut. Feinbau: Die Oberfläche der Dünndarm-Schleimhaut ist in Falten gelegt und wird durch Zotten und Krypten zusätzlich vergrößert (können im Duodenum und oberen Jejunum bis zu 1 cm hoch sein, sog. Kerckring-Falten).

47.1.3.6 Dickdarm (Kolon) Aufgaben entzieht dem Chymus Wasser und lässt so Stuhl (Fäzes) entstehen bildet Vitamin K (das jedoch auch in größeren Mengen in der Nahrung enthalten ist) Erhaltung von Kontinenz und Defäkation. Die Defäkation läuft wie folgt ab:

Dehnungsrezeptoren nehmen die Stuhlfüllung des Rektums wahr und leiten dies an das Gehirn weiter. Über eine Aktivierung des Parasympathikus wird der innere Schließmuskel entspannt. willkürliche Entspannung des äußeren Schließmuskels Der Parasympathikus regt peristaltische Wellen an. Über die zusätzliche Anspannung der Bauchdecke wird die Stuhlsäule in Bewegung gesetzt. Lage und Aufbau Der Dickdarm legt sich wie ein Rahmen um den Dünndarm und unterteilt sich in: Zäkum (Blinddarm): enthält neben der Appendix viele Lymphfollikel zur Abwehr von Krankheitserregern. Der Blinddarm liegt intraperitoneal. Colon ascendens (aufsteigender Dickdarm): liegt retroperitoneal und geht an seinem oberen Knick (Flexura coli dextra) in den quer verlaufenden Dickdarm über Colon transversum (quer verlaufender Dickdarm): liegt intraperitoneal Colon descendens: liegt retroperitoneal und verläuft von seinem oberen Knick (Flexura coli sinistra) bis zum Colon sigmoideum Colon sigmoideum (gebogener Dickdarm): liegt intraperitoneal; hauptsächlich hier entstehen Dickdarmdivertikel und Dickdarmkrebs Rektum und Analkanal: bilden den Abschluss des Dickdarms. Der Analkanal sorgt mit seinem inneren (kontrolliert durch den Parasympathikus) und

äußeren Schließmuskel (willkürlich kontrolliert) für die Kontinenz. muskuläre Besonderheiten: Taenien: an der Oberfläche des Dickdarms angeordnete Bündel Längsmuskulatur. Sie dienen der Verkürzung des Dickdarms bei Anspannung. Insgesamt gibt es 3 Taenien. Haustren: ringförmige Einziehungen der Ringmuskulatur. Sie schnüren den Darm von außen sichtbar ein. Dickdarm. Abb. 47.2 Der Dickdarm besteht aus Blinddarm mit Wurmfortsatz, Kolon, Rektum und Analkanal. An seiner Oberfläche sind Taenien und Netzanhängsel gut zu erkennen. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

47.1.3.7 Bauchspeicheldrüse (Pankreas) Aufgaben Das endokrine Pankreas produziert Hormone, die direkt in das Blut abgegeben werden und nicht den Ausführungsgang passieren. Die Hormonproduktion findet in den Langerhans-Inseln statt. Diese spezialisierten Zellinseln bestehen aus: α-Zellen: Produktion von Glukagon β-Zellen: Produktion von Insulin δ-Zellen: Produktion von Somatostatin

Merke GABI Glukagon wird in den Alpha-Zellen produziert; Beta-Zellen produzieren Insulin. Das exokrine Pankreas produziert täglich bis zu 2 l Verdauungssaft, der direkt in das Duodenum abgegeben wird, darin enthalten sind: bikarbonatreiche Flüssigkeit (zur Neutralisierung des Magenchymus) Proteasen (spalten Eiweiße): Trypsin, Chymotrypsin, Elastase, Carboxypeptidase, Aminopeptidase Amylase (spaltet Kohlenhydrate) Lipasen (spalten Fette): Lipase, Phospholipase A, Cholinesterase Nukleasen (spalten Nukleinsäuren): Ribonuklease, Desoxyribonuklease Die im Pankreas hergestellten Verdauungsenzyme sind stets inaktiv und werden über verschiedene Zwischenschritte erst im Dünndarm aktiviert. Auf diese Weise schützt sich das Organ vor Selbstverdauung. Lage und Aufbau Die Bauchspeicheldrüse liegt hinter dem Magen, retroperitoneal, im Oberbauch. Sie gliedert sich in Kopf (Caput pancreatis), Körper (Corpus pancreatis) und Schwanz (Cauda pancreatis). Während der Schwanz die Milz berührt, schmiegt sich der Kopf in das duodenale „C“. Mittig im Organ verläuft ein Ausführungsgang (Ductus pancreaticus bzw. Wirsung-Gang). Er mündet an der

Papilla duodeni major (Vater’sche Papille) in das Duodenum und transportiert die vom Pankreas produzierten Enzyme.

47.1.3.8 Leber (Hepar) Aufgaben Funktionen im Rahmen des Kohlenhydratstoffwechsels: Glukoneogenese (Neubildung von Glukose) Speicherung von Glykogen und Glykogenabbau Glykolyse (Abbau von Glukose) Bildung von Fettsäuren (Umbau überschüssiger Glukose in Fettsäuren), Lipoproteinen und Cholesterin sowie Ketonkörpern (zur Energiegewinnung in Hungerzeiten) Funktionen im Rahmen des Eiweißstoffwechsels: Bildung von Plasmaproteinen (insbesondere Albumin) Bildung von Blutgerinnungsfaktoren Entgiftung Bildung der Galle und Abbau des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) Lage und Aufbau Die Leber liegt intraperitoneal, direkt unter dem Zwerchfell, im rechten Oberbauch ( ▶ Abb. 47.3). Sie ist von einer dicken Kapsel überzogen und hierüber mit dem Zwerchfell verwachsen. Sie besteht aus 4 Leberlappen: Lobus dexter, Lobus sinister, Lobus quadratus, Lobus caudatus.

An der Leberunterseite befindet sich die sog. Leberpforte. Hier treten Blutgefäße und Gallengang in die Leber ein bzw. aus der Leber aus. Konkret sind dies: Leberarterie (A. hepatica), Pfortader (V. portae), Gallengang. Feinbau und Gefäßversorgung: Die Leber verfügt über 2 spezielle Gefäßsysteme: Gefäße zur Sauerstoffversorgung der Leber (Äste der A. hepatica und V. portae) Gefäße zur Sicherstellung der Stoffwechselfunktion (Lebersinusoide und Zentralvene) Lebergewebe: gliedert sich in mikroskopisch kleine Leberläppchen. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Stoffwechselfunktion der Leber. Hier entsteht Gallenflüssigkeit und das Blut wird von Fremdstoffen gereinigt. Die Oberbauchorgane. Abb. 47.3 Sicht von vorn in den Oberbauch. Die Leber wird im Bild mit zwei Haken etwas angehoben. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

47.1.3.9 Gallenblase (Vesica biliaris) ▶ Aufgaben. Die Gallenblase speichert und dickt die Gallenflüssigkeit ein (hergestellt wird sie in der Leber). Nachdem fettreicher Chymus den Dünndarm erreicht hat, kontrahiert sich die Gallenblase. Die abgegebene Gallenflüssigkeit sorgt für die Emulgierung der Fette (d.h., sie verändert Fette so, dass sie von Lipasen angegriffen und verdaut werden können). Die Gallenflüssigkeit selbst enthält keine Enzyme. Lage und Aufbau liegt intraperitoneal im Bereich der Leberpforte Der Gallenblasenhals mündet in den Ductus cysticus. Der Ductus cysticus setzt sich in den Ductus choledochus fort und mündet, gemeinsam mit dem Pankreasgang, an der Papilla duodeni major (Vater’sche Papille) in das Duodenum.

47.1.4 Verdauung und Ernährung 47.1.4.1 Energie- und Flüssigkeitsbedarf Der Körper nutzt Kohlenhydrate, Fette und Proteine als Energiequelle. Der Energiegehalt der einzelnen Nährstoffe ist jedoch unterschiedlich. Der tägliche Energiebedarf des Menschen hängt u. a. vom Geschlecht sowie von der täglich verrichteten Arbeit des Einzelnen ab (siehe Kap. ▶ 18).

47.1.4.2 Kohlenhydratverdauung Kohlenhydrate werden durch Karbohydrasen gespalten und in Form von Monosacchariden (Glukose, Fruktose, Galaktose) resorbiert. ▶ Tab. 47.1  zeigt, wie die einzelnen Organe an der Kohlenhydratverdauung beteiligt sind. Tab. 47.1 Prozesse bei der Kohlenhydratverdauung. Organ

Verdauungsprozess

Mund

Mundamylase spaltet Stärke in Oligo- und Disaccharide.

Magen

Die Verdauung stoppt zunächst, weil die Mundamylase durch Salzsäure (HCI) inaktiviert wird.

Pankreas

α-Amylase, Saccharase, Maltase, Laktase werden über das Pankreassekret hinzugegeben.

Dünndarm

Saccharase, Maltase, Laktase werden hinzugegeben (durch Dünndarmsekret).

47.1.4.3 Eiweißverdauung Eiweiße werden durch Proteasen gespalten und in Form von einzelnen Aminosäuren resorbiert. ▶ Tab. 47.2  zeigt, wie die einzelnen Organe an der Eiweißverdauung beteiligt sind. Tab. 47.2 Prozesse bei der Eiweißverdauung. Organ

Verdauungsprozess

Magen

Salzsäure denaturiert (nicht spaltet!) Eiweißkörper und macht sie für Pepsinogen angreifbar.

Pankreas

Pepsinogen wird durch Salzsäure (aus Belegzellen im Magen) aktiviert und spaltet Eiweiße in kleinere Polypeptide (Oligopeptide).

Organ

Verdauungsprozess

Dünndarm

Proteasen (z.B. Trypsinogen, Chymotrypsinogen) werden vom Pankreas in das Duodenum abgegeben.

47.1.4.4 Fettverdauung Die Fettverdauung ist von allen Verdauungsvorgängen wohl die komplizierteste. Der Grund liegt im chemisch hydrophoben (wasserabweisenden) Verhalten der Fette. Dies muss man sich wie das Kochen einer Rinderbrühe vorstellen. Die in der Brühe enthaltenen Fette bilden mit dem enthaltenen Wasser keine homogene Masse, sondern schwimmen als Fettaugen obenauf. Gibt man einen Emulgator (z.B. Galle) hinzu, lösen sich die Fettaugen auf und es kommt zur Bildung einer homogenen Lösung. ▶ Tab. 47.3  zeigt den Fettverdauungsprozess und welche Organe beteiligt sind. Tab. 47.3 Prozesse bei der Fettverdauung. Organ

Verdauungsprozess

Mund

Durchmischung der Fette und erste (mechanische) Emulgierung

Magen

Magenlipase (aus den Hauptzellen) wird hinzugegeben. weitere (mechanische) Emulgierung der Fette Spaltung von 15–30 % der Fette

Pankreas

Lipasen spalten Triglyzeride in Monoglyzeride, Phospholipide, Cholesterin und freie Fettsäuren. Die Pankreaslipase ist für die Spaltung von 70–85 % aller Fette zuständig.

Leber

Galle wird hinzugegeben. Dadurch erfolgt die (chemische) Emulgierung von Fetten und Fettsäuren im Duodenum.

Dünndarm

Monoglyzeride, kurze Fettsäuren, Cholesterin und Phospholipide legen sich mithilfe der Gallensäure zu Mizellen (kleinere Fettbläschen) zusammen und werden in die Pfortader resorbiert. Langkettige Fettsäuren werden mithilfe der Gallensäure zu Chylomikronen (größere Fettbläschen) verpackt und über den Ductus thoracicus (großer Lymphgang) in den großen Kreislauf aufgenommen.

47.2 Pflegebasismaßnahmen Wahrnehmen und Beobachten Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö, Obstipation kommen als Reaktion auf Erkrankungen (z.B. Lebensmittelvergiftung, Sepsis, Gastritis u.a.) oder als Folge bestimmter Therapiemaßnahmen (z.B. Chemotherapie) vor. Aszites („Bauchwassersucht“): Flüssigkeitsansammlung in der freien Bauchhöhle; häufig bei Lebererkrankungen Schmerzen, z.B. krampfartig („kolikartig“) bei Gallensteinen, Abwehrspannung bei Bauchfellentzündung Meteorismus und Flatulenzen Ikterus („Gelbsucht“): durch einen erhöhten Bilirubinwert entstehende Gelbfärbung von Haut und Skleren; häufig bei Gallenwegserkrankungen oder fortgeschrittener Leberzirrhose Ernährung Beratung zu bestimmten Diäten (z.B. glutensensitive Enteropathie) Aufklärung über möglichen Alkoholverzicht (z.B. bei Lebererkrankungen) Vermittlung einer Ernährungsberatung und Erläuterung des Ernährungstagebuchs (z.B. bei unklarer Diarrhö) Ausscheidung ggf. Hilfestellung im Umgang mit einem Enterostoma Erläuterung von Stuhlunregelmäßigkeiten (z.B. bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen) oder Warnhinweisen (z.B. Teerstuhl) Beobachtung des Flüssigkeitshaushaltes

▶ Psychosoziale Begleitung. Beachtung der psychischen Komponente, v.a. bei chronischen Erkrankungen leiden die Betroffenen stark unter den lebensverändernden Einschränkungen

47.3 Pflege von Menschen mit Enterostoma Definition Stoma Künstliche, operative Öffnung eines Hohlorgans (z.B. Darm, Blase, Luftröhre usw.) zur Körperoberfläche. Unter dem Begriff „Enterostoma“ werden künstliche Dickund Dünndarmausgänge zusammengefasst. Befindet sich die Öffnung im Bereich des Dünndarms, wird diese Ileostoma genannt, befindet sie sich im Bereich des Dickdarms, Kolostoma ( ▶ Abb. 47.4). Enterostomaarten. Abb. 47.4  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

▶ Indikationen. chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, siehe Kap. ▶ 47.6.3), Darmverletzungen, Darmverschluss, Schutz einer operativ angelegten Darmnaht (Anastomose), Tumorentfernung

47.3.1 Einteilung von Enterostomata Je nach Erkrankung können Enterostomata kontinuierlich oder nur für eine bestimmte Zeit (temporär) angelegt werden. Dies ist abhängig von der zugrunde liegenden

Erkrankung. Vor der Anlage wird gemeinsam mit einer Stomatherapeutin die optimale Position ermittelt und angezeichnet (Bauchfalte, Hosenbund etc.). Es gibt 2 Möglichkeiten bzw. Verfahren zur Anlage eines Stomas. Man unterscheidet das endständige und das doppelläufige Stoma. endständiges Enterostoma: Der Darmstrang wird komplett durchtrennt. Der orale (vom Mund kommende) Teil des Darms wird durch die Bauchdecke abgeleitet. Der verbleibende Teil wird blindverschlossen und im Bauch belassen. doppelläufiges Enterostoma: Der Darm wird nur zur Hälfte durchtrennt, die beiden entstandenen Öffnungen werden an der Austrittsstelle vernäht. Damit das Stoma nicht abrutscht, wird es häufig mit einem Reiter versehen (Kunststoffstab unter der Darmschlinge – wird i.d.R. nach 10 Tagen entfernt). Deviations- oder protektive Stomata werden häufig doppelläufig angelegt und nach einigen Wochen rückverlegt.

47.3.1.1 Ileostoma Definition Ileostoma Künstlich angelegter Darmausgang mit Ableitung des Dünndarminhalts über die Bauchdecke nach außen. Das Ileostoma wird 1–2 cm über dem Hautniveau angelegt, da die aggressive Darmflüssigkeit nicht mit der Haut in Berührung kommen sollte (Stuhlkonsistenz ist sehr flüssig). Typische Lokalisation: rechter Unterbauch.

47.3.1.2 Kolostoma

Definition Kolostoma Künstlich angelegter Darmausgang (syn. Anus praeter) mit Ableitung des Dickdarminhalts über die Bauchdecke nach außen. Abhängig vom OP-Verfahren wird das Kolostoma leicht erhaben oder auf Bauchdeckenniveau angenäht. Typische Lokalisation: rechter oder linker Oberbauch oder linker Unterbauch.

47.3.1.3 Versorgungssysteme Grundsätzlich kann man zwischen einteiligen und zweiteiligen Versorgungssystemen unterscheiden. Viele Beutel enthalten einen Kohlefilter, der Gerüche absorbiert. einteilige Systeme: weiche Platte, muss 1–2-mal täglich gewechselt werden zweiteilige Systeme: starre Platte, muss nach 3 Tagen gewechselt werden

47.3.1.4 Prinzipien der Stomaversorgung Einfühlungsvermögen und fachliche Kompetenz der Pflegefachkraft sind wichtig. Im Gespräch auf Ängste/Sorgen eingehen, Scham und Ekel thematisieren, Veränderung des Körperbildes (Nähe, Sexualität, Selbstbild) ansprechen. Stomatherapeutin frühzeitig hinzuziehen (im Idealfall bereits präoperativ) Patienten schrittweise zur Selbstversorgung anleiten (sofern möglich) ggf. Kontakt zu Selbsthilfegruppen herstellen

Ernährung: mehrere kleine Mahlzeiten, keine blähenden Speisen, viel trinken

47.3.1.5 Enterostomabeutel wechseln Bei immobilen Patienten wird der Beutelwechsel im Bett bei leichter Oberkörperhochlage vorgenommen, bei mobilen Patienten im Stehen vor dem Spiegel, damit der Patient (v.a. bei Neuanlage) besser angeleitet werden kann. Vorbereitung Pflegeempfänger über Ablauf informieren geeigneten Zeitpunkt wählen (nicht während der Besuchszeiten) Intimsphäre schützen (Trennwand, Vorhang, Türschild)! Material: Kompressen steril und unsteril, wasserundurchlässige Unterlage (zum Schutz des Bettes), Pflasterentferner, Einmalrasierer, Watteträger, Nierenschale, Papier (falls das Stoma Sekret fördert), warmes Wasser, hygroskopischer (wasseranziehender) Hautschutz, Stomasysteme in verschiedenen Größen, Schablone für die Basisplatte, wenn möglich eine gebogene Schere (erleichtert das genaue Ausschneiden), unsterile Handschuhe, Stomapaste und ggf. Modellierstreifen oder Modellierringe, Abwurf Durchführung ▶ Hände desinfizieren, Einmalhandschuhe und Schutzschürze anziehen Beutel und die Hautschutzplatte (Basisplatte) vorsichtig ohne Zug auf die Haut von oben nach unten ablösen und im Abwurf entsorgen, nachlaufenden Stuhl mit einer Kompresse auffangen (Stuhl sollte nicht mit der Haut in Kontakt kommen)

peristomale Haut (Haut um das Stoma) mit angefeuchteter Kompresse zirkulär von außen nach innen reinigen und mit trockener Kompresse nachtrocknen Stoma bei der Pflege beobachten auf: Aussehen der Hautumgebung (Hautreizung, Entzündung?), Aussehen des Stomas (Prolaps, ödematös?), Farbe der Schleimhaut (rosarot [gut durchblutet], bläulich [gering durchblutet]), Stomaausscheidung (Menge, Farbe, Beimengungen und Konsistenz); bei Auffälligkeiten Fotodokumentation Handschuhe verwerfen, Händedesinfektion, neue Handschuhe anziehen evtl. Haare im Stomabereich vorsichtig mit Einwegrasierer entfernen Stomagröße mit Schablone bestimmen, Basisplatte zurechtschneiden (darf nicht zu eng sein, Gefahr von Ödemen, Nekrose!) ggf. Hautschutz auftragen, Narben und Unebenheiten mit einer Stomapaste ausgleichen neue Platte von unten nach oben unter leichtem Druck andrücken und Beutelüberzug anbringen ▶ Nachsorge. Material entsorgen, Handschuhe verwerfen, Hände desinfizieren, nicht benötigte Materialien wegräumen, Arbeitsplatz reinigen, Beutelwechsel und ggf. Auffälligkeiten dokumentieren Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Ernährung: grundsätzlich ohne besondere Einschränkungen. Der Patient sollte jedoch versuchen, selber herauszufinden, was er weniger gut verträgt (z.B. bestimmte Kohlsorten). Ausscheidung: Je nachdem wie viel Darm entfernt wurde, kann der Stuhl breiiger bis flüssig (Ileostoma)

sein. Medikamentenmanagement: Medikamenteneinnahmen müssen immer mit dem Arzt abgesprochen werden (Auswirkungen auf Verdauung). Sport: Grundsätzlich kann jeder Sport ausgeübt werden. Für Wassersport existieren spezielle Abdeckplatten für das Enterostoma. Sportliche Aktivitäten, bei denen viel gehoben werden muss, sollten mit dem Arzt abgesprochen werden. Selbsthilfegruppen: Vermittlung an das Forum der Stoma-Welt (www.stoma-forum.de), die Deutsche ILCO e. V. (www.ilco.de) oder die Fachgesellschaft Stoma Kontinenz und Würde e. V. (www.fgskw.org) auf Reisen: Anspruch auf speziellen WC-Schlüssel für zusätzliche öffentliche Sanitäranlagen (siehe www.cbfda.de) oder ein Reise-Zertifikat für Stoma-Träger

47.4 Mitwirken bei der Diagnostik Neben der ärztlichen Anamnese und der klinischen Untersuchung spielen apparative Verfahren, häufig auch unter Einsatz von Kontrastmittel, bei der Diagnostik von Erkrankungen des Verdauungssystems eine entscheidende Rolle.

47.4.1 Kontrastmittel Durch Kontrastmittel können anatomische Strukturen besser sichtbar gemacht werden. Das Kontrastmittel kann getrunken, rektal eingeführt oder intravenös gespritzt werden. Intravenös verabreichte Kontrastmittel werden über die Nieren ausgeschieden und enthalten Jod. Pflegende

sollten daher darauf achten, dass aktuelle Nieren- (Kreatinin und Harnstoff) und Schilddrüsenwerte (TSH, T3, T4) zur Untersuchung vorliegen, der Patient vorab nüchtern ist und er nach der Untersuchung ausreichend trinkt (1,5–2 l). Für orales Kontrastmittel gilt dies nicht. Es wird über den Stuhl ausgeschieden.

ACHTUNG Intravenöses Kontrastmittel kann zu allergische Reaktionen bis hin zu einem ▶ anaphylaktischen Schock führen. Zuvor Allergien erfragen und über Nebenwirkungen (Juckreiz, Übelkeit, Kreislaufprobleme) und Schockzeichen (z.B. Schwindelgefühl, spastischer Hustenreiz) aufklären; Patienten während der Untersuchung beobachten und Befinden erfragen.

47.4.2 Apparative Verfahren Labor: Blutbild (z.B. Erythrozyten, Leukozyten); Gerinnung (z.B. Quick-Wert, INR, pTT); klinische Chemie (z.B. Albumin, Bilirubin, CRP, PCT, Lipase, GOT/GPT/γGT); Hämokkult-Test mikrobiologische Diagnostik: Stuhldiagnostik (z.B. Suche nach pathogenen Keimen) Die Sonografie (Ultraschall) gehört zu den wichtigsten diagnostischen Maßnahmen in der Gastroenterologie. Um optimale Untersuchungsbedingungen herzustellen, sollte der Patient am Tag zuvor auf blähende Speisen verzichten. Am Untersuchungstag sollte er nüchtern sein. Die Computertomografie (kurz CT) stellt abdominale Strukturen mittels Röntgenstrahlung dar. Spezielle

pflegerische Maßnahmen sind meist nicht notwendig. Erhält der Patient Kontrastmittel, sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr nach der Untersuchung geachtet werden. Die Magnetresonanztomografie (kurz MRT) verläuft ähnlich wie eine CT-Untersuchung. Sie arbeitet jedoch nicht mit Röntgenstrahlung und ist daher für den Patienten nebenwirkungsärmer. Wegen der verwendeten magnetischen Strahlung dürfen Patienten mit Metallimplantaten (z.B. Herzschrittmacher) oder großen Tätowierungen (je nach verwendeten Farben) nicht untersucht werden. Auch müssen Piercings usw. vor der Untersuchung abgelegt werden. Beim Röntgenbreischluck (Ösophagusbreischluck) werden Schluckakt und Nahrungstransport radiologisch sichtbar gemacht, um z.B. eine Schluckstörung (Dysphagie) abzuklären. Hierzu schluckt der Patient während der Röntgenuntersuchung ein in Kontrastmittel getränktes Brot.

47.4.3 Endoskopische Untersuchungen Ösophagoskopie: Untersuchung des Ösophagus (Speiseröhre) Gastroskopie (Magenspiegelung): Untersuchung des Magens (Gaster) Duodenoskopie: Duodenumuntersuchung Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD): s.u. Koloskopie: s.u. Rekto- und Proktoskopie: s.u. endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (ERCP): s.u.

Kapselendoskopie: Mithilfe einer Kamerakapsel, die vom Patienten verschluckt wird, wird der gesamte Darm aufgezeichnet.

47.4.3.1 Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) Mit der ÖGD können Ösophagus, Magen und Duodenum mittels eines dünnen Kameraschlauchs (Gastroskop) untersucht werden. Während der Untersuchung kann der Arzt Proben von der Schleimhaut nehmen und diese anschließend unter dem Mikroskop beurteilen. Komplikationen: sehr selten, Aspiration, Blutungen aufgrund von Verletzungen (z.B. Stimmbänder, Magenwand) Pflege: am Vortag: leichte Kost, am Tag der Untersuchung nüchtern vor der Untersuchung: Zahnprothesen/Zungenpiercings entfernen nach der Untersuchung: regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter (Patienten sind aufgrund der Sedierung oft noch schläfrig); für 1–2 h nüchtern bleiben (nach Arztanordnung)

47.4.3.2 Koloskopie Eine Koloskopie dient der Untersuchung von Kolon und terminalem Ileum mittels eines dünnen Kameraschlauchs (Koloskop). Komplikationen: sehr selten, Infektionen, Verletzungen der Darmwand (Blutungen) Pflege: 3 Tage zuvor: auf körner-, faser- und kernhaltige Speisen verzichten

am Tag vor der Untersuchung: Darmreinigung mittels Darmeinlauf oder oral mit LavagePräparaten (siehe auch Kap. ▶ 39.2). Ggf. benötigt der Patient einen Toilettenstuhl. am Abend vor der Untersuchung: nur noch Wasser und klare Brühe am Morgen der Untersuchung: Patient sollte komplett nüchtern bleiben nach der Untersuchung: regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter (Patienten sind aufgrund der Sedierung oft noch schläfrig) Kostaufbau nach Arztanordnung

47.4.3.3 Rekto- und Proktoskopie Mit der Rektoskopie wird das Rektum, mit der Proktoskopie der Analkanal untersucht. Komplikationen: Blähungen (aufgrund der eingebrachten Luft während der Untersuchung), sehr selten: Blutungen, Infektionen Pflege: am Vortag: leichte Kost 1–2 h vor der Untersuchung: Darmreinigung mit Klistier nach der Untersuchung: regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter (Patienten sind aufgrund der Sedierung oft noch schläfrig)

47.4.3.4 Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (ERCP) Definition

ERCP (Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie) Durch das Einführen eines Katheters in den Ductus choledochus können die Gallen- und Pankreasgänge dargestellt werden. Der Katheter wird per Gastroskop in das Duodenum vorgebracht und über die Papilla vateri in das Gangsystem vorgeschoben. Die wichtigste Indikation ist die Entfernung von Gallensteinen aus dem Ductus choledochus (Choledocholithiasis). Komplikationen: Infektionen der Gallenwege/-blase, Lufteintritt in die Gallenwege, Pankreatitis, Blutungen (aufgrund von Verletzung der Magen- oder Darmwand). Pflegerische Vorbereitung Patienten nüchtern lassen ggf. Heparin/Antikoagulation pausieren (nach Arztanordnung) Laborergebnisse mitgeben: Gerinnung, Blutbild, klinische Chemie (Bilirubin, Lipase, GOT/GPT/γ-GT) intravenösen Zugang vorbereiten (zwecks Sedierung) Zahnprothesen und Schmuck ablegen lassen ggf. Prämedikation verabreichen Vitalparameter kontrollieren (siehe Kap. ▶ 14.4) auf Fragen und Ängste des Patienten eingehen Pflegerische Nachbereitung auf Schmerzen und mögliche Komplikationen achten, wie Nachblutung, Symptome einer ▶ Sepsis, ▶ Pankreatitis Vitalparameter (inkl. Körpertemperatur!) anfangs stündlich kontrollieren

ggf. für einige Stunden Bettruhe einhalten; Urinflasche bereitlegen Bauch auf Schwellung und Abwehrspannung kontrollieren Labor für den nächsten Tag richten: Gerinnung, Blutbild, klinische Chemie (Bilirubin, Lipase, GOT/GPT/γ-GT, CRP)

47.5 Übersicht über die wichtigsten Medikamente ▶ Tab. 47.4  zeigt die wichtigsten Medikamente, die bei Erkrankungen des Verdauungstraktes eingesetzt werden. In ▶ Tab. 47.5  werden die wichtigsten Laxanzien (Abführmittel) aufgeführt. Tab. 47.4 Wichtige Medikamente bei Erkrankungen des Verdauungssystems. Wirkstoffgruppe

Wirkstoff

Protonenpumpeninhibitoren Omeprazol, (PPI) Pantoprazol

Therapieziel

Nebenwirkungen

hemmen die Belegzellen des Magens und damit die Produktion von Salzsäure, Anwendung z.B. bei Magengeschwüren und Refluxkrankheit

Übelkeit, Durchfall und Blähungen möglich, aber selten, in der Langzeitanwendung erhöhtes Risiko für Osteoporose und ggf. erhöhte Infektanfälligkeit

Spasmolytika

Butylscopolamin senken den Tonus (z.B. Buscopan) der glatten Muskulatur von Magen und Darm

Obstipation, gestörte Blasenentleerung, trockene Schleimhäute

Prokinetika

Metoclopramid (z.B. Paspertin)

Müdigkeit, Schwindel, Blutdruckschwankungen

fördern die Motilität von Magen und Darm

Wirkstoffgruppe

Wirkstoff

Therapieziel

Nebenwirkungen

Glukokortikoide

Budesonid (z.B. hemmen das Budenofalk) Immunsystem im Rahmen von chronischentzündlichen Darmerkrankungen

bei systemischer Einnahme (Tabletten) zahlreich (Hypertonie, Osteoporose, Gewichtszunahme u.a), bei lokaler Anwendung (z.B. Rektalschaum) wesentlich seltener

Salicylate

Mesalazin (z.B. Salofalk)

Übelkeit, Diarrhö, Störungen der Blutbildung, Anstieg der Leberwerte

hemmen das Immunsystem im Rahmen von chronischentzündlichen Darmerkrankungen

Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020 Tab. 47.5 Übersicht angewendeter Laxanzien (Abführmittel). Wirkstoffgruppe

Wirkstoff

Therapieziel

Nebenwirkungen

Füll- und Quellstoffe (Ballaststoffe)

Leinsamen, Weizenkleie, Flohsamen

Stuhl wird durch Aufnahme von Wasser weicher

Blähungen, Übelkeit

schleimhautreizende Laxanzien

Bisacodyl (z.B. Dulcolax)

regen die Muskulatur des Dickdarms an

Bauchkrämpfe, Durchfall, Übelkeit, Elektrolytverschiebungen

osmotisch wirkende Laxanzien

Lactulose (z.B. Bifiteral), Macrogol (z.B. Movicol)

halten Wasser im Blähungen, Übelkeit Darmlumen zurück und machen den Stuhl so weicher

Gleitmittel

Glycerol (z.B. Milax- bilden einen Zäpfchen) lokalen Gleitfilm auf der Schleimhaut

Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

47.6 Erkrankungen des Verdauungssystems

lokale Reizungen der Schleimhaut

47.6.1 Gastroösophageale Refluxkrankheit Definition Gastroösophageale Refluxkrankheit Rückfluss von saurem Magensaft in die Speiseröhre. Hierbei empfindet der Patient Sodbrennen. Im weiteren Verlauf kann es zu Ulzerationen der Schleimhaut kommen.

47.6.1.1 Ursachen mangelnder Verschluss des unteren Ösophagussphinkters erhöhter abdominaler Druck (z.B. bei Schwangerschaft oder Übergewicht) erhöhte Säureproduktion im Magen (z.B. durch übermäßigen Konsum von Alkohol oder Kaffee)

47.6.1.2 Symptome Patienten können unter Sodbrennen, Übelkeit, Völlegefühl leiden und müssen häufig sauer aufstoßen.

47.6.1.3 Komplikationen Durch den Rückfluss von saurem Magensaft wird die Schleimhaut der Speiseröhre gereizt. Im Anfangsstadium kann dies gut kompensiert werden. Gastroskopisch finden sich in diesem Stadium keine Schleimhautulzerationen (nonerosive gastroesophageal reflux disease; NERD). Bei länger andauernder Reizung verändert sich das Schleimhautepithel der Speiseröhre. Nun lassen sich auch Ulzerationen feststellen (erosive gastroesophageal reflux disease; GERD). Im schlimmsten Fall kann sich aufgrund der ständigen Schleimhautreizung ein ▶ Ösophaguskarzinom entwickeln.

47.6.1.4 Diagnostik

Der erste diagnostische Schritt ist meist die Gastroskopie. Hier findet der Arzt einen Reizzustand der Speiseröhre. Mittels anschließender Langzeit-pH-Metrie lässt sich der vermutete Reflux quantifizieren. Hierbei erhält der Patient für 24 h eine dünne nasogastrale pH-Messsonde. Die Anwendung einer Ösophagomanometrie gibt Aufschluss über die Genese der Erkrankung. Die Untersuchung weist z.B. einen mangelnden Verschluss des unteren Ösophagussphinkters nach. Hierdurch erhält der Arzt wichtige Informationen für die weitere Therapie.

47.6.1.5 Therapie Veränderung der Lebensweise: Normalisierung des Körpergewichts, Reduzierung/Verzicht von fettreicher Nahrung, Kaffee, Nikotin und Alkohol säurehemmende Medikamente (z.B. Pantozol) operative Therapie: Bei fortgeschrittener Erkrankung wird der Magenfundus manschettenförmig um den unteren Ösophagus genäht, um die gestörte Antirefluxbarriere wiederherzustellen (sog. Fundoplicatio).

47.6.1.6 Pflege Positionierung: Patienten mit erhöhtem Oberkörper positionieren (verringert den Reflux von Magensäure) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: zur Veränderung der Lebensgewohnheiten anleiten (s.o.) auf Programme der Krankenkasse hinweisen (z.B. Raucherentwöhnung) auf regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim niedergelassenen Gastroenterologen hinweisen

über die korrekte Einnahme der Medikamente informieren: Säurehemmende Medikamente sollten im Stehen mit kohlensäurearmem Wasser auf nüchternen Magen eingenommen werden.

47.6.2 Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit Definition Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit Bei der Gastritis handelt es sich um eine Entzündung der Magenschleimhaut. Bei einem Ulkus handelt es sich um ein Geschwür, das bis in die Mukosa der Schleimhaut vordringt. Bei chronischen Geschwüren im Magen (Ulcus ventriculi) und Zwölffingerdarm (Ulcus duodeni) spricht man von der gastroduodenalen Ulkuskrankheit.

47.6.2.1 Ursachen Die akute Gastritis tritt meist im Rahmen eines akuten Magen-Darm-Infekts (Gastroenteritis) auf und wird häufig durch Viren (z.B. Norovirus) verursacht. Wesentlich relevanter sind die chronischen Formen, die je nach Ursache in 3 Typen unterteilt werden: Typ-A-Gastritis: Ursache sind Antikörper gegen die Belegzellen des Magens (A wie autoimmun). Typ-B-Gastritis: Ursache ist das Bakterium Helicobacter pylori (B wie bakteriell). Typ-C-Gastritis: Ursache sind chemische (C wie chemisch) Stoffe (z.B. Ibuprofen oder Diclofenac). Wird die Magenschleimhaut besonders stark geschädigt, kommt es zum Magengeschwür (Ulkus). Die meisten

Magengeschwüre entstehen auf dem Boden einer Typ-Boder Typ-C-Gastritis.

47.6.2.2 Symptome Übelkeit und Erbrechen saures Aufstoßen epigastrische Schmerzen Appetitlosigkeit und ggf. Gewichtsabnahme Teerstuhl und Hämatinerbrechen (bei einem blutenden Ulkus)

47.6.2.3 Komplikationen Wird ein bestehendes Magengeschwür weiter geschädigt, kann es in die freie Bauchhöhle durchbrechen oder bluten. Es folgt meist eine ▶ akute Peritonitis, also eine Entzündung des Bauchfells. Eine chronische Typ-A- oder Typ-B-Gastritis kann zu einem Magenkarzinom führen.

47.6.2.4 Diagnostik Gastroskopie mit Schleimhautbiopsie Stuhluntersuchung und C13-Atemtest (v.a. zum Nachweis von Helicobacter pylori)

47.6.2.5 Therapie akute Gastritis: heilt meist nach einigen Tagen Diät von selbst und folgenlos aus chronische Gastritis: auslösenden Faktor behandeln Eliminierung des Bakteriums Helicobacter pylori mittels Triple-Therapie: Einnahme von 2 verschiedenen Antibiotika in Kombination mit einem Protonenpumpenhemmer (z.B. Pantozol)

ggf. Vitamin-B12-Spritzen bei pernizöser Anämie Gabe von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) chirurgische Ulkustherapie als Ultima ratio (wenn medikamentöse Therapie versagt) Veränderung der Lebensweise: Normalisierung des Körpergewichts, Reduzierung/Verzicht von fettreicher Nahrung, Kaffee, Nikotin und Alkohol

47.6.2.6 Pflege Beobachten: Stuhl auf Veränderungen hinsichtlich Farbe (Teerstuhl?), Konsistenz und Häufigkeit beobachten (siehe Kap. ▶ 19), Erbrechen von Blut (Hämatemesis, lebensbedrohliche Situation!) Ernährung: schrittweiser Nahrungsaufbau (z.B. Tee, Zwieback) bei Übelkeit und Erbrechen (akute Gastritis) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: zur Veränderung der Lebensgewohnheiten (s.o.) über die korrekte (regelmäßige!) Einnahme der Medikamente informieren Erkrankung und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) über mögliche Veränderungen des Stuhls aufklären

47.6.3 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Definition Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

Chronisch verlaufende, meist schubweise auftretende Entzündung der Darmwand, die teilweise autoimmunologisch vermittelt ist und meist junge Menschen betrifft.

Definition Morbus Crohn Chronische Entzündung der Darmwand. Jede Schicht der Darmwand und jeder Darmabschnitt kann betroffen sein. Am häufigsten sind Dünndarm (terminales Ileum) und Kolon betroffen.

Definition Colitis ulcerosa Entzündung der Darmwand, die ausschließlich den Dickdarm und lediglich die Schleimhaut befällt.

47.6.3.1 Ursachen Die Ursache chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen ist weitestgehend unbekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren: genetische Mutationen autoimmunologische Komponenten falsches Zusammenspiel der Bakterienflora im Darm Folge verschiedener Infektionen psychische Belastung

47.6.3.2 Symptome Die Symptome von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa unterscheiden sich ( ▶ Tab. 47.6 ). Charakteristisch für beide

Erkrankungen sind ein schubweiser Verlauf, Durchfälle und abdominale Schmerzen. Zudem können bei beiden Erkrankungen Symptome auch außerhalb des Magen-DarmTrakts vorkommen (sog. extraintestinale Symptome). Beispiele sind Augenentzündungen und Beschwerden an den Gelenken. Tab. 47.6 Morbus Crohn und Colitis ulcerosa im Vergleich. Kriterien

Morbus Crohn

Colitis ulcerosa

Durchfallfrequenz

3–6-mal pro Tag

bis zu 30-mal täglich

Stuhlbeimengung

meist keine

oft schleimig-blutig

Bauchschmerzen

kolikartig, vor allem im rechten Unterbauch

kolikartig, besonders im linken Unterbauch, v. a. vor und während des Stuhlgangs

extraintestinale Symptome

häufig

selten

Komplikationen

v. a. Fisteln, Abszesse, Stenosierungen, Malabsorptionssyndrom, akutes Abdomen

toxisches Megakolon, Ulzera mit Darmblutungen, kolorektales Karzinom

47.6.3.3 Diagnostik ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung Endoskopie mit Schleimhautbiopsie ggf. radiologische Verfahren (CT, MRT) und Sonografie (bei V.a. Stenosen)

47.6.3.4 Therapie Morbus Crohn: systemische (d.h., orale) Gabe von Kortison und anderen Immunsuppressiva. Gleichzeitig kommen Salicylate zum Einsatz. Auch werden bestimmte Antikörper (z.B. TNFα-Blocker) angewendet, um Entzündungsmediatoren zu blockieren. Eine operative Therapie ist nur zur Behandlung von Komplikationen (z.B. Stenosen) sinnvoll. Zusätzlich sollte das Rauchen

aufgegeben werden, weil dies die Prognose der Erkrankung deutlich verschlechtert. Colitis ulcerosa: meist lokale Gabe (z.B. durch Zäpfchen) von 5-ASA (5-Aminosalicylsäure). Bei stärkeren Symptomen ggf. Kortison oder andere Immunsuppressiva. Auch werden bestimmte Antikörper (z.B. TNFα-Blocker) angewendet, um Entzündungsmediatoren zu blockieren. Eine vollständige Heilung kann durch die Entfernung des Dickdarms erreicht werden.

47.6.3.5 Pflege ▶ Mobilisation und Körperpflege. Individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand. Schmerzmanagement bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 bauchdeckenentspannende Position (z.B. Knierolle, Oberkörperhochlage) bei plötzlich einsetzenden Schmerzen: Perforation? Akute Entzündung? ▶ Ernährung. Durch die schnellere Passage der Nahrung leiden Betroffene oft unter Mangelerscheinungen und sind überwiegend unterernährt. Deshalb sind folgende Maßnahmen wichtig: bei starken Durchfällen auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten (erhöhte Gefahr der Exsikkose!) im akuten Schub auf ballaststoffreiche Ernährung verzichten (um den gereizten Darm nicht zusätzlich zu belasten)

bei gleichzeitiger Laktoseintoleranz auf Milchprodukte verzichten (häufig!) ggf. kurzzeitige, parenterale Ernährung (nach Arztanordnung) Ernährungsberatung (Grundsatz: „Der Patient kann essen, was er verträgt“) Ernährungstagebuch führen Ausscheidung Beobachtung von Frequenz, Farbe, Konsistenz und Beimengungen des Stuhls bei häufigen Durchfällen Patienten einen eigenen Toilettenstuhl am Bett anbieten ▶ Psychosoziale Begleitung. Da die Erkrankung oftmals einen chronischen Verlauf nimmt und das Leben der Betroffenen einschränken kann (Betroffene können evtl. ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen), ist eine psychosoziale Begleitung und der Verweis auf Selbsthilfegruppen wichtig.

KOMPAKT Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen chronisch verlaufende, meist schubweise auftretende Entzündung der Darmwand Unterscheidung: Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Symptome: abdominale Schmerzen und Durchfälle Ursache ist unbekannt. Vermutlich komplexes Zusammenspiel aus genetischer Belastung, bakterieller Dysbalance, Folge von Infektionen und psychischer Belastung. Therapie: medikamentös, ggf. operative Maßnahmen

Pflege: Unterstützung bei Schmerzen, Ausscheidung und Ernährung

47.6.4 Glutensensitive Enteropathie Definition Glutensensitive Enteropathie Unverträglichkeit gegenüber Gliadin, einem Anteil des in Getreide enthaltenen Gluten. Synonym: Sprue bzw. Zöliakie.

47.6.4.1 Ursachen und Symptome Es handelt sich um eine autoimmunologische, nicht um eine allergische Erkrankung. Betroffen sind häufig schon Säuglinge. Teilweise entwickelt sich die Erkrankung auch erst im Laufe des Lebens. Betroffene reagieren auf den Verzehr von glutenhaltigen Lebensmitteln (z.B. Weizen, Roggen, Dinkel) mit Durchfällen, Übelkeit und Blähungen. Hierdurch kann es insbesondere bei Kindern zu Gedeihstörungen kommen. Teilweise treten eine Eisenmangelanämie oder bläschenförmige, gerötete Hauterscheinungen (Dermatitis herpetiformis Duhring) auf. Langfristig kann es zu einer Atrophie der Dünndarmschleimhaut kommen, was Probleme bei der Nahrungsmittelresorption verursacht.

47.6.4.2 Therapie und Pflege Therapeutisch wird eine lebenslange und strikte glutenfreie Diät durchgeführt. Häufig müssen die Lebenspartner mit geschult werden. Produkte wie Kartoffeln, Mais, Reis, Hirse und Sojabohnen werden von den Betroffenen vertragen. Auf den Genuss von Weizen, Gerste, Roggen und Dinkel sollte

verzichtet werden. Auch von dem Konsum von Bier wird aufgrund der darin enthaltenen Gerste abgeraten.

47.6.5 Ileus Definition Ileus Bei einem Ileus (Darmverschluss) ist die Darmpassage gestört – entweder durch ein mechanisches Hindernis (mechanischer Ileus) oder eine Lähmung der Darmmotorik (paralytischer Ileus).

47.6.5.1 Ursachen mechanischer Ileus: Das Darmlumen ist verlegt, z.B. durch Tumoren, Verwachsungen im Bauchraum, Hernien. paralytischer Ileus: Die Darmmotorik ist gestört, z.B. als Folge entzündlicher Prozesse im Bauchraum (z.B. bei Cholezystitis, Appendizitis), nach der Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Opiate, Narkotika) oder bei Sepsis.

47.6.5.2 Symptome Die Symptome eines Ileus können sehr variieren und im Alltag nicht immer direkt zu erkennen sein. Pflegende sollten daher stets für das Krankheitsbild sensibilisiert sein und bei Unklarheiten den Arzt kontaktieren. Auf folgende Symptome sollte geachtet werden: fehlender oder stark verminderter Stuhlgang Bauchschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen, evtl. Erbrechen von Stuhlgang (Misere)

aufgetriebener, luftgefüllter Bauch ohne Abgang von Winden Appetitlosigkeit fehlende Darmgeräusche

47.6.5.3 Pathophysiologie und Komplikationen Nachdem der Körper den Stillstand der Stuhlsäule bemerkt hat, versucht er diesem Stillstand u. a. durch verstärkte Sekretion von Flüssigkeit entgegenzuwirken. Hierdurch kommt es relativ schnell zu einem Mangel an Blutvolumen – es droht ein Volumenmangelschock. Zudem kann es durch die Dehnung der Darmwand zu Durchblutungsstörungen kommen, wodurch die Darmschleimhaut geschädigt wird. In der Folge können Bakterien die Darmwand durchwandern und eine Peritonitis (Bauchfellentzündung, siehe Kap. ▶ 47.6.14) hervorrufen – der Patient bekommt Fieber. Schreitet der Darmverschluss weiter fort und wird oral weiterhin Nahrung und Flüssigkeit zugeführt, kann sich Darminhalt bis in den Magen zurückstauen. Dort verursacht er starke Übelkeit und führt letztlich zum Erbrechen von Stuhl (Miserere). Die gefährlichste Komplikation ist die Perforation (Platzen) des Darmes. Hierbei handelt es sich um einen lebensgefährlichen Zustand, der umgehend operativ versorgt werden muss.

47.6.5.4 Diagnostik ärztliche Anamnese: typische Symptome? klinische Untersuchung: Auskultation der Darmgeräusche fehlende Darmgeräusche („Totenstille“) – Hinweis auf paralytischen Ileus

vermehrte „klingende“ Darmgeräusche – Hinweis auf mechanischen Ileus apparative Verfahren zur Sicherung der Diagnose: Ultraschall, Röntgen, CT

47.6.5.5 Therapie Um Komplikationen zu vermeiden, ist eine Therapie möglichst schnell einzuleiten. Folgende Maßnahmen sind zunächst relevant: Anlage einer nasogastralen Ablaufsonde, zur Entlastung des gestauten Magen-Darm-Trakts Nahrungskarenz Flüssigkeitsersatz durch Infusionen Die weitere Therapie richtet sich nach der Ursache: ▶ Mechanischer Ileus. Wiederherstellung der Darmpassage mittels Operation. Zum Schutz vor einer Peritonitis wird präoperativ meist ein Antibiotikum verabreicht. Ist ein Teil des Darms abgestorben oder durch einen Tumor verlegt, wird ggf. ein künstlicher Darmausgang angelegt. ▶ Paralytischer Ileus. Durch die Gabe verschiedener Medikamente (z.B. Neostigmin) wird versucht, die Darmperistaltik zu aktivieren. Gleichzeitig wird durch ▶ Hebe-Senk-Einläufe versucht, den Patienten abzuführen. Eine Operation wird nur durchgeführt, wenn die zugrunde liegende Erkrankung es zwingend erfordert.

ACHTUNG Besteht der Verdacht auf einen mechanischen Ileus, sind Einläufe und Abführmittel kontraindiziert! Sie erhöhen die Gefahr einer Darmperforation, da sie den Darm zusätzlich dehnen.

47.6.5.6 Pflege Bis zur endgültigen Diagnose: Beobachtung: Vitalparameter 2–3-mal täglich erfassen, um Schocksymptome frühzeitig zu erkennen (z.B. Tachykardie) nasogastrale Ablaufsonde: Sekretmenge, Sekretfarbe, Pflege (siehe Kap. ▶ 27.2.2) Ausscheidungen: Häufigkeit, Farbe, Menge, Beimengungen ▶ Flüssigkeitsbilanz erstellen Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 „Schmerzmanagement“. bauchdeckenentlastende Position, Schmerztherapie nach Arztordnung Mobilisation und Körperpflege: Bettruhe (auf Arztanordnung), individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand Infusionen: Infusionsmanagement nach Arztanordnung Ernährung: Nahrungskarenz einhalten Ausscheidung: Urin: transurethralen Blasenverweilkatheter legen (auf Arztanordnung) zur exakten Flüssigkeitsbilanzierung Stuhl: keine Abführmittel und Einläufe (bei unklarer Diagnose), sonst besteht die Gefahr einer

Darmperforation (bei paralytischem Ileus bringen Einläufe Entlastung) Erbrechen: bei Koterbrechen (Miserere): Unterstützung bei der Mundpflege Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Soor- und Parotitisprophylaxe bei Nahrungskarenz und daraus resultierender Mundtrockenheit psychosoziale Begleitung: Patienten über Erkrankung und Symptome aufklären, um Compliance zu fördern

KOMPAKT Ileus Ursache: Mechanisches Hindernis (mechanischer Ileus), Lähmung der Darmmotorik (paralytischer Ileus) führen zu einer gestörten Darmpassage. typische Symptome: fehlender Stuhlgang, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und ggf. Fieber Komplikationen: Peritonitis, Volumenmangelschock, Erbrechen von Darminhalt (Miserere), Perforation Ein mechanischer Ileus muss häufig operiert werden; Einläufe sind kontraindiziert! Beim paralytischen Ileus wird die Peristaltik durch Einläufe und Medikamente angeregt. Pflege: Anlage einer nasogastralen Ablaufsonde, Flüssigkeitsersatz durch Infusionen und Nahrungskarenz

47.6.6 Appendizitis Definition Appendizitis Bei einer Appendizitis ist der Wurmfortsatz (Appendix vermiformis) des Dickdarms entzündet (umgangssprachlich: Blinddarmentzündung).

47.6.6.1 Ursachen Ausgelöst wird die Entzündung meist durch eine Verlegung des Appendix (z.B. durch Fremdkörper, Kotsteine). Die Erkrankung tritt typischerweise bei jungen Patienten auf (< 30 Jahre).

47.6.6.2 Symptome rechtsseitiger Unterbauchschmerz beim Druck auf den McBurney- oder Lanz-Punkt und kontralateraler Loslassschmerz bei Druck auf den Blumberg-Punkt ( ▶ Abb. 47.5) Schmerzen bei der rektalen Untersuchung Fieber mit Temperaturdifferenz von über 1°C zwischen der axillären und rektalen Messung Übelkeit, Erbrechen, evtl. Durchfall Appendizitis. Abb. 47.5 Typische Schmerzpunkte im Rahmen einer Appendizitis. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2015)

47.6.6.3 Komplikationen Die Perforation des Wurmfortsatzes ist die gefährlichste Komplikation. Die Folge kann eine ▶ Peritonitis sein. Symptome: plötzlich nachlassende Schmerzsymptomatik mit anschließend starken Allgemeinsymptomen (z.B. Fieber, Schüttelfrost, Schock, Atemnot).

47.6.6.4 Diagnostik klinische Untersuchung: Palpation der o.g. Schmerzpunkte Blutuntersuchung: erhöhte Entzündungswerte? Sonografie

47.6.6.5 Therapie Bei gesicherter Appendizitis muss der Patient operiert werden. Die OP kann im Normalfall laparoskopisch

durchgeführt werden. Nur bei schwierigen anatomischen Verhältnissen oder ausgeprägter Umgebungsreaktion muss offen chirurgisch operiert werden. Postoperativ erhält der Patient intravenös Antibiotika.

47.6.6.6 Pflege Beobachtung: Vitalparameter erfassen Ernährung: ggf. Nahrungskarenz, Kostaufbau erfolgt auf Arztanordnung Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: auf schweres Tragen 2–4 Wochen verzichten (je nach Operationsart).

47.6.7 Divertikulose und Divertikulitis Definition Divertikulose und Divertikulitis Bei der Divertikulose wölbt sich die Dickdarmschleimhaut sackartig nach außen aus. Kommt es zur Entzündung eines Divertikels, spricht man von einer Divertikulitis. Divertikel gehören zu den sog. Zivilisationskrankheiten, weil sie durch Obstipation und ballaststoffarme Ernährung begünstigt werden. Besonders häufig treten Divertikel im Sigma auf.

47.6.7.1 Ursachen Durch chronische Verstopfung, ballaststoffarme Ernährung und zu wenig Bewegung buchtet sich die Darmwand nach außen aus. Zur Erkrankung wird die Divertikulose erst dann, wenn sich einzelne Divertikel entzünden. Meistens sind ältere Menschen von der Erkrankung betroffen.

47.6.7.2 Symptome Eine Divertikulose ist meist asymptomatisch und verursacht keine Beschwerden. Kommt es jedoch zur Entzündung (Divertikulitis), verspürt der Patient meist linksseitige Unterbauchschmerzen. Aus diesem Grund wird die Erkrankung auch als Linksappendizitis bezeichnet. Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Stuhlunregelmäßigkeiten und Fieber.

47.6.7.3 Komplikationen Die Divertikulitis stellt streng genommen eine Komplikation der Divertikulose dar. Bedingt durch die entstandene Entzündungsreaktion kann die Divertikulitis weitere Komplikationen verursachen: Perforation eines Divertikels mit nachfolgender ▶ Peritonitis Divertikelblutung Abszessbildung im Bereich eines Divertikels Fistelbildung zwischen Divertikel und Harnblase

47.6.7.4 Diagnostik ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung Sonografie, Computertomografie Koloskopie: nachdem die akute Entzündung abgeheilt ist, zum Ausschluss anderer Beschwerdeursachen (z.B. eines Tumors)

47.6.7.5 Therapie ▶ Divertikulose. Eine Umstellung auf ballaststoffreiche Nahrung, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Bewegung kann das Fortschreiten der Erkrankung verringern. ▶ Divertikulitis. Bei leichten Formen reicht meist eine orale Antibiotikatherapie durch den Hausarzt. Wird der

Patient hierunter nicht rasch beschwerdefrei, sollte er zum Ausschluss von Komplikationen stationär aufgenommen werden. Die durch den Hausarzt begonnene Antibiotikatherapie wird dann intravenös fortgesetzt. Die Kostform wird durch den Arzt festgelegt. Kommt es gehäuft zur Entzündung von Divertikeln oder treten Komplikationen (z.B. Perforation) auf, muss operiert werden. Hierbei wird der betroffene Dickdarmabschnitt entfernt und der Stuhl ggf. vorübergehend über ein Kolostoma (siehe Kap. ▶ 47.3) nach außen geleitet (sog. Hartmann-OP). Oft wird das Kolostoma bereits nach 3 Monaten zurückverlegt.

47.6.7.6 Pflege Beobachten: Vitalparameter: 2–3-mal täglich erfassen, um Komplikationen frühzeitig zu erkennen (z.B. Fieber aufgrund von entzündlichen Prozessen) Stuhl: auf Veränderungen hinsichtlich Farbe, Beimengung, Konsistenz und Häufigkeit beobachten (siehe Kap. ▶ 19) → können Hinweise auf eine beginnende Divertikulitis geben Kontrolle des Bauchs (ein „brettharter“ Bauch kann Anzeichen für eine Perforation sein!) Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Ernährungsberatung: ballaststoffreiche Ernährung im entzündungsfreien Intervall ggf. Anleitung zum Umgang mit einem Kolostoma und Vermittlung eines Stomatherapeuten (siehe Kap.

▶ 47.3).

KOMPAKT Divertikulose und Divertikulitis Divertikulose: Bei der (meist asymptomatischen) Divertikulose buchtet sich die Darmwand nach außen aus. Durch eine ballaststoffreiche Ernährung und ausreichend Bewegung kann ein Fortschreiten der Erkrankung verringert werden. Divertikulitis: Entzündete Darmdivertikel werden als Divertikulitis bezeichnet und benötigen eine sofortige antibiotische Therapie. Komplikationen der Divertikulitis: Perforation, Blutung und Abszessbildung Pflege: Patient auf die Vitalparameter, Schmerzen, Stuhl und einen „brettharten“ Bauch hin beobachten

47.6.8 Kolorektales Karzinom Definition Kolorektales Karzinom Kolorektale Karzinome sind maligne (bösartige) Neubildungen im Kolon und Rektum. Sie sind die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache – bei Männern nach Lungenkrebs und bei Frauen nach Brustkrebs.

47.6.8.1 Ursachen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen

genetische Faktoren fett- und fleischreiche Ernährung Alter über 40 Jahre

47.6.8.2 Diagnostik Ab dem 50. Lebensjahr wird ein jährliches Screening auf okkultes (unsichtbares) Blut im Stuhl empfohlen (immunologischer fäkaler Okkultbluttest, kurz: iFOBT). Zusätzlich wird alle 10 Jahre eine Koloskopie empfohlen. Die Untersuchungen sind Teil des gesetzlichen Früherkennungsprogramms und die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.

47.6.8.3 Therapie Chemotherapie zur Verkleinerung des Karzinoms; bei Rektumkarzinomen ggf. auch eine präoperative Kurzzeitbestrahlung Anschließend erfolgt eine Operation ggf. Anlage eines ▶ Enterostomas palliativmedizinische Aspekte (z.B. endoskopische Stenteinlage) nach Planung in der interdisziplinären Tumorkonferenz

47.6.8.4 Pflege Präoperative Pflege bei Kolektomie ballaststoffarme Nahrung, ggf. parenterale Ernährung mittels ZVK, bei einem sehr reduzierten Allgemeinzustand Rasur: i.d.R. von den Mamillen (Brustwarzen) bis zu den Leisten einschließlich der Schambehaarung; wenn eine Rektumresektion (Teilentfernung des Rektums) oder Rektumexstirpation (komplette Entfernung des Rektums)

geplant ist, muss auch der Anal- und Gesäßbereich rasiert werden. ggf. mit Einbezug des Stomatherapeuten Abführen nach Arztanordnung oder hausinternem Standard

ACHTUNG Es ist sehr wichtig zu wissen, wo der Tumor sitzt – teilweise besteht Perforationsgefahr beim Einführen eines Darmrohrs zur Durchführung eines Darmeinlaufs. Postoperative Pflege bei Kolektomie Beobachtung: Vitalparameter: 2–3-mal täglich erfassen, um Komplikationen frühzeitig zu erkennen (z.B. Fieber aufgrund von entzündlichen Prozessen) Stuhl: Nach 4–7 Tagen sollte ein Stuhlgang erfolgen. auf postoperative Komplikationen achten: Blutung, Anastomoseninsuffizienz, Pneumonie, Kreislaufprobleme, Thrombose und Lungenembolie, Verdauungsprobleme, Blasenentleerungsstörung Mobilisation: Frühmobilisation möglichst ab dem 1. postoperativen Tag Ernährung: stufenweiser Aufbau auf Arztanordnung Ausscheidung: bei ▶ Enterostoma Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Überleitung zum Sozialdienst für eine

Anschlussheilbehandlung, Verweis an Krebsberatungsstellen psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, ggf. psychoonkologische Betreuung einleiten

47.6.8.5 Weitere maligne Tumoren im Verdauungstrakt Ösophaguskarzinom: Etwas seltener auftretende Krebserkrankung (13. Stelle beim Mann) der Speiseröhre, welche sich häufig aus einer Refluxerkrankung entwickelt. Der Konsum von hochkonzentriertem Alkohol und Nikotin verstärkt das Risiko. Magenkarzinom: Tumorerkrankung des Magens, die von der Magenschleimhaut ausgeht und häufig lange unerkannt bleibt. Das Karzinom entwickelt sich häufig aus einer Typ-B-Gastritis. Pankreaskarzinom: Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse und nach dem Kolon- und Magenkarzinom insgesamt der dritthäufigste Tumor des Verdauungssystems. Häufig wird er erst im Spätstadium erkannt. Die Prognose ist schlecht. Hepatozelluläres Karzinom: Häufigster bösartiger Tumor der Leber mit zunehmender Inzidenz. In fast allen Fällen entwickelt sich die Erkrankung aus einer Leberzirrhose. Aus diesem Grund sollten alle Patienten mit Leberzirrhose halbjährlich mit Ultraschall auf ein Karzinom untersucht werden.

KOMPAKT Kolorektales Karzinom maligne (bösartige) Zellneubildung im Kolon und Rektum

Ursachen: chronisch-entzündliche Darmerkrankung, genetische Faktoren, fett- und fleischreiche Ernährung, Alter Therapie: Chemotherapie (beim Rektumkarzinom auch Bestrahlung) und anschließend OP mit ggf. Enterostoma Pflege: ballaststoffarme Nahrung, evtl. parenterale Ernährung über ZVK, Stomatherapeuten hinzuziehen, abführen und Rasur nach hausinternem Standard, postoperative Überwachung: Vitalparameter, Stuhlgang, psychosoziale Begleitung weitere maligne Tumoren im Verdauungstrakt: Ösophagus-CA, Magen-CA, Pankreas-CA, Leberkrebs

47.6.9 Hepatitis Definition Hepatitis Bei einer Hepatitis handelt es sich um eine Entzündung der Leber. Die Infektion kann akut oder chronisch verlaufen und wird meist durch eine Virusinfektion hervorgerufen.

47.6.9.1 Ursachen Die häufigste Ursache einer Hepatitis ist die Virusinfektion. Folgende Hepatitisviren werden unterschieden: Hepatitis-A-Viren werden fäkal-oral übertragen. Die Infektion heilt folgenlos aus und kann nicht chronifizieren. Hepatitis-B-Viren werden durch Blut-zu-Blut-Kontakt übertragen, häufig durch ungeschützten

Geschlechtsverkehr. Die meisten Infektionen (90 %) verlaufen akut und heilen folgenlos aus. Etwa 10 % der Erkrankungen verlaufen jedoch chronisch. Hepatitis-C-Viren werden u.a. durch Blut-zu-BlutKontakt übertragen, häufig durch ungeschützten Geschlechtsverkehr. Statistisch gesehen werden auch andere Übertragungswege angenommen, genaue Mechanismen sind jedoch unbekannt. Die Mehrzahl der Erkrankungen (50–85 %) verläuft chronisch. Lediglich 15–50 % nehmen einen akuten Verlauf an. Hepatitis-D-Viren: Die Erkrankung kann nur ausbrechen wenn der Patient gleichzeitig an einer Hepatitis B erkrankt ist. Der Übertragungsweg ist mit dem der Hepatitis B identisch. Hepatitis-E-Viren: Die Übertragung erfolgt meist fäkaloral. Viele Infektionen verlaufen asymptomatisch und meist kommt es nicht zu einer Chronifizierung. Schwere Verläufe sind insbesondere bei Schwangeren möglich und können lebensbedrohlich für Mutter und Kind sein. Neben o.g. Viren können auch Gifte (z.B. Medikamente, Alkohol) die Erkrankung auslösen. Auch eine vorbestehende Fettleber, bestimmte Stoffwechselerkrankungen (z.B. Morbus Wilson) oder eine Autoimmunhepatitis kann Ursache sein. In diesem Fall wird von einer nichtinfektiösen Erkrankung gesprochen, die Einteilung anhand von Buchstaben entfällt.

47.6.9.2 Symptome akute Hepatitis (dauert maximal 6 Monate an) fulminanter Verlauf, mit Leberversagen und hoher Letalität möglich allgemeines Unwohlsein, Fieber, Übelkeit, Erbrechen

rechtsseitige Oberbauchschmerzen aufgrund der Leberschwellung ggf. Gelbsucht (Ikterus) Müdigkeit und Kraftlosigkeit über mehrere Monate chronische Hepatitis (dauert länger als sechs Monate an) i.d.R. zunächst Symptome des akuten Verlaufs Symptome der Leberzirrhose und Leberinsuffizienz Gefahr des Leberzellkarzinoms Abgeschlagenheit, Müdigkeit Oberbauchbeschwerden, ggf. Gelbsucht (Ikterus)

47.6.9.3 Diagnostik ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung Laborparameter: Transaminasen (GOT, GPT, γ-GT) Gerinnungsparameter (Quick, INR, pTT): geben Hinweis auf eine Leberinsuffizienz Abnahme einer Hepatitisserologie (Bestimmung von Hepatitisantikörpern im Blut) zum Ausschluss einer Virushepatitis Sonografie der Leber ggf. Leberbiopsie

47.6.9.4 Therapie Die Therapie richtet sich nach der Ursache. Handelt es sich um eine Virushepatitis, wird wie folgt behandelt: akute Hepatitis: meist symptomatisch, zusätzlich Verzicht auf leberschädigende Stoffe (z.B. Alkohol)

chronische Hepatitis: antivirale Therapie, zusätzlich symptomatische Behandlung bei Leberinsuffizienz (z.B. Gabe von Blutgerinnungsfaktoren)

47.6.9.5 Impfung Gegen die Virushepatitis A und B kann geimpft werden. Die STIKO (ständige Impfkommission) empfiehlt die Impfung gegen Hepatitis A für besonders gefährdete Personen. Hierzu gehören u.a. medizinisches Personal, Menschen mit chronischen Lebererkrankungen, Personen mit häufig wechselndem Sexualpartner, v.a. bei gleichgeschlechtlichem Sex zwischen Männern und Reisende in Länder mit hoher Hepatitisprävalenz (z.B. Türkei, Ägypten, Asien, Afrika). Die Impfung gegen Hepatitis B gehört seit 1995 zum regulären Impfprogramm für Kinder. Im Erwachsenenalter sollten nur besonders gefährdete Personengruppen geimpft werden (Menschen mit chronischen Lebererkrankungen, Personen mit Sexualverhalten mit hohem Infektionsrisiko und medizinisches Personal) sowie substanzabhängige Personen, die Spritzen benutzen. Eine Impfung gegen Hepatitis B kann mittels Antikörpertest auf ihre Wirksamkeit überprüft werden und benötigt dann i.d.R. keine Auffrischungsimpfung.

47.6.9.6 Pflege Beobachten: Stuhl: auf Veränderungen hinsichtlich Farbe, Beimengung, Konsistenz und Häufigkeit beobachten (siehe Kap. ▶ 19). Häufig wird ein gräulich lehmfarbiger Stuhl (acholischer Stuhl) beobachtet. Diese Farbe deutet auf eine Erkrankung von Galle, Pankreas oder Leber hin. Blutzucker kontrollieren (gibt Hinweis auf Leberschäden) Haut und Schleimhäute (Gelbfärbung?)

Schmerzen im Oberbauch (aufgrund einer Leberschwellung) Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Mobilisation und Körperpflege: individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand. Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards

ACHTUNG Bei Patienten mit chronischer Hepatitis (und Leberzirrhose) muss der Blutzucker regelmäßig kontrolliert werden, da aufgrund der eingeschränkten Leberfunktion die Produktion von Glukose in der Leber (Glukoneogenese) eingeschränkt ist. ▶ Hygienemaßnahmen. Pflegende sollten im Umgang mit Erkrankten besondere Hygienemaßnahmen einhalten. Hierzu gehören das Tragen von Handschuhen und der besonders vorsichtige Umgang mit infektiösen Gegenständen (z.B. Kanülen). Darüber hinaus müssen Patienten mit Hepatitis A und Hepatitis E isoliert werden. Bei Hepatitis B, C und D hingegen ist eine Isolation nicht nötig.

KOMPAKT Hepatitis Bei einer Hepatitis handelt es sich um eine Entzündung der Leber.

Ursache: Virusinfektion, Stoffwechselerkrankungen, fortschreitende Fettleber Hepatitis A und E: Übertragung i.d.R. fäkal-oral. Die Erkrankung heilt meist folgenlos aus und verläuft teilweise sogar asymptomatisch. Schwangere haben ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf. Hepatitis B und C werden durch Blut-zu-Blut-Kontakte übertragen und können einen chronischen Verlauf annehmen. Eine Impfung ist gegen Hepatitis A und B möglich und u.a. für Krankenpflegepersonal empfohlen.

47.6.10 Leberzirrhose und Leberinsuffizienz Definition Leberzirrhose und Leberinsuffizienz Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, bei der das Lebergewebe in unbrauchbares, fibrotisches Bindegewebe („Narbengewebe“) umgebaut wird. Hierdurch kann die Leber wichtige Stoffwechselleistungen nicht mehr erbringen, es kommt zur Leberinsuffizienz. Zusätzlich steigt der Blutwiderstand innerhalb des Organs. Hierdurch staut sich das Blut zurück (Leberstauung) und es sammelt sich Flüssigkeit (Aszites) im Bauchraum.

47.6.10.1 Ursachen Jegliche Art von Leberschädigung kann zur Leberzirrhose führen. Hierunter fallen:

chronische Virushepatitis Alkoholabusus bestimmte Stoffwechselerkrankungen (z.B. Morbus Wilson) fortgeschrittene Herzinsuffizienz (kardiale Zirrhose) bestimmte Tropenkrankheiten (z.B. Bilharziose)

47.6.10.2 Symptome Symptome der Leberinsuffizienz gesteigerte Blutungsneigung (durch die fehlende Synthese von Gerinnungsfaktoren) Ikterus (durch fehlenden Abbau von Hämoglobin) Juckreiz (u. a. durch gestörten Abbau giftiger Abfallprodukte des Körpers) hormonelle Störungen (Bauchglatze, Gynäkomastie, Menstruationsstörungen) hepatische Enzephalopathie (durch fehlenden Abbau von Ammoniak) Symptome der Leberstauung (portale Hypertension) Krampfadern (Varizen) in Magen und Speiseröhre Hämorrhoiden verstärkte Venenzeichnung am Bauch (Caput medusae) Aszites Vergrößerung der Milz (Hyperspleniesyndrom) Leberhautzeichen Spider naevi Petechien (Einblutungen unter der Haut)

Lacklippen und Lackzunge Palmar- und Plantarerythem (flächige Rötung auf Hand- bzw. Fußinnenflächen) Hautatrophie (dünne „Pergamenthaut“)

47.6.10.3 Komplikationen Die Ösophagusvarizenblutung gehört zu einer der schwersten Komplikationen. Die Blutung muss umgehend endoskopisch gestillt werden. Gleichzeitig werden verbleibende Varizen abgebunden (Banding). Eine Spätkomplikation der Leberzirrhose ist das hepatozelluläre Karzinom. Psychiatrische Symptome (hepatische Enzephalopathie) bis hin zu Bewusstlosigkeit (Leberkoma) sind möglich.

ACHTUNG Desorientierung und Koordinationsstörungen sind Anzeichen einer hepatischen Enzephalopathie. Sie können aber auch im Rahmen einer alkoholinduzierten Hepatitis auf ein beginnendes Alkoholentzugsdelir hindeuten.

47.6.10.4 Diagnostik ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung (Sonografie, Endoskopie, Leberbiopsie) Laborparameter: erhöhte Leberwerte (GOT, GPT, γ-GT, Bilirubin) und eingeschränkte Blutgerinnung Im fortgeschrittenen Stadium ist die Leberzirrhose auch sonografisch nachzuweisen.

47.6.10.5 Therapie fortschreitende, nicht heilbare Krankheit

Therapie der Grunderkrankung (z.B. Behandlung der Virushepatitis, Therapie einer Alkoholabhängigkeit) Behandlung der Komplikationen (z.B. endoskopisches Banding bei Ösophagusvarizen, eiweißarme Kost bei hepatischer Enzephalopathie, Aszitespunktion) halbjährlich sonografische Kontrollen auf ein hepatozelluläres Karzinom Lebertransplantation: einzige kurative (heilende) Therapie, die nur in speziellen Zentren durchgeführt wird.

47.6.10.6 Pflege Beobachten Vitalparameter: 2–3-mal täglich erfassen ▶ Flüssigkeitsbilanz und tägliches Wiegen, um die Entwicklung von Aszites zu erkennen Bauchumfang messen (bei Aszites) Blutzucker kontrollieren (gibt Hinweis auf Leberschäden) Haut und Schleimhäute (Gelbfärbung? Pergamenthaut? Juckreiz? Einblutungen?) Bewusstsein: Desorientierung bei hepatischer Enzephalopathie Schmerzen: häufig im Oberbauch aufgrund der Leberschwellung Stuhl: auf Veränderungen hinsichtlich Farbe und Beimengung beobachten (siehe Kap. ▶ 19) auf regelmäßigen Stuhlgang achten; ggf. Gabe von Laktulose, um den enterohepatischen Kreislauf giftiger Substanzen zu unterbrechen

▶ Mobilisation und Körperpflege. Im Verlauf der Erkrankung nimmt die Selbstständigkeit häufig stark ab. individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand körperliche Schonung, Belastungen vermeiden Hautpflege mit W/O-Lotion bei Pergamenthaut und um Juckreiz vorzubeugen/zu behandeln (siehe auch Kap. ▶ 54.4.1) weiche Zahnbürsten benutzen (bei erhöhter Blutungsneigung) Trockenrasur (bei erhöhter Blutungsneigung) auf bequeme Kleidung achten (besonders bei Aszites) ▶ Prophylaxen. Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards. Sturzprophylaxe: besonders bei erhöhter Blutungsneigung und Koordinationsstörungen (bei hepatischer Enzephalopathie) Pneumonieprophylaxe: besonders bei Aszites und daraus resultierendem Zwerchfellhochstand und Dyspnoe ▶ Ernährung. Ausgewogene, salz- und fettarme Ernährung, mehrere kleine Mahlzeiten pro Tag bei hepatischer Enzephalopathie: ggf. parenterale Zuführung von Aminosäuren bei Aszites: Flüssigkeitsbeschränkung: ggf. parenterale Zuführung von Humanalbumin ▶ Psychosoziale Begleitung. Gesprächsbereitschaft signalisieren, ggf. palliative Pflege (siehe Kap. ▶ 41) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

Erkrankung, mögliche Symptome und Verlauf (zur Förderung der Compliance) negativen Einfluss von leberschädigenden Stoffen (z.B. Alkohol, Paracetamol)

KOMPAKT Leberzirrhose Bei einer Leberzirrhose baut sich funktionsfähiges in funktionsloses Lebergewebe um. Ursache: chronische Leberschädigung, z.B. durch Virushepatitis, Alkoholabusus, Herzinsuffizienz Durch den fibrotischen Umbau der Leber kommt es zur Leberstauung (portale Hypertension). Die Folge sind u.a. Aszites und Ösophagusvarizen. Die Heilung der Erkrankung ist nur durch eine Lebertransplantation möglich. Pflege: Beobachten von z.B. Blutungen, Aszites, Bewusstsein, Blutzucker, körperliche Schonung, Informieren über leberschädigende Stoffe

47.6.11 Gallenerkrankungen Definition Gallenerkrankungen Erkrankungen der Gallenblase und der Gallenwege sind fast immer durch Gallensteine bedingt. Folgende Erkrankungen werden zusammengefasst ( ▶ Abb. 47.6): Cholezystolithiasis = Gallensteine in der Gallenblase

Cholezystitis = Gallenblasenentzündung Choledocholithiasis = Gallensteine im Gallengang Cholangitis = Entzündung des Gallengangsystems

Gallenerkrankungen im Überblick. Abb. 47.6 Verschiedene Gallenerkrankungen im Überblick. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

47.6.11.1 Ursachen Gallensteine entstehen durch ein Ungleichgewicht gelöster Substanzen innerhalb der Gallenflüssigkeit. Hierdurch fallen feste Substanzen aus und es kommt zur Entstehung von Gallensteinen. Typische Risikofaktoren lassen sich als die „6 F“ zusammenfassen: female (weiblich) fair (hellhäutig) fat (übergewichtig) forty (Alter über 40 Jahre) fertile (Geburt mehrerer Kinder) family (familiäre Veranlagung)

47.6.11.2 Symptome Befinden sich Gallensteine ausschließlich in der Gallenblase (Cholezystolithiasis), verspürt der Patient i.d.R. keine Beschwerden. Erst wenn die Wand der Gallenblase gereizt wird (Cholezystitis), treten kolikartige, d.h., an- und abschwellende Schmerzen im rechten Oberbauch auf. Meist werden die Schmerzen durch fettreiche Mahlzeiten ausgelöst. Schreitet die Entzündung weiter fort, kann es zum Platzen (Perforation) der Gallenblase kommen. Wird der Gallengang durch einen Stein verstopft (Choledocholithiasis), kommt es zum Verschlussikterus mit Gelbfärbung der Skleren. Zusätzlich sind begleitende Symptome wie Übelkeit und Erbrechen möglich.

47.6.11.3 Diagnostik Die Standarduntersuchung bei Erkrankungen von Gallewegen und Gallenblase ist die Sonografie. Auf diese Weise erkennt der Arzt das Vorhandensein von Steinen in der Gallenblase (Cholezystolithiasis), eine Entzündung der

Gallenblasenwand (Cholezystitis) sowie den Verschluss des Gallengangs mit Aufstau der Gallenflüssigkeit. Unterstützt wird dieses Verfahren durch entsprechende Labordiagnostik (Bilirubin, AP, GOT, GPT, γ-GT).

47.6.11.4 Therapie schmerz- und krampflösende Medikamente (z.B. Novaminsulfon und Buscopan) zur symptomatischen Therapie Nahrungskarenz im akuten Stadium Antibiotika bei einer Entzündung (Cholezystitis oder Cholangitis) ▶ ERCP bei Choledocholithiasis Cholezystektomie (Entfernung der Gallenblase) bei Cholezystitis und symptomatischer Cholezystolithiasis. Die Operation wird meist laparoskopisch, selten konventionell offen durchgeführt. Aktuell wird eine frühzeitige Cholezystektomie empfohlen. Die Patienten werden daher meist nicht mehr internistisch, sondern direkt chirurgisch aufgenommen.

47.6.11.5 Pflege bei Cholezystektomie ▶ Präoperative Pflege. Die präoperativen Vorbereitungen entsprechen der normalen präoperativen Pflege (siehe Kap. ▶ 39). Die Rasur erfolgt von den Mamillen bis zu den Leisten. ▶ Postoperative Pflege. Neben der allgemeinen postoperativen Pflege (siehe Kap. ▶ 39) sind folgende Besonderheiten zu beachten: Beobachtung: Kontrolle der Vitalparameter (Fieber?) und des Stuhlgangs

Blutentnahme am 2. Tag zur Kontrolle der Bauchspeicheldrüsenenzyme und Cholestaseparameter (alkalische Phosphatase, γ-GT, Bilirubin), um eine Pankreatitis frühzeitig zu erkennen Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 ggf. bauchdeckenentspannende Positionierung anbieten Ernährung: Kostaufbau nach ca. 12 h mit Tee und Zwieback (auf Arztanordnung) bei Nahrungskarenz Parotitisprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.12) berücksichtigen Mobilisation: an die Bettkante am Operationsabend (bei laparoskopischem Eingriff) Drainagen: Pflege der T-Drainage (nur bei konventioneller OP, dient dem postoperativen Gallenabfluss, siehe Kap. ▶ 27): Fixierung mit Pflasterstreifen an der Bauchdecke, nach 8–12 Tagen abklemmen und 24 h später entfernen (auf Arztanordnung) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Beratung des Patienten zu fettarmer Ernährung, Gewichtsreduktion und sportlicher Aktivität psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, Zeit nehmen

KOMPAKT

Gallenerkrankungen Cholezystolithiasis (Gallensteine in der Gallenblase), Cholezystitis (Gallenblasenentzündung), Choledocholithiasis (Gallensteine im Gallengang), Cholangitis (Entzündung des Gallengangsystems) Diagnostik: Sonografie und Laborparameter Symptome: meist keine Beschwerden, später kolikartige Schmerzen, Verschlussikterus, Übelkeit und Erbrechen Therapie: ERCP, laparoskopische Cholezystektomie, Antibiotikatherapie perioperative Pflege bei Cholezystektomie

47.6.12 Pankreatitis Definition Pankreatitis Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Es wird zwischen einer akuten und einer chronischen Form unterschieden.

47.6.12.1 Ursachen akute Pankreatitis: Choledocholithiasis mit Verschlussikterus (55 %), chronischer Alkoholabusus (35 %), medikamenteninduziert, Virusinfektionen, nach ERCP chronische Pankreatitis: chronischer Alkoholabusus (80 %), ohne erkennbare Ursache (15 %), medikamenteninduziert

47.6.12.2 Symptome und Komplikationen

Typisch sind gürtelförmige Oberbauchbeschwerden mit Ausstrahlung in Flanken und Rücken. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung fällt meist ein „gummiartiger“ Bauch auf. Weitere Symptome sind Erbrechen, Übelkeit, Fieber und Meteorismus (Blähbauch). Bei einer akuten Pankreatitis kann es durch das „Ausschwitzen“ von Verdauungssekret zu einem ▶ Volumenmangelschock kommen. Gleichzeitig beginnt sich das Organ hierdurch selbst zu verdauen. Die Behandlung erfolgt teilweise auf der Intensivstation. Bei der chronischen Pankreatitis kommt es zu rezidivierenden Oberbauchbeschwerden. Im Verlauf kann sich eine Pankreasinsuffizienz entwickeln mit folgenden Symptomen: ▶ Hyperglykämien, ▶ Typ-3-Diabetes, Fettstühle, Ödeme aufgrund von Eiweißmangel, Gewichtsverlust, neurologische Auffälligkeiten durch Vitaminmangel.

47.6.12.3 Diagnostik Sonografie (ödematös verändertes Organ) Labordiagnostik (Entzündungswerte, Lipase erhöht) Computertomografie

47.6.12.4 Therapie Akute Pankreatitis Behandlung ggf. auf der Intensivstation, die Letalität liegt bei bis zu 30 %. intravenöser Magenschutz (Protonenpumpenhemmer, z.B. Pantozol), um ein ▶ Stressulkus zu vermeiden Infusionen, zum Ausgleich eines Volumendefizits (PlusBilanz von bis zu 4000 ml möglich) Keine routinemäßige Nahrungskarenz; ggf. enterale Ernährung über nasogastrale Sonde. Ein oraler

Kostaufbau ist anzustreben. ▶ ERCP bei Choledocholithiasis adäquate Analgesie, ggf. in Kombination mit einem PDK ggf. operativer Eingriff ▶ Chronische Pankreatitis. Die schubweise auftretende, an- und abschwellende Schmerzsymptomatik wird im akuten Stadium wie die akute Pankreatitis therapiert. Zusätzlich: absoluter Verzicht auf Alkohol (wichtigste Therapieoption) Im beschwerdefreien Intervall müssen dem Körper die fehlenden endokrinen (z.B. Insulin) und exokrinen Substanzen (z.B. Lipase) des Pankreas medikamentös zugeführt werden. operative Teilentfernung des Organs, wenn die Beschwerden im akuten Schub nicht mehr beherrschbar sind und das Pankreasgewebe sich zunehmend zystisch/fibrotisch oder sogar bösartig umbaut

47.6.12.5 Pflege Akute Pankreatitis Beobachten: Aussehen des Bauches beobachten (z.B. glänzend, gespannt, Umfangszunahme) Vitalparameter erfassen (kontinuierlich per Monitoring) Blutzucker kontrollieren Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 „Schmerzmanagement"

ggf. bauchdeckenentspannende Positionierung anbieten Mobilisation: vor der Mobilisation Blutdruck messen, um die Kreislaufsituation einzuschätzen (Flüssigkeitsmangel?) Ernährung: zunächst Nahrungskarenz, parenterale Ernährung bei Schmerzfreiheit Kostaufbau mit Schonkost: Der Patient darf essen, was er verträgt (ggf. enterale Ernährung über eine jejunale Magensonde, siehe Kap. ▶ 27.2.2). Verzicht auf Alkohol, Nikotin und Kaffee Infusionsmanagement: Überwachung des Infusionsprogramms, ▶ Flüssigkeitsbilanz erstellen Sonden: ggf. ▶ nasogastrale Ablaufsonde mit angeschlossenem Beutel, z.B. zur Entlastung des Magens, oder bei einem ▶ paralytischen Ileus Chronische Pankreatitis Medikamentenmanagement: auf regelmäßige Mahlzeiten und pünktliche Einnahme der Pankreasenzyme (z.B. Kreon-Kapseln) achten Pankreasenzym-Kapseln nicht öffnen oder mörsern, weil die empfindlichen Enzyme sonst durch die Magensäure zersetzt werden Benötigt der Patient zusätzlich Insulin, darf dieses nur in streng einzuhaltender Kombination mit den Enzymen gegeben werden (Hypoglykämiegefahr!). Schmerzmanagement: s.o.

psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, Zeit nehmen, zuhören Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über: Notwendigkeit regelmäßiger Mahlzeiten und pünktlicher Einnahme der Pankreasenzyme (z.B. Kreon-Kapseln) Umgang mit der Einnahme von Enzymen und Insulin Anpassung der Lebensgewohnheiten, ggf. Behandlung einer Alkoholerkrankung passende Ernährung und Vorbeugen weiterer, akuter Schübe Vermittlung des Patienten in Alkoholentzugsprogramme, Selbsthilfegruppen, ggf. Diabetes-Sprechstunde

KOMPAKT Pankreatitis Bei der akuten Pankreatitis handelt es sich um ein schweres Krankheitsbild, das ggf. auf der Intensivstation überwacht werden muss. Typisches Symptom sind gürtelförmige Oberbauchbeschwerden. Diagnostik: Sonografie und Laborparameter Ursache: v.a. Choledocholithiasis Therapie und Pflege: Pankreas mittels Schonkost entlasten, ausreichende Analgesie Eine chronische Pankreatitis verläuft symptomärmer. Ursache: v.a. Alkoholabusus Therapie und Pflege: Alkoholverzicht, Schmerzmanagement, Einnahmen von

Pankreasenzymen, ggf. OP Komplikation: Pankreasinsuffizienz, die sich u.a. durch Hyperglykämien, Fettstühle, Gewichtsverlust zeigt. Häufig entwickeln Betroffene einen Diabetes mellitus.

47.6.13 Bauchwandhernien Definition Bauchwandhernien Bei einer Hernie (Bruch) stülpt sich das Bauchfell (Peritoneum parietale) sackartig durch eine angeborene oder erworbene Lücke der Bauchmuskulatur (= Bruchpforte) nach außen. Der so entstehende Bruchsack kann neben Bauchfell auch Anteile des Darms enthalten. Zu den häufigsten Bauchwandhernien gehört die Leistenhernie.

Pathophysiologie einer Bauchwandhernie. Abb. 47.7 Der Bruchsack ist von Bauchfell ausgekleidet und kann Darmabschnitte enthalten. (Aus: I care Krankheitslehre. Stuttgart: Thieme; 2020)

47.6.13.1 Ursachen Eine Hernie entsteht, wenn die Bauchmuskulatur dem intraabdominalen Druck nicht standhält und einreißt bzw. bricht ( ▶ Abb. 47.7). Zu den häufigsten Ursachen zählen: Bindegewebsschwäche chronische Verstopfung schweres Heben chronisches Husten (z.B. COPD) Schwangerschaft Aszites ▶ Adipositas Narben der Bauchmuskulatur (z.B. nach Operationen)

Grundsätzlich werden unterschieden: angeborene Hernien (selten): Die Bruchpforte ist ein Relikt der Embryonalentwicklung und hat sich in deren Verlauf nicht vollständig verschlossen. erworbene Hernien (häufig): Durch eine anlagebedingte Bindegewebsschwäche und/oder erhöhten Druck im Bauchraum (s.o.) entstehen in der Bauchmuskulatur kleinste Risse, die sich im weiteren Verlauf zur Bruchpforte entwickeln. Je nachdem an welcher Stelle der Bauchmuskulatur es zur Bruchpforte kommt, werden folgende Hernien unterschieden: Leistenhernie (am häufigsten): Die Bruchpforte liegt im Bereich des Leistenkanals (angeboren oder erworben, in ca. 90 % der Fälle sind Männer betroffen). Narbenhernie: Die Bruchpforte liegt im Bereich einer Narbe (häufig nach großen Bauchoperationen). Nabelhernie: Die Bruchpforte liegt im Bereich des Bauchnabels (häufig angeboren, bei Frühgeborenen). Schenkelhernie: Die Bruchpforte liegt unterhalb des Leistenkanals (sehr selten, bei adipösen, älteren Frauen).

47.6.13.2 Symptome Häufig verursacht eine Bauchwandhernie nur geringe Beschwerden. Schmerzen treten besonders beim Anspannen der Bauchmuskulatur auf. Im fortgeschrittenen Stadium kann eine äußerliche Schwellung sichtbar sein. Die gefürchtetste Komplikation ist eine Inkarzeration. Hierbei klemmen Darminhalte im Bereich der Bruchpforte ein und sterben infolge einer Minderdurchblutung ab. Eine Operation ist in diesem Fall Therapie der Wahl.

47.6.13.3 Diagnostik Abtasten typischer Bruchpforten am stehenden Patienten Sonografie

47.6.13.4 Therapie Aufgrund der Gefahr einer Inkarzeration sollten Bauchwandhernien operativ verschlossen werden. Die Operation wird in den meisten Fällen minimalinvasiv (laparoskopisch) vorgenommen. Hierbei wird der Inhalt des Bruchsacks in den Bauchraum zurückverlagert und die Bruchpforte, teilweise unter Zuhilfenahme eines Netzes, operativ verschlossen.

47.6.13.5 Pflege ▶ Präoperative Pflege. Vor der Operation sollten Pflegende auf mögliche Symptome einer Inkarzeration (z.B. plötzliche Bauchschmerzen) achten. ▶ Postoperative Pflege. Postoperativ sollten neben der allgemeinen postoperativen Versorgung (siehe Kap. ▶ 39; Schmerzen? Nachblutung? Infektion?) folgende Punkte beachtet werden: Mobilisation: Frühmobilisation bereits am Tag der Operation Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Um das Risiko eines postoperativen Hodenhämatoms (sehr schmerzhaft) zu reduzieren, sollten Männer einen engsitzenden Slip tragen (8 Tage). abhängig von Hernienart und Operationstechnik: körperliche Schonung, Verzicht auf schweres Heben (4 Wochen), auf Geschlechtsverkehr verzichten (eine Woche)

KOMPAKT

Bauchwandhernien Bei einer Bauchwandhernie stülpt sich das Bauchfell sackartig durch eine Lücke der Bauchmuskulatur nach außen. Zu den häufigsten Bauchwandhernien gehören die Leistenhernien. Ursachen: chronische Verstopfung, schweres Heben, Übergewicht – angeboren (selten), erworben (häufig) Symptome: gering, ggf. Schmerzen bei Anspannung der Bauchmuskulatur Komplikation: Inkarzeration Therapie: (laparoskopische) Operation

47.6.14 Peritonitis Definition Peritonitis Bei einer Peritonitis handelt es sich um eine Entzündung des Bauchfells. Weil dieses den gesamten Bauchraum ausfüllt, kann das gesamte Abdomen betroffen sein.

47.6.14.1 Ursachen Jede Entzündung (z.B. Cholezystitis, Divertikulitis) oder nicht ausreichend sterile Operation innerhalb des Bauchraumes kann zur Peritonitis führen. Die häufigste Ursache ist eine Appendizitis. Eine spontan bakterielle Peritonitis entwickeln ca. 15 % der Patienten mit Aszites (= abdominale Wasseransammlung). Hierbei durchdringen Darmbakterien die Darmwand und infizieren so das Bauchfell.

47.6.14.2 Symptome Typisch sind ein abdominaler Druckschmerz mit Abwehrspannung sowie starkes allgemeines Krankheitsgefühl mit hohem Fieber. Im weiteren Verlauf wird durch ein septisches Schockgeschehen das HerzKreislauf-System in Mitleidenschaft gezogen. Durch Flüssigkeitsverschiebungen in den Bauchraum kann es außerdem zum ▶ Volumenmangelschock kommen. Folge ist häufig die Behandlung auf einer Intensivstation. Trotz Therapie kann eine fulminante Peritonitis auch heute noch tödlich verlaufen.

47.6.14.3 Diagnostik Das diagnostische Vorgehen entspricht dem bei einem akuten Abdomen (s.u.): körperliche Untersuchung, Blutentnahme mit Entzündungswerten, CT, Sonografie.

47.6.14.4 Therapie Neben einer intravenös verabreichten Antibiotikatherapie und intensivmedizinischer Überwachung gilt es, die Ursache der Peritonitis ausfindig zu machen und schnellstmöglich zu behandeln. Eine Operation hat dabei folgende Ziele: Behandlung der auslösenden Ursache (z.B. entzündeter Appendix entfernen) und Entfernung infektiösen Materials aus dem Bauchraum (Anlage mehrerer Spüldrainagen).

47.6.14.5 Pflege Beobachtung: intensivmedizinische Überwachung Abdomen beobachten (prall? hart? Darmgeräusche?) Flüssigkeitshaushalt bei septischem Schock (Urinmenge? Hautzustand?)

Mobilisation und Prophylaxen je nach Allgemeinzustand (siehe Kap. ▶ 15 und Kap. ▶ 17) Ernährung: parenterale Ernährung und nasogastrale Sonde, um Verdauungssäfte abzuleiten und Verdauungstrakt zu entlasten Medikamentenmanagement: Gabe und Überwachung der Antibiotikatherapie, bedarfsgerechtes Schmerzmanagement (siehe Kap. ▶ 21) Mitwirken bei Therapie: Spülung der Drainagen postoperativ nach ärztlicher Anordnung, Erstellung einer genauen Spülbilanz

47.6.15 Akutes Abdomen Definition Akutes Abdomen Lebensbedrohlicher Symptomenkomplex, der meist mit akut einsetzenden heftigen Bauchschmerzen, einer Abwehrspannung der Bauchdecke und einer Schocksymptomatik einhergeht.

47.6.15.1 Ursachen Ein akutes Abdomen kann durch viele verschiedene Erkrankungen verursacht werden: Entzündungen der Bauchorgane: z.B. Appendizitis, Cholezystitis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Pankreatitis oder Divertikulitis Hohlorganperforation des Darms, der Gallenblase, Magen oder Duodenum Gallensteine mechanischer Ileus

Durchblutungsstörungen des Darms (z.B. bei Mesenterialinfarkt)

47.6.15.2 Symptome Bauchschmerzen Übelkeit und Erbrechen Obstipation oder Diarrhö ggf. Fieber Schocksymptomatik: Unruhe, Blässe, Kaltschweißigkeit, Tachykardie, ggf. Oligurie

47.6.15.3 Diagnostik Anamnese und körperliche Untersuchung: Schmerzen? vorangegangene Bauchoperation? Abwehrspannung? Peristaltik? Laborparameter: Blutbild, Gerinnung, klinische Chemie (Leber- und Nierenwerte, Herz- und Pankreasenzyme, Laktat) Untersuchungen: EKG, Abdomensonografie, CTAbdomen-Aufnahme, Röntgenaufnahmen (Abdomen und Thorax) ggf. explorative Laparoskopie (bei unklarer Diagnose)

ACHTUNG Ein akutes Abdomen ist ein Notfall, der eine umgehende Diagnostik erfordert!

47.6.15.4 Therapie Nahrungskarenz operativer Eingriff abhängig von der Ursache

47.6.15.5 Pflege Beobachtung: intensivmedizinische Überwachung Volumenmanagement (Flüssigkeitsbilanzierung, Messung des ZVDs, zentralvenöse Sättigung) Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 bauchdeckenentspannende Position (z.B. Knierolle, Oberkörperhochlage) Ernährung: Nahrungskarenz, ggf. parenterale Ernährung (auf Arztanordnung), ausreichende Substitution von Flüssigkeit, Elektrolyten und Glukose Ausscheidung: ggf. Harnblasenkatheter zur exakten Flüssigkeitsbilanzierung (auf Arztanordnung) Ablaufsonde Psychosoziale Begleitung:Patienten beruhigen und begleiten

48 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Niere und der Harnwege 48.1 Anatomie und Physiologie der Niere 48.1.1 Aufgaben, Lage, Form und Größe Die Aufgaben der Niere (Ren) sind: Harnproduktion Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts

Regulation des Säure-Basen-Haushalts Reinigung und Entgiftung des Körpers Hormonproduktion (u.a. zur Steuerung von Blutdruck, Blutbildung und Knochenstoffwechsel) Beide Nieren ( ▶ Abb. 48.1) liegen retroperitoneal rechts und links neben der Wirbelsäule. Ihre Form ähnelt einer Bohne von ca. 12 cm Länge, 5 cm Breite und 4 cm Dicke bei einem Erwachsenen, bei Kindern sind die Nieren entsprechend kleiner. Oberhalb jeder Niere liegen die Nebennieren, die zusammen mit den Nieren von einer Fettund Bindegewebskapsel umgeben sind.

