I care - PflegeExamen KOMPAKT [1 ed.] 3132408875, 9783132408876

Schnell und effektiv das Wichtigste lernen. Endspurt zum Pflege-Examen! I care PflegeExamen KOMPAKT bietet dir komprim

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I care - PflegeExamen KOMPAKT [1 ed.]
 3132408875, 9783132408876

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I care – PflegeExamen KOMPAKT Unter Mitarbeit von Sandra Heiligmann, Tobias Herbers, Margarete Klimek, Annette Lauber, Jennifer Ludwig, Daniela Schleyer Fachbeiräte Lucio Cecconi, Myrèse Larkamp, Rita Schnabel, Katja Schrade 119 Abbildungen

Georg Thieme Verlag Stuttgart • New York

Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.

© 2019 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstr. 14 70469 Stuttgart Deutschland www.thieme.de

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1. Nachdruck Printed in Germany Zeichnungen: anchin mabel, Stuttgart/Zürich; Gay & Sender, Bremen Mit Übernahmen aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Illustrationen von M. Voll und K. Wesker. Stuttgart: Thieme Umschlaggestaltung: Thieme Gruppe Umschlagabbildungen: Seinab Danboos Bild auf der Vorderseite der hinteren Umschlagklappe: aus J. Schwegler, R. Lucius: Der Mensch – Anatomie und Physiologie. Thieme; 2016. Grafiker: M. Voll, K. Wesker, A. Schnitzler Fotos auf der Innenseite der hinteren Umschlagklappe und Porträts: K. Oborny, Thieme Die Texte in diesem Buch wurden zum Teil basierend auf Inhalten der Titel I care – Pflege, I care – Krankheitslehre und I care – Anatomie, Physiologie erstellt. Die Inhalte der Umschlagklappen basieren auf dem Titel I care – SmartCards Satz: L42 AG, Berlin Druck: Aprinta Druck GmbH, Wemding

DOI 10.1055/b-006-161632 ISBN 978-3-13-240887-6 Auch erhältlich als E-Book: eISBN (PDF) 978-3-13-240888-3 eISBN (epub) 978-3-13-240889-0

23456

Vorwort Liebe Auszubildende, Sie haben sich für einen tollen Beruf entschieden und stehen kurz vor dem Examen. Wir wissen aus eigener Erfahrung, wie anstrengend und zeitintensiv die Phase vor so einer großen Prüfung sein kann. Viele Fragen gehen einem dann durch den Kopf: Wo soll man anfangen? Welches Buch soll man zum Lernen verwenden? Was ist wichtig und was nicht, und wie soll das eigentlich alles in so kurzer Zeit möglich sein? Wir haben die Lösung: Mit „I care PflegeExamen KOMPAKT“ lernen Sie schnell, leicht – und effektiv!

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WOMIT?

Wenn Sie während der Ausbildung bereits mit I care gelernt haben, finden Sie sich in der Kapitelstruktur besonders leicht zurecht, da das Buch gleich aufgebaut ist wie „I care – Pflege“. Einführende Lern-Mindmaps helfen Ihnen, schnell einen Überblick über große Themenfelder zu bekommen. Am Ende jedes Kapitels erwartet Sie in der Box „KOMPAKT“ eine auf die absoluten Kernfakten reduzierte Zusammenfassung des Kapitels.

WIE?

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„wir wollen immer besser werden“.

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Inhaltsverzeichnis

1 1

Ausbildung und Beruf Pflege 18

Professionelle Pflege Sandra Heiligmann

1.1

Was ist Pflege?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2

Ausbildung konkret

20

Sandra Heiligmann 2.1

Grundlagen der Pflegeausbildung . . . . . . . . . . . . . 21

3

Beruf konkret

2.2

Ausbildungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

24

Sandra Heiligmann 3.1 3.2 3.3

Geschichte der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Vier Handlungsfelder der Pflege . . . . . . . . . . . . . . 25 Berufs- und Pflegeverständnis . . . . . . . . . . . . . . . 26

4

Pflegewissenschaft.

3.4 3.5 3.6

Pflege als Profession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kompetenz und Pflegekompetenz . . . . . . . . . . . . . 26 Fort- und Weiterbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

30

Sandra Heiligmann, Annette Lauber (4.6) 4.1 4.2 4.3

Wissensquellen von Pflegenden . . . . . . . . . . . . . . 31 Kennzeichen einer Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . 31 Aufgaben der Pflegewissenschaft . . . . . . . . . . . . . 31

2 5

4.4 4.5 4.6

Pflegeforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Theorien, Modelle, Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle . . . . 34

Mit Menschen arbeiten 44

Der Mensch Sandra Heiligmann

5.1 5.2 5.3

Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Entwicklungspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Persönlichkeitspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

5.4 5.5

Bedürfnisse, Motive und Emotionen. . . . . . . . . . . . 47 Der Mensch zwischen Gesundheit und Krankheit . . . 48

6

Grundlagen und Anwendung professioneller Kommunikation

54

Sandra Heiligmann 6.1

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

6.2

7

Mit Menschen zusammenarbeiten – miteinander umgehen

Professionelle Beziehungs- und Kommunikationsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

58

Sandra Heiligmann 7.1 7.2

6

Soziale Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Soziale Gruppen und Teams . . . . . . . . . . . . . . . . 59

7.3 7.4

Aufbau einer Pflegebeziehung . . . . . . . . . . . . . . . 60 Unternehmenskultur im Gesundheitswesen. . . . . . . 60

Inhaltsverzeichnis

8

62

Selbstfürsorge und Stressmanagement Sandra Heiligmann

8.1 8.2

Was ist Stress? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Stress am Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

3 9

8.3

Stressbewältigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

Rechtliche, organisatorische und finanzielle Rahmenbedingungen in der Pflege 70

Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem Sandra Heiligmann

9.1 9.2

Sozialsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Gesundheitssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

10

Pflegeprozess und Pflegeplanung

9.3 9.4

Organisation in der Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Finanzierung im Gesundheitssystem . . . . . . . . . . . 75

78

Sandra Heiligmann 10.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 10.2 Pflegeprozessmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 10.3 Pflegediagnosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

11

10.4 Pflegestandards und Assessments . . . . . . . . . . . . . 82 10.5 Pflegeplanung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 10.6 Pflegedokumentation und Pflegeübergabe. . . . . . . . 82

84

Qualitäts- und Fehlermanagement Sandra Heiligmann

11.1 Pflegequalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 11.2 Qualitätsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

12

11.3 Patientensicherheit und Fehlermanagement. . . . . . . 87

88

Rechtliche Grundlagen der Pflege Sandra Heiligmann

12.1 Das Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 12.2 Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

4 13

12.3 Pflegerelevante Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . 90 12.4 Spezielle Gesetze im Pflegebereich . . . . . . . . . . . . 92

Pflegebasismaßnahmen und Notfallsituationen

Grundlagen der Patientenbeobachtung .

96

Jennifer Ludwig 13.1 Wahrnehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

14

Notfallsituationen

13.2 Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97

98

Jennifer Ludwig 14.1 Häufige Notfallsituationen im stationären Bereich . . . 99 14.2 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) . . . . . . . . . . 102

14.3 Polytrauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 14.4 Erste Hilfe leisten vor Ort .. . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Inhaltsverzeichnis

15

106

Hygiene Margarete Klimek

15.1 Grundlagen der Infektionslehre . . . . . . . . . . . . . 107 15.2 Standardhygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

16

15.3 Isolationsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 15.4 Multiresistente Erreger . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

114

Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und kontrollieren . Jennifer Ludwig

16.1 Puls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 16.2 Blutdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

17

16.3 Atmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 16.4 Körpertemperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

120

Körperpflege und Bekleidung Margarete Klimek

17.1 Hautpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 17.2 Bei der Körperpflege unterstützen . . . . . . . . . . . 121

18

17.3 Bekleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

126

Positionierung und Mobilisation, Betten und guten Schlaf fördern Margarete Klimek

18.1 Bei der Positionierung unterstützen . . . . . . . . . . 127 18.2 Bei der Mobilisation unterstützen . . . . . . . . . . . . 127

19

18.3 Hygienische Prinzipien beim Bettenmachen. . . . . . 128 18.4 Guten Schlaf fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

132

Essen und Trinken anreichen, Körperlänge und -gewicht bestimmen, Flüssigkeitsbilanz erheben Margarete Klimek

19.1 Essen und Trinken anreichen . . . . . . . . . . . . . . . 133 19.2 Körperlänge und -gewicht bestimmen . . . . . . . . . 133

20

19.3 Flüssigkeitsbilanz erheben . . . . . . . . . . . . . . . . 134

136

Bei den Ausscheidungen unterstützen Margarete Klimek

20.1 Urin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 20.2 Stuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 20.3 Bei der Ausscheidung unterstützen . . . . . . . . . . . 141

21

20.4 Übelkeit und Erbrechen beobachten und kontrollieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

144

Prophylaxen Jennifer Ludwig

21.1 21.2 21.3 21.4 21.5 21.6

Dekubitusprophylaxe . . . . . Prophylaxe der Bettlägerigkeit Obstipationsprophylaxe . . . . Soor- und Parotitisprophylaxe Deprivationsprophylaxe . . . . Sturzprophylaxe. . . . . . . . .

5 22

. . . . . .

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145 146 147 148 149 150

21.7 21.8 21.9 21.10 21.11

Prophylaxe der Mangelernährung Pneumonieprophylaxe . . . . . . Thromboseprophylaxe . . . . . . Kontrakturenprophylaxe . . . . . Intertrigoprophylaxe . . . . . . .

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152 152 153 154 154

Pflegetechniken

Umgang mit Blasenkathetern

158

Jennifer Ludwig 22.1 Transurethraler Blasenkatheter. . . . . . . . . . . . . . 159 22.2 Intermittierender Selbstkatheterismus . . . . . . . . . 161

8

22.3 Suprapubischer Blasenkatheter . . . . . . . . . . . . . 162

Inhaltsverzeichnis

23

164

Injektionen und Blutentnahme Jennifer Ludwig

23.1 Injektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

24

23.2 Blutentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

170

Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen Jennifer Ludwig

24.1 Venöse Gefäßzugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 24.2 Infusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

25

24.3 Bluttransfusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

180

Pflege von Patienten mit Sonden und Drainagen Jennifer Ludwig

25.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 25.2 Pflege von Menschen mit Sonden . . . . . . . . . . . . 181

26

25.3 Pflege von Menschen mit Drainagen . . . . . . . . . . 183

186

Pflege bei Punktionen und Biopsien Jennifer Ludwig

26.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

27

190

Darmeinläufe und Stomapflege Jennifer Ludwig

27.1 Darmeinläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 27.2 Pflege von Menschen mit Enterostoma . . . . . . . . . 192

28

27.3 Pflege von Patienten mit Urostoma . . . . . . . . . . . 193

196

Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung Jennifer Ludwig

28.1 Atemunterstützende Maßnahmen. . . . . . . . . . . . 197 28.2 Maßnahmen zur Sekretmobilisation . . . . . . . . . . 197 28.3 Atemwegssekret absaugen . . . . . . . . . . . . . . . . 198

29

28.4 Sauerstoff verabreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 28.5 Tracheostomapflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

202

Wundmanagement Jennifer Ludwig

29.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 29.2 Moderne Wundtherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

30

29.3 Wunddokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

210

Verbandtechniken Jennifer Ludwig

30.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

6 31

30.2 Verbandarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

Spezielle Pflegesituationen und therapeutische Pflegeaufgaben

Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett

216

Daniela Schleyer 31.1 Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 31.2 Geburt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

31.3 Wochenbett . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

Inhaltsverzeichnis

32

226

Das Kind im Krankenhaus Daniela Schleyer

32.1 Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

33

232

Grundlagen der Pflege im Alter Margarete Klimek

33.1 Das Alter und Altern als Prozess. . . . . . . . . . . . . . 233 33.2 Alte Menschen im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . 234

34

33.3 Menschen mit Demenz in der Klinik . . . . . . . . . . 234

Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung

238

Margarete Klimek 34.1 Geistige Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 34.2 Häufige Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

35

Grundlagen der häuslichen Pflege

34.3 Pflegeschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

242

Daniela Schleyer 35.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

36

Medikamentenmanagement

35.2 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

246

Daniela Schleyer 36.1 Begriffe und Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 36.2 Medikamente anfordern und lagern. . . . . . . . . . . 247 36.3 Medikamente richten und verabreichen . . . . . . . . 248

37

Schmerzmanagement

36.4 Besonderheiten in der häuslichen Pflege . . . . . . . . 249 36.5 Besonderheiten bei Kindern . . . . . . . . . . . . . . . 249 36.6 Besonderheiten bei älteren Menschen . . . . . . . . . 250

252

Daniela Schleyer 37.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 37.2 Schmerzmanagement in der Pflege . . . . . . . . . . . 254

38

Ernährungsmanagement

37.3 Schmerztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

258

Sandra Heiligmann 38.1 Nährstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 38.2 Energie- und Flüssigkeitsbedarf . . . . . . . . . . . . . 261 38.3 Ernährung in verschiedenen Lebensphasen . . . . . . 262

39

Pflege bei Antikoagulation und Thrombolyse

38.4 Ernährungszustand erfassen . . . . . . . . . . . . . . . 263 38.5 Künstliche Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 38.6 Kostformen und Diäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

266

Tobias Herbers 39.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 39.2 Betreuung und Überwachung bei Antikoagulation . . 267

40

Wickel und Auflagen

39.3 Betreuung und Überwachung bei Thrombolysetherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 39.4 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten . . . . . . . . 268

270

Daniela Schleyer 40.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

41

Perioperative Pflege

40.2 Hinweise zur Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

274

Margarete Klimek 41.1 Präoperative Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 41.2 Maßnahmen am OP-Tag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

42

Pflege bei Fieber

41.3 Postoperative Überwachung und Pflege auf Station .. 277 41.4 Wunddrainagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

280

Daniela Schleyer 42.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

10

42.2 Pflegerische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

Inhaltsverzeichnis

43

Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Patienten

284

Sandra Heiligmann 43.1 Der chronisch kranke Patient . . . . . . . . . . . . . . . 285

44

43.2 Der multimorbide Patient . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

288

Pflege von Patienten mit malignen Tumoren Sandra Heiligmann

44.1 Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

45

44.2 Pflegeprobleme in der Onkologie . . . . . . . . . . . . 290

296

Grundlagen der Intensivpflege Jennifer Ludwig

45.1 Intensivstation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 45.2 Pflege von Brandverletzten . . . . . . . . . . . . . . . . 298

46

45.3 Pflege bei Transplantationen . . . . . . . . . . . . . . . 299

302

Pflege des sterbenden Menschen – Palliative Care Jennifer Ludwig

46.1 Der Sterbeprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

47

46.2 Palliative Care . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

308

Kultursensible Pflege Margarete Klimek

47.1 Zentrale Elemente kultursensibler Pflege . . . . . . . 309

48

47.2 Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

Grundlagen einer Pflegeethik und ethische Grenzsituationen in der Pflege

312

Daniela Schleyer 48.1 Grundlagen der Ethik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 48.2 Notwendigkeit einer Ethik in der Pflege . . . . . . . . 313 48.3 Ethische Normen für die Pflege . . . . . . . . . . . . . 314

49

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

48.4 Ethische Reflexion und Entscheidungsfindung . . . . 314 48.5 Ethische Grenzsituationen in der Pflege . . . . . . . . 315

318

Daniela Schleyer 49.1 Patientenedukation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 49.2 Informieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 49.3 Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

50

Grundlagen der Kinästhetik

49.4 Anleiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 49.5 Beraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320

322

Margarete Klimek 50.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 50.2 Ziele der Kinästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

51

Grundlagen der Basalen Stimulation

50.3 Grundlegende Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 50.4 Kinästhetik in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . 324

326

Margarete Klimek 51.1 Hintergrundwissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

52

Grundlagen des Bobath-Konzepts

51.2 Pflegemaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

330

Margarete Klimek 52.1 Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 52.2 Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

52.3 Handling – Führen von Bewegungen . . . . . . . . . . 332

Inhaltsverzeichnis

7 53

Pflege bei speziellen Erkrankungen 336

Pflege bei Erkrankungen des Herzens Tobias Herbers

53.1 Anatomie und Physiologie des Herzens . . . . . . . . . 337 53.2 Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . 339 53.3 Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen. . . . 340

54

53.4 Erkrankungen des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . 341 53.5 Die wichtigsten Medikamente bei Herzerkrankungen 347

Pflege bei Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems

348

Tobias Herbers 54.1 Anatomie und Physiologie des Kreislauf- und Gefäßsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 54.2 Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . 353

55

54.3 Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems . . . 354 54.4 Erkrankungen der Lymphgefäße . . . . . . . . . . . . . 359

360

Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems Daniela Schleyer

55.1 Anatomie und Physiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . 361 55.2 Nicht-infektiöse Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . 361 55.3 Infektiöse Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

56

55.4 Maligne Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 55.5 Erkrankungen des Lungenkreislaufs . . . . . . . . . . . 368 55.6 Übersicht über die wichtigsten Medikamente . . . . . 369

372

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems Tobias Herbers

56.1 Anatomie und Physiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . 373 56.2 Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . 377

57

56.3 Erkrankungen des Verdauungssystems . . . . . . . . . 380

Pflege bei Erkrankungen der Niere und der Harnwege, Störungen des Wasser- und Säure-Basen-Haushalts 394 Margarete Klimek

57.1 Anatomie und Physiologie der Niere . . . . . . . . . . 395 57.2 Anatomie und Physiologie der ableitenden Harnwege 396 57.3 Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . 397

58

57.4 Erkrankungen der Niere und der ableitenden Harnwege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 57.5 Wasser- und Elektrolythaushalt . . . . . . . . . . . . . 405 57.6 Säure-Basen-Haushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Pflege bei Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels

410

Tobias Herbers 58.1 Anatomie und Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . 411

59

Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems

58.2 Erkrankungen des Hormonsystems, Stoffwechselstörungen und ernährungsbedingten Erkrankungen . 412

422

Tobias Herbers 59.1 59.2 59.3 59.4

60

Anatomie und Physiologie. . . . . . . . . Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . Erkrankungen der Erythrozyten . . . . . Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems . . . . . . . . . .

. . . . . . . . 423 . . . . . . . . 426 . . . . . . . . 426

59.5 Immundefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 59.6 Autoimmunerkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . 432 59.7 Allergien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432

. . . . . . . . 427

Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems

434

Sandra Heiligmann 60.1 Anatomie und Physiologie . . . . . . . . . . . . . . . . 435

12

60.2 Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . 436

Inhaltsverzeichnis 60.3 Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . 437 60.4 Traumatologische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . 437

61

60.5 Orthopädische Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . 444 60.6 Rheumatische Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . 447

452

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems Jennifer Ludwig

61.1 61.2 61.3 61.4 61.5 61.6

Anatomie und Physiologie . . . . . . Erkrankungen des ZNS . . . . . . . . Entzündliche Erkrankungen des ZNS Epileptische Anfälle und Epilepsie . . Basalganglienerkrankungen . . . . . Motorische Degenerationen. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

62

Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

453 454 460 462 464 465

61.7 61.8 61.9 61.10 61.11

Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkrankungen am Rückenmark . . . . . . . . Kopf- und Gesichtsschmerzen . . . . . . . . . Erkrankungen im peripheren Nervensystem Anlage- und Entwicklungsstörungen . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

466 468 471 472 473

474

Margarete Klimek 62.1 Erkrankungen des Auges. . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

63

62.2 Erkrankungen des Ohres. . . . . . . . . . . . . . . . . . 480

484

Pflege bei Erkrankungen der Haut Daniela Schleyer

63.1 Anatomie und Physiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . 485 63.2 Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . 485 63.3 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten . . . . . . . . 486

64

63.4 Erkrankungen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 63.5 Die wichtigsten Medikamente bei Erkrankungen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

494

Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane Daniela Schleyer

64.1 Weibliche Geschlechtsorgane. . . . . . . . . . . . . . . 495 64.2 Männliche Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . 499

65

64.3 Sexuell übertragene Erkrankungen . . . . . . . . . . . 502

504

Pflege bei Erkrankungen der Psyche Daniela Schleyer

65.1 65.2 65.3 65.4 65.5 65.6

Bedeutung für den Patienten . . . . . . . . . . Mitwirken bei der Diagnostik und Therapie . Psychosen des schizophrenen Formenkreises Affektive Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . Sucht und Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

66

Pflege bei organübergreifenden Infektionen

. . . . . .

. . . . . .

505 505 507 508 510 511

65.7 65.8 65.9 65.10 65.11

Organisch bedingte psychische Störungen . . Belastungs- und Anpassungsstörungen . . . . Angst- und Zwangsstörungen. . . . . . . . . . Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen . . Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

512 513 514 515 515

516

Margarete Klimek 66.1 Mitwirken bei der Diagnostik. . . . . . . . . . . . . . . 517 66.2 Sepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

66.3 Virale Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 66.4 Spezielle organübergreifende bakterielle Infektionen 522

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525

Anschriften Mitarbeiter

Fachbeiräte

Sandra Heiligmann Gesundheits- und Krankenpflegerin Pflegepädagogin (B.A.) Pflegewissenschaftlerin (M.A.) Helios Bildungszentrum Hildesheim Senator-Braun-Allee 33 31135 Hildesheim

Lucio Cecconi Dipl.-Pflegewirt (FH) Leitung Schule für Gesundheits- und Krankenpflege Bildungszentrum Klinikum Stuttgart Hegelstraße 4 70174 Stuttgart

Dr. med. Tobias Herbers Medizinische Klinik am Helios Klinikum Schwelm Dr.-Moeller-Straße 15 58332 Schwelm Margarete Klimek Lehrerin für Pflegeberufe Theologische Referentin Krankenpflegeschule Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum GmbH In der Schornau 23–25 44892 Bochum Dr. rer. cur. Annette Lauber Dipl.-Pflegepädagogin (FH) Pflegewissenschaftlerin (M.Sc.) Irmgard-Bosch-Bildungszentrum Auerbachstraße 110 70376 Stuttgart Jennifer Ludwig Gesundheits- und Krankenpflegerin Pflegemanagerin (B.A.) Pflegewissenschaftlerin (M.A.) Daniela Schleyer Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin Pflegepädagogin (B.A.) Pflegewissenschaftlerin (M.A.) Evangelisches Bildungszentrum für Gesundheitsberufe Stuttgart Haus der Diakonischen Bildung Nordbahnhofstraße 131 70191 Stuttgart

14

Myrèse Larkamp Berufspädagogin im Gesundheitswesen (M.A.) Bereichsleitung Fort- und Weiterbildung Canisius Campus Dortmund gGmbH Katholische Akademie für Gesundheitsberufe Sonnenstraße 171 44137 Dortmund Rita Schnabel Dipl.-Pflegepädagogin (FH) Erwachsenenbildung M.A. Schule für Gesundheits- und Krankenpflege Bildungszentrum Klinikum Stuttgart Hegelstraße 4 70174 Stuttgart Katja Schrade Dipl.-Pflegepädagogin (FH) Schule für Gesundheits- und Krankenpflege Bildungszentrum Klinikum Stuttgart Hegelstraße 4 70174 Stuttgart

1 ieme

Ausbildung und Beruf Pflege 1 Professionelle Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

2 Ausbildung konkret. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

3 Beruf konkret . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

4 Pflegewissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

1

Professionelle Pflege

gesundheitsfördernde und präventive Pflege

ganzheitliche Pflege alle Altersgruppen

kurative Pflege

4 Handlungsfelder

rehabilitative Pflege

Berücksichtigung aller Lebensumstände, z.B.

Familien, Gruppen, einzelne Menschen

Gemeinsamkeiten

palliative Pflege

„Pflege“ nach WHO

„Pflege“ nach ICN

Definitionen

Herausforderungen

veränderte Familienbilder kleinere Familien weniger pflegende Angehörige

demografischer Wandel

viele ältere, pflegebedürftige, multimorbide Menschen

Einpersonenhaushalte

weniger junge Menschen

Fachkräftemangel Personal fehlt

Positionierung in der Gesellschaft und im Gesundheitswesen

Nachwuchs fehlt Pflege als Profession

Generalistik Akademisierung

Was ist Pflege?

1.1 Was ist Pflege? Definition „Pflege“ nach ICN Pflege umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung – allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen – von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, die Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse, Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung.

Definition „Pflege“ nach WHO Der gesellschaftliche Auftrag der Pflege ist es, dem einzelnen Menschen, der Familie und ganzen Gruppen dabei zu helfen, ihr physisches, psychisches und soziales Potenzial zu bestimmen und zu verwirklichen, und zwar in dem für die Arbeit anspruchsvollen Kontext ihrer Lebens- und Arbeitsumwelt. Deshalb müssen die Pflegenden Funktionen aufbauen und erfüllen, welche die Gesundheit fördern, erhalten und Krankheit verhindern. Zur Pflege gehört auch die Planung und Betreuung bei Krankheit und während der Rehabilitation und sie umfasst zudem die physischen, psychischen und sozialen Aspekte des Lebens in ihrer Auswirkung auf Gesundheit, Krankheit, Behinderung und Sterben. Pflegende gewährleisten, dass der Einzelne und die Familie, seine Freunde, die soziale Bezugsgruppe und die Gemeinschaft ggf. in alle Aspekte der Gesundheitsversorgung einbezogen werden, und unterstützen damit Selbstvertrauen und Selbstbestimmung. Pflegende arbeiten auch partnerschaftlich mit Angehörigen anderer an der Erbringung gesundheitlicher und ähnlicher Dienstleistungen beteiligter Gruppen zusammen.

1.1.1 Merkmale professioneller Pflege Gemeinsamkeiten der Definitionen des ICN (International Council of Nurses) und der WHO (World Health Organization): ● Pflege findet in 4 Handlungsfeldern (siehe Kap. 3.2) statt und umfasst: – Gesundheit fördern und Krankheit verhüten (gesundheitsfördernde und präventive Pflege) – Gesundheit wiederherstellen (kurative Pflege) – Kranke und Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft integrieren (rehabilitative Pflege) – Leiden lindern und sterbende Menschen betreuen (palliative Pflege)









Pflegende versorgen und betreuen einzelne Menschen, Familien und ganze Gruppen in allen Lebenssituationen eigenverantwortlich. Pflegende gestalten das Gesundheits-/Pflegemanagement, Bildung und die Gesundheitspolitik mit. Pflegende berücksichtigen alle Aspekte des Lebens und der Gesundheitsversorgung (physisch, psychisch und sozial) und fördern somit die Selbstbestimmung des Menschen. Pflegende arbeiten partnerschaftlich mit anderen Gesundheitsberufen, dem zu Pflegenden und seinen Angehörigen zusammen.

1.1.2 Herausforderungen professioneller Pflege ●







demografischer Wandel: Anteil der älteren und pflegebedürftigen Menschen an der Gesellschaft wächst, gleichzeitig sinkt die Anzahl junger Menschen, die die Pflege durchführen können. veränderte Familienbilder: Kleinere Familien, die oft entfernt voneinander leben, und mehr Einpersonenhaushalte führen dazu, dass weniger Angehörige die Pflege übernehmen können. Fachkräftemangel und hohe Nachfrage an Pflegekräften: Bereits heute können viele Stellen nicht mehr besetzt werden, da es an Personal und Nachwuchs fehlt. Dieses Problem wird sich in Zukunft verschärfen. Positionierung der professionellen Pflege in der Gesellschaft und im Gesundheitssystem: Orientierung bei der Weiterentwicklung der Pflegeausbildung am europäischen Standard (Generalistik und Akademisierung)

KOMPAK T Professionelle Pflege ●



Professionelle Pflege betrachtet den Menschen ganzheitlich, d. h., sie berücksichtigt alle Lebensumstände und die Individualität in den 4 Handlungsfeldern. Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen steht professionelle Pflege vor der Herausforderung des Fachkräftemangels.

2

Ausbildung konkret

Vergütung

Urlaubstage Probezeit

Arbeitszeit § 3 regelt die Ausbildungsziele

Krankenpflege- und Altenpflegegesetz

für Krankenpflege

für Altenpflege

Ausbildungs- und Prüfungsverordnung

Vertragsabschluss mit Ausbildungsträger Vertrag regelt Ausbildung, z.B.

gesetzlicher Rahmen

Ausbildungsvertag

Voraussetzungen zur Prüfungszulassung

schriftlich

Prüfung

mündlich praktisch Ausbildungsformen grundständig

Modellprojekte

Studium dual

Assistenzberufe GKP

GKKP

AP

ab 2020 generalistische Pflegeausbildung

Grundlagen der Pflegeausbildung

2.1 Grundlagen der Pflegeausbildung



2.1.1 Gesetzliche Rahmenbedingungen ●



Krankenpflegegesetz – KrPflG (inkl. Gesundheits- und Kinderkrankenpflege) und Altenpflegegesetz – AltPflG: bilden die rechtliche Grundlage der Ausbildung und regeln Organisation, Dauer, Ablauf und Inhalte der Ausbildung (z. B. Ausbildungsziele, Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnungen). Die Ausgestaltung der Lehrpläne findet durch die Schulen auf Länderebene statt. Es gibt keine bundesweit einheitlichen Lehrpläne. Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflGAPrV) bzw. der Altenpflege (AltPflAPrV): legt Mindestanforderungen an die Ausbildung fest (z. B. durch die Verteilung der Unterrichtsstunden innerhalb der Ausbildung und die Inhaltsbereiche der Teilprüfungen) und regelt die Prüfung an sich (z. B. Ablauf der schriftlichen Prüfung). Auch die Regelungen der Prüfungen sind Ländersache und nicht bundesweit einheitlich geregelt.

2.1.2 Ausbildungsvertrag ●



Der Ausbildungsvertrag wird mit dem Ausbildungsträger (ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtung) über die Dauer der Ausbildung geschlossen. Inhalte des Ausbildungsvertrags sind: Berufsziel, Beginn und Dauer der Ausbildung, Gliederung der praktischen Ausbildung, Arbeitszeit, Ausbildungsvergütung, Dauer der Probezeit, Anspruch auf Urlaubstage, Voraussetzungen für die Kündigung des Ausbildungsvertrags, Verweis auf Tarifverträge und Betriebs- oder Dienstvereinbarungen.

2.1.3 Ausbildungsvergütung und Arbeitszeiten ●





Jeder Auszubildende hat ein Recht auf eine Ausbildungsvergütung. Die Höhe hängt vom Ausbildungsjahr und vom Ausbildungsträger ab. Arbeiten im Schichtbetrieb, auch an Feiertagen und an Wochenenden, gehört dazu. Auszubildende haben ein Recht auf Überstundenvergütung, Zulagen und Zuschläge (z. B. bei der Arbeit in psychiatrischen Einrichtungen).

2.1.4 Ausbildungsziele der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege Ausbildungsziele laut § 3 Krankenpflegegesetz: ● Die Ausbildung „soll entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse fachliche, personale, soziale und methodische Kompetenzen zur verantwortlichen Mitwirkung insbesondere bei der Heilung, Erkennung und Verhütung von Krankheiten vermitteln.



Die Pflege im Sinne von Satz 1 ist dabei unter Einbeziehung präventiver, rehabilitativer und palliativer Maßnahmen auf die Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der zu pflegenden Menschen auszurichten. Dabei sind die unterschiedlichen Pflege- und Lebenssituationen sowie Lebensphasen und die Selbständigkeit und Selbstbestimmung der Menschen zu berücksichtigen (…).“ In der Umsetzung der Ausbildungsziele wird zwischen eigenverantwortlich auszuführenden Aufgaben, wie z. B. der Erhebung des Pflegebedarfs oder der Pflegeplanung, und der Mitwirkung bei Aufgaben, wie z. B. der medizinischen Diagnostik und der interdisziplinären Zusammenarbeit, unterschieden.

2.1.5 Ausbildungsziele der Altenpflege Ausbildungsziele laut § 3 Altenpflegegesetz: „Die Ausbildung in der Altenpflege soll die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln, die zur selbständigen und eigenverantwortlichen Pflege einschließlich der Beratung, Begleitung und Betreuung alter Menschen erforderlich sind (…).“ Konkret bedeutet dies: 1. „die sach- und fachkundige, den allgemein anerkannten pflegewissenschaftlichen, insbesondere den medizinisch-pflegerischen Erkenntnissen entsprechende, umfassende und geplante Pflege, 2. die Mitwirkung bei der Behandlung kranker alter Menschen einschließlich der Ausführung ärztlicher Verordnungen, 3. die Erhaltung und Wiederherstellung individueller Fähigkeiten im Rahmen geriatrischer und gerontopsychiatrischer Rehabilitationskonzepte, 4. die Mitwirkung an qualitätssichernden Maßnahmen in der Pflege, der Betreuung und der Behandlung, 5. die Gesundheitsvorsorge einschließlich der Ernährungsberatung, 6. die umfassende Begleitung Sterbender, 7. die Anleitung, Beratung und Unterstützung von Pflegekräften, die nicht Pflegefachkräfte sind, 8. die Betreuung und Beratung alter Menschen in ihren persönlichen und sozialen Angelegenheiten, 9. die Hilfe zur Erhaltung und Aktivierung der eigenständigen Lebensführung einschließlich der Förderung sozialer Kontakte und 10. die Anregung und Begleitung von Familien- und Nachbarschaftshilfe und die Beratung pflegender Angehöriger. Darüber hinaus soll die Ausbildung dazu befähigen, mit anderen in der Altenpflege tätigen Personen zusammenzuarbeiten und diejenigen Verwaltungsarbeiten zu erledigen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Aufgaben in der Altenpflege stehen.“

l 2

Ausbildung konkret

2.1.6 Prüfung Die Prüfung in der Pflegeausbildung umfasst ● einen schriftlichen, ● einen praktischen und ● einen mündlichen Teil.



Weitere Ausbildungsgänge: Pflegehilfe, Pflegeassistenz (meist 2-jährige Ausbildung), Studium (dual: Studium integriert in die Ausbildung mit Bachelor-Abschluss; grundständig: Hochschule als alleiniger theoretischer Lernort; weiterführend: Pflegemanagement, Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft mit Bachelor- und Master-Abschluss)

Die Voraussetzungen für die Zulassung zur Prüfung ergeben sich aus der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung.

KOMPAK T Ausbildung konkret

2.2 Ausbildungsformen ●



22

heute (Stand 2018): Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Altenpflege sowie zahlreiche Modellprojekte der generalistischen oder integrativen Pflegeausbildung generalistische Pflegeausbildung ab 2020: Die Ausbildung in der Pflege wird vereinheitlicht. Das neue Pflegeberufegesetz sieht vor, die bislang voneinander getrennten Pflegeausbildungen zu einer Pflegeausbildung mit dem Berufsabschluss „Pflegefachfrau“ oder „Pflegefachmann“ zusammenzuführen. Die Absolventen können so in allen Versorgungsbereichen arbeiten. Alternativ können sich die Absolventen auch wie bisher für einen Abschluss in der Alten- oder Kinderkrankenpflege entscheiden. Wählen bis 2026 mehr als 50 % der Absolventen den generalistischen Abschluss, soll dieser ohne Alternativen eingeführt werden.









In den bundeseinheitlichen Gesetzen bzw. Verordnungen werden die Mindestanforderungen für die Pflegeausbildung festgelegt und grundlegende Aussagen zu den Ausbildungszielen und Prüfungen getroffen. Die Umsetzung erfolgt auf Länderebene. Der Ausbildungsvertrag regelt wichtige Aspekte zwischen Arbeitgeber und Auszubildenden. Momentan gibt es 3 Ausbildungsberufe in der Pflege sowie diverse Modellprojekte. Ab 2020 soll die generalistische Pflegeausbildung in ganz Deutschland eingeführt werden. Neben Pflegehelferberufen gibt es auch immer mehr Studiengänge für Pflege.

l 2

Ausbildung konkret

2.1.6 Prüfung Die Prüfung in der Pflegeausbildung umfasst ● einen schriftlichen, ● einen praktischen und ● einen mündlichen Teil.



Weitere Ausbildungsgänge: Pflegehilfe, Pflegeassistenz (meist 2-jährige Ausbildung), Studium (dual: Studium integriert in die Ausbildung mit Bachelor-Abschluss; grundständig: Hochschule als alleiniger theoretischer Lernort; weiterführend: Pflegemanagement, Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft mit Bachelor- und Master-Abschluss)

Die Voraussetzungen für die Zulassung zur Prüfung ergeben sich aus der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung.

KOMPAK T Ausbildung konkret

2.2 Ausbildungsformen ●



22

heute (Stand 2018): Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Altenpflege sowie zahlreiche Modellprojekte der generalistischen oder integrativen Pflegeausbildung generalistische Pflegeausbildung ab 2020: Die Ausbildung in der Pflege wird vereinheitlicht. Das neue Pflegeberufegesetz sieht vor, die bislang voneinander getrennten Pflegeausbildungen zu einer Pflegeausbildung mit dem Berufsabschluss „Pflegefachfrau“ oder „Pflegefachmann“ zusammenzuführen. Die Absolventen können so in allen Versorgungsbereichen arbeiten. Alternativ können sich die Absolventen auch wie bisher für einen Abschluss in der Alten- oder Kinderkrankenpflege entscheiden. Wählen bis 2026 mehr als 50 % der Absolventen den generalistischen Abschluss, soll dieser ohne Alternativen eingeführt werden.









In den bundeseinheitlichen Gesetzen bzw. Verordnungen werden die Mindestanforderungen für die Pflegeausbildung festgelegt und grundlegende Aussagen zu den Ausbildungszielen und Prüfungen getroffen. Die Umsetzung erfolgt auf Länderebene. Der Ausbildungsvertrag regelt wichtige Aspekte zwischen Arbeitgeber und Auszubildenden. Momentan gibt es 3 Ausbildungsberufe in der Pflege sowie diverse Modellprojekte. Ab 2020 soll die generalistische Pflegeausbildung in ganz Deutschland eingeführt werden. Neben Pflegehelferberufen gibt es auch immer mehr Studiengänge für Pflege.

3

Beruf konkret

Brandschutz

z.B. Fachweiterbildung Intensivpflege und Anästhesie

Hygiene

umfangreicher als Fortbildungen

Wissen auffrischen oder neu aneignen, z.B.

Hippokrates

dauert meist 2 Jahre

Klöster und Mutterhäuser erste KrankenwärterSchule (Franz A. Mai)

Fortbildung personal

Florence Nightingale Weiterbildung

sozial

fachlich

Rotes Kreuz Geschichte der Pflege

methodisch

Agnes Karll

berufliche Handlungskompetenz

Berufsverband

Kompetenz und Pflegekompetenz

Entwicklungsmodelle

3-jährige Pflegeausbildung

NS-Schwesternschaft Pflege in der DDR

Benner

Olbrich Pflege in der BRD

Berufsverbände Pflegekammern

Pflege im 21. Jh. 4 Handlungsfelder der Pflege

Gewerkschaften

präventive Pflege kurative Pflege

Interessenvertretung beruflicher Pflege

Pflege als Profession

rehabilitative Pflege

Berufs- und Pflegeverständnis

palliative Pflege Pflegeverständnis

Berufsverständnis, z.B. verbindlich

Normen

Berufsverbände Haltungen

Wie soll Pflege aufgefasst und ausgeübt werden?

Vier Handlungsfelder der Pflege

3.1 Geschichte der Pflege ●





























ca. 500 v. Chr.: In Indien werden erstmals Pflegende als Berufsgruppe erwähnt, die neben Ärzten in Vorläufern von Krankenhäusern arbeiten. ca. 400 v. Chr.: In Europa verbreitet sich die griechische Medizin nach Hippokrates. Ärzte betrachten die Krankenpflege als Teil ihrer Aufgabe bzw. übertragen sie an ihre Schüler. 1. Jh.: Urchristen betrachten Krankenpflege als selbstverständlichen Teil der christlichen Nächstenliebe. Ab 5. Jh.: Nonnen und Mönche sind in Klöstern für Pflege zuständig (Hildegard von Bingen). 12. Jh.: Außerhalb der Klöster entstehen Hospitäler/Herbergen, die neben Kranken auch Findelkinder und Hilfsbedürftige aufnehmen. Sie werden von Geistlichen und erstmals bezahlten Krankenpflegern versorgt. 17. Jh.: Katholische Pflegeorden entstehen nach dem Vorbild der Vinzentinerinnen. Statt in Klöstern leben sie in sog. Mutterhäusern und werden vom Orden in die Hospitäler entsandt. Dieses System wird auch von den späteren evangelischen Diakonissen und Rotkreuzschwestern übernommen. 1781: Die erste Krankenwärterschule wird von Franz Anton Mai gegründet, die nach 3 Monaten mit einem Examen abschließt. Grundlage ist das Lehrbuch „Unterricht für Krankenwärter“. In vielen Krankenhäusern arbeiten Pflegende immer noch ohne Ausbildung. 1836: Die Kaiserswerther Diakonie wird gegründet. Unverheiratete, bürgerliche Frauen verpflichten sich für 5 Jahre als Diakonissen. Sie erhalten Unterricht in Anatomie, Arzneimittellehre und pflegerischen Tätigkeiten. 1859: Die englische Krankenschwester Florence Nightingale schreibt ein wegweisendes Buch zur Ausbildung und zum Selbstverständnis der Pflege. Sie gilt als die erste Pflegetheoretikerin. 1860: Nightingale gründet die erste Schwesternschule Englands. Der Berliner Arzt Virchow fordert eine berufsmäßige Ausbildung der Krankenpflege. In den USA wird der International Council of Nurses (ICN) gegründet. 1863: In der Schweiz wird das Rote Kreuz mit angeschlossener Pflegeschule gegründet. 1883: In Deutschland wird die gesetzliche Sozialversicherung eingeführt. Die Zahl der Krankenhäuser verdoppelt sich. Neben den Schwestern des Roten Kreuzes und den Diakonissen arbeiten nun viele Frauen gegen Bezahlung in der Pflege (die sog. „wilden Schwestern“). Manche halten dies für minderwertig, weil es nicht dem Ideal der christlichen Nächstenliebe entspreche. 1903: Die „wilde Schwester“ Agnes Karll fordert eine 3jährige Ausbildung für Pflegerinnen. Sie gründet die erste Berufsorganisation Deutschlands, woraus sich der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) entwickelt. 1906: Preußen führt Vorschriften über die staatliche Prüfung von Pflegepersonen ein. Die Pflege ist nun ein gesetzlich anerkannter und geregelter Beruf. Voraussetzung für die Berufszulassung sind die Ausbildung und eine Prüfung. 1900–1914: Pflegende arbeiten unter harten Bedingungen (12–36-Stunden-Schichten). Oft geben sie den Beruf erschöpft nach wenigen Jahren auf.



● ● ● ●











Ab 1918: In der Weimarer Republik bessern sich die Bedingungen für Pflegende langsam. Der 8-Stunden-Tag wird eingeführt. 1919/20: Die ersten Tarifverträge werden abgeschlossen. 1923: Der 10-Stunden-Tag wird wieder erlaubt. 1926: Das letzte Heiratsverbot für freie Schwestern fällt. 1933–1945: Berufsverbände werden vereinheitlicht und unter NS-Führung gestellt. In der neuen NS-Schwesternschaft (auch braune Schwestern) soll eine Pflegeelite herangezogen werden. 1939: Rund 10 % der Pflegenden gehören der NS-Schwesternschaft an. Jüdische Pflegende und Ärzte werden aus dem Beruf verdrängt. Sie dürfen nur noch Juden pflegen und behandeln. 1940: Im „Euthanasie“-Programm werden geistig behinderte und psychisch kranke Patienten in „Heil- und Pflegeanstalten“ in Gaskammern ermordet. Pflegende bereiten die Patienten für den Transport vor und „beruhigen“ sie während der Fahrt mit Medikamenten. Pflege in der DDR: Das Gesundheitssystem wird verstaatlicht und zentral gelenkt. Pflegende erhalten erst eine 2, dann 3-jährige Ausbildung. Kennzeichnend sind der hohe Ausbildungsgrad und Stellenwert in der Gesellschaft. Durch die Mangelwirtschaft gibt es wenige der notwendigen Materialien, was Pflegende dazu zwingt, erfinderisch zu sein. Pflege in der BRD: Die Organisation der Pflege bleibt zersplittert. Verbände und Schwesternschaften werden wieder gestärkt. Es gibt Meinungsverschiedenheiten über den Umfang der Pflegeausbildung. Bei den Schwesternschaften steht Nächstenliebe vor umfangreichem Wissen. 1965 und 1985 treten neue Krankenpflegegesetze in Kraft, in denen auch die Ausbildung geregelt wird. Pflege im 21. Jh.: In den 1990er-Jahren entstehen zunehmend Pflegestudiengänge, die die Professionalisierung und Spezialisierung vorantreiben. 2004 tritt die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung in Kraft, die bis heute gilt.

3.2 Vier Handlungsfelder der Pflege 1. präventive Pflege: Krankheit vermeiden und Gesundheit fördern, z. B. durch Beratung Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen, Sturzprävention, Prophylaxen 2. kurative Pflege: Krankheit heilen, z. B. pflegerische Maßnahmen, die zur Heilung beitragen, wie die Gabe ärztlich angeordneter Medikamente oder eine Wundversorgung 3. rehabilitative Pflege: Wiederherstellung von Gesundheit und Wiedereingliederung in die Gesellschaft (siehe Kap. 5.5.6), z. B. durch „Hilfe zur Selbsthilfe“ nach dem Prinzip „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“, Bereitstellung von Hilfsmitteln zur Unterstützung der Selbstständigkeit (Rollator, Toilettenstuhl) 4. palliative Pflege: Linderung der Symptome, z. B. durch individuelles Schmerzmanagement, Abwägen pflegerischer Maßnahmen nach dem Motto „Weniger ist mehr“, die Lebensqualität der Patienten hat oberste Priorität! (siehe Kap. 46)

l 3

Beruf konkret

3.3 Berufs- und Pflegeverständnis 3.3.1 Berufsverständnis ●

● ●



beschreibt Grundlagen, Tätigkeiten, Ziele und Pflichten beruflicher Handlungen beinhaltet Haltung und Normen der Berufsgruppe Beschreibung stammt von berufsspezifischen Verbänden oder Organisationen (z. B. ICN, Deutscher Pflegerat) ist für alle Angehörigen der Berufsgruppe verbindlich

3.3.2 Pflegeverständnis ●

beschreibt, wie Pflege aus unterschiedlichen Perspektiven, z. B. vonseiten des Gesetzgebers, von Institutionen oder einzelnen Personen aufgefasst und ausgeübt werden soll

Aspekte, die das Pflegeverständnis dabei prägen, sind: Wie werden die Begriffe „Gesundheit“ und „Krankheit“ verstanden? ● Welches Menschenbild liegt zugrunde? ● Mit welcher inneren Haltung arbeiten Pflegende? ● Welches Ziel verfolgt pflegerisches Handeln?

3.4.3 Berufspolitisch organisierte Pflege Die Interessenvertretung beruflich Pflegender findet in Deutschland durch folgende Institutionen statt: ● Berufsverbände: repräsentieren die Berufsgruppe, setzen sich z. B. bei Ministerien oder Behörden für Belange Pflegender ein, beraten ihre Mitglieder in Rechtsfragen, organisieren Fort- und Weiterbildungen sowie Kongresse (z. B. DBfK, DBVA oder BeKD e. V.). Mitglieder sind selbstständige und angestellte Angehörige des Berufs, auch Auszubildende und Rentner. ● Gewerkschaften: vertreten Arbeitnehmerinteressen z. B. bei Tarifverhandlungen, kämpfen für höhere Löhne, organisieren Streiks (z. B. ver.di). Mitglieder sind nur Angestellte und Auszubildende z. B. aus dem öffentlichen Dienst. ● Pflegekammern: werden auf Länderebene organisiert, eine Bundespflegekammer wird angestrebt, sie finanzieren sich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder, 2018 gibt es in 3 Bundesländern in Deutschland eine Pflegekammer.



3.4 Pflege als Profession 3.4.1 Professionelle Pflege Die Professionalisierung des Pflegeberufs schreitet in Deutschland zunehmend voran (Stichwort: Generalistik und Akademisierung des Pflegeberufs). Um bei einem Beruf (wie der Pflege) von einer Profession sprechen zu können, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: ● Wissen auf wissenschaftlicher Grundlage (z. B. durch eigene Forschung – Pflegewissenschaft) ● kontrollierter Berufszugang, u. a. akademische Ausbildungsgänge (z. B. duales Studium Pflege) ● verbindlicher Berufskodex/verbindliches Berufsbild (z. B. Ethikkodex für Pflegende des ICN) ● Berufsverbände (z. B. Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe – DBfK) ● autonomer Berufsstand (z. B. Entscheidungsfreiheit in der inhaltlichen Gestaltung von Ausbildung und Studium) ● gesellschaftliche Relevanz (z. B. Versorgung von Pflegebedürftigen) ● vergleichsweise hohes Einkommen (tarifliches Gehalt) und gute Aufstiegsmöglichkeiten

3.4.2 Nichtberufliche Pflege ●



26

Nichtberufliche Pflege (auch informelle Pflege oder Laienpflege): wird von Menschen ohne pflegeberufliche Ausbildung durchgeführt, z. B. Angehörige. Sie spielt eine große Rolle in der Versorgung. Rund ⅔ der Pflegebedürftigen werden zu Hause von Angehörigen (meist Frauen) gepflegt. Dies ist oft eine enorme Belastung für die Angehörigen. Daher müssen professionell Pflegende auch die Angehörigen mit im Blick haben und sie beraten.

Exemplarische Aufgaben einer Pflegekammer sind: Selbstverwaltung der Pflege ● Bündeln der berufsständischen Interessen ● Aufstellen einer eigenen Berufsordnung ● Führen eines Berufsregisters aller Pflegefachkräfte ● Regelungen über Fort- und Weiterbildung ● Verfassen von Empfehlungen zur Qualitätsentwicklung und -sicherung pflegerischer Berufsausübung ● Beraten von Berufsangehörigen in juristischen, ethischen, fachlichen und berufspolitischen Fragen (…) ●

3.5 Kompetenz und Pflegekompetenz Definition Kompetenz „Kompetenz“ ist die Fähigkeit, eine komplexe Situation zu erfassen, zu analysieren und basierend auf Kenntnissen und Wissen angemessen zu handeln.

3.5.1 Berufliche Handlungskompetenz Die berufliche Handlungskompetenz ermöglicht es Pflegenden, die Aufgaben und Herausforderungen des Pflegealltags zu bewältigen. Im Krankenpflegegesetz wird zwischen fachlicher, personaler, sozialer und methodischer Kompetenz unterschieden. Das Modell der beruflichen Handlungskompetenz beschreibt die einzelnen Kompetenzen und ihr Zusammenwirken (▶ Abb. 3.1).

Kompetenz und Pflegekompetenz Abb. 3.1 Modell – Berufliche Handlungskompetenz.

Methodenkompetenz = planmäßiges, zielgerichtetes Arbeiten kommunikative Kompetenz = kommunikative Situationen verstehen und gestalten Lernkompetenz = Informationen verstehen und auswerten

Fachkompetenz

personale Kompetenz

Sozialkompetenz

• Wissen über Fachgebiet

• Selbstentwicklung • selbstständiges Lernen

• Beziehungs-/ Teamfähigkeit

• Verständnis von Fachsprache

• berufliches Handeln reflektieren

• Einfühlungsvermögen

• Kenntnis fachspezifischer Methoden

• Einstellungen und Werte entwickeln und vertreten

• Kooperations- und Konfliktlösebereitschaft

• Verantwortung für das berufliche Handeln übernehmen

• Konsensfähigkeit

• fachübergreifendes Wissen (z. B. aus Medizin, Soziologie, Psychologie, Ethik, Recht, Organisation)

• Toleranz

• Veränderung mitgestalten

berufliche Handlungskompetenz berufliches Handeln

Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015

3.5.2 Modelle zur Entwicklung von Pflegekompetenz Entwicklung von Pflegekompetenz nach Olbrich ● ●





Pflegerisches Handeln hat 4 Dimensionen. Für jede Dimension ist eine bestimmte Kompetenz notwendig. Die Kompetenzen müssen mit der Zeit entwickelt werden und bauen aufeinander auf (vom regelgeleiteten Handeln hin zum aktiv-ethischen Handeln) (▶ Tab. 3.1). Der Kompetenzerwerb ist eine Art Prozess, der von Erfahrungen und Reflexion beeinflusst wird. Feedback, Anleitung und Korrektur, z. B. durch Lehrende, sind bei der Entwicklung praktischer Kompetenzen wichtig. Dafür ist die Auseinandersetzung mit sich selbst und der beruflichen Rolle zentral.

Entwicklung von Pflegekompetenz nach Benner Die Kompetenzentwicklung verläuft über 5 Stufen, die nacheinander durchlaufen werden (vom Neuling bis zum Pflegeexperten). 1. Neuling: Auszubildender oder Pflegender, der in einen neuen Bereich wechselt – handelt nach erlernten Regeln. 2. Fortgeschrittener Anfänger: Berufsanfänger in der Pflege – erkennt wiederkehrende Aspekte in Pflegesituationen.

3. Kompetent Pflegender: Pflegefachkraft mit ca. 2–3 Jahren Erfahrung in einem bestimmten Pflegebereich – handelt planvoll. 4. Erfahrener Pflegender: Pflegefachkraft mit ca. 3–5 Jahren Erfahrung in einem bestimmten Pflegebereich – erfasst Pflegesituation als Ganzes. 5. Pflegeexperte: Pflegefachkraft erfasst Pflegesituationen intuitiv, erkennt direkt Kern eines Problems und leitet erforderliche Pflegemaßnahmen ab.

Aufgabenbereiche Benner beschreibt 7 Aufgabenbereiche der Pflegepraxis, in denen sich insgesamt 31 Kompetenzen wiederfinden (Pflegeexperten haben alle 31 Kompetenzen). Die 7 Bereiche sind: 1. Helfen (Beispielkompetenz: Patienten ermutigen, Eigenverantwortung zu übernehmen, sich an der Genesung zu beteiligen) 2. Beraten und Betreuen (Beispielkompetenz: Patienten beraten, wie er mit den Folgen seiner Erkrankung umgehen kann) 3. Diagnostik und Patientenüberwachung (Beispielkompetenz: Veränderungen des Gesundheitszustands erkennen, mögliche Probleme und Komplikationen erahnen) 4. Wirkungsvolles Handeln bei Notfällen (Beispielkompetenz: kompetent handeln in Notfallsituationen) 5. Durchführung und Überwachung von Behandlungen (Beispielkompetenz: Medikamente mit Sorgfalt verabreichen, auf Wirkung, Nebenwirkungen und Unverträglichkeit achten)

l 3

Beruf konkret Tab. 3.1 Übersicht Pflegekompetenz nach Olbrich. Dimension

Kompetenz

Beispiel

regelgeleitetes Handeln

sich Wissen aneignen (Routine als Basis von Kompetenz)

Kenntnisse in und Wissen über pflegerische oder medizinische Themen aufbauen und erweitern

situativ-beurteilendes Handeln

wahrnehmen und sich vertieft einfühlen

einfühlen in die Situation des Patienten

reflektierendes Handeln

selbstreflektiert sein

eigenes Handeln hinterfragen: „Was tue ich warum und wann?“

aktiv-ethisches Handeln

als Person stark sein (höchste Kompetenzstufe)

stellvertretend für die Interessen des Patienten eintreten, wenn er dies selbst nicht kann (moralisches Denken und Handeln sind hierfür die Voraussetzung)

6. Überwachung und Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung (Beispielkompetenz: Maßnahmen hinsichtlich ihrer Sicherheit prüfen) 7. Organisation und Zusammenarbeit (Beispielkompetenz: im therapeutischen Team zusammenarbeiten, um dem Patienten eine optimale Therapie zu ermöglichen)

3.6 Fort- und Weiterbildung Durch den kontinuierlichen Fortschritt in Medizin und Pflege hört das Lernen niemals auf. Eine regelmäßige Weiterqualifizierung ist wichtig für die Pflegequalität und kommt sowohl Pflegenden als auch Patienten zugute. ● Fortbildungen: helfen Pflegenden, ihr Wissen auf den neuesten wissenschaftlichen Stand zu bringen. Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens müssen bestimmte Pflichtfortbildungen anbieten (z. B. zum Thema Brandschutz oder Hygiene). Darüber hinaus gibt es auch allgemeine Fortbildungen wie z. B. Kommunikation, EDV, Autogenes Training, Gesundheitsförderung usw. Offizielle Nachweise über die Teilnahme an Fortbildungen werden durch die Registrierungsstelle für beruflich Pflegende vergeben. ● Weiterbildungen: sind umfangreicher als Fortbildungen und mit einer neuen oder erweiterten Berufsbezeichnung und beruflichen Aufgabe verbunden (z. B. Fachpflegekraft für Intensivpflege und Anästhesie). Eine Fachweiterbildung ist eine Art der Spezialisierung. Voraussetzung für den Beginn der Weiterbildung ist meist eine mindestens 2-jährige Berufstätigkeit, ein Teil davon im angestrebten Fachgebiet. Die Fachweiterbildung dauert meist 2 Jahre und schließt i. d. R. mit einer Prüfung ab.

28

KOMPAK T Beruf konkret ●











Der Pflegeberuf war lange Zeit vom Ideal der Nächstenliebe und vom Bild des ärztlichen Assistenzberufs geprägt. Die Professionalisierung setzte daher verzögert ein und dauert immer noch an. Gerade die einheitliche Organisation in einer Pflegekammer und die Weiterentwicklung der Pflegeausbildung (inkl. Studium) sind Aspekte, die in naher Zukunft weiter vorangetrieben werden müssen. Ein einheitliches Berufs- und Pflegeverständnis ist die Basis professionellen Handelns. Erworbenes Wissen und Kenntnisse in konkreten Situationen adäquat anwenden zu können, bezeichnet man als Kompetenz. Bei der Handlungskompetenz wird zwischen fachlicher, personaler, sozialer und methodischer Kompetenz unterschieden. Die Entwicklung der Pflegekompetenz erfolgt prozesshaft. Mit der Zeit generieren Pflegende mehr Wissen und Erfahrung. Durch kritische Selbstreflexion nimmt die Kompetenz stetig zu. Durch die andauernde Weiterentwicklung in Pflege und Medizin hört das Lernen niemals auf. Fort- und Weiterbildung sichern die Pflegequalität.