48.1.2 Aufbau und Funktion Aufbau der Niere. Abb. 48.1 Rechte Niere von hinten betrachtet. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

48.1.2.1 Nephron Die funktionelle Einheit der Niere, in der der Harn gebildet wird, nennt man Nephron. Jedes Nephron besteht aus 2 Anteilen:

Nierenkörperchen: Es liegt in der Nierenrinde und besteht v.a. aus einem Kapillarknäuel (Glomerulus). Durch feine Poren in diesen Kapillaren werden durch den Blutdruck Wasser und Moleküle „abgepresst“. Bei dieser glomerulären Filtration entsteht der Primärharn, die unkonzentrierte Vorstufe des Urins (ca. 180 l/Tag). Nierenkanälchen: Es verläuft vom Glomerulus in einer Schleife („Henle-Schleife“) durch das Nierenmark und zurück zur Rinde. In ihm wird der Primärharn durch Sekretion (z.B. Abbauprodukte) und Resorption (z.B. Zucker, Proteine, Aminosäuren, Na+, Wasser) auf ca. 1 % der Menge konzentriert (ca. 1,5 l/Tag). Über zum Nierenbecken verlaufende Sammelrohre wird der Harn dann ins Nierenbecken entleert. ▶ Glomeruläre Filtrationsrate (GFR). Die GFR beschreibt die Menge des Primärharns, die pro Minute von allen Glomeruli beider Nieren durch Filtern gebildet wird. Dadurch kann die Funktion der Niere beurteilt werden. Bei jungen Erwachsenen werden ca. 90–120 ml/min Primärharn gebildet, die Rate nimmt ab dem 40. Lebensjahr um ca. 1 ml/min pro Jahr altersbedingt ab. Die GFR kann durch die Bestimmung der Kreatinin-Clearance geschätzt werden. ▶ Kreatinin-Clearance. Die Kreatinin-Clearance wird ebenfalls in ml/min angegeben und entspricht dem Plasmavolumen, das pro Zeiteinheit von Kreatinin gereinigt wird. Referenzbereiche für die Kreatinin-Clearance: Neugeborene: 24–45 ml/min Männer (25 Jahre alt, Körperoberfläche 1,73 m2): 40–95 ml/min Frauen (25 Jahre alt, Körperoberfläche 1,73 m2): 70–110 ml/min Mann (75 Jahre alt): 50–80 ml/min Frau (75 Jahre alt): 35–60 ml/min ▶ Nierenschwelle. Die Menge eines Stoffes, die maximal von der Niere resorbiert werden kann, bezeichnet man als Nierenschwelle. Wird sie überschritten, wird der Stoff mit dem Urin ausgeschieden. Beispiel: Glukosurie bei Diabetes mellitus. ▶ Urinmenge und Urinzusammensetzung. Ein gesunder Erwachsener scheidet pro Tag ca. 1,5 l Urin aus. Die Ausscheidungsmenge bei Kindern ist altersabhängig, z.B. ein Säugling scheidet bis 500 ml, ein Kind bis 8 Jahre ca. 1000 ml und ein Kind über 8 Jahre bis 1200 ml Urin aus. Entsprechend der Trinkmenge ist die

Urinfarbe unterschiedlich. Sie ist sehr hell (wenig konzentriert) bis dunkelgelb (stark konzentriert). Der gelbe Farbton wird durch Hämoglobinabbauprodukte verursacht (Urochrome). Der Urin besteht zu 95 % aus Wasser, die restlichen 5 % machen vor allem die harnpflichtigen Substanzen aus. Das sind Stoffe, die der Körper zwingend über die Niere ausscheiden muss. Die wichtigsten harnpflichtigen Substanzen sind: Harnstoff: ein Proteinabbauprodukt Harnsäure: ein Abbauprodukt des Nukleinsäurestoffwechsels Kreatinin: stammt aus dem Muskelstoffwechsel und aus fleischhaltiger Nahrung

48.1.2.2 Regulationsmechanismen der Niere Zur Aufrechterhaltung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts verfügt die Niere über Mechanismen, die auch bei schwankendem Blutdruck die GFR weitgehend konstant halten: myogene Autoregulation (Bayliss-Effekt): Eine Erhöhung des systemischen Blutdrucks führt zur Konstriktion der kleinen Blutgefäße, die die Glomeruli mit Blut versorgen (Vasa afferentia). Die Durchblutung der Glomeruli bleibt dadurch im systolischen Blutdruckbereich von ca. 80–160 mmHg konstant. tubuloglomeruläre Rückkopplung: Dieser Mechanismus findet am „juxtaglomerulären Apparat“ statt. Dieses Zellkonglomerat liegt dort, wo die kleinen zu- und abführenden Blutgefäße (Vasa afferentia und efferentia) in den Glomerulus ein- bzw. austreten. Teil dieses Apparates ist die „Macula densa“. Sie misst die NaClKonzentration im distalen Tubulus. Ist diese erhöht, verengt sich das Vas afferens des Glomerulus. Hierdurch wird der Bluteinstrom in den Glomerulus vermindert und die GFR sinkt. Der Körper „spart“ Flüssigkeit. Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS): Sinkt der Blutdruck systolisch unter 80 mmHg, wird im „Polkissen“ des juxtaglomerulären Apparates Renin freigesetzt. Renin bildet aus Angiotensinogen das Hormon Angiotensin I. ACE (AngiotensinConverting Enzyme) macht daraus Angiotensin II. Dieses wirkt direkt vasokonstriktorisch. Dadurch steigt der Blutdruck und die Vasa efferentia verengen sich. Zudem fördert Angiotensin II die Ausschüttung von Aldosteron und ADH, was die Rückresorption von Na+ und Wasser fördert.

48.1.2.3 Hormonproduktion Erythropoetin (EPO): wird bei Sauerstoffmangel aus dem Nierengewebe freigesetzt. Es fördert die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark. Vitamin D3: entsteht in den Zellen des distalen Tubulus durch Umwandlung des inaktiven Vitamin D2 in seine aktive Form.

KOMPAKT Aufbau und Funktion der Niere Aufgaben: Harnproduktion, Regulation von Wasser-/Elektrolyt-/SäureBasen-Haushalt, Hormonproduktion (Blutdruck!), Ausscheidung von Abbauprodukten funktionelle Einheiten: Nephron (Harnproduktion in Nierenkörperchen und Nierenkanälchen) und juxtaglomerulärer Apparat (Regulation der Primärharnproduktion) renale Ausscheidung (Harn) = Filtration + Sekretion – Resorption glomeruläre Filtrationsrate (GFR): Menge des Primärharns, die pro Minute von allen Glomeruli beider Nieren gebildet wird Ein Erwachsener bildet pro Tag ca. 180 l Primärharn, der auf ca. 1,5 l Sekundärharn konzentriert wird. Kinder > 8 Jahre erzeugen ca. 1,2 l Sekundärharn, Säuglinge ca. 500 ml.

48.2 Anatomie und Physiologie der ableitenden Harnwege Zu den ableitenden Harnwegen gehören: Nierenbecken Harnleiter Harnblase Harnröhre

48.2.1 Nierenbecken und Harnleiter Das Nierenbecken liegt zentral in der Niere. Mit seinen Nierenkelchen fängt es den Harn aus den Sammelrohren auf und geht am Nierenhilus in den Harnleiter über. Die Harnleiter (Ureteren, Einzahl: Ureter) ziehen vom rechten bzw. linken Nierenhilus zur Harnblase. Die Harnleiter verlaufen retroperitoneal und münden in die Harnblase. Beide Strukturen, sowohl das Nierenbecken als auch der Harnleiter, sind mit einem mehrschichtigen Übergangsepithel, dem Urothel, ausgekleidet. Die Kontraktion der Harnleiterwand wird durch den Sympathikus gehemmt und durch den Parasympathikus gesteigert.

48.2.2 Harnblase 48.2.2.1 Aufbau Die Harnblase (Vesica urinaria) liegt im kleinen Becken hinter der Schambeinfuge. Bei starker Füllung reicht sie über diese hinaus. Den größten Teil der Blase macht der Blasenkörper aus. Der Übergang von der Harnblase zur Harnröhre wird Blasenhals genannt.

48.2.2.2 Feinbau Die Schleimhaut der leeren Harnblase hat viele Falten und liegt der Muskelschicht nur locker auf, damit sich die Harnblasenwand dehnen kann. Im Bereich des Blasenhalses liegt der innere Harnröhrensphinkter (M. sphincter urethrae internus), der den Beginn der Harnröhre verschließt. Zusätzlich wird der Harnröhrenverschluss vom sog. Blasenzäpfchen (Uvula vesicae) unterstützt.

48.2.3 Die Harnröhre 48.2.3.1 Aufbau Die Harnröhre (Urethra) beginnt am Blasenhals und ist in ihrem Verlauf sowie ihrer Länge alters- und geschlechtsspezifisch. Die unten aufgeführten Angaben gelten für Erwachsene, bei Kindern und Säuglingen ist die Harnröhre entsprechend kürzer.

Bei einer Frau ist sie 4–5 cm lang und verläuft gerade zwischen dem Schambein und der Vorderwand der Scheide, wo sie hinter der Klitoris endet. Bei einem Mann ist die Harnröhre 20 cm lang und verläuft in 2 Krümmungen. Sie wird in 4 Abschnitte unterteilt: Wand-, Prostata-, Beckenboden- und Schwellkörperanteil. Außerdem gibt es in der männlichen Harnröhre 3 Engstellen, die beim Legen eines transurethralen Katheters zu berücksichtigen sind: in der Muskelwand der Blase an der Durchtrittsstelle durch den Beckenboden an der äußeren Harnröhrenöffnung

48.2.3.2 Feinbau Die Harnröhre ist in ihrem Anfangsteil mit Urothel ausgekleidet, das im weiteren Verlauf in ein mehrschichtiges unverhorntes Plattenepithel übergeht. Am Durchgang durch den Beckenboden sitzt der äußere Harnröhrensphinkter, der willkürlich gesteuert werden kann und zusammen mit dem inneren Harnröhrensphinkter sowie der Beckenbodenmuskulatur für die Kontinenz sorgt.

48.2.4 Harnblasenentleerung Sobald die Blase bei einem Erwachsenen mit 150–300 ml gefüllt ist, melden dies die Dehnungsrezeptoren an das Rückenmark (Sakralmark, S2–S4). Die zentrale Steuerung der Miktion obliegt aber dem Miktionszentrum im Gehirn. Dort wird der Harndrang wahrgenommen und eine Entscheidung für Kontinenz oder Miktion getroffen. Fällt die Entscheidung für die Miktion, öffnet der Parasympathikus den Schließmuskel und aktiviert die Blasenentleerung, die dann autonom abläuft. ▶ Sauberkeitsgewöhnung bei Kindern. Die willentliche Miktion bei Kindern erfolgt erst, wenn die neurophysiologischen und anatomischen Strukturen ausgereift sind. Zwischen dem 18. und 30. Lebensmonat nimmt ein Kind die Füllung der Harnblase wahr.

Merke Miktion bei Kleinkindern Kleinkinder bis 3 Jahre haben noch keine komplette Schließmuskelkontrolle!

KOMPAKT Aufbau der ableitenden Harnwege Strukturen: Nierenbecken, Harnleiter, Harnblase, Harnröhre Alle Strukturen sind mit einem mehrschichtigen Übergangsepithel, dem Urothel, ausgekleidet. Die Harnröhre einer Frau ist 4–5 cm lang und verläuft gerade. Die Harnröhre eines Mannes ist ca. 20 cm lang und verläuft in 2 Krümmungen. Abschnitte: Wand-, Prostata-, Beckenboden- und Schwellkörperanteil. Es existieren 3 Engstellen, die beim Legen eines transurethralen Katheters zu berücksichtigen sind.

48.3 Pflegebasismaßnahmen ▶ Wahrnehmen und Beobachten. Aufgrund der oft gestörten Regulation der Harnausscheidung gelten als Beobachtungsschwerpunkte: Kontrolle der Vitalparameter, v.a. Blutdruck und Temperatur Beobachtung der Ausscheidung hinsichtlich der Blasenentleerungsstörungen (Algurie, Dysurie, Harnverhalt, Polyurie, Oligurie, Anurie, Pollakisurie, und Nykturie sowie Harninkontinenz, siehe Kap. ▶ 19) auf Menge, Farbe, Beimengungen, z.B. Blut (Hämaturie) und Proteine (Proteinurie) Beobachtung der Haut auf Ödeme, ggf. tägliche Gewichtskontrollen und ▶ Flüssigkeitsbilanzierung Schmerzen: Schmerzbeobachtung und entsprechende Schmerztherapie nach Arztanordnung, Pflegeempfänger haben häufig Flankenschmerz (seitliche und dorsale Rumpfregion, entlang Rippenbogen bis Rücken) wie z.B.: Koliken (plötzlich auftretender, krampfartiger Schmerz) bei Harnsteinen dumpfe, anhaltende Schmerzen und bei Kindern Unterbauchschmerzen als Zeichen einer Entzündung.

Ernährung Bei Nierenerkrankungen mit eingeschränkter Funktion ist eine Trinkmengenbeschränkung indiziert. Die Pflegefachkräfte unterstützen den Pflegeempfänger bei der Einhaltung der berechneten Trinkmenge, z.B. mit einem Trinkprotokoll. Bei eingeschränkter Nierenfunktion kann auch eine kalium-, natrium- und eiweißarme Diät angeordnet werden. ▶ Blasenkatheter. Informationen zum Umgang mit Blasenkathetern (Legen, Pflege, Entfernen) finden Sie im Kap. ▶ 19 „Ausscheidung“.

48.4 Mitwirken bei der Diagnostik 48.4.1 Anamnese Bei Verdacht auf eine Nierenerkrankung umfasst die Anamnese folgende Aspekte: Fehlbildungen, z.B. Nierenhypoplasie und Dysplasie Vorerkrankungen, z.B. wiederkehrende Harnwegsinfekte Grunderkrankungen, z.B. arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Leitsymptome, z.B. Harnblasenentleerungsstörungen, Harninkontinenz, Urinmenge, Farbe des Urins, Schmerzen, Ausfluss aus der Harnröhre Begleitsymptome, z.B. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Juckreiz, Ödeme, Fieber eingenommene Medikamente

48.4.2 Klinische Untersuchung Die körperliche Untersuchung umfasst: Inspektion: Ödeme (Knöchel, Augenlider, Rücken bei Bettlägerigen), Hautfarbe (bei renaler Anämie ist die Haut blass, bei Urämie gelblich-bräunlich), Geruch (urinartiger Mundgeruch, sog. Foetor uraemicus) Palpation und Perkussion: Klopfschmerz im Bereich der Flanken, Sensibilitätsstörungen, Polyneuropathie bei Urämie

Auskultation: Rasselgeräusche bei Lungenödem

48.4.3 Apparative Untersuchungen 48.4.3.1 Laborparameter Retentionsparameter: Kreatinin: ist erhöht bei > 50 % Einschränkung der GFR Harnstoff: ist erhöht bei > 25 % Einschränkung der GFR Cystatin C Elektrolytkonzentration: Kalium ↑: Niereninsuffizienz Phosphat ↑ und Kalzium ↓: länger bestehende Nierenfunktionsstörung Blutbild: renale Anämie durch Erythropoetinmangel Blutgasanalyse: Die BGA liefert Informationen über den SäureBasen-Haushalt.

48.4.3.2 Urindiagnostik ▶ Urinstatus. Der U-Status wird anhand einer Urinprobe erhoben und umfasst die Ergebnisse aus der makroskopischen Harnbeurteilung, der Untersuchung mittels Urinteststreifen und der im Labor erhobenen Befundanalyse (sog. Sedimentanalyse). Makroskopisch werden Farbe, Menge und Geruch des Urins beurteilt. Uringewinnung: Mobile Pflegeempfänger sollten auf der Toilette den Mittelstrahlurin in einem Becher auffangen. Bei Pflegeempfängern mit einem Dauerkatheter wird die Urinprobe aus der Entnahmestelle des Katheters entnommen. Bei Säuglingen wird ein Urinauffangbeutel verwendet und der Urin mittels einer Urinmonovette in das Untersuchungsröhrchen umgefüllt. Die Urinprobe wird beschriftet und ins Labor weitergeleitet.

Merke Morgenurin bevorzugt

Der erste Urin am Morgen hat diagnostisch die größte Aussagekraft, da er aufgrund der fehlenden nächtlichen Flüssigkeitsaufnahme konzentrierter ist. Dadurch lassen sich viele Substanzen besser nachweisen. ▶ Urinteststreifen (Urinstix). Der Urinstix wird in den aufgefangenen Mittelstrahlurin gehalten. Nach 1–2 min werden die Testfelder durch Vergleich mit einer Referenzskala (Farbskala) bewertet. pH-Wert: normal zwischen 5 und 6 Leukozyten: Erhöhte Leukos im Urin (Leukozyturie) weisen auf einen Harnwegsinfekt (HWI) hin. Nitrit: Die häufigsten Erreger von HWI sind Bakterien, die Nitrit produzieren. Verfärbt sich dieses Feld, liegt vermutlich ein Infekt vor. Protein: Eine Proteinurie kann z.B. durch eine Glomerulonephritis bedingt sein. Glukose: Die Glukosurie ist ein Kardinalsymptom des ▶ Diabetes mellitus. Ketonkörper: Sie entstehen bei Glukosemangel aus der vermehrten Lipolyse (Fettverbrennung). Bilirubin und Urobilinogen: Diese können im Urin ggf. bei Hämolysen sowie bei Erkrankungen der Leber und der Gallenwege nachgewiesen werden. Erythrozyten: Mögliche Ursachen einer Hämaturie sind z.B. Tumoren, Harnwegsteine oder HWI. Ist das Blut im Urin durch die rötliche Färbung mit bloßem Auge sichtbar, spricht man von Makrohämaturie. spezifisches Gewicht bzw. Dichte: Gelöste Stoffe liegen im Urin in einer bestimmten Dichte vor. Diese wird in g/ml Urin gemessen. Das normale spezifische Gewicht des Urins liegt zwischen ca. 1,005 und 1,030 g/ml bei Erwachsenen und bei Kindern zwischen 1,010 und 1,025 g/ml. ▶ Sedimentanalyse. Die Sedimentanalyse ist die mikroskopische Untersuchung des sog. Urinsediments, das durch Zentrifugation gewonnen wird. Das Sediment setzt sich dabei als „Bodensatz“ ab. ▶ Bakteriologische Untersuchung (Urinkultur). Beim Verdacht auf einen Harnwegsinfekt kann mithilfe einer Urinkultur (z.B. Uricult-Test)

abgeklärt werden, ob und in welcher Menge Bakterien im Urin vorhanden sind. Weitere Urinuntersuchungen 24-Stunden-Sammelurin: zur Bestimmung der ▶ KreatininClearance Differenzierung der Eiweiße: durch Elektrophorese im Labor (SDS-PAGE) Urinzytologie: genaue Untersuchung der Zellen, z.B. bei Verdacht auf ein Harnblasenkarzinom NMP22 (nukleäres Matrix-Protein 22): ein urinlöslicher Marker für Blasenkrebs

48.4.3.3 Bildgebende Verfahren Sonografie radiologische Verfahren: Abdomenübersicht intravenöse Pyelografie (IVP): Kontrastmittel-Darstellung des Harnabflusses aus dem Nierenbecken Miktionszystourethrografie (MCU): Kontrastdarstellung des Harnabflusses aus der Blase MAG-3-Clearance: Funktionskontrolle der Nieren- und ableitenden Harnwege bei Kindern retrograde Urethrografie (RUG): retrograde Kontrastmitteleinspritzung zur Darstellung der Harnröhre CT und MRT Angiografie nuklearmedizinische Verfahren Nierenfunktionsszintigrafie: radioaktivmarkierte Substanz (i.v.) und Gammakamera machen Nierenfunktion sichtbar ▶ Urodynamik. Durch urodynamische Untersuchungen können die Füllung und die Entleerung der Harnblase beurteilt werden: Uroflowmetrie: Methode zur Messung des Harnflusses Zystometrie: Methode zur Messung der Druckverhältnisse in der Harnblase

Nierenbeckendruckmessung (Whitaker-Test): Messung der Druckverhältnisse im Nierenbecken, z.B. nach einer Nierenbeckenplastik ▶ Urethrozystoskopie . Eine Zystoskopie ist die endoskopische Untersuchung (Spiegelung) der Harnblase. Die Spiegelung der Harnröhre (Urethra) heißt Urethroskopie. Die Untersuchung findet meist kombiniert als Urethrozystoskopie statt. ▶ Nierenbiopsie. Probenentnahme zur histopathologischen Untersuchung

48.5 Die wichtigsten Medikamente Zu den häufigsten Medikamenten in der Nephrologie gehören Antihypertensiva, weil Nierenerkrankungen oft zu einer Hypertonie führen und Diuretika ( ▶ Tab. 48.1 ), welche die Ausscheidungsfunktion der Niere unterstützen. Tab. 48.1 Die wichtigsten Diuretika. Substanzklasse Wirkstoff und Wirkmechanismus/Indikationen Nebenwirkungen Präparatbeispiel Schleifendiuretika Furosemid (Lasix) Torasemid (Torem) Piratenid (Arelix)

Hemmung der Kalium- und Natriumrückresorption

Blutdruckabfall → regelmäßige Kontrollen

indiziert bei Niereninsuffizienz und Ödemausschwemmung

Hypokaliämiegefahr mit Herzrhythmusstörungen Magnesiumverlust Gefahr von Hörstörungen

Thiaziddiuretika

Hydrochlorothiazid (Esidrix) Chlorthalidon (Hygroton) Xipamid (Aquapor)

erhöhte Natriumausscheidung

Hypokaliämiegefahr mit Herzrhythmusstörungen

Hemmung der Kalziumausscheidung

Gefahr der Hyperkalzämie

indiziert bei Kalziumsteinen

vorübergehend LDLCholesterin-Erhöhung

nicht wirksam bei eingeschränkter Nierenfunktion

Substanzklasse Wirkstoff und Wirkmechanismus/Indikationen Nebenwirkungen Präparatbeispiel kaliumsparende Diuretika

Triameteren (Dytide H) Amilorid (Amilorid)

erhöhte Natriumausscheidung Hemmung der Kaliumausscheidung

Hyperkaliämiegefahr mit lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen

indiziert bei nephrotischen Ödemen meist in Kombination mit Thiaziden und Schleifendiuretika Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020

Da Diuretika zu Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten führen, sind regelmäßige Kontrollen von Vitalparametern (RR und Puls) und Elektrolyten (Kalium, Kalzium und Magnesium) sehr wichtig.

48.6 Erkrankungen der Niere und des Harnsystems 48.6.1 Glomerulonephritis Definition Glomerulonephritis Glomerulonephritis ist ein Sammelbegriff für die entzündlichen Erkrankungen der Nierenkörperchen. Meist sind beide Nieren betroffen.

48.6.1.1 Pathophysiologie Die primäre Glomerulonephritis entsteht direkt an den Nierenkörperchen, z.B. durch Ablagerung von Immunglobulin A (IgA-Glomerulonephritis) oder Immunkomplexen, die aus Antigen und Antikörper bestehen (sog. postinfektiöse Glomerulonephritis). Die sekundäre Glomerulonephritis entsteht als Folge einer anderen Grunderkrankung, z.B. einer Autoimmunerkrankung (z.B. Lupus erythematodes), einer Stoffwechselerkrankung (z.B. Diabetes mellitus) oder einer Infektionserkrankung (z.B. nach Streptokokkeninfektion).

48.6.1.2 Symptome Wenn > 50 % der Nierenkörperchen durch die Entzündung zerstört sind, wird die Glomerulonephritis manifest mit folgenden Symptomen: gestörte Urinproduktion: Oligurie gestörte Filterfunktion: Proteinurie (Urin ggf. trüb und schaumig) Hämaturie (ggf. rötlich verfärbter Urin) Kopfschmerzen, Müdigkeit, ggf. Krampfanfälle bei Kindern arterielle Hypertonie evtl. dumpfer Flankenschmerz, Bauch- und Rückenschmerz bei Kindern Ödeme im Bereich der Augenlider und Fußgelenke Gefahr eines ▶ Lungenödems, v. a. bei bestehender Herzinsuffizienz Appetitlosigkeit, ggf. Erbrechen subfebrile Temperaturen, Fieber, Hautblässe

48.6.1.3 Verlauf Eine Glomerulonephritis ist die häufigste Ursache für eine chronische Niereninsuffizienz. Unterschieden werden 2 Verläufe: rapid-progressive Glomerulonephritis: rasch voranschreitende Glomerulonephritis. Sie führt innerhalb von Wochen oder Monaten zu einer Niereninsuffizienz. chronische Glomerulonephritis: mit schleichendem Verlauf. Diese Form kann lange Zeit asymptomatisch verlaufen.

Merke Nephritisches vs. nephrotisches Syndrom Die Kombination aus Hämaturie, Ödemen und Bluthochdruck bezeichnet man als nephritisches Syndrom. Beim nephrotischen Syndrom steht die Proteinurie (> 3 g/d im Urin) mit Hypoproteinämie und daraus resultierenden Ödemen im Vordergrund. Beide Syndrome können infolge einer Glomerulonephritis auftreten.

48.6.1.4 Diagnostik Anamnese (z.B. vorangegangene Infekte der oberen Atemwege) klinische Untersuchung: Ödeme, arterielle Hypertonie, Flankenschmerz Blutuntersuchung inklusive Serumelektrophorese und U-Status, ▶ Kreatinin-Clearance, Urinsediment Sonografie ggf. Nierenbiopsie Aufgrund der lange bestehenden unspezifischen Symptome ist die Glomerulonephritis oft ein Zufallsbefund.

48.6.1.5 Therapie bei Ödemen: Diuretika, salzarme Kost bei postinfektiöser Form: Bettruhe, Antibiotika ggf. Blutdruck einstellen, bei Kindern strenge Bettruhe bei Autoimmunerkrankungen: Glukokortikoide, Immunsuppressiva, ggf. Plasmaaustausch (Plasmapherese), um autoaggressive Antikörper zu entfernen Thromboseprophylaxe: Heparin bei Hyperlipidämie: Statine

48.6.1.6 Pflege Beobachtung Vitalparameter 2–3-mal täglich erfassen: arterielle Hypertonie? Lungenödem? Urin: Menge? Farbe? Beimengungen? (siehe Kap. ▶ 19) Haut: Ödeme an Augenlidern oder Fußknöcheln? Gewichtskontrolle, ggf. Flüssigkeitsbilanzierung Mobilisation und Körperpflege individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Pflegeempfängers, ggf. Bettruhe (auf Arztanordnung) Prophylaxen bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards

Thrombose-, Dekubitus-, Kontrakturen-, Pneumonie- und Obstipationsprophylaxe: besonders bei verordneter Bettruhe oder stark eingeschränkter Belastbarkeit Zystitisprophylaxe da Oligurie besteht, Vorsicht: ggf. Trinkmengenbeschränkung bei eingeschränkter Nierenfunktion Soor-/Parotitisprophylaxe: bei eingeschränkter Trinkmengenbeschränkung Ernährung ggf. Trinkmengenbeschränkung bei eingeschränkter Nierenfunktion salzarme Kost zur besseren Einstellung der arteriellen Hypertonie bei Kaliumanstieg kaliumreiche Speisen meiden (z.B. Vollkornprodukte, frisches Obst, v.a. Bananen) Die Eiweißzufuhr soll bei 0,8g/kgKG liegen. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über Erkrankung, Symptome und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) informieren Medikamentenwirkung und -nebenwirkung Veränderungen der Lebensgewohnheiten Ernährungsberatung organisieren Nach Entlassung sollte sich der Pflegeempfänger beobachten hinsichtlich: erhöhter Blutdruckwerte, Gewicht, Trinkmenge, Urin (Menge, Konzentration), Ödeme, Ernährung (salz- und eiweißarm), Infektzeichen (z.B. Fieber). Bei Veränderungen/Auffälligkeiten sollte er einen Arzt aufsuchen. Psychosoziale Begleitung Gesprächsbereitschaft signalisieren Kontakte von Beratungsstellen (v.a. bei notwendiger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit) und Selbsthilfegruppen vermitteln

KOMPAKT Glomerulonephritis Pathogenese: entzündliche Erkrankung der Nierenkörperchen

häufigste Ursache für Niereninsuffizienz typische Symptome: Hämaturie, Ödeme und Hypertonie (nephritisches Syndrom), ggf. Proteinurie (bei > 3 g/d: nephrotisches Syndrom) Pflege: auf Gewicht, Trinkmenge, Urin, Haut (Ödeme) achten, Prophylaxen integrieren

48.6.2 Akutes Nierenversagen Definition Akutes Nierenversagen Das akute Nierenversagen (ANV bzw. akute Niereninsuffizienz) beschreibt die plötzliche Abnahme der Nierenfunktion auf < 0,5 ml/kg/h Urinausscheidung, verbunden mit einem Anstieg des Serum-Kreatinins um ≥ 0,3 mg/dl in 48 h bzw. um 50 % des Ausgangswertes. Dieser Zustand ist prinzipiell reversibel. Das ANV kann primär oder als Folge einer fortgeschrittenen chronischen Niereninsuffizienz auftreten („acute-on-chronic“).

48.6.2.1 Pathophysiologie Die Ursachen des ANV werden entsprechend ihrer Lokalisation eingeteilt: prärenales ANV (am häufigsten): Die Niere wird vermindert durchblutet. Mögliche Ursachen sind eine Hypovolämie, eine Hypotonie oder ein hepatorenales Syndrom (Verschlechterung der Nierendurchblutung aufgrund von Leberschädigung, Verbrennung und Sepsis). intrarenales ANV: Die Niere selbst ist geschädigt. Mögliche Ursachen: nephrotoxische Substanzen, z.B. NSAR, Kontrastmittel, Antibiotika, Zytostatika, Zellbestandteile wie Myoglobin bei einem massiven Untergang von Skelettmuskulatur (sog. Rhabdomyolyse, z.B. nach einem Krampfanfall) Entzündungen in der Niere (z.B. Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis) Vaskulitiden der Nierengefäße

Ischämie (Niereninfarkt) durch Thromboembolie postrenales ANV (selten): Ein Hindernis oder eine Verengung (z.B. Tumore der Blase, Uretersteine oder eine Prostatavergrößerung) führt zu einem Harnstau, der die Nieren schädigt.

48.6.2.2 Symptome Das akute Nierenversagen verläuft in 3 Phasen: 1. Initialphase: bestimmt durch Auslöser (z.B. hypovolämischer Schock) mit Blutdruckabfall, blasser und feucht-kühler Haut 2. oligurische bzw. anurische Phase: verminderte Urinproduktion (< 500 ml/Tag bei Oligurie und < 100 ml/Tag bei Anurie), Kreatinin steigt, Kalium steigt (Gefahr von Herzrhythmusstörung), Wasserretention (Ödeme, Lungenödem mit Dyspnoe, Hirnödem mit Bewusstseinsstörungen, Kußmaul-Atmung) 3. polyurische Phase: auch Spätphase genannt, mit vermehrter Urinausscheidung (> 5 l/Tag), da die Niere den Harn nicht mehr konzentrieren kann Je nach Literatur wird als 4. Phase eine Regenerationsphase hinzugezählt.

ACHTUNG Durch die großen Flüssigkeitsverluste mit gleichzeitig nicht angepasster Substituierung droht Betroffenen, insbesondere Kindern, eine ▶ Dehydratation mit Elektrolytstörungen, stehenden Hautfalten, halonierten Augen, eingefallener Fontanelle und Gewichtsabnahme. Daher ist eine sorgfältige Bilanzierung sehr wichtig.

48.6.2.3 Diagnostik Anamnese: Verletzungen, Grunderkrankungen, Miktion klinische Untersuchung: Ödeme? Blut: Blutbild, Retentionsparameter, Elektrolyte, Blutkultur, BGA U-Status: Hämaturie, Proteinurie, spezifisches Gewicht, Sediment Sonografie zur Differenzierung der Ursache bzw. Dopplersonografie (Nierenperfusion?) ggf. Nierenbiopsie

Rö-Lunge: Lungenödem?

48.6.2.4 Therapie Überwachung Vitalparameter (Puls, RR, Temperatur und Atmung) ZVD-Messung Flüssigkeitsbilanzierung und täglich Gewichtskontrolle Beispiele kausaler Therapie Meiden nierenschädigender Substanzen bzw. Medikamente Blutungsstillung bzw. Kreislaufstabilisierung bei einem ▶ Schock Harnsteinentfernung bzw. Harnableitung bei Harnstau Symptomatische Therapie Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt ausgleichen; ggf. Diurese Regulation des Säure-Basen-Haushalts bei Komplikationen wie Hyperkaliämie, Azidose, Anurie, Lungenödem: vorübergehende Hämodialyse

48.6.2.5 Pflege Die pflegerischen Schwerpunkte ergeben sich aus den Ursachen, den Folgen und dem Schweregrad der Erkrankung. Wahrnehmen und Beobachten: Vitalparameter engmaschig erfassen, ggf. Monitoring Urin: Menge? Farbe? Beimengungen? (siehe Kap. ▶ 19) Haut: Ödeme an Augenlidern oder Fußknöcheln? Hautfaltentest? Eingefallene Fontanelle Augen: halonierte Augen (Augenringe)? Bewusstsein: engmaschig kontrollieren, Pupillenreaktion? Krampfanfälle? Gewichtskontrolle und Flüssigkeitsbilanzierung ggf. intensivmedizinische Überwachung: Herzrhythmusstörungen? ggf. Infusionsmanagement ggf. ZVD messen: zur Ermittlung des Volumenstatus

Mobilisation und Körperpflege: körperliche Schonung, individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Pflegeempfängers Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Ernährung: eiweißreduzierte Kost (soll die Niere schonen) natrium- und kaliumarme Kost in oligurischer/anurischer Phase, natrium- und kaliumreiche Kost in polyurischer Phase ausreichende Kalorienzufuhr, ggf. parentaral Ablenkung und Angstminderung bei Kindern: Bezugspflege und Anwesenheit der Eltern

48.6.3 Chronische Niereninsuffizienz Definition Chronische Niereninsuffizienz Die chronische Niereninsuffizienz (CNI bzw. chronisches Nierenversagen: CNV) ist der über einen längeren Zeitraum (> 3 Monate) bestehende, irreversible Funktionsverlust der Nieren, der mit einem Anstieg harnpflichtiger Substanzen im Blut einhergeht. Das Krankheitsbild entwickelt sich in der Regel über Monate bzw. Jahre.

48.6.3.1 Pathophysiologie Die häufigsten Ursachen des CNV sind: Spätfolge eines Diabetes mellitus (diabetische Nephropathie) chronische Entzündungen der Niere (Glomerulonephritiden, tubulo-interstitielle Nephritis und Pyeleonephritis) Zystennieren ▶ arterielle Hypertonie, ggf. Nierenarterienstenosen chronischer Harnstau jahrelange Einnahme von Schmerzmitteln (z.B. nichtsteroidale Antirheumatika)

Systemerkrankungen (Vaskulitiden) Diese Erkrankungen führen zu einem Untergang von Glomeruli. Die verbleibenden werden übermäßig beansprucht. Es kommt zu einer Glomerulosklerose mit Atrophie der Nierentubuli und es entwickeln sich Schrumpfnieren.

48.6.3.2 Symptome Die CNI verläuft in 5 Stadien ( ▶ Tab. 48.2 ). Die Stadien 1–3 sind oft symptomarm. Tab. 48.2 Die 5 Stadien der chronischen Niereninsuffizienz. Stadium

Funktionseinschränkung GFR (ml/min/1,73 m2)

Symptome

1

Nierenschädigung mit (noch) normaler Funktion

> 90

ggf. Proteinurie

2

leicht

60–89

ggf. Hypertonie

3

mittelschwer

30–59

ggf. Hypertonie, ggf. renale Anämie

4

hochgradig

15–29

beginnende Urämie (Prä-Urämie), Ödeme, Hypertonie, Anämie, krankhafte Veränderungen an den Knochen

5

Nierenversagen (Urämie)

< 15

Urämie („Harnvergiftung“)

ACHTUNG Eine verminderte GFR, die anhand einer verminderten KreatininClearance erkennbar ist, manifestiert sich durch Anstieg harnpflichtiger Substanzen und kann in eine Urämie mit Organschädigung münden. ▶ Urämie. Eine Urämie (Harnvergiftung) kann das Endstadium einer CNI sein. Symptome: urämische Gastroenteritis (Übelkeit, Erbrechen) Juckreiz Polyneuropathie (Sensibilitätsstörungen) Perikarditis, Pleuritis, Herzinsuffizienz (Dyspnoe) Herzrhythmusstörungen (durch Hyperkaliämie) Ödeme, z.B. Lungenödem renale Anämie (blasse Haut und Schleimhäute)

renale Osteopathie bis zur Osteomalazie (Gefahr einer Spontanfraktur) arterielle Hypertonie metabolische Azidose (Kußmaul-Atmung) Foetor uraemicus (Urin-Mundgeruch) gelblich braune Haut Enzephalopathie (Schwäche, Müdigkeit, urämisches Koma)

48.6.3.3 Diagnostik Anamnese: arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, verminderte Miktion, Dyspnoe klinische Untersuchung: Symptome der Urämie (s.o.) Blut: Blutbild, Retentionsparameter (Kreatinin), Elektrolyte, BGA U-Status: Urinsediment und spezifisches Gewicht Sonografie: Schrumpfniere? Zystenniere? Harnstau? Röntgen: Lungenödem? potenzielle Ursachen: Diabetes? Glomerulonephritis? Nierenarterienstenose(n)?

48.6.3.4 Therapie Therapie der Grunderkrankung (z.B. Blutzuckereinstellung bei Diabetes und Blutdrucksenkung bei arterieller Hypertonie, u.a. mit ACE-Hemmern) Ernährung: eiweißarm (Achtung: nicht unter 0,8 g/kg/d) keine nephrotoxischen Medikamente (z.B. NSAR wie Ibuprofen) angemessene Flüssigkeitszufuhr von 2,5 l/Tag (bei erhaltener Diurese) zur Senkung der harnpflichtigen Substanzen ggf. Flüssigkeitsrestriktion und salzarme Ernährung (bei eingeschränkter Diurese und Ödemen) bei fortgeschrittener Erkrankung: Schleifendiuretika (Lasix) zur Senkung der harnpflichtigen Substanzen bei Juckreiz: selektive UV-Fototherapie Prophylaxe einer Hyperkaliämie

Regulation des Säure-Basen-Haushalts, ggf. Behandlung einer Azidose mit Natriumbikarbonat Behandlung weiterer Komplikationen, wie z.B. einer renalen Anämie mit Erythropoetin bei Störungen des Knochenstoffwechsels: u.a. Phosphatbinder und Vitamin D3 ggf. Nierenersatztherapie (Dialyse, siehe Kap. ▶ 48.6.4) ggf. Nierentransplantation (bei terminaler Niereninsuffizienz)

48.6.3.5 Pflege Wahrnehmen und Beobachten Vitalparameter: Hypertonie? Herzrhythmusstörungen? Haut: Ödeme (peripher), Blässe (Anämie?), Juckreiz (beginnende Urämie?) Atmung: Geruch? Lungenödem? Pleuraerguss? Gewicht und Bauchumfang: Aszites? ▶ Flüssigkeitsbilanzierung Bewusstsein: Müdigkeit/Benommenheit? (beginnende Enzephalopathie?) Schmerzen: Knochenschmerzen? Sensibilität: Polyneuropathie? Medikamenten- und Infusionsmanagement Mobilisation und Körperpflege körperliche Schonung, individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Pflegeempfängers Hautpflege mit kühlenden Umschlägen oder Lotionen bei Juckreiz Prophylaxen bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Thromboseprophylaxe bei Eiweißverlust oder unter Erythropoetingabe Soor- und Parotitisprophylaxe bei Flüssigkeitsrestriktion Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

über Erkrankung, Symptome und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) über Medikamentenwirkung und -nebenwirkung: pünktliche Einnahme der Hypertonika Manche Schmerzmittel sind nierentoxisch (z.B. Paracetamol), Einnahme immer mit einem Arzt absprechen! Selbstbeobachtung: Pflegeempfänger sollten sich beobachten hinsichtlich (und bei Veränderungen/Auffälligkeiten einen Arzt aufsuchen): Urinausscheidung Ödemen (Fußgelenke, Augenlider) Kurzatmigkeit oder Dyspnoe bei Belastung Appetitlosigkeit oder Gewichtsveränderungen Blutdruck Haut: über Maßnahmen zur ▶ Linderung von Juckreiz informieren Ernährungsberatung und Beratung zur Flüssigkeitsaufnahme bzw. -restriktion: Faustregel: 500–800 ml/Tag zuzüglich der Harnrestausscheidung, bei Kindern: 300 ml/m2 Körperoberfläche/d zuzüglich der Harnrestausscheidung kleine Gläser nutzen Suppe und Joghurt sind auch Flüssigkeit auf salzige Speisen und süße Getränke verzichten (wirken durstfördernd) mit Kräutern würzen bei Durst Eiswürfel oder saure Bonbons lutschen Ernährungsprotokoll führen psychosoziale Begleitung Gesprächsbereitschaft signalisieren Ablenkung und Angstminderung bei Kindern (Bezugspflege und Eltern) Kontakte von Beratungsstellen (v.a. bei notwendiger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit), Sozialverbänden und Selbsthilfegruppen

vermitteln

KOMPAKT Niereninsuffizienz Das akute Nierenversagen (ANV) ist die plötzliche und prinzipiell reversible Abnahme der Nierenfunktion. Einteilung: prä-/intra-/postrenales Nierenversagen. Verlauf: symptomfreie Phase – oligourische Phase – polyurische Phase Die chronische Niereninsuffizienz (CNI) ist der über einen längeren Zeitraum (> 3 Monate) bestehende, irreversible Funktionsverlust der Nieren. Einteilung: 5 Schweregrade. Grad 1–3: oft symptomarm, evtl. Hypertonie/Anämie. Grad 4–5: beginnende bis manifeste Urämie wichtig bei ANV und CNI: Vitalparameter-Kontrolle, Gewichtskontrolle (Ödeme?), Bilanzierung/Trinkmengenkontrolle, auf Warnzeichen für beginnende Urämie achten: z.B. Juckreiz, Bauchschmerz, Schwächegefühl, Lähmungen, Foetor uraemicus

48.6.4 Nierenersatzverfahren (Dialyse) Definition Nierenersatzverfahren (Dialyse) Das Nierenersatzverfahren (Nierenersatztherapie, Dialyse, „Blutwäsche“) ist ein apparatives Blutreinigungsverfahren zur Entfernung von harnpflichtigen Substanzen (Harnstoff, Kreatinin) und Wasser aus dem Körper.

48.6.4.1 Indikationen starke Erhöhung der Retentionsparameter (Kreatinin > 9–10 mg/dl) GFR-Abfall auf < 15 ml/min/1,73m2 Anurie beim akuten Nierenversagen drohende Urämie beim chronischen Nierenversagen Elektrolytentgleisungen (Kalium > 6,5 mmol/l), metabolische Azidose

Hyperhydratation mit Lungenödem

48.6.4.2 Funktionsprinzip Bei der Dialyse werden dem Körper Stoffe über eine semipermeable Membran entzogen. Der Stoffaustausch erfolgt passiv. Er folgt dem Konzentrationsgefälle zwischen dem Dialysat und dem Blut des Pflegeempfängers. Es gibt 2 Verfahren der Dialyse: extrakorporal: Hämodialyse, Hämofiltration und Hämodiafiltration intrakorporal: Peritonealdialyse

48.6.4.3 Hämodialyse Die Hämodialyse ist das häufigste Verfahren. Der Pflegeempfänger benötigt dafür einen großlumigen Gefäßzugang, z.B.: arteriovenöser Shunt: eine operativ angelegte Gefäßverbindung einer Arterie mit einer Vene (sog. Cimino-Shunt), 4–6 Wochen vor Therapiebeginn zentralvenöser Katheter: z.B. Shaldon-Katheter oder DemersKatheter, der meistens über die V. jugularis interna oder V. subclavia oder im Notfall über die V. femoralis gelegt wird

ACHTUNG Die Shuntpunktion erfolgt in die Vene, die mit arteriellem Blut versorgt wird, und nicht in den Shunt. Der Shunt ist streng genommen nur die Verbindungsstelle (Anastomose) zwischen Arterie und Vene. Die Dialyselösung (Dialysat) besteht aus: hochreinem, enthärtetem Wasser (ohne mineralische Stoffe) und einer an den Pflegeempfänger angepassten Elektrolyt- und Bikarbonatkonzentration. Dialysat und Blut des Pflegeempfängers fließen entlang der Dialysemembran im Gegenstromprinzip aneinander vorbei ( ▶ Abb. 48.2). Durch den Kontakt des Pflegeempfängerblutes mit dem Dialysesystem wird die Gerinnung aktiviert. Um dem entgegenzuwirken, wird das Patientenblut im Schlauchsystem

heparinisiert. Aus diesem Grund ist es wichtig, auf (gastrointestinale) Blutungen zu achten. Hämodialyse. Abb. 48.2 Schema der Hämodialyse. (Aus: I care Krankheitslehre. Stuttgart: Thieme; 2020)

Merke Stoffaustausch Aus dem Blut des Pflegeempfängers werden mit dem Dialysat Urämietoxine (z.B. Kreatinin), Kalium und Wasser entfernt und u.a. Bikarbonat und Kalzium zugefügt.

Die Hämodialyse wird i.d.R. 3-mal pro Woche über 4–6 Stunden durchgeführt. Vor jeder Dialyse wird der Pflegeempfänger gewogen und die Elektrolytzusammensetzung im Blut bestimmt. Nach der Dialyse soll der Patient sein „Trockengewicht“ (normaler Hydratationszustand) erreichen. ▶ Komplikationen. Während und nach der Dialyse können Komplikationen auftreten: Hypovolämie: Ist der Flüssigkeitsentzug aus dem Blut zu hoch, kann das Wasser aus dem Gewebe nicht schnell genug nachdiffundieren. Der Pflegeempfänger hat einen Volumenmangel im Gefäßsystem, auch wenn am Körper noch Ödeme zu erkennen sind. Symptome: Hypotonie mit Herzrasen, Kaltschweißigkeit und Schwindel, ggf. Bewusstseinsverlust. Erstmaßnahmen: Flüssigkeitsentzug stoppen bzw. Dialyse stoppen, ggf. Schocklage, Arzt informieren Im Bereich des Shunts: Infektionen bis zur Sepsis. Ein infizierter Shunt darf nicht punktiert werden und ein infizierter Katheter darf nicht angeschlossen werden. Außerdem Stenosen, Thrombosen und Aneurysmen am Shunt und Schmerzen an den Fingern möglich. Blutungen: Bei einer Nachblutung nach der Dialyse aus dem Shunt muss die Blutungsstelle komprimiert und die Ursache gesucht werden. allergische Reaktionen: Der Pflegeempfänger kann auf diverse Substanzen/Materialien allergisch reagieren, z.B. auf das Material des Dialysefilters oder auf spezielle Medikamente. Dysäquilibrium-Syndrom (nach schneller Dialyse) mit Übelkeit, Erbrechen, Krämpfen, Hirnödem und Bewusstseinsstörungen Hepatitis B und C (bei hygienisch nicht korrektem Vorgehen) Hyperkaliämie, Hyperhydratation und Hypertonie Polyneuropathie und Dialyse-Demenz Shuntpflege tägliche Kontrolle der Durchlässigkeit des Shunts durch Auskultieren und Palpieren tägliche Reinigung des Shunts mit Wasser und Seife

Hautpflege mit fetthaltiger Creme (nicht direkt vor der Dialyse, da sonst die Pflaster zur Kanülenfixierung nicht halten!) am Shuntarm keine Blutdruckmessung, Blutentnahmen, zirkuläre Verbände etc. grobe Verschmutzungen und Verletzungen am Shuntarm vermeiden keine schweren Lasten heben keine einengenden Kleidungsstücke und Sonneneinstrahlung

48.6.4.4 Hämofiltration Die Hämofiltration ist ein kontinuierliches Dialyseverfahren (über 24 h), das bei intensivpflichtigen Pflegeempfängern angewendet wird. Aus dem Blut des Pflegeempfängers wird Plasmaflüssigkeit über eine semipermeable Membran entzogen (sog. Ultrafiltration) und eine Elektrolytlösung zugefügt (Verdünnungseffekt). Bei dem Verfahren besteht eine geringere Kreislaufbelastung und die Entfernung der großen Moleküle ist effektiver.

48.6.4.5 Hämodiafiltration Die Hämodiafiltration ist eine Kombination aus Hämodialyse und Hämofiltration. Hierbei werden nieder- und mittelmolekulare Substanzen aus dem Blut eines Menschen mit chronischer Niereninsuffizienz entfernt. Kontraindiziert ist die Hämodiafiltration bei Menschen mit einer schwerwiegenden Grunderkrankung, die mit einer starken Exsikkose einhergeht, z.B. diabetisches Koma und Sepsis.

48.6.4.6 Peritonealdialyse Definition Peritonealdialyse Peritonealdialyse (Syn.: Bauchfelldialyse) ist ein Verfahren zur Entfernung der Urämietoxine und des überschüssigen Wassers. Hierbei fungiert das Bauchfell als die semipermeable Membran. Als Dialysat wird eine kaliumfreie Glukoselösung verwendet, die über einen operativ angelegten Katheter (Tenckhoff-Katheter) in die Bauchhöhle bis in den Douglas-Raum eingebracht wird. Der

Stoffaustausch erfolgt im Prozess der Diffusion entlang des Konzentrationsgefälles. Nach mehreren Stunden wird das verbrauchte Dialysat abgelassen. Diese Form der Dialyse kann nach sorgfältiger Schulung des Betroffenen hinsichtlich des Umgangs mit dem System, ambulant, d.h., auch zu Hause oder sogar am Arbeitsplatz durchgeführt werden. Bei Kindern werden diese selbst und die betreuenden Personen geschult. Vorteile einer Peritonealdialyse sind u.a. die höhere Mobilität und Selbstständigkeit des Betroffenen. Da der Volumenentzug kontinuierlich stattfindet, ist die Peritonealdialyse schonender für das Herz-Kreislauf-System. Kontraindiziert ist sie u.a. bei einer chronischentzündlichen Darmerkrankung oder bei einem Kolo- oder Nephrostoma. ▶ Pflege des Peritonealkatheters. Die International Society for Peritoneal Dialysis empfiehlt: ▶ Händedesinfektion vor Verbandwechsel alle Interventionen, v.a. Manipulationen am Katheter, mit Mundschutz und Handschuhen aseptische Vorgehensweise beim Verbandwechsel sorgfältige Inspektion der Austrittsstelle Verband zugfrei anlegen und unnötige Manipulationen vermeiden ggf. Mucirocinsalbe Eine schwerwiegende Komplikation der Peritonealdialyse ist die ▶ Peritonitis. Hinweise darauf sind Fieber, abdominale Schmerzen und ein trübes Dialysat.

48.6.4.7 Pflege Bei einer Hämodialyse und Hämofiltration müssen folgende Aspekte beachtet werden: Vorbereitung des Pflegeempfängers: ggf. Hilfestellung bei der morgendlichen Versorgung inklusive Nahrungsaufnahme und Medikamentengabe. Hinweis auf Hilfsmittel (Brille, Hörgeräte) und Beschäftigungsmaterialien (Zeitschriften, Laptop). Vor der Dialyse werden die Vitalparameter und das Körpergewicht ermittelt.

Durchführung und Beobachtung: Nach der Gerätevorbereitung durch geschultes Personal wird der Pflegeempfänger unter aseptischen Bedingungen an das Dialysegerät angeschlossen. Die Pflegefachkräfte führen regelmäßig Blutdruckkontrollen durch und überwachen den Pflegeempfänger und das Dialysegerät. Nachbereitung: Entfernung der Shuntkanüle und Kompression der Einstichstelle. Bei großlumigen Kathetern Durchspülung mit 0,9 % NaCl und Blockung mit Heparin-NaCl-Lösung. Fachgerechte Reinigung und Desinfektion des Dialysegerätes

KOMPAKT Nierenersatzverfahren (Dialyse) Das Nierenersatzverfahren (Nierenersatztherapie, Dialyse, „Blutwäsche“) ist ein Blutreinigungsverfahren zur Entfernung von harnpflichtigen Substanzen (Harnstoff, Kreatinin) und Wasser aus dem Körper. Der Stoffaustausch erfolgt passiv über eine semipermeable Membran. Er folgt dem Konzentrationsgefälle zwischen dem Dialysat und dem Blut des Pflegeempfängers. Die Dialyse kann extrakorporal durch Hämodialyse, Hämofiltration und Hämodiafiltration über einen Shunt oder großlumigen Gefäßzugang (Shaldon- oder Demers-Katheter) oder intrakorporal als Peritonealdialyse erfolgen. Im Umgang mit dem Shunt kontrollieren die Pflegefachkräfte täglich die Durchlässigkeit des Shunts durch Auskultieren und Palpieren. Am Shunt-Arm dürfen keine Injektionen verabreicht und kein Blutdruck gemessen werden.

48.6.5 Harnwegsinfektionen Definition Harnwegsinfektion Ein symptomatischer Harnwegsinfekt (HWI) ist eine Infektion im Urogenitalsystem, die mit klinischen Beschwerden einhergeht. Davon zu

unterscheiden ist die asymptomatische Bakteriurie, ein Nachweis von Bakterien im Urin ohne Symptome eines Harnwegsinfekts.

48.6.5.1 Einteilung der Harnwegsinfekte akut oder chronisch bzw. rezidivierend unkompliziert (ohne anatomische und funktionelle Auffälligkeiten) oder kompliziert (mit anatomisch und funktionell pathologischem Urogenitalsystem) nach Lokalisation ( ▶ Abb. 48.3) Harnwegsinfekte. Abb. 48.3 Je nach Lokalisation der Entzündung werden verschiedene Formen des Harnwegsinfekts unterschieden. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

48.6.5.2 Pathophysiologie Meistens handelt es sich um eine aufsteigende (aszendierende) Infektion von Bakterien der Darmflora, die über die Harnröhre in die Harnblase gelangen. Risikofaktoren Geschlecht: bei Frauen begünstigt durch anatomische Verhältnisse, wie die kurze Harnröhre und die Nähe zur Analregion Harnabflussstörungen: bei Männern benigne Prostatahyperplasie und bei Kindern ▶ vesikoureteraler Reflux oder subpelvine Stenose Neurogene Blasenentleerungsstörungen: z.B. bei Spina bifida Immunschwäche: z.B. bei Diabetes mellitus

Schwangerschaft instrumentelle Eingriffe: Urethrozystoskopie oder transurethraler Blasenverweilkatheter ▶ Erreger. Häufig: E. coli, Enterokokken, Staphylococcus saprophyticus, Pseudomonas aeruginosa. Eine Urethritis entsteht häufig durch sexuell übertragbare Bakterien. Weitere Erreger sind Mykoplasmen, Trichomonaden, Herpes-simplex-Viren, Pilze und Gonokokken.

48.6.5.3 Symptome Urethritis/Zystitis Pollakisurie (häufiger Harndrang) Dysurie (erschwerte Harnentleerung) Algurie (schmerzhafte Miktion) Ausfluss (meist eitrig) aus der Harnröhre Jucken, Brennen, Rötung der Harnröhrenöffnung oder Rötung der Eichel Schmerzen im Unterbauch Druckschmerz oberhalb Symphyse leichte Blutungen (Makrohämaturie) Abgeschlagenheit bei Kindern: Enuresis oder Bauchschmerzen und Appetitlosigkeit mit Gedeihstörungen (bei kleineren Kindern) Pyelonephritis allgemeines Krankheitsgefühl Fieber, ggf. mit Schüttelfrost atypische Symptome wie Übelkeit, Erbrechen Pyurie (Eiter im Urin) dumpfe Schmerzen bzw. Klopfschmerzen im Flankenbereich Beschwerden bei der Miktion (siehe Zystitis) Komplikationen: akut: Abszesse der Niere, ggf. mit Ausbreitung auf das umliegende Gewebe, sog. paranephritische Abszesse,

Urosepsis mit Multiorganversagen chronisch: Niereninsuffizienz, renale Hypertonie

48.6.5.4 Diagnostik Anamnese und klinische Untersuchung (bei Pyelonephritis: Druckschmerz? Klopfschmerz?) Blut: Entzündungsparameter ↑, Blutkultur vor Beginn der Antibiotikatherapie Urin: U-Status, Urinkultur (Uricult-Test) mit Resistenzbestimmung Abstrich bei Urethritis bildgebende Verfahren: Sonografie, Zystoskopie, i.v. Pyelografie, Miktionszystourethrografie (MCU), CT, MRT, Nierenszintigrafie

48.6.5.5 Therapie allgemeine Maßnahmen, z.B. viel trinken (mind. 3 l täglich), um Harnwege zu spülen körperliche Schonung, Bettruhe bei Fieber kausale Therapie, z.B. Harnabflussstörungen behandeln oder Diabetes mellitus optimal einstellen Antibiotika, bei Pyelonephritis gezielt nach Antibiogramm ggf. feucht-warme Umschläge ggf. perkutane Nephrostomie oder Uretherschiene bei Harnstauung

48.6.5.6 Pflege Wahrnehmen und Beobachten: Kontrolle der Vitalparameter (Fieberverlauf?), Beobachtung der Ausscheidung (Menge, Farbe, Geruch, Beimengungen?) und Flüssigkeitsbilanz Ernährung und Flüssigkeitsaufnahme: ggf. Unterstützung und Überwachung der Menge, ggf. Durchführung einer Infusion inklusive Überwachung (auf Arztanordnung) Fieber: ggf. pflegerische fiebersenkende Maßnahmen (siehe Kap. ▶ 30) Mobilisation, Positionierung und Körperpflege: bei schweren Verläufen Schonung, ggf. Unterstützung bei der Körperpflege mit bedarfsgerechter Integration der Prophylaxen (siehe Kap. ▶ 17

Ablenkung und Angstminderung bei Kindern: Bezugspflege und Elternanwesenheit

48.6.5.7 Prävention und Prophylaxe viel trinken, gerne saure Getränke (z.B. Cranberrysaft, Johannisbeersaft usw.) Intimpflege von der Symphyse zum Anus Miktion nach Geschlechtsverkehr warme Kleidung (Auskühlen vermeiden) Harndrang nicht aufschieben täglicher Wechsel der Unterwäsche angepasster Wechselrhythmus einer Inkontinenzvorlage Weitere Maßnahmen zur Harnwegsinfektprophylaxe finden Sie in Kap. ▶ 17.10.

48.6.6 Urolithiasis Definition Urolithiasis Bei der Urolithiasis (Harnsteinleiden) handelt es sich um Konkremente (Steine) in den Harnwegen. Sie entstehen durch das vermehrte Ausscheiden von steinbildenden Stoffen, z.B. Kalzium und Harnsäure, oder durch Erhöhung des Urin-pH-Wertes, z.B. bei Harnwegsinfekten. Die Steine können in der Niere (Nephrolithiasis), im Harnleiter (Ureterolithiasis), in der Harnblase (Zystolithiasis) oder in der Harnröhre (Urethralithiasis) entstehen.

48.6.6.1 Symptome Leitsymptom eines wandernden Harnsteins sind kolikartige Schmerzen mit Ausstrahlung und Makrohämaturie. Die Schmerzen können von Übelkeit und Erbrechen begleitet sein. Verlegt der Stein die Harnwege, kann ein ▶ Harnwegsinfekt entstehen. Bei Kindern ist die Symptomatik untypisch mit Übelkeit, Erbrechen, Rücken- und Bauchschmerzen.

48.6.6.2 Diagnostik

Anamnese (Risikofaktoren?) U-Status (Mikrohämaturie?), Urin-pH-Wert, 24-StundenSammelurin Blutuntersuchung (Blutbild, Entzündungs-, Retentionsparameter?) Sonografie, Niedrigdosis-CT, ggf. MR-Urografie und RöAbdomenübersicht.

48.6.6.3 Therapie Bei einer akuten Harnleiterkolik werden Spasmolytika und Analgetika verabreicht. Viel trinken: Kleine Steine gehen dann häufig spontan ab. Bewegung (Treppensteigen, Springen, [Seil]Hüpfen bei Kindern), hohe Flüssigkeitsmengen und lokale Wärme nach Arztanordnung sowie α-Blocker als medikamentöse expulsive Therapie (MET) fördern den Steinabgang. Der ausgeschiedene Urin muss gesiebt werden, damit der Steinabgang entdeckt wird. bei fieberhafter Harnstauungsniere: Urinableitung inklusive Antibiotikatherapie aktive Steinentfernung, z.B. mittels extrakorporaler Stoßwellenlithotripsie (ESWL), perkutaner Neprholithotomie (PNL) oder Uretereoskopie/suprapubischer Zystoskopie

48.6.6.4 Rezidivprophylaxe Zur Vermeidung von Rezidiven soll der Pflegeempfänger viel trinken und sich ausreichend bewegen. Bei Harnsäuresteinen soll der Urin alkalisiert werden (pH-Wert des Urins anheben), z.B. durch Verzicht auf Salz und Fleisch oder medikamentös (Allopurinol). Bei Kalziumoxalatsteinen auf Zitrusfrüchte, Kakao, schwarzen Tee verzichten. Bei Kalziumphosphatsteinen Nahrungsmittel mit hohem Kalziumanteil (z.B. Milchprodukte) meiden. Harnwegsinfekte sollten konsequent behandelt werden.

48.6.7 Vesikoureteraler Reflux

Definition Vesikoureteraler Reflux Beim vesikoureteralen Reflux (VUR) fließt unphysiologisch Harn aus der Blase in die Ureteren bzw. bis in die Nierenbecken zurück. Es besteht die Gefahr rezidivierender Infektionen.

48.6.7.1 Pathophysiologie Man unterscheidet zwischen dem primären (angeborenen) und dem sekundären (erworbenen) vesikoureteralen Reflux. Betroffen sind 1–5 % aller Kinder, Mädchen häufiger als Jungen. primäre Ursache: Fehlanlage des Harnleiters an der Blasenwand, der Harnleiter ist verkürzt sekundäre Ursache: Infektionen der Harnblase (Zystitis), Störung der Harnblaseninnervation (sog. neurogene Blasenentleerungsstörung) oder ein gestörter Harnabfluss unterhalb der Blase

48.6.7.2 Symptome rezidivierende Harnwegsinfektionen Nierenschmerzen Nierenbeckenentzündung hohes Fieber Flankenschmerzen Entwicklungsstörungen bei Kindern

48.6.7.3 Diagnostik Anamnese und körperliche Untersuchung Klopfschmerzen im Lendenbereich Labor (CRP, Leukos, BSG) Urinstatus, Urinkultur Sonografie Niere, CT Nierenszintigrafie Miktionszystourethrografie (MCU) Nierenfunktionsszintigrafie (Ermittlung der Nierenschädigung)

48.6.7.4 Therapie hohe Spontanheilungsrate (Grad I–III) konservative Behandlungsmöglichkeiten (Reinfektionsprophylaxe) bei HWI: Antibiose regelmäßige sonografische Verlaufskontrollen Falls die konservative Therapie nicht anschlägt oder es zur Hypertonie kommt, ist eine invasive Versorgung indiziert (endoskopisch oder operativ).

48.6.7.5 Pflege Wahrnehmen und Beobachten: Diurese ▶ Flüssigkeitsbilanzierung regelmäßige Gewichtskontrollen auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten bei operativer Versorgung: Lagekontrolle der Drainagen (abknicken? Koagel?), regelmäßige Verbandwechsel, ▶ Katheterpflege

KOMPAKT Harnwegsinfektionen, Urolithiasis und vesikoureteraler Reflux Harnwegsinfekte Entzündungen des Urogenitaltrakts (Urethritis, Zystitis, Ureteritis und Pyelonephritis) ohne klinische Symptome (asymptomatische Bakteriurie) oder als symptomatischer Harnwegsinfekt (HWI) mit klinischen Beschwerden meist aszendierende Infektion von Bakterien der Darmflora (E. coli) Frauen durch kurze Harnröhre prädisponierter. Weitere Risikofaktoren: Blasenverweilkatheter (Zystitis als häufigste nosokomiale Infektion!), Harnabflussstörungen (Prostatahyperplasie), Schwangerschaft Leitsymptome: Dysurie, Algurie, ggf. Hämaturie, ggf. Fieber und bei Kindern Enuresis

Therapie: Minimierung der Risikofaktoren, Antibiotika, hohe Flüssigkeitszufuhr, körperliche Schonung und ggf. Bettruhe Urolithiasis Harnsteinleiden, je nach Lokalisation: Nephrolithiasis (Steine in der Niere), Ureterolithiasis (im Harnleiter), Zystolithiasis (in der Harnblase) oder Urethralithiasis (in der Harnröhre) Ursache: vermehrte Ausscheidung steinbildender Stoffe (z.B. Kalzium, Harnsäure und Oxalat). Weitere Risikofaktoren: Verminderung von Inhibitoren (Citrat) und Veränderung des Urin-pH-Wertes, z.B. bei Harnwegsinfekten Leitsymptome: kolikartige Schmerzen mit Ausstrahlung in die Flanken und Erbrechen Therapie: Analgesie, viel Trinken inklusive Bewegung, Steine können spontan abgehen (Urin muss gesiebt werden). aktive Steinentfernung: extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL), perkutane Nephrolithotomie (PNL) mit Mini-PCLN oder Ureteroskopie Vesikourethraler Reflux (VUR) Rückfluss von Harn aus der Blase in die Ureteren, bei höheren Graden bis in die Nierenbecken Ursachen: angeboren (z.B. verkürzter Harnleiter → primäre VUR) oder erworben (z.B. Harnabflussstörungen → sekundäre VUR) VUR begünstigt Harnwegsinfektionen und kann zur chronischen Niereninsuffizienz führen.

48.7 Wasser- und Elektrolythaushalt 48.7.1 Wasserräume und Wasserverteilung Der erwachsene Mensch besteht zu ca. 60 % aus Wasser. Dieses liegt zu etwa ⅔ intrazellulär und etwa ⅓ extrazellulär vor. ¼ des extrazellulären Wassers (also 5 % der Körpermasse) macht das Blutplasma aus. Der Rest ist hauptsächlich interstitielles Wasser. Der tatsächliche Anteil des Wassers im Körper ist abhängig von: Alter (bei Säuglingen liegt der Wasseranteil bei 75 %, bei alten Menschen bei 50 %) Geschlecht (bei Frauen ist der Wasseranteil geringer, da sie weniger Muskelanteil besitzen) Fettanteil des Körpers (Fettgewebe enthält relativ wenig Wasser)

48.7.2 Osmolalität im Extra- und Intrazellularraum

48.7.2.1 Homöostase Der intrazelluläre Flüssigkeitsgehalt wird über die Osmolalität geregelt. Osmolalität ist die Konzentration osmotisch wirksamer Teilchen in einer Lösung (Einheit: mosmol/kg). Zwischen dem Extraund Intrazellularraum muss ein osmotisches Gleichgewicht herrschen, damit kein Wasser aus oder in die Zelle strömt und ihre Funktionsfähigkeit nicht gestört wird. Das heißt, dass der osmotische Druck in beiden Räumen gleich sein muss. Die Niere hält dafür den Wasser- und Elektrolythaushalt innerhalb enger Grenzen konstant. Dies geschieht über die Zusammensetzung des Sekundärharns, d.h., sie entzieht dem durch die Nieren gefilterten Primärharn die Wassermenge, die dem Körper fehlt, sorgt also für ein Gleichgewicht. Für den osmotischen Druck sind folgende Teilchen (Elektrolyte) verantwortlich: im Extrazellularraum: v.a. Natrium, weil die Wasser- und Kalium-, aber auch die Chloridausscheidung daran gekoppelt sind im Intrazellularraum: v. a. Kalium, aber auch Phosphate und Proteine

48.7.2.2 Störungen der Homöostase Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes können dazu führen, dass dem Körper entweder Wasser fehlt (Dehydratation) oder sich zu viel Wasser im Körper befindet (Hyperhydratation). Abhängig vom osmotischen Druck kann es sich um eine isotone (Natriumkonzentration im Blut normal), hypotone (Natriumkonzentration im Blut erniedrigt) oder hypertone (Natriumkonzentration im Blut erhöht) Störung handeln. Hyperhydratation Ursachen: Erkrankungen, bei denen der Körper den Wasserhaushalt nicht mehr richtig regulieren kann (z.B. Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz), große Mengen an Infusionen, Konsum von mineralfreiem (destillierten) Wasser, Trinken von salzhaltigem Wasser Symptome: Ödeme, Gewichtszunahme, prallelastische, glänzende Haut, „schwere Beine“, evtl. Atembeschwerden (Lungenödem), Anschwellen von Gehirnzellen (Hirnödem) besonders gefährlich Dehydratation Ursachen: geringe Aufnahme oder großer Verlust an Flüssigkeit (z.B. durch Fieber, Verbrennungen, Verletzungen, Blutverlust,

Diuretika, Durchfall, Erbrechen) Symptome: vermehrter Durst, trockene Schleimhäute, Husten, raue Stimme, Gewichtsverlust

Merke Exsikkose Eine massive Dehydratation führt zur Exsikkose (Austrocknung) mit stehenden Hautfalten, trockenen Schleimhäuten, Hypotonie, Tachykardie und stark konzentriertem Urin. Der Pflegeempfänger kann zudem lethargisch sein. Diagnostik Bestimmung des Natriumgehalts im Blut (isotone, hypotone oder hypertone De- oder Hyperhydratation?) Urinuntersuchung (Natriumkonzentration im Urin) Therapie und Pflege Hyperhydratation: Ausschwemmen der überschüssigen Flüssigkeit mit Diuretika (auf Anzeichen von Dehydratation achten), ggf. Dialyse bei fortgeschrittener Niereninsuffizienz Dehydratation: Flüssigkeitsgabe durch vermehrtes Trinken (z.B. Trinkplan) oder Infusionsgabe (nach Arztanordnung) je nach Ausmaß der Dehydratation und Natriumkonzentration im Blut. Vor allem bei älteren Patienten: auf Anzeichen einer ▶ dekompensierten Herzinsuffizienz wie z.B. Dyspnoe achten Dehydratationsprophylaxe auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten Risikogruppen: ältere Pflegeempfänger (reduziertes Durstgefühl, vergessen das Trinken), Kinder (besonders hohen Flüssigkeitsumsatz, Wasser- und Elektrolythaushalt daher schneller aus dem Gleichgewicht), Pflegeempfänger mit Fieber, Diuretika- oder Abführmitteleinnahme, bei Durchfall und Erbrechen, Diabetes mellitus ggf. Flüssigkeitsbilanz erstellen, Mindestmenge nach Arztanordnung ggf. gemeinsam mit Pflegeempfänger Trinkplan erstellen

48.7.3 Die wichtigsten Elektrolyte Elektrolyte sind positiv oder negativ geladene Teilchen (Ionen), die mit der Nahrung aufgenommen und über die Niere, das Verdauungssystem und die Haut (Schweiß) ausgeschieden werden ( ▶ Tab. 48.3 ). Tab. 48.3 Die Normwerte und Funktionen der wichtigsten Elektrolyte. Elektrolyt/Ion

Normwert im Blut (mmol/l)

Funktion

Natrium (Na+)

135–145

häufigstes Kation im Extrazellularraum, wichtig bei der Erregung von Nerven- und Muskelzellen

Kalium (K+)

3,6–5,0

häufigstes Kation im Intrazellularraum, wichtig bei der Erregung von Nerven-, Skelett und Herzmuskelzellen

Chlorid (Cl–)

95–110

häufigstes Anion im Extrazellularraum, sorgt mit Natrium für den osmotischen Druck, wichtig im Säure-Basen-Haushalt

Kalzium (Ca2+)

2,2–2,65

wichtig bei der Erregung von Nerven- und Muskelzellen, am Aufbau von Knochen und Zähnen beteiligt

Magnesium (Mg2+)

0,75–1,05

wichtig bei der Erregung von Nerven- und Muskelzellen und für die Funktion der Enzyme

Phosphat (PO43–)

0,8–1,6

an der Mineralisierung der Knochen beteiligt, reguliert als Puffersystem den pH-Wert des Körpers

48.7.4 Regulationsmechanismen 48.7.4.1 Volumen- und Osmolalitätssensoren im rechten Vorhof und in den Hohlvenen: Volumenrezeptoren, die bei einem erhöhten Extrazellularvolumen die Freisetzung von ADH hemmen (s.u.) im Gehirn und in der Leber: Osmolalitätssensoren, die die ADHSekretion steigern, wenn die Natriumkonzentration im Extrazellularraum zu hoch ist. in der Niere: Sinkt das Extrazellularvolumen, sezernieren die Polkissen der Niere Renin. Dadurch wird das ▶ Renin-AngiotensinAldosteron-System aktiviert.

48.7.4.2 Durst Das Durstgefühl wird über die Osmolalitätssensoren im Gehirn durch Angiotensin II und ein vermindertes Extrazellularvolumen ausgelöst.

48.7.4.3 Hormonelle Beeinflussung

Natrium: ADH und Aldosteron fördern die Rückresorption von Wasser und Natrium. ANP fördert die Natriumausscheidung. Kalium: Aldosteron fördert indirekt (geknüpft an die Natriumausscheidung) auch die Kaliumausscheidung. Insulin fördert die Verschiebung von Kalium nach intrazellulär. Kalzium: Parathormon steigert die Kalziumrückresorption in der Niere und fördert die Freisetzung von Kalzium aus den Knochen (Knochenabbau). Kalzitriol (Vitamin D) gilt als Gegenspieler des Parathormons. Kalzitonin hemmt den Knochenabbau und damit die Einschwemmung des Kalziums ins Blut. Phosphat: Parathormon fördert an der Niere die Phosphatausscheidung. Magnesium: Parathormon und ADH fördern die Resorption von Magnesium.

48.7.5 Störungen des Elektrolythaushalts Die Elektrolytkonzentration im Organismus kann durch viele Faktoren beeinflusst werden ( ▶ Tab. 48.4 ). Tab. 48.4 Störungen des Elektrolythaushalts. Störung

(häufigste) Ursachen Symptome

Beachten

Hyperkaliämie (Kalium > 5,0 mmol/l)

Niereninsuffizienz, Morbus Addison, schwere Quetschungen, Verbrennungen, Tumorzerfall, Hämolyse, Azidose des Blutes, kaliumsparende Diuretika

lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen bis Kammerflimmern, Bradykardie, Muskelschwäche, Parästhesien, Lähmungen der Extremitäten

Obstipationsprophylaxe

Hypokaliämie (Kalium < 3,6 mmol/l)

Diarrhö, Erbrechen, entzündliche Darmerkrankungen Laxanzienabusus, Insulin-, Diuretikatherapie, Alkalose

Herzrhythmusstörungen, Schwäche bis Parese, verringerte Darmperistaltik (Obstipation) bis Darmlähmung (paralytischer Ileus)

kausale Therapie der Grunderkrankung

Hyperkalzämie (Kalzium > 2,7 mmol/l)

Knochenmetastasen, Plasmozytom, Hyperthyreose, Niereninsuffizienz, Thiaziddiuretika

Verwirrtheit, Somnolenz, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Polyurie, Herzrhythmusstörungen

alle Elektrolyte gleichzeitig kontrollieren lassen

zu langes Stauen bei der Blutabnahme führt zu „Pseudo-Hyperkaliämie“

Kaliumchloridpräparate mit viel Wasser einnehmen, Infusionsgeschwindigkeit exakt einhalten

regelmäßige EKGKontrollen

Störung

(häufigste) Ursachen Symptome

Hypokalzämie (Kalzium < 2,2 mmol/l)

Hyperventilation, Hypoparathyreoidismus, Vitamin-D-Mangel, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, osteoblastische Metastasen, Schleifendiuretika

Beachten

Muskelkrämpfe (Tetanie), Parästhesien, Laryngospasmus, Hypotonie, Arrhythmie, Bradykardie

bei i.v.-Infusionen EKGKontrolle

Hypermagnesiämie Niereninsuffizienz, MgTherapie zur Wehenhemmung, Verbrennungen

Übelkeit, Obstipation, Muskelschwäche, Lähmungen, RR↓, Hypoventilation, Somnolenz, Herzstillstand

bei Schleifendiuretikatherapie Kontrolle aller Elektrolyte

Hypomagnesiämie verminderte Zufuhr, Alkoholismus, Diarrhö, Erbrechen, Colitis ulcerosa, Laxanzienabusus

Krämpfe, Herzrhythmusstörungen, Darmspasmen, Reizbarkeit, Depressionen, Bewusstseinsstörungen, Koma

Elektrolyt- und EKGKontrolle

48.8 Säure-Basen-Haushalt Der pH-Wert ist von der Konzentration der Wasserstoff-Ionen abhängig, die im Stoffwechsel anfallen. Der Blut-pH beträgt arteriell 7,4 (mit Schwankungen 7,37–7,43) und wird durch Puffersysteme konstant gehalten: Bikarbonat-Puffer: Er ist das wichtigste Puffersystem. Aus Bikarbonat und H+ entsteht Kohlensäure, die in H2O und Kohlenstoffdioxid (CO2) zerfällt. Das CO2 wird über die Lunge abgeatmet. Etwas verzögert reagiert die Niere. Sie kann bei erhöhtem CO2-Gehalt im Blut Bikarbonat neu bilden bzw. rückresorbieren oder Wasserstoff-Ionen ausscheiden. Phosphat-Puffer Protein-Puffer

48.8.1 Azidose

Definition Azidose Bei einer Azidose liegt der arterielle pH-Wert unter 7,37. Der Körper ist übersäuert, die Konzentration von H+-Ionen zu hoch.

48.8.1.1 Respiratorische Azidose CO2 wird nicht ausreichend über die Lunge abgeatmet. Ursachen dafür sind: chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen (COPD, siehe Kap. ▶ 46) Lähmung der Atemmuskulatur medikamentöse oder toxische Senkung des Atemantriebs

48.8.1.2 Metabolische Azidose 3 mögliche Mechanismen: vermehrte „Produktion“ von Säure, z.B. bei Diabetes mellitus im Rahmen einer Ketoazidose unzureichendes Ausscheiden von Säure, z.B. bei Niereninsuffizienz Verlust von Bikarbonat, z.B. über den Magen-Darm-Trakt (starkes Erbrechen, Durchfall) oder über die Nieren bei bestimmten Nierenerkrankungen

48.8.1.3 Symptome Verlangsamung, Somnolenz bis zum Koma. Pflegeempfänger mit metabolischer Azidose versuchen die Säuren durch Mehratmung abzuatmen ( ▶ Kußmaul-Atmung. Bei einer respiratorischen Azidose bestehen Dyspnoe und Zyanose.

48.8.1.4 Diagnostik Anamnese, klinische Untersuchung, Blutgasanalyse, Chloridkonzentration

48.8.1.5 Therapie und Pflege Diarrhö und Erbrechen: Flüssigkeit- und Elektrolytsubstitution, ggf. i.v. als Infusion Pflegeempfänger bedarfsgerecht unterstützen (z.B. bei Körperpflege, Erbrechen etc.), Prophylaxen je nach Befarf (siehe

Kap. ▶ 17) Hyperkaliämie: Insulin in Kombination mit Glukoselösung, Lasix, Salbutamol, Resonium ausgeprägte Azidose: Natriumbikarbonat i.v. respiratorische Azidose: assistierte Beatmung schwere Niereninsuffizienz: ggf. Hämodialyse

48.8.2 Alkalose Definition Alkalose Bei einer Alkalose liegt der arterielle pH-Wert über 7,43. Die Konzentration von H+-Ionen ist zu niedrig oder die von OH–-Ionen zu hoch.

48.8.2.1 Respiratorische Alkalose Aufgrund einer Hyperventilation wird vermehrt CO2 abgeatmet, wodurch die Konzentration von H+-Ionen abfällt. Mögliche Ursachen: psychogen, bei Angst- und Erregungszuständen durch ▶ Herzinsuffizienz durch ▶ Lungenembolie beim ▶ Schock

48.8.2.2 Metabolische Alkalose Sie entsteht bei einem Verlust von Säuren, z.B.: über den Magen-Darm-Trakt (bei Erbrechen) über die Nieren durch Mineralokortikoide, z.B. beim Hyperaldosteronismus bei einer Hypokaliämie, z.B. im Rahmen einer Diuretikatherapie durch erhöhte Bikarbonatzufuhr

48.8.2.3 Symptome

Durch die Alkalose kommt es zur Verminderung des freien ionisierten Kalziums im Blut. Es treten die gleichen Symptome wie bei einer ▶ Hypokalzämie auf: Sensibilitätsstörungen und Muskelkrämpfe, sog. Hyperventilationstetanie mit Pfötchenstellung der Hände ggf. ▶ Herzrhythmusstörungen Der verminderte CO2-Gehalt bei einer Alkalose kann zu Minderdurchblutung im Gehirn mit zentralnervösen Störungen (wie Benommenheit) führen. Bei metabolischer Alkalose: ggf. flache Atmung (Versuch der Kompensation)

48.8.2.4 Diagnostik Anamnese, klinische Untersuchung, Blutgasanalyse

48.8.2.5 Therapie und Pflege bei respiratorischer Alkalose: Beruhigung des Pflegeempfängers und Rückatmung der ausgeatmeten Luft, ggf. Beatmung bei metabolischer Alkalose: ggf. Infusionen mit NaCl. Ausgleich einer Hypokaliämie

KOMPAKT Säure-Basen-Haushalt Azidose: arterieller pH-Wert unter 7,37 Alkalose: arterieller pH-Wert über 7,43 Ursachen: respiratorisch (verstärkte oder verminderte Atmung) oder metabolisch (erhöhte oder verminderte Produktion von Säure im Körper)

49 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels 49.1 Anatomie und Physiologie

Hormone sind chemische Botenstoffe, mit denen der Körper Stoffwechsel- und Kreislaufreaktionen steuert. Sie werden in Drüsen produziert (z.B. in der Schilddrüse). Von dort gelangen sie mit dem Blut an das Zielorgan und entfalten dort über Rezeptoren ihre Wirkung. Dieser Mechanismus wird endokrine Signalübertragung genannt. Daneben gibt es noch die parakrine und autokrine Signalübertragung. Darunter versteht man eine Hormonwirkung auf benachbarte Zellen (parakrin) oder auf die produzierende Zelle selbst (autokrin) ohne Umweg über die Blutbahn. Diese Hormonwirkung findet man z.B. im Darm. Für den praktischen Alltag spielt sie jedoch eine untergeordnete Rolle. Zum Teil wird die Hormonproduktion durch übergeordnete Zentren überwacht (z.B. der Hypophyse).

49.1.1 Wichtige hormonproduzierende Organe Eine Übersicht der wichtigsten Hormone liefert ▶ Abb. 49.1 Hormone. Abb. 49.1 Die wichtigsten hormonbildenden Organe. (Aus: Schewior-Popp S, Sitzmann F, Ullrich L. Thiemes Pflege. Thieme; 2012)

Hypothalamus-Hypophysen-Achse: Hypothalamus: produziert „Releasing-Hormone“ (z.B. CRH, GnRH, TRH) und Inhibiting-Hormone (z.B. Somatostatin). Diese kontrollieren die Hormonproduktion im Hypophysenvorderlappen und haben sonst keine direkte Wirkung. Mit Ausnahme der ebenfalls im Hypothalamus produzierten

Hormone ADH und Oxytocin ist der Hypothalamus somit ein reines Hormonsteuerungsorgan. Hypophyse: Die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) zählt zu den entscheidenden Steuerungseinheiten des menschlichen Hormonstoffwechsels. Sie besteht aus einem Vorder- und einem Hinterlappen. Der Hypophysenvorderlappen (HVL) produziert (aktiviert durch Releasing-Hormone aus dem Hypothalamus) u.a. die „glandotropen“ Hormone ACTH, FSH, LH und TSH. ACTH regt die Nebennierenrinde (NNR) und TSH die Schilddrüse zur Hormonproduktion an. LH und FSH beeinflussen die Hormonproduktion in den Geschlechtsdrüsen. Zusätzlich werden GH („Growth Hormone“) und Prolaktin im HVL hergestellt. GH fördert u.a. den Aufbau von Muskeln und Knochen. Prolaktin fördert die Milchproduktion bei stillenden Frauen. Der Hypophysenhinterlappen (HHL) speichert die im Hypothalamus produzierten Hormone Oxytocin und ADH. Das „Kuschelhormon“ Oxytocin löst u.a. in der Gebärmutter die Wehen aus, führt in der Brustdrüse zur Milchejektion und reduziert die Wirkung von Stress. ADH fördert u.a. die Wasserrückresorption in der Niere. Schilddrüse: Sie produziert die Hormone T3 und T4 sowie das für den Kalziumstoffwechsel benötigte Hormon Calcitonin. Die Ausschüttung wird vom Hormon TSH aus der Hypophyse getriggert. Um T3 und T4 zu produzieren, braucht die Schilddrüse Jod. Lage: vor der Luftröhre, direkt unterhalb des Kehlkopfes ( ▶ Abb. 49.2)

Aufbau: unterteilt in linken und rechten Schilddrüsenlappen (durch Isthmus verbunden) Histologie: in Läppchen gegliedert, die aus Follikeln („Bläschen“) aufgebaut sind. In diesen sind die Schilddrüsenhormone gespeichert. Schilddrüsenhormone: T3 und T4 regen den Stoffwechsel an. Sie sorgen für vermehrte Wärmeproduktion, Herzfrequenz- und Blutdrucksteigerung, bei Kindern sorgen sie für die Wachstumsreifung und Förderung der Gehirnentwicklung, Stressreaktion (Unruhe, Gereiztheit, Nervosität), Steigerung der Darmmotilität und Steigerung der Muskeltätigkeit. Nebenschilddrüsen: Sie sind sehr klein und befinden sich an der Rückseite der Schilddrüse. Oft bestehen sie nur aus einigen wenigen Zellen, sind aber sehr wichtig. Sie produzieren das Parathormon, das die Konzentration von Kalzium im Blut erhöht (Eselsbrücke: „Parathormon stellt Kalzium parat“). Schilddrüse. Abb. 49.2 Ansicht von Schilddrüse und Kehlkopf von vorn. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

Bauchspeicheldrüse (Pankreas): Der endokrine Anteil der Bauchspeicheldrüse produziert die Hormone Insulin, Glukagon, Somatostatin und PP. Sie werden direkt in das Blut abgegeben und regulieren den Glukose-Stoffwechsel ( ▶ Abb. 49.3). Die Hormonproduktion wird direkt über die Höhe des Blutzuckerspiegels kontrolliert. Der exokrine Anteil gibt Verdauungsenzyme in den Verdauungstrakt ab (exokrin

= Abgabe eines Drüsensekrets über einen Ausführungsgang). Lage: hinter dem Magen (retroperitoneal). Der Pankreaskopf wird nach rechts vom Zwölffingerdarm begrenzt, der Pankreasschwanz kann bis zum Milzhilum reichen. Aufbau: Sie besteht aus exokrinen und endokrinen Drüsenzellen. Histologie: Der endokrine Anteil aus speziellen Zellgruppen (sog. Langerhans-Inseln bzw. „Inselorgan“) ist in den exokrinen Anteil eingestreut. Die Langerhans-Inseln bestehen u.a. aus den „βZellen“ (produzieren Insulin) und den „α-Zellen“ (produzieren Glukagon). Insulin: senkt den Blutzuckerspiegel, v.a. durch die Förderung der zellulären Aufnahme von Blutzucker und durch den Aufbau von Glykogen (lange Glukoseketten) in der Leber und im Muskelgewebe. Glukagon: Der „Gegenspieler“ von Insulin. Glukagon erhöht den Blutzuckerspiegel, u.a. durch die Förderung der Glukoseproduktion (Glukoneogenese) und Glykogenabbau. Wirkung von Insulin und Glukagon. Abb. 49.3 Insulin steigert die Aufnahme von Glukose in Fett- und Muskelzellen. Glukagon fördert den Einstrom von Glukose ins Blut. (Aus: I care Anatomie Physiologie. Stuttgart: Thieme; 2020)

Merke Eselsbrücke „GABI“ „GABI“: Glukagon wird durch Alpha-Zellen produziert. BetaZellen produzieren Insulin. Nebennierenrinde: produziert, getriggert durch ACTH aus der Hypophyse, Glukokortikoide (insbesondere

Cortisol), Mineralokortikoide (insbesondere Aldosteron) und Androgene (insbesondere Testosteron) Nebennierenmark: produziert, getriggert durch den Sympathikus, Adrenalin und Noradrenalin (Katecholamine)

49.2 Pflegebasismaßnahmen ▶ Wahrnehmen und Beobachten. Auf typische Probleme bei Störungen des hormonellen Systems achten, z.B.: Wachstum- und Entwicklungsstörungen bei Kindern veränderte Vitalparameter (z.B. Hypotonie, Tachykardie etc.) auffällige körperliche Veränderungen wie z.B. Gewichtsveränderungen (Zu- oder Abnahme), Hautveränderungen, Entwicklung weiblicher Geschlechtsmerkmale beim Mann und männlicher Geschlechtsmerkmale bei der Frau, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme (Obstipation, Diarrhö), Persönlichkeitsveränderungen Ernährung Bei vielen Stoffwechsel-Erkrankungen und hormonellen Leiden muss auf eine spezielle Ernährung geachtet werden. Dabei ist es wichtig, die Betroffenen für ihren Alltag zu beraten und zu informieren. Die Maßnahmen der speziellen Pflege werden bei den jeweiligen Krankheitsbildern erläutert.

49.3 Stoffwechselstörungen und ernährungsbedingte Erkrankungen 49.3.1 Diabetes mellitus Definition Diabetes mellitus Chronisch verlaufende Erkrankung mit erhöhtem Blutzuckerspiegel. Die Ursache liegt in einem absoluten Mangel an Insulin (sog. Typ-1-Diabetes) oder einer gestörten

Insulinwirkung mit relativem Insulinmangel durch Resistenz (sog. Typ-2-Diabetes).

49.3.1.1 Ursachen Der Körper (v.a. das Gehirn) ist auf Energie angewiesen. Diese Energie wird in erster Linie aus Glukose gewonnen. Deswegen ist es lebensnotwendig, dass der Blutzuckerspiegel nicht unter ein bestimmtes Level abfällt. Ist er andererseits zu hoch (z.B. bei Insulinmangel), führt die erhöhte Zuckerkonzentration im Blut und im Gewebe zu chronischen Organschäden und Flüssigkeitsverlust über die Nieren durch osmotische Diurese („Diabetes mellitus“). Je nachdem, ob zu wenig Insulin vorhanden ist (absoluter Insulinmangel) oder Insulin nicht ausreichend wirken kann (relativer Insulinmangel), werden unterschieden: Typ-1-Diabetes (5–10 % der Diabetesfälle): absoluter Insulinmangel. β-Zellen sind z.B. durch Autoimmunprozesse zerstört. Kinder von Typ-1Diabetikern haben ein erhöhtes Risiko, ebenfalls daran zu erkranken. Typ-2-Diabetes (90 % der Diabetesfälle): relativer Insulinmangel. Insulin kann nicht an der Zielzelle wirken, z.B. durch zunehmende Resistenz der Rezeptoren aufgrund falscher Ernährung bzw. eines ▶ „metabolischen Syndroms“. Zusätzlich nimmt auch die Insulinproduktion langsam ab. Typ-3-Diabetes: Zusammenfassung anderer Diabetesformen. Hierunter fallen z.B. erblich bedingte Formen, hormonelle Störungen oder die chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse ▶ Gestationsdiabetes. Eine Sonderform des Diabetes mellitus stellt der Gestationsdiabetes dar. Hierunter versteht man eine gestörte Blutglukosetoleranz während der

Schwangerschaft. In vielen Fällen verschwindet dieser nach der Schwangerschaft wieder. Es besteht jedoch ein erhöhtes Risiko mit fortgeschrittenem Alter einen Typ-2Diabetes zu entwickeln. Für das Kind besteht bei unerkanntem Gestationsdiabetes der Mutter ein erhöhtes Risiko für ein erhöhtes Geburtsgewicht mit dadurch entstehenden Risiken (z.B. Schulterdystokie, Atemnotsyndrom u.a.). Aus diesem Grund werden Schwangere zwischen der 24–28. SSW auf einen Gestationsdiabetes gescreent. Die Pflege bei Gestationsdiabetes wird in Kap. ▶ 43.1.5 beschrieben.

49.3.1.2 Symptome häufig zunächst wenig Symptome (v.a. beim Typ-2Diabetes). Die Erkrankung wird oft erst durch chronische Folgeerkrankungen erkannt. Polyurie, Flüssigkeitsmangel, Polydipsie (v.a. beim Typ-1-Diabetes): Der Körper versucht, den Blutzucker durch die Ausscheidung von Glukose über den Urin zu senken. Dies gelingt nur durch eine erhöhte Urinausscheidung. Es kommt zu vermehrtem Harndrang (Polyurie), der Patient verliert Flüssigkeit (Gefahr der Exsikkose) und hat mehr Durst (Polydipsie). Gewichtsverlust, Schwäche und Leistungsminderung durch mangelnde Aufnahme von Glukose als Energielieferant

49.3.1.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Hypoglykämie Eine Hypoglykämie (Warn-Wert laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG): Blutzucker ≤ 70mg/dl bzw. 3,9mmol/l) ist oft die Folge eines Dosierungsfehlers bei der Diabetestherapie. Sie ist wesentlich gefährlicher als eine Hyperglykämie und immer ein Notfall („diabetischer

Schock“). Die Symptome resultieren aus einer Unterversorgung des Gehirns mit Energie sowie der daraus folgenden Stressreaktion. Symptome kalter und klebriger Schweiß, Zittern, Tachykardie (Stressreaktion) Bewusstlosigkeit, Verwirrtheit, Müdigkeit, Muskelschwäche, Krampfanfälle (Unterversorgung des Gehirns mit Glukose). Lebensgefahr! Notfalltherapie solange der Patient wach und ansprechbar ist: Limonade oder Traubenzucker bei schweren Fällen: Glukose i.v. oder Glukagon i.m.

Hyperglykämie Hyperglykämie (Nüchternblutzucker über 125 mg/dl bzw. 7,0 mmol/l) ist die Folge eines nicht erkannten oder unzureichend eingestellten Diabetes mellitus. Auch durch Infekte oder Stress kann der Blutzucker bei Diabetikern „entgleisen“. Symptome typische Diabetes-Symptome, u.a. Durst, Polyurie, Schwindel, Schwäche, Exsikkose, Bauchschmerzen Steigt der Blutzucker sehr schnell und stark an, kommt es zum diabetischen Koma. Unterschieden werden: ketoazidotisches Koma: v.a. bei Typ-1-Diabetes, Blutglukose deutlich erhöht (> 350mg/dl bzw. 19,4mmol/l), Atem riecht nach Azeton, Blut-pH niedrig hyperosmolares Koma: v.a. bei Typ-2-Diabetes, Blutglukose stark erhöht, Symptome des Flüssigkeitsmangels, Blut-pH normal

Notfalltherapie Gabe von kurzwirksamen Insulinen (z.B. Normalinsulin oder kurzwirksame Insulinanaloga) Ausgleich einer Exsikkose mit Infusionen Beim ketoazidotischen Koma: Ausgleich des Blut-pHs mit Natriumbikarbonat; parallel Ausgleich des (kompensatorisch erniedrigten Serumkaliums).

Erhöhte Infektanfälligkeit Bei chronisch erhöhtem Blutzuckerspiegel kommt es leichter zu Infekten der Haut und der Harnwege (z.B. Blasenentzündung). Besonders Läsionen im Fußbereich (vgl. diabetisches Fußsyndrom) sind für Infekte anfällig.

Folgeerkrankungen Folgeerkrankungen entstehen durch einen ständig erhöhten Blutzuckerspiegel. Die Erkrankungen treten meist erst 10 Jahre nach Diagnose des Diabetes mellitus auf. Zu den wichtigsten zählen: diabetische Makroangiopathie: z.B. KHK, Herzinfarkt, Schlaganfall, pAVK diabetische Mikroangiopathie: Retinopathie, Nephropathie, erektile Dysfunktion diabetische Neuropathie: Lähmungen, Taubheitsgefühle, Kribbeln, Blutdruckabfall, erektile Dysfunktion, Magen- und Blasenentleerungsstörungen diabetisches Fußsyndrom: Läsionen bzw. Geschwüre am Fuß als Folge verminderter Sensibilität (diabetischer Neuropathie) und Durchblutungsstörungen

49.3.1.4 Diagnostik ▶ Blutzuckerbestimmung. Die Standardmethode ist die Messung des Blutzuckers über einen Blutstropfen aus der

Fingerbeere. Das RKI und die deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene empfehlen eine Desinfektion der Fingerbeere vor der Messung. Studien belegen, dass der Messwert durch das Desinfektionsmittel (sofern dieses abgetrocknet wurde) nicht verfälscht wird. Bei manchen Messsystemen muss der erste Blutstropfen verworfen werden. Der Blutzucker kann auch kontinuierlich über einen Sensor im Unterhautfettgewebe gemessen werden. Dieses Verfahren findet bei Patienten mit Diabetes Typ 1 Anwendung. Normalwert nüchtern: 60–100 mg/dl (3,3–5,6 mmol/l) Nüchternblutzuckerwerte (nach 8–12 h Nahrungskarenz) von ≥ 126 mg/dl (7 mmol/l) sind beweisend für einen Diabetes mellitus. ▶ Oraler Glukose-Toleranz-Test (oGTT) . Beim oGTT wird der Blutzuckeranstieg nach der Aufnahme einer fest definierten Menge Glukose gemessen. Vor der Untersuchung muss der Patient 10 h fasten. Dann wird der Nüchternblutzucker bestimmt. Nach oraler Aufnahme von 75 g Glukose wird die Messung nach 2 h wiederholt. Der oGTT hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Weitere Untersuchungen HbA1c: Laborwert, der den durchschnittlichen Blutzuckerwert in den letzten 8 Wochen angibt (Langzeitblutzucker). Wichtig für die Therapiekontrolle von Diabetikern. Antikörperbestimmung: Bei Typ-1-Diabetikern finden sich oft Antikörper gegen die β-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Diese können im Blut bestimmt werden und untermauern die Diagnose. BMI und Waist-to-Hip-Ratio: besonders bei Typ-2Diabetikern zur Einschätzung des Übergewichts

Untersuchungen auf Folgeerkrankungen: Tasten von Fußpulsen (diabetische Angiopathie?), Stimmgabelversuch (diabetische Neuropathie?), Inspektion der Füße (diabetisches Fußsyndrom?), Albuminbestimmung im Urin (diabetische Nephropathie?), Spiegelung des Augenhintergrundes (diabetische Retinopathie?).

49.3.1.5 Therapie Ziel der Therapie ist eine konstant gute Blutzuckereinstellung. Dadurch sollen Folgeerkrankungen vermieden werden. Je nach Diabetestyp werden unterschieden: Typ-1-Diabetes: lebenslange Insulintherapie (s.c.) und Anpassung der Ernährung Typ-2-Diabetes: Die Diabetestherapie besteht aus 3 Säulen: Ernährungsumstellung und Bewegung (um Gewicht abzubauen), medikamentöse Therapie (je nach HbA1c-Wert), Schulung und Selbstkontrolle. Nur bei unzureichendem Therapieerfolg zusätzliche (s.c.) Insulintherapie.

Insulintherapie Einteilung der Insuline: kurzwirksame Insuline Normalinsulin (z.B. Insuman Rapid): Wirkeintritt ca. 20–30 min nach s.c.-Injektion Wirkdauer ca. 5–7 h einziges Insulin, das intravenös verabreicht werden kann kurzwirksame Insulinanaloga: Wirkeintritt sofort

Wirkdauer ca. 2–3 h langwirksame Insuline (z.B. Protaphane) NPH-Insuline (z.B. Protaphane): Wirkeintritt ca. 45–90 min nach Injektion Wirkdauer 10–12 h langwirksame Insulinanaloga: Wirkeintritt ca. 2–4 h nach Injektion Wirkdauer 12–24 h Mischinsuline (z.B. Actraphane 30/70): Kombination von kurz- und langwirksamen Insulinen (z.B. im Verhältnis 30:70)

Merke Mischinsuline schwenken Mischinsuline müssen vor dem Gebrauch 20-mal geschwenkt werden, um kurz- und langwirksame Anteile miteinander zu vermengen. ▶ Therapieregime. Welche Insulintherapie durchgeführt wird, richtet sich nach der Art des Diabetes und nach den Fähigkeiten des Patienten (z.B. ob der Patient selbstständig den Blutzucker messen kann): intensivierte konventionelle Therapie (ICT): kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten in Kombination mit einem 1–2-mal täglich injizierten langwirksamen Insulin Vorteil: Physiologische Insulinausschüttung des Körpers wird gut simuliert.

Nachteil: Selbstkontrolle des Blutzuckers vor jeder Mahlzeit für Typ-1-Diabetiker und flexible, selbstständige Typ2-Diabetiker Insulinpumpentherapie: Kurzwirksames Insulin wird über eine Pumpe selbstständig und andauernd s.c. injiziert. Zu den Mahlzeiten kann die Pumpe zusätzlich Boli applizieren. Vorteil: kommt der physiologischen Insulinausschüttung am nächsten Nachteil: hohe Kosten, hoher Aufwand für Typ-1-Diabetiker basalunterstützte orale Therapie (BOT): orale Antidiabetika in Kombination mit einem langwirksamen Insulin Vorteil: langsamer Einstieg in eine Insulintherapie, um den Patienten daran zu gewöhnen Nachteil: teilweise schwere Einstellung der optimalen Insulindosis für Typ-2-Diabetiker, bei denen eine reine orale Therapie nicht mehr ausreicht supplementäre Insulintherapie (SIT): orale Antidiabetika in Kombination mit einem kurzwirksamen Insulin zu den Mahlzeiten Vorteil: relativ nah an der physiologischen Insulinausschüttung Nachteil: Berechnung der richtigen Insulindosis durch den Patienten für Typ-2-Diabetiker mit hohen Blutzuckerwerten nach dem Essen

Andere Antidiabetika Andere Antidiabetika werden fast ausschließlich bei Typ-2Diabetes eingesetzt und meist oral eingenommen. Ausnahme bilden die GLP-1-Agonisten (z.B. Dulaglutid), welche genau wie Insulin s.c. injiziert werden, jedoch zur Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzt werden. Können die Blutzuckerwerte durch Bewegung und Ernährungsanpassung nicht ausreichend gesenkt werden, wird nach aktuellen Leitlinien meist eine Therapie mit dem Biguanid Metformin begonnen (Glucophage). Je nach Therapieerfolg kann Metformin in einem zweiten Schritt mit einem anderen oralen Antidiabetikum oder mit Insulin kombiniert werden.

Merke Kein Metformin vor OP Eine seltene, aber lebensbedrohliche Nebenwirkung von Metformin ist die Laktatazidose mit Übelkeit, Erbrechen, Bewusstlosigkeit und erniedrigtem Blut-pH mit einem Anstieg des Laktats. Diese Nebenwirkung tritt immer dann auf, wenn es im Körper zu einer Stressreaktion (z.B. akute Infektion, chronische Nierenschwäche, Operation u.a.) kommt. Häufig ist auch die Nierenfunktion eingeschränkt. Deshalb sollte Metformin vor Operationen pausiert werden! ▶ Weitere Beispiele für andere Antidiabetika. Glibenclamid (Handelsname: Euglucon; Wirkstoffgruppe: Sulfonylharnstoffe; Achtung: Hypoglykämiegefahr hoch!), Repaglinid (Handelsname: NovoNorm; Wirkstoffgruppe: Glinide); Acarbose (Handelsname: Glucobay; Wirkstoffgruppe: α-Glukosidase-Hemmer), Pioglitazon (Handelsname: Actos; Wirkstoffgruppe: Glitazone)

49.3.1.6 Pflege Beobachtung Anzeichen einer Hypo-/Hyperglykämie: z.B. Übelkeit und Erbrechen, siehe Kap. ▶ 49.3 Vitalparameter: Blutdruck: Zielblutdruck < 130/80 mmHg Atmung: Dyspnoe kann auf eine ▶ Herzinsuffizienz hinweisen, ▶ Kußmaul-Atmung auf eine Ketoazidose Körpergewicht kontrollieren: Rasche Gewichtszunahme (z.B. durch Wassereinlagerung) kann Hinweis auf dekompensierte Nieren- oder Herzinsuffizienz sein. Haut: Einrisse, Blasen und sonstige Wunden an den Füßen können ein Hinweis auf ein diabetisches Fußsyndrom sein; Ödeme können auf eine Niereninsuffizienz hinweisen. Sehstörungen: Akute Sehstörungen können ein Zeichen für eine Hypoglykämie sein. Ein sich langsam verschlechterndes Sehvermögen spricht für eine diabetische Retinopathie. Jährliche Augenarztkontrollen sind zu empfehlen. Mobilisation auf gut sitzende Schuhe achten, um die Gefahr von Druckstellen zu reduzieren Eingeschränkte Belastung und verringerte Gehstrecken können ein Hinweis auf eine ▶ Herzinsuffizienz oder eine ▶ pAVK sein. ▶ Körperpflege. Diabetiker sind oft infektionsgefährdet. Deswegen ist eine sorgfältige Körperpflege besonders wichtig:

Hautpflege: pH-neutrale Seifen und harnstoffhaltige Cremes an den Füßen, um trockene Haut zu vermeiden Mund- und Zahnpflege: Diabetiker sind für Karies und Soor besonders anfällig! Intimpflege: Diabetiker neigen zu Harnwegsinfekten. Deshalb Harnblasenkatheter frühzeitig entfernen. Fußpflege: Nur durch geprüfte Podologen, keine Hornhautpflaster, Bimssteine o.Ä. Kalte Füße niemals mit Wärmflaschen wärmen (Verbrennungsgefahr bei diabetischer Neuropathie!). Prophylaxen bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Dekubitusprophylaxe: besonders aufgrund von Sensibilitäts- und Durchblutungsstörungen und hoher Infektanfälligkeit Intertrigoprophylaxe: besonders bei adipösen Patienten Ernährung geeignete Kostform, z.B. Vollkornprodukte, Obst, Gemüse Bei Erbrechen, Durchfall und vor Operationen muss auf eine ausreichende Glukosezufuhr geachtet werden. Die Insulindosis muss ggf. reduziert und Glukose ggf. durch Infusionen zugeführt werden. Ernährungsberatung Die Angaben „BE“ (Broteinheit) oder „KE“ (Kohlenhydrateinheit) geben Auskunft darüber, wie viele Kohlenhydrate ein Lebensmittel enthält. Damit können die Betroffenen ihre Insulindosis selbstständig

berechnen/schätzen. Die Berechnung erlernen Diabetiker in speziellen Schulungen. Empfohlen wird eine gesunde Mischkost mit viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukten. Langsam resorbierbare Kohlenhydrate (z.B. Vollkornprodukte) lassen den Blutzucker weniger stark ansteigen als schnell resorbierbare Kohlenhydrate (z.B. Weißmehlprodukte). Auf große Mengen stark zuckerhaltiger Getränke oder Alkohol sollte verzichtet werden. Stattdessen wird Wasser empfohlen. Süßigkeiten sind (in Maßen) erlaubt. Übergewichtige Diabetiker sollten ihr Gewicht reduzieren. Dies reduziert die Gefahr von Folgeerkrankungen und senkt den täglichen Insulinbedarf. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Weiterführende Therapie durch den Hausarzt und ggf. die Betreuung durch einen Pflegedienst muss gewährleistet sein. Hinweis auf Disease-Management-Programme (DMP) beim Hausarzt Hinweis auf Patientenschulungen durch Krankenkassen oder Hausarzt Hinweis auf Selbsthilfegruppen regelmäßige Fußkontrollen und Hinweis auf gut angepasste Schuhe (Druckstellen!) im Rahmen des DMP-Programms „Diabetes“ beim Hausarzt Schulungen: Patient sollte fähig sein, sich selbst Insulin zu spritzen,

den Blutzucker zu messen sowie Anzeichen einer Hypo- und Hyperglykämie zu erkennen und Maßnahmen einzuleiten. Bei Kindern mit Diabetes mellitus übernehmen die Eltern, je nach Alter des Kindes, die Maßnahmen. Schulungen altersgerecht durchführen. Bei neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes und anhaltend schlechter Blutzuckereinstellung (ambulante) Rehabilitation in Betracht ziehen Patienten ggf. zur Gewichtsreduktion motivieren (wirkt sich positiv auf Erkrankung und weiteren Verlauf aus) Diabetes im Alltag Sportliche Aktivitäten sind wichtig. Bei großer Anstrengung sollte auf die Gefahr einer Hypoglykämie hingewiesen werden. Das Führen eines Kraftfahrzeugs ist erlaubt. Im Urlaub sollten genügend Insulin und Blutzuckerteststreifen vorhanden sein (Kühlkette beachten!). Familienangehörige (bei Kindern ggf. auch Freunde und Lehrer) sollten über die Erkrankung aufgeklärt und bezüglich Notfallmaßnahmen geschult werden (z.B. Glukagon-Notfallspritze). Psychosoziale Begleitung Gesprächsbereitschaft signalisieren über Änderung der Lebensgewohnheiten sprechen und motivieren auf Anzeichen von depressiver Stimmung achten: Typ-1Diabetiker können zu Depressionen neigen. Diese führen

zu Bewegungsmangel und damit zu schlechterer Blutzuckereinstellung.

KOMPAKT Diabetes mellitus Insulin senkt den Blutzucker, indem es die Glukoseaufnahme in die Körperzellen fördert. typische Symptome bei Hyperglykämie: Polyurie, Durst, Exsikkose, Müdigkeit typische Symptome bei Hypoglykämie: Schwitzen, Zittern, Tachykardie, Verwirrtheit, Krämpfe Pathophysiologie: Typ-1-Diabetes: absoluter Insulinmangel Typ-2-Diabetes: relativer Insulinmangel Typ-3-Diabetes als Zusammenfassung anderer Ursachen (z.B. erbliche Störung, chronische Bauchspeicheldrüsenentzündung u.a.) Gestationsdiabetes als (meist) vorrübergehender Diabetes während der Schwangerschaft. Für das Kind besteht das Risiko eines erhöhten Geburtsgewichts. Therapie: Typ-1-Diabetes wird immer mit Insulin behandelt. Typ-2-Diabetes wird zunächst diätetisch und mit Tabletten, später dann ggf. auch mit Insulin behandelt. Notfalltherapie bei Hypoglykämie: Gabe von Limonade oder Traubenzucker (solange der Patient wach und ansprechbar ist), Gabe von Glukose i.v. oder Glukagon („Notfallspritze“) i.m.

Notfalltherapie bei Hyperglykämie: Gabe von kurzwirksamen Insulinen (z.B. Rapid), Ausgleich einer Exsikkose mit Infusionen Körperpflege: gute Haut- und Intimpflege, um Infektionen zu vermeiden! Familienangehörige: über Erkrankung und Notfallmaßnahmen aufklären.

49.3.2 Hyperurikämie und Gicht Definition Hyperurikämie und Gicht Von einer Hyperurikämie spricht man bei erhöhtem Harnsäurespiegel im Blut. Harnsäure ist ein Abbauprodukt von Purinen (Basen in der DNA), das v.a. bei fleischreicher Ernährung anfällt. Lagert sich die Harnsäure in Gelenken ab und führt dort zu Schmerzen, spricht man von Gicht. Die Krankheit verläuft oft in akuten Schüben (Gichtanfälle).

49.3.2.1 Ursachen gestörte Ausscheidung von Harnsäure über die Nieren Enzymdefekt im Harnsäurestoffwechsel vermehrter Anfall von Harnsäure durch Zelluntergang (z.B. von Tumorzellen bei einer Chemotherapie) vermehrter Anfall von Harnsäure durch besonders purinreiche Ernährung und Alkoholkonsum

49.3.2.2 Symptome

akuter Gichtanfall: Schmerzen, Schwellung, Rötung und Überwärmung einzelner Gelenke (oft Großzehengrundgelenk) chronische Gicht: Harnsäureablagerungen in Niere und Haut

49.3.2.3 Diagnostik typische Klinik (entzündetes Gelenk) erhöhter Harnsäurespiegel im Blut

49.3.2.4 Therapie und Pflege Medikamente: Allopurinol, wenn Harnsäurespiegel diätetisch nicht unter 9 mg/dl gesenkt werden kann. Im akuten Schub: NSAR (z.B. Diclofenac) und Glukokortikoide (z.B. Prednisolon) Mobilisation: betroffenes Gelenk schonen, frei lagern, kühlen Ernährung: purinarme Kost (wenig Fleisch, keine Innereien, wenig Alkohol), üppige Mahlzeiten vermeiden, auf ausreichende Trinkmenge achten (mind. 2 l) Übergewicht reduzieren Schmerzmanagement: vorrangiges Ziel beim akuten Gichtanfall. Medikamentös mit steroidalen Antirheumatika (NSAR), nicht-medikamentös durch erhöhte und freie Positionierung des Gelenks und kalte Umschläge (z.B. Quarkauflagen).

49.3.3 Lipidstoffwechselstörungen Definition Lipidstoffwechselstörungen

Bei Lipidstoffwechselstörungen ist der Fettspiegel im Blut verändert. Häufig handelt es sich um eine Hypercholesterinämie, bei der zu viel „schlechtes Cholesterin“ (sog. LDL) im Blut vorhanden ist. Lipidstoffwechselstörungen gehören zu den klassischen Risikofaktoren einer Atherosklerose. Lipoproteine (LDL, HDL, VLDL u.a.) sind im Körper für den Transport von Fetten verantwortlich. Sie bestehen aus Eiweißen (Proteinen) und sind mit Fetten (Lipiden) beladen. HDL transportiert das Fett aus dem Blut in die Leber. Dort wird es gespeichert und kann sich nicht an den Gefäßwänden ablagern – einer Atherosklerose wird vorgebeugt. LDL dagegen transportiert das Fett aus der Leber heraus. Ein Missverhältnis zwischen HDL und LDL fördert die Entwicklung einer Atherosklerose und ist ein Aspekt des „metabolischen Syndroms“ (siehe Kap. ▶ 49.3.4).

Merke „Gutes“ und „schlechtes“ Cholesterin HDL („high density lipoprotein“, Eselsbrücke: „Hab dich lieb“): schützt vor Atherosklerose LDL („low density lipoprotein“, Eselsbrücke: „Lass das lieber“): Risikofaktor für Atherosklerose

49.3.3.1 Ursachen primäre Fettstoffwechselstörung (genetische Erkrankung mit zu viel LDL im Blut). Patienten sind meist nicht übergewichtig und entwickeln früh eine Atherosklerose. Die Folgen sind Herzinfarkt und Schlaganfall. sekundäre Fettstoffwechselstörungen (zu viel LDL durch „ungesunden Lebenswandel“). Typische

„Wohlstandskrankheit“. Ursachen sind fettreiche Ernährung, übermäßiger Alkoholkonsum und Übergewicht.

49.3.3.2 Therapie und Pflege Fettstoffwechsel durch einen gesünderen Lebenswandel normalisieren: viel Bewegung cholesterinarme Kost (d.h. wenig Alkohol und Fleisch), viel ungesättigte Fettsäuren (z.B. Olivenöl, Rapsöl, Fisch), Übergewicht abbauen medikamentöse Senkung der Blutfette – meist durch Statine (z.B. Simvastatin)

KOMPAKT Hypercholesterinämie Die Hypercholesterinämie (zu viel LDL bzw. Cholesterin im Blut) ist ein häufiger/wichtiger Risikofaktor für Atherosklerose. Protektiv: HDL („gutes Cholesterin“)

49.3.4 Adipositas Definition Adipositas und metabolisches Syndrom Deutliche Vermehrung des Fettgewebes im Körper. Ab wann ein Patient „zu dick“ ist (also unter Adipositas leidet), wird über den BMI (Body-Mass-Index) definiert (Formel: Körpergewicht [in kg] / Körpergröße [in m]2) BMI ≥ 25 kg/m2: Übergewicht (Vorstufe zur Adipositas)

BMI ≥ 30 kg/m2: Adipositas Tritt Adipositas zusammen mit einem erhöhten Blutdruck, Hyperlipidämie (v.a. zu viel LDL, zu wenig HDL) und einem erhöhten Nüchternblutzucker (größer 100mg/dl oder größer 5,6 mmol/l) oder einem Diabetes mellitus Typ II auf, spricht man vom metabolischen Syndrom. Dieses vervierfacht das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.

49.3.4.1 Ursachen primäre Adipositas (häufig): durch übermäßige Kalorienzufuhr und zu wenig Bewegung, genetische Faktoren, psychische Faktoren (z.B. Stress) sekundäre Adipositas (selten): Gewichtszunahme durch eine Hypothyreose, Glukokortikoidtherapie (z.B. Cortison), Morbus Cushing oder bestimmte Gehirntumoren

49.3.4.2 Symptome/Folgen Kurzatmigkeit verminderte körperliche Belastbarkeit vermindertes Selbstwertgefühl

49.3.4.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Fettstoffwechselstörungen ▶ Gallensteine ▶ Diabetes mellitus Tumorerkrankungen (insbesondere Darm- und Harnblasenkrebs) Potenzstörungen Gelenkbeschwerden erhöhte Thromboseneigung

erhöhte Gefahr für kardiovaskuläre Erkrankungen wie ▶ Herzinfarkt und ▶ Schlaganfall. Bauchfett (viszerale Fettverteilung, „Apfelform“) ist dabei gefährlicher als Hüftfett („Birnenform“).

49.3.4.4 Therapie Gewichtsreduktion durch effiziente Ernährungsumstellung und mehr Bewegung (am besten unter professioneller Anleitung) Verhaltenstherapie mit dem Ziel einer positiven Krankheitseinsicht medikamentöse Therapie (bei schwerer Adipositas) durch Appetitzügler oder Fettaufnahmehemmer (Achtung: nur unter ärztlicher Aufsicht!) operative Therapie gilt als letzter Ausweg bei schwerer, therapieresistenter Adipositas, z.B. durch Magenverkleinerung per Magenbypass

49.3.4.5 Pflege Beobachtung: Vitalparameter: ggf. breitere Blutdruckmanschette verwenden Haut: auf Pilz und Intertrigo in Hautfalten achten Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Thromboseprophylaxe: aufgrund erhöhter Thromboseneigung Intertrigoprophylaxe: bei ausgeprägten Hautfalten und starkem Schwitzen Mobilisation und Positionierung:

Oberkörperhochlage erleichtert das Atmen auf rückenschonendes Arbeiten achten (ggf. mit Patientenlifter), Patientenressourcen nutzen, siehe auch Kap. ▶ 15 Achtung: Rollstühle und Betten sind oft nur bis 180 kg Körpergewicht zugelassen! Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Präventionsangebote der Krankenkassen empfehlen psychosoziale Beratung: „Adipositas als Krankheit akzeptieren“; Analyse des Essverhaltens, motivieren

KOMPAKT Adipositas BMI = Körpergewicht (in kg) / (Körpergröße [in m])2; Adipositas ab einem BMI ≥ 30 kg/m2 bei metabolischem Syndrom (Kombination mit Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Diabetes): vierfach erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt Bauchfett (viszerale Fettverteilung, „Apfelform“) gefährlicher als Hüftfett („Birnenform“) Therapie Gewichtsreduktion durch Ernährung und Verhaltenstherapie. Eine medikamentöse Therapie ist genau wie eine Operation nur die letzte Möglichkeit.

49.4 Erkrankungen der Schilddrüse 49.4.1 Hypothyreose

Definition Hypothyreose Mangel an Schilddrüsenhormonen als Folge einer Hormonbildungsstörung in der Schilddrüse (primäre Hypothyreose – häufig) oder durch verminderte TSH-Produktion (sekundäre Hypothyreose – selten).

49.4.1.1 Ursachen am häufigsten: autoimmune Entzündung der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis) nach einer Schilddrüsen-OP Überbehandlung einer Überfunktion angeborene Unterfunktion selten: TSH-Mangel

49.4.1.2 Symptome Kälteempfindlichkeit Leistungsabfall, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten Obstipation Gewichtszunahme Bradykardie und Hypotonie erschwertes Sprechen und schwere Zunge (evtl. Heiserkeit) trockene Haut, brüchige Haare bei Kindern: irreversible Entwicklungsverzögerung und Behinderung

Merke

Hypothyreose = Sparflamme Bei der Hypothyreose läuft der Körper auf „Sparflamme“.

49.4.1.3 Diagnostik Blutuntersuchung (TSH, T3, T4) weiterführende Diagnostik, z.B. Suche nach Schilddrüsenautoantikörpern oder Tumoren im Hypophysenbereich

49.4.1.4 Therapie Schilddrüsenhormone (z.B. L-Thyroxin) regelmäßige TSH-Kontrollen

49.4.1.5 Pflege Beobachtung: Vitalparameter erfassen: Bradykardie? Hypotonie? Mobilisation und Körperpflege: Unterstützung individuell nach Belastungsgrenze Zeit lassen, Ruhepausen einplanen Hautpflege bei trockener Haut Ernährung: Schilddrüsenhormone eine halbe Stunde vor dem Frühstück mit einem Glas Wasser einnehmen (kein Kaffee, dieser kann die Wirksamkeit verringern) Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Obstipationsprophylaxe: bei Neigung zur Obstipation zweite Decke anbieten, wenn der Patient schnell friert

49.4.2 Hyperthyreose Definition Hyperthyreose Überproduktion von Schilddrüsenhormonen durch vermehrte TSH-Produktion (sekundäre Hyperthyreose) oder eine übermäßige Hormonbildung in der Schilddrüse (primäre Hyperthyreose).

49.4.2.1 Ursachen am häufigsten: autonomes Adenom (hormonproduzierender, gutartiger Tumor) schilddrüsenaktivierende (TSH-ähnelnde) Antikörper (Morbus Basedow) selten: vorübergehend bei Thyreoiditis oder bei Übertherapie einer Unterfunktion

49.4.2.2 Symptome Herzklopfen, Tachykardie, Hypertonie Unruhe und Nervosität feinschlägiger Tremor Neigung zum Schwitzen Haarausfall ungewollte Gewichtsabnahme bei Morbus Basedow: ▶ Struma, hervortretende Augäpfel („Exophthalmus“)

Merke Hyperthyreose = Hochtouren Bei der Hyperthyreose läuft der Körper auf „Hochtouren“.

49.4.2.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Bei einer plötzlichen, starken Freisetzung von Schilddrüsenhormonen, u.a. durch jodhaltige Kontrastmittel, kommt es zu starker Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Durchfall, Erbrechen und Fieber. Eine solche thyreotoxische Krise kann tödlich enden. Deshalb müssen bei jedem Patienten vor der Gabe von jodhaltigem Kontrastmittel die Schilddrüsenwerte kontrolliert werden.

49.4.2.4 Therapie Orale Thyreostatika (z.B. Carbimazol) blockieren die Hormonproduktion der Schilddrüse. Betablocker gegen die kardialen Symptome Radiojodtherapie: Durch radioaktives Jod werden Schilddrüsenzellen zerstört. operative Teilentfernung der Schilddrüse

49.4.2.5 Pflege Beobachtung: Vitalparameter erfassen: Tachykardie? Hypertonie? Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Obstipationsprophylaxe: bei Neigung zur Obstipation Mobilisation und Körperpflege: Unterstützung individuell nach Belastungsgrenze Hektik vermeiden Augenpflege (künstliche Tränenflüssigkeit, entzündungshemmende Augentropfen) koffeinhaltige Getränke meiden

nach intravenöser Kontrastmittelgabe auf Fieber, Tachykardie und Herzrhythmusstörungen achten (thyreotoxische Krise!)

49.4.3 Struma Definition Struma Vergrößerung der Schilddrüse. Die Stoffwechsellage kann hypothyreot, hyperthyreot oder normal sein.

49.4.3.1 Ursachen Am häufigsten vergrößert sich die Schilddrüse im Rahmen eines Jodmangels. Die Schilddrüse versucht in dieser Situation, die Unterversorgung durch Größenzunahme zu kompensieren. Gelingt ihr das, ist die Stoffwechsellage normal. Man spricht von einer euthyreoten Struma. Weitere Ursachen sind z.B. Schilddrüsentumoren, Morbus Basedow (hyperthyreot) oder eine Thyreoiditis (meistens hypothyreot).

49.4.3.2 Symptome Zunächst oft keine Beschwerden. Später dann Schluckstörungen, Fremdkörpergefühl und Luftnot.

49.4.3.3 Diagnostik Blutuntersuchung (TSH, T3, T4) Schilddrüsensonografie Schilddrüsenszintigrafie (kann hormonproduzierende von nichthormonproduzierenden Bereichen abgrenzen)

49.4.3.4 Therapie

Behandlung der jeweiligen Ursache, z.B. Jod-Applikation ggf. Operation (z.B. bei Knotenstruma mit „autonomen“ hormonproduzierenden Knoten oder bei Schilddrüsenkarzinom)

49.4.3.5 Pflege Postoperative Pflege nach Strumaresektion: 45°-Oberkörperhochlage (Wundsekret kann besser ablaufen) regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter Beobachtung hinsichtlich Luftnot (Stridor?) Überprüfung der Stimmfähigkeit (Beeinträchtigung bei Lähmung des „Stimmbandnervs“ N. laryngeus recurrens durch intraoperative Verletzung, Wundödem oder Nachblutung). Dafür sollte der Patient „K“-Laute (z.B. „Coca-Cola“) aussprechen. Ist der Nerv beschädigt, erlischt diese Fähigkeit. ggf. Hilfe beim Trinken (Aspirationsgefahr) auf Nachblutungen achten (Stridor, Dyspnoe, Zunahme des Halsumfangs bei Blutungen nach innen; rasche Füllung der Redonflasche und durchgebluteter Verband bei Nachblutungen nach außen) auf Zeichen eines Hypoparathyreoidismus (hypokalzämische Tetanie) durch intraoperative Schädigung der Nebenschilddrüsen achten (z.B. Nervosität, Muskelzuckungen im Gesicht, tetanische Krämpfe mit Pfötchenstellung, Angstgefühl)

KOMPAKT Erkrankungen der Schilddrüse

Hypothyreose (Schilddrüsenhormonmangel): Ursache oft Thyreoiditis, seltener OP; Symptome: trockene Haut, Müdigkeit, Patienten frieren Hyperthyreose (Schilddrüsenhormonüberschuss): Ursache oft Adenom oder schilddrüsenaktivierende Antikörper (Morbus Basedow); Symptome: Herzklopfen, Tachykardie, Unruhe, Patienten schwitzen Struma: häufigste Ursache: Jodmangel Pflege nach Strumaresektion: Achtung: eingeschränkte Stimmfähigkeit (Rekurrens-Schädigung?); Tetanie (Hypoparathyreoidismus?); Stridor, Luftnot (Nachblutung?)

49.5 Erkrankungen der Nebennieren 49.5.1 Morbus Cushing Definition Morbus Cushing Das Cushing-Syndrom ist durch eine zu hohe Kortisolkonzentration charakterisiert. Diese kann unterschiedliche Ursachen haben.

49.5.1.1 Ursachen und Diagnostik exogenes Cushing (z.B. durch Langzeitbehandlung mit Glukokortikoiden) ist häufig, Diagnostik durch Medikamentenanamnese endogenes Cushing (durch erhöhte Produktion von Kortison oder ACTH) ist selten, Diagnostik:

Dexamethasonhemmtest, Bestimmung von Kortison/ACTH im Blut

49.5.1.2 Symptome Umverteilung der Fette: Vollmondgesicht, Stiernacken, Stammfettsucht, Adipositas Stoffwechsel: Muskelschwund, ▶ Diabetes mellitus Typ 3 Herz-Kreislauf: ▶ Hypertonie, ▶ Tachykardie sonstige: Wundheilungsstörungen, Striae rubrae (Dehnungsstreifen), Zyklusstörungen bei Frauen u.a.

49.5.1.3 Therapie und Pflege Je nach Ursache: Bei hormonproduzierenden Tumoren kommt eine OP in Betracht, manchmal genügt das Absetzen von Glukokortikoiden. In einigen Fällen kann ein Therapieversuch mit Somatostatin begonnen werden. Pflege: Vitalzeichen kontrollieren, Blutdruck und Gewicht regelmäßig dokumentieren, salzarme, aber kaliumreiche Kost, gründliche Hautpflege

49.5.2 Morbus Addison Definition Morbus Addison Bezeichnet eine zu geringe Konzentration von Kortikoiden (u.a. Kortison) im Blut. Diese wird beim Morbus Addison durch eine Unterfunktion der Nebennierenrinde (NNR) hervorgerufen.

Merke Merkhilfe: Cushing vs. Addison

zu viel Cortison = Cushing zu wenig Cortison (A, wie Apnoe, Asystolie) = Addison

49.5.2.1 Ursachen und Symptome Beim Morbus Addison liegt die Ursache in einer Unterfunktion der Nebennierenrinde (NNR). Diese kann hervorgerufen sein durch Tumore, Infektionen oder autoimmunologische Prozesse. Davon abzugrenzen ist die sekundäre Unterfunktion der Nebennierenrinde (NNR), die durch Tumore, Infektionen oder Traumata der Hypophyse hervorgerufen wird. Es resultiert eine verminderte Ausschüttung von ACTH, aus der ebenfalls eine verminderte Konzentration an Kortikoiden im Blut resultiert. Bei beiden Formen zeigen sich folgende Symptome: ▶ Hypotonie ▶ Dehydratation Hyperpigmentierung Verlust der Schambehaarung Verlust der Libido Appetitmangel/Übelkeit Müdigkeit/Leistungsabfall

49.5.2.2 Therapie und Pflege Da die Ursache der Erkrankung meist nur unzureichend bekannt ist, ist eine Therapie häufig schwierig. Deshalb sind die Betroffenen meist auf die lebenslange Einnahme von Hydrokortison angewiesen. Wichtig: Wird der Körper vermehrt belastet (z.B. durch Infektionen oder Sport), benötigt er mehr Glukokortikoide. Entsprechend muss die Dosierung in diesen Situationen angepasst werden.

50 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Blut- und Immunsystems 50.1 Anatomie und Physiologie

50.1.1 Aufgaben und Zusammensetzung des Blutes Das Blutvolumen eines Erwachsenen beträgt 6–8 % seines Körpergewichts. Damit verfügt ein erwachsener Mensch über ca. 4–6 l Blut. Dieses besteht zu 55 % aus Flüssigkeit (Blutplasma) und zu 45 % aus Blutzellen ( ▶ Abb. 50.1). Neben dem reinen Transport von Stoffen (Atemgase, Nährstoffe, Hormone u.a.) erfüllt das Blut Funktionen im Bereich der Blutgerinnung (u.a. Thrombozyten) und Immunabwehr (u.a. Leukozyten). Bestandteile des Blutes. Abb. 50.1 Immerhin ca. 45 % des Bluts bestehen aus zellulären Bestandteilen – v.a. Erythrozyten. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

50.1.1.1 Blutplasma Blut ohne Blutzellen wird als Blutplasma bezeichnet. Es besteht zu 90 % aus Wasser. Die restlichen 10 % bestehen v.a. aus Eiweißen (Plasmaproteine): Albumin: Es ist hauptverantwortlich für den „kolloidosmotischen Druck“. Dieser übt auf die

intravasale Flüssigkeit einen Sog aus und verhindert so ihren Übertritt ins Gewebe. Globuline: Die meisten Alpha- und Beta-Globuline haben Aufgaben beim Stofftransport oder im Gerinnungssystem. Gamma-Globuline haben als Immunglobuline (Antikörper) eine wichtige Aufgabe im Immunsystem.

50.1.1.2 Blutzellen Der Anteil zellulärer Bestandteile wird in der Labormedizin als Hämatokrit bezeichnet. Er liegt im Normalfall bei etwa 45 % und kann z.B. durch Veränderungen im Flüssigkeitshaushalt (z.B. Exsikkose) variieren. Es gibt 3 verschiedene Arten von Blutzellen: Erythrozyten (rote Blutkörperchen): Sie machen 99 % der Blutzellen aus. Aufgabe: Transport von Sauerstoff (und eines Teils des peripher anfallenden Kohlenstoffdioxids) mittels des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Der Anteil des mit Sauerstoff beladenen Hämoglobins wird als Sauerstoffsättigung bezeichnet und kann z.B. mittels Pulsoxymetrie gemessen werden. Sie beträgt im Normalfall 95–100 %. Größe: im Vergleich zu Leukozyten sehr klein (7 µm), verformbar und im reifen Stadium kernlos Antigene: Erythrozyten tragen an ihrer Oberfläche Antigene, die die Blutgruppen repräsentieren. Die wichtigsten Blutgruppenantigene sind A und B. Die Kombination dieser Faktoren entscheidet darüber, welches Blut einem Empfänger transfundiert werden kann ( ▶ Tab. 50.1 ). Ein weiteres wichtiges Blutgruppenantigen ist der Rhesusfaktor (D). Tab. 50.1 Blutgruppen(un)verträglichkeit bei Transfusionen.

Blutgruppe

Antigen

kann Erythrozyten empfangen von

kann Plasmaspende empfangen von

A

A

A und 0

A und AB

B

B

B und 0

B und AB

AB

A und B

A, B, AB und 0

AB

0

weder A noch B

nur 0

A, B, AB und 0

Leukozyten (weiße Blutkörperchen): Aufgabe: Immunabwehr prozentual gesehen relativ kleiner Anteil am Gesamtblutvolumen können die Blutbahn verlassen (sog. Diapedese) und halten sich hauptsächlich in den lymphatischen Organen auf Untergruppen: Granulozyten Monozyten (im Gewebe: Makrophagen und dendritische Zellen) Lymphozyten Thrombozyten (Blutplättchen): Aufgabe: Blutstillung sind wie die Erythrozyten kernlos, besitzen aber Mitochondrien und andere Zellorganellen

50.1.2 Bildung und Abbau der Blutzellen Beim erwachsenen Menschen findet die Blutbildung (Hämatopoese) ausschließlich im roten Knochenmark statt. Dieses befindet sich neben den langen Röhrenknochen (z.B. Femur) auch in den sog. platten Knochen (z.B. Becken und Wirbelkörper). Möchte man das Knochenmark untersuchen (z.B. im Rahmen der Leukämiediagnostik), kann

besonders im Bereich des Beckenknochens rotes Knochenmark entnommen und unter dem Mikroskop betrachtet werden. Der menschliche Embryo/Fetus bildet außerdem Blut in der Leber, der Milz und im Dottersack. Alle Blutzellen stammen von einer einzigen pluripotenten Stammzelle ab ( ▶ Abb. 50.2). Nachdem sich diese geteilt hat, entwickelt sich aus der Tochterzelle eine Vorläuferzelle (Progenitorzelle). Es werden zwei Progenitorzellen unterschieden: myeloische Vorläuferzelle: Aus ihr entwickeln sich Erythroyzten, Thrombozyten, Monozyten und Granulozyten. lymphatische Vorläuferzelle: Aus ihr entwickeln sich Lymphozyten. Blutbildung (Hämatopoese). Abb. 50.2 Alle Blutzellen stammen von einer Stammzelle ab. Im ersten Schritt differenzieren sich die Blutzellen entweder auf dem myeloischen oder dem lymphatischen Entwicklungspfad. (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

50.1.2.1 Entwicklung und Abbau der Erythrozyten Ihre Bildung findet komplett im Knochenmark statt. Die direkte Vorstufe der Erythrozyten sind die Retikulozyten. Ihre Anzahl im peripheren Blut bietet einen Anhalt über das aktuelle Tempo der Blutbildung. Die Reifung von der myeloischen Stammzelle bis zum fertigen Erythrozyten (Erythropoese) dauert 5–7 Tage. Nach 120 Tagen Lebensdauer werden Erythrozyten in Milz, Leber und Knochenmark (zusammengefasst als „retikuloendotheliales-System“ bzw. RES) abgebaut.

50.1.2.2 Entwicklung und Abbau der Leukozyten Mit Ausnahme der T-Lymphozyten läuft die Leukozytenentwicklung komplett im Knochenmark ab. TLymphozyten verlassen bereits in einem unreifen Stadium das Knochenmark und beenden ihre Entwicklung im

Thymus. B-Lymphozyten verlassen nach ihrer Entwicklung das Knochenmark und warten im Lymphknoten auf ihren Einsatz als Mittel der spezifischen Immunabwehr. Der Abbau der Leukozyten erfolgt sehr unterschiedlich. Granulozyten werden z.B. im Rahmen entzündlicher Prozesse in Form von Eiter abgebaut. Lymphozyten können mehrere Jahre überleben und werden nach ihrem Tod von Makrophagen phagozytiert.

50.1.2.3 Entwicklung und Abbau von Thrombozyten Thrombozyten (Blutplättchen) entwickeln sich aus Megakaryozyten. Sie sind die größten Zellen des Knochenmarks und unter dem Mikroskop gut zu erkennen. Thrombozyten entstehen aus Abschnürungen des Megakaryozyten und sind damit im Prinzip Zellbruchstücke. Sie werden, sofern sie nicht in der Blutstillung verbraucht werden, in der Milz abgebaut.

50.1.3 Aufbau und Funktion des Immunsystems Die Körperabwehr gliedert sich in innere und äußere Bestandteile. Zur äußeren Abwehr gehören neben den chemischen Schutzmechanismen der Haut auch noch das Flimmerepithel des Respirationstrakts oder der Spüleffekt des Urins. Diese Mechanismen stellen für Krankheitserreger eine erste Barriere dar. Gelangt ein Erreger dennoch in den Körper, greifen die Mechanismen des Immunsystems. Dieses gliedert sich in humorale (z.B. Antikörper) und zelluläre Bestandteile (z.B. Granulozyten, Lymphozyten). Zudem kann ein angeborener bzw. unspezifischer von einem erworbenen bzw. spezifischen Anteil unterschieden werden.

50.1.3.1 Unspezifische bzw. allgemeine Abwehr

Dieser Teil des Immunsystems fungiert im Körper als „schnelle Eingreiftruppe“. Zusätzlich sorgt er dafür, dass Zellen der spezifischen Abwehr an ihren korrekten Einsatzort gelangen. Zu den Zellen der allgemeinen Abwehr gehören Granulozyten, Monozyten/Makrophagen, Mastzellen und dendritische Zellen. Sie dienen neben der Phagozytose von Krankheitserregern auch der späteren Präsentation von Krankheitsantigenen. Konkret erfüllen sie folgende Funktion:

Granulozyten sind die häufigsten Leukozyten. sind für einen ersten, unspezifischen Angriff gegen Krankheitserreger verantwortlich und locken gleichzeitig weitere Immunzellen an den Ort der Infektion. Dieser Prozess wird als Chemotaxis bezeichnet. besitzen die Fähigkeit zur Phagozytose von Krankheitserregern. Gehen hierbei viele Granulozyten zugrunde, entsteht Eiter. lassen sich anhand ihres laborchemischen Färbeverhaltens in neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten unterteilen.

Monozyten/Makrophagen besitzen ebenfalls die Fähigkeit zur Phagozytose. stellen Informationen über phagozytierte Krankheitserreger auf ihrer Oberfläche „zur Schau“. Dieser Prozess wird als Antigenpräsentation bezeichnet und ist Voraussetzung für die spezifische Immunabwehr.

Mastzellen

befinden sich meist im Bindegewebe und schütten bei Allergie und Entzündung bestimmte Stoffe (z.B. Histamin) aus.

Dendritische Zellen befinden sich nur im Gewebe und haben oft Eigennamen (z.B. Kupffer-Sternzellen der Leber oder LangerhansZellen der Haut). besitzen die Fähigkeit zur Phagozytose und wandern mit den dadurch erhaltenen Informationen in Richtung Lymphknoten. Dort dienen sie der Antigenpräsentation.

50.1.3.2 Spezifische bzw. erworbene Abwehr Dieser Teil des Immunsystems muss erst „passende Waffen“ gegen Krankheitserreger herstellen. Die dafür nötigen Informationen erhält er über den Prozess der Antigenpräsentation durch Zellen der allgemeinen Abwehr. Dieser Prozess dauert bis zu 7 Tage und damit wesentlich länger als die Reaktion der allgemeinen Abwehr. Da die spezifische Abwehr jedoch über ein Gedächtnis verfügt, kann der Körper bei einem Zweitkontakt deutlich schneller reagieren. Zur spezifischen Abwehr gehören: Lymphozyten: sind verantwortlich für die spezifische Immunabwehr. Je nachdem ob sie in Thymus oder Knochenmark (engl: bone) geprägt werden, bezeichnet man sie als T- oder B-Lymphozyten. Sie haben unterschiedliche Aufgaben, arbeiten jedoch im Rahmen der Immunreaktion zusammen: T-Lymphozyten reagieren auf die von dendritischen Zellen präsentierten Antigene. Sie aktivieren BLymphozyten zur Produktion von Antikörpern und veranlassen Makrophagen, zellschädigende Substanzen freizusetzen. Gleichzeitig zerstören sie von Viren befallene Zellen.

B-Lymphozyten binden passende Krankheitsantigene und präsentieren diese auf ihrer Oberfläche. T-Lymphozyten binden an diese Antigene und veranlassen dann über Zytokine den BLymphozyten zur Vermehrung und zur Umwandlung in eine Plasmazelle, die spezifische Antikörper produziert. Einige Plasmazellen überleben als Gedächtniszellen mehrere Jahre. Bei erneutem Kontakt mit dem gleichen Krankheitserreger können sie schnell mit der Antikörperproduktion beginnen. Antikörper: haben molekularbiologisch eine Y-Form. Über die beiden „Y-Arme“ binden sie an zu ihnen passenden Krankheitsantigenen und markieren so die damit verbundenen Erreger. Gleichzeitig bindet der Antikörper mit seinem „Stiel“ an Makrophagen und führt damit zu einer schnelleren Phagozytose.

50.1.4 Lymphatische Organe primär lymphatische Organe: Hier bilden sich die Immunzellen. Im Knochenmark entwickeln sich z.B. die B-Lymphozyten. Im Thymus entstehen die TLymphozyten. Der Thymus liegt hinter dem Sternum im Bereich des oberen Mediastinums. Das Organ vergrößert sich bis zur Pubertät und verfettet dann zunehmend (Thymusinvolution). sekundär lymphatische Organe: Der „Wohnort“ der Immunzellen. Hier treffen sie auf Krankheitsantigene und werden aktiviert. Zu den sekundär lymphatischen Organen zählen: Lymphknoten: Sie haben als Kontrollstationen die Aufgabe, Krankheitserreger aus der Lymphflüssigkeit zu filtern und den Kontakt zwischen Krankheitsantigenen und Lymphozyten zu ermöglichen. Bei bösartigen Tumoren können sich

hier auch Krebszellen ansiedeln. Ist beim ▶ Mammakarzinom der erste Lymphknoten im Lymphabflussgebiet eines Organs von Tumorzellen befallen („Wächterlymphknoten“), hat der Krebs bereits lymphogen metastasiert. Milz: Sie liegt im linken Oberbauch, direkt unter dem Zwerchfell, und ist von einer dicken, bindegewebsartigen Kapsel umgeben. Neben der Speicherung von Immunzellen (v.a. Lymphozyten und Monozyten) ist sie das entscheidende Organ für den Abbau von Erythrozyten und Thrombozyten. Aus diesem Grund ist sie sehr gut durchblutet.

Merke Milzruptur Kommt es im Rahmen eines Oberbauchtraumas zu Milzeinrissen, können große Blutmengen verloren gehen (Milzruptur). Eine Milzruptur kann auch noch mehrere Tage nach dem eigentlichen Unfallereignis auftreten. Aus diesem Grund sollten Patienten mit Verletzungen der Milz über mehrere Tage stationär überwacht werden. MALT (mucosa-associated lymphatic tissue): MALT bezeichnet das lymphatische Gewebe im Bereich der Mandeln, des Darms, der Bronchien und des Harn-/Geschlechtstrakts. Das Gewebe soll Krankheitserreger abfangen, die von außen in den Körper gelangen.

50.1.5 Impfungen Durch eine Impfung wird die spezifische Immunabwehr in die Lage versetzt, beim Kontakt mit Krankheitserregern

rasch auf die Attacke zu reagieren. Neben dem Schutz des Individuums haben Impfungen auch eine gesellschaftliche Aufgabe, da sie der Ausbreitung von Krankheiten vorbeugen. Gegen welche Erkrankungen geimpft werden soll, empfiehlt die Ständige Impfkommission (kurz: STIKO). Der so entstandene „Impfkalender“ kann unter www.rki.de (Robert Koch-Institut) heruntergeladen werden. Es werden 2 Impfverfahren unterschieden: aktive Immunisierung: Meist wird dem Körper durch die Injektion von abgeschwächten oder abgetöteten Erregern/Erregerbestandteilen eine Infektion vorgegaukelt. Dieser reagiert über die Aktivierung von Lymphozyten mit der Produktion von Antikörpern und Plasmazellen. Durch das so entstehende Immungedächtnis wird der Körper bei realem Erregerkontakt vor einer Infektion geschützt. Im Zuge der ▶ Corona-Pandemie haben mRNAImpfstoffe Einzug gehalten. Sie enthalten lediglich den genetischen Bauplan (mRNA) für bestimmte, nicht krankmachende Virusbestandteile, nicht aber das fertige Virus. Nach der Injektion wird die mRNA in Körperzellen eingeschleust. Diese beginnen mit der Produktion von nicht krankmachenden Virusbestandteilen. Die darauffolgende Immunantwort ist mit der zuvor genannten Reaktion auf abgetötete Erreger identisch. Vektor-Impfstoffe sind im Rahmen der CoronaPandemie ebenfalls entstanden. Diese enthalten für den Menschen unbedenkliche Viren, welche genau wie mRNA-Impfstoffe die RNA bestimmter Viruspartikel des SARS-COV-2-Virus enthalten. Diese Partikel gelangen durch Penetration des Vektorvirus in die menschliche Zelle und lösen daraufhin die bereits von den mRNA-Impfstoffen bekannte Immunreaktion aus.

passive Immunisierung: Bei der passiven Immunisierung werden dem Patienten fertige Antikörper injiziert. Hierdurch tritt ein sofortiger Impfschutz ein. Der Nachteil ist die teilweise kurze Überlebensdauer der injizierten Antikörper. Bereits nach einigen Tagen lässt der Impfschutz nach. Eine passive Immunisierung wird daher nur nach direktem Kontakt mit einem Erreger zur Infektionsprophylaxe verwendet. Werden aktive und passive Immunisierung gleichzeitig appliziert, spricht man von einer Simultanimpfung. Simultanimpfungen werden z.B. verwendet, wenn ein nicht ausreichend geimpfter Patient mit Tetanuserregern in Kontakt gekommen sein könnte.

50.2 Pflegebasismaßnahmen ▶ Wahrnehmen und Beobachten. Die pflegerischen Aspekte bei Patienten mit Erkrankungen des Blut- und Immunsystems, ergeben sich primär aus der Beobachtung typischer Symptome einer gestörten Immun- und/oder Gerinnungssituation: Ein blasses Hautkolorit kann Zeichen einer Anämie sein. Kleine, punktförmige Einblutungen (Petechien) können Zeichen einer gestörten Gerinnung sein und kommen z.B. bei bestimmten Leukämien vor. Spontan auftretende Hämatome finden sich ebenfalls bei bestimmten Leukämieformen und können starke Schmerzen verursachen. Pilzinfektionen (besonders im Bereich der Leisten) können Zeichen einer gestörten Immunsituation sein und sollten daher rasch behandelt werden. Körperpflege und Bekleidung

Mundpflege möglichst atraumatisch mit weichen Zahnbürsten Nachtschweiß gehört zur typischen Symptomatik bestimmter hämatoonkologischer Erkrankungen. Daher sollten ggf. täglich Bett- und Nachtwäsche gewechselt werden. Hämatoonkologische Patienten leiden häufig an ▶ chronischer Müdigkeit und benötigen daher ggf. mehr Unterstützung bei der Körperpflege. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Aufklärung über die Relevanz regelmäßiger Laborkontrollen und enger Anbindung an einen entsprechenden Facharzt Fieber als mögliches Erstsymptom von (lebensbedrohlicher) Infektionen erkennen

50.3 Mitwirken bei der Diagnostik 50.3.1 Blutuntersuchung kleines Blutbild: Bestimmung von Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten, Hämoglobin und ▶ Hämatokrit. Hieraus werden berechnet: mittlerer HbGehalt/Ery (MCH), mittleres Ery-Volumen (MCV) und mittlere Hb-Konzentration der Erys (MCHC). Das kleine Blutbild gehört praktisch zu jedem Aufnahmelabor. großes Blutbild: Neben den Parametern des kleinen Blutbilds zusätzlich Analyse bezüglich der Unterformen der Leukozyten (z.B. Lymphozyten, Granulozyten etc.). Neben entzündlichen Erkrankungen spielt das große

Blutbild in der Leukämiediagnostik eine entscheidende Rolle. Serologie: Bestimmung von spezifischen Antikörpern. Auf Basis einer Hepatitisserologie klärt der Arzt z.B., ob ein Patient an einer viralen Hepatitis erkrankt ist.

50.3.2 Knochenmarkspunktion Neben Störungen der Blutbildung gehört die Abklärung von Leukämien zu den wichtigsten Indikationen einer Knochenmarkspunktion. Knochenmark wird meist über eine dicke Kanüle aus dem Beckenkamm entnommen (siehe Kap. ▶ 26).

50.3.3 Lymphknotenbiopsie Besteht eine Lymphknotenschwellung über längere Zeit und ist der Lymphknoten nicht schmerzhaft oder mit umgebendem Gewebe verbacken, kann ein malignes Lymphom die Ursache sein. Um diese Diagnose weiter abzuklären, muss der Lymphknoten unter dem Mikroskop untersucht werden. Früher hat man den Lymphknoten hierzu biopsiert. Heute weiß man, dass das Risiko einer Tumorzellverschleppung hierbei recht groß ist. Aus diesem Grund wird ein Lymphknoten heute nicht mehr biopsiert, sondern gleich im Ganzen entfernt (Lymphknotenexstirpation).

50.3.4 Allergietests Bestimmung des Immunglobulins E (kurz IgE): Bei einer Allergie produziert der Körper spezifische Antikörper (IgE) gegen das auslösende Allergen. Diese Antikörper können im Blut bestimmt werden. Erhöhte Werte weisen auf eine Allergie hin.

Pricktest: Hierbei werden bis zu 12 potenziell allergen wirkende Stoffe auf die Haut des Patienten geträufelt. Anschließend sticht der Arzt diese mit einer Lanzette in die Oberhaut ein. Reagiert der Patient auf eine Substanz allergisch, kommt es an der Einstichstelle zur Quaddelbildung. Im schlimmsten Fall entwickelt der Patient einen ▶ anaphylaktischen Schock. Deshalb sollte der Patient genau beobachtet werden (Tachykardie? Hypotonie? Dyspnoe?). Provokationstests: Bei einem Provokationstest nimmt der Patient das mutmaßliche Allergen unter ärztlicher Aufsicht auf (z.B. Bienenstich bei Bienengiftallergie). Reagiert er allergisch, kommt es zu Symptomen. Die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks ist hoch.

50.4 Erkrankungen der Erythrozyten 50.4.1 Anämie Definition Anämie Von einer Anämie spricht man bei Verminderung des Hämoglobinoder Hämatokritwerts: Hämoglobin: < 13 g/dl für Männer bzw. < 12 g/dl für Frauen Hämatokrit: < 42 % für Männer bzw. < 38 % für Frauen

50.4.1.1 Ursachen Bildungsstörung: Leukämien, Mangel an Eisen (häufig!), Folsäure oder Vitamin B12

erhöhter Abbau: angeborene Enzymstörungen (z.B. Thalassämie), Nebenwirkung bestimmter Medikamente Blutverluste (akut oder chronisch): Die häufigste Ursache einer chronischen Blutungsanämie beim alten Menschen ist das Kolonkarzinom. Verteilungsstörung: bei stark vergrößerter Milz (sog. Hyperspleniesyndrom) Eisenmangel: durch mangelhafte Ernährung oder hohen Eisenverbrauch

50.4.1.2 Symptome Blässe Müdigkeit, Konzentrationsschwäche Schwindel Kopfschmerzen Tachykardie und Hypotonie ggf. Längsrillen in Nägel, Mundrhagaden, ▶ Ikterus

Merke Tachykardie bei Blutverlust Bei der akuten Blutungsanämie ist die regelmäßige Pulsmessung besonders wichtig. Bevor es bei einer Blutung zu einem messbaren Abfall der Hämoglobinkonzentration kommt, reagiert der Patient mit einer Tachykardie.

50.4.1.3 Diagnostik Eine erste Eingrenzung der Ursache erfolgt durch die Bestimmung von MCV und MCH: MCV und MCH erniedrigt (mikrozytäre, hypochrome Anämie): Die Ursache ist meist eine Eisenmangelanämie

(oft durch chronische Blutverluste). Weiterführend sollte eine Gastro-/Koloskopie erfolgen (gastrointestinale Blutung?). MCV und MCH normal (normozytäre, normochrome Anämie): Dahinter steckt oft eine akute Blutung. Alternativ kommen angeborene Enzymdefekte der Erythrozyten als Ursache in Betracht. Es sollte nach einer Blutung gesucht werden (Anamnese? Gastro-/Koloskopie?) und mögliche Enzymdefekte anhand von Genuntersuchungen abgeklärt werden. MCV und MCH erhöht (sog. makrozytäre, hyperchrome Anämie): Die Ursache ist meist ein Mangel an Folsäure oder Vitamin B12. Diagnose: Vitaminbestimmung und Suche nach der Ursache, evtl. Mangel (Unterernährung? Aufnahmestörung, z.B. bei „perniziöser Anämie“?).

50.4.1.4 Therapie Die Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung. Mit der ▶ Gabe von Erythrozytenkonzentraten ist man mittlerweile sehr zurückhaltend geworden. Die Richtwerte für die Verabreichung einer Transfusion wurden gesenkt. Die aktuelle Leitlinie der Bundesärztekammer (Stand: 2020) empfiehlt eine Transfusion bei einem Hämoglobinwert < 7 g/dl, wenn gleichzeitig physiologische Triggerfaktoren (z.B. Tachykardie, Dyspnoe) vorliegen. Liegt der Anämie ein Mangel an Eisen oder Vitaminen zugrunde, werden diese verabreicht, um die Blutbildung anzukurbeln.

50.4.1.5 Pflege Beobachtung: Haut: blasses Hautkolorit als Zeichen einer Anämie

Ausscheidung: Stuhl kann sich bei der Einnahme von Eisenpräparaten anthrazitfarben verfärben (Achtung: Verwechslung mit Teerstuhl bei gastrointestinaler Blutung möglich!). Ernährung: auf ausreichende Zufuhr von Eisen, Folsäure und Vitamin B12 achten Prophylaxen: bedarfsgerecht, Sturzprophylaxe (durch Schwindel Kollapsgefahr!) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Bei der Einnahme von Eisen ist auf Folgendes zu achten: Eisentabletten 1–2 h vor der Mahlzeit auf nüchternen Magen einnehmen. Tabletten müssen ca. 6 Wochen lang eingenommen werden. Stuhlgang kann sich anthrazitfarben verfärben. Mögliche Nebenwirkungen sind Obstipation und Übelkeit. Unterstützt werden kann die Therapie durch den Verzehr besonders eisenhaltiger Nahrungsmittel, wie Leber- bzw. Blutwurst, Kürbiskerne oder Hülsenfrüchte (z.B. Linsen).

KOMPAKT Anämie Verminderung des Hämoglobin- oder Hämatokritwerts unter die Norm Ursache: oft eine akute oder chronische Blutung in Verbindung mit Eisenmangel Symptome: Blässe, Tachykardie, Hypotonie und Schwindel

Therapie: zugrunde liegende Erkrankung behandeln Pflege: auf Warnsignale bezüglich gastrointestinaler Blutungen achten

50.5 Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems 50.5.1 Allgemeine Grundlagen Die Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems sind sehr vielfältig. Meist handelt es sich um hämatoonkologische Erkrankungen, die von der Medizin seit Jahrzehnten bezüglich Ursachen, Klassifikation und Therapie intensiv erforscht werden. Für die pflegerische Versorgung betroffener Patienten reicht meistens folgende Einordnung: Leukämien: Krebserkrankung einer myeloischen oder lymphatischen Stammzelle im Knochenmark („Blutkrebs“) malignes Lymphom: Krebserkrankung von Lymphozyten im lymphatischen Gewebe bzw. in Lymphknoten („Lymphdrüsenkrebs“) myelodysplastisches Syndrom (kurz: MDS): spez. Vorstufe einer Leukämie

50.5.2 Leukämien Definition Leukämien

Krebserkrankung einer myeloischen oder lymphatischen Stammzelle im Knochenmark mit der unkontrollierten Vermehrung von unreifen Leukozyten. Die Ausreifung funktionsfähiger Blutzellen wird unterdrückt. Die Erkrankung kann akut (meist schwerer) oder chronisch (meist leichter) verlaufen. Geht eine chronische Leukämie in eine akute Form über, ist das oft lebensbedrohlich. Folgende Leukämieformen werden unterschieden: akute myeloische Leukämie (kurz: AML): 80 % im Erwachsenenalter akute lymphatische Leukämie (kurz: ALL): 80 % im Kindesalter chronisch myeloische Leukämie (kurz: CML) Die chronisch lymphatische Leukämie (kurz: CLL) wird nicht mehr zu den Leukämien gezählt, sondern zu den ▶ malignen Lymphomen.

50.5.2.1 Ursachen Verursacher der Leukämie sind chromosomal veränderte („entartete“) blutbildende Stammzellen im Knochenmark, die sich ungebremst vermehren, aber funktionsuntüchtig sind. Diese Veränderung kann angeboren sein oder durch ionisierende Strahlung (atomare Katastrophen, Röntgenstrahlung) bzw. Chemikalien (insbesondere Benzol) verursacht werden.

50.5.2.2 Symptome Die Symptome werden durch die Verdrängung gesunder blutbildender Zellen ausgelöst. Hieraus resultiert in erster Linie eine Anämie. Durch die Begriffe „akut“ und „chronisch“ wird zusätzlich unterschieden, ob es sich um einen schwerwiegenden (d.h., symptomreichen) oder um

einen leichteren (d.h., symptomarmen) Verlauf handelt. Folgende Symptome sind möglich: Anämie Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Fieber und Nachtschweiß (sog. „B-Symptomatik“) Anfälligkeit für bakterielle Infekte und Pilzinfektionen (Mangel an gesunden Immunzellen) spontane Blutungen (Mangel an Thrombozyten) Lymphknotenschwellung, Milz- und Lebervergrößerung

50.5.2.3 Diagnostik Typische Hinweise bei Blutabnahme: Anämie erhöhte oder erniedrigte Leukozytenzahlen atypische Blutzellen im Blutausstrich Gesichert wird die Diagnose durch den Nachweis vermehrt auftretender Blutvorläuferzellen (sog. Blasten) im Knochenmarkpunktat. Um das Therapiekonzept festlegen zu können, benötigt der Arzt in vielen Fällen zusätzlich noch eine Chromosomenanalyse der erkrankten Zellen.

50.5.2.4 Therapie Die Applikation einer ▶ Chemotherapie folgt strengen Studienprotokollen. Nach einer Intensivchemotherapie folgt anschließend meist für ein Jahr eine Erhaltungstherapie. Gegebenenfalls wird die Therapie von einer regelmäßigen Immunglobulingabe sowie von Transfusionen begleitet. In einigen Fällen ist eine Stammzelltransplantation nötig. Bei der Stammzelltransplantation wird versucht, die erkrankten Zellen aus dem Knochenmark des Patienten zu entfernen und durch gesunde Stammzellen zu ersetzen.

Der Therapieprozess beginnt mit der „Reinigung“ des Knochenmarks von bösartigen Zellen. Dieser Vorgang wird als Konditionierung bezeichnet und erfolgt über die hoch dosierte Gabe von Chemotherapeutika. Neben den eigentlichen Krebszellen werden durch die Chemotherapie auch gesunde Zellen im Knochenmark abgetötet. Aus diesem Grund fehlt dem Patienten während der Konditionierung ein funktionierendes Immunsystem. In der Folge können sonst banale Infekte lebensbedrohliche Verläufe nehmen. Pflegende sollten daher besonders hygienisch arbeiten, um den Patienten vor einer Infektion zu schützen. Die Verabreichung der „neuen“ gesunden Stammzellen kann auf 2 Wegen erreicht werden: allogene Stammzelltransplantation: Einem Spender wird über mehrere Tage ein Medikament verabreicht, das dafür sorgt, dass Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut wandern. Anschließend werden diese aus dem Blut des Spenders isoliert und dem Empfänger über eine Infusion verabreicht. Nach der Transplantation wandern die Stammzellen des Spenders automatisch in das Knochenmark des Empfängers ein und beginnen dort mit einer neuen, gesunden Blutbildung. Nach der Transplantation besteht die Gefahr der ▶ Abstoßung. Diese äußert sich z.B. durch juckende Hautausschläge, Übelkeit und Erbrechen sowie Laborwertveränderungen. autologe Stammzelltransplantation: Der Patient selbst erhält Medikamente, die Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut spülen. Diese werden anschließend über eine Blutentnahme entnommen und im Labor von bösartigen Zellen befreit. Die „gesunden“ Zellen werden dem Patienten über eine Infusion wieder verabreicht.

50.5.2.5 Pflege

Beachten Sie auch das Kap. ▶ 38 „Pflege von Menschen mit malignen Tumoren“. Beobachtung: Patienten besonders auf Symptome eines Infekts, einer Blutung und einer ▶ Anämie beobachten. Temperatur: Fieber? Haut- und Schleimhäute: Infektionszeichen (Schwellung, Schmerzen, Rötung)? Läsionen? Pilzinfektionen (z.B. in Hautfalten)? Einblutungen (Petechien)? Hämatome? Ausscheidungen: Blutbeimengungen? auf Symptome einer ▶ Transplantatabstoßung nach allogener Transplantation achten (z.B. juckender Ausschlag, Gastroenteritis, Übelkeit, Erbrechen, Ikterus) Mobilisation und Körperpflege: Unterstützung individuell je nach Belastungsgrenze Pausen einplanen, Hektik vermeiden keine Nassrasur: aufgrund erhöhter Blutungsgefahr sorgfältige Hautpflege, um Läsionen und Austrocknung zu vermeiden (Infektions-, Intertrigoprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17) Mundpflege mit antiseptischer Lösung: besonders während und nach Chemotherapie, um Infektionen vorzubeugen (Soor- und Parotitisprophylaxe) Intimpflege (Pilzinfektionen vorbeugen) Ernährung: keimarm, d.h., kein ungeschältes Obst/Gemüse, rohes Fleisch, rohe Eier, Nüsse, Frischmilch, Schimmelpilzprodukte

hygienischer Umgang mit Nahrungsmitteln: z.B. Kühlketten einhalten, Haltbarkeitsdatum einhalten, Obst/Gemüse gründlich waschen keine scharf gewürzten Speisen, um die Schleimhäute nicht zu reizen Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Sturzprophylaxe: aufgrund erhöhter Blutungsgefahr Hygiene: gründliche ▶ Händedesinfektion, ggf. Isolation (siehe Kap. ▶ 13), Kontakt mit Außenwelt minimieren, Schutzkleidung, ggf. Kontrollen zur Keimbesiedlung Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: über erhöhte Blutungs- und Infektionsgefahr und Maßnahmen zur Prophylaxe informieren (z.B. Händehygiene, Ernährungsempfehlungen, Hautpflege) über Erkrankung, Symptome und Verlauf informieren über Möglichkeiten einer Anschlussheilbehandlung informieren Impfstatus vom Hausarzt überprüfen lassen psychosoziale Begleitung: Gespräche anbieten Selbsthilfegruppen vermitteln Maßnahmen zur Linderung der psychischen Belastung (z.B. aufgrund von Isolation, Haarausfall, siehe Kap. ▶ 38.2)

Bei Kindern: emotionale Unterstützung besonders wichtig, feste Bezugspersonen im Pflegeteam zuweisen, Anwesenheit der Eltern ermöglichen, abwechslungsreiche Beschäftigung geben

KOMPAKT Leukämie Ursache: ungebremste Vermehrung chromosomal veränderter myeloischer oder lymphatischer Blut(stamm)zellen akut: meist schwerer Verlauf; chronisch: meist leichter Verlauf Symptome: Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Lymphknotenschwellung, spontane Infekte und Blutungen Therapie: meist entsprechend spezieller Studienprogramme, oft Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation Pflege: Komplikationen erkennen, Infektionen vermeiden, psychisch unterstützen, beraten und anleiten

50.5.3 Maligne Lymphome Definition Maligne Lymphome Maligne Lymphome sind Tumorerkrankungen des lymphatischen Systems. Ursache ist die Mutation einer lymphatischen Zelle mit nachfolgender rascher und unkontrollierter Vermehrung in den lymphatischen Organen (meist in den Lymphknoten). Man

unterscheidet schnell wachsende Formen (hochmaligne) von langsam wachsenden Formen (niedrigmaligne).

50.5.3.1 Ursachen Die eigentliche Ursache ist unbekannt. Gesichert ist jedoch, dass maligne Lymphome als Spätkomplikation nach Bestrahlung oder Exposition mit radioaktiven Substanzen entstehen können. Manchmal sind Infektionen der Auslöser. So erkranken beispielsweise AIDS-Patienten bis zu 1000-mal häufiger an malignen Lymphomen. Neben dem HIVirus gilt in vielen Studien auch das Ebstein-Barr-Virus (EBV) als potenzieller Lymphomverursacher.

50.5.3.2 Symptome Leitsymptom ist die schmerzlose, derbe Lymphknotenschwellung, meist im Halsbereich. Zusätzlich können auftreten: Milz- oder Lebervergrößerung schwerer verlaufende Infektionen ▶ B-Symptomatik

50.5.3.3 Diagnostik Gesichert wird die Diagnose durch eine histologische Untersuchung des befallenen Lymphknotens. Anschließend wird untersucht, wie weit sich die Erkrankung im Körper ausgebreitet hat. Zum ▶ Staging werden folgende Untersuchungen durchgeführt: Ultraschall des Bauchraums Computertomografie von Hals, Brust- und Bauchraum ggf. Knochenmarksbiopsie

50.5.3.4 Therapie

Bei hochmalignen Lymphomen spricht die Krankheit gut auf ▶ Chemotherapie an. Dies kann bei jungen Patienten zur Infertilität führen. Bei Kinderwunsch ist daher die Entnahme von Ei-/Samenzellen vor Therapiebeginn möglich. Eine Knochenmarkstransplantation kann die Erkrankung teilweise heilen. Niedrigmaligne Lymphome bleiben oft jahrelang symptomfrei und der Leidensdruck ist gering. Deswegen werden Lymphome erst therapiert, wenn sie Symptome verursachen – eine Therapie ist dann meist schwer. Neuere Forschungen bieten vielversprechende Ansätze im Bereich der Antikörpertherapie. Dabei werden speziell hergestellte Antikörper verabreicht, die die Lymphomzellen des Patienten angreifen und zerstören. Auch kommen Medikamente zum Einsatz, die den Krebs durch die Blockade bestimmter Wachstumsfaktoren hemmen. Trotz intensiver Bemühungen sind niedrigmaligne Lymphome jedoch oft nicht dauerhaft heilbar.

50.5.3.5 Pflege Zur Pflege bei malignen Lymphomen siehe Kap. ▶ 38 „Pflege von Patienten mit malignen Tumoren“.

KOMPAKT Malignes Lymphom Entstehung: maligne Entartung von Lymphozyten mit unkontrollierter Vermehrung in lymphatischen Organen Leitsymptom: derbe, schmerzlose Lymphknotenschwellung(en) Diagnostik: Untersuchung eines (vollständig entfernten) befallenen Lymphknotens

Therapie: kombinierte Strahlen- und Chemotherapie; evtl. Antikörpertherapie regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen (Zweittumoren!)

50.5.4 Myelodysplastisches Syndrom 50.5.4.1 Ursachen und Symptome Das myelodysplastische Syndrom (MDS) ist eine Funktionsstörung des Knochenmarks durch genetische Veränderung von Blutvorläuferzellen. Dadurch verliert der Körper die Fähigkeit, eine ausreichende Anzahl funktionierender Blutzellen zu produzieren. Folgen sind Anämie, Leukozytopenie und Thrombozytopenie. Betroffen sind v.a. ältere Menschen. In über 90 % der Fälle ist die Ursache unklar. Gesichert wird die Diagnose durch eine Knochenmarkspunktion.

50.5.4.2 Therapie und Pflege Die Therapie hängt von der Ausprägung der Erkrankung ab und geht von regelmäßigen Bluttransfusionen bis zur Stammzelltransplantation. Bleibt die Erkrankung stabil, kann der Patient mit ihr oftmals lange Zeit normal leben. In einigen Fällen wandelt sich die Erkrankung jedoch in eine Leukämie um. Es gelten dann die Prinzipien der Pflege und Therapie bei ▶ Leukämie.

50.6 Gerinnungsstörungen Gerinnungsstörungen zeigen sich entweder durch eine eingeschränkte oder überschießende Gerinnungssituation des Körpers. Hieraus ergeben sich folgende Erkrankungen.

50.6.1 Gesteigerte Blutungsneigung Erkrankungen mit eingeschränkter Gerinnung (= Blutungsneigung): Thrombozytopenien/Thrombozytopathien: Die Ursache liegt in einer gestörten Funktion der Blutplättchen. Diese kann genetisch (z.B. FanconiAnämie) oder durch Medikamente (z.B. Zytostatika) erworben sein. Koagulopathien: Die Ursache liegt in einer Störung von Gerinnungsfaktoren. Die häufigste Koagulopathie ist das Von-Willebrand-Jürgens Syndrom. Außerdem gehören Hämophilie A (gestörter Faktor VIII) und Hämophilie B (gestörter Faktor IX) in diese Gruppe. Vaskuläre hämorrhagische Diathesen: Die Ursache liegt in einer Gefäßerkrankung. Zur häufigsten vaskulären Diathese gehört die Langzeitnebenwirkung von Kortison mit den daraus entstehenden, flächigen Hämatomen. ▶ Pflegerische Schwerpunkte. Bei der Pflege von gerinnungsreduzierten Pflegeempfängern, auch therapiebedingt durch die Einnahme von Gerinnungshemmern wie Marcumar, sollte auf mögliche Blutungszeichen (Hämatome, Zahnfleischbluten u.a.) geachtet werden und der Patient diesbezüglich aufgeklärt und geschult werden. Dementsprechend müssen bei Kindern die Eltern angeleitet und beraten werden.

50.6.2 Gesteigerte Thromboseneigung (Thrombophilie) Häufig führt ein Mangel der Proteine C und S zu einer gesteigerten Thromboseneigung. Andere Ursachen sind

möglich, aber so selten, dass sie pflegerisch praktisch keine Rolle spielen.

50.7 Erkrankungen des Immunsystems Die Ursachen für Immundefekte sind vielfältig und reichen von Infektionen (z.B. HIV) über Blutbildungsstörungen (z.B. bei Leukämie) bis hin zu ärztlichen Maßnahmen (z.B. Chemotherapie oder Nebenwirkung einer Therapie mit Metamizol). Die Betroffenen leiden häufiger an Infektionen. Weil das Immunsystem auch für die Tumorbekämpfung zuständig ist, leiden sie zudem häufiger an Malignomen.

50.7.1 Allgemeine Grundlagen Immungeschwächte Patienten müssen auch vor solchen Krankheitserregern geschützt werden, die für Gesunde eher harmlos sind. Hygienerichtlinien gilt es daher streng einzuhalten. Therapeutisch sind verschiedene Maßnahmen denkbar. Ggf. ist die Verlegung in ein spezielles Immundefektzentrum zu erwägen. Zudem kann versucht werden, das Immunsystem durch gezielte Maßnahmen zu stärken, z.B.: regelmäßige Bewegung an der frischen Luft vitaminreiche, ausgewogene Ernährung mit viel Flüssigkeitszufuhr in Form von Tees oder Wasser Work-Life-Balance mit ausreichend Zeit für Ruhephasen Kneipp-Anwendungen (z.B. Wechselduschen) Saunagänge

50.7.2 HIV-Infektion und AIDS

Definition HIV und AIDS Das humane Immundefizienz-Virus (HIV) befällt eine spezielle Form der T-Lymphozyten (CD4-positive T-Lymphozyten) und verursacht so eine schwere Form der Immunschwäche. Die Erkrankung kann über viele Jahre asymptomatisch sein und begünstigt im weiteren Verlauf Infektionserkrankungen. Erst in diesem Stadium spricht man vom Vollbild AIDS (angeeignetes Immundefizienz-Syndrom). Weltweit sind etwa 40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert.

50.7.2.1 Ursachen Die Hauptübertragungswege des HI-Virus sind: (ungeschützter) sexueller Kontakt (homosexuell aktive Männer sind besonders betroffen) Blut-zu-Blut-Kontakt mit einem Infizierten (z.B. durch i.v.-Drogenmissbrauch, Nadelstichverletzungen, Transfusionen) Übertragung von der Mutter auf das ungeborene Kind Risikolos sind dagegen Körperkontakte im Rahmen des alltäglichen sozialen Miteinanders, gemeinsame Nutzung sanitärer Anlagen oder das Küssen erkrankter Personen.

50.7.2.2 Symptome und Verlauf Eine HIV-Infektion verläuft in mehreren Phasen ( ▶ Abb. 50.3): akute HIV-Krankheit (4–8 Wochen nach Infektion): Fieber, Lymphknotenvergrößerungen, Gliederschmerzen und Angina asymptomatische Latenzphase (etwa 10 Jahre, unter schlechten Lebensbedingungen oder bei Kindern auch

bedeutend kürzer): beschwerdefrei Steigt die HI-Viren-Zahl im Blut und sinkt die Zahl immunkompetenter Zellen, kommt es zu AIDSdefinierenden Erkrankungen (sog. opportunistische Infektionen). Hierzu zählen: Pilzinfektionen (z.B. Soor) maligne Lymphome Kraftlosigkeit und starke Gewichtsabnahme (Wasting-Syndrom) Lungentuberkulose Toxoplasmose bestimmte Formen der Pneumonie Verlauf der HIV-Infektion. Abb. 50.3  (Nach: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

50.7.2.3 Diagnostik Die Diagnostik erfolgt durch den Nachweis von HIV und Antikörpern gegen das Virus im Blut. Weil die Erkrankung

immer noch ein soziales Stigma darstellt, erfordert die Durchführung eines HIV-Tests das schriftliche Einverständnis des Patienten. HIV-Tests werden zur Erstdiagnostik und zur Verlaufsbeurteilung bei bestehender Behandlung eingesetzt. HIV-Tests zur Erstdiagnostik (Schnelltest): Hierbei wird ein kleiner Blutstropfen auf den Test gegeben. Befinden sich HIV-Antikörper im Blut, reagiert der Test positiv. Das Verfahren wird nur als Screening-Instrument verwendet und muss bei positivem Ergebnis durch einen zweiten Test bestätigt werden. Antikörpernachweis im Labor: Wie beim Schnelltest wird auch hier nicht das Virus selbst, sondern die durch den Körper produzierten Antikörper nachgewiesen. Anders als beim Schnelltest erfolgt die Bestimmung jedoch mit einem komplizierten Verfahren (sog. Western Blot). Hierdurch ist der Test wesentlich sensitiver als der Schnelltest und wird daher als Bestätigungstest verwendet. HIV-Tests zur Verlaufskontrolle (PCR-Test): Zur Verlaufskontrolle bei antiretroviraler Therapie wird per PCR-Diagnostik alle 3 Monate die Anzahl der Virus-RNAKopien im Blut des Patienten bestimmt.

50.7.2.4 Therapie Besteht der Verdacht, dass HI-Viren übertragen wurden, kann eine Postexpositionsprophylaxe versucht werden. Diese muss unmittelbar nach dem Ereignis erfolgen und besteht in der Einnahme einer antiretroviralen Medikation. Eine definitive Infektion mit HIV ist nicht heilbar. Durch die Entwicklung hochwirksamer Therapien ist bei frühzeitigem Therapiebeginn und konsequenter Einnahme jedoch eine annähernd normale Lebenserwartung möglich. Die Medikamente hemmen die Vermehrung des Virus innerhalb der Zellen und halten damit die Viruslast im Blut niedrig.

Weil das HI-Virus ein sog. Retrovirus ist, bezeichnet man die Therapie als hochaktive antiretrovirale Therapie (kurz: HAART oder ART). Die eingesetzten Substanzen werden so kombiniert, dass jeder Wirkstoff die Virusvermehrung an einem anderen Punkt hemmt. Zur Therapiekontrolle bestimmt der Arzt vierteljährlich die Anzahl der Virus-RNAKopien im Blut des Patienten und die Anzahl der THelferzellen (sog. CD4-positive T-Lymphozyten). Folgende Therapienebenwirkungen sind typisch: Übelkeit und Erbrechen Durchfälle erhöhte Blutfettwerte, Umverteilung des Körperfetts Nieren- und Leberschädigungen erhöhte Blutungsneigung Polyneuropathie Schwangeren HIV-positiven Frauen wird eine Sectio empfohlen (bei gut eingestellter antiretroviraler Therapie auch normale Geburt möglich), außerdem sollen HIV-positive Frauen nicht stillen.

50.7.2.5 Pflege Beobachtung: Betroffene zur Selbstbeobachtung anleiten: Haut- und Schleimhäute: Läsionen? Pilz (z.B. Mund, Zehen)? Herpes? Juckreiz? Einblutungen? Gewicht: Gewichtsabnahme? Temperatur: Fieber? Beginnender Infekt? Ausscheidung: Diarrhö? Prophylaxen:

bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Soorprophylaxe: aufgrund erhöhter Infektanfälligkeit → sorgfältige Haut- und Mundpflege Sturzprophylaxe: besonders bei erhöhter Blutungsneigung Pneumonieprophylaxe: aufgrund erhöhter Infektanfälligkeit Ernährung: Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ beachten ggf. hochkalorische (Trink-)Nahrung (bei WastingSyndrom) ggf. keimarme Ernährung zur Infektionsprophylaxe (d.h., kein ungeschältes Obst/Gemüse, rohes Fleisch, rohe Eier, Nüsse, Frischmilch, Schimmelpilzprodukte) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: zur Selbstbeobachtung anleiten über Prophylaxemaßnahmen informieren Ernährungsberatung Gesundheitsförderung durch regelmäßige Tagesstruktur, ausreichend Schlaf und Bewegung, Meiden von Stress, Alkohol und Nikotin über Notwendigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme informieren psychosoziale Begleitung:

professionelle und emotionale Unterstützung (z.B. Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen) bei Depressionen bzw. Suizidgedanken einen Arzt informieren Auf Eigenschutz achten, v.a. beim Umgang mit Kanülen. Bei ▶ Stichverletzung: Wunde initial zur Blutung anregen Betriebsarzt informieren Postexpositionsprophylaxe einnehmen

KOMPAKT HIV-Infektion und AIDS Das HI-Virus befällt T-Lymphozyten und verursacht so eine Immunschwäche. Übertragungswege: Blut-zu-Blut-Kontakte, z.B. durch Sexualverkehr, Nadelstichverletzung, Geburt. Einfache Berührungskontakte (Küssen, Händeschütteln) sind ungefährlich. Nach einer möglichen Übertragung: rasch Postexpositionsprophylaxe einnehmen! Stadien: akute HIV-Krankheit (grippale Symptome) → symptomfreie Phase (mehrere Jahre) → symptomatische Phase (Virenzahl steigt, T-Lymphozyten-Zahl sinkt) → AIDS (typische „AIDS-definierende Erkrankungen“ wie Zytomegalie-Virus-Pneumonie, Kaposisarkom, Soor) Therapie: antiretrovirale Therapie (ART). Bei gewissenhafter Einnahme besteht eine annährend normale Lebenserwartung.

Pflege: Beratung, psychosoziale Begleitung, auf Eigenschutz achten, Infektionsprophylaxe

50.7.3 Autoimmunerkrankungen Definition Autoimmunerkrankungen Bei einer Autoimmunerkrankung richtet der Körper seine Immunabwehr gegen sich selbst. Antikörper befallen einzelne Organe (organspezifische Autoimmunerkrankung) oder den gesamten Organismus (systemische Autoimmunerkrankung). Beispiele für wichtige Autoimmunerkrankungen: organspezifisch: Hashimoto-Thyreoiditis : häufigste Ursache einer ▶ Schilddrüsenunterfunktion beim jungen Menschen Diabetes mellitus Typ 1: autoantikörpervermittelte Zerstörung der Beta-Zellen innerhalb der Bauchspeicheldrüse (siehe Kap. ▶ 49.3.1) perniziöse Anämie/Typ-A-Gastritis: Autoantikörper gegen den Intrinsic Factor des Magens mit nachfolgendem Vitamin-B12-Mangel und daraus resultierender Anämie systemische Autoimmunerkrankungen: rheumatoide Arthritis: durch Autoantikörper vermittelte Entzündung der Gelenkshaut (siehe Kap. ▶ 51.6) Kollagenosen: durch Autoantikörper gegen Zellkernbestandteile verursachte

Autoimmunerkrankungen, u.a. systemischer Lupus erythematodes (SLE) Autoimmunerkrankungen der Gefäße: sog. Vaskulitiden (chronische Entzündung der Gefäßwand durch Autoantikörper)

50.7.4 Allergien Definition Allergien Überempfindlichkeit des Immunsystems gegen Umweltstoffe (z.B. Pollen, Wespengift, Metall).

50.7.4.1 Ursachen und Symptome Die Immunabwehr des Menschen produziert nicht nur gegen Krankheitserreger gerichtete spezifische Antikörper. Auch Umweltstoffe (z.B. Pollen) stehen im Fadenkreuz der Immunfahndung. Beim gesunden Menschen sind diese Antikörper nicht weiter relevant. Reagiert der Körper jedoch besonders empfindlich, kann eine Allergie ausgelöst werden. Es werden verschiedene Typen von Allergien unterschieden. Bei der sehr häufigen Typ-I-Variante (z.B. „Heuschnupfen“, Wespenstichallergie) schütten Mastzellen und basophile Granulozyten massiv Entzündungsmediatoren wie Histamin und Prostaglandine aus. Die daraus resultierenden Symptome reichen von leichtem Hautjucken bis hin zum lebensbedrohlichen ▶ anaphylaktischen Schock.

50.7.4.2 Therapie und Pflege Neben einer Hyposensibilisierung ist die Gabe von Glukokortikoiden und Antihistaminika möglich. Den besten Schutz bietet jedoch die Allergenkarenz. Maßnahmen zur

Behandlung von Juckreiz finden Sie im Kap. ▶ 54.4.1. Die Maßnahmen bei einem anaphylaktischen Schock können Sie in Kap. ▶ 23 „Notfallsituationen“ nachlesen.

51 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Bewegungssystems 51.1 Anatomie und Physiologie Der Bewegungsapparat besteht aus dem sog. Stützapparat (Knochen, Knorpel, Gelenke und Bänder) und der Skelettmuskulatur, die willkürlich gesteuert werden kann ( ▶ Abb. 51.1). Knochen stabilisieren den Körper und schützen die Organe, zudem enthalten sie das Knochenmark. Sie bestehen aus einer Knochengrundsubstanz (Mineralstoffe, Proteine, Kollagenfasern) und den Knochenzellen, den Osteoklasten und -blasten, die für den ständigen Umbau des Knochengewebes sorgen. Die komplette Verknöcherung des Knochens erfolgt unter Einfluss der Sexualhormone um das 20. Lebensjahr. Knorpel sind druck- und zugelastisch und wirken so an vielen Stellen des Körpers als Stoßdämpfer. Da sie keine Gefäße enthalten und nur über Diffusion ernährt werden, erholen sie sich nach Verletzungen meist nur

unvollständig. Die Wachstumsfuge der Kinderknochen besteht aus Knorpelzellen. Daher besteht nach Knochenbrüchen im Bereich der Wachstumsfuge Gefahr einer späteren Wachstumsstörung. Gelenke verbinden 2 oder mehr Knochen miteinander. Echte Gelenke bestehen aus einem Gelenkkopf, einer Gelenkpfanne, dem Gelenkspalt und werden von der Gelenkkapsel umgeben, die die Gelenkflüssigkeit enthält. Bei unechten Gelenken sind die Knochenenden über Bindegewebe, Knorpel oder Knochen direkt miteinander verbunden. Sie haben keinen Gelenkspalt (z.B. Schambeinfuge, Bandscheiben). Sehnen bestehen aus kollagenem Bindegewebe und werden über Diffusion versorgt. Muskeln und Knochen werden meist durch Sehnen verbunden. Die Sehnenscheiden sind Bindegewebshüllen, die die Sehnen schützen und als Führungskanal dienen. Skelettmuskulatur dient dazu, den Körper in einer bestimmten (aufrechten) Position zu halten und ihn zu bewegen. Außerdem ist sie wichtig für den: Wärmehaushalt: Muskelarbeit erzeugt die Körperwärme. Glukosehaushalt: Die Muskulatur nimmt Blutglukose auf und senkt so den Blutzuckerspiegel. Muskeln, die eine bestimmte Bewegung verursachen, heißen Agonisten. Muskeln, die dieser Bewegung entgegenwirken, heißen Antagonisten. Das Skelettsystem. Abb. 51.1 

Abb. 51.1a Ansicht von vorne.

Abb. 51.1b Ansicht von hinten. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

51.2 Pflegebasismaßnahmen Wahrnehmen und Beobachten: Vitalparameter kontrollieren DMS-Kontrolle der betroffenen Körperregion: Durchblutung (Nagelbettprobe, Hautkolorit, Hauttemperatur) Motorik (Finger, Zehen bewegen)

Sensibilität (Taubheitsgefühl? Kribbeln?) Bewegungseinschränkungen? Schonhaltungen? Verband und Wundgebiet: Entzündungszeichen? Blutungen? Füllung der Drainagen? Verbandwechsel auf Arztanordnung Schmerzmanagement: bedarfsgerecht (siehe Kap. ▶ 21), unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ Medikamentenmanagement: medikamentöse Therapie überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten (siehe Kap. ▶ 20) Positionierung, Mobilisation und Körperpflege: kurzzeitige Hochlagerung bzw. Ruhigstellung der betroffenen Extremität, ggf. in einer Schiene gezielte aktive und passive Bewegungsübungen bedarfsgerechte Unterstützung je nach Bewegungseinschränkung Hilfsmittel und Orthesen (z.B. Gehhilfen, Korsett, Schienen) anlegen, korrekten Sitz kontrollieren bzw. richtig anpassen (in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Arzt, Physiotherapeut) Ausscheidung: ggf. Toilettensitzerhöhung bereitstellen, ggf. bei Ausscheidung unterstützen Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Dekubitus-, Thrombose-, Obstipations-, Kontraktur-, Sturzprophylaxe: besonders aufgrund eingeschränkter Bewegung Pneumonieprophylaxe: besonders bei schmerzbedingter Schonatmung Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: angeordnete Positionierung und aktive Bewegung anstreben notwendige Prophylaxen, insbesondere Maßnahmen zur Sturzprophylaxe mögliche Hilfsmittel für den Alltag, z.B. Greifzangen, Schuhlöffel, Halterung für UAG (Unterarmgehstützen) psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren und motivierend einwirken

51.3 Mitwirken bei der Diagnostik Die Diagnostik bei Erkrankungen des Bewegungssystems stützt sich hauptsächlich auf die Anamnese, die klinische Untersuchung und die bildgebenden Verfahren.

51.3.1 Anamnese und klinische Untersuchung Pflegende unterstützen den Pflegeempfänger dabei, sich sicher zu positionieren und auszukleiden (gesunde Seite immer zuerst), damit der Arzt in der klinischen Untersuchung die Leitsymptome durch Inspektion und Palpation überprüfen kann. Beobachtet werden: Zustand der verletzten/betroffenen Region Körperhaltung Form und Stellung der Extremitäten Bewegung (z.B. Bewegungsumfang von Gelenken) Schwellung Druckschmerzempfindlichkeit Funktionsfähigkeit In der Anamnese wird der Pflegeempfänger nach den aktuellen Beschwerden, Begleiterkrankungen, Erkrankungen in der Familie, seinem Beruf und den Medikamenten, die er einnimmt, gefragt.

51.3.1.1 DMS-Kontrolle Wesentlicher Teil der körperlichen Untersuchung ist die DMS-Kontrolle. Sie muss nach jeder Verletzung, Gipsanlage und OP durchgeführt werden. Sie wird immer distal der Verletzung bzw. Erkrankung durchgeführt: Durchblutung: peripheren Puls tasten, Hautfarbe und Hauttemperatur prüfen: Schwacher Puls, kalte und blasse Haut oder Kribbeln sind Zeichen einer mangelnden Durchblutung. Motorik: Extremität distal der Verletzung bewegen lassen: Bei Einschränkungen können Nerven, Muskulatur oder Sehnen beschädigt sein. Sensibilität: mit der flachen Hand oder einem Stift über beide Extremitäten gleichzeitig streichen und erfragen, ob sich die Berührungen gleich anfühlen: Unterschiede oder Taubheitsgefühle deuten auf Sensibilitätsstörung hin. Im Behandlungsverlauf wird die DMS-Kontrolle meist von Pflegenden übernommen. Bei jeder Veränderung (z.B. Kälte, Kribbeln, Taubheitsgefühle) muss sofort der Arzt informiert werden.

51.3.2 Bildgebende Verfahren Zu den bildgebenden Verfahren zählen z.B.: Röntgen Sonografie Magnetresonanztomografie (MRT) Computertomografie (CT) Knochenszintigrafie

Osteodensitometrie (Knochendichtemessung)

51.3.3 Gelenkspiegelung und Gelenkpunktion 51.3.3.1 Arthroskopie = endoskopische Gelenkspiegelung Ein Arthroskop wird operativ, unter sterilen Bedingungen und in Vollnarkose oder Spinalanästhesie, in die Gelenkhöhle eingeführt. Zur Diagnostik können Gewebeproben entnommen werden. Zur Therapie können Blutungen verödet oder Spülungen durchgeführt werden. Pflege: Siehe allgemeine ▶ perioperative Pflege, das operierte Gelenk wird erhöht positioniert und gekühlt, Pflegende achten auf evtl. Nachblutung (Füllung der Drainage) und führen DMS-Kontrollen durch.

51.3.3.2 Gelenkpunktion Das betroffene Gelenk wird unter sterilen Bedingungen und unter lokaler Anästhesie punktiert. zur Diagnostik z.B. bei Verdacht auf Entzündungen oder Tumoren zur Therapie z.B. bei Gelenkergüssen Pflege: Die Punktionsstelle wird mit einem Wundschnellverband und Druckverband versorgt und das Gelenk erhöht positioniert. Beide Eingriffe werden meist ambulant durchgeführt, daher muss der Pflegeempfänger über wichtige Aspekte (z.B. Körperhygiene, Infektionszeichen, Mobilisation) aufgeklärt werden.

KOMPAKT Pflegebasismaßnahmen und Diagnostik Wahrnehmen und Beobachten: DMS-Kontrolle, Kontrolle der Vitalparameter, Bewegungseinschränkungen? Schonhaltungen? Verband und Wundgebiet: Entzündungszeichen? Blutungen? Füllung der Drainagen? Verbandwechsel Schmerzmanagement: bedarfsgerecht unter Berücksichtigung des Expertenstandards Medikamentenmanagement: Kontrolle der Wirkung und Nebenwirkungen Positionierung: Hochlagerung bzw. Ruhigstellung der betroffenen Extremität Mobilisation: Bewegungsübungen (aktiv, passiv) Körperpflege und Ausscheidung: ggf. bedarfsgerechte Unterstützung Hilfsmittel und Orthesen: ggf. beim Anlegen Unterstützen und korrekten Sitz kontrollieren

Prophylaxen: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards psychosoziale Begleitung: Gespräche anbieten und motivieren Mitwirken bei der Diagnostik: Unterstützung des Pflegeempfängers während der Anamnese und klinischer Untersuchung sowie bei den bildgebenden Verfahren (Positionierung, Assistenz).

51.4 Traumatologische Erkrankungen Definition Trauma Ein Trauma ist eine durch Gewalteinwirkung entstandene Verletzung des Körpers (oder der Psyche).

51.4.1 Distorsion Definition Distorsion Zerrung bzw. Verstauchung eines Gelenks durch eine äußere Krafteinwirkung. Dabei wird die Gelenkkapsel verletzt und die Bänder, die das Gelenk stabilisieren, werden überdehnt bzw. gezerrt. häufig betroffen: Handgelenk, Sprunggelenk, Knie oder Halswirbelsäule (HWS-Schleudertrauma) Symptome: Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, lokale Schwellungen, Hämatombildung, ggf. Gelenkerguss Diagnose: Unfallhergang; Röntgen, um Fraktur auszuschließen Therapie: Analgetika, Kühlung, Ruhigstellung (ggf. Zervikalorthese bei HWSSchleudertrauma), ggf. erhöhte Positionierung Pflege: siehe ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen

51.4.2 Luxation Definition Luxation

Ver- bzw. Ausrenkung eines Gelenkes, d.h., der Gelenkkopf sitzt nicht mehr in der Gelenkpfanne. Haben die Gelenkflächen noch teilweise Kontakt, spricht man von einer Subluxation (unvollständige Luxation). häufig betroffen: Schulter: durch einen Sturz auf den Arm oder die Schulter Ellenbogen: durch ein erhebliches Trauma (z.B. Verkehrsunfall) Pathophysiologie: angeboren (Fehlbildung, Wachstumsstörung), traumatisch, habituell (gewohnheitsbedingt) und chronisch (spontan) Symptome: starke Schmerzen, Schonhaltung und Bewegungseinschränkungen (keine Gelenkbewegungen) Diagnose: Blickdiagnose Therapie: Gelenkreposition, ggf. Gilchrist-Verband oder Gips zur Ruhigstellung, davor und danach Röntgen, DMS-Kontrolle, bei Kindern Sonografie-Kontrolle Pflege: siehe ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen

51.4.3 Frakturen – Grundlagen Definition Fraktur Eine Fraktur (Knochenbruch) ist eine komplette oder inkomplette Kontinuitätsunterbrechung des Knochengewebes, bei der 2 oder mehr Fragmente (Knochenbruchstücke) durch die Bruchspalte(n) voneinander getrennt sind.

51.4.3.1 Einteilung Die Einteilung spielt eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung darüber, wie die Fraktur therapiert werden muss. Einteilungskriterien sind: Ursache: traumatisch durch Krafteinwirkung (Stürze) oder pathologisch bei Schwächung (Entmineralisierung) des Knochengerüsts (z.B. bei Osteoporose im Alter, Tumoren) Gewebsbeteiligung: geschlossener oder offener Bruch, Gelenkbeteiligung Dislokationsformen: Seitenverschiebung, Verlängerung, Verkürzung, Stauchung, Achsenknickung, Rotationsverschiebung Verlauf der Frakturlinie: T- oder Y-förmig, Längs-, Quer-, Schräg- oder Spiralfraktur Vollständigkeit: komplett oder inkomplett

Anzahl der Fragmente: einfache Frakturen oder Mehrfragmentfrakturen wie Stück- und Trümmerfrakturen

51.4.3.2 Symptome Die Symptome werden in sichere und unsichere Frakturzeichen eingeteilt ( ▶ Tab. 51.1 ). Die Bezeichnung „unsichere Frakturzeichen“ kommt daher, da diese Symptome auch bei Entzündungen oder Prellungen auftreten können. Tab. 51.1 Unsichere und sichere Frakturzeichen. unsichere Frakturzeichen

sichere Frakturzeichen

(Druck-)Schmerz

Dislokation: Fehlstellungen, Diastase (Knochenlücke)

Schwellung

abnorme Beweglichkeit

Funktionseinschränkung oder Sensibilitätsstörungen

fühl- oder hörbares Knochenreiben (schmerzhaft, daher nicht mehr getestet)

Hämatome

offene Fraktur sichtbare aus der Haut heraustretende Knochenenden

ACHTUNG Frakturen mit Gefäßverletzungen können mit einem großen Blutverlust einhergehen (z.B. Oberarmfrakturen bis zu 1 l Blutverlust, Beckenfrakturen bis zu 4 l Blutverlust). Bei geschlossenen Frakturen wird der Blutverlust ggf. erst spät durch Schwellungen oder Hämatome sichtbar. Als Folge kann es zu einem gefährlichen ▶ Volumenmangelschock kommen.

51.4.3.3 Therapie Ziel: frühzeitige Wiederherstellung der Funktion und damit Mobilität, durch (3 „R“): Reposition: Wiederherstellung der korrekten anatomischen Position Retention: Ruhigstellung der betroffenen Extremität, konservativ, z.B. durch einen Gips, eine Schiene oder eine Extension oder operativ, z.B. mittels einer Schraubenosteosynthese oder durch einen Fixateur externe. Rehabilitation: rasche Mobilisation, z.B. mithilfe von Physiotherapie

Gipsbehandlung Indikationen: geschlossene, nicht dislozierte Frakturen ohne Weichteilverletzung bei Kindern oder Pflegeempfängern, die nicht narkosebzw. operationsfähig sind Gips immer in Funktionsstellung anlegen (90° bei Ellenbogen und Sprunggelenk und 160° bei Knie und Handgelenk) bei frischen Frakturen den Gips vollständig spalten, damit ausreichend Platz für evtl. auftretende Schwellungen ist oder eine Gipslonguette (Gipsschiene) anwenden

Ist die Schwellung abgeklungen, können zirkuläre Kunststoffgipse angelegt werden. Spezielle Pflege Finger bzw. Zehen der betroffenen Extremität regelmäßig bewegen, bei Ruhigstellung des Beins: Thromboseprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.7) und Antikoagulanzien nach Arztanordnung durchführen Bei einem Armgips sollte keine Armschlinge getragen werden, da dies zu Fehlhaltungen und Muskelschwund führt.