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Beruf konkret Tab. 3.1 Übersicht Pflegekompetenz nach Olbrich. Dimension

Kompetenz

Beispiel

regelgeleitetes Handeln

sich Wissen aneignen (Routine als Basis von Kompetenz)

Kenntnisse in und Wissen über pflegerische oder medizinische Themen aufbauen und erweitern

situativ-beurteilendes Handeln

wahrnehmen und sich vertieft einfühlen

einfühlen in die Situation des Patienten

reflektierendes Handeln

selbstreflektiert sein

eigenes Handeln hinterfragen: „Was tue ich warum und wann?“

aktiv-ethisches Handeln

als Person stark sein (höchste Kompetenzstufe)

stellvertretend für die Interessen des Patienten eintreten, wenn er dies selbst nicht kann (moralisches Denken und Handeln sind hierfür die Voraussetzung)

6. Überwachung und Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung (Beispielkompetenz: Maßnahmen hinsichtlich ihrer Sicherheit prüfen) 7. Organisation und Zusammenarbeit (Beispielkompetenz: im therapeutischen Team zusammenarbeiten, um dem Patienten eine optimale Therapie zu ermöglichen)

3.6 Fort- und Weiterbildung Durch den kontinuierlichen Fortschritt in Medizin und Pflege hört das Lernen niemals auf. Eine regelmäßige Weiterqualifizierung ist wichtig für die Pflegequalität und kommt sowohl Pflegenden als auch Patienten zugute. ● Fortbildungen: helfen Pflegenden, ihr Wissen auf den neuesten wissenschaftlichen Stand zu bringen. Krankenhäuser und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens müssen bestimmte Pflichtfortbildungen anbieten (z. B. zum Thema Brandschutz oder Hygiene). Darüber hinaus gibt es auch allgemeine Fortbildungen wie z. B. Kommunikation, EDV, Autogenes Training, Gesundheitsförderung usw. Offizielle Nachweise über die Teilnahme an Fortbildungen werden durch die Registrierungsstelle für beruflich Pflegende vergeben. ● Weiterbildungen: sind umfangreicher als Fortbildungen und mit einer neuen oder erweiterten Berufsbezeichnung und beruflichen Aufgabe verbunden (z. B. Fachpflegekraft für Intensivpflege und Anästhesie). Eine Fachweiterbildung ist eine Art der Spezialisierung. Voraussetzung für den Beginn der Weiterbildung ist meist eine mindestens 2-jährige Berufstätigkeit, ein Teil davon im angestrebten Fachgebiet. Die Fachweiterbildung dauert meist 2 Jahre und schließt i. d. R. mit einer Prüfung ab.

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KOMPAK T Beruf konkret ●











Der Pflegeberuf war lange Zeit vom Ideal der Nächstenliebe und vom Bild des ärztlichen Assistenzberufs geprägt. Die Professionalisierung setzte daher verzögert ein und dauert immer noch an. Gerade die einheitliche Organisation in einer Pflegekammer und die Weiterentwicklung der Pflegeausbildung (inkl. Studium) sind Aspekte, die in naher Zukunft weiter vorangetrieben werden müssen. Ein einheitliches Berufs- und Pflegeverständnis ist die Basis professionellen Handelns. Erworbenes Wissen und Kenntnisse in konkreten Situationen adäquat anwenden zu können, bezeichnet man als Kompetenz. Bei der Handlungskompetenz wird zwischen fachlicher, personaler, sozialer und methodischer Kompetenz unterschieden. Die Entwicklung der Pflegekompetenz erfolgt prozesshaft. Mit der Zeit generieren Pflegende mehr Wissen und Erfahrung. Durch kritische Selbstreflexion nimmt die Kompetenz stetig zu. Durch die andauernde Weiterentwicklung in Pflege und Medizin hört das Lernen niemals auf. Fort- und Weiterbildung sichern die Pflegequalität.

4

Pflegewissenschaft

Theorie Forschung

Ziel: Fragen und Probleme aus dem Pflegealltag lösen

Lehre

3 Säulen strukturierte Wissensquellen

unstrukturierte Wissensquellen Kennzeichen einer Wissenschaft

Krohwinkel Wissensquellen von Pflegenden

Roper, Logan, Tierney

forscht für die Pflegepraxis

Orem Leininger

ausgewählte Pflegetheorien und Modelle

erforscht die Pflegepraxis

Aufgaben der Pflegewissenschaft

Friedemann Objektivität Corbin und Strauss

Grundlagen der Pflege

Theorie

Modell wird aus Theorie abgeleitet

schafft gemeinsames Pflegeverständnis

objektiv messbare Daten

quantitative Forschung

gering

dient als theoretische Grundlage

standardisierte Erhebung

Pflegeforschung

mittel

Reichweiten von Pflegetheorien

Validität

Gütekriterien

Peplau

groß

Reliabilität

Konzept kleinster Baustein einer Theorie oder eines Modells

kleine Personengruppen qualitative Forschung

Phänomene aus Sicht der Betroffenen

EBN Problemlösungsprozess: 6 Schritte

Gütekriterien Glaubwürdigkeit

Übertragbarkeit

Angemessenheit

Aufgaben der Pflegewissenschaft

4.1 Wissensquellen von Pflegenden

4.2 Kennzeichen einer Wissenschaft

Wenn Pflegende grundsätzliche, pflegerische Fragen klären möchten, nutzen sie strukturierte und unstrukturierte Wissensquellen.

Wissenschaft zielt darauf ab, durch Forschung Erkenntnisse über Zusammenhänge, Gesetzmäßigkeiten, Ursachen und Abläufe im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung zu gewinnen. Hauptziel ist dabei der Erkenntnisgewinn = Wissensgewinn. Wissenschaft kann als Überbegriff verstanden werden, der auf 3 Säulen basiert: 1. Forschung: regelgeleitete und systematische Untersuchung, die nach wissenschaftlichen Methoden Wissen generiert. Dieses Wissen wird in Form von Theorien und Konzepten zusammengefasst. 2. Theorien: Zusammenfassung logisch verknüpfter und klar definierter Aussagen, die wissenschaftlich begründbar und nachprüfbar sind. Sie beschreiben oder erklären einen Bereich der Wirklichkeit. Dadurch können komplexe Dinge leichter verstanden oder auch vorhergesagt werden. 3. Lehre: In der Lehre werden die aus der Forschung gewonnenen Erkenntnisse und Theorien vermittelt.

4.1.1 Strukturierte Wissensquellen Strukturierte Wissensquellen schöpfen aus logischem Denken bzw. Schlussfolgern und wissenschaftlichem Erforschen: 1. Logisches Denken bzw. Schlussfolgern: Grundlage von Wissenschaft und Forschung. Es wird zwischen induktivem (vom Einzelfall hin zum Allgemeinen) und deduktivem (vom Allgemeinen hin zum Einzelfall) Denken unterschieden. Durch logisches Denken können Probleme gelöst werden, es kann Grundlage für gezieltes Handeln sein (z. B. Schmerzmittelgabe bei Patienten mit Schmerzen). 2. Wissenschaftliches Erforschen: Vermutungen, Aussagen oder logische Schlussfolgerungen werden systematisch nach festgelegten Methoden überprüft und können dadurch bewiesen oder widerlegt werden.

4.1.2 Unstrukturierte Wissensquellen Unstrukturierte Wissensquellen sind Intuition, Erfahrung, Versuch und Irrtum, Tradition und Autorität: ● Intuition (Bauchgefühl): – lässt sich wissenschaftlich schwer erklären – ist individuell verschieden und kann nicht gesteuert werden – Pflegeexperten können Pflegesituationen oft intuitiv erfassen. ● Erfahrung: – wächst durch wiederkehrende Situationen und Handlungen (z. B. Ablauf bei einer Reanimation auf einer Intensivstation) – Zusammenhänge werden sichtbar. – Blick für das Gesamtgeschehen bzw. klinisches Urteilsvermögen bildet sich über Erfahrung aus. – Erfahrungswissen gibt Sicherheit (da es jedoch subjektiv ist, ist es nicht verallgemeinerbar und nur begrenzt als Grundlage von Pflegewissen nutzbar). ● Versuch und Irrtum: – Eine Pflegefachkraft wendet eine Maßnahme an, von der sie annimmt, dass sie eine bestimmte Wirkung hat. Bliebe die erwünschte Wirkung aus, würde sie eine weitere Maßnahme testen. Dieses Vorgehen kann sehr zeitaufwendig sein und dem Patienten schaden. ● Tradition und Autorität: – basiert auf Erkenntnissen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden – tritt meist als Routine auf („Das machen wir schon immer so …“) und wird von Autoritäten (Personen mit viel Erfahrung, Fachwissen oder Macht) gestützt – ist nicht unfehlbar und ist kritisch zu hinterfragen

4.3 Aufgaben der Pflegewissenschaft Pflegewissenschaft erforscht die Pflegepraxis und forscht gleichzeitig auch für diese. Aufgaben und Ziele der Pflegewissenschaft sind u. a.: ● überprüft, begründet und produziert Pflegewissen = Grundlagenforschung (z. B.: Welchen Einfluss hat eine regelmäßige Mobilisation auf den kranken Menschen?) ● beantwortet Fragen aus der Pflegepraxis = angewandte Forschung (z. B.: Stürzen nach der Einführung des Expertenstandards weniger Menschen auf dieser Station?) ● erforscht Phänomene aus der Pflegepraxis (z. B. chronische Schmerzen, Immobilität) ● erforscht Auswirkungen von Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit auf Betroffene (z. B.: Wie gehen Betroffene mit der Diagnose und den Symptomen von MS um?) ● überprüft Wirksamkeit von Pflegemaßnahmen, verbessert diese und/oder entwickelt neue (z. B.: Nehmen die Patienten durch Zwischenmahlzeiten an Gewicht zu?) ● überprüft und entwickelt Assessmentinstrumente (z. B. NRS zur Beurteilung von Schmerzen) ● vermittelt Theorien und Forschungserkenntnisse durch Lehre (z. B. in Form von Expertenstandards) ● erschließt neue Handlungsmöglichkeiten für Pflegende (z. B. selbstständige Diagnostik von Wunden und Übernahme von Verbänden durch Wundmanager) ● unterstützt die Entwicklung einer einheitlichen Fachsprache (z. B. über die Nutzung der NANDA-Pflegeklassifikationssysteme) ● befasst sich mit berufspolitischen Themen (z. B. Einführung der Pflegekammer) ● trägt zur Professionalisierung und zur Selbstständigkeit des Pflegeberufs bei (z. B. durch den Ausbau pflegebezogener Studiengänge)

l 4

Pflegewissenschaft

4.4 Pflegeforschung Das Forschungsgebiet Pflege kann in verschiedene Ebenen eingeteilt werden: ● Mikro-Ebene: Pflegepraxis (z. B. Interaktion mit Menschen mit Demenz) ● Meso–Ebene: Pflege als Organisation und Institution (z. B. Entlassungsmanagement) ● Makro-Ebene: Pflegepolitik (z. B. Auswirkungen der Pflegeversicherung auf die Betroffenen) ● historische Pflegeforschung: z. B. Wurzeln der Grundpflege

4.4.1 Die Rolle von Pflegenden in der Pflegeforschung Damit Pflegende, Patienten und Angehörige fortlaufend von den Erkenntnissen aus der Pflegewissenschaft profitieren können, muss jede Pflegefachkraft zu deren Umsetzung in der Pflegepraxis beitragen. Die Rolle von Pflegenden in der Pflegeforschung ist es, ● Forschungsberichte zu lesen und diese in die Praxis zu integrieren (z. B. kein MCP mehr bei Übelkeit verabreichen), ● bei Forschungstätigkeiten mitzuwirken (z. B. als „Study Nurse“ Befragungen durchführen), ● ggf. als Pflegeexperte zu beurteilen, ob ein Forschungsprojekt in der Praxis umgesetzt werden kann (z. B. die Einführung von geschützten Essenszeiten, in denen keine Untersuchungen/Visiten stattfinden).

4.4.2 Forschungsansätze Quantitative Forschung Die quantitative Forschung arbeitet mit großen Zahlenmengen, objektiv messbaren Daten und standardisierten Erhebungen. Ziele: ● bestätigt oder verwirft eine Theorie oder Hypothese (z. B.: Stimmt es, dass Menschen mit einem erhöhten BMI häufiger Bluthochdruck haben als Personen mit einem BMI im Normbereich?) ● erstellt eine Hypothese aus einer Theorie heraus (z. B.: Menschen mit einem BMI über 30 leiden häufiger unter Bluthochdruck als Menschen mit einem BMI im Normbereich), die mit standardisierten Verfahren überprüft wird (z. B. Messung des Gewichts direkt morgens nach dem Aufstehen) ● nutzt objektiv messbare Daten in großer Zahl, um allgemeingültige Aussagen und Gesetzmäßigkeiten abzuleiten (z. B. Gewichts- und Größenmessung, Blutdruckmessung mit geeichtem Gerät) ● bezieht allgemeine Aussagen auf den Einzelfall = Deduktion (z. B.: Personen mit einem BMI über 30 leiden deutlich häufiger unter Bluthochdruck; wenn ein Patient einen BMI über 30 hat, hat er ein deutlich höheres Risiko, an Bluthochdruck zu erkranken)

Qualitative Forschung Die qualitative Forschung untersucht anhand kleinerer Personengruppen Phänomene aus der Sicht der Betroffenen.

Ziele: ● Hypothesen-/Theorienbildung (z. B. Aussagen zu treffen, wie pflegende Angehörige ihren Alltag erleben) ● untersucht Phänomene aus der Sicht der Betroffenen (z. B. Befragungen von pflegenden Angehörigen mittels eines standardisierten Fragebogens) ● erforscht und interpretiert Zusammenhänge und Bedeutungen, überträgt diese auf ähnliche Situationen (z. B.: Personen, die wissen, wie sie Hilfsmittel beantragen können, sind weniger gestresst als Personen, die dieses Wissen nicht haben. Diese Personen werden dann auch eher in der Lage sein, andere Hilfsangebote einzufordern, z. B. Verhinderungspflege) ● Schlüsse werden vom Einzelfall auf die Allgemeinheit gezogen = Induktion (z. B.: Einzelne Personen, die sich gut mit dem Pflegesystem auskennen, erleben in ihrem Alltag weniger Stress, da sie wissen, wo sie zur Not Hilfe bekommen. Daraus kann geschlossen werden, dass alle Personen, die wissen, wo sie Hilfe einfordern können, besser mit der Pflege von Angehörigen zurechtkommen).

4.4.3 Forschung kritisch hinterfragen Auch Forschungsergebnisse müssen hinterfragt werden. Die sog. Gütekriterien (Maßstäbe) können helfen, die Qualität von Forschungsergebnissen zu beurteilen. Für quantitative und qualitative Forschung gelten unterschiedliche Gütekriterien. Das Gütekriterium Transparenz (Nachvollziehbarkeit: „Haben die Forscher das Vorgehen genau beschrieben und begründet?“) gilt jedoch für beide Forschungsansätze.

Gütekriterien quantitativer Forschung ●





Gütekriterien qualitativer Forschung ●





Glaubwürdigkeit: „Sind die Forscher und interviewten Personen und ihre Aussagen vertrauenswürdig, unvoreingenommen und unabhängig?“ Angemessenheit: „Kann die Situation der Personen nachvollzogen werden? Wird deutlich, wie wichtig der untersuchte Bereich für die Pflegepraxis ist?“ Übertragbarkeit: „Können die Ergebnisse auf andere Bereiche oder Personengruppen übertragen werden?“ Da Übertragbarkeit das Ziel qualitativer Forschung ist, gilt es, dieses Gütekriterium besonders zu beachten!

Weitere kritische Fragen ● ● ●



32

Objektivität: „Waren die Wissenschaftler unabhängig, indem sie standardisierte Erhebungsinstrumente und Auswertungsmethoden gewählt haben?“ Reliabilität: „Wie zuverlässig/genau misst das verwendete Instrument?“ Validität: „Misst das Instrument, was es messen soll? Eignet es sich dafür, den Gegenstand zu untersuchen?“

Ist der Forschungsbericht logisch aufgebaut? Ist die Problemstellung erkennbar? Sind die Ziele der Studie und die Forschungsfragen klar formuliert? Passt der gewählte Forschungsansatz zur Fragestellung?

Theorien, Modelle, Konzepte ●



Werden Ergebnisse erst dargestellt und anschließend interpretiert? Wird die Forschungsfrage beantwortet?

Abb. 4.1 Umsetzung von Pflegetheorien in die Pflegepraxis. Pflegetheorie

4.4.4 Evidence-based Nursing (EBN)

2

Definition Evidence-based

Pflegemodelle

1

„Evidence-based“ („evidenzbasiert“) bedeutet „wissenschaftlich begründet“. Pflege als Profession zielt auf eine wissenschaftlich fundierte Pflegepraxis ab, das sog. „Evidence-based Nursing“. EBN ist sowohl ein Konzept für die Pflegepraxis als auch eine Methode, interne (Erfahrung des Pflegepersonals) und externe Evidenz (Wissen aus pflegewissenschaftlichen Studien) zu verknüpfen. Die Umsetzung von EBN erfolgt stets vor dem Hintergrund der individuellen Patientensituation. Dies kann auch bedeuten, bewusst und begründet von wissenschaftlichen Empfehlungen (z. B. Standards) abzuweichen. Die EBN-Methode wird auch als eine Art Problemlösungsprozess beschrieben, der aus 6 Schritten besteht: 1. Aufgabenstellung: Klärung, ob die Lösung des Problems in den pflegerischen Bereich oder eher in den medizinischen Bereich fällt. Ziel: Problem der eigenen Profession erkennen und benennen 2. Formulierung einer präzisen klinischen Frage: z. B. anhand des PIKE-Schemas 3. Literaturrecherche: z. B. in Datenbanken (CareLit, Cinahl) und Fachzeitschriften (Pflegewissenschaft) 4. Rechercheergebnisse kritisch beurteilen: z. B.: Welches Studiendesign wurde herangezogen? Stichwort: randomisiert kontrollierte Experimente (RCTs) 5. Implementierung und Adaptation: z. B. Maßnahme einführen und anpassen 6. Evaluation: z. B. Beurteilung, ob die eingesetzte Maßnahme wirksam war

4.5 Theorien, Modelle, Konzepte Ein Überblick gibt ▶ Abb. 4.1

3

Pflegepraxis 1 Theorien werden in der Praxis überprüft, bestätigt oder abgelehnt. 2 Theorien können in vereinfachter Form in Modellen abgebildet werden und damit in der Praxis Anwendung finden. 3 Konzepte enthalten reduzierte Elemente einer Theorie oder eines Modells, aus denen Handlungen für die Praxis abgeleitet werden können. 4 Jeder bewussten Handlung liegt eine theoretische Annahme zugrunde, die sich in Theorien wiederfindet.

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

4.5.2 Pflegemodelle ●





● ●



● ● ●



bestehen aus miteinander logisch verknüpften Aussagen aus dem Bereich der Pflege (z. B. Selbstpflege-DefizitTheorie nach Orem) dienen als theoretische Grundlage und schaffen ein gemeinsames Pflegeverständnis beschreiben, was Pflege ist und welche Aufgaben Pflege hat formulieren Hinweise oder Regeln für die Pflegepraxis stellen Hypothesen oder Fragestellungen für die Pflegeforschung auf werden auch als konzeptuelle Modelle bezeichnet

Konzepte 4

4.5.1 Pflegetheorien ●

Konzepte

werden aus Pflegetheorien abgeleitet. Tragen zu einem besseren Verständnis der Wirklichkeit bei. Werden auch als Theorien mittlerer Reichweite bezeichnet (z. B. Selbstpflege/Dependenzpflege) machen Aussagen über Mensch, Gesundheit und Krankheit, Pflege, Umwelt/Umgebung definieren und verdeutlichen Aufgaben und Ziele von Pflegenden beschreiben das Pflegeverständnis sind die Basis für die Entwicklung einrichtungsspezifischer Pflegekonzepte

4.5.3 Pflegekonzepte ●





● ●



gelten als kleinste Bausteine einer Theorie oder eines Modells (z. B. Konzept der Selbstpflegeerfordernisse) beinhalten Aussagen zum jeweiligen Pflegemodell, Pflegesystem oder Pflegeprozess formulieren Teilziele und geben verbindliche Pflegemaßnahmen für die Praxis vor (Umsetzung muss regelmäßig intern geprüft werden) müssen realistisch, nachprüfbar und ergebnisorientiert sein. empirische Konzepte beschreiben beobachtbare/messbare Phänomene (z. B. Schmerz, Mobilität) abstrakte Konzepte beschreiben nicht beobachtbare/messbare Phänomene (z. B. Lebensqualität, Wohlbefinden)

l 4

Pflegewissenschaft

4.5.4 Kriterien zum Vergleich von Pflegetheorien

Alle 3 Theorien stehen miteinander in Verbindung und ermöglichen eine differenzierte Beschreibung pflegerischer Aufgaben und Handlungsweisen.

Pflegetheorien können nach Abstraktionsgrad bzw. Reichweite differenziert werden:

Theorie der Selbstpflege

Reichweiten von Pflegetheorien ●





Theorien großer Reichweite (Grand theories, globale Theorien, konzeptuelle Modelle): sind abstrakt und umfangreich, beschreiben, was Pflege einzigartig macht, und definieren Pflege auf wissenschaftlicher Basis. Theorien mittlerer Reichweite (auch Pflegemodelle genannt): betrachten einzelne Pflegesituationen und Pflegehandlungen, können in der Praxis angewendet werden, geben aber keine konkreten Pflegemaßnahmen vor (vgl. Pflegemodelle). Theorien geringer Reichweite (Praxis- oder Mikrotheorien; auch als Konzepte bezeichnet): sind situationsbezogen und praxisnah, beschränken sich auf ein Praxisgebiet und geben zielorientierte Pflegemaßnahmen vor.

Schwerpunkte von Theorien großer Reichweite ●





Bedürfnistheorien („Was tun Pflegende?“): Zentrale Aufgabe ist es, die Bedürfnisse des Patienten zu erkennen und ihn bei der Befriedigung seiner Bedürfnisse zu unterstützen. Besteht ein Bedürfnisdefizit, kann dieses u. a. durch die Pflegefachkraft kompensiert werden. Vertreterinnen sind z. B. Henderson; Orem; Roper, Logan, Tierney oder Krohwinkel. Interaktionstheorien („Wie tun Pflegende das, was sie tun?“): Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen Pflegenden und den Patienten. Pflegende haben die Aufgabe, den Beziehungsprozess bewusst zu gestalten. Vertreterinnen wie Peplau und Orlando gehen von der Annahme aus, dass die Beziehung zum Patienten dessen Heilungsprozess maßgeblich beeinflusst. Ergebnistheorien („Welches Ziel verfolgen Pflegende bei dem, was sie tun?“): Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass sich pflegebedürftige Menschen in einem Ungleichgewicht mit ihrer Umgebung befinden. Pflegende sollen sie bei der Wiederherstellung des Gleichgewichts und der Stabilität unterstützen, dies wird als das Ergebnis pflegerischer Intervention angesehen. Vertreterinnen sind z. B. Rogers oder Roy.

Zentrale Konzepte der Theorie der Selbstpflege sind Selbstpflege, Selbstpflegebedarf und situativer Selbstpflegebedarf. ● Selbstpflege: Menschen sorgen für sich selbst, ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden, indem sie Handlungen der Selbstpflege ausführen (z. B. Körperpflege). Erwachsene haben diese Handlungen erlernt und führen sie zielgerichtet, bewusst und selbstständig aus, um ihren Selbstpflegebedarf zu decken. ● Dependenzpflege: In bestimmten Lebens- und Entwicklungsphasen (u. a. im Säuglings-, Kindes- und höheren Lebensalter, bei Krankheit oder Behinderung) kann Unterstützung bei der Selbstpflege durch andere Personen (z. B. Angehörige) erforderlich sein. ● Selbstpflegebedarf: Dieser ergibt sich aus allgemeinen (z. B. „Aufrechterhaltung einer ausreichenden Sauerstoffzufuhr“), entwicklungsbedingten (z. B. „Entwicklungsstadien der Kindheit, Jugend und des Eintritts in das Erwachsenenalter“) und gesundheitsbedingten (z. B. „Inanspruchnahme und Sichern einer geeigneten medizinischen Unterstützung bei Gefahr oder bestehender Erkrankung“) Selbstpflegeerfordernissen. ● situativer Selbstpflegebedarf: Handlungen und Aktivitäten der Selbstpflege, die erforderlich sind, um den individuellen Selbstpflegebedarf zu decken. Der situative Selbstpflegebedarf wird durch die grundlegenden Bedingungsfaktoren beeinflusst. Orem sieht es als Aufgabe der Pflegepersonen, den situativen Selbstpflegebedarf eines Menschen einzuschätzen. ● grundlegende Bedingungsfaktoren: Alter, Geschlecht, Entwicklungsstand, Gesundheitszustand, soziokulturelle Orientierung, Faktoren des Gesundheitspflegesystems, familiäre Systemfaktoren, Lebensstrukturen und regelmäßige Aktivitäten, Umweltfaktoren sowie Verfügbarkeit und Angemessenheit von Ressourcen.

Theorie des Selbstpflegedefizits ●

4.6 Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle



4.6.1 Die Theorie des Selbstpflegedefizits von Dorothea Orem



Grundlagen Der pflegetheoretische Ansatz von Dorothea Orem besteht aus 3 Teiltheorien: 1. Theorie der Selbstpflege 2. Theorie des Selbstpflegedefizits 3. Theorie des Pflegesystems

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Selbstpflegekompetenz: Fähigkeit eines Menschen, seine Selbstpflegeerfordernisse zu erfüllen. Zur Selbstpflegekompetenz gehören alle bewussten Handlungen der Selbstpflege sowie das Wissen darüber, wie Selbstpflegeerfordernisse in einer konkreten Situation erfüllt werden können. Dependenzpflegekompetenz: erworbene Fähigkeit von Menschen, Selbstpflegeerfordernisse von anderen Menschen zu erkennen und zu erfüllen, z. B. bei Familienmitgliedern oder Freunden. Selbstpflegeeinschränkungen: Beschränktes Wissen, eingeschränkte Urteils- und Entscheidungsfähigkeit oder Einschränkungen bei der Durchführung zielgerichteter Handlungsabläufe können die Selbstpflegekompetenz begrenzen und zu einem Selbstpflegedefizit führen. Selbstpflegedefizit: liegt vor, wenn der situative Selbstpflegebedarf die Selbstpflegekompetenz übersteigt, und Wissen und Fähigkeiten einer Person zur Deckung des situativen Selbstpflegebedarfs teilweise (ein oder mehrere Aspekte der Selbstpflege sind betroffen) oder vollständig (alle Aspekte der Selbstpflege sind betroffen) nicht ausreichen.

Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle

Theorie des Pflegesystems ●







Pflegekompetenz: Fähigkeiten, die Menschen durch eine spezialisierte Aus- und Weiterbildung entwickeln, um bewusst mit pflegebedürftigen Menschen zu interagieren und gemeinsam mit ihnen die Pflege durchzuführen. 3 Pflegesysteme: Pflegekompetenz wird in 3 Varianten von Pflegesystemen umgesetzt: – vollständig kompensatorisch: bei Patienten, die nicht in der Lage sind, bewusst zu handeln; bei Patienten, denen das motorische Vermögen zur Umsetzung ihrer Entscheidungen fehlt, und/oder bei Patienten, die keine eigenen Entscheidungen treffen, wohl aber unter Anleitung handeln können; z. B. vollständige Übernahme der Körperpflege bei Intensivpatienten – teilweise kompensatorisch: wenn sowohl Pflegeperson als auch der Patient handeln, z. B. wenn Patienten Teile ihrer Körperpflege selbstständig durchführen, andere Teile von der Pflegeperson übernommen werden, und – unterstützend-erzieherisch und entwicklungsorientiert: Unterstützend-erzieherisches Handeln erfolgt mit einer entwicklungsorientierten Zielsetzung, nämlich dann, wenn Patienten die erforderlichen Maßnahmen der Selbstpflege zwar durchführen und erlernen können, aber hierbei Unterstützung benötigen, z. B. wenn Menschen mit Demenz durch die Pflegeperson eine orientierende Anleitung zur Körperpflege benötigen, die Handlungen dann aber unter Anleitung selbst durchführen (= anleiten und beraten). Unterstützung/Übernahme: Je weniger ein Patient in der Lage ist, seine Selbstpflegeerfordernisse zu erfüllen, desto größer ist die kompensatorische Unterstützung bzw. Übernahme der erforderlichen Handlungen durch die Pflegeperson. Methoden des Helfens: In allen Pflegesystemen setzen Pflegepersonen spezifische Methoden des Helfens ein, um die vorhandenen Einschränkungen von Menschen zu kompensieren bzw. die Wiederherstellung erforderlicher Fähigkeiten zur Ausführung der Selbstpflege zu ermöglichen. Hierzu gehört es, – für andere Menschen zu handeln und zu agieren, – andere Menschen zu führen und anzuleiten, – anderen Menschen physische oder psychologische Unterstützung zu geben, – für andere Menschen ein Umfeld zu errichten und zu erhalten, das die persönliche Entwicklung fördert, – andere Menschen zu unterrichten.

4.6.2 Das Roper-Logan-TierneyModell Grundlagen ●



Das Pflegemodell der englischen Pflegewissenschaftlerinnen Nancy Roper, Winifred Logan und Alison Tierney basiert auf einem Modell des Lebens, das auf ein Modell der Pflege übertragen wird. Es betont die Individualität der Lebensgestaltung eines Menschen und unterstützt eine an den individuellen Bedürfnissen ausgerichtete Pflege.

Modell des Lebens Die 5 zentralen Konzepte sind: 12 Lebensaktivitäten, Lebensspanne, Abhängigkeits-/Unabhängigkeits-Kontinuum, Einflussfaktoren der Lebensaktivitäten, Individualität im Leben ● 12 Lebensaktivitäten: gelten als die zentralen Komponenten des Modells. Alle Lebensaktivitäten sind wichtig, einige haben allerdings eine höhere Priorität als andere, z. B. wird der Lebensaktivität „Atmen“ die höchste Bedeutung zugemessen. Sie beschreiben die zentralen Aktivitäten jedes Menschen, die sich wechselseitig beeinflussen und in jeweils individueller Ausprägung ausgeübt werden: 1. für eine sichere Umgebung sorgen 2. kommunizieren 3. atmen 4. essen und trinken 5. ausscheiden 6. sich sauber halten und kleiden 7. Regulieren der Körpertemperatur 8. sich bewegen 9. arbeiten und spielen 10. seine Geschlechtlichkeit leben 11. schlafen 12. sterben ● Lebensspanne: umfasst die Lebensphasen eines Menschen von der Geburt bis zum Tod. Die jeweilige Lebensphase – z. B. Säuglingsalter, Kindheit, Adoleszenz usw. – nimmt Einfluss auf das Verhalten und die jeweilige Ausgestaltung der Lebensaktivitäten. ● Abhängigkeits-/Unabhängigkeits-Kontinuum: ist eng mit der Lebensspanne und den Lebensaktivitäten verbunden. So können nicht alle Lebensaktivitäten in jeder Phase der Lebensspanne völlig unabhängig ausgeführt werden. Während gesunde Erwachsene in aller Regel in der Lage sind, die Lebensaktivitäten weitgehend selbstständig auszuführen, ist dies Säuglingen und Kleinkindern noch nicht oder aber auch älteren Menschen – z. B. aufgrund körperlicher Einschränkungen – nicht mehr ohne Weiteres möglich. Zudem können Unabhängigkeit und Abhängigkeit bei einem Menschen in den einzelnen Lebensaktivitäten unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Dies hängt auch von spezifischen Einflussfaktoren der Lebensaktivitäten ab. ● Einflussfaktoren der Lebensaktivitäten: Roper, Logan und Tierney unterscheiden 5 Gruppen von Faktoren, die die Ausübung der Lebensaktivitäten beeinflussen: 1. biologische Faktoren: umfassen Aspekte der anatomischen und physiologischen Leistungsfähigkeit des Körpers 2. psychologische Faktoren: intellektuelle und emotionale Aspekte, z. B. die kognitive Entwicklung 3. soziokulturelle Faktoren: soziale, religiöse, ethische und kulturelle Aspekte, die Einfluss auf die Ausgestaltung der Lebensaktivitäten nehmen 4. umgebungsabhängige Faktoren: z. B. Klima, Zugang zu sauberem Wasser und Qualität von Luft und Wasser 5. wirtschaftspolitische Faktoren: z. B. politische, finanzielle und wirtschaftliche Verhältnisse in einer Kommune oder einem Land ● Individualität im Leben: Vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensphase, der Abhängigkeit/Unabhängigkeit in der Ausführung und der jeweiligen Einflussfaktoren ergibt sich für jeden Menschen eine individuelle Ausgestaltung der Lebensaktivitäten, also wie, wann, wie häufig, wo und warum

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Pflegewissenschaft ein Mensch eine Lebensaktivität ausführt. Auch das Wissen und die Annahmen über eine Lebensaktivität sowie die spezifische Haltung, die ein Mensch einer Lebensaktivität gegenüber einnimmt, sind Ausdruck der individuellen Lebensgestaltung. Individualität im Leben ist das Ergebnis des Einflusses der anderen Konzepte des Modells.

Pflegemodell Roper, Logan und Tierney übertragen die im Modell des Lebens beschriebenen Konzepte auf die Lebensaktivitäten und beschreiben ihre wechselseitige Wirkung auf das Pflegemodell. ● Individualisierung der Pflege: Anhand der 5 Konzepte können individuelle Lebensmuster sowie aktuelle und potenzielle Probleme eines Menschen in den Lebensaktivitäten bestimmt werden. Ziel professioneller Pflege ist es, die Patienten so zu unterstützen, dass ihre Lebensstrukturen und -gewohnheiten trotz notwendiger Pflege nur minimal beeinflusst werden. Dies bezeichnen Roper, Logan und Tierney als „Individualisierung der Pflege“. Sie erfolgt durch die Umsetzung des Pflegeprozesses in den Schritten Einschätzen, Planen, Durchführen und Bewerten. ● Pflege: dient als Unterstützung, um – zu verhindern, dass erkannte potenzielle Probleme im Zusammenhang mit den LAs zu aktuellen Problemen werden; – erkannte aktuelle Probleme zu lösen; – nach Möglichkeit jene Probleme zu lindern, die nicht gelöst werden können; – positiv mit solchen Problemen umzugehen, die nicht gelöst oder geändert werden können; – das Wiederauftreten eines gelösten Problems zu verhindern; – sich so wohl wie möglich zu fühlen, möglichst schmerzfrei zu leben und die Lebensqualität auch dann noch zu maximieren, wenn der Tod unvermeidlich ist.

4.6.3 Das Rahmenmodell Fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs von Monika Krohwinkel Grundlagen ●





Auf der Basis einer Forschungsstudie zur „ganzheitlich-rehabilitativen Prozesspflege von Menschen mit Apoplex in Akutkrankenhäusern“ hat Monika Krohwinkel das „Modell fördernder Prozesspflege“ entwickelt. Zentrale Bestandteile des Modells sind die ABEDLs und deren primäre Einflussfaktoren, das primäre pflegerische Interesse, die primäre pflegerische Zielsetzung sowie die primären pflegerischen Handlungen. Das Rahmenmodell wird v. a. in der stationären Altenhilfe, der ambulanten Pflege, der stationären Akutpflege sowie in Einrichtungen der Behindertenhilfe angewendet.

ABEDLs und ihre primären Einflussfaktoren ●

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Existenzielle Erfahrungen: Bei der Ausführung von Lebensaktivitäten, in sozialen Beziehungen und beim Sichern ihrer sozialen Bereiche machen Menschen Erfahrungen, die fördernd, belastend oder auch gefährdend





sein können. Krohwinkel bezeichnet diese Erfahrungen als existenziell, wenn sie den „Kern eines Menschen berühren“. Existenzielle Erfahrungen können in allen ABEDLs gemacht werden und sind aus diesem Grund im Modell auch allen anderen ABEDLs zugeordnet. Existenzielle Erfahrungen werden aber auch im Zusammenhang mit Lebens- und Entwicklungsprozessen, Gesundheits- und Krankheitsprozessen sowie im Kontext alltäglicher, wiederkehrender Lebens- und Pflegesituationen gemacht. primäre Einflussfaktoren: Die jeweilige Umgebung mit ihren Ressourcen und Defiziten (u. a. andere Personen, physikalische, ökonomische, kulturelle Aspekte) beeinflusst die jeweiligen Lebens- und Entwicklungsprozesse. Diese Einflüsse werden als primäre Einflussfaktoren der Fähigkeiten, Probleme und Bedürfnisse in den Aktivitäten, Beziehungen und existenziellen Erfahrungen des Lebens beschrieben. Konzepte und Kategorien: Um den benannten Aktivitäten nachkommen zu können, benötigen Menschen eine Reihe von Fähigkeiten, die als ABEDL-einbeziehende Konzepte (I–IV) mit jeweils zugeordneten Kategorien strukturiert sind. Für die Anwendung der Konzepte und Kategorien der ABEDLs im Pflegeprozess – z. B. für die Einschätzung des Pflegebedarfs – liegen für alle Kategorien der Konzepte jeweils differenzierte Beschreibungen vor. Hierdurch wird ein genauer Blick auf die Fähigkeiten, Probleme und Bedürfnisse der pflegebedürftigen Person in der jeweiligen ABEDL möglich.

Primäres pflegerisches Interesse ●



Krohwinkel betont, dass das primäre pflegerische Interesse nicht nur der pflegebedürftigen Person und ihren Fähigkeiten, Bedürfnissen und Problemen gilt, sondern auch denen ihrer mitbetroffenen Bezugspersonen. Mitbetroffen können einzelne Menschen, aber auch ganze Familien sein. Darüber hinaus bezieht das primäre pflegerische Interesse diejenigen Einflussfaktoren (Lebens- und Entwicklungsprozesse, Gesundheits- und Krankheitsprozesse sowie Ressourcen und Defizite aus der Umgebung der Person) ein, die sich auf die Fähigkeiten einer Person auswirken, Unabhängigkeit und Wohlbefinden in den ABEDLs zu verwirklichen.

Primäre pflegerische Zielsetzung ●



Primäre pflegerische Zielsetzung ist es, der pflegebedürftigen Person und ihren mitbetroffenen Bezugspersonen beim Erhalt, Erlangen oder Wiedererlangen von Fähigkeiten und Ressourcen zur Realisierung von Unabhängigkeit und Wohlbefinden in den ABEDLs zu helfen. Wichtig ist die Ausrichtung der pflegerischen Hilfeleistung an den Wünschen und Vorstellungen der jeweiligen Person, unabhängig davon, ob sie gesund ist, eine Gesundung eintritt, eine dauerhafte Erkrankung oder Behinderung vorliegt oder ein Sterbeprozess beginnt.

Primäre pflegerische Handlungen ●

Krohwinkel sieht die fördernde Kommunikation mit pflegebedürftigen Menschen und ihren mitbetroffenen Bezugspersonen als wesentliches Element der primären pflegerischen Handlungen. Fördernd kommunizieren bedeutet für sie, betroffenen Personen authentisch, mit Wertschätzung, empathisch und kongruent-fördernd zu

Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle



begegnen. Neben diesen Haltungsaspekten gehören zur fördernden Kommunikation auch fachlich-inhaltliche und methodisch-kommunikative Kompetenzen. Pflegende fördern, indem sie Betroffene unterstützen, anleiten, beaufsichtigen, informieren, beraten und begleiten. Dabei erfolgt pflegerisches Handeln im Sinne der pflegebedürftigen Menschen und ihrer mitbetroffenen Bezugspersonen, indem sie bei den für sie wesentlichen Anteilen von Unabhängigkeit und Wohlbefinden in den ABEDLs unterstützt und gefördert werden.



4.6.4 Die Theorie der interpersonalen Beziehungen in der Pflege von Hildegard Peplau Grundlagen ●







Hildegard Peplaus theoretischer Ansatz thematisiert insbesondere kommunikatives Handeln im Pflegeprozess und die Interaktion zwischen Pflegeperson und Patient. Sie versucht zu klären, wie die Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient aussehen sollte, damit sie den Gesundungsprozess bestmöglich unterstützt. Peplau beschreibt dabei 4 Phasen, die jede Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient durchläuft, sowie typische Rollen, die von beiden in den Phasen der Beziehung eingenommen werden. Sie hält ihre Theorie in allen Bereichen der Pflegepraxis für einsetzbar; sie eignet sich jedoch insbesondere für die Arbeit in der psychiatrischen Pflege, da die Patienten dort v. a. Probleme mit der Kommunikation und mit Beziehungen zu anderen Menschen haben.

Phasen und Rollen in der Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient Vier aufeinander folgende und sich teilweise überlappende Phasen kennzeichnen den Beziehungsprozess zwischen Pflegeperson und Patient: Orientierungsphase, Identifikationsphase, Nutzungsphase und Ablösungsphase. ● Orientierungsphase: Die Orientierungsphase beginnt, wenn ein Patient professionelle Hilfestellung zur Klärung eines gesundheitlichen Problems sucht. – Pflegepersonen unterstützen Patienten in dieser Phase dabei, das Problem besser zu verstehen, sie informieren über professionelle Unterstützungsleistungen, planen deren Nutzung und helfen Patienten, innere Spannungen abzubauen und für eine konstruktive Lernerfahrung zu nutzen. – Patienten sind in der Orientierungsphase aktiv, indem sie u. a. Fragen zum weiteren Vorgehen stellen. – Pflegeperson und Patient begegnen sich in dieser Phase zunächst als Fremde. Die übereinstimmende Bewertung und die Verständigung über die künftige Zusammenarbeit zwischen Pflegeperson und Patient markieren den Übergang zur Identifikationsphase. ● Identifikationsphase: Der Patient beginnt, sich mit der Pflegeperson zu identifizieren. – Indem die Pflegeperson aufkommende positive und negative Gefühle des Patienten zulässt und ihm jederzeit umfassende pflegerische Unterstützung signalisiert, können diese Gefühle bearbeitet werden und persönliches Wachstum ermöglichen.



– Wenn Patienten in Situationen geraten, die vergangene Gefühle wie Abhängigkeit oder Hilflosigkeit hervorrufen, weisen sie Pflegepersonen in dieser Phase oft Ersatzrollen zu, z. B. die Mutter- oder Geschwisterrolle. – Für Pflegepersonen ist es wichtig, diese Rollenzuschreibungen zu erkennen, damit die Beziehung positiv genutzt werden kann. – Identifikation und Ablösung überschneiden sich in der Nutzungsphase. Nutzungsphase: Peplau beschreibt, dass Patienten in dieser Phase häufig zwischen dem Wunsch nach Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit schwanken; dies kann sich auch in schnell wechselnden Stimmungslagen ausdrücken. – Die Pflegeperson kann während dieser Zeit eine Reihe von Rollen einnehmen: Sie beantwortet Fragen des Patienten, berät im Umgang mit aufkommenden Gefühlen und fördert gesundheitsförderliche Erfahrungen, ermöglicht dem Patienten, durch diese Erfahrungen zu lernen und mit diesem neuen Wissen mit seiner Erkrankung zurechtzukommen. – Die Pflegeperson fungiert je nach Erfordernis als Beraterin, als Lehrende, als Informationsquelle usw. Dies verlangt hohe kommunikative Kompetenzen und bringt sie auch in die Rolle einer Führungsperson. – Peplau sieht es als sehr wichtig an, dass die Pflegeperson einen demokratischen Führungsstil pflegt, der von gegenseitiger Akzeptanz geprägt ist und jederzeit eine aktive Beteiligung des Patienten an der Gestaltung seines Pflegeplans erlaubt. – Sie geht davon aus, dass weitere Rollen im Beziehungsprozess denkbar sind und nützlich sein können – in jedem Fall aber bewusst eingesetzt werden müssen. – In der Nutzungsphase profitieren Patienten von der angebotenen Unterstützungsleistung der Pflegeperson; auch entwickelt sich im Zuge der zunehmenden Unabhängigkeit des Patienten eine mehr symmetrische Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient. Ablösungsphase: Schließlich wird die Identifikation mit der Pflegeperson in der Ablösungsphase, die meist parallel zum medizinischen Gesundungsprozess verläuft, schrittweise aufgehoben. Die Phase setzt den erfolgreichen Abschluss aller vorhergehenden Phasen voraus. – Der Patient kann zunehmend wieder für sich selbst sorgen, entwickelt seine Selbstständigkeit und wird von der Pflegeperson dabei unterstützt. – Die Beziehung zwischen Pflegeperson und Patient bewegt sich also in einem Kontinuum, an dessen Ende beide in der Lage sein sollen, als Erwachsene zu handeln.

4.6.5 Das Modell der Krankheitsverlaufskurve von Juliet Corbin und Anselm Strauss Grundlagen ●



Das Modell der Krankheitsverlaufskurve (Chronic Illness Trajectory Model), auch Trajekt-Modell genannt, wurde von Juliet Corbin und Anselm Strauss auf der Basis umfangreicher Forschungen zu chronischen Krankheiten und deren Bedeutung für betroffene Menschen entwickelt und beschrieben. Im Modell wird davon ausgegangen, dass es Gemeinsamkeiten und Parallelen im Hinblick auf den Krankheitsver-

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Pflegewissenschaft Tab. 4.1 Neun Phasen der Krankheitsverlaufskurve (nach: Lauber 2018).





Krankheitsphase

Kennzeichen

Pretrajectory (vor dem Beginn der chronischen Krankheit)

Risiko, eine chronische Krankheit zu entwickeln

Trajectory onset (Beginn des Krankheitsverlaufs)

Auftreten erster Krankheitssymptome; erstmalige Auseinandersetzung mit der Bedeutung der möglichen Diagnose

Stable (stabile Phase)

Krankheitsursache und -symptome sind unter Kontrolle.

Unstable (unstabile Phase)

Krankheitsursachen und -symptome können nicht kontrolliert werden; häufig Behandlung im häuslichen Umfeld.

Acute (akute Phase)

Schwere und belastende Symptome bzw. Komplikationen treten auf: Häufig ist ein Krankenhausaufenthalt notwendig.

Crisis (kritische Phase)

Kritische bzw. lebensbedrohliche Situationen erfordern eine Notfall- bzw. Intensivbehandlung.

Comeback (Phase der Rückkehr)

körperliche Heilung mit teilweiser Rückkehr zu einem akzeptablen Leben mit Begrenzung durch die Krankheit und deren Folgen

Downward (Phase der Abwärtsbewegung)

starker körperlicher Abbau und zunehmende Unfähigkeit zur Symptomkontrolle

Dying (Phase des Sterbens)

Zeitraum vor dem Tod mit weiterem körperlichem Verfall

lauf und die von Menschen mit einer chronischen Erkrankung eingesetzten Bewältigungsstrategien gibt. Das Modell soll Pflegepersonen dabei unterstützen, typische Probleme von Menschen mit einer chronischen Erkrankung sowie deren Bewältigungshandlungen im Krankheitsverlauf besser zu verstehen. Es gewinnt angesichts der Zunahme chronisch kranker Menschen in allen Handlungsfeldern der Pflege zunehmend an Bedeutung. Das Modell zählt zu den Theorien mittlerer Reichweite.

Krankheitsverlaufskurve Der Verlauf chronischer Krankheit ist laut Corbin und Strauss vergleichbar mit einer Schiffsreise: Obwohl eine Vorstellung vom Reiseverlauf besteht, kann die konkrete Reiseroute an vielen Stellen abweichen. Mittels wechselnder Bewältigungsstrategien arbeiten chronisch Kranke daran, größtmögliche Kontrolle über den Krankheitsverlauf zu erlangen und diesen positiv zu beeinflussen. So steht nicht der Krankheitsverlauf im Vordergrund des Modells, sondern die Auswirkungen auf die Betroffenen und ihre Bezugspersonen. Die Kernaussagen sind: ● Krankheitsverlaufskurven sind individuell und von Mensch zu Mensch verschieden. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer jeweiligen Form und Dauer sowie in Bezug auf die im Verlauf erforderliche Bewältigungsarbeit und ihre Auswirkungen. ● Einfluss auf die Krankheitsverlaufskurve nehmen z. B. das Wesen der Krankheit selbst, die Reaktionen der betroffenen Menschen auf die Erkrankung sowie Menge und Art der Bewältigungsstrategien, die einem betroffenen Menschen und seinen Bezugspersonen zur Verfügung stehen. Diese können einzelne Phasen der Krankheitsverlaufskurve stabilisieren, verbessern, verlängern etc. ● Die Krankheitsverlaufskurve umfasst also nicht nur den (patho-)physiologischen Ablauf einer Erkrankung, sondern auch alle Anstrengungen eines chronisch kranken Menschen selbst, seiner Bezugspersonen und weiterer 38





professioneller Helfer, die in ihrem Verlauf tätig werden. Corbin nennt dies „Arbeit“, im engeren Sinne „Bewältigungsarbeit“, die von den Betroffenen und Beteiligten organisiert und im Krankheitsverlauf geleistet wird. Es lassen sich 9 Phasen der Krankheitsverlaufskurve mit typischen Kennzeichen beschreiben (▶ Tab. 4.1). Die individuelle Form einer Krankheitsverlaufskurve entsteht durch den Wechsel akuter, stabiler, instabiler, kritischer Phasen.

4.6.6 Das Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege von Marie-Luise Friedemann Grundlagen ●











Das Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege von Marie-Luise Friedemann basiert auf den Grundsätzen der Systemtheorie, nach denen sich Systeme aus mehreren Subsystemen zusammensetzen und in Beziehung mit anderen Systemen stehen. Jeder Mensch kann als System gesehen werden, das aus Subsystemen, z. B. Körperorganen, besteht. Gleiches gilt für Familien oder Gemeinden, die mehrere Subsysteme, z. B. einzelne Menschen, Familien etc., umfassen. Die Gesamtwirkung eines Systems ist dabei anders als die Summe der Wirkungen der Subsysteme. Soziale Systeme – zu diesen gehört u. a. das Familiensystem – verfügen über die Besonderheit, dass sie Entscheidungen treffen und damit ihr System gezielt verändern können. Außerdem können ihre Subsysteme gleichzeitig Subsysteme mehrerer anderer Systeme sein. Damit kann ein Subsystem mehrere Systeme beeinflussen – auf diese Weise entsteht ein komplexes Zusammenspiel. Basierend auf diesen Annahmen formuliert Friedemann ihre Theorie des systemischen Gleichgewichts, die sie der familien- und umweltbezogenen Pflege zugrunde legt.

Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle

Zentrale Konzepte der Theorie Umwelt, Mensch, Gesundheit, Pflege, Familie und Familiengesundheit gehören zu den zentralen Konzepten der familien- und umweltbezogenen Pflege. Damit wird ausgedrückt, dass sich die Strukturen und Prozesse der Familie als übergeordnetes System wesentlich von denen des zu ihr gehörenden einzelnen Menschen als Subsystem unterscheiden. Zudem werden Gesundheit und Pflege sowohl aus der Perspektive des Individuums als auch aus der Perspektive der Familie betrachtet. ● Umwelt: Unter Umwelt versteht Friedemann alle Systeme außerhalb des Systems Mensch oder Familie. Hierzu gehören Gegenstände, Gebäude, politische und soziale Systeme, aber auch Biosysteme und die Natur. Alle Systeme dieses Gesamtsystems sind über einen ständigen Energiefluss miteinander verbunden und voneinander abhängig. Dies erfordert ständige Anpassungs- und Wiederanpassungsvorgänge, um eine aufeinander abgestimmte Ordnung (Kongruenz) aufrechterhalten zu können. ● Mensch: Auch der Mensch wird als ein System betrachtet. Wenn Muster und Rhythmus des menschlichen Systems nicht mit denen anderer Systeme übereinstimmen, entsteht Spannung, weil die Energie zwischen den Systemen nicht ungehindert fließen kann. Diese Spannung nehmen Menschen als Angst wahr. Um die Angst zu bekämpfen und Kongruenz zu erreichen, werden entweder eigene systemische Ziele und Prozesse an die der anderen Systeme angepasst oder aber störende Einflüsse rückgängig gemacht, um die eigenen Prozesse beibehalten zu können. ● Mittels der Verhaltensweisen Systemerhaltung, Systemänderung, Kohärenz und Individuation (Prozessdimensionen) strebt der Mensch nach den Zielen Stabilität, Wachstum, Regulation/Kontrolle und Spiritualität (Zieldimensionen). Sie alle dienen der Erhaltung des Systems und der Bekämpfung der Angst. Kongruenz wird dann erreicht, wenn alle 4 Ziele in einem individuell richtigen Ausmaß erreicht werden und die Muster und Prozesse des menschlichen Systems mit denen anderer Systeme harmonieren. Gesunde Menschen müssen hierzu in allen 4 Prozessdimensionen Verhaltensweisen entwickeln, um die Ziele des menschlichen Systems erreichen zu können. Die Ziel- und Prozessdimensionen des menschlichen Systems und des Familiensystems veranschaulicht Friedemann in einem Diagramm. ● Gesundheit: Diese ist das Ergebnis der Kongruenz des menschlichen Systems in Rhythmus und Muster sowohl nach innen (in Bezug auf die Subsysteme) als auch außen (in Bezug auf die Umwelt). Gesundheit erscheint als ein Gefühl von Wohlbefinden, wirkt als positive Kraft Störungen des Systems entgegen und hat eine angstreduzierende Funktion. Systeminkongruenz kann Gesundheit beeinträchtigen; bei den betroffenen Menschen ist das Symptom Angst beobachtbar. Störungen im organischen System können eine körperliche Krankheit auslösen. ● Familie: Familie versteht Marie-Luise Friedemann als ein System mit Subsystemen, die bestimmte Aufgaben lösen (z. B. Eltern die Kindererziehung) und innerhalb des Systems definierte Rollen übernehmen. Nicht immer gehören zu Familien ausschließlich miteinander verwandte Personen; auch gute Freunde oder andere wichtige Bezugspersonen können eine Familie bilden. Die Ziel- und Prozessdimensionen des Familiensystems sind vergleichbar mit denen des menschlichen Systems: Traditionen, Ge-





wohnheiten und Werte ermöglichen Stabilität und schützen das System vor der Angst, es könnte zerfallen. Grundlegende Werte und Lebensauffassungen werden von den Mitgliedern des Familiensystems anerkannt und an nachfolgende Generationen weitergegeben, wodurch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Sicherheit entsteht. Familien unterscheiden sich u. a. in Bezug auf die Gewichtung der Prozessdimensionen. Kongruenz im Familiensystem verlangt eine ausgewogene Gewichtung der Ziel- und Prozessdimensionen und lässt sich am Wohlbefinden der einzelnen Familienmitglieder messen. Familiengesundheit: Entsprechend gelten 3 Kriterien als Ausdruck von Familiengesundheit: – wenn sie in allen 4 Prozessdimensionen handelt – wenn Kongruenz innerhalb der Familie und zwischen der Familie und der Umwelt besteht und – wenn die Familienmitglieder wenig Angst empfinden und mit der Familie im Allgemeinen zufrieden sind Pflege: wird im Rahmen der Theorie des systemischen Gleichgewichts als Dienstleistung auf allen Systemebenen, sowohl von einzelnen Menschen und den mit ihnen vernetzten Systemen als auch von Familien oder Gemeinden und deren Subsystemen, beschrieben. Sie unterstützt die Empfängersysteme in ihrem Streben nach Kongruenz und Gesundheit. Sie erfolgt in Übereinstimmung mit dem Gesundheitsstreben des Systems und unter aktiver Beteiligung von Pflegeperson und Pflegeempfänger. Pflege darf keinesfalls „verabreicht“ werden, sondern kann nur über aktive Beteiligung des Empfängersystems zu Wachstum und damit zu Gesundheit führen.

Systemische Pflege des Individuums und von Familien Sowohl in der systemischen Pflege von Einzelnen als auch in der von Familien beschreibt Friedemann den Pflegeprozess in 9 Schritten, aus deren Anfangsbuchstaben das WortKongruenz gebildet werden kann: 1. Klassifizieren der systemischen Prozesse innerhalb der 4 Prozessdimensionen. 2. Offen die Theorie erklären und die systemischen Prozesse erklären. 3. Nachforschen, welche Änderungen stattfinden sollen. 4. Gutheißen der nützlichen Handlungen. 5. Repetieren und Verstärken der nützlichen Handlungen. 6. Umlernen der mangelhaften Handlungen. 7. Experimentieren mit neuen Handlungen. 8. Nützlichkeit und Erfolg der Änderungen prüfen. 9. Zusprechen, Ermuntern, Loben. Die systemische Pflege von Familien ist auf ein soziales System gerichtet. Pflegepersonen haben im Pflegeprozess die Aufgabe, störende und gesundheitsfördernde Prozesse sowie Ressourcen in gemeinsamen Gesprächen mit der Familie zu identifizieren, eine systemische Betrachtung der Prozesse anzuregen und die Familie in der Wiederherstellung von Kongruenz zu beraten und zu unterstützen. Darstellung der 9 Prozessschritte Schritt 1: Zu Beginn der Pflege erfolgt eine ausführliche Datensammlung, orientiert an den Prozessdimensionen des Empfängersystems.



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Pflegewissenschaft ●











Schritt 2: Die wichtigsten Konzepte der Theorie des systemischen Gleichgewichts werden anhand des Diagramms erklärt. Auf diese Weise können weitere Informationen gesammelt und Unklarheiten offen angesprochen werden. Für den Pflegeempfänger bzw. die Familie werden so auch der theoretische Bezugsrahmen und der Sinn und Zweck der Fragen deutlich. Schritt 3: Die erhobenen Daten ermöglichen erste Vermutungen und Schlussfolgerungen der Pflegeperson über Zusammenhänge zwischen Gesundheitsproblemen, Gefühlen und Handlungen. Sie werden gemeinsam mit dem Pflegeempfänger bzw. der Familie verifiziert oder korrigiert, wodurch gleichzeitig notwendige Änderungen in den Zieldimensionen deutlich werden. Schritt 4: Anschließend erfolgt eine nähere Betrachtung der Handlungen innerhalb jeder Prozessdimension. Auf diese Weise wird die individuelle Gewichtung der einzelnen Ziele Regulation/Kontrolle, Wachstum, Stabilität und Spiritualität deutlich. Obwohl viele Menschen viel Energie einsetzen, um das System über systemerhaltende Handlungen zu stabilisieren, können Situationen dennoch eine Systemänderung erforderlich machen. Es ist eine wichtige Aufgabe von Pflegepersonen, die Schwierigkeit dieses Prozesses für den Einzelnen und für Familien anzuerkennen und hierfür nötige Unterstützungsprozesse, z. B. von Familienmitgliedern und anderen Bezugspersonen, zu fördern. Schritt 5–7: Bereits ausgeübte, nützliche Handlungen werden im Pflegeprozess verstärkt, als unzulänglich identifizierte Handlungen erfordern ein Umlernen. Gegebenenfalls sind auch das Erlernen und Testen neuer Handlungen erforderlich. Pflegepersonen unterstützen diese Prozesse, indem sie anleiten und helfen, neue Handlungen einzuüben. Sie orientieren sich dabei an den individuellen Fähigkeiten der betroffenen Person oder der Familie. Schritt 8: Die Evaluation der Pflege erfolgt nach Möglichkeit bei Einzelpersonen gemeinsam mit der Familie. Die Wirksamkeit der Pflege zeigt sich dabei in verminderter Angst und einem gesteigerten Wohlbefinden des Betroffenen. Deshalb kommt seiner subjektiven Bewertung große Bedeutung zu. Beobachtungen und Einschätzungen der Pflegeperson im Prozess können sich korrigierend und/oder positiv verstärkend auf die Strategien des Betroffenen auswirken. Schritt 9: Die Schritte des Pflegeprozesses müssen in der Abfolge nicht starr eingehalten, sondern können variiert werden. Ebenso können mehrere Schritte zusammen erfolgen und Schritt 9 parallel zu allen anderen Schritten ausgeführt werden.