Merke DMS Der Mensch im Gips hat immer recht, d.h., Äußerungen des Pflegeempfängers über Druckgefühl oder Schmerz nach einer Gipsanlage sind ernst zu nehmen und zu kontrollieren, ggf. Gips neu anlegen.

Extensionstherapie Indikationen: instabile, dislozierte Frakturen; untere Extremitäten, Becken, Halswirbelsäule; zur Ruhigstellung (Ausnahmefall) bis eine OP möglich ist Die verletzte Extremität wird über einen Längszug kontinuierlich auseinandergezogen und so in die richtige Position gebracht. Extensionsdrähte werden in Lokalanästhesie durch den Knochen gebohrt oder geschossen, an denen ein Extensionsbügel mit Seilzug und Gewichten befestigt wird. Spezielle Pflege vorsichtige Bewegungen, da es sich um keine stabile Versorgung handelt darauf achten, dass Schnüre freilaufen können und die berechneten Gewichte angehängt sind Einstichstelle aseptisch versorgen und auf Entzündungszeichen achten

ACHTUNG Jegliche Entzündungszeichen an den Einstichstellen müssen sofort an den Arzt weitergegeben werden, da schwere Weichteil- und Knocheninfektionen drohen!

Operative Therapien ▶ Osteosynthese. Bei einer Osteosynthese wird die Fraktur operativ reponiert und mithilfe eines Implantats in der physiologischen Stellung fixiert. Es gibt geschlossene Osteosyntheseverfahren, z.B. die perkutane „Spickung“ mit Kirschnerdrähten oder die Nagelosteosynthese. Zu den offenen Verfahren gehören die Schrauben-, Platten- und Zuggurtosteosynthese. Indikationen

offene Frakturen begleitende Nerven- und Sehnenverletzungen Frakturen, die sich geschlossen nicht reponieren lassen Vorteil: schnellere Beweglichkeit, betroffene Extremitäten sind übungsstabil, Gefahren von Versteifung oder Muskelschwund geringer. Nachteil: meist 2. OP zur Metallentfernung nötig mit bestehenden Operationsrisiken (z.B. Nachblutung, Infektion) Spezielle Pflege siehe Kap. ▶ 39 „Pflege von Menschen in der perioperativen Phase“ Wahrnehmen und Beobachten: Bei offenen Frakturen besteht erhöhte Infektionsgefahr, daher tägliche DMS-Kontrolle und Kontrolle auf Entzündungszeichen. Frühmobilisation: Marknagel: Das Bein ist sofort belastungsstabil; Plattenosteosynthese: nur übungsstabil, es muss 4 Monate entlastet werden. Bei Entlassung: Implantationsausweis mitgeben ▶ Gelenkendoprothese. Bei einer Gelenkendoprothese (Gelenkersatz) kann ein Gelenkteil (Hemiendoprothese = HEP) oder beide Gelenkteile (Totalendoprothese = TEP) künstlich ersetzt werden. Bei einer HEP wird nur der Gelenkkopf ersetzt, bei der TEP dagegen Gelenkkopf und -pfanne. Indikationen für das Verfahren: traumatische (z.B. Fraktur), degenerative (z.B. Koxarthrose) oder entzündliche Gelenkerkrankungen (z.B. idiopathische Hüftkopfnekrose) Vorteile der TEP: Gelenkschmerzen werden reduziert. Pflegeempfänger können schneller mobilisiert werden. Bei älteren Personen wird i.d.R. eine zementierte Prothese eingesetzt, wodurch das Bein sofort wieder voll belastet werden kann und somit Komplikationen längerer Bettlägerigkeit vermieden werden. Nachteil der TEP: höherer Aufwand des Verfahrens damit steigende Komplikationsrisiken inkl. Blutverlust Pflege: siehe Kap. ▶ 39, ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen und ▶ Pflege bei Hüft-TEP bzw. ▶ Pflege bei Knie-TEP

Fixateur externe Der Fixateur externe (äußerer Spanner, äußerer Festhalter) gehört zu den (geschlossenen) operativen Verfahren. Mit ihm können Frakturstücke von außen an der richtigen Stelle fixiert werden. Dabei werden distal und proximal der Fraktur Pins in den Knochen eingebracht und über außen angebrachte Metallstäbe fest miteinander verbunden.

Indikationen Trümmerfrakturen offene und infizierte Wunden und Frakturen mit Weichteilverletzung zur Überbrückung bei Polytraumen ▶ Komplikationen. Durch die direkte Verbindung des Knochens mit der Außenwelt besteht die Gefahr einer Pin-Track-Infektion (Keime wandern bis zu Knochen und verursachen eine schwerwiegende Ostitis).

51.4.3.4 Komplikationen Folgende Komplikationen können im Rahmen von Frakturen auftreten: ▶ Verzögerte Heilung. Diese besteht, wenn nach 4–6 Wochen noch keine knöcherne Überbrückung vorhanden ist. Ist die Fraktur auch nach 6–8 Wochen noch nicht zusammengewachsen, handelt es sich um eine Pseudarthrose (falsches Gelenk). Ursachen: biologische Faktoren: z.B. hohes Alter, Diabetes mellitus, Osteoporose mechanische Faktoren: z.B. mangelnder Kontakt der Frakturenden, unzureichende Ruhigstellung lokale Faktoren: z.B. schlechte Durchblutung, Infektionen Symptome: Schmerzen, Schwellungen, eingeschränkte Belastbarkeit, bei einer Pseudarthrose: abnorme Überbeweglichkeit im Frakturbereich Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, Osteosynthese ▶ Ostitis (Knocheninfektion) und Osteomyelitis (Knochenmarksinfektion). Sie treten v. a. bei offenen Frakturen oder großen Weichteilverletzungen auf, da die Erreger hier direkt an den Knochen gelangen. ▶ Kompartmentsyndrom. Hämatome oder Ödeme verursachen einen Druckanstieg in der von Faszien umhüllten Muskelkammer, wodurch Blutgefäße und Nerven komprimiert werden. Ein zu eng angelegter Gipsverband kann auch eine Druckerhöhung verursachen. Symptome: sehr starke Schmerzen (Ischämieschmerz), pralle Schwellungen, Umfangzunahme, Sensibilitätsstörungen und ggf. Lähmungen. Maßnahmen und Therapie: Bei Verdacht muss sofort der Arzt informiert und alle Verbände entfernt werden. Bei sicherer Diagnose wird eine Fasziotomie notwendig, d. h., die Faszie wird operativ gespalten, um den Druck zu reduzieren. ▶ Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS). Periphere Durchblutungsstörungen können zu Entzündungen, Dystrophien bis Atrophien oder sogar zur völligen Gelenkversteifung führen. Therapie: nicht steroidale Antirheumatika (NSAR), Glukokortikoide, Sympathikusblockade, Physio- und Ergotherapie Prävention: ausreichende Ruhigstellung der betroffenen Region und Schmerztherapie gleich zu Beginn, im Anschluss Unterstützung bei der Mobilisation

Besonderheiten kindlicher Frakturen Grünholzfraktur: der Knochen ist gebrochen, aber der Periostschlauch (Knochenhaut) ist noch intakt (unvollständige Fraktur), Frakturfragmente sind nicht verschoben, daher geringe Symptomatik, jedoch Gefahr der Achsenabweichung bei langen Röhrenknochen. Frakturen mit Verletzung der Epiphysenfuge (Wachstumsfugen): Bei diesen Frakturen besteht die Gefahr von Wachstumsstörungen (Verkürzung oder Verlängerung) der Extremität. Es ist wichtig, die Eltern über die notwendigen Kontrollen bis zum Wachstumsabschluss zu informieren. Übergangsfraktur: eine Fraktur in der Pubertät im Bereich der bereits teilweise verknöcherten Wachstumsfugen, z.B. an der distalen Tibia, verursacht i. d. R. keine Wachstumsstörungen.

51.4.4 Schädelfrakturen 51.4.4.1 Pathophysiologie Stumpfe Gewalteinwirkung, z.B. bei Verkehrsunfällen, Sturz, Schlag auf den Kopf.

51.4.4.2 Diagnostik CT des Kopfes (cCT) neurologische Untersuchungen (Pupillenreaktion, Bewusstsein etc.)

51.4.4.3 Symptome und Therapie Schädelbasisfraktur Symptome: Hämatome um ein oder beide Augen (Monokel- oder Brillenhämatom), evtl. Blut- und/oder Liquoraustritt aus Nase, Mund und Ohr Therapie: Tritt dauerhaft Liquor aus, muss operiert werden, ansonsten Überwachung. Kalottenfraktur (Schädeldachbruch) Symptome: Prellmarken und Wunden am Kopf, evtl. Frakturlinien oder Impressionen (= Frakturstück ist in den Schädel hineingedrückt) sichtbar Therapie: Bei Impressionsfrakturen muss operiert werden, sonst Überwachung auf neurologische Veränderungen. Gesichtsschädelfrakturen zentrale Mittelgesichtsfrakturen: mehrere schwere Gesichtsfrakturen mit gleichzeitiger Schädelbasisfraktur und großen Weichteilverletzungen im Gesicht isolierte Mittelgesichtsfrakturen: nur eine Fraktur, z.B. am Jochbein oder Nasenbein, meist sind Faustschläge die Ursache Therapie: umgehende OP, v. a. bei Sehstörungen

51.4.4.4 Spezielle Pflege

Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Schädelfrakturen: Wahrnehmen und Beobachten: engmaschige Kontrolle der Vitalparameter (ggf. Monitoring) und auf Anzeichen eines Hirndruckanstiegs oder einer Gehirnerschütterung achten: Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie, Krampfanfälle, Atemstörungen, Bewusstseinseintrübungen, Pupillenreaktion, Bewusstseinslage, Sensibilitätsstörungen fließt helle Flüssigkeit aus der Nase, Mund und Ohr: Transferrin-Test auf Liquoraustritt (BZ-Test ist weniger zuverlässig) Blutungen? Hämatome? Prellungen? Positionierung: Oberkörperhochlage (ca. 30°) zur Hirnödemprophylaxe psychosoziale Begleitung: Ruhe vermitteln, Hektik vermeiden sensibel gegenüber Ängsten sein (z.B. Entstellung, Verlust des Geruchsoder Sehsinns) ggf. perioperative Pflege (siehe Kap. ▶ 39)

51.4.5 Frakturen der Wirbelsäule 51.4.5.1 Pathophysiologie traumatisch, z.B. durch einen Kopfsprung ins flache Wasser, durch Auffahrunfälle pathologisch, z.B. durch Osteoporose, Knochentumoren (meist Metastasen) Die Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule können betroffen sein.

51.4.5.2 Diagnostik neurologische Untersuchung CT (knöcherne Verletzungen) und MRT (Rückenmarkverletzungen)

51.4.5.3 Stabile Frakturen Bei stabilen Frakturen ist das Rückenmark nicht betroffen. Symptome: Druck-, Klopf- und Bewegungsschmerzen, bei HWS-Frakturen ggf. neurologische Symptome (z.B. Taubheit) Therapie und Pflege: konservative Therapie mit 1–2 Wochen strenger Bettruhe, Zervikalstütze, Halo-Fixateur oder v.a. bei Kindern Minerva-Gips bei HWS-Frakturen; Positionierung in Flachlage (v.a. bei HWS-Frakturen), Oberkörperhochlage max. 30°

51.4.5.4 Instabile Frakturen

Hohes Risiko für Verletzungen des Rückenmarks durch Knochenfragmente. Dadurch besteht ein erhöhtes Risiko für ▶ Querschnittlähmungen oder sogar tödliche Verläufe. Symptome: Spontan- und Bewegungsschmerz, Belastungsunfähigkeit, Fehlstellungen des Rumpfes, Taubheitsgefühle, Lähmungen Therapie: operativer Eingriff mit Osteosynthese anschließend Ruhigstellung z.B. mit einer Philadelphia-Halskrawatte präoperativ: strenge Bettruhe, Positionierung in Flachlage, nur En-blocDrehung postoperativ: Mobilisation je nach Operationsverfahren auf Arztanordnung

51.4.5.5 Spezielle Pflege Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Frakturen der Wirbelsäule: Beobachtung des neurologischen Status: DMS-Kontrolle und Beobachtung von Sensibilitätsstörungen, Inkontinenz, Bewusstsein etc. (bei Ausfällen muss ein MRT erfolgen)

ACHTUNG Bei Veränderungen des neurologischen Status müssen Sie sofort den Arzt informieren, da sie auf eine Einengung des Rückenmarks hindeuten können. Positionierung und Mobilisierung: Erfolgt nach ärztlicher Anordnung und/oder nach einem festen Standard. Zur Beschreibung werden die Stabilisierungsgrade verwendet ( ▶ Tab. 51.2 ). En-bloc-Drehung: Die Wirbelsäule bleibt dabei starr. Die Mobilisation sollte mit mind. 2, besser 3 Pflegekräften erfolgen. Der Pflegeempfänger sollte sich dazu möglichst steif machen, indem er Bauch und Rückenmuskulatur anspannt, Arme vor der Brust verschränken, ggf. durch die Pflegefachkraft. Die erste Person hält den Kopf, die zweite fasst Schulter und Hüfte, die dritte Hüfte und Knie, Pflegeempfänger wird gleichzeitig auf die Seite gedreht. Ist er mobilisationsstabil, kann er sich auch selbstständig nach der En-bloc-Methode aufrichten. Hilfsmittel: Bei den ersten Gehversuchen sollte ein höhenverstellbarer Gehwagen (mit Unterarmauflagen) genutzt werden. Rehabilitation: zur Förderung des Muskelaufbaus und zum Erlernen schonender Bewegungsmuster Pflegeempfänger mit dauerhaften Einschränkungen erlernen, wie sie ihre Selbstständigkeit möglichst erhalten. Sport nur nach Rücksprache mit dem Arzt Tab. 51.2 Stabilisierungsgrade.

Begriffe

Beschreibung

Instabilität

keine Mobilisation

„Lagerungsstabilität“

Eine längere Seitenlage ist möglich, z.B. zur Dekubitusprophylaxe.

Bewegungsstabilität

Bewegung darf aktiv oder passiv erfolgen, z.B. darf der Pflegeempfänger zum Verbandwechsel auf die Seite gedreht werden.

Belastungsstabilität

Bewegungen und rehabilitative Übungen sind erlaubt.

Trainingsstabilität

wiederholte, aktive Bewegungsabläufe sind empfohlen

51.4.6 Verletzungen der oberen Extremitäten ▶ Tab. 51.3  gibt einen Überblick häufiger Verletzungen der oberen Extremitäten. Beachten Sie auch die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen. Tab. 51.3 Häufige Verletzungen der oberen Extremitäten. Verletzung

Pathophysiologie

Therapie und Pflege

besondere Komplikationen

Frakturen am Arm proximale und subkapitale Humerusfrakturen

entstehen durch direkten Sturz auf die Schulter oder indirekten Sturz auf den ausgestreckten Arm

Gilchrist- oder DesaultVerband zur Ruhigstellung bei stabilen Frakturen

-

operativ durch Osteosynthese, ggf. Endoprothese bei instabilen Frakturen frühzeitige Mobilisation/Physiotherapie Humerusschaftfraktur entsteht durch einen direkten Schlag oder Sturz auf den Oberarm

isolierte Fraktur: Ulna oder Radius gebrochen

Unterarmschaftfraktur

komplette Fraktur: beide Knochen gebrochen

bei stabilen Frakturen s.o. sonst Osteosynthese mit Marknagel

bei Kindern: Gips

Ist der N. radialis betroffen, zeigt sich neben den typischen Symptomen eine sog. Fallhand (Hand- und Fingerstrecker sind gelähmt).

bei Erwachsenen: operative Versorgung

besonders hohe Gefahr, ein ▶ Kompartmentsyndrom zu entwickeln

Der Arm wird für 4–6 Wochen im Gips ruhiggestellt.

erneute Verschiebung der Bruchstücke

Bei dislozierten Brüchen wird durch „Aushängen“ reponiert.

▶ Komplexes regionales Schmerzsyndrom

Instabile Frakturen werden operativ versorgt.

sekundäre Handgelenksarthrose

Sonderformen: Monteggia- und GaleaziVerletzung distale Radiusfraktur

Bruch der Speiche nahe dem Handgelenk, meist durch einen Sturz auf die gestreckte Hand (Colles-/Extensionsfraktur) gebeugte Hand (Smith-/Flexionsfraktur)

Verletzungen der Hand

Verletzung

Pathophysiologie

Therapie und Pflege

besondere Komplikationen

Handwurzelfraktur

Sturz auf die überstreckte Hand (Kahnbein am häufigsten betroffen)

i. d. R. operative Versorgung mit Spickdrähten und anschließend Kahnbeingips für 3 Wochen

Gefahr einer Pseudoarthrose

Mittelhand- und Fingerfraktur

Bruch meist bei einem Faustschlag gegen einen festen Gegenstand oder bei Stürzen

operative Versorgung, v.a. wenn die Knochen zusätzlich disloziert sind

-

bei Endgliedfrakturen reicht eine Schiene Sehnenverletzungen

durch Traumen (Schnittverletzung) oder degenerative Erkrankung

Stack-Schiene (6–8 Wochen) operatives Zusammennähen der Sehnenenden

Durch Vernarbungen können Funktionseinschränkungen entstehen.

51.4.7 Verletzungen der unteren Extremitäten ▶ Tab. 51.4  gibt einen Überblick über häufige Verletzungen der unteren Extremitäten. Beachten Sie auch die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen und das Kapitel zur ▶ Therapie bei Frakturen. Tab. 51.4 Häufige Verletzungen der unteren Extremitäten. Verletzung

Pathophysiologie

Therapie und Pflege

Bemerkung

Beckenfrakturen Beckenrandfrakturen (z.B. Beckenschaufelfrakturen, Steißbeinfrakturen)

Stabilität des Beckens bleibt erhalten.

kurze Bettruhe Schmerzmittelgabe frühe Mobilisation

Beckenringfrakturen entstehen durch hohe stabile Frakturen: 6–12 Wochen Bettruhe (Unterbrechung in Ringstruktur Gewalteinwirkungen, häufig liegen Polytraumen mit der Beckenknochen) Schmerzmittelgabe massiven langsame Mobilisation Begleitverletzungen vor instabile, dislozierte Frakturen: operative Versorgung Pflegeempfänger in Flachlage positionieren Drehen und Beugen des Beckens vermeiden Mobilisation erfolgt en bloc Prophylaxen durchführen Frakturen am Bein

-

Gefahr lebensbedrohlicher Blutverluste

Verletzung

Pathophysiologie

Therapie und Pflege

Bemerkung

Schenkelhalsfrakturen

Der Oberschenkelknochen bricht zwischen Hüftkopf und Trochanter major. Vor allem ältere Personen mit Osteoporose (sog. FrailtySyndrom) ziehen sich als Folge eines Sturzes auf die Hüfte oder das Bein diese Verletzung zu.

operative Versorgung: hüftkopferhaltend: nur möglich, wenn der Pflegeempfänger in der Lage ist, das Bein 6 Wochen zu entlasten und < 65 Jahre ist

Symptome: starke Schmerzen und ein nach außen gedrehtes und verkürztes Bein

entsteht durch große Gewalteinwirkungen

Oberschenkelschaftfraktur

bei älteren Menschen mit Hüftkopfprothese auch schon bei geringem Trauma (periprothetische Fraktur) Tibiakopffraktur

entsteht durch Stürze aus großer Höhe, Ski- oder Verkehrsunfälle

Unterschenkelschaftfraktur

Endoprothese Stabilisierung mit Marknagel oder Plattenoder Marknagelosteosynthese aufgrund der langen OPDauer und der hohen Blutverluste mit anschließender Intensivbehandlung bis Kreislaufstabilität operative Reposition und Osteosynthese mit anschließender Ruhigstellung im Gips und Physiotherapie

isolierte Fraktur: Tibia oder Fibula ist gebrochen.

bei isolierten Fibulafrakturen: Zinkleimverband

komplette Fraktur: Beide Knochen sind gebrochen.

bei Kindern mit geschlossenen, nicht dislozierten Frakturen: Oberschenkelgips (2–4 Wochen) + Gehgips (2 Wochen)

Symptome: Frakturzeichen, je nach Begleitverletzung massive Blutungen mit Schockgefahr, es kann auch ein ▶ Kompartmentsyndrom entstehen

Symptome: Frakturzeichen begleitende Bandverletzungen des Knies Gefahr des ▶ Kompartmentsyndroms Symptome: Frakturzeichen begleitende Weichteilverletzungen

bei Erwachsenen: Osteosynthese oder Fixateur externe Knieverletzungen Patellafraktur

entsteht meist durch Sturz auf das gebeugte Knie

Kreuzbandruptur

entstehen häufig bei Verdrehungen des Knies unter Belastung (z.B. Sport: Fußball, Ski)

Schiene oder Zuggurtosteosynthese

konservative Therapie mit Kniegelenksorthese arthroskopisch durchgeführte Kreuzbandplastik Physiotherapie

Verletzungen des Sprunggelenks

Symptome: Kniestreckung nicht möglich, Hämatom mit ggf. Entlastungspunktion Symptome: Schmerzen, Schwellung, Gelenk instabilität und -erguss

Verletzung Malleolarfrakturen

Bandverletzungen

Pathophysiologie Brüche des Knöchels entstehen durch plötzliches Umknicken. Es können Innen- (Tibia) und Außenknöchel (Fibula) brechen. Tibia- und Fibulafraktur = Fraktur des oberen Sprunggelenkes (OSG)

Therapie und Pflege Unterschenkelgips operativ

Bemerkung Einteilung nach Weber A, B, C und MaisonneuveFraktur

Es kann zu einer Zerrung (Distorsion) oder zu einem Riss (Ruptur) kommen.

Sprunggelenksorthese für 4–6 Wochen operativ bei Berufssportlern, ausgeprägter Gelenkinstabilität, Begleitverletzungen und Kindern

Kalkaneusfraktur (Fersenbein)

entsteht bei Sturz auf die Füße aus großer Höhe

Gips und 6 Wochen Entlastung operativ mit Osteosynthese

-

Mittelfußfraktur

entsteht durch direkte Gewalt oder seltener als Ermüdungs-/Stressfraktur durch Dauerbelastung

konservativ mit Unterschenkelgips, operativ

-

Zehenfrakturen

-

Dachziegel-Tapeverband

-

Achillessehnenruptur

entsteht meist beim Sport

Sehnenenden werden zusammengenäht, danach Gips oder Schiene, später Spezialschuh mit Absatzerhöhung

Verletzungen des Fußes

51.4.8 Amputationen Definition Amputation Eine Amputation ist die Abtrennung einer Gliedmaße (oder von Teilen davon) im knöchernen Bereich. Die Abtrennung in Höhe eines Gelenks wird als Exartikulation bezeichnet. Es werden traumatische und therapeutische Amputationen unterschieden.

51.4.8.1 Traumatische Amputation Durch Unfälle werden Gliedmaßen teilweise oder ganz abgetrennt oder abgerissen. Wird die abgetrennte Gliedmaße gefunden und mit in die Klinik gebracht, kann sie unter bestimmten Voraussetzungen (glatte Schnittränder, saubere Wundverhältnisse, geringe Weichteilquetschung) von spezialisierten Chirurgen replantiert (angenäht) werden. Bis zum Eintreffen in die Klinik sollte die abgetrennte Gliedmaße möglichst sauber, trocken und kühl (aber nicht direkt auf Eis) gelagert werden.

Kann nicht replantiert werden, wird die Wunde verschlossen.

51.4.8.2 Therapeutische Amputation werden bei schweren Erkrankungen (z.B. pAVK), bösartigen Tumoren, schweren Infektionen oder Nekrosen durchgeführt Es wird so wenig wie möglich von der Extremität entfernt, damit möglichst viele Funktionen erhalten bleiben.

51.4.8.3 Therapie Versorgung mit einer Prothese Ziele: optischer Ausgleich, Wiederherstellung der Geh, Steh- und Greiffähigkeit. Vorgehen: So bald wie möglich Tragen eines Prothesenstrumpfes, nach Abschluss der Wundheilung Übungsprothese, Auswahl der Prothese nach individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Pflegeempfängers, dauerhafte Prothese nach 6–12 Monaten, wenn der Stumpf seine endgültige Form erreicht hat.

51.4.8.4 Komplikationen allgemeine OP-Komplikationen: Schmerzen, Nachblutungen, Wundheilungsstörungen und Wundinfektionen Phantomschmerzen: Schmerzen im Körperteil, das nicht mehr existiert Stumpfschmerzen (z.B. durch Neurombildung, d.h. Nervenaussprossung am durchtrennten Nervenende) Hautprobleme durch die Prothese (z.B. Entzündungen, Kontaktekzeme oder Dekubitus) Kontrakturen an benachbarten Gelenken (z.B. im Kniegelenk nach einer Unterschenkelamputation)

51.4.8.5 Spezielle Pflege Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Amputationen: Präoperative Vorbereitung Bei geplanten Eingriffen kann der Pflegeempfänger bereits den Umgang mit Hilfsmitteln (z.B. Unterarmgehstützen) erlernen sowie mit gezieltem Training den Muskelaufbau fördern und postoperative Überbelastungen vermeiden. Beratungsgespräche und Informationen zur Prothesenversorgung unterstützen die psychische Vorbereitung, ggf. Psychologen hinzuziehen oder Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermitteln. Postoperative Maßnahmen Wahrnehmen und Beobachten: engmaschige Kontrolle der Vitalzeichen, Durchblutung und Drainagen (hohe Nachblutungsgefahr), Hämatom-, Ödemund Sekretbildung, Infektionszeichen und Zeichen der Nahtinsuffizienz

Positionierung: Um Wundödeme zu vermeiden, wird der Stumpf für 24 h leicht erhöht positioniert (außer bei Durchblutungsstörungen). Zur Kontrakturprophylaxe wird die Extremität in Streckstellung positioniert, da die Beugemuskulatur stärker ist. Mobilisation: so früh wie möglich im Sinne der Prophylaxen (siehe Kap. ▶ 17) unter Beachtung der Schmerzsituation und körperlichen Verfassung Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21. Schmerzen müssen immer ernst genommen werden. Auch Phantomschmerzen müssen schnell und konsequent behandelt werden, da sie sonst chronisch werden und nur noch schwer behandelt werden können. Wundmanagement: Verbandwechsel (aseptisch): erfolgt ab dem 2. postoperativen Tag täglich. Beim ersten Verbandwechsel sollte möglichst behutsam und sensibel vorgegangen werden, da der Pflegeempfänger den Stumpf das erste Mal sieht. Stumpf wickeln: zur Ödemprophylaxe und um den Stumpf zu formen. Ziel ist, eine prothesengerechte konische Form zu erreichen. Die Durchführung finden Sie in Kap. ▶ 29. Stumpfhaut abhärten: Nach abgeschlossener Wundheilung wird die Stumpfhaut auf die hohe Druckbelastung durch die Prothese vorbereitet, indem sie nach dem Waschen kräftig abgerieben oder mit einer weichen Bürste abgebürstet wird. Durch kaltwarme Wechselbäder kann die Durchblutung angeregt werden. Luft und Licht härten die Stumpfhaut ebenfalls ab. Körperpflege und Behandlung: Zur Hautpflege gehören folgende Aspekte: Inspektion der Haut: täglich vor dem Wickeln die Wunde/Narbe und umgebende Haut beobachten, bei Hautreizungen, Druckstellen oder Anzeichen einer Nahtinsuffizienz ist der Arzt sofort zu informieren. Hautreinigung: Die Haut darf nicht aufweichen, Seifenreste müssen vollständig abgespült und die Haut sorgfältig abgetrocknet werden. Bei starker Schweißbildung können Stumpfbäder mit Salbei angewendet werden. Hautpflege: Bei Bedarf Stumpf nur abends mit W/O-Lotion eincremen und nicht vor dem Anziehen der Prothese (Mazerationsgefahr). Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.14) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Rehabilitationsprogramme Kontakte von Beratungsstellen (v.a. bei notweniger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit) und Selbsthilfegruppen vermitteln,

Sportmöglichkeiten aufzeigen psychosoziale Begleitung: Das veränderte Körperbild, Schmerzen und tägliche Einschränkungen sind sehr belastend. Es sollte einfühlsam auf die Situation eingegangen und positiv unterstützt werden, ggf. sollte ein Psychologe hinzugezogen werden.

KOMPAKT Traumatologische Erkrankungen Distorsion: Zerrung bzw. Verstauchung eines Gelenks durch eine äußere Krafteinwirkung, z.B. Handgelenk, Sprunggelenk, Knie oder HWS-Schleudertrauma Luxation: Ver- bzw. Ausrenkung eines Gelenks, z.B. Schulter-, Ellenbogenluxation Fraktur: Kontinuitätsunterbrechung des Knochengewebes, unterteilt nach: Ursache (traumatisch oder pathologisch), Gewebsbeteiligung (geschlossener oder offener Bruch, Gelenkbeteiligung), Dislokationsformen, Verlauf der Frakturlinie, Vollständigkeit und Anzahl der Fragmente Symptome von Frakturen: sichere Frakturzeichen: Dislokation, abnorme Beweglichkeit, fühl- oder hörbares Knochenreiben, offene Fraktur, sichtbare aus der Haut heraustretende Knochenenden unsichere Frakturzeichen: (Druck)Schmerz, Schwellung, Funktionseinschränkung, Sensibilitätsstörung, Hämatome Therapie der Frakturen: Ziel ist die frühzeitige Wiederherstellung der Funktion und damit Mobilität, durch 3 „R“: Reposition, Retention (konservativ z.B. durch Gips, Schiene oder operativ, z.B. mittels Osteosynthese oder Fixateur externe) und Rehabilitation (Mobilisation, Physiotherapie) Amputation: Abtrennung einer Gliedmaße (oder von Teilen davon) im knöchernen Bereich. Abtrennung in Höhe eines Gelenks heißt Exartikulation. Eingeteilt in traumatische und therapeutische Amputationen

51.5 Orthopädische Erkrankungen Definition Orthopädie Die Orthopädie (griech. orthos = aufrecht, richtig) beschäftigt sich mit Form- und Funktionsfehlern des Bewegungssystems.

51.5.1 Arthrose Definition Arthrose Die Arthrose ist eine schmerzhafte degenerativ-rheumatische Erkrankung in den Gelenken. Der Gelenkknorpel wird allmählich zerstört, woraus sich im Verlauf Gelenkentzündungen entwickeln, die zu Verformungen bis hin zur völligen Einsteifung des Gelenks führen können.

51.5.1.1 Formen und Pathophysiologie primäre (idiopathische) Arthrose: entsteht aufgrund minderwertigen Knorpelgewebes, die Ursache ist hierfür unbekannt. sekundäre Arthrose: entsteht aufgrund einer vorangegangenen Erkrankung und/oder durch Über- oder Fehlbelastung des Gelenks. Ursachen bzw. Risikofaktoren sind: Übergewicht, Leistungssport oder schwere körperliche Arbeit Fehlstellungen, z.B. X- oder O-Beine Frakturen mit Gelenkbeteiligung Stoffwechselerkrankungen, z.B. Gicht endokrine Erkrankungen, z.B. Schilddrüsenunterfunktion Es werden Monoarthrosen (nur ein betroffenes Gelenk), Oligoarthrosen (2–4 betroffene Gelenke) und Polyarthrosen (mehr als 5 betroffene Gelenke) unterschieden. häufig betroffene Gelenke: Koxarthrose = degenerativer Gelenkknorpelverschleiß im Hüftgelenk Gonarthrose = degenerativer Gelenkknorpelverschleiß im Kniegelenk

51.5.1.2 Symptome zu Beginn Morgensteifigkeit und Anlaufschmerzen, später Belastungs- und Ruheschmerzen Muskelverspannungen Gelenkschwellungen Bewegungseinschränkungen Deformationen Überwärmung und Gelenkerguss (in akuter Entzündungsphase)

51.5.1.3 Konservative Therapie ▶ NSAR zur Schmerzlinderung und Entzündungshemmung intraartikuläre Kortisoninjektion bei akuter Entzündung

Physiotherapie, Massagen, physikalische Maßnahmen (Wärme/Kälte) orthopädische Schuheinlagen ggf. Reduzierung der Ursachen/Risikofaktoren (z.B. Adipositas, Fehlstellung)

51.5.1.4 Operative Therapie Nehmen die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zu, muss eine OP in Betracht gezogen werden. Es bestehen folgende Möglichkeiten: operative Sanierung des Gelenks: Entfernung der entzündeten Gelenkinnenhaut oder von Wulstgebilden am Knochen (Knorpel-Shaving) Gelenkversteifung (Arthrodese): i.d.R. an der Wirbelsäule, den Hand-/Finger-/Zehengelenken Gelenkersatz: Endoprothese ggf. Transplantation von Knorpelzellen (noch keine routinemäßige Methode)

51.5.1.5 Spezielle Pflege Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Arthrose: Pflege bei Hüft-TEP allgemeine Maßnahmen der postoperativen Pflege (siehe Kap. ▶ 39) Positionierung: betroffenes Bein in Abduktion positionieren Oberkörper um max. 60° erhöht positionieren Der Pflegeempfänger darf zunächst nur in Rückenlage und auf der nicht betroffenen Seite liegen. Wurden die Drainagen entfernt, kann er auch vorsichtig auf der betroffenen Seite liegen. Um eine Hüftluxation vorzubeugen, dürfen die Pflegeempfänger keine Innen- und Außenrotation durchführen, die Hüfte um nicht mehr als 90° beugen sowie die Beine nicht übereinanderschlagen. Idealerweise wurde der Pflegeempfänger schon vor der OP darüber aufgeklärt (ggf. kann eine Antirotationshose getragen werden). Mobilisation: Pflegeempfänger immer über die betroffene Seite mobilisieren, auf orthostatische Reaktion (z.B. Blässe, Blutdruckabfall, Tachykardie, Schweißausbruch) achten Mobilisation in Ruhe und kleinen Etappen planen: Bettkante, Stehen vor dem Bett, kurze Strecken gehen beim Aufstehen und Gehen mit Unterarmgehstützen auf Teil- oder Vollbelastung achten weitere Hilfsmittel wie z.B. eine Sitzerhöhung nutzen ▶ Pflege bei Knie-TEP . Die Pflege ist grundsätzlich wie bei Hüft-TEP, außer:

Positionierung: Das betroffene Kniegelenk wird immer hoch- und frei positioniert, ggf. dabei leicht anwinkeln. Gleichzeitig auf frühzeitige Mobilisation achten, da sich schnell Kontrakturen bilden. Mobilisation: Das Knie wird aktiv durch den Pflegeempfänger und passiv mithilfe einer Kniebewegungsschiene bewegt. Bis zur Entlassung sollte das Knie um bis zu 60° gebeugt werden können.

51.5.2 Osteoporose Definition Osteoporose Krankhafter Knochenschwund, bei dem mehr Knochensubstanz abgebaut als neu gebildet wird. Dadurch sinkt die Knochendichte und das Frakturrisiko steigt massiv. Von der Osteoporose abzugrenzen ist Morbus Paget (Osteodystrophia deformans). Die Knochenerkrankung führt zu einem pathologischen Knochenumbau.

51.5.2.1 Formen und Pathophysiologie als Risikofaktoren gelten: weibliches Geschlecht höheres Lebensalter helle Hautfarbe schlanke Figur geringe Sonnenexposition (Vitamin-D-Mangel) wenig Bewegung Rauchen kalziumarme Ernährung primäre Osteoporose: Sie macht ca. 95 % der Fälle aus, hierunter fallen die postmenopausale und senile Osteoporose. sekundäre Osteoporose: Sie ist Folge von Vorerkrankungen bzw. Therapien: Schilddrüsenüberfunktion ▶ Diabetes mellitus Hormonrezeptorblockade bei Mamma-Ca (Tamoxifen) chronischer Nierenerkrankung mit Kalziumverlust chronischen Pankreas- bzw. Darmerkrankungen lange Kortisontherapie langer Immobilität

51.5.2.2 Symptome Osteoporose selbst verursacht keine Symptome, erst durch die im fortgeschrittenen Stadium auftretenden Frakturen, Knochenverformungen und Gelenksfehlstellungen kommt es zu sichtbaren Veränderungen: Rundrücken (Kyphose, sog. „Witwenbuckel“) und Kugelbauch Größenverlust (Körperrumpf schrumpft) Tannenbaumphänomen (Hautfalten, die vom Rücken zu den Flanken ziehen) Rückenschmerzen durch Fehlhaltung und Muskelverspannungen

51.5.2.3 Diagnose Die Diagnosestellung erfolgt häufig im Rahmen einer Fraktur durch Anamnese, Blutuntersuchungen, Knochendichtemessung und Röntgen.

51.5.2.4 Therapie Frakturen oder Wirbeldeformationen werden konservativ oder operativ versorgt. Schmerztherapie, physikalische Therapie, Massagen, Physiotherapie und Mobilisation medikamentöse Therapie, um den Knochenabbau zu hemmen und den Knochenaufbau zu fördern, mit Kalzium, Vitamin D und Bisphosphonat; bei Frauen ggf. mit Hormontherapie (Östrogenrezeptoren-Modulatoren oder Parathormonpräparate) Behandlung der Ursache bei einer sekundären Osteoporose

51.5.2.5 Spezielle Pflege Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Osteoporose: Wahrnehmen und Beobachten: Sturzgefahr einschätzen, Größe und Gewicht kontrollieren (Kachexie? Dadurch Abbau von Kalziumreserven aus den Knochen) Medikamentenmanagement: Bisphosphonate als orale Einnahme mindestens 30 min vor der ersten Mahlzeit/Getränk und anderen Medikamenten, im Sitzen oder Stehen und nur mit Leitungswasser, danach nicht hinlegen (Gefahr von Nekrosen in Speiseröhre!) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: zu sturzpräventiven Maßnahmen (siehe Kap. ▶ 17.14) zu Hilfsmitteln (z.B. Gehhilfen, Hüftprotektoren) Ernährung: kalzium- und vitamin-D-reich, z.B. Milchprodukte, grünes Gemüse, natriumarmes Wasser, „Kalziumräuber“ wie Koffein, Salz, Wurst, Fleisch, Schokolade, Cola und Alkohol sollten gemieden werden über Bewegungsmöglichkeiten (Physiotherapie oder spezielle Osteoporose-Sportgruppen) ggf. Sozialdienst hinzuziehen, um Reha oder Pflegegrad zu beantragen

ACHTUNG Da osteoporotische Knochen leichter brechen, ist die Sturzprophylaxe besonders wichtig!

51.5.3 Akute Osteomyelitis Definition Osteomyelitis Osteomyelitis ist eine Entzündung des Knochenmarks. Häufig unter Beteiligung des Knochens (Osteitis). Die Infektion kann endogen über den Blutweg (z.B. durch eine Mandelentzündung) oder exogen durch eine offene Fraktur oder OP erfolgen. Symptome: schweres Krankheitsgefühl, Fieber, Schüttelfrost, starke Schmerzen und Entzündungszeichen Therapie: i.v.-Antibiose und Ruhigstellung, bei exogener Osteomyelitis operative Wundreinigung/-spülung und lokale Antibiotika. Ggf. kann auch eine Saug-Spül-Drainage angelegt werden oder eine Vakuumtherapie erfolgen. In schweren Fällen kann eine Amputation notwendig werden. Spezielle Pflege: siehe auch ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen meist Behandlung auf speziellen septischen Stationen Verbandwechsel durchführen, ▶ Wundbeobachtung und -beurteilung, ggf. Drainage kontrollieren und Flaschen wechseln strenge Bettruhe sicherstellen psychische Unterstützung, da oft lange und schwierige Behandlung

51.5.4 Eitrige Arthritis Definition Eitrige Arthritis Akute bakterielle Gelenkentzündung mit Eiteransammlung im Gelenk (Gelenkempyem, Pyarthrose). Ohne schnelle Behandlung (Notfall-OP!) wird das Gelenk durch die Entzündung zerstört. Pathophysiologie: meist exogen durch offene Gelenkverletzungen, Injektionen, Punktionen oder OPs. Besonders Abwehrgeschwächte und Menschen mit Diabetes mellitus sind betroffen.

Symptome: klassische Entzündungszeichen, stärkste Schmerzen mit Bewegungseinschränkung und ggf. Fieber, meist Knie- oder Hüftgelenk betroffen Therapie: frühzeitig beginnen, um Gelenk zu erhalten, Antibiose und operative Sanierung des Gelenks, anschließend Physiotherapie, ggf. wird eine Versteifung oder eine Gelenkendoprothese notwendig Pflege: siehe auch ▶ Pflegebasismaßnahmen, ggf. perioperative Pflege (siehe Kap. ▶ 39) auf Entzündungszeichen und evtl. entstandene Luxation hin beobachten Schmerzmanagement (siehe Kap. ▶ 21)

51.5.5 Knochentumoren 51.5.5.1 Knochenmetastasen Entstehen durch Absiedelung oder Streuung eines bösartigen Tumors aus anderen Organen über den Blutweg (hämatogen). Vor allem Brust-, Prostata-, Lungen-, Nieren- oder Schilddrüsenkarzinom metastasiert in die Knochen. Betroffen sind meist Wirbelsäule, Becken und Oberschenkel. Symptome: Rückenschmerzen oder Beschwerden in Knochenbereichen, die Belastbarkeit des Knochens ist herabgesetzt und es kommt zu pathologischen Frakturen mit Schmerzen und evtl. neurologischen Ausfällen. Diagnose: Blutuntersuchungen, Röntgen und Knochenszintigrafie Therapie: häufig palliativ, Behandlung des Primärtumors, ggf. Radiotherapie der Metastase, Gabe von Schmerzmitteln (Analgetika) und Bisphosphonaten, um den Knochenabbau zu hemmen. Pflege: siehe ▶ Pflegebasismaßnahmen, Kap. ▶ 38 und Kap. ▶ 41

51.5.5.2 Primäre Knochentumoren Sie entstehen direkt aus dem Knochengewebe und sind häufiger gut- als bösartig. Insgesamt machen sie nur 1 % der Knochentumoren aus. Symptome: lange asymptomatische, unspezifische Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Schwellungen, später entstehen pathologische Frakturen und B-Symptomatik (Fieber, Nachtschweiß u.a.) Therapie: bei gutartigen Tumoren symptomorientiert, bei bösartigen Tumoren abhängig vom Stadium des Tumors. Meist erfolgt eine Kombination von OP, Chemo- und Radiotherapie. Pflege: siehe ▶ Pflegebasismaßnahmen und Kap. ▶ 38„Pflege von Menschen mit malignen Tumoren"

51.5.6 Erkrankungen der Wirbelsäule 51.5.6.1 Pflege

Mobilisieren und Positionieren Stabilitätsgrad nach Wirbelsäulenoperationen ausschlaggebend: Instabilität: keine Mobilisation Drehstabilität: nur En-bloc-Drehungen Lagerungsstabilität: längere Seitenlage möglich Mobilisationsstabilität: Mobilisation i. d. R. mit Korsett Belastungsstabilität: Mobilisation ohne Korsett flache Rückenlage, ggf. bis zu 20°-Kopfteilanhebung ▶ En-bloc-Drehungen Einsatz von Hilfsmitteln (z.B. hohe Nachttische) Rückenschule in Anschlussheilbehandlung (AHB)

51.5.6.2 Morbus Scheuermann Definition Morbus Scheuermann Morbus Scheuermann ist eine Wachstumsstörung der Wirbelkörper, das im Kindes- oder Jugendalter als Rundrücken (Kyphose) sichtbar wird. In der Folge kann es zu Deformationen der Wirbelkörper kommen. ▶ Therapie und Pflege. Bei leichten Fällen ist eine spezielle Physiotherapie ausreichend, bei ausgeprägten Kyphosen muss ein Korsett (Rumpforthese) getragen werden. Langes, gebeugtes Sitzen oder Lastenheben soll vermieden werden, daher ist die Berufswahl sehr wichtig. Auch Sportarten, z.B. Radfahren oder Ball-/Kampfsportarten sind ungeeignet. Diese Einschränkungen sind für die Jugendlichen oft eine hohe psychische Belastung, ggf. kann die Anbindung an Selbsthilfegruppen hilfreich sein. Die Jugendlichen erhalten zudem Rückenschulungen. Nach Abschluss der Wachstumsphase schreitet Morbus Scheuermann nicht weiter voran, bis dahin entstandene Veränderungen bleiben jedoch bestehen. Siehe auch ▶ Pflegebasismaßnahmen und ▶ Pflege bei Erkrankungen der Wirbelsäule.

51.5.6.3 Skoliose Definition Skoliose Eine Skoliose ist eine Fehlstellung der Wirbelsäule und entsteht meist während der Wachstumsphase. Dabei kommt es zur Seitenverbiegung der Wirbelsäule mit einzelnen verdrehten Wirbelkörpern. Beschwerden treten erst nach langen Fehlbelastungen aufgrund von Knochen- und Gelenkschäden auf.

▶ Therapie und Pflege. Konservative Therapie erfolgt wie bei Morbus Scheuermann. Bei hochgradigen Skoliosen muss die Wirbelsäule operativ begradigt werden, ggf. müssen einzelne Wirbelsäulensegmente versteift werden, dabei ist mit Spätkomplikationen zu rechnen. Meist muss ein Korsett (Rumpforthese) getragen werden. Besonders wichtig ist die konsequente Durchführung der Gymnastik nach K. Schroth zur Stärkung der Rückenmuskulatur. Siehe auch ▶ Pflegebasismaßnahmen und ▶ Pflege bei Erkrankungen der Wirbelsäule.

51.5.6.4 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Definition Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Darunter werden alle altersbedingten Verschleißerkrankungen an den Bandscheiben, den Wirbelkörpern und -gelenken sowie den Bändern und Muskeln zusammengefasst ( ▶ Abb. 51.2).

Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen. Abb. 51.2 Bei der Chondrose verliert die Bandscheibe an Höhe, bei der Osteochondrose tritt zusätzlich eine knöcherne Reaktion mit den benachbarten Wirbeln auf. Bei der Spondylose entstehen Randzacken an den Wirbelkörpern, bei der Spondylarthrose bestehen arthrotische Veränderungen an den Wirbelgelenken. Die Veränderungen (Anbauten) der Wirbelkörper und Bandscheiben engen den Spinalkanal ein und führen zu Spinalkanalstenose. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

Pathophysiologie Durch die flacher werdenden Bandscheiben wird der betroffene Wirbelsäulenbereich überbeweglich und instabil, was zum Wirbellösen (Spondylolyse) bzw. Wirbelgleiten (Spondylolisthesis) sowie zum Bandscheibenvorfall führen kann. Am häufigsten ist die Lendenwirbelsäule betroffen.

Symptome Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in die Extremitäten Muskelverspannungen Schonhaltung Bei Belastung verschlimmern sich die Symptome.

Therapie und Pflege medikamentöse Therapie: Lokalanästhetikum, Glukokortikoide, ▶ NSAR

Operationen sind nur selten hilfreich. gezielte Physiotherapie und Rückenschulung bei Schmerzen im Lendenwirbelbereich Positionierung in Stufenbettlage siehe auch ▶ Pflege bei Erkrankungen der Wirbelsäule

51.5.7 Erkrankungen des Knies und des Fußes 51.5.7.1 Genu varum und valgum Definition Genu varum und valgum Genu varum (O-Beine) und Genu valgum (X-Beine) sind angeborene oder erworbene Fehlstellungen der Beinachse. Symptome: zunächst keine Symptome, durch falsche Belastung entsteht frühzeitig eine Arthrose Therapie: bei kleineren Fehlstellungen Physiotherapie, orthopädisches Schuhwerk, bei ausgeprägten Fehlstellungen Umstellosteotomie der Tibia Pflege: siehe ▶ Pflegebasismaßnahmen bei traumatischen und orthopädischen Erkrankungen

51.5.7.2 Meniskusschäden Definition Meniskusschäden Sie entstehen entweder durch Degeneration im Alter oder durch Traumen (Einrisse oder Rupturen). Symptome: nach Trauma: plötzliche, stechende Schmerzen, Bewegungseinschränkungen im Knie (meist Streckhemmung), Schwellung durch Erguss degenerativ: Belastungsschmerz, Gelenkblockaden Therapie: i.d.R. operativ durch Arthroskopie (Meniskus wird genäht oder ganz/teilweise entfernt), ggf. werden Kollagen-Meniskusimplantate eingesetzt, um das Arthroserisiko zu senken. Pflege: siehe ▶ Pflegebasismaßnahmen, ggf. postoperativ Sitz der Knieschiene überprüfen

51.5.7.3 Hallux valgus

Definition Hallux valgus Zehenfehlstellung, bei der die Großzehe im Grundgelenk zu den Nachbarzehen hin abknickt und gleichzeitig nach innen gedreht ist. Meist sind Frauen über 50 Jahre betroffen. Risikofaktoren: familiäre Disposition, Spreizfüße, enges Schuhwerk Symptome: Belastungsschmerzen, Rötungen, Schwielen und Hautdefekte am Grundgelenk, eingeschränkte Beweglichkeit, Entzündungen, Arthrose im Großzehengrundgelenk Therapie: Operation: gelenkerhaltend, wenn das Grundgelenk noch frei beweglich ist und keine Arthrose vorliegt, oder Gelenk wird versteift (Arthrodese) Pflege: präoperativ: die Füße gründlich reinigen postoperativ: Fuß in Hallux-Schiene höher positionieren und kühlen nach Lokalanästhesie: vor Kälteanwendungen Sensibilität im Fuß überprüfen zur Mobilisation Vorfußentlastungsschuh anziehen bei Spickdrähten verstärkt auf Infektionen achten (Pin-Track-Infektion) zur Mobilisation ggf. Spickdrähte abpolstern, um ein Anstoßen mit den Drähten im Vorfußentlastungsschuh zu vermeiden

KOMPAKT Orthopädische Erkrankungen Arthrose: schmerzhafte degenerativ-rheumatische Erkrankung der Gelenke mit Zerstörung des Gelenkknorpels, Gelenkentzündungen, die zu Verformungen bis hin zur Einsteifung des Gelenks führen können Osteoporose: durch Abbau der Knochensubstanz sinkt die Knochendichte und das Frakturrisiko steigt Osteomyelitis: Entzündung des Knochenmarks; verursacht endogen, z.B. durch Mandelentzündung, oder exogen, z.B. durch offene Fraktur oder OP eitrige Arthritis: akute bakterielle Gelenkentzündung mit Eiteransammlung im Gelenk (Gelenkempyem, Pyarthrose) Knochentumoren:

primäre Knochentumoren entstehen direkt aus dem Knochengewebe, häufiger gut- als bösartig Knochenmetastasen entstehen durch Absiedelung oder Streuung eines bösartigen Tumors aus anderen Organen über den Blutweg (hämatogen). Erkrankungen der Wirbelsäule: Morbus Scheuermann: Wachstumsstörung der Wirbelkörper, im Kindes- oder Jugendalter als Rundrücken (Kyphose) sichtbar Skoliose: Fehlstellung der Wirbelsäule mit Seitenverbiegung der Wirbelsäule und Verdrehung von Wirbelkörpern (Rotation des Wirbelsäulenabschnitts) degenerative Wirbelsäulenerkrankungen: alle altersbedingten Verschleißerkrankungen an den Bandscheiben, den Wirbelkörpern und -gelenken sowie den Bändern und Muskeln, z.B. Spondylose, Spondylarthrose, Spinalkanalstenose Erkrankungen des Knies und des Fußes: Meniskusschäden durch Degeneration im Alter oder durch Traumen (Einrisse oder Rupturen) Hallux valgus: Zehenfehlstellung

51.6 Rheumatische Erkrankungen Definition Rheumatische Erkrankungen Unter den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises werden zahlreiche (mehr als 100) unterschiedliche entzündliche und degenerative Erkrankungen im Bereich der Gelenke, Sehnen, Knochen, Muskeln und des Bindegewebes zusammengefasst. Es werden 4 Hauptgruppen unterschieden: 1. entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bewegungssystems 2. degenerative Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen 3. Weichteilrheumatismus, z.B. Fibromyalgie (Fasermuskelschmerzen, mit ungeklärter Ursache und ungeklärtem Pathomechanismus) 4. Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden (z.B. Gicht)

51.6.1 Grundlagen In diesem Kapitel werden die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen des Bewegungssystems thematisiert. Viele dieser Erkrankungen sind autoimmun,

d.h., das Immunsystem richtet sich gegen eigenes Körpergewebe. Sie verlaufen meist chronisch und schubweise mit Remissionsphasen. Zu den entzündlichrheumatischen Erkrankungen des Bewegungssystems zählen z.B.: rheumatoide Arthritis Morbus Bechterew Kollagenosen reaktive Arthritis (= Gelenkentzündung nach einer bakteriellen Infektion, meist Darm- oder Harninfekt) Psoriasis-Arthritis (= Schuppenflechte mit Gelenkbeteiligung)

51.6.1.1 Pathophysiologie Auslöser der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sind nicht bekannt. Vermutet werden genetische Veranlagung und Infektionen durch Bakterien oder Viren.

51.6.1.2 Symptome und Verlauf chronische Schmerzen und Bewegungseinschränkungen Im Verlauf treten Deformierungen des betroffenen Gewebes auf. Alltägliche Dinge fallen immer schwerer, was das Berufs- und Privatleben zunehmend einschränkt.

51.6.1.3 Diagnostik Anamnese und klinische Untersuchungen bildgebende Verfahren (z.B. Röntgen, CT) Blutwerte (z.B. Entzündungsparameter, Autoantikörper, HLA-Antigene) Haut- und Augenuntersuchungen

51.6.1.4 Therapie Medikamentöse Basistherapeutika Langwirksame Rheumamedikamente Wirkstoffgruppe, z.B. Zytostatika (Methotrexat), Kalzineurinhemmer (Ciclosprin A), Pyrimidin-Synthese-Hemmer (Leflunomid), Antikörper/TNFBlocker/Biologika (Etanercept) zur Dämpfung des Immunsystems (Immunsuppressiva) Regelmäßige und langfristige Einnahme ist essenziell, um die Autoimmunreaktion des Immunsystems zu verhindern. Wirkungseintritt erfolgt erst nach Wochen bzw. Monaten. Nebenwirkung: Übelkeit, Erbrechen, Infektanfälligkeit, Leber- und Nierenschäden, Haarausfall, Kopfschmerzen, allergische Reaktion ▶ Weitere Medikamente. Medikamente in akuten Phasen oder bis die Basistherapie anschlägt:

Glukokortikoide: wirken immunsuppressiv und entzündungshemmend Nebenwirkung: z.B. Wundheilungsstörungen, erhöhtes Infektionsrisiko, Hautveränderungen (Pergamenthaut), erhöhte Blutzuckerwerte NSAR: haben eine entzündungshemmende, fiebersenkende und schmerzstillende Wirkung; für Akutphasen Nebenwirkung: z.B. Magen-Darm-Geschwüre ggf. Protonenpumpenhemmer (z.B. Pantoprazol) zum Schutz der Magenschleimhaut

Weitere therapeutische Maßnahmen in der Rheumatologie Physiotherapie Ergotherapien physikalische Therapien: im akuten Entzündungsschub Kälteanwendungen, im Intervall Wärmeanwendungen intraartikuläre Injektionen Operationen, z.B. Synovektomien (Entfernung der Gelenkinnenhaut), Osteotomien (Durchtrennung von Knochen bzw. Entfernung von Knochenfragmenten) oder Arthrodesen (Gelenkversteifungen) Die Therapie, die durch regelmäßige Laborkontrollen und Untersuchungen gekennzeichnet ist, kann durch den Arzt und den Betroffenen mithilfe von Therapieüberwachungsbögen überwacht werden.

51.6.1.5 Pflegebasismaßnahmen bei rheumatischen Erkrankungen Medikamenten- und Therapiemanagement Pflegeempfänger über Medikamente, Dosierung, Einnahmezeiten, Wirkung und Nebenwirkungen informieren und so die korrekte Einnahme fördern Pflegeempfänger auf (Neben-)Wirkungen der Medikamente beobachten und zur Selbstkontrolle anleiten, z.B.: Teerstuhl kann Hinweis auf eine Blutung in der Magen-Darm-Passage sein, z.B. durch Zytostatika. hoher Blutzucker, z.B. durch Glukokortikoide Bluthochdruck, z.B. durch NSAR Pflegeempfänger anleiten, ihren Rheumapass selbstständig zu führen. Er sollte Informationen zur aktuellen Therapie, zu Kontrollterminen oder unwirksamen bzw. unverträglichen Medikamenten beinhalten. bei Bedarf Pflegeempfänger zur selbstständigen subkutanen Injektion anleiten Kälte- oder Wärmeanwendungen: Während eines akuten Schubs hilft trockene Kälte, bei Sekundärarthrosen Wärme.

▶ Schmerzmanagement. Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21. ▶ Notfallmanagement. Einige Basistherapeutika können allergische Reaktionen auslösen (z.B. Zytostatika, Biologika). Symptome: z.B. Dyspnoe, Schüttelfrost, Schwindelgefühl oder Unwohlsein Maßnahme: sofort die laufende Infusion stoppen und einen Arzt verständigen; Pflegeempfänger möglichst nicht alleine lassen Mobilisation und Körperpflege Sturzprophylaxe durchführen und über Sturzgefahr aufklären (siehe Kap. ▶ 17.14) genügend Zeit für die Körperpflege einplanen und aktivierend pflegen, ggf. Hilfsmittel einsetzen (siehe Kap. ▶ 16) praktische Kleidung und Schuhe wählen, die gut alleine an- und ausgezogen werden können (z.B. durch Klettverschluss oder Gummizug) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Rehabilitationsmaßnahmen früh einleiten und zu Aspekten der Alltagsbewältigung beraten (interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Physiound Ergotherapie, Medizinern usw.) Pflegeempfänger über Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeverbände informieren (www.rheuma-liga.de)

51.6.2 Rheumatoide Arthritis Definition Rheumatoide Arthritis (chronische Polyarthritis) Systemisch-entzündliche Erkrankung der Gelenke mit chronischem Verlauf, die sich i.d.R. durch den Befall an mehreren Gelenken (Polyarthritis) mit symmetrischer Verteilung auszeichnet. Tritt die Erkrankung vor dem 16. Lebensjahr auf, handelt es sich um eine juvenile idiopathische Arthritis (JIA). Das Krankheitsbild ähnelt dem des Erwachsenen mit der Gefahr von asymmetrischen Wachstumsstörungen. Eine besonders schwere Form der JIA ist das v.a. im Kleinkindalter auftretende Still-Syndrom (Morbus Still oder systemische JIA) mit zusätzlichem Befall der inneren Organe (Lymphknotenschwellung, kleinfleckiges, lachsfarbiges Exanthem).

51.6.2.1 Symptome Die Symptome der rheumatoiden Arthritis sind in der ▶ Tab. 51.5  aufgelistet. Tab. 51.5 Symptome der rheumatoiden Arthritis.

Frühsymptome

nach Wochen bis Monaten

im weiteren Verlauf

Morgensteifigkeit

Ruheschmerzen

Deformationen und Kontrakturen

symmetrische Schwellungen

(v.a. an den Fingergelenken)

Bewegungseinschränkungen

Sehnenscheiden- und Schleimbeutelentzündungen

rasche Ermüdbarkeit, Erschöpfung

Druckempfindlichkeit im betroffenen Gelenk Fieberschübe Gewichtsverlust

subkutane Rheumaknoten Befall der inneren Organe

(v.a. Lunge, Herz, Augen)

Erschöpfung

51.6.2.2 Diagnostik ▶ Rheumadiagnostik Bestimmung von Leber- und Nierenwerten, um die bestmögliche Therapie auszuwählen bei geplanter Gelenkpunktion vorher Gerinnungsstatus erheben

51.6.2.3 Therapie siehe ▶ Therapie bei rheumatischen Erkrankungen Bei einem akut entzündeten Gelenk kann eine Schiene zur Ruhigstellung indiziert sein.

51.6.2.4 Spezielle Pflege ▶ Pflegebasismaßnahmen bei rheumatischen Erkrankungen Medikamente: möglichst früh am Morgen (nicht nüchtern!) einnehmen lassen (ggf. Retardpräparate am Abend), um Gelenksteifigkeit und Schmerzen am Morgen zu reduzieren Positionierung: den Pflegeempfänger unterstützen, sich bequem für die Nacht hinzulegen, ggf. Nachtschiene anlegen, die Höhe des Bettes entsprechend einstellen Fußpflege: sorgfältig durchführen, bei Deformierungen auf Rötungen und Druckstellen achten; für gute Polsterung sorgen und über angemessenes Schuhwerk beraten Ernährung: wenig rotes Fleisch, Adipositas, Alkohol und Rauchen vermeiden; empfohlen wird eine mediterrane, ballaststoffreiche Mischkost, es gibt keine „Rheumadiät“

51.6.3 Morbus Bechterew Definition Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans) Chronische, in Schüben verlaufende Systemerkrankung, die v.a. zu Entzündungen an den Wirbelgelenken, den Iliosakralgelenken und am Bandapparat der Wirbelsäule führt,

wodurch es zu einer fortschreitenden Verknöcherung und Verkrümmung der Wirbelsäule kommt. Krankheitsbeginn ist meist im Alter von 15–35 Jahren.

51.6.3.1 Symptome Die Symptome sind in der ▶ Tab. 51.6  aufgelistet. Tab. 51.6 Symptome bei Morbus Bechterew. Frühsymptome

im Krankheitsverlauf

tiefsitzende Rückenschmerzen Gesäßschmerzen

Endstadium

Rundrücken (Kyphose)

keine Bewegung mehr möglich

Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule

dadurch Einschränkungen bei der Atmung

ggf. Fersenschmerzen Hüft-, Knie- und Schulterschmerzen

51.6.3.2 Diagnostik Anamnese und klinische Untersuchungen (MRT) Laborchemisch: Nachweis von HLA-B27-Gen (90-fach höhere Wahrscheinlichkeit, an Morbus Bechterew zu erkranken)

51.6.3.3 Therapie medikamentöse ▶ Basistherapeutika tägliche physiotherapeutische Übungen physikalische Maßnahmen (z.B. Wärme/Kälte, Ultraschall) im Endstadium operative Aufrichtungsosteotomie

51.6.3.4 Spezielle Pflege Schmerzen: bei nächtlichen Schmerzen Umhergehen ermöglichen, da dies schmerzlindernd wirkt; bei Entzündungen an der Ferse oder der Achillessehne auf gut gepolsterte Schuhe achten Physiotherapie: zur Physiotherapie motivieren und die Notwendigkeit verdeutlichen (wegen der Schmerzen führen diese Patienten die Übungen oft nicht durch) über Selbsthilfegruppen informieren (www.bechterew.de)

51.6.4 Kollagenosen Definition Kollagenosen „Kollagenosen“ ist ein Sammelbegriff für entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bindegewebes. Autoimmunprozesse verursachen Schäden der Haut, des Subkutangewebes, der Muskulatur und vieler innerer Organe, aber auch der Gelenke.

51.6.4.1 Systemischer Lupus erythematodes (SLE) SLE verursacht Schäden an Haut, Gelenken, Blutgefäßen, inneren Organen und am ZNS. Meist erkranken Frauen zwischen 25 und 35 Jahren. Mögliche Auslöser, bei vorhandener genetischer Veranlagung, können Virusinfektionen, Sonnenstrahlung, Hormone und Medikamente sein.

Symptome Die Symptome sind stark abhängig davon, welche Organsysteme betroffen sind: allgemein: starkes Krankheitsgefühl mit grippeähnlichen Beschwerden und Fieber Gelenke: Gelenkschmerzen (Arthralgie), Arthritis, Deformationen Haut: Schmetterlingserythem im Gesicht, Sonneneinstrahlungssensitivität, Erytheme am Körper, Schleimhautgeschwüre, Haarausfall Herz: Endokarditis, Perikarditis, Myokarditis, Klappenschäden, Herzinfarkt Lunge: „Lupus-Pneumonitis“ Nieren: „Lupus-Nephritis“ ZNS: Kopfschmerzen, Krampfanfälle, Depressionen, Psychosen, Polyneuropathien

Merke SLE = Chamäleon Wegen der vielen unterschiedlichen Symptome, welche die Diagnosestellung erschweren, wird SLE auch als Chamäleon der Medizin bezeichnet.

Therapie Leichte Verläufe werden mit ▶ NSAR behandelt, bei schweren Verläufen werden zudem Glukokortikoide und ggf. weitere Immunsuppressiva und Zytostatika, ggf. monoklonare Antikörper und Plasmapherese verabreicht.

Pflege je nach vorherrschendem Krankheitsgeschehen Direkte Sonneneinstrahlung kann einen Schub auslösen, daher sollte sie gemieden werden (Pflegeempfänger darüber aufklären). Vitalparameter regelmäßig kontrollieren, um Herz-Kreislauf- oder Nierenbeteiligung rechtzeitig zu erkennen Urinausscheidung beobachten Ödembildung (inkl. Gewicht) beobachten psychosoziale Begleitung: ggf. Psychologen hinzuziehen

51.6.4.2 Systemische Sklerodermie

Definition Systemische Sklerodermie Die Systemische Sklerodermie (progressive systemische Sklerose) ist eine Autoimmunerkrankung des kollagenen Bindegewebes. Dabei vermehrt sich das Bindegewebe in der Haut, den Blutgefäßen und den inneren Organen, wodurch es zu einer Verhärtung kommt. Der Betroffene wird „eingemauert“, bis er sich nicht mehr bewegen kann und die Organe (z.B. Lunge, Ösophagus, Nieren) versagen. Dies kann wenige Monate, aber auch Jahre dauern.

Symptome Ödeme und Rötungen an den betroffenen Fingern („Wurstfinger“), Haut ist straff gespannt, später Atrophie der Haut bis zur Krallenstellung Maskengesicht Mundöffnung verkleinert sich (Mikrostemie), Lippen werden schmaler („Tabaksbeutelmund“), Zungenbändchen verkürzt sich, trockene Mundschleimhaut inkompletter Lidschluss, Austrocknung der Augen Kälte- und Zugempfindlichkeit Gelenkschmerzen und Schwellungen mit Bewegungseinschränkung Raynaud-Syndrom: durch anfallsartige Arterienverengung kommt es zu Durchblutungsstörungen, meist an Fingern und Zehen.

Therapie medikamentöse Therapie: entzündungshemmende (Glukokortikoide) und immunsuppressive (z.B. Zytostatika) Therapie Bindegewebsvermehrung verlangsamende Therapie (z.B. Penicillinamin) durchblutungsfördernde Therapie (z.B. ASS, Prostavasin) Physio-, Ergo- und physikalische Therapie

Pflege Hautpflege nur mit W/Ö-Emulsionen, regelmäßig eincremen, starkes Reiben vermeiden regelmäßige Mundpflege durchführen, Munddusche im fortgeschrittenem Stadium, Speichelfluss fördern warme und locker sitzende Kleidung (inkl. Handschuhen), Druckstellen vermeiden Pflegeempfänger zu physiotherapeutischen Handübungen motivieren Essenswünsche erfragen, ggf. passierte oder flüssige Kost bestellen, Ernährungsberater oder Diätassistenten hinzuziehen, bei Refluxösophagitis

nach der Mahlzeit nicht hinlegen. Augencremes auftragen psychologische Betreuung hinzuziehen und siehe Kap. ▶ 37 „Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Menschen“

KOMPAKT Rheumatische Erkrankungen Hauptgruppen: entzündlich-rheumatische Erkrankungen, degenerative Gelenkund Wirbelsäulenerkrankungen, Weichteilrheumatismus, z.B. Fibromyalgie, Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden, z.B. Gicht entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bewegungssystems: autoimmun, der Verlauf ist chronisch mit Schüben und Remissionsphasen rheumatoide Arthritis: auch chronische Polyarthritis genannt, systemischentzündliche Erkrankung der Gelenke mit symmetrischer Verteilung Morbus Bechterew: eine Systemerkrankung, die verschiedene Abschnitte der Wirbelsäule befallen kann und zu einer fortschreitenden Verknöcherung und Verkrümmung der Wirbelsäule führt Kollagenosen: entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bindegewebes mit Schäden der Haut, des Subkutangewebes, der Muskulatur, innerer Organe und der Gelenke

52 Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems 52.1 Anatomie und Physiologie

52.1.1 Einteilung 52.1.1.1 Topografisch zentrales Nervensystem (ZNS): Gehirn und Rückenmark peripheres Nervensystem (PNS): alle Nervenstrukturen in der Peripherie (außerhalb des ZNS)

52.1.1.2 Funktionell somatisches Nervensystem: steuert willkürliche und reflexartige (unwillkürliche) Körperbewegungen leitet und verarbeitet über Sinnesorgane aufgenommene Informationen und ermöglicht die bewusste Wahrnehmung unserer Umwelt autonomes (vegetatives) Nervensystem: unbewusste Steuerung der Organfunktionen durch 2 „Gegenspieler“: Sympathikus: versetzt Körper in Alarmbereitschaft (Herzfrequenz ↑, Muskeldurchblutung ↑, Bronchien weit gestellt), Neurotransmitter: Noradrenalin Parasympathikus: versetzt Körper in entspannten Zustand (Herzfrequenz ↓, Verdauung ↑), Neurotransmitter: Acetylcholin

52.1.2 Aufbau des zentralen Nervensystems (ZNS) Gehirn (Encephalon): Großhirn, Zwischenhirn, Hirnstamm und Kleinhirn ( ▶ Abb. 52.1) Rückenmark (Medulla spinalis): liegt im Wirbelkanal. Schließt an den Hirnstamm an und wird in 32 Segmente unterteilt.

Meningen (Hirnhäute): Gehirn und Rückenmark werden von 3 Meningen umgeben: Dura mater (äußerste Hülle): besteht aus 2 Schichten, die im Bereich des Gehirns fast überall fest miteinander verbunden sind. Im Bereich des Rückenmarks liegt zwischen den beiden Schichten der Epiduralraum. Arachnoidea (Spinnengewebshaut, mittlere Hülle): Sie liegt direkt der Dura mater an. Pia mater (innere Hülle): Sie ist von der Arachnoidea durch den Subarachnoidalraum getrennt, der viele Gefäße enthält. Die Pia mater liegt der Oberfläche von Gehirn und Rückenmark direkt auf. Liquor cerebrospinalis: Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umgibt. Sie schützt vor Erschütterungen und übernimmt die Aufgabe der Lymphe. Liquor befindet sich im Subarachnoidalraum, in den Hirnventrikeln, im Zentralkanal des Rückenmarks. Das Gehirn und seine Abschnitte. Abb. 52.1 Längsschnitt durch das Gehirn (Großhirn, Zwischenhirn, Hirnstamm und Kleinhirn). (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

52.1.2.1 Graue und weiße Substanz Merke Graue und weiße Substanz Die graue Substanz des Gehirns besteht v.a. aus Nervenzellkörpern. Die weiße Substanz des Gehirns besteht überwiegend aus Nervenfasern.

52.1.2.2 Gehirn Im Gehirn liegt die graue Substanz hauptsächlich an der Oberfläche und bildet die Hirnrinde (Kortex). Nervenzellen mit ähnlicher Funktion sind in Rindenfeldern angeordnet. So gibt es z.B. Rindenfelder, die für die Steuerung von Bewegungen in bestimmten Extremitäten zuständig sind. Andere sind für die Verarbeitung sensibler Signale aus einem bestimmten Körperareal zuständig.

Kleinere Ansammlungen grauer Substanz, die eingebettet in die weiße Substanz im Inneren des Gehirns liegen, nennt man Hirnkerne (Nuclei). Beispiel dafür sind die Basalkerne (Basalganglien), die im Großhirn mit Zwischenhirn, Hirnstamm und den Kleinhirnkernen Bewegungsabläufe koordinieren. Im verlängerten Mark befinden sich Hirnkerne, in denen das Kreislaufzentrum, das Atemzentrum und das Brechzentrum angesiedelt sind. An den Hirnnervenkernen des Hirnstamms entspringen die Hirnnerven. Unterhalb der Hirnrinde liegt die weiße Substanz, die die Informationen zwischen Rückenmark, Hirnrinde und Hirnkernen leitet.

52.1.2.3 Rückenmark Im Rückenmark liegt die graue Substanz im Querschnitt schmetterlingsförmig innerhalb der weißen Substanz. Sie wird unterteilt in Hinterhörner (sensible Nervenzellen, afferente Fasern), Vorderhörner (motorische Nervenzellen, efferente Fasern) und Seitenhörner (autonome Nervenzellen). In der weißen Substanz des Rückenmarks ziehen aufsteigende (sensible) Bahnen von den Hinterhörnern zum Gehirn, absteigende (motorische) Bahnen leiten Informationen vom Gehirn zu den Vorderhörnern.

52.1.2.4 Hirn- und Rückenmarksgefäße Hirnarterien A. cerebri media (Bezeichnung für die A. carotis interna in der Schädelhöhle): Sie versorgt die mittleren Gehirnabschnitte mit Blut. A. cerebri anterior: Sie entspringt der A. cerebri media und versorgt die vorderen Bereiche des Gehirns.

A. cerebri posterior: Ihre beiden Äste (links und rechts) entspringen der Teilung der A. basilaris, die sich aus dem Zusammenfluss der beiden Wirbelarterien bildet (linke und rechte A. vertebralis). Die 6 Gehirnarterien sind durch Verbindungsäste miteinander verbunden und bilden an der Hirnbasis einen Gefäßring (Circulus arteriosus). Daneben gibt es noch zahlreiche weitere, kleine Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen (u.a. Abflüsse aus der A. basilaris). ▶ Hirnvenen. Das venöse Blut fließt über oberflächliche, subarachnoidal verlaufende oder tiefe Hirnvenen in venöse Blutleiter (Hirnsinus). Von dort wird es zur V. jugularis interna geleitet. ▶ Gefäßversorgung des Rückenmarks. Das Rückenmark wird von den längs verlaufenden Aa. spinales versorgt (zwei hinten, eine vorne). Zudem wird segmental Blut aus den Zwischenrippenarterien zugeführt. Das venöse Blut fließt über das Venengeflecht im Epiduralraum ab.

52.1.3 Aufbau des peripheren Nervensystems (PNS) Das PNS besteht aus Hirnnerven und Spinalnerven. Aus den Fasern der kurzen Spinalnerven bilden sich durch Teilung oder Umlagerung die peripheren Nerven, die bis in die Peripherie ziehen. Die Nerven des PNS bestehen hauptsächlich aus 3 Fasertypen: sensible (afferente) Fasern: leiten Informationen aus der Peripherie zum ZNS motorisch (efferente) Fasern: leiten Bewegungsimpulse in die Muskeln

autonome Fasern: steuern Organfunktionen

52.2 Pflegebasismaßnahmen ▶ Wahrnehmen und Beobachten. Aufgrund der möglichen Einschränkungen in den Bereichen Bewegung, Sensibilität, Ausscheidung, Nahrungsaufnahme, Bewusstsein, Sprache, Sehen bis hin zum völligen Verlust der Aktivitäten, sollten folgende Aspekte besonders beobachtet werden: Vitalparameter, ggf. Monitoring, z.B. bei Schädel-HirnTrauma oder Schlaganfall (Puls, RR, Temperatur, Atmung, BZ und Pupillenreaktion) Bewegung (z.B. Gang) und Bewegungskoordination (Lähmungen?) Sensibilitätsstörungen Sprach-/Sprechstörungen (z.B. verwaschene Sprache, Wortfindungsstörung) Ausscheidung (z.B. Inkontinenz? Obstipation?) Bewusstseinslage (Schläfrigkeit? Hirndruckzeichen?) Schmerzen, ggf. Schmerzskalen anwenden (siehe Kap. ▶ 21) Mobilisation, Positionierung und Schlaf Integration von Prinzipien der therapeutischaktivierenden Pflege, des ▶ Bobath-Konzepts, ggf. der ▶ Basalen Stimulation, in die Pflege von Menschen mit neurologisch bedingten Bewegungsstörungen Pflegeempfänger mit erhöhtem Hirndruck werden ggf. mit erhöhtem Oberkörper positioniert. Da die Nachtruhe oft aufgrund von Schmerzen gestört ist, werden die Betroffenen in eine schmerzentlastende

Position gebracht, z.B. Stufenbett bei Bandscheibenvorfall,(siehe Kap. ▶ 15.6) ▶ Prophylaxen. Bei den neurologischen Erkrankungen sind oft die Schutzreflexe eingeschränkt (Schlucken, Bewegung, Gleichgewichtssinn), deswegen sind prophylaktische Maßnahmen besonders wichtig (siehe Kap. ▶ 17). ▶ Schmerzmanagement. Kopfschmerzen begleitet von Übelkeit und Erbrechen können ein Warnsignal auf erhöhten Hirndruck sein und müssen schnellstmöglich behandelt werden. Alle anderen Schmerzen werden täglich erfragt, anhand der Schmerzskala erfasst und adäquat entsprechend des Schmerzmanagements behandelt (siehe Kap. ▶ 21). Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Pflegeempfänger und seine Angehörigen über die Notwendigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme und die Durchführung der physio-, logo- und ergotherapeutischen Maßnahmen informieren Anleitung und Einbeziehung der Angehörigen in die basispflegerischen Maßnahmen unter Einbeziehung und Förderung der Ressourcen. Ziel ist es, die Selbständigkeit des Pflegeempfängers erhalten bzw. wiederherstellen. Pflegeempfänger und ggf. seine Angehörigen über die rehabilitativen Maßnahmen informieren, ggf. Sozialdienst einschalten Das therapeutische Team der neurologischen Pflegeempfänger ist multidisziplinär. Die Aufgabe der Pflegefachkräfte besteht in der Koordination, Informationsweiterleitung und ggf. Steuerung des Genesungs- und Rehabilitationsprozesses.

▶ Psychosoziale Begleitung. Die neurologischen Erkrankungen sind für die Pflegeempfänger sehr belastend und meistens mit (Zukunfts-)Ängsten sowie Demotivation verbunden. Eine empathische Haltung der Pflegenden wirkt sich auf die Situation der Pflegeempfänger positiv und motivierend aus.

52.3 Grundlagen des Bobath-Konzepts 52.3.1 Grundprinzipien

Definition Bobath-Konzept Das Bobath-Konzept ist ein bewegungstherapeutisches Konzept. Es wird u.a. im Rahmen der Rehabilitation von Menschen mit Erkrankungen des ZNS genutzt (z.B. bei Schlaganfall, SchädelHirn-Trauma, Multiple Sklerose). Das Bobath-Konzept basiert auf der Annahme der lebenslangen Lernfähigkeit und Plastizität (Umstrukturierungsfähigkeit) des Gehirns. Ist eine Gehirnhälfte z.B. durch einen Schlaganfall beeinträchtigt, kann die gesunde Gehirnhälfte lernen, die Aufgaben und Fähigkeiten der beeinträchtigten Gehirnhälfte zu übernehmen. Wiederholungen und gezielte Stimulation wirken dabei fördernd.

52.3.2 Ziele Die zentralen Ziele der therapeutisch aktivierenden Pflege nach dem Bobath-Konzept: Aktivierung des Pflegeempfängers zur Normalisierung des Muskeltonus Verbesserung der Haltungskontrolle Verbesserung der Körperwahrnehmung Anbahnung von normalen Bewegungsabläufen Alle Personen, die an der Pflege und Therapie beteiligt sind, inklusive der Angehörigen, müssen das Konzept rund um die Uhr konsequent umsetzen.

52.3.2.1 Aktivierung des Pflegeempfängers zur Normalisierung des Muskeltonus

Bei einer Erkrankung des ZNS (z.B. bei einem Schlaganfall) kann sich der Muskeltonus ändern: Die Muskulatur kann schlaff (niedriger Muskeltonus) oder stark angespannt sein (Spastik), womit gezielte Bewegungen nicht möglich sind. Daher muss der Muskeltonus angepasst werden, um physiologische/alltägliche Bewegungsabläufe zu ermöglichen. ▶ Allgemeine Faktoren. Allgemeine Faktoren, die den Muskeltonus beeinflussen: (Raum-)Temperatur: Kälte erhöht, Wärme reduziert den Tonus. Bewegungsgeschwindigkeit: Schnelle Bewegungen erhöhen, langsame reduzieren den Tonus. psychische Faktoren: Angst, Unsicherheit, Stress erhöhen den Tonus. ▶ Spezifische Faktoren. Spezifische Faktoren, die den Muskeltonus beeinflussen können: Unterstützungsfläche: Je größer die Unterstützungsfläche, desto geringer ist der Muskeltonus und umgekehrt, z.B. im Liegen ist der Tonus am niedrigsten. Wichtig dabei ist, dass keine Hohlräume entstehen (großflächig unterlagern) und der Betroffene bequem liegt. Bei Überstreckung der Gelenke steigt der Tonus. Lage im Raum (Einfluss von Schwerkraft): Die Position des Betroffenen ist entscheidend, wie anstrengend die Bewegung ist, z.B. ein Arm lässt sich im Sitzen leichter heben als im Liegen. Stabilität vor Mobilität: Damit eine Aktivität sicher ausgeführt werden kann, muss ein Gleichgewicht zwischen Mobilität und Stabilität bestehen, z.B. der Pflegeempfänger muss im Sitzen festen Bodenkontakt

haben (Stabilität), um sich ohne Anstrengung und Angst nach vorn beugen zu können (Mobilität). Schlüsselpunkte: Auch Kontrollpunkte im Sinne des Bobath-Konzepts genannt, sind folgende Körperregionen, an denen sich Initialimpulse effektiver einleiten lassen: zentral: Thorax proximale (körpernahe): Schulter, Becken distale (körperferne): Hände und Füße

52.3.2.2 Verbesserung der Haltungskontrolle Die Kernstabilität, die vom stabilen Becken ausgeht, ist die Grundvoraussetzung, dass der Betroffene sich im Schwerkraftfeld halten kann (Haltungskontrolle). Somit kann er Alltagsaufgaben bewältigen, d.h., erst wenn der Betroffene ohne Unterstützung der Arme frei Sitzen kann, kann er die Arme für Alltagsaktivitäten einsetzen. Fehlende Haltungskontrolle führt zu vermehrter Muskelanspannung und behindert somit die physiologischen Bewegungsabläufe.

52.3.2.3 Verbesserung der Körperwahrnehmung Der Pflegeempfänger soll seinen eigenen Körper wahrnehmen und auf Änderungen reagieren können. Zur Förderung der Körperwahrnehmung eignen sich Maßnahmen der ▶ Basalen Stimulation. ▶ Raumgestaltung bei Hemiplegie. Um die Aufmerksamkeit auf die mehr betroffene Körperhälfte zu fördern, kann der Raum entsprechend gestaltet werden, z.B. indem der Nachtschrank auf der mehr betroffenen Seite positioniert wird, aber nicht in der frühen Phase. das Bett so positioniert wird, dass der Pflegeempfänger über die mehr betroffene Seite in den Raum schauen muss.

Achtung: Die Klingel (Rufanlage) immer auf die weniger betroffene Seite legen, damit sie im Notfall schnell erreichbar ist.

52.3.2.4 Anbahnung von physiologischen Bewegungsabläufen für Alltagshandlungen Definition Physiologischer Bewegungsablauf Unter Physiologischen Bewegungsabläufen ist im Sinne des Bobath-Konzepts ein zielorientiertes und der Situation angepasstes Bewegungsverhalten zu verstehen. Pflegende unterstützen den Pflegeempfänger bei der Anbahnung von Bewegungsabläufen durch Fazilitation.

Definition Fazilitation Fazilitation ist eine Technik zur Interaktion mit dem Pflegeempfänger. Sie erfolgt durch den spezifischen Einsatz der Hände und der Sprache der Pflegefachkraft, sie dient dem interaktiven Lernprozess und ermöglicht Alltagsaktivitäten. Pflegende unterstützen den Pflegeempfänger bei der Anbahnung physiologischer Bewegungsabläufe und achten darauf, dass so wenig Kraft wie nötig angewendet wird. Die Aktivierung eines Pflegeempfängers beruht auf einer Interaktion mit ihm. Voraussetzung dafür ist seine Motivation. Die Pflegenden beobachten den Pflegeempfänger und versuchen zuerst, in Kontakt mit ihm zu treten. Die anschließende Bewegungsinitiierung spielt eine wesentliche Rolle für die aktive Einbeziehung des Pflegeempfängers in seine Bewegung.

52.3.3 Handling – Führen von Bewegungen „Handling“ im Bobath-Konzept ist die therapeutisch korrekte Handhabung des Pflegeempfängers bei der Bewegung. Handling wird genutzt, wann immer ein Pflegeempfänger bewegt wird oder sich durch Fazilitation selbst bewegt (z.B. beim Umsetzen in den Rollstuhl). Pflegende begleiten oder führen die Bewegung, um verlorengegangene Abläufe neu einzuüben. Wichtig dabei ist: sich am Tempo des Pflegeempfängers zu orientieren seine Fähigkeiten zu berücksichtigen Pflegefachkraft und Pflegeempfänger müssen die Kontrolle über die Bewegung haben. Die Bewegungsrichtung des Pflegeempfängers und der Pflegefachkraft müssen übereinstimmen. Was bewegt wird, muss entlastet sein und darf kein Gewicht tragen.

52.3.3.1 Lernangebot Positionierung und Mobilisation Menschen mit einer Bewegungseinschränkung (z.B. Pflegeempfänger mit Hemiplegie nach einem Schlaganfall) müssen u. U. mehrmals am Tag positioniert werden. Allgemein gilt, dass der Pflegeempfänger viele verschiedene Positionen erfahren sollte. Um aus jeder (Neu-)Positionierung auch gleichzeitig ein Lernangebot zu machen, sollte Folgendes beachtet werden: Kopfteil des Bettes flach stellen (Kontraindikation beachten!), somit wird der Druck auf das Gesäß reduziert und das Drehen in Seitenlage leichter. Hilfsmittel (z.B. Kissen, Handtücher, Decken) werden nah an den Körper des Pflegeempfängers angelegt, um Sicherheit und Stabilität zu bieten. Gleichzeitig wird die

Unterstützungsfläche vergrößert und Hohlräume werden vermieden. Die Pflegefachkraft steht meist auf der mehr betroffenen Seite. So kann sie diese Seite unterstützen und in die Abläufe einbeziehen. Grundsätzlich soll sich der Pflegeempfänger in der gewählten Position wohlfühlen und keine Schmerzen haben. Bei der Positionierung bzw. Mobilisation ist auch auf Folgendes zu achten: Vor dem Aufstellen des Beines sollte das Bein zunächst so ausgerichtet werden, dass es parallel zur Körperachse liegt. Beim Becken-zur-Seite-Bewegen wird das sog. Bridging angewendet. Der Pflegeempfänger kann bei der Seitwärtsbewegung die weniger betroffene Hand auf die Schulter der Pflegeperson legen. Damit der Pflegeempfänger mit der Umwelt in Kontakt treten kann, ist die Positionierung auf die mehr betroffene Seite (90°-Seitenlage) zu wählen. Die Positionierung auf die weniger betroffene Seite ist für Schlaf- und Ruhephasen geeignet. Stabiler Sitz im Bett: Pflegeempfänger zum Kopfende bewegen – Knick des Kopfteils auf Leistenhöhe bringen – Oberschenkel und LWS unterpolstern – Kopfteil hochstellen Sitzen an der Bettkante, im Stuhl (zu bevorzugen) oder Rollstuhl (Fußstützen entfernen!): Grundsätzlich muss auf Bodenkontakt geachtet werden. Im Sitzen an der Bettkante spürt der Pflegeempfänger seinen Körper und die Schwerkraft besser als im Liegen. Der Pflegeempfänger übt dabei, die Balance zu halten.

Stehen: Wenn möglich, sollte der Pflegeempfänger das Stehen häufig üben, um sein Körpergewicht und die Schwerkraft zu spüren, Spitzfüße zu vermeiden und die Bewegungsfähigkeit in der Hüfte zu erhalten.

KOMPAKT Das Bobath-Konzept Das Bobath-Konzept ist ein Behandlungskonzept, das bei Menschen mit Erkrankungen des ZNS Anwendung findet, die unter Bewegungsstörungen, Lähmungserscheinungen und Spastiken leiden. Grundannahme: Die Plastizität und die lebenslange Lernfähigkeit des Gehirns ermöglichen das Wiedererlangen der verloren gegangenen Fähigkeiten. Zentrale Ziele des Konzepts sind: Aktivierung des Pflegeempfängers zur Normalisierung des Muskeltonus Verbesserung des Muskeltonus Verbesserung der Körperwahrnehmung Anbahnung von physiologischen Bewegungsabläufen für Alltagshandlungen Pflegende begleiten oder führen die Bewegung des Pflegeempfängers, um verlorengegangene Abläufe neu einzuüben.

52.4 Mitwirken bei Diagnostik

52.4.1 Anamnese und klinische Untersuchung Pflegende unterstützen bedarfsgerecht den Pflegeempfänger dabei, sich sicher zu positionieren und auszukleiden, damit der Arzt in der klinischen Untersuchung die Leitsymptome überprüfen kann. Untersucht werden: Hirnnerven als fester Bestandteil neurologischer Diagnostik Muskeltonus, Kraft und Feinmotorik Reflexprüfung: Muskeleigen-, Fremd- und pathologische Reflexe Koordination und Sensibilität In der Anamnese wird bei dem Pflegeempfänger der psychopathologische Befund erhoben, z.B. allgemeine Wachheit, Orientierung, Konzentrations- und Merkfähigkeit, Denkvermögen, Antrieb) und die neuropsychologischen Untersuchungen, z.B. hinsichtlich Aphasie, Apraxie, Agnosie, Alexie und höheren kognitiven Funktionen.

52.4.2 Bildgebende Verfahren Die bildgebenden Verfahren umfassen beispielsweise: Magnetresonanztomografie (MRT) Computertomografie (CT) Angiografie Röntgen Sonografie mit Dopplersonografie

52.4.3 Apparative Verfahren

Zu den apparativen Verfahren gehören: Lumbalpunktion, hierbei agieren die Pflegefachkräfte in der Vorbereitung, Assistenz und Nachbereitung sowie Betreuung des Pflegeempfängers Elektromyografie (EMG): Messung der elektrischen Muskelaktivität Elektroneurografie (ENG): Überprüfung der Nervenfunktion (Nervenleitgeschwindigkeit, Anzahl der Nervenfasern) Elektroenzephalografie (EEG): Messung der elektrischen Aktivität des Gehirns

52.5 Wichtigste Medikamente Eine Übersicht über die wichtigsten Medikamente liefert ▶ Tab. 52.1 . Tab. 52.1 Wichtige Medikamente bei der Therapie von Erkrankungen des Nervensystems. Wirkstoffgruppe

häufig verwendete Wirkstoffe und Handelsnamen

Wirkmechanismen

Hirninfarkt Thrombozytenaggregationshemmer

Acetylsalicylsäure, z. B. Aspirin Clopidogrel

Hemmung des Verklebens von Thrombozyten und Vorbeugung von Blutgerinnseln (Thromben)

Hirninfarkt, Sinusvenenthrombose Antikoagulanzien

Phenprocoumon, z. B. Marcumar Heparin, z. B. Heparin

Blutungen im Gehirn, Meningitis

Behandlung und Vorbeugung von Thrombosen und Embolien

Wirkstoffgruppe

häufig verwendete Wirkstoffe und Handelsnamen

Wirkmechanismen

Kalziumantagonisten

Nifedipin, z.B. Adalat

Blutdrucksenkung und Schutz vor Vasospasmen bei Subarachnoidalblutung

Glukokortikoid (Nebennierenrindenhormon)

Methylprednisolon: z. B. Methylprednisolon

hemmt das Immunsystem wird meist bei akutem Schub verabreicht

Beta-Interferon

Interferon-beta-1b: z. B. Betaferon

hemmt das Immunsystem

Immunomodulator

Glatirameracetat: z. B. Copaxone

hemmt das Immunsystem

monoklonale Antikörper

Natalizumab: z. B. Tysabri hemmt Entzündungsprozesse

Zytostatikum (Chemotherapeutikum)

Mitoxantron: z. B. Ralenova

Multiple Sklerose

hemmt u. a. das Immunsystem, wird auch in der Chemotherapie eingesetzt

Migräne Antiemetika

Metoclopramid: z.  B. Paspertin

Dopamin-Antagonisten, wirken antiemetisch

Domperidon: z. B. Motilium nicht steroidale Antirheumatika (NSAR)

Acetylsalicylsäure: z. B. Aspirin, Paracetamol: z. B. Ben-u-ron,

hemmen die Entstehung von Prostaglandinen (Schmerz-Botenstoffen)

Diclofenac: z. B. Voltaren Triptane Morbus Parkinson

Sumatriptan: z. B. Sumatriptan

Serotonin-RezeptorAgonist

Wirkstoffgruppe

Dopaminagonisten

häufig verwendete Wirkstoffe und Handelsnamen Bromocriptin: z. B. Kirim

Wirkmechanismen

Hemmung der Prolaktinsekretion

Lisurid: z. B. Dopergin Cabergolin: z. B. Cabaseril Pergolid: z. B. Parkotil L-Dopa-Präparate

L-Dopa + Benserazid: z. B. Madopar

gleicht den Dopaminmangel im Gehirn aus

L-Dopa + Carbidopa: z. B. Nacom MAO-B-Hemmer

Rasagilin: z. B. Azilect Selegilin: z. B. Deprenyl

erhöhen die Menge an verfügbarem Dopamin im Gehirn

Xilopar: z. B. Selegilin COMT-Hemmer

Entacapon: z. B. Comtess Tolcapon: z. B. Tasmar

erhöhen die Menge an verfügbarem Dopamin im Gehirn

Opicapon: z.B. Ongentys NMDA-Antagonisten

Amantadin: z. B. PK-Merz

blockieren die Wirkung des überschüssigen Glutamats im Gehirn

52.6 Erkrankungen des ZNS 52.6.1 Hirnischämie und -infarkt Definition Hirnischämie und -infarkt Bei einer Hirnischämie kommt es durch verminderte Hirndurchblutung zum Sauerstoffmangel der Nervenzellen (zerebrale Ischämie), die bei schwerer Ausprägung bzw. zunehmender Dauer zu einem Hirninfarkt (Absterben der Nervenzellen, Nekrose) führt und sich durch plötzlich („schlagartig“) auftretende Symptome wie Hemiplegie (Halbseitenlähmung), Bewegungs-, Sprach- und Bewusstseinsstörungen manifestiert. Ursache ist entweder eine

plötzliche Minderdurchblutung des Gehirns (in ca. 80 % der Fälle) oder eine Hirnblutung.

52.6.1.1 Verlaufsformen TIA (transitorische ischämische Attacke): kurzzeitige Paresen, Stürze („drop attack“), Seh- und Sprachstörungen sind binnen 24 h komplett reversibel. Im CT nicht sichtbar, kann einen späteren Hirninfarkt ankündigen. Hirninfarkt („Schlaganfall“): Durchblutungsstörung mit neurologischen Defiziten, die nicht oder nur teilweise reversibel sind: Minor Stroke mit leichten motorischen und sensiblen Ausfällen, keine neuropsychologischen Defizite Progressive Stroke (voranschreitender Schlaganfall) mit zunehmender Symptomatik im Verlauf von Stunden bis Tagen Completed Stroke (vollendeter Schlaganfall) mit neurologischen Störungen und Ausfällen, die länger als 24 h bestehen

52.6.1.2 Pathophysiologie Hirninfarkt: Nervenzellen im Gehirn sterben aufgrund von Minderdurchblutung (Ischämie) und Sauerstoffmangel ab. Häufigste Ursachen sind: Mikroangiopathie: plötzlicher Verschluss der arteriosklerotisch veränderten oder entzündeten kleinen Hirngefäße hämodynamische Insuffizienz: Arteriosklerotisch verengte Hirngefäße führen zu einer Hirnischämie. Embolien, z.B. durch abgelöstes arteriosklerotisches Material oder verschleppte

Gerinnsel aus anderen Körperregionen, z.B. aus dem linken Herzvorhof bei Vorhofflimmern Hirnblutung ( ▶ Abb. 52.2): intrazerebrale Blutung: Blutung aus einem Blutgefäß innerhalb des Gehirns, z.B. infolge der Einnahme von Antikoagulanzien (z.B. Marcumar) verbunden mit einem Hirntrauma extrazerebrale Blutung: Blutungen im Bereich der Hirnhäute, z.B. in Form einer Subarachnoidalblutung infolge eines rupturierten Aneurysmas Blutungen des Gehirns. Abb. 52.2  (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

▶ Risikofaktoren. Risikofaktoren einer Hirnischämie sind: ▶ arterielle Hypertonie Nikotinabusus ▶ Diabetes mellitus Vorhofflimmern Alter > 55 Jahre

52.6.1.3 Symptome Abhängig vom betroffenen Hirngefäß können folgende Symptome und Komplikationen auftreten: Hemiparese: unvollständige Lähmung einer Körperhälfte (zu Beginn: schlaffe Lähmung und später: spastische Lähmung, mit erhöhtem Muskeltonus) Fazialisparese: Lähmung der Gesichtsmuskulatur, hängender Mundwinkel, Ausfluss von Speichel, Mund kann nicht geschlossen werden Sprachstörungen bis Sprachverlust: Aphasie: Bei einer Wernicke Aphasie (sensorische Aphasie) können Gedanken nicht mehr in Wörtern und Grammatik normaler Sprache ausgedrückt werden. Die Pflegeempfänger benennen z.B. Gegenstände falsch. Bei der Broca-Aphasie (motorische Aphasie) sind das Sprachverständnis und das Schreiben kaum beeinträchtigt, jedoch die Sprachproduktion und das Lesen. Die globale Aphasie ist dabei die schwerste Form. Hierbei sind das Sprachverständnis, die Sprachproduktion, Lesen und Schreiben erheblich beeinträchtigt.

Dysarthrie: Die Sprachmotorik ist gestört, da eine organische Störung vorliegt. Die Sprache ist undeutlich und verwaschen, Wortverständnis und Wortwahl sind aber erhalten. Bewusstseinsstörungen bis Bewusstseinsverlust Kopfschmerzen Gleichgewichtsstörungen und Schwindel Dysphagie (Schluckstörung): Die Pflegeempfänger verschlucken sich beim Essen oder Trinken. Dies kann eine Aspirationspneumonie, Mangelernährung oder Dehydratation zur Folge haben. Neglect: Die Pflegeempfänger nehmen die betroffene Körperseite nicht oder nur wenig wahr. Wird oft begleitet vom Pusher-Syndrom, bei dem die Pflegeempfänger die subjektive Mittellinie ihres Körpers falsch verorten und deswegen z.B. beim Sitzen zur geschädigten Seite neigen. Hemianopsie: Halbseitenblindheit Anosognosie: Die Pflegeempfänger können ihre körperlichen Defizite und Fähigkeiten nicht richtig einschätzen. Sie erkennen z.B. nicht, dass sie Lähmungen haben. Apraxie: Die Pflegeempfänger können keine zielgerichteten Bewegungen durchführen, obwohl die Wahrnehmung und Bewegungsfähigkeit selbst intakt sind. Harn- und Stuhlinkontinenz psychosoziale Symptome: sozialer Rückzug (z.B. aufgrund der Aphasie) Aggression, Depression aufgrund der plötzlichen Pflegebedürftigkeit

Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen Typische Folgesymptome Subluxation der Schulter (unvollständige Ausrenkung): Der veränderte bzw. reduzierte Muskeltonus führt zu einer Subluxation des Oberarmkopfes. Dies kann für den Pflegeempfänger sehr schmerzhaft sein. Möglich ist auch, dass der Betroffene die Subluxation gar nicht bemerkt. Schulterarmsyndrom: ödematöses Anschwellen der Hand der betroffenen Seite. Ursache ist eine gestörte Blut- und Lymphzirkulation aufgrund des veränderten Muskeltonus.

52.6.1.4 Diagnostik Zur raschen Früherkennung wird der F-A-S-T-Test eingesetzt: Ist eines der Symptome (Asymmetrie der Gesichtshälften → Face; Differenz beim Anheben der Arme → Arm; Sprachstörung → Speech) gegeben, muss sofort (→ Time) ein Notruf abgesetzt werden. Voraussetzung für die Behandlung einer Hirnischämie ist außerdem die Abklärung, ob es sich um eine Hirnblutung oder einen Hirninfarkt handelt.

Merke Jede Minute zählt! Grundsätzlich gilt: „Time is brain!“ Der Betroffene muss schnell untersucht und versorgt werden, da minütlich mehr Nervenzellen zugrunde gehen können. Die vitale Gefährdung muss abgeklärt werden. neurologischer Status: Anamnese und körperliche Untersuchung: Vigilanz, Gedächtnis, Motorik, Sensorik, Reflexe, Hirnnerven

Laboruntersuchung: Blutzucker, Elektrolyte, Nierenwerte, Blutbild, Hämatokrit, CRP, Blutgerinnung EKG-Monitoring: Liegt die Ursache ggf. im Herzen, z.B. als Vorhofflimmern? Dopplersonografie der A. carotis: Ist das Gefäß verschlossen? CT bzw. MRT des Gehirns Echokardiografie: kardiale Emboliequelle?

52.6.1.5 Therapie Jeder Schlaganfall sollte auf einer Stroke Unit versorgt werden (engl. stroke = Schlaganfall). Dort stehen alle personellen, diagnostischen und therapeutischen Ressourcen zur bestmöglichen Versorgung zur Verfügung.

Therapie bei Hirninfarkt Ziel der Therapie ist die Minimierung des Infarktareals und Revaskulierung der Penumbra durch: Thrombolyse (siehe Kap. ▶ 45.6): Ziel ist, dass das ischämische Gewebe möglichst rasch wieder durchblutet wird, häufig in Kombination mit Thrombektomie (mechanische Entfernung des Thrombus). Antikoagulationstherapie: z.B. mit Heparin bei Sinusvenenthrombose Sauerstoffgabe: Zellen in der Penumbra können sich durch die Gabe von Sauerstoff erholen, nach einer bestimmten Zeit ohne Sauerstoff sterben sie hingegen ab. Korrektur der Hypovolämie durch Volumengabe (Infusionen) Blutdrucksenkung, erst ab 220/120 mmHg, Katecholamine (z.B. Norepinephrin) oder

Sympathomimetika bei Hypotonie Korrektur der Glukosestoffwechselstörung Korrektur einer erhöhten Körpertemperatur Im Anschluss an die Akutbehandlung: bedarfsgerechte Physio-, Ergotherapie und Logopädie Sekundärprophylaxe (um erneuten Hirninfarkt zu vermeiden): Verabreichung von ASS (Acetylsalicylsäure), ggf. Cumarine (Marcumar), Ausschluss oder Minimierung der Risikofaktoren

Therapie bei Hirnblutung Eine Hirnblutung kann im Unterschied zu einem Hirninfarkt nicht mit durchblutungsfördernden Maßnahmen behandelt werden. Im Vordergrund steht die Senkung des Hirndrucks: Ventrikeldrainage Osmotherapie mit Mannitol oder Glycerol kurzfristige Hyperventilation operative Entfernung der Blutung aus dem Gehirn anschließend bedarfsgerecht Physio-, Ergotherapie und Logopädie

52.6.1.6 Pflege Akutsituation Diagnostik und Therapiemaßnahmen müssen so schnell wie möglich eingeleitet werden! Mitwirken bei der Diagnostik: Monitoring anschließen, (Labor-)Untersuchungen vorbereiten, intravenöse Zugänge legen (lassen) Mitwirken bei der Therapie: Sauerstoff verabreichen

Medikamente nach Arztanordnung vorbereiten Wahrnehmen und Beobachten: Eine erhöhte Körpertemperatur sowie Hypo- bzw. Hyperglykämien wirken sich negativ auf das Infarktgebiet aus, daher: Vitalparameter engmaschig kontrollieren (anfangs Blutdruckmessung alle 5 min, erhöhte Blutdruckwerte werden toleriert) Körpertemperaturen über 37,5°C senken (durch z.B. Wadenwickel, Paracetamol) Blutzucker kontrollieren und bei Hyperglykämie durch Insulin auf 160 mg/dl senken, Hypoglykämie mit isotonen Nährstofflösungen behandeln auf Anzeichen einer Hirndrucksteigerung achten; z.B. Kopfschmerzen, Übelkeit, Bewusstseinsstörungen, ▶ Biot-Atmung und Pupillendifferenz Thrombolysetherapie: auf Blutungszeichen achten ▶ Flüssigkeitsbilanz erstellen Mobilisation, Positionierung: Bettruhe! stabile Seitenlage (bei Bewusstlosigkeit) Positionierung mit erhöhtem Oberkörper (ca. 30°) Ausscheidung: ggf. ist ein Dauerkatheter (DK) indiziert Zahnprothese entfernen und Atemwege freihalten (bei Bewusstlosigkeit) Betroffenen beruhigen und nicht alleine lassen Pflege bei erhöhtem Hirndruck Positionierung: 30°-Oberkörperhochpositionierung

Kopf gerade ausrichten (Drehung oder Dehnung des Kopfes vermeiden, um venösen Rückfluss zu gewährleisten) auf eine seitliche Positionierung zur Dekubitusprophylaxe verzichten Ausscheidung: weichen Stuhl anstreben (Drücken oder Pressen vermeiden, siehe Kap. ▶ 17.11) psychosoziale Begleitung: Pflegeempfänger über Maßnahmen informieren und Ängste ernst nehmen

Im weiteren Krankheitsverlauf ▶ Bewegung. Prinzipien des ▶ Bobath-Konzepts so früh wie möglich anwenden zur Förderung der Körperwahrnehmung, Normalisierung des Muskeltonus und Anbahnung von normalen Bewegungsabläufen. Konzept der ▶ Basalen Stimulation anwenden, z.B. Handlungen verbal bzw. mittels Initialberührung ankündigen Körperpflege und Bekleidung bei Körperkontakt möglichst mit konstantem Druck arbeiten bei zunehmender Aktivität Pflegeempfänger ins Waschen mit einbinden (z.B. geführte Waschbewegungen), am besten am Waschbecken Die Pflegefachkraft steht beim Waschen auf der mehr betroffenen Seite. Den Pflegeempfänger anleiten, die betroffene Körperseite anzufassen. Dadurch wird die Körperwahrnehmung gefördert. ▶ Prophylaxen. Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards. Aspirationsprophylaxe: v. a. bei Dysphagie

Pneumonie-, Thrombose- und Kontrakturenprophylaxe: aufgrund der Bewegungseinschränkungen Sturzprophylaxe: bei Wahrnehmungsstörungen, (z.B. Neglect, Pusher-Syndrom) und bei Dranginkontinenz Prophylaxe der schmerzhaften Schulter und Hüfte: schmerzhafte Schulter vorbeugen: Hilfe beim Anund Auskleiden und Waschen. Betroffenen Arm des Pflegeempfängers immer körpernah anfassen. Bewegung nach vorne oben in Außenrotation führen. Die Schulter sollte dabei nicht nach oben geschoben werden. Arm nur mit Unterstützung des Ellenbogens anheben. schmerzhafte Hüfte vorbeugen: das Hüftgelenk in Mittelstellung positionieren, das betroffene Bein seitlich mit Hilfsmitteln abstützen und die Beckenasymmetrie korrigieren ▶ Schmerzmanagement. Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 ▶ Ernährung. Bei Dysphagie steht die Prophylaxe der Mangelernährung und der Aspirationspneumonie im Fokus: Logopädie hinzuziehen Kostform anpassen (z.B. Flüssigkeiten andicken, passierte Kost) bei ausgeprägter Dysphagie enterale Ernährung per Magensonde oder ▶ PEG Pflegeempfänger bei Nahrungsaufnahme nicht allein lassen Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme (siehe Kap. ▶ 18)

ggf. Ess- und Trinkhilfen hinzuziehen (z.B. aufsteckbare Griffvorrichtungen für Gläser) Facio-orale-Trakt-Therapie (F.O.T.T.) vereint Maßnahmen der Logopädie, des Bobath-Konzeptes und der basalen Stimulation Ressourcen des Pflegeempfängers nutzen und trainieren, möglichst viel selbst machen lassen sorgfältige Mundpflege nach dem Essen (Essensreste entfernen, Aspirationsgefahr!) keine Gespräche während der Nahrungsaufnahme bei Neglect ggf. Teller drehen, damit alle Seiten wahrgenommen werden Gegebenenfalls muss die Zahnprothese angepasst werden. Essprotokoll und ▶ Flüssigkeitsbilanzierung führen Ausscheidung BDK schnellstmöglich entfernen Toilettentraining (z.B. anfangs Urinflasche, dann Toilettenstuhl und später selbstständiger Toilettengang) Hilfsmittel verwenden (z.B. Einlagen) weichen Stuhl anstreben (Drücken oder Pressen vermeiden, Obstipationsprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17.11) ▶ Wahrnehmen. Ziel ist es, die Wahrnehmung zu fördern und Stürze zu vermeiden. Neglect: z.B. Wahrnehmung des Pflegeempfängers auf mehr betroffene Seite richten Pusher-Syndrom: z.B. Becken des Pflegeempfängers beim Sitzen symmetrisch ausrichten bei Fazialisparese: Augenpflege durchführen und durch Ausstreichen beide Gesichtshälften stimulieren

▶ Kommunikation. Bei einer bestehenden Aphasie folgende Punkte beachten: langsam und deutlich sprechen, sich Zeit nehmen Logopädie hinzuziehen Sprechen so früh wie möglich trainieren und ggf. Hilfsmittel (z.B. Sprechtafel) hinzuziehen Angehörige aufklären soziale Kontakte fördern Psychosoziale Begleitung informieren über Krankheitsbild, Verlauf und Symptome motivieren, z.B. indem Fortschritte anerkannt werden über Verluste, Sorgen und Ängste sprechen Kommunikationsregeln beachten (z.B. aktives Zuhören, siehe Kap. ▶ 10) Angehörige miteinbeziehen, ggf. Seelsorger oder Psychologe miteinbeziehen Informieren, Schulen, Anleiten und Beraten Bereits im Aufnahmeprozess erfragen, wie der Pflegeempfänger zu Hause wohnt, um ggf. Unterstützung und Anpassung des häuslichen Umfeldes rechtzeitig anzubahnen. Anschlussheilbehandlung oder neurologische, für ältere Patienten geriatrische Rehabilitation in die Wege leiten (Sozialdienst der Klinik). Schulung der Angehörigen bezüglich der Betreuung des Betroffenen zu Hause Informationen über Hilfsangebote, wie Hausnotruftelefon, Ernährung, finanzielle Unterstützung (z.B. Pflegegeld)

RETTEN TO GO Hirnischämie und Hirninfarkt Hirnischämie: verminderte Hirndurchblutung, die zum Sauerstoffmangel der Nervenzellen führt und bei schwerer Ausprägung bzw. zunehmender Dauer zum Hirninfarkt („Schlaganfall“), d.h., zum Absterben der Nervenzellen (Nekrose). Pathophysiologie: Hirninfarkt mit Ischämie (80 % der Fälle) oder Hirnblutung Verlaufsformen: TIA (transitorische ischämische Attacke): Symptomatik binnen 24 h komplett reversibel, Vorbote/Risikofaktor eines Schlaganfalls Hirninfarkt: Minor Stroke (leichte motorische und sensible Ausfälle, keine neuropsychologischen Defizite), Progressive Stroke (zunehmende Symptomatik im Verlauf von Stunden bis Tagen), Completed Stroke (neurologische Störungen und Ausfälle, die länger als 24 h bestehen) Symptome: Hemiparese, Fazialisparese, Aphasie (Wernike, Broca, globale), Dysarthrie, Bewusstseinsstörungen bis Bewusstseinsverlust, Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel, Dysphagie, Neglect mit Pusher-Syndrom, Hemianopsie, Anosognosie, Apraxie sowie, Harn- und Stuhlinkontinenz Diagnostik: Jede Minute zählt! Neurologischer Status (Anamnese und körperliche Untersuchung: Vigilanz, Gedächtnis, Motorik, Sensorik, Reflexe, Hirnnerven), Laboruntersuchung (Blutzucker, Elektrolyte, Nierenwerte, Blutbild, Hämatokrit, CRP, Blutgerinnung), EKG-Monitoring

(Vorhofflimmern?), Dopplersonografie der A. carotis (Verschluss?), CT bzw. MRT des Gehirns, Echokardiografie (kardiale Emboliequelle?) Therapie: Versorgung auf Stroke Unit: bei Hirninfarkt Thrombolyse häufig in Kombination mit Thrombektomie, Antikoagulationstherapie, Sauerstoffgabe (Penumbraerhalt), Volumensubstitution bei Hypovolämie, Blutdrucksenkung, BZ-Regulation bei Blutung Senkung des Hirndrucks (Ventrikeldrainage, Osmotherapie); kurzfristige Hyperventilation, operative Entfernung der Blutung aus dem Gehirn Pflege: Mitwirken bei der Diagnostik, u.a. Monitoring, Labor vorbereiten, Vitalparameter- und BZ-Kontrollen, Flüssigkeitsbilanzierung Mitwirken bei der Therapie: Sauerstoff und Medikamentengabe, Dauerkatheter (DK) bei erhöhtem Hirndruck: 30°Oberkörperhochpositionierung, Kopf gerade ausrichten Im weiteren Krankheitsverlauf: Bobath und Basale Stimulation, Prophylaxen bedarfsgerecht, Schmerzmanagement, bei Dysphagie Prophylaxe der Mangelernährung und der Aspirationspneumonie, bei Aphasie die Kommunikation anpassen, ggf. Logopädie hinzuziehen Sprechen so früh wie möglich trainieren und ggf. Hilfsmittel (z.B. Sprechtafel)

52.6.2 Schädel-Hirn-Trauma

Definition Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Ein Schädel-Hirn-Trauma ist eine Verletzung des Gehirns, ausgelöst durch Gewalteinwirkung. Die Funktion des Gehirns kann beeinträchtigt sein.

52.6.2.1 Einteilung offenes SHT: harte Hirnhaut ist verletzt, es besteht eine direkte Verbindung zwischen Außenluft und Gehirn. Entsprechend hoch ist die Gefahr einer Infektion. geschlossenes SHT: Hirnhäute intakt Die wichtigste Einteilung erfolgt nach der Glasgow-KomaSkala (GCS). Geprüft werden dafür die motorischen und verbalen Fähigkeiten sowie das Augenöffnen des Pflegeempfängers. Der ermittelte Punktwert (maximal 15) gibt dann Auskunft über den klinischen Schweregrad des SHT: leichtes SHT (15–13 Punkte) mittelschweres SHT (12–9 Punkte) schweres SHT (≤ 8 Punkte) Eine ältere Unterteilung orientiert sich an der Substanzschädigung des Gehirns: Commotio cerebri (Gehirnerschütterung): kurze Bewusstseinsstörung ohne im CT erkennbare Schädigung (= leichtes SHT) Contusio cerebri (Gehirnprellung): längere Bewusstlosigkeit mit Nachweis von Trauma im CT Compressio cerebri (Gehirnquetschung): Verletzung ist so stark, dass das Gehirn anschwillt und der Hirndruck ansteigt.

52.6.2.2 Symptome Bewusstseinsstörung retro- oder anterograde Amnesie (Erinnerungslücken) Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit/Erbrechen neurologische Ausfälle wie Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Sprachstörungen bei erhöhtem Hirndruck: ▶ epileptischer Anfall Begleitverletzungen: Blutungen, Knochenbrüche, Austritt von Liquor

52.6.2.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Anschwellen des Gehirns durch Hirnödem oder Einblutungen. Dies führt zu einem Anstieg des Hirndrucks mit der Gefahr, dass das Gehirn in den knöchernen Strukturen des Schädels eingeklemmt wird und somit die Blut- und Sauerstoffzufuhr unterbrochen werden. neurologische und/oder psychiatrische Restsymptome wie epileptische Anfälle, Halbseitensymptomatik, Sprachstörungen, Antriebsstörungen, depressive Verstimmung

52.6.2.4 Diagnostik Vitalparameter kontrollieren und überwachen (Veränderungen frühzeitig erkennen) Anamnese; klinischer Befund und neurologischer Status (Glasgow-Koma-Skala, s.o.) Flüssigkeitsaustritt aus Nase bzw. Ohren beachten! Hierbei kann es sich um austretenden Liquor handeln. bildgebende Verfahren: CT-Schädel (Hirnschaden? Blutung? Schädelfraktur?), bei schwerem SHT zusätzlich CT-Wirbelsäule

Differenzialdiagnostik: epileptischer Anfall (EEG)

52.6.2.5 Therapie und Pflege Je nach Schweregrad wird unterschieden: leichtes SHT und unauffälliges CT: Pflegeempfänger kann entlassen werden, wenn er zu Hause von Angehörigen gezielt beobachtet und betreut wird, sonst stationäre Aufnahme für 24 h mittelschweres SHT: mindestens 24-stündige Überwachung auf Intensivstation schweres SHT: Überwachung des Hirndrucks (Intubation und Beatmung) bei Blutungen: OP, um Blutung zu stoppen, und Legen einer Sonde zur Hirndruckkontrolle bei starker Gehirnschwellung: Öffnung der Schädeldecke, damit das ödematöse Gehirn mehr Platz hat auf Anzeichen einer Hirndrucksteigerung achten: z.B. Bewusstsein, Augenmotorik, Pupillenreaktion, Blutdruck, Puls, allgemeine Motorik, Sensibilität und Reflexe bei Kopfschmerzen: Analgetika (kein ASS wegen des gerinnungshemmenden Effekts), Bettruhe, Oberkörperhochpositionierung bei Schwindelgefühl: Antivertiginosa bei Übelkeit/Erbrechen: Antiemetika

KOMPAKT Schädel-Hirn-Trauma Einteilung nach der Glasgow-Koma-Skala: leichtes SHT, mittelschweres SHT, schweres SHT

Symptome: Bewusstseinsstörung, Amnesie, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit/Erbrechen, neurologische Ausfälle Komplikationen: Anschwellen des Gehirns und Anstieg des Hirndrucks Diagnostik: Anamnese, CT-Schädel, körperliche Untersuchung Therapie: grundsätzlich mindestens 24 h Überwachung

52.6.3 Apallisches Syndrom Definition Apallisches Syndrom – „Wachkoma“, Syndrom der reaktionslosen Wachheit (SRV) Durch Hypoxie hervorgerufener Ausfall der Funktion des Großhirns bei erhaltener Hirnstammfunktion (vegetative Funktionen), z.B. bei schwerem SHT.

52.6.3.1 Symptome Vom Hirnstamm gesteuerte Hirnfunktionen wie Atmung, Blutdrucksteuerung und Reflexe sind erhalten. Augen können geöffnet werden, fixieren aber nicht. übergeordnete Hirnfunktionen fehlen (z.B. Wahrnehmung, Bewegung, Sprache)

52.6.3.2 Pflege Die Pflegenden kommunizieren mit dem Pflegeempfänger, obwohl dieser im „Wachkoma“ liegt, so

als ob er Bewusstsein hätte. Somit führen sie ihm Reize im Sinne der Basalen Stimulation zu. Weitere wichtige Schwerpunkte der Pflege sind u.a. Prophylaxen und Pflege von PEG und SPK.

52.6.4 Hirntumoren Definition Hirntumor Ein Hirntumor ist eine benigne (gutartige) oder maligne (bösartige) Zellneubildung im Gehirn. Bösartige Gehirntumoren wachsen in das gesunde Gewebe hinein und zerstören es. Gutartige Gehirntumoren richten Schäden durch die Raumforderung an.

52.6.4.1 Einteilung primäre Tumoren: entwickeln sich aus Gehirngewebe, z.B. Glioblastom bei Erwachsenen, bei Kindern Medulloblastom sekundäre Tumoren: Metastasen anderer Tumoren, z.B. eines malignen Melanoms

52.6.4.2 Symptome erste Symptome: diffuse Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen (ggf. als Folge erhöhten Hirndrucks) psychische Auffälligkeiten, z.B. Wesensveränderungen, Konzentrationsstörungen Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, epileptische Anfälle Die Symptome können je nach Art, Wachstum und Lokalisation des Tumors sehr verschieden sein. Prinzipiell werden bösartige Tumoren meist klinisch sehr schnell

auffällig. Bei gutartigen Tumoren können erste Anzeichen auch erst nach Jahren auftreten.

52.6.4.3 Diagnostik Anamnese körperliche Untersuchung bildgebende Verfahren: MRT mit Kontrastmittel Gewebeprobe zur Bestimmung der Tumorart

52.6.4.4 Therapie möglichst vollständige Entfernung des Tumors Strahlentherapie, Chemotherapie (siehe Kap. ▶ 38)

52.6.4.5 Pflege ▶ Postoperative Pflege. Neben der allgemeinen postoperativen Pflege (siehe Kap. ▶ 39) ist Folgendes zu beachten: Wahrnehmen und Beobachten: Überwachung erfolgt auf der Intensivstation (siehe Kap. ▶ 40), Fokus liegt auf der frühzeitigen Erkennung einer Hirndrucksteigerung kontinuierliche Hirndruckmessung, ZVDÜberwachung Überprüfung der Vitalfunktionen (Puls, Blutdruck, Atmung, Temperatur, Bewusstsein) Glasgow-Koma-Skala zur Einschätzung der Bewusstseinslage ▶ Flüssigkeitsbilanzierung Körperpflege: Stress und Hektik vermeiden, ▶ BobathKonzept und Prinzipien der ▶ Basalen Stimulation anwenden Ausscheidung: Dauerkatheter zur Überwachung der Urinausscheidung

Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards psychosoziale Begleitung (siehe Kap. ▶ 38) Selbsthilfegruppen, psychoonkologische Beratung, Seelsorger oder Psychologen über die Deutsche Hirntumorhilfe e. V. (www. krebsinformationsdienst.de) vermitteln Gespräche anbieten Sorgen und Ängsten Raum geben Angehörige miteinbeziehen

52.6.5 Hydrozephalus Definition Hydrozephalus Bei einem Hydrozephalus („Wasserkopf“) sind die Liquorräume im Gehirn erweitert und das Hirngewebe geht zurück. Er kann angeboren oder erworben sein.

52.6.5.1 Pathophysiologie Ein Hydrozephalus entsteht, wenn das Verhältnis zwischen Liquorbildung, -zirkulation und -resorption bzw. -abfluss gestört ist. Alle o.g. Störungen führen zu einer Aufweitung der Ventrikel und einem entsprechenden Verlust von Hirngewebe. Klinisch relevant sind: Verschlusshydrozephalus: Der Abfluss des gebildeten Liquors ist durch z.B. verklebte oder verengte Liquorkanäle bei Aquäduktstenosen, Arnold-ChiariMalformation, Entzündungen, Blutungen oder Tumoren gestört.

Normaldruckhydrozephalus: Aufgrund einer chronischen Resorptions- oder Abflussstörung kommt es zu einem nur leicht oder intermittierend erhöhten Hirndruck.

52.6.5.2 Symptome Bei einem Säugling gleicht die noch nicht verschlossene Fontanelle den Druck durch Zunahme des Kopfumfanges aus, weitere Symptome siehe ▶ Abb. 52.3. Symptome des Hydrozephalus beim Säugling. Abb. 52.3  (Nach: Hoehl M, Kullick P. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Stuttgart: Thieme; 2019)

Bei größeren Kindern und Erwachsenen kommt es zu den klassischen Hirndruckzeichen: Kopfschmerzen, Berührungs-, Geräusch- und Lichtempfindlichkeit arterielle Hypertonie und Druckpuls mit Bradykardie, zentrales Fieber Schwindel, Übelkeit und Erbrechen Unruhe, Krampfanfälle oder Bewusstseinsstörung je nach Schweregrad: Sehstörungen und Lähmungserscheinungen der Gliedmaßen bei Normaldruckhydrozephalus typische klinische Trias: Gangstörung (kleinschrittiger Gang) Demenz Harninkontinenz

52.6.5.3 Diagnostik klinischer Befund bildgebende Verfahren (CT, MRT) Liquorablassversuch Augenhintergrundspiegelung

52.6.5.4 Therapie Ziel: Liquorresorption normalisieren, durch: wiederholte Liquorpunktionen externe Ventrikeldrainage: Überschüssiger Liquor wird durch externen Katheter abgeleitet. interner Liquor-Shunt: Ableitung z.B. in die Bauchhöhle (ventrikuloperitonealer Shunt) oder in den rechten Herzvorhof (ventrikuloatrialer Shunt, selten)

Komplikationen nach Liquor-Shunt-Anlage Infektionen am Kathetersystem: je nach Ableitung z.B. Endokarditis, Meningitis, Peritonitis (siehe Kap. ▶ 44.5.5) Unterdrainage mit Anstieg des Hirndrucks und Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Apathie Überdrainage mit erniedrigtem Hirndruck. Typisch für diese Situation ist, dass Kopfschmerzen im Liegen abnehmen, weil dann weniger Liquor abfließt. allergische Reaktionen auf Material des Systems Krampfanfälle durch den Katheter im Nervengewebe (selten)

52.6.5.5 Pflege nach Shunt-OP allgemeine postoperative Pflege beachten (siehe Kap. ▶ 39) Wahrnehmen und Beobachten: auf Symptome achten, die auf Komplikationen hinweisen: Kopfschmerz, Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, Sehstörung, Schläfrigkeit, Schmerzen im Bauchraum bei Säuglingen ggf. Messung des Kopfumfangs an markierten Punkten und Kontrolle des Spannungszustands der Fontanelle und der Haut am Schädel (Ohren, Hinterhaupt) Mobilisation, Positionierung: Frühmobilisation am 1. postoperativen Tag (nach Arztrücksprache) zu Beginn 30°-Oberkörperhochpositionierung mit dem Kopf in Neutral-Null-Stellung Informieren, Schulen und Beraten:

Pflegeempfänger soll im ersten Monat körperliche Anstrengung vermeiden jeglichen Druck auf das Ventil und den Katheter vermeiden Kontrolle im ersten Jahr alle 3–6 Monate, danach einmal im Jahr Pflegeempfänger und Angehörige für NotfallSymptome sensibilisieren (z.B. Übelkeit, Erbrechen, Krampfanfälle, Sehstörungen) Pflegeempfänger bekommt einen Ventil-Pass, den er immer bei sich tragen soll. Bei Kindern soll die bestmögliche Entwicklung durch Frühförderung, angepasste Spiele und Zusammenarbeit mit den Physiotherapeuten angestrebt werden.

52.7 Entzündliche Erkrankungen des ZNS 52.7.1 Meningitis Definition Meningitis Die Meningitis ist eine – meist infektiös bedingte – Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute (Hirnhautentzündung).

52.7.1.1 Pathophysiologie Bakterien, z.B. E. coli bei Säuglingen, Meningokokken bei Kindern und Erwachsenen, Pneumokokken bei älteren Menschen

Viren, z.B. Coxsackie-, Polioviren, Mumps, HerpesSimplex Typ II oder Influenzaviren selten: Pilze, z.B. Kryptokokken, Parasiten, z.B. Würmer, nicht infektiös, z.B. Sarkoidose

52.7.1.2 Symptome Leitsymptome: (starke) Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit (Meningismus), (hohes) Fieber, Lichtempfindlichkeit, Übelkeit/Erbrechen Hörstörungen, Blutdruck- und Herzfrequenzveränderungen Eine Bewusstseinsstörung oder ▶ zerebrale Krampfanfälle sind ein Hinweis dafür, dass das Hirngewebe mitbetroffen ist (Enzephalitis). Bakterielle Meningitiden verlaufen oft schwerer und akuter als virale.

52.7.1.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Vor allem bei Kindern mit Meningokokkenmeningitis kann das lebensgefährliche Waterhouse-Friderichsen-Syndrom auftreten (Meningokokkensepsis). Es führt zur Verbrauchskoagulopathie mit Einblutungen in Haut, Schleimhäute und Organe (Gefahr des Multiorganversagens).

52.7.1.4 Diagnostik Lumbalpunktion: Erregernachweis im Liquor (cave: nicht bei erhöhtem Hirndruck, Gefahr der Hirngewebeeinklemmung) Nackensteifigkeit, klinische Meningitiszeichen: Brudzinski-Zeichen (Kopf wird kräftig nach vorne gebeugt, Patient zieht die Knie an), Kernig-Zeichen (Beine werden bei gestrecktem Knie im Hüftgelenk gebeugt, Patient beugt aufgrund von Schmerzen die

Knie) und Lasègue-Zeichen (gestrecktes Bein wird im Hüftgelenk langsam passiv um 90 Grad gebeugt, auftretende Schmerzen bei 70 bis 80 Grad) CT-Schädel Blutkulturen

52.7.1.5 Therapie bei bakteriellen Erregern: Antibiose bei viralen Erregern: Virostatika (z.B. Aciclovir bzw. Zovirax) bei beiden Erregern: Kortikosteroide zur Hirnödemprophylaxe, Analgetika, Kalziumantagonisten, Korrektur des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts

52.7.1.6 Pflege bei Licht- und Geräuschempfindlichkeit: Raum abdunkeln und ruhige Umgebung schaffen engmaschige Kontrolle der Vitalparameter und Kontrolle der Symptome (Kopfschmerzen, Nackensteife, Hirndruckzeichen) ▶ Flüssigkeitsbilanz erstellen und auf Elektrolythaushalt achten pflegerische Maßnahmen bei Fieber (siehe Kap. ▶ 30) bedarfsgerecht Prophylaxen durchführen (siehe Kap. ▶ 17), z.B. regelmäßige Mundpflege Ernährung vorerst parenteral über einen ZVK Pflegeempfänger wird vorerst isoliert, bis Erreger bekannt sind Pflegende tragen Schutzkittel, Mund-Nasen-Schutz und Handschuhe bei jedem Kontakt mit dem Pflegeempfänger (siehe Kap. ▶ 13).

52.7.2 Enzephalitis Definition Enzephalitis Eine Enzephalitis bezeichnet eine – oft infektiös bedingte – Entzündung des Hirngewebes. In Kombination mit einer Meningitis handelt es sich um eine Meningoenzephalitis.

52.7.2.1 Pathophysiologie häufigste Ursache: Virusinfektion (z.B. Herpessimplex-, FSME-, Polio- oder Tollwutviren) fehlgeleitete Immunantwort: nach Mumps-, Masern-, Röteln-, Windpockeninfektion typische Bakterien: Staphylokokken, Streptokokken, Borrelien selten: Pilze (z.B. Candida) und Parasiten (z.B. Toxoplasmose)

52.7.2.2 Symptome (hohes) Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen neuropsychologische Defizite, z.B. Bewusstseinseintrübung, fokale Lähmungen, Sprachstörungen, Verwirrtheit ▶ epileptische Anfälle

52.7.2.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Klinisch manifeste Enzephalitiden haben eine schlechte Prognose. Bei Herpes-simplex-Enzephalitis sterben (ohne Behandlung) 70 % der Betroffenen. Bei Überlebenden verbleiben häufig neurologische Ausfälle.

52.7.2.4 Diagnostik, Therapie und Pflege Liquoruntersuchung Therapie und Pflege ähnlich wie bei ▶ Meningitis bei Herpes-simplex-Enzephalitis: rasche Applikation von Aciclovir Hirndruck-Monitoring und evtl. -Senkung

52.7.3 Durch Zecken übertragende Infektionen des ZNS 52.7.3.1 Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine durch Viren (Flaviviren) übertragene Entzündung des Gehirns, des Rückenmarks und der Hirnhäute. Meist verläuft die Erkrankung asymptomatisch bzw. wie ein grippaler Infekt. Selten kommt es zur Ausprägung einer Meningitis bzw. Enzephalitis mit z. T. irreversiblen Lähmungen bis hin zur Atemlähmung. In den ersten 72 h muss eine engmaschige Vitalzeichenkontrolle erfolgen (Gefahr einer fulminanten Entwicklung). Die Erkrankung ist meldepflichtig. Zur Prophylaxe gibt es eine Impfung, die v.a. für Menschen, die sich in Risikogebieten häufig in Wäldern aufhalten, sinnvoll ist. Zudem ist wichtig, dass Zecken nach einem Stich möglichst rasch und fachgerecht entfernt werden.

52.7.3.2 Borreliose Die Borreliose wird durch das Bakterium Borrelia burgdorferi verursacht. Die Erkrankung verläuft in Stadien. Typisches Frühsymptom ist die Wanderröte (Erythema chronicum migrans), eine sich kreisförmig ausdehnende, zentral abblassende Hautrötung an der Zeckenstichstelle.

Die Symptome sind oft grippeähnlich. Der Erreger kann im Verlauf Gelenke, Muskeln, Nervensystem und weitere Organe befallen. Bei Befall des Nervensystems spricht man von einer Neuroborreliose. Die Enzephalitis und Polyneuritis können zu Lähmungen (z.B. Gesichtslähmung, Gangstörungen) und fokalen Schmerzen führen. Rechtzeitig erkannt, kann die Borreliose gut mit Antibiotika (z.B. Doxycyclin) behandelt werden. Eine Impfung existiert nicht. Prophylaktisch wichtig ist, Risikogebiete zu meiden und Zecken rasch zu entfernen.

52.7.4 Multiple Sklerose Definition Multiple Sklerose Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Sie führt zu Entzündungen des Myelins (Markscheiden). Durch den Abbau der Markscheiden (Demyelinisierung) kommt es zu Funktionsausfällen im Gehirn.

52.7.4.1 Pathophysiologie Doppelt so viele Frauen wie Männer sind betroffen. Der eigentliche Auslöser ist unbekannt, vermutet wird ein Zusammenhang mit dem Blutgerinnungsfaktor XII.

52.7.4.2 Symptome Frühsymptome: Sensibilitätsstörungen mit „Ameisenlaufen“ oder einem „pelzigen“ Gefühl“ an bestimmten Hautarealen oder Kälteempfindung, z.B. an den Beinen

Sehstörungen: „verschwommenes Sehen“ und Schmerzen hinter dem Auge durch die Entzündung des Sehnervs („Retrobulbärneuritis“) motorische Störungen: spastische Lähmungen der Extremitäten Kleinhirnsymptome: Bewegungsstörungen (Ataxie), Nystagmus („Augenzittern“), Sprechstörungen vegetatives Nervensystem: Blasenentleerungsstörung (Reflex- oder Dranginkontinenz, siehe Kap. ▶ 19.3.4) Beeinträchtigung der Sexualfunktion Psyche: depressive oder euphorische Stimmung möglich. Im Verlauf ist die Entwicklung einer ▶ Demenz möglich.

52.7.4.3 Diagnostik MRT: Nachweis der Entzündungsherde im ZNS Lumbalpunktion: Erhöhung des Gesamteiweißes, Antikörpernachweis Messung visuell evozierter Potenziale (VEP, Überprüfung der Sehbahnfunktion vom Auge bis zur Sehrinde)

52.7.4.4 Komplikationen und Folgeerkrankungen Die Erkrankung verläuft sehr variabel. Nach 20–25 Jahren Krankheitsverlauf können allerdings ca. 50 % der Betroffenen nicht mehr gehen. Wenige MS-Betroffene sind auch nach langem Verlauf nur leicht körperlich eingeschränkt. Dank neuer Medikamente verbessert sich die Prognose.

52.7.4.5 Therapie

Akute Schübe werden durch hoch dosierte Glukokortikoide (z.B. Methylprednisolon) behandelt. Immunsuppressiva (z.B. Beta-Interferon), Antikörpergabe (z.B. Alemtuzumab oder Ocrelizumab) oder Chemotherapeutika (Mitoxantron und Cladripin) können die Schubfrequenz senken. Alle Medikamente können den Verlauf nur verzögern, nicht aufhalten. Physio- und Ergotherapie: zur Erhaltung der Muskelkraft und Bewegungsfähigkeit Logopädie bei Sprachstörung

52.7.4.6 Pflege Wahrnehmen und Beobachten körperliche Veränderungen beobachten, um Schübe frühzeitig zu erkennen Medikamentennebenwirkungen beobachten und ggf. dem Arzt rückmelden Mobilisation, Positionierung und Schlaf Körperwahrnehmung fördern, z.B. durch ▶ Basale Stimulation Gleichgewichtstraining, Geh- und Stehübungen der Physiotherapie in den Alltag integrieren, Rollstuhl als die letzte und einzige Fortbewegungsmöglichkeit bei eingeschränkter Lungenbelüftung ▶ atemerleichternde Positionierung einsetzen Ressourcen erhalten und Selbstständigkeit fördern Prinzipien des ▶ Bobath-Konzepts anwenden bei spastischen Lähmungen Körperpflege und Bekleidung

bei Pflegeempfängern mit Sensibilitätsstörungen besonders auf Wassertemperatur und Wunden achten Anwendung des ▶ Bobath-Konzepts oder der ▶ Basalen Stimulation Pflegeempfänger sollte beim Ankleiden mit der eingeschränkteren Körperseite beginnen Selbstständigkeit fördern, z.B.: Hilfsmittel einsetzen (z.B. elektronische Zahnbürste) Reißverschlüsse anstelle von Knöpfen Klettverschlüsse statt Schnürsenkel ▶ Prophylaxen. Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Pneumonieprophylaxe: Tiefes Durchatmen und Abhusten sind bei fortschreitender Erkrankung oft unzureichend, daher z.B. auf Flüssigkeitszufuhr achten und Maßnahmen zur Sekretmobilisierung integrieren. Sturzprophylaxe: besonders bei Gangunsicherheit, Sehund Wahrnehmungsstörungen Harnwegsinfektionsprophylaxe: z.B. Intimpflege, viel trinken (bei Inkontinenz besteht ein erhöhtes Infektrisiko!) ▶ Schmerzmanagement. Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Ernährung vitaminreiche, vollwertige, und während der Glukokortikoidtherapie salz- und zuckerarme Kost, viel trinken

Hilfsmittel wie verdickte Besteckgriffe oder Anti-RutschFolie-Becher benutzen je nach Zustand des Pflegeempfängers: Essen und Trinken anreichen (siehe Kap. ▶ 18.8) Ausscheidung sorgfältige Haut- und Intimpflege Hilfsmittel bedarfsgerecht einsetzen ▶ Kontinenztraining auf Anzeichen einer Harnwegsinfektion achten ggf. suprapubischer Harnblasenkatheter oder Selbstkatheterisierung (siehe Kap. ▶ 19) ▶ Kommunikation. Motivation des Betroffenen u.a. auch durch aktive Kommunikation, Logopädie hinzuziehen und ggf. Sprachübungen integrieren ▶ Psychosoziale Begleitung. Die Krankheitseinsicht der Betroffenen/Pflegeempfänger kann gering sein und die spätere depressiven Verstimmungen oder Depressionen nehmen häufig nur enge Bezugspersonen wahr. Daher müssen Angehörige unterstützt und begleitet werden: über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen soziale Kontakte fördern Erfolgserlebnisse schaffen, motivieren, sinnvolle Beschäftigung ermöglichen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über möglichen Verlauf der Erkrankung und evtl. Wesensveränderung informieren auf Beratungsangebote der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, www.dmsg.de) hinweisen übermäßige Wärme vermeiden, da es zur Verschlechterung der Symptomatik führen kann

bei Fatigue tägliche Belastung anpassen, z.B. Ruhepausen einlegen und Überforderung vermeiden eine geplante Schwangerschaft ist möglich, ggf. mit Therapieveränderung

KOMPAKT Entzündliche Erkrankungen des ZNS Meningitis: (meist) infektiöse Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute. Bakterielle Meningitiden verlaufen oft schwerer als virale. Gefürchtet bei Kindern: MeningokokkenSepsis (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom) Enzephalitis: (meist) infektiöse Entzündung des Gehirns. Oft viral bedingt. Bei Herpes-simplex-Enzephalitis: Letalität 70 % FSME: ausgelöst durch Virus, übertragen durch Zecken, Impfung möglich Borreliose: ausgelöst durch Bakterien (Borrelien), übertragen durch Zecken, keine Impfung möglich, Therapie: Antibiose Multiple Sklerose: Die MS ist eine autoimmune Entzündung mit Abbau des Myelins (Markscheiden) unklarer Ursache. Therapie: Medikamente können Verlauf nur verzögern, nicht aufhalten. Pflege: bedarfsgerechte Prophylaxen (z.B. Harnwegsinfektion, Sturz und Pneumonie), psychosoziale Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen

52.8 Epileptische Anfälle und Epilepsie Definition Epileptischer Anfall und Epilepsie Ein epileptischer Anfall ist eine vorübergehende Funktionsstörung des ZNS mit gleichzeitiger Entladung vieler Nervenzellen im Gehirn. Die Epilepsie ist eine chronische Erkrankung des Gehirns mit wiederholten epileptischen Anfällen ohne erkennbaren Auslöser.

Definition Status epilepticus Ein Status epilepticus besteht, wenn epileptische Anfälle länger als 5 min andauern oder der Betroffene zwischen einzelnen Anfällen das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Dieser lebensbedrohliche Zustand muss medikamentös unterbrochen werden.

52.8.1 Epilepsie 52.8.1.1 Pathophysiologie Epilepsie ist keine Erbkrankheit, aber eine genetische Disposition ist wahrscheinlich. Circa 0,5–1 % der Bevölkerung sind betroffen mit einem Altersgipfel bis zum 15 Lebensjahr und nach dem 65. Lebensjahr Circa 5 % der Bevölkerung erleiden im Laufe des Lebens einen einmaligen epileptischen Anfall

(Gelegenheitsanfall), z.B. aufgrund von Fieber, Hypoglykämie, Elektrolytstörungen. Die Epilepsie kann nach den auslösenden Ursachen in 3 Kategorien eingeteilt werden: symptomatische Epilepsie: nachweisbare Ursache, z.B. Tumor, Entzündungen des Gehirns, Sauerstoffmangel während Schwangerschaft oder Geburt kryptogene Epilepsie: Auslöser lässt sich nicht nachweisen, aber fokale Ursache im Gehirn ist wahrscheinlich. idiopathische Epilepsie: familiäre Veranlagung

52.8.1.2 Symptome Je nachdem, ob nur ein Teil des Gehirns (partiell) oder das ganze Gehirn (generalisiert) betroffen ist, sind die Symptome sehr unterschiedlich ( ▶ Tab. 52.2 ). Tab. 52.2 Anfallstypen und Symptome einer Epilepsie. Anfallstyp

Symptome

partielle (fokale) Anfälle (nur Teil des Gehirns betroffen) einfach partielle Anfälle

ohne Bewusstseinsstörung motorisch: Muskelzuckungen einzelner Muskelgruppen sensibel: z.B. lokales Kribbeln, ggf. sich „ausbreitend“ sensorisch: z.B. Lichtblitze, Sehverlust, Ohrgeräusche

komplex partielle Anfälle

mit Bewusstseinsstörung z.B. Automatismen wie Schmatzbewegungen, Verdrehen eines Armes, ruckartiges Kopfdrehen, starrer Blick Dämmerzustand nach dem Anfall mit Amnesie

sekundär generalisierte Anfälle

aus einem anfangs partiellen Anfall entsteht ein GrandMal-Anfall

generalisierte Anfälle* (gesamtes Gehirn betroffen)

Anfallstyp

Symptome

Petit-mal-Anfälle

dauern nur kurz, ohne tiefe Bewusstlosigkeit, Beispiele: Absencen: kurzzeitige „Abwesenheit“ (häufig bei Kindern im Schulalter, ca. 10 Sekunden) atonisch (astatisch): plötzlicher Tonusverlust der Muskulatur mit Stürzen (meist im Kleinkindalter) tonisch: Sekunden bis Minuten dauernde Muskelanspannung klonisch: rhythmische Muskelzuckungen

Grand-mal-Anfälle

tonisch-klonischer Anfall, meist ca. 1 min, mit tiefer Bewusstlosigkeit: zuerst generalisiertes Anspannen (Tonus), dann rhythmischer Wechsel zwischen Anspannen und Lösen der Muskulatur des ganzen Körpers (Klonus) vermehrter Speichelfluss, Tachykardie und erhöhter Blutdruck, ggf. kurzzeitiger Atemstillstand kurzzeitiges Fehlen der Pupillenreaktion ggf. Zungenbiss häufig unkontrollierter Urin- oder Stuhlabgang Dämmerzustand nach dem Anfall mit Amnesie

* Die aktuelle ILEA-Klassifikation (2017) unterscheidet nicht mehr zwischen Petit-mal- und Grand-mal-Anfällen, sondern zwischen generalisierten Anfällen mit (z. B. tonischklonischer Anfall) und ohne motorische Störungen (z. B. Absencen)

52.8.1.3 Diagnostik Anfallsanamnese: Wie lief der Anfall ab? Vorerkrankungen? Auren (auffällige Empfindungen vor dem Anfall)? Labor: Blutzuckererhöhung? Elektrolytveränderung? Entzündungszeichen oder Blutung im Liquor? MRT: Tumor? Infarkt? Hydrozephalus? EEG: gibt Hinweis auf auslösende Hirnregion

52.8.1.4 Therapie und Pflege Im akuten Anfall

Pflegeempfänger nicht allein lassen, Arzt verständigen, Pflegeempfänger vor Verletzungsgefahren schützen (Stühle, scharfkantige Gegenstände wegräumen), Kopf ggf. mit Kissen unterlegen Pflegeempfänger während des Anfalls nicht festhalten! Keinen Mundkeil einsetzen! Keine Flüssigkeit einflößen! Dauer, Anfallstyp, Verlauf und ggf. Verletzungen/Heftigkeit des Sturzes erfassen und dokumentieren. Pflegeempfänger nach Anfall beobachten. Ein einzelner Anfall von weniger als 3 min muss nicht medikamentös behandelt werden. bei Anfall von längerer Dauer als 5 min: Antikonvulsiva ggf. Behandlung des Zungenbisses Pflegeempfänger nach Anfall ggf. in stabile Seitenlage bringen Pflegeempfänger haben im Rahmen des Anfalls oft eingenässt (Körperpflege durchführen). Die Notfallmaßnahmen bei „Status epilepticus“ finden Sie in Kap. ▶ 23 „Notfallsituationen“. Anfallsprophylaxe Antikonvulsivum, z.B. Lamotrigin, Valproat ggf. Resektion eines auslösenden Hirnareals Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Medikamente: Dosisveränderungen nur bei Rücksprache mit Arzt Anfallsauslöser meiden: kein Stress, kein Alkohol, kein Hochleistungssport, kein Aufenthalt an Orten mit hochfrequenten elektronischen Lichtreizen (z.B. Disco), kein Schwimmen ohne Aufsicht

Anfallskalender führen Straßenverkehr: Erhalt des Führerscheins nach 2 Jahren Anfallsfreiheit und negativem EEG-Befund, für ein Jahr befristet. Schwangerschaft: sorgfältige Planung in Rücksprache mit Arzt Beruf: Selbst- und Fremdgefährdung sowie Nacht- und Schichtarbeit berücksichtigen Reisen und Impfungen sind ärztlich zu konsultieren

KOMPAKT Epilepsie Bei einem epileptischen Anfall sind sehr viele Nervenzellen parallel erregt, sodass der Betroffene die „Herrschaft“ über seinen Körper zum Teil oder völlig verliert. Einteilung: Grundsätzlich unterscheidet man partielle (fokale) Anfälle, die von einer Hirnregion ausgehen, von generalisierten Anfällen, bei der die gesamte Hirnrinde übererregt ist. im akuten Anfall: Patienten nicht alleine lassen, nicht festhalten, scharfkantige Gegenstände im Umfeld entfernen, Arzt benachrichtigen. Normalerweise ist keine notfallmedizinische Behandlung erforderlich. Status epilepticus: Anfallsdauer > 5 min. Dieser muss notfallmedizinisch behandelt und unterbrochen werden. Informieren: u.a. Aspekte der Selbst- und Fremdgefährdung berücksichtigen

52.9 Basalganglienerkrankungen 52.9.1 Parkinson-Syndrom Definition Parkinson-Syndrom Das Parkinson-Syndrom ist eine Störung des extrapyramidalmotorischen Systems des Gehirns. Dabei werden unwillkürliche Bewegungen (z.B. Zittern) hervorgerufen und willkürliche Bewegungsabläufe gestört.

52.9.1.1 Pathophysiologie Beim Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson) sterben in der Substantia nigra im Mittelhirn die für die DopaminHerstellung verantwortlichen Nervenzellen ab. Dies führt zu Dopaminmangel. 75 % der Erkrankungen sind idiopathisch, die auslösende Ursache der Nervenzelldegeneration ist also unklar. Es gibt aber auch sekundäre, symptomatische Formen, z.B. durch Vergiftungen, Medikamentennebenwirkungen (Neuroleptika) oder idiopathisch-degenerative Form, z.B. infolge eines Morbus Alzheimer.

52.9.1.2 Symptome typische Symptome: Muskelsteifheit (Rigor)mit Zahnradphänomen Verlangsamung der Bewegungen (Bradykinese) bis hin zur Bewegungsarmut (Akinese) Ruhezittern (Ruhetremor) gestörte Haltungsstabilität

maskenhaftes Gesicht, gebückte Haltung, schlurfender und kleinschrittiger Gang Schwierigkeiten beim Starten von Bewegungen („freezing“) erhöhte Talgproduktion (Salbengesicht), vermehrte Speichelsekretion und Schwitzen Dranginkontinenz, Obstipation psychische Beeinträchtigungen: Depressivität, kognitive Störungen Sprechstörungen: Betroffene sprechen leise und monoton. Mikrografie: Schrift wird immer kleiner.

52.9.1.3 Folgeerkrankungen und Komplikationen ▶ Demenz Nach 20 Jahren sind die meisten Betroffenen pflegebedürftig.

52.9.1.4 Diagnostik klinische Symptomatik, v.a. Rigor, Tremor, Bradykinese, Haltungsinstabilität Gabe von L-Dopa und Überprüfung, ob Symptomatik dann besser ist Szintigrafie (DAT-Scan: Dichte der Dopamintransporter wird dargestellt)

52.9.1.5 Therapie Ziel: Krankheitsverlauf verzögern und Symptome lindern. Hauptansatzpunkt der medikamentösen Therapie ist die Behebung des Dopaminmangels. symptomatisches Parkinson-Syndrom: kausale Therapie (z.B. Absetzen von Neuroleptika)

Eine kurative Therapie des idiopathischen Parkinson Syndroms ist nicht möglich. Symptombekämpfung: durch Medikamente: z.B. L-Dopa-Präparate, Dopaminagonisten (z.B. Piribedil), COMT-Hemmer (z.B. Entacapon), MAO-B-Hemmer, NMDAAntagonisten, Anticholinergika durch tiefe Hirnstimulation: elektronische Reizung über Elektroden in den Basalganglien Physio-, Ergo- und Logopädie

ACHTUNG Parkinson-Medikamente haben häufig Nebenwirkungen wie Halluzinationen oder Dyskinesien. Die Therapie darf aufgrund der Gefahr einer akinetischen Krise nicht abgebrochen werden.

52.9.1.6 Pflege Bei allen pflegerischen Maßnahmen sollte ausreichend Zeit eingeplant werden. Die verlangsamte Reaktion ist Teil des Krankheitsbilds. Ungeduld und Hektik wirken sich negativ aus. Mitwirken bei der Therapie Medikamentennebenwirkungen beobachten und ggf. dem Arzt rückmelden, z.B. treten Halluzinationen häufig bei Nacht auf, hilfreich kann ein Nachtlicht sein. L-Dopa muss eine halbe Stunde vor oder 90 min nach dem Essen eingenommen werden. Es darf nicht gleichzeitig mit eiweißreichen Nahrungsmitteln eingenommen werden (z.B. mit Milch, Quark, Joghurt), da es sonst nicht ausreichend resorbiert werden kann.

Auf Zeichen des Elektrolytmangels (v.a. Kalium und Natrium) achten. Mobilisation, Positionierung und Schlaf Bewegungsübungen (z.B. Gehtraining, Gleichgewichtsübungen) der Physiotherapie in den Alltag integrieren Pflegeempfänger aktivieren, nicht überfordern (realistische Ziele setzen), Pausen machen Ressourcen erhalten und Selbstständigkeit fördern Freezing: Da der erste Schritt nach vorn häufig schwierig ist, kann der Pflegeempfänger zuerst einen Schritt zur Seite machen oder auf der Stelle gehen (Storchengang). Zudem hilfreich sind optische oder akustische Reize, wie Marschmusik oder das Einüben eines Selbstkommandos. Der Pflegeempfänger sollte die Fersen zuerst aufsetzen und den Fuß abrollen (Schlurfen vermeiden!). bei Bedarf Hilfsmittel einsetzen (z.B. FreezingGehstock, Gehwagen mit hochgestellten Handgriffen, Querstreifen oder Schachbrettmuster auf dem Boden) Körperpflege und Bekleidung tägliches Waschen/Duschen ermöglichen aufgrund der erhöhten Talgproduktion Selbstständigkeit fördern, z.B. Hilfsmittel einsetzen (z.B. Elektrorasierer) Reißverschlüsse anstelle von Knöpfen Klettverschlüsse statt Schnürsenkel ▶ Prophylaxen. Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards

Pneumonieprophylaxe: Betroffene atmen oft nur oberflächlich Aspirationsprophylaxe: Schluckprobleme treten häufig auf (Logopädie hinzuziehen, Schlucktraining) Infektionsprophylaxe: wegen der starken Talgproduktion drohen Hautpilzinfektionen Sturzprophylaxen: aufgrund der Bewegungsstörungen, Dranginkontinenz Dekubitusprophylaxe: fehlende Eigenbewegung im Schlaf Prophylaxe der Mangelernährung: Pflegeempfänger benötigen viel Zeit bei der Nahrungsaufnahme Ernährung Hilfsmittel einsetzen, aufgrund des Ruhetremors: z.B. Besteck mit verdickten Griffflächen, Teller mit erhöhtem Rand, stabile Gläser mit Strohhalm, Antirutschmatten auf ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr achten, aufgrund vermehrter Schweißproduktion ausreichend Zeit einplanen, sonst besteht das Risiko einer Unter- oder Mangelernährung Ausscheidung Hilfsmittel bedarfsgerecht einsetzen, z.B. Urinflasche direkt am Bett ▶ Kontinenztraining psychosoziale Begleitung und Kommunikation logopädische Übungen in den Alltag integrieren soziale Kontakte fördern Erfolgserlebnisse schaffen, motivieren, sinnvolle Beschäftigung ermöglichen

Selbsthilfegruppen vermitteln Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über Erkrankung informieren, Gespräche anbieten Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie fortsetzen regelmäßige Zahnarztkontrollen: Zahnprothesen können sich aufgrund der Dyskinesien lockern (Kiefer verändert sich) Sport verbessert die Beweglichkeit (z.B. Nordic Walking, Wandern, Radfahren).

52.9.2 Chorea Huntington Definition Chorea Huntington Bei Chorea Huntington kommt es aufgrund eines vererbten Gendefekts zum Untergang von hemmenden Neuronen in Endhirn- und Zwischenhirnkernen. Dies äußert sich in plötzlichen, unwillkürlichen Bewegungen. Später kommt es zur Demenz.

52.9.2.1 Symptome Die ersten Symptome treten meistens zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf. Typisch sind Zuckungen und unwillkürliche Bewegungen an Armen, Beinen und Gesicht (Hyperkinesien). Später sind auch andere Muskelgruppen betroffen. Die Persönlichkeit verändert sich, es kommt zur Demenz. Hinzu kommt eine schwere ▶ Dysphagie mit Gefahr einer Aspirationspneumonie, Kachexie und lebensbedrohlicher Ateminsuffizienz.

52.9.2.2 Diagnostik

Die Krankheit kann durch den typischen autosomal-dominant vererbten Gendefekt auf Chromosom 4 diagnostiziert werden. Kinder von Chorea-Huntington-Patienten erkranken mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit auch. Sie sollten deshalb genetisch beraten werden, auch zur Familienplanung.

52.9.2.3 Therapie und Pflege Chorea Huntington ist kausal nicht heilbar. Medikamentös können Neuroleptika und Dopaminantagonisten helfen. Pflegende achten auf eine ausreichende Kalorienzufuhr, da durch die übermäßige Bewegung ein erhöhter Kalorienbedarf besteht. Gleichzeitig können logo- und physiotherapeutische Übungen (z.B. Atemtherapie, Schlucktraining) anfangs das Leben mit der Erkrankung etwas erträglicher machen.

KOMPAKT Basalganglienerkrankungen Morbus Parkinson typische Symptome: Rigor (Muskelsteifheit), Bradykinese (Bewegungsarmut), Tremor (Zittern) und gestörte Haltungsstabilität. Insgesamt: zu wenig Bewegung Therapie: Linderung z.B. durch Dopaminagonisten oder „Gehirnschrittmacher“ Chorea Huntington typische Symptome: Zuckungen und unwillkürliche Bewegungen. Insgesamt: zu viel Bewegung Therapie: Linderung z.B. durch Dopaminantagonisten

52.10 Motorische Degenerationen 52.10.1 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) Definition Amyotrophe Lateralsklerose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems. Es sterben Neurone im Gehirn und Rückenmark (Pyramidenbahnen) ab, die für „Bewegungsinformationen“ verantwortlich sind (Motoneurone). Die Ursache ist unklar.

52.10.1.1 Symptome anfangs: Muskelzuckungen (Faszikulationen) und Lähmungen in den Händen, später auch an Armen und Beinen Schluck- und Sprechstörungen Typisch ist das gleichzeitige Auftreten von spastischen und schlaffen Lähmungen mit bedrohlichem Befall der Atemmuskulatur. psychische Veränderungen Kognitive Fähigkeiten und Sensibilität bleiben erhalten.

52.10.1.2 Folgeerkrankungen und Komplikationen Die häufigste Todesursache von ALS-Patienten ist die Lähmung der Atemmuskulatur. ALS verläuft sehr unterschiedlich. Bei der Hälfte der Betroffenen liegt die Überlebenszeit nach der Diagnose allerdings bei lediglich 36–48 Monaten.

52.10.1.3 Diagnostik klinische Symptomatik neurophysiologische Untersuchungen (Elektromyografie, Neurografie)

52.10.1.4 Therapie und Pflege ALS ist nicht heilbar. Alle therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen zielen darauf ab, Lebensqualität und Fähigkeiten möglichst lange zu erhalten. Wenn die Atemmuskulatur zu schwach wird, muss beatmet werden. Pflegende unterstützen bei Körperpflege, Essen und Trinken, Ausscheidung etc. Wichtig sind Prophylaxen, v. a. die Aspirationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17).

52.11 Erkrankungen am Rückenmark 52.11.1 Querschnittsyndrom Definition Querschnitt Bei einem Querschnittsyndrom (Querschnittlähmung) ist das Rückenmark traumatisch so beschädigt, dass die für die Versorgung der darunterliegenden Körperregion zuständigen Nervenbahnen komplett oder vollständig unterbrochen sind.

52.11.1.1 Pathophysiologie Unfall (häufigste Form) = traumatische Querschnittlähmung Tumor Entzündungen

Durchblutungsstörungen Multiple Sklerose

52.11.1.2 Symptome Die Ausfallsymptome betreffen neurologische Funktionen unterhalb des beschädigten Rückenmarksegments. Sie sind abhängig von Art, Ort und Ausmaß der Schädigung ( ▶ Abb. 52.4). Motorik: kurz nach dem Trauma im Stadium des spinalen Schocks: schlaffe Lähmung mit Areflexie (keine Reflexe mehr vorhanden); später: spastische Lähmung hoher Querschnitt (oberhalb des 4. HWS): Tetraparese, ggf. Zwerchfelllähmung und Ausfall des Atem- oder Kreislaufzentrums Querschnitt unterhalb des 1. BWS: Paraparese Sensibilität: Verlust der Berührungs-, Schmerz-, Temperaturempfindung und Tiefensensibilität vegetatives System: Hypotonie: besonders bei Positionswechsel kann es zu akuten Blutdruckabfällen kommen (orthostatische Hypotonie). Bei Läsionen im oberen Bereich des Rückenmarks besteht das Risiko der Blutdruckdysregulation. Dabei steigt der Blutdruck nach einem unspezifischen Reiz extrem an. Puls: häufig Bradykardien mit Herzfrequenzen unter 60 Schlägen/min Störungen der Blasen-, Darm- und Sexualfunktion, Herz- und Kreislauf- sowie Schweiß- und Temperaturregulation

Auswirkungen der Rückenmarktraumen in unterschiedlichen Höhen. Abb. 52.4  (Nach: Rohkamm R, Kermer P. Taschenatlas Neurologie. Stuttgart: Thieme; 2017)

52.11.1.3 Diagnostik neurologische Untersuchung: Welche Funktionen sind verloren? bildgebende Verfahren: CT, MRT

52.11.1.4 Therapie Erste Stunden nach Unfall von Bedeutung. Wichtig: richtige Bergung, schonender und schneller Transport in Fachklinik, exakte Diagnosestellung und fachgerechte Betreuung. am Unfallort: Verletzten möglichst ruhig positionieren, Vitalfunktionen sicherstellen Transport: Vakuummatratze und Zervikalstütze zur Sicherung der Halswirbelsäule Gabe von Schmerzmitteln und Kortison (Ödementwicklung soll verhindert werden) Die Rückenmarkskompression muss operativ entlastet und die Wirbelsäule stabilisiert werden. medikamentöse Therapie von Hypotonie und Bradykardie Nach Akuttherapie beginnt Rehabilitation in Spezialzentren (Physio- und Ergotherapie) mit dem Ziel der Reintegration in den Alltag.

52.11.1.5 Pflege Akutsituation ▶ Wahrnehmen und Beobachten. Engmaschige Überwachung der Vitalparameter (Monitoring, siehe Kap. ▶ 40) Atmung: Bei Querschnittverletzungen im oberen Bereich des Rückenmarks kann die Atmung stark

eingeschränkt sein, ggf. muss intubiert und maschinell beatmet werden. Blutdruck: Gefahr der orthostatischen Hypotonie → Thromboseprophylaxestrümpfe, ausreichend Flüssigkeitszufuhr und Medikamente auf Arztanordnung bei Hypotonie Puls: Medikamente auf Arztanordnung bei Bradykardie

ACHTUNG Bei einer hohen Querschnittlähmung ist oft die vegetative Kontrolle des Herz-Kreislauf-Systems gestört. Plötzliche Blutdruckanstiege sind möglich, ebenso wie Bradykardien bzw. sogar Asystolien. Blutdruck und Herzfrequenz müssen deshalb (v.a. in den Tagen nach dem Unfall) engmaschig kontrolliert werden. Mobilisation, Positionierung und Körperpflege Verdrehungen der Wirbelsäule und abrupte Bewegungen vermeiden Beim Positionswechsel muss der Körper des Patienten ▶ en bloc gedreht werden (mit 2–3 Personen) ggf. Kleidung aufschneiden regelmäßige Positionierung → Dekubitusprophylaxe und Wahrnehmungsförderung; Nestlage hilft, eigene Körpergrenzen zu spüren ggf. Verwendung einer Zervikalstütze bei Verdacht auf eine Verletzung der Halswirbelsäule ▶ Schmerzmanagement. Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21. Durch die Irritation einzelner Nerven können Schmerzen

unterhalb und auf der Höhe der Rückenmarksverletzung auftreten (sog. neuropathische Schmerzen).

Im weiteren Krankheitsverlauf Mobilisation, Positionierung und Körperpflege Prinzipien des ▶ Bobath-Konzepts anwenden zur Förderung der Körperwahrnehmung, Normalisierung des Muskeltonus und Anbahnung von normalen Bewegungsabläufen Ressourcen erhalten und Selbstständigkeit fördern Geh- und Sitzübungen Prinzipien der ▶ Basalen Stimulation anwenden zur Förderung der Körperwahrnehmung Geh- und Stehübungen der Physiotherapie in den Alltag integrieren Umgang mit Hilfsmitteln einüben, in Absprache mit der Physiotherapie (z.B. Rollstuhl) Kontrolle der Körper-, Raum- und Wassertemperatur, da das Temperaturempfinden und die Schweißsekretion gestört sein können Ernährung ggf. eine Magensonde legen, später PEG (siehe Kap. ▶ 27) Bei stabilisierter Wirbelsäule ist Essen sitzend möglich, ggf. Einsatz von Hilfsmitteln (z.B. Griffverdickung). Ausscheidung auf eine regelmäßige und vollständige Entleerung der Blase achten, ggf. durch Katheterisierung (auf Arztanordnung, siehe Kap. ▶ 19.5) auf eine regelmäßige Entleerung des Darms achten (siehe Kap. ▶ 19.3)

▶ Prophylaxen. Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Pneumonieprophylaxe: Bei Lähmungen der Atemhilfsmuskulatur ist das Risiko stark erhöht. Dekubitus-, Thrombose-, Kontrakturenprophylaxe: aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit Obstipationsprophylaxe: aufgrund der vegetativen Störung der Darmtätigkeit ▶ Psychosoziale Begleitung. Die Pflegeempfänger befinden sich in einer äußerst schwierigen Krisensituation. Aus einem aktiven, selbstbestimmten Leben ist auf einen Schlag eine umfassende Abhängigkeit geworden, die schwer zu ertragen ist. Mögliche Unterstützung: Gesprächsbereitschaft signalisieren Gesprächstechniken anwenden (z.B. aktives Zuhören, siehe Kap. ▶ 10) Reaktionen wie Wut, Aggression, Verzweiflung und Traurigkeit Raum geben und akzeptieren alle Interventionen und Pflegehandlungen genau erklären auf Selbsthilfegruppen hinweisen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über Krankheitsbild, den Verlauf und mögliche Symptome (z.B. Sexualfunktion) informieren auf Beratungsangebote hinweisen (z.B. zur Pflege, zum Wohnraum)

KOMPAKT Querschnittsyndrom

Bei einem Querschnittsyndrom (Querschnittlähmung) ist das Rückenmark im Querschnitt beschädigt mit Ausfall der distalen neurologischen Funktionen. häufigste Ursache: Unfall (traumatische Querschnittlähmung) Symptome: abhängig von Art, Ort und Ausmaß der Schädigung Akutphase: engmaschige Kontrolle von RR und Herzfrequenz (Hypotonie-/Asystolie-Gefahr) Therapie: Rückenmarksdekompression und Stabilisierung der Wirbelsäule Pflege: Verdrehungen der Wirbelsäule vermeiden, Ausscheidungen sicherstellen, Prophylaxen anwenden, Schmerzmanagement, psychosoziale Begleitung

52.11.2 Bandscheibenvorfall Definition Bandscheibenvorfall Bei einem Bandscheibenvorfall (Nucleus-pulposus-Prolaps, Diskushernie) drückt Bandscheibengewebe in den Wirbelkanal. Sobald auf eine Nervenwurzel gedrückt wird, entstehen Beschwerden (Nervenwurzelkompressionssyndrom oder radikuläres Syndrom).

52.11.2.1 Pathophysiologie Risikofaktoren Übergewicht

chronischer Bewegungsmangel ständige schwere körperliche Belastung Beckenschiefstand durch Beinverkürzung Wirbelsäulenverkrümmung und angeborenes Wirbelgleiten Aufgrund der degenerativen Prozesse mit zunehmendem Alter wird der äußere Faserring rissig und der innere Gallertkern verliert Flüssigkeit. Im Alter zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr ist der innere Gallertkern noch elastisch genug, um sich vorzuwölben (Protrusion). Am häufigsten ist die Lendenwirbelsäule betroffen, gefolgt von der Halswirbelsäule. Verlaufsformen Protrusion: Der Faserring der Bandscheibe wölbt sich nach vorn. Prolaps: Der äußere Faserring ist perforiert und der Gallertkern tritt nach vorn (Bandscheibenvorfall im eigentlichen Sinne). Sequester: Von der Bandscheibe abgetrenntes Material befindet sich im Wirbelkanal.

52.11.2.2 Symptome Zuerst lokale Rückenbeschwerden. Bei zunehmendem Druck auf die Nervenwurzel kommt es zu ausstrahlenden, ziehenden Rückenschmerzen in der betroffenen Region. im Verlauf neurologische Ausfälle: Empfindungsstörungen, Lähmungen (durch Funktionsbeeinträchtigung der betroffenen Nerven) schmerzbedingte Schonhaltung (z.B. „Schiefhals“ oder „Ischias-Skoliose“)

52.11.2.3 Komplikationen und Folgeerkrankungen Konus- oder Cauda-Syndrom (lebensgefährlich, sofortige Operation): Das gesamte Nervenbündel im Wirbelkanal ist betroffen. Es kommt zur „Reithosenanästhesie“ mit Sensibilitätsstörungen an der Oberschenkelinnenseite. Wurzeltod: Der Druck auf die Nervenwurzel ist so stark, dass sie zerstört ist mit der Folge eines anhaltenden Funktionsausfalls.

52.11.2.4 Diagnostik Anamnese (Schmerzverlauf und -lokalisation) körperliche Untersuchung: Reflexprüfung, LasègueTest (Schmerzen beim Dehnen des Ischiasnervs?) bildgebende Verfahren: v.a. MRT

52.11.2.5 Therapie konservative Behandlung Schmerzmedikation (z.B. Diclofenac), ggf. lokal Kortison, ggf. Lokalanästhetikum-Injektion oder ggf. Muskelrelaxanzien physikalische und manuelle Therapie: lokale Wärmebehandlung (Fangopackungen) Massagen bei andauernden Schmerzen und Lähmungen: Operation zur Entlastung der Nervenwurzel

52.11.2.6 Pflege Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21, Beobachtung der Intensität und Lokalisation

bei Kortisontherapie: Beobachtung auf Nebenwirkungen (Gesichtsröte, Schwitzen, erhöhter Blutdruck, Tachykardie und Hyperglykämie) ggf. Positionierung in Stufenbettlage, um die Bandscheibe zu entlasten (bei lumbalem Vorfall) Anleiten zu bandscheibenschonenden Bewegungsabläufen, z.B. beim Bücken (in die Hocke gehen, Wirbelsäule gestreckt halten) oder zum richtigen Aufstehen aus dem Bett (Beine anziehen, En-blocDrehung in Seitenlage, dann seitlich hochdrücken) bei Sensibilitätsstörungen: auf Wassertemperatur achten Prophylaxen: Obstipations- und Dekubitusprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17) postoperative Pflege: z.B. Schmerzerfassung, Sekret in Drainage überwachen (Liquor?), Beweglichkeit und Sensorik der Extremitäten prüfen, Nierentätigkeit überwachen, Drehen immer en bloc, möglichst Sitzen vermeiden zu Sport (Wandern, Schwimmen) und Physiotherapie motivieren

KOMPAKT Bandscheibenvorfall Ursache: Bandscheibengewebe drückt im Wirbelkanal auf Nervengewebe. Symptome: Rückenschmerzen, ggf. neurologische Ausfälle, schmerzbedingte Schonhaltung Verlaufsformen: Protrusion, Prolaps oder Sequester

lebensgefährliche Komplikation: Konus- oder CaudaSyndrom Therapie: 90 % heilen konservativ aus. Bei progredienter Parese: OP Pflege: Schmerzmanagement, Screening auf Verschlechterung der Symptome, Anleitung zur richtigen Haltung, Motivation zum Sport

52.11.3 Spinalkanalstenose Definition Spinalkanalstenose Bei einer Spinalkanalstenose ist der Spinalkanal (Wirbelkanal) durch Weichteil- oder Knochengewebe eingeengt.

52.11.3.1 Pathophysiologie degenerative Veränderungen: z.B. durch knöcherne Auswüchse an den Wirbelkörpern lokale Raumforderungen: z.B. durch Tumoren, Entzündungen

52.11.3.2 Symptome Zervikalkanalstenose: Schmerzen im Nacken, ggf. mit Ausstrahlung in den Arm. Paresen (Gefühlsstörungen), Blasen- und Mastdarmstörungen Lumbalkanalstenose: Schmerzen und Gefühlsstörungen in den Beinen. Bei Bewegungen, bei denen der Oberkörper nach vorne gebeugt wird, bessern sich Beschwerden (Claudicatio spinalis).

52.11.3.3 Therapie und Pflege konservativ mit Schmerzmitteln (z.B. Diclofenac) Physiotherapie bei neurologischen Ausfällen: operative Erweiterung des Spinalkanals Pflege, siehe ▶ Bandscheibenvorfall

52.12 Kopf- und Gesichtsschmerzen 52.12.1 Spannungskopfschmerz Definition Spannungskopfschmerz Spannungskopfschmerzen sind episodische oder chronische Kopfschmerzen mittlerer Intensität ohne neurologische Begleitsymptome und ohne nachweisbare Ursache.

52.12.1.1 Symptome beidseitige, drückend-ziehende, nicht pulsierende, leichte bis mäßige Kopfschmerzen (Gefühl, als hätte man einen zu engen Hut auf) keine Schmerzverstärkung bei körperlicher Aktivität evtl. Lärm- und Lichtempfindlichkeit möglich

52.12.1.2 Therapie kurzfristig medikamentös mit Analgetika (z.B. Ibuprofen, Aspirin) zur Prophylaxe: Amitriptylin, Dozepin, Imipramin

Entspannungsverfahren Physiotherapie

52.12.1.3 Pflege 10-prozentiges Pfefferminzöl auf Stirn und Schläfen auftragen kalten Waschlappen auf die Stirn legen ggf. Zimmer abdunkeln Pflegeempfänger darüber informieren, dass Dauergebrauch von NSAR wie Ibuprofen zu medikamenteninduzierten Kopfschmerzen führen kann Schmerztagebuch führen, Vorlage z.B. unter www.dgk.de (Deutsches Grüne Kreuz für Gesundheit e. V.) Aufklärung über die prophylaktische Wirkung von Ausdauersport, gesunder Ernährung, Entspannung und dem Verzicht auf Alltagsdrogen wie Alkohol

52.12.2 Migräne Definition Migräne Bei Migräne erleiden Betroffene starke, oft einseitige Kopfschmerzattacken, häufig begleitet von Übelkeit und Erbrechen sowie einer erhöhten Licht- und Lärmempfindlichkeit.

52.12.2.1 Pathophysiologie Genetische Veranlagung führt zu kortikaler Erregbarkeit und Empfindlichkeit für Schmerzreize

Die Attacken werden ausgelöst durch innere oder äußere Einflüsse (Trigger), z.B. Änderungen im SchlafWach-Rhythmus (Schichtarbeit), Hormonveränderungen (Menstruation) oder psychische Belastungen (Stress), Ernährung (Rotwein, Käse) oder äußere Einflüsse (Lärm).

52.12.2.2 Symptome Eine Migräneattacke beginnt häufig mit einer Prodromalphase mit Plus- und Minussymptomen: Plussymptome: Heißhunger, Überaktivität, Euphorie Minussymptome: Gereiztheit, Müdigkeit, Obstipation Stunden bis Tage nach diesen Symptomen beginnt der Migräneanfall, häufig mit einer Aura (Auraphase). Diese äußert sich oft mit einer einseitigen Sehstörung, z.B. einem „Flimmerskotom“, oder mit Lähmungen, Sprachstörungen oder sonstigen fokal-neurologischen Ausfällen. Die eigentliche Kopfschmerzphase dauert 4–72 h. Der Schmerz ist bohrend-hämmernd, meist einseitig („Hemikranie“) und oft hinter der Schläfe oder dem Auge lokalisiert. Die Betroffenen sind licht- und lärmempfindlich. Vielen ist übel. Bei Kindern kann die Migräne auch ohne Kopfschmerzen, nur mit Bauchschmerz und Schwindel, ablaufen. Im Alter ab ca. 10 Jahren treten ähnliche Symptome wie bei Erwachsenen auf.

52.12.2.3 Diagnostik Anamnese ggf. MRT (Ausschluss anderer Ursachen) Kopfschmerztagebuch

52.12.2.4 Therapie Akuttherapie: Analgetikum, Antiemetikum (nicht bei Kindern unter 14 Jahren)

Medikation: Triptane, z.B. Sumatriptan (bei starken Schmerzen) Migräneprophylaxe: Betablocker, Antikonvulsiva, Kalziumantagonist und Magnesium, Triggerfaktoren minimieren bzw. vermeiden, Entspannungstechniken, Ausdauersport, ggf. Akupunktur o.ä. Bei Kindern: Physiotherapie Massagen, Psychoedukation und Verhaltenstherapie

ACHTUNG Triptane dürfen nur an ≤ 10 Tagen/Monat eingesetzt werden. Der übermäßige Gebrauch von Analgetika führt zum Dauerkopfschmerz.

52.12.2.5 Pflege Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Medikamentenverabreichung nach Arztanordnung Lärmquellen vermeiden, Raum abdunkeln auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten anleiten zum Führen eines Schmerztagebuchs und zu geregeltem Tagesablauf über Sport und Entspannungstechniken aufklären und dazu motivieren Angebote zu Körperschmerzseminaren vermitteln Hinweis auf Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (www.dmkg.de) und die Stiftung Kopfschmerz (www.stiftung-kopfschmerz.de)

52.12.3 Trigeminusneuralgie Definition Trigeminusneuralgie Eine Trigeminusneuralgie ist ein meist einseitiger, attackenartiger starker Gesichtsschmerz im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus (V. Hirnnerv).

52.12.3.1 Pathophysiologie idiopathische Form: Ursache unklar (möglicherweise wird Nerv durch eine Gefäßschlinge eingeklemmt) symptomatische Form: z.B. infolge einer MS, Gefäßläsion, Herpes-zoster-Infektion, Schädelbasisfraktur

52.12.3.2 Symptome heftiger, plötzlicher Schmerz im Bereich des Trigeminusnervs, der einige Sekunden andauert Attacken können bis zu 100-mal am Tag über Wochen bis Monate auftreten. autonome Begleitsymptome: Hautrötung, Tränen-, Nasen-, Speichelsekretion Trigger sind Schlucken, Kauen, Sprechen, Luftzug.

52.12.3.3 Diagnostik Anamnese und klinischer Befund MRT, CT, Trigeminus-SSEP, Liquoruntersuchung zum Ausschluss der symptomatischen Form

52.12.3.4 Therapie und Pflege

Antikonvulsiva, z.B. Carbamazepin (Analgetika reichen nicht aus) sollte Gefäßschlinge um den Nerv die Ursache sein: Entlastungs-OP evtl. operative Läsion das Ganglion trigeminale auf ausreichende Flüssigkeits- und Nährstoffzufuhr achten (Pflegeempfänger vermeiden aus Angst vor Schmerzauslösung die Nahrungsaufnahme) Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermitteln

KOMPAKT Kopf- und Gesichtsschmerzen Spannungskopfschmerzen: Kopfschmerzen mittlerer Intensität ohne neurologische Begleitsymptome und ohne Ursache Migräne: meist einseitige Kopfschmerzattacken, häufig mit Übelkeit und Erbrechen, kombiniert mit einer Licht- und Lärmempfindlichkeit Trigeminusneuralgie: meist einseitiger, attackenartiger starker Gesichtsschmerz im Versorgungsgebiet des N. trigeminus (V. Hirnnerv)

52.13 Erkrankungen im peripheren Nervensystem 52.13.1 Karpaltunnelsyndrom

Definition Karpaltunnelsyndrom (KTS) Bei einem Karpaltunnelsyndrom (Medianuskompressionssyndrom) wird der N. medianus im Karpaltunnel komprimiert.

52.13.1.1 Pathophysiologie Auslöser der Kompression sind z.B. entzündliche Prozesse im Karpaltunnel (Rheuma), Verletzungen oder metabolische Ursachen (z.B. Diabetes mellitus oder eine Schwangerschaft).

52.13.1.2 Symptome Kribbeln, Schmerzen, Taubheitsgefühl in der Hand Feinmotorik nimmt ab Kraft in der Hand lässt nach Muskelatrophie am Daumenballen

52.13.1.3 Diagnostik Anamnese klinischer Befund Röntgen, Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) durch Elektroneurografie (ENG), Elektromyogramm (EMG)

52.13.1.4 Therapie und Pflege konservative Behandlung: Ruhigstellung der Hand in einer Schiene, z.B. nachts und entzündungshemmende Medikamente, z.B. Diclofenac operative Behandlung: operative Durchtrennung des „Dachs“ des Karpaltunnels, das Retinaculum flexorum (dadurch wird Druck auf N. medianus genommen)

postoperativ: DMS-Kontrolle, Schmerzmanagement, Hochlagerung des Arms, Ruhigstellung, auf Durchblutung der Finger achten, bei Zyanose der Finger, Nachblutungen, Gefühlsstörungen, Hämatom: sofort Arzt informieren

52.13.2 Guillain-Barré-Syndrom Definition Guillain-Barré-Syndrom Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute entzündliche Erkrankung peripherer Nerven und Nervenwurzeln (Polyneuroradikulitis).

52.13.2.1 Pathophysiologie Durch eine Autoimmunreaktion, eine bakterielle oder virale Infektion werden die Myelinscheiden von peripheren Nerven zerstört.

52.13.2.2 Symptome Typisch sind aufsteigende Lähmungen: Erst sind Füße, dann Beine, dann Hände, Arme, Beckengürtel, Rumpfmuskulatur und schließlich Atemmuskulatur (!) und Gesichtsmuskulatur betroffen. Ist das vegetative Nervensystem mitbetroffen, besteht die Gefahr der Bradykardie. In den meisten Fällen verschwinden die Lähmungserscheinungen nach einigen Wochen wieder in der umgekehrten Reihenfolge ihres Auftretens.

52.13.2.3 Therapie und Pflege Therapeutisch ist ggf. eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmung erforderlich. Mit einer

Plasmapherese könnten die Autoimmunantikörper aus dem Blut entfernt werden. Pflegende kümmern sich um die erforderlichen Prophylaxen (z.B. Kontrakturenprophylaxe und Thromboseprophylaxe, siehe Kap. ▶ 17). Bei fehlenden Kauund Schluckbewegungen muss auf eine gründliche Mundpflege (Speicheldrüsen werden unzureichend angeregt) und Ernährungsunterstützung (ggf. Ernährungssonde) geachtet werden. Wichtig ist zudem, die Patienten darüber aufzuklären, dass die Symptome sehr wahrscheinlich nur vorübergehend anhalten.

KOMPAKT Erkrankungen peripherer Nerven Karpaltunnelsyndrom: Schädigung des Nervus medianus durch Einengung des Karpaltunnels, verbunden mit Schmerzen, Parästhesien und Muskelatrophie in der Hand. Operative Therapie: Durchtrennung des Karpaltunnel-Dachs Guillain-Barré-Syndrom: akute entzündliche, autoimmune Schädigung peripherer Nerven mit aufsteigenden Lähmungen bis hin zur Atemlähmung. Heilt nach intensivmedizinischer Versorgung (meist) folgenlos aus.

52.14 Anlage- und Entwicklungsstörungen 52.14.1 Neuralrohrdefekte (Spina bifida) Definition

Neuralrohrdefekte (Spina bifida) Neuralrohrdefekte sind Fehlbildungen des Rückenmarks und des Gehirns. Sie entstehen, wenn sich das Neuralrohr in der Frühschwangerschaft (5.–6. SSW) nicht korrekt schließt.

52.14.1.1 Pathophysiologie Die genaue Ursache ist unklar. Wahrscheinlich spielen genetische Defekte eine Rolle, kombiniert mit Folsäuremangel.

52.14.1.2 Prophylaxe Einnahme von Folsäure vor und während der Schwangerschaft

52.14.1.3 Symptome Neuralrohrdefekte manifestieren sich meistens an der Lendenwirbelsäule und am Kreuzbein als: Spina bifida occulta: Wirbelbogen-Spaltbildung. Die Kinder sind klinisch unauffällig. Spina bifida aperta: Meningozele: Rückenmark intakt, Rückenmarkshäute vorgewölbt Meningomyelozele: Rückenmarkshäute und Rückenmark vorgewölbt, aber verschlossen (häufigste Form); führt zu neurologischen Ausfällen wie z.B. ▶ Querschnittsyndrom Myelozele: Neurales Gewebe liegt offen an der Oberfläche (schwerste Form); führt zu neurologischen Ausfällen wie z.B. ▶ Querschnittsyndrom.

52.14.1.4 Diagnostik klinisches Bild

bildgebende Verfahren: Sonografie, MRT

52.14.1.5 Therapie Operation: Verschluss einer offenen Spina bifida (spätestens am 2. Lebenstag), Korrektur einer Skoliose bzw. Fußfehlstellung inkl. orthopädischer Hilfen, ShuntOP bei Verschlusshydrozephalus interdisziplinäre Zusammenarbeit: Wichtig ist die bereichsübergreifende Zusammenarbeit von Pädiatrie, Neuropädiatrie, Physiotherapie, Urologie, Ergotherapie.

52.14.1.6 Pflege siehe ▶ Pflege beim Querschnittsyndrom auf Hirndrucksymptomatik achten (bei Verschlusshydrozephalus), z.B. Bewusstseinsstörungen, Hypertonie, Bradykardie, Pupillendifferenz

52.14.2 Infantile Zerebralparese Definition Infantile Zerebralparese Infantile Zerebralparese bezeichnet eine perinatale Schädigung des Gehirns mit motorischen Defekten („infantile Kinderlähmung“).

52.14.2.1 Pathophysiologie Die häufigste Ursache ist eine mangelnde Sauerstoffversorgung des kindlichen Gehirns (hypoxischischämische Enzephalopathie, HIE) vor, während oder nach der Geburt. Weitere Ursachen sind z.B. Hirnblutungen, Infektionen (Röteln, Toxoplasmose) oder Vergiftungen (z.B. Drogenmissbrauch, Alkoholismus der Mutter).

52.14.2.2 Symptome spastische Bewegungsstörungen unwillkürliche Bewegungen zusätzlich häufig: Verhaltensauffälligkeiten, geminderte Intelligenz und Lernfähigkeit

52.14.2.3 Diagnostik Anamnese und klinisches Bild Blutanalyse MRT Liquorpunktion

52.14.2.4 Therapie und Pflege Physio-, Ergo- und Logopädie; ▶ Bobath Konzept medikamentös: z.B. Baclofen (wirkt Krampfanfällen und Spastiken entgegen), ggf. Baclofen-Pumpe ab 4. Lebensjahr operativ: Verlängerung der Sehnen (Verbesserung der Motorik) alle Pflegemaßnahmen und Prophylaxen je nach Bedarf und Betroffenheit Dekubitus- und Kontrakturenprophylaxe: aufgrund starker Bewegungseinschränkungen und Spastiken Informationen und Beratung der Eltern über Frühförderung, individuelle Anleitung, Hilfsangebote, z.B. durch Fördervereine

KOMPAKT Anlage- und Entwicklungsstörungen

Neuralrohrdefekte (Spina bifida): Fehlbildungen des Rückenmarks und des Gehirns mit unklarer Ursache. Folgen: z.B. Lähmungen. Prophylaxe: Folsäure in der (Früh-)Schwangerschaft infantile Zerebralparese: perinatale Schädigung des Gehirns mit motorischen Defekten, oft mit weiteren neurologischen Ausfällen und Intelligenzminderung

53 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Sinnesorgane 53.1 Einführung

Die Sinnesorgane haben die Aufgabe, die Reize aus der Umwelt aufzunehmen, in elektrische Signale umzuwandeln und an das ZNS zu leiten. Die Sinnesmodalitäten umfassen Sehen, Hören, Schmecken, Riechen, den Tast- und Gleichgewichtssinn, die Temperatur – sowie Schmerzwahrnehmung und die Tiefensensibilität.

53.2 Erkrankungen des Auges 53.2.1 Anatomie und Physiologie Aufbau des Auges. Abb. 53.1 Der Augapfel wurde in der Horizontalebene geteilt, Blick von oben auf die untere Hälfte des rechten Auges. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

53.2.1.1 Aufbau des Auges ▶ Augapfel. Der Augapfel (Bulbus oculi, ▶ Abb. 53.1) liegt, eingebettet in ein Fettpolster, in der knöchernen Augenhöhle (Orbita). Sein Durchmesser beträgt beim Erwachsenen 24 mm, bei Kindern ist er entsprechend kleiner. Innerhalb des Augapfels liegen der Glaskörper und die Linse. ▶ Augenwand. Die Augenwand hat 3 Schichten: äußere Augenhaut, bestehend aus:

Hornhaut (Kornea), gefäßfrei und durchsichtig Lederhaut (Sklera), undurchsichtig, umgibt den ganzen Augapfel mittlere Augenhaut (Gefäßhaut), bestehend aus: Aderhaut (Choroidea), liegt der Sklera innen an, enthält zahlreiche kleine Gefäße Iris (Regenbogenhaut), bildet den farbigen Ring um die Pupille Ziliarkörper, liegt unter dem äußeren Rand der Iris. In ihm wird das Kammerwasser produziert, das für den Augeninnendruck verantwortlich ist. innere Augenhaut (Netzhaut, Retina). Sie enthält die Photorezeptoren. Besonders viele sitzen am „Gelben Fleck“, dem Punkt des schärfsten Sehens. Es gibt 2 Typen: Stäbchen: zuständig für die Helligkeitswahrnehmung Zapfen: zuständig fürs Farbensehen ▶ Linse. Die Linse liegt hinter der Pupille und ist über Zonulafasern in den Ziliarkörper-Ring eingespannt. Kontrahiert sich der Muskel im Ziliarkörper, verändert sich ihre Wölbung und damit ihre Brechkraft. ▶ Glaskörper. Der Glaskörper liegt direkt hinter der Linse, er füllt den Innenraum des Augapfels aus und besteht aus einer viskösen Gallertmasse (99 % Wasser). ▶ Bindehaut. Die Bindehaut des Auges (Konjunktiva) kleidet die Innenseite der Augenlider aus und schlägt im Bindehautsack auf die Sklera des Augapfels um. Sie enthält zahlreiche Gefäße und sekretproduzierende Becherzellen. ▶ Tränenapparat. Die Tränendrüse liegt im oberen äußeren Augenhöhlenrand. Die Tränenflüssigkeit wird durch den

Lidschlag über die Hornhaut verteilt, hält sie sauber und schützt sie vor der Austrocknung. Über eine Öffnung am inneren Augenwinkel („Tränenpunkt“) fließt die Tränenflüssigkeit über die Tränenkanälchen, den Tränensack und den Tränen-Nasen-Gang in den unteren Nasengang ab. ▶ N. opticus. Der Sehnerv (II. Hirnnerv) leitet die optische Information von der Netzhaut zum Gehirn.

53.2.1.2 Funktionen des Auges Beim Sehvorgang wird ein scharfes, aber umgekehrtes und verkleinertes Bild des Gesehenen auf die Netzhaut projiziert. Das Bild wird scharf, indem die Linse ihre Wölbung und damit ihre Brechkraft verändert. Diese Anpassung bezeichnet man als Akkommodation. Die Lichtreize, die an der Netzhaut ankommen, werden von den Photorezeptoren in elektrische Reize umgewandelt und über die Sehbahn (u.a. N. opticus) zur Großhirnrinde transportiert. Die Pupillengröße kann von 2–8 mm variieren. Sie wird über das autonome Nervensystem und die Muskulatur in der Iris gesteuert. Physiologisch haben beide Pupillen gleiche Größe (Isokorie), sind die Pupillen unterschiedlich groß, handelt es sich um eine Anisokorie. Eine Verengung (Miosis) findet z.B. statt bei: starkem Lichteinfall (Schutz vor Überblendung) Nahakkommodation (Erhöhung der Tiefenschärfe) Schädigung des Sympathikus Eine Weitung der Pupille (Mydriasis) findet z.B. statt bei: geringem Lichteinfall (verbessertes Sehen im Halbdunkel) parasympathisch wirksamen Medikamenten, z.B. Atropin

Panikreaktion (Sympathikusaktivierung)

53.2.2 Diagnostik Die ▶ Tab. 53.1  gibt einen Überblick über wichtige Leitsymptome bei Augenerkrankungen und mögliche Ursachen. ▶ Anamnestisch-klinische Untersuchung. Die Anamnese umfasst Fragen bezüglich der aktuellen Beschwerden, Sehhilfen (Brille, Kontaktlinsen), Augen(vor-)erkrankungen, Verletzungen und Medikamenteneinnahme. Bei der klinischen Untersuchung wird das Auge in seiner Gesamtheit mit Veränderungen und Störungen (Stellung, Beweglichkeit, Härte), die Lider und der Tränenfluss betrachtet. ▶ Sehschärfen-/Visusprüfung. Die Sehschärfenprüfung ist die häufigste augenärztliche Untersuchung. Hierbei wird geprüft, wie gut das Auflösungsvermögen (der Visus) des Auges bei Nah- oder Fernsicht ist. Die Sehleistung ist das Auflösungsvermögen des Auges ohne Hilfsmittel, wird der Visus durch Hilfsmittel optimal korrigier handelt es sich um Sehschärfe. ▶ Pupillenreflextest. Bei diesem Test wird ein Auge direkt angeleuchtet und beobachtet, wie die Pupille reagiert (direkte Lichtreaktion). Reagiert sie sehr träge oder anders als die Pupille auf der anderen Seite, besteht der Verdacht auf eine neurologische Störung. Ursachen können z.B. Kopfverletzungen oder Drogenkonsum sein. Die Untersuchung wird oft bei notärztlichen Untersuchungen durchgeführt. ▶ Ophthalmoskopie (Funduskopie, Untersuchung des Augenhintergrunds). Bei dieser Untersuchung befundet der Augenarzt den Augenhintergrund mithilfe des „Augenspiegels“ (Ophthalmoskop). Damit er möglichst viel Netzhautfläche untersuchen kann, muss die Pupille durch

ein Mydriatikum (z.B. Tropicamid) weitgestellt sein. Achtung: Die Tropfen beeinträchtigen das Sehvermögen (ca. 4–5 h). Die Betroffenen dürfen deshalb nach der Untersuchung nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen und die Augen müssen vor grellem Licht geschützt werden. ▶ Tonometrie (Messung des Augeninnendrucks). Bei der Tonometrie wird ein Messstempel auf die Hornhaut aufgesetzt oder durch einen Luftstoß (Non-ContactTonometrie) gemessen. Die Untersuchung wird z.B. als Glaukom-Vorsorgeuntersuchung durchgeführt. Vor der Messung verabreicht die Pflegefachkraft dem Pflegeempfänger Augentropfen, die die Hornhaut betäuben. Zu weiteren diagnostischen Untersuchungen gehören: Refraktometrie (Bestimmung der Brechkraft des Auges) Spaltlampenuntersuchung der vorderen Augenkammer und des Augenhintergrunds optische Kohärenztomografie (OCT): Darstellung der Netzhautschichten Fundusautofluoreszenz, z.B. bei V.a. Makulaerkrankungen Fluoreszenzangiografie: Darstellung der Netzhautgefäße Schirmer-Test: Untersuchung der Tränensekretion Perimetrie: Gesichtsfelduntersuchung Untersuchung des Farbsinns Prüfung von Stellung und Motilität der Augen: bei Babys und Kleinkindern (V.a. Strabismus) Tab. 53.1 Leitsymptome bei Augenerkrankungen. Symptom

Ursachen (Beispiele)

Symptom tränendes Auge

Ursachen (Beispiele) Reizung, z.B. durch Wind, Rauch, Staub Entzündungen, z.B. durch Allergien oder Infektionen mangelnde Drainage der Tränenflüssigkeit Überanstrengung Lidfehlstellungen, v.a. bei „Ektropium“ (abstehendes Unterlid)

trockenes Auge

Zugluft aus der Klimaanlage (Tränenflüssigkeit verdunstet zu schnell) Lidschlag erfolgt zu selten (z.B. bei PCArbeit) Oberflächenunregelmäßigkeit der Hornhaut

gerötetes Auge (ein oder beidseitig), ggf. Rötung der Lidhaut um das Auge

Entzündung, z.B. der Bindehaut (Konjunktivitis), Hornhaut (Keratitis) oder Lederhaut (Skleritis) allergische Reaktion Glaukomanfall Bluterguss (z.B. nach schwerer Geburt) gestörte Blutgerinnung

Schmerzen am oder im Auge

Verletzungen Entzündungen, z.B. „Gerstenkorn“ (Lidrandentzündung) oder Entzündungen der Augenhäute Sehnerventzündung Glaukomanfall

Sehverschlechterung

akut: z.B. durch Verschluss eines Augengefäßes, Netzhautablösung, Glaukomanfall langsam: z.B. durch grauen Star, Makuladegeneration, diabetische Retinopathie

Miosis/Mydriasis

siehe ▶ „Funktionen des Auges“

herunterhängendes Augenlid (Ptosis)

angeboren, Lähmungen oder Muskelschwäche

Symptom

Ursachen (Beispiele)

Unter- oder Oberlid nach innen gedreht, Bindehautrötung

Entropium (häufig bei älteren Menschen)

Unter- oder Oberlid nach außen gedreht

Ektropium (häufig bei älteren Menschen)

53.2.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges Wahrnehmen und beobachten Beobachtung des Auges (Tränen, Rötung, Pupillenveränderung) Erfragen von Schmerzen, Fremdkörpergefühl, Juckreiz, Sehveränderungen Orientierung geben bei sehbehinderten Pflegeempfängern Bevor man das Zimmer des Pflegeempfängers betritt, Anklopfen, Abwarten, den eigenen Namen und bei Visite den Namen aller Anwesenden nennen, alle Maßnahmen genau erläutern (in Zimmerlautstärke, andere Sinne sind geschärft). Medikamente, Toilettenartikel und Kleidung immer an denselben Platz stellen, damit der Pflegeempfänger sie leicht finden kann. Lichtverhältnisse individuell anpassen, Klingel, Lichtschalter u.a. ggf. markieren, damit sie wahrgenommen werden. ▶ Schmerzmanagement. Schmerzen am Auge begleitet von Übelkeit und Erbrechen können ein Warnsignal auf einen erhöhten Augeninnendruck sein und müssen schnellstmöglich behandelt werden. Prophylaxen

bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards Sturzprophylaxe mit Berücksichtigung des Expertenstandards „Sturzprophylaxe in der Pflege“: Durch eingeschränkte Sehfähigkeit ist das Sturzrisiko stark erhöht. Mobilisation, Positionierung und Schlaf Verletzungsgefahr minimieren, indem z.B. keine Hindernisse wie offene Schranktüren die Alltagswege des Pflegeempfängers blockieren Bei der Begleitung zu Untersuchungen muss der Pflegeempfänger geführt werden. Richtungswechsel oder Bodenunebenheiten muss man rechtzeitig ankündigen. Da Handläufe als Geh- und Orientierungshilfen dienen, sollen sie nicht mit Stationsgegenständen zugestellt werden. Psychosoziale Begleitung Gesprächsbereitschaft signalisieren, über Ängste sprechen Bei plötzlicher Sehbehinderung ist es für die Betroffenen belastend, dass sie typischen „Entspannungstätigkeiten“ nicht mehr nachgehen können (z.B. Lesen, Fernsehen). Deswegen ist es wichtig, ihnen Zugang zu Radio oder Hörbüchern zu ermöglichen, damit sie sich ablenken können. Sozialdienst einschalten und hinsichtlich Frühförderung beraten Dauert die Sehbehinderung länger, sollte neben psychosozialer Unterstützung der Kontakt zu Selbsthilfegruppen vermittelt werden (z.B. Bund zur

Förderung Sehbehinderten e. V., www.bfs-ev.de) oder Sehbehindertenorganisationen (z.B. Deutscher Blindenund Sehbehindertenverband e. V., www.dbsv.org). Therapeuten erklären zudem die für den Alltag erforderlichen Hilfsmittel wie spezielle PC-Tastaturen oder sprechende Uhren. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Manipulationen am Auge reduzieren korrekte Applikation von Augenmedikamenten (überschüssige Flüssigkeit vorsichtig abtupfen) Notwendigkeit der Händehygiene (Infektionsprophylaxe!)