4.6.7 Die Theorie der kulturspezifischen Fürsorge von Madeleine Leininger Grundlagen ●



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In der von Madeleine Leininger entwickelten Theorie der kulturspezifischen Fürsorge steht das Konzept „Fürsorge“ (engl.: „care“) im Mittelpunkt. Unter Fürsorge versteht sie helfende, unterstützende und fördernde Verhaltensweisen zum Wohle anderer Menschen. Sie stellen für sie das Spezifische professioneller Pflege dar: Fürsorge sieht sie als Voraussetzung für Wohl-









befinden, Gesundheit, Heilung, Genesung, Wachstum, Überleben und den Umgang mit Behinderungen und Tod. In den Forschungen im Rahmen ihrer Theorie hat Leininger festgestellt, dass die Fürsorge und die damit verbundenen Verhaltensweisen stark von der jeweiligen Kultur beeinflusst werden. Unter „Kultur“ (culture) versteht sie die „erlernten, gemeinsamen und übermittelten Werte, Überzeugungen, Normen und Lebensweisen einer bestimmten Gruppe, welche deren Überlegungen, Entscheidungen und Handlungen auf eine strukturierte Weise leiten“. Zwischen den einzelnen Kulturen gibt es diesbezüglich mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Die Gemeinsamkeiten bezüglich der Fürsorgehandlungen bezeichnet Leininger als „kulturspezifische Fürsorgeuniversalität“; Unterschiede nennt sie „kulturspezifische Fürsorgediversität“. Diese Unterschiede beziehen sich sowohl auf die Tätigkeiten derjenigen, die die Fürsorge erbringen, als auch auf die Empfänger der Fürsorge. Pflege kann nach Ansicht von Leininger nur dann effektiv und erfolgreich erbracht werden, wenn sie „kulturkongruent“ stattfindet, d. h., wenn kulturelle Besonderheiten bei der Pflege berücksichtigt werden. Hierfür benötigen Pflegepersonen Wissen über kulturspezifische Werte und Ausdrucksweisen der Fürsorge. Dieses Wissen muss mittels Forschung gewonnen werden.

Grundannahmen Madeleine Leininger formuliert eine Reihe von Grundannahmen, die auch die weitere Forschung zu ihrer Theorie unterstützen sollen: Hierzu gehören u. a.: ● Die Fürsorge (care) bildet den Kern der professionellen Pflege und ist unzweifelhaft ihr dominierender, zentraler und verbindender Mittelpunkt. ● Fürsorge und Fürsorgen (caring) sind Voraussetzung für das Wohlbefinden, die Gesundheit, die Heilung, das Wachstum, das Überleben und den Umgang mit Behinderungen und Tod. ● Fürsorge (Fürsorgen) ist eine wesentliche Voraussetzung für die Heilung und Genesung von Menschen, denn ohne Fürsorge gibt es keine Heilung und Genesung. ● Hinsichtlich der kulturbezogenen Begrifflichkeiten, Bedeutungen, Ausdrucksweisen, Muster, Prozesse und Strukturen der Fürsorge gibt es in allen Kulturen sowohl Unterschiede als auch Ähnlichkeiten (Gemeinsamkeiten/Übereinstimmungen). ● Jede menschliche Kultur hat zum einen generisches (laienhaftes, volkstümliches oder einheimisches) Wissen über die Fürsorge und entsprechende Methoden und zum anderen im Allgemeinen auch professionelles Pflegewissen und -methoden, die transkulturelle Unterschiede aufweisen. ● Eine professionelle Pflege, die positiv, gesundheitsförderlich, zufriedenstellend und kulturell fundiert ist, trägt zum Wohlbefinden des Einzelnen, der Familien, Gruppen und Gemeinschaften in ihrer jeweiligen Umwelt bei. ● Eine kulturkongruente oder positive professionelle Pflege ist nur dadurch zu gewährleisten, dass die Pflegenden die individuellen, gruppenspezifischen, familiären und gemeinschaftlichen kulturspezifischen Werte, Ausdrucksformen und Muster der Fürsorge kennen und diese für die

Ausgewählte Pflegetheorien und Pflegemodelle



betreffenden Menschen auf eine angemessene und sinnvolle Weise umsetzen. Die „kulturspezifische Fürsorge“ (cultural care) beinhaltet die subjektiv und objektiv erlernten und übermittelten Werte, Überzeugungen und strukturierten Lebensweisen, die einer anderen Einzelperson oder Gruppe helfen, sie unterstützen, es ihnen erleichtern oder sie dabei fördern, sich Wohlbefinden und Gesundheit zu erhalten, ihre menschlichen Lebensbedingungen und Lebensweisen zu verbessern und mit Krankheiten, Behinderungen oder dem Tod umzugehen.



Wenn eine kulturkongruente Pflege für und mit einem Patienten umgesetzt werden soll, müssen diese Möglichkeiten bei pflegerelevanten Entscheidungen und Pflegemaßnahmen berücksichtigt und jeweils situationsadäquat eingesetzt werden. Professionelle Pflege ist für Madeleine Leininger folglich eng mit einer kultursensiblen Fundierung und Ausrichtung verbunden.

KOMPAK T Pflegewissenschaft

Das Sunrise-Modell ●









Leininger hat ihre Theorie in dem sog. Sunrise-Modell („Sonnenaufgangsmodell“) veranschaulicht. Das Modell bietet einen Gesamtüberblick über die Dimensionen der Theorie und soll auch Forscher bei ihrer Arbeit unterstützen. Das Modell verdeutlicht, dass der kulturelle Hintergrund eines Menschen wie auch die Ausdrucksweisen, Muster und Methoden der Fürsorge einer kulturellen Gruppe sowie deren Vorstellungen über Gesundheit und Wohlbefinden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden. Alle Faktoren zusammen werden als kulturelle, soziostrukturelle Dimension bezeichnet, die wiederum eng mit dem Welt- und Wirklichkeitsverständnis verbunden ist. Hierzu gehören neben technologischen, religiösen und wirtschaftlichen Einflussfaktoren auch bildungsbedingte, politischgesetzliche sowie verwandtschaftliche und soziale Faktoren. Nicht zuletzt nehmen auch kulturelle Werte und Lebensweisen, der Umweltkontext, Sprache und die ethnografische Entwicklung Einfluss auf Muster und Methoden der Fürsorge und auch auf die Sichtweise von Gesundheit und Wohlbefinden – von Einzelnen oder von Gruppen. Hieraus ergeben sich wiederum generische und professionelle Pflegesysteme. Unter generischen Pflegesystemen versteht Madeleine Leininger volkstümliche oder laienhafte Pflegesysteme, die kulturell erlerntes und übermitteltes, traditionelles Wissen enthalten. Demgegenüber enthalten professionelle Pflegesysteme Wissen und praktische Fähigkeiten, die unterrichtet und erlernt wurden und in professionellen Institutionen, wie z. B. Krankenhäusern, ausgeübt werden. Die professionelle Pflege verbindet diese beiden Pflegesysteme miteinander: Sie muss entscheiden, ob in einer Pflegesituation Fürsorgehandlungen des generischen Pflegesystems oder/und professionelle Fürsorgehandlungen eingesetzt werden. Grundsätzlich gibt es dabei 3 mögliche Entscheidungen: 1. Die kulturspezifischen Fürsorgehandlungen können bei der Pflege in der Gesundheitseinrichtung beibehalten werden – dies entspricht der Bewahrungs- und/oder Erhaltungsfunktion kulturspezifischer Fürsorge. 2. Die kulturspezifischen Fürsorgehandlungen können bei der Pflege in der Gesundheitseinrichtung nur teilweise beibehalten werden – dies entspricht der Anpassungsund/oder Verständigungsfunktion kulturspezifischer Fürsorge. 3. Die kulturspezifischen Fürsorgehandlungen müssen verändert werden, weil sie z. B. schädlich für den betroffenen Menschen sind. Dies entspricht der Änderungs- oder Umstrukturierungsfunktion kulturspezifischer Fürsorge.

















Im Arbeitsalltag treten häufig Fragen und Probleme auf, die Pflegende lösen müssen. Dazu nutzen sie strukturierte (logisches Denken und wissenschaftliches Erforschen) und unstrukturierte (z. B. Erfahrung und Intuition) Wissensquellen. Wissenschaft verfolgt das Ziel, durch Forschung neue Erkenntnisse zu gewinnen. Neben der Forschung sind die Theorien und die Lehre weitere Säulen der Wissenschaft. Pflegewissenschaft ist sehr praxisorientiert, d. h., es wird konkret nach Antworten auf Probleme oder Themen der Praxis gesucht. Sie trägt zu einer Qualitätssteigerung und Professionalisierung der Pflege bei. Grob lassen sich 2 Arten der Forschung unterscheiden. Die quantitative Forschung untersucht große Gruppen und möchte somit allgemeingültige Aussagen treffen können. In der qualitativen Forschung wird bei kleineren Gruppen zunächst ein Phänomen genauer untersucht, um Theorien zu bilden, die im Verlauf auch quantitativ überprüft werden können. Pflegende haben die wichtige Rolle, bei der Forschung mitzuwirken und die Erkenntnisse aus der Forschung zu reflektieren und in den Pflegealltag zu integrieren. Zur kritischen Einschätzung von Forschungsarbeiten gibt es Gütekriterien und Fragen, an denen sich Pflegekräfte orientieren sollten. Das Evidence-based Nursing ist eine Methode, nach der Forschungserkenntnisse gezielt in die Praxis umgesetzt werden können. Durch die individuelle Beurteilung der (Patienten-)Situation werden die Erkenntnisse der Forschung mit den Erfahrungen der Pflegefachkraft verknüpft. Pflegetheorien beschreiben, je nach Reichweite, allgemein, was Pflege ist, bzw. betrachten einzelne Aspekte der Pflege und geben Pflegemaßnahmen vor. Die 4 Schlüsselkonzepte der Pflege sind die Person, die Umwelt, das Wohlbefinden und das pflegerische Handeln. Durch deren Gewichtung wird das Pflegeverständnis deutlich. Es werden 3 Schwerpunkte bei den Theorien großer Reichweite unterschieden: Bedürfnistheorien, Interaktionstheorien und Ergebnistheorien. Ausgewählte Pflegetheorien: „Die Theorie des Selbstpflegedefizits“ von Dorothea Orem, „Das Roper-LoganTierney-Modell“, „Das Rahmenmodell Fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs“ von Monika Krohwinkel, „Die Theorie der interpersonalen Beziehungen in der Pflege“ von Hildegard Peplau, „Das Modell der Krankheitsverlaufskurve“ von Juliet Corbin und Anselm Strauss, „Das Modell der familien- und umweltbezogenen Pflege“ von Marie-Luise Friedemann und „Die Theorie der kulturspezifischen Fürsorge“ von Madeleine Leininger.

2 ieme

Mit Menschen arbeiten 5 Der Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 Grundlagen und Anwendung professioneller Kommunikation . . . . . . . . . . . .

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7 Mit Menschen zusammenarbeiten – miteinander umgehen. . . . . . . . . . . . . .

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8 Selbstfürsorge und Stressmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

Entwicklungspsychologie

5.1 Grundlagen

5.2 Entwicklungspsychologie

Die Pflege ist besonders durch die enge Zusammenarbeit mit Menschen geprägt. Daher ist es besonders wichtig, sich zu fragen, was den Menschen ausmacht.

Die Entwicklungspsychologie beschäftigt sich mit der Entstehung und Veränderung psychischer Funktionen. Die zentrale Frage ist: Welche Faktoren (Veranlagung, Umwelt, Erziehung etc.) beeinflussen das Denken, Erleben und Verhalten eines Menschen im Verlauf seines Lebens? Daraus ist das Modell „Entwicklung über die Lebensspanne“ mit 4 Hypothesen entstanden: Der Entwicklungsprozess 1. dauert lebenslang und ist individuell, 2. vollzieht sich mehrdimensional (körperlich, kognitiv, sozioemotional), 3. ist formbar (veränderbar) und 4. wird von mehreren Faktoren beeinflusst (z. B. Erbanlagen und Umwelt).

5.1.1 Der Mensch aus verschiedenen Perspektiven Das komplexe Wesen des Menschen beschäftigt viele Wissenschaftsbereiche, wobei jeder Bereich einen etwas anderen Schwerpunkt bei seinem Menschenbild setzt. Pflegekräfte kommen mit allen Menschenbildern in Berührung und bilden häufig die Schnittstelle zwischen den einzelnen Disziplinen. ● Naturwissenschaftlich-medizinische Perspektive: Der Fokus liegt auf rein körperlichen Prozessen. Krankheit entspricht einer Störung des „Funktionierens“ nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip. ● Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten des Menschen: Wahrnehmungs-, Denk- und Verarbeitungsprozessen, Gedächtnis, Lernen etc. ● Die psychosomatische Perspektive beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen von Körper und Geist und ist die Schnittmenge von Psychologie und Medizin. ● Die soziologische Perspektive sieht den Menschen als ein Wesen, das mit anderen Menschen zusammenlebt und sich mit ihnen austauscht. Sie beschäftigt sich mit Rollen, Erwartungen, Gruppen, Gemeinschaft etc. ● Der kulturwissenschaftliche Ansatz geht von dem starken Einfluss der Kultur auf den Menschen aus. Sie beschäftigt sich mit Wertesystemen, Traditionen, Bildung, Philosophie etc. ● Die philosophische Perspektive versteht den Menschen als ein Wesen, der seinem Leben einen Sinn geben möchte. Auslöser sind häufig existenzielle Erfahrungen (Krankheit, Leid, Tod). ● Die ethische Perspektive sieht den Menschen als ein denkendes und gestaltendes Wesen, das nach bestimmten moralischen Werten handelt, wie Gerechtigkeit und Solidarität. ● Aus der theologischen Perspektive ist der Mensch ein Wesen, das übernatürliche Erfahrungen macht bzw. eine Verbindung mit einer übernatürlichen (meist göttlichen) Macht eingeht.

5.2.1 Psychosexuelle Entwicklung nach Freud Grundlage des Ansatzes von Sigmund Freud (1856–1939) ist die Psychoanalyse. Die Theorie geht davon aus, dass der Mensch immer in einem Konflikt steht zwischen den biologischen Bedürfnissen (Trieben) und dem gesellschaftlich erwarteten Verhalten. Die Persönlichkeitsentwicklung ist nach Freud abhängig von dem Umgang mit aggressiven und sexuellen Trieben in der Kindheit. Die Entwicklung verläuft in 5 Phasen: 1. orale Phase (0–1 Jahr): Erfahrung der Umwelt durch den Mund 2. anale Phase (1–3 Jahre): Gefühl von Selbstbestimmung durch Zurückhalten von Urin und Stuhl 3. phallische Phase (3–6 Jahre): Kind begehrt gegengeschlechtlichen Elternteil 4. Latenzphase (6–12 Jahre): Triebe werden auf kulturelle Interessen (z. B. Lesen) umgelenkt, das Über-Ich entwickelt sich 5. genitale Phase (ab 12 Jahren): führt zur Partnersuche Treten Störungen in den einzelnen Phasen auf, kann sich dies zu Persönlichkeitsstörungen im Erwachsenenalter führen. Die Persönlichkeit besteht aus 3 Teilen: ● Das „Es“ hat biologische Bedürfnisse. ● Das „Ich“ vermittelt zwischen eigenen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen. ● Das „Über-Ich“ hat Ideen und Vorstellungen von dem, was richtig und falsch ist.

5.1.2 Das Menschenbild in der Pflege

5.2.2 Psychosoziale Entwicklung nach Erikson

Das Menschenbild in der Pflege ist stark von dem Begriff der „Ganzheitlichkeit“ geprägt: ● Ganzheitlichkeit = Wechselwirkung und Zusammenspiel von physischen, psychischen und sozialen Anteilen des Menschen ● Ganzheitliche Pflege = sich mit dem Menschen als Ganzem auseinanderzusetzen (Biografie, Lebenssituation, Fähigkeiten zur Selbstpflege)

Erik H. Erikson (1902–1994) geht davon aus, dass der Mensch immer in einem Konflikt zwischen 2 Gefühlen steht. Durch die Bewältigung dieser Krisen in den Phasen entsteht eine gesunde Persönlichkeit. Das Modell unterscheidet 8 Phasen: 1. Vertrauen vs. Misstrauen (bis 1 Jahr): Durch Bezugsperson wird Urvertrauen entwickelt; fehlt es an Zuwendung, entsteht Misstrauen. 2. Autonomie vs. Scham und Zweifel (1–3 Jahre): Kind entdeckt Umwelt und wird selbstständiger. Wird es kritisiert, eingeschränkt oder überfordert, kann ein fehlendes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten entstehen.

Kritik: Der absolute Anspruch einer ganzheitlichen Wahrnehmung und Betreuung des Pflegebedürftigen ist in der Praxis nur bedingt realisierbar.

l 5

Der Mensch 3. Initiative vs. Schuldgefühl (3–5 Jahre): Kind möchte die Welt begreifen und stellt viele Fragen. Leistungsdruck und zu viele Angebote können dies beeinträchtigen. 4. Kompetenz vs. Minderwertigkeitsgefühl (5–12 Jahre): Kind vergleicht sich mit anderen und entdeckt eigene Begabungen. Durch Misserfolge und Kritik kann es sich minderwertig fühlen. 5. Identität vs. Identitätsdiffusion (12–20 Jahre): Jugendlicher sucht seine Identität. 6. Intimität und Solidarität vs. Isolierung (20–45 Jahre): „Ich“ verwandelt sich in manchen Bereichen in ein „Wir“. 7. Generativität vs. Selbstabkapselung (45–65 Jahre): Weitergabe von Wissen und Erfahrungen. Gelingt dies nicht, fehlt das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. 8. Integrität vs. Verzweiflung (65 Jahre bis Tod): Der ältere Mensch reflektiert sein Leben; ist er mit dem Ergebnis unzufrieden, kann das Gefühl von Sinnlosigkeit und Angst vor dem Tod entstehen.

5.2.3 Verhaltenspsychologische und lerntheoretische Ansätze Behaviorismus Durch ein Experiment belegte John Watson (1878–1958), dass es beim Menschen möglich ist, ein Verhalten durch die Wiederholung von Reizen „zu trainieren“ (= Konditionierung).

Operante Konditionierung Nach dem Psychologen B. F. Skinner (1904–1990) können erwünschte Verhaltensweisen durch positiv verstärkende Reize (z. B. Belohnung, Lob) und negativ verstärkende Reize (z. B. Tadel) hervorgerufen werden.

5.2.4 Kognitive Entwicklungstheorie nach Piaget Die Grundgedanken der Theorie von Jean Piaget (1896– 1980) sind, dass ● ein Kind seine Entwicklung aktiv mitentwickelt, ● es sich durch eigene kognitive Vorstellungen seine Umwelt erklärbar macht, ● diese Vorstellungen durch Erfahrungen aus der Umwelt immer wieder angepasst werden (Adaption). ● Für die Adaption sind 2 Prozesse entscheidend: 1. Assimilation: Neue Informationen werden so verändert, dass sie zu der aktuellen Vorstellung passen. 2. Akkommodation: Die neue Entdeckung lässt sich nicht in die aktuellen Vorstellungen integrieren, man passt sich an und eine neue bzw. erweiterte Vorstellung wird erstellt. Die Entwicklungsphasen nach Piaget können Sie der ▶ Abb. 5.1 entnehmen.

5.2.5 Entwicklungsaufgaben nach Havighurst Nach Robert J. Havighurst (1900–1991) stellt jede Lebensphase an ein Individuum bestimmte Aufgaben, die es bewältigen muss. Es lässt sich in 3 Bereiche aufteilen: ● Biologie/Körper: Wachstum, Pubertät, Klimakterium ● Gesellschaft: Bildung und Beruf ● Person (Wünsche, Ziele, Werte): Berufswunsch, Wunsch nach Familie

Meilensteine der Entwicklung Kindheit (pränatale Phase, bis ca. 11. LJ)

Lernen durch Beobachtung Das Lernen durch Beobachtung bzw. am Modell von Albert Bandura (geb. 1925) ist eine der wichtigsten Theorien des sozialen Lernens. In dieser Theorie haben Vorbilder eine große Bedeutung für das Erlernen bestimmter Verhaltensweisen.







Die Entwicklung wird durch die Gesellschaft geprägt (sog. Sozialisation) und in folgende Entwicklungsbereiche eingeteilt: Entwicklung der Sinneswahrnehmung, motorische, kognitive, emotionale und moralische Entwicklung. Für die Einschätzung von Entwicklungsstörungen ist eine Gesamtbetrachtung aller Bereiche notwendig. Risikofaktoren für Entwicklungsstörungen: z. B. Fehlernährung, Scheidung der Eltern, emotionale Zurückweisung, körperliche und psychische Misshandlungen/Gewalt.

Abb. 5.1 Die 4 kognitiven Entwicklungsphasen nach Piaget.

sensomotorische Entwicklung

präoperationale Entwicklung

konkret-operationale Entwicklung

formales Denken

• verbesserte Abstimmung zwischen Sensorik und Motorik • lernt, dass Objekte auch existieren, wenn man sie nicht sieht

• konzentriert sich auf eine Dimension • komplexere Zusammenhänge sind noch nicht begreifbar (z. B. Volumen)

• erkennt in konkreten Situationen Zusammenhänge (z. B. zwischen Form, Menge und Volumen im Umschüttversuch)

• kann abstrakt bzw. theoretisch denken • benötigt dafür kein Anschauungsmaterial mehr

0–2 Jahre

Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015

46

2–7 Jahre

7–11 Jahre

ab 12 Jahren

Bedürfnisse, Motive und Emotionen ●

Es gibt Vorsorgeuntersuchungen zur Erkennung von Risikofaktoren während der Schwangerschaft und im Kindesalter, um ggf. geeignete Fördermaßnahmen anzubieten.

● ● ● ●

Extraversion (Introversion als Gegenteil) Offenheit gegenüber Neuem Verträglichkeit (gegenüber anderen Menschen) Gewissenhaftigkeit

Jugendalter (Adoleszenz, 11.–18. LJ) ●



Entwicklungsaufgaben: körperliche Reifung, komplexe Denkfähigkeit, Gemeinschaft mit Gleichaltrigen, sexuelle Beziehungen, selbstständig werden und eine eigene Identität finden Jugendliche sind besonders anfällig für Alkohol und Drogenmissbrauch (besonders Jungen) und Essstörungen (besonders Mädchen). Konflikte mit den Eltern, dem Partner oder Liebeskummer können im Extremfall zu einem Suizidversuch führen. Selbstmord ist die zweithäufigste Todesursache bei deutschen Jugendlichen.

Erwachsenenalter (18. LJ bis zum Tod) ●







frühes Erwachsenenalter (18–40 Jahre): Herausforderungen besonders im sozialen Bereich, z. B. Wechseln in das berufliche Umfeld und Aufbau neuer sozialer Kontakte, Eingehen von festen Partnerschaften, Gründen einer Familie. Verantwortung wächst und dadurch steigt der Erfolgsdruck. Wiederholtes Scheitern kann zu Entwicklungsstörungen führen. mittleres Erwachsenenalter (40–65 Jahre): Das eigene Leben wird reflektiert, nicht selten mit der Konsequenz einer radikalen Lebensveränderung (Midlife-Crisis). Sie wird auch als die „Rush-Hour“ des Lebens bezeichnet, da es mehrere Belastungen gibt. Die eigene Karriere wird weiterverfolgt, gleichzeitig benötigen die Kinder und ggf. Eltern Hilfe. Es kommt zu ersten degenerativen körperlichen Veränderungen. spätes Erwachsenenalter (ab 65 Jahre bis zum Tod): Neben den körperlichen Veränderungen (Kap. 33.1) gibt es einschneidende Ereignisse, z. B. die Selbstständigkeit der Kinder und das Ausscheiden aus dem Berufsleben. Bedeutende Risikofaktoren sind Altersarmut, soziale Isolation und Entwurzelung. Zum Umgang mit sozialen Kontakten gibt es 4 Alterstheorien: – Disengagementtheorie: Ältere besinnen sich auf sich, ziehen sich zurück. – Aktivitätstheorie: Ältere wünschen sich viele soziale Kontakte. – Kontinuitätstheorie: Der Wunsch nach dem Maß an sozialen Kontakten hängt von der Persönlichkeit ab. – sozial-emotionale Selektivitätstheorie: Abnahme sozialer Kontakte durch Wegfallen von zweckgebundenen Kontakten (Beruf), dafür sind vorhandene Kontakte intensiver.

Um Persönlichkeitsstörungen (siehe Kap. 65) zu identifizieren, wird eine Einschätzung zu den folgenden 5 Kriterien vorgenommen: ● Reaktionen auf und der Umgang mit Emotionen ● Leistungsfähigkeit ● Autonomie im eigenen Handeln und Verhalten ● Fähigkeit zur Anpassung an die jeweilige Umwelt ● Fähigkeit, Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen

5.4 Bedürfnisse, Motive und Emotionen 5.4.1 Bedürfnisse ●







Der Psychologe Abraham Maslow (1908–1970) hat in Form einer Pyramide die Bedürfnisse hierarchisiert. Es müssen zunächst die unteren Bedürfnisse erfüllt sein, bevor die höher stehenden relevant werden (▶ Abb. 5.2). Menschen haben ständig unterschiedliche Bedürfnisse, diese können sich zwischen den Personen unterscheiden und auch von der Hierarchie abweichen. Für Pflegekräfte ist es wichtig, die für den Patienten wichtigsten Bedürfnisse herauszufinden und danach die Pflege zu planen, um ihn bei der Bedürfnisbefriedigung zu helfen.

5.4.2 Motivation ●









Motive leiten unser Handeln, sie sind antreibender Grund für ein Verhalten. Bei unschlüssigen Verhaltensweisen ist es sinnvoll, nach den Motiven zu schauen, die sich dahinter verbergen. Die aus einem Motiv resultierende Handlungsbereitschaft bezeichnet man als Motivation. Es wird dabei in intrinsische (von innen) und extrinsische (von außen) Motivation unterschieden. Je wahrscheinlicher eine Zielerreichung und je wichtiger das Ziel, desto höher wird die Motivation sein. Man spricht von Leistungsmotivation, wenn jemand seine Situation durch ein bestimmtes Verhalten verbessern möchte. Dabei ist die intrinsische Motivation besonders wichtig. Die intrinsische Motivation eines Patienten kann gestärkt werden, indem z. B. Ressourcen gewürdigt, erreichbare Ziele gesteckt, Ziele verdeutlicht, ein positives Feedback gegeben wird.

5.3 Persönlichkeitspsychologie

5.4.3 Emotionen

Persönlichkeit beschreibt die Gesamtheit aller Persönlichkeitsmerkmale/-eigenschaften (Traits). Traits sind zeitlich stabile Merkmale des Verhaltens und Erlebens eines Menschen. Die Persönlichkeitsforschung beschäftigt sich mit diesen Traits. Über die Jahre haben sich 5 Eigenschaften („Big Five“) bei der Beschreibung einer Persönlichkeit bewährt: ● emotionale Stabilität

Emotionen sind wichtig, um schnell Entscheidungen zu treffen und sich so vor Gefahren zu schützen (z. B. Angst). Außerdem spielen sie im sozialen Miteinander eine entscheidende Rolle. Emotionen entstehen in 4 Teilprozessen: 1. Wahrnehmen und Bewerten einer Situation (oft unbewusst) auf Grundlage unserer Erfahrungen und Wertesysteme.

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Der Mensch Abb. 5.2 Bedürfnispyramide nach Maslow.

Bedürfnis nach Selbstverwirklichung Sinnfindung, Religion, Transzendenz Bedürfnis nach Ästhetik Schönheit, Ordnung Bedürfnis nach Wissen entdecken, verstehen, erleben Bedürfnis nach Wertschätzung Respekt, Kompetenz, soziale Anerkennung soziale Bedürfnisse kommunizieren, arbeiten, Liebe, Freundschaft, Zugehörigkeit Sicherheitsbedürfnisse Geborgenheit körperliche Grundbedürfnisse essen, trinken, schlafen, atmen, sich kleiden, sich fortpflanzen

Nach Maslow kommen die höher stehenden Bedürfnisse erst zur Geltung, wenn die darunter aufgeführten erfüllt sind. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

2. Intensität der subjektiv empfundenen Gefühle, abhängig von der Situation oder dem Menschen, der die Gefühle auslöst, z. B. Freude, Zuneigung, Gleichgültigkeit, Ärger, Angst, Abneigung, Niedergeschlagenheit, Scham und Trauer 3. Körperliche Reaktion wie z. B. Herzrasen bei Angst, Schwitzen bei Aufregung 4. Ausdruck der Emotionen durch Mimik, Haltung und Verhaltensweisen

5.5 Der Mensch zwischen Gesundheit und Krankheit Definition Gesundheit Laut der WHO ist „Gesundheit ein Zustand vollkommen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“ Die Definition verdeutlicht die verschiedenen Ebenen von Gesundheit, die sich auch gegenseitig beeinflussen. Über den Begriff des Wohlbefindens können sich auch Menschen gesund fühlen, die aus medizinischer Sicht krank sind. Aber nicht jeder, der sich wohlfühlt, ist auch im medizinischen Sinne gesund.

Definition Krankheit Krankheit ist demzufolge definiert als Störung des körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens.

5.5.1 Pathogenese und Salutogenese Pathogenese Die Pathogenese beschäftigt sich mit der Entstehung von Krankheiten. Im Mittelpunkt steht die Frage nach den Ursa-

48

chen und Risikofaktoren. Unser Gesundheitssystem ist bislang überwiegend pathogenetisch geprägt, d. h., der Fokus liegt auf einer schnellen Diagnosestellung und der Behandlung der Beschwerden.

Salutogenese Aaron Antonovsky (1923–1994) stellt die Frage in den Mittelpunkt, warum Menschen trotz krank machender Einflüsse gesund bleiben bzw. was Menschen gesund erhält. Das Konzept besteht aus 4 wichtigen Komponenten: ● Gesundheits-Krankheits-Kontinuum: Gesundheit und Krankheit sind 2 Pole und im Laufe des Lebens bewegt sich der Mensch zwischen diesen Polen, wobei die Pole selbst nicht erreicht werden können. Man hat immer gesunde und kranke Merkmale gleichzeitig. ● Stressoren und Spannungszustände: sind allgegenwärtig und wirken auf den Menschen ein. ● Widerstandsressourcen: wirken sich positiv auf den Umgang mit den Stressoren aus, z. B. körperliche Faktoren, finanzielle und soziale Rückhalte. ● Kohärenzgefühl: Grundeinstellung zur Welt und zum Leben. Es wird stark durch die Erfahrungen, Erlebnisse und Lebensereignisse insbesondere in der Kindheit geprägt. Diese Einstellung ist abhängig von 3 weiteren Eigenschaften: – Gefühl der Verstehbarkeit: Fähigkeiten, Informationen zu verarbeiten. – Gefühl der Handhabbarkeit: Vertrauen in sich selbst, Schwierigkeiten und Probleme bewältigen zu können. – Gefühl der Sinnhaftigkeit: Das Leben mit seinen Herausforderungen hat einen Sinn.

Der Mensch zwischen Gesundheit und Krankheit

Bedeutung für die Pflege Das Modell der Salutogenese spielt eine wichtige Rolle für das Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Aufgabe der Pflege ist es, alle gesundheitsfördernden Kräfte und Ressourcen des Betroffenen gemeinsam mit ihm zu identifizieren und zu aktivieren. Durch Beratung können Pflegekräfte die Verstehbarkeit und Handhabbarkeit einer Erkrankung fördern.

5.5.2 Prävention und Gesundheitsförderung Prävention und Gesundheitsförderung haben das Ziel, die Gesundheit der Menschen zu erhalten bzw. zu verbessern. Beide Konzepte verfolgen jedoch unterschiedliche Strategien und unterschiedliche Ansätze (▶ Tab. 5.1).

Prävention Es wird unterschieden nach: Zeitpunkt der Prävention ● Primärprävention: vor Eintritt einer Krankheit ● Sekundärprävention: im Frühstadium einer Krankheit ● Tertiärprävention: nach Manifestation/Akutbehandlung einer Krankheit Präventionsstrategie Verhältnisprävention: Veränderung der Umwelt und der Lebensbedingungen ● Verhaltensprävention: Beeinflussung des individuellen Gesundheitsverhaltens ●

Präventionsmethode ● psychoedukative Verfahren, z. B. Beratung, Aufklärungskampagnen (AIDS, Alkohol) ● normativ-regulatorische Verfahren, z. B. Gesetze (Rauchverbot in Gaststätten, Anschnallpflicht) ● ökonomische Anreiz- und Bestrafungssysteme, z. B. Prämien, Erhöhung der Tabaksteuer

Gesundheitsförderung Gesundheitsförderung erfolgt nach dem ganzheitlichen Ansatz, d. h., der Mensch wird in seiner Umwelt und seinen Lebensbedingungen betrachtet. Es werden 5 zentrale Handlungsbereiche unterschieden: 1. Entwicklung einer gesundheitsförderlichen Gesamtpolitik (z. B. Finanzierung von Gesundheitsförderungsangeboten, Zugang zu Bildungs- und Sozialeinrichtungen)

2. Schaffung von Gesundheit unterstützenden Umwelten (z. B. gute Wohn- und Arbeitsbedingungen) 3. Entwicklung von Gesundheitskompetenz, d. h. Menschen dazu befähigen, selbstbestimmt Entscheidungen für ihre Gesundheit zu treffen und dafür Verantwortung zu übernehmen (z. B. durch Beratung, Aufklärungskampagnen), und Bewältigungsstrategien im Umgang mit Gesundheit und Krankheit (z. B. durch ausgewogene Ernährung, Bewegung) 4. Stärkung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktionen (z. B. in Vereinen) 5. Neuorientierung der Gesundheitsdienste, die über die medizinisch-kurativen Betreuungsleistungen hinausgehen und den Zugang zu ihnen verbessern (z. B. Verankerung von Gesundheitsförderung in allen Bereichen des Gesundheitssystems)

5.5.3 Individuelle Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit Gesundheitsverhalten Zu den individuellen Einflüssen auf Gesundheit und Krankheit zählt das individuelle Gesundheitsverhalten. Die eigenen Verhaltensweisen beeinflussen den persönlichen Gesundheitszustand (positiv oder negativ). Trotz besseren Wissens üben viele Menschen gesundheitsschädigende Verhaltensweisen aus. Es stellt sich die Frage nach dem Warum (Kap. 5.4). Die 3 folgenden Modelle sollen helfen, dieses Verhalten zu verstehen, vorherzusagen und ggf. auch zu beeinflussen.

Health-Belief-Modell – Modell der gesundheitlichen Überzeugung Es sind 2 Hauptfaktoren relevant: ● Bedrohung: Inwieweit nimmt eine Person die Krankheit als Bedrohung wahr? Abhängig vom Schweregrad der wahrgenommenen Symptome und der subjektiven Verwundbarkeit. ● Kosten-Nutzen-Abwägung: Ist der Gewinn der gesundheitsfördernden Maßnahmen die Mühe wert? Je größer die Bedrohung ist und je mehr eine Kosten-Nutzen-Abwägung zugunsten des Nutzens ausfällt, desto eher verändern Menschen ihr Gesundheitsverhalten. Daneben beeinflussen auch soziodemografische Faktoren (Geschlecht, Alter, soziale Schicht) und Handlungsanreize das Verhalten. Pflegende können dabei helfen, gesundheitliche Überzeugungen zu entwickeln, indem sie über die Bedrohung durch

Tab. 5.1 Ziel, Strategien, Ansätze und Zielgruppen von Prävention und Gesundheitsförderung. Prävention

Gesundheitsförderung

Strategie bzw. Ziel

bestimmte Krankheiten vermeiden, Gesundheit erhalten bzw. verbessern

Gesundheit und Wohlbefinden erhalten und verbessern

Ansatz

pathogenetisches Wirkprinzip: setzt an den Risikofaktoren an

salutogenetisches Wirkprinzip: setzt an den Ressourcen und Schutzfaktoren an

Zielgruppe

wendet sich an Menschen mit Risikofaktoren

wendet sich an alle Menschen

l 5

Der Mensch eine Krankheit aufklären, den Nutzen von förderlichen Maßnahmen verdeutlichen und bei den Kosten Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen.

Locus of Control (Kontrollüberzeugung) Es werden unterschieden: ● externale Kontrollüberzeugungen: Die eigene Gesundheit ist abhängig von äußeren Faktoren (z. B. Ärzte, Zufall, Schicksal). ● internale Kontrollüberzeugungen: Die eigene Gesundheit wird als beeinflussbar wahrgenommen. Dies ist förderlich für ein positives Gesundheitsverhalten und zentraler Punkt für die Übernahme von Eigenverantwortung für die Gesundheit und Selbstständigkeit beim Durchführen gesundheitsförderlicher Maßnahmen. Pflegende können internale Kontrollüberzeugungen stärken, indem sie z. B. körperliche Trainingsfortschritte positiv rückmelden und somit verdeutlichen, dass das eigene Verhalten Einfluss auf die Gesundheit hat.

Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) SWE beschreibt das Ausmaß des Vertrauens einer Person in die eigenen Fähigkeiten, eine Herausforderung zu bewältigen. Je höher die SWE, desto eher werden Personen ihr Gesundheitsverhalten erfolgreich ändern. Durch diese 4 Mechanismen kann die SWE gestärkt werden: 1. Bewältigungserfahrungen ermöglichen: kleine Erfolge des Patienten loben 2. Lernen am Modell/stellvertretende Erfahrungen: von Erfolgen anderer berichten (andere haben es geschafft, dann kann ich das auch!) 3. verbale Informationsvermittlung/Überzeugung durch andere: auf der Grundlage von Fachkenntnissen nachvollziehbar erklären, dass der Patient es schaffen kann 4. emotionale Erregung: emotionale Blockaden durch Gespräche lösen

Begriffe und Modelle der Verhaltensänderung ●







50

Compliance = Übereinstimmung des Patientenverhaltens mit medizinischen oder pflegerischen Empfehlungen. Adhärenz = Einhalten des gemeinsam vereinbarten Behandlungswegs (Patient – Arzt/Pflegefachkraft). Einhalten der Empfehlungen und die aktive Mitarbeit sind besonders bei chronisch Kranken wichtig. partizipative Entscheidungsfindung: Der Patient wirkt bei gesundheitlichen Entscheidungen mit, dies kann die Adhärenz verbessern. Voraussetzung dafür ist: – der Informationsaustausch in beide Richtungen, insbesondere die Patientenedukation (siehe Kap. 49.1) – Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten – Gleichberechtigung von Patient und Arzt/Pflegefachkraft – Verantwortung wird gemeinsam übernommen transtheoretisches Modell: Menschen durchlaufen verschiedene Stufen, bis sie ihr Gesundheitsverhalten dauerhaft verändert haben.

1. Absichtslosigkeit: Es besteht keine Intention, das problematische Verhalten in der nächsten Zeit zu ändern (Verleugnung). 2. Absichtsbildung: Es wird erwogen, das problematische Verhalten in den nächsten 6 Monaten zu verändern. 3. Vorbereitung: Erste Schritte werden eingeleitet. 4. Handlung: Das Gesundheitsverhalten wird geändert. 5. Aufrechterhaltung: Das geänderte Verhalten wird seit mehr als 6 Monaten beibehalten (Durchhaltevermögen). 6. Stabilisierung: Es gibt keine Rückfallgefahr mehr.

5.5.4 Gesellschaftliche Einflüsse auf Gesundheit und Krankheit Der Mensch beeinflusst nicht nur selbst sein GesundheitsKrankheits-Kontinuum. Er ist ebenso den Einflüssen seiner Umgebung und der Gesellschaft ausgesetzt: ● Gesundheits- und Krankheitsverständnis: Je nach Vorstellung von dem, was gesund oder krank ist, werden Kosten einer Therapie durch die Gemeinschaft finanziert oder auch nicht (z. B. Anerkennung von Alkoholismus als Krankheit). ● die Lebensbedingungen (z. B. Krankenversicherungspflicht) ● die Zugehörigkeit eines Individuums zu bestimmten Gruppen: Die 5 Merkmale der gesellschaftlichen Stellung (Beruf, Einkommen, Bildung, Herkunft und Geschlecht) haben einen wesentlichen Einfluss auf die Lebensbedingungen und das Gesundheitsverhalten. Die Gesundheitswissenschaften (Public Health) verfolgen die Gesundheitsförderung auf gesellschaftlicher Ebene (Kap. 5.5.2). Durch die Maßnahmen konnten bereits zahlreiche Erfolge in verschiedenen Gesellschaftsgruppen erreicht werden.

5.5.5 Bewältigungsstrategien im Umgang mit Krankheit Jeder Mensch entwickelt während seines Lebens individuelle Strategien, um mit belastenden Situationen umzugehen. Diese Bewältigungsstrategien werden unter dem Begriff „Coping“ zusammengefasst.

Unbewusste Bewältigungsstrategien/ Abwehrmechanismen Vor allem zu Beginn einer Krankheit schützen unbewusst ablaufende Reaktionen vor einer psychischen Überforderung, man spricht von Abwehrmechanismen: ● Verdrängung: Patient verdrängt angstauslösende Gedanken und Gefühle vorübergehend aus dem Bewusstsein. ● Vigilanz: Patient nimmt bedrohliche Aspekte seiner Krankheit besonders intensiv wahr und versucht, sie zu kontrollieren. ● Regression: Die Psyche des Patienten greift auf frühere Entwicklungsstufen zurück, um das seelische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Patienten verhalten sich unselbstständig, sind oft unvernünftig, treffen ungern Entscheidungen und zeigen wenig Eigeninitiative.

Der Mensch zwischen Gesundheit und Krankheit

Bewusste Bewältigungsstrategien

Formen und Leistungen

Ein erster Schritt in Richtung bewusster Bewältigung ist, dass der Patient seine Krankheitssituation anerkennt und sich daraufhin seine Ressourcen bewusst macht. Mögliche Bewältigungsstrategien bzw. Reaktionen sind: ● handlungsorientierte Reaktionen, z. B. konstruktive Aktivität, Zupacken, Kompensation, Rückzug, Zuwendung ● kognitive Reaktionen, z. B. ablenken, Selbstaufwertung, Erfolge suchen, hinnehmen von allem, was die Krankheit bringt, Akzeptanz, Problemanalyse der Krankheit, Herunterspielen der Krankheit ● emotionale Reaktionen, z. B. Haltung bewahren, mit dem Schicksal hadern, Schuldzuweisungen, Fehler bei sich selbst suchen, Religiosität, Angst, Wut, Verzweiflung, Resignation

Rehabilitationsmaßnahmen sind vielfältig und abhängig von dem verfolgten Ziel und der Rehabilitationsform. Beispiele können Sie der ▶ Tab. 5.2 entnehmen.

! Merke Strategien

Nicht immer sind Bewältigungsstrategien, die Menschen mehr oder weniger bewusst ergreifen, auch hilfreich. Pflegende sollten herausfinden, welche Bewältigungsstrategie der Patient verfolgt, und ihn bei der Suche nach weiteren hilfreichen Strategien unterstützen. Dazu kann auch therapeutische bzw. seelsorgerische Unterstützung angeboten werden.

5.5.6 Rehabilitation Rehabilitation umfasst alle Maßnahmen, die eine soziale Integration von benachteiligten Personen in den Alltag, den Beruf und die Gesellschaft ermöglichen. Dies beinhaltet, die Personen zu befähigen, ihr Leben mit ihrer Umwelt abzustimmen, auch indem die unmittelbare Umwelt den Bedürfnissen der Person angepasst wird.

Einrichtungen Rehabilitation ist in allen Bereichen der Gesundheitsversorgung möglich. Bei einigen Erkrankungen (z. B. Schlaganfall) ist ein frühzeitiger Beginn besonders bedeutungsvoll. Für die langfristige Verbesserung und Anpassung haben sich besondere Einrichtungen auf bestimmte Krankheiten und deren Folgen spezialisiert. Die Rehabilitation wird dabei an verschiedenen Orten erbracht: ● stationäre Rehabilitation: direkt nach einem Aufenthalt in einer Akutklinik (z. B. nach Herzinfarkt) oder als allgemeines Heilverfahren (bei Erkrankungen ohne akutes Ereignis, z. B. bei chronischen Rückenschmerzen) ● teilstationäre/ambulante Rehabilitation: Patient kommt für 4–6 Stunden in die Klinik (auch im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung). ● mobile Rehabilitation: findet bei dem Betroffenen zu Hause statt (selten)

Rehabilitationsbehandlung Viele Rehabilitationseinrichtungen haben sich auf bestimmte Krankheiten spezialisiert (z. B.: neurologische, psychosomatische, geriatrische Erkrankungen). Für die unterschiedlichen Erkrankungen liegen ausgearbeitete Rehabilitationskonzepte vor, ein Beispiel zeigt ▶ Abb. 5.3.

Ziele und Zielgruppen ● ● ●

Wiedereingliederung in die Gesellschaft Selbstständigkeit und Selbstbestimmung (wieder-)erlangen Menschen mit Behinderung, chronisch Kranke, Menschen nach Arbeitsunfällen, Menschen mit Entwicklungsstörungen

Tab. 5.2 Rehabilitationsformen und Maßnahmen. Rehabilitationsform

Maßnahmen der Rehabilitation

medizinische Rehabilitation

● ● ● ●

● ●

beruflich-schulische Rehabilitation Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben



● ● ●

soziale Rehabilitation Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft

● ●



sonstige, unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen zur Teilhabe

● ●

konkrete Beispiele

ärztliche Behandlung pflegerische Rehabilitation Verordnung von Hilfsmitteln Anwendung von Heilmitteln



Hilfen zur Erhaltung oder Anpassung des Arbeitsplatzes berufliche Weiterbildung



heilpädagogische Förderung Hilfe zur Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben Hilfe zur Verständigung mit der Umwelt



finanzielle Absicherung Rehabilitationssport



● ● ●









Medikamente Selbsthilfetraining Physio-/Ergotherapie Gehhilfen technische Umgestaltung des Arbeitsplatzes Umschulung Sprachförderung barrierefreie Zugänge zu Behörden, Bahngleisen, Restaurants Reduktion der Rundfunkgebühren Krankengeld Teilnahme an einer Herzsportgruppe

l 5

Der Mensch Abb. 5.3 Neurologisches Rehabilitationsphasenmodell.

KOMPAK T Akutereignis z. B. Schlaganfall

Der Mensch ●

Phase A medizinische Akutbehandlung • schnelle Diagnostik • schneller Therapiebeginn • evtl. rehabilitierende Maßnahmen ●

Patient ist stabil Phase B Frührehabilitation • Bewusstsein fördern • auf aktive Mitarbeit hinarbeiten

Patient kann aktiv mitarbeiten Phase C weiterführende Rehabilitation • Physio-, Ergotherapie oder Logopädie Patient ist weitestgehend selbstständig

Phase D Anschlussbehandlung • hohe Alltagsbewältigungskompetenz fördern • Erhöhen der Leistungsfähigkeit • weitergehende Krankheitsbewältigungshilfe

Patient bewältigt seinen Alltag weitestgehend selbstständig

Patient kann seinen Alltag nicht mehr weitestgehend selbstständig gestalten

Phase E ambulante Nachsorge und berufliche Wiedereingliederung

Phase F zustandserhaltende (aktivierende) Dauerpflege

• Belastungsgrenzen erproben • evtl. dauerhaft ambulante Nachsorge, z. B. Therapie, Hilfsmittel

• Pflegebedürftigkeit • Funktionsstatus so lange wie möglich erhalten

Dieses Modell ist ein Beispiel eines der Behandlungskonzepte, die für unterschiedliche Erkrankungen vorliegen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

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Der Mensch ist ein komplexes Wesen, das aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden kann. Nur durch die ganzheitliche Betrachtung können alle Bedürfnisse des Menschen erfasst werden. Sie ist die Grundlage umfassender Pflege. Die Entwicklungspsychologie untersucht, wie sich die psychischen und kognitiven Funktionen (Denken, Erleben, Verhalten) im Verlauf des Lebens entwickeln. Dabei werden 5 grundlegende Ansätze bzw. Theorien unterschieden: – die psychosexuelle Entwicklung nach Freud, wonach der Mensch im Konflikt zwischen den Trieben und dem gesellschaftlich erwarteten Verhalten steht – die psychosoziale Entwicklung nach Erikson, bei der Menschen im Konflikt zwischen 2 Gefühlen stehen – die verhaltenspsychologischen und lerntheoretischen Ansätze nach Watson, Skinner und Bandura, bei denen es um das Erlernen von Verhaltensweisen geht – die kognitive Entwicklungstheorie nach Piaget, die beschreibt, wie Kinder sich die Welt erklärbar machen – die verschiedenen Entwicklungsaufgaben nach Havighurst, die in jeder Lebensphase an ein Individuum gestellt werden Die Persönlichkeitspsychologie beschäftigt sich mit den zeitlich stabilen Merkmalen des Menschen im Verhalten und Erleben. Mit den Big Five lässt sich eine Persönlichkeit beschreiben. Die menschlichen Bedürfnisse lassen sich nach Maslow in Form einer Pyramide hierarchisieren. Neben den Bedürfnissen wird das menschliche Handeln auch durch Motive und Emotionen beeinflusst. Der Mensch befindet sich im Laufe seines Lebens immer in einem sog. Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit. Gesundheitsförderung und Prävention zielen auf den Erhalt bzw. die Verbesserung von Gesundheit. Der Gesundheitszustand ist abhängig vom eigene Gesundheitsverhalten, von der Umwelt und der Gesellschaft. Jeder Mensch nutzt andere (bewusste und unbewusste) Bewältigungsstrategien, um mit seiner Krankheit oder belastenden Situationen umzugehen. Pflegende unterstützen den Patienten bei der Suche nach hilfreichen Strategien.

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Grundlagen und Anwendung professioneller Kommunikation

Kommunikationsstörungen z.B. Ich-Botschaften Übereinstimmung = kongruent

keine Übereinstimmung = inkongruent

Feedback-Regeln Akzeptanz

verbale Botschaft

Gesprächsführungstechniken

nonverbale Botschaft

Kongruenz (Echtheit)

personenzentrierter Ansatz nach Rogers innere Haltung

Sachinhalt z.B. „Man kann nicht nicht kommunizieren.“

Selbstoffenbarung Beziehung

Appell

aktives Zuhören

Empathie

kognitiv 5 Grundregeln

4-Seiten-Modell

Paul Watzlawick

Schulz von Thun Kommunikation

emotional

Beziehungs- und Kommunikationsgestaltung

Grundlagen

6.1 Grundlagen Wann immer Menschen zusammen sind, kommunizieren sie miteinander. Es ist ein Grundbedürfnis, sich anderen mitzuteilen, dadurch stellen wir eine Beziehung zu anderen Menschen her.

6.1.1 Verbale Kommunikation ●





erfolgt über die gesprochene Sprache oder das geschriebene Wort Gesagtes wird durch paraverbale Ausdrucksformen unterstützt, wie z. B. Wortwahl, Stimmlage, Sprechtempo, Lautstärke, Tonfall, Sprache und Formulierung. Verbaler und paraverbaler Ausdruck werden abhängig von der Gesprächssituation und der Beziehung der Gesprächspartner verwendet (z. B. Kommunikation mit Vorgesetzten versus Patient).

6.1.2 Nonverbale Kommunikation ● ●











meist unbewusst über die Körpersprache unterstreicht die emotionale Bedeutung des Gesagten und weist auf das Befinden hin Körpersprache ist jedoch nicht immer eindeutig, z. B. aufgrund von kulturellen Unterschieden, Wahrnehmungsund Beurteilungsfehlern (siehe Kap. 13 und Kap. 47) Pflegekräfte sollten bewusst auf die nonverbale Kommunikation der Patienten achten, um Emotionen und Bedürfnisse zu erkennen und darauf eingehen zu können. Zu den nonverbalen Ausdrucksformen gehören: Mimik, Blickkontakt, Gestik, Körperhaltung, äußeres Erscheinungsbild, räumlicher Abstand zueinander, Körperkontakt. kongruente Nachricht = Verbale und nonverbale Botschaften drücken dasselbe aus. inkongruente Nachricht = Verbale Aussagen und nonverbale Botschaft stimmen nicht überein, es können Kommunikationsstörungen entstehen.

6.1.3 Die Axiome von Paul Watzlawick Die zwischenmenschliche Kommunikation ist sehr komplex. Um diese zu beschreiben, hat Paul Watzlawick 5 Grundsätze (Axiome) formuliert, die unsere Kommunikation bestimmen. Mit den Axiomen möchte er zeigen, wie eng Kommunikation mit Beziehungen und Emotionen zusammenhängt und wieso es zu Konflikten und Missverständnissen innerhalb der Kommunikation kommen kann. Die 5 Axiome sind:

1. Man kann nicht nicht kommunizieren (Stichworte: nonverbale Kommunikation, Körpersprache). 2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt (Stichworte: Inhalt einer Aussage und zwischenmenschliche Beziehung). 3. Kommunikation besteht immer aus Ursache und Wirkung (Stichworte: Reiz und Reaktion). 4. Menschliche Kommunikation bedient sich analoger und digitaler Modalitäten (Stichworte: analog, z. B. Mimik oder Gestik; digital: z. B. Sprache oder Schrift). 5. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär (Stichworte: symmetrisch, z. B. Kommunikation auf Augenhöhe; komplementär, z. B. hierarchische Kommunikation zwischen Arzt und Patient). Kommt es zu Missverständnissen innerhalb der Kommunikation, ist es hilfreich, sich der 5 Axiome bewusst zu sein und durch eine offene, vorwurfsfreie Kommunikation den Konflikt zu lösen.

6.1.4 Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun An einer Kommunikation sind ein Sender und ein Empfänger beteiligt. Der Sender verschickt immer Botschaften, die gleichzeitig beim Empfänger auf 4 Ebenen ankommen und interpretiert werden müssen (▶ Abb. 6.1). Dies läuft meist unbewusst ab, kann jedoch auch trainiert werden. Hört der Empfänger mit dem Ohr, das der Sender gemeint hat, gelingt Kommunikation. Wenn Sender und Empfänger unterschiedliche Seiten einer Nachricht als Kernaussage gewichten, kann es zu einer Kommunikationsstörung kommen. Durch gegenseitiges Rückfragen und Feedback können Unklarheiten und Missverständnisse beseitigt werden. Dazu haben sich folgende Feedback-Regeln bewährt: ● gegenseitig Respekt und Achtung zeigen ● Kritik am Verhalten und nicht an der Person äußern ● Ich-Botschaften senden, seine Gefühle mitteilen ● über die konkrete Situation sprechen und Verallgemeinerungen vermeiden ● Wünsche an den Gesprächspartner formulieren

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Professionelle Kommunikation Abb. 6.1 Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun. Sachinhalt Wie sind die Informationen zu verstehen?

Worüber ich informieren will.

Beziehung Was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe.

Was hält der andere von mir? Wie redet er mit mir?

Selbstoffenbarung

Sender

Was ich von mir zu erkennen gebe.

Was sagt er über sich? Was ist das für einer?

Empfänger

Appell Was ich bei dir erreichen möchte.

Was soll ich tun, denken, fühlen aufgrund seiner Mitteilung?

Jede Nachricht hat 4 Seiten – jeder Empfänger hat 4 Ohren.

6.2 Professionelle Beziehungsund Kommunikationsgestaltung 6.2.1 Innere Haltung und Beziehungsgestaltung Unter der inneren Haltung können die Sicht von Pflegekräften auf ihre Patienten sowie das Maß, in dem sich eine Pflegefachkraft auf den Patienten einlassen kann, verstanden werden. Sie hat einen großen Einfluss auf die Beziehungsgestaltung, das Kommunikationsverhalten und die Gestaltung der Pflege.

Personenzentrierter Ansatz nach Rogers Rogers ging davon aus, dass jeder Mensch die Fähigkeit hat, sich zu verändern, in seiner Persönlichkeit zu wachsen und seine Probleme selbst zu lösen. Der Berater unterstützt den Patienten darin, seine Fähigkeiten und Ressourcen zu entdecken (Hilfe zur Selbsthilfe). Grundlage dafür ist eine vertrauensvolle Beziehung, die durch 3 Grundhaltungen des Beraters aufgebaut werden kann: ● Empathie (sich in den Gesprächspartner hineinversetzen) ● bedingungsfreie Akzeptanz (den Gesprächspartner so sein lassen, wie er ist) ● Kongruenz (in der Situation authentisch sein)

6.2.2 Aktives Zuhören Das aktive Zuhören zielt darauf ab, dass sich ein hilfe- oder ratsuchender Mensch verstanden und angenommen fühlt. Es baut dabei auf den 3 Grundhaltungen nach Rogers auf. Weitere Merkmale des aktiven Zuhörens sind: ● zugewandte und offene Körperhaltung ● wertschätzende, nicht wertende Art

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● ● ●

eigene Meinung, Ratschläge und Urteile zurückhalten Patientenperspektive einnehmen 4-Ohren-Modell anwenden

Techniken der Gesprächsführung offene Fragen stellen und nachfragen ● Aufmerksamkeit und Verständnis signalisieren ● Schweigen aushalten und nutzen ● auf inkongruentes Verhalten aufmerksam machen ● zusammenfassen, paraphrasieren, verbalisieren, Unklares klären ●

6.2.3 Empathie und Mitgefühl Definition Empathie Empathie ist die Fähigkeit, sich in Gedanken, Gefühle und Sichtweisen anderer Menschen hineinzuversetzen. Empathie kann weiter unterteilt werden in ● kognitive Empathie = erlernbare Fähigkeit, eine andere Perspektive vorübergehend einzunehmen, aber ohne das Leid zu nah an sich heranzulassen, und ● emotionale Empathie = reales Mitfühlen von Schmerzen und Leiden anderer Menschen, das mit körperlichen Reaktionen einhergeht. Mitgefühlstraining • Im Gegensatz zur emotionalen Empathie ist Mitgefühl ein positives Gefühl der Fürsorge. Es kann trainiert werden (z. B. in Workshops). Dabei wird das emotionale Mitempfinden umgewandelt in helfendes Verhalten. Zudem stärkt es die emotionale Widerstandsfähigkeit.

Beziehungs- und Kommunikationsgestaltung Abb. 6.2 Gesprächsfalter nach Sandra Mantz.

KOMPAK T Bewusstsein

Wechselwirkung

innere Haltung

Menschenbild

Worte

Selbstwert Verantwortung Ja/Nein

sprachlicher Ausdruck Wortschatz

● ●

Körpersprache Gedanken

Nähe/Distanz

Sprachtempo Sprachstruktur Sprachmelodie

Lösung/Problem innere Bilder Vertrauen/Misstrauen Liebe/Angst

Grundlagen und Anwendung professioneller Kommunikation

bewusste Gedanken und Worte

Eindeutigkeit Empathie

Gefühle





Kompetenz

Impuls

Impulskraft



Unterbewusstsein ●

Gesprächskompetenz kann erworben werden. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

6.2.4 Entwicklung der Gesprächskompetenz Die Aspekte des Gesprächsfalters helfen, die eigene Gesprächskompetenz zu reflektieren und zu trainieren (▶ Abb. 6.2). Der linke Flügel steht für eine professionelle innere Gesprächshaltung. Der rechte Flügel beinhaltet einen kompetenten sprachlichen Ausdruck. Optimal ist es, wenn man immer beide Flügel im Blick hat. Innere Haltung und sprachlicher Ausdruck wirken aufeinander ein (Wechselwirkung) und stärken oder schwächen die Gesprächspartner und die Situation (Impulskraft). Pflegende haben täglich unzählige Gesprächssituationen mit unterschiedlichen Gesprächspartnern (Kollegen, Patienten, Angehörigen, Ärzten etc.). Jedes Gespräch erfordert dabei Flexibilität, eine hohe Auffassungsgabe und die stete Bereitschaft, sich auf die Situation einzulassen.