53.2.3.1 Augenpflege und Applikation von Augenmedikamenten Augenpflege Pflegeempfänger über Zweck und Vorgehensweise informieren und Materialien zusammenstellen. Ablauf: Pflegeempfänger bitten, eine sitzende (ggf. auch liegende) Position einzunehmen, den Kopf in den Nacken zu legen und nach oben zu schauen. Bei Kindern soll der Kopf rekliniert werden. ▶ hygienische Händedesinfektion durchführen (ggf. Schutzhandschuhe anziehen bei infizierten Augen) sterilen Tupfer mit 0,9 % NaCl-Lösung anfeuchten und das Auge, ohne Druck auszuüben, auswischen. Pro Vorgang nutzt man eine neue Kompresse. Wischrichtung: vom Außen- zum Innenwinkel. Bei infiziertem Auge vom Innen- zum Außenwinkel, um eine Keimverschleppung zur kontralateralen Seite zu verhindern.

Ist das Auge verklebt, legt man eine mit 0,9 % NaCl getränkte Kompresse für 10–15 min auf das verkrustete Auge (Achtung: niemals das Auge mit Gewalt öffnen!). Anschließend reinigt man das Auge mit sterilen getränkten Kompressen. Inspektion des Auges (Rötung? Fremdkörper? Pupillen?), ggf. gemeinsam mit dem Arzt ▶ Lidkantenpflege. Durch die Lidkantenpflege werden die Lidränder von entzündlichem Sekret aus den MeibomDrüsen am Lidrand befreit. Zusätzlich zum 0,9 % NaCl kann kurz gebrühter und abgekühlter schwarzer Tee genutzt werden. Die getränkten Kompressen werden für ca. 10 min auf das geschlossene Auge gelegt und anschließend wird der Lidrand mit einem Watteträger drehend in Richtung Nase ausgestrichen. ▶ Augenmedikamente. Bei Applikation von Augenmedikamenten: Medikamentenmanagement (z.B. 6-R-Regel beachten, siehe auch Kap. ▶ 20) Pflegefachkraft steht auf der Seite des zu behandelnden Auges neben dem Pflegeempfänger einen Tupfer an das Unterlid legen und mit der freien Hand das Lid leicht herunterziehen Medikament in den unteren Bindehautsack applizieren, dabei darauf achten, dass die Flasche bzw. die Tube nicht kontaminiert wird (z.B. durch Berührung mit dem Auge). Pflegeempfänger soll langsam das Auge für ca. 5 min schließen (nicht kneifen). überschüssige Tropfen mit dem Tupfer am Unterlid auffangen

Bei gleichzeitiger Anordnung von Augentropfen und salbe, werden zuerst die Augentropfen appliziert und dann – nach 3 min Einwirkzeit – die Augensalbe.

Merke Kunststoff-Ring entfernen Nach dem Öffnen der Tropfenflasche sollte der Kunststoff-Ring, mit dem der Deckel befestigt ist, entfernt werden. Er könnte beim Verabreichen ins Auge fallen und Verletzungen des Auges verursachen.

53.2.3.2 Augenspülung Augenspülungen sind z.B. nach Verätzungen indiziert und werden auf Arztanordnung durchgeführt. Nach Information des Pflegeempfängers wird die Hornhaut mit einem Anästhetikum beträufelt, um den Lidschlussreflex auszuschalten. Dann neigt der Pflegeempfänger den Kopf zur betroffenen Seite und an die Wange legt er eine Nierenschale an. Die Pflegefachkraft hält mithilfe der Tupfer die Augenlider auseinander und das Auge wird mit einer körperwarmen Spüllösung oder mit einer Spüllinse aus 10 cm Entfernung gespült.

53.2.3.3 Augenverband Das Anlegen von Augenverbänden (z.B. Lochkapselverband, Uhrglasverband, geschlossener Augenverband) dient der Fixierung von Wundauflagen und der Ruhigstellung der Augen.

53.2.4 Konjunktivitis und Keratitis Definition

Konjunktivitis und Keratitis Die Konjunktivitis ist die Entzündung der Bindehaut, die Keratitis die Entzündung der Hornhaut.

53.2.4.1 Pathophysiologie und Symptome Bindehautentzündungen gehören zu den häufigsten Augenerkrankungen. Sie werden ausgelöst z.B. durch: Infektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen reizende Noxen, z.B. scheuernde Kontaktlinsen, Rauch, Staub oder Substanzen, auf die der Körper allergisch reagiert (z.B. Blütenpollen) oder das Auge ist trocken durch die fehlende Schutzfunktion der Tränenflüssigkeit. Die Augen sind in der Regel gerötet, jucken oder brennen. Der Betroffene verspürt ein Fremdkörpergefühl. Die Bindehaut sondert ein Sekret ab, das oft über Nacht eintrocknet, wodurch die Augen dann frühmorgens verklebt sind. Die Auslöser einer Hornhautentzündung sind oft dieselben wie die einer infektiösen Konjunktivitis. Ursache sind u.a. der Übergang von Infekten der angrenzenden Augenstrukturen (Lidränder, Bindehaut) oder kleine Defekte, über die die Keime in die Hornhaut eindringen können. Die Kombination aus Konjunktivitis und Keratitis wird als Keratokonjunktivitis bezeichnet. Die Symptome sind schwerer als bei einer Konjunktivitis (Schmerzen bis zum Lidkrampf, Photophobie). Bei bakterieller Keratitis mit eitrigem Sekret besteht die Gefahr, dass die Keime die Hornhaut zerstören und der Betroffene erblindet.

53.2.4.2 Therapie und Pflege Therapie und Pflege richten sich nach der Ursache. Augenpflege und Applikation von antibiotischen Augentropfen bei bakterieller Ursache

Bei einer Keratitis: ggf. antibiotische Augensalbe, Uhrglasverband. Ist die Hornhaut perforiert, muss operiert werden. Bei Lichtempfindlichkeit Sonnenbrille tragen lassen, Hygieneregeln beachten (siehe Kap. ▶ 13)!

53.2.5 Katarakt Definition Katarakt Eine Katarakt (grauer Star) ist eine stoffwechselbedingte Trübung der Augenlinse.

53.2.5.1 Pathophysiologie Zu über 90 % ist die Erkrankung eine Alterserscheinung (Cataracta senilis). Folgende Risikofaktoren spielen eine große Rolle: Diabetes mellitus, Stoffwechselstörungen, UVStrahlung, Dialyse, langfristige Glukokortikoidtherapie, Augenverletzungen (z.B. Augenprellung) und genetische Disposition.

53.2.5.2 Symptome und Diagnostik Die Betroffenen sehen wie durch einen Grauschleier und werden schneller geblendet. Kontraste und Farben nehmen sie schwächer wahr. Mitunter treten Doppelbilder und Kurzsichtigkeit auf. Mit der Spaltlampe lässt sich feststellen, welche Schicht der Linse betroffen ist und wie weit der graue Star fortgeschritten ist.

53.2.5.3 Therapie Bei der meistens ambulant und in Lokalanästhesie durchgeführten extrakapsulären Kataraktoperation (ECCE) wird der getrübte Linsenkern zunächst verflüssigt,

dann entfernt und schließlich eine künstliche Linse implantiert.

53.2.5.4 Spezielle Pflege Neben den ▶ Pflegebasismaßnahmen und der allgemeinen perioperativen Pflege (siehe Kap. ▶ 39) gibt es folgende pflegerische Besonderheiten bei Augenoperationen: Präoperative Pflege Entlassungsmanagement: poststationäre Nachsorge klären (Angehörige? Ambulanter Dienst?) Labor: Gerinnungsparameter (Quick, pTT, INR) bestimmten (lassen), ggf. müssen Thrombozytenaggregationshemmer und Marcumar vorab abgesetzt werden, um Blutungsgefahr zu reduzieren. Prämedikation: pupillenerweiternde Augentropfen verabreichen (auf Arztanordnung) Postoperative Pflege Wahrnehmen und Beobachten: Vitalparameter engmaschig erheben: Blutzucker bei Diabetikern Augenverband kontrollieren (Blutung? Korrekter Sitz?) Augenverband unter sterilen Bedingungen wechseln, Augenpflege durchführen und Augenmedikamente applizieren (auf Arztanordnung) ggf. auf Wunsch des Pflegeempfängers Zimmer abdunkeln Klingel gut erreichbar platzieren Unterstützung bei Körperpflege, Ankleiden, Essen und Trinken nach Bedarf

Anstrengungen vermeiden Prophylaxen nach körperlichem Zustand und Bedarf (siehe Kap. ▶ 17), v.a. Obstipationsprophylaxe wichtig (Pressen beim Stuhlgang erhöht Augeninnendruck) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Nach der Operation wird zum Schutz vor Zugluft, Druck und Infektionen eine Lochklappe angebracht. Sie ermöglicht dem Betroffenen die Orientierung im Raum. Ein leichtes Fremdkörpergefühl im Auge ist in den ersten Tagen normal. keine Manipulation am Auge (z.B. Augen reiben) 4–6 Wochen nach der OP erreicht das Auge die endgültige Sehschärfe und eine spezielle Brille kann angepasst werden.

ACHTUNG Bei Übelkeit, Erbrechen und Husten Arzt verständigen! Diese Symptome können den Augeninnendruck steigern.

53.2.6 Glaukom Definition Glaukom Das Glaukom (grüner Star) ist eine durch Erhöhung des Augeninnendrucks hervorgerufene Schädigung des Sehnervs, die unbehandelt zur Erblindung führt.

53.2.6.1 Pathophysiologie

Der Augeninnendruck (IOD: intraokulärer Druck) steigt, wenn das Kammerwasser nicht richtig abfließen kann. Ursachen können Ablagerungen im Kammerwinkel sein, die den Abfluss reduzieren, sie können auch angeboren sein. Dieses Offenwinkelglaukom entwickelt sich oft langsam. Das Winkelblockglaukom dagegen entsteht, wenn der Kammerwinkel und damit der Abfluss akut verlegt ist, z.B. indem die geweitetet Pupille den Durchfluss zwischen hinterer und vorderer Augenkammer blockiert. Der Anstieg des IOD führt zur Schädigung des Sehnervs. Medikamente, wie Kortison, lokale Mydriatika, Anticholinergika oder bestimmte Antidepressiva erhöhen ebenfalls den IOD. Auch Tumoren und Verletzungen des Auges können Ursache eines Glaukoms sein.

53.2.6.2 Symptome und Diagnostik Beim Offenwinkelglaukom ist der Verlauf schleichend, beginnend evtl. mit Kopfschmerzen, Augenrötung, Sehen von Farbringen oder Gesichtsfeldausfällen mit Ausfall des zentralen Sehens. Bei Kindern kommt es zu Vergrößerung des Augapfels, getrübter Hornhaut und Lichtempfindlichkeit sowie „großen Augen“ (Buphthalmus). Neugeborenen mit erhöhtem Augeninnendruck sind „schlechte Esser“, reagieren mit Lichtscheu, Augentränen und Lidkrampf. Beim akuten Glaukomanfall kommt es plötzlich zu starken Schmerzen des betroffenen Auges. Der Augapfel ist auffallend rot und hart, die Pupille weit, entrundet und lichtstarr, das Sehvermögen ist stark beeinträchtigt. Dazu kommen Begleitsymptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen.

Merke Glaukomanfall

Das akute Winkelblockglaukom (Glaukomanfall) ist ein Notfall und muss schnellstmöglich behandelt werden. Es besteht die Gefahr der irreversiblen Sehnervschädigung bis hin zur Erblindung. Zentrales Element der apparativen Diagnostik ist die Augendruckmessung (Tonometrie).

53.2.6.3 Therapie Ziel: Augeninnendruck senken, Durchblutung des Sehnervs verbessern Medikamente: z.B. Parasympathomimetika und Prostaglandine. Sie fördern den Abfluss des Kammerwassers und senken den Augeninnendruck. akuter Glaukomanfall: Augenarzt benachrichtigen Medikamente zur Augendrucksenkung, Diuretika, Analgetika OP: Mittels Laser oder Mikrochirurgie kann der Abfluss „mechanisch“ verbessert werden, z.B. durch Perforation der Iris. Prophylaxe: ab dem 40. Lebensjahr bei Risikofaktoren (z.B. extreme Kurz-/Weitsichtigkeit) regelmäßige Kontrolle des IOD Kinder: Sonnenbrille bereits bei Tageslicht, Frühfördermaßnahmen und regelmäßige Kontrollen des Augeninnendrucks, ggf. in Kurznarkose

53.2.6.4 Spezielle Pflege Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Glaukom:

postoperative Pflege: zur Nacht wird eine Lochklappe angebracht, damit das operierte Auge vor (versehentlichen) Manipulationen durch den Pflegeempfänger geschützt wird. Wahrnehmen und Beobachten: auf Anzeichen eines akuten Glaukomanfalls achten (z.B. starke Schmerzen im Auge, geröteter Augapfel, eingeschränktes Sehvermögen, weite, lichtstarre, entrundete Pupille) Medikamentennebenwirkungen: z.B. Augenlidödem, Augenjucken, Dunkelfärbung des Augenlids, verschwommenes Sehen, Bradykardie

53.2.7 Altersbedingte Makuladegeneration Definition Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist eine Ausdünnung des Pigmentepithels der Netzhautmitte. Sie führt zu einer Funktionsstörung der Photorezeptoren im Bereich der Makula (der Stelle des schärfsten Sehens) mit der Folge einer Sehbehinderung bis zur Erblindung.

53.2.7.1 Pathophysiologie Risikofaktoren sind z.B. eine starke und ungeschützte Belastung der Augen durch UV-Strahlung über viele Jahre, Lebensalter > 65 Jahre, genetische Disposition, arterielle Hypertonie, Nikotinabusus, Fettstoffwechselstörungen und Adipositas.

53.2.7.2 Symptome Es werden 2 Formen unterschieden:

trockene AMD (ca. 90 %): Wenn der Pflegempfänger einen Punkt fixiert, sieht er einen grauen, undurchlässigen Fleck. Die Lesefähigkeit und das Erkennen sind beeinträchtigt. Dieser Fleck wird über die Jahre immer größer, bis lediglich das äußere Gesichtsfeld erhalten ist. feuchte AMD (ca. 10 %): Diese Form ist durch pathologische Gefäßneubildung und ein Ödem im Bereich der Makula charakterisiert. Dieses Ödem führt zu einem verzerrten Sehen (gerade Linien erscheinen verbogen) mit im weiteren Verlauf rascher Abnahme der Sehfähigkeit.

53.2.7.3 Therapie trockene AMD: hoch dosiertes β-Carotin und Vitamin C Die feuchte AMD kann durch die Instillation von Hemmstoffen des Wachstumsfaktors VEGF in den Glaskörper gebremst werden. Durch Laserverfahren werden die neugebildeten Gefäße verödet. vergrößernde Sehhilfen

53.2.7.4 Spezielle Pflege Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit AMD: Beobachten: Vitalparameter erfassen: Hypertonie, ggf. medikamentös einstellen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Risikofaktoren ausschalten: z.B. Nikotin reduzieren, am besten aufhören Orientierungs- und Mobilitätstraining absolvieren, um visuelle Defizite kompensieren zu lernen und Mobilität zu erhalten

im Haushalt Treppen, Unebenheiten markieren

53.2.8 Sehbehinderung und Blindheit Definition Sehbehinderung und Blindheit Bei einer Sehbehinderung beträgt die Sehschärfe ≤ 0,3. Hochgradige Sehbehinderung besteht bei einer Sehschärfe ≤ 0,05. Blindheit liegt vor, wenn die Sehschärfe auf dem besseren Auge bei intaktem Gesichtsfeld nicht mehr als 0,02 beträgt oder wenn eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung auf ≤ 5° auch bei normaler Sehschärfe besteht.

53.2.8.1 Pathophysiologie und Therapie Häufige Ursachen erworbener Sehbehinderung bzw. Blindheit sind: Makuladegeneration diabetische Retinopathie Glaukom Wichtig ist die Behandlung der Grunderkrankung, um die weitere Abnahme der Sehfähigkeit zu stoppen.

53.2.8.2 Spezielle Pflege Beachten Sie die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges. Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit: Orientierung: Hilfsmittel bei Sehschwäche: z.B. Leuchtlupen, Lupenbrillen, vergrößernde Sehhilfen

Hilfsmittel bei Blindheit: z.B. Braille-Schrift (Blindenschrift) Orientierungs- und Mobilitätstraining Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: ggf. Kontakt zu Beratungsstellen vermitteln (v.a. bei notweniger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit, Antrag auf Schwerbehinderung etc.)

53.2.9 Fehlsichtigkeit Definition Fehlsichtigkeit Als Fehlsichtigkeit wird eine nicht optimale Sehleistung, v.a. hinsichtlich der Sehschärfe und Akkommodation, bezeichnet.

53.2.9.1 Pathophysiologie und Therapie Unterschieden werden: Kurzsichtigkeit (Myopie): Durch den zu lang gewordenen Augapfel liegt der Brennpunkt vor der Netzhaut, deswegen werden nur nah liegende Objekte scharf gesehen. Eine Zerstreuungslinse (Minus-, Konkavglas) korrigiert den Brennpunkt, er liegt dann auf der Netzhaut. Weitsichtigkeit (Hyperopie): Durch den zu kurz gewordenen Augapfel liegt der Brennpunkt hinter der Netzhaut, deswegen werden nur weiter liegende Objekte scharf gesehen. Eine Sammellinse (Plus-, Konvexglas) bringt den Brennpunkt auf die Netzhaut. Stabsichtigkeit (Astigmatismus): Durch die Veränderungen der Hornhaut- und Linsenfläche wird ein Punkt auf der Netzhaut als ein Strich abgebildet. Eine

torische Linse (Zylinderglas) bildet die Lichtstrahlen punktförmig auf der Netzhaut ab. Altersweitsichtigkeit (Presbyopie): Durch die im Alter nachlassende Akkommodationsfähigkeit werden die in der Nähe liegenden Objekte nicht mehr scharf gesehen (die Hände werden „zu kurz zum Lesen“).

53.2.10 Schielen Definition Schielen (Strabismus) Beim Schielen liegt eine fehlerhafte Stellung der Sehachse zueinander vor, sodass sich die Sehachsen beider Augen nicht im fixierten Objekt schneiden. Man unterscheidet: Begleitschielen: Schielen als Folge einer ausgeprägten Weitsichtigkeit Lähmungsschielen: Ausfall eines oder mehrerer der äußeren Augenmuskeln Eine im Kindesalter nicht korrigierte Schielstellung führt zur einseitigen und massiven Sehschwäche. Augenarzt und Orthoptist entscheiden über Art und Häufigkeit der Okklusionstherapie, bei einem Großteil der Betroffenen wird das Schielen operativ behandelt, wobei anschließend ein Okklusionsverband notwendig ist.

KOMPAKT Erkrankungen des Auges

Pflege: in der Kommunikation mangelnde Sehkraft berücksichtigen, viel erklären, empathisch auftreten, Sturzprophylaxe, bei der Applikation von Augenmedikamenten besonders auf Händehygiene achten Konjunktivitis: Entzündung der Bindehaut, oft infektiös oder durch chemische oder allergische Reize. Therapie: Augentropfen und Augenpflege. Achtung bei Hornhautentzündung (Keratitis): Gefahr der Erblindung! Katarakt: Trübung der Linse („grauer Star“), oft alters- bzw. stoffwechselstörungsbedingt Glaukom: Erhöhung des Augeninnendrucks („grüner Star“). Durch die Druckschädigung des Augennervs droht die Erblindung. Altersbedingte Makuladegeneration: alters- bzw. stoffwechselstörungsbedingte Zerstörung der Photorezeptoren Bei Sehbehinderung und Erblindung: Therapie auslösender Grunderkrankung, Hilfsmittel sowie Orientierungs- und Mobilitätstraining vermitteln Fehlsichtigkeit: Die Sehleistung ist, v.a. hinsichtlich der Sehschärfe und Akkommodation, nicht optimal. Formen: v.a. Myopie (Kurzsichtigkeit) und Hyperopie (Weitsichtigkeit) Schielen: die Stellung der Sehachse zueinander ist fehlerhaft.

53.3 Erkrankungen des Ohres 53.3.1 Anatomie und Physiologie Das Ohr beherbergt 2 Sinne: Hörsinn und Gleichgewichtssinn.

53.3.1.1 Aufbau und Funktion des Ohres Das Ohr gliedert sich in 3 Abschnitte ( ▶ Abb. 53.2): 1. Außenohr, mit Ohrmuschel, äußerem Gehörgang und Trommelfell 2. Mittelohr, mit

Paukenhöhle: In ihr liegen die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Sie übertragen die Schwingungen des Trommelfells an das ovale Fenster zum Innenohr. Ohrtrompete (Tube): Die „eustachische Röhre“ verbindet die Paukenhöhle mit dem Rachen. Mittelohrmuskeln: winzige Muskeln, die eine Art „Lautstärkenregler“-Funktion haben 3. Innenohr, mit Hörschnecke (Cochlea): In ihr liegt das CortiOrgan. Seine Sinneszellen („Hörzellen“) wandeln die eintreffenden Vibrationen in elektrische Signale um und leiten diese über den „Cochlearis-Anteil“ des VIII. Hirnnervs (N. vestibulocochlearis) ans Gehirn weiter. Labyrinth: In ihm liegt das Gleichgewichtsorgan. Es besteht aus drei gebogenen Gängen (Bogengängen) und zwei kugelförmigen Innenräumen (Utriculus und Sacculus), die jeweils Sinneszellen enthalten. Sie leiten Bewegungsinformationen über den „VestibularisAnteil“ des VIII. Hirnnervs ans Gehirn. Aufbau des Ohres. Abb. 53.2 Frontalschnitt durch das rechte Ohr mit Überblick auf Außen-, Mittel- und Innenohr. (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

53.3.2 Diagnostik Bereits direkt nach der Geburt wird im Rahmen des Neugeborenen-Screenings das Hörvermögen getestet. ▶ Anamnese. In der Anamnese wird nach Beschwerden im Bereich des Gehörs bzw. des Ohrs gefragt: Besteht eine Schwerhörigkeit? Gibt es Familienmitglieder mit einer Schwerhörigkeit? Hört der Pflegeempfänger ungewohnte Geräusche (Tinnitus)? Hat er Ohrenschmerzen (Otalgie)? Tritt Flüssigkeit aus? Leidet er an Schwindel oder einer Fallneigung? Wichtig ist zudem die Frage nach Verletzungen und/oder Operationen am/im Ohr. Darüber hinaus werden noch Medikamente und allgemeine Erkrankungen erfragt.

Klinische Untersuchung Inspektion und Palpation: Untersuchung des äußeren Ohres, u.a. der Ohrmuschel Otoskopie: Hierbei untersucht der Arzt mittels Otoskop (Ohrspiegel) oder Ohrmikroskop den inneren Gehörgang inkl. Trommelfell auf Fremdkörper, Ohrenschmalz, Entzündungen oder Verletzungen. Eine Vorwölbung des Trommelfells weist z.B. auf eine Mittelohrentzündung hin. Tubenfunktionsprüfung: Die Durchgängigkeit der Ohrtrompete lässt sich z.B. mit dem Valsalva-Manöver testen: Der Pflegeempfänger hält sich die Nase zu und presst gegen den geschlossenen Mund. Ist die Tube durchgängig, wölbt sich das Trommelfell vor. Zu weiteren Tests gehören: ToynbeeVersuch(Durchgängigkeitstest der Tuba auditiva) und Luftdusche nach Politzer ▶ Apparative Untersuchungen (Tubenfunktionsprüfung) – Hörprüfungen. Hier werden 2 Verfahrenstypen unterschieden: subjektive Hörtests (abhängig von der bewussten Reaktion des Pflegeempfängers), z B. Hörweitenprüfung, Stimmgabeltest, Tonaudiometrie objektive Hörprüfungen (unabhängig von der bewussten Reaktion des Pflegeempfängers), z.B. Tympanometrie, Messung otoakustischer Emissionen (OAE), Hirnstammaudiometrie

53.3.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Ohres ▶ Wahrnehmen und Beobachten. Die häufigsten Symptome sind Schwerhörigkeit, Schwindel,

Ohrenschmerzen und Tinnitus. ▶ Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten. Bei langsam fortschreitender Schwerhörigkeit muss herausgefunden werden, wie viel der Betroffene noch versteht. Wichtig ist die Vermittlung eines Kontakts zum Hörgeräteakustiker. Er passt das Hörgerät an oder stellt bei Cochlea-Implantaten den Audioprozessor ein. Prinzipiell sind bei der Kommunikation mit Gehörlosen bzw. hochgradig Schwerhörigen folgende Regeln zu beachten: von vornherein mehr Zeit einplanen bei der „Ansprache“ durch Gesten oder Berührungen auf sich aufmerksam machen während des Gesprächs den Pflegeempfänger von vorne ansprechen und ansehen, zudem langsam und deutlich in einfach strukturierten Sätzen sprechen (erleichtert Verständnis bei Rest-Hörvermögen und ggf. Lippenlesen), nicht ins Ohr „schreien“ Mimik und Gestik wie gewohnt einsetzen bei Problemen kurz aufschreiben, was man sagen möchte Hat der Pflegeempfänger ein Hörgerät, unterstützen Pflegende bei Bedarf beim Anlegen, Überprüfen die Funktion und sorgen ggf. für einen Batteriewechsel.

53.3.3.1 Ohrenpflege und Applikation von Ohrentropfen ▶ Applikation von Ohrentropfen. Generelle Regeln bei der Applikation von Medikamenten beachten (siehe Kap. ▶ 20). Ablauf: Ohrentropfen auf Körpertemperatur erwärmen Pflegeempfänger dreht seinen Kopf so, dass das behandelte Ohr oben liegt. Ein Kleinkind wird von der

Pflegefachkraft gehalten. Ohrmuschel vorsichtig nach hinten-oben ziehen, damit sich der Gehörgang streckt. Dann Applikation der Ohrentropfen Pflegeempfänger soll in der Position noch ca. 15 min verbleiben. Kind wird auf die Seite gelegt.

Merke Keine Watte in den Gehörgang! Nach Applikation von Ohrentropfen darf keine Watte in den Gehörgang eingebracht werden! ▶ Applikation von Ohrumschlägen. Eine Indikation für Ohrumschläge ist ein entzündlicher Prozess am Ohr, z.B. ein Erysipel. Benötigt werden ein Antiseptikum (Octenisept), sterile Kompressen und eine Einmalohrklappe. Die Kompressen werden unter aseptischen Bedingungen geöffnet, mit der Lösung getränkt und auf das Ohr gebracht. Auch die Ohrrückseite muss damit bedeckt werden. Anschließend werden die Kompressen mit der Ohrklappe für ca. 10 min fixiert. ▶ Ohrspülung. Die Ohrspülung ist eine ärztliche Tätigkeit, bei der die Pflegenden assistieren. Indikation dafür ist ein Ohrenschmalzpfropf. Kontraindiziert ist die Maßnahme bei V.a. Trommelfellperforation und bei Kindern (Verletzungsgefahr). Gespült wird dabei mit körperwarmem Leitungswasser, bis sich das Zerumen gelöst hat, ggf. wird Wasserstoffperoxidlösung zugesetzt. Die Pflegeperson deckt dabei die Schulter des Pflegeempfängers zum Schutz vor Nässe ab. Unter das Ohr wird eine Nierenschale gehalten (vom Pflegeempfänger selbst oder von der Pflegeperson).

ACHTUNG

Eine Ohrspülung kann Blutdruckschwankungen, Schwindel und Übelkeit auslösen.

53.3.4 Mittelohrentzündung (Otitis media) Definition Mittelohrentzündung (Otitis media) Die Mittelohrentzündung ist eine entzündliche Veränderung der Schleimhaut im Mittelohr, die akut oder chronisch verlaufen kann.

53.3.4.1 Pathophysiologie Eine akute Mittelohrentzündung beruht oft auf einer Infektion der oberen Luftwege (Nasen- und Rachenraum). Die Erreger gelangen über die Ohrtrompete ins Innenohr. Erhöhtes Risiko besteht bei einer verkürzten Ohrtrompete (z.B. bei Kindern) oder wenn die Tubenbelüftung gestört ist (z.B. bei zu großen Rachenmandeln). Nur selten wird die Infektion auf dem hämatogenen Weg (über das Blut) übertragen.

53.3.4.2 Symptome stechende Schmerzen im Ohr Druckgefühl im Ohr schlechtes Hören durch Paukenerguss allgemeines Krankheitsgefühl und Fieber v.a. bei Kindern bei Säuglingen: starke Unruhe, Greifen an die Ohren, Weinen, Nahrungsverweigerung, allgemeines Krankheitsgefühl, Erbrechen, Diarrhö

bei Trommelfellruptur: Austritt von Flüssigkeit aus dem Ohr mit gleichzeitiger Schmerzlinderung

53.3.4.3 Komplikationen Selten kommt es zu einer Mastoiditis (Entzündung des Warzenfortsatzes) oder Labyrinthitis. Bei Durchbruch in die benachbarten Strukturen, wie z.B. Muskeln oder Schädelknochen, kann es zu Abszessen (bei Kindern subperiostaler Abszess) oder Meningitis kommen. Chronifiziert die Mittelohrentzündung bei Kindern leiden sie an Hörminderung, und /oder Paukenerguss, Erwachsene haben oft längerfristig ein Loch im Trommelfell, durch das übelriechendes Sekret austritt. Im Gegenzug kann Plattenepithel aus dem äußeren Gehörgang ins Mittelohr einwandern und sich dort tumorartig vermehren. Eine solche Wucherung wird als Cholesteatom bezeichnet. Folge kann z.B. die Zerstörung der Gehörknöchelchen mit zunehmender Schwerhörigkeit sein.

53.3.4.4 Therapie bei akuter Mittelohrentzündung: NSAR; erst bei persistierenden Beschwerden: Antibiotika, ggf. Parazentese (Schlitzung des Trommelfells, damit Sekret abfließen kann) bei chronischer Mittelohrentzündung: Verschließen des Trommelfelldefekts, ggf. operative Entfernung eines Cholesteatoms Prophylaxe: Bei Kindern, die zur Otitis media neigen, sollten bei Schnupfen abschwellende und schleimlösende Nasentropfen oder -sprays verabreicht werden.

53.3.4.5 Spezielle Pflege ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Ohrerkrankungen

Verabreichung von Nasentropfen/-sprays Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung des Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Ein Zwiebelwickel kann schmerzlindernd wirken, v.a. bei Kindern. Hektik und Lärm vermeiden ggf. Pflege bei Fieber (siehe Kap. ▶ 30) körperliche Schonung

53.3.5 Hörsturz Definition Hörsturz Der Hörsturz ist ein plötzlicher, meist einseitiger Hörverlust. Hinzu kommen häufig ein Tinnitus mit einem Druckgefühl im Ohr auf der betroffenen Seite und Schwindel.

53.3.5.1 Ursachen und Symptome Vermutet werden als Auslöser Durchblutungsstörungen im Mittelohr, auch im Zusammenhang mit Schlaganfall, Diabetes mellitus und Herzerkrankungen, Entzündungen des Hörnervs und psychosomatische Faktoren (Stress).

53.3.5.2 Therapie Da die tatsächliche Ursache meistens unbekannt bleibt, ist eine kausale Therapie schwierig. Oft wird versucht, die Situation mit Kortikosteroid-Infusionen oder Gingkopräparaten zu verbessern.

53.3.6 Tinnitus Definition Tinnitus Ein Tinnitus ist ein Pfeifen, Piepsen oder Rauschen im Ohr. Er kann akut auftreten, chronisch anhalten, sich nach einigen Wochen oder Monaten aber auch zurückbilden und völlig verschwinden. Tinnitus kann auch als Folge eines Hörschadens auftreten.

53.3.6.1 Ursachen und Symptome Als Auslöser kommen z.B. infrage: Lärmschäden, Barotrauma Hörsturz Altersschwerhörigkeit ototoxische Medikamente, z.B. Zytostatika Morbus Menière (Krankheit mit Schwindel, Ohrensausen und Hörminderung) psychische Faktoren, wie hoher Leistungsdruck, Stress Akustikusneurinom Der Betroffene empfindet das Ohrgeräusch v.a. in stiller Umgebung, z.B. beim Einschlafen. Der Leidensdruck ist oft erheblich. Viele Betroffene leiden an Angstzuständen und/oder Depressionen.

53.3.6.2 Therapie und Pflege Liegt eine Erkrankung zugrunde, erfolgt die kausale Therapie. Ist die Ursache unbekannt, können KortikosteroidInfusionen und Rheologika (z.B. Pentoxifyllin) oder Gingkopräparate versucht werden. Prinzipiell gilt die

Behandlung aber als schwierig. Psychotherapie hilft zumindest bei der Krankheitsbewältigung. Unterstützend wirkt Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe, z.B. www.tinnitusliga.de

53.3.7 Schwerhörigkeit Als Schwerhörigkeit bezeichnet man eine Minderung des Hörvermögens. Abhängig von der Ursache werden 3 Formen der Schwerhörigkeit unterschieden: Schallleitungsschwerhörigkeit: Hier werden die Schallwellen auf ihrem Weg vom äußeren Ohr über den Gehörgang ins Innenohr behindert. Ursachen sind z.B. Ohrenschmalz, Fremdkörper im Gehörgang oder eine Mittelohrentzündung. Schallempfindungsschwerhörigkeit: Das Innenohr kann die ankommenden Schallwellen nicht verarbeiten, z.B. nach einer Schädigung der Haarzellen durch einen Lärmschaden, ototoxische Medikamente oder eine Fehlbildung im Innenohr. Schallwahrnehmungsschwerhörigkeit: Der Hörnerv ist geschädigt, z.B. durch eine neurologische Erkrankung wie ein Akustikusneurinom. ▶ Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis). Ursache der Altersschwerhörigkeit ist die mit zunehmendem Alter nachlassende Funktion der Haarsinneszellen im Innenohr und der zuständigen Bezirke im Gehirn (z.B. aufgrund von Durchblutungsstörungen). Typisch ist, dass zunächst v.a. die hohen Frequenzen schlechter gehört werden. Unbehandelt führt die Altersschwerhörigkeit häufig zu Vereinsamung, Abbau der kognitiven Fähigkeiten und zu psychischen Problemen. Deswegen ist wichtig, dass die Betroffenen ein Hörgerät bekommen.

53.3.8 Lärmschaden Die von einer Lärmquelle ausgehenden Schallwellen können ab einem bestimmen Schallpegel die Haarzellen im Innenohr beschädigen. Diese Schädigung kann irreversibel sein. Typische Ursachen sind z.B. ein sehr lauter Knall, ein sehr lautes Konzert oder eine jahrelange Lärmbelästigung ab 85 Dezibel, z.B. ständiger Verkehrslärm oder „Industrielärm“. Bei einer Explosion kann der Schalldruck so stark sein, dass sogar das Trommelfell oder die Gehörknöchelchen beschädigt werden.

53.3.9 Gehörlosigkeit Gehörlosigkeit kann angeboren oder erworben sein. Meistens sind die Haarzellen im Innenohr betroffen. Seltener liegt eine Nervenschädigung oder eine Schädigung im Hörzentrum im Gehirn (zentrale Gehörlosigkeit) vor. Typische Ursachen einer erworbenen Gehörlosigkeit sind komplizierte Mittelohrentzündungen, Lärmschäden oder Meningitiden. Ist die Cochlea betroffen, kann mithilfe eines CochleaImplantats ein Höreindruck ermöglicht werden – auch wenn die Haarzellen als Sensoren ausgefallen sind. Dies ist v.a. bei Kleinkindern sinnvoll, um ihnen das Sprechen lernen zu ermöglichen. Ansonsten steht im Vordergrund, den Betroffenen Kenntnis und Gebrauch der Gebärdensprache und des Lippenlesens zu vermitteln.

KOMPAKT Erkrankungen des Ohres Pflege: bei Schwerhörigkeit: in der Kommunikation mit Gesten und Berührungen arbeiten, deutlich und strukturiert sprechen sowie Patient ansehen, um Lippenlesen zu

ermöglichen. Achtung bei Ohrspülungen (kann Drehschwindel und Kreislaufschwankungen auslösen) Mittelohrentzündung: häufig bei Kleinkindern (u.a. wegen der kurzen Ohrtrompete). Prophylaxe: abschwellende Nasentropfen bei Schnupfen. Therapie: NSAR. Pflege: Schmerzmanagement Cholesteatom: Einwucherung von Plattenepithel ins Mittelohr, oft als Komplikation einer chronischen Mittelohrentzündung Tinnitus: konstantes subjektives Geräusch im Ohr. Therapie ist oft schwierig. Die Patienten sind psychisch oft stark belastet. Ursachen für Schwerhörigkeit: z.B. Ohrschmalz, Hörsturz, Lärmschäden, Altersschwerhörigkeit, entzündliche Zerstörung des Hörorgans, Fehlbildung Gehörlosigkeit: oft als Folge einer kindlichen Fehlbildung. Kann z. T. mit Cochlea-Implantat therapiert werden.

54 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Haut 54.1 Einführung Viele Hauterkrankungen verlaufen chronisch: Sie lassen sich zwar durch therapeutische Maßnahmen beeinflussen, können

jedoch nicht vollständig behoben werden. Menschen mit einer Hauterkrankung sind an einem Organ erkrankt, das den Blicken anderer ausgesetzt ist. Zurückweisung und Stigmatisierung durch Mitmenschen können zu Isolation, Depression und Substanzmissbrauch führen. Pflegende sollten hinsichtlich möglicher Anzeichen sensibel sein und bei Auffälligkeiten gezielt intervenieren.

54.2 Anatomie und Physiologie Die Haut ist das größte Organ des Körpers und besteht aus mehreren Schichten ( ▶ Abb. 54.1): Oberhaut (Epidermis): besteht aus Plattenepithel Lederhaut (Corium): besteht aus Bindegewebe Unterhaut (Subkutis): besteht aus Fettgewebe ▶ Aufgaben. Die Haut … schützt den Körper vor mechanischen Einwirkungen, Austrocknung und Sonneneinstrahlung, dient der Wahrnehmung von Berührungen und Druck, erfasst mit dem Temperatursinn ihre Umwelt und spielt eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr. Aufbau der Haut. Abb. 54.1 Mit Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut besteht die Haut aus 3 Schichten. (Nach: Schwegler JS, Lucius R. Der Mensch – Anatomie und Physiologie. Stuttgart: Thieme; 2011)

54.3 Pflegebasismaßnahmen Wahrnehmen und Beobachten: auf insbesondere neu auftretende Veränderungen der Hautoberfläche (z.B. Juckreiz, Urtikaria, Exanthem, Ekzem), lokal auftretende Hautveränderungen z.B. Knoten (Papeln), Flecken (Maculae), Bläschen (Vesiculae), Pusteln (eitergefüllte Bläschen) achten Körperpflege und Bekleidung: Applikation von Lokaltherapeutika (z.B. topische Glukokortikoide) in verschiedenen Aufbereitungsformen (Creme, Lotion, Salbe etc.), bei trockener Haut rückfettende Maßnahmen und bei feuchter Haut Intertrigoprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.4), atmungsaktive und nicht zu enge Kleidung benutzen

Informieren, Schulen, Anleiten und Beraten: Umweltfaktoren (z.B. Nahrungszusätze, Kontaktallergene, UV-Licht) für Hautkrankheiten ausmachen und meiden, eigene Hypothesen über die Krankheit vom Pflegeempfänger ernst nehmen und rational über hilfreiche Maßnahmen aufklären, Selbsthilfegruppen bei psychosozialer Belastung vermitteln

54.4 Wichtige Leitsymptome 54.4.1 Juckreiz Symptome wie Juckreiz oder Schmerzen können die Lebensqualität des Patienten deutlich einschränken. Juckreiz verstärkt sich oft selbst im Rahmen eines Teufelskreises ( ▶ Abb. 54.2). Folgende Maßnahmen können Juckreiz lindern: Nägel kurz halten Kratzalternativen: z.B. Nägel fest auf juckende Stelle drücken, Stelle beklopfen Reibung vermeiden: mit Handtuch abtupfen, lockere Kleidung mit Naturfasern, keinen Weichspüler benutzen Schwitzen, Arbeit in Staub und Schmutz vermeiden juckende Hautstelle mit Kühlelementen kühlen (nicht direkt auf die Haut!), Umschläge mit schwarzem Tee regelmäßige Hautpflege mit rückfettenden Präparaten, die juckreizlindernde Substanzen enthalten, z.B. Harnstoff, Glyzerin, Arnica, Polidocanol, Bisabolol juckreizlindernde Medikamente (Glukokortikoide, Antihistaminika, siehe Kap. ▶ 54.6) Entspannung mindert Juckreiz, z.B. autogenes Training Phototherapie

Juck-Kratz-Zirkel. Abb. 54.2 Viele verschiedene Einflussfaktoren können Juckreiz auslösen. Kratzen lindert zwar unmittelbar den Juckreiz, führt aber zu einer entzündeten, schmerzenden Haut, die wiederum anfällig ist für Juckreiz. (Aus: I care Pflege. Stuttgart: Thieme; 2020)

54.4.2 Urtikaria Ursachen: Die Urtikaria ist eine Folge von allergischen oder pseudoallergischen Reaktionen, Wärme-, Kälte-, Licht-, Druck- oder Wassereinwirkung, immunologischer Phänomene und psychischem Stress. Leitsymptom sind Quaddeln die lokal oder generalisiert auftreten. Komplikationen wie ein hypovolämischer Schock und ein Angioödem im Bereich der Glottis (Erstickungsgefahr) müssen stationär behandelt werden.

Pflege: Pflegefachkräfte achten auf Anzeichen eines Schocks (z.B. Kaltschweißigkeit, Tachykardie, Hypotonie, siehe Kap. ▶ 23) und setzen Maßnahmen gegen Juckreiz um. Sie beraten Pflegeempfänger bezüglich Handeln in Notfallsituationen (ggf. Notfallset, systemische Glukokortikoide) und empfehlen Selbsthilfegruppen/Verbände.

54.4.3 Exanthem Ein Exanthem ist ein plötzlich auftretender, meist großflächiger Hautausschlag. Ursachen sind meist allergische oder pseudoallergische Reaktionen, Medikamente (Arzneimittelexanthem), Infektionen (v.a. Viren, Windpocken und Masern) und autoimmunologische Gründe. Exantheme können auch idiopathisch auftreten. Symptome: In ihrer Morphologie stellen sich Exantheme sehr vielgestaltig dar, z.B. makulös („fleckig“), papulös („knötchenartig“), vesikulär („bläschenartig“) oder urtikariell (Quaddeln). Therapie und Pflege nach Grunderkrankung

54.4.4 Ekzem Ein Ekzem (auch Dermatitis genannt) ist eine Entzündung der Haut. Symptome: Im akuten Stadium ist die Haut überwärmt, gerötet, juckend, brennend oder nässend. Im chronischen Verlauf sind die Läsionen meist weniger gerötet, die Haut ist verdickt („Flechtenbildung“) oder schuppig. Ursachen: verschiedene Erkrankungen, z.B. Neurodermitis (oft schon im Kindesalter) Therapie und Pflege: siehe Kap. ▶ 54.7.1 und Kap. ▶ 54.3

54.5 Mitwirken bei der Diagnostik Die Anamnese und die klinische Untersuchung führt der Arzt i. d. R. allein durch. Bei Bedarf folgen weiterführende Untersuchungen zur Sicherung der Diagnose.

54.5.1 Apparative Untersuchungen Beispiele für weiterführende apparative Untersuchungen sind: dermatoskopische Untersuchung: zur Beurteilung der Oberhaut (z.B. bei Pigmentveränderungen) mikrobielle/parasitäre Untersuchung: Abstrich der betroffenen Hautpartie, Haut-, Haar- oder Nagelproben (z.B. bei Verdacht auf eine Infektion durch Pilze oder Bakterien) Trichogramm: mikroskopische Beurteilung von Aussehen und Wachstumsphase von Haaren (bei Haarveränderungen) Hochfrequenzultraschall: Feststellung der Tiefenausdehnung von Hauttumoren

54.5.2 Hauttests Bei Verdacht auf eine Allergie kommen Allergietests zum Einsatz. In erster Linie sind dies Hauttests und serologische Untersuchungen, die direkt an der Haut vorgenommen werden. Häufig werden dazu Prick-, Reib-, Intrakutan- sowie Epikutantests zur Diagnose eingesetzt. Bei der Testung und 30 min danach besteht die Gefahr eines ▶ anaphylaktischen Schocks. Notfallmedikamente und -equipment müssen vorab bereitgestellt sein. Reaktionen, die über den Testort hinausgehen, müssen unmittelbar dem Arzt mitgeteilt werden.

54.5.3 Biopsie

Bei Biopsien wird Gewebe entnommen und im Labor untersucht. Pflegende übernehmen die Vorbereitung des Patienten (Rasur, Positionierung etc.), sie bereiten den Raum und das benötigte Material vor. Auch die Weiterleitung des gewonnenen Materials ins Labor sowie die Beobachtung des Patienten nach dem Eingriff sind pflegerische Aufgaben (siehe auch Kap. ▶ 26).

KOMPAKT Pflege bei Erkrankungen der Haut Leitsymptome: Juckreiz, Urtikaria, Exanthem, Ekzem und Schmerzen Diagnostik: Anamnese, klinische Untersuchung, Apparative Untersuchungen (z. B. Dermatoskopie), Hauttests (z. B. Allergietest), Biopsie Pflegebasismaßnahmen: neu auftretende Hautveränderungen beobachten bzw. Arztinformation applizieren von Lokaltherapeutika, rückfettende Maßnahmen und bei feuchter Haut Intertrigopropyhlaxe, weite und atmungsaktive Kleidung Pflegeempfänger motivieren, Umwelteinflüsse (Nahrungsmittel, Stress etc.) der Hauterkrankung auszumachen und diese zu meiden Maßnahmen bei Juckreiz: Kratzalternativen (z.B. Nägel fest auf juckende Stelle drücken), Schwitzen und Reibung vermeiden, Kühlung, Entspannung, Medikamente (z.B. Glukokortikoide, Antihistaminika)

54.6 Die wichtigsten Medikamente bei Erkrankungen der Haut In der Behandlung von Hautkrankheiten werden vorwiegend Lokaltherapeutika, aber auch systemisch eingesetzte Medikamente, angewendet ( ▶ Tab. 54.1  und ▶ Tab. 54.2 ).

54.6.1 Lokaltherapeutika Lokaltherapeutika ( ▶ Tab. 54.1 ) werden gezielt an einer bestimmten Körperstelle appliziert und wirken epikutan (auf der Haut) oder perkutan (durch die Haut). Dermatologische Lokaltherapeutika (Externa) bestehen aus 3 Komponenten: Grundstoff: eine individuell abgestimmte Trägersubstanz, die fette, flüssige und feste Grundstoffe enthält Wirkstoff: ist für die Wirkung verantwortlich Hilfsstoff: Lösungsmittel Die Wahl des Grundstoffes hängt von dem Hautzustand und Hauttyp des Patienten, dem Applikationsort und der Jahreszeit/Außentemperatur ab. Beispiele für Grundstoffe sind Fette, Öle, Salben, Cremes, Gele, Lotionen, Tinkturen, Puder und Pasten. Vor der ärztlichen Visite sowie der erneuten Anwendung des Lokaltherapeutikums sollten die Hautareale gereinigt werden. Lokaltherapeutika werden immer hygienisch mit Spatel oder Tupfer aus dem Gefäß entnommen. Tab. 54.1 Die wichtigsten Wirkstoffe dermatologischer Lokaltherapeutika. Wirkstoffgruppe und Wirkstoffe Glukokortikoide

Therapieziel/Anwendung

Nebenwirkungen/ Beobachtungskriterien

Wirkstoffgruppe und Wirkstoffe Hydrokortisonacetat Dexamethason

Therapieziel/Anwendung

Nebenwirkungen/ Beobachtungskriterien

Entzündungshemmung, Immunsuppression

bei Anwendung > 2 Wochen: Hautatrophie, Erweiterung und erhöhte Fragilität der Hautgefäße, Anfälligkeit für Pilzinfektionen, verstärkte Behaarung, Akne

Betamethason Clobetasolpropionat Retinoide Isotretinoin Adapalen

Förderung der Zelldifferenzierung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten, Hemmung der Talgproduktion

Hautrötung, Hauttrockenheit erhöhte UV-Sensibilität (Sonnenschutz!)

bei Akne Antipsoriatika Dithranol

Entzündungshemmung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten Psoriasis

Hautreizung Verfärbung der Haut (passager), der Textilien und Sanitäreinrichtungen (permanent)

Antiinfektiva Desinfizienzien Jod

Hautdesinfektion

Chlorhexidin

bei bakterieller Superinfektion

Jod nicht bei Patienten mit Hyperthyreose, bei Schwangeren und Stillenden nur bei Alternativmangel

Antibiotika Erythromycin Clindamycin Fusidinsäure

Abtötung oder Wachstumshemmung von Bakterien

auf Allergieanzeichen achten

Abtötung oder Wachstumshemmung von Pilzen

Lokaltherapie auch nach 2 Wochen (auch bei Verschwinden der Mazerationen) weiterführen, sonst Rezidivgefahr

Antimykotika Bifonazol Ciclopiroxolamin Amphotericin Antiparasitika

Wirkstoffgruppe und Wirkstoffe Permethrin Benzozylbenzoat

Therapieziel/Anwendung

Nebenwirkungen/ Beobachtungskriterien

Abtötung von Milben und Läusen

Brennen, Juckreiz

54.6.2 Systemische Therapeutika Die wichtigsten systemischen Therapeutika sehen Sie in ▶ Tab. 54.2 . Tab. 54.2 Die wichtigsten Medikamente zur systemischen Anwendung bei Hauterkrankungen. Wirkstoffklasse und Wirkstoffe

Therapieziel/Anwendung Nebenwirkungen/Beobachtungskriterien

Antiinfektiva Antibiotika Penicillin, Ampicillin Cefotaxim

Abtötung oder Wachstumshemmung von Bakterien

Doxycyclin

Magen-Darm-Beschwerden Pilzinfektionen der Haut oder – bei Frauen – des Genitalbereichs Arzneimittelexanthem

Erythromycin Virustatika Aciclovir Brivudin

Hemmung der Proliferation Magen-Darm-Beschwerden von Herpes

Famiclovir Antimykotika Amphotericin Caspofungin Ketoconazol Immunsuppressiva Glukokortikoide

Abtötung oder Wachstumshemmung von Pilzen

Magen-Darm-Beschwerden Leberfunktionsstörungen

Wirkstoffklasse und Wirkstoffe Prednisolon Fluocortin

Therapieziel/Anwendung Nebenwirkungen/Beobachtungskriterien Entzündungshemmung, Immunsuppression

Nebenwirkungen auf die Haut ( ▶ Tab. 54.1 ) erhöhte Infektanfälligkeit verzögerte Wundheilung Gewichtszunahme Diabetes mellitus Nebennierenrindeninsuffizienz Magen-Darm-Ulzera Osteoporose Glaukom, Katarakt Psychose

Zytostatika Methotrexat (MTX)

Immunsuppression

Übelkeit, Erbrechen Haarausfall Mukositis Knochenmarksuppression Leberschädigung Infektanfälligkeit

Antihistaminika 1. Generation: Clemastin Ketotifen

Abschwächung der Histaminwirkungen auf die Haut (Rötung, Ödem, Juckreiz, Schmerz)

2. Generation: Cetirizin

Mundtrockenheit, Schwindel, Müdigkeit

weniger sedierend

Loratadin Retinoide Isotretinoin Alitretinoin Acitretin

Förderung der Zelldifferenzierung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten, Hemmung der Talgproduktion

teratogen (fruchtschädigend): Patientinnen in gebärfähigem Alter müssen sorgfältig verhüten. trockene Haut und Lippen Haarausfall Depression und Suizidalität

54.7 Erkrankungen der Haut 54.7.1 Ekzemkrankheiten (Dermatitiden) Definition Ekzem Ein Ekzem (Dermatitis) ist eine nicht infektiöse Entzündungsreaktion der Haut.

54.7.1.1 Ursachen und Symptome Verschiedene Auslöser stehen bei der Entwicklung eines Ekzems im Vordergrund: allergisches Kontaktekzem (häufigste Form): Kosmetika, Metalle, berufliche Kontaktstoffe (z.B. Desinfektionsmittel). Symptome sind Rötungen, Schwellungen, stark juckende Bläschen, auch bisher kontaktfreie Hautstellen können reagieren. Chronisch betroffene Hautstellen können schuppig werden. toxisches Kontaktekzem: Schadstoffe (Noxen) wie Säuren, Laugen, UV-Strahlung, Reinigungsmittel schädigen die Haut direkt. Symptome wie z.B. allergisches Kontaktekzem breiten sich jedoch nicht auf die Umgebung aus. Windeldermatitis: Feuchtigkeit, mechanische Reizung sowie Urin und Stuhl greifen die Haut an. Es tritt eine Hautrötung bis hin zu nässenden Ekzemen auf. Zusätzlich kann das Gebiet noch mit einem Pilz (Candida) besiedelt werden (Windelsoor).

54.7.1.2 Therapie und Pflege Vermeidung der Auslöser und lokale Behandlung mit kortisonhaltigen Präparaten sowie gute Hautpflege.

Ergänzende Salben mit Wirkstoffen wie Dexpanthenol oder Zink nutzen. Windeldermatitis: Trockenhaltung von Gesäß und Intimbereich durch häufiges/sofortiges Windelwechseln besonders nach Stuhlgang, vorsichtiges Trocknen der Region nach der Reinigung, z.B. Abtupfen mit Wattepad/weichem Handtuch, Föhnen auf lauwarmer Stufe (nur in Bauchlage, durch Urinieren des Kindes kann Flüssigkeit in Föhn gelangen, Stromschlaggefahr!). Badewasser mit Kamillentee/Muttermilch mischen. Wann immer möglich Luft und Licht an die Haut lassen. Luftdurchlässige Windeln wählen, ggf. Umstieg auf eine duftstoff-/schadstofffreie Marke oder Stoffwindeln. Windelsoor mit antimykotischer Creme nach Arztanordnung behandeln.

54.7.2 Psoriasis Definition Psoriasis Die Psoriasis (Schuppenflechte) ist eine chronisch-entzündliche, nichtinfektiöse und schubweise verlaufende Autoimmunerkrankung, die hauptsächlich Haut und Nägel (und seltener Gelenke) betrifft. Durch die Entzündung ist die Neubildung von Hornzellen stark beschleunigt.

54.7.2.1 Ursachen Die Veranlagung für Psoriasis ist erblich bedingt. Bestimmte Triggerfaktoren (Infektionen v.a. der oberen Luftwege, Medikamente wie Betablocker, mechanische Reizungen der Haut, Stress und Klimaveränderungen) können einen Schub auslösen.

54.7.2.2 Symptome

Je nach Art der Schuppenflechte sind die Symptome unterschiedlich: Psoriasis vulgaris: scharf begrenzte, gerötete Plaques und silbrig weiße Schuppung v.a. an den Streckseiten der Extremitäten, des behaarten Kopfes und im Bereich des Kreuzbeins. Im akuten Schub kann Juckreiz auftreten. Sind nur Hautfalten betroffen (z.B. Achsel- und Leistenregion), spricht man von Psoriasis inversa. Psoriasis arthropathica: Finger- und Zehengelenke sind schmerzhaft verdickt und gerötet (5 % der PsoriasisPatienten). Psoriasis pustulosa: schwerste, lebensbedrohliche Form mit berührungsempfindlichen und schmerzhaften Pusteln am ganzen Körper

54.7.2.3 Therapie Um die gesteigerte Verhornung und Entzündung einzudämmen, wird meist eine abgestimmte lokale Basistherapie mit einer weiteren Therapieform kombiniert: Basistherapie: auf den Hauttyp abgestimmtes, wirkstofffreies Präparat zur täglichen Pflege Lokaltherapie: bei geringer Ausdehnung der Herde, z.B. mit Glukokortikoiden zur Eindämmung der Entzündung, Salicylsäureshampoo zur Entfernung der Schuppen (siehe Kap. ▶ 54.6) Phototherapie: bei stärkerer Ausdehnung oder ungenügendem Erfolg, nur bei Patienten über 40 Jahre (wegen möglicher Förderung von Hautkrebs), z.B. UVBSchmalspektrumtherapie, PUVA-Therapie systemische Therapie: bei großflächiger Ausdehnung oder ungenügendem Erfolg, z.B. mit Fumarsäureester, Methotrexat, Ciclosporin (Kontraindikationen, wie z.B. Kinderwunsch, sind streng zu prüfen)

54.7.2.4 Pflege

Hautbeobachtung, z.B. Hautfarbe, Hautturgor, Hautoberfläche auf lokale Nebenwirkungen achten (z.B. Juckreiz), Info an Arzt Patient bei der lokalen und/oder systemischen Therapie unterstützen Patient sollte z.B. starke Hitze, Sonnenstrahlung (Sonnenbrand), beengende Kleidung, Alkohol, Drogen, Übergewicht vermeiden. ▶ Maßnahmen gegen Juckreiz Information zu Selbsthilfegruppen

54.7.3 Neurodermitis atopica Definition Neurodermitis atopica Das atopische Ekzem ist eine schubweise verlaufende, chronische Hauterkrankung mit stark juckenden Ekzemen.

54.7.3.1 Pathophysiologie und Ursachen Der Pathomechanismus der Neurodermitis atopica ist noch teilweise unbekannt. Eine genetische Veranlagung wird angenommen. Die Haut ist in ihrer Barrierefunktion gestört und reagiert empfindlich auf Triggerfaktoren (z.B. Hautreizungen, Allergene, Infektionen, Stress und hormonelle Faktoren). 10 % der Kinder und 3 % der Erwachsenen leiden unter dieser Erkrankung.

54.7.3.2 Symptome Ein stark quälender Juckreiz löst bei den Betroffenen einen hohen Leidensdruck aus. Die Haut ist trocken und die Haare glanzlos (Sebostase = verminderte Talgproduktion). Ekzeme heilen zwar ohne Narben ab, langfristig entstehen jedoch

entstellende Hautvergröberungen (Lichenifikationen). Gefürchtet ist die Superinfektion der Haut, die durch das Aufkratzen der Hautatrophie und das Anheften von Bakterien (z.B. Staphylokokken), Viren (z.B. Herpes simplex) oder Pilzen (z.B. Dermatophyten) bedingt wird und sogar lebensbedrohliche Formen annehmen kann.

54.7.3.3 Therapie Die Therapie setzt sich aus Basistherapie (Ziel: Feuchtigkeitsgehalt normalisieren) und der Therapie im akuten Schub (Ziel: Entzündung hemmen) zusammen: Basistherapie: mehrmals täglich Hautpflege mit rückfettenden Grundstoffen, Ölbäder akuter Schub: in leichten bis mittelschweren Fällen: Glukokortikoide (lokal) bei ausbleibendem Erfolg oder anderen Kontraindikationen: topische Calcineurin-Inhibitoren bei schwerem Ekzem: Glukokortikoide oder Ciclosporin (oral) superinfizierte Ekzeme: antiseptische und ggf. antibiotische Therapie zur Linderung des Juckreizes: z.B. Antihistaminika, Phototherapie

54.7.3.4 Pflege Beobachtung: Veränderung von Haut und Haaren: Nebenwirkungen? Superinfektion? erhöhte Körpertemperatur: Superinfektion? psychosoziale Faktoren Körperpflege und Bekleidung: Nägel kurz halten, vorsichtiges Abtupfen der Haut nach dem Waschen,

Naturfasern und atmungsaktive Gewebe bevorzugen Therapie: Patient bei der lokalen und/oder systemischen Therapie unterstützen Ernährung: schubauslösende Nahrungsmittel erfragen bzw. dokumentieren Schlaf: Schlafen im ungeheizten Zimmer unter dünner Bettdecke Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Triggerfaktoren: künstliche Nahrungszusätze, Duftstoffe, Umweltbelastungen, chlorhaltiges Wasser (Tagebuch über Nahrung und Aktivitäten führen) ▶ Maßnahmen gegen Juckreiz Selbsthilfegruppen Sozialdienst

54.7.4 Arzneimittelexanthem Definition Arzneimittelexanthem Ein Arzneimittelexanthem ist eine unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW), die als allergische Hautreaktion nach Medikamenteneinnahme oder als Pseudoallergie (nicht allergische Intoleranzreaktion) auftritt.

54.7.4.1 Ursachen Prinzipiell können alle Medikamente ein Arzneimittelexanthem auslösen, gehäuft entsteht es aber bei Antibiotika (besonders bei Ampicillin), Schmerzmitteln und Schilddrüsenmedikamenten.

54.7.4.2 Symptome

Die Ausschläge treten meist ab der 2. Behandlungswoche auf. Sie entstehen häufig am Stamm und gehen dann auf die Extremitäten über. Die Ausschläge können sehr unterschiedlich aussehen und sind meist von Juckreiz begleitet ( ▶ Abb. 54.3).

54.7.4.3 Therapie und Pflege Medikament absetzen Antihistaminikum, Glukokortikoide und lokale Maßnahmen zur Linderung des ▶ Juckreizes auslösendes Medikament in Zukunft meiden und in den Allergiepass eintragen Arzneimittelexanthem. Abb. 54.3 Arzneimittelexantheme können sehr unterschiedlich aussehen, hier zeigen sich viele kleine Papeln. (Aus: Moll I. Duale Reihe Dermatologie. Stuttgart: Thieme; 2010)

54.7.5 Follikulitis, Furunkel und Karbunkel Definition Follikulitis, Furunkel und Karbunkel Eine Follikulitis ist eine bakterielle, oberflächliche Infektion des Haarbalgs mit Staphylococcus aureus. Von einem Furunkel spricht man, wenn tiefere Schichten des Haarbalgs infiziert sind. Die Verschmelzung mehrerer Furunkel bezeichnet man als Karbunkel.

54.7.5.1 Ursachen geschwächtes Immunsystem (z.B. bei Diabetes mellitus) mangelnde Körperhygiene feuchte Umgebung und Wärme (z.B. Schwitzen) begünstigen Infektion

54.7.5.2 Symptome Symptomatisch zeigt sich der Furunkel durch Rötung und Pustelbildung und tritt am häufigsten mit Abszessen im Bartwuchsbereich, am Gesäß oder im Schambereich auf.

54.7.5.3 Therapie und Pflege Therapie und Pflege richten sich nach dem Schweregrad, Ort und Ursache der Infektion. Follikulitis: lokal antiseptische Therapie z.B. mit Iodlösung, Information und Anleitung zur Prophylaxe und Pflege Furunkel/Karbunkel: Ichthyolsalbe (sog. Zugsalbe) bringt den beginnenden Abszess zur vollen Ausprägung. Der Arzt kann nun durch Stichinzision den Abszess eröffnen, ausräumen und ggf. mit einer Drainage versorgen. Furunkel/Karbunkel im Gesicht: Gefahr der Erregerverschleppung über die Vena angularis in den Sinus cavernosus: Sinusthrombose, Meningitis und Enzephalitis

als mögliche Folgen. Die Eröffnung von Abszessen im Gesicht ist kontraindiziert. Stattdessen wird systematisch mit Antibiotika behandelt und die Erregerverbreitung minimiert (Sprech- und Kauverbot für den Patienten). Flüssige Kost und Parotitisprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.12) sind angezeigt.

54.7.6 Mykotische Hauterkrankungen Definition Mykotische Hauterkrankungen Pilzinfektionen der Haut, der Haare und Nägel bezeichnet man als Dermatophytosen (Tinea). Eine Infektion mit Pilzen der Gattung Candida (meist Candida albicans) bezeichnet man als Kandidose. Pilzinfektionen der Schleimhäute werden als Soor bezeichnet.

54.7.6.1 Symptome ▶ Infektionen durch Dermatophyten. Sie sind besonders häufig in folgenden Arealen zu beobachten: Fußpilz (Tinea pedis): Rhagaden und Rötungen zwischen den Zehen, starker Juckreiz Nagelpilz (Tinea unguium): Verfärbung und Brüchigwerden des Nagels Kopfhautpilz (Tinea capitis): kreisrunde, schuppende Herde mit abgebrochenen Haaren ▶ Infektionen durch Hefepilz. Die Besiedelung mit Candida ist recht häufig, wobei besonders häufig Menschen, die unter einem beeinträchtigten Immunsystem (z.B. Diabetes mellitus, AIDS, Tumorerkrankungen) leiden, an Kandidosen erkranken. Besonders häufig sind: orale Kandidose: weißliche Beläge an der Mundschleimhaut (Mundsoor, ▶ Abb. 54.4a)

intertrigenöse Kandidose: weißliche Epidermis mit rötlichen Erosionen oder Rhagaden in feuchten Hautfalten (Achseln, Analfalte, unter den Brüsten, bei Säuglingen im Windelbereich, ▶ Abb. 54.4b) genitale Kandidose: bei Frauen Juckreiz und weißlich bröckeliger Ausfluss, bei Männern Entzündung der Eichel Candida-Pneumonie/Candida-Pyelonephritis/CandidaSepsis: Bei sehr geschwächtem Immunsystem, letztere kann lebensbedrohlich sein. Kandidose. Abb. 54.4 

Abb. 54.4a Mundsoor. Typische abwischbare weißliche Beläge der Mundschleimhaut. (Aus: Sterry W, Burgdorf W, Worm M. Checkliste Dermatologie. Thieme; 2014)

Abb. 54.4b Intertriginöse Candidainfektion in der Analfalte. (Aus: Sterry W, Burgdorf W, Worm M. Checkliste Dermatologie. Thieme; 2014)

54.7.6.2 Therapie und Pflege

Betroffene Areale werden je nach Umfang und Ort der Infektion behandelt. Bei geringer Ausdehnung an Haut und Nägeln kommen antimykotische Cremes und antimykotischer Nagellack zum Einsatz. Bei stärkerer Ausprägung muss eine systemische Therapie in Erwägung gezogen werden. Hautpflege: Sowohl zur Behandlung eines akuten Pilzbefalls als auch zur Prophylaxe sollten alle Körperfalten (z.B. Brustfalte) und Zehenzwischenräume trocken gehalten werden. Gründliches Abtrocknen, Föhnen und das Einlegen von Kompressen unterstützen die Behandlung. Hautreinigung: Eine antiseptische Hautreinigung mit separatem (Einmal-)Waschhandschuh und Handtuch minimiert das Risiko, dass sich der Pilz auf andere Stellen ausbreiten kann. Textilien, die mit infizierten Hautarealen in Kontakt kommen, täglich wechseln und bei ≥ 60°C waschen. Mundpflege: Bei der Behandlung von Mundsoor werden die weißlichen Beläge mittels Zahnbürste und Zungenreiniger entfernt und das Antimykotikum aufgetragen. Danach sollte der Patient eine halbe Stunde nichts essen oder trinken.

54.7.7 Skabies (Krätze) Definition Parasitosen Parasitosen sind infektiöse Erkrankungen, die durch Parasiten (z.B. Milben, Flöhe, Würmer, Läuse, Zecken) hervorgerufen werden.

Definition Skabies

Bei einer Infektion mit Skabies graben Milben zur Eiablage Gänge durch die Hornschicht der Haut. Der Körper reagiert mit einer allergischen Reaktion auf den Kot der Milben, sodass sich entlang der Gänge juckende Hauterscheinungen bilden. Eine Ansteckung ist durch engen Körperkontakt möglich. Skabies ist eine weitverbreitete Parasitose, vor allem in Entwicklungsländern ( ▶ Abb. 54.5). Seit ein paar Jahren ist sie auch wieder häufiger in Deutschland anzutreffen.

54.7.7.1 Therapie und Pflege Therapie: Die Behandlung von Skabies wird zumeist ambulant durchgeführt. Säuglinge und Patienten mit massivem Befall werden stationär aufgenommen und für 14 Tage isoliert. Der Patient wird gebadet und Permethrin(salbe) wird auf die betroffenen Hautstellen aufgetragen (ggf. am ganzen Körper). Pflege: Kleidung und Bettwäsche müssen gewechselt werden. Es empfehlen sich dünne Stoffe, da die Milben bei Wärme aktiver sind und sich ein stärkerer Juckreiz einstellen kann. Nach 8–12 h wird durch Abduschen die Salbe entfernt. Die stark ausgetrocknete Haut kann mit rückfettender Hautpflege, ggf. in Ergänzung mit Glukokortikoidsalbe, gepflegt werden. Auf den eigenen Infektionsschutz ist unbedingt zu achten. Dazu Einmalhandschuhe und Schutzkittel verwenden; gründliche Händehygiene nach jedem Kontakt. Skabies (Krätze). Abb. 54.5 Milbenbefall zwischen den Fingern. (Aus: Sterry W. Kurzlehrbuch Dermatologie. Stuttgart: Thieme; 2018)

KOMPAKT Hauterkrankungen Verlauf: Hauterkrankungen können chronisch verlaufen (z.B. Psoriasis, Neurodermitis atopica) und infektiös (z.B. Follikulitis,

Kandidose) bedingt sein. Ekzemkrankheiten: allergisches Kontaktekzem, toxisches Kontaktekzem, Windeldermatitis, Auslöser meiden, Heilung betroffener Stellen mit Lokaltherapeutika, bei Windeldermatitis konsequente Trockenhaltung des Anogenitalbereiches Psoriasis: chronisch-entzündliche Autoimmunkrankheit, auch Schuppenflechte genannt. Schubweise treten durch Triggerfaktoren gerötete Plaques und silbrig weiße Schuppung auf. Neurodermitis atopica: schubweise verlaufende chronische Hauterkrankung. Individuelle Triggerfaktoren verstärken das atopische Ekzem. Juckreiz ist für die Betroffenen quälend und führt immer wieder zu nässenden, entzündeten Hautstellen. Arzneimittelexanthem: unerwünschte Arzneimittelwirkung, bei der eine allergische Hautreaktion bzw. Pseudoallergie auftritt, häufig bei Antibiotika (Ampicillin), Schmerzmitteln und Schilddrüsenmedikamenten und ab der 2. Behandlungswoche Follikulitis, Furunkel, Karbunkel: entzündliche Infektionen des Haarbalgs, welche einer lokalen antiseptischen Therapie, eine Abzesseröffnung oder eine antibiotische systemische Therapie bedürfen Mykosen: Infektionen durch Dermatophyten (häufig Fuß-, Nagel-, Kopfhautpilz) oder Besiedlung mit Candida (oral-, intertrigenös-, genitale Kandidose oder Candida-Pneumonie/Pyelonephritis/-Sepsis) Parasitosen: parasitäre Erkrankungen (durch Würmer, Milben, Flöhe, Läuse, Zecken). Hygienemaßnahmen sind sehr wichtig und erfordern tage- bis wochenlange Compliance.

54.7.8 Hauttumoren

Definition Tumor Tumoren (von lat. tumor, „Geschwulst, Schwellung“) sind Neubildungen von Körpergewebe (Neoplasie). Benigne (gutartige) Hauttumoren verdrängen das umgebende Gewebe, aber durchdringen es nicht und bilden keine Metastasen. Maligne (bösartige) Hauttumoren dringen in das umliegende Gewebe ein (Infiltration), zerstören es (Destruktion) und bilden Metastasen. Semimaligne Hauttumoren wachsen in das umliegende Gewebe ein, bilden jedoch keine Metastasen. ▶ Benigne Hauttumoren. Beispiele für gutartige Hauttumoren sind: Pigmentnävus („Leberfleck“): Durch eine Vermehrung von Melanozyten kommt es zu hell- bis dunkelbraunen Flecken der Haut, die sich durch Sonneneinstrahlung vermehren können („Sommersprossen“). Auffällige Pigmentnävi werden im Zweifelsfall durch Exzision entfernt. kongenitaler Nävus: Kongenitale Nävi sind angeboren und sollten beobachtet werden. Riesennävi (Durchmesser > 10 cm) sollten wegen der Entartungsgefahr frühzeitig chirurgisch entfernt werden. Nävus flammeus: Feuermale sind angeborene, hellrote Flecken und sind auf erweiterte Kapillaren zurückzuführen. Eine Entfernung mit Lasertherapie ist möglich. Hämangiom (Blutschwamm): Hämangiome sind umschriebene, gutartige Neubildungen von Gefäßen mit schwammartiger Konsistenz. Sie können sich bis zum 9. Lebensjahr zurückbilden und werden nur bei einer Funktionseinschränkung entfernt.

▶ Maligne Hauttumoren. Bei bösartigen Hauttumoren unterscheidet man 3 Arten: Basaliom (Basalzellkarzinom): häufigster Hauttumor, der ein semimalignes Wachstum aufweist und von den basalen Zellschichten der Haut ausgeht ( ▶ Abb. 54.6a). Die Therapie besteht aus einer Exzision des Tumors oder einer Bestrahlung, wenn die Entfernung des Tumors nicht möglich ist. Spinaliom (Plattenepithelkarzinom): zweithäufigster Hauttumor, der eine großzügigere Exzision erforderlich macht ( ▶ Abb. 54.6b). Ist dies nicht möglich oder bestehen Lymphknotenmetastasen, wird zusätzlich eine Strahlenoder Chemotherapie durchgeführt. malignes Melanom („schwarzer Hautkrebs“): sehr bösartiger Tumor, der von den Melanozyten der Haut ausgeht ( ▶ Abb. 54.6c). Eine sehr breite Tumorexzision und die Entfernung der befallenen Lymphknoten sind nötig. Bei Metastasen kommen je nach Stadium zusätzlich noch eine Strahlen-/Chemotherapie oder palliative Behandlung in Betracht.

ACHTUNG Sollte Ihnen bei der Pflege eines Pflegeempfängers eine entsprechende Hautveränderung auffallen, weisen Sie den Betroffenen darauf hin, diese von einem Facharzt kontrollieren zu lassen. Präventiv gilt es, die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen durch den Hautarzt in Anspruch zu nehmen. Maligne Hauttumoren. Abb. 54.6 

Abb. 54.6a Basaliom.

Abb. 54.6b Spinaliom. (Aus: Moll I. Duale Reihe Dermatologie. Stuttgart: Thieme; 2016)

Abb. 54.6c Malignes Melanom. (Aus: Moll I. Duale Reihe Dermatologie. Stuttgart: Thieme; 2016)

KOMPAKT Hauttumoren Benigne Hauttumoren: gutartige Hautveränderungen (z.B. Pigmentnävus, kongenitaler Nävus, Nävus flammeus, Hämangiom), werden im Rahmen der Hautkrebsvorsorge beobachtet und ihre Entartungsgefahr beurteilt.

Maligne Hauttumoren: bösartige Hautveränderungen (z.B. Basaliom, Spinaliom, malignes Melanom), werden je nach Art und Stadium behandelt (Exzision, Entfernung von Lymphknotenmetastasen, Bestrahlung, Chemotherapie, ggf. palliative Versorgung).

54.8 Sexuell übertragbare Infektionskrankheiten Definition Sexuell übertragbare Krankheiten Infektionen, die ausschließlich oder überwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, bezeichnet man als sexuell übertragbare Krankheiten. Neben den hier genannten Krankheiten zählen zu den sexuell übertragbaren Krankheiten auch Chlamydieninfektionen, Herpes genitalis sowie ▶ Hepatitis B und C und die ▶ HIVInfektion.

54.8.1 Gonorrhö („Tripper“) 54.8.1.1 Ursachen und Symptome Die Gonorrhö wird durch Gonokokken verursacht. Sie löst eitrigen Ausfluss und Schmerzen beim Wasserlassen aus. Durch aufsteigende Erreger können sich bei Frauen die Eileiter entzünden (Salpingitis) und bei Männern kann die Infektion auf Nebenhoden (Epididymis) und Prostata (Prostatitis) übergreifen. Unfruchtbarkeit (Sterilität) kann die Folge sein. In seltenen Fällen kann der Erreger auch eine ▶ Peritonitis oder akute Gelenkentzündungen auslösen.

54.8.1.2 Therapie und Pflege Nach der gesicherten Diagnose (durch Abstrichuntersuchung und ein Antibiogramm) erfolgt eine antibiotische Therapie des Betroffenen und seines Sexualpartners. Der Patient sollte darüber informiert werden, keinen Geschlechtsverkehr bis zum vollständigen Ausheilen der Erkrankung zu haben.

54.8.2 Syphilis (Lues) 54.8.2.1 Ursachen und Symptome Beim Geschlechtsverkehr mit einem Infizierten dringt das Bakterium Treponema pallidum durch Haut- oder Schleimhautdefekte in den Körper ein. Nach einer Inkubationszeit von 10 Tagen bis 3 Wochen durchläuft die unbehandelte Infektion 4 Stadien: Stadium I (Primärstadium): Bildung eines harten, schmerzlosen Geschwürs mit nässender, infektiöser Stelle an der Eintrittsstelle Stadium II (Sekundärstadium): Nach ca. 8 Wochen wandern die Bakterien in die Blutbahn. Die Erkrankten leiden an grippeartigen Allgemeinsymptomen und geschwollenen Lymphknoten. Ein nichtjuckender, aber infektiöser Ausschlag an der Haut und an den Schleimhäuten tritt auf. Nässende Papeln im Genitalbereich und Haarausfall sind möglich. Stadium III (Tertiärstadium): Monate bis Jahre nach der Infektion entwickeln sich Granulome (entzündliche Knoten) in Haut, Knochen, Gefäßen, inneren Organen und im ZNS. Neurolues (früher Stadium IV/Quartärstadium): Die Patienten erkranken an einer chronischen ▶ Enzephalitis mit Demenz, Gehstörung, Verlust der Schmerz- und Temperaturwahrnehmung sowie Kontrollverlust über Blase und Darm.

54.8.2.2 Therapie und Pflege

Das erste Stadium ist mit einer Einmalgabe eines Antibiotikums (Penicillin) gut zu behandeln. Spätere Stadien erfordern eine längere und intravenöse Gabe des Antibiotikums. Der Patient sollte ausführlich über mögliche Übertragungswege informiert werden. Bis zum vollständigen Ausheilen der Erkrankung darf kein ungeschützter Geschlechtsverkehr stattfinden.

55 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Geschlechtsorgane 55.1 Weibliche Geschlechtsorgane

55.1.1 Anatomie und Physiologie Zu den weiblichen Geschlechtsorganen ( ▶ Abb. 55.1) gehören die äußeren Geschlechtsorgane (Vulva) sowie die inneren Geschlechtsorgane (Scheide, Gebärmutter, Eierstöcke, Eileiter) und die Brüste. Die weiblichen Geschlechtsorgane. Abb. 55.1  (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

Vulva: die Gesamtheit der weiblichen äußeren Geschlechtsorgane (mit Schamhügel, Schambehaarung, Schamlippen, Klitoris und Scheidenvorhof) Scheide (Vagina): Die Vaginalwand besteht aus glatter Muskulatur und ist aufgrund ihrer Funktion zum Geschlechtsverkehr und als Geburtsweg stark dehnbar. Milchsäurebakterien sorgen für ein saures Milieu in der Scheide (pH-Wert: 4–4,5). Gebärmutter (Uterus): dickwandiges, muskulöses Hohlorgan. Die Uteruswand besteht aus Endometrium, Myometrium und Perimetrium. Der Uterus nimmt die befruchtete Eizelle auf und passt sich während der Schwangerschaft der Größe des sich entwickelnden Kindes an. Die Muskulatur sorgt für rhythmische Kontraktionen während der Geburt (Wehen). Eierstöcke (Ovarien): Die Eierstöcke liegen zu beiden Seiten der Gebärmutter seitlich an der Beckenwand und haben eine ovale Form. Ihre Größe variiert im Verlauf des Zyklus. Pro Menstruationszyklus reift (meist) eine Eizelle heran, die von einem Bläschen umgeben ist (sog. Follikel). Beim Eisprung reißt der Follikel und gibt die Eizelle frei. Die Eizelle wird vom Eileiter aufgenommen und in Richtung Gebärmutter transportiert. Auf dem Weg in die Gebärmutter kann die Befruchtung stattfinden. In den Eierstöcken werden die Hormone Östrogen und Gestagen gebildet. Eileiter (Tuba uteri): sorgen für den Transport der Eizelle zum Uterus Brust (Mamma): besteht aus Brustdrüse, Brustwarze mit Warzenvorhof und Binde- und Fettgewebe sowie der äußeren Haut und dient der Milchbildung und -abgabe

55.1.2 Pflegebasismaßnahmen

Wahrnehmen und Beobachten: Pflegende sollten bei Patientinnen (v.a. bei gynäkologischen Erkrankungen) auf folgende Symptome achten: Unterbauchschmerzen: Diese sind bei der Menstruation i. d. R. normal. Sie können jedoch auch Zeichen einer extrauterinen Schwangerschaft oder einer Erkrankung sein (z.B. Endometriose, Appendizitis). Fluor genitalis: Genitaler Ausfluss tritt physiologisch auf in der Zyklusmitte, bei sexueller Erregung, physischer Anstrengung und während der Schwangerschaft. Verändert sich der Fluor in Menge, Geruch und Aussehen, kann dies ein Hinweis auf eine Krankheit sein. Menstruation: Menstruationszyklen dauern zwischen 25 und 35 Tage. Zu Beginn kommt es zu einer 3- bis 7-tägigen vaginalen Blutung, bei der die oberste Schicht der Gebärmutterschleimhaut (Functionalis) abgestoßen wird. Viele Frauen leiden dabei an Unterbauchschmerzen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder leichter Übelkeit. Ein gestörter Zyklus oder eine veränderte Menstruation kann auf Hormonstörungen oder pathologische Veränderungen der Geschlechtsorgane hindeuten. Juckreiz, Schmerz am äußeren Genitale, Unfruchtbarkeit psychosoziale Begleitung: Gynäkologische Untersuchungen (v.a. in Steinschnittlage) sind unangenehm und ein Eingriff in die Intimsphäre. Pflegende ergreifen Maßnahmen, welche die Intimsphäre der Patientin schützen (z.B. Körperstellen nur so lange wie nötig unbedeckt lassen, Zeit für Rückfragen und Untersuchungen erklären).

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Pflegefachkräfte leiten Frauen zur monatlichen Selbstuntersuchung der Brüste (im Rahmen der Krebsvorsorge) an.

55.1.3 Spezielle Pflegemaßnahmen in der Gynäkologie Genitalspülungen: Besteht nach einer OP (z.B. nach Kaiserschnitt) eine starke vaginale Blutung oder schmerzt das Wundgebiet, werden Genitalspülungen im Patientinnenbett angewendet. Die Maßnahme dient auch der Infektionsprophylaxe. Dazu benötigen Pflegende neben dem Eigenschutz (Einmalhandschuhe, Kittel und Mittel zur Händedesinfektion) Steckbecken, Behälter mit Spüllösung, Bettschutz, Einmalhandtücher, frischen Einmalslip, frische Vorlage, Abwurfbeutel. Sitzbäder: Sitzbäder können die Wundheilung fördern. Badezusätze sind nach Abklärung von Allergien nach Arztanordnung möglich. Das Wasser sollte 38–40°C warm sein und das Sitzbad 10–20 min dauern. Vorlage vaginaler Kompressen: Wenn die Scheide juckt oder brennt, können antimikrobielle oder kühlende Salben nach Arztanordnung mit einer Kompresse auf den Vaginalbereich aufgebracht werden.

55.1.4 Mitwirken bei der Diagnostik 55.1.4.1 Gynäkologische Untersuchungen Pflegende betreuen die Patientin vor, während und nach gynäkologischen Untersuchungen und Verfahren und unterstützen Ärzte bei der Durchführung dieser Diagnostik.

Kolposkopie: Pflegende sorgen im Rahmen dieser Untersuchung für eine angstfreie Atmosphäre. Sie bereiten die Patientin sowie die Instrumente (Spekula) vor. Wird bei der Kolposkopie eine Knipsbiopsie der Portio durchgeführt, müssen Gerinnungswerte der Patientin vorliegen, um stärkere Blutungen zu vermeiden. Längere oder stärkere Blutungen sowie stärkere Schmerzen nach Eingriff müssen abgeklärt werden. Abrasio uteri (Ausschabung oder Kürettage): transvaginale Abtragung der oberen Gebärmutterschleimhaut. Sie wird diagnostisch (zur histologischen Beurteilung) und therapeutisch (Abtragung von Schleimhautpolypen oder Plazentaresten) üblicherweise in Vollnarkose durchgeführt. Postoperative Entzündungszeichen oder sehr starke Blutungen müssen abgeklärt werden (Bei Zunahme von Bauchumfang und starken Schmerzen Lebensgefahr durch Perforation der Gebärmutter!). Beratung: Die Patientin sollte 3 Wochen nicht baden, keinen Geschlechtsverkehr haben, keine Tampons benutzen sowie 1 Woche sich schonen und 3 Monate nicht schwanger werden. Konisation: Entnahme eines kegelförmigen Gewebeabschnitts aus dem Gebärmutterhals zur histologischen Beurteilung. Entzündungs-, Schockanzeichen (Pulsanstieg, Blutdruckabfall) sowie verstärkte vaginale Blutungen ärztlich abklären lassen. Beratung wie bei Abrasio uteri. Laparoskopie: minimalinvasiver Eingriff mit einem Endoskop in Vollnarkose zur Beurteilung der inneren Geschlechtsorgane und zur Durchführung therapeutischer Maßnahmen. Präoperativ wird der Bauchnabel gereinigt, evtl. werden (nach Arztanordnung) Abführmittel und eine präoperative

Medikation appliziert. Postoperativ kontrollieren Pflegende die Vitalparameter. Bei starken vaginalen Blutungen und Bauchschmerzen wird der Arzt informiert.

55.1.5 Mammakarzinom Definition Mammakarzinom Das Mammakarzinom ist ein maligner Tumor der Brustdrüse.

55.1.5.1 Ursache Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frau. Die Erkrankten sind im Durchschnitt 63 Jahre alt. Es können aber auch jüngere Frauen erkranken. In ca. 1 % der Fälle sind Männer betroffen. Die wichtigsten Risikofaktoren sind: genetische Vorbelastung, z.B. Mutation im BRCA-1- oder BRCA-2-Gen höheres Lebensalter frühe erste Regelblutung (< 12. Lebensjahr), späte letzte Regelblutung (> 50. Lebensjahr) ▶ Adipositas Rauchen keine Stillperioden

55.1.5.2 Symptome Leitsymptome von Mammakarzinomen sind: neu aufgetretene derbe, meist nicht schmerzhafte und wenig verschiebbare Verhärtungen (Knoten) in der

Brust. Zu 50 % treten Karzinome im äußeren oberen Quadranten auf. Bei Metastasierung sind oft Achsellymphknoten tastbar. Hautveränderungen, z.B. Einziehungen, Vorwölbungen, Orangenhaut im Bereich des Tumors, ekzemartige Veränderungen (sog. Morbus Paget) sowie Hautrötungen und Entzündungen (inflammatorisches Karzinom) Einziehungen oder Ausfluss an der Brustwarze neu aufgetretene Asymmetrie der Brüste

55.1.5.3 Diagnostik Tastuntersuchung Mammografie (Röntgenuntersuchung der Brust) Sonografie der Brüste Biopsie aus dem tumorverdächtigen Areal mit histologischer Beurteilung des Hormon- und Wachstumsfaktorrezeptorstatus Untersuchung auf Metastasen (vorwiegend in Lunge, Leber, Knochen): Sonografie Abdomen, Röntgen-Thorax, Skelettszintigramm

55.1.5.4 Therapie Die betroffene Brust als äußeres Erscheinungsmerkmal der Frau wird möglichst brusterhaltend therapiert. Je nach histologischem Befund wird die operative Tumorentfernung als Tumorektomie, Segment- oder Quadrantenresektion oder als (radikale) Mastektomie geplant. Achsellymphknoten werden nur nach Fund von Metastasen entfernt, um ein Lymphödem am Arm zu vermeiden.

Im Anschluss an die OP und Bestrahlung findet oft eine Chemotherapie statt. Eine Therapie mit Antiöstrogenen bzw. Antigestagenen bzw. eine Immuntherapie können je nach Tumorrezeptoren eine Option sein. Der chirurgisch-plastische Brustaufbau kann direkt oder in einer zweiten OP nach Mastektomie stattfinden. Einige Patientinnen lehnen die Rekonstruktion ab und tragen stattdessen eine Epithese.

55.1.5.5 Pflege ▶ Präoperative Pflege. Präoperativ haben Pflegende neben den allgemeinen präoperativen Maßnahmen (siehe Kap. ▶ 39) folgende Aufgaben: Armumfang messen, damit postoperatives Lymphödem rechtzeitig erkannt werden kann Physiotherapie ab 1. postoperativem Tag anmelden (Prophylaxe von Lymphödem, Fehlhaltung und Kontraktion) Bestellen einer Erstversorgungsprothese als Übergangslösung (in Absprache mit Patientin) Postoperative Pflege psychosoziale Unterstützung in der Trauer um die verlorene Brust, Gesprächsbereitschaft signalisieren Körperpflege und Mobilisation: Frühmobilisation am ersten postoperativen Tag möglich. Wunde muss mit einem wasserdichten Pflaster die ersten Tage verschlossen bleiben. Duschen ist möglich, jedoch sollte der Arm nicht stark bewegt werden. Verbandwechsel: einfühlsam vorgehen, ggf. Wundgebiet mit Handspiegel anschauen lassen, ggf. Anwesenheit von Vertrauenspersonen ermöglichen

individuelles Schmerzmanagement nach dem Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Prophylaxen: (siehe Kap. ▶ 17) Kontrakturenprophylaxe: Haltungsübungen vor dem Spiegel helfen, Fehlhaltungen aufgrund der Gewichtsveränderung bei einseitiger Mastektomie vorzubeugen und das neue Körperbild zu akzeptieren. Lymphödemen kann durch Hochlegen des Arms, manuelle Lymphdrainage, vorsichtige Bewegung des Arms nicht über die Schmerzgrenze und einen Kompressionsstrumpf für Arm und Hand vorgebeugt werden. Injektionen und Blutdruckmessen sollten stets am nicht betroffenen Arm stattfinden und der Umfang regelmäßig gemessen werden. Pneumonieprophylaxe (Schonatmung durch Schmerzen kann eine Pneumonie begünstigen) ▶ Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten. Pflegende beraten über die korrekte Selbstuntersuchung der Brüste, Lymphödemprophylaxe (z.B. kein schweres Heben, kein Vollbad, keine Sauna, keine einschnürende Kleidung), Einschreiben in ein Disease-Management-Programm (DMP) und Anschlussbehandlung sowie medizinische Nachsorge.

55.1.6 Ovarialkarzinom Definition

Ovarialkarzinom Das Ovarialkarzinom ist ein vom Oberflächenepithel des Eierstocks ausgehender maligner Tumor. Es zählt zu den häufigsten Krebsformen der Frau und tritt vorwiegend zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr auf.

55.1.6.1 Ursache Ursache bislang nicht eindeutig geklärt Risikofaktoren: z.B. zunehmendes Alter, Adipositas, Kinderlosigkeit, familiäre Disposition

55.1.6.2 Symptome Symptomatisch leidet die Frau erst spät unter eine Zunahme des Bauchumfangs (Tumorwachstum und Aszites) und Problemen beim Wasserlassen und beim Stuhlgang (Druck auf Blase und Darm). Leistungsminderung und Gewichtsverlust treten erst im Spätstadium auf. Ein lebensbedrohlicher Notfall liegt bei Stieldrehung oder Ruptur des Eierstocks vor und äußert sich in einem ▶ akuten Abdomen.

55.1.6.3 Diagnostik Vaginalultraschall CT oder MRT Labor, Tumormarker

55.1.6.4 Therapie Therapeutische Option ist die Radikaloperation (Entfernung von Ovarien, Uterus, Beckenlymphknoten, ggf. Anteile von Blase, Darm und Peritoneum) in Kombination mit einer ▶ Chemotherapie.

55.1.6.5 Pflege

Pflegebasismaßnahmen bei Genitalkarzinomen: Wahrnehmen und Beobachten: Ausscheidungen: z.B. Fluor übelriechend? Urin blutig? Verstärkte Nachblutung? Vitalparameter regelmäßig kontrollieren Wundmanagement: Wundheilung beobachten und dokumentieren, Drainagen überprüfen, regelmäßige Verbandwechsel durchführen und ausreichend Zeit einplanen, sensible und einfühlsame Wundversorgung, Intimsphäre wahren Mobilisation: Frühmobilisation am OP-Tag, Physiotherapie Schmerzmanagement: Schmerzerfassung, postoperativ individuelles Schmerzmanagement nach Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege“ und siehe Kap. ▶ 21 Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards ggf. Lymphödemprophylaxe: z.B. bei Beckenlymphknotenentfernung kein langes Stehen, Beine öfters hochlegen, Verletzungen der Haut vorbeugen, Kleidung sollte nicht einschnüren psychosoziale Begleitung: Ängste: psychosoziale Situation vor und nach OP beobachten und begleiten, Gespräche anbieten, ggf. Partner mit einbeziehen (Themen u.a. Selbstwertgefühl, Sexualität) Seelsorge: ggf. psychoonkologische und seelsorgerische Beratung einschalten

über Selbsthilfegruppen informieren

55.1.7 Zervixkarzinom Definition Zervixkarzinom Das Zervixkarzinom ist ein bösartiger Tumor, der von der Schleimhaut des Gebärmutterhalses ausgeht. Betroffen sind neben älteren Frauen z. T. auch recht junge Frauen um die 40.

55.1.7.1 Ursache Ursache ist eine Infektion mit humanen Papillomviren (HPV), die beim Geschlechtsverkehr übertragen werden. Da mittlerweile viele junge Mädchen gegen diese Viren geimpft sind, kommt der Tumor immer seltener vor.

55.1.7.2 Symptome Meist keine oder nur unspezifische Symptomatik: unspezifische Symptome: z.B. Müdigkeit, unregelmäßige Blutung, Gewichtsverlust Symptome im fortgeschrittenen Stadium: z.B. Blutung nach Geschlechtsverkehr, Blutung außerhalb des Menstruationszyklus, übelriechender Ausfluss, Schmerzen beim Wasserlassen

55.1.7.3 Diagnostik körperliche Untersuchung (Tastuntersuchung) Zellabstrich (Pap-Test) HPV-Nachweis weiterführende Diagnostik: Kolposkopie, Biopsie, Histologie (bei tatsächlichem Befund folgen

weiterführende, diagnostische Maßnahmen)

55.1.7.4 Therapie und Pflege Therapie ist die operative Entfernung. Ist die Neubildung noch auf die Schleimhaut beschränkt und hat die Basalmembran noch nicht durchbrochen (Carinoma in situ), reicht evtl. die ▶ Konisation aus. Bei invasivem Wachstum muss ggf. auch die Gebärmutter mit umgebendem Gewebe entfernt werden. Zur Pflege siehe die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Genitalkarzinom.

55.1.8 Endometriumkarzinom Definition Endometriumkarzinom (Korpuskarzinom) Das Endometriumkarzinom ist ein bösartiger Tumor der Gebärmutterschleimhaut, der oft östrogenabhängig wächst. Er tritt vor allem bei älteren Frauen auf.

55.1.8.1 Ursache Ursache bislang nicht eindeutig geklärt Risikofaktoren: z.B. zunehmendes Alter, Hormone (frühe Pubertät oder späte Wechseljahre), Adipositas, Bluthochdruck und Bewegungsmangel, Kinderlosigkeit, Diabetes mellitus, familiäre Disposition

55.1.8.2 Symptome Frühsymptome sind Blutungen nach der Menopause bzw. Menstruationsstörungen und ein auffälliger Fluor genitalis (z.B. „fleischwasserfarben“).

55.1.8.3 Diagnostik

Vaginalsonografie körperliche Untersuchung (Tastuntersuchung) weiterführende Diagnostik: Hysteroskopie, Biopsie, Histologie (bei tatsächlichem Befund folgen weiterführende, diagnostische Maßnahmen)

55.1.8.4 Therapie und Pflege Therapie ist die operative Entfernung. Bei invasivem Wachstum müssen ggf. die gesamten inneren Geschlechtsorgane entfernt werden, inkl. Eileiter und Ovarien. Zudem müssen Chemotherapie und Bestrahlung erwogen werden (siehe Kap. ▶ 38.1.3). Zur Pflege siehe die ▶ Pflegebasismaßnahmen bei Genitalkarzinom.

55.1.9 Endometriose Definition Endometriose Endometriose ist eine gutartige, chronisch verlaufende Krankheit. Bei der Endometriose kommt Gebärmutterschleimhaut nicht nur im, sondern auch außerhalb des Uterus vor – z.B. in den Eierstöcken, im Bauchraum oder in der Harnblase.

55.1.9.1 Ursachen und Pathophysiologie Die Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen in Deutschland. Wie Endometriose entsteht, ist unklar.