Paul Watzlawick: 5 Axiome Verbale und paraverbale Kommunikation ist abhängig von der Gesprächssituation: Spricht man mit einem Vorgesetzten? Mit einem Patienten? Oder einem Kind? Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun: Jede Nachricht hat 4 Seiten – jeder Empfänger hat 4 Ohren. Kommunikationsstörungen entstehen (u. a.), wenn – verbale Aussagen und nonverbale Botschaften nicht übereinstimmen, – der Sender und der Empfänger unterschiedliche Seiten einer Nachricht als Kernaussage gewichten. Durch Rückfragen und Feedback können Missverständnissen und Unklarheiten beseitigt und kann ihnen vorgebeugt werden: Feedback-Regeln beachten! Der personenzentrierte Ansatz nach Rogers, aktives Zuhören, Empathie und Mitgefühl spielen eine zentrale Rolle in der Gestaltung von Pflegebeziehungen.

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Mit Menschen zusammenarbeiten – miteinander umgehen

Interrollenkonflikt

Groupthink

Intrarollenkonflikt

Rollenkonflikte

Bündelung von Fähigkeiten

Gruppenphänomene, z.B.

z.B. Freundeskreis

interdisziplinäre Zusammenarbeit

informelle Gruppen z.B. Schulklasse

formelle Gruppen

Teamentwicklung

Mutter Patient

soziale Rollen, z.B.

1. Forming

soziale Gruppen und Teams

2. Storming

Pflegekraft

3. Norming 4. Performing

Pflegeprozess

Unternehmenskultur im Gesundheitswesen

Leitbild

Aufbau einer Pflegebeziehung

professionelle Beziehungsgestaltung

Umgangskultur unter Pflegenden Erstkontakt gestalten

Transparenz

Diskretion

Verlässlichkeit

Soziale Gruppen und Teams

7.1 Soziale Rollen ●









Jeder Mensch nimmt in seinem Leben unterschiedliche Rollen ein (z. B. Rolle als Mutter, Schwester, Patient, Pflegefachkraft). An eine Rolle werden explizite (bewusste) und implizite (unbewusste) Erwartungen gestellt. Von einer Pflegefachkraft werden fachliche Expertise und soziale Kompetenz erwartet. Von einem Patienten wird erwartet, dass er die angebotene Hilfe annimmt und den Empfehlungen der pflegerischen und medizinischen Fachkräfte folgt. Vorübergehend kann eine Rolle in den Vordergrund treten und eine andere in den Hintergrund.

! Merke Genesungsprozess

Machen Sie sich im Umgang mit Patienten immer bewusst, dass diese auch andere Rollen einnehmen (z. B. die Patientin, die zu Hause ihre kleine Tochter hat), da das Nicht-erfüllen-Können einer Rolle den Genesungsprozess beeinflussen kann. Rollenkonflikte: ● Interrollenkonflikt = konkurrierende Erwartungen an eine Person in unterschiedlichen Rollen, z. B.: Freunde wollen sich abends treffen und man hat Spätschicht. Um Interrollenkonflikten im Pflegealltag vorzubeugen, sollte reflektiert mit persönlichen Gefühlen, Stimmungen und Einstellungen umgegangen werden. ● Intrarollenkonflikt = konkurrierende Erwartungen an eine Person in derselben Rolle (oft gleichzeitig), z. B.: Ein Patient muss auf Toilette, gleichzeitig benötigt der Arzt Informationen und Angehörige wünschen eine Beratung.

7.2 Soziale Gruppen und Teams 7.2.1 Soziale Gruppen Eine soziale Gruppe besteht aus mindestens 3 Personen, die gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiten und/oder die gleichen Interessen haben. Dazu interagieren sie über einen längeren Zeitraum miteinander, wodurch sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Es werden 2 Arten von Gruppen unterschieden: ● formelle Gruppen: Ziele, Normen und Rollen sind offiziell festgesetzt. Die Treffen werden i. d. R. fest organisiert und planmäßig geleitet (z. B. Schulklasse). ● informelle Gruppen: entwickeln sich spontan, Normen und Rollen sind nicht offiziell festgesetzt (z. B. Freundeskreis). Gruppenphänomene: Ressourcen und Fähigkeiten können gebündelt werden, verschiedene Perspektiven können hilfreich sein, um ein Problem zu lösen. ● Die Arbeitsfähigkeit und die Motivation können abnehmen, keiner fühlt sich verantwortlich. ● Konformitätsdruck = Gemeinsam entwickelte Verhaltensregeln werden durchgesetzt. ● Groupthink = Gruppenmitglieder denken, dass ihre Meinung die richtige ist, und lassen keine Kritik von außen zu. ●

7.2.2 Von der Gruppe zum Team Definition Team Ein Team ist eine soziale Gruppe mit einem besonders starken Gruppenzusammenhalt, die sich für ihre Leistungen gemeinsam verantwortlich fühlt und in der die Mitglieder in hohem Maß miteinander interagieren.

Voraussetzungen für eine gute Teamentwicklung ●

● ● ●



Die Mitglieder sind diszipliniert, zielorientiert, gesprächsbereit, kritikfähig, verantwortungsbewusst und vertrauen einander. Alle kommunizieren miteinander. Leistungen werden anerkannt und wertgeschätzt. Die Mitglieder sind bereit, voneinander zu lernen und Wissen weiterzugeben. Jeder hat ein Interesse daran, dass sich alle wohlfühlen.

Phasen der Teamentwicklung 1. Forming (Orientierung): sich als Team zusammenfinden oder sich neu in ein Team einfinden. 2. Storming (Kampf- oder Konflikt): Suche nach der Position im Team und einer gemeinsamen Identität. Personen gehen sehr unterschiedlich damit um: Manche lehnen sich auf, andere ziehen sich eher zurück. Die Phase kostet oft Kraft und Mut. Hier sind die Führungskompetenzen des Teamleiters gefragt. 3. Norming (Stabilisierung): Das Team hat sich gefunden. Gemeinsame Normen werden festgelegt. Die Teammitglieder öffnen sich füreinander und unterstützen sich durch Feedback. 4. Performing (Produktion): Das Team bündelt seine Ressourcen und kann leistungsstark auf das Ziel hinarbeiten.

Kritik, Konflikte und Krisen im Team Viele nicht ausgesprochene Kritikpunkte können sich unbemerkt zu einem Konflikt bis hin zur Krise entwickeln, daher sollten diese frühzeitig angesprochen und bearbeitet werden. Kritik ● Zur Kritikfähigkeit gehören das Annehmen und das Üben von Kritik. ● Ziele von Kritik: Fehler minimieren, Qualität steigern, sich fachlich weiterentwickeln ● Übt man Kritik, sollte dies möglichst zeitnah, persönlich, unter 4 Augen und sachlich geschehen. Konflikte Ein Konflikt entsteht, wenn entgegengesetzte Interessen, Zielsetzungen oder Wertvorstellungen von Personen oder Gruppen aufeinandertreffen. ● Konfliktpotenzial haben z. B. der Dienstplan, unkoordinierte Tagesabläufe im interdisziplinären Team. ● Konfliktprävention: freundlicher und wohlwollender Grundton, Wertschätzung und Toleranz im Umgang ● Tipps, um Konflikte zu meistern: Konflikt offen ansprechen, sachlich bleiben, nicht persönlich werden, Erlebnisse selbstkritisch reflektieren ●

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Mit Menschen zusammenarbeiten Krise ● Versteckte oder angesammelte Konflikte können eskalieren und zu einer Krise führen. ● Tipps, um eine Krise zu bewältigen: jeden Konflikt einzeln bearbeiten, Hilfe von außerhalb holen (z. B. Supervision, Mediation) ● Teams, die zusammen Krisen gemeistert haben, bringt so schnell nichts mehr auseinander.

7.2.3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit Definition Interdisziplinarität Menschen unterschiedlicher Fachgruppen verbinden ihre jeweilige Fachkompetenz miteinander, um neue Lösungsmöglichkeiten für komplexe Aufgaben zu entwickeln. Ziele interdisziplinärer Zusammenarbeit: ● Kompetenzen, Wissen und Perspektiven zum Wohle des Patienten fächerübergreifend bündeln ● wirtschaftliche Situation des Unternehmens sichern Voraussetzungen dafür sind: gemeinsame Fachsprache ● Wertschätzung und Anerkennung unterschiedlicher Kernkompetenzen ● Kooperationsbereitschaft ● Kommunikationskompetenz ● strukturelle Voraussetzungen (z. B. Fallbesprechungen) ●

7.3 Aufbau einer Pflegebeziehung 7.3.1 Pflegebeziehung und Pflegeprozess Die Beziehung zum Patienten ist die Basis pflegerischen Arbeitens. Nur wenn eine vertrauensvolle Beziehung besteht, sind die Patienten bereit, Informationen über sich preiszugeben, die die Grundlage für den Pflegeprozess bilden (siehe Kap. 10.2). Auch für die Evaluation der Maßnahmen ist ein ehrliches Feedback des Patienten notwendig. Zudem stärkt eine gute Beziehung die Aufnahmebereitschaft des Patienten für Informationen von der Pflegefachkraft.

7.3.2 Professionelle Beziehungsgestaltung Die Hauptverantwortung für die Beziehungsgestaltung liegt bei der Pflegefachkraft. Diese Verantwortung ergibt sich aus ihrem Berufsbild und aus dem bestehenden Wissensunterschied. Erstkontakt gestalten: ● mit Namen und Funktion vorstellen ● mit Räumlichkeiten vertraut machen

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● ●

nicht überfordern, relevante Informationen langsam und verständlich äußern Zeit für Rückfragen einplanen auf Unsicherheit und Ängste eingehen

Weitere vertrauensbildende Maßnahmen: Transparenz: Abläufe erläutern, Sinn und Zweck von Interventionen verdeutlichen ● Verlässlichkeit: Absprachen und zeitliche Vorgaben einhalten, über Verzögerungen informieren ● Diskretion: ist ein absolutes Muss (siehe Kap. 12.3.3 „Schweigepflicht“) ●

7.4 Unternehmenskultur im Gesundheitswesen Basis einer Unternehmenskultur sind die Grundüberzeugungen und Werte, formuliert in Leitbildern. Sie beeinflussen einerseits das Ansehen in der Öffentlichkeit, andererseits das Wohlbefinden und die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen. Umgangskultur unter Pflegenden Trotz vorhandener Kommunikations- und Gesprächsführungskompetenz ist der Umgangston im Berufsalltag manchmal rau und unfreundlich. Dies liegt nicht zuletzt an den Arbeitsbedingungen und der Verdichtung der Pflegeleistungen, aber auch daran, dass in Notfallsituationen keine Zeit für höfliche „Floskeln“ ist. Dennoch sollten dies Ausnahmesituationen bleiben. Alle Mitarbeiter sollten sich aktiv für einen angemessenen Umgang engagieren. Der Schlüssel ist die Selbstreflexion, durch die man sich die eigenen Gedanken, Sprachmuster und das tägliche Tun bewusst machen kann.

KOMPAK T Mit Menschen zusammenarbeiten ●











Jeder Mensch nimmt unterschiedliche Rollen ein. An diese Rollen werden explizite und implizite Erwartungen gestellt. Um Rollenkonflikten vorzubeugen bzw. zu begegnen, hilft es, sich seine eigene Rolle wie auch die des Gegenübers bewusst zu machen. Gruppenphänomene können positiv sein (z. B. Fähigkeiten werden gebündelt, um Probleme zu lösen), aber auch Nachteile mit sich bringen (z. B. fühlt sich niemand verantwortlich). Die Entwicklung von einer Gruppe zu einem Team findet in 4 Phasen statt. Unausgesprochene Kritikpunkte können zu Konflikten bis hin zu Krisen führen, daher ist Kritikfähigkeit eine zentrale Kompetenz. Um eine professionelle Pflegebeziehung aufzubauen, muss Vertrauen geschaffen werden: Seien Sie transparent, verlässlich und diskret.

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Mit Menschen zusammenarbeiten Krise ● Versteckte oder angesammelte Konflikte können eskalieren und zu einer Krise führen. ● Tipps, um eine Krise zu bewältigen: jeden Konflikt einzeln bearbeiten, Hilfe von außerhalb holen (z. B. Supervision, Mediation) ● Teams, die zusammen Krisen gemeistert haben, bringt so schnell nichts mehr auseinander.

7.2.3 Interdisziplinäre Zusammenarbeit Definition Interdisziplinarität Menschen unterschiedlicher Fachgruppen verbinden ihre jeweilige Fachkompetenz miteinander, um neue Lösungsmöglichkeiten für komplexe Aufgaben zu entwickeln. Ziele interdisziplinärer Zusammenarbeit: ● Kompetenzen, Wissen und Perspektiven zum Wohle des Patienten fächerübergreifend bündeln ● wirtschaftliche Situation des Unternehmens sichern Voraussetzungen dafür sind: gemeinsame Fachsprache ● Wertschätzung und Anerkennung unterschiedlicher Kernkompetenzen ● Kooperationsbereitschaft ● Kommunikationskompetenz ● strukturelle Voraussetzungen (z. B. Fallbesprechungen) ●

7.3 Aufbau einer Pflegebeziehung 7.3.1 Pflegebeziehung und Pflegeprozess Die Beziehung zum Patienten ist die Basis pflegerischen Arbeitens. Nur wenn eine vertrauensvolle Beziehung besteht, sind die Patienten bereit, Informationen über sich preiszugeben, die die Grundlage für den Pflegeprozess bilden (siehe Kap. 10.2). Auch für die Evaluation der Maßnahmen ist ein ehrliches Feedback des Patienten notwendig. Zudem stärkt eine gute Beziehung die Aufnahmebereitschaft des Patienten für Informationen von der Pflegefachkraft.

7.3.2 Professionelle Beziehungsgestaltung Die Hauptverantwortung für die Beziehungsgestaltung liegt bei der Pflegefachkraft. Diese Verantwortung ergibt sich aus ihrem Berufsbild und aus dem bestehenden Wissensunterschied. Erstkontakt gestalten: ● mit Namen und Funktion vorstellen ● mit Räumlichkeiten vertraut machen

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● ●

nicht überfordern, relevante Informationen langsam und verständlich äußern Zeit für Rückfragen einplanen auf Unsicherheit und Ängste eingehen

Weitere vertrauensbildende Maßnahmen: Transparenz: Abläufe erläutern, Sinn und Zweck von Interventionen verdeutlichen ● Verlässlichkeit: Absprachen und zeitliche Vorgaben einhalten, über Verzögerungen informieren ● Diskretion: ist ein absolutes Muss (siehe Kap. 12.3.3 „Schweigepflicht“) ●

7.4 Unternehmenskultur im Gesundheitswesen Basis einer Unternehmenskultur sind die Grundüberzeugungen und Werte, formuliert in Leitbildern. Sie beeinflussen einerseits das Ansehen in der Öffentlichkeit, andererseits das Wohlbefinden und die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen. Umgangskultur unter Pflegenden Trotz vorhandener Kommunikations- und Gesprächsführungskompetenz ist der Umgangston im Berufsalltag manchmal rau und unfreundlich. Dies liegt nicht zuletzt an den Arbeitsbedingungen und der Verdichtung der Pflegeleistungen, aber auch daran, dass in Notfallsituationen keine Zeit für höfliche „Floskeln“ ist. Dennoch sollten dies Ausnahmesituationen bleiben. Alle Mitarbeiter sollten sich aktiv für einen angemessenen Umgang engagieren. Der Schlüssel ist die Selbstreflexion, durch die man sich die eigenen Gedanken, Sprachmuster und das tägliche Tun bewusst machen kann.

KOMPAK T Mit Menschen zusammenarbeiten ●











Jeder Mensch nimmt unterschiedliche Rollen ein. An diese Rollen werden explizite und implizite Erwartungen gestellt. Um Rollenkonflikten vorzubeugen bzw. zu begegnen, hilft es, sich seine eigene Rolle wie auch die des Gegenübers bewusst zu machen. Gruppenphänomene können positiv sein (z. B. Fähigkeiten werden gebündelt, um Probleme zu lösen), aber auch Nachteile mit sich bringen (z. B. fühlt sich niemand verantwortlich). Die Entwicklung von einer Gruppe zu einem Team findet in 4 Phasen statt. Unausgesprochene Kritikpunkte können zu Konflikten bis hin zu Krisen führen, daher ist Kritikfähigkeit eine zentrale Kompetenz. Um eine professionelle Pflegebeziehung aufzubauen, muss Vertrauen geschaffen werden: Seien Sie transparent, verlässlich und diskret.

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Selbstfürsorge und Stressmanagement

Schädigung

stressend

Herausforderung erhöhte Aufmerksamkeit und Leistungsfähigkeit

irrelevant

primäre Bewertung, z.B.

z.B. Tinnitus

tendenziell positiv

sekundäre Bewertung, z.B.

rückenschonende Arbeitsweise Personalschlüssel

Weiterbildung Hilfsmittel

langfristig

kurzfristig Stressentstehung

macht krank

Stressreaktion

körperliche Belastung Stress am Arbeitsplatz

Stress

Prävention, z.B.

Belastung durch Schichtarbeit Grundregeln, Schlafhygiene psychische Belastung

Strategien zur Stressbewältigung unangenehme Gefühle Ressourcen stärken

Selbstvertrauen stärken

Wissen

soziale Kontakte

Einstellungen ändern

Dienstplangestaltung

Work-LifeBalance

Zeitmanagement

Freizeit gestalten

Entspannungsmethoden

psychische Überbelastung

Gewalt

Supervision

Burn-out-Syndrom

Stress am Arbeitsplatz

8.1 Was ist Stress?

8.2 Stress am Arbeitsplatz

Definition Stress und Stressoren

Pflegende beschreiben ihre Arbeit als sinnstiftend, interessant und abwechslungsreich. Daneben zeichnet sich der Pflegeberuf aber auch durch hohe körperliche (z. B. schweres Heben und Tragen) und seelische/emotionale Belastungen aus (z. B. hohe Verantwortung, Zeit- und Leistungsdruck, Konfrontation mit Sterben und Tod). Dazu kommt die schwierige Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf. Eine Studie der AOK (2011) zeigt, dass Beschäftigte in der Pflege krankheitsbedingt überdurchschnittlich viel ausfallen, vor allem Langzeiterkrankungen spielen eine große Rolle. Im Folgenden werden pflegetypische Belastungen betrachtet und mögliche Bewältigungsstrategien vorgestellt.

Stress ist eine unspezifische Reaktion des Körpers auf jede an ihn gestellte Anforderung durch Stressoren. Dies können körperliche und seelische Anspannungen und Belastungen sein. Stressoren sind Umweltreize, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Stress auslösen.

8.1.1 Stressentstehung Ob ein Stressor bei einem Menschen Stress auslöst, ist davon abhängig, wie die Person den Stressor wahrnimmt, interpretiert und bewertet. Auch die genetische Veranlagung, Prägung und die individuellen Ressourcen spielen eine Rolle. Stress entsteht, wenn zu wenig wahrgenommene Ressourcen zur Verfügung stehen, um mit dem Stressor umzugehen. Ein Stressor wird unbewusst beurteilt: ● primäre Bewertung: Ist der Stressor für mein Wohlbefinden irrelevant, positiv/günstig oder negativ? ● sekundäre Bewertung: Stellt der Stressor im Hinblick auf meine Ressourcen eine Bedrohung dar, handelt es sich um eine Schädigung/einen Verlust oder um eine Chance?

8.1.2 Stressreaktion Je höher die Bedeutung des Ereignisses und je geringer die Bewertung der Bewältigungsfähigkeiten, desto höher ist das Stressniveau und damit die körperlichen Symptome, z. B. Ausschüttung der Stresshormone, hohe Muskelspannung, Herzrasen, Schwitzen. Diese kurzfristige Stressreaktion ist evolutionär bedingt (Flucht oder Angriff) und wichtig, um Leistungsfähigkeit zu steigern, Aufmerksamkeit zu fokussieren und neue Herausforderungen anzunehmen. Gesundheitsgefährdend wird es i. d. R. erst, wenn Erholungsphasen ausbleiben und Stress zum Normalzustand wird (= langfristige Stressreaktion). Der erhöhte Stresshormonspiegel wirkt sich negativ auf Körper und Psyche aus. Typische Symptome sind z. B. Rückenschmerzen, Magenbeschwerden, Gereiztheit, Depressionen und gesundheitsschädigendes Verhalten (Rauchen, Alkohol, Medikamente).

8.2.1 Körperliche Belastung Die Folgen von körperlicher Fehlbelastung führen sehr häufig zur Arbeitsunfähigkeit von Pflegenden. Dazu zählen Erkrankungen der Gelenke, des Bindegewebes, der Wirbelsäule, des Rückens, des Weichteilgewebes sowie der Knochen und Knorpel. Besonders häufig ist die Lendenwirbelsäule betroffen. Wirbelsäulenbelastende Pflegetätigkeiten: ● direkte, patientenbezogene Tätigkeiten, z. B. Mobilisation ● patientenunabhängige Tätigkeiten, z. B. Ein- und Ausräumen von Materialien auf der Station ● zusätzliche belastende Faktoren, z. B. Körperhaltungen/ Zwangshaltungen während der Tätigkeiten, Gewicht des Patienten/Gegenstandes Zur Prävention gegen Rückenbeschwerden gibt es verschiedene Ansatzpunkte (▶ Tab. 8.1).

8.2.2 Belastung durch Schichtarbeit Die innere Uhr des Menschen Die innere Uhr des Menschen folgt einem ca. 24-stündigen Schlaf-Wach-Rhythmus, der vor allem durch den Hell-Dunkel-Wechsel beeinflusst wird (zirkadianer Rhythmus). ● Durch den Schlaf-Wach-Rhythmus werden alle biologischen Rhythmen (z. B. Stoffwechsel, Herz-Kreislauf-Funktion) gesteuert. ● Den eigenen Rhythmus einzuhalten ist wichtig für die Regeneration und Gesundheit des Menschen.

Tab. 8.1 Faktoren und Handlungsfelder für Präventionsmaßnahmen. Faktoren/Ansätze

Handlungsfelder

technisch-bauliche Faktoren (Arbeitsumgebung)

● ●

organisatorische Faktoren (Arbeitsbedingungen)

● ● ●

personen-/verhaltensbezogene Faktoren

● ● ● ●

bauliche Gegebenheiten Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln Arbeitsorganisation, Arbeitsabläufe, Arbeitsaufgaben Personalschlüssel, Dienstplangestaltung Fort- und Weiterbildungen Trainings- und Gesundheitszustand erhalten und fördern zur Verfügung stehende Hilfsmittel nutzen rückenschonende Arbeitsweisen erlernen und konsequent anwenden sichere und gesunde Arbeitsschuhe tragen

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Selbstfürsorge und Stressmanagement ●



Nach der eigenen inneren Uhr werden 2 Zeittypen unterschieden: Frühtyp (Lerche) und Spättyp (Eule). Zu welchem Typ man gehört, kann nicht beeinflusst werden. Durch soziale Faktoren (z. B. Arbeitszeiten) kann es zu einer ständigen Störung der inneren Uhr kommen, dem sozialen Jetlag (chronisch).

Mögliche Auswirkungen von Schichtarbeit Auf Dauer kann die Störung der inneren Uhr körperliche Folgen haben, z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Probleme mit dem Magen-Darm-Trakt, Appetitlosigkeit, Unruhe, erhöhtes Unfallrisiko durch Müdigkeit und Erschöpfung, Schlafstörungen.

Grundregeln für mehr Lebensqualität im Schichtdienst ●









bewusst essen, kleine bekömmliche Zwischenmahlzeiten während der Nacht, ausreichend trinken Schlaf-Wach-Zeiten in den letzten Tagen der jeweiligen Schicht um 1–2 Stunden verschieben Schlafhygiene beachten (z. B. ca. 7–8 Stunden Schlaf, störende Geräusch- und Lichtquellen beseitigen, Schlafrituale einhalten) Wachheit durch kleine Pausen und helle Lichtverhältnisse fördern Dienstplangestaltung: vorwärtsrotierende Schichtfolge (Früh-Spät-Nacht), Ruhezeiten ermöglichen (z. B. max. 4 Nachtdienste in Folge, geblockte Wochenendzeiten, möglichst lange Ruhephasen nach Nachtschicht)

8.2.3 Psychische Belastungen Unangenehme Gefühle Der Pflegeberuf geht mit körpernahen und intimen Tätigkeiten einher. Dabei können im Umgang mit anderen Menschen unangenehme Gefühle hervorgerufen werden. Für einen professionellen Umgang mit den eigenen Gefühlen müssen diese wahrgenommen, anerkannt und benannt werden. Ekel • Ekel ist ein Gefühl der Abneigung und des Widerwillens, das Übelkeit hervorrufen kann. Er ist ein normaler Schutzreflex und wird in einer konkreten Situation über die Sinneswahrnehmung ausgelöst (häufig über den Geruch). Umgang mit Ekel (sog. Ekelmanagement): ● Ekelempfinden vor dem Patienten nicht zeigen, d. h. das Problem der emotionalen Dissonanz akzeptieren ● durch kognitives Umprogrammieren ein Ereignis bewusst neu bewerten ● sich mit Kollegen austauschen und sich gegenseitig unterstützen ● belastende Situationen nicht alleine bewältigen, sich im Team abwechseln ● Schutzkleidung tragen und Duftaromen verwenden ● sich bewusst von belastenden Situationen distanzieren Auch Patienten können sich ekeln, z. B. in der klinischen Umgebung, vor Mitpatienten oder vor dem eigenen Körper. Pflegende sollten offen mit dem Pflegeempfänger über Ekel-

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gefühle sprechen und gemeinsam nach möglichen Bewältigungsstrategien suchen. Scham • Scham ist ein Gefühl des Bloßgestelltseins oder der Befürchtung, bloßgestellt zu werden. Das Gefühl entsteht bei Verletzung der Intimsphäre oder als Schuldgefühl bei tatsächlichem oder vermeintlichem Versagen (soziale Scham). Krankheit kann Schamgefühle erzeugen, da sie oft mit einer verminderten Fähigkeit zur Selbstbestimmung (z. B. Inkontinenz) und einem eingeschränkten Leistungsvermögen (z. B. sich selbst zu waschen) einhergeht. Scham dient als Selbstschutz und Schutz der menschlichen Würde, sie fördert eine respektvolle Haltung der Menschen untereinander. Dieses Wissen ist die Basis für ein menschenwürdiges Pflegeverständnis. Umgang mit Scham: ● Grenzen klar und deutlich abstecken ● sich mit Kollegen über schambesetzte Situationen austauschen und Unterstützung einfordern ● Intimsphäre des Patienten wahren (z. B. anklopfen, Berührungen ankündigen, Sichtschutz aufstellen, Besucher aus dem Zimmer bitten) Ärger, Wut, Aggression • Ärger umschreibt eine Gruppe von Gefühlen, die verschiedene Erregungsniveaus und Intensitäten aufweisen kann: von Missmut bis hin zur Wut. Aus evolutionsbiologischer Sicht ist Ärger eine Reaktion auf eine Bedrohung und führt zu Angriff oder Flucht. Als zivilisierte Menschen fühlen wir uns im übertragenen Sinne bedroht, z. B. durch Überforderung, Ungerechtigkeit, Unverständnis oder andere Meinungen. Ärger dient als Selbstschutz, indem man für sich oder andere Menschen einsteht, und er motiviert dazu, Situationen zu verändern. Umgang mit Ärger: ● kontrolliert abreagieren (z. B. körperliche Aktivität, Gespräche, kontrolliertes Schreien) ● Bei länger anhaltendem Ärger sollte die Situation analysiert werden: Stressor identifizieren, Belastung einschätzen, Stressor verändern und/oder Einstellung und Verhalten zum Stressor ändern, Bewältigungsressourcen stärken. ● Wichtig: den Ärger nicht permanent unterdrücken, dies kann zu gesundheitlichen Störungen (physisch und psychisch) führen. Aggression • Aggression ist kein Gefühl, sondern ein Verhalten, das durch Gefühle hervorgerufen wird. Es werden 2 Formen unterschieden: ● konstruktiv (aufbauende) Aggression: – als Reaktion auf einen (verbalen) Angriff der eigenen Macht – als Fähigkeit zur Selbstbehauptung, Selbsterhaltung und Selbstschutz – als Ausdruck für ein intaktes Selbstwertgefühl ● destruktive Aggression: ein Angriffsverhalten, das (un)bewusst darauf zielt, Menschen zu schädigen. Darunter fällt auch die Autoaggression, wenn sie sich gegen sich selbst richtet.

Gewalt Gewalt ist der Einsatz physischer oder psychischer Mittel, um einer anderen Person Schaden zuzufügen, sie dem eigenen Willen zu unterwerfen oder ausgeübter Gewalt mit Gegengewalt zu begegnen.

Stressbewältigung Beispiele von Gewalt gegenüber pflege- und hilfebedürftigen Personen: ● Nichtbeachten, Entzug von Zuwendung, Vernachlässigung ● Verweigern von Toilettengängen ● Zwangsernährung ● Bevormundung ● abfällige Bemerkungen ● Freiheitsbeschränkung/-entziehung Es werden 3 Formen der Gewalt unterschieden: personelle Gewalt: Eine Person beeinträchtigt eine andere Person in ihren Grundbedürfnissen aktiv durch Misshandlung oder passiv durch Vernachlässigung. Ursachen: z. B. psychische Überforderung durch Stress, Frustration, überhöhtes Helferideal etc. ● institutionelle Gewalt: ist eine strukturbedingte und indirekte Gewalt. Rahmenbedingungen können als Gewalt empfunden werden und auch Gewaltbereitschaft fördern. Gewaltfördernde Rahmenbedingungen sind z. B. dauerhaft zu wenig Personal, mangelnde Arbeitsorganisation, keine Finanzierung von pflegeerleichternden Hilfsmitteln, vorgegebene Strukturierung des Tagesablaufs, der sich nicht an den Bedürfnissen der Patienten orientiert. ● kulturelle Gewalt: entsteht indirekt und hat ihren Ursprung in der Wertehaltung, der Religion oder Ideologie einer Gesellschaft, z. B. Einstellung gegenüber bestimmten Personengruppen einer Gesellschaft

Gefährdete Personen ● stellen sehr hohe Anforderungen an sich selbst ● haben ein ausgeprägtes Helfersyndrom (häufig im Sozialund Gesundheitsbereich) ● haben mangelnde Stressbewältigungsstrategien Unterstützungsmaßnahmen Kollegen, die Symptome zeigen, behutsam ansprechen ● dabei unterstützen, therapeutischen und ärztlichen Rat zu suchen ●



! Merke Gewalt

Keine Toleranz gegenüber Gewalt! Kollegen oder Vorgesetzte direkt ansprechen.

Burn-out Definition Burn-out-Syndrom Emotionaler, geistiger und körperlicher Erschöpfungszustand nach länger bestehender hoher Arbeitsbelastung, Stress und/oder Selbstüberforderung. Das Syndrom geht mit einem Krankheitsgefühl einher und dauert länger als 6 Monate an. Die Anzahl der Erkrankten hat in den letzten Jahren stark zugenommen, auch bei den Pflegekräften. Zu den Ursachen zählen: Zeit- und Leistungsdruck, psychisch belastende Situationen im Arbeitsalltag. Burn-out verläuft in verschiedenen Phasen, die nicht immer chronologisch ablaufen müssen. Es gibt verschiedene Modelle (mit 4 bis 12 Phasen), die die Phasen unterschiedlich differenzieren. Exemplarisch hier das 5-Phasen-Modell nach Müller und Timmermann (1994): 1. Enthusiasmus und Idealismus, z. B. Drang nach Anerkennung und übertriebener Ehrgeiz 2. Realismus und Pragmatismus, z. B. Ausblenden von Warnsignalen und Überforderung, erste (körperliche und psychische) Beschwerden 3. Stagnation und Überdruss, z. B. Rückzug, Reduktion sozialer Kontakte, zunehmende Ängstlichkeit 4. Frustration und Depression, z. B. innere Leere, Ablenkung durch Essgewohnheiten, Alkohol und Medikamente, Funktionieren wie ein Roboter 5. Apathie und Verzweiflung, z. B. Niedergeschlagenheit, Gleichgültigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Hoffnungslosigkeit, totale Erschöpfung, Suizidgedanken

Psychischen Überlastungen vorbeugen Zur Vorbeugung gegen psychische Belastungen kann die Supervision hilfreich sein. Dabei handelt es sich um eine personen- und organisationsbezogene Beratungsform: Die berufliche Rolle und das konkrete Handeln der Teilnehmer werden in Beziehung gesetzt. Ziele und Aufgaben – In einer Supervision werden ● Veränderungsprozesse gestaltet, ● Lösungen und Handlungsalternativen entwickelt, ● die Zusammenarbeit und eine wertschätzende Kommunikation im Team gefördert, ● u. a. Versorgungsqualität und Patientenorientierung verbessert und ● die Organisationsentwicklung vorangetrieben (durch Veränderung von Arbeitsstrukturen).

8.3 Stressbewältigung 8.3.1 Strategien Um mit den vielfältigen Anforderungen in Beruf und Privatleben zurechtzukommen, können gutes Zeitmanagement und gute Organisationsfähigkeit hilfreich sein. Zu einer aktiven Stressbewältigung gehört es, ● persönliche Stressbelastungen zu analysieren, ● verschiedene Stressbewältigungsmethoden kennenzulernen und auszuprobieren, ● ein persönliches Antistressprogramm zu entwickeln, ● persönliche Zufriedenheit und Stressniveau regelmäßig zu kontrollieren.

Ressourcen stärken Da Stress entsteht, wenn zu wenige Ressourcen wahrgenommen werden, ist es ein Ansatz, diese zu stärken. Dabei sind 3 Faktoren wichtig: 1. Selbstbewusstsein/Selbstvertrauen stärken: sich eigene Stärken bewusst machen 2. soziale Kontakte nutzen: Gespräche mit anderen können entlasten, daher gezielt schauen, wer mir helfen kann. 3. Wissen: gibt uns Sicherheit, mit schwierigen Situationen umzugehen. Was weiß ich über die stressauslösende Situation? Wo kann ich mir mehr Wissen aneignen?

l 8

Selbstfürsorge und Stressmanagement

Einstellungen ändern ●









Alles-oder-nichts-Strategien aufgeben: Kleine Erfolge können auch etwas bewegen. realistische (Zwischen-)Ziele setzen und das Erreichen wertschätzen Schwierigkeiten nicht als Bedrohung, sondern Herausforderung sehen sich nicht alles zu Herzen nehmen/nicht alles persönlich nehmen Fort- und Weiterbildungen zu Kommunikation und Konfliktlösung wahrnehmen (z. B. gewaltfreie Kommunikation nach M. Rosenberg, Stressmanagement nach G. Kaluza)

KOMPAK T Selbstfürsorge und Stressmanagement ●







Work-Life-Balance ●



● ●



66

Zeitmanagement optimieren (z. B. nach der sog. Eisenhower-Methode inkl. Aufgaben delegieren) Freizeit gestalten: Hobbys und soziale Kontakte konkret einplanen regelmäßig Zufriedenheitserlebnisse schaffen für sich selbst eine Regelung zum Einspringen an freien Tagen treffen Entspannungsmethoden: – kurzfristig: Atemübungen, positive Selbstgespräche, kleine körperliche Übungen – langfristig: körperliche Bewegung, Yoga, Qigong und Tai-Chi, Pilates, Progressive Muskelentspannung



Stress entsteht, wenn der Stressor mit den wahrgenommenen Ressourcen nicht zu bewältigen scheint. Kurzfristige Stressreaktionen (Herzrasen, Schwitzen) sind normal – langfristige Stressreaktionen machen krank. Der Pflegeberuf ist durch körperliche, seelische und emotionale Belastungen gekennzeichnet. Supervision ist eine Möglichkeit, psychischer Belastung vorzubeugen. Strategien zur Stressbewältigung: Ressourcen stärken, Einstellung ändern, Work-Life-Balance fördern

3 ieme

Rechtliche, organisatorische und finanzielle Rahmenbedingungen in der Pflege 9 Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

10 Pflegeprozess und Pflegeplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

11 Qualitäts- und Fehlermanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

12 Rechtliche Grundlagen der Pflege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

Sozialsystem Das deutsche Gesundheits- und Sozialsystem sichert die Versorgung und Information kranker und pflegebedürftiger Menschen und regelt die Rahmenbedingungen des Pflegeberufs.

9.1 Sozialsystem Das Sozialsystem wirkt wie ein Netz, das die Menschen auffängt und sie unterstützt, wenn sie krank sind oder einen Unfall haben. Ziel ist es, Menschen in Not zu helfen und finanziellen und gesundheitlichen Notlagen vorzubeugen. Es wird über Steuern und Abgaben von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert. Dieses Netz besteht aus 3 Kernprinzipien: ● Fürsorgeprinzip: staatliche finanzielle Hilfen (z. B. Wohngeld und Grundsicherung) ● Versorgungsprinzip: finanzielle Hilfen für Menschen, die etwas für die Gemeinschaft erbracht haben (z. B. Kindergeld, Beamtenversorgung) ● Versicherungsprinzip: finanzielle Leistungen durch die Versicherungen







9.1.1 Sozialversicherungen Die Sozialversicherungen (SV) sind ein Teil des Sozialsystems. Sie bieten finanzielle Hilfe im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Alter, Arbeitslosigkeit und Betriebsunfällen (▶ Abb. 9.1). Das System zeichnet sich durch 6 Grundprinzipien aus, die auf dem Wunsch nach Gerechtigkeit, Sicherheit und Unabhängigkeit beruhen – gleichzeitig muss das System finanzierbar sein. Grundprinzipien des Systems sind: ● Versicherungspflicht: gesetzlich vorgeschriebene Pflicht, gegen bestimmte Risiken versichert zu sein. Ausnahme: Bestimmte Berufsgruppen (z. B. Selbstständige, Beamte) sind von der Krankenversicherungspflicht befreit. ● Beitragsfinanzierung: Die SV werden größtenteils aus Beiträgen von Arbeitnehmern (AN) und Arbeitgebern (AG) finanziert, und zwar proportional zum Einkommen, d. h., wer mehr verdient, zahlt bis zu einer bestimmten Obergrenze auch höhere Beiträge und umgekehrt. ● Solidarität: Versicherungsmitglieder tragen über ihre Beiträge die Risiken der anderen mit. Einem Versicherten ste-

Abb. 9.1 Die 5 Säulen der Sozialversicherung.

Die Leistungen der SV werden in Deutschland durch die Sozialversicherungsträger erbracht. Träger sind die Einrichtungen oder Institutionen, die Geld, Sachmittel und Personal als Leistung an Empfänger zur Verfügung stellen. Es werden dabei 3 Formen unterschieden: ● öffentliche Träger: Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, z. B. Bund, Landkreis, Stadt, gesetzliche Krankenkassen ● freigemeinnützige Träger: soziale Vereinigungen, karitative Organisationen oder kirchliche Orden, z. B. DRK, Diakonie, Wohlfahrtsverbände ● private Träger: Privatpersonen, Unternehmen, private Krankenkassen Die Kontrolle der Sozialversicherungsträger erfolgt über die ihnen übergeordneten Ministerien: ● Das Bundesministerium für Gesundheit ist für die gesetzliche Krankenversicherung und die Pflegeversicherung zuständig. ● Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist für die gesetzliche Renten- und Unfallversicherung sowie für die Bundesagentur für Arbeit zuständig.

Gesetzliche Krankenversicherung (GKV)

Aus: Hell W. Alles Wissenswerte über Staat, Bürger, Recht. Staatsbürger- und Gesetzeskunde. Thieme; 2018

Sozialversicherungsträger

Krankenversicherung Unfallversicherung

Arbeitslosenversicherung

Rentenversicherung

Pflegeversicherung

Krankenversicherung

5 Säulen der Sozialversicherung

hen, unabhängig von der Höhe seiner Beiträge, alle Leistungen zu. Dadurch wird ein gerechter Ausgleich in der Gesellschaft geschaffen zwischen Kranken und Gesunden, Alten und Jungen, Familien und Alleinstehenden und gut und weniger gut Verdienenden. Durch das Umlageverfahren werden die Beiträge der einen Generation für die Ausgaben der anderen Generation verwendet (Generationenvertrag). Aufgrund des demografischen Wandels (immer weniger Jüngere müssen für immer mehr Ältere aufkommen) ist dies zunehmend eine Herausforderung für das deutsche Sozialversicherungssystem. Äquivalenz: Dieses Prinzip steht im Gegensatz zum Solidarprinzip. Die Leistungen richten sich nach der Höhe der eingezahlten Beiträge, d. h., wer viele bzw. teurere Leistung in Anspruch nimmt, muss höhere Beiträge zahlen (z. B. private Krankenversicherung), und wer viel eingezahlt hat, bekommt später mehr Geld zurück (z. B. Rentenversicherung). Freizügigkeit: Innerhalb der EU erhalten alle Menschen eines Landes die gleichen sozialen Leistungen. Selbstverwaltung: Versicherungsträger arbeiten finanziell und organisatorisch selbstständig unter der Aufsicht des Staates.







Die Aufgabe der GKV ist es, die Gesundheit ihrer Versicherten zu fördern, zu erhalten und wiederherzustellen. Die gesetzliche Grundlage ist das 5. Sozialgesetzbuch (SGB V). Finanzierung: 14,6 % des Bruttoeinkommens (davon jeweils 7,3 % von AG und AN; Stand 2018), plus krankenkassenabhängige Zusatzbeiträge zwischen 0,5 % und 1,7 %, die allein vom Arbeitnehmer bezahlt werden müssen. Die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern wird z. T. aus Steuermitteln finanziert.

l 9

Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem

Private Krankenversicherung (PKV) ●





Die PKV steht Personen offen, die nicht versicherungspflichtig oder aus bestimmten Gründen von der Versicherungspflicht befreit sind. Die gesetzlichen Grundlagen stehen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und in diversen Gesetzen zu Versicherungen im Allgemeinen (VAG, VVG, AVG). Die Beitragshöhe ist abhängig von Alter, Gesundheitszustand und den gewünschten Versicherungsleistungen. Bei bestimmten Erkrankungen kann die PKV Personen ablehnen (z. B. bei psychischen Erkrankungen).

2016 waren ca. 89 % der deutschen Bevölkerung in der gesetzlichen und ca. 11 % in der privaten Krankenversicherung versichert. 0,1 % der Bevölkerung fallen durch das Netz und haben keine Versicherung, davon sind oft Selbstständige und Arbeitslose, die keine Hilfe vom Staat erhalten, betroffen. Es ist zudem von einer hohen Dunkelziffer bei Wohnungslosen und illegalen Einwanderern auszugehen. ▶ Tab. 9.1 zeigt, wer in der GKV versichert ist und wer in eine private Krankenversicherung wechseln kann. Wechsel • Ein Wechsel von einem Anbieter der GKV zu einem anderen ist möglich (→ Wahlfreiheit). Man ist dann mindestens 18 Monate bei einem Anbieter versichert. Hat man sich einmal für die PKV entschieden, ist es nur unter bestimmten Umständen möglich, zurück in die GKV zu wechseln. Beitragsbemessungsgrenze • Gehaltsgrenze, die höchstens zur Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge herangezogen wird. Im Jahr 2018 lag die Grenze bei 53 100 € pro Jahr (4 425 € pro Monat) für die GKV.

Versicherungspflichtgrenze • Gehaltsgrenze, ab der ein Arbeitnehmer nicht mehr in der GKV pflichtversichert ist. 2018 lag sie bei 59 400 € pro Jahr (4 950 € pro Monat).

Pflegeversicherung Aufgrund des demografischen Wandels ist im Laufe der Jahre mit immer mehr pflegebedürftigen Menschen zu rechnen. Daher wurde 1995 die Pflegeversicherung eingeführt, um eine Absicherung gegen dieses Risiko zu schaffen, die Lebensumstände der Pflegebedürftigen zu verbessern und die Pflegenden abzusichern. Die rechtliche Grundlage regelt das SGB XI. Die Pflegekassen sind den Krankenkassen angeschlossen. Wer krankenversichert ist, ist automatisch über diesen Anbieter auch pflegeversichert. Leistungen ● Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung, Pflegehilfsmittel, Kurzzeitpflege, Tages- und Nachtpflege, vollstationäre Pflege ● Pflegesachleistung: wenn professionell Pflegende die Pflege übernehmen ● Pflegegeld: wenn ein Angehöriger die Pflege übernimmt ● Pflegekurse und soziale Sicherung für pflegende Angehörige ● Teilkaskoversicherung: Nicht alle Kosten werden gedeckt, abhängig vom Pflegegrad wird ein bestimmter Betrag an Geld- und/oder Sachleistungen festgelegt. ● Leistungen müssen beantragt werden und sind mit der Bedingung der Vorversicherungszeit und Pflegebedürftigkeit verbunden.

Tab. 9.1 Gesetzliche und private Krankenversicherung: Einzahler, Leistungsempfänger und Leistungen. Einzahler

Leistungsempfänger

Leistungen

Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ● ● ●

Arbeitnehmer Arbeitgeber Steuermittel (für Mitversicherung von Kindern)

nicht pflichtversichert, z. B.: ● Arbeiter und Angestellte, deren Gehalt die Versicherungspflichtgrenze überschreitet ● Selbstständige ● Beamte, Personen in beamtenähnlicher Stellung ● Richter ● Soldaten ● Geistliche ● geringfügig Beschäftigte (450-Euro-Jobs)



freiwillig versichert: Arbeiter und Angestellte, deren Gehalt eine bestimmte Grenze überschreitet ● Selbstständige ● freiberufliche Ärzte, Zahnärzte, Veterinärmediziner und Heilpraktiker ● Studenten ● beihilfeberechtigte Beamte



pflichtversichert, z. B.: ● Arbeiter, Angestellte ● Auszubildende ● Rentner ● Kinder (bis 18, max. bis 26 Jahre) ● Studenten ● Ehepartner (mit Einkommen unter 450 €) ● Bezieher von Arbeitslosengeld oder Unterhaltsgeld ● Künstler, Publizisten



Geldleistungen (z. B. Krankengeld, Mutterschaftsgeld) Sachleistungen (u. a.: Krankenhausbehandlung, häusliche Pflege, Krankheitsfrüherkennung, ärztliche Behandlungen, Anschlussheilbehandlung)

Private Krankenversicherung (PKV) In der PKV Versicherte



Die Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

72



Geldleistungen, abhängig von gewähltem Tarif Sachleistungen, abhängig von gewähltem Tarif

Organisation in der Pflege

Rentenversicherung ●

● ●





Hauptaufgabe ist es, die Versicherten bei Gefährdung oder Minderung der Erwerbstätigkeit sowie im Alter zu unterstützen. Die rechtliche Grundlage ist im SGB VI geregelt. Finanzierung: Durch Umlageverfahren (S. 71), aus drei Töpfen: Beiträgen der Versicherten, Beiträgen der AG und Zuschüssen des Bundes. Pflichtversichert sind: Angestellte und Arbeiter, Empfänger von Leistungen der Bundesagentur für Arbeit, Eltern in Elternzeit, Personen, die Kindererziehungszeit erbracht haben, private Pflegepersonen (z. B. pflegende Angehörige), bestimmte Gruppen von Selbstständigen Nicht pflichtversichert sind: Beamte, Richter, Soldaten, einige Selbstständige und Freiberufler.

Leistungen Altersrente ● Erwerbsminderungsrente ● Witwen-, Witwer- und Waisenrente (Hinterbliebenenrente) ● Zuschüsse an die Krankenversicherung der Rentner ● Rehabilitationsmaßnahmen bei Gefährdung der Erwerbstätigkeit ●

Rente muss beantragt werden und wird nach dem Äquivalenzprinzip gezahlt, d. h. abhängig von der Höhe des früheren Einkommens und der Dauer der Einzahlung.

Arbeitslosenversicherung ●



Aufgabe ist es, den Lebensunterhalt zu sichern und Maßnahmen zur (Wieder-)Eingliederung ins Erwerbsleben zu ermöglichen. Gesetzliche Grundlage ist das SGB III.

Es werden 2 Formen unterschieden: Arbeitslosengeld I: ist beitragsfinanziert und ersetzt den Lohn zeitlich befristet, die Dauer ist abhängig von den vorherigen Arbeitsjahren, die Höhe ist abhängig vom zuvor verdienten Bruttogehalt. ● Arbeitslosengeld II (auch „Hartz IV“): Grundsicherung, die auch als Aufstockung zu einem niedrigen Einkommen bezogen werden kann ● Weitere Leistungen: – Berufsberatung, Ausbildungs- und Arbeitsvermittlung – Bewerbungstraining – Förderung von beruflichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen – Eingliederungszuschuss ●

Unfallversicherung ●

● ●

Bei Arbeits- und Schulunfällen, Berufskrankheiten oder arbeitsbedingten Gefahren greift die Unfallversicherung. Sie ist also zuständig für Unfälle, die auf dem Weg zur oder bei der Arbeit passieren. Die gesetzliche Grundlage ist das SGB VII. Finanzierung: Beiträge der Unternehmen und Beiträge von Bund, Ländern und Gemeinden. Für die Versicherten ist die gesetzliche Unfallversicherung beitragsfrei.

9.2 Gesundheitssystem Definition Gesundheitssystem Das Gesundheitssystem in Deutschland setzt sich aus staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen zusammen. Es umfasst alle Einrichtungen und Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit Gesundheit stehen. Grob können vier Gruppen unterschieden werden: Akteure auf Bundesebene, Leistungsfinanzierer, Leistungserbringer, Leistungsempfänger (▶ Abb. 9.2 ). Gesetzgebung • Die wichtigsten Gesetze in Bezug auf das Gesundheitssystem sind: ● Sozialgesetzbuch (SGB I–XII) ● Pflegestärkungsgesetz I und II (siehe Kap. 35.2.1) ● Patientenrechtegesetz ● Krankenhausfinanzierungsgesetz ● Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für den jeweiligen Pflegeberuf

9.3 Organisation in der Pflege Die Arbeitsorganisation umfasst die Planung, Koordination und Durchführung der Pflegemaßnahmen. Sie ist ausschlaggebend für die Pflegequalität, die Effizienz der Abläufe und somit für die Zufriedenheit von Pflegebedürftigen und Pflegenden.

9.3.1 Pflegeorganisationssysteme Definition Pflegeorganisationssysteme Sie beschreiben, wie die zu leistende Pflegearbeit und die Pflegeabläufe im Team organisiert werden. Die Auswahl eines Systems ist stark von der Personalstruktur und anderen Rahmenbedingungen abhängig.

Funktionspflege Tätigkeitsorientierte Vorgehensweise, bei der komplexe Pflegeaufgaben unterteilt und von verschiedenen Pflegefachkräften übernommen werden. ● Vorteile: hohe Effektivität durch klare, hierarchische Struktur, weniger zeitintensiv, kostengünstig, mehr Routine ● Nachteile: Informationsverlust, monotone Arbeitsabläufe, wenig Spielraum, Unterteilung in „höherwertige“ und „niedrige“ Arbeiten, Entfremdung zwischen Patienten und Pflegenden (keine ganzheitliche Pflege möglich)

Bereichspflege Schichtbezogene Verantwortung der Pflegenden für eine Patientengruppe. ● Vorteile: besserer Informationsaustausch, dadurch weniger Fehlerquellen, großer Handlungs- und Entscheidungsfreiraum, dadurch höhere Arbeitsmotivation und -zufriedenheit, intensiver Kontakt zum Patienten ● Nachteile: ggf. schlechte Information über Patienten außerhalb des eigenen Bereichs, Hilfsbereitschaft der Kollegen kann abnehmen, höhere Kosten

l 9

Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem Abb. 9.2 Das deutsche Gesundheitssystem. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Paul-Ehrlich-Institut

Robert Koch-Institut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung

Drogenbeauftragte Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information

Bundesministerium für Gesundheit

Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte

Arbeitgeber/Arbeitnehmer gesetzlich Versicherte privat Versicherte

Bundestag Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz

Gemeinsamer Bundesausschuss

Bundesministerium für Umwelt

legen Gesetze fest und führen sie aus

§

Bundesministerium für Bildung und Forschung

Steuerzahler gesetzliche Unfallversicherung

Gesundheitsdienste/ Landesämter für Gesundheit

Direktzahler

Gesundheitsämter Krankenversicherungen GKV-Spitzenverband

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Pflegeversicherungen

zahlen/ finanzieren

Rentenversicherungen

100

empfängt Leistungen

Patientenverbände

Gesundheitssystem informieren

Selbsthilfeorganisationen

Bürger

Berufsverbände

Patient erbringen Leistungen stellen her technisches Personal/ Techniker

Pharmaindustrie

Therapeuten Apotheker

Hersteller medizinischer/ technischer Geräte

Pflegepersonal Ärzte/Zahnärzte Arztpraxen

Apotheken

Beratungsstellen Pflegeheime

forschen, bilden aus

Therapieeinrichtungen Krankenhäuser, Kliniken Versorgungszentren

Universitäten, Fachhochschulen

Schulen, Ausbildungsstätten

Eine Vielzahl von Personen, Einrichtungen, Institutionen und Organisationen regelt, organisiert und finanziert das deutsche Gesundheitssystem. Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015

74

Finanzierung im Gesundheitssystem

Bezugspflege Ganzheitlich ausgerichtetes Pflegesystem, bei dem eine Pflegefachkraft die gesamte Pflege (inkl. Planung) von der Aufnahme bis zur Entlassung für einen oder mehrere Pflegebedürftige übernimmt. ● Vorteile: Aufbau einer Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegefachkraft, dadurch auch verbesserte Kommunikation und feste Ansprechpartner für Pflegebedürftige, Schwierigkeiten werden schneller erkannt, Pflegefachkraft erlebt Arbeit als Ganzes. ● Nachteile: Probleme bei Ausfall der Bezugspflegekraft, höhere emotionale Belastung, höhere Stressbelastung durch Verantwortung, zeit- und kostenintensiv ● Primary Nursing ist eine Form der Bezugspflege, bei der die Primary Nurse gemeinsam mit der Associate Nurse eine „Rund-um-die-Uhr-Verantwortung“ hat. Die Associate Nurse führt die Pflege entsprechend der von der Primary Nurse erstellten Pflegeplanung durch und weicht nur von dieser ab, wenn der Patientenzustand oder eine ärztliche Anweisung dies erfordern.

9.3.2 Weitere Organisationskonzepte Die nachfolgenden Konzepte sind nicht allein auf die Pflege beschränkt, sondern verbinden mehrere Akteure des Gesundheitssystems.

Case Management bzw. Fallmanagement ●





koordiniert und steuert alle patientenbetreffenden Behandlungen, Sach- und Dienstleistungen verschiedener Berufsgruppen über den Krankenhausaufenthalt hinaus und versucht dabei, das optimale Leistungsangebot zu finden fördert das Selbstmanagement durch Beratung unter Berücksichtigung des sozialen Umfeldes wird insbesondere bei komplexen Fällen angewendet

Clinical Pathways bzw. klinische Behandlungs-/Versorgungspfade ●





sind standardisierte Ablaufpläne für die Durchführung (häufig auftretender) medizinischer Behandlungen im Krankenhaus wurden entwickelt, um die Qualität der Versorgung im Krankenhaus bei gleichzeitig kürzeren Aufenthalten und einer knappen Kostenkalkulation zu gewährleisten definieren alle Abläufe und Zuständigkeiten von der Aufnahme des Patienten über die Untersuchungen und Behandlungen bis zur Entlassung

9.4 Finanzierung im Gesundheitssystem 9.4.1 Krankenhaus Im Krankenhaus spricht man auch von einem dualen Finanzierungssystem, da die Finanzierung aus 2 Töpfen erfolgt. 1. Investitionskosten (z. B. Neubauten, Anschaffung von medizinischen Großgeräten) werden durch die Krankenhausförderung der Bundesländer aus Steuermitteln finanziert. 2. Betriebskosten (z. B. Personalkosten, Verbrauchsmaterial) und Behandlungskosten werden von den Krankenkassen übernommen. ● Die Behandlungskosten werden nach Fallpauschalen bzw. DRGs (Diagnosis Related Groups) bezahlt. In diesem Klassifikationssystem werden Patienten in bestimmte Fallgruppen eingeordnet. Zu jeder Fallgruppe ist ein fester Betrag hinterlegt, der die Behandlung, Therapie und Pflege abdecken muss. ● wichtig für Pflegende: Nebendiagnosen (z. B. Dekubitus) sind nach den Kriterien der ICD zu dokumentieren. Ebenso kann eine hochaufwendige Pflege über den Pflege-Komplex-Maßnahmen-Score (PKMS) erfasst und abgerechnet werden. ● Durch Zusatzentgelte werden Kosten erstattet, die nicht von den Fallpauschalen abgedeckt sind, wie z. B. Blutprodukte, teure Medikamente oder Prothesen.

9.4.2 Rehabilitationsklinik In Rehabilitationskliniken erfolgt die Finanzierung abhängig von der Betroffenengruppe durch verschiedene Sozialversicherungen: ● gesetzliche Rentenversicherung bei Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden ● gesetzliche Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten ● gesetzliche Krankenversicherung bei Kindern und Jugendlichen, nicht berufstätigen Erwachsenen, Rentnern und bei Anschlussheilbehandlungen ● Sozialhilfe bei Bedürftigen ohne Renten- und Krankenversicherung ● Beihilfestelle bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes (Beamte, Richter, Soldaten)

9.4.3 Pflegeheim ●

● ●

Bewohner: Pflegesachleistung durch Pflegeversicherung, je nach Pflegegrad und zusätzlich privates Vermögen. Dieser Anteil wird von der Sozialhilfe übernommen, sofern der Bewohner oder seine Familie nicht selbst dafür aufkommen können. Land (nur in einigen Bundesländern): Pflegewohngeld In Pflegeheimen für Menschen mit Behinderung: Eingliederungshilfe, gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung (bis 25 Jahre), Privat oder Sozialhilfe bei Bedürftigen

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Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem

9.4.4 Häusliche Pflege ●

In der häuslichen Pflege: Behandlungspflege (z. B. Verbände, Injektionen) zahlt GKV, Pflegeversicherung je nach Pflegegrad (Sach- und Geldleistung), Privat oder Sozialhilfe bei Bedürftigen

KOMPAK T Das deutsche Sozial- und Gesundheitssystem ●











76

Die 5 Säulen der Sozialversicherung sind: Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung Die Sozialversicherungen sind ein Teil des Sozialsystems. Sie bieten finanzielle Hilfe im Falle von Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Alter, Arbeitslosigkeit und Betriebsunfällen. Grundprinzipien des Sozialsystems: Versicherungspflicht, Beitragsfinanzierung, Solidarität, Äquivalenz, Freizügigkeit, Selbstverwaltung Die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen sind: SGB V (enthält die Bestimmungen zur GKV); SGB IX (Reha und Teilhabe behinderter Menschen), SGB XI (Pflegeversicherung) Pflegeorganisationssysteme: Funktionspflege, Bereichspflege, Bezugspflege (inkl. Primary Nursing) Im Krankenhaus gibt es eine duale Finanzierung. Betriebs- und Behandlungskosten werden über die DRGs finanziert, Investitionskosten aus Steuermitteln.

10 2. Planung

Pflegeprozess und Pflegeplanung

3. Durchführung 4. Evaluation

1. Pflegeanamnese

NANDA Klassifikationssystem

nach Fiechter und Meier

nach WHO

ENP ICNP

Pflegeprozessmodell

Pflegediagnosen

einheitliche Sprache Pflegeaufwand darstellen

Ziel

Auswahl der Pflegemaßnahmen

Pflegestandards und Assessments

Pflegedokumentation und Pflegeübergabe patientennah Pflegevisite Dokumentation

Pflegeübergabe, z.B.

patientenfern schriftlich mündlich

Datenschutz

EDV-gestützt

handschriftlich DSGVO

Pflegestandards

Assessments

Expertenstandards Ziel: einheitliche Vorgehensweise

Barthel-Index

NRS Schmerzerfassung

Pflegeprozessmodell

10.1 Grundlagen



Definition Pflegeprozess Der Pflegeprozess ist ein systematischer und zielgerichteter Arbeitsablauf, mit dem ● Pflegende Probleme des Patienten erkennen und ● pflegerische Maßnahmen planen, organisieren, durchführen und evaluieren. Der Pflegeprozess ist somit ein Problemlösungsprozess.