55.1.9.2 Symptome Da das Gewebe wie normales Endometrium hormonabhängig als Blutung abgestoßen wird, verursacht die Erkrankung (oft zyklusabhängig) Beschwerden. Längerfristig kann eine

Endometriose zu ernsten Problemen wie Zysten und Sterilität führen.

55.1.9.3 Therapie und Pflege Verursacht die Endometriose Beschwerden, sollte versucht werden das „verirrte“ Gewebe möglichst vollständig zu entfernen (z.B. per Laparoskopie). Auch eine Hormontherapie kann Linderung bringen. Nach einer Laparoskopie kontrollieren Pflegende die Vitalparameter, sie achten u.a. auf Schmerzen, vaginale Blutungen und Veränderungen des Bauchumfangs.

55.1.10 Descensus und Prolaps uteri Definition Descensus und Prolaps uteri Beim Descensus uteri senkt sich die Gebärmutter in die Scheide. Wird die Gebärmutter im Scheidenvorhof sichtbar, spricht man von einem Prolaps uteri bzw. einem „Vorfall der Gebärmutter“. Dies kann so weit gehen, dass auch Teile der Harnblase bzw. des Rektums „vorfallen“ (Zystozele bzw. Rektozele).

55.1.10.1 Ursache Der Descensus uteri ist bei älteren Patientinnen häufig. Begünstigende Faktoren dafür sind: Bindegewebsschwäche Östrogenmangel schwere oder zahlreiche Geburten unzureichende Rückbildungsgymnastik nach den Geburten

chronisch erhöhter Druck im Bauchraum (Adipositas, schwere körperliche Arbeit oder chronischer Husten) Operationen im Bereich des kleinen Beckens

55.1.10.2 Symptome Gefühl des Zugs bzw. Druck nach unten im Unterbauch Rückenschmerzen Zystozele: Harnwegsinfekte, Harndrang oder Harninkontinenz Rektozele: Obstipationen

55.1.10.3 Therapie Die Therapie richtet sich nach der Schwere der Senkung. Bei leichteren Fällen helfen Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur oder ÖstrogenVaginalzäpfchen (bei Östrogenmangel). Ein Scheidenpessar kann den Uterus in Position halten, jedoch auch Entzündungen und Druckgeschwüre verursachen. In schweren Fällen ist eine Raffung der Scheidenwände oder eine Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) notwendig (vaginal, laparoskopisch oder laparotomisch).

55.1.10.4 Pflege bei OP Neben den allgemeinen perioperativen Pflegebasismaßnahmen (siehe Kap. ▶ 39) sind bei einer Hysterektomie: folgende Punkte wichtig: präoperativ: postoperative Fähigkeiten einüben: „beckenbodenfreundliches“ und narbenschonenden Verhalten (z.B. bei Husten Gegendruck auf Bauchdecke ausüben), Aufstehen aus Bett über Seitenlage postoperativ: 1–2-mal täglich und nach Stuhlgang eine Genitalspülung durchführen (Infektionsprophylaxe)

und auf vaginale Nachblutungen sowie Entzündungszeichen achten. Nach Entfernung des Blasendauerkatheters (DK) wird ein ▶ Kontinenztraining durchgeführt. Informieren und Beraten: Die Patientin sollte z.B. darüber informiert werden, dass der Fluss des Wundsekrets bis zu 2 Wochen postoperativ andauern kann und dass sie 3 Monate lang nicht mehr als 5 kg heben sollte. Der erste Geschlechtsverkehr darf erst nach vollständiger Ausheilung (ca. nach 6 Wochen) stattfinden.

KOMPAKT Wichtige Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane Mammakarzinom: Typische Erstsymptome sind z.B. derbe und wenig verschiebbare Verhärtungen in der Brust, Hautveränderungen oder eine Asymmetrie der Brüste. Therapie ist die (möglichst brusterhaltende) Resektion des Tumors, ggf. mit Lymphknotenentfernung, ggf. mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung. Bei der Pflege nach Mastektomie ist u.a. wichtig: Vermeidung eines Lymphödems (z.B. durch Hochlagerung des betroffenen Arms), Kontrakturenprophylaxe und psychosoziale Unterstützung. Zervixkarzinom: Betroffen sind nicht selten auch Frauen unter 40. Kann im frühen Stadium durch Konisation behandelt werden. Impfung gegen HP-Viren reduziert das Risiko deutlich. Endometriumkarzinom: Betroffen sind v.a. ältere Frauen. Therapie ist die Entfernung der Gebärmutter

(Hysterektomie) und ggf. weiterer Organe im Becken (z.B. Ovar und Eileiter). Endometriose: versprengtes Gebärmuttergewebe, z.B. im Bauchraum, was wegen der zyklusabhängigen Blutungen zu Problemen führen kann. Therapie: OP oder Hormone Descensus und Prolaps uteri: Therapie je nach Befund, von Beckenbodentraining bis Hysterektomie Pflege nach Hysterektomie: auf vaginale Blutungen und Entzündungszeichen achten, DK kontrollieren, Genitalspülungen 1- bis 2-mal täglich, Stärkung der Beckenbodenmuskulatur

55.2 Männliche Geschlechtsorgane 55.2.1 Anatomie und Physiologie Zu den männlichen Geschlechtsorganen gehören ( ▶ Abb. 55.2): Penis: Abgabe von Urin und Sperma. Die zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs erforderliche Erektion erfolgt durch eine parasympathisch vermittelte erhöhte Durchblutung der zwei Schwellkörper. Hoden (Testis), Nebenhoden (Epididymis) und Hodensack (Skrotum): Bildung, Reifung und Speicherung von befruchtungsfähigen Samenzellen. Im Hoden außerdem: Produktion von Testosteron Samenleiter: Spermienleitung aus dem Nebenhoden in die Harnröhre

akzessorische Geschlechtsdrüsen: bilden Sekrete, die zusammen mit den Spermien das Sperma (Ejakulat) bilden Prostata (Vorsteherdrüse): Ihr Sekret trägt zur Beweglichkeit der Spermien bei und macht etwa 30 % des Spermas aus. Die männlichen Geschlechtsorgane. Abb. 55.2  (Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie, Innere Organe. Illustrationen von Voll M und Wesker K. 5. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2018)

55.2.2 Pflegebasismaßnahmen Wahrnehmen und Beobachten: Pflegefachkräfte achten auf Symptome und Schilderungen über Erektionsstörungen, Blasenentleerungsstörungen, akutes Skrotum, Unfruchtbarkeit, schmerzlose

Schwellung des Hodensacks und Ausfluss aus der Harnröhre. Psychosoziale Betreuung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, Pflegende achten die Intimsphäre des Patienten (nur so lang wie nötig Intimbereich aufdecken etc.).

55.2.3 Mitwirken bei der Diagnostik Pflegende wirken bei folgenden diagnostischen Maßnahmen mit: Urinuntersuchungen: Urinstatus, Schnelltest oder Urinkultur (siehe Kap. ▶ 48.4). Bei Verdacht auf Urethritis wird die erste Harnportion verwendet. Bei Verdacht auf Prostatitis kann eine Drei-Gläser-Probe durchgeführt werden (1. Glas: Ersturin; 2. Glas: Mittelstrahlurin; 3. Glas: Urin nach Massage der Prostata). Achtung: Nicht im akuten Entzündungsstadium! Blutuntersuchungen: z.B. Nierenfunktionsparameter oder PSA-Wert (prostataspezifisches Antigen) und weitere Tumormarker (ATP, β-HCG, PLAP, LDH) bildgebende Verfahren: z.B. transrektale Sonografie der männlichen Geschlechtsorgane oder Zystografie (Röntgenverfahren unter Kontrastmittel bei liegendem DK) urodynamische Untersuchungen: Urodynamik Prostatastanzbiopsie: dient zur Diagnose eines Prostatakarzinoms. Präoperativ wird evtl. ein Klysma zur Enddarmreinigung verabreicht. Nach dem Eingriff darf der Patient 4 Wochen kein Fahrrad fahren, nicht schwer heben und keine heißen Bäder nehmen.

55.2.4 Prostatitis Definition Prostatitis Eine Prostatitis ist eine Entzündung der Prostata.

55.2.4.1 Ursachen und Symptome Die Prostatitis ist meistens Folge einer bakteriellen Infektion der ableitenden Harnwege oder des Nebenhodens. Die Patienten leiden unter Fieber, Schmerzen beim Harnlassen (Dysurie) und einer unvollständigen Blasenentleerung. Der Urin ist mitunter rötlich tingiert (Hämaturie). Bei der rektalen Tastuntersuchung bzw. Defäkation ist die Prostata schmerzhaft. Bei einer eitrigen Einschmelzung (Abszess) im Rahmen der akuten Prostatitis können die Bakterien in die Blutbahn gelangen und eine ▶ Sepsis verursachen.

55.2.4.2 Therapie und Pflege Therapeutisch erhalten die Patienten eine i.v.-Antibiose, entzündungshemmende und schmerzstillende Medikamente und ggf. einen DK bzw. suprapubischen Katheter (SPK) zur Gewährleistung des Harnabflusses. Die Betroffenen sollten Bettruhe einhalten. Bei einem Prostataabszess wird eine Drainage gelegt. Pflegende beobachten den Urin, führen die ▶ Katheterpflege durch, sorgen für die Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.11) und unterstützen den Patienten bei der Einhaltung der Bettruhe.

55.2.5 Benigne Prostatahyperplasie Definition

Benigne Prostatahyperplasie Bei der benignen Prostatahyperplasie (BPH, Prostataadenom) ist die Prostata aufgrund einer Vermehrung von Drüsenzellen vergrößert.

55.2.5.1 Ursachen und Symptome Auslöser ist vermutlich ein Ungleichgewicht zwischen Östrogenen und Testosteron. Betroffen sind sehr viele Männer jenseits des 50. Lebensjahrs. Symptomatisch leitend sind Probleme beim Urinieren: Der Harnstrahl ist abgeschwächt (oft mit „nachträufeln“). Hinzu kommt Pollakisurie, Nykturie und starker Harndrang mit Schmerzen.

55.2.5.2 Therapie Stadium I (Probleme beim Wasserlassen, ohne Restharn): Medikamentöse Therapie mit pflanzlichen Präparaten (Kürbissamen, Brennnesselwurzel) oder mit Medikamenten, die entweder zur Verringerung des Auslasswiderstandes (α1-Rezeptorblocker, z.B. Tamsolosin) oder zur Verkleinerung der Prostata (5αReduktasehemmer, z.B. Finasterid) führen. Stadium II + III (Probleme beim Wasserlassen, mit Restharn): operative Therapie mittels transurethraler Elektrosektion der Prostata (TUR-P). Bei Patienten mit sehr großer Prostata muss ggf. eine offene Operation (Adenomenukleation) durchgeführt werden. Der Harnabfluss im Stadium III muss durch einen DK sichergestellt werden.

55.2.5.3 Pflege bei OP Neben den allgemeinen perioperativen Pflegemaßnahmen (siehe Kap. ▶ 39) gibt es bei einer TUR-P folgendes zu beachten:

präoperativ: u.a. Enddarmreinigung mittels Klysma am Vorabend, Information des Patienten über strenge Bettruhe am OP-Tag postoperativ: engmaschige Kontrolle der Vitalparameter und Reduktion des Nachblutungsrisikos (u.a. durch Bettruhe am OP-Tag und Obstipationsprophylaxe) Überwachung der Spülung des Wundgebiets: Über SPK (Zufluss) und DK (Abfluss) läuft eine kontinuierliche Spülung mit 0,9 %iger NaCl-Lösung. Beobachtung des Urins (Blutkoagel?), Kontrolle der Zu- und Ableitungen (ggf. Verstopfung durch Blutkoagel?) und Bilanzierung am OP-Tag, bei Mengendifferenz Arztinformation und Bauchumfang messen (Verletzung der Harnblase?) Kostaufbau: Patient sollte am OP-Tag nüchtern bleiben, danach normale Kost. sonstige perioperative Maßnahmen, z.B. Thromboseprophylaxe, Schmerzmanagement Information und Beratung für die ersten 6 Wochen nach OP: tägliche Trinkmenge mehr als 1,5 l (nach Beendigung der Spülung) Hämaturie postoperativ möglich (ggf. vermehrte Blutung bei Lösung des Wundschorfs am 7.–14. Tag) sowie Pollakisurie oder plötzlicher Harndrang Empfehlenswert ist ballaststoffreiche Kost und ggf. Milchzuckerpräparate zur Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.11). körperliche Schonung, kein Fahrradfahren, keine Vollbäder oder Saunabesuche, kein Geschlechtsverkehr

längerfristig: ärztliche Kontrollen wahrnehmen (z.B. Prostatakrebs-Früherkennungsuntersuchungen)

55.2.6 Prostatakarzinom Definition Prostatakarzinom Das Prostatakarzinom ist ein maligner Tumor, der vom Drüsengewebe der Prostata (Adenokarzinom) ausgeht.

55.2.6.1 Symptome Das Prostatakarzinom ist der häufigste bösartige Tumor beim Mann. Es tritt v.a. bei Männern ab 70 Jahren auf, wächst langsam und macht sich erst spät durch Blasenentleerungsstörungen oder Metastasen im Skelettsystem (z.B. Kreuzschmerzen) bemerkbar.

55.2.6.2 Diagnose PSA-Wert ist erhöht rektale Tastuntersuchung, transrektale Sonografie, Stanzbiopsie ggf. MRT, CT und Skelettszintigrafie

55.2.6.3 Therapie Am häufigsten wird die offene radikale Prostatektomie, ggf. in Kombination mit Bestrahlungen, durchgeführt. Hat der Tumor sich bereits in benachbartes Gewebe ausgebreitet, wird bei kurativer Intention unterstützend eine Hormontherapie durchgeführt. Die Operation erfolgt entweder perineal (Zugang über den Damm) oder retropubisch (Zugang über die Bauchdecke). Bei älteren Patienten mit wenig bis mittelgradig aggressivem Tumor

wird auf eine Therapie verzichtet, jedoch sind regelmäßige Kontrollen notwendig.

55.2.6.4 Pflege bei OP Neben den allgemeinen perioperativen Pflegebasismaßnahmen (siehe Kap. ▶ 39) sind bei einer Prostatektomie folgende Punkte wichtig: präoperativ: Das Zugangsgebiet (entweder Damm oder Unterbauch) und die Fixationsstelle des DK am Oberschenkel werden rasiert. Zudem wird der Patient darüber informiert, dass man ihm vorübergehend einen DK legen wird und er nach der OP (zumeist nur vorübergehend) evtl. inkontinent sein wird. postoperativ: engmaschige Kontrolle der Vitalparameter am OP-Tag Körperpflege: Duschen nach Frühmobilisation möglich, keine Bäder, solange DK liegt, Netzhosen und Vorlagen bereitstellen, Wunde am Damm nach Stuhlgang mit feuchtem Einmalwaschlappen reinigen und vorsichtig abtupfen ▶ Katheterpflege mit Beobachtung der Urinfarbe (Nachblutungsgefahr), Entfernen des DK am 8. postoperativen Tag nach Zystografie Mobilisation: frühestens nach 6 h und durch 2 Pflegekräfte, Aufrichten über Seitenlage, Sitzen erst ab 2. postoperativem Tag Drainage und Verbandwechsel: Dokumentation des Wundsekrets, Wunddrainage am 2. Tag entfernen nach Arztanordnung, Verbandwechsel alle 2 Tage oder bei Bedarf (siehe Kap. ▶ 27 und Kap. ▶ 29) Ernährung: am OP-Tag nur Wasser/Tee und Suppe, am 1. postoperativen Tag Aufbaukost, danach leichte

Kost, bei Bauchschnitt langsamerer Kostaufbau Ausscheidung: Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.11) Information und Beratung nach der OP: Der Patient hat Anspruch auf eine psychoonkologische Beratung und eine Anschlussheilbehandlung. kein Sport in den ersten 3 Wochen, keine Vollbäder und Saunabesuche in den ersten 4 Wochen, 3 Monate kein Fahrrad fahren ▶ Kontinenztraining regelmäßig durchführen Erektionsfähigkeit ist ggf. eingeschränkt (Tage bis Monate postoperativ). Ggf. auf urologische Sprechstunden zu diesem Thema hinweisen.

55.2.7 Hodentumoren Definition Hodentumoren Hodentumoren sind benigne oder maligne Zellneubildungen der Hoden.

55.2.7.1 Ursachen und Symptome Von Hodentumoren sind meistens Männer von 20–40 Jahren betroffen. Die (leider oft malignen) Hodentumoren fallen durch eine zunehmende schmerzlose Schwellung und durch ein Schwere- oder Druckgefühl des Hodensacks auf. Tastbar ist die Schwellung als derber Knoten. Hormonproduzierende Tumoren können zudem Schwellungen der Brustdrüsen (Gynäkomastie) verursachen.

55.2.7.2 Therapie und Pflege Übliche Therapie ist die Entfernung des betroffenen Hodens (Semikastration), ggf. mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung. Eine präoperative Kryokonservierung (Einfrieren von Sperma) ist empfehlenswert. Zudem kann erwogen werden, den entfernten Hoden durch ein Hodenimplantat zu ersetzen. Postoperativ sollte der Patient zeitnah mobilisiert werden. Da im Liegen die Schwellung jedoch leichter zurückgeht, sollte der Patient anschließend nur für die Körperpflege oder den Toilettengang aufstehen. Das Hochlegen des Hodens auf einem Hodenbänkchen und kühlende Auflagen unterstützen das Abschwellen. Weitere pflegerische Basismaßnahmen sind: Beobachtung von Verband (Intimsphäre wahren), Schwellung, Hämatombildung, Schmerzen und Urinausscheidung, Gesprächsbereitschaft signalisieren.

55.2.8 Hodentorsion Definition Hodentorsion Bei einer Hodentorsion sind der Samenstrang und der Hoden in der Längsachse verdreht. Dadurch ist die Blutversorgung des Hodens unterbrochen und es besteht ein Notfall.

55.2.8.1 Ursachen und Symptome Oft sind Säuglinge oder junge Männer (15- bis 25-Jährige) betroffen. Symptomatisch äußert sich die Hodentorsion durch plötzliche, stärkste Schmerzen im Hoden und in der Leistengegend. Begleitend können Übelkeit und Erbrechen auftreten, der Hoden kann bläulich verfärbt sein. Bei Säuglingen zeigen sich Unruhe, Nahrungsverweigerung,

andauerndes Schreien und Erbrechen. Es besteht kein Fieber.

55.2.8.2 Therapie und Pflege Therapeutisch gilt es, eine Nekrose des Hodens zu verhindern. Dies erfordert eine operative Reposition mit Orchidopexie (Fixierung des Hodens am Hodensack) innerhalb von 4–6 h nach Beginn der Symptomatik. Bis zur Operation sollte der Hoden gekühlt werden. Postoperativ gilt: Frühmobilisation, Hochlegen des Hodens (Hodenbänkchen), kühlen, weitere ▶ Pflegebasismaßnahmen

55.2.9 Phimose Definition Phimose Eine Phimose (Vorhautverengung) liegt vor, wenn sich die Vorhaut nach dem 3. Lebensjahr nicht oder nur unter Schmerzen hinter die Eichel zurückstreifen lässt.

Definition Paraphimose Bei der Paraphimose klemmt eine zu enge, zurückgeschobene Vorhaut die Eichel ein. Das kann eine Nekrose der Eichel zur Folge haben und gilt als Notfall.

55.2.9.1 Ursachen und Symptome Bei kleinen Jungen unter 3 Jahren ist die Vorhaut physiologisch mit der Eichel verklebt. Wird zu früh versucht, die Vorhaut zurückzuschieben, kann dies durch die

Vernarbung zur Phimose führen. Phimosen können dann wiederum zu rezidivierenden Entzündungen führen und Probleme bei der Harnausscheidung und der Erektion hervorrufen. Bei einer Paraphimose sind Vorhaut und Eichel schmerzhaft, geschwollen und blaurot verfärbt.

55.2.9.2 Therapie und Pflege Therapie der Phimose ist die Zirkumzision (Beschneidung), also die Entfernung der Vorhaut. Pflegende achten beim Patienten nach der Zirkumzision u.a. darauf, dass es zu keinem Harnverhalt kommt. Zur Versorgung der Wunde kann ein Panthenolsalbenverband angelegt werden. Maßnahmen bei Säuglingen und Kindern: Kompressen mit Salbenauflagen auf Eichel schützen vor Verschmutzungen in Windel, kühle Bäder z.B. mit Kamillenextrakt mithilfe kleiner Becher (nach Arztanordnung), viel trinken lassen (verdünnter Urin brennt nicht so stark bei Miktion), beengende Kleidung und aufliegende Bettdecke vermeiden

KOMPAKT Wichtige Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane Prostatitis: Typische Symptome sind Dysurie, Hämaturie, unvollständige Blasenentleerung, Schmerzen und Fieber. Pflegerisch wichtig ist, für weichen Stuhlgang zu sorgen, auf Bettruhe zu achten und ggf. Wärme zu applizieren. benigne Prostatahyperplasie: Anwachsen der Prostata bis zu einer Größe, die Harnstau verursacht. Therapie z.B. mittels transurethraler Elektrosektion der Prostata (TUR-P). Postoperative Pflege: u.a. auf Nachblutungen achten,

Spülung des Wundgebiets über Spülkatheter, Kostaufbau, Verbandwechsel, für ballaststoffreiche Kost sorgen Prostatakarzinom äußert sich z.B. mit Blasenentleerungsstörungen oder Rückenschmerzen (Metastasen). Therapie ist häufig die radikale Prostatektomie. Pflegerisch wichtig ist nach einer OP u.a. die Vitalzeichenkontrolle, Urinbeobachtung auf Hämaturie (Nachblutungsgefahr), Drainagepflege, Wundpflege, Mobilisation und Obstipationsprophylaxe. Wichtig ist zudem die Unterstützung bei postoperativer Inkontinenz. Hodentumor äußert sich als schmerzloser, derber Knoten sowie Schwere- und Druckgefühl im Hoden. Nach OP: Hoden hochlagern und kühlen. Hodentorsion: Notfall! Der Hoden muss rasch reponiert werden, sonst droht die Nekrose. Phimose: Vorhaut lässt sich wegen Vorhautverengung nicht über die Eichel zurückschieben. Therapie: Zirkumzision

56 Pflege von Menschen mit Erkrankungen der Psyche 56.1 Bedeutung für den Patienten

Psychische Erkrankungen verändern das Leben eines Menschen von Grund auf. Im sozialen Umfeld und im Berufsalltag kommt es häufig zu Konflikten – die Betroffenen fühlen sich ungerecht behandelt und missverstanden. Mitunter werden sie ausgegrenzt, diskriminiert und stigmatisiert. Umso wichtiger ist es für Pflegende, diesen Menschen wertschätzend, vorurteilsfrei und sensibel zu begegnen.

56.2 Pflegebasismaßnahmen Einen großen Teil der Pflege nehmen die Krankenbeobachtung und das Führen von Gesprächen ein. Beobachtungen sind bedeutsam für den therapeutischen Prozess und werden in Pflegedokumentation und Verlaufsbericht aufgenommen. Wahrnehmen und Beobachten: Symptome wie Aufregung, Nervosität, Anspannung, Unsicherheit, Ängstlichkeit, Aggressivität, depressive oder manische Stimmung, unangemessenes Verhalten, Desorientierung, Verwirrtheit, Wahn- oder Verfolgungsideen, Halluzinationen ernst nehmen und den Arzt informieren Objektive und subjektive Beobachtung (s.u.) Sonstige Basismaßnahmen: potenzielle Suizidalität ernst nehmen und reagieren Antriebslosigkeit: Struktur und Motivation geben, für regelmäßige Mahlzeiten und Schlafphasen sorgen, bei Körperpflege unterstützen, Begleitung bei alltäglichen Tätigkeiten

passendes Wohn-/Versorgungssetting: Wohngruppe, teilstationäre oder ambulante Versorgung Pflegefachkräfte sind Beispiele/Vorbilder: Sicherheit vermitteln, wertschätzend sein, auch in schwierigen Situationen

56.3 Mitwirken bei der Diagnostik und Therapie Ein ganzheitliches Bild des Pflegeempfängers auf der Basis einer engen Zusammenarbeit aller Berufsgruppen ist wesentlich für das Gelingen einer Behandlung. Pflegende haben eine zentrale Rolle in der Gestaltung der Beziehung zum Pflegeempfänger und können in einem ▶ Bezugspflegesystem diesen besonders gut kennen lernen. In interdisziplinären Fallbesprechungen bringen sie ihre Beobachtungen im Umgang mit dem zu Pflegenden ein.

56.3.1 Pflegerische Beobachtung objektive Beobachtung: z.B. Vitalparameter, Blutzucker, Körpergröße, Gewicht, Drogenscreenings und Alkoholtests subjektive Beobachtung: z.B. Stimmungslage, Orientierungsfähigkeit, Sozialverhalten, Compliance Assessmentinstrumente: z.B. Beurteilung der Delirgefährdung durch Confusion Assessment Method (CAM)

56.3.2 Professioneller Beziehungsaufbau

Die ▶ professionelle Beziehungsgestaltung ist eine der wichtigsten Aufgaben von Pflegenden im psychiatrischen Arbeitsalltag. Eine professionelle Beziehung unterscheidet sich von einer Alltagsbeziehung. Dafür sollten Pflegende folgende Aspekte beachten: zeitliche Begrenzung: Eine professionelle Beziehung hat einen definierten Anfang und ein definiertes Ende. definiertes Ziel: Unterstützung des Pflegeempfängers bei der Genesung Nähe und Distanz: Nähe ermöglicht eine empathische Begegnung. Trotzdem muss Distanz gewahrt sein, um emotionale Verstrickung zu verhindern. Offenheit und Wertschätzung: Grundhaltung für eine personenzentrierte Pflege Lernmodell: Pflegende sind oft Vorbild für psychisch Erkrankte, da diese sich keine Handlungsalternativen ableiten können. Wichtig ist dabei, dass Pflegende authentisch bleiben. Reflexion: Herausfordernde Situationen werden in kollegialen Gesprächen, Supervisionen oder Teamsitzungen reflektiert.

56.3.3 Psychotherapie Die Psychotherapie soll den Pflegeempfänger bei der Krankheitsbewältigung unterstützen. Er und ggf. die Angehörigen setzen sich dabei aktiv mit Symptomen und Ursachen der Erkrankung auseinander. Mit speziellen Methoden lernen sie, wie sie mit der Erkrankung im Alltag bestmöglich umgehen können. Wichtige Ansätze sind: Verhaltenstherapie systemische Familientherapie

Psychoanalyse tiefenpsychologische Verfahren Psychoedukation (Information und Schulung zur Erkrankung) ▶ Aufgaben der Pflege. Pflegende unterstützen die Psychotherapeuten bei ihrer Arbeit. Aufgaben, die sie z.B. übernehmen, sind: Ablauforganisation: Koordination, Begleitung und Schnittstellenmanagement zwischen ärztlichem Dienst, Fachtherapien und Psychotherapie Stationsablauf und -regeln erklären Bezugspflegeaufgaben: Pflegeprozess durchführen Reflexion von Verhalten und Förderung der Therapiemotivation Durchführung begleitender therapeutischer Interventionen, Beratung von Angehörigen Psychoedukation: Vermittlung von Wissen über die Krankheit und den Umgang mit ihr Herstellen von Akzeptanz der Erkrankung, Compliance und Adhärenz in der Therapie

56.3.4 Medikamentöse Therapie Zu den Aufgaben Pflegender zählen: Medikamentengabe: Sie erfolgt aufgrund oft geringer Krankheitseinsicht i. d. R. unter Aufsicht.

Beobachtung: Nebenwirkungen (z.B. Zittern, Schwitzen, Appetitsteigerung) sollten aufmerksam beobachtet und dokumentiert werden. Bei älteren Pflegeempfängern können Psychopharmaka eine erhöhte Sturzgefahr bewirken (Sturzprophylaxe! Siehe Kap. ▶ 17.14). Information und Beratung: Informationen zur Medikamenteneinnahme, auch zur Auflösung von Ängsten („Werde ich abhängig?“), verbessern die Akzeptanz der Medikamentengabe. Laborkontrollen: Medikamentenspiegelkontrollen vorbereiten oder bei entsprechender Qualifikation ggf. selbst durchführen. Eine Übersicht über die gängigsten Medikamente bei psychischen Erkrankungen zeigt ▶ Tab. 56.1 . Tab. 56.1 Die wichtigsten Medikamente bei psychischen Erkrankungen. Wirkstoffe

Eigenschaften/Anwendung Nebenwirkungen und Beobachtung

Benzodiazepine z.B. Bromazepam, Diazepam, Midazolam

beruhigende, krampflösende, schlaffördernde Wirkung bei Angstzuständen, Depressionen, Schlafstörungen

u.a. Müdigkeit, verlangsamte Reaktion Schwindel, Obstipation Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (auch Alkohol) hohes Abhängigkeitspotenzial

Neuroleptika (Antipsychotika)

Wirkstoffe

Eigenschaften/Anwendung Nebenwirkungen und Beobachtung

typische Neuroleptika: z.B. Haloperidol, Thioridazin

Antipsychose (verhindern Halluzinationen, Wahn, Angstzustände)

atypische Neuroleptika: z.B. Clozapin, Olanzapin, Risperidon

bei Alkoholdelir und Angstzuständen

Bewegungsstörungen (z.B. Dyskinesien, Muskelzuckungen) Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.14) Agranulozytose malignes neuroleptisches Syndrom

Antidepressiva z.B. Fluoxetin (SSRI; selektiver Serotonin„Reuptake“-Inhibitor), Amitryptilin (trizyklisches Antidepressivum), Moclobemid (MAOHemmer), Lithium (Leichtmetall), Johanniskraut (Phytotherapeutikum)

stimmungsaufhellende und antriebssteigernde Wirkung

u.a. Mundtrockenheit, Schwindel, gastrointestinale Störungen, Müdigkeit ggf. zu Beginn gesteigerte Suizidgefahr bei Lithium: leichter Tremor, Polyurie, Durst

56.3.5 Herausfordernde Situationen bewältigen Im psychiatrischen Umfeld ergeben sich häufig herausfordernde Situationen. Beispiele sind aggressives oder suizidales Verhalten.

56.3.5.1 Aggressives Verhalten Formen der Aggression: verbale Aggression: z.B. Schimpfen, Beleidigen, Drohen nonverbale Aggression: z.B. Spucken, verächtliches Wegschauen

körperliche Aggression: z.B. körperliche Gewalt oder Zerstörung von Gegenständen Autoaggression: selbstverletzendes Verhalten oder Suizidalität ▶ Umgang mit aggressiven Pflegeempfängern. Verhält sich ein zu pflegender Mensch gegenüber sich selbst oder seinem Umfeld aggressiv, muss die Ursache zeitnah erfasst werden. Das Personal darf sich dabei nicht von der aggressiven Stimmung anstecken lassen und sollte ruhig und sachlich bleiben (Hinweis: z.B. Stufenmodell zur Deeskalation von Gewalt und Aggression beachten!). Im psychiatrischen Umfeld sollten alle Mitarbeiter entsprechend geschult sein. Meist bahnt sich aggressives Verhalten über längere Zeit an. Wird es frühzeitig erkannt, sollte der Pflegeempfänger von seiner Bezugspflegefachkraft in einem 1:1-Gespräch darauf angesprochen werden. Sie kann dem Pflegeempfänger dann Angebote zur Ablenkung machen (z.B. kurzes Gespräch, Spaziergang). Hilft dies nicht und ist er weiter akut aggressiv, kann es notwendig sein, freiheitsbeschränkende Maßnahmen einzusetzen. Zur rechtlichen Situation siehe Kap. ▶ 7.3.6 „Freiheitsbeschränkende Maßnahmen“.

56.3.5.2 Suizidales Verhalten ACHTUNG Äußert ein Pflegeempfänger Suizidgedanken, müssen diese immer ernst genommen werden. Suizidale Pflegeempfänger darf man mit ihren Gedanken niemals allein lassen. Die Pflegefachkraft sollte folgende Aspekte umsetzen:

In der Akutpsychiatrie Arztinformation potenziell gefährliche Gegenstände (scharfe Gegenstände, Schnürsenkel, Medikamente) entfernen ggf. möglichst reizarme Umgebung (insbesondere bei Wahnvorstellungen) 1:1 Betreuung In der ambulanten Pflege das Thema Suizid direkt ansprechen und nachfragen: Woher kommen die Suizidgedanken? Gibt es einen konkreten Plan? Was wären Alternativen? Gibt es noch positive Dinge im Leben? Unterstützende Ressourcen (z.B. Familie, Kirche …)? die Lage richtig einschätzen: Entspannt sich die hochakute Situation (zu) schnell, ist erhöhte Wachsamkeit geboten. Es kann sein, dass der zu Pflegende dies nur vortäuscht, um schnell aus dem 1:1Kontakt zu gelangen. psychiatrische Hilfe anbieten: Kann sich der Pflegeempfänger nicht von seinen Suizidgedanken distanzieren, müssen Hilfsangebote gemacht werden. Möglich ist z.B. eine Intervention auf einer psychiatrischen Akutstation oder im ambulanten Bereich die Information des sozialpsychiatrischen Dienstes. Reagieren Pflegefachkräfte auf die Suizidgedanken eines Pflegeempfängers nicht, so ist dies eine Straftat. das Gespräch dokumentieren: Dies muss unbedingt geschehen, auch wenn der Pflegeempfänger es nicht möchte. Das Team muss über eine Suizidgefährdung informiert werden.

selbst Hilfe suchen: Der Umgang mit suizidalen Menschen belastet und kann hilflos machen. Involvierte Pflegende sollten deshalb Austausch und Unterstützung suchen. Bei Jugendlichen Ursachen: emotionale Impulsivität und Instabilität führen dazu, dass belastende Erfahrungen als aussichtslos eingeschätzt werden. Aber auch eine ▶ Depression kann dazu führen. Anzeichen: Perspektivlosigkeit, Interessen- und Hoffnungslosigkeit, Rückzug von Hobbys/Aktivitäten, gestörte Beziehungsfähigkeit und soziale Isolation, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme, tiefe Traurigkeit und Verzweiflung, Verlust von Zukunftsvorstellungen und Selbstmordfantasien. Nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten (NSSV) muss als Form der Autoaggression ernst genommen werden, denn dies kann durch „Schneiden“ an den Unterarmen auch lebensgefährliche Verletzungen verursachen. Jungen verüben oft „härtere Methoden“ (Erhängen, Erschießen, Hinabstürzen), deshalb führen diese Suizidversuche häufiger zum Tod. Wiederholungsgefahr eines Suizidversuches in den ersten 12 Monaten erhöht Umgang: Schutz vor schädigenden Handlungen (z.B. durch Aufsicht), ernst nehmen (Akzeptanz der Person), Konflikte verbalisieren (z.B. durch das Angebot von Gesprächen), Selbstwertgefühl stärken (z.B. durch Berücksichtigung der Hobbies und Interessen)

KOMPAKT

Pflege bei Erkrankungen der Psyche pflegerische Beobachtung: objektiv, subjektiv und gestützt auf Assessments professioneller Beziehungsaufbau: trotz empathischer Nähe Distanz wahren mitwirken bei medikamentöser Therapie: Gabe i.d.R. unter Aufsicht, Beobachtung, Information und Beratung, Spiegelkontrollen (durchführen) herausfordernde Situationen bewältigen: Stufenmodell zur Deeskalation von Gewalt und Aggression beachten (Gefährdungs-)Lage des zu Pflegenden und seines Umfelds richtig erfassen und einschätzen bei Aggression: Ruhe bewahren; bei fortgesetzter Aggression freiheitsbeschränkende Maßnahmen erwägen suizidale Pflegeempfänger mit ihren Gedanken nie allein lassen selbst (kollegiale) Hilfe suchen

56.4 Psychosen des schizophrenen Formenkreises 56.4.1 Schizophrenie Definition

Schizophrenie Die Schizophrenie ist eine psychische Störung, die viele Dimensionen menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns beeinträchtigt. Die Betroffenen leiden unter Wahn, Halluzinationen, Wahrnehmungsstörungen, Auffälligkeiten des Denkens und Ich-Störungen. Oft können sie zwischen der Realität und ihrer „verzerrten“ Wahrnehmung nicht mehr unterscheiden. Betroffen ist 1 % der Bevölkerung. In den meisten Fällen beginnt die Erkrankung zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr.

56.4.1.1 Ursachen Bei der Schizophrenie wird eine multifaktorielle Entstehung vermutet. Folgende Ursachen werden diskutiert: genetische Faktoren: Es besteht eine familiäre Häufung. neurobiologische Faktoren: Häufig besteht eine Überoder Unterfunktion von Nervenzellen, die ihre Informationen mit Dopamin oder Glutamat übertragen. strukturelle Veränderungen des Gehirns: Die Liquorräume vieler Pflegeempfänger sind vergrößert. erworbene Gehirnschädigungen: Frühkindliche Hirnschädigungen, z.B. durch Virusinfektionen in der Schwangerschaft oder Asphyxie unter der Geburt, sind ein Risikofaktor. psychosoziale Faktoren: Viele Erkrankte stammen aus „High-expressed-Emotions“-Familien. Das heißt, sie wurden/werden als Kind mit übertriebener Kritik, feindseliger Ablehnung, Überbehütung oder allem zusammen konfrontiert. Auch sonstige belastende Lebensereignisse (z.B. Missbrauch) können das Risiko erhöhen.

56.4.1.2 Symptome Die Symptome werden untergliedert in: Plus- oder Positivsymptome (Aspekte, die im Vergleich zu Nichterkrankten hinzukommen): Wahneinfälle oder Wahnvorstellungen (z.B. Verfolgungswahn bei „paranoider Schizophrenie“) Halluzinationen (z.B. Stimmenhören) Ich-Störungen (z.B. Fremdheitsgefühl gegenüber dem eigenen Ich) Denkstörungen (z.B. starke Gedankensprünge) Minus- oder Negativsymptome (psychische Aspekte, bei denen den Erkrankten etwas fehlt): Antriebslosigkeit Niedergeschlagenheit Gefühlsarmut Psychomotorische Störungen, z.B.: verlangsamte Bewegungen eingeschränkte Mimik und Gestik

56.4.1.3 Therapie medikamentöse Therapie: v.a. Neuroleptika (z.B. Risperidon) Psychotherapie: v.a. Psychoedukation Soziotherapie: u.a. Förderung der sozialen Fähigkeiten

56.4.1.4 Pflege Mitwirken bei der Therapie Medikamente: Die Applikation kann sich durch Wahnvorstellungen (z.B. Vergiftungswahn) schwierig gestalten. Achtung: Ein Untermischen von

Medikamenten in Speisen oder Getränke ist trotzdem nicht zulässig (Körperverletzung). Kommunikation: Stellen Sie Wahn, Ängste und Halluzinationen nicht infrage! Eine Kommunikation rund um sachliche Themen, z.B. aktuelle Ereignisse, Hobbys, Sport, kann den Realitätsbezug des Erkrankten fördern. Die Kommunikation sollte klar und eindeutig sein. Kurze Fragen mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten lassen, um präzise Antworten zu bekommen. Themen wie Religion und Philosophie sollten nicht angesprochen werden, da sie zu abstrakt oder wahnhaft besetzt sind. Seien Sie authentisch und sachlich und achten sie auf ein angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis. Reflexion: Interdisziplinäre Teambesprechungen und Supervisionen sind zur Behandlung des Pflegeempfängers wichtig. Ist die Bezugspflegefachkraft wahnbesetzt, müssen Zuständigkeiten für ihn personell neu geregelt werden. Struktur geben: Compliance kann durch psychoedukative Gruppensitzungen mit Betroffenen gefördert werden, die Pflegende selbstständig oder in Kooperation mit Ärzten durchführen. Beobachtung und Pflegebasismaßnahmen Suizidalität: Schizophrene Menschen haben ein erhöhtes Suizidrisiko (10–15 % sterben durch Selbsttötung). Diese Gefährdung erstreckt sich nicht nur auf die Akutphase, sondern auch auf die Zeit, in der der medikamentös eingestellte Pflegeempfänger seine Situation reflektiert. In Akutphasen kann auch fremdaggressives Verhalten auftreten. Beides können Pflegende rechtzeitig wahrnehmen, wenn sie eine professionelle Beziehung zum Pflegeempfänger aufgebaut haben (wichtig: genaue Beobachtung!).

Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Erkrankte können in akuten schizophrenen Phasen ein Ernährungsoder Flüssigkeitsdefizit aufweisen. Bei Vergiftungswahn sollten ihm ungeöffnete oder abgepackte Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden. Körperpflege: Die eigene Körperpflege ist evtl. beeinträchtigt. Feste Duschtage und das Anbieten von Alternativen wie Baden oder Waschen helfen, eine Regelmäßigkeit aufzubauen. Schlafverhalten: Bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen helfen entspannende Abendrituale (siehe auch Kap. ▶ 15.6) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Psychoedukation Wichtigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme vermitteln geordnete Tagesstruktur etablieren sozialen Rückzug oder Reizüberflutung vermeiden Entlassungsmanagement und weiterführende Betreuung: z.B. ambulante Hilfen und Beratungsstellen Auf Selbsthilfegruppen verweisen

KOMPAKT Schizophrenie Hauptmerkmal: „Verzerrungen“ vieler Bereiche der Psyche wie des Denkens und der Wahrnehmung sowie des Gefühlslebens Plussymptome: z.B. Wahn, Halluzinationen, Ich- und DenkStörungen Negativsymptome: fehlender Antrieb, Gefühlsarmut

Ursache: vermutlich multifaktoriell (genetische Veranlagung, neurobiologische Defekte im Transmittersystem, evtl. zusätzlicher infektiöser Faktor, oft Herkunft aus „High-expressed-Emotions-Familien“) Therapie: Medikamente (v.a. Neuroleptika), professioneller Beziehungsaufbau und Psychoedukation Pflege: erhöhte Suizidgefahr beachten, defizitäres Ernährungs- und Trinkverhalten erkennen, auf regelmäßige Medikamenteneinnahme achten, Wahngedanken nicht wegdiskutieren, Vorbild für Realitätsbezug geben

56.5 Affektive Störungen 56.5.1 Depression Definition Depression Leitsymptome einer Depression sind Niedergeschlagenheit, Interessenverlust und verminderter Antrieb oder Aktivität. Der Betroffene fühlt eine tiefe innere Leere. Physische Symptome sind Appetitlosigkeit, Übelkeit, Gewichtsverlust, Erschöpfung. Depressive Erkrankungen zählen zu den häufigsten psychischen Leiden. Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und Erwachsene können eine Depression entwickeln. Etwa 18 von 100 Menschen sind im Laufe ihres Lebens von der Erkrankung betroffen.

56.5.1.1 Ursachen

Biologische Einflussfaktoren: familiäre Prädisposition, Ungleichgewicht der Botenstoffe Serotonin, Dopamin und Noradrenalin im Gehirn Psychische Einflussfaktoren: traumatische Erlebnisse, chronische Überforderung Soziale Einflussfaktoren: Isolation, Ausgrenzung, gefühlte Überforderung im Leben

56.5.1.2 Symptome Eine Depression äußert sich: im Denken (z.B. Konzentrationsschwierigkeiten, Selbstvorwürfe, Grübeln) in den Emotionen (z.B. Angst, Sinnlosigkeit) im Verhalten (z.B. sozialer Rückzug, Lustlosigkeit) im Körper (z.B. Kopfschmerzen, Engegefühl in der Brust) Bei Kindern: spielen wenig, kein Interesse an Freundschaften, unsicher im Umgang mit anderen Menschen, Selbstzweifel, ggf. autoaggressives Verhalten

56.5.1.3 Therapie medikamentöse Therapie: v.a. Antidepressiva (z.B. Fluoxetin, Paroxetin) nicht-medikamentöse Therapie: Gesprächstherapie Bewegungstherapie Schlafentzugstherapie (totaler Schlafentzug, partieller Schlafentzug oder Schlafphasenverlagerung) Elektrokrampftherapie (Auslösung eines epileptischen Anfalls mit Stromstößen unter

Vollnarkose)

56.5.1.4 Pflege Mitwirken bei der Therapie Medikation: Antidepressiva sollten regelmäßig und kontrolliert verabreicht werden. Antidepressiva können in Überdosis und in Kombination mit Alkohol lebensbedrohlich sein. Pflegende achten darauf, dass Antidepressiva nicht vom Pflegeempfänger gesammelt werden und für einen Suizidversuch missbraucht werden. Schlafentzugstherapie: Pflegende wecken die Pflegeempfänger entsprechend dem Behandlungsplan und beschäftigen und begleiten sie am Folgetag und in der Nacht. Bereits kurze zusätzliche Schlafphasen können das Ergebnis negativ beeinflussen. Achtung: Schlafentzug kann Kreislaufprobleme verursachen (Vitalwerte kontrollieren). in Phasen der Antriebssteigerung: Hinweise auf Suizidalität besonders aufmerksam registrieren. Pflegebasismaßnahmen und Beobachtung Vitalparameter: physische Beschwerden (z.B. Schwindel, Herzrasen) ernst nehmen und Vitalparameter überprüfen (siehe Kap. ▶ 14.4) Kommunikation: Gespräch- und Beschäftigungsangebote machen, positives Feedback geben, Kontakte ggf. kurz halten und dafür in häufigeren Abständen (Konzentrationsfähigkeit der Betroffenen oft eingeschränkt) Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme: Antriebs- und Appetitlosigkeit können zum Flüssigkeits- bzw. Ernährungsdefizit führen (motivationale Anreize schaffen, Vorlieben erfragen). Ebenso können

appetitsteigernde Antidepressiva zur Überernährung führen. Pflegende sprechen den zu Pflegenden gezielt darauf an. Alkohol vermeiden! Körperpflege und Ausscheiden: Starkes Schwitzen und mangelnder innerer Antrieb zur Körperpflege können Körpergeruch verursachen. Pflegende sprechen zu Pflegende dezent darauf an und motivieren zur Körperpflege. Als pflegerisches Grundprinzip gilt es, die Balance zwischen Aktivierung und Vermeidung von Überforderung zu finden. Viele Depressive leiden an Obstipation. Pflegende führen entsprechende prophylaktische Maßnahmen durch (siehe Kap. ▶ 17.11). Schlafverhalten: Menschen mit Depressionen leiden häufig unter Einschlafstörungen. Pflegende unterstützen bei der Etablierung von Ritualen rund um das Zubettgehen (z.B. Entspannungsmusik, Hörbücher, Aroma-Fußbäder, siehe auch Kap. ▶ 15.6) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Psychoedukation auf regelmäßige Einnahme der Antidepressiva sowie auf Wirkungen und Nebenwirkungen hinweisen, kein Absetzen der Medikamente ohne ärztliche Begleitung sozialen Rückzug vermeiden: Angebote zum Empfang von Freunden und Angehörigen. Wichtigkeit sozialer Kontakte zur Alltagsbewältigung betonen bei der Tagesstrukturierung helfen, z.B. mithilfe eines Wochenplans, evtl. ambulanten psychiatrischen Pflegedienst einschalten Zugang zu Selbsthilfegruppen herstellen, Angehörige einbinden

56.5.2 Manie

Definition Manie Manisch erkrankte Menschen zeigen übertrieben sorglose Heiterkeit, gesteigerten Antrieb, Überaktivität und Selbstüberschätzung. Insgesamt ist die Stimmung unangemessen gehoben.

56.5.2.1 Ursachen und Symptome Eine Manie ist auf die Wechselwirkung verschiedener Faktoren zurückzuführen: genetische Disposition, Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn und Umwelteinflüsse. Es müssen mindestens 3 der genannten Symptome bestehen, um von einer manischen Störung ausgehen zu können: auffallendes Gefühl von Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit, gesteigerte Geselligkeit und Vertraulichkeit, Überaktivität, Rededrang, gesteigerte Libido, vermindertes Schlafbedürfnis, Selbstüberschätzung und Verlust sozialer Hemmungen.

56.5.2.2 Therapie und Pflege Eine stationäre Aufnahme (evtl. mit richterlichem Beschluss) von manisch erkrankten Menschen ist aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht oft unumgänglich. In der stationären Therapie steht die Einstellung auf Medikamente (Antidepressiva oder Neuroleptika) an erster Stelle. Nach der akuten Phase kann mit einer Psychotherapie begonnen werden. Pflegerisch sind folgende Aspekte zu beachten: Betroffene Patienten suchen i.d.R. vermehrt Kontakt. Deshalb besonders auf ein angemessenes NäheDistanz-Verhältnis achten.

In einer manischen Phase verfallen viele Patienten einem Kaufrausch. Dies ist bei gemeinsamen Einkäufen zu berücksichtigen. Geschenke dürfen von Pflegenden in diesen Phasen keinesfalls angenommen werden.

56.5.3 Bipolare affektive Störung Häufig verläuft eine affektive Störung „bipolar“. Das bedeutet: Manische und depressive Phasen wechseln sich ab. Bei Mischformen aus affektiven und schizophrenen Symptomen spricht man von einer schizoaffektiven Psychose.

56.5.3.1 Ursachen Erstmanifestation meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr (Männer und Frauen gleichermaßen) Gleichgewicht zwischen Noradrenalin und Serotonin ist gestört. genetische Disposition (familiäre Häufung)

56.5.3.2 Symptome manische Episode: z.B. Euphorie, Antriebssteigerung, Selbstüberschätzung (Größenwahn), Ablenkbarkeit, Ideenflucht, Logorrhö, Halluzinationen, fehlende Krankheitseinsicht, Schlaflosigkeit, übermäßige Geldausgaben depressive Episode: z.B. Dysphorie, Antriebsminderung, Hypersomnie, Gedankenkreisen, Konzentrationsstörungen, Suizidgedanken, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit

56.5.3.3 Therapie

Akutphase: stationäre Behandlung und medikamentöse Therapie (Neuroleptika), Wach- und Elektrokrampftherapie depressive Phase: ggf. ambulante oder stationäre Behandlung und medikamentöse Therapie (Antidepressiva) Dauermedikation oft mit Lithium Psychotherapie Psychoedukation: Patient soll lernen, eine beginnende Krankheitsepisode frühzeitig zu erkennen und Hilfe zu suchen

ACHTUNG Besonders in unbemerkten depressiven Episoden ist die Suizidalität hoch! 20 % der Patienten sterben durch einen Suizid.

56.5.3.4 Pflege Gespräche anbieten, immer wieder Bezug zur Realität herstellen auf suizidale Äußerungen achten und diese ernst nehmen Überforderung vermeiden, kleine Fortschritte positiv bestätigen, Probleme nicht bagatellisieren bei der Alltagsgestaltung unterstützen Medikamenteneinnahme überwachen (oft ist die Medikamenten-Compliance gering, besonders in der manischen Phase) bei Schlafstörungen: Schlafrituale erfragen (z.B. warmes Bad, Tasse Tee, siehe auch Kap. ▶ 15.6)

Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17.11) Angehörige über Erkrankung und Verlauf informieren, um sie im Umgang mit dem Patienten zu stärken (siehe Kap. ▶ 22) Angehörigen ggf. Kontaktadressen von Angehörigengruppen vermitteln

KOMPAKT Affektive Störungen Formen: Depression (Niedergeschlagenheit, Interessenverlust, verminderter Antrieb, Rückzug, Angst), Manie (gesteigerter Antrieb, übertriebene Fröhlichkeit, Überaktivität) und Mischform „bipolare affektive Störung“ Therapie: medikamentös (v.a. Antidepressiva) und nichtmedikamentös (Gesprächstherapie, evtl. Schlafentzugstherapie oder Elektrokrampftherapie bei Depression) Pflege: Psychoedukation, Hilfe zur Alltagsstrukturierung, Motivation zur Körperpflege und regelmäßigen Medikamenteneinnahme, Ernährungs- und Trinkverhalten beobachten Achtung: bei Depression jeden Hinweis auf Suizidalität aufmerksam registrieren; bei Manie auf angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis achten

56.6 Sucht und Abhängigkeit Definition

Abhängigkeit Wer abhängig ist, spürt das unwiderstehliche Verlangen nach dem Konsum einer Substanz oder nach einem bestimmten Verhalten (sog. „Craving“). Wird das Verlangen befriedigt, kommt es zu einem kurzweiligen gehobenen Erlebniszustand. Man unterscheidet 2 Formen der Abhängigkeit: substanzgebundene Abhängigkeiten: Alkohol, Drogen nicht substanzgebundene Abhängigkeiten: z.B. Spielsucht, Kaufsucht, Arbeitssucht, Internetsucht

56.6.1 Alkoholabhängigkeit In Deutschland sind etwa 1,3 Millionen Menschen alkoholabhängig. Damit sind Alkoholkranke die größte Patientengruppe in psychiatrischen Kliniken. Alkoholismus hat nicht nur soziale Folgen wie Rückzug, Einsamkeit, Diskriminierung und Arbeitslosigkeit. Er ist auch schädlich für die körperliche Gesundheit ( ▶ Abb. 56.1). Körperliche Folgen von Alkoholismus. Abb. 56.1  (Aus: I care Krankheitslehre. Stuttgart: Thieme; 2020)

56.6.1.1 Ursachen Alkoholismus ist meist multifaktoriell bedingt: biologische (Veranlagung), psychische (z.B. Trauma in Kindheit) und soziale Faktoren (Freundeskreis) spielen eine Rolle.

56.6.1.2 Symptome Eine Alkoholsucht kann sich unterschiedlich äußern und die Ausprägung der Symptome ist abhängig vom Schweregrad der Abhängigkeit: körperlich: siehe ▶ Abb. 56.1 psychisch: Gedankenkreisen um Alkohol, Gereiztheit, depressive Verstimmung sozial: Ausgrenzung, Verlust des Arbeitsplatzes, teilweise verbale und/oder körperliche Gewalt, Vernachlässigung von Interessen und sozialen Kontakten, Schwierigkeiten in der Partnerschaft

56.6.1.3 Therapie Die Therapie gliedert sich in 3 Phasen: Entgiftung bzw. „Entzug“ Entwöhnung Rehabilitation

56.6.1.4 Pflege Mitwirken bei der Therapie Pflegende verabreichen auf Arztanordnung Medikamente, die den Patienten vor schweren Entzugssymptomen, z.B. Delirium tremens, schützen. Oft sind die Patienten in dieser Phase deprimiert. Motivation und Unterstützung sind in dieser Phase deshalb sehr wichtig. Angehörige sind unter Umständen von Ko-Abhängigkeit betroffen. Pflegende fragen auch nach ihrem Befinden und motivieren sie, den Betroffenen zu unterstützen. Ablenkung des Patienten kann bei Craving helfen. Es können organisatorische Tätigkeiten begleitet übernommen werden (z.B. Post wegbringen, Laborgänge). Auch sensorische Anreize wie warmes/kaltes Duschen können angeboten werden. Versprechen und die Ankündigung von Konsequenzen müssen von der Pflegefachkraft auf Umsetzbarkeit und Angemessenheit hin überprüft werden, damit sie weiterhin glaubhaft für den Patienten sind. Viele Patienten ordnen sich in der Entwöhnung eine passiv-abhängige Rolle zu. Wichtig ist es, immer wieder zu betonen, dass der Patient für sein Verhalten und seine Entscheidungen selbst verantwortlich ist. Pflegende sollten den Patienten aber beim Aufbau einer neuen (abstinenten) Tagesstruktur unterstützen.

Die Gewöhnung an neue Regelmäßigkeiten betrifft auch die Körperpflege. Alkohol- und Drogentests werden z.B. bei Verdacht auf Rückfälle angewendet. Ggf. wird die Urinprobe in Begleitung einer gleichgeschlechtlichen Pflegefachkraft abgegeben, um Manipulationen auszuschließen. Die berufliche und soziale Wiedereingliederung erfolgt entweder stationär, teilstationär oder ambulant. In diesem Tätigkeitsfeld sind eher Sozialarbeiter als Pflegende aktiv. ▶ Beobachtung. Pflegende beobachten den Patienten (auch unter regelmäßiger Vitalzeichenkontrolle) auf Entzugssymptome und mögliche Anzeichen eines Alkoholdelirs: somatische Entzugssymptome: Frieren, Schwitzen, Zittern, Tremor, ▶ epileptische Anfälle, Herz-KreislaufProblematik mit Sturzrisiko, Schlafstörungen, MagenDarm-Beschwerden, Kopfschmerzen psychische Entzugssymptome: Angstzustände, Aggressivität, depressive Verstimmung, Nervosität, Konzentrationsschwäche, Nervosität, Halluzinationen, Orientierungsstörungen, ▶ Suizidgedanken Alkoholdelir (Delirium tremens): optische und akustische Halluzinationen, Desorientiertheit, Bewusstseinseintrübung, motorische und psychische Unruhe (Agitiertheit), Tremor, Schwitzen, starkes Zittern und Blutdruckkrisen.

ACHTUNG Ein Alkoholdelir ist lebensbedrohlich! Bei Verdacht: Arzt informieren!

▶ Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten. Die Beratung erfolgt begleitend zu den Phasen der Therapie: Entgiftung: Psychoedukation: Entzugssymptome und unterstützende Medikamente Maßnahmen zur Linderung bei Craving Entwöhnung: Risikofaktoren eines Rückfalls minimieren (ergeben sich u.a. aus Kontakt zu konsumierenden Personen und Suchtmittelbesitz) sinnvolle Tagesstruktur mit Beschäftigungen und sozialen Kontakten etablieren Möglichkeit zu regelmäßigen Gesprächen bieten Ressourcen wahrnehmen: z.B. Kontakt zu Vertrauenspersonen herstellen Gesundheitsförderung und Alltagsbewältigung: mit dem Patienten Interessen identifizieren und ihn in der Kontaktaufnahme mit Vereinen oder Kursen unterstützen Selbsthilfegruppen bieten neue Kontakte und Motivation für den Patienten. Beispiele: „Anonyme Alkoholiker“ oder „Blaues Kreuz“. Nahrungsmittel mit versteckten Alkoholen oder Alkoholaromen meiden! (Rückfallgefahr) Notfallplan für Rückfall erstellen

KOMPAKT Alkoholismus

Therapie in 3 Schritten: Entgiftung („Entzug“) – Entwöhnung – Rehabilitation in der Entgiftung: motivieren, unterstützen, Entzugssymptome beobachten bei Alkoholentzugsdelir: Arzt informieren Angehörige/Kontaktpersonen: im Auge behalten: Gefahr oder Ressource? bei Craving: Ablenken durch Reize oder Angebote Kommunikation: Dem Patienten verdeutlichen „Wir helfen“ (z.B. beim Finden einer neuen Struktur im Leben), aber Verantwortung liegt bei ihm. Ernährung: Nahrungsmittel mit Alkoholaromen meiden

56.7 Essstörungen 56.7.1 Anorexia nervosa Definition Anorexia nervosa Die Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine seelisch bedingte Essstörung, bei der die Betroffenen unter verzerrter Selbstwahrnehmung leiden und sich trotz Abmagerung zu dick fühlen. Fehlende Krankheitseinsicht und eine große Angst vor Gewichtszunahme sind charakteristisch für dieses Krankheitsbild. Extremes Untergewicht kann zu (irreversiblen) Schädigungen führen (z.B. Osteoporose, Nierenfunktionsstörung, Unfruchtbarkeit, zerstörter Zahnschmelz).

56.7.1.1 Ursachen Vorwiegend erkranken Mädchen in der Pubertät an Magersucht. Oft liegt das an alterstypischen Überforderungen. Die starke Kontrolle über das eigene Essverhalten und das „Siegesgefühl“ über den Hunger sollen das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit kompensieren. Medien und Werbung vermitteln Schlankheit als Garant für Erfolg, Schönheit, Aktivität und Lebensfreude und tragen dazu bei, dass junge Menschen über eine Diät in die Magersucht gelangen. Kritische Lebensereignisse wie ein sexueller Missbrauch können ebenfalls Essstörungen auslösen.

56.7.1.2 Therapie und Pflege professionelle Beziehung: Magersüchtige Patienten haben ein geringes Selbstbewusstsein und fühlen sich schnell angegriffen. Das muss bei dem Aufbau der Beziehung beachtet werden. Andererseits sind sie meistens leistungsbewusste und zielstrebige Personen und können durch positives Feedback und Verantwortungsübernahme (z.B. Stationsaufgaben) an Selbstvertrauen gewinnen. auf Mangelerscheinungen achten: Anzeichen für ▶ Elektrolytstörungen sowie Vitamin- und Mineralstoffmangel (bei Eisenmangel: Anämie, Müdigkeit, Atemnot, bei Kalzium- und Phosphatmangel: Muskelkrämpfe) ernst nehmen und dem Arzt mitteilen verbindliche Vereinbarungen: Anorektische Patienten haben im Verheimlichen und „Schwindeln“ rund um das Essen oft langjährige Erfahrungen. Ein Therapieplan mit individueller Zielsetzung mit der Unterschrift des Betroffenen dient der Verbindlichkeit und kann bei Täuschungsversuchen (z.B. versteckte oder entsorgte Nahrungsmittel oder beschwerte Kleidungsstücke beim Wiegen) angeführt werden.

Nahrungsaufnahme begleiten: Mahlzeiten werden von den Bezugspflegepersonen eng begleitet und wenn möglich von dem Patienten selber vorbereitet und angerichtet. Diskussionen über das Essen sollten vermieden werden und ggf. auf die Therapievereinbarung verwiesen werden. Körpergewicht überwachen: Wiegezeit ist i.d.R. einmal wöchentlich zu einem festen Zeitpunkt. Anorektische Patienten sollten allein keinen Zugang zu einer Körperwaage haben. positives Feedback geben: Therapiefortschritte loben, motivieren, ggf. kleinere Aufgaben innerhalb des Stationsalltags geben, um Selbstwertgefühl zu steigern Angehörige einbeziehen: Gegenseitiges Verständnis beugt Konflikten vor. Positive Rückmeldungen von Angehörigen stärken die weitere Entwicklung des Betroffenen.

KOMPAKT Anorexia nervosa seelisch bedingte Essstörung mit verzerrter Selbstwahrnehmung und fehlender Krankheitseinsicht Auslöser: Gefühl der Überforderung; „Sieg“ über den Körper bringt positives Gefühl. Pflege: professioneller Beziehungsaufbau, geringes Selbstbewusstsein stärken, auf Mangelerscheinungen achten, Mahlzeiten begleiten, aufmerksam Täuschungsversuche registrieren, Körpergewicht überwachen

56.7.2 Bulimie Definition Bulimie Essstörung, die mit wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essanfällen einhergeht. Die Betroffenen (meist junge Frauen) ergreifen gezielt gegenregulatorische Maßnahmen wie: Erbrechen, Laxanzienabusus, Diäten, übermäßigen Sport.

56.7.2.1 Ursachen Die Ursachen der Bulimie ähneln denen der Anorexia nervosa. Oft geht der Bulimie eine anorektische Phase voraus. Die Betroffenen sind meist normalgewichtig. Weitere Ursachen sind u.a.: familiäre Disposition unrealistische Schönheitsideale geringes Selbstwertgefühl, hohe Erwartungshaltung des Umfelds Probleme und Konflikte z.B. in der Familie oder Schule

56.7.2.2 Symptome Essattacken (Schuldgefühle) Erbrechen, Angst vor Gewichtszunahme Bauchschmerzen ▶ Elektrolytverschiebung Ödeme Obstipation ▶ Herzrhythmusstörungen ▶ Hypotonie

Zahnschäden durch Magensäure

56.7.2.3 Therapie körperliche Rehabilitation und Ernährungstherapie: z.B. Ernährungsberatung, Essensplan, therapeutische Essbegleitung, Lehrküche individuelle Psychotherapie: z.B. kognitive Verhaltenstherapie (Ziel: Selbstbewusstsein stärken), interpersonale Therapie (Ziel: Auseinandersetzung mit Erkrankung und Auswirkungen auf soziale Beziehungen erkennen) Einbezug der Familie: z.B. Familientherapie, Familienberatung Gruppentherapie: z.B. Kunst- oder Musiktherapie medikamentöse Behandlung: selektive SerotoninWiederaufnahmehemmer (SSRI)

56.7.2.4 Pflege ▶ professionelle Beziehung aufbauen auf Mangelerscheinungen achten verbindliche Vereinbarungen treffen Nahrungsaufnahme begleiten Körpergewicht überwachen Angehörige einbeziehen

KOMPAKT Bulimie Essstörung, die mit wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essanfällen einhergeht

Auslöser: z.B. geringes Selbstwertgefühl, hohe Erwartungshaltung des Umfelds, Probleme und Konflikte in der Familie oder Schule Pflege: z.B. professionelle Beziehung aufbauen, Nahrungsaufnahme begleiten, Angehörige einbeziehen

56.8 Organisch bedingte psychische Störungen 56.8.1 Delir Definition Delir Das Delir beschreibt einen akuten Verwirrtheitszustand mit Bewusstseinsstörung und kognitiver Beeinträchtigung.

56.8.1.1 Ursachen ▶ Schädel-Hirn-Trauma ▶ Schlaganfall ▶ Dehydratation ▶ Hypoglykämie hohes Fieber ▶ Alkoholentzug Einzug in eine Pflegeeinrichtung, Verlust der gewohnten Umgebung

Tritt ein Delir nach einer Operation auf, spricht man von einem „postoperativen akuten organischen Psychosyndrom“ (sogenanntes HOPS).

56.8.1.2 Symptome Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, z.B. Erinnerungslücken Desorientierung, z.B. räumlich, zeitlich, situativ ggf. Halluzinationen Unruhe, z.B. Schlaflosigkeit, motorische Unruhe, Bewegungsdrang Aggressivität Schwitzen, Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus

56.8.1.3 Therapie Therapeutisch wichtig ist die Behandlung der Grunderkrankung. Ist der Patient stark erregt, können Antipsychotika oder Benzodiazepine verordnet werden. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist zudem wichtig.

56.8.1.4 Pflege Angst mildern: ▶ Bezugspflege, beruhigen und begleiten, Angehörihe miteinbeziehen Vitalparameter kontrollieren (siehe Kap. ▶ 14.4) Orientierung verbessern: Reizüberflutung sowie Reizdeprivation vermeiden, Orientierungshilfen geben, sensorische Beeinträchtigungen beheben (z.B. mit Brille, Hörgerät) strukturierten Tagesablauf ermöglichen (Tag-NachtRhythmus fördern: Licht, Aktivität und Ruhe) auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten, ▶ Bilanzierung

geeignete Prophylaxen durchführen, z.B. Sturzprophylaxe (siehe Kap. ▶ 17) Wirkung und Nebenwirkung der medikamentösen Therapie überwachen für weitere Pflegemaßnahmen sorgen, siehe auch Kap. ▶ 52 „Pflege von Menschen mit Erkrankungen des Nervensystems“

KOMPAKT Delir Definition: akuter Verwirrtheitszustand mit Bewusstseinsstörung und kognitiver Beeinträchtigung. Ursachen: z.B. Hirninfarkt, Flüssigkeitsmangel, Einzug in eine Pflegeeinrichtung Symptome: z.B. Desorientierung, Unruhe, Gedächtnis- und Konzentrationsstörung Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, medikamentöse Behandlung Pflege: u.a. Bezugspflege, Tagesablauf, Flüssigkeitszufuhr, Prophylaxen

56.8.2 Demenz Definition Demenz Die Demenz ist eine chronische organische psychische Störung, einhergehend mit dem Verlust von kognitiven und sozialen

Fähigkeiten. Ursache ist der fortschreitende Abbau von Hirngewebe. ▶ Prävalenz. Ungefähr 1,2 Mio. Menschen in Deutschland leiden an einer Demenz. Dabei sind: 50–60 % Demenzen vom Alzheimer-Typ 20–30 % vaskuläre Demenzen 10–20 % andere Demenzerkrankungen

56.8.2.1 Alzheimer-Typ Definition Alzheimer-Typ Bei einer Demenz vom Alzheimer-Typ (Morbus Alzheimer) geht Nervengewebe in der Hirnrinde verloren. Die genaue Ursache ist nicht bekannt. Wahrscheinlich sind mehrere Gene und Umweltfaktoren beteiligt.

Ursache Der Auslöser ist unbekannt. Bei den Betroffenen kommt es zu einer vermehrten Ablagerung von Beta-AmyloidPeptiden v.a. um Gefäße herum („senile Plaques“) und zur Ablagerung von Tau-Proteinen in den Nervenzellen. Ob diese Phänomene ursächlich sind oder nur eine Krankheitsfolge, ist allerdings unklar. Der Botenstoff Glutamat ist erhöht und Acetylcholin erniedrigt.

Symptome schleichende Störung der Merkfähigkeit, zunächst v.a. des Kurzzeitgedächtnisses

meist zunächst zeitliche, dann auch räumliche Desorientierung, die oft zuerst von nahestehenden Personen und dann erst vom Betroffenen selbst erkannt wird Schlaflosigkeit, Unruhe, Angst, Inkontinenz, Erregungszustände im späteren Stadium Persönlichkeitsveränderungen, oft verbunden mit aggressivem Verhalten oder Abgleiten in ▶ Depression im Spätstadium: Störung des Langzeitgedächtnisses, Angehörige werden nicht mehr erkannt, Pflegebedürftigkeit, Bettlägerigkeit

Diagnostik psychiatrische und neurologische Tests: z.B. UhrenZeichen-Test, Mini-Mental-Status-Test (MMST) Liquoruntersuchung: erhöhte Konzentration von TauProteinen und Beta-Amyloid-Peptiden bildgebende Verfahren (CT, MRT): z.B. Nachweis einer Hirnatrophie EEG: Allgemeinveränderung, diffuse Störung definitive Diagnosestellung erst nach dem Tod durch Untersuchung von Hirngewebe möglich

Therapie Es gibt keine kurative Therapie. Physio-, Musik-, Kunst- und Ergotherapie psychosoziale Therapieansätze: Biographiearbeit, Realitätsorientierungstraining (ROT), Validation, 10Minuten-Aktivierung, Snoezelen (siehe Kap. ▶ 35.2.2) Medikamente: Acetylcholinesterasehemmer, z.B. Rivastigmin (verzögert Abbau von Acetylcholin) und

NMDA-Antagonist Memantin (blockiert Glutamat) können kognitive Leistungen vorübergehend verbessern.

Pflege Beachten Sie auch das Kap. ▶ 33.2.4 zur Pflege von Menschen mit Demenz in der Klinik. ▶ Bewegung. Ein ausgeprägter Bewegungsdrang gehört zum Krankheitsbild, dem Raum gegeben werden sollte. ▶ Prophylaxen. Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. ▶ 17), unter Berücksichtigung der jeweiligen ▶ Expertenstandards. Sturzprophylaxe: aufgrund des erhöhten Bewegungsdrangs, Harninkontinenz, Einschränkungen der Sehfähigkeit Pneumonieprophylaxe: Die häufigste Todesursache von Menschen mit Demenz ist die Pneumonie! Kontrakturenprophylaxe Prophylaxe der Mangelernährung: s.u. „Ernährung“ Ernährung auf gesteigerten Kalorienverbrauch achten: aufgrund von Unruhe, erhöhtem Bewegungsdrang, Schluckstörungen, Sprachstörungen (Hunger und Durst können nicht mehr verbal geäußert werden) an Nahrungsaufnahme und Trinken erinnern Nahrungs- und Trinkprotokolle führen und auf Anzeichen einer Exsikkose und Unterernährung achten Ernährungsgewohnheiten und Vorlieben berücksichtigen (Biographiearbeit) ggf. Fingerfood anbieten, Essen appetitlich anrichten, eher süß würzen als salzig oder bitter

Kommunikation siehe ▶ „Kommunikation mit demenziell Erkrankten“ Orientierungshilfen geben: zur eigenen Person (z.B. Betroffene mit Namen ansprechen) zur Zeit (z.B. tageszeitgemäß begrüßen, großer Wandkalender) zur Räumlichkeit (z.B. Bilder/Schilder an Türen anbringen, persönliche Gegenstände) zur Situation (z.B. in kurzen Sätzen zu einer Tätigkeit anleiten) Sicherheit vermitteln: z.B. durch Rituale, feste Tagesstruktur Basale Stimulation: Im fortgeschrittenen Stadium kann mithilfe dieses Konzepts nonverbal kommuniziert werden (siehe Kap. ▶ 16.4). Wertschätzung: loben und nicht kritisieren ▶ Psychosoziale Therapieansätze. Die Ansätze können sinnvoll kombiniert und in den Alltag integriert werden. Mehr Informationen hierzu finden Sie auch im Kap. ▶ 35 „Pflege von Menschen in Langzeiteinrichtungen“. Realitätsorientierungstraining (ROT): Förderung der Gedächtnisleistung z.B. durch Konfrontation mit Informationen mit Realitätsbezug (z.B. Name, Ort, Zeit). Es werden einfache Fragen gestellt und richtige Antworten positiv bestärkt. Biographiearbeit: Grundlage weiterer Ansätze. Dabei weniger Eckdaten wie Name, Geburtsort und Beruf in den Vordergrund stellen, sondern mehr die „kleinen Geschichten“, diese bleiben länger im Gedächtnis.

Psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm: Böhm fordert, die Normalität des Menschen im pflegerischen Alltag zu berücksichtigen (Normalitätsprinzip). Dies schließt auch Verhaltensweisen mit ein, die in der Prägungszeit (ca. die ersten 20–30 Lebensjahre) erworben wurden. Validation: Kommunikationstechnik, bei der das individuelle Erleben des Menschen mit Demenz in den Vordergrund rückt. Es wird weniger auf der Inhaltsebene, sondern mehr auf der Beziehungsebene kommuniziert. Die Grundhaltung ist geprägt von Wertschätzung, Annahme und Akzeptanz des Betroffenen. Personenzentrierter Ansatz nach T. Kitwood: in dem Konzept wird das Personsein des Menschen mit Demenz fokussiert, gefördert und wiederhergestellt. Dazu gehört das Gefühl von Sicherheit, Vertrauen, Hoffnung zu vermitteln, Kontakt mit anderen Menschen zu haben und dazuzugehören, etwas wert zu sein und etwas tun und bewirken zu können. 10-Minuten-Aktivierung: kurze Konfrontation (am besten über mehrere Sinne) mit Themenkästen (z.B. Kochen, Gartenarbeit) Erinnerungspflege: Aktivierungsangebot auf Grundlage der Biografie des Menschen (z.B. mit Seife, Foto) Basale Stimulation (siehe Kap. ▶ 16.4) Snoezelen: Ziele sind: Sicherheit vermitteln, Entspannung ermöglichen und Aggressionen abbauen. Der Zugang erfolgt über visuelle, akustische und olfaktorische Reize. ▶ Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten. Häufig übernehmen Angehörige die Pflege und benötigen daher

Unterstützung und Information, z.B. über das Krankheitsbild, den Verlauf und mögliche Symptome (z.B. Aggression), Deeskalationsübungen, Möglichkeiten der Entlastung (z.B. Tages-, Kurzzeitund Verhinderungspflege, häusliche Pflege, Nachbarschaftshilfe), Beratungsangebote (z.B. zur Pflege, zum Wohnraum), Selbsthilfegruppen, Medikamentenwirkung und –nebenwirkung. Grundsätzlich sollten Gespräche angeboten werden, um über Ängste und Sorgen sprechen zu können (oft leiden Angehörige an Schuldgefühlen). ▶ Aggression und Demenz. Demenzkranke Menschen finden sich im Alltag nicht mehr zurecht, sind verunsichert und überfordert, was zu unfreundlichem und aggressiven Verhalten führen kann. Tipps zum Umgang: Eigenschutz, Pflegemaßnahme abbrechen, Verhalten ignorieren, ablenken ruhig bleiben, Verhalten nicht persönlich nehmen nicht auf Streit einlassen, nicht auf der Realität beharren Gefühle ansprechen, ggf. in den Arm nehmen Orientierungshilfe geben (z.B. zu Ort, Zeit, Person) dokumentieren, im Team austauschen, Supervision, Angehörige, Mitmenschen und Arzt informieren ggf. Rahmenbedingungen anpassen (z.B. Hektik vermeiden, mehr Licht zur besseren Orientierung)

56.8.2.2 Vaskuläre Demenz

Definition Vaskuläre Demenz Die vaskuläre Demenz entsteht durch eine Durchblutungsstörung im Gehirn. Betroffen sind Hirnbereiche unterhalb der Hirnrinde. Sie wird auch als Multi-Infarkt-Demenz (MID) oder arteriosklerotische Demenz bezeichnet.

Ursache Chronische Durchblutungsstörungen durch arteriosklerotische Gefäßveränderungen die zu kleinen Hirninfarkten führen. Risikofaktoren: Diabetes mellitus, Bluthochdruck

Symptome schubweiser Verlauf (hängt mit Infarkten zusammen) Antriebsstörungen, Konzentrationsstörungen Stimmungsschwankungen: rascher Wechsel von Lachen und Weinen Hirninfarkte führen zu fokal-neurologischen Ausfällen wie Halbseitenlähmung, Sprachstörung, Gangstörung und gesteigerten Muskeleigenreflexen. Persönlichkeit und Sozialverhalten bleiben erhalten.

Diagnostik Anamnese bildgebende Verfahren (CT, MRT) Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Arterien

Therapie und Pflege Minimierung der Risikofaktoren: z.B. Blutdruckeinstellung bei Hypertonie

Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie siehe ▶ Pflege bei Demenz vom Alzheimer-Typ

KOMPAKT Demenz Ursache: fortschreitender Abbau von Hirngewebe. Dadurch Verlust von kognitiven und sozialen Fähigkeiten. > 50 % sind vom Alzheimer-Typ (mit Ablagerung von BetaAmyloid-Peptiden). vaskuläre Demenz: Abbau von Hirngewebe durch multiple Durchblutungsstörungen Keine Demenzform ist heilbar. Pflege: Pflegeempfänger beim Orientieren helfen, wertschätzendes Ansprechen, Stärken loben, nicht ständig wegen verlorenem Realitätsbezug korrigieren

56.9 Belastungs- und Anpassungsstörungen Definition Belastungsstörungen Eine Belastungsstörung ist eine starke emotionale Reaktion auf ein traumatisches Ereignis (z.B. Kriegserlebnisse, Vergewaltigung, Beobachtung eines schweren Unfalls). Die Belastungsstörung kann akut oder verzögert auftreten.

56.9.1 Akute Belastungsreaktion Definition Akute Belastungsreaktion Die akute Belastungsreaktion tritt meist unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis oder Erlebnis auf (z.B. Tod einer nahestehenden Person, Gewalt, Unfälle) und ist durch eine schnell wechselnde Symptomatik gekennzeichnet.

56.9.1.1 Ursachen und Symptome Den Betroffenen fehlt in der akuten Belastungssituation eine (ausreichende) Strategie, um das belastende Ereignis verarbeiten zu können. Die Betroffenen leiden unter einer Art innerer „Betäubung“ mit eingeengter Wahrnehmung und Desorientiertheit. Hinzu kommen vegetative Symptome wie Schwitzen, Schwindel, Blässe und Herzklopfen. Die Symptome klingen meist nach wenigen Tagen bis Wochen wieder ab.

56.9.1.2 Therapie und Pflege Wichtig ist eine enge pflegerische und psychotherapeutische Begleitung. Der Betroffene sollte in der akuten Situation möglichst nicht alleine sein (Suizidversuch möglich!) und mit einer Vertrauensperson über das Erlebte sprechen können. Ggf. kann die Gabe von Psychopharmaka zur kurzzeitigen Beruhigung indiziert sein. Die Betroffenen sollten versuchen einen geregelten Tagesablauf beizubehalten (Schlaf-WachRhythmus). Auch Unterstützungsangebote im Alltag können sinnvoll sein. Das Angebot von Atem- oder Entspannungsübungen kann helfen, wieder mehr Ruhe im Alltag zu finden.

ACHTUNG

In manchen Fällen kann die akute Belastungsstörung nicht überwunden werden und in eine posttraumatische Belastungsstörung übergehen. Ein häufiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses oder Albträume können ein wichtiger Hinweis dafür sein. Achten Sie deshalb auf entsprechende Äußerungen des Pflegeempfängers.

56.9.2 Posttraumatische Belastungsstörung Wie stark sich ein traumatisierendes Ereignis auf den Menschen auswirkt, hängt von der Verletzlichkeit (Vulnerabilität) und dem Alter des Menschen ab. Besonders bei psychisch angeschlagenen Menschen sowie bei Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen wirken sich traumatische Ereignisse stark aus und die nachfolgende Belastungsreaktion kann verzögert verlaufen bzw. verlängert bestehen. Man spricht dann von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

56.9.2.1 Symptome „Flashbacks“: blitzartiges Wiedererinnern an das traumatische Erlebnis Schreckhaftigkeit und Ängste Depressionen sozialer Rückzug und Teilnahmslosigkeit Schlafstörungen

56.9.2.2 Therapie und Pflege Stabilisierungsphase: Die Symptome des Pflegeempfängers werden behandelt (z.B. mit Medikamenten, Entspannungstechniken). Allein der Betroffene entscheidet, worüber er reden möchte.

Körperkontakt (selbst zu enges Beisammensitzen) kann bedrängend auf ihn wirken. Bearbeitungsphase: In dieser Phase wird das Trauma psychotherapeutisch aufgearbeitet. Pflegende begleiten den Betroffenen weiterhin sensibel und bleiben in engem Kontakt mit dem Therapeuten, um den emotionalen Zustand des Patienten zu erfassen. Integrationsphase: Alltagspraktische Fähigkeiten und soziale Bezüge werden wiederhergestellt.

KOMPAKT Posttraumatische Belastungsstörung Verlauf: protrahiert, zum Teil über Jahre bis Jahrzehnte Symptome: „Flashbacks“, Schreckhaftigkeit, Angst, Depressionen, sozialer Rückzug, Teilnahmslosigkeit, Schlafstörungen Therapie und Pflege: Stabilisierungsphase (Symptome bearbeiten), Bearbeitungsphase (Aufarbeiten des Traumas), Integrationsphase (alltagspraktische Fähigkeiten und soziale Bezüge wiederherstellen)

56.9.3 Anpassungsstörung Bei einer Anpassungsstörung entwickeln Betroffene aufgrund einschneidender Lebensveränderungen (z.B. Tod des Lebenspartners, Flucht) eine depressive Verstimmung mit Ängsten oder/und ziehen sich sozial zurück. Meistens klingen die Beschwerden nach spätestens einem halben Jahr ab.

56.10 Angst- und Zwangsstörungen 56.10.1 Angststörungen Definition Angststörungen Beeinträchtigt objektiv übersteigerte Angst einen Menschen so stark, dass sein alltägliches oder soziales Leben beeinträchtigt ist, spricht man von einer Angststörung. Angststörungen werden unterteilt in: situationsabhängige Angststörungen: z.B. Phobien wie Flugangst, Spinnenangst, Angst vor großen Menschenansammlungen situationsunabhängige Angststörungen: ohne Auslöser oder bestimmte Situation generalisierte Angststörung: Die Angst ist diffus und hält lange an. Panikstörung: Die Angst tritt plötzlich und unverhofft auf.

56.10.1.1 Therapie und Pflege Pharmakologische Behandlung, stets kombiniert mit Verhaltenstherapie. Die Erkrankten werden mit den angstbesetzten Situationen konfrontiert. So sollen sie lernen, dass die tatsächliche Gefährdung minimal bzw. nicht existent ist. Primär kann eine solche „Exposition“ zu starken physischen und psychischen Reaktionen führen. Schwitzen, erhöhter Puls und Erstickungs- oder Engegefühle in der Brust können auftreten und bis zu einer Panikattacke mit Todesangst führen.

Die Interventionen sind Teil der Pflegeplanung und sollten regelmäßig mit der Bezugspflegefachkraft durchgeführt werden. Wenn ein Betroffener eine Panikattacke hat, sollten Pflegende die Angst und Panik nicht herunterspielen, ihn vom als bedrohlich erlebten Reiz abschirmen, in kurzen und knappen Sätzen beruhigend auf ihn einwirken, ihn nicht alleine lassen, für Ablenkung sorgen (sensomotorischer Kontakt, Entspannungs- und Atemübungen, Spaziergang), nach der Panikattacke einen Notfallplan erarbeiten.

56.10.2 Zwangsstörungen Definition Zwangsstörung Bei einer Zwangsstörung leidet der Betroffene unter Gedanken oder Handlungen, die er „zwangsweise“ denken bzw. ausführen muss (z.B. Waschzwang, Zählzwang, Ordnungszwang). Die Betroffenen versuchen durch die Zwangshandlung ein befürchtetes Unheil abzuwenden.

56.10.2.1 Ursachen und Symptome Die genaue Ursache ist noch unklar, wahrscheinlich spielen mehrere Faktoren zusammen: genetische Disposition, Störungen der Neurotransmitter oder Basalganglien und psychologische Ursachen (z.B. Erziehung). Dem Zwang zu widerstehen verursacht starke Angst und innere Unruhe.

Körperliche Symptome können z.B. Schwitzen, ein erhöhter Puls und eine veränderte Körperwahrnehmung sein. Durch die körperlichen Symptome können sich Angst und Unruhe verstärken, es kann zur Panikattacke kommen.

56.10.2.2 Therapie und Pflege Zur Therapie werden wie bei der Angststörung auch beim Zwang medikamentöse und nicht medikamentöse Verfahren kombiniert. Oft werden mit Antidepressiva zunächst zugrunde liegende Ängste gelöst. Dann lernt der Betroffene in der Verhaltenstherapie, dass das befürchtete Unheil nicht eintritt, wenn er seinen Zwängen widersteht. Pflegende sollten ein professionelles Vertrauensverhältnis zum Pflegeempfänger aufbauen und ihn in seiner Angst bzw. seinem Zwang ernst nehmen (Bezugspflege). Treten Panikattacken auf, ist die enge Betreuung des Pflegeempfängers notwendig, siehe ▶ Betreuung bei Panikattacke. Der Einbezug und die Schulung von Angehörigen zu therapeutisch-pflegerischen Maßnahmen sind wichtig für den nachhaltigen Erfolg der Therapie.

KOMPAKT Angst- und Zwangsstörungen Angststörungen: situationsabhängig, situationsunabhängig, generalisiert, Panikstörungen Zwangsstörungen: innerer Zwang, etwas zu tun oder zu denken, um „Unheil“ abzuwenden Therapie und Pflege: pharmakologische Behandlung verbunden mit verhaltenstherapeutischen Interventionen (Konfrontation mit angstbesetztem Objekt; bei Panikattacken professionell handeln)

Umgang mit Panikattacken: Angst und Panik ernst nehmen, für Ablenkung sorgen, beruhigend auf den Betroffenen einwirken (tiefe Ein- und Ausatmung)

56.11 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen 56.11.1 Persönlichkeitsstörungen Definition Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörungen sind chronische von der Norm abweichende Wahrnehmungs-, Verhaltens- oder Denkmuster. Ursache sind neben einer Disposition frühe „Lernerfahrungen“, z.B. in Form sich selbst verstärkenden Vermeidungsverhaltens. Beispiele sind: paranoide Persönlichkeitsstörung: Die Betroffenen erwarten von ihrem Umfeld prinzipiell Schlechtes, fühlen sich beobachtet, denken, dass andere es „auf sie abgesehen haben“. Pflege: z.B. professionelle Vertrauensbasis schaffen, klare Absprachen treffen, authentisch und glaubwürdig in der Kommunikation sein schizoide Persönlichkeitsstörung: Die Betroffenen sind sehr verschlossen, unfähig, enge soziale Kontakte zu knüpfen. Die Übergänge zum Asperger-Syndrom sind fließend.

Pflege: z.B. professionelle Vertrauensbasis schaffen, regelmäßige Kontakte anbieten narzisstische Persönlichkeitsstörung: Die Betroffenen sind überzeugt, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Erhalten sie nicht die „gebührende“ Aufmerksamkeit, neigen sie zu Aggressionen. Pflege: z.B. professionelle Vertrauensbasis schaffen, Geduld im Umgang, aggressives Verhalten nicht tolerieren, klare Absprachen

56.11.2 Störungen der Impulskontrolle Die Betroffenen leiden unter Impulsen, sich abnorm zu verhalten. Beispiele sind: pathologische Brandstiftung (Pyromanie) pathologisches Glücksspiel pathologisches Stehlen (Kleptomanie) Therapie und Pflege Pflegerische Beobachtung: nach der aktuellen Impulskontrolle fragen, bei Pyromanie keine entzündlichen Gegenstände in Reichweite des Betroffenen bringen, Stress, Angst, Halluzinationen, Wahn und Entzugserscheinungen ernst nehmen und dem Arzt mitteilen Therapie: Neuroleptika, Sedativa und Antipsychotika kommen z.T. zum Einsatz. Psychoedukation und Gesprächs- oder Verhaltenstherapie mit Schwerpunkt auf Emotions- und Impulskontrolle sind möglich. Erlernte Mechanismen anwenden: Stress führt häufig zu einem erhöhten Verlust der Impulskontrolle. Deshalb begleiten Pflegefachkräfte den Betroffenen bei der Anwendung von Verhaltensmechanismen (z.B.

Meditation, Bewusstwerden der Konsequenzen, ablenkende Tätigkeiten etc.), um die Impulskontrolle aufrecht zu erhalten. Integration in den Stations-/Pflegeheimalltag: Störungen der Impulskontrolle (z.B. pathologisches Stehlen) können zu Konflikten unter den Pflegeempfängern führen. Diese sollten bearbeitet werden.

56.12 Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen 56.12.1 Frühkindlicher Autismus Definition Frühkindlicher Autismus Der frühkindliche Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung des Kindes vor dem 3. Lebensjahr. Dabei ist die Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten, der Kontaktaufnahme und der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen stark beeinträchtigt.

56.12.1.1 Ursache Die Ursachen des frühkindlichen Autismus sind bislang nicht eindeutig geklärt. Zugrunde liegt vermutlich eine hirnorganische Ursache, ausgelöst durch einen genetischen Faktor.

56.12.1.2 Symptome Die Kinder …

lernen verspätet sprechen, haben kein Interesse an sozialen Kontakten (fehlender Blickkontakt, Abwehr von Körperkontakt), tun sich schwer, Emotionen anderer zu erkennen, führen stereotype Bewegungen und Verhaltensweisen aus, fixieren sich auf bestimmte Ideen oder Dinge, zeigen selbst- oder fremdaggressive Verhaltensweisen, haben große Angst vor Veränderungen.

56.12.1.3 Therapie und Pflege In der Behandlung wird versucht, die Entwicklung und Lernfähigkeit des Kindes zu unterstützen (Verhaltenstherapie, Musiktherapie, Elternberatung, Selbsthilfegruppen für Eltern). Ursächlich kann die Krankheit aber nicht behandelt werden. Wird ein Kind mit Autismus in die Klinik aufgenommen, gilt es im Umgang folgende Aspekte zu beachten: ▶ Bezugspflege ausführliche Pflegeanamnese bei Aufnahme Eltern eng in die Pflege und Versorgung des Kindes einbeziehen gewohnten Tagesablauf des Kindes erfragen und versuchen beizubehalten im Kontakt zu Gleichaltrigen das Kind begleiten besondere Gewohnheiten des Kindes berücksichtigen ruhige Umgebung schaffen Körperkontakt wenn möglich vermeiden

56.12.2 ADHS Definition ADHS Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) können sich schlecht konzentrieren, sind unruhig, haben eine geringe Frustrationstoleranz und einen hohen Bewegungsdrang.

56.12.2.1 Ursachen Die Ursache ist unklar. Wahrscheinlich liegt ein Mix aus neurobiologischen Faktoren und Umweltfaktoren zugrunde.

56.12.2.2 Symptome Die Symptome können vielfältig sein: Hauptsymptome: Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsstörung, Impulsivität Nebensymptome: z.B. Störung des Sozialverhaltens und der Entwicklung, Leistungsschwäche und Leistungsängste, ggf. soziale Ausgrenzung

56.12.2.3 Therapie und Pflege Ziel ist es, die Symptome (z.B. Hyperaktivität, Konzentrationsschwierigkeiten) in den Griff zu bekommen. Therapeutisch helfen pädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen. Nach dem 6. Lebensjahr kann in ausgeprägten Fällen das Medikament Methylphenidat (Ritalin) die Symptome lindern. Wird ein Kind mit ADHS in die Klinik aufgenommen, gilt es im Umgang folgende Aspekte zu beachten: ▶ Bezugspflege ausführliche Pflegeanamnese bei Aufnahme

Eltern eng in die Pflege und Versorgung des Kindes einbeziehen Kind für kleine Erfolge loben sachlich und konsequent bleiben Erwartungen und Regeln klar kommunizieren negative Situationen nicht besonders hervorheben („aufschaukeln“ vermeiden) Kind Aufgaben geben, für die es die Verantwortung übernehmen darf (Stärkung des Selbstwertgefühls)

57 Pflege von Menschen mit organübergreifenden Infektionen 57.1 Pflegebasismaßnahmen

Wahrnehmen und Beobachten Führendes Pflegephänomen ist Fieber, siehe Kap. ▶ 30 „Pflege bei Fieber“. Vitalzeichen kontrollieren, besonders Körpertemperatur (siehe Kap. ▶ 14.4) auf Flüssigkeitszufuhr achten Hygiene Prävention der Erregerübertragung, ggf. Isolation Hygienemaßnahmen einhalten, Selbstschutz (siehe Kap. ▶ 13) Psychosoziale Begleitung Isolationsmaßnahmen stellen Belastung dar, v. a. für Kinder. Wertschätzender Umgang wichtig, Betroffene und Bezugspersonen informieren und beruhigend einwirken

57.2 Mitwirken bei der Diagnostik Leitsymptome: Fieber, Tachypnoe, Tachykardie, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Lethargie Entzündungsparameter: Anstieg der Akute-PhaseProteine (z.B. CRP), Leuko- bzw. Lymphozytose, Anstieg des Prokalzitonins (PCT) Erregernachweis: in Bakterienkultur, z.B. in einer Blutkultur durch gegen den Erreger gerichtete spezielle Markierungsantikörper durch Nachweis der Erreger-DNA mittels Polymerasekettenreaktion (PCR)

indirekt durch Nachweis von erregerspezifischen Antikörpern im Blut (häufig bei Viren)

57.3 Sepsis Definition Sepsis Eine Sepsis („Blutvergiftung“) ist eine lebensbedrohliche Organdysfunktion aufgrund einer fehlregulierten Abwehrreaktion des Körpers bei mikrobiologisch oder klinisch nachgewiesener Infektion. Die Diagnose wird anhand des SOFA-Scores bzw. des quickSOFA-Scores gestellt.

57.3.1 Prophylaxe Da es sich häufig um eine ▶ nosokomiale Infektion handelt, ist es wichtig zu beachten: Händehygiene und persönliche Hygiene (siehe Kap. ▶ 13) aseptisches (steriles) Arbeiten zeitnah nicht erforderliche Katheter und Drainagen entfernen Antibiotika zur Vermeidung von Resistenzen gezielt einsetzen sorgfältige Krankenbeobachtung durchführen (Infektionen frühzeitig erkennen) Impfungen

57.3.2 Pathophysiologie und Verlauf 57.3.2.1 Erreger einer Sepsis grampositive Kokken (z.B. Staphylococcus aureus und S. epidermidis, Streptokokken) gramnegative Stäbchen (z.B. Escherichia coli, Enterobacter, Pseudomonas aeruginosa) Anaerobier (z.B. Bacteroides) Seltene Auslöser einer Sepsis sind Pilze (z.B. Candida albicans), Viren oder Parasiten. Besonders gefährlich sind septische Verläufe bei Infektion mit multiresistenten Erregern (MRE, siehe Kap. ▶ 13.4).

57.3.2.2 Ausgangsherde Eine Sepsis geht häufig von lokalen Infektionsherden aus, z.B. in der Lunge (Pneumonien), im Bauchraum (z.B. Cholezystitis), im Harnsystem (z.B. Harnwegsinfekte) oder an Kathetern (z.B. ZVK).

57.3.2.3 Risikofaktoren Alter < 1 Jahr (insbesondere Früh- und Neugeborene) und > 80 Jahre geschwächte Immunabwehr (z.B. Einnahme von Immunsuppressiva) Vorerkrankungen (z.B. Diabetes mellitus, Tumoren) Eingriff in den Körper (z.B. Operation, Fremdkörper wie Blasenkatheter, Beatmungstubus)

57.3.2.4 Verlauf Die Erreger bzw. von ihnen produzierte zytotoxische Substanzen schädigen die Kapillarendothelien. Es kommt zu einer intravasalen Gerinnung mit Mikro- und

Makrozirkulationsstörungen und Organschäden ( ▶ Abb. 57.1). Verlauf der Sepsis. Abb. 57.1 

57.3.3 Symptome und Komplikationen Charakteristisch für eine Sepsis ist ein plötzlicher Beginn mit hohem Fieber (kann bei Säuglingen und alten Menschen fehlen), häufig begleitet von Schüttelfrost, Tachykardie, warmer, trockener Haut (hyperdyname Schockphase) und sehr ausgeprägtem Krankheitsgefühl. Im weiteren Verlauf: Blutzentralisation (kühle und blasse Haut) Organfehlfunktion: akute Enzephalopathie (Schläfrigkeit bis hin zum Koma) akutes Lungenversagen akutes Nierenversagen (Urinausscheidung ≤ 0,5 ml/kg/h über mind. 2 h, Kreatinin↑) akutes Leberversagen Absinken der Thrombozytenzahl < 100 000/µl metabolische Azidose mögliche Komplikationen: septische Metastasen Verbrauchskoagulopathie Multiorganversagen Septischer Schock: Trotz ausreichender Flüssigkeitssubstitution kommt es zu einem

anhaltenden Blutdruckabfall (mindestens 1 h) mit einem systolischen arteriellen Blutdruck ≤ 90 mmHg bzw. einem mittleren arteriellen Blutdruck ≤ 65 mmHg, der durch keine anderen Ursachen zu erklären ist. Siehe auch Septischer Schock in Kap. ▶ 23 „Notfallsituationen“. Sonderformen Waterhouse-Friderichsen-Syndrom: Sepsis mit Verbrauchskoagulopathie, v. a. bei Kindern im Rahmen der Meningokokkensepsis OPSI-Syndrom (overwhelming postsplenectomy infection syndrome): blitzartig verlaufende Sepsis bei Menschen ohne Milz

57.3.4 Vorgehen bei Sepsis 57.3.4.1 Diagnostik Die Diagnose wird aufgrund der klinischen Symptomatik gestellt. Wegweisend, auch für den Verlauf, ist das Ergebnis des SOFA-Scores. ▶ SOFA-Score. Beim SOFA-Score („SOFA“ steht für „Sepsisrelated Organic Failure Assessment“) werden über ein Punktesystem folgende Aspekte bewertet: Atemtätigkeit ↑ ZNS (Glasgow-Koma-Skala ↓) Herz-Kreislauf (Blutdruck ↓) Leberfunktion (Bilirubin ↑) Blutgerinnung (Thrombozyten ↓) Nierenfunktion (Kreatinin ↑) ▶ quickSOFA-Score. Beim quickSOFA-Score werden Blutdruck (< 100 mmHg), ZNS (GCS < 15) und

Atemtätigkeit (> 22/min) bewertet. Sind 2 der Kriterien erfüllt, besteht eine Sepsis mit ungünstiger Prognose. ▶ SIRS. Daneben werden nach wie vor die SIRS-Kriterien (SIRS: „Systemic Inflammatory Response Syndrom“) zur Diagnostik herangezogen: Körpertemperatur (< 38 °C), Herzfrequenz (> 90/min), Atemfrequenz (> 20/min), Leukozytose oder Leukozytopenie. Weitere Kriterien „Linksverschiebung“ im weißen Blutbild (es befinden sich viele unreife Granulozyten im Blutbild) erhöhte Infektionsparameter (CRP, Procalcitonin) Laktat ↑ frühzeitiger Erregernachweis, z.B. aus: mindestens 2 Blutkulturen (anaerob und aerob) Wundabstrich Mittelstrahlurin Liquor Stuhl Katheterspitzen (z.B. von ZVK) Suche nach Infektionsherd: Rö-Thorax (Pneumonie?) U-Status (Harnwegsinfekt?) Sonografie (abdominale Infektion?) klinische Zeichen: z.B. Nackensteifigkeit bei Meningitis Blutgasanalyse (Sepsis führt zu Hypoxämie und metabolischer Azidose)

57.3.4.2 Therapie

Die Betroffenen sind intensivmedizinisch zu betreuen. 1. Beseitigung der Erreger: durch Antibiose (initial Breitband, nach Bestimmung des Erregers gezielt) und Ausschaltung bzw. Sanierung des Infektionsherds (z.B. Abszessdrainage, Blasenkatheter entfernen, chirurgische Wundreinigung) 2. Überwachung und Funktionsunterstützung der Körperfunktionen: bei instabilem Kreislauf bzw. drohendem Schock: Gabe von blutdruckstabilisierenden bzw. -erhöhenden Medikamenten und Flüssigkeitssubstitution bei Atemnot bzw. Hypoxämie: O2-Gabe, ggf. Beatmung bei Stoffwechsel- bzw. Elektrolytentgleisung: z.B. Insulin- bzw. Elektrolytgabe Fiebersenkung bei Nierenversagen: ggf. ▶ Dialyse zur Stressulkusprophylaxe: Protonenpumpenhemmer bei Thrombosegefahr: Thromboseprophylaxe mit niedrigdosiertem Heparin, Vorsicht: Gefahr einer Verbrauchskoagulopathie

57.3.4.3 Pflege Mitwirken bei der Therapie: ggf. Abnahme von Blutkulturen (durch Pflegefachkraft oder Arzt): möglichst vor Beginn der Antibiose und nach Fieberanstieg 2 Nährmedien (für aerobe und anaerobe Bakterien) steril arbeiten! Flaschenmembranen desinfizieren!