Definition Pflegeplanung Die Pflegeplanung ist ein Instrument, in dem Pflegekräfte einzelne Schritte des Pflegeprozesses schriftlich festhalten können. Sie besteht in der Regel aus den Pflegeproblemen und Ressourcen, den Zielen und den geplanten Maßnahmen (▶ Abb. 10.1). Im Idealfall ist die Pflege nach Ablauf des Pflegeprozesses beendet, weil alle Pflegeprobleme gelöst wurden und kein weiterer Pflegebedarf besteht. In der Praxis ist dies meist nicht der Fall: ● Pflegeprobleme können nach dem Durchlaufen des Prozesses weiterhin bestehen (selbst wenn sich der Zustand des Patienten bessert). ● Es können neue Pflegeprobleme (ggf. mit Zustandsverschlechterung) hinzukommen.











10.2 Pflegeprozessmodell ●

Der Pflegeprozess wird daher häufig mehrfach durchlaufen. Dabei baut er auf Wissen und Erfahrung aus den vorherigen Durchläufen auf. Vorteile des Pflegeprozesses ● Patientenorientierung: Der Mensch steht im Mittelpunkt, individuelle Ressourcen und pflegerelevante Probleme werden erfasst und Bedürfnisse berücksichtigt.

Abb. 10.1 Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier.

klare Struktur: Informationen werden für alle an der Pflege Beteiligten strukturiert dargestellt, dies macht Zusammenhänge mit Pflegemaßnahmen klar. Personalplanung: Pflegerischer Aufwand ist besser abschätzbar, Personalaufwand ist besser planbar. Arbeit nachweisen: Pflegeplanungen helfen, den pflegerischen Aufwand nachzuweisen. Besonders in der ambulanten Pflege und Altenpflege ist eine ausführliche Dokumentation wichtig, damit der Pflegebedürftige angemessen eingestuft und ausreichende finanzielle Mittel bewilligt werden. Ziel konsequent verfolgen: Ziele und Maßnahmen werden schriftlich in der Pflegeplanung festgehalten. Alle Beteiligten sind somit informiert und können gemeinsam auf das Ziel hinarbeiten. Wirksamkeit von Pflegemaßnahmen belegen: Nachweis, ob Pflegemaßnahmen oder neu entwickelte Pflegetechniken helfen, die Ziele zu erreichen. Qualität sichern: Auf Grundlage der Pflegeplanung können Maßnahmen laufend oder zu festgelegten Zeitpunkten evaluiert angepasst und verbessert werden.





Es gibt verschiedene Pflegeprozessmodelle: z. B. das 4Phasen-Modell nach Monika Krohwinkel, das US-amerikanische 5-Phasen-Modell, das 4-schrittige Modell der WHO und das etablierte 6-Phasen-Modell von Verena Fiechter und Martha Meier. Alle Pflegeprozessmodelle beschreiben folgende Phasen oder Schritte: Pflegeanamnese, Pflegeplanung und Pflegedokumentation. In den Modellen werden die einzelnen Phasen nacheinander und aufeinander aufbauend durchlaufen.

In Deutschland gibt es 2 relevante Modelle: Pflegeprozessmodell nach WHO ● Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier ●

1. Informationssammlung

6. Evaluation: Beurteilung der Wirksamkeit

5. Durchführung der Pflege

2. Erkennen von Problemen und Ressourcen

10.2.1 Pflegeprozessmodell nach WHO 3. Festlegen der Pflegeziele

4. Planung der Pflegemaßnahmen

Im Regelkreis werden alle 6 Schritte nacheinander und aufeinander aufbauend durchlaufen. Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015

Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (2017) und dem 2. Pflegestärkungsgesetz (2017) ist das Pflegeprozessmodell der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wieder in den Fokus gerückt. Das 4-Phasen-Modell bildet dabei die Grundlage für die Entbürokratisierung der Pflegedokumentation. 1. Einschätzung des Pflegebedarfs bzw. Pflegeanamnese (durch Informationssammlung) 2. Planung der Pflege 3. Durchführung der Pflege 4. Evaluation der Pflege (Wirksamkeit der Pflege für den Patienten) Kritik am Modell: Das Formulieren von Pflegezielen rückt in den Hintergrund.

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Pflegeprozess und Pflegeplanung

10.2.2 Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier Der 6-schrittige Pflegeprozess nach Fiechter und Meier beschreibt den Regelkreis detaillierter. Dadurch ist der Prozess leichter erfassbar. Berufsanfänger sollten dieses Modell nutzen, um sich der Schritte und ihrer Bedeutung bewusst zu werden. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte vorgestellt.

Schritt 1: Informationssammlung Bei der Informationssammlung werden alle pflegerelevanten Daten über den Pflegebedürftigen erhoben. Sie erfolgt ● kontinuierlich bei jeder Interaktion und ● mit unterschiedlichen Methoden, z. B. Gespräch, Beobachtung, Sichtung der Patientenakte, Anwenden von Assessmentinstrumenten. Informationssammlung findet statt bei jedem Kontakt mit Pflegebedürftigen: – tägliche Begegnung: Berichtet der Patient über Veränderungen oder neue Probleme? – tägliche Beobachtung: Hat sich etwas verändert? ● Kommunikation im interprofessionellen Team: neue medizinische Befunde? Fortschritte bei der Physio- oder Ergotherapie? ● Kommunikation mit Angehörigen: Was berichten oder beobachten diese? ●

Informationsquellen • Pflegende nutzen direkte und indirekte Informationsquellen. Die Art der Informationsquelle muss in der Dokumentation vermerkt sein. ● direkte Informationsquellen: Patient, Befragung oder Beobachtung des Patienten durch die Pflegefachkraft ● indirekte Informationsquellen: andere Personen (Angehörige, Freunde, Betreuer des Pflegebedürftigen), Verlegungsschreiben, mitgebrachte Arztbriefe, Pflegeüberleitungsberichte, alte Akten Informationsarten • Objektive und subjektive Informationsarten sind gleichermaßen wichtig. In der Dokumentation sollten subjektive Informationen als solche gekennzeichnet werden. ● objektive Informationen: messbare Informationen oder Daten (z. B. Gewicht, Blutdruck, Flüssigkeitsausfuhr, aber z. B. auch Wundbeschreibung) ● subjektive Informationen: von einer Person empfunden und mitgeteilt (z. B. Schmerzstärke, Wirkung eines Medikaments)

Pflegeanamnese Die Pflegeanamnese gehört zur Informationssammlung und bildet die Grundlage des Pflegeprozesses. Sie ist eine Methode der strukturierten Datenerhebung. Dabei werden grundlegende pflegerelevante Informationen systematisch und zielgerichtet erfasst. Die Pflegeanamnese erfolgt meist im Rahmen eines Aufnahmegesprächs, häufig mit standardisierten Pflegeanamnesebögen. Generell wichtig: ● unter 4 Augen (Privatsphäre) ● ruhige Atmosphäre

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● ● ●

Kommunikationsregeln beherrschen (Verweis Kap. 6) Zeit für Fragen nicht länger als 60 Min. (Überforderung des Patienten vermeiden)

Inhalte des Gesprächs: körperliches Befinden und aktueller und zu erwartender pflegerischer Hilfebedarf: Körperpflege, Bewegungseinschränkungen, Ausscheidung ● Lebensumstände: soziales Umfeld und Unterstützung (Beruf, Familie, Wohnverhältnisse) ● Gewohnheiten: Essen, Bewegung, Rauchen, Alkohol ● vorhandene oder zu erwartende psychische Belastungen/ Probleme ● Besonderheiten: Allergien, Medikationen, Hilfsmittel ●

Es ist nicht einfach, offen über alle Themen zu sprechen, da evtl. mit den Fragen eine persönliche Grenze überschritten werden kann. Bei unangenehmen Fragen ist es wichtig, möglichst offen zu fragen, wie der Patient z. B. mit der jetzigen Situation zurechtkommt, oder ehrlich zu sein und zu begründen, warum diese Frage wichtig ist. Eine weitere Herausforderung ist, dass nicht immer auf alle Fragen gleich zu Beginn ehrlich geantwortet wird, z. B. aus Angst oder Schamgefühl.

Patientenbeobachtung Während der pflegerischen Tätigkeit können sowohl der Pflegebedarf als auch die Ressourcen eingeschätzt werden. Zudem ist es möglich, den Nutzen der Pflegemaßnahmen einzuschätzen. Besonders wichtig ist die Beobachtung bei Patienten, die sich nicht oder nur unzuverlässig äußern können (siehe Kap. 13).

Schritt 2: Pflegeprobleme und Ressourcen erkennen Pflegeprobleme • Pflegeprobleme sind physische, psychische, emotionale, soziale und organisatorische Beeinträchtigungen, die eine Person in der Selbstpflege einschränken, oder besondere Gefahren (z. B. Pneumonie), die eine Person oder ihr soziales Umfeld nicht kompensieren kann. Man unterscheidet folgende Arten von Problemen: ● aktuelle Pflegeprobleme: Sie bestehen zum Zeitpunkt der Erhebung und sind meist offensichtlich und damit gut identifizierbar. ● potenzielle Pflegeprobleme: existieren noch nicht, werden aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten (siehe Kap. 21) ● verdeckte Pflegeprobleme: wurden noch nicht vom Patienten genannt oder von der Pflegefachkraft erkannt ● generelle Pflegeprobleme: zu erwartende Einschränkungen, die bei vielen Patienten mit dem gleichen Krankheitsbild auftreten (z. B. Schmerzen nach einer OP) ● individuelle Pflegeprobleme: die tatsächlichen Probleme des Patienten (aktuell, potenziell oder verdeckt), abhängig von der persönlichen Lebenssituation oder anderen Eigenschaften (z. B. Patient macht sich Sorgen um die Zukunft und leidet unter Schlafproblemen)

Pflegediagnosen Wichtig beim Formulieren: ● Handelt es sich um ein Pflegeproblem? Kann es von der Pflege behandelt werden oder fällt es eher in den medizinischen Bereich? ● Ist das Problem aus Sicht des Patienten formuliert und stellte es für ihn überhaupt ein Problem dar? Oder kann es im Alltag durch Ressourcen ausgeglichen werden? ● PÄSR-Schema einhalten: Ist das Problem präzise benannt? Ist die Ätiologie (Ursache) des Problems angegeben? Sind die Symptome des Problems beschrieben? Sind die Ressourcen mit aufgeführt? Ressourcen • Ressourcen sind in der Pflege Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einflüsse, die den Betroffenen bei der Bearbeitung seiner Probleme unterstützen können. Sie werden daher im Zusammenhang mit den Pflegeproblemen betrachtet. Sie können unterteilt werden in: ● körperliche Ressourcen, z. B.: Patient kann allein laufen. ● innere Ressourcen, z. B.: Patient kann Zusammenhänge erkennen. ● räumliche Ressourcen, z. B.: Patient wohnt in behindertengerechter Wohnung. ● soziale Ressourcen, z. B.: Patient wird durch Angehörige unterstützt. ● ökonomische Ressourcen, z. B.: Patient bezieht Leistungen der Pflegeversicherung.

Schritt 3: Pflegeziele festlegen Pflegeziele beschreiben das Pflegeergebnis bzw. den zukünftigen „Soll-Zustand“, der innerhalb einer vorgegebenen Zeit durch die Pflegemaßnahmen erreicht werden soll. Sie sind somit die Evaluationsgrundlage für die Pflegemaßnahmen. Bei der Formulierung von Zielen sollte Folgendes beachtet werden: ● gemeinsam mit dem Patienten und evtl. dessen Angehörigen ● beziehen sich auf ein Verhalten, einen Zustand, einen Befund, auf Wissen oder eine Fähigkeit ● Bei längeren Prozessen ist eine Aufteilung in Nah-, Teilund Fernziele sinnvoll. ● positiv zu formulieren ● mithilfe der SMART-Kriterien: – spezifisch: Ist das Ziel individuell auf den Patienten zugeschnitten? – messbar: Kann das Ziel überprüft werden?

– akzeptiert: Ist der Patient mit dem Ziel einverstanden und arbeitet bei der Zielerreichung mit? – realisierbar: Ist das Ziel erreichbar? – terminierbar: Bis wann soll das Ziel erreicht werden?

Schritt 4 und 5: Pflegemaßnahmen planen und durchführen Pflegemaßnahmen müssen auf den individuellen Bedarf, die Ressourcen des Patienten und auf die geplanten Pflegeziele zugeschnitten sein. Sie sollten möglichst konkret anhand folgender Fragen formuliert werden: ● Was soll von wem getan werden? ● Wann bzw. wie oft? ● Wie, womit und evtl. wo? Die ausgewählten Maßnahmen sollen von allen Pflegekräften durchgeführt werden. Abweichungen sind je nach Bedarf und Tagesform des Patienten möglich, müssen aber dokumentiert werden.

Schritt 6: Evaluation: Beurteilung der Wirksamkeit Regelmäßig, aber spätestens, wenn das in den Pflegezielen festgelegte Datum erreicht ist, wird das Ziel mit der tatsächlichen Situation des Patienten abgeglichen. Ziele, die der Erhaltung eines Zustandes dienen, gelten andauernd weiter. Konnte ein Ziel nicht erreicht werden, muss nach den Ursachen gesucht und der Pflegeprozess fortgeführt werden. Mögliche Gründe dafür, dass ein Pflegeziel nicht erreicht wird, und passende Abhilfe nennt ▶ Tab. 10.1.

10.3 Pflegediagnosen ●





Pflegediagnosen bieten eine einheitliche Bezeichnung für wiederkehrende Pflegeprobleme und Ressourcen. Sie verfolgen (genauso wie die Pflegeprobleme) das Ziel, den Aufwand für die Pflege des Patienten darzustellen, und bilden die Grundlage für die Pflegemaßnahmen. Durch die Standardisierung unterstreichen sie die eigenverantwortliche Arbeit der Pflegenden und tragen zur Professionalisierung bei.

Tab. 10.1 Gründe, aus denen Pflegeziele nicht erreicht werden. Grund

Abhilfe

Es lagen nicht alle Informationen vor.

Die Informationssammlung muss wiederholt und aktualisiert werden.

Die Zeit für die Zielerreichung war zu kurz angesetzt.

Die Maßnahme muss noch längere Zeit wie geplant durchgeführt werden.

Das Ziel war von vornherein zu hoch gesteckt.

Es muss ein niedrigeres(Teil-) Ziel gesetzt werden.

Der Zustand des Pflegeempfängers hat sich plötzlich verschlechtert oder verbessert.

Es muss ein anderes, dem neuen Zustand angepasstes Ziel gesetzt werden.

Die geplanten Maßnahmen konnten nicht umgesetzt werden, da keine Zeit dafür blieb oder der Pflegeempfänger die Maßnahme verweigerte.

Der Zeitplan muss verändert werden. Falls ein Pflegeempfänger nicht kooperiert, müssen die Gründe dafür gefunden werden.

l 10

Pflegeprozess und Pflegeplanung

10.4 Pflegestandards und Assessments Bei der Erstellung der Pflegeplanung sollten die hausinternen Pflegestandards sowie die aktuellen Expertenstandards berücksichtigt werden. ● Pflegestandards: legen ein bestimmtes Qualitätsniveau oder zu erreichendes Leistungsniveau fest sowie angemessene Pflegemaßnahmen, mit denen die Qualität erreicht und überprüft werden kann ● Standardpflegepläne: beschreiben übliche Maßnahmen bei häufig wiederkehrenden pflegerischen Problemstellungen. Diese sollten der individuellen Patientensituation angepasst werden. ● Expertenstandards: sind wissenschaftlich fundierte Abhandlungen zu zentralen, pflegerischen Themen. Sie tragen zur Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität bei und dienen professionell Pflegenden als Basis und Orientierung für ihr pflegerisches Handeln. Aktuell (Stand 2018) gibt es 11 Expertenstandards, von denen einige bereits aktualisiert wurden: 1. „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ 2. „Entlassungsmanagement in der Pflege“ 3. „Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen“ 4. „Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen“ 5. „Sturzprophylaxe in der Pflege“ 6. „Förderung der Harnkontinenz in der Pflege“ 7. „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ 8. „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ 9. „Förderung der physiologischen Geburt“ 10. „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ 11. „Expertenstandard Erhaltung und Förderung der Mobilität“ ● Assessment: Der Begriff „Assessment“ wird unterschiedlich verwendet: – Er beschreibt eine Informationssammlung bzw. Evaluation eines Patienten zur Problemerfassung im Allgemeinen. – Er beschreibt Instrumente/Skalen, die Pflegende bei der Risiko- und Problemeinschätzung unterstützen. Ein Instrument kann niemals die Einschätzung durch die Pfle-

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gefachkraft ersetzen. Viele der Instrumente sind nicht hinreichend auf ihre Validität und Reliabilität geprüft, was einen reflektierten Einsatz durch die Pflegefachkraft erforderlich macht. – Beispielhafte Assessmentinstrumente: – Atemskala nach Bienstein zur Einschätzung des Pneumonierisikos (siehe Kap. 21.8) – Mini Nutritional Assessment und PEMU zur Bestimmung des Ernährungszustandes (siehe Kap. 21.7) – Barthel-Index zur Einschätzung der Selbstpflegefähigkeit – NRS (Numerische Rating-Skala), VAS (Visuelle AnalogSkala) und BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) zur Schmerzerfassung (siehe Kap. 37.2.1)

Am häufigsten werden im deutschen Sprachraum folgende Klassifikationssysteme verwendet: ● NANDA-International: wissenschaftlich überprüfte und klar definierte Pflegediagnosen ● ENP (European Nursing Care Pathways): bietet Pflegediagnosen, Pflegeziele und Pflegemaßnahmen in der Form von Praxisleitlinien an und unterstützt Pflegende bei der Auswahl geeigneter, u. a. wissenschaftlich belegter Pflegemaßnahmen ● ICNP (International Classification of Nursing Practice): Sammlung von spezifischen Begriffen, mit deren Hilfe Pflegediagnosen, Pflegeinterventionen und Pflegeergebnisse erstellt werden können. Es bestehen bereits vorformulierte Pflegediagnosen sowie Pflegemaßnahmen.

10.5 Pflegeplanung in der Praxis ●





Krankenhaus: – Durch die kurzen Liegezeiten liegen selten ausführliche Pflegeplanungen vor. – Es wird oft mit Standardpflegeplänen gearbeitet. stationäre Altenpflege: – Für jeden Bewohner muss eine Pflegeplanung vorliegen. – zeichnet sich überwiegend durch Langzeitziele aus – hohe Bedeutung von psychosozialen Belangen der Bewohner – Pflegeplanung wird vom MDK genutzt, um Pflegequalität und Pflegebedürftigkeit zu überprüfen. ambulante Pflege: – Pflegeplanung wie in der stationären Altenhilfe – Zusätzlich: Klient entscheidet, was in den Pflegeplan aufgenommen wird bzw. was von der professionellen Pflegefachkraft getan werden soll und was nicht.

10.6 Pflegedokumentation und Pflegeübergabe In einer Dokumentation werden alle Informationen über den Patienten und dessen Behandlung umfassend und lückenlos schriftlich festgehalten. Grundsätzlich fällt die Pflegedokumentation unter den Datenschutz. Nur unmittelbar an der Versorgung beteiligte Personen dürfen Einsicht in die Dokumentation nehmen. Der Zugang für Dritte ist verboten bzw. es muss das Einverständnis des Patienten eingeholt werden, bevor Dokumente/Informationen weitergegeben werden dürfen.

10.6.1 Inhalte der Dokumentation ● ● ●

geplante und durchgeführte Maßnahmen weitere Beobachtungen Besonderheiten und Veränderungen

Dadurch können Entwicklungen und Verläufe der individuellen Krankheitsgeschichten dargestellt werden. Außerdem dient die Dokumentation als Abrechnungsgrundlage wie auch zur rechtlichen Absicherung.

Pflegedokumentation und Pflegeübergabe

10.6.2 Anforderungen an die Dokumentation ● ● ● ● ● ●

● ● ●

gut lesbar verständlich in Fachsprache nachvollziehbar so korrigieren, dass der ursprüngliche Text lesbar bleibt möglichst zeitnah – durch Datum und Uhrzeit kenntlich machen Dopplungen vermeiden wertfreie Beschreibung Leitsatz: so kurz wie möglich und so ausführlich wie nötig.

10.6.3 Dokumentationsarten ● ●

handschriftlich: momentan noch überwiegend EDV-gestützt: Verbreitung nimmt stark zu und gewinnt im Rahmen der Entbürokratisierung bzw. der Effizienzsteigerung der Pflegedokumentation an Bedeutung.

10.6.5 Pflegevisite Die Pflegevisite kann im Rahmen einer patientennahen Übergabe durchgeführt werden. Mit dem Patienten werden pflegerische und patientenzentrierte Besonderheiten besprochen. Dabei kann gemeinsam mit dem Patienten seine Pflegeplanung entwickelt oder überprüft werden. Sie kann im stationären und ambulanten Bereich eingesetzt werden.

KOMPAK T Pflegeprozess und Pflegeplanung ●





10.6.4 Pflegeübergabe



In der Pflegeübergabe werden diese Informationen möglichst gut strukturiert an die folgende Schicht weitergeben, sodass eine Versorgung ohne Unterbrechung gesichert wird. Die Übergabe folgt dabei den oben genannten Anforderungen an die Dokumentation. Unterschieden wird dabei in: ● patientenferne Übergabe (z. B. im Stationszimmer) ● patientennahe Übergabe (z. B. am Bett des Patienten) ● Übergabe in der Großgruppe (z. B. mit allen Pflegekräften des Frühdienstes) ● Übergabe in einer individuellen Gruppe (z. B. Tourenübergabe in der ambulanten Pflege) ● mündlich (die Regel) ● schriftlich (selten)







Der Pflegeprozess ist ein systematischer und zielgerichteter Arbeitsablauf, mit dem Pflegende Probleme des Patienten erkennen und pflegerische Maßnahmen planen, organisieren, durchführen und evaluieren. Vorteile: Patientenorientierung, klare Struktur, Personalplanung, Nachweisbarkeit, Ziele verfolgbar, Belegung von Wirksamkeit, Qualitätssicherung wichtige Pflegeprozessmodelle: 4-Phasen-Modell der WHO und 6-schrittiges Pflegeprozessmodell nach Fiechter und Meier Pflegediagnosen erfolgen mit den Klassifikationssystemen NANDA-International, ENP, ICNP Bei der Erstellung der Pflegeplanung sollten die hausinternen Pflegestandards sowie die aktuellen Expertenstandards berücksichtigt werden. Dokumentation: umfassend, lückenlos, schriftlich, unterliegt dem Datenschutz, dient zur rechtlichen Absicherung Pflegeübergabe: patientennah/-fern, Großgruppe oder individuell, mündlich oder schriftlich

11

Qualitäts- und Fehlermanagement

Art und Umfang der pflegerischen Leistung (Durchführung der Pflege)

Rahmenbedingungen und Ressourcen der Einrichtung (Ausstattung)

Qualitätsverantwortung intern

Pflegeziel erreicht?

Prozess

MDK

Qualitätssicherung

Ergebnis

Struktur

Langzeitpflege: SGB XI

Qualitätsstufenmodell nach Fiechter und Meier

extern

§ 112

§ 135a

Krankenhaus: SGB V § 70 Pflegequalität

Stufe 0: gefährliche Pflege

Qualität

Stufe 1: sichere Pflege

Humanität

Wirtschaftlichkeit

Stufe 2: angemessene Pflege Stufe 3: optimale Pflege Patientensicherheit und Fehlermanagement Fehlerberichtsystem

Fehlerarten, z.B.

z.B. CIRS

Kundenorientierung

unerwünschtes Ereignis

Behandlungsschaden

Qualitätsmanagement Grundsätze, z.B.

Beinaheschaden

Prozessorientierung Instrumente, z.B.

PDCA-Zyklus

Beschwerdemanagement

Qualitätsmanagementsysteme, z.B.

Patientenfallbesprechung

Expertenstandards Pflegeleitbild

Mitarbeiterorientierung

Pflegeprozess

Qualitätszirkel

KTQ-Verfahren

Systemorientierung

Audit zur Qualitätskontrolle intern DIN EN ISO 9001

extern

Pflegequalität

11.1 Pflegequalität Definition Pflegequalität Pflegequalität ist der Grad der Übereinstimmung zwischen den Zielen der Berufsgruppe Pflege und dem erreichten Erfolg in der Pflege. Die Pflegequalität kann aus verschiedenen Perspektiven beurteilt werden. Die einzelnen Akteure des Gesundheitswesens verfolgen unterschiedliche Ziele: ● Den Krankenkassen ist die Kosteneffizienz pflegerischer Maßnahmen wichtig: hohe Wirkung bei niedrigen Kosten. ● Patienten wünschen sich guten und schnellen Behandlungserfolg. Donabedian unterteilt die Pflegequalität in 3 Kategorien: Strukturqualität = Rahmenbedingungen, unter denen pflegerische Leistungen erbracht werden (z. B. Anzahl und Qualifikation der Mitarbeiter oder Ausstattung mit Hilfsmitteln) ● Prozessqualität = direkte Pflege, also die Planung, Durchführung und Evaluation der Maßnahmen aus der individuellen Pflegeplanung unter Berücksichtigung von Pflegestandards ● Ergebnisqualität = geplantes Pflegeziel; ausschlaggebend sind dabei die Zufriedenheit der Patienten mit der Behandlung, der Behandlungserfolg und die Mitarbeiterzufriedenheit. ●

Die Struktur- und Prozessqualität beeinflussen die Ergebnisqualität. Sind z. B. nicht ausreichend gut geschulte Mitarbeiter vorhanden, die nach dem aktuellsten wissenschaftlichen Stand pflegen können, wirkt sich dies negativ auf den Behandlungserfolg der Patienten aus. Fiechter und Meier gliedern Pflegequalität zur genaueren Beschreibung in 4 Stufen (▶ Abb. 11.1).

11.1.1 Gesetzliche Grundlagen zur Pflegequalität Neben dem eigenen Interesse der Krankenhäuser, ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen besteht eine gesetzliche Verpflichtung, die pflegerische Qualität zu sichern und weiterzuentwickeln. Wichtige Regelungen finden sich im Sozialgesetzbuch (SGB V, XI) sowie im Heimgesetz (HeimG).

Krankenhaus SGB V – Regelungen der gesetzlichen Krankenversicherung: ● § 70 beschäftigt sich mit Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit. Krankenkassen und Krankenhäuser tragen dafür Sorge, dass eine bedarfsgerechte Versorgung der Patienten nach dem aktuellsten Wissen erfolgt. Die Versorgung soll zudem zweckmäßig, also das Notwendige nicht überschreitend und wirtschaftlich sein. ● § 135a regelt die Verpflichtung zur Qualitätssicherung (QS, oft auch Qualitätsentwicklung genannt). Die Leistungserbringer sind verpflichtet, die Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen zu sichern und weiterzuentwickeln. Dazu werden 2 Ansätze unterschieden: – interne QS: Bearbeitung der konkreten Unterschiede von Soll- und Ist-Zustand, je nach Handlungsbedarf des Hauses – externe QS: Beteiligung an einrichtungsübergreifenden Maßnahmen, die einen Vergleich der Häuser ermöglichen, z. B. anhand der Anzahl neu entstandener Dekubiti, sowie die Teilnahme an Überprüfungen durch externe Organisationen nach festgelegten Kriterien (Zertifizierung).

Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtung SGB XI – Regelungen der sozialen Pflegeversicherung: ● § 112 (Qualitätsverantwortung) macht die Pflegeeinrichtungen für die Sicherung und Weiterentwicklung der Pflegequalität verantwortlich. Sie sind verpflichtet, – ein Qualitätsmanagement durchzuführen, – die Expertenstandards umzusetzen und – bei der Qualitätsprüfung mitzuwirken, die vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) vorgenommen wird. Pflegekräfte oder Ärzte des MDK kommen ohne Vorankündigung in die Einrichtungen und überprüfen neben den allgemeinen Pflegeleistungen die medizinische Behandlungspflege, die soziale Betreuung sowie Unterkunft und Verpflegung. Dazu werden auch einige der Pflegebedürftigen befragt. Die Ergebnisse werden anschließend im Internet veröffentlicht und müssen in den Pflegeeinrichtungen aushängen. Heimgesetz • Das Heimgesetz (HeimG) regelt Rahmenbedingungen der stationären Pflege älterer, pflegebedürftiger oder volljähriger Menschen mit Behinderung. Innerhalb dieses Rahmens kann jedes Bundesland eigene Regeln erlassen.

Abb. 11.1 Qualitätsstufenmodell nach Fiechter und Meier.

Stufe 3 optimale Pflege Der Patient erhält individuelle Hilfe und Unterstützung, um seine Selbstständigkeit zu erhalten oder wiederzugewinnen und seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Stufe 2 angemessene Pflege Der Patient wird in seinem Streben nach Selbstständigkeit unterstützt und erhält – soweit möglich – Hilfen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen.

Stufe 1 sichere Pflege Der Patient erhält die notwendige Pflege. Er ist nicht gefährdet und erleidet keinen Schaden.

Stufe 0 gefährliche Pflege Der Patient ist z. B. durch Pflegefehler gefährdet oder erleidet Schäden, z. B. Dekubitus, Kontraktur usw.

Nach dem Modell kann die Pflegequalität in eine der 4 Stufen eingeteilt werden. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

l 11

Qualitäts- und Fehlermanagement

11.2 Qualitätsmanagement Definition Qualitätsmanagement Unter Qualitätsmanagement (QM) sind nach DIN EN ISO 9000:2005 alle Tätigkeiten zum Leiten und Lenken eines Krankenhauses bzw. einer Pflegeeinrichtung zu verstehen, die dazu dienen, die Qualität der angebotenen Dienstleistungen zu verbessern. Kunden informieren sich genau über die Leistungen und Qualität eines Hauses. Trotz des gestiegenen wirtschaftlichen Drucks werden von den Einrichtungen des Gesundheitswesens qualitativ hochwertige Dienstleistungen erwartet.

11.2.1 Grundsätze Um die vorhandene Qualität einer Einrichtung festzustellen, zu sichern und zu verbessern, werden folgende Grundsätze verfolgt: ● Kundenorientierung: Im Mittelpunkt des QM steht die Zufriedenheit des Kunden. ● Verantwortung der Unternehmensleitung: Die Führungskräfte einer Einrichtung müssen die erforderlichen Bedingungen dafür schaffen, dass die Mitarbeiter den Qualitätsansprüchen gerecht werden können, z. B. durch einen angemessenen Personalschlüssel. ● Mitarbeiterorientierung: Die Mitarbeiter müssen über die notwendige Qualifikation zur Erfüllung ihrer Aufgaben verfügen. Dies kann durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen erreicht werden. ● Prozessorientierung: Ein komplexes (Pflege-)Ziel wird in einzelne Teilschritte (Prozesse) untergliedert, die anschließend genau beschrieben werden, z. B. in Pflegestandards. ● Systemorientierung: Alle Prozesse (Leistungen, die eine Einrichtung erbringt) werden als System betrachtet. Diese stehen miteinander in Wechselbeziehung und müssen daher aufeinander abgestimmt sein. ● Verbesserung: Durch kontinuierliches Evaluieren der Leistungen können diese verbessert werden. Dies ist das Ziel des QM. Für die Umsetzung der Grundsätze sind Qualitätsmanager gemeinsam mit der Unternehmensleitung zuständig. In der Qualitätspolitik werden die Absichten und Ziele eines Unternehmens beschrieben. Wichtig dabei ist, dass sich alle Mitarbeiter damit identifizieren können, um danach zu handeln. Folgende Themen sollten angesprochen werden: ● Selbstverständnis des Unternehmens = Leitbild (Kap. 7.4) ● Umgang mit Fehlern ● Anspruch an die eigene Leistung ● Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit Bei der Erarbeitung der Ziele und Maßnahmen kann der PDCA-Zyklus herangezogen werden. (▶ Abb. 11.2). Er ist, wie der Pflegeprozess, ein Problemlöseprozess und wird spiralförmig und kontinuierlich durchlaufen. Dieser Zyklus ist dabei nicht dem QM vorbehalten. Auch Pflegepersonen verwenden ihn täglich, teilweise unbewusst, und tragen so zur Qualitätssteigerung des Krankenhauses bei.

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Abb. 11.2 PDCA-Zyklus. Planung

Verbesserung

Act • Anpassen und/ oder Weiterführen der Maßnahmen

Plan • Ist-Zustand beurteilen • Ziele und Maßnahmen festlegen

Check • Prüfen des Erfolgs der Maßnahmen

Do • Maßnahmen einleiten und umsetzen

Überprüfung

Umsetzung

Zur kontinuierlichen Steigerung der Qualität kann der PDCA-Zyklus eingesetzt werden. Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015

11.2.2 Qualitätsmanagementsysteme Definition Qualitätsmanagementsysteme Bei QM-Systemen handelt es sich um bewährte Methoden/Strukturen zur Überprüfung der Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität mit dem Ziel, die vorhandene Qualität zu erfassen, zu sichern und weiterzuentwickeln. Im deutschen Gesundheitswesen haben sich 3 QM-Systeme durchgesetzt: ● DIN EN ISO 9001: Das QM-System legt Mindestanforderungen für die Steigerung der Kundenzufriedenheit und die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse fest. Unternehmen können sich zertifizieren lassen, wenn sie alle Anforderungen erfüllen. Dies wird anhand eines QMHandbuches (s. u.) überprüft. ● EFQM-Modell für Excellence: Mit diesem Modell können Unternehmen Stärken und mögliche Verbesserungsansätze identifizieren. Ein Unternehmen kann sich anhand eines Punktesystems selbst bewerten und sich bei Erreichen einer bestimmten Punktezahl um den Europäischen Qualitätspreis bewerben. ● KTQ-Verfahren: Das Verfahren ist auf Krankenhäuser ausgerichtet und dient dazu, ein bereits vorhandenes QMSystem zu bewerten und zu verbessern. Einrichtungen führen mithilfe des KTQ-Manuals eine Selbstbewertung in festgelegten Kategorien anhand des PDCA-Zyklus durch. Nach Anpassung verschiedener Prozesse erfolgt eine Fremdbewertung durch KTQ-Visitatoren, die ein Zertifikat erteilen, sofern eine bestimmte Punktzahl erreicht wurde. Qualitätsmanagementsystem einführen • Ein QM-System in einem Unternehmen einzuführen ist sehr komplex, da es einige Veränderungen mit sich bringt. Die Umsetzung sollte

Patientensicherheit und Fehlermanagement gut geplant und strukturiert nach dem PDCA-Zyklus erfolgen. Audits (= Qualitätskontrollen) dienen dazu, das QMSystem zu überprüfen. ● interne Audits z. B. durch QM-Beauftragte des Unternehmens ● externe Audits durch unternehmensfremde Personen, meist während einer Zertifizierung Das QM-Handbuch ist das zentrale Element der Dokumentation des QM-Systems. Folgende Punkte sollten enthalten sein: ● Angaben zur Qualitätspolitik, zum QM-System, zu den Bewertungssystemen, zum Unternehmensleitbild und zum Leistungsumfang des Unternehmens ● Hinweise zur Verwendung und Aktualisierung des QMHandbuchs ● Verfahrens- und Arbeitsanweisungen aller Prozesse innerhalb des Unternehmens

11.2.3 Instrumente zur Qualitätssteigerung ●

● ● ● ●













Pflegeleitbild: beschreibt die Werte, Normen und Ziele der pflegerischen Arbeit (siehe Kap. 7.4). Pflegeprozess (siehe Kap. 10) Pflege- und Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) Pflegevisite (siehe Kap. 10.6) Patientenfallbesprechung: interdisziplinäre Besprechung über den Behandlungsprozess und die pflegerische Versorgung eines Patienten. Es wird die Wirkung bisheriger Maßnahmen evaluiert und Alternativen diskutiert. Ebenso können bei der Versorgung auftretende ethische Konflikte analysiert werden. Daher wird die Patientenfallbesprechung überwiegend bei Patienten mit komplexen/multiplen Krankheitsbildern abgehalten. Mitarbeiterqualifizierung: Durch regelmäßige Fort-, Weiterbildungen und lebenslanges Lernen tragen Pflegende zu einer hohen Qualität ihrer Arbeit bei. Mitarbeitergespräche (oder Personalentwicklungsgespräche) finden zwischen einem Mitarbeiter und einer Führungskraft statt. Mögliche Themen sind die Zusammenarbeit, bestehende Probleme, Leistungen und (Weiterentwicklungs-)Ziele des Mitarbeiters. Qualitätszirkel: interdisziplinäre Arbeitskreise, die Maßnahmen zur Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung besprechen Beschwerdemanagement dient dazu, durch Aufdeckung von Schwachstellen Verbesserungspotenziale zu finden. In Befragungen wird überprüft, ob die im QM gesetzten Ziele erreicht werden konnten. Risikomanagement ist eine Führungsaufgabe, in der die aktuellen und potenziellen Risiken in einer Gesundheitseinrichtung identifiziert, analysiert und bewertet werden, um Schäden von Patienten, Mitarbeitern und Besuchern vorzubeugen.

11.3 Patientensicherheit und Fehlermanagement Definition Patientensicherheit Patientensicherheit umfasst nicht nur die Abwesenheit von unerwünschten Ereignissen, sondern auch die Maßnahmen zu deren Vermeidung sowie die Einhaltung von Qualitätsstandards.

Definition Fehlermanagement Das Fehlermanagement beschäftigt sich mit dem Umgang mit Fehlern. Ziel ist es, Fehler zu erkennen, zu beurteilen und zu korrigieren. Es soll eine Unternehmenskultur geschaffen werden, die offen mit Fehlern umgeht, sie nicht als Versäumnis einer einzelnen Person zuschreibt und die versucht, aus Fehlern zu lernen. Fehlerberichtssysteme ● Grundgedanke: Man kann aus Fehlern anderer lernen. ● Ziel: Patientenversorgung verbessern und Patientensicherheit erhöhen ● Fehlerarten: unerwünschtes Ereignis, vermeidbares unerwünschtes Ereignis, Beinaheschaden, Behandlungsschaden ● anonymisierte Erfassung von Ereignissen, die zu physischen oder psychischen Schädigungen von Patienten, Mitarbeitern und/oder Besuchern hätten führen können bzw. führten ● Diese Ereignisse werden analysiert, Lösungs- und Verbesserungsstrategien werden entwickelt und anschließend wird der gesamte „Fall“ anonymisiert und unternehmensintern veröffentlicht. ● meistverbreitetes System: CIRS (critical incident reporting system: www.kh-cirs.de)

KOMPAK T Qualitäts- und Fehlermanagement ●







● ●



Pflegequalität ist der Grad der Übereinstimmung zwischen den Pflegezielen und dem erreichten Erfolg. Donabedian unterteilt die Pflegequalität in 3 Kategorien: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Das Qualitätsstufenmodell von Fiechter und Meier unterteilt in 4 Stufen von gefährlicher bis optimaler Pflege. Gesetzliche Grundlage sind SGB V (§ 70 Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit und § 135a Interne und externe Qualitätssicherung) und SGB XI (§ 112 Qualitätsverantwortung, überprüft durch den MDK). Qualitätssicherung erfolgt mithilfe des PDCA-Zyklus. Qualitätsmanagementsysteme: DIN EN ISO 9001, EFQM-Modell für Excellence und KTQ-Verfahren Instrumente zur Qualitätssteigerung: Pflegeleitbild, Pflegeprozess, Pflege- und Expertenstandards, Pflegevisite, Patientenfallbesprechungen, Mitarbeiterqualifizierung, Qualitätszirkel etc.

Patientensicherheit und Fehlermanagement gut geplant und strukturiert nach dem PDCA-Zyklus erfolgen. Audits (= Qualitätskontrollen) dienen dazu, das QMSystem zu überprüfen. ● interne Audits z. B. durch QM-Beauftragte des Unternehmens ● externe Audits durch unternehmensfremde Personen, meist während einer Zertifizierung Das QM-Handbuch ist das zentrale Element der Dokumentation des QM-Systems. Folgende Punkte sollten enthalten sein: ● Angaben zur Qualitätspolitik, zum QM-System, zu den Bewertungssystemen, zum Unternehmensleitbild und zum Leistungsumfang des Unternehmens ● Hinweise zur Verwendung und Aktualisierung des QMHandbuchs ● Verfahrens- und Arbeitsanweisungen aller Prozesse innerhalb des Unternehmens

11.2.3 Instrumente zur Qualitätssteigerung ●

● ● ● ●













Pflegeleitbild: beschreibt die Werte, Normen und Ziele der pflegerischen Arbeit (siehe Kap. 7.4). Pflegeprozess (siehe Kap. 10) Pflege- und Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) Pflegevisite (siehe Kap. 10.6) Patientenfallbesprechung: interdisziplinäre Besprechung über den Behandlungsprozess und die pflegerische Versorgung eines Patienten. Es wird die Wirkung bisheriger Maßnahmen evaluiert und Alternativen diskutiert. Ebenso können bei der Versorgung auftretende ethische Konflikte analysiert werden. Daher wird die Patientenfallbesprechung überwiegend bei Patienten mit komplexen/multiplen Krankheitsbildern abgehalten. Mitarbeiterqualifizierung: Durch regelmäßige Fort-, Weiterbildungen und lebenslanges Lernen tragen Pflegende zu einer hohen Qualität ihrer Arbeit bei. Mitarbeitergespräche (oder Personalentwicklungsgespräche) finden zwischen einem Mitarbeiter und einer Führungskraft statt. Mögliche Themen sind die Zusammenarbeit, bestehende Probleme, Leistungen und (Weiterentwicklungs-)Ziele des Mitarbeiters. Qualitätszirkel: interdisziplinäre Arbeitskreise, die Maßnahmen zur Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung besprechen Beschwerdemanagement dient dazu, durch Aufdeckung von Schwachstellen Verbesserungspotenziale zu finden. In Befragungen wird überprüft, ob die im QM gesetzten Ziele erreicht werden konnten. Risikomanagement ist eine Führungsaufgabe, in der die aktuellen und potenziellen Risiken in einer Gesundheitseinrichtung identifiziert, analysiert und bewertet werden, um Schäden von Patienten, Mitarbeitern und Besuchern vorzubeugen.

11.3 Patientensicherheit und Fehlermanagement Definition Patientensicherheit Patientensicherheit umfasst nicht nur die Abwesenheit von unerwünschten Ereignissen, sondern auch die Maßnahmen zu deren Vermeidung sowie die Einhaltung von Qualitätsstandards.

Definition Fehlermanagement Das Fehlermanagement beschäftigt sich mit dem Umgang mit Fehlern. Ziel ist es, Fehler zu erkennen, zu beurteilen und zu korrigieren. Es soll eine Unternehmenskultur geschaffen werden, die offen mit Fehlern umgeht, sie nicht als Versäumnis einer einzelnen Person zuschreibt und die versucht, aus Fehlern zu lernen. Fehlerberichtssysteme ● Grundgedanke: Man kann aus Fehlern anderer lernen. ● Ziel: Patientenversorgung verbessern und Patientensicherheit erhöhen ● Fehlerarten: unerwünschtes Ereignis, vermeidbares unerwünschtes Ereignis, Beinaheschaden, Behandlungsschaden ● anonymisierte Erfassung von Ereignissen, die zu physischen oder psychischen Schädigungen von Patienten, Mitarbeitern und/oder Besuchern hätten führen können bzw. führten ● Diese Ereignisse werden analysiert, Lösungs- und Verbesserungsstrategien werden entwickelt und anschließend wird der gesamte „Fall“ anonymisiert und unternehmensintern veröffentlicht. ● meistverbreitetes System: CIRS (critical incident reporting system: www.kh-cirs.de)

KOMPAK T Qualitäts- und Fehlermanagement ●







● ●



Pflegequalität ist der Grad der Übereinstimmung zwischen den Pflegezielen und dem erreichten Erfolg. Donabedian unterteilt die Pflegequalität in 3 Kategorien: Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Das Qualitätsstufenmodell von Fiechter und Meier unterteilt in 4 Stufen von gefährlicher bis optimaler Pflege. Gesetzliche Grundlage sind SGB V (§ 70 Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit und § 135a Interne und externe Qualitätssicherung) und SGB XI (§ 112 Qualitätsverantwortung, überprüft durch den MDK). Qualitätssicherung erfolgt mithilfe des PDCA-Zyklus. Qualitätsmanagementsysteme: DIN EN ISO 9001, EFQM-Modell für Excellence und KTQ-Verfahren Instrumente zur Qualitätssteigerung: Pflegeleitbild, Pflegeprozess, Pflege- und Expertenstandards, Pflegevisite, Patientenfallbesprechungen, Mitarbeiterqualifizierung, Qualitätszirkel etc.

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Rechtliche Grundlagen der Pflege

Schutz der Menschenwürde

freie Meinungsäußerung

Asyl

Menschenrechte, z.B.

Wahlrecht

Bürgerrechte, z.B.

Urlaub

freie Berufswahl steht über allen anderen Gesetzen

Gehalt

Staatsangehörigkeit

Kündigung

Probezeit Grundrechte

Pflichten Haftung

Jugendschutz

Grundgesetz

Arbeitsrecht, z.B.

regelt die Arzneimittelversorgung Arzneimittelgesetz Anordnungsverantwortung pflegerelevante Rechtsgebiete

Übernahmeund Durchführungsverantwortung?

spezielle Gesetze im Pflegebereich

Weisungsrecht

Medizinproduktegesetz

Delegation

Sterbehilfe

Weigerungsrecht?

fahrlässige Tötung Schweigepflicht

Patientenverfügung Schutz des freien Willens

unterlassene Hilfeleistung Injektion

Körperverletzung

mutmaßliche Einwilligung

regelt den Umgang mit Medizinprodukten

Betreuungsrecht

freiheitsbeschränkende Maßnahmen

Infektionsschutzgesetz regelt die Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten Transplantationsgesetz regelt die Organspende

Arbeitsrecht

12.1 Das Grundgesetz



Das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland (BRD) steht über allen Gesetzen. Somit hat es Vorrang vor allen anderen Rechtsnormen des Bundes und der Länder. Es ist durch die Ewigkeitsklausel vor willkürlichen Veränderungen geschützt. Die Grundrechte sind somit für jeden Menschen garantiert. Darin integriert finden sich u. a. die Menschen- und Bürgerrechte (▶ Abb. 12.1).

12.2 Arbeitsrecht Pflegende sind sog. (einfache) Angestellte (z. B. im Krankenhaus, in einer Pflegeeinrichtung). Aus diesem Angestelltenverhältnis ergeben sich Rechte und Pflichten, die im Arbeitsvertrag enthalten sind. ● Probezeit: – maximal 6 Monate – In der Zeit kann von beiden Seiten eine Kündigung ohne Angaben von Gründen eingereicht werden. ● Urlaub: – Jeder Arbeitnehmer hat Anspruch auf mindestens 20 Tage Urlaub bei einer 5-Tage-Woche und 24 Tage bei einer 6-Tage-Woche im Kalenderjahr. – Je nach Arbeits- oder Tarifvertrag können es auch mehr Urlaubstage sein. ● Gehalt: – wird im Arbeitsvertrag geregelt, meist durch einen Verweis auf den Tarifvertrag – Sonderzahlungen (z. B. Weihnachts- oder Urlaubsgeld) sind besondere Leistungen, auf die kein Anspruch besteht, außer sie sind im Arbeitsvertrag festgehalten.





Kündigung: – Eine Kündigung ist eine einseitige Willenserklärung, durch die ein Arbeitsverhältnis beendet wird. Sie kann vom Arbeitgeber (AG) oder vom Arbeitnehmer (AN) ausgesprochen werden. – Eine (schriftliche!) Kündigung durch den AN ist unter Einhaltung einer Frist jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich. – Eine (schriftliche!) Kündigung durch den AG darf nur unter Berücksichtigung des Kündigungsschutzes erfolgen, der i. d. R. nach der Probezeit in Kraft tritt. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) regelt die Vorschriften zu Fristen und Kündigungsgründen. Man unterscheidet die verhaltensbedingte (z. B. wegen wiederholten Zuspätkommens), betriebsbedingte (z. B. aufgrund von betrieblichen Erfordernissen) und personenbedingte (z. B. Entzug des Führerscheins bei Kraftfahrern) Kündigung. – Bei einer außerordentlichen Kündigung müssen keine Fristen eingehalten werden, dabei muss ein wichtiger Grund vorliegen (z. B. Straftat, Arbeitsverweigerung, Beleidigung). – Sonderkündigungsschutz besteht z. B. für Schwangere, Schwerbehinderte, Auszubildende (§ 22 Berufsbildungsgesetz), Betriebsratsmitglieder. Pflichten: – Pflegekräfte sind dazu verpflichtet, die vereinbarte Arbeit zu leisten, die Schweigepflicht einzuhalten, dem AG treu zu sein und mit Materialien sorgfältig und wirtschaftlich umzugehen. Haftung: – Handelt die Pflegefachkraft im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, übernimmt die Verantwortung dafür der Arbeitgeber. Kann jedoch nachgewiesen werden, dass die

Abb. 12.1 Unterteilung der Grundrechte. Grundrechte Menschenrechte

•Schutz der Menschenwürde Bürgerrechte • Anspruch auf gesetzlichen Richter • Wahlrecht • Gleichheit vor dem Gesetz • Widerstandsrecht • Gehör vor Gericht • Versammlungsfreiheit • Glaubens- und Gewissensfreiheit • Freie Meinungsäußerung • Staatsangehörigkeit • Schutz der Ehe und Familie • Brief- und Postgeheimnis • Freie Entfaltung der Persön• Freie Berufswahl lichkeit • Freizügigkeit • Petitionsrecht • Unverletzlichkeit der Wohnung • Gewährleistung des Eigentums • Überführung in Gemeineigentum • Schulaufsicht, Elternrechte • Asyl

• Gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern

Die im Grundgesetz enthaltenen Grundrechte lassen sich in erster Linie in Menschen- und Bürgerrechte unterteilen. Aus: Hell W. Alles Wissenswerte über Staat, Bürger, Recht. Staatsbürger- und Gesetzeskunde. Thieme; 2018

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Rechtliche Grundlagen der Pflege Pflegefachkraft vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat, kann der Arbeitgeber Regressansprüche geltend machen, d. h. den Ausgleich des Schadens vom Arbeitnehmer einfordern.

12.2.1 Jugendarbeitsschutzgesetz Für Auszubildende unter 18 Jahren gilt das Jugendarbeitsschutzgesetz. Dieses besagt u. a.: ● § 1 Geltungsbereich: gilt für alle Personen unter 18 Jahren, die in einem Berufsausbildungsverhältnis stehen ● § 8 Dauer der Arbeitszeit: 8 Std. täglich, nicht mehr als 40 Std. wöchentlich ● § 11 Ruhepausen: angemessene Ruhepausen müssen gewährt werden. Bei 4–6 Std. 30 Min.; bei einer Arbeitszeit über 6 Std. 60 Min. ● § 12 Schichtzeit: maximal 10 Std. ● § 13 Tägliche Freizeit: Erholungszeit von mindestens 12 Std. ohne Unterbrechung ● § 14 Nachtruhe: Jugendliche dürfen von 6–20 Uhr beschäftigt werden; ab 16 Jahre in Mehrschichtbetrieben (Krankenhäusern) bis 23 Uhr. ● § 15 5-Tage-Woche: Jugendliche dürfen an 5 Tagen in der Woche arbeiten, wobei die beiden wöchentlichen Ruhetage nach Möglichkeit aufeinander folgen sollten. ● § 16 Samstagsruhe und § 17 Sonntagsruhe: In Krankenhäusern sowie Pflegeeinrichtungen ist die Samstags- und Sonntagsarbeit für Jugendliche erlaubt. Mindestens 2 Sonntage im Monat müssen beschäftigungsfrei bleiben. ● § 18 Feiertage: An gesetzlichen Feiertagen dürfen Jugendliche nicht beschäftigt werden, dies gilt auch für den 24. Dezember und den 31. Dezember nach 14 Uhr. ● § 19 Urlaub: mindestens 27 Werktage jährlich, wenn der Jugendliche zu Beginn des Kalenderjahrs noch nicht 17 Jahre ist; mindestens 25 Werktage jährlich, wenn der Jugendliche zu Beginn des Kalenderjahrs noch nicht 18 Jahre ist

12.3 Pflegerelevante Rechtsgebiete 12.3.1 Weisungsrecht Grundsätzlich hat der AG gegenüber der Pflegefachkraft das Weisungsrecht. Er kann bestimmten Mitarbeitern eine Weisungsbefugnis übertragen. Meist sind das Führungskräfte (Stationsleitungen), häufig auch Ärzte oder andere Vorgesetzte. Pflegekräfte müssen jede Weisung fachlich prüfen. Bei Unsicherheiten ist der Vorgesetzte zu kontaktieren. Mögliche strafbare Handlungen sowie fachlich nicht korrekte Maßnahmen müssen und dürfen Pflegekräfte nicht durchführen. Für eventuelle Folgen können sie persönlich verantwortlich gemacht werden.

ACHTUNG Jede Weisung muss auf ihre Fachlichkeit geprüft werden!

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12.3.2 Delegation Unter Delegation versteht man das Weiterreichen von Aufgaben innerhalb eines Systems durch den Arbeitgeber (Direktions- und Weisungsrecht). Dazu gehört in der Gesundheitsversorgung auch das Übertragen von ärztlichen Aufgaben an das Pflegepersonal. Nicht alle Aufgaben können delegiert werden. Unterscheidung in: ● allgemein delegationsfähige ärztliche Leistungen: Präsenz des Arztes ist nicht notwendig. Nachdem er sich überzeugt hat, dass das Personal ausreichend qualifiziert ist, kann er die Aufgabe delegieren. Beispiele: Dauerkatheterwechsel, Wechsel einfacher Verbände, Messverfahren. ● im Einzelfall delegationsfähige ärztliche Leistungen: Ärzte müssen für den einzelnen Fall entscheiden, ob die Pflegefachkraft die nötigen Kompetenzen für die Maßnahme besitzt, und das Risikopotenzial der Maßnahme für den Patienten abwägen, beispielsweise bei Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen. ● nicht delegationsfähige ärztliche Leistung: Diese Aufgaben müssen Ärzte selbst durchführen, da sie besonders schwierig oder risikoreich sind (z. B. invasive Eingriffe). Bei der Delegation werden folgende Verantwortungsbereiche unterschieden: ● Anordnungsverantwortung: Wer delegiert, muss sicherstellen, dass die Anordnung richtig, klar und eindeutig ist und die beauftragte Person die nötigen Kompetenzen hat, um diese auszuführen. Er hat gleichzeitig die Überwachungspflicht. ● Übernahme- und Durchführungsverantwortung: Wer eine Aufgabe übernimmt, muss fachlich dazu in der Lage sein und die Verantwortung tragen. Bei der Durchführung der Maßnahme sollte sorgfältig und nach dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gearbeitet werden. Bei nicht eindeutigen Anweisungen sollte nachgefragt werden.

Anordnung Eine Anordnung bspw. eines Arztes muss klar und deutlich formuliert sein. Wird eine Tätigkeit delegiert, sollte dies immer schriftlich erfolgen. Pflegende sollten bei unklarer Formulierung nachfragen und auf eine schriftliche Delegation bestehen.

Weigerungsrecht – Remonstrationsrecht Liegen berechtigte Gründe (z. B. fehlende Kenntnisse) gegen die Übernahme einer delegierten Aufgabe vor, so darf/muss die Übernahme abgelehnt werden (Remonstrationsrecht). Ausnahme: Lebensrettende Maßnahmen müssen immer ergriffen werden, sonst macht man sich unter Umständen der unterlassenen Hilfeleistung strafbar.

12.3.3 Schweigepflicht ● ●

Wird im Strafgesetzbuch (StGB) § 203 und § 204 geregelt. Keine Geheimnisse (= Informationen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und ein berechtigtes Interesse zur Geheimhaltung für den Betroffenen besteht) und Informationen des Patienten dürfen an Dritte weitergegeben werden, die nicht an der Behandlung beteiligt sind (z. B. auch Angehörige oder Freunde).

Pflegerelevante Rechtsgebiete ●



Die Geheimhaltungspflicht gilt für medizinische und private Informationen. Pflegekräfte können durch eine ausdrückliche oder eine mutmaßliche Einwilligung von der Schweigepflicht entbunden werden. Die Schweigepflicht gilt auch über den Tod des Patienten hinaus und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

12.3.4 Körperverletzung Medizinische und pflegerische Eingriffe (z. B. Injektionen) stellen grundsätzlich eine Körperverletzung dar und bedürfen eines Rechtfertigungsgrunds, um vor dem Gesetz zulässig zu sein. Die wichtigsten Rechtfertigungsgründe sind: ● ausdrückliche Einwilligung (mündlich und schriftlich) ● mutmaßliche Einwilligung (z. B. bei bewusstlosen Personen) ● Nothilfe bei akuter Bedrohung, um größere Schäden zu verhindern (z. B. bei Reanimation)

12.3.5 Unterlassene Hilfeleistung ● ●







Wird im § 323 c StGB geregelt. Wer bei Notfällen und allgemeiner Gefahr (Brand, Katastrophen usw.) keine Hilfe leistet, obwohl die Hilfe erforderlich und das Hilfeleisten zumutbar war, kann bestraft werden. Wenn bereits Hilfe geleistet wird, ist keine weitere Hilfe erforderlich, allerdings muss man sich überzeugen, ob die Menschen vor Ort tatsächlich Hilfe leisten. Einer Pflegefachkraft kann grundsätzlich zugemutet werden, weitere Hilfe anzufordern und eine Ersthilfe einzuleiten. Eine Hilfeleistung ist unzumutbar, wenn man sich z. B. selbst in Gefahr bringt.

12.3.6 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen Eine Freiheitsbeschränkung liegt vor, wenn jemand gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen bestimmten Ort aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten. Eine Freiheitsentziehung ist die schwerste Form davon und liegt vor, wenn die körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin aufgehoben ist. Willigt ein Patient in eine solche Maßnahme ein, ist sie rechtlich bedenkenlos. Ist er selbst nicht einwilligungsfähig, übernimmt dies der Betreuer oder der Erziehungsberechtigte. Grundsätzlich sind Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM) nur bei Eigen- oder Fremdgefährdung zulässig, wenn sie dem Wohl des Patienten dienen und alle alternativen Maßnahmen erfolglos waren. Juristisch werden 2 Formen von FEM unterschieden:

Unterbringung Wird in § 1906 Abs. 1 BGB geregelt. Ein Patient wird gegen seinen Willen an einen anderen Ort gebracht. Folgende 2 Voraussetzungen rechtfertigen eine Unterbringung:





Es liegt eine Selbst- oder Fremdgefährdung vor (z. B. bei Demenz oder psychischen Erkrankungen inkl. der strafrechtlichen Unterbringung). Es ist eine Heilbehandlung notwendig und der Betroffene verweigert sie.

Details regelt außerdem das Unterbringungsgesetz (UBG) der einzelnen Bundesländer.

Fixierung Wird in § 1906 Abs. 4 BGB geregelt und ist in 2 Formen unterteilt: ● Eine mechanische Fixierung (z. B. durch hochgestellte Bettseiten oder Gurte) kann in einer Notsituation angewendet werden, z. B. bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung (§§ 32, 34, 35 StGB). Dafür muss eine schriftliche ärztliche Anordnung vorliegen. Für längere Fixierung (dauerhaft oder regelmäßig) ist zeitnah (spätestens am folgenden Werktag) eine richterliche Anordnung notwendig. ● Die medikamentöse Fixierung durch Schlafmittel und Psychopharmaka gilt dann als freiheitsbeschränkende Maßnahme, wenn sie allein aus dem Grund erfolgt, einen Menschen ruhigzustellen.

12.3.7 Betreuungsrecht ●



● ●











Vertritt eine Person eine andere volljährige Person in rechtlicher Hinsicht, spricht man von einer Betreuung. Die Voraussetzungen sind in § 1896 BGB geregelt: Es muss ein ärztliches Gutachten über eine psychische Erkrankung bzw. eine körperliche, geistige oder seelische Behinderung vorliegen. Eine Einwilligung ist nicht zwangsläufig erforderlich. Grundsätzlich kann ein Betreuer nur bestellt werden, wenn der Patient seine Angelegenheiten ganz oder teilweise (Geschäftsunfähigkeit bzw. beschränkte Geschäftsfähigkeit) nicht mehr besorgen kann. Der Betreuer muss immer im Sinne und zum Wohle des Betreuten entscheiden. Unterschieden werden die Bereiche: Geldangelegenheiten, Aufenthaltsort, Gesundheitsfragen. Dabei können auch nur einzelne Aufgabenkreise innerhalb der Bereiche festgelegt werden. Der Betreuer muss fachlich und persönlich geeignet sein (Wünsche des Betreuten sind hierbei zu berücksichtigen). Zuständig für das Betreuungsverfahren ist das örtliche Betreuungsgericht. Wichtig: Solange der Betreute noch selbst entscheiden kann (d. h. sich der möglichen Konsequenzen bewusst ist), darf er das auch. Eine Betreuung ist keine Entmündigung!

12.3.8 Schutz des freien Willens Grundsätzlich ist der freie Wille des Menschen zu respektieren. Kann ein Mensch die Folgen seines Handelns jedoch noch nicht oder nicht mehr vollständig überblicken, übernimmt eine zweite Person die Entscheidungen. Sie benötigt dazu eine Vertretungsvollmacht. ● Bei unter 18-Jährigen übernehmen diese Aufgabe automatisch die Eltern (§ 1626 und § 1629 BGB).

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Rechtliche Grundlagen der Pflege ●

Bei kognitiv eingeschränkten Personen kann eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung den freien Willen schützen.

In einer Vorsorgevollmacht wird eine Vertrauensperson bevollmächtigt, sofort bestimmte Entscheidungen für die kognitiv eingeschränkte Person zu treffen, ohne von einem Vormundschaftsgericht bestellt worden zu sein. Diese Entscheidungen lassen sich auf bestimmte Bereiche beschränken. Pflegende sollten für jeden Patienten die Vertretungsvollmacht prüfen: Gibt es eine Vorsorgevollmacht und/oder Patientenverfügung? Gibt es einen Betreuer?



12.3.9 Patientenverfügung







● ●



Jeder volljährige Mensch darf eine Patientenverfügung (PV) verfassen. Darin trifft er vorab Entscheidungen darüber, wie in bestimmten Situationen oder Umständen verfahren werden soll, falls er zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ist, sich dazu zu äußern. Sie sichert die Selbstbestimmung eines Menschen. Die PV ist bindend für das medizinische Personal. Wer sich nicht an die PV hält, macht sich strafbar. Bei der Formulierung muss einiges beachtet werden; daher ist es sinnvoll, vorgefertigte Formulare zu verwenden.

12.3.10 Fahrlässige Tötung





Das Arzneimittelgesetz regelt eine ordnungsmäßige und sichere Arzneimittelversorgung von Menschen und Tieren. Verstöße können mit Gefängnisstrafen bestraft werden (siehe Kap. 36). Das Medizinproduktegesetz regelt, welche technischen, medizinischen und Informationsanforderungen für Medizinprodukte notwendig sind, damit diese eingesetzt werden können. Die Verwendung von Medizinprodukten, deren Verfallsdatum überschritten ist, ist ein Beispiel eines Verstoßes und kann bestraft werden. Das Infektionsschutzgesetz regelt die gesetzlichen Pflichten zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen. Die Schaffung eines Informationssystems von Bund und Ländern ist gesetzlich vorgeschrieben. Das Transplantationsgesetz regelt, unter welchen Umständen bei Lebenden und bei Toten eine Organentnahme und eine Organspende gestattet sind. Auch hier muss der Betroffene eingewilligt haben, damit es zulässig ist (siehe auch Kap. 45.3 und Kap. 48).

KOMPAK T Rechtliche Grundlagen der Pflege ●

Sie liegt vor, wenn ein Patient aus Unachtsamkeit zu Tode kommt, beispielsweise wenn durch Verwechslung ein falsches Medikament gegeben wird, was dann zum Herzversagen führt.



12.3.11 Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid



Die rechtlichen Grundlagen dazu regeln das GG und das StGB. Bei der Sterbehilfe unterscheidet man die folgenden Begriffe: ● aktive Sterbehilfe: Eine andere Person führt den Tod eines Sterbenden herbei. Geschieht dies auf Wunsch, spricht man von Tötung auf Verlangen. Wenn es gegen den Wunsch erfolgt, spricht man von Totschlag. Beide Formen sind verboten und strafbar. ● passive Sterbehilfe: Durch einen Therapieabbruch oder den Verzicht auf weitere Eingriffe, also durch das Unterlassen von Maßnahmen, tritt der Tod schneller ein. ● indirekte Sterbehilfe: Handlungen, die in der Sterbephase das Leiden nehmen, dadurch aber die Lebenszeit verkürzen, z. B. durch Schmerzmedikation ● Beihilfe zum Suizid: Bereitstellung von Medikamenten, die das Leben beenden. Wichtig dabei: Der Betroffene muss das Medikament selbstständig einnehmen können und die Konsequenzen dieser Medikamenteneinnahme verstehen. Die letzten drei Formen sind in Deutschland nicht strafbar, sofern umfassende Beratungsgespräche angeboten wurden, in denen alle Handlungsoptionen dargestellt wurden. Weiteres zur ethischen Perspektive bei Sterbehilfe lesen Sie im Kap. 48.

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12.4 Spezielle Gesetze im Pflegebereich

















Das GG steht über allen Gesetzen, enthalten sind die Menschen- und Bürgerrechte. Arbeitsrecht: Pflegende sind Angestellte: Rechte und Pflichten sind im Arbeitsvertrag festgehalten. Weisungsrecht hat immer der AG, der die Weisungsbefugnis weitergeben kann (z. B. an Vorgesetzte, Ärzte). Jede Weisung muss fachlich geprüft werden. Delegation: Unterscheidung in Anordnungsverantwortung (liegt z. B. beim Arzt) und Übernahme-/Durchführungsverantwortung. Anordnungen müssen verweigert werden, wenn notwendige Kenntnisse und Fertigkeiten fehlen. Pflegekräfte unterliegen während der Arbeit immer der Schweigepflicht. Körperverletzung ist erlaubt bei (ausdrücklicher oder mutmaßlicher) Einwilligung oder im Notfall. Pflegende sind zur Hilfe verpflichtet: Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind nur zulässig, wenn sie dem Wohle des Patienten dienen (Unterbringung und Fixierung). Betreuungsrecht: Ein Betreuer wird bestellt, wenn ein Patient seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen kann. Schutz des freien Willens: durch die Eltern, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung Passive und indirekte Sterbehilfe sowie die Beihilfe zum Suizid sind in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Aktive Sterbehilfe ist verboten.

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Rechtliche Grundlagen der Pflege ●

Bei kognitiv eingeschränkten Personen kann eine Vorsorgevollmacht oder eine Patientenverfügung den freien Willen schützen.

In einer Vorsorgevollmacht wird eine Vertrauensperson bevollmächtigt, sofort bestimmte Entscheidungen für die kognitiv eingeschränkte Person zu treffen, ohne von einem Vormundschaftsgericht bestellt worden zu sein. Diese Entscheidungen lassen sich auf bestimmte Bereiche beschränken. Pflegende sollten für jeden Patienten die Vertretungsvollmacht prüfen: Gibt es eine Vorsorgevollmacht und/oder Patientenverfügung? Gibt es einen Betreuer?



12.3.9 Patientenverfügung







● ●



Jeder volljährige Mensch darf eine Patientenverfügung (PV) verfassen. Darin trifft er vorab Entscheidungen darüber, wie in bestimmten Situationen oder Umständen verfahren werden soll, falls er zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Lage ist, sich dazu zu äußern. Sie sichert die Selbstbestimmung eines Menschen. Die PV ist bindend für das medizinische Personal. Wer sich nicht an die PV hält, macht sich strafbar. Bei der Formulierung muss einiges beachtet werden; daher ist es sinnvoll, vorgefertigte Formulare zu verwenden.

12.3.10 Fahrlässige Tötung





Das Arzneimittelgesetz regelt eine ordnungsmäßige und sichere Arzneimittelversorgung von Menschen und Tieren. Verstöße können mit Gefängnisstrafen bestraft werden (siehe Kap. 36). Das Medizinproduktegesetz regelt, welche technischen, medizinischen und Informationsanforderungen für Medizinprodukte notwendig sind, damit diese eingesetzt werden können. Die Verwendung von Medizinprodukten, deren Verfallsdatum überschritten ist, ist ein Beispiel eines Verstoßes und kann bestraft werden. Das Infektionsschutzgesetz regelt die gesetzlichen Pflichten zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen. Die Schaffung eines Informationssystems von Bund und Ländern ist gesetzlich vorgeschrieben. Das Transplantationsgesetz regelt, unter welchen Umständen bei Lebenden und bei Toten eine Organentnahme und eine Organspende gestattet sind. Auch hier muss der Betroffene eingewilligt haben, damit es zulässig ist (siehe auch Kap. 45.3 und Kap. 48).

KOMPAK T Rechtliche Grundlagen der Pflege ●

Sie liegt vor, wenn ein Patient aus Unachtsamkeit zu Tode kommt, beispielsweise wenn durch Verwechslung ein falsches Medikament gegeben wird, was dann zum Herzversagen führt.



12.3.11 Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid



Die rechtlichen Grundlagen dazu regeln das GG und das StGB. Bei der Sterbehilfe unterscheidet man die folgenden Begriffe: ● aktive Sterbehilfe: Eine andere Person führt den Tod eines Sterbenden herbei. Geschieht dies auf Wunsch, spricht man von Tötung auf Verlangen. Wenn es gegen den Wunsch erfolgt, spricht man von Totschlag. Beide Formen sind verboten und strafbar. ● passive Sterbehilfe: Durch einen Therapieabbruch oder den Verzicht auf weitere Eingriffe, also durch das Unterlassen von Maßnahmen, tritt der Tod schneller ein. ● indirekte Sterbehilfe: Handlungen, die in der Sterbephase das Leiden nehmen, dadurch aber die Lebenszeit verkürzen, z. B. durch Schmerzmedikation ● Beihilfe zum Suizid: Bereitstellung von Medikamenten, die das Leben beenden. Wichtig dabei: Der Betroffene muss das Medikament selbstständig einnehmen können und die Konsequenzen dieser Medikamenteneinnahme verstehen. Die letzten drei Formen sind in Deutschland nicht strafbar, sofern umfassende Beratungsgespräche angeboten wurden, in denen alle Handlungsoptionen dargestellt wurden. Weiteres zur ethischen Perspektive bei Sterbehilfe lesen Sie im Kap. 48.

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12.4 Spezielle Gesetze im Pflegebereich

















Das GG steht über allen Gesetzen, enthalten sind die Menschen- und Bürgerrechte. Arbeitsrecht: Pflegende sind Angestellte: Rechte und Pflichten sind im Arbeitsvertrag festgehalten. Weisungsrecht hat immer der AG, der die Weisungsbefugnis weitergeben kann (z. B. an Vorgesetzte, Ärzte). Jede Weisung muss fachlich geprüft werden. Delegation: Unterscheidung in Anordnungsverantwortung (liegt z. B. beim Arzt) und Übernahme-/Durchführungsverantwortung. Anordnungen müssen verweigert werden, wenn notwendige Kenntnisse und Fertigkeiten fehlen. Pflegekräfte unterliegen während der Arbeit immer der Schweigepflicht. Körperverletzung ist erlaubt bei (ausdrücklicher oder mutmaßlicher) Einwilligung oder im Notfall. Pflegende sind zur Hilfe verpflichtet: Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar. Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind nur zulässig, wenn sie dem Wohle des Patienten dienen (Unterbringung und Fixierung). Betreuungsrecht: Ein Betreuer wird bestellt, wenn ein Patient seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr besorgen kann. Schutz des freien Willens: durch die Eltern, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung Passive und indirekte Sterbehilfe sowie die Beihilfe zum Suizid sind in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Aktive Sterbehilfe ist verboten.

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Pflegebasismaßnahmen und Notfallsituationen 13 Grundlagen der Patientenbeobachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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14 Notfallsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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15 Hygiene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 16 Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und kontrollieren. . . . . . . 114 17 Körperpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 18 Positionierung und Mobilisation, Betten und guten Schlaf fördern . . . . . . . . . 126 19 Essen und Trinken anreichen, Körperlänge und -gewicht bestimmen, Flüssigkeitsbilanz erheben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 20 Bei den Ausscheidungen unterstützen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 21 Prophylaxen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

Beobachtung

13.1 Wahrnehmen Definition Wahrnehmung Wahrnehmen bedeutet, Umweltreize mit den Sinnen aufzunehmen und zu verarbeiten. Wahrnehmung ist immer subjektiv. Pflegende müssen sich bewusst sein, dass die Wahrnehmung beeinflussbar ist. Nur dann können sie sich vor Fehleinschätzungen schützen.





objektive Beobachtung: Es werden Informationen oder Daten gewonnen, die messbar, überprüfbar und vergleichbar sind, z. B. Gewicht, Blutdruck. subjektive Beobachtung: Die Pflegefachkraft macht Beobachtungen zum Verhalten und zur Gefühlslage des Patienten (Achtung: können fehlerbehaftet sein, s. o.). Mittels Skalen oder Messinstrumenten können diese besser objektiviert werden.

13.2.3 Dokumentation

13.2 Beobachtung Definition Beobachtung Beobachtung ist die zielgerichtete und systematische Wahrnehmung.

13.2.1 Warum Patientenbeobachtung? Ziel der Patientenbeobachtung ist, den körperlichen und psychischen Zustand des Patienten gezielt wahrzunehmen. Es werden u. a. Pflegeprobleme, Ressourcen, Bedürfnisse, Ängste ermittelt. Diese Informationen sind die Grundlage, um den Pflegeprozess zu planen.

Die Pflegenden dokumentieren Beobachtungen, z. B. mittels Beobachtungsbögen. Dies ist zum einen aus rechtlichen Gründen wichtig, zum anderen können Pflegende und Ärzte den Erfolg ihrer Arbeit besser überprüfen.

KOMPAK T Grundlagen der Patientenbeobachtung ●



13.2.2 Systematische Beobachtung Die Patientenbeobachtung findet bei allen pflegerischen Prozessen und zu jeder Zeit statt. Eine Beobachtung kann aber auch geplant stattfinden (z. B. wenn stündlich die Vitalparameter kontrolliert werden) oder sich ganz gezielt auf bestimmte Beobachtungsaspekte fokussieren. In einem solchen Fall spricht von systematischer Beobachtung. ● Beobachtungsaspekte: Bewusstsein, Sprache, Vitalparameter, Schmerzen, Mimik und Körperhaltung, Ernährungszustand, Ausscheidungen, Zugänge etc.







Wahrnehmung heißt, dass Reize aus der Umwelt durch Sinnesorgane unbewusst aufgenommen und verarbeitet werden. Interpretiert das Gehirn den wahrgenommenen Reiz als relevant, wird er bewusst. Am Ende der Kette steht eine evtl. Reaktion. Beobachtung verläuft im Unterschied zur Wahrnehmung gezielt und ggf. systematisch. Wahrnehmen ist immer subjektiv, Beobachten ist oft subjektiv und somit beides fehleranfällig. Die Patientenbeobachtung ist eine wichtige Grundlage des Pflegeprozesses. Hilfsmittel (Assessmentinstrumente und Skalen) helfen, Beobachtungen zu objektivieren und vergleichbar zu machen.

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Notfallsituationen

Vitalzeichen engmaschig kontrollieren

Flüssigkeit nicht bei kardiogenem Schock

kardiogen

allergisch

verändertes Hautkolorit

Volumenmangel

„kalter Schweiß“

Ursachen, z.B.

Schocklagerung!

Symptome, z.B.

Schock, z.B.

Verletzungen? Arzt informieren!

Protokoll!

Tachykardie

stabile Seitenlage

Atemwege freihalten!

Bewusstlosigkeit

Sturz

Prophylaxe

Hypotonie

Atmung prüfen!

Lungenembolie

!

häufige Notfälle auf Station, z.B.

Dyspnoe, z.B.

Herzrhythmusstörung AP und Herzinfarkt, z.B.

Lungenembolie?

O2! Asthma?

Lungenödem?

!

Herz-KreislaufStillstand

O 2!

EKG ggf. Nitro!

lauwarmes Wasser betroffenes Hautareal kühlen kein Eis!

Verbrennung/ Verbrühung

!

15–20 Min. kardiopulmonale Reanimation

Erste Hilfe vor Ort

„Hilfe!“

Basic Life Support (BLS)

112! 5 W!

Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar!

keine (normale) Atmung?

Advanced Life Support (ALS)

Reanimationsteam rufen! 30 : 2

automatische Defibrillation

Häufige Notfallsituationen im stationären Bereich

14.1 Häufige Notfallsituationen im stationären Bereich

Entstehung

14.1.1 Allgemeine Grundlagen Jede Pflegefachkraft im stationären Bereich muss folgende Fragen beantworten können: ● Wie lautet die Telefonnummer des Reanimationsteams? ● Wo ist das Reanimationsbrett? ● Wo ist der Notfallkoffer, wie geht er auf und was ist im Koffer? ● Wo sind Beatmungsbeutel, Sauerstoffgerät, Absaugung und wie funktionieren diese? ● Gibt es eine Patientenverfügung? Will der Patient gerettet werden?

! Merke Angehörige

14.1.2 Krankheitsbilder mit Atemnot Atemnot (Dyspnoe) entsteht, wenn der Körper aufgrund eines akuten Geschehens mehr Sauerstoff benötigt, als die Atmung liefern kann (▶ Tab. 14.1). Im Blut befindet sich deshalb zu wenig Sauerstoff bzw. zu viel Kohlenstoffdioxid. Da der Körper dieses Missverhältnis ausgleichen will, steigert er Atem- und Herzfrequenz. Gelingt es dem Körper nicht, dadurch wieder ein Gleichgewicht herzustellen, entwickelt der Patient typische Symptome wie Angst, Unruhe, „Ringen“ nach Luft, Blauverfärbung („Zyanose“) der Schleimhäute („blaue Lippen“).

Allgemeine Erstmaßnahmen

Angehörige und Mitpatienten sollen bei einem Notfall im stationären Bereich möglichst aus dem Zimmer gebeten werden (Platz für Reanimationsteam!).

Die Pflegefachkraft sollte den Arzt informieren und evtl. angeordnete Medikamente verabreichen. Der Patient wird in eine aufrechte Position gebracht und bekommt Sauerstoff. Weitere Maßnahmen sind: ● Fenster öffnen ● beengende Kleidung öffnen ● Vitalparameter und Sauerstoffsättigung messen ● bei Atemstillstand kardiopulmonale Reanimation einleiten

Tab. 14.1 Krankheitsbilder mit Atemnot. Krankheitsbild

Ursache

Leitsymptome

Erstmaßnahmen

Lungenembolie

Embolus in einem Lungengefäß

Husten, Schmerzen, schneller Puls, schnelle Atmung, evtl. Hypotonie



Sauerstoffgabe mit Maske und Reservoirbeutel

Pneumonie

Infektion

Husten, Schmerzen, Fieber



Sauerstoffgabe mit Maske und Reservoirbeutel

Asthma bronchiale und COPD

Atemluft kann nicht richtig ausgeatmet werden, Bronchien sind verkrampft und Schleimhäute geschwollen.

Husten, bei Asthma: exspiratorischer Stridor (Pfeifen beim Ausatmen)



Verabreichung von Kortison oder Salbutamol (Inhalation) Anleiten zur Lippenbremse und zum „Kutschersitz“

Das linke Herz ist zu schwach. Das Blut staut sich in der Lunge und Flüssigkeit tritt in die Alveolen.

rasselndes Atemgeräusch mit wässrig-schaumigem Auswurf mit Husten



Fremdkörper in oberen Atemwegen oder Verengung der oberen Atemwege

inspiratorischer Stridor (pfeifendes Atemgeräusch)

Lungenödem

Verlegung der Atemwege







● ●

● ●

metabolische Azidose durch Stoffwechselstörung

zu hoher Säureanteil im Blut

Störung des Atemzentrums

z. B. durch zu hohe Dosierung von Opiaten

Kußmaulatmung (tiefe Atemzüge)





sehr flache und langsame Atmung, evtl. Atempausen

● ●

Positionierung in Herzbettlage hoch dosierte Sauerstoffgabe (nach Arztanordnung) entwässernde und herzkraftsteigernde Medikamente; evtl. Gabe von Morphin (dämpft Gefühl von Atemnot) Esmarch-Handgriff: Kopf überstrecken Mund- und Rachenraum ausräumen und absaugen Guedeltubus und Wendltubus Heimlich-Manöver: Bauch des Patienten von hinten umgreifen und komprimieren Verlegung auf Intensivstation. Dort: künstliche Beatmung evtl. Gabe von Bicarbonat Sauerstoffsättigung überwachen evtl. künstliche Beatmung und Verlegung auf Intensivstation

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Notfallsituationen

14.1.3 Erbrechen

14.1.5 Transfusionszwischenfall

Erstmaßnahmen

Ein Transfusionszwischenfall ist immer ein Notfall und kann zum Schock führen. Treten während einer Transfusion folgende Symptome auf, muss die Transfusion sofort gestoppt und ein Arzt informiert werden: ● Fieber ● Schüttelfrost ● Knochenschmerzen ● Übelkeit ● Blut im Urin



● ●





Patienten aufsetzen oder in stabile Seitenlage bringen (Aspirationsprophylaxe) Handschuhe zum Eigenschutz anziehen Patienten nicht alleine lassen, evtl. schlecht sitzende Zahnprothese entfernen Erbrochenes auf Menge, Geruch und Aussehen begutachten und evtl. Probe entnehmen nach Arztangabe Antiemetikum (Medikament gegen Brechreiz) verabreichen

! Merke

Erbrechen

Erbrechen kann auf eine lebensbedrohliche Störung hindeuten. Dazu gehören Infektionen des Magen-Darm-Trakts, gesteigerter Hirndruck, Vergiftungen, Herzinfarkt oder ein Darmverschluss. Deshalb bei plötzlichem Erbrechen den Arzt informieren und auf weitere Symptome achten.

Hämatemesis (Bluterbrechen) Erbricht der Patient Blut, sollte die Pflegefachkraft sofort den Arzt informieren. Kreislaufparameter und Blutgerinnung werden kontrolliert. Der Patient darf nicht aufstehen (Kollapsgefahr). Bei akuten Blutungen (frisches, rotes Blut) muss die Blutung gestillt werden (ggf. Schockmaßnahmen und Transport auf Intensivstation oder in Endoskopie). Bei einer Blutungsquelle im Magen erscheint Blut durch Einwirkung der Magensäure oft „kaffeesatzartig“.

14.1.4 Sturz Maßnahmen ● ● ● ● ●





Bewusstsein kontrollieren auf Wunden inspizieren nach Schmerzen fragen Blutdruck und Puls messen, Pupillenreaktion prüfen Arzt informieren (mindestens bei Auffälligkeiten bzw. Verletzungen) Sturz dokumentieren, ggf. Sturzereignisprotokoll (siehe Kap. 21) Sturzursache klären und reduzieren

Blutungen Patienten sind im Krankenhaus besonders gefährdet, bei einem Sturz eine innere oder äußere Blutung zu erleiden. Beispiele dafür sind die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente, Zugänge, frische OP-Wunden, Katheter, Drainagen usw. ● äußere Blutung: mit Kompressen komprimieren (vorher unbedingt Handschuhe anziehen!) ● innere Blutung: Ist nicht klar, ob der Patient eine innere Blutung hat, müssen Pupillenreaktion und Vitalparameter mehrfach kontrolliert werden. Außerdem Bauch- und Oberschenkelumfang beobachten, sofern der Patient am Bauch operiert wurde oder eine Leistenpunktion hatte.

Die Symptome können sofort oder erst nach Stunden eintreten.

14.1.6 Schock Entstehung Bei einem Schock ist die Mikrozirkulation gestört und das Gewebe minderdurchblutet. Der vorhandene Sauerstoff reicht nicht aus, um den Bedarf der Zellen zu decken. Die sich entwickelnde Stoffwechselstörung führt zum Zelltod bzw. zum Organversagen. Ursachen können z. B. Volumenmangel, Herzversagen oder eine Allergie sein (▶ Tab. 14.2).

Symptome ● ● ● ● ● ● ●

Notfallmaßnahmen Ziel ist, die Kreislaufsituation zu verbessern, die Sauerstoffversorgung sicherzustellen und schockauslösende Faktoren zu eliminieren. Vitalparameter und Bewusstsein müssen kontinuierlich kontrolliert werden.

14.1.7 Plötzliche Bewusstlosigkeit Bei plötzlicher Bewusstlosigkeit spricht die Pflegefachkraft den Patienten zunächst an. Dann prüft sie durch Kneifen unterhalb des Schlüsselbeins die Schmerzreaktion. Reagiert der Patient nicht, wird die Atmung geprüft. Dauert eine Bewusstlosigkeit nur wenige Sekunden, spricht man von einer Synkope.

Ursachen ● ● ● ● ●

100

Hypotonie Tachykardie und Tachypnoe kalter Schweiß Agitiertheit Schwindel bis zur Bewusstseinsstörung Oligurie, Zyanose, Blässe (v. a. bei Hypovolämie) Halsvenen sind kollabiert (bei Hypovolämie) bzw. gestaut (bei Herzversagen)

orthostatische Dysregulation Herzrhythmusstörungen Volumenmangel zerebrale Durchblutungsstörung Epilepsie

Häufige Notfallsituationen im stationären Bereich Tab. 14.2 Schock. Krankheitsbild

Ursache

Maßnahmen

hypovolämischer Schock/ Volumenmangelschock

zirkulierende Blutmenge ist verringert (z. B. durch Blutungen), starkes Erbrechen, Flüssigkeitsverlust durch Verbrennungen, Störungen des ZNS

● ●





kardiogener Schock

Das Herz ist nicht in der Lage, genügend Blut in den Kreislauf zu pumpen. Dies führt zu einer Minderdurchblutung.





● ●

septischer Schock („Blutvergiftung“)

anaphylaktischer (allergischer) Schock

Krankheitserreger oder deren Gifte breiten sich im Organismus aus. Das Abwehrsystem überschwemmt das Blut mit Botenstoffen, die die Blutgefäße erweitern und zu Entzündungsreaktionen und Gerinnungsstörungen führen. Folge: zu viel Blut im peripheren Gewebe, während die inneren Organe unzureichend versorgt werden.



Überproduktion von Botenstoffen des Immunsystems, die Blutgefäße so weit stellen, dass viel Blut in die Peripherie versackt. Symptome: Haut ist gerötet, Schleimhäute schwellen an, Übelkeit, Erbrechen. Wenn Bronchien sich verengen: Atemnot.



Maßnahmen ●

● ●



Sprache beobachten (verwaschene Sprache kann Hinweis auf Schlaganfall sein) Blutdruck, Puls, Atemfrequenz und Blutzucker messen Pupillenreaktion prüfen (normal: Engstellung bei Lichteinfall) Bei niedrigem Blutdruck und hohem Puls werden die Beine des Patienten hoch- und der Oberkörper flach gelagert.

14.1.8 Anhaltende Bewusstlosigkeit Maßnahmen ●

● ●



Atemwege freihalten und Patienten in stabile Seitenlage bringen engmaschige Kontrolle der Vitalparameter Abschätzung der Tiefe der Bewusstseinsstörung, z. B. mithilfe der Glasgow-Koma-Skala (S. 458) Pupillenreaktion prüfen

● ●



Schocklage („Beine hoch“) venöser Zugang, um Flüssigkeits- und Blutverlust auszugleichen Blutdrucksteigerung durch gefäßverengende Wirkstoffe (z. B. Katecholamine) Schockursache beseitigen: z. B. Blutung stillen, Medikamente gegen Erbrechen Positionierung in Flachlage, bis systolischer Blutdruck > 80 mmHg erreicht hat, dann Herzbettlage Achtung: Schocklage und Flüssigkeitszufuhr sind kontraindiziert. Sauerstoff verabreichen, Beatmung auf Intensivstation medikamentöse Therapie: gefäßverengende und herzkraftsteigernde Wirkstoffe (z. B. Noradrenalin), entwässernde Wirkstoffe (z. B. Torasemid) und Opiate Positionierung in Schocklage langsame Fiebersenkung medikamentöse Therapie: Volumenexpander, gefäßverengende Wirkstoffe, Antibiotika

Positionierung in Schocklage medikamentöse Therapie: Volumenexpander, gefäßverengende Wirkstoffe (z. B. Noradrenalin), Kortison, Antihistaminika, Bronchodilatatoren oder Bronchienerweiterung bei Atemnot

14.1.9 Zerebraler Krampfanfall Maßnahmen ● ● ●



weitere Pflegekräfte und Arzt benachrichtigen Notfallkoffer/-wagen holen (lassen) Patienten vor Verletzungen schützen (z. B. kantige Gegenstände aus dem Umfeld entfernen) Patienten nicht festhalten, nicht schütteln, keinen Mundkeil einführen!

Wenn ein epileptischer Anfall länger als 5 Minuten andauert oder der Patient zwischen einzelnen Anfällen das Bewusstsein nicht wiedererlangt, handelt es sich um das lebensbedrohliche Krankheitsbild „Status epilepticus“.

Maßnahmen bei Status epilepticus ● ● ● ●





Vorbereiten des Materials für venösen Zugang Aufziehen der Medikamente nach ärztlicher Anordnung Guedeltubus und Intubationsbesteck bereitstellen (Not-)Arzt: venösen Zugang legen, i. v.-Applikation eines Antikonvulsivums, z. B. Lorazepam nach Anfall: Vitalparameter kontrollieren, Pupillen kontrollieren, auf Flüssigkeitszufuhr achten antikonvulsive Therapie optimieren, evtl. Auslöser behandeln

l 14

Notfallsituationen

14.1.10 Herzrhythmusstörungen Ursachen ●

● ●

● ●

geschädigter Herzmuskel (z. B. bei Herzinfarkt, Kardiomyopathie) Intoxikation (z. B. durch Digitalis, Antidepressiva) Elektrolytstörungen (z. B. bei Kaliummangel, Kalziummangel) Hormonstörung (z. B. bei Hyperthyreose) Herzklappenfehler

Fehlalarm Gibt der EKG-Monitor Alarm, ist nicht immer ein medizinisches Problem die Ursache. Eventuell hat sich auch nur ein Kabel gelöst oder die Alarmgrenzen sind falsch gewählt. Dies muss gewissenhaft geprüft werden.

Symptome Hinweise auf ernste Herzrhythmusstörung: ● keine adäquate Reaktion auf Ansprache ● kurzatmig ● kaltschweißig

14.1.11 Angina pectoris und Herzinfarkt Ursache

14.2 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) Definition Kardiopulmonale Reanimation (CPR) Die CPR ist die Wiederbelebung eines Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand und/oder Atemstillstand, v. a. durch Aufrechterhaltung eines Minimalkreislaufs durch periodische Thoraxkompression und Beatmung (30 : 2). Ohne CPR wären nach einer gewissen Zeit alle lebenswichtigen Organe durch Sauerstoffmangel irreversibel geschädigt. Ein hypoxischer Hirnschaden entsteht bereits nach 3–5 Minuten. Der European Resuscitation Council (ERC) veröffentlicht regelmäßig evidenzbasierte Standards zum Vorgehen bei einer Reanimation (▶ Abb. 14.1). Wird ein reaktionsloser Patient aufgefunden: Luftwege des Patienten freimachen und Atmung überprüfen. Keine Zeit mit Pulskontrollen verschwenden! Diese sind oft nicht verlässlich. Wenn der Patient nicht bzw. nicht normal atmet, wird (außerklinisch) ein Notruf abgesetzt bzw. (innerklinisch) das Reanimationsteam alarmiert und eine Reanimation eingeleitet. 30 Thorax-Kompressionen verabreichen, dann 2 Atemspenden, immer im Wechsel.

Abb. 14.1 Basic Life Support.

keine Reaktion und keine normale Atmung

Durchblutungsstörung des Herzmuskels

Symptome ● ●



Druck- oder Engegefühl in der Brust Schmerzen mit Ausstrahlung in Oberarm, Schulter oder Kiefer ggf. Beschwerden wie durch „Sodbrennen“

Notruf 112 *

30 Thoraxkompressionen

Maßnahmen ● ● ● ●

● ● ● ● ●



Arzt informieren Positionierung in Herzbettlage eng anliegende Kleidung des Patienten öffnen Bedarfsmedikation, z. B. Nitro-Spray verabreichen (nur wenn RR systolisch > 100 mmHg) Vitalparameter messen (Arrhythmien?) Sauerstoffgabe EKG-Monitoring und Pulsoxymetrie Defibrillator bereithalten i. v.-Zugang und Blutabnahme vorbereiten (CK, CK-MB, Troponin) evtl. Verlegung auf Intensiv- oder Überwachungsstation

2 Beatmungen

weiter CPR 30:2

sobald ein AED eintrifft einschalten und den Anweisungen folgen Ablauf der Reanimation nach dem Basic-Life-Support-Algorithmus. © German Resuscitation Council (GRC) und Austrian Resuscitation Council.

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Notfallsituationen

14.1.10 Herzrhythmusstörungen Ursachen ●

● ●

● ●

geschädigter Herzmuskel (z. B. bei Herzinfarkt, Kardiomyopathie) Intoxikation (z. B. durch Digitalis, Antidepressiva) Elektrolytstörungen (z. B. bei Kaliummangel, Kalziummangel) Hormonstörung (z. B. bei Hyperthyreose) Herzklappenfehler

Fehlalarm Gibt der EKG-Monitor Alarm, ist nicht immer ein medizinisches Problem die Ursache. Eventuell hat sich auch nur ein Kabel gelöst oder die Alarmgrenzen sind falsch gewählt. Dies muss gewissenhaft geprüft werden.

Symptome Hinweise auf ernste Herzrhythmusstörung: ● keine adäquate Reaktion auf Ansprache ● kurzatmig ● kaltschweißig

14.1.11 Angina pectoris und Herzinfarkt Ursache

14.2 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) Definition Kardiopulmonale Reanimation (CPR) Die CPR ist die Wiederbelebung eines Patienten mit Herz-Kreislauf-Stillstand und/oder Atemstillstand, v. a. durch Aufrechterhaltung eines Minimalkreislaufs durch periodische Thoraxkompression und Beatmung (30 : 2). Ohne CPR wären nach einer gewissen Zeit alle lebenswichtigen Organe durch Sauerstoffmangel irreversibel geschädigt. Ein hypoxischer Hirnschaden entsteht bereits nach 3–5 Minuten. Der European Resuscitation Council (ERC) veröffentlicht regelmäßig evidenzbasierte Standards zum Vorgehen bei einer Reanimation (▶ Abb. 14.1). Wird ein reaktionsloser Patient aufgefunden: Luftwege des Patienten freimachen und Atmung überprüfen. Keine Zeit mit Pulskontrollen verschwenden! Diese sind oft nicht verlässlich. Wenn der Patient nicht bzw. nicht normal atmet, wird (außerklinisch) ein Notruf abgesetzt bzw. (innerklinisch) das Reanimationsteam alarmiert und eine Reanimation eingeleitet. 30 Thorax-Kompressionen verabreichen, dann 2 Atemspenden, immer im Wechsel.

Abb. 14.1 Basic Life Support.

keine Reaktion und keine normale Atmung

Durchblutungsstörung des Herzmuskels

Symptome ● ●



Druck- oder Engegefühl in der Brust Schmerzen mit Ausstrahlung in Oberarm, Schulter oder Kiefer ggf. Beschwerden wie durch „Sodbrennen“

Notruf 112 *

30 Thoraxkompressionen

Maßnahmen ● ● ● ●

● ● ● ● ●



Arzt informieren Positionierung in Herzbettlage eng anliegende Kleidung des Patienten öffnen Bedarfsmedikation, z. B. Nitro-Spray verabreichen (nur wenn RR systolisch > 100 mmHg) Vitalparameter messen (Arrhythmien?) Sauerstoffgabe EKG-Monitoring und Pulsoxymetrie Defibrillator bereithalten i. v.-Zugang und Blutabnahme vorbereiten (CK, CK-MB, Troponin) evtl. Verlegung auf Intensiv- oder Überwachungsstation

2 Beatmungen

weiter CPR 30:2

sobald ein AED eintrifft einschalten und den Anweisungen folgen Ablauf der Reanimation nach dem Basic-Life-Support-Algorithmus. © German Resuscitation Council (GRC) und Austrian Resuscitation Council.

102

Erste Hilfe leisten vor Ort

14.2.1 Ergänzende Maßnahmen ●







Sobald ein Defibrillator (AED) verfügbar ist, muss dieser angeschlossen werden. für Reanimation Antidekubitusmatratzen luftleer machen oder harte Unterlage unterschieben Atemwege z. B. durch Guedel-Tubus freihalten und mit Gesichtsmaske und Beatmungsbeutel beatmen sobald wie möglich zusätzlich Sauerstoff geben

14.3 Polytrauma

das ABCDE-System. Damit kann beim Polytrauma schnell und gezielt auf die gefährlichsten Probleme reagiert werden (Prinzip: „Treat first, what kills first“): ● A: airway = Atemwege frei? ● B: breathing = Besteht Atemnot? Atmet der Patient normal? ● C: circulation = Besteht ein suffizienter Kreislauf? Ist die Blutzirkulation in Ordnung? Anzeichen für Schock? ● D: disability = Bestehen neurologische Defizite? Bewusstseinsstatus? ● E: exposure = Oberkörper des Patienten entkleiden und nach weiteren Verletzungen suchen

Definition Polytrauma

Spezielle Beobachtungsparameter • Je nach Verletzung sind besondere Parameter zu beachten? (▶ Abb. 14.3).

Mehrere Körperregionen oder Organe sind verletzt, wobei mindestens eine Verletzung oder die Kombination von Verletzungen lebensbedrohlich ist.

14.4 Erste Hilfe leisten vor Ort

Triage • Wenn ein Trauma-Patient in die Notaufnahme kommt, schätzen Pflegende anhand eines Triage-Systems (z. B. Manchester-Triage-System; MTS, ▶ Abb. 14.2) ein, wie dringend er behandelt werden muss. Indikatoren, die dabei erfasst werden, sind z. B. Blutung, Atemstörung, Bewusstseinsstörung, Schmerzen. ABCDE-Schema • Ein wichtiges Instrument beim Erfassen von akut bedrohlichen Störungen in Notfallsituationen ist

! Merke Verpflichtung zur Hilfe

Nach § 323c Abs. 1 StGB ist jeder verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten, wenn es zumutbar ist. Bei einem Notruf ● Telefonnummer 112 wählen ● Die „5 W“ müssen beantwortet bzw. befolgt werden (Wo ist der Notfall? Was ist geschehen? Wie viele Verletzte/Beteiligte? Welche Verletzungen? Warten auf Rückfragen der Rettungsleitstelle!)

Abb. 14.2 Ersteinschätzung nach MTS für Thoraxschmerz.

14.4.1 Allgemeines Vorgehen sofort

gefährdeter Atemweg? unzureichende Atmung? Schock?

max. Wartezeit: 0 min

N

ROT

ORANGE

J

J

sehr dringend max. Wartezeit: 10 min

stärkster Schmerz? kardialer Schmerz? akute Dyspnoe? anormaler Puls? N

GELB

J

dringend max. Wartezeit: 30 min

GRÜN

auffällige kardiale Anamnese? anhaltendes Erbrechen? mäßiger Schmerz? Pleuraschmerz? N

J

normal

Erbrechen? jüngerer leichter Schmerz? jüngeres Problem?

Im Folgenden werden die wichtigsten Erstmaßnahmen in speziellen Situationen aufgeführt.

14.4.2 Intoxikationen ● ● ●

N

BLAU nicht dringend max. Wartezeit: 120 min

Ersteinschätzung nach dem Manchester-Triage-System (MTS).

Giftnotruf kontaktieren Giftreste und/oder Erbrochenes sicherstellen Erbrechen nicht künstlich hervorrufen

14.4.3 Verletzungen ● ● ●

max. Wartezeit: 90 min

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Allgemeine Maßnahmen bei außerklinischen Notfällen: ● Eigenschutz beachten (z. B. Schutzhandschuhe tragen, Unfallstelle sichern) ● Vitalparameter prüfen (v. a. Atmung) ● bei Bedarf Notruf absetzen und ggf. Reanimation einleiten ● Bewusstlose in stabile Seitenlage bringen





offene Wunden und Knochenbrüche steril verbinden Blutungen mit Druckverband versorgen Fremdkörper nicht entfernen (Gefahr von zusätzlichen Blutungen) Knochenbrüche ruhigstellen und Schonhaltung unterstützen (z. B. Knie unterlagern) Betroffenen in Rückenlage bringen und Beine hochlagern (Schocklage)

l 14

Notfallsituationen Abb. 14.3 Beobachtungsparameter bei Traumen.

IMMER:

Verletzungen im Bereich des Kopfes/ Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma

Vitalparameter, Bewusstsein, Temperaturempfinden, Schmerzen, psychische Verfassung

Pupillenweite, Pupillenbeweglichkeit (halbstündlich), Stabilität des Schädels, Erbrechen, Übelkeit, Amnesie, Sehstörungen, Nackensteife, Krämpfe, Parästhesien, Lähmungen, Verhaltensänderungen, Unruhe

Verletzungen der Extremitäten

Verletzungen im Bereich des Thorax

Schwellung, Fehlstellung, DMS-Kontrolle (Durchblutung, Motorik und Sensibilität), Durchblutungsstörungen (Blässe, Kälte), ggf. fehlende Fußpulse, Motorik (Patient wird gebeten, die Extremitäten zu bewegen), Sensibilität (Test durch Berührung)

Atemtätigkeit, Sauerstoffsättigung, Hyperventilation, Zyanose, Tachypnoe, Apnoe, Dyspnoe, Atemgeräusche, Husten

Verletzungen im Bereich des Abdomens Schmerzlokalisation und Schmerzart (z. B. kolikartig, krampfartig, stechend), Dauer der Schmerzen, Körperhaltung, Hautfarbe (Blässe, Zyanose, Ikterus), anale oder vaginale Blutung, Schockzeichen, Erbrechen, Ernährungszustand, Atemgeruch (Ammoniak? Alkohol?)

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

14.4.4 Verätzungen ● ●

● ●

vorsichtig alle benetzten Kleidungsstücke entfernen betroffene Körperregionen mit Wasser spülen oder mit Kompressen abtupfen betroffenes Körperteil hochlagern bei Verätzung des Verdauungstrakts: Betroffenen kleine Schlucke Wasser trinken lassen, nicht zum Erbrechen bringen

14.4.7 Elektrounfälle ●





Eigenschutz: Berühren Sie niemals einen Menschen, der an einer Stromquelle „hängt“! Strom abschalten (Hauptschalter). Ist das nicht möglich, kann mithilfe eines nicht stromleitenden Hilfsmittels (z. B. Besenstil) der Betroffene von der Stromquelle getrennt werden. Verbrennungen an Ein- und Austrittstellen (Strommarken) steril abdecken

14.4.5 Verbrennungen oder Verbrühungen ● ●







Betroffenen aus Gefahrensituation holen verbrannte/verbrühte Hautregion 15–20 Minuten kühlen, z. B. mit kaltem Wasser (Vorsicht: Unterkühlungsgefahr bei großflächigen Wunden, keine Eisanwendung) heiße Kleidung entfernen, aber mit der Haut verklebte Kleidung belassen Brandwunden locker und steril abdecken, Brandblasen nicht öffnen Betroffenen in Rückenlage bringen und Beine hochlagern (Schocklage)

KOMPAK T Notfallsituationen ●

● ●

● ●



14.4.6 Kälteschäden ●







104

Schutz vor weiterer Auskühlung bzw. Wärme zuführen (z. B. nasse Kleidung entfernen, Umgebungstemperatur anheben, Decken, warme Getränke) langsames Erwärmen (ca. 0,5–1 °C Temperaturanstieg pro Stunde) erfrorene Körperregion ruhigstellen und jegliche Bewegung vermeiden Achtung: Betroffenen nicht in Schocklage bringen









Jede Pflegekraft im stationären Bereich sollte Erstmaßnahmen im Notfall einleiten können. Ein Transfusionszwischenfall ist immer ein Notfall. bei Anzeichen für Schock: Kreislaufsituation verbessern, O2 verabreichen, Vitalparameter kontinuierlich kontrollieren Bei Synkope: an möglichen Schlaganfall denken wenn ein Patient bewusst- und reaktionslos ist und nicht normal atmet: Indikation zur Reanimation nicht unnötig Zeit auf die Kontrolle des Karotispulses verwenden Reanimationsablauf: 30 x Thoraxkompression, 2 x Beatmen Bei Kreislaufstillstand: automatischen Defibrillator sobald verfügbar anwenden Bei Polytrauma: zur Erstbeurteilung ABCDE-Schema durchführen bei Notruf: „5 W“ beantworten

15

Hygiene

Schmierinfektionen

fäkal-orale Infektion

Pilze

aerogen Viren „Tröpfchen“

Prionen

Kontakt Bakterien

Parasiten

Übertragungsweg

Infektionsquellen kennen!

Übertragungswege und -arten beachten! Hygieneregeln einhalten!

Erreger

nosokomiale Infektionen

Infektionsprophylaxe Infektionslehre

Schutzisolation bei Immunschwäche Kohortenisolation

Standardhygiene Isolationsmaßnahmen

Händedesinfektion

6 Schritte hygienische

intensive, psychische Betreuung des Pentienten!

kein Recapping! chirurgische

Schutz vor Schnittund Stichverletzung

Einwirkzeit beachten!

Umgang mit Medizinprodukten

persönliche Schutzausrüstung Schutzhandschuhe Berufskleidung

Regeln laut Hygieneplan

Umgang mit Pflegeutensilien und Klinikwäsche

Kleidung Schutzkleidung Bereichskleidung

„first in, first out“

Desinfektionsplan der Klinik beachten

bei multiresistenten Erregern, z.B.

MRSA

MRGN ESBL

Reinigung, ggf. Desinfektion, ggf. Sterilisation

Standardhygiene Händen auf die Haut „geschmiert“ oder direkt in eine Eintrittspforte gebracht. Bei einer fäkal-oralen Infektion werden die Erreger aus dem Stuhl oral, z. B. durch kontaminiertes Wasser oder Lebensmittel, aufgenommen.

15.1 Grundlagen der Infektionslehre 15.1.1 Krankheitserreger Definition Krankheitserreger Krankheitserreger können in anderen Lebewesen eine Infektion oder übertragbare Erkrankung auslösen.

Übertragungsarten ●

● ●









Bakterien: sind Einzeller, die sich durch Zellteilung vermehren. Mit manchen Bakterien leben wir in Symbiose (Beispiel: Bakterien der Hautflora. Sie sind Bestandteil des Säureschutzmantels). Bakterien werden unterschieden nach: – Aussehen: kugel-, stäbchen-, faden- und schraubenförmig – Färbeverhalten: gramnegativ oder grampositiv – aerob/anaerob: Aerobe Bakterien benötigen O2 zum Leben, anaerobe nicht. Viren: sind kleiner als Bakterien. Sie sind keine eigenständigen Lebewesen, da sie zur Fortpflanzung eine Wirtszelle benötigen. Zu unterscheiden sind: – RNA- und DNA-Viren – unbehüllte und behüllte Viren (behüllte Viren lassen sich durch alkoholische Desinfektionsmittel leichter eliminieren) Pilze: vermehren sich über Sporen. Unterschieden werden: – Hefen, z. B. Candida, eine Sprosspilzart, und – Schimmelpilze Parasiten: Lebewesen, die zum Leben einen Wirt benötigen, z. B. Milben, Würmer und Zecken. Es gibt Blut-, Darmund Gewebeparasiten, z. B. Hautparasiten. Prionen: proteinartige, infektiöse Partikel

15.1.2 Kolonisation und Infektion Bei der Kolonisation (= Besiedelung) befallen die Erreger Haut und Schleimhäute sowie offene Wunden bzw. Sekrete und Exkrete. Sie lösen aber keine Infektion aus. Bei der Infektion dagegen dringen die Erreger in den Körper ein, vermehren sich dort und lösen eine Abwehrreaktion aus. Die Infektion geht i. d. R. mit den klassischen Zeichen einer Entzündung einher.









direkte Übertragung: Die Erreger gehen von einem Menschen auf den anderen direkt über. indirekte Übertragung: Ein Zwischenträger überträgt die Infektion, z. B. Wasser, Gegenstände, Lebensmittel oder auch Vektoren, z. B. Insekten und andere Personen. enterale Infektion: Die Erreger werden über den Mund/ Verdauungstrakt aufgenommen. parenterale Infektion: Bei nicht enteralen Infektionspforten, z. B.: – Einatmen von Erregern (Inhalationsinfektion) – Eindringen über die Haut (z. B. permuköse Infektion über die Schleimhaut) – Eindringen über den Harntrakt (urogenitale Infektion) endogene Infektion: Infektion mit körpereigenen Erregern. Eine Zystitis kann z. B. durch Darmkeime ausgelöst werden. exogene Infektion: Der Erreger stammt aus der Umgebung, er ist körperfremd.

15.1.4 Nosokomiale Infektion Definition Nosokomiale Infektion Nosokomiale Infektionen sind Infektionen, die im Krankenhaus, im Pflegeheim oder ambulant durch ärztliche oder pflegerische Maßnahmen erworben wurden.

Potenzielle Ursachen ●







Patientenfaktoren: krankheitsbedingte Vorschädigung (z. B. Immunschwäche) Umweltfaktoren: Krankenhausumgebung (z. B. Nähe der Patienten zueinander, Kontamination der Geräte und Gegenstände, nicht desinfizierte Hände des Personals) technologische Faktoren: Eintrittspforten durch invasive Maßnahmen menschliche Faktoren: stressverursachte Nichtbeachtung der Hygienemaßnahmen

15.1.3 Übertragungswege Infektionsquellen können Sekrete sein, z. B. Blut, Urin, Stuhl, Speichel und Gegenstände, mit denen der Patient in Kontakt kommt (z. B. Stethoskop, RR-Manschette, Trinkgefäße), oder z. B. Wasser, Luft, Lebensmittel.

Übertragungswege ●





Tröpfcheninfektion: wird vermittelt über Sekrettröpfchen, die während des Niesens, Hustens und beim Sprechen in die Luft gelangen aerogene Infektion: Hierbei werden Erreger durch Aerosole oder durch Staubpartikel in der Luft übertragen. Kontaktinfektion: Sie entsteht durch direkten Kontakt mit Erregertragendem Material. Sehr häufig ist die Schmierinfektion: Hierbei werden Erreger von kontaminierten

15.2 Standardhygiene Definition Standardhygiene Die Standardhygiene (= Basishygiene) umfasst die hygienischen Maßnahmen, die bei der Versorgung von Patienten in einer Gesundheitseinrichtung immer durchzuführen sind. Sie sollen die Kontamination oder Kolonisation von Patienten und Personal mit pathogenen Keimen verhindern.

15.2.1 Maßnahmen der Standardhygiene ● ● ●

Händehygiene mit Händedesinfektion und Händewaschen Tragen von Schutzhandschuhen Tragen persönlicher Schutzkleidung

l 15

Hygiene ●



● ●

● ●

Flächendesinfektion und Reinigung des Patientenumfeldes sowie der Arbeitsflächen Desinfektion von gebrauchten Medizinprodukten, z. B. Salbentuben Sterilisation von gebrauchten Instrumenten Einsatz von Sicherheitskanülen inklusive sachgerechter Entsorgung Einhaltung der Hustenetikette Jede Gesundheitseinrichtung formuliert in ihren Hygieneplänen konkrete Vorgaben zu diesen Punkten.

15.2.2 Händehygiene Allgemeine Regeln ● ● ● ●

● ●

Fingernägel sind kurz und rund geschnitten. kein Nagellack, keine künstlichen Fingernägel kein Schmuck an den Händen und Unterarmen bei Entzündung an Händen und Unterarmen den Betriebsarzt aufsuchen Händewaschen entsprechend den Indikationen konsequente Hautpflege der Hände

Indikationen Händewaschen ● ● ● ●

zum Dienstbeginn und nach Dienstende nach dem Besuch der Toilette bei sichtbarer Verschmutzung vor und nach dem Rauchen

Die Hände sollten mit hautverträglicher, rückfettender Flüssigseife gewaschen und mit lauwarmem Wasser gründlich abgespült werden. Anschließend werden sie mit Einmalpapiertüchern abgetrocknet und mit Hautschutzcreme gepflegt.

Hygienische Händedesinfektion Die hygienische Händedesinfektion beseitigt wirkungsvoll transiente („nicht heimische“, vorübergehend an der Hautoberfläche vorhandene) Bakterienflora. Sie ist die effektivste Methode der Prävention nosokomialer Infektionen. Indikationen: ● vor und nach jedem Patientenkontakt ● vor aseptischen Tätigkeiten, z. B. Verbandwechsel, Absaugen, Richten von Infusionen ● nach Kontakt mit Oberflächen der unmittelbaren Patientenumgebung ● nach dem Ausziehen der Schutzhandschuhe ● nach Kontakt mit potenziell infektiösem Material, z. B. Ausscheidungen

Chirurgische Händedesinfektion ●



108

Ziel: Abtötung der transienten Bakterienflora und die weitgehende Reduktion der residenten („heimischen“, in der Oberhaut siedelnden) Hautflora Indikation: alle operativen Eingriffe. Die Hände werden (nach Waschen mit Wasser und Seife) entsprechend der 6Schritte-Methode 1–3 Minuten (abhängig vom Mittel) inklusive der Unterarme 2-mal hintereinander desinfiziert.

15.2.3 Persönliche Schutzausrüstung (PSA) Die Hygienepläne der Gesundheitsinstitutionen sowie die Richtlinien des RKI regeln den Einsatz der persönlichen Schutzausrüstung:

Schutzhandschuhe Die Schutzhandschuhe sollen verhindern, dass Keime übertragen werden, wenn ein Kontakt mit erregerhaltigem Material zu erwarten ist. Grundsätzlich muss vor dem Anziehen und nach dem Ausziehen eine Händedesinfektion erfolgen. Schutzhandschuhe ● müssen gewechselt werden, sobald sie mit einem kontaminierten Bereich in Kontakt gekommen sind. ● dürfen i. d. R. nicht desinfiziert werden. ● müssen nach jedem Patientenkontakt gewechselt werden. ● dürfen nur kurz getragen werden (→ Hautirritationen, Kontaktdermatitis). ● dürfen nicht in der Kitteltasche getragen werden. ● sind kein Ersatz für Händedesinfektion. ● müssen nach Gebrauch kontaminationsfrei abgelegt werden. Nach TRBA 250 (Technische Regeln zum Umgang mit biologischen Arbeitsstoffen) sollen Handschuhe getragen werden bei folgenden Indikationen: Indikationen unsterile Handschuhe Legen von peripheren Gefäßzugängen und Blutentnahmen ● Umgang mit benutzten Instrumenten, z. B. Kanülen, Skalpellen ● Intubation, Extubation (wenn Tubus steril ist) ● Pflege von inkontinenten Patienten ● Entsorgung und Transport von potenziell infektiösen Abfällen ● Reinigung und Desinfektion von kontaminierten Flächen und Gegenständen ● Reparatur, Wartung, Instandsetzung von kontaminierten medizinischen Geräten ●

Indikationen sterile Handschuhe Punktionen und Injektionen in Gelenke ● Legen von zentralen Gefäßzugängen ● Operieren, Instrumentieren, Versorgen von Wunden ● endotracheales Absaugen ●

Schutzkleidung Eine Übersicht zu Berufs-, Bereichs- und Schutzkleidung finden Sie in ▶ Tab. 15.1. Indikationen für das Tragen von Schutzkleidung: ● Einmalschürze/Bettenschürze: bei engem Kontakt mit Patienten, z. B. Waschen ● Schutzkittel: bei isolierten Patienten ● Schutzanzug: bei neuen, unbekannten Erregern ● Augenschutz/Schutzbrille: bei Gefahr, mit erregerhaltigen Aerosolen in Kontakt zu kommen (z. B. beim Absaugen)

Standardhygiene Tab. 15.1 Berufskleidung, Bereichskleidung, Schutzkleidung.





Art der Kleidung

Berufskleidung

Bereichskleidung

Schutzkleidung

Wo und wann wird sie getragen?

Gesundheitsinstitutionen, bei Patientenversorgung

bestimmte Bereiche der Klinik, z. B. OP, Intensivstation

Versorgung von Patienten mit bestimmten Krankheitserregern

Wie sieht sie aus?

kurzärmliges Oberteil, Hose lang

wie Berufskleidung, nur farblich entsprechend dem Bereich, z. B. grüne Kleidung für OP

Einmalschürze, Schutzkittel, Schutzanzug, Schutzbrille, MundNasen-Schutz

Wann wird sie gewechselt?

alle 2 Tage oder bei Bedarf, z. B. bei Verschmutzung

täglich und beim Verlassen des Bereichs

entsprechend der Indikation

Entsorgung

Klinikwäsche

Klinikwäsche

entsprechend den Hygieneleitlinien

Mund-Nasen-Schutz: zum Schutz des Patienten und bei Gefahr, mit erregerhaltigen Flüssigkeiten (Spritzer, große Tröpfchen) in Kontakt zu kommen spezielle Atemschutzmasken (FFP2 oder FFP3): Schutz vor Erregern, die über Aerosole übertragen werden

15.2.4 Reinigung, Desinfektion und Sterilisation Definition Reinigung Bei der Reinigung wird Schmutz entfernt. Dies kann chemisch oder physikalisch sowie manuell oder maschinell erfolgen. Dabei wird die Zahl der Krankheitserreger reduziert.

Definition Desinfektion Desinfektion ist die Reduzierung, Inaktivierung und Abtötung von Krankheitserregern bis zu einem Zustand, in dem Ansteckung verhindert wird (Antisepsis). Sie kann chemisch und thermisch erfolgen. Desinfektionsverfahren ● Einlegemethode: Gegenstände werden vollständig in entsprechende Lösung gelegt, z. B. Waschschüsseln. Die vom Hersteller vorgegebene Einwirkzeit muss beachtet werden. ● Wischdesinfektion: Gegenstände und Flächen werden mit Desinfektionslösung feucht inklusive Verschmutzungen abgewischt. Die Einwirkzeit bzw. Trocknungszeit muss beachtet werden. ● Sprühdesinfektion: nur bei schlecht zugänglichen Flächen nutzbar. Nicht immer effektiv, da die Benetzung unvollständig sein kann. Es besteht die Gefahr der Reizung von Atemwegen und Augen. ● thermische Desinfektion: Krankheitserreger auf Gegenständen werden durch Hitze abgetötet. Anhaftender Schmutz muss vorher entfernt worden sein. ● Desinfektion mit strömendem Dampf: Matratzen, Kissen, Textilien lassen sich effektiv desinfizieren. ● Desinfektion mit Strahlen: Kurzwellige UV-Strahlen inaktivieren Bakterien, z. B. im Trinkwasser oder Warmwasser. ● thermisch-chemische Desinfektion: Kombination aus Hitze und chemischen Reinigungsmitteln, z. B. in Steckbeckenautomaten

Umgang mit Desinfektionsmitteln ● Für Flächen > 1 m2 sind alkoholhaltige Lösungen ungeeignet (Explosionsgefahr). ● Desinfektionsmittellösungen müssen immer mit kaltem Wasser angesetzt werden, sonst besteht die Gefahr des Wirkungsverlustes durch Ausdunstung von toxischen Dämpfen. ● Dabei muss auf die richtige Konzentration geachtet werden (Dosiertabellen!). ● Desinfektionsmittelwannen müssen abgedeckt werden (Ausdunstung der toxischen Dämpfe). ● Bei Kontakt mit Konzentraten müssen Augenschutz und chemikalienbeständige Handschuhe (Nitril) getragen werden. ● Lappen zur Desinfektion regelmäßig wechseln bzw. Einmallappen bevorzugen ● Die Nutzungszeit einer Desinfektionslösung entspricht den Herstellerangaben. Anbruchdatum der Einmaldesinfektionstücher immer sichtbar vermerken! Indikationen Patientennahes Umfeld täglich wischdesinfizieren, z. B. Nachtschränkchen, Krankenbett, Touchscreens der Überwachungsgeräte. ● Mit Blut, Stuhl oder Erbrochenem kontaminierte Flächen sofort desinfizierend reinigen. ● Der Boden braucht nur in Risikobereichen desinfiziert zu werden (durch das Reinigungspersonal). ● Schlussdesinfektion des Zimmers inklusive aller Gegenstände und Geräte erfolgt bei Infektionskrankheit oder Entlassung/Verlegung des Patienten (durch das Reinigungspersonal). ●

Definition Sterilisation Sterilisation ist ein Verfahren zur Abtötung von vermehrungsfähigen Mikroorganismen, inklusive Sporen und Viren (Asepsis). Die Wahl des Sterilisationsverfahrens richtet sich nach dem Material des Sterilguts. Es gibt folgende Methoden: ● Dampf-/physikalische Sterilisation ● Sterilisation mit Strahlen ● Plasmasterilisation ● Gassterilisation

l 15

Hygiene

15.2.5 Umgang und Aufbereitung von Medizinprodukten Definition Medizinprodukte Medizinprodukte sind Gegenstände oder Stoffe, die zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken bei Menschen angewendet werden, z. B. Instrumente, Verbandstoffe, Röntgengeräte.

Richtlinien zum Umgang mit Medizinprodukten Die beim RKI angesiedelte Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben eine gemeinsame Richtlinie zur Aufbereitung von Medizinprodukten aufgestellt. Diese Richtlinien sind im Medizinproduktegesetz (MPG), in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) und in den Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI) hinterlegt.

Aufbereitung ●





Einmalprodukte dürfen nicht wiederaufbereitet und müssen nach Gebrauch entsorgt werden. auf Station: z. B. Fieberthermometer, mit alkoholischen, hautfreundlichen Desinfektionslösungen in der ZSVA (zentrale Sterilgut-Versorgungsabteilung): z. B. bei chirurgischen Instrumenten

Aufbewahrung ●



● ●



Medizinprodukte werden in geschlossenen Behältern, Schränken oder Schubläden aufbewahrt. Die Lagerung soll staubfrei, trocken, ohne Sonneneinstrahlung und bei Raumtemperatur erfolgen. Bei der Aufbewahrung gilt die Regel „first in, first out“. Ein Behandlungsindikator auf sterilisierten Produkten weist auf die erfolgreiche Sterilisation hin. Alle Medizinprodukte dürfen erst unmittelbar vor der Anwendung geöffnet werden.

15.2.6 Schutz vor Stich- und Schnittverletzungen



15.2.7 Umgang mit Klinikwäsche ●





Wegen der Gefahr einer Schmierinfektion müssen die Hände vor der Entnahme der frischen Wäsche aus einem Schrank oder Wagen desinfiziert werden!

15.2.8 Umgang mit Pflegeutensilien Pflegeutensilien (z. B. Waschschüssel, Toilettenstühle, Rasierapparate) müssen nach Gebrauch entsprechend den Hygienerichtlinien oder dem Desinfektionsplan der Klinik aufbereitet werden (Art der Desinfektionslösung und Einwirkzeit beachten!). Steckbecken und Urinflaschen werden in Automaten unter thermisch-reinigender Desinfektion aufbereitet. Für die Pflege isolierter Patienten werden die Pflegeutensilien ausschließlich patientenbezogen benutzt.

15.3 Isolationsmaßnahmen Definition Isolation Isolation ist eine prophylaktische Hygienemaßnahme mit dem Ziel, eine Übertragung von Krankheitserregern auf Patienten, Personal und Besucher zu verhindern. Die konkreten Isolationsmaßnahmen richten sich nach dem Übertragungsweg der Krankheitserreger. Sie sind im Hygieneplan der Einrichtung festgelegt.

15.3.1 Allgemeine Regeln ●





Verhalten bei Nadelstichverletzungen ● ● ●



110

Blutung aus der Wunde fördern intensive Desinfektion durchführen falls möglich, potenzielle Infektionsquelle (Patient) identifizieren, um eine serologische Testung (auf Hepatitis B oder C sowie HIV) durchführen zu können → dafür ist eine Patienteneinwilligung erforderlich Verletzung unverzüglich einem Durchgangsarzt bzw. Betriebsarzt melden

Benutzte Wäsche muss umgehend in einem speziellen Wäschesack entsorgt werden. Sie darf nicht auf dem Fußboden oder unter dem Patientenbett abgelegt werden. Klinikwäsche wird mit einem desinfizierenden Verfahren gereinigt. Saubere Klinikwäsche wird in verschlossenen Schränken oder Wagen gelagert.

! Merke Händedesinfektion vor Wäscheentnahme

ACHTUNG Spitze Gegenstände wie Kanülen und Lanzetten müssen in durchstichsicheren Behältern entsorgt werden. Ein Recapping ist verboten, weil dadurch die Gefahr einer Stichverletzung gegeben ist.

durchgangsärztlichen Bericht (Unfallmeldung) an zuständigen Versicherungsträger senden





● ●

Patienten in der Regel in Einzelzimmern mit einer Nasszelle/Bad unterbringen. Ein Schild an der Tür weist auf besondere Hygienemaßnahmen hin. Besucher werden aufgefordert, das Pflegeteam vor Betreten des Patientenzimmers zu kontaktieren. Aus Datenschutzgründen dürfen die Infektionskeime nicht öffentlich genannt werden. Um die besonderen Hygienemaßnahmen einzuhalten, richten sich die Mitglieder des therapeutischen Teams nach einer Legende, die innerbetrieblich festgelegt worden ist. Patienten dürfen das Zimmer nur zu Untersuchungen und mit Einhaltung entsprechender Schutzmaßnahmen verlassen. die Anzahl der Kontaktpersonen, inklusive der Besucher, auf ein Minimum reduzieren (Bezugspflege) isolierte Patienten möglichst zuletzt versorgen Pflegeutensilien patientenbezogen nutzen, täglich desinfizieren und bis zur Entlassung im Zimmer lassen

l 15

Hygiene

15.2.5 Umgang und Aufbereitung von Medizinprodukten Definition Medizinprodukte Medizinprodukte sind Gegenstände oder Stoffe, die zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken bei Menschen angewendet werden, z. B. Instrumente, Verbandstoffe, Röntgengeräte.

Richtlinien zum Umgang mit Medizinprodukten Die beim RKI angesiedelte Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben eine gemeinsame Richtlinie zur Aufbereitung von Medizinprodukten aufgestellt. Diese Richtlinien sind im Medizinproduktegesetz (MPG), in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) und in den Richtlinien des Robert Koch-Instituts (RKI) hinterlegt.

Aufbereitung ●





Einmalprodukte dürfen nicht wiederaufbereitet und müssen nach Gebrauch entsorgt werden. auf Station: z. B. Fieberthermometer, mit alkoholischen, hautfreundlichen Desinfektionslösungen in der ZSVA (zentrale Sterilgut-Versorgungsabteilung): z. B. bei chirurgischen Instrumenten

Aufbewahrung ●



● ●



Medizinprodukte werden in geschlossenen Behältern, Schränken oder Schubläden aufbewahrt. Die Lagerung soll staubfrei, trocken, ohne Sonneneinstrahlung und bei Raumtemperatur erfolgen. Bei der Aufbewahrung gilt die Regel „first in, first out“. Ein Behandlungsindikator auf sterilisierten Produkten weist auf die erfolgreiche Sterilisation hin. Alle Medizinprodukte dürfen erst unmittelbar vor der Anwendung geöffnet werden.

15.2.6 Schutz vor Stich- und Schnittverletzungen



15.2.7 Umgang mit Klinikwäsche ●





Wegen der Gefahr einer Schmierinfektion müssen die Hände vor der Entnahme der frischen Wäsche aus einem Schrank oder Wagen desinfiziert werden!

15.2.8 Umgang mit Pflegeutensilien Pflegeutensilien (z. B. Waschschüssel, Toilettenstühle, Rasierapparate) müssen nach Gebrauch entsprechend den Hygienerichtlinien oder dem Desinfektionsplan der Klinik aufbereitet werden (Art der Desinfektionslösung und Einwirkzeit beachten!). Steckbecken und Urinflaschen werden in Automaten unter thermisch-reinigender Desinfektion aufbereitet. Für die Pflege isolierter Patienten werden die Pflegeutensilien ausschließlich patientenbezogen benutzt.

15.3 Isolationsmaßnahmen Definition Isolation Isolation ist eine prophylaktische Hygienemaßnahme mit dem Ziel, eine Übertragung von Krankheitserregern auf Patienten, Personal und Besucher zu verhindern. Die konkreten Isolationsmaßnahmen richten sich nach dem Übertragungsweg der Krankheitserreger. Sie sind im Hygieneplan der Einrichtung festgelegt.

15.3.1 Allgemeine Regeln ●





Verhalten bei Nadelstichverletzungen ● ● ●



110

Blutung aus der Wunde fördern intensive Desinfektion durchführen falls möglich, potenzielle Infektionsquelle (Patient) identifizieren, um eine serologische Testung (auf Hepatitis B oder C sowie HIV) durchführen zu können → dafür ist eine Patienteneinwilligung erforderlich Verletzung unverzüglich einem Durchgangsarzt bzw. Betriebsarzt melden

Benutzte Wäsche muss umgehend in einem speziellen Wäschesack entsorgt werden. Sie darf nicht auf dem Fußboden oder unter dem Patientenbett abgelegt werden. Klinikwäsche wird mit einem desinfizierenden Verfahren gereinigt. Saubere Klinikwäsche wird in verschlossenen Schränken oder Wagen gelagert.

! Merke Händedesinfektion vor Wäscheentnahme

ACHTUNG Spitze Gegenstände wie Kanülen und Lanzetten müssen in durchstichsicheren Behältern entsorgt werden. Ein Recapping ist verboten, weil dadurch die Gefahr einer Stichverletzung gegeben ist.

durchgangsärztlichen Bericht (Unfallmeldung) an zuständigen Versicherungsträger senden





● ●

Patienten in der Regel in Einzelzimmern mit einer Nasszelle/Bad unterbringen. Ein Schild an der Tür weist auf besondere Hygienemaßnahmen hin. Besucher werden aufgefordert, das Pflegeteam vor Betreten des Patientenzimmers zu kontaktieren. Aus Datenschutzgründen dürfen die Infektionskeime nicht öffentlich genannt werden. Um die besonderen Hygienemaßnahmen einzuhalten, richten sich die Mitglieder des therapeutischen Teams nach einer Legende, die innerbetrieblich festgelegt worden ist. Patienten dürfen das Zimmer nur zu Untersuchungen und mit Einhaltung entsprechender Schutzmaßnahmen verlassen. die Anzahl der Kontaktpersonen, inklusive der Besucher, auf ein Minimum reduzieren (Bezugspflege) isolierte Patienten möglichst zuletzt versorgen Pflegeutensilien patientenbezogen nutzen, täglich desinfizieren und bis zur Entlassung im Zimmer lassen

Multiresistente Erreger ●







● ●



Einwegmaterial entsprechend dem Tagesbedarf im Zimmer lagern. Pflegewagen nicht mit ins Zimmer nehmen Zimmergegenstände (Nachtkästchen), Bad, Kontaktflächen (Türgriffe) täglich desinfizieren Die Nutzung der persönlichen Schutzausrüstung richtet sich nach dem Hygieneplan der Klinik. Flüssigkeitsdichte, langärmlige Schutzkittel, die am Rücken geschlossen sind, Handschuhe und Mund-Nasen-Schutz tragen. Bei aerogener Übertragung ist eine FFP2-Maske erforderlich. Einweggeschirr nutzen und direkt im Patientenzimmer entsorgen. Herkömmliches Geschirr direkt in den Essenswagen entsorgen (keine Zwischenlagerung außerhalb des Patientenzimmers) Isolationspatienten am Ende des OP-Programms einplanen Isolationszimmer zuletzt reinigen. Nach der Aufhebung einer Isolation bzw. nach der Entlassung die Zimmer schlussdesinfizieren Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Um einer Keimübertragung entgegenzuwirken, ist es wichtig, die Patienten und Angehörigen über die Schutzmaßnahmen zu informieren und sie in den Umgang mit Schutzkleidung sowie in die korrekte Händedesinfektion einzuweisen.

15.3.2 Spezielle Arten der Isolation ●



Schutzisolation oder Umkehrisolation: Ziel ist, die Patienten vor Keimen der Umgebung zu schützen. Angewandt wird sie z. B. bei Patienten mit einem geschwächten Immunsystem, z. B. nach einer Chemotherapie. Kohortenisolation: Patienten mit derselben Infektionskrankheit werden gemeinsam in einem Patientenzimmer isoliert.

15.4 Multiresistente Erreger Definition Multiresistente Erreger Multiresistente Erreger (MRE) sind Erreger, die gegen mehrere Antibiotika resistent (widerstandsfähig) sind. Der unüberlegte Einsatz von Antibiotika fördert die Entwicklung von Resistenzen. Zu den bedeutendsten multiresistenten Erregern gehören: ● MRSA: Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus ● ESBL: meist gramnegative Enterobakterien, die das Enzym „extended spectrum betalactamase“ bilden ● VRE: Vancomycin-resistente Enterokokken ● MRGN: multiresistente gramnegative Bakterien)

15.4.1 MRSA MRSA sind häufig Verursacher nosokomialer Infektionen und gegen gängige Antibiotika resistent. Staphylokokken gedeihen in warmem und feuchtem Milieu, z. B. in den Achseln, Leisten und im Perianalbereich, außerdem in Sekreten der Atemwege, in Wunden, im Urin oder im Blut.

Risikopatienten ●



● ●









Screening auf MRSA ●



Die Erreger werden meistens als Kontaktinfektion direkt über die Hände übertragen oder indirekt, z. B. über die Kleidung oder die Patientenakte. Die Gefahr einer aerogenen Infektion besteht nicht.

In manchen Kliniken werden die o. g. Risikopatienten bereits bei der Aufnahme auf MRSA getestet. Mithilfe eines Abstrichtupfers werden beide Seiten der Nase und ggf. des Rachens abgestrichen. Bis zum Ergebnis des Tests (meistens 1 Tag) wird der gefährdete Patient in einem Einzelzimmer untergebracht.

Isolationsmaßnahmen Patienten mit MRSA werden isoliert, im Einzelzimmer oder mit anderen MRSA-Patienten (Kohortenisolation). ● bei Betreten des Zimmers: langärmlige Einmalschutzkittel tragen ● Wenn der Erreger im Mund-Nasen-Raum oder in der Lunge sitzt, müssen zusätzlich Handschuhe und ein MundNasen-Schutz getragen werden. ● weitere Maßnahmen siehe Kap. 15.3

! Merke Langlebige MRSA

MRSA kann Monate auf Flächen, Instrumenten und Kleidung überleben. Wird der Patient entlassen, muss das Zimmer inklusive der Pflegeutensilien schlussdesinfiziert werden. Alle benutzten Pflegemittel werden fachgerecht entsorgt.

Sanierungsmaßnahmen bei Besiedelung ● ●







Übertragung

Menschen mit chronischen Erkrankungen, z. B. Diabetes mellitus Menschen mit Wunden, z. B. OP-Wunden, oder mit chronischen Hautläsionen, z. B. Ulcus cruris Dialysepatienten Menschen, die oft Antibiotika einnehmen oder im Krankenhaus sind Patienten mit dauerhaft liegenden Zugängen, z. B. Tracheostoma oder PEG ältere Menschen aufgrund altersspezifischer Immunschwäche Personen mit häufigem Kontakt zu MRSA-Trägern, z. B. Klinikpersonal Personen, die beruflich direkten Kontakt mit Tieren in der Landwirtschaft haben, z. B. Schweinezüchter

bei bloßer Besiedelung ohne Infektion: keine Antibiose Bei Besiedelung der Nase wird über 5 Tage eine antibiotische Nasensalbe aufgetragen. Ist der Rachen besiedelt, muss der Patient über 5–7 Tage mit einer entsprechenden Mundspüllösung gurgeln. Ist die Haut befallen, müssen der Körper und die Haare an 5 aufeinanderfolgenden Tagen mit einer antibakteriellen Waschlotion gewaschen werden. Das Bett wird täglich bezogen, die Matratze und alle Pflegeutensilien werden wischdesinfiziert. 3 Tage nach Abschluss der Sanierung werden an 3 folgenden Tagen Abstriche abgenommen. Bei negativen Ergebnissen wird die Isolation aufgehoben.

l 15

Hygiene

KOMPAK T Hygiene ●















112

Krankheitserreger (Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten und Prionen) lösen Infektionen oder übertragbare Erkrankungen aus. Übertragungswege: Tröpfcheninfektion, aerogene Infektion, Kontaktinfektion Übertragungsarten: direkt, indirekt, enteral, parenteral, endogen und exogen Ursachen nosokomialer Infektionen: z. B. Patienten-, Umweltfaktoren, technologische oder menschliche Faktoren Händedesinfektion ist die effektivste Maßnahme zur Vermeidung nosokomialer Infektionen. Maßnahmen der Standardhygiene: u. a. Händedesinfektion, Händewaschen, Schutzhandschuhe, Schutzkleidung, Hustenetikette, Desinfektion und Sterilisation Isolationsmaßnahmen sollen die Übertragung von Krankheitserregern (auf Patienten, Personal, Besucher) verhindern. Maßnahmen bei MRSA: u. a. Insolieren, Schutzkleidung tragen, Sanierung (z. B. antibiotische Nasensalbe, Mundspüllösung

16

Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und kontrollieren

rhythmisch

Kußmaul-Atmung

arrhythmisch hart

Norm: 60–100/Min.* Tachykardie: > 100/Min.*

Rhythmus

weich

Qualität, z.B.

Biot-Atmung

Schlafapnoe

Schonatmung

z.B. Stridor Tiefe, z.B.

Bradypnoe Tachypnoe

Rhythmus, z.B.

Geräusch

Frequenz

Orthopnoe

Geruch, z.B.

Dyspnoe

Frequenz Urin

Bradykardie: < 60/Min.*

Azeton unbemerkt beobachten

beurteilen

*beim Erwachsenen

Norm: 14–16/Min.* Veränderungen Eupnoe

1 Min. auszählen 15 Sek. zählen →x4

messen

messen beurteilen

Puls

A. radialis Atmung

unter gleichen Bedingungen

MAD in Ruhe

bei Belastung Körpertemperatur beurteilen

Blutdruck beurteilen

messen, z.B. axillar

rektal messen

sublingual Hypothermie < 36 °C

aurikulär

Hyperthermie > 37,5 °C

Norm: 36,5–37,5 °C

Hypotonie: syst. < 100 mmHg*

in Ruhe Arm auf Herzhöhe

Fieber: > 38 °C

Erstmessung an beiden Armen

Manschette

beim Anlegen luftleer ⅔ des Oberarms

Norm: ca. 120/80 mmHg* Hypertonie: > 140/90 mmHg*

! hypertensive Krise: > 180/120 mmHg*

Blutdruck

16.1 Puls



16.1.1 Physiologische Grundlagen Während der Systole kontrahiert der Herzmuskel und pumpt ruckartig Blut in die Aorta. Dadurch wird eine Pulswelle erzeugt, die das Blut in die peripheren Gefäße treibt. Diese Pulswelle kann als Puls an oberflächlichen Arterien getastet werden.





16.1.2 Messen des Pulses ●







Zeitpunkt: Puls bei Aufnahme und im Verlauf täglich messen, immer unter den gleichen Bedingungen (z. B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück). Bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung. Messtechnik: Arterie mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger tasten (nicht mit Daumen, Eigenpuls!), Puls 15 Sek. zählen, ermittelten Wert mit 4 multiplizieren. Dabei auf Rhythmus und Qualität achten. Bei Neuaufnahme, Arrhythmie, Brady- oder Tachykardie Puls 1 Min. auszählen. häufigster Messort: A. radialis (Innenseite Handgelenk), leicht zugänglich Indikatoren für andere Messorte: Beurteilung der Beindurchblutung (A. tibialis posterior, A. dorsalis pedis); kein Puls am Handgelenk tastbar, z. B. bei Schock (Hals- oder Leistenarterie)

16.1.3 Puls beurteilen ● ● ●



altersentsprechende Normwerte: siehe ▶ Tab. 16.1 Pulsfrequenz: Anzahl der getasteten Pulswellen pro Minute Pulsrhythmus: – rhythmischer Puls: gleich lange Abstände zwischen den Pulswellen – arrhythmischer Puls: unterschiedlich lange Abstände zwischen den Pulswellen Physiologische Schwankungen nach unten (z. B. bei Sportlern, im Schlaf) oder oben (z. B. bei psychischer Erregung, Anstrengung, Kaffeekonsum) sind möglich. Wichtig ist: Wie geht es dem Patienten? Hat er Luftnot? Ist er kaltschweißig? Sind andere Vitalparameter auffällig?



Bradykardie: durch z. B. Medikamente (Beta-Blocker, Digitalispräparate etc.), Vergiftungen, Störungen der Erregungsbildung bzw. -überleitung im Herzen (z. B. bei Herzinfarkt, Hyperkaliämie), erhöhtem Hirndruck (Vagusreiz) Tachykardie: durch z. B. Schmerzen, Fieber, verminderte Herzpumpleistung, Flüssigkeitsmangel, Schilddrüsenüberfunktion, Hypokaliämie, Herzinfarkt, Medikamente (z. B. Bronchodilatatoren) Pulsqualität: gibt Auskunft darüber, wie hart die Pulswellen sind, wie rasch sie ansteigen und wie hoch ihre Amplitude ist. Ein harter Puls ist z. B. häufig im Zusammenhang einer Hypertonie zu beobachten, ein weicher Puls hingegen kann Anzeichen einer Hypotonie sein. Info an Arzt: Wenn der Puls stark erhöht oder erniedrigt ist. Weitere Begleiterscheinungen zu beobachten sind (z. B. Schwindel, Abgeschlagenheit, Bewusstseinsstörungen). Mehrere Vitalparameter auffällig sind. Es im Verlauf zu Veränderungen kommt.

16.2 Blutdruck 16.2.1 Physiologische Grundlagen Der gemessene Blutdruck ist ein Maß für die Kraft, die das zirkulierende Blut auf die Gefäßwände ausübt. Er ist abhängig von der Pumpleistung des Herzens und dem Gefäßwiderstand der Arterien. ● Pumpleistung: ergibt sich aus dem Schlagvolumen (in ml) und der Herzfrequenz (Schläge/Minute) ● Gefäßwiderstand: Ist abhängig vom Durchmesser der Gefäße. Je kleiner der Durchmesser, desto größer ist der Widerstand. Folglich ist der Blutdruck höher. ● Windkesselfunktion: Die elastische Aorta dehnt sich während der Systole aus und nimmt Blut auf. Dann zieht sie sich in der Diastole zusammen und sorgt dafür, dass das Blut mit nur moderatem Druckabfall gleichmäßig weiterfließt.

16.2.2 Messen des Blutdrucks ●

Zeitpunkt: Blutdruck bei Aufnahme und im Verlauf täglich messen, immer unter den gleichen Bedingungen (z. B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück). Bei Verschlechterung

Tab. 16.1 Puls: Normwerte und Abweichungen. Pulsfrequenz

Normwerte

Bradykardie

Tachykardie

Alter

Schläge pro Minute

Neugeborenes (0−4 Wochen)

90–170

< 90

> 170

Säugling (< 1 Jahr)

80–170

< 80

> 170

Kleinkind (1−6 Jahre)

80–120

< 80

> 120

Schulkind (7−12 Jahre)

70–110

< 70

> 120

Jugendlicher (13−18 Jahre)

60–100

< 70

> 110

Erwachsener (19−64 Jahre)

60–80

< 60

> 100

älterer Mensch (> 64 Jahre)

80–90

< 60

> 100

l 16

Vitalparameter und Körpertemperatur



des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung. Technik: Der Blutdruck kann indirekt mithilfe einer Druckmanschette auskultatorisch, palpatorisch oder oszillatorisch gemessen werden. Das gängigste Verfahren ist die indirekte auskultatorische Blutdruckmessung nach Riva-Rocci (mit Manschette und Stethoskop): – Oberarm auf Herzhöhe positionieren – passende Manschettengröße wählen (ca. ²̸3 der Oberarmlänge) – Manschette nicht zu locker anlegen – Manschette zügig aufpumpen und Radialispuls tasten (sobald Puls verschwindet + 30 mmHg) – Stethoskopkopf beim Messen nicht mit dem Daumen fixieren (Vorsicht: Eigenpuls!) – nicht zu lange stauen und Luft nicht zu rasch oder zu langsam ablassen





● ●



ACHTUNG Keine Blutdruckmessung am betroffenen Arm: bei Shunt, Lymphödem, Ablatio mammae, Gefäßzugang oder Parese/Plegie!

16.2.3 Blutdruck beurteilen ●



systolischer arterieller Blutdruck: Druck in den großen Arterien während der Systole (Auswurfphase). Entspricht dem systolischen Druck in der linken Herzkammer. diastolischer arterieller Blutdruck: Druck in den großen Arterien während der Diastole (Erschlaffungsphase).



mittlerer arterieller Druck (MAD): Druck, der durchschnittlich in den Arterien herrscht (normal: 70– 105 mmHg). Blutdruckamplitude: Differenz zwischen systolischem und diastolischem Druck altersentsprechende Normwerte: siehe ▶ Tab. 16.2 Hypotonie (beim Erwachsenen < 100/60 mmHg): – primäre Hypotonie: Ursache unbekannt – sekundäre Form: Ursache bekannt, z. B. Herzerkrankungen, Volumenmangel, fehlerhafte antihypertensive Medikation Hypertonie (beim Erwachsenen > 140/90 mmHg): schädigt langfristig Herzmuskel, Nieren und Innenwände der Gefäße (Arteriosklerose). Die WHO unterscheidet verschiedene Stufen bzw. Schweregrade (▶ Tab. 16.3) – primäre Hypertonie: Ursache unbekannt – sekundäre Hypertonie: z. B. Nierenerkrankung, hormonproduzierender Tumor, Rauchen, Übergewicht, mangelnde Bewegung Info an Arzt: Wenn der Blutdruck stark erhöht oder erniedrigt ist. Wenn weitere Begleiterscheinungen zu beobachten sind (z. B. Schwindel, Abgeschlagenheit, Bewusstseinsstörungen). Wenn mehrere Vitalparameter auffällig sind. Wenn blutdrucksenkende Medikamente nicht ausreichend oder zu stark wirken.

Tab. 16.2 Blutdruck: Normwerte. Normwerte RR

systolische Werte

diastolische Werte

Alter in Jahren

in mmHg

Neugeborenes (0−4 Wochen)

80

35

Säugling (< 1)

85

40

Kleinkind (1−6)

95

50

Schulkind (7−12)

100

60

Jugendlicher (13−18)

110

70

Erwachsener (19−64)

120

80

älterer Mensch (> 64)

140

90

Tab. 16.3 Schweregrade der arteriellen Hypertonie. Schweregrad

systolisch (mmHg)

diastolisch (mmHg)

hoch-normaler Blutdruck

130–139

85–89

milde Hypertonie (Stufe 1)

140–159

90–99

mittlere Hypertonie (Stufe 2)

160–179

100–109

schwere Hypertonie (Stufe 3)

> 180

> 110

[Quelle: WHO]

116

Atmung

16.3 Atmung

Veränderung der Atemfrequenz

16.3.1 Physiologische Grundlagen ●







Der Körper benötigt für den Stoffwechsel ständig frischen Sauerstoff. Sauerstoffarmes Blut wird mit Sauerstoff aus der Einatemluft angereichert. Der Gasaustausch findet in den Lungenbläschen (Alveolen) statt. Kohlenstoffdioxid, das beim Stoffwechsel entsteht, wird durch die Ausatmung abgegeben.

16.3.2 Atemfrequenz erheben ●





Zeitpunkt: Atemfrequenz bei Aufnahme und im Verlauf täglich erfassen, immer unter den gleichen Bedingungen (z. B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück). Bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung. Ein Atemzug besteht immer aus einer Ein- und Ausatmung. Technik: Atmung vom Patienten unbemerkt beobachten und auszählen, da es sonst zu falschen Messergebnissen kommen kann. Ein Tipp: Atmung im Anschluss an die Pulsmessung 1 Minute auszählen. apparative Untersuchungen: – Lungenfunktionstest (Lufu): Bestimmung der Atemund Lungenvolumina – Blutgasanalyse (BGA): Bestimmung der CO2- und Sauerstoffwerte im arteriellen Blut – Sauerstoffsättigung (sO2): Anteil des mit Sauerstoff gesättigten Hämoglobins

16.3.3 Atmung beurteilen ● ● ●





Eupnoe: normale Atmung (siehe ▶ Tab. 16.4) Dyspnoe: Atemnot Orthopnoe: starke Atemnot, bei der sich Patient aufrichtet, um die Atemhilfsmuskulatur einzusetzen Schnappatmung: Patient schnappt nur noch gelegentlich nach Luft, die Schnappatmung geht der Apnoe voraus Apnoe: Patient atmet nicht mehr

Tab. 16.4 Atmung: Normwerte und Abweichungen.





Veränderungen der Atemtiefe ●







Eupnoe

Alter

Atemzüge pro min

Neugeborenes (0−4 Wochen)

30–45

Säugling (< 1 Jahr)

25–35

Kleinkind (1−6 Jahre)

20–30

Schulkind (7−12 Jahre)

18–25

Jugendlicher (13−18 Jahre)

16–22

Erwachsener (19−64 Jahre)

12–18

flache und langsame Atmung: z. B. bei Opiatvergiftung (Blutgasanalyse durchführen, da u. U. CO2 nicht ausreichend abgeatmet wird!) flache und schnelle Atmung: meist schmerzbedingte Schonatmung vertiefte Atmung: Wenn Blut übersäuert ist, versucht der Körper, CO2 durch sehr tiefe Atemzüge loszuwerden (Kußmaul-Atmung). Schonatmung: reduzierte Atemtiefe aufgrund von Schmerzen

Veränderungen des Atemrhythmus ●





Schlafapnoe: Atempausen > 10 Sekunden während des Schlafes. Ursache: meist verengte Atemwege oder Bluthochdruck. Cheyne-Stokes-Atmung: Atemzüge werden immer flacher, bis Atempause eintritt, dann wird Atmung wieder tiefer. Ursache: lebensbedrohliche Störung des Atemzentrums. Biot-Atmung: unregelmäßige Atempausen, Atemtiefe schwankt. Ursache: Störung des Atemzentrums z. B. bei erhöhtem Hirndruck.

Atemgeräusche ●





inspiratorischer Stridor: pfeifendes Geräusch bei Einatmung. Typisch bei Verengung der oberen Atemwege, z. B. Kehlkopfentzündungen exspiratorischer Stridor: pfeifendes Geräusch bei Ausatmung. Typisch bei Verengung der unteren Atemwege, z. B. Asthma bronchiale Schnarchen: flatternde Bewegung des Gaumensegels, da Zunge zurückfällt

Geruch der Ausatemluft ●

Atemfrequenz

Tachypnoe: beschleunigte Atmung (> 20 Atemzüge/min), z. B. bei Fieber, Atemwegserkrankungen, Herzinsuffizienz, Schock, Anämie Bradypnoe: verlangsamte Atmung (< 12 Atemzüge/min), z. B. bei Schädel-Hirn-Trauma, gesteigertem Hirndruck, Entzündungen des Gehirns, Überdosierung von Opiaten





Azeton („obstartig“): Bei anhaltendem Insulinmangel bauen die Zellen Fett ab, um Energie zu gewinnen. Dabei entstehen Ketonkörper, die in die Atemluft gelangen und einen obstartigen Geruch verursachen. Ammoniak: Bei schweren Lebererkrankungen reichert sich Ammoniak im Blut an. Dies führt zu einem stechendbeißenden Atemgeruch. Urin: bei Nierenerkrankungen

l 16

Vitalparameter und Körpertemperatur

16.4 Körpertemperatur

Tab. 16.5 Körpertemperatur: Normwerte.

16.4.1 Physiologische Grundlagen

Messort

Normwerte

Das Regelzentrum der Thermoregulation sitzt im Hypothalamus. Dieses Hirnareal erhält ständig Informationen über die Körpertemperatur von den Thermorezeptoren des Körpers. Weicht der Istwert vom Sollwert ab, reagiert der Hypothalamus mit Ausgleichsmaßnahmen: ● Ist der Istwert zu niedrig, wird die Wärmeproduktion durch hochfrequente Muskelarbeit erhöht („Zittern“). ● Ist der Istwert zu hoch, wird die Wärmeabgabe durch Erhöhung der Schweißproduktion gesteigert.

aurikulär

35,9–37,6 °C

rektal

36,5–37,4 °C

sublingual

36,1–37,1 °C

Weitere Informationen zur Pflege bei Fieber finden Sie in Kap. 42.

16.4.3 Körpertemperatur beurteilen ● ●

! Merke Fieber

Fieber ist eine Reaktion des Körpers auf Infektions-, Tumor- oder Autoimmunerkrankungen, bei der im Hypothalamus der Sollwert der Körperkerntemperatur erhöht ist.

16.4.2 Körpertemperatur messen ●









Zeitpunkt: Temperatur bei Aufnahme und im Verlauf täglich messen, immer unter den gleichen Bedingungen (z. B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück). Bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung. Indikatoren für häufigere Messungen: Infektionen oder erhöhte Infektionsgefahr (z. B. nach OPs oder Immunabwehrschwäche); Bewusstseinsstörungen; zerebrale Erkrankungen; Verbrennungen und Erfrierungen; Frühgeburt, kranke Kinder und Säuglinge Messorte: – äußerer Gehörgang (aurikulär): mit Infrarot-Ohrthermometer; bei langem Liegen auf dem Ohr oder bei viel Ohrenschmalz besteht die Gefahr verfälschter Werte – im After (rektal): Kontraindikation: Hämorrhoiden, hohe Blutungsneigung (z. B. bei Marcumar-Einnahme) – unter der Zunge (sublingual): Normwerte: 36,1–37,1 °C; ungeeignet: bei desorientierten Personen, Unruhe, Dyspnoe Messorte beurteilen: – Stirn, Leiste, Achsel (Schalentemperatur): wird im klinischen Umfeld selten gemessen, da zu ungenau – rektal und aurikulär: entspricht in etwa der Körperkerntemperatur – vaginal: entspricht zwar in etwa der Körperkerntemperatur, wird in der Praxis dennoch kaum angewendet (Intimsphäre!) Info an Arzt: wenn die Temperatur stark erhöht oder erniedrigt ist, Begleiterscheinungen zu beobachten (z. B. Blässe oder Rötung der Haut, Zittern, Schüttelfrost, Schwitzen, Durstgefühl, verminderte Urinausscheidung) oder mehrere Vitalparameter auffällig sind





● ●

Normwerte: siehe ▶ Tab. 16.5. physiologische Temperaturschwankungen: z. B. durch Hormone (bei Frauen während des Monatszyklus Schwankungen von 1 °C), körperliche Aktivität, Sport, Sauna, im Tagesverlauf (die Morgentemperatur ist ca. 0,5 °C niedriger als die Abendtemperatur) Hypothermie: Werte unter 36,0 °C, z. B. durch postoperativ gestörte Thermoregulation. Achtung: Immunabwehr und Blutgerinnung sind beeinträchtigt. Im Extremfall drohen Herzrhythmusstörungen. Hyperthermie: Werte über 37,5 °C z. B. durch unerwünschte Arzneimittelwirkung, Flüssigkeitsmangel beim Neugeborenen, „Hitzschlag“. Achtung: Die Abgrenzung zu Fieber ist schwer und erfolgt durch den Arzt. Fieber: Werte über 38,1 °C: siehe Kap. 42 Wann ist ein Arzt zu informieren?

KOMPAK T Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und erheben ●

● ●







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118

beim Puls besonders achten auf: Frequenz, Rhythmus, Qualität normale Pulsfrequenz beim Erwachsenen: 60–100/Min. wenn Puls arrhythmisch: eine komplette Minute auszählen Puls zu schnell (> 100/min): Tachykardie. Puls zu langsam (< 60/min): Bradykardie normaler Blutdruck beim Erwachsenen: 80–89/120– 129 mmHg bei der Atmung besonders achten auf: Frequenz, Atemtiefe, Rhythmus, Atemgeräusch (Stridor?), Geruch, Körperhaltung, Mimik Eupnoe: normale Atmung: 14–16 Atemzüge/Min. Tachypnoe: beschleunigte Atmung Bradypnoe: verlangsamte Atmung bei flacher, verlangsamter Atmung: Blutgasanalyse, sonst Gefahr der „CO2-Narkose“ Körperkerntemperatur sollte relativ konstant 37 °C betragen. Weicht die Temperatur zu stark nach unten ab (Hypothermie), drohen im Extremfall tödliche Herzrhythmusstörungen. Zeitpunkt von Puls-, Blutdruck- und Temperaturmessung: bei Aufnahme des Patienten (Ausgangswert). Dann einmal täglich. Engmaschiger, falls sich Zustand verschlechtert.

l 16

Vitalparameter und Körpertemperatur

16.4 Körpertemperatur

Tab. 16.5 Körpertemperatur: Normwerte.

16.4.1 Physiologische Grundlagen

Messort

Normwerte

Das Regelzentrum der Thermoregulation sitzt im Hypothalamus. Dieses Hirnareal erhält ständig Informationen über die Körpertemperatur von den Thermorezeptoren des Körpers. Weicht der Istwert vom Sollwert ab, reagiert der Hypothalamus mit Ausgleichsmaßnahmen: ● Ist der Istwert zu niedrig, wird die Wärmeproduktion durch hochfrequente Muskelarbeit erhöht („Zittern“). ● Ist der Istwert zu hoch, wird die Wärmeabgabe durch Erhöhung der Schweißproduktion gesteigert.

aurikulär

35,9–37,6 °C

rektal

36,5–37,4 °C

sublingual

36,1–37,1 °C

Weitere Informationen zur Pflege bei Fieber finden Sie in Kap. 42.

16.4.3 Körpertemperatur beurteilen ● ●

! Merke Fieber

Fieber ist eine Reaktion des Körpers auf Infektions-, Tumor- oder Autoimmunerkrankungen, bei der im Hypothalamus der Sollwert der Körperkerntemperatur erhöht ist.

16.4.2 Körpertemperatur messen ●









Zeitpunkt: Temperatur bei Aufnahme und im Verlauf täglich messen, immer unter den gleichen Bedingungen (z. B. in Ruhe, morgens vor dem Frühstück). Bei Verschlechterung des Allgemeinzustands oder Veränderung der Situation engmaschige Überwachung. Indikatoren für häufigere Messungen: Infektionen oder erhöhte Infektionsgefahr (z. B. nach OPs oder Immunabwehrschwäche); Bewusstseinsstörungen; zerebrale Erkrankungen; Verbrennungen und Erfrierungen; Frühgeburt, kranke Kinder und Säuglinge Messorte: – äußerer Gehörgang (aurikulär): mit Infrarot-Ohrthermometer; bei langem Liegen auf dem Ohr oder bei viel Ohrenschmalz besteht die Gefahr verfälschter Werte – im After (rektal): Kontraindikation: Hämorrhoiden, hohe Blutungsneigung (z. B. bei Marcumar-Einnahme) – unter der Zunge (sublingual): Normwerte: 36,1–37,1 °C; ungeeignet: bei desorientierten Personen, Unruhe, Dyspnoe Messorte beurteilen: – Stirn, Leiste, Achsel (Schalentemperatur): wird im klinischen Umfeld selten gemessen, da zu ungenau – rektal und aurikulär: entspricht in etwa der Körperkerntemperatur – vaginal: entspricht zwar in etwa der Körperkerntemperatur, wird in der Praxis dennoch kaum angewendet (Intimsphäre!) Info an Arzt: wenn die Temperatur stark erhöht oder erniedrigt ist, Begleiterscheinungen zu beobachten (z. B. Blässe oder Rötung der Haut, Zittern, Schüttelfrost, Schwitzen, Durstgefühl, verminderte Urinausscheidung) oder mehrere Vitalparameter auffällig sind





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Normwerte: siehe ▶ Tab. 16.5. physiologische Temperaturschwankungen: z. B. durch Hormone (bei Frauen während des Monatszyklus Schwankungen von 1 °C), körperliche Aktivität, Sport, Sauna, im Tagesverlauf (die Morgentemperatur ist ca. 0,5 °C niedriger als die Abendtemperatur) Hypothermie: Werte unter 36,0 °C, z. B. durch postoperativ gestörte Thermoregulation. Achtung: Immunabwehr und Blutgerinnung sind beeinträchtigt. Im Extremfall drohen Herzrhythmusstörungen. Hyperthermie: Werte über 37,5 °C z. B. durch unerwünschte Arzneimittelwirkung, Flüssigkeitsmangel beim Neugeborenen, „Hitzschlag“. Achtung: Die Abgrenzung zu Fieber ist schwer und erfolgt durch den Arzt. Fieber: Werte über 38,1 °C: siehe Kap. 42 Wann ist ein Arzt zu informieren?

KOMPAK T Vitalparameter und Körpertemperatur beobachten und erheben ●

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118

beim Puls besonders achten auf: Frequenz, Rhythmus, Qualität normale Pulsfrequenz beim Erwachsenen: 60–100/Min. wenn Puls arrhythmisch: eine komplette Minute auszählen Puls zu schnell (> 100/min): Tachykardie. Puls zu langsam (< 60/min): Bradykardie normaler Blutdruck beim Erwachsenen: 80–89/120– 129 mmHg bei der Atmung besonders achten auf: Frequenz, Atemtiefe, Rhythmus, Atemgeräusch (Stridor?), Geruch, Körperhaltung, Mimik Eupnoe: normale Atmung: 14–16 Atemzüge/Min. Tachypnoe: beschleunigte Atmung Bradypnoe: verlangsamte Atmung bei flacher, verlangsamter Atmung: Blutgasanalyse, sonst Gefahr der „CO2-Narkose“ Körperkerntemperatur sollte relativ konstant 37 °C betragen. Weicht die Temperatur zu stark nach unten ab (Hypothermie), drohen im Extremfall tödliche Herzrhythmusstörungen. Zeitpunkt von Puls-, Blutdruck- und Temperaturmessung: bei Aufnahme des Patienten (Ausgangswert). Dann einmal täglich. Engmaschiger, falls sich Zustand verschlechtert.

17

Körperpflege und Bekleidung

Zyanose

kühl, blass

warm, heiß feucht

Blässe

Ikterus

lokale Überwärmung

Rötung Hauttemperatur Hautfarbe, z.B.

trocken schuppig fettig

Hautoberfläche

stehende Hautfalte

Hautturgor, z.B.

Ödeme Haut beobachten und beurteilen

Hilfestellung beim An- und Auskleiden

Bekleidung Hautpflege

Wohlbefinden fördern Infektionsprohylaxe Nicht bei Antikoagulanzientherapie!

Ressourcen, Rituale, Wünsche erfragen

bei der Körperpflege unterstützen

Intimsphäre schützen

nass Ziele, z.B.

bei der Selbstpflege unterstützen

trocken

Rasur Regeln, z.B. Augenpflege

aktivierend-reinigende Ganzkörperwaschung therapeutische Ganzkörperwaschung (GKW) basalberuhigende GKW

belebende GKW

Nagelpflege Formen Intimpflege Mund- und Zahnpflege

Haarpflege Nasenpflege

Vorsicht bei

Antikoagulantientherapie

Diabetes mellitus

Bei der Körperpflege unterstützen

17.1 Hautpflege 17.1.1 Haut beobachten und beurteilen Hautbeobachtung und -beurteilung sind eine zentrale Aufgabe von Pflegenden. Meist erfolgen sie im Rahmen der Körperpflege und liefern wertvolle Informationen zum Allgemeinzustand des Patienten. Die Beurteilung erfolgt anhand der nachfolgenden Kriterien.

Hautfarbe Die Hautfarbe lässt Rückschlüsse auf die Durchblutung der Haut zu. ● Hautrötung: durch Vasodilatation (Erweiterung der Blutgefäße) bei Aufregung, körperlicher Anstrengung (physiologisch) oder bei arterieller Hypertonie, Fieber, Verbrennungen (pathologisch) ● Hautblässe: durch Vasokonstriktion (Verengung der Blutgefäße) bei Kälteexposition (physiologisch) oder bei Anämie, arterieller Hypotonie bis zum Schock (pathologisch) ● Blaufärbung (Zyanose): durch verminderte O2-Sättigung des Blutes bei verminderter Herzleistung, respiratorischer Insuffizienz bis zur Atemdepression durch Medikamentenüberdosierung oder im Schock. Achtung! Bei Anämie tritt keine bzw. nur eine geringe Zyanose auf. ● Gelbfärbung (Ikterus): durch Störungen des Bilirubinabbaus und der -ausscheidung bei Säuglingen (physiologisch bis zum 6. Tag) oder bei Leber- und Gallenerkrankungen

Hauttemperatur Die Hauttemperatur gibt auch Hinweise auf die Durchblutung: ● kühl und blass bei verminderter Durchblutung ● warm bis heiß bei vermehrter Durchblutung ● lokale Überwärmung als Zeichen eines Entzündungsvorgangs

Beschaffenheit der Hautoberfläche Die Haut kann feucht, trocken, schuppig oder fettig sein. Zur Beurteilung der Haut gehört immer auch die Einschätzung des Dekubitusrisikos. Auch Veränderungen der Hautanhangsgebilde (z. B. dünner werdende Haare, rissige oder gerillte Nägel) können Auskunft über den Flüssigkeits- und Hormonhaushalt, bestehende Mangelerscheinungen oder Mykosen geben.

Hautturgor Auch die Spannung der Haut (Hautturgor) ist wichtig für die Einschätzung des Allgemeinzustands: ● verminderter Hautturgor (bei Dehydratation oder Malnutrition): Haut ist schlaff mit stehender Hautfalte ● erhöhter Hautturgor (gibt es Ödeme?): z. B. bei Herz- oder Nierenfunktionseinschränkung

17.2 Bei der Körperpflege unterstützen 17.2.1 Säureschutzmantel Um die Haut in ihrer physiologischen Funktion zu erhalten, ist es wichtig, sie entsprechend zu pflegen. Als dünner Hydrolipidmantel stellt der Säureschutzmantel eine Barriere für Krankheitserreger dar. Er besteht aus ● Talg, ● Schweiß, ● Bestandteilen der Hornzellen, ● dient der Temperatur- und Flüssigkeitsregulation und ● schützt die Haut vor Austrocknung. Das saure Milieu mit einem pH-Wert von ca. 5,5 schafft ideale Bedingungen für eine resistente Hautflora. Bereits durch Waschen mit klarem Wasser wird der Säureschutzmantel verändert. Je höher die Wassertemperatur ist, desto stärker wird er in seiner Funktion als Schutzfilm beansprucht.

17.2.2 Hautreinigungs- und -pflegeprodukte Die nachfolgende Tabelle (▶ Tab. 17.1) zeigt die Eigenschaften und Wirkungen von Hautreinigungs- und -pflegeprodukten auf die Haut.

17.2.3 Grundregeln bei der Körperpflege Die Körperpflege kann dem Zustand und den Ressourcen des Patienten entsprechend im Bett, am Waschbecken oder in der Dusche erfolgen. Dabei sind folgende Regeln zu beachten: ● Informationen sammeln (Allgemeinzustand, Ressourcen, Wünsche) ● Fenster schließen (Zugluft vermeiden, angenehme Raumtemperatur) ● Pflegeutensilien und frische Kleidung bereitlegen ● Privat- und Intimsphäre wahren ● vor dem Transfer aus dem Bett immer Vitalparameter kontrollieren (Kreislaufstabilität überprüfen) (siehe Kap. 16) ● Stuhlfläche beim Waschen am Waschbecken mit einem Handtuch bedecken ● nur zu waschende Körperteile entkleiden, damit der Patient nicht auskühlt (Ausdunstungskälte) ● Waschwasser wechseln: vor der Intimpflege, bei sichtbarer Verschmutzung und nach Kontamination des Wassers ● bei Pilzinfektion immer Einmalwaschlappen verwenden und diese sofort entsorgen (Gefahr der Infektionsausbreitung!) + unsterile Handschuhe tragen! ● Hautfalten immer gründlich abtrocknen (Mazerationsgefahr!) ● Prophylaxen in die Grundpflege integrieren ● unterstützungsbedürftige Patienten nie alleine im Bad lassen (Sturz- und Kreislaufkollapsgefahr!) ● rückenschonend arbeiten

l 17

Körperpflege und Bekleidung Tab. 17.1 Hautreinigungs- und -pflegemittel und deren Wirkung auf die Haut. Produkt

Eigenschaft

Wirkung auf die Haut

Seifen

primär alkalisch: pH 8–11; lösen nicht nur den wasserlöslichen Schmutz, sondern auch den Hydrolipidmantel; lassen die Haut aufquellen

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Syndets

Badeöle

O/W-Emulsionen

W/O-Emulsionen

wasch- und oberflächenaktive Substanzen (Tenside): enthalten hydro- und lipophile Substanzen, rückfettende Anteile, z. B. Olivenöl, und Zusätze zur pH-Regulierung (neutral bis sauer)



Badeöle mit Emulgator verbinden sich mit Wasser, flächenhafte Auftragung möglich. Spreitungsöle (Öle ohne Emulgator) verbinden sich nicht mit Wasser, keine flächenhafte Auftragung möglich.



Öl-in-Wasser-Emulsionen: Wasseranteil > Fettanteil, evtl. Zusätze von Urea (Harnstoff): feuchtigkeitsbindende Substanz



Wasser-in-Öl-Emulsion, Wasseranteil < Fettanteil, Pflegebalsam





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● ●

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122

Veränderung des pH-Wertes Austrocknung der Haut evtl. Juckreiz durch Eindringen der Alkalisalze in die Haut Deoseife: Zerstörung der Hautflora und Reduktion der Immunabwehr geringere Veränderung des pH-Wertes Rückfettung je nach Zusatz

meistens in der Dermatologie anwendbar hohes Rückfettungspotenzial kein Abtrocknen, nur Abtupfen Gefahr der Hautporenverschließung, Achtung: Fieber für normale und fettige Haut mit Urea-Zusatz auch für trockene Haut ziehen schnell ein für trockene und beanspruchte Haut ziehen langsam ein bilden einen Fettfilm auf der Haut schützen vor Austrocknung

Salben und Pasten

höherer Pulveranteil, durch Zusatz von Wirkstoffen nur medizinisch indiziert, Anwendung nur auf ärztliche Anordnung

direkte Applikation der Wirkstoffe auf die Haut

pflanzliche Öle

altgepresst, aus kontrolliertem Anbau, bilden keinen Fettfilm auf der Haut

für die Pflege trockener, empfindlicher Baby-, Kinder- und Altershaut

17.2.4 Grundregeln bei der Intimpflege

17.2.5 Therapeutische Ganzkörperwaschungen

Für die Intimpflege gelten folgende Grundregeln: ● Intimsphäre schützen ● vor der Intimpflege immer Waschwasser wechseln ● Einmalhandschuhe tragen ● Handtuch vorlegen, damit der Patient ggf. nicht im Nassen liegen muss ● Einmalwaschlappen nutzen, diese bei Pilzinfektion nach jedem Wischvorgang sofort entsorgen ● von der Symphyse zum Anus waschen und – bei der Frau: von den Leisten bis zur Harnröhrenöffnung waschen – beim Mann: zuerst Penisschaft waschen, Vorhaut zurückziehen, Harnröhreneingang und Eichel waschen, abtrocknen und Vorhaut zurückschieben (Gefahr einer Paraphimose), abschließend Hodensack in Richtung Analbereich waschen ● Hautfalten sorgfältig abtupfen/abtrocknen (Mazerationsgefahr!)

Bei der therapeutischen Ganzkörperwaschung (▶ Tab. 17.2) wird ähnlich wie bei der Körperpflege im Bett verfahren, die Intimpflege wird allerdings ausgelassen. Dem Waschwasser werden keine reinigenden Zusätze zugefügt, je nach Bedarf jedoch bestimmte Aromen.

17.2.6 Mund- und Lippenpflege ●





Ziele: Reinigung des Mundraums (Wohlbefinden), Feuchthalten der Schleimhaut (intakte Mundschleimhaut), Vermeidung von Infektionen (Prophylaxe, z. B. gegen Soor, Parotitis) Beobachtung: Mundschleimhaut auf Beläge, Färbung, Borken, Aphthen, Risse, Blutungen, Druckstellen durch Prothese beobachten. Sind die Lippen trocken, rissig? Durchführungshinweise: Inspektion (mit Lichtquelle und Spatel), ggf. Mundhöhle auswischen, sofern der Patient nicht selbst die Mundpflege durchführen kann (angefeuchtete, weiche Kompresse oder Schaumstoffstäbchen), bei der Zahnpflege bzw. Prothesenpflege nach Bedarf unterstützen, ggf. Speichelfluss anregen (z. B. Zitronendrops). Lippenpflege mit Pflegecreme durchführen.

Bei der Körperpflege unterstützen

Tab. 17.2 Unterschiede und Gemeinsamkeiten: beruhigende und belebende Ganzkörperwaschung.



Einsatzmöglichkeiten

beruhigende Ganzkörperwaschung

belebende Ganzkörperwaschung

Anwendung

z. B. bei Unruhe, Agitation, Schmerz

z. B. bei Bewusstseinsstörung, Somnolenz, Depression

Aromen

z. B. Lavendel, Mandarine

z. B. Zitrone, Rosmarin

Wassertemperatur

38–39 °C

18–22 °C

Waschrichtung

in Haarwuchsrichtung

gegen die Haarwuchsrichtung

Grundsätze

Eine Hand hält immer Kontakt zum Patienten. Möglichst wenig sprechen, einzelne Handlungsschritte erklären. Patienten während der Maßnahme beobachten; empfindet er die Waschung als unangenehm, Maßnahme abbrechen.

Aktivität/Ruhe

Im Anschluss an die Waschung Ruhe ermöglichen. Patienten bei der Einnahme einer angenehmen Position unterstützen.

Zahnprothesen: Um Druckstellen und eine Rückbildung des Kiefers zu vermeiden, sollte der Patient die Zahnprothese kontinuierlich (auch nachts) tragen. Die Zahnprothese nach jeder Nahrungsaufnahme abspülen und mindestens 1-mal täglich putzen (▶ Abb. 17.1). Dafür zuerst die Oberkieferprothese entfernen, danach die Unterkieferprothese. Diese Reihenfolge ist für den Patienten angenehmer.

Im Anschluss an die Waschung kann eine Mobilisation folgen.

Abb. 17.1 Zahnprothesenpflege.

17.2.7 Augen-, Ohren- und Nasenpflege ●





Augenpflege: Die Augen verfügen über eine Selbstreinigungsfunktion, daher reicht es, sie im Rahmen der Gesichtspflege mit einem sauberen Waschlappen zu waschen. Bei sedierten und bewusstseinseingeschränkten Patienten werden die Augen mit 0,9 % NaCl und weichen sterilen Kompressen gereinigt. Dabei ist die Wischrichtung zu beachten (von außen nach innen). Ohrenpflege: Die Ohrmuscheln werden im Zuge der Gesichtspflege gewaschen. Die Reinigung mit Wattestäbchen ist kontraindiziert, da dadurch das Ohrenschmalz tiefer in den Gehörgang gedrückt wird, was zur Verschlechterung des Hörvermögens führt. Nasenpflege: Die gesunde Nasenschleimhaut ist feucht, weshalb die Nase bei intakter Nasenschleimhaut keine besondere Pflege braucht. Bei beatmeten Patienten sind Reinigung und Anfeuchtung der Nase mit steriler Kochsalzlösung und Nasensalbe nötig.

17.2.8 Haar- und Nagelpflege ●



Haarpflege: Zur Haarpflege gehören das tägliche Kämmen und ggf. Frisieren der Haare sowie die regelmäßige Haarwäsche. Diese kann 1–2-mal in der Woche unter der Dusche, am Waschbecken oder im Bett mithilfe des dafür vorgesehenen Haarwaschbeckens durchgeführt werden. Rasur: Es gibt die Möglichkeit zur Trocken- oder Nassrasur. Vor der Nassrasur sollte die aktuelle Medikation des Patienten überprüft werden, eine Kontraindikation stellt die Gabe von Antikoagulanzien dar (Blutungsgefahr!). Wäh-

Da Zahnprothesen sehr bruchempfindlich sind, sollte das Waschbecken vorher mit Wasser gefüllt werden, oder ein Handtuch untergelegt werden, damit beim versehentlichen Fallenlassen nichts passieren kann. Foto: A. Fischer, Thieme



rend der Nassrasur wird die Haut einzelner Gesichtsareale gespannt gehalten und in langen, sanften Strichen rasiert. Anschließend werden die Schaumreste mit einem feuchten Waschlappen entfernt und die Haut wie gewohnt gepflegt. Nagelpflege: Die Nägel sollten sauber und kurz gehalten werden. Überragt die Nagelplatte die Finger- oder Zehenkuppen, werden die Nägel geschnitten, sofern der Patient sein Einverständnis dazu gibt. Die Nägel der Finger werden rund und die der Füße gerade geschnitten, um ein Einwachsen zu verhindern. Während der Maßnahme wird die Haut inspiziert und anschließend eingecremt. Bei Patienten mit Diabetes mellitus sollte die Fußpflege aufgrund der erhöhten Gefahr von Wundinfektionen von medizinischen Podologen durchgeführt werden.

l 17

Körperpflege und Bekleidung

17.3 Bekleidung Der Patient sollte auch in der Klinik nach Möglichkeit eigene Bekleidung tragen. Wichtig ist, dass die Kleidung nicht einengt, bequem sitzt und leicht in der Handhandhabung ist. Schuhe sollten einen sicheren Stand bei der Mobilisation bieten. Je nach Zustand des Patienten kann es sein, dass er Unterstützung beim An- und Auskleiden benötigt. Dabei orientiert sich die Pflegefachkraft an den Ressourcen des Patienten.

KOMPAK T Körperpflege ●















124

Die Hautbeobachtung ist wichtig, um den Allgemeinzustand des Patienten zu beurteilen. Beobachtet werden: Farbe, Temperatur, Oberfläche und Turgor der Haut. Die Körperpflege dient u. a. der Infektionsprophylaxe, sie fördert das Wohlbefinden sowie die Wahrnehmungsund Kommunikationsfähigkeit des Patienten. Bei der aktivierenden Pflege wird der Patient in seiner Selbstpflege unterstützt. Grundsätzliche Regeln: – Patienten informieren, ggf. Vitalparameter kontrollieren (siehe Kap. 16), vorhandene Ressourcen sowie Wünsche und Rituale erfragen – Maßnahme patientenorientiert planen (patienteneigene Pflegemittel, Reihenfolge) und organisieren (Material vollständig?) – Intimsphäre schützen therapeutische Waschungen: – basal-beruhigende Waschung: bei verwirrten, agitierten Patienten, Schmerzpatienten und Sterbenden Waschen mit der Haarwuchsrichtung und warmem Wasser ohne Reinigungszusätze, ggf. mit Aromen wie Lavendel oder Mandarine – belebende Waschung: bei bewusstseinsgestörten, somnolenten Patienten sowie Patienten mit Wahrnehmungsstörungen und Depression. Waschen gegen Haarwuchsrichtung und mit kaltem Wasser ohne Reinigungszusätze, ggf. mit Aromen wie Zitrone, Rosmarin oder Latschenkiefer Mundpflege dient der Reinigung der Zähne und der Mundschleimhaut sowie der Soor- und Parotitisprophylaxe. Sie fördert das Wohlbefinden des Patienten. Dabei wird die Mundschleimhaut beobachtet: trocken (Dehydratation)? Weißliche Beläge (Soorinfektion)? Farbe? Intaktheit? Schmerzen? Augenpflege: z. B. bei sedierten Patienten mit in 0,9 % NaCl getränkten Kompressen von außen nach innen wischen Ohrenpflege: nur mit klarem Wasser waschen, keine Wattestäbchen nutzen Nasenpflege: bei beatmeten Patienten mit 0,9 % NaCl reinigen und anfeuchten, ggf. mit Nasensalbe eincremen

18

Positionierung und Mobilisation, Betten und guten Schlaf fördern

Selbstständigkeit fördern z.B. Dekubitusprophylaxen Kreislaufkontrolle! Schmerzen? Wunde? Infusion? Drainage?

Scherkräfte und Druck vermeiden

Prophylaxen keine Scherkräfte

regelmäßige Mobilisation

Beweglichkeit erhalten

Ziele, z.B. rückenschonend arbeiten

Selbstwertgefühl und Wohlbefinden fördern Prinzipien, z.B.

Prinzipien, z.B.

geeignete Hilfsmittel

Mobilisation

Positionierung

Nest Oberkörperflachlage

Arten

Beintief- und Beinhochlage

Sicherheit

Kinästhetik, Bobath-Konzept

Schocklage

Vitalzeichenkontrolle Seitenlage paradoxer Schlaf (REM-Phase)

30°

Schlaf

Schlafphasen orthodoxer Schlaf (NREM-Phase)

Schlafstörungen (Dyssomnien)

Hygieneprinzipien, schlaffördernde Medikamente

Unruhe

pflegerische Maßnahmen, z.B.

Konzentrationsschwäche

Nebenwirkungen, z.B.

Händedesinfektion Schutzschürze

Suchtgefahr

Müdigkeit Ruhe, Ohrstöpsel

stabile Seitenlage Wechsel der Bettwäsche

Patientenbett

z.B. Schlafanamnese Auswirkungen,

90°

Herzbettlage

Licht dimmen

erhöhte Sturzgefahr

Schmutzwäsche nicht auf dem Boden ablegen

Bettwäsche nur vorsichtig ausschütteln (Keimverwirbelung)

Bei der Mobilisation unterstützen

18.1 Bei der Positionierung unterstützen Menschen im Krankenhaus sind oft aufgrund ihrer Erkrankung oder Therapie in ihrer Mobilität eingeschränkt. Die vorübergehende oder langfristige Immobilität bringt dabei bestimmte Risiken mit sich (z. B. Thrombose, Pneumonie, Dekubitus). Deshalb ist die Unterstützung des Patienten bei der Mobilisation oder Übernahme des Positionswechsels besonders wichtig.

18.1.1 Prinzipien einer guten Positionierung ● ● ● ● ●









Bequeme Position wählen. Ressourcen nutzen und Selbstständigkeit fördern. Atemwege frei halten. Scherkräfte und Druck auf Prädilektionsstellen vermeiden. Krankheitsbedingte Indikationen und Kontraindikationen berücksichtigen. Patientenvorlieben, Tagesablauf und Schlaf-Wach-Rhythmus berücksichtigen. Prinzipien der Kinästhetik oder des Bobath-Konzepts nutzen. Positionswechsel (▶ Tab. 18.1) in vorgegebenen Intervallen durchführen und dokumentieren. Auf rückenschonende Arbeitsweise achten.

18.1.2 Positionierungsarten und ihre Indikationen

18.2 Bei der Mobilisation unterstützen 18.2.1 Ziele der Mobilisation Mobilisation verfolgt präventive, rehabilitative und therapeutische Ziele: ● Beweglichkeit wiederherstellen oder erhalten ● Dekubitus-, Thrombose-, Pneumonie-, Sturz- und Kontrakturenprophylaxe ● Aktivierung des Kreislaufs ● Förderung der Selbstständigkeit ● Steigerung des Selbstwertgefühls ● Steigerung des Wohlbefindens

18.2.2 Prinzipien der Mobilisation Für jede Form der Mobilisation gelten allgemeine Prinzipien: ● vor jeder Mobilisation Vitalzeichenkontrolle (Kreislaufsituation erfassen, siehe Kap. 16) ● Ressourcen ermitteln und Motivation fördern ● krankheitsbedingte Indikationen und Kontraindikationen berücksichtigen (z. B. En-bloc-Mobilisation bei Patienten mit einer Verletzung der Wirbelsäule)

Tab. 18.1 Möglichkeiten zur Positionierung und Indikationen. Positionierungsart

Indikation

Flachlage

Wirbelsäulen- und Beckenfrakturen, Wirbelsäulen-OP, bei Reanimation

Oberkörperhochlage

Herz- und Lungenerkrankungen, zur Atemunterstützung, evtl. Arme und Schultern mit Kissen unterstützen, z. B. Positionierung in V-A-T-I-Lage, Nahrungsaufnahme, Lesen, Fernsehen usw.

halbhohe Oberkörperhochlage

Schädel-Hirn-Trauma, erhöhter Hirndruck, Schilddrüsen-OP

90°-Seitenlage

Positionierung bei Hemiplegie, nach Lungen-OP

30°-Seitenlage

Druckentlastung von Schulter, Sitzbein und Trochanter der obenliegenden Seite

Bauchlage und 135°-Lage, halbe Bauchlage

Verletzungen im Rückenbereich, Druckentlastung des Rücken-, Gesäß- und Sakralbereichs, zur besseren Belüftung der dorsalen Lungenbereiche, auf Intensivstation bei ARDS-Patienten (Acute respiratory distress syndrome = akutes Lungenversagen)

Herzbettlage

dekompensierte Herzinsuffizienz, Angina-pectoris-Anfall, Lungenödem

Schocklage = Trendelenburg-Lage

Schock mit Volumenmangel, ZVK-Anlage

Beintieflage = Anti-Trendelenburg-Lage

periphere arterielle Durchblutungsstörungen, nach OPs am arteriellen Gefäßsystem

Beinhochlage

Förderung des venösen Rückflusses, nach Venen-OPs und bei Venenentzündungen

stabile Seitenlage

Bewusstlosigkeit

Nestlage

agitierte und desorientierte Patienten, Säuglinge und Sterbende

bauchdeckenentspannende Lage

nach abdominellen OPs, gastroenterologische Erkrankungen

l 18

Positionierung und Mobilisation Abb. 18.1 Mobilisation an die Bettkante.

18.4 Guten Schlaf fördern Schlaf fördert das Wohlbefinden und dient der Regeneration. Im Schlaf ● sinken Herzfrequenz und Blutdruck, ● die Atmung wird langsamer, flacher und regelmäßiger, ● die Körpertemperatur sinkt um 0,4 °C, ● die Muskelspannung nimmt ab und ● die Augen sind geschlossen. Der Mensch orientiert sich am zirkadianen Rhythmus (Schlaf-Wach-Rhythmus in 24 Std.). Dieser wird vom SchlafWach-Zentrum im Gehirn gesteuert.

18.4.1 Schlafphasen Foto: A. Fischer, Thieme







● ●

● ●





geeignete Hilfsmittel bereitstellen (z. B. Unterarmgehstützen, Rollator, Gehwagen) individuelle Bedürfnisse sowie Wünsche des Patienten berücksichtigen Patienten zu einzelnen Schritten der Mobilisation fachgerecht und angemessen informieren/anleiten (▶ Abb. 18.1) Vorgehensweise gemeinsam mit dem Patienten planen Prinzipien der Kinästhetik (z. B. Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen) oder des Bobath-Konzepts (z. B. immer von der mehr betroffenen Seite aus Bewegung einleiten) berücksichtigen Scherkräfte vermeiden (Dekubitusprophylaxe!) Sicherheit beachten (z. B. Stolperfallen beseitigen, auf angemessenes Schuhwerk achten) auf rückenschonende Arbeitsweise achten (z. B. Bett auf Arbeitshöhe stellen) Mobilisation zeitnah dokumentieren

18.3 Hygienische Prinzipien beim Bettenmachen Pflegende sollten beim Bettenmachen folgende Grundprinzipien beachten: ● vor Kontakt mit sauberer Wäsche hygienische Händedesinfektion durchführen ● je nach Hausstandard Einmalschürze anziehen ● benutzte Bettwäsche nie auf dem Fußboden ablegen, sondern sofort im Wäscheabwurf entsorgen (Keimverschleppung) ● vor dem Bettenmachen für eine geeignete Unterlage für Kopfkissen und Bettdecke sorgen, z. B. ausklappbare Ablagefläche des Bettes, Stuhl (Flächendesinfektion beachten) ● Bettdecke und Kopfkissen nicht wild aufschütteln (Infektionsprophylaxe, Keime nicht verwirbeln)

Es wird zwischen paradoxem Schlaf (leichtem Schlaf, REMPhase) und orthodoxem Schlaf (Tiefschlafphase, Nicht-REMPhase) unterschieden. Der orthodoxe Schlaf wird in 5 Phasen unterteilt: ● 1. Phase, Einschlafen (SEM-Phase: Slow Eye Movement): Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen, Augen rollen langsam, im EEG kleine Ausschläge mit Zacken zu sehen. Bei ungestörtem Schlaf läuft die Phase nur einmal ab. ● 2. Phase, leichter Schlaf: Das Bewusstsein ist nicht vorhanden, Augen rollen nicht, Muskeltonus ist herabgesetzt, im EEG schlaftypische Veränderungen. ● 3. Phase, beginnender Tiefschlaf: ca. 30 Min. nach dem Einschlafen, Augen sind still, im EEG Deltawellen (Delta Schlaf). ● 4. Phase, Tiefschlaf: Muskeltonus weiter herabgesetzt, im EEG langsame Deltawellen. ● Nach der 4. Phase durchläuft der Mensch die Phasen 3 und 2 schnell hintereinander, anschließend folgt die 5. Phase. ● 5. Phase, REM-Schlafphase (Rapid Eye Movement), Traumphase: Augen rollen und Lider flattern, willkürliche Muskulatur ist so gut wie gelähmt. Diese Phase dient vermutlich der geistigen Erholung. Pro Nacht durchläuft der Mensch 5–6 Schlafzyklen (je 70–90 Min.). Wird er nicht geweckt, wacht er physiologisch nach Abschluss einer REM-Phase auf. Im Laufe der Nacht wird die REM-Phase immer länger und die Nicht-REM-Phase (Tiefschlafphase) immer kürzer.

Schlafbedarf Der Schlafbedarf ist altersabhängig: ● Kind: Säugling ca. 18 Std., Kleinkind 13 Std., Schulkind 11 Std., Jugendlicher 9 Std. ● Erwachsener: ca. 8 Std. ● Alter Mensch: ca. 7 Std. (kürzere Tiefschlafphasen, Gesamtschlafdauer, Traumphasen)

18.4.2 Schlafanamnese Die Schlafanamnese dient der Schlaferfassung. Dabei werden folgende Aspekte erfragt: ● Schlafqualität und Schlafdauer ● Schlafposition ● Begleiterscheinungen (Schnarchen)

128

Guten Schlaf fördern ● ● ● ● ● ●

Befinden nach dem Aufwachen Einnahme von Schlafmitteln individuelle Schlafgewohnheiten Einschlafrituale besonders bei Kindern Schlafstörungen Detaillierter lassen sich die Informationen in einem Schlafprotokoll erfassen, z. B. bei chronischen Schlafstörungen.

18.4.3 Schlafstörungen (Dyssomnien) ●



akute Schlafstörungen: Dauer bis zu 3 Wochen. Die Ursache ist meist leicht identifizierbar: z. B. Stress, Trauma, Jetlag, Prüfung. chronische Schlafstörungen: Dauer länger als 3 Wochen. Oft ist die Ursache unklar. Mögliche organische Ursachen sind z. B.: Schmerzen, Inkontinenz, Herzkrankheit, SchlafApnoe-Syndrom.

Verschiedene Arten von Schlafstörungen zeigt ▶ Tab. 18.2.

18.4.4 Auswirkungen von Schlafstörungen Schlafmangel kann Folgen haben: ● Konzentrationsschwäche, innere Unruhe, Reizbarkeit und Ungeduld ● Zerschlagenheit, Müdigkeit, gesteigertes Schmerzempfinden ● Persönlichkeitsstörungen, Abnahme der Kreativität

18.4.5 Pflegerische Maßnahmen zur Schlafförderung In einer fremden Umgebung zu schlafen ist nicht immer einfach. Besonders während eines Klinikaufenthalts kann der Schlaf gestört sein. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. ▶ Tab. 18.3 zeigt Ursachen und Maßnahmen zur pflegerischen Unterstützung bei Schlafstörungen.

18.4.6 Schlaffördernde Medikamente und ihre Nebenwirkungen Zu den ärztlich verordneten schlaffördernden Medikamenten gehören: ● Benzodiazepine: verlängern den weniger tiefen Schlaf und verkürzen die Tiefschlafphasen inklusive REM-Schlaf. Nebenwirkungen: Sie wirken relaxierend auf die Muskulatur (Sturzgefahr), die lange Halbwertszeit führt tagsüber zur Beeinträchtigung der Vigilanz (ebenso Sturzgefahr) und des Gedächtnisses (Überhang), Gefahr der Atemdepression (Achtung: pulmonale Vorerkrankung). Nach 2–4 Wochen tritt eine Gewöhnung ein, was zu einer Dosiserhöhung und einer Suchtgefahr (psychisch wie physisch) führen kann. Der Erholungseffekt ist durch das veränderte Schlafmuster geringer. Bei abruptem Absetzen der Benzodiazepine kann die Schlaflosigkeit heftiger auftreten (Rebound-Insomnie). Ältere Menschen und Kinder können mit Unruhe, Angst oder Aggression reagieren (paradoxe Reaktion). Beispiele: Noctamid, Diazepam ● Benzodiazepin-Analoga: Wirkung und Nebenwirkung wie bei Benzodiazepinen, jedoch mit geringer Halbwertszeit und Gewöhnung. Beispiele: Zolpidem, Zopiclon ● Antidepressiva: wirken beruhigend und schlafanstoßend, insgesamt schwächer, jedoch mit substanztypischen Nebenwirkungen wie Obstipation und Mundtrockenheit. Zudem führen sie zur Gewöhnung und haben eine lange Halbwertszeit (Überhang). Beispiele: Amitriptylin, Doxepin

Tab. 18.2 Schlafstörungen. Schlafstörung

Beschreibung

Insomnie

Schlaflosigkeit, z. B. vor Prüfungen, bei großen Problemen

Hyposomnie

Leichte Schlaflosigkeit, meist Ein- oder Durchschlafstörungen. Hindernisse beim Einschlafen sind z. B. schwere Gedanken, Frieren, Hunger, ein fettreiches Mahl.

Hypersomnie

Hohes Schlafbedürfnis, diese Menschen schlafen tatsächlich bei alltäglichen Verrichtungen ein. Hypersomnie gilt als Begleitsymptom einiger Erkrankungen, z. B. von psychiatrischen Störungen, Infekten, Tumoren, Diabetes, Schilddrüsenunterfunktion, als Folge eines Alkohol- oder Drogenmissbrauchs und auch als Nebenwirkung von Medikamenten wie Hypnotika, Psychopharmaka, Antihistaminika oder Blutdrucksenkern.

Parasomnie

Anfallsartig oder episodisch auftretende Schlafstörungen: Dazu gehören z. B. Schlafwandeln oder Schlaftrunkenheit (eine kurzfristige Verwirrtheit nach dem Aufwachen).

l 18

Positionierung und Mobilisation Tab. 18.3 Häufige Ursachen für Schlafstörungen während eines Klinikaufenthalts. Einflussfaktoren

Pflegerische Maßnahme

psychische Einflussfaktoren Ängste (vor der Diagnose, vor der Zukunft u. a.)

● ● ●

ungewohnte Umgebung, Heimweh

● ●

Gespräche anbieten, Musik, Lesen atemstimulierende Einreibung, z. B. mit Lavendelöl Tees mit beruhigender Wirkung, z. B. Melisse, Hopfen abendliche Telefonate ermöglichen persönliche Gegenstände am Bett, z. B. Fotos

physische Einflussfaktoren Bewegungsmangel

● ●

Schmerzen

● ● ●

Nykturie

● ●

Hunger, Durst, trockener Mund

● ●

motorische Unruhe, kalte Füße

● ●

arterielle Hypertonie

Motivation, Anleitung zu Bewegungsübungen Physiotherapie, Spaziergang (auf dem Flur) schmerzlindernde, entspannende Positionierung Wärme- oder Kälteanwendungen Bedarfsmedikation verabreichen Toilettenstuhl ans Bett stellen Klingel in Reichweite Spätmahlzeit Getränk, feuchte Wattestäbchen bei Nahrungskarenz Wärmeanwendungen, z. B. Bauchwickel oder Brustauflage Fußbad mit Lavendelöl

kaltes Fußbad, Achtung: Durchblutungsstörungen

Umgebungsbedingte Einflussfaktoren Licht

● ●

Licht dimmen Nachtlicht

Gerüche

lüften

Raumtemperatur: Wärme/Kälte

● ● ●

Lärm, Geräusche, z. B. Schnarchen

● ●

entsprechende Bettdecke bzw. Zweitdecke warmes Getränk nur Bettbezug statt Bettdecke für ruhiges Zimmer sorgen Ohrstöpsel

KOMPAK T Positionierung und Mobilisation, Betten und guten Schlaf fördern ●







130

Prinzip der Positionierung: Eine gute Positionierung muss für den Patienten bequem sein. Dabei sollen seine Ressourcen berücksichtigt und seine Selbstständigkeit gefördert werden. Prinzip der Mobilisation: Vor jeder Mobilisation Blutdruck kontrollieren und Befinden des Patienten erfragen (Kreislaufinstabilität)! Rückenschonende Arbeitsweise: z. B. beim Bettenmachen Patientenbett immer auf Arbeitshöhe stellen. Gesunder Schlaf: Ein gesunder Schlaf fördert das Wohlbefinden des Patienten und unterstützt den Genesungsprozess.

19 richtiger Patient?

Essen und Trinken anreichen, Körperlänge und -gewicht bestimmen, Flüssigkeitsbilanz erheben

Aspirationsgefahr!

im Bett

richtiges Essen? richtige Zeit?

Position bei der Nahrungsaufnahme

Speisen verteilen

Kreislaufstabilität und Sicherheit beachten!

am Tisch, an der Bettkante

Hilfebedarf ermitteln Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme

Ressourcen fördern ggf. Patienten anleiten

EDEKA-Regel Kultur und Religion

Kriterien bei der Auswahl

über Medikamentengabe informieren Essen und Trinken anreichen

Vorlieben

Aspirationsprophylaxe

Messband, Messlatte, Messmulde

Formeln bei Haltungsschäden

Körperlänge messen Körperlänge und -gewicht bestimmen

Flüssigkeitsbilanz erheben

Körpergewicht bestimmen WTH

positive Bilanz = Einfuhr übersteigt Ausfuhr

BMI

exakte Dokumentation von Ein- und Ausfuhr

negative Bilanz = Ausfuhr übersteigt Einfuhr

Einschätzung von Körpergröße und Gewicht bei Kindern

Fehlerquellen kennen, z.B. Perzentilenkurve

ausgeglichene Bilanz = Einfuhr ist gleich Ausfuhr unvollständige Dokumentation

falsche Einschätzung der Flüssigkeitsmenge

Körperlänge und -gewicht bestimmen

19.1 Essen und Trinken anreichen

ACHTUNG

19.1.1 Angebot und Auswahl

19.1.4 Hilfestellung bei der Nahrungsaufnahme

Essen und Trinken haben vielerlei Funktionen (physisch, psychisch und sozial). Bei der Auswahl des Essens sollten Pflegende folgende Aspekte berücksichtigen: ● Appetit des Patienten, was möchte er essen? Gibt es kulturelle oder religiöse Wünsche/Besonderheiten? ● Gesundheitliche Einschränkungen nach der EDEKA-Regel erfragen: – Empfindlichkeiten und Unverträglichkeiten (z. B. Laktoseintoleranz) – diätetische Kost (z. B. fettarm) – Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme (z. B. Dysphagie, fehlende Zahnprothese) – krankheitsbedingte Kost (z. B. erhöhter Energiebedarf) – Allergien

19.1.2 Speisen verteilen Beim Servieren des Essens müssen folgende Aspekte beachtet werden: ● Der Unterstützungsbedarf des Patienten muss bekannt sein und entsprechend berücksichtigt werden. ● Die Essenszeiten sollen immer gleich sein. ● Während des Essens sollten keine Blutabnahmen, Visiten usw. erfolgen. ● Zu prüfen sind: richtiger Patient? (mit Namen ansprechen), richtiges Essen? (Karte vorlesen, evtl. Abdeckung anheben), richtiger Zeitpunkt? (angeordnete oder bereits durchgeführte Untersuchungen). ● besonders Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung auf die Temperatur der Speisen hinweisen (z. B. „Der Tee ist noch heiß“) ● Nach dem Abräumen ist die Nahrungsaufnahme zu dokumentieren (z. B. wie viel hat der Patient gegessen?).

19.1.3 Position bei der Nahrungsaufnahme Benötigt ein Patient Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme, ist sie von den Pflegenden zu leisten. Zuerst wird der Patient dabei unterstützt, eine zum Essen angenehme Position einzunehmen: ● Die sitzende Position am Tisch oder an der Bettkannte ist für den Patienten optimal für die Nahrungsaufnahme und sollte nach Möglichkeiten bevorzugt werden. Dabei ist seine Sicherheit zu beachten (Kreislauf, stabile Position, Bodenkontakt mit den Füßen). ● Kann der Patient krankheitsbedingt das Bett nicht verlassen, wird er mit erhöhtem Oberkörper positioniert (Achtung: Kontraindikationen). Dabei ist die Körperphysiologie zu beachten (Knick in der Hüfte und aufrechter Oberkörper zur Aspirationsprophylaxe). Der Patient soll sein Essen gut sehen können. ● In liegender Position ist die Drehung auf die linke Seite zu bevorzugen, da die meisten Menschen Rechtshänder sind.

Nur Patienten mit ausreichender Rumpfstabilität an die Bettkante mobilisieren (Sturzgefahr!).

Aktivierende Pflege: Die Pflegefachkraft unterstützt den Patienten bei der Nahrungsaufnahme ressourcenorientiert (Grundsatz: so viel wie nötig, so wenig wie möglich). Folgende Prinzipien gilt es bei der Unterstützung zu beachten: ● Regeln der Händehygiene beachten ● Patienten nach Gewohnheiten fragen ● Einfachen Zugang ermöglichen: Niedriges Geschirr steht vorne, höheres hinten. Das Tablett steht dabei vor dem Patienten, nicht vor der Pflegefachkraft. ● ggf. Hilfsmittel (Brille, Zahnprothese, spezielles Besteck) vorbereiten ● Die Pflegefachkraft positioniert sich auf Augenhöhe des Patienten. ● Temperatur der Speisen und Getränke prüfen ● bei Bedarf Packungen oder Flaschen öffnen ● Anleitung oder Handführung, ggf. Speisen anreichen ● Reihenfolge und Geschwindigkeit des Essens bestimmt der Patient. ● Beim Trinken ist der Schnabelbecher als Trinkhilfe zu vermeiden. Der Kopf wird zu weit nach hinten überstreckt, was die Gefahr einer Aspiration erhöht. Als Hilfsmittel kann ein Strohhalm genutzt werden. Besteht eine Dysphagie, kann die Flüssigkeit mit einem Dickungsmittel angedickt werden. ● Bei seheingeschränkten Patienten wird die Anordnung des Geschirrs und der Speisen auf dem Teller erläutert, z. B. „die Erbsen liegen auf 6 Uhr“. ● Werden Medikamente mit dem Essen verabreicht, muss der Patient darüber Bescheid wissen. Zudem muss die Kompatibilität der Nahrung mit dem Medikament zuvor geprüft werden (z. B. besser keine Milchprodukte bei der Antibiotikagabe, diese behindern die Aufnahme des Medikaments). ● abschließend Nahrungsaufnahme dokumentieren

! Merke Verhalten bei Aspiration

Aspiriert der Patient während der Nahrungsaufnahme, wird er zum kräftigen Abhusten aufgefordert. Das Klopfen auf den Rücken ist kontraindiziert. Es kann bewirken, dass die verschluckte Nahrung noch tiefer in die Trachea gelangt. Zeigt der Hustenstoß keine Wirkung, kann bei vollständig verlegten Atemwegen das Heimlich-Manöver angewendet werden. So kann ein Fremdkörper u. U. herausgedrückt werden. Der Arzt ist zu informieren. Ggf. muss ein Schluckversuch mit dem Logopäden durchgeführt und die Kostform angepasst werden.

19.2 Körperlänge und -gewicht bestimmen Körperlänge und -gewicht werden meist direkt zu Beginn eines Klinikaufenthalts erhoben. Je nach Krankheit, Therapie und Verlauf müssen die ermittelten Ausgangswerte regelmäßig kontrolliert werden, z. B. das Gewicht bei Herzinsuffizienz.

l 19

Essen und Trinken

19.2.1 Körperlänge messen ●









Erwachsene und Kinder werden meist stehend mithilfe einer Messlatte gemessen. Der Patient stellt sich ohne Schuhe mit geradem Rücken und erhobenem Kopf zur Messlatte, der Messschieber wird zum Kopf geschoben, der Patient tritt nach vorne und der Wert wird abgelesen. Kann der Patient nicht stehen, wird die Körperlänge liegend mit einem Messband ermittelt. Der günstigste Zeitpunkt der Messung ist morgens. Bei Säuglingen und kleinen Kindern wird die Körperlänge mithilfe einer Messmulde gemessen. Die ermittelten Messwerte werden dokumentiert. Wurde die Körperlänge nur annähernd ermittelt, muss dies vermerkt werden. Die Bewertung der Körpergröße bei Kindern erfolgt anhand der Perzentilenkurven. Dabei werden gleichzeitig auch das Körpergewicht und der Kopfumfang altersentsprechend bewertet.

19.2.2 Körpergewicht bestimmen Das Körpergewicht ist ein wichtiger Parameter dafür, den Ernährungs- und Gesundheitszustand eines Patienten einzuschätzen, Medikamente exakt zu dosieren und die Therapie zu überwachen, z. B. bei der Gabe von Diuretika.

Voraussetzungen Um exakte Messwerte zu ermitteln, gilt es folgende Punkte zu beachten: ● Die Waage muss geeicht und tariert sein sowie stabil auf einem festen Untergrund stehen. ● Die Bedingungen sollten immer möglichst gleich sein: – dieselbe Waage – die gleiche Tageszeit (am besten morgens, nach dem Toilettengang) – die gleiche oder vergleichbare Kleidung (ohne Schuhe) ● Abweichende Bedingungen müssen dokumentiert werden. ● Sitzwaage feststellen und Sitzfläche evtl. mit einem Tuch abdecken. Der Patient soll seine Füße auf dem dafür vorgesehenen Trittbrett abstellen.

19.2.3 Body-Mass-Index Um das Verhältnis des Körpergewichts zur Körpergröße zu ermitteln, wird der Body-Mass-Index anhand folgender Formel berechnet: BMI ¼

ðKörpergewicht ðKGÞ in Kilogramm ðkgÞ ðKörperlänge in mÞ2

Der BMI ist nach Alter und Geschlecht in Normbereiche unterteilt. Demnach gilt ein Erwachsener mit einem BMI von 18,5 bis 24,9 als normalgewichtig. Der BMI ist nur ein Anhaltswert und z. B. bei starken Ödemen oder Amputationen nicht aussagekräftig.

134

19.2.4 Waist-to-Hip-Ratio Das Waist-to-Hip-Ratio (WHR) oder das Taille-Hüft-Verhältnis (THV) gibt Aufschluss über die Fettverteilung im Körper und lässt Rückschlüsse auf bestimmte Gesundheitsrisiken zu (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen). Der Waist-to-Hip-Ratio wird wie folgt berechnet: WHR ¼

Taillenumfang in cm Hüftumfang in cm

Der WHR sollte bei Männern unter 0,9 und bei Frauen unter 0,85 liegen.

19.3 Flüssigkeitsbilanz erheben Definition Flüssigkeitsbilanz Die Flüssigkeitsbilanz ist die Differenz zwischen Einfuhr (Zufuhr) und Ausfuhr (Ausscheidung) innerhalb von 24 Stunden. Die Flüssigkeitsbilanzierung erfolgt auf ärztliche Anordnung und ist z. B. bei Herz- oder Niereninsuffizienz sowie bei Stoffwechselentgleisungen indiziert. Alle Flüssigkeiten, die der Patient zu sich nimmt (Einfuhr) und wieder ausscheidet (Ausfuhr), müssen exakt dokumentiert werden (z. B. auch Sekret aus einer Magensonde oder Drainage) (▶ Abb. 19.1). Ergänzend wird täglich das Gewicht kontrolliert.

19.3.1 Durchführung Über die Durchführung der Flüssigkeitsbilanzierung sollen die Patienten und alle mit ihm in Kontakt stehenden Personen von den Pflegenden informiert werden. In einem am Bett des Patienten platzierten Bilanzdokumentationsbogen werden alle zugeführten und ausgeschiedenen Flüssigkeiten mit Angabe von Menge, Uhrzeit und Art der Flüssigkeit dokumentiert. Die Bilanzierung beginnt nach der ersten morgendlichen Miktion (bei Patienten ohne Blasenkatheter). Diese Menge wird verworfen. Alle benutzten Trinkgefäße werden vollgefüllt. Um die Ausscheidungsmenge genau zu erfassen, nutzen die Patienten ein Steckbecken oder eine Urinflasche. Nach Ablauf der 24 Std. entleert der Patient die Harnblase nochmals, diese Menge wird noch dokumentiert und anschließend erfolgt die Bilanzierung, d. h., es wird die Differenz zwischen Ein- und Ausfuhr aller Flüssigkeiten berechnet (siehe Kap. 24.2.4). Perspiratio insensibilis • Unter Perspiratio insensibilis versteht man einen unbemerkten Flüssigkeitsverlust über die Haut und Atmung. Sie muss berechnet werden und sollte bei der Flüssigkeitsbilanzierung berücksichtigt werden.

! Merke Perspiratio insensibilis

Als Faustregel beim Erwachsenen gelten ca. 900 ml über 24 Stunden. Davon werden 200–400 ml über die Haut, 400–600 ml über die Atmung und 100 ml über den Stuhl ausgeschieden. Bei Fieber rechnet man zusätzlich pro Tag ca. 500 ml Flüssigkeitsverlust pro 1 °C erhöhter Temperatur.

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Essen und Trinken

19.2.1 Körperlänge messen ●









Erwachsene und Kinder werden meist stehend mithilfe einer Messlatte gemessen. Der Patient stellt sich ohne Schuhe mit geradem Rücken und erhobenem Kopf zur Messlatte, der Messschieber wird zum Kopf geschoben, der Patient tritt nach vorne und der Wert wird abgelesen. Kann der Patient nicht stehen, wird die Körperlänge liegend mit einem Messband ermittelt. Der günstigste Zeitpunkt der Messung ist morgens. Bei Säuglingen und kleinen Kindern wird die Körperlänge mithilfe einer Messmulde gemessen. Die ermittelten Messwerte werden dokumentiert. Wurde die Körperlänge nur annähernd ermittelt, muss dies vermerkt werden. Die Bewertung der Körpergröße bei Kindern erfolgt anhand der Perzentilenkurven. Dabei werden gleichzeitig auch das Körpergewicht und der Kopfumfang altersentsprechend bewertet.

19.2.2 Körpergewicht bestimmen Das Körpergewicht ist ein wichtiger Parameter dafür, den Ernährungs- und Gesundheitszustand eines Patienten einzuschätzen, Medikamente exakt zu dosieren und die Therapie zu überwachen, z. B. bei der Gabe von Diuretika.

Voraussetzungen Um exakte Messwerte zu ermitteln, gilt es folgende Punkte zu beachten: ● Die Waage muss geeicht und tariert sein sowie stabil auf einem festen Untergrund stehen. ● Die Bedingungen sollten immer möglichst gleich sein: – dieselbe Waage – die gleiche Tageszeit (am besten morgens, nach dem Toilettengang) – die gleiche oder vergleichbare Kleidung (ohne Schuhe) ● Abweichende Bedingungen müssen dokumentiert werden. ● Sitzwaage feststellen und Sitzfläche evtl. mit einem Tuch abdecken. Der Patient soll seine Füße auf dem dafür vorgesehenen Trittbrett abstellen.

19.2.3 Body-Mass-Index Um das Verhältnis des Körpergewichts zur Körpergröße zu ermitteln, wird der Body-Mass-Index anhand folgender Formel berechnet: BMI ¼

ðKörpergewicht ðKGÞ in Kilogramm ðkgÞ ðKörperlänge in mÞ2

Der BMI ist nach Alter und Geschlecht in Normbereiche unterteilt. Demnach gilt ein Erwachsener mit einem BMI von 18,5 bis 24,9 als normalgewichtig. Der BMI ist nur ein Anhaltswert und z. B. bei starken Ödemen oder Amputationen nicht aussagekräftig.

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19.2.4 Waist-to-Hip-Ratio Das Waist-to-Hip-Ratio (WHR) oder das Taille-Hüft-Verhältnis (THV) gibt Aufschluss über die Fettverteilung im Körper und lässt Rückschlüsse auf bestimmte Gesundheitsrisiken zu (z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen). Der Waist-to-Hip-Ratio wird wie folgt berechnet: WHR ¼

Taillenumfang in cm Hüftumfang in cm

Der WHR sollte bei Männern unter 0,9 und bei Frauen unter 0,85 liegen.

19.3 Flüssigkeitsbilanz erheben Definition Flüssigkeitsbilanz Die Flüssigkeitsbilanz ist die Differenz zwischen Einfuhr (Zufuhr) und Ausfuhr (Ausscheidung) innerhalb von 24 Stunden. Die Flüssigkeitsbilanzierung erfolgt auf ärztliche Anordnung und ist z. B. bei Herz- oder Niereninsuffizienz sowie bei Stoffwechselentgleisungen indiziert. Alle Flüssigkeiten, die der Patient zu sich nimmt (Einfuhr) und wieder ausscheidet (Ausfuhr), müssen exakt dokumentiert werden (z. B. auch Sekret aus einer Magensonde oder Drainage) (▶ Abb. 19.1). Ergänzend wird täglich das Gewicht kontrolliert.

19.3.1 Durchführung Über die Durchführung der Flüssigkeitsbilanzierung sollen die Patienten und alle mit ihm in Kontakt stehenden Personen von den Pflegenden informiert werden. In einem am Bett des Patienten platzierten Bilanzdokumentationsbogen werden alle zugeführten und ausgeschiedenen Flüssigkeiten mit Angabe von Menge, Uhrzeit und Art der Flüssigkeit dokumentiert. Die Bilanzierung beginnt nach der ersten morgendlichen Miktion (bei Patienten ohne Blasenkatheter). Diese Menge wird verworfen. Alle benutzten Trinkgefäße werden vollgefüllt. Um die Ausscheidungsmenge genau zu erfassen, nutzen die Patienten ein Steckbecken oder eine Urinflasche. Nach Ablauf der 24 Std. entleert der Patient die Harnblase nochmals, diese Menge wird noch dokumentiert und anschließend erfolgt die Bilanzierung, d. h., es wird die Differenz zwischen Ein- und Ausfuhr aller Flüssigkeiten berechnet (siehe Kap. 24.2.4). Perspiratio insensibilis • Unter Perspiratio insensibilis versteht man einen unbemerkten Flüssigkeitsverlust über die Haut und Atmung. Sie muss berechnet werden und sollte bei der Flüssigkeitsbilanzierung berücksichtigt werden.

! Merke Perspiratio insensibilis

Als Faustregel beim Erwachsenen gelten ca. 900 ml über 24 Stunden. Davon werden 200–400 ml über die Haut, 400–600 ml über die Atmung und 100 ml über den Stuhl ausgeschieden. Bei Fieber rechnet man zusätzlich pro Tag ca. 500 ml Flüssigkeitsverlust pro 1 °C erhöhter Temperatur.

Flüssigkeitsbilanz erheben Abb. 19.1 Flüssigkeitsbilanz.

erhöht Durst Defizit Zufuhr

Abgabe

ca. 2,5 l/Tag

ca. 2,5 l/Tag

Wasserbilanz

0,3 l 0,9 l 1,3 l

0,1 l 0,9 l

Oxidationswasser mit der Nahrung Getränke

1,5 l

mit dem Stuhl mit der Atmung und über die Haut als Urin

Überschuss erhöht Urinausscheidung

Ein konstanter Wasserhaushalt im Körper wird durch eine ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz aufrechterhalten. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Ergebnisse Die Bilanzierung kann wie folgt ausfallen: ● positive Bilanz: Die zugeführte Flüssigkeitsmenge ist größer als die ausgeschiedene, z. B. bei einer Niereninsuffizienz (Ödeme). ● negative Bilanz: Die ausgeschiedene Flüssigkeitsmenge ist größer als die zugeführte, z. B. bei Diuretika-Therapie. ● ausgeglichene Bilanz: Ein- und Ausfuhr sind gleich. Der Flüssigkeitshaushalt ist ausgeglichen.

Mögliche Fehlerquellen ●









Die Dokumentation der Einfuhrmenge ist unvollständig, z. B. wird die Eintragung vergessen. Dokumentierte Getränke werden nicht vollständig getrunken, z. B. wird nur ein halbes Glas getrunken, obwohl ein ganzes Glas dokumentiert wurde. Flüssigkeiten, die nicht genau berechnet werden können, werden falsch geschätzt, z. B. wenn der Patient schwitzt oder bei Inkontinenz. Flüssigkeiten werden nicht mitgerechnet, z. B. Blutentnahme, Medikamente. Ob Blutersatzprodukte (z. B. Erythrozytenkonzentrate) mit in die Bilanz einbezogen werden, ist von klinikeigenen Standards abhängig.

KOMPAK T Essen und Trinken anreichen, Körperlänge und -gewicht bestimmen, Flüssigkeitsbilanz erheben ●















Bei der Auswahl der Kost ist neben den Patientenwünschen auch die EDEKA-Regel zu beachten: Empfindlichkeiten und Unverträglichkeiten, diätetische Kost, Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme, krankheitsbedingte Kost und Allergien. Zur Nahrungsaufnahme nur die Patienten mit ausreichender Rumpfstabilität an die Bettkante mobilisieren (Sturzgefahr!). Um Aspiration zu vermeiden, ist es wichtig, einen Schluckversuch durchzuführen oder Getränke anzudicken. Werden Medikamente mit dem Essen verabreicht, muss der Patient darüber informiert werden. Die Körperlänge wird immer direkt nach der Geburt, bei der Aufnahme in die Klinik und nach Anordnung ermittelt. Die Erfassung des Körpergewichts ist wichtig für die Medikamentendosierung und Kontrolle der Therapieergebnisse, z. B. bei Diuretika-Therapie. Dabei ist darauf zu achten, dass die Bedingungen gleich sind, wie dieselbe Waage, die gleiche Tageszeit und Kleidung. Bei der Flüssigkeitsbilanzierung, die ärztlich angeordnet wird, werden alle Flüssigkeiten, die der Patient zu sich nimmt (Einfuhr) und ausscheidet (Ausfuhr) exakt dokumentiert. Anschließend wird die Differenz zwischen Einfuhr und Ausfuhr berechnet. Zu beachten dabei ist die Perspiratio insensibilis mit ca. 900 ml. Die Ergebnisse der Bilanz: – positive Bilanz: Einfuhr übersteigt Ausfuhr. – negative Bilanz: Ausfuhr übersteigt Einfuhr. – ausgeglichene Bilanz: Einfuhr und Ausfuhr sind gleich

20

Bei den Ausscheidungen unterstützen

Erkrankungen der Blase

Frequenz

Einengung der Harnröhre

Farbe

Ursachen, z.B.

Dranginkontinenz

Formen, z.B.

Überlaufinkontinenz

Geruch

Beobachtung des Stuhls

Harninkontinenz

Menge

Kontinenztraining z.B. erschwertes oder fehlendes Wasserlassen Schmerzen?

Urin

Miktionsstörungen

Konsistenz

Stuhl

Beimengungen Farbe Geruch

Beobachtung des Urins

Menge pH-Wert

Defäkationsstörungen

Ausscheidungen beobachten und kontrollieren

Stuhlinkontinenz Diarrhö

Urindiagnostik

spezifisches Gewicht

Elektrolytverlust!

bei der Ausscheidung unterstützen

Übelkeit und Erbrechen

!

Obstipation

Aspirationsgefahr! Beobachten des Erbrochenen

Pflege, z.B.

Lüften Farbe

Mundpflege anbieten

Geruch

Inkontinenzhilfsmittel

aufsaugende Hilfsmittel

Menge

Aussehen

beim Abführen unterstützen

Suppositorien

aufsammelnde Hilfsmittel

Mazerations- und Infektionsgefahr z.B. Inkontinenzvorlage

z.B. Kondomurinal

Toilettenstuhl = erhöhte Sturzgefahr!

Einlauf, Klistier

Stuhl

20.1 Urin

Harninkontinenz

20.1.1 Physiologie der Miktion

Definition Harninkontinenz

Die Harnblase hat eine Reservoirfunktion. Sie fasst 800– 1000 ml Urin. Bei einer Füllung von ca. 200 ml steigt der Druck in der Harnblase und die Dehnungsrezeptoren der Blasenwand werden aktiviert. Die afferenten Fasern leiten diesen Impuls zum Gehirn weiter, der als Harndrang wahrgenommen wird. Die hemmenden Impulse aus dem Gehirn lassen dem Menschen noch Zeit, eine Toilette aufzusuchen. Der Detrusor (Blasenmuskel) kontrahiert, der innere Schließmuskel entspannt sich, der Beckenboden sinkt ab und der äußere Schließmuskel öffnet sich. Die Bauchpresse unterstützt die Urinausscheidung (Miktion).

20.1.2 Urin beobachten und kontrollieren Die wichtigsten Kriterien für die Beobachtung von Urin zeigt ▶ Tab. 20.1.

Miktionsstörungen Die Entleerung der Blase kann gestört sein, z. B. durch Dysurie, Inkontinenz, Harnverhalt. Besteht ein Harnverhalt, kann der Urin aus der Blase nicht mehr vollständig entleert werden. Es bleibt der sog. Restharn zurück. Ursachen können sein: ● Abflussbehinderungen, z. B. durch Nierensteine, Tumoren, Verletzungen ● Prostatahyperplasie oder -adenom ● neurogene Blasenentleerungsstörung, z. B. bei Multipler Sklerose, Diabetes mellitus, Hemi- und Paraplegie ● post-OP, z. B. nach Dauerkatheterentfernung Es ist wichtig, eine Harnretention frühzeitig zu erkennen, um Komplikationen zu vermeiden (z. B. Nierenversagen durch Rückstauungsschäden am Harnsystem). Abhilfe schaffen Katheterisierung der Harnblase, medikamentöse Therapie und Beseitigung der Abflussbehinderung.

! Merke Überlaufblase

Wenn beim Harnverhalt die Blase maximal gefüllt ist, kann tröpfchenweise Urin abgehen. Dies muss kein Zeichen für eine Inkontinenz sein. Eine Überlaufblase zeigt sich meist mit Schmerzen und Druckgefühl im (Unter-)Bauch. Bei dementen Menschen ist sie oft mit Unruhe verbunden.

Harninkontinenz ist ein unwillkürlicher Harnabgang. Der Nationale Expertenstandard zur Förderung der Harnkontinenz in der Pflege fasst die Risikofaktoren der Harninkontinenz zusammen: ● kognitive und körperliche Einschränkungen ● Erkrankungen (Demenz, Morbus Parkinson, Apoplex, Diabetes mellitus) ● Medikamente (Diuretika, Anticholinergika, Antihistaminika, Antidepressiva, Neuroleptika, Kalziumantagonisten, Opiate) ● Harnwegsinfektionen ● Beckenbodenbelastung (durch Schwangerschaft oder Entbindung, Adipositas) ● Obstipation ● Östrogenmangel ● Veränderungen oder Operationen der Prostata ● Alter ● nicht Kontinenz förderndes Umfeld (weite Toilettenwege) Die ▶ Tab. 20.2 gibt einen Überblick über Formen der Harninkontinenz, deren Ursachen und Therapiemöglichkeiten.

Kontinenztraining Ziel des Kontinenztrainings ist die physiologische Miktion. Ein Miktionsprotokoll unterstützt die pflegerische Beobachtung und liefert wichtige Informationen für die individuelle Planung eines Trainings. Die Kriterien dabei sind: Flüssigkeitsaufnahme, Miktionsintervalle, Inkontinenzvorfälle. Es gibt 3 Arten des Kontinenztrainings: 1. angebotene Toilettengänge: zur Stärkung der Blasenkontrolle (verbale Aufforderung, positive Unterstützung) 2. Toilettengänge zu individuellen Zeiten: zur Unterstützung der Ausscheidung nach einem festen Plan, der auf dem jeweiligen Ausscheidungsmuster des Patienten basiert 3. Toilettengänge zu festen Zeiten: zur Gewohnheitsbildung und zur Vermeidung inkontinenter Episoden

20.2 Stuhl 20.2.1 Physiologie der Defäkation Der Defäkationsprozess wird vom vegetativen Nervensystem beeinflusst. Die Dehnungsrezeptoren der Darmwand signalisieren dem Gehirn über die afferenten Fasern, dass der Enddarm gefüllt ist. Die spinalen Reflexe aus dem Rückenmark setzen dann die Darmperistaltik in Gang. Als Antwort auf die Enddarmfüllung wird über die efferenten Nervenfasern die glatte Muskulatur des Darms aktiviert, sie kontrahiert und der innere Schließmuskel erschlafft. Der äußere Schließmuskel wird willentlich beeinflusst und erschlafft erst, wenn die Defäkation möglich ist.

l 20

Bei den Ausscheidungen unterstützen Tab. 20.1 Beobachtungskriterien für die Urinausscheidung. Beobachtungskriterium Physiologie

Veränderung

Farbe/Aussehen hell- bis dunkelgelb und klar

physiologische Abweichungen

Ursachen

rot

Rote Bete

orange

Vitamin-B-Präparate

pathologische Veränderungen

Geruch unauffällig

dunkelgelbbraun

Flüssigkeitsdefizit

bierfarben mit gelbem Schaum

Bilirubinurie bei Gallenwegs- und Lebererkrankungen (Ikterus)

hellrötlich bis blutig

Blutungen bei Nieren- und Blasenerkrankungen, Antikoagulanzientherapie

wasserhell ins Grünliche schimmernd

Diabetes mellitus und Diabetes insipidus

milchig, flockig

Entzündung (Leukozyturie, Pyurie)

milchig-trüb

Phosphaturie, z. B. bei Hungerzuständen, alkalischer Kost

physiologische Abweichungen

typischer Geruch nach Speisen

z. B. Spargel

pathologische Veränderungen

Menge Erwachsene: ca. 2000 ml Schulkinder: bis 1500 ml Säuglinge: bis 500 ml

Veränderungen des Harnstrahls

Foetor hepaticus (intensiv, süßlich, frische Leber)

Lebererkrankungen

Azeton (obstartig)

Diabetes mellitus, Fasten

Ammoniak (beißend, „Pferdestallgeruch“)

Harnwegsinfekte, länger stehender Urin

Ausscheidungsmenge in 24 Std. Oligurie weniger als 500 ml

verminderte Flüssigkeitszufuhr oder Flüssigkeitsverlust, z. B. bei Diarrhö, Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz

Anurie weniger als 100 ml

Herzinsuffizienz, Nierenerkrankungen, Nierenversagen im Schock, urämisches Koma

Polyurie mehr als 2000 ml

extreme Flüssigkeitszufuhr, Diabetes mellitus und Diabetes insipidus, Diuretikatherapie in der polyurischen Phase, nach akutem Nierenversagen (ANV)





Pollakisurie

häufige Miktion in kleinen Mengen, Gesamtharnmenge bleibt gleich

pH-Wert schwach sauer (pH 5–6) ernährungsbedingt

● ● ● ●

spezifisches Gewicht 1,015–1,025 Ausscheidungsmenge ist von der Trinkmenge und der Nierenfunktion abhängig

138

zu Beginn: häufiger Harndrang und Miktion, jedoch verzögert und schwacher Harnstrahl später: unvollständige Entleerung mit hohem Restharn

Prostatahyperplasie oder Prostataadenom

Zystitis, Pyelonephritis

saure Reaktion pH bis 4,8

eiweißreiche Ernährung, starkes Schwitzen, Diarrhö, Fieber

neutrale bis alkalische Reaktion pH bis 7,2

pflanzliche Ernährung, Infektionen der Nieren oder der ableitenden Harnwege

hohes spezifisches Gewicht

Glukose- und Albuminurie, z. B. bei Diabetes mellitus oder Nierenerkrankungen

niedriges spezifisches Gewicht

Funktionsstörungen der Niere (Hyposthenurie)

gleichbleibende Konzentration trotz geringer oder hoher Trinkmenge

Niereninsuffizienz (Isosthenurie), durch Verlust der Konzentrationsfähigkeit der Niere

Stuhl Tab. 20.2 Formen, Ursachen und Therapie der Harninkontinenz. Inkontinenzform

Symptome

Ursachen

Belastungsinkontinenz

anfangs nur tröpfchenweiser Harnverlust bei Lachen, Husten, Niesen und Lastenheben bis hin zur vollständigen Blasenentleerung bei abdominaler Druckerhöhung



unfreiwilliger Harnverlust mit intensivem Harndrang



Dranginkontinenz

● ●



Therapie

Schwäche der Beckenbodenmuskulatur (Schwangerschaft, Entbindung, Adipositas) Senkung der weiblichen Genitalorgane Östrogenmangel nach der Menopause



motorische Dranginkontinenz: degenerative Erkrankungen des ZNS, Demenz, Einnahme von Barbituraten sensorische Dranginkontinenz: Harnblasenerkrankungen (Zystitis, Steine, Tumor)



neurogene Blasenfunktionsstörung (Reflexinkontinenz)

unfreiwillige reflektorische Miktion mit Restharnbildung, meist ohne Harndrang

Rückenmarkkompression oder -kontusion (Bandscheibenvorfall, MS, Tumor, Querschnittlähmung)

Überlaufinkontinenz

Harndrang, Harnträufeln, Pollakisurie, Restharnbildung

Einengung der Harnröhre durch Prostatavergrößerung oder Harnröhrenstriktur

● ● ● ●



Beckenbodentraining Elektrostimulation Biofeedback lokale Östrogentherapie evtl. OP kausale medikamentöse Therapie Kontinenztraining

gezielte Blasenentleerung durch: Medikamente ● intermittierenden Selbstkatheterismus ● Triggern ● evtl. Urostomie ● Harnableitung über Blasenkatheter ●

● ●

Operation Harnableitung über Blasenkatheter

20.2.2 Stuhl beobachten und kontrollieren

Stuhlinkontinenz

Die Beobachtungskriterien für die Stuhlausscheidung können Sie der ▶ Tab. 20.3 entnehmen.

Stuhlinkontinenz ist das Unvermögen, den Stuhl willkürlich zurückzuhalten.

Diarrhö Definition Diarrhö Diarrhö (Durchfall): häufige, dünnflüssige Stuhlausscheidung, mehr als 3-mal am Tag, meist von Darmkrämpfen begleitet. Eine Diarrhö kann folgende Ursachen haben: ● Darminfektionen ● Lebensmittelvergiftungen ● Nebenwirkungen von Medikamenten (Antibiotika, Zytostatika) ● Nahrungsmittelallergien ● unzureichende Kaufähigkeit ● Überdosis von Laxanzien ● psychische Reize (Angst, Stress, Aufregung) ● krankhafte Veränderungen des Darms (Stenosen) ● Sondenkost Diarrhöen sind mit der Gefahr eines Flüssigkeits- und Elektrolytverlustes verbunden. Besonders gilt dies für Kinder und ältere Menschen.

Definition Stuhlinkontinenz

Eine Stuhlinkontinenz kann folgende Ursachen haben: ● sensorische Ursachen: Diarrhöen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Reizdarm, breiige Konsistenz des Stuhls, „paradoxe Diarrhö“, neurogene Störungen ● muskuläre Ursachen: Schädigung des Schließmuskels durch Geburten, postoperativ bei Analfisteln, Rektumtumoren oder -prolaps, Stuhlabgang gleichzeitig mit Flatulenzen oder bei körperlicher Belastung (Bauchpresse) ● neurogene Ursachen: Beckenbodeninsuffizienz durch chronische Obstipation oder Überdehnung während der Entbindung, diabetische Neuropathie, Multiple Sklerose, Querschnittlähmung ● psychische Ursachen: Demenz, psychische Erkrankungen Schweregrade der Stuhlinkontinenz • Die Stuhlinkontinenz ist für die Betroffenen sehr belastend und oft ein Tabuthema. Um für den Patienten die effektivste Therapieform zu wählen, ist eine gezielte Diagnostik unabdingbar. Man unterscheidet 3 Grade der Stuhlinkontinenz: ● Grad 1: unkontrollierter Abgang von Darmgasen ● Grad 2: unkontrollierter Abgang von dünnflüssigem Stuhl ● Grad 3: unkontrollierter Verlust von festem Stuhl Stuhlprotokoll • Die Diagnostik kann durch Pflegende mithilfe eines Stuhlprotokolls und einer gezielten Beobachtung (Mobilität, Auffinden der Toilette, Umgang mit Kleidung

l 20

Bei den Ausscheidungen unterstützen Tab. 20.3 Beobachtungkriterien für die Stuhlausscheidung. Beobachtungskriterien

Veränderungen

Farbe/Aussehen hell- bis dunkelbraun

physiologische Abweichungen

Mögliche Ursachen

schwarz

Eisen-, Kohlepräparate, Rotwein

rötlich gefärbt

Rote Bete

pathologische Veränderungen

Geruch nicht übermäßig übel riechend

schwarz und glänzend, „Teerstuhl“

Blutung im Magen oder in den oberen Darmabschnitten

tonig, fettglänzend

Pankreaserkrankungen

grauweiß, entfärbt (acholisch), „Lehmstuhl“

fehlendes Sterkobilin bei Gallenwegs- und Lebererkrankungen

physiologische Abweichungen abhängig von der Nahrung und der Verweildauer im Darm

bei kohlenhydratreicher Ernährung eher säuerlich, bei fleischhaltiger Kost geruchsintensiver

pathologische Veränderungen

Menge/Konsistenz/Form Menge ist ernährungsbedingt und beträgt beim Erwachsenen etwa 120–300 g pro Tag

faulig-jauchig (tiefbraun)

Fäulnisdyspepsie

nach Aas (verwesendem Fleisch) riechend

Zerfallsprozesse im Darm bei Karzinom

physiologische Abweichungen größere Menge

sehr ballaststoffreiche Ernährung (bis zu 500 g)

kleinere Mengen

bei ballaststoffarmer, eiweißreicher Ernährung

pathologische Veränderungen

Beimengungen

große Mengen

Malabsorption

flüssig

Diarrhö bei Darminfektionen

fester als normal

Obstipation

trocken-hart

Kotsteine bei schwerer Obstipation

bleistiftförmig

Stenosen des Enddarms

physiologische Abweichungen Weintraubenschalen, Tomatenschalen usw.

unverdaute Nahrung

pathologische Veränderungen Blutauflagerungen

Blutungen aus den Analfissuren, Hämorrhoiden, Rektumund Analkarzinom

Schleim

gereizte Darmschleimhaut bei evtl. Darminfektionen

blutiger Schleim

Colitis ulcerosa, nach schweren Diarrhöen

Parasiten

Maden-, Spul- und Bandwürmer (makroskopisch) Wurmeier und pathogene Keime (mikroskopisch)

beim Toilettengang) unterstützt werden. Das Protokoll ist über mind. 2 Wochen anhand folgender Kriterien zu führen: Zeiten der Entleerung, Inkontinenzereignisse, Stuhlkonsistenz, Auslöser für Inkontinenzereignisse, Beeinträchtigung des Wohlbefindens.

140

Die Stuhlkonsistenz beeinflussen • Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die Stuhlkonsistenz zu verbessern. Beispiele sind: ● Verhaltenstraining (Förderung der funktionellen Fähigkeiten, Stuhlregulierung, Ernährungsberatung, geplante Entleerungszeiten, transanale Irrigation) ● Stuhleindickung

Übelkeit und Erbrechen ●



Physiotherapie (Beckenboden-, Sphinktertraining, evtl. Biofeedback) Einsatz von Hilfsmitteln (Vorlagen, Analtampon)

Obstipation Definition Obstipation Obstipation ist eine seltene Entleerung (weniger als 3-mal die Woche) von hartem Stuhl. Obstipation (Verstopfung) wird oft von Völlegefühl, Bauchkrämpfen, Meteorismus, Appetitverlust, Zungenbelag, Mundgeruch, Kopfschmerzen und Unruhe begleitet. Eine Obstipation kann folgende Ursachen haben: ● organische Ursachen: Darmerkrankungen (Divertikulitis, Tumoren, Entzündungen, Stenosen), neurologische Störungen (Schlaganfall, Querschnittlähmung, diabetische Neuropathie), endokrine Störungen (Hypothyreose), metabolische Ursachen (unregelmäßige Essenszeiten), rektoanale Erkrankungen (Analfissur) ● funktionelle Ursachen