Blutkulturen sofort weiterleiten ▶ Flüssigkeitsbilanzierung Infusions- und Medikamentenmanagement (Applikationsschema einhalten!) Wahrnehmen und Beobachten: Monitoring von: Vitalparameter Körpertemperatur Blutzucker Bewusstseinszustand (Schläfrigkeit?) und kognitiven Zustand (Verwirrtheit?) Hautzustand (Farbe, Temperatur, Turgor, Druckstellen, Blutungen?) ▶ Flüssigkeitsbilanzierung und besonders Urinausscheidung Entzündungszeichen an Ein- und Austrittsstellen von Kathetern, Drainagen und Gefäßzugängen Mobilisation, Positionierung, Schlaf Überwachung der Bettruhe erhöhte Positionierung der Extremitäten bei Ödemen Körperpflege und Ausscheiden Übernahme von bzw. Unterstützung bei der Körperpflege, An- und Auskleiden Unterstützung bei der Ausscheidung Prophylaxen (siehe Kap. ▶ 17): Soor- und Parotitis-, Thrombose-, Zystitis- und Pneumonie- sowie Blutungsprophylaxe, z.B. bei offensichtlich erhöhter Blutungsneigung (Petechien!) zur Fixierung von peripheren Venenverweilkanülen Mullbinden anstelle von Pflaster verwenden

Hygiene Beachten der Standardhygiene (siehe Kap. ▶ 13) einwandfreier hygienischer Umgang mit allen Zuund Ableitungen

KOMPAKT Sepsis Definition: Generalisierte Infektion mit lebensbedrohlicher Organdysfunktion Auslöser: Schädigung der Kapillaren durch Bakterien bzw. ihre Toxine. Es kommt zu Gerinnungsfaktorenverbrauch, Zirkulationsstörungen, Organschäden und Schock. Diagnostik: SOFA-Score bzw. qSOFA-Score Therapie: Antibiose und Beseitigung der Infektionsherde + Unterstützung der Körperfunktionen Pflege: engmaschige Beobachtung (Vitalparameter, Temperatur, Haut, Ein-/Austrittsstellen von Zugängen und Kathetern), ggf. regelmäßige Abnahme/Anlage von Blutkulturen, Infusions- und Medikamentenmanagement, Prophylaxen bedarfsgerecht

57.4 Virale Infektionen 57.4.1 Masern Definition

Masern Masern sind eine hochinfektiöse, meldepflichtige Virusinfektion, die am häufigsten Kinder betrifft und einen charakteristischen Hautausschlag verursacht.

57.4.1.1 Pathophysiologie Masernviren wandern durch infektiöse Sekrete über Tröpfchen- oder Kontaktinfektion von Mensch zu Mensch. Sie gelangen über die Atemwege in den Körper und in die Lymphknoten, wo sie sich vermehren und über den Blutweg z.B. in die Haut gelangen. Die Inkubationszeit beträgt ca. 1–2 Wochen. Durch die Immunreaktion des Körpers auf das Virus entsteht der typische Ausschlag.

57.4.1.2 Symptome Frühsymptome (Prodromi) sind: Fieber, Schnupfen, trockener Husten, Halsschmerzen („katarrhalische Symptome“). Hinzu kommt häufig eine Konjunktivitis mit Lichtscheu und Koplik-Flecken auf der Wangenschleimhaut (kalkspritzige weiße Flecken). Nach ca. 4 Tagen fällt das Fieber ab. Ein bis 2 Tage später steigt das Fieber erneut an, bis auf 41°C (2-gipfelige Fieberkurve) und das Masernexanthem tritt auf. Es besteht aus leicht erhabenen bräunlich rosafarbenen, z. T. zusammenfließenden (konfluierenden) Flecken ( ▶ Abb. 57.2), die zuerst hinter den Ohren, dann auf dem Gesicht und anschließend auf dem ganzen Körper manifest werden. Nach ca. 4–5 Tagen bilden sich die Effloreszenzen zurück (Rekonvaleszenz) und das Fieber sinkt. Der Betroffene ist nicht mehr ansteckend. Hautbefunde bei viralen Infektionen.

Abb. 57.2 Bei Masern fließen die Flecken des Ausschlags ineinander und sind eher erhaben. Bei Röteln stehen die kleinen, scharf abgegrenzten Flecken eher einzeln. Für Windpocken ist typisch, dass die Befunde sehr unterschiedlich sind. Manche Bläschen entwickeln sich erst, manche sind prall gefüllt, andere sind aufgeplatzt und verkrusten („Sternenhimmel“).

57.4.1.3 Komplikationen Häufig kommt es zu einer Pneumonie, einer Diarrhö oder einer Mittelohrentzündung. Eine seltene und u. U. tödlich verlaufende Komplikation ist die Masernenzephalitis, die mit Krämpfen, Bewusstseinsstörungen und neurologischen Ausfällen einhergeht. Therapie und Pflege Prophylaxe: Impfung gemäß der Empfehlung der STIKO ( ▶ Tab. 57.1 ) Isolation des Pflegeempfängers Bettruhe Zimmer abdunkeln engmaschige Vitalzeichenkontrolle (siehe Kap. ▶ 14.4) Beobachtung auf Zeichen einer Komplikation symptomatische Therapie: z.B. fiebersenkende Medikamente, Antibiose (bakterielle Superinfektion) Meldepflicht

Merke Meldepflicht Der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod durch bestimmte Erreger (wie z.B. Maserviren, Mumpsviren) müssen nach § 6 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG) namentlich beim zuständigen Gesundheitsamt gemeldet werden. Die Meldung nimmt in der Regel der behandelnde Arzt vor.

57.4.2 Mumps (Parotitis epidemica)

Definition Mumps Mumps (Parotitis epidemica, „Ziegenpeter“) ist eine akute hoch ansteckende, meldepflichtige Kinderkrankheit, die durch das Mumpsvirus hervorgerufen wird.

57.4.2.1 Pathophysiologie Mumpsviren werden durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch (z.B. durch Niesen) oder durch Kontaktinfektion (z.B. durch Küssen) übertragen. Die Viren befallen Drüsenorgane, z.B. die Speicheldrüse. Die Ansteckungsgefahr besteht 5 Tage vor und bis zu 9 Tage nach Beginn der Symptomatik. Die Erkrankung verläuft bei ⅓ der Fälle asymptomatisch, durch die Virenausscheidung sind Betroffene ansteckend.

57.4.2.2 Symptome Nach einer Inkubationszeit von 2–3 Wochen kommt es zu: allgemeiner Abgeschlagenheit Fieber schmerzhafter entzündlicher Schwellung der Ohrspeicheldrüse, meist einseitig mit abstehendem Ohr Schmerzen beim Kauen und Sprechen

57.4.2.3 Komplikationen ZNS-Beteiligung mit Meningitis bzw. Enzephalitis, was zu neurologischen irreversiblen Schäden führen kann, z.B. Innenohrschwerhörigkeit (siehe Kap. ▶ 52.7) bei männlichen Jugendlichen Hodenentzündung (Orchitis) mit der Gefahr der Sterilität und bei

weiblichen Jugendlichen Eierstock- oder Brustdrüsenentzündung (Oophoritis und Mastitis) Begleitpankreatitis

57.4.2.4 Therapie und Pflege Prophylaxe: Impfung gemäß STIKO-Empfehlung ( ▶ Tab. 57.1 ) Isolation (siehe Kap. ▶ 13) kühlende Umschläge (siehe Kap. ▶ 31) Schmerztherapie (siehe Kap. ▶ 21) Schonung breiige Kost aufgrund der Schmerzen beim Kauen Beobachtung des Pflegeempfängers bezüglich Komplikationen Meldepflicht

57.4.3 Röteln Definition Röteln Röteln sind eine durch das Rubella-Virus verursachte meldepflichtige Infektionskrankheit, die am häufigsten bei Kindern auftritt.

57.4.3.1 Pathophysiologie Rötelnviren werden durch Tröpfcheninfektion übertragen. Die Viren gelangen über die Schleimhäute der Atemwege in den Körper, befallen die Lymphknoten, wo sie sich vermehren und auf dem hämatogenen Weg die Haut

erreichen. Inkubationszeit beträgt ca. 2–3 Wochen. Die Ansteckungsgefahr besteht ca. eine Woche vor und eine Woche nach Ausbruch des Exanthems. In ca. 50 % der Fälle verläuft die Infektion asymptomatisch.

57.4.3.2 Symptome Hals- und Nackenlymphknotenschwellung allgemeines Krankheitsgefühl mit Kopfschmerzen und ▶ Konjunktivitis Gleichzeitig oder einen Tag später tritt ein kleinfleckiges Exanthem auf, zuerst hinter den Ohren und im Gesicht. Die kleinen scharf begrenzten Flecken ( ▶ Abb. 57.2) breiten sich über den Körper aus, fließen aber nicht zusammen. Das Exanthem bildet sich nach 1– 3 Tagen zurück. gelegentlich Gelenkschmerzen

57.4.3.3 Komplikationen selten ▶ Enzephalitis Eine Erstinfektion mit Röteln während der Schwangerschaft, v. a. vor der 11. SSW, kann eine Rötelnembryopathie (Gregg-Syndrom) mit Kleinwuchs, Herzfehler, Schwerhörigkeit bis zur Taubheit, Katarakt und Mikrozephalie hervorrufen. Die Infektion kann zum Tod des Ungeborenen führen. Bei Infektionen nach dem 3. Schwangerschaftsmonat sind die Schädigungen weniger schwer.

57.4.3.4 Therapie und Pflege Prophylaxe: Impfung gemäß STIKO-Empfehlung ( ▶ Tab. 57.1 ) im Krankenhaus: Isolation (siehe Kap. ▶ 13)

symptomatisch: ggf. Fiebersenkung, bei Gelenkschmerzen Schmerztherapie (siehe Kap. ▶ 21) Meldepflicht bei Rötelnembryopathie: keine kausale Therapie des Embryos möglich

57.4.4 Windpocken (Varizellen) Definition Windpocken (Varizellen, VZV) Windpocken sind eine sehr ansteckende, meldepflichtige durch Varizella-Zoster-Viren (VZV) verursachte Kinderkrankheit. Die Viren bleiben lebenslang in Spinal- und Hirnnervenganglien.

57.4.4.1 Pathophysiologie und Symptome Inkubationszeit beträgt 11–21 Tage Auf Kopf, Rumpf und Schleimhäuten bilden sich kleine rötliche Papeln, die sich rasch in Bläschen umwandeln. Die Bläschen platzen auf und verkrusten. Die austretende Flüssigkeit ist hochinfektiös und eignet sich gut für den direkten Erregernachweis. Die Bläschen jucken beim Abheilen. Deswegen werden sie aufgekratzt, was zu einer bakteriellen Superinfektion führen kann. Begleitend tritt Fieber auf. Da die Effloreszenzen nicht gleichzeitig ausbrechen, findet man nebeneinander verschiedene Entwicklungsstadien („Sternenhimmel-Exanthem“, ▶ Abb. 57.2).

Bei Erwachsenen ist der Verlauf meistens deutlich schwerer.

57.4.4.2 Komplikationen V. a. bei Erwachsenen und Immunsupprimierten: Varizellenpneumonie, Meningoenzephalitis, Zerebellitis mit Gangstörung In der Schwangerschaft vor der 24. SSW kommt es zu einem fetalen Varizellensyndrom mit Vernarbung der Haut, Fehlbildung von Extremitäten, Gehirn und Augen. Die Letalität ist hoch. Spätere Infektionen in der Schwangerschaft sind weniger gefährlich. Bei Infektionen 5 Tage vor und 2 Tage nach der Entbindung kann das Neugeborene (sehr gefährliche) neonatale Windpocken entwickeln.

57.4.4.3 Therapie und Pflege Prophylaxe: Impfung gemäß STIKO ( ▶ Tab. 57.1 ) Auf die Bläschen wird eine juckreizlindernde zinkhaltige Schüttellotion aufgetragen. Pflegende sollen dabei Handschuhe tragen. ggf. Antihistaminikum bei starkem Juckreiz ggf. fiebersenkende Medikamente bei Kindern: Überwärmung verhindern, leichte, atmungsaktive Kleidung Fingernägel kurz schneiden nachts Baumwollhandschuhe anziehen zum Kämmen weiche Haarbürste verwenden bei Bläschen im Mund: lauwarme, breiige Kost und Mundspülung mit Kamille

bei Sekundärinfektionen: ggf. Antibiotika bei schweren Verläufen und Immunsuppression: Virustatikum, z.B. Aciclovir Duschen oder Baden: erst nach Abheilung der Bläschen (Kinderbad mit austrocknendem Badezusatz, z.B. Tannolact) bei stationärer Aufnahme: Isolation (siehe Kap. ▶ 13)

57.4.5 Gürtelrose (Herpes zoster) Definition Gürtelrose (Herpes zoster) Hauterkrankung im Versorgungsgebiet eines Hautnervs. Verursacher sind nach einer Windpockeninfektion überdauernde Varizella-Zoster-Viren. Die Erkrankung ist meldepflichtig.

57.4.5.1 Pathophysiologie und Symptome Varizella-Zoster-Viren verbleiben nach einer Infektion lebenslang in den Spinalganglienzellen oder (seltener) in den Ganglienzellen des N. trigeminus. Durch Stress, Immunsuppression, bei Tumorerkrankungen, UV-Licht oder im Alter kann es zur Reaktivierung kommen. Dabei wandern die Viren in die sensiblen Versorgungsgebiete einer oder mehrerer Spinalnervenwurzeln (Dermatome) und führen dort zu einer Entzündung im Bereich der Nervenenden. Es entwickeln sich: gruppiert stehende Bläschen auf gerötetem Grund, am häufigsten am Thorax, seltener im Bereich des Auges (Zoster ophthalmicus) oder des Ohrs (Zoster oticus)

starke, brennende Schmerzen im Ausschlaggebiet allgemeines Krankheitsgefühl Das Sekret aus den aufgeplatzten Bläschen ist hochinfektiös. Bei starker Entzündung kann das Gewebe großflächig nekrotisieren und vernarben.

57.4.5.2 Komplikationen Post-Zoster-Neuralgie (PZN): Fortbestehen starker, brennender Schmerzen Hornhautschäden bei Zoster ophthalmicus Schwerhörigkeit oder Gleichgewichtsstörungen bei Zoster oticus Fazialisparese Meningoenzephalitis Bei ausgeprägter Immunschwäche kann es zum Befall von mehreren sensiblen Haut- oder Hirnnerven kommen, ggf. sind sogar innere Organe betroffen (Zoster generalisatus)

57.4.5.3 Therapie und Pflege systemische Gabe von Virustatikum (z.B. Aciclovir) bei bakterieller Superinfektion: Antibiotikum Pflegeempfänger müssen ggf. isoliert werden (siehe Kap. ▶ 13) in akuter Phase Bettruhe, Prophylaxen nach Bedarf (siehe Kap. ▶ 17) lokale Behandlung der Bläschen mit austrocknenden und antiseptischen und im Krustenstadium mit krustenlösenden Externa. Handschuhe tragen! Die erkrankten Areale dürfen nicht gewaschen werden, ansonsten zum Waschen desinfizierende Waschzusätze

verwenden. Gabe und Überwachung der angeordneten Schmerzmedikation Eine starke, langjährige Post-Zoster-Neuralgie kann zu ▶ Suizidalität führen, daher ggf. Antidepressiva oder Antiepileptika. bei stark nässendem Ausschlag: leichte und luftdurchlässige Verbände bei Effloreszenzen in den Hautfalten: Mullkompressen einlegen Tab. 57.1 Standardimpfungen gegen häufige Virusinfekte.* Impfung

Kleinkinder 12–23 Monate

Masern

1. und 2. Nachimpfung bei Grundimmunisierung fehlender oder unvollständiger Grundimmunisierung in den ersten 2 LJ

Mumps Röteln Windpocken (Varizellen)

Kinder und Jugendliche 2–17 Jahre

Erwachsene ab 18 Jahre alle nach 1970 Geborenen, die keine oder nur 1. Impfung in der Kindheit erhielten oder mit unklarem Impfstatus –

* Auszug aus dem Impfkalender für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Robert Koch-Institut auf der Basis von Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO), 2020/21

KOMPAKT Virale Infektionen Infektiosität: hochinfektiöse und meldepflichtige Virusinfekte Manifestation: meistens im Kindesalter (außer Herpes zoster)

Symptome: Mumps führt zu einer Schwellung der Ohrspeicheldrüse. Masern, Röteln, Windpocken und Herpes zoster zeigen typische Exanthem-Muster ( ▶ Abb. 57.2). Herpes zoster („Gürtelrose“): basiert auf der Persistenz der Varizella-Zoster-Viren (VZV) in den Spinal- und Hirnnervenganglien. Der Zoster tritt meistens auf: im Alter, bei Gestressten, bei Immunsupprimierten, bei Tumorkranken. Prophylaxe: von STIKO empfohlene Impfungen ( ▶ Tab. 57.1 )

57.5 Spezielle organübergreifende bakterielle Infektionen 57.5.1 Clostridieninfektionen Clostridien sind Erreger des Botulismus, des Gasbrands, des Tetanus und der Clostridioides-difficile-Kolitis. Sie kommen im Erdboden und im Magen-Darm-Trakt des Menschen und der Tiere vor. Clostridien bilden z. T. gefährliche Toxine und sind Anaerobier, d.h., sie wachsen und vermehren sich nur in sauerstoffarmer Umgebung. Voll ausgeprägt sind durch Clostridien verursachte Krankheitsbilder häufig lebensbedrohlich. Deswegen werden die Patienten intensivmedizinisch versorgt und ihre Vitalparameter engmaschig überwacht.

57.5.1.1 Tetanus (Wundstarrkrampf) Definition Tetanus Tetanus (Wundstarrkrampf) ist eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit. Die Symptome werden verursacht durch das vom Bakterium Clostridium tetani gebildete Nervengift Tetanospasmin.

Pathophysiologie und Symptome Ausgangspunkt der Infektion ist eine z.B. mit Erde verunreinigte Hautverletzung. Tetanospasmin entfaltet seine Wirkung an den motorischen Endplatten der Skelettmuskulatur. Durch die muskuläre Übererregbarkeit kommt es zu Krämpfen („Wundstarrkrampf“). Typische Symptome eines generalisierten Wundstarrkrampfs sind Spasmen der Gesichtsmuskeln (Risus sardonicus, fixiertes Grinsen), die Kiefersperre (Trismus) und die Überstreckung der Nacken- und Rückenmuskulatur (Opisthotonus). Die Lähmung des Zwerchfells und der Interkostalmuskulatur führt zum Tod durch Ersticken bei vollem Bewusstsein. Bei der lokalisierten Form beschränken sich die Krämpfe auf die Wundumgebung.

Merke Tetanusimpfung abklären Jeder Pflegeempfänger mit Hautverletzung muss gefragt werden, wann er zuletzt gegen Tetanus geimpft wurde. Ist dies unklar, erfolgt ggf. eine Impfung mit einem aktiven und passiven Impfstoff (Tetanol und Tetagam).

Therapie und Pflege Zur Therapie bekommen die Pflegeempfänger Tetagam (Tetanus-Antitoxin), eine gründliche chirurgische Wundtoilette und Antibiotika, ggf. außerdem: Sedierung, Muskelrelaxierung und Beatmung. Prophylaxe ist die Impfung im Säuglingsalter mit regelmäßiger Auffrischung.

57.5.1.2 Clostridioides-difficile-Kolitis Definition Clostridioides difficile Clostridioides difficile ist ein anaerobes, grampositives Stäbchenbakterium, das nach Antibiotika-Applikation zu einer schweren Darmentzündung (Kolitis) führen kann.

Pathophysiologie und Symptome Clostridioides difficile ist bei gesunden Menschen ein harmloses Darmbakterium. Wird die physiologische Darmflora durch bestimmte Antibiotika (z.B. Clindamycin oder Cephalosporine) zerstört, kann es sich jedoch stark vermehren und Toxine produzieren. Diese können zu einer lebensbedrohlichen Kolitis führen. Begünstigend wirkt ein vorgeschädigter Darm (z.B. aufgrund einer chronischentzündlichen Darmerkrankung) oder eine Immunsuppression. Die Pflegeempfänger leiden unter Fieber, Bauchschmerzen und ▶ Dehydratation. Im Verlauf kann sich eine pseudomembranöse Kolitis mit toxischem Megakolon und/oder eine ▶ Sepsis entwickeln.

Therapie und Pflege

Zur Therapie erhalten die Pflegeempfänger Antibiotika, auf die die Clostridien sensibel reagieren (z.B. Metronidazol oder Vancomycin). Pflegerisch wichtig sind u. a. eine sorgfältige Hautpflege v. a. im Analbereich (Mazerationsgefahr durch häufige Ausscheidung), ein individuelles Schmerzmanagement und die Beobachtung auf mögliche Darmblutungen.

KOMPAKT Infekte mit Clostridien Clostridien sind Erreger von Botulismus, Gasbrand, Tetanus und der Clostridioides-difficile-Kolitis Clostridien sind Anaerobier: Sie gedeihen am besten dort, wo Sauerstoff fehlt (z.B. in Konservendosen, im Erdreich, in tiefen Wunden). Clostridien-Infektionen sind schwerwiegend bis lebensbedrohlich und erfordern intensivmedizinische Behandlung und Pflege. Pflege bei Clostridioides-difficile-Kolitis: sorgfältige Hautpflege im Analbereich, Schmerzmanagement, Beobachtung auf mögliche Darmblutung

57.5.2 Legionellose Definition Legionellose Legionellose ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, die durch Legionella pneumophila hervorgerufen wird und hauptsächlich die Atemwege betrifft.

57.5.2.1 Pathophysiologie und Symptome Legionellen sind aerobe Bakterien, die sich im Wasser bei Temperaturen unter 60°C vermehren, z.B. in schlecht gewarteten Wasserleitungen oder Klimaanlagen. Die Infektion erfolgt durch das Einatmen von erregerhaltigen Tröpfchen. Legionellen vermehren sich in Makrophagen, die sie durch die Atemwege transportieren und in der Lunge verteilen. Bei gesunden Menschen kann die Infektion asymptomatisch verlaufen. Bei Risikopflegeempfängern (z.B. Immunsupprimierte oder Intubierte) kann sie folgenden Verlauf nehmen: Erkältungsbeschwerden („Pontiac-Fieber“) atypische Pneumonie („Legionärskrankheit“) mit: hohem Fieber Muskelschmerzen trockenem Husten Diarrhö ggf. Verwirrtheit

57.5.2.2 Therapie und Pflege Antibiose (Makrolid, z.B. Clarithromycin) medikamentöse Fiebersenkung Pflege bei Fieber (siehe Kap. ▶ 30) und Atemwegserkrankungen (siehe Kap. ▶ 46)

Merke Prävention

Im Krankenhausalltag sollte kein Leitungswasser z.B. zur Tabletteneinnahme getrunken werden, bei immunsupprimierten Pflegeempfängern Mundpflege nur mit abgekochtem Wasser durchführen.

57.5.3 Salmonellose Definition Salmonellose Salmonellose ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, die durch Salmonellen hervorgerufen wird und den Magen-DarmTrakt betrifft.

57.5.3.1 Pathophysiologie und Symptome Salmonellen sind gramnegative Stäbchen. Die Übertragung erfolgt oral durch die Aufnahme kontaminierter Nahrung (Eier, Roheiprodukte, Geflügel und Milchprodukte). Die Inkubationszeit beträgt wenige Stunden bis zu einem Tag. Die Pflegeempfänger haben oft Fieber und leiden an Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Diarrhö. Für Kinder und ältere Menschen ist v. a. die ▶ Dehydratation gefährlich.

57.5.3.2 Therapie und Pflege Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution ggf. Antibiotika Pflegeempfänger sollte eigene Toilette erhalten. ggf. Betreuung im Einzelzimmer (Isolation, siehe Kap. ▶ 13) täglich Desinfektion der Kontaktflächen

Schlussdesinfektion

57.5.3.3 Prävention Händewaschen v. a. vor jeder Nahrungsaufnahme und Kontakt mit Lebensmitteln Beratung und Information zu sorgfältiger Küchenhygiene, ▶ Händehygiene keine Unterbrechung der Kühlkette beim Transport von Lebensmitteln gründliches Erhitzen von Speisen, die kontaminiert sein könnten, z.B. Hähnchenfleisch Verzicht auf Verzehr von Rohei und Roheiprodukten, v. a. im Sommer

KOMPAKT Spezielle organübergreifende bakterielle Infektionen Legionellose meldepflichtige Infektionskrankheit: durch Legionellen verursacht, betrifft überwiegend die Atemwege, Infektion über Einatmung erregerhaltiger Tröpfchen Erkältungssymptome bzw. Symptome einer asymptomatischen Pneumonie medikamentöse Therapie: mittels Antibiose, Pflege bei Fieber Salmonellose meldepflichtige Infektionskrankheit: durch Salmonellen verursacht, betrifft überwiegend den Magen-Darm-Trakt, Infektion oral, über kontaminierte Nahrung

Symptome: Fieber, Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall Flüssigkeit- und Elektrolytgabe: ggf. Isolierung, Hygiene! Pflege entsprechend der jeweiligen Symptomatik

Anschriften Sandra Heiligmann Berufsfachschule Pflege Virchowstraße 8h 31226 Peine Dr. med. Tobias Herbers Margarete Klimek Bildungsakademie Volmarstein GmbH Brusebrinkstraße 20 58135 Hagen Gesine Komander-Wergner Bildungszentrum für Gesundheitsfachberufe Kaiserswerther Diakonie Alte Landstraße 161 40489 Düsseldorf Dr. rer. cur. Annette Lauber Leitung Ausbildungszentrum St. Bernward Krankenhaus Treibestraße 9 31134 Hildesheim Jennifer Ludwig Daniela Schleyer Evangelisches Bildungszentrum für Gesundheitsberufe Stuttgart Haus der Diakonischen Bildung Nordbahnhofstraße 131 70191 Stuttgart Lucio Cecconi

Heike Adelt Akademie für Gesundheitsberufe Klinikum Stuttgart Hegelstraße 4 70174 Stuttgart Katja Schrade Akademie für Gesundheitsberufe Klinikum Stuttgart Hegelstraße 4 70174 Stuttgart

Sachverzeichnis Die hinter dem Stichwort angegebenen Zahlen in Klammern leiten Sie auf die einzelnen Fundstellen weiter.

 

10-Minuten-Aktivierung [1] 5-Phasen-Modell nach Müller und Timmermann [1] AASM (American Academy of Sleep Medicine) [1] AB0-Blutgruppensystem [1] ABEDL [1] Abhängigkeit [1] Abhängigkeits-/Unabhängigkeits-Kontinuum [1] Abort [1], [2] Absaugen, nasales [1] Abschiedskultur [1] Abwehr spezifische [1] unspezifische [1] Abwehrmechanismen [1] ACE (Angiotensin-Converting Enzyme) [1] ACS (akutes Koronarsyndrom) [1] ACVB (aortokoronarer Venenbypass) [1] Adhärenz [1] ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) [1]

Adipositas [1], [2] Adjourning [1] Affektive Störung [1], [2], [3] Afterloading-Verfahren [1] AG (Arbeitgeber) [1] AGG (allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) [1] Aggression [1], [2] Agonist [1] AHB (Anschlussheilbehandlung) [1] AIDS (angeeignetes Immundefizienz-Syndrom) [1], [2] AKIK (Aktionskomitee Kind im Krankenhaus) [1] Akkommodation [1] Aktivitätstheorie [1] Akutes Abdomen [1] Akutes Koronarsyndrom [1] Albumin [1] Alkalose [1], [2], [3] Alkohol [1] Alkoholismus [1], [2] ALL (akute lymphatische Leukämie) [1] Allergie [1] Hauttest [1] Allergietest [1] Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) [1] Alltagsbewältigung

Tumorpatient [1] ALS (Advanced Life Support) [1] ALS (amyotrophe Lateralsklerose) [1] Altenpflege Pflegeplanung [1], [2] Alter Fieber [1] Medikamentengabe [1] Veränderungen [1] Altersschwerhörigkeit [1] Alterstheorie [1] Altersweitsichtigkeit [1] AMD (altersbezogene Makuladegeneration) [1] AMG (Arzneimittelgesetz) [1] AML (akute myeloische Leukämie) [1] Ammoniak Atmung [1] Amputation [1] Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) [1] AN (Arbeitnehmer) [1] Analgesie patientenkontrollierte (PCA) [1] Analgetika [1] Analogskala, visuelle (VAS) [1], [2] Anämie [1], [2], [3], [4], [5]

perniziöse [1] Anästhesieprotokoll [1] Aneurysma [1], [2] Anfall, epileptischer [1], [2] Angina pectoris [1], [2], [3] Angiografie [1] Angststörung [1] Anlagestörung [1] Anleitung [1] Anordnung [1] Anorexia nervosa [1] Anpassungsstörung [1] Ansatz nach Rogers [1] Antagonist [1] Antidiabetika orale [1] Antiemetika [1] Antigen [1] Antikoagulanzien, neue orale (NOAK) [1] Antikoagulation [1] Betreuung [1], [2] Überwachung [1], [2] Antikörper [1], [2] Antipyretika [1] ANV (akute Nierenversagen) [1]

Anxiolyse [1] Aortenaneurysma [1] Aortenklappenstenose [1] Apallisches Syndrom [1] Aphasie [1] Apnoe [1] Apoplex [1] Appendizitis [1], [2], [3] Arbeitslosenversicherung [1] Arbeitsplatz, Stress [1] Arbeitsrecht [1] Arbeitsumsatz [1] Arbeitsunfähigkeit [1] Arbeitsvertrag [1] Arbeitszeiten [1] ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome = akutes Atemnotsyndrom) [1] Ärger Umgang [1] Aromatherapie [1] ART (antiretrovirale Therapie) [1] Arterien [1] große [1] herzferne [1] herznahe [1] herzversorgende [1]

Prüfung [1] Arterienverschluss, akuter [1], [2] Arteriosklerose [1] Arthritis eitrige [1] Arthrose [1] Arthroskopie [1] Arzneiformen [1] Arzneimittel [1] Therapieformen [1] Wirkungen [1] Arzneimittelexanthem [1] Arzneimittelform [1] Arzneimittelgesetz (AMG) [1], [2] ASE (atemstimulierende Einreibung) [1], [2] Aspiration [1], [2] Prophylaxe [1] Assessment [1] Associate Nurse [1] Asthma bronchiale [1], [2], [3] ATA (anästhesietechnischer Assistent) [1] Atemfrequenz [1] Atemnot [1], [2], [3], [4] COPD [1] Atemnotsyndrom

akutes [1] infantiles (IRDS) [1] Atemstillstand [1] Atemsystem, Erkrankungen [1] Atemtiefe [1] Atemtrainer [1] Atemübungen [1] Atemwegserkrankung Medikamente [1] Atemwegssekret, Absaugung [1], [2] Atemzentrum [1] ATLS (advanced trauma life support) [1] Atmung [1] Unterstützung, Pflegetechniken [1] Unterstützung, Positionen [1] Audiorhythmische Erfahrung [1] Aufklärung [1] Auflagen [1] Anwendung [1] Palliative Care [1] Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) [1] Augenerkrankung [1], [2] Pflege [1] Augenpflege [1] Augenspülung [1]

Ausatemluft, Geruch [1] Ausbildung praktische [1] theoretische [1] Ausbildungsvergütung [1] Ausbildungsvertrag [1] Ausräumen, manuelles [1] Ausscheidung beim Kind [1] Unterstützung [1], [2] Autismus frühkindlicher [1] Autismus-Spektrum-Störung [1] Autoimmunerkrankung [1] Autoimmunhepatitis [1] Autonomie [1], [2] Prinzipienethik [1] AV-Knoten [1] Azidose [1], [2] B.A. (Bachelor of Arts) [1] B.Sc. (Bachelor of Science) [1] Babyblues [1] BÄK (Bundesärztekammer) [1] Ballaststoffe [1] Bandscheibenvorfall [1], [2]

Basale Stimulation [1], [2], [3] Pflegemaßnahmen [1], [2], [3] Schlaganfall [1] Basalganglienerkrankung [1], [2] Basaliom [1] Bauchaortenaneurysma [1] Bauchfellentzündung [1] Bauchgefühl [1] Bauchhöhle [1] Bauchspeicheldrüse [1], [2] Bauchwandhernie [1], [2] Bayliss-Effekt [1] Beatmung künstliche [1] Beckenhöhle [1] Bedarfsmedikamente [1] Bedürfnisspyramide [1] Begleitung sychosoziale, Langzeitpflege [1] sychosoziale, personenzentrierter Ansatz nach Kitwood [1] sychosoziale, psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm [1] Behandlungspflege [1] Behaviorismus [1] Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) [1]

Behinderung geistige, Definition [1] geistige, Erkrankungen, häufige [1] geistige, Formen [1] geistige, Grundlage, rechtliche [1] geistige, Pflegeschwerpunkte [1], [2] Beinarterien, akuter Verschluss [1] Beine wickeln [1] Beinvenenthrombose, tiefe [1], [2], [3] Antikoagulation [1] BeKD e. V. (Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e. V.) [1] Bekleidung [1] Belastungsinkontinenz [1] Belastungsstörung, posttraumatische [1] Benommenheit [1] Beobachtung [1] systematische [1] Beobachtungsbogen [1] Beratungsgespräch [1] Bereichskleidung [1] Bereichspflege [1], [2] Berufskleidung [1] Berufskodex [1] Berufsverband [1] Berührungstherapie [1]

BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) [1], [2] Bestrahlung [1] Betäubungsmittel (BtM) Lagerung [1] Betreuungsrecht [1] Bettenmachen [1] Bettlägerigkeit Prophylaxe [1] Bettlägerigkeit, Prophylaxe [1] Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) [1] Bewältigungsstrategie bewusste [1] Bewegung Anstrengung [1] menschliche [1] Bewegungsablauf, physiologischer, Bobath-Konzept [1] Bewegungsapparat [1], [2] Bewegungseinschränkung, Positionierung und Mobilisation [1] Bewusstlosigkeit [1] anhaltende [1] plötzliche [1] Bewusstmachen [1] Bewusstsein Grundlagen [1] Bewusstseinseinengung [1]

Bewusstseinsstörung [1] Bewusstseinstrübung [1] Bewusstseinsverschiebung [1] Beziehungsaufbau [1] Beziehungsgestaltung [1] Beziehungsgestaltung, professionelle [1], [2], [3] Bezugspflege [1], [2] BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) [1] BGA (Blutgasanalyse) [1] BGA (gemeinsamer Bundesausschuss) [1] BGB (bürgerliches Gesetzbuch) [1] BGG (Behindertengleichstellungsgesetz) [1] BIA (bioelektrische Impedanzanalyse) [1] Bindenverband [1], [2] Biografiearbeit [1] Biomorphose [1] Biopsie [1] Formen [1] Biot-Atmung [1] BiPAP (Biphasic Positive Airway Pressure) [1] Bipolare affektive Störung [1] Blasenkatheter Pflege [1] suprapubischer [1] transurethraler [1]

Umgang [1] Blasenspülung [1] Blasenverweilkatheter [1] Blindheit [1] BLS (Basic Life Support) [1] Blutbestandteile [1] Blutbildung [1] Blutdruck [1] Klassifikation nach WHO [1] Blutdruckmessung [1] Blutdruckregulation [1] Blutentnahme Kanüle [1], [2] kapillare [1] Katheter, zentralvenöser [1] Punktionsstelle, Desinfektion [1] venöse [1], [2] Bluterbrechen [1], [2] Blutgerinnsel, Auflösung [1] Blutgerinnung Herabsetzung [1] Laborparameter [1] Neugeborenes [1] Thrombolyse [1] Blutgruppenserologie [1]

Blutgruppenunverträglichkeit [1] Blutplasma [1] Blutprodukt, Umgang [1] Blutstillung [1] Bluttransfusion [1], [2], [3] Blutung innere und äußere [1] Blutungsprophylaxe [1] Blutuntersuchungen [1] Blutvolumen [1] Blutzellen [1] Blutzuckerbestimmung [1] BMI (Body-Mass-Index) [1] Bobath-Konzept [1] Bewegungsablauf, physiologischer [1] Schlaganfall [1], [2] Body-Mass-Index (BMI) [1] Borreliose [1] BOT (basalunterstützte orale Therapie) [1] BPD (bronchopulmonale Dysplasie) [1] BPH (benigne Prostatahyperplasie) [1] Brachytherapie [1] Bradypnoe [1] Brandverletzung [1] Bronchialkarzinom [1], [2], [3]

Bronchialsekret, Sekretmobilisation [1] Bronchitis chronische [1] Bronchitis, chronische [1] Brustdrüsenentzündung [1] Brustwickel [1] BSA (Body Surface Area) [1] B-Symptomatik [1] BTHG (Bundesteilhabegesetz) [1] BtM (Betäubungsmittel) [1] BtMG (Betäubungsmittelgesetz) [1] BtMVV (Betäubungsmittelverschreibungsverordnung) [1] Buddhismus [1] Bülau-Drainage [1] Bulimie [1], [2] Bundesteilhabegesetz (BTHG) [1] Burn-out-Syndrom [1] CAM-ICU (Confusion Assessment Method for Intensive Care Unit) [1] CAP (community acquired pneumonia) [1] Case-Management [1], [2] CCS (chronisches Koronarsyndrom) [1] Charrière (Ch.) [1] Chemotaxis [1] Chemotherapie [1], [2]

Hautreaktionen [1] Cheyne-Stokes-Atmung [1] Cholesterin [1] Cholezystektomie [1] Pflege [1] Chorea Huntington [1], [2] Christentum [1] Chronisches Koronarsyndrom [1] CIRS (Critical Incident Reporting System) [1] Claudicatio intermittens [1] CLL (chronisch lymphatische Leukämie) [1] Clostridien [1] Clostridium difficile [1] CML (chronisch myeloische Leukämie) [1] CMV (Continuos Mandatory Ventilation) [1] CNI (chronische Niereninsuffizienz) [1] CNV (chronisches Nierenversagen) [1] Cochlea-Implantat [1] Colitis ulcerosa [1], [2] Compliance [1] Confusion Assessment Method (CAM) [1] COPD (chronic obstructive pulmonary disease) [1], [2] Coping [1], [2] COVID-19 (coronavirus disease 2019) [1] CPAP-SPN (Continuous Positive Airway PressureSpontaneous) [1]

CPR (kardiopulmonale Reanimation) [1] CRPS (komplexes regionales Schmerzsyndrom) [1] Cuff, geblockter [1] Cumarine [1] Dammriss [1] Dammschnitt [1] Darmeinlauf [1] Durchführung [1] Darmerkrankung chronisch-entzündliche [1], [2] Darmrohr [1] Dauerkatether [1] DBfK (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe) [1] DBVA (deutscher Berufsverband für Altenpflege e. V.) [1] D-Dimere [1] Débridement [1], [2] Defäkation [1], [2] Dehydratation [1], [2] Dekubitusprophylaxe [1], [2], [3] Dekubitusrisiko [1] Delegation [1] Delir [1] Demenz [1] Alzheimer-Typ [1] BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) [1]

Kommunikation [1] Personenzentrierter Ansatz nach Kitwood [1] psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm [1] vaskuläre [1] Dendritische Zellen [1] Dependenzpflege [1] Depression [1], [2] Deprivation, sensorische [1] Deprivationsprophylaxe [1], [2] Dermatophytose [1], [2] Descensus uteri [1], [2] Desinfektion [1], [2] DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) [1] DGHS (Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben) [1] Diabetes mellitus [1], [2], [3] mellitus, Ernährung [1] Dialyse [1], [2] Diarrhö [1], [2] Diastole [1] Diäten [1] Dickdarm [1] Digitalisüberdosierung [1] Direktions- und Weisungsrecht [1] Disengagementtheorie [1]

Distorsion [1] Divertikulitis [1], [2] Divertikulose [1], [2] DK (Dauerkatheter) [1] DMS (Durchblutung, Motorik, Sensibilität [1] DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) [1] DMS-Kontrolle [1], [2] Dokumentation [1] Patientenbeobachtung [1] Down-Syndrom [1] Drainage [1] Pflege [1] Drainagensysteme [1] Dranginkontinenz [1] DRG (Diagnosis Related Group) [1] Druckmessung intraabdominelle (IAP) [1] intrakranielle (ICP) [1] DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) [1] Dünndarm [1] Duodenum [1] Durstgefühl [1] DXA (duales Röntgen-Absorptions-Verfahren) [1] Dysarthrie [1] Dysphagie [1]

Dysplasie bronchopulmonale (BPD) [1] Dyspnoe [1], [2], [3] Palliative Care [1] Dyssomnie [1] EACH (European Association for Children in Hospitals) [1] EBN (Evidence-based Nursing) [1] EboMo (Erfassungsbogen „Mobilität“) [1] Ebstein-Barr-Virus (EBV) [1] EBV (Ebstein-Barr-Virus) [1] ECCE (extrakapsuläre Kataraktoperation) [1] Echokardiografie [1] ECMO (Extra-Corporale-Membran-Oxygenierung) [1] EDEKA-Regel [1] EEG (Elektroenzephalografie) [1] EFQM (European Foundation for Quality Management) [1] EHF (extensively hydrolyzed formula) [1] Eingeweideschmerzen [1] Eingewöhnung Pflegeeinrichtung [1] Einmalkatheter [1] Einreibung, atemstimulierende (ASE) [1] Einwilligung [1] Einzug

Pflegeeinrichtung [1] Eiweißverdauung [1] Ekel [1] Eklampsie [1] Elektrokardiogramm (EKG) [1] Elektrolyte [1] Elektrolythaushalt [1] im Alter [1] Störungen [1] Elektrounfälle [1] Emesis [1] EMG (Elektromyografie) [1] Emotionen [1] Empathie [1], [2] Endokard [1] Endokarditis, akut bakterielle [1] Endometriose [1] Endometriumkarzinom [1] Endoprothese [1] Energiebedarf [1], [2] erhöhter [1] Kind [1] ENG (Elektroneurografie) [1] ENP (European Nursing Care Pathways) [1] Enteropathie

glutensensitive [1] Enterostoma [1] Beutelwechsel [1] Entgleisung hypertensive [1] Entscheidungsfindung, partizipative [1] Entscheidungsfindungsmodelle [1] Entspannungstechniken, Schmerz [1] Entwicklung Erwachsenenalter [1] Kindheit [1], [2] psychosexuelle nach Freud [1] psychosoziale nach Erikson [1], [2] Entwicklungsaufgaben nach Havighurst [1] Entwicklungspsychologie [1] Entwicklungsstörung [1] Entwicklungstheorie kognitive, nach Piaget [1] Entwicklungsverlauf, Kind [1] Entzündung [1] Enuresis [1] Enzephalitis [1] Epikard [1] Epilepsie [1], [2] Episiotomie [1]

EPO (Erythropoetin) [1] EPUAP (European Pressure Ulcer Advisory Panel) [1] Erbrechen [1], [2] Beobachtung [1], [2] chemotherapieinduziertes [1] strahlenbedingtes [1] tumorbedingtes [1] ERC (European Resuscitation Council) [1] Ergebnisqualität [1] Erinnerungspflege [1] Erkrankung chronische [1], [2] Experte sein [1] rheumatische [1] Ernährung [1], [2] ausgewogene [1] enterale [1], [2] im Alter [1] künstliche [1] parenterale [1], [2] Ernährungsmanagement [1] Ernährungspyramide [1] Ernährungszustand [1], [2] Erreger multiresistente (MRE) [1]

Erste Hilfe [1] Ersthelfersituation, spezielle [1], [2] Erwachsenenalter [1] Erysipel [1] Erythropoetin (EPO) [1] Erythrozyten [1], [2] Erkrankungen [1], [2] Erythrozytenkonzentrat (EK) [1] Anämie [1] Essen [1] Essstörung [1] ESWL (extrakorporale Stoßwellenlithotripsie) [1] Ethik [1], [2] Eukalyptusöl-Blasenauflage [1] Eupnoe [1] European Association for Children in Hospitals (EACH) [1] Evidence-based Nursing (EBN) [1] Expertenstandards [1] Exsikkose [1] Exsudat [1] Extensionstherapie [1] Extremität obere, Verletzungen [1], [2] untere, Verletzungen [1], [2] Exzisionsbiopsie [1]

F.O.T.T. (facio-orale-Trakt-Therapie) [1] Fachkräftemangel [1] Fahrlässige Tötung [1] Fallmanagement [1] Familienbild, verändertes [1] Fast-Track-Chirurgie [1] Fatigue [1], [2], [3] Fazilitation [1] Fehlbelastung, körperliche [1] Fehlermanagement [1] Fehlgeburt [1], [2] Fehlsichtigkeit [1] Feinnadelbiopsie [1] FEM (freiheitsentziehende Maßnahmen) [1] Fette [1] Fettstoffwechselstörung primäre [1] sekundäre [1] Fettverdauung [1] Fibrinogenaktivierung [1], [2] Fieber [1], [2], [3] Fieberabfall [1] Fieberhöhe [1] Fiebersenkung [1] Finanzierungssystem, duales [1], [2]

Fixateur externe [1] Fixierung [1], [2] FKJ (Feinnadel-Jejunostomie) [1] Flüssigkeitsaufnahme [1] Flüssigkeitsbedarf [1] Berechnung [1] Flüssigkeitsbilanz [1], [2] Flüssigkeitsverlust, unbemerkter [1] Follikulitis [1] Forming [1] Forschung [1] qualitative [1] quantitative [1] Fortbildung [1] Fraktur [1] Komplikationen [1] Frakturzeichen [1] Freiheitsbeschränkende Maßnahmen [1] Freiheitsbeschränkung [1] Freiheitsentziehung [1] Frischplasma, gefrorenes (GFP/FFP) [1] Frühgeborenes [1] Frühgeburt, drohende [1] Frühmobilisation [1] Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) [1]

Funktionspflege [1] Fürsorge [1] kulturspezifische [1] Prinzipienethik [1] Furunkel [1] Fußsyndrom diabetisches [1] GABI [1] Gallenblase [1] Gallenerkrankungen [1], [2] Gallensteine [1] Ganzheitlichkeit [1] Ganzkörperwaschung, therapeutische [1] Gaster [1], [2] Gastritis [1], [2], [3] Gastrostomie perkutane endoskopische (PEG) [1], [2] GBA (geriatrisches Bases-Assessment) [1] GCS (Glasgow Coma Scale) [1] GDM (Gestationsdiabetes mellitus) [1] Geburt [1], [2] Geburtsverletzung [1] Gefäßfunktionen [1], [2] Gefäßsystem [1], [2] Ultraschalluntersuchung [1]

Gefäßzugang periphervenöser (PVK) [1], [2] zentralvenöser (ZVK) [1] Gefühl [1] Gehirn [1] Blutungen [1] graue und weiße Substanz [1] Gehörlosigkeit [1] Gelenke, echte [1] Gelenkspiegelung [1] Gelenkspunktion [1] Generationenvertrag [1] Genesungsprozess [1] Genu valgum [1] varum [1] Gerechtigkeit Prinzipienethik [1] Geruchssinn [1] Gesamtumsatz [1] Geschlecht [1] Geschlechtsorgane männliche [1], [2] weibliche [1], [2] Gesichtsschädelfraktur [1]

Gesichtsschmerzen [1] Gesprächskompetenz Entwicklung [1] Gestationshypertonie [1] Gesundheit Definition [1] Modell der Salutogenese [1] Gesundheitsund Sozialsystem, deutsches [1] Gesundheitsförderung [1], [2] in der Pflege [1] Tumorpatient [1] Gesundheits-Krankheits-Kontinuum [1] Gesellschaft [1] Gesundheitssystem [1] Finanzierungssystem [1], [2] Organisationskonzepte [1] Gesundheitsverhalten individuelles [1] Gesundheitswissenschaften [1] Gewalt [1] Verdacht [1] Gewerkschaft [1] GFR (glomeruläre Filtrationsrate) [1] GG (Grundgesetz) [1]

Gicht [1] Gipsbehandlung, DMS-Kontrolle [1] Gipsverband [1] GKV (gesetzliche Krankenversicherung) [1] Glaukom [1] Glaukomanfall, akuter [1] Glioblastom [1] Globuline [1] Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) [1] Glomerulonephritis [1], [2] Glukagon [1], [2] Glukokortikoid [1] Glukose-Toleranz-Test, oraler (oGTT) [1] Gonarthrose [1] Gonorrhö [1] Grading [1] Granulozyten [1] Granulozytenkonzentrat-Apharese (GK) [1] GRC (German Resuscitation Council) [1] Grundgesetz (GG) [1] Grundrechte, Unterteilung [1] Grundumsatz [1] Grünholzfraktur [1] Gruppe, soziale [1] Guillain-Barré-Syndrom [1]

Gürtelrose [1] Gütekriterium Pflegeforschung [1] Gynäkologie Untersuchung [1] HA (hypoallergen) [1] Haarpflege [1] HAART (hochaktive antiretrovirale Therapie) [1] Hallux valgus [1] Haltung innere [1] palliative, Werte [1] Hämangiom [1] Hämatemesis [1] Hämatokrit [1] Hämatopoese [1] Hämodialyse [1], [2] Hämofiltration [1] Hämoptyse [1] Hämostase [1] primäre [1] sekundäre [1] Händedesinfektion chirurgische [1] hygienische [1]

Händehygiene [1] Handeln primär pflegerisches [1] Hand-Fuß-Syndrom [1] Handling [1] Handlungskompetenz, berufliche [1] HAP (hospital acquired pneumonia) [1] Haptik [1] Harnblase [1] Harnblasenentleerung [1] Harnentleerung Hilfsmittel [1] Harninkontinenz [1], [2], [3] Prophylaxe [1] Harnleiter [1] Harnröhre [1], [2] Harnwege, ableitende [1], [2] Harnwegsinfektion [1], [2], [3] Prophylaxe [1] Hashimoto-Thyreoiditis [1] Hautalter [1] Hautbeobachtung [1] Hauterkrankung [1], [2] Juckreiz [1] Lokaltherapeutika [1]

mykotische [1], [2] parasitäre [1], [2] Hautkolorit [1] Hautkrebs, schwarzer [1] Hautoberfläche [1] Hautpflege [1] Hautpflegeprodukte [1] Hautreinigungsprodukte [1] Hauttemperatur [1] Hauttumoren [1] maligne [1] Hautturgor [1] Health-Belief-Modell [1] Heilung, verzögerte [1] Heimgesetz (HeimG) [1], [2] Helfersyndrom [1] HELLP-Syndrom [1] Hemiplegie Positionierung [1] Raumgestaltung [1] HEP (Hemiendoprothese) [1] Heparin [1] Hepatitis [1], [2] Hernie [1], [2] Herpes zoster [1]

Herz Anatomie [1], [2] Gefäßversorgung [1], [2] Kreislaufsysteme [1] Reizleitungs- und Reizbildungssystem [1] Herzbeutel [1] Herzerkrankung [1], [2] entzündliche [1] Medikamente [1] Pflegebasismaßnahmen [1] Herzfrequenz, Überwachung [1] Herzinfarkt [1], [2], [3] Medikamente [1] Herzinsuffizienz [1], [2], [3] Klassifikation [1] Herzkatheteruntersuchung [1], [2] Herzklappenerkrankung [1] Herzkrankheit, koronare (KHK) [1] Herz-OP, Pflege [1] Herzrhythmusstörung [1], [2], [3] Therapie [1] Herzschlag, Phasen [1] Herzstillstand [1], [2] Herzwand [1] HHL (Hypophysenhinterlappen) [1]

HIE (hypoxisch-ischämische Enzephalopathie) [1] High-dose-Heparin [1] Hilfeleistung unterlassene [1] Hilfsstoff [1] Hinduismus [1] Hirnblutung [1] Therapie [1] Hirndruckanstieg [1] Hirngefäße [1] Hirninfarkt [1] Hirnischämie [1] Hirntod [1], [2] Feststellung [1], [2] Hirntumor [1] Hirnvenen [1] His-Bündel [1] HIV (humane Immundefizienz-Virus) [1], [2] Hochdrucksystem [1] Hodentorsion [1] Hodentumor [1] Homöostase [1], [2] HOPS (postoperatives akutes organisches Psychosyndrom) [1] Hormonsystem [1] Hormontherapie [1]

Hörprüfung [1] Hörsturz [1] HPV (humanes Papillomvirus) [1] HU (High Urgency) [1] Humor [1] HVL (Hypophysenvorderlappen) [1] HWI (Harnwegsinfekt) [1] Hydrozephalus [1], [2] Hygiene [1] Bettenmachen [1] Hygieneplan [1] Hypercholesterinämie [1] Hyperglykämie [1] Hyperhydratation [1] Hyperthyreose [1] Hypertonie arterielle [1], [2] Schwangerschaft [1] Hyperurikämie [1] Hypoglykämie [1] Hypophyse [1] Hypothalamus [1] Hypothyreose [1] IAP (intraabdomineller Druck) [1] ICD (International Classification of Diseases/Internationale Klassifikation der Krankheiten)

[1] ICDSC (Intensive Care Delirium Screening Checklist) [1] ICF (Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit) [1] ICN (International Council of Nurses) [1] ICN-Ethikkodex [1] ICNP (International Classification of Nursing Practice) [1] ICP (intrakranieller Druck) [1] ICT (intensivierte konventionelle Therapie) [1] ICU (Intensive Care Unit) [1] IfSG (Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen) [1] Ileostoma [1], [2] Ileum [1] Ileus [1] Darmgeräusch [1] IMC (Intermediate Care) [1] Immundefekte [1] Immundefizienz-Virus, humanes (HIV) [1], [2] Immunsuppressiva [1] Immunsystem [1], [2] Impfung [1] Impulskontrollstörung [1] Infektion

aerogene [1] fäkal-orale [1] nosokomiale [1], [2] organübergreifende [1] organübergreifende bakterielle [1] Übertragungswege [1] Infektionslehre Grundlagen [1] Infektionsprophylaxe [1] Infektionsschutzgesetz [1] Information patientenorientierte [1], [2] Infusion [1], [2] Probleme und Maßnahmen [1], [2] Schwerkraftgesteuerte [1] Infusionsgeschwindigkeit [1] Infusionslösungen [1], [2] Infusionsmanagement [1], [2] Infusionspumpen [1] Infusomaten [1] Injektion [1] Aufziehen [1] Bestimmung, rechtliche [1] Richten [1] Vorbereitung [1], [2]

Injektionsarten [1], [2], [3] Inklusion [1] Inkontinenzhilfsmittel [1], [2] Insuffizienz [1] Insulin [1], [2] Insulintherapie [1], [2], [3] Intensive Care Units (ICU) [1] Intensivpflege, ambulante [1] Intensivstation [1] Kommunikation [1] Interdisziplinarität [1] Interesse, primär pflegerisches [1] Intermediate Care Stations (IMC) [1] Intermittierender Selbstkatheterismus [1] Intertrigoprophylaxe [1] Intimpflege [1] Blasenkatheter [1] Grundregeln [1] Intoxikation [1] Intuition [1] IOD (intraokulärer Druck) [1] IRDS (infantiles Atemnotsyndrom) [1] ISAP (International Association for the study of pain) [1] ISK (intermittierender Selbstkatheterismus) [1] Islam [1], [2]

Isolationsmaßnahme [1], [2] ITN (Intubationsnarkose) [1] IVP (intravenöse Pyelografie) [1] Jejunum [1] Jetlag sozialer [1] Jet-PEG (jejunal tube through-PEG) [1] JIA (juvenile idiopathische Arthritis) [1] Juck-Kratz-Zirkel [1] Judentum [1] Jugendarbeitsschutzgesetz [1] Jugendliche Ernährung [1] Gewicht [1] Schmerzbeobachtung [1] Kaiserschnitt [1] Pflege [1] Kalottenfraktur [1] Kälteanwendung [1] Kälteschäden [1] Kammerflimmern [1] Kandidose [1] Kanzerogene [1] Kapillaren [1] Karbunkel [1]

Kardiopulmonale Reanimation (CPR) [1] Karpaltunnelsyndrom [1] Karzinom hepatozelluläres [1] kolorektales [1], [2] Katarakt [1], [2] Katheter implantierter zentralvenöser [1], [2] nicht implantierter zentralvenöser [1] teilweise implantierter zentralvenöser [1] zentralvenöser, Blutentnahme [1], [2] zentralvenöser, Pflege [1] zentralvenöser, Verbandwechsel [1], [2] Katheterarten [1], [2] Kathetergrößen [1] Katheterspitzen [1] Keratitis [1], [2] Kerckring-Falten [1] KHG (Krankenhausfinanzierungsgesetz) [1] KHK (koronare Herzkrankheit) [1] Kinästhetik Grundpositionen [1] Konzepte, grundlegende [1] Umgebung [1] Ziele [1]

Kind Ernährung [1] Fieber [1] Gewicht [1] im Krankenhaus [1] Medikamentengabe [1] Öl, ätherisches [1] Schmerzbeobachtung [1] ungeborenes, Kreislauf, fetaler [1] Kinderernährung [1] Kindheit [1] Kleinkind, Schmerzbeobachtung [1] Klinikwäsche [1] Knochen [1] Knochenmarkspunktion [1] Knochenmarksuppression [1], [2] Knochenmetastase [1] Knochentumor [1], [2] Knorpel [1] Koanalgetika [1] KOF (Körperoberfläche) [1] Kohärenzgefühl [1] Kohlenhydrate [1] Kohlenhydratverdauung [1] Kolektomie, Pflege [1]

Kolitis lebensbedrohliche [1] Kollagenosen [1], [2], [3] Kolon [1] Kolonisation [1] Koloskopie [1] Kolostoma [1], [2] Koma [1] diabetisches [1] Kommunikation Feedback-Regeln [1] fördernde [1] im Team [1] in der Anwendung [1] Intensivstation [1] mit Ärzten [1] mit Bezugspersonen [1] mit Kindern [1], [2] mit Pflegeempfängern [1] professionelle [1], [2], [3], [4] transkulturelle Pflege [1] Validation [1] zwischenmenschliche, Axiome von Watzlawick [1] Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun [1] Kommunikationsstörung [1]

Kompartmentsyndrom [1] Konditionierung [1] operante [1] Kongruenz [1], [2], [3] Konjunktivitis [1], [2] Kontaktinfektion [1] Kontamination [1] Kontinenztraining [1] Kontinuitätstheorie [1] Kontrakturenprophylaxe [1] Kontrollüberzeugung [1] Kopfschmerzen [1] Koronargefäße [1] Körpergewicht, Messwerte [1] Körperkreislauf [1] Gefäße, große [1], [2] Körperlänge [1] Körperoberfläche, Berechnung [1] Körperpflege [1], [2] Grundregeln [1] Körperreinigung, präoperative [1] Körpertemperatur [1] Messung [1] Senkung [1] Körperverletzung [1]

Körperwahrnehmung Bobath-Konzept [1] Körperwaschung, beruhigende [1] Kosten-Nutzen-Abwägung [1] Kostformen [1] Koxarthrose [1] Krampfadern [1] Krampfanfall zerebraler [1] Krankenhausaufenthalt im Alter [1], [2] Kind [1] Krankenhäuser [1] Krankenversicherung [1], [2] Krankheit als Bedrohung [1] Bewältigungsstrategien [1], [2] Definition [1] Sexualität [1] Krankheitsbewältigung, Patientenedukation [1] Krankheitserreger [1] Krankheitsgewinn sekundärer [1] Krankheitsverlaufskurve [1] Kreislauf

fetaler [1] Kreislaufregulation, Prüfung [1] Kreislaufstillstand [1] Kreislaufsystem [1], [2] KRINKO (Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention) [1] Krisis [1] KSchG (Kündigungsschutzgesetz) [1] KTQ (Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) [1] KTS (Karpaltunnelsyndrom) [1] Kultur [1], [2] fremde [1] Kümmelölauflage [1] Kurzsichtigkeit [1] KUSS (kindliche Unbehagens- und Schmerzskala) [1] Kutschersitz [1] Lachen [1] Langzeitpflege Alltag [1] Begleitung, psychosoziale [1] Rahmenbedingung [1] stationäre [1] Wohnen [1] Lärmschaden [1] Laxanzien [1]

Lebensaktivitäten [1] Lebensende Selbstbestimmung [1] Lebensende, Selbstbestimmung [1] Lebensmittelgruppen [1] Lebensqualität [1] Lebensspanne [1] Leber [1] Leberinsuffizienz [1] Leberzirrhose [1] Legionellose [1] Lehre [1] Leistungsmotivation [1] Leistungsumsatz [1] Lernen [1] durch Beobachtung [1] Leukämie [1] Chemotherapie [1] Leukämieformen [1] Leukopenie [1], [2] Leukozyten [1], [2] Erkrankungen [1] Linksherzinsuffizienz [1] Lipidstoffwechselstörung [1] Lipoprotein [1]

Listeriose [1] LJ (Lebensjahr) [1] Lochialstau [1] Locus of Control [1] Lokaltherapeutika dermatologische [1] Low-dose-Heparin [1] Lues [1] Lunge [1] Lungenembolie [1] Wells-Score [1] Lungenentzündung [1], [2] Lungenerkrankung, chronisch-obstruktive (COPD) [1], [2] Lungenkreislauf [1] Lungenödem [1] Lungentuberkulose [1], [2] Lungentumor [1], [2], [3] Lungenversagen akutes (ARDS) [1] Lupus erythematodes, systemischer (SLE) [1], [2] Luxation [1] Lymphadenitis [1] Lymphangitis [1] Lymphatische Organe [1] Lymphatisches System [1]

Lymphgefäßsystem [1] Lymphknotenbiopsie [1] Lymphknotenexstirpation [1] Lymphödem [1] Lymphom, malignes [1], [2], [3] Lymphozyten [1] Lyse [1] Lysis [1] Magen [1] Magensonde [1], [2] Legen [1], [2] Legen, Komplikationen [1] Magersucht [1] Makroangiopathie diabetische [1] Makronährstoffe [1] Makrophagen [1] Makuladegeneration, altersbezogene (AMD) [1] Maligne Erkrankungen [1], [2] MALT (mucosa-associated lymphatic tissue) [1] Mammakarzinom [1], [2] Mangelernährung [1], [2], [3] Assessmentinstrumente [1] Prophylaxe [1] Vorbeugen [1]

Manie [1] Masern [1] Maskengesicht [1] Mastitis puerperalis [1] Mastzellen [1] MCH (mittlerer korpuskulärer Hämoglobingehalt) [1] MCHC (mittlere korpuskuläre Hämoglobinkonzentration) [1] MCP (Metoclopramid) [1] MCU (Miktionszystourethrografie) [1] MCV (mittleres korpuskuläres Volumen) [1] MD (Medizinischer Dienst) [1] MDS (Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e. V.) [1] MDS (myelodysplastisches Syndrom) [1], [2] Medikamente 6-R-Regel [1], [2] Indikationen [1] Kontraindikationen [1] Nebenwirkungen [1] schlaffördernde [1] Stellen, Richtlinien [1] Verfallsdatum [1] Medikamentenlagerung [1] Medikamentenmanagement [1], [2] Krankenhaus [1]

Medikamentenverabreichung [1], [2] Medikamentenverordnung [1], [2] Medizinischer Dienst (MD) [1] Medizinprodukte Umgang und Aufbereitung [1] Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) [1] Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) [1], [2] Medizinprodukteverordnung, europäische [1], [2] Melanom malignes [1] Meningitis [1], [2], [3] Meningoenzephalitis [1] Meningomyelozele [1] Meningozele [1] Meniskusschaden [1] Menschenbild in der Pflege [1] Perspektiven, verschiedene [1], [2] MET (medikamentöse expulsive Therapie) [1] Metabolisches Syndrom [1] Metastasierung [1] Metformin Nebenwirkung [1] Methoden des Helfens [1]

MID (Multi-Infarkt-Demenz) [1] Migräne [1], [2] Mikroangiopathie diabetische [1] Mikronährstoffe [1], [2], [3] Mikroschulung [1] Miktion [1], [2] Miktionsstörung [1] Milz [1] Mineralstoffe [1], [2] Mini-Mental-State-Examination (MMSE) [1] Miosis [1] MiS (Mikro-Stimulations-System) [1] Mischinsuline [1] Mitgefühl [1] Mittelohrentzündung [1] MMSE (Mini-Mental-State-Examination) [1] MMST (Mini-Mental-Status-Test) [1] MNA (Mini Nutritional Assessment) [1] Mobilisation [1], [2] Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege von Marie-Luise Friedemann [1] der gesundheitlichen Überzeugung [1] der Krankheitsverlaufskurve von Jukiet Corbin und Anselm Strauss [1]

der Salutogenese, Bedeutung [1] des Lebens [1] fördernder Prozesspflege [1] Monaldi-Drainage [1] Monozyten [1] Moral [1] Morbus Alzheimer [1] Basedow [1] Bechterew [1], [2] Crohn [1], [2] Paget [1] Parkinson [1], [2] Scheuermann [1] Motivation [1] MOTPA (Mobilitätstest für Patienten im Akutkrankenhaus) [1] MRE (multiresistente Erreger) [1] MRSA (methicillinresistenter Staphylococcus aureus) [1], [2] MS (multiple Sklerose) [1] MTPS (medizinischer Thromboseprophylaxestrumpf) [1] MTS (Manchester-Triage-System) [1] Mukositis orale [1], [2]

Mukositisprophylaxe [1] Mukoviszidose [1], [2] Multimorbidität [1] Multiple Sklerose (MS) [1], [2] Multiresistente Erreger (MRE) [1] Mumps [1] Mundhöhle Rachen [1] Mundpflege, Basale Stimulation [1] Mund- und Lippenpflege [1] MUST (Malnutrition Universal Screening Tool) [1] Muttermilch [1], [2] Mutterschutz [1] Myelodysplastisches Syndrom (MDS) [1], [2] Myelozele [1] Myokard [1] Myokarditis [1] Nabelschnurvorfall [1] Nachsorge Tumorpatient [1] Nadelstichverletzung [1] Nagelpflege [1] Nähe-Distanz-Verhältnis [1] Nährstoff [1] Nahrungsaufnahme [1], [2]

Nahrungskarenz, präoperative [1] Nasenpflege [1] Nävus [1] flammeus [1] NBA (neues Begutachtungsassessment) [1] NEC (nekrotisierende Enterokolitis) [1] Nephron [1] Nervenblockade, periphere [1] Nervenstimulation, transkutane elektrische (TENS) [1] Nervensystem peripheres (PNS) [1], [2] zentrales (ZNS) [1] Nesteln [1] Netzschlauchverband [1] Neugeborenenscreening [1] Neugeborenes [1] Neuralrohrdefekt [1], [2] Neuroborreliose [1] Neurodermitis atopica [1], [2] Neuropathie diabetische [1] NIC (Nursing Interventions Classification = Pflegemaßnahmen) [1] Nichtopioid-Analgetika [1] Nichtschaden Prinzipienethik [1]

Niederdrucksystem [1] Niere Aufbau [1] Aufgaben [1] Regulationsmechanismen [1] Nierenbecken [1] Nierenbiopsie [1] Nierenerkrankung, Diagnostik [1], [2] Nierenersatztherapie [1], [2] Niereninsuffizienz chronische (CNI) [1] Nierenschwelle [1] Nierenversagen, akutes (ANV) [1], [2] NIPS (Neonatal Infant Pain Scale) [1] NIV (nicht invasive Beatmung) [1] NLG (Nervenleitgeschwindigkeit) [1] NMP22 (nukleäres Matrix-Protein 22) [1] NNR (Nebennierenrinde) [1] NOAK (neue, orale Antikoagulanzien) [1] NOC (Nursing Outcome Classification = Pflegeergebnis/ Ziel) [1] Non-Touch-Technik Wundversorgung [1] Normen [1] Norming [1] Notfall

außerklinischer [1] hypertensiver [1] Notfallsituation [1], [2] Notoperation [1] Nozizeption [1] NRS (numerische Rating-Skala), [1] NRS-2002 (Nutritional-Risk-Screening-2002) [1] NSAR (nicht steroidale Antirheumatika) [1] NSCLC (non-small-cell lung cancer) [1] NSSV (nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten) [1] NSTEMI (non ST-segment-elevation myocardial infarction ) [1] NYHA (New York Heart Association) [1] NYHA-Klassifikation, Herzinsuffizienz [1] OAE (otoakustische Emission) [1] Test [1] Oberbauchorgane [1] Oberflächenschmerz [1] Obstipation [1], [2], [3] Prophylaxe [1], [2] Unterstützung [1] OCT (optische Kohärenztomografie) [1] Offenwinkelglaukom [1], [2] Ohrenpflege [1] Ohrerkrankung [1], [2] Diagnostik [1]

Ohrspülung [1] Öl, ätherisches [1] Onkologie, Pflegeprobleme [1], [2] Operation elektive [1] Opiate [1] Opioide [1] OPSI (overwhelming postsplenectomy infection syndrome) [1] Orchidopexie [1] Organe hormonbildende [1] Organisationskonzept Pflegeeinrichtung [1] Organisch bedingte psychische Störung [1] Organspende [1] Ablauf [1] Organtransplantation [1] Abstoßungsreaktion [1] Iimmunsuppressiva [1] Organvergabe, Regelung [1] Orientierung [1] Orientierungsstörung [1] Orthopnoe [1] Osmolalität [1] Osmolalitätsrezeptoren [1]

Osmolarität [1], [2] Osmose [1], [2] Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) [1] Ösophagus [1] Ösophagusbreischluck [1] Ösophagusvarizenblutung [1] Osteomyelitis [1] akute [1] Osteoporose [1], [2] Osteosynthese [1] Ostitis [1] OTA (operationstechnischer Assistent) [1] Ovarialkarzinom [1] PAL (Physical Activity Level) [1] Palliative Care [1], [2], [3] Besonderheiten [1], [2] Symptomkontrolle [1] Palliative-Care-Pflegefachkraft, Aufgaben [1] Palliative-Care-Team [1] Pankreas [1], [2] Pankreatitis [1], [2] Parathormon [1] Paravasat [1] Parotitisprophylaxe [1] PÄSR-Schema [1]

Pathogenese [1] Patient controlled Analgesia (PCA) [1] vital gefährdeter, Überwachung [1] Patientenbeobachtung [1], [2] Grundlagen [1] Schmerzeinschätzung [1] Patientenedukation [1] Patientenressourcen, Kinästhetik [1] Patientensicherheit [1] Patientenüberwachung, postoperative [1] Patientenverfügung (PV) [1], [2] Notfallsituation [1] Organspende [1] pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) [1] PCA (patientenkontrollierte Analgesie) [1] PCR (Polymerasekettenreaktion) [1] PDCA (plan, do, check, act) [1] PDCA-Zyklus [1] PDL (Pflegedienstleitung) [1] PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie) [1] PEJ (perkutane endoskopische Jejunostomie) [1] PEMU (pflegerische Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen) [1] PEP (Postexpositionsprophylaxe) [1]

PEPP (pauschalisiertes Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik) [1] Performing [1] Perfusoren [1] Perikarditis [1] Peritonealdialyse [1] Peritoneum [1] Peritonitis [1], [2] Personalentwicklungsgespräche [1] Persönlichkeit Definition [1] Persönlichkeitspsychologie [1] Persönlichkeitsstörung [1] Perspiratio insensibilis [1] Perzentilenkurven [1] PflAPrV (Pflegeberufe-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung) [1] PflBG (Pflegeberufegesetz) [1] PflBRefG (Pflegeberufereformgesetz) [1] Pflege ambulante [1] ambulante, Angehörige [1] Arbeitsfeld [1] Basismaßnahme, Tumorerkrankung [1] bei Anämie [1] bei Leukozytopenie [1]

bei Thrombozytopenie [1] berufspolitisch organisierte [1] Definition [1] Geschichte [1], [2] Grenzsituation, ethische [1] Grundlagen, rechtliche [1] häusliche, Angehörige, Umgang [1] häusliche, Grundlagen [1] häusliche, Medikamentengabe [1] Haut, bestrahlte [1] im Alter, Grundprinzipien [1] in stationären Langzeiteinrichtungen [1] Intensivpflege [1] intraoperative [1] kulturkongruente [1] kultursensible [1] kurative [1] Multimorbidität [1] nichtberufliche [1] palliative [1] perioperative [1], [2] Pflegeempfänger, chronisch kranker [1] postoperative [1] präoperative [1], [2] professionelle, Merkmale [1]

rehabilitative [1] Sexualität [1] systemische [1] transkulturelle, Kommunikation [1] Pflegeanamnese [1], [2] Ausgangssituation [1] Pflegeausbildung [1] Pflegebedürftigkeitsbegriff, neuer [1], [2] Pflegeberuf [1] Belastung, psychische [1], [2] Pflegeberufe-Ausbildungs- und -Prüfungsverordnung (PflAPrV) [1] Pflegeberufegesetz (PflBG) [1] Handlungskompetenz [1] Pflegebeziehung Aufbau [1] kultursensible [1] professionelle [1] Pflegecharta [1] Pflegediagnosen [1] Pflegedokumentation [1] Pflegeeinrichtung Eingewöhnung [1] Einzug [1] Finanzierung [1] Organisationskonzept [1]

Qualitätsmanagement [1] Qualitätsverantwortung [1] Rahmenkonzept [1] Pflegeempfänger chronisch kranker [1] Pflegeethik [1], [2] Normen [1] Nutzen [1] Verantwortungsbereiche [1] Pflegefachkraft Setting [1] Pflegeforschung [1] Gütekriterien [1] Pflegegrade [1] Pflegekammer [1] Pflegekompetenz Entwicklung nach Benner [1], [2] Entwicklung nach Olbrich [1] Varianten [1] Pflegekonzepte [1] Pflegemaßnahmen [1] Pflegemodell [1], [2] Corbin und Strauss [1] der Krankheitsverlaufskurve [1] Friedemann [1]

Krohwinkel [1] Leininger [1] Orem [1] Peplau [1] psychobiografisches, nach Böhm [1] Roper-Logan-Tierney-Modell [1], [2] Sunrise-Modell [1] Pflegeorganisation [1] Pflegeorganisationssysteme [1], [2] Pflegeplanung [1] Praxis [1] Pflegeprobleme [1], [2] Pflegeprozess [1] Kongruenz [1], [2] Phasen und Rollen der Beziehung [1], [2] Schritte [1], [2] Vorteile [1], [2] Pflegeprozessmodell [1] nach Fiechter und Meier [1], [2] nach WHO [1] Pflegequalität [1] Grundlagen, gesetzliche [1] Pflegestandards [1] Pflegestärkungsgesetz [1] Pflegestudium [1]

Pflegesystem [1] Pflegetätigkeit, Belastung, körperliche [1] Pflegetechniken [1] Pflegetheorie [1] Theorie des Selbstpflegedefizits von Dorothea Orem [1], [2] Vergleichskriterien [1] Pflegeübergabe [1] Pflegeutensilien Umgang [1] Pflegeversicherung [1], [2] Pflegeverständnis [1] Pflegevisite [1] Pflegewissenschaft [1], [2], [3] Aufgaben [1], [2] Pflegeziele [1] Wirksamkeit, Beurteilung [1] Pfortadersystem [1] Phimose [1] Phlebothrombose [1] PHTLS (pre hospital trauma life support) [1] pH-Wert [1] Physical Activity Level (PAL-Wert) [1] PiCCO [1] Pigmentnävus [1] PKMS (Pflege-Komplex-Maßnahmen-Score) [1]

PKV (private Krankenversicherung) [1] Placenta praevia [1], [2] Plattenepithelkarzinom [1] Pleuradrainage [1], [2] Pleuradrainagensysteme [1] Pneumonie [1], [2] Pneumonieprophylaxe [1], [2] PNL (perkutane Neprholithotomie) [1] PNS (peripheres Nervensystem) [1] POL (problemorientiertes Lernen) [1] Polymorbidität [1] Polyneuropathie [1] Polypharmazie [1] Polytrauma [1] Port [1], [2] Blutentnahme [1], [2] Positionierung Bobath-Konzept [1] gute [1] Prädilektionsstellen, Dekubitus [1] Präeklampsie [1] Prävention [1], [2] in der Pflege [1] Pricktest [1] Primary Nursing [1]

Prinzipienethik [1] Prokinetikum [1] Proktoskopie [1] Prolaps uteri [1], [2] Prophylaxen [1], [2] Prostatahyperplasie, benigne [1], [2] Prostatakarzinom [1], [2] Prostatitis [1] Proteine [1] Protonenpumpeninhibitor (PPI) [1] Provokationstest [1] Prozessqualität [1] Prüfung [1] PSA (persönliche Schutzausrüstung) [1] Pseudarthrose [1] Psoriasis [1], [2] Psychische Erkrankung [1], [2] Medikamente [1], [2] Psychose Formenkreis, schizophrener [1], [2] schizoaffektive [1] Psychotherapie [1] PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) [1] PTCA (perkutane transluminale koronare Angioplastie) [1] Public Health [1]

Puerperalfieber [1] Pulmonaliskatheter (PAK) [1] Puls [1] Beurteilung [1] Punktat [1] Punktion [1], [2] Pupillenreflextest [1] Purkinje-Fasern [1] PV (Patientenverfügung) [1], [2] Pyelonephritis [1] PYMS (Pediatric Yorkhill Malnutrition Score) [1] PZN (Post-Zoster-Neuralgie) [1] QM-Handbuch [1] QM-Systeme [1], [2] QS (Qualitätssicherung) [1] Qualitätsmanagementsysteme (QM-Systeme) [1], [2] Qualitätspolitik [1] Qualitätssteigerung Instrumente [1] PDCA-Zyklus [1] Qualitätsstufenmodell nach Fiechter und Meier [1] Quarkauflage [1] Querschnittsyndrom [1], [2] RAAS (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) [1], [2] Rahmenkonzept

Pflegeeinrichtung [1] Rahmenmodell Fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs von Monika Krohwinkel [1], [2] RAI (Resident Assessment Instrument) [1] Rasur [1] Ratingskala numerische (NRS) [1] verbale (VRS) [1] Realitätsorientierungstraining (ROT) [1] Reanimation kardiopulmonale (CPR) [1] Rechtsherzinsuffizienz [1] Redondrainage [1] Reflexinkontinenz [1] Reflexion ethische [1] Reflux, vesikoureteraler (VUR) [1] Refluxkrankheit gastroösophageale [1] Regionalanästhesie [1] Regression [1] Rehabilitation [1] Behandlung [1] Einrichtung [1] Rehabilitationsphasenmodell, neurologisches [1] Reinigung [1]

Reiz vestibulärer [1] visueller, Förderung [1] Reizarmut [1] Reizstromtherapie [1] Rektoskopie [1] Religionen [1], [2] REM (Rapid Eye Movement [1] Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) [1] Rentenversicherung [1] RES (retikuloendotheliales System) [1] Ressourcen [1] Stärkung [1] Rhesus-Blutgruppensystem [1] Rheumamedikamente [1] Rheumatische Erkrankungen [1], [2] Pflegebasismaßnahmen [1] Rheumatoide Arthritis [1], [2], [3] Rollen, soziale [1] Rollenkonflikte [1] Röntgenbreischluck [1] Roper-Logan-Tierney-Modell [1], [2], [3] ROT (Realitätsorientierungstraining) [1], [2] Röteln [1] Rückenmark [1]

Gefäßversorgung [1] Rückenmarkserkrankung [1], [2] RUG (retrograde Urethrografie) [1] Ruheenergiebedarf [1] Salicylat [1] Salmonellose [1] Salutogenese [1] SAPV (spezialisierte ambulante Palliativversorgung) [1] Sauerstoffsättigung, periphere (SaO2) [1] Sauerstoffsonden [1] Sauerstoffverabreichung [1] Säugling Ernährung [1] Schmerzbeobachtung [1] Säure-Basen-Haushalt [1] Säureschutzmantel [1] Schädelbasisfraktur [1] Schädelfraktur [1] Schädel-Hirn-Trauma (SHT) [1], [2] Scham [1] Schaufensterkrankheit [1] Schichtarbeit Belastung [1] Schielen [1] Schilddrüse [1]

Schilddrüsenerkrankung [1], [2] Schildkrötenverband, Knie [1] Schizophrenie [1], [2] Schlafanamnese [1] Schlafapnoe [1] Schlafbedarf [1] Schlafförderung [1] Schlafstörung [1], [2] Schlaganfall [1], [2] akuter, Lysetherapie [1] Herzrhythmusstörung [1] Therapie [1] Schlauchmullverband [1] Schluckstörung [1] Schmerz akuter [1], [2] chronischer [1], [2] postoperativer, Überwachung [1] Tumorpatient [1] Schmerzanamnese [1] Schmerzarten [1] Schmerzassessment [1] Schmerzbeobachtung, Kind [1] Schmerzeinschätzung [1] Schmerzempfinden [1]

Schmerzintensität [1] Schmerzkatheter peripherer [1] zentraler [1] Schmerzlinderung, angemessene [1] Schmerzmanagement [1] Ziele [1] Schmerzmedikation postoperative [1] Schmerzreiz [1] Schmerzskala [1] Schmerzsyndrom komplexes regionales (CRPS) [1] Schmerztagebuch [1] Schmerztherapie [1] Grundregeln [1] medikamentöse [1], [2] nicht medikamentöse [1] Schmerzwahrnehmung [1] Schmierinfektion [1] Schnappatmung [1] Schnittverletzung, Schutz [1] Schock [1], [2] Schule [1] Schulung, Angehörige [1]

Schutzausrüstung, persönliche (PSA) [1], [2] Schutz des freien Willens [1] Schutzkleidung [1] Schwangerschaft [1], [2], [3] Schwangerschaftsabbruch [1] Schwangerschaftsbeschwerden [1], [2] Schweigepflicht [1] Schweißtest nach Pilocarpin-Iontophorese [1] Schwerbehinderung [1] Schwerhörigkeit [1] SCLC (small cell lung cancer) [1] Sectio caesarea, Pflege [1] Seed-Implantation [1] Sehbehinderung [1], [2] Sehen [1] Sehnen [1] Sehschärfenprüfung [1] Sehvorgang [1] Sekretmobilisation [1] Selbstbestimmung [1] Selbstkatheterismus [1] Selbstpflege [1], [2] Selbstpflegebedarf [1] Selbstpflegedefizit [1], [2] Selbstreflexion [1]

Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) [1] Selektivitätstheorie, sozial-emotionale [1] SEM (Slow Eye Movement) [1] Sepsis [1] Sexualität [1] im Alter [1] Krankheit [1] Pflege [1] Sexuell übertragbare Krankheiten [1] SGA (Subject Global Assessment) [1] SGB (Sozialgesetzbuch) [1] SHT (Schädel-Hirn-Trauma) [1] SIDS (Sudden Infant Death Syndrome) [1] SIMV (Synchronized Intermittent Mandatory Ventilation) [1] Sinneserfahrung, somatische [1] Sinnesorgane [1], [2] Sinus coronarius [1] Sinusknoten [1] SIRS (Systemic Inflammatory Response Syndrom) [1] SIS (strukturierte Informationssammlung [1] SIT (supplementäre Insulintherapie) [1] Skabies [1] Skelettsystem [1] Sklerodermie, systemische [1] Skoliose [1]

SLE (systemischer Lupus erythematodes) [1] Smiley-Skala [1] Snoezelen [1] Sodbrennen [1] SOFA (Sepsis-related Organic Failure Assessment) [1] SOL (selbstorganisiertes Lernen) [1] Somatostatin [1] Somnolenz [1] Sonde [1], [2], [3], [4] Soorprophylaxe [1] Sopor [1] Sozialgesetzbuch (SGB) IX [1] V [1] XI [1] Sozialisation [1] Sozialsystem [1] Sozialversicherungen (SV) [1], [2] Sozialversicherungsträger [1] Spannungskopfschmerz [1] Spasmolytikum [1] Speichel [1] Speicheldrüsen [1] Speisen servieren [1] Spina bifida [1], [2]

Spinaliom [1] Spinalkanalstenose [1] Spitzfuß [1] SPK (suprapubischer Blasenkatheter [1] SPK (suprapubischer Katheter) [1] Spontangeburt, Phasen [1] Sprachbarrieren [1] Spülkatheter [1] SRV (Syndrom der reaktionslosen Wachheit) [1] Stabsichtigkeit [1] Staging [1] Stammzelltransplantation [1] STAMP (Screening Tool for the Assessment of Malnutrition in Pediatrics) [1] Standardhygiene [1] Standardpflegepläne [1] Stanzbiopsie [1] Status epilepticus [1], [2] Steckbecken [1] STEMI (ST-segment-elevation myocardial infarction) [1] Stenose [1] Sterbehilfe [1], [2], [3] Sterben [1] Sterbephasen nach Kübler-Ross [1] Sterbeprozess [1], [2] Sterbephase, finale [1]

Verstorbener, Umgang [1] Sterilisation [1] StGB (Strafgesetzbuch) [1] Stichverletzung, Schutz [1] STIKO (ständige Impfkommission) [1] Stillen [1], [2] Stimulation [1] basale siehe Basale Stimulation [1] Stoma [1] Versorgung [1], [2] Storming [1] Strahlenenteritis [1] Strahlentherapie [1] Hautreaktionen [1] Stress [1], [2] Stressbewältigung Strategien [1] Stressbewältigung, Strategien [1] Stressmodell transaktionales [1] Stressoren [1], [2] Stressreaktion [1] Stridor [1] STRONGKIDS (Screening Tool for Risk of Impaired Nutritional Status and Growth) [1] Strukturqualität [1]

Struma [1], [2] Studium [1] Stufenschema WHO [1] Stuhlausscheidung [1], [2] Stuhlentleerung Hilfsmittel [1] Stuhlinkontinenz [1], [2] Sturz [1] Sturzprophylaxe [1], [2] im Alter [1] Subinvolutio uteri [1] Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) [1] Suizid, Beihilfe [1] Suizidgedanken [1] Sunrise-Modell [1] Supervision [1] SWE (Selbstwirksamkeitserwartung) [1] Synkope [1], [2] Syphilis [1] Systole [1] Tachykardie [1] Tachypnoe [1] Taille-Hüfte-Verhältnis (THV) [1] Targeted Therapy [1]

Tawara-Schenkel [1] Team, Definition [1] Teamentwicklung [1] TEE (transösophageale Echokardiografie) [1] Teletherapie [1] TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation) [1] TEP (Totalendoprothese) [1] Tetanus [1] Theorie [1] der Selbstpflege [1] des Pflegesystems [1] des Selbstpflegedefizits [1], [2] Leininger [1] Peplau [1] von Jean Piaget [1] Therapieformen Arzneimittel [1] Thermoregulation [1] Thoraxdrainage [1], [2] Thrombolyse [1] Thrombolysetherapie [1] Thrombopenie [1] Thrombophlebitis [1] Thromboseprophylaxe [1], [2] Thrombozyten [1], [2]

Thrombozytenadhäsion [1] Thrombozytenaggregation [1] Thrombozytenaggregationshemmer [1] Thrombozytenkonzentrat (TK) [1] THV (Taille-Hüfte-Verhältnis) [1] Thyreotoxische Krise [1] TIA (transitorische ischämische Attacke) [1] Time is tissue [1] Tinnitus [1] TNM-Klassifikation [1] Tod [1] biologischer [1] klinischer [1] Todesdefinition neurologische [1] Todeszeichen [1] Toilettenstuhl [1] Tonometrie [1], [2] Torwartstellung, Atemnot [1] Totalendoprothese (TEP) [1] Total Pain [1], [2] Totgeburt [1], [2] Toxoplasmose [1] tPA (tissue-type-plasminogen activator) [1] TPG (Transplantationsgesetz) [1]

Trachealkanüle, Reinigung und Wechsel [1], [2] Tracheostomapflege [1], [2] Trajekt-Modell [1] Transaktionales Stressmodell [1] Transdermale therapeutische Systeme (TTS) [1] Transfusion Blutgruppen [1] Transfusionszwischenfall [1] Transkulturelle Kompetenz [1] Transplantation [1], [2] Transplantationsgesetz (TPG) [1], [2] Transsudat [1] Transtheoretisches Modell [1] Trauerbegleitung [1] Trauma Belastungsstörung, posttraumatische [1] Beobachtungsparameter [1] Definition [1] Traumatologische Erkrankung [1], [2] TRBA (technische Regeln zum Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen) [1] Trigeminusneuralgie [1] Triglyzeride [1] Trinken [1] Trisomie 21 [1] Tröpfcheninfektion [1]

TTS (transdermale therapeutische Systeme) [1] Tuberkulose [1], [2], [3] Tumor benigner [1] Klassifikation [1] maligner [1] Operation [1] Therapie [1] Tumorausbreitung [1] Tumorentstehung [1] TUR-P (transurethrale Elektrosektion der Prostata) [1] UAG (Unterarmgehstützen) [1] UAW (unerwünschte Arzneimittelwirkung) [1] Übelkeit [1], [2] Übergangsfraktur [1] Übergewicht [1] Überlaufblase [1], [2] Überlaufinkontinenz [1] Überwachungspatient [1] UBG (Unterbringungsgesetz) [1] Ulkuskrankheit gastroduodenale [1], [2] Umgangskultur [1] Unfallversicherung [1] Unruhe, motorische [1]

Unterbringung [1] Untergewicht [1] Unternehmenskultur [1] Urethritis [1] Urethrogramm [1] Urethrozystoskopie [1] Urin [1] Urinausscheidung [1] Störung [1] Urinflasche [1] Urinkultur [1] Urinstix [1] Urodynamik [1] Uroflowmetrie [1] Uterusruptur [1] Validation [1] Varikosis [1] Varizellen [1] VAS (visuelle Analogskala) [1], [2] Vasokonstriktion [1] Venen [1] große [1] Prüfung [1] Venendruck, zentraler (ZVD) [1] Venenthrombose [1]

Venenverweilkanüle, periphere [1], [2] VEP (visuell evoziertes Potenzial) [1] ver.di (vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) [1] Verabschiedung [1] Verätzung [1] Augenspülung [1] Verbandarten [1] Verbandtechniken [1] Verbrennungen [1] Verbrennungskrankheit [1] Aufgaben, pflegerische [1] Verbrühungen [1] Verdauung [1] Verdauungsorgane Innervation [1] Verdauungssystem [1] Diagnostik [1], [2] Gefäßversorgung [1] Untersuchung, apparative [1] Untersuchung, endoskopische [1] Wandaufbau [1] Verdrängung [1] Verhaltensänderung Begriffe und Modelle [1] Verletzlichkeit [1], [2]

Verletzung [1] Verordnung, ärztliche [1] Verschlussikterus [1] Verschlusskrankheit, periphere arterielle (pAVK) [1], [2] Versorgungspfade, klinische [1] Verwahrlosung [1] Vesikoureteraler Reflux [1] Vibration [1] Vigilanz [1] Virushepatitis Impfung [1] Virusinfektion [1], [2] Standardimpfung [1] Vitalzeichen [1] Vitamin D3 [1] Vitamine [1], [2] Volumenrezeptoren [1] Vomitus [1] Vorbehaltene Tätigkeiten der Pflege [1] Vorhofflimmern [1], [2] Vorsorgevollmacht [1] VRS (verbale Ratingskala) [1] VSD (Ventrikelseptumdefekt) [1] VuG (vorlesen und genehmigen lassen) [1] VUR (vesikoureteraler Reflux) [1]

VVK (Venenverweilkanüle) [1] VZV (Varizella-Zoster-Virus) [1] Wachkoma [1] Wahrnehmung [1] Wahrnehmungsfehler [1] Waist-to-Hip-Ratio (WHR) [1] Wandel, demografischer [1] Wärmeanwendung [1] Wasser [1] Wasserhaushalt [1] Wassertemperatur [1] WBVG (Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz) [1] Weaning [1] Weigerungsrecht [1] Weisungsrecht [1] Weiterbildung [1] Weitsichtigkeit [1] Werte moralische [1] pflegerische [1] WHO (World Health Organization) [1] WHR (Waist-to-Hip-Ratio) [1] Wickel [1] Anwendung [1] kalter [1]

Palliative Care [1] warmer [1] Widerstandsressourcen [1] Wille freier [1] Windpocken [1] Wirbelsäulenerkrankung [1] degenerative [1], [2] Wirbelsäulenfraktur [1], [2] Wirkstoff [1] Wissenschaft Kennzeichen [1] Wissensquelle strukturierte [1] unstrukturierte [1], [2] Wochenbett [1], [2] Beratung [1] Infektionen [1] Komplikationen [1] Pflege [1], [2] Wochenbettdepression [1] Wochenbettfieber [1] Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz [1] Wong-Baker-Gesichtsskala [1], [2] Work-Life-Balance [1]

Wundanamnese [1] Wundassessment [1] Wundauflage [1] Art [1] Auswahl [1] Wechselintervall [1] Wunddokumentation [1] Wunddrainage [1] Wunde Art [1] Keimbesiedelung [1] Reinigung [1] Wundeinschätzung [1] Wundheilung [1], [2] Wundheilungsstörung [1] Wundspülung [1] Wundstarrkrampf [1] Wundtherapie moderne [1] phasengerechte [1] Wundversorgung [1] Non-Touch-Technik [1] Reihenfolge [1] Verbandwechsel [1] Würde [1], [2]

Würgen [1] Zahnprothesenpflege [1] ZE (Zusatzentgelt) [1] Zerebralparese [1] infantile [1] Zervixkarzinom [1] Zielsetzung, primäre pflegerische [1] Zirkumzision [1] ZNS (zentrales Nervensystem) [1] ZSVA (zentrale Sterilgut-Versorgungsabteilung) [1] Zuhören aktives [1] ZVK (Zentralvenenkatheter) [1] Zwangsstörung [1] Zwischenprüfung [1] Zyanose [1] Zystitis [1], [2] Zystogramm [1] Zystometrie [1] Zytostatikum [1]

Impressum/Access Code

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2023. Thieme. All rights reserved. Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany www.thieme.com 1. Auflage 2019 Covergestaltung: © Thieme Zeichnungen: anchin mabel, Stuttgart/Zürich; Gay & Sender, Bremen Mit Übernahmen aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. Stuttgart: Thieme Bild auf der Vorderseite der hinteren Umschlagklappe: aus J. Schwegler, R. Lucius: Der Mensch – Anatomie und Physiologie. Thieme; 2016. Grafiker: M. Voll, K. Wesker, A. Schnitzler Fotos auf der Innenseite der hinteren Umschlagklappe und Porträts: K. Oborny, Thieme Bildnachweis Front-Cover: © Julia Back, Brasilien 2022; Back-Cover: J. Böger, Thieme Die Texte in diesem Buch wurden zum Teil basierend auf Inhalten der Titel I care – Pflege, I care – Krankheitslehre und I care – Anatomie, Physiologie erstellt. Die Inhalte der Umschlagklappen basieren auf dem Titel I care – SmartCards Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse

Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen. Marken, geschäftliche Bezeichnungen oder Handelsnamen werden nicht in jedem Fall besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Handelsnamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen oder die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die abgebildeten Personen haben in keiner Weise etwas mit der Krankheit zu tun. Thieme Publikationen streben nach einer fachlich korrekten und unmissverständlichen Sprache. Dabei lehnt Thieme jeden Sprachgebrauch ab, der Menschen beleidigt oder diskriminiert, beispielsweise aufgrund einer Herkunft, Behinderung oder eines Geschlechts. Thieme wendet sich zudem gleichermaßen an Menschen jeder Geschlechtsidentität. Die Thieme Rechtschreibkonvention nennt Autor*innen mittlerweile konkrete Beispiele, wie sie alle Lesenden gleichberechtigt ansprechen können. Die Ansprache aller Menschen ist ausdrücklich auch dort intendiert, wo im Text (etwa aus Gründen der Leseleichtigkeit, des Text-Umfangs oder des situativen Stil-Empfindens) z.B. nur ein generisches Maskulinum verwendet wird. Ihre Meinung ist uns wichtig! Bitte schreiben Sie uns unter:

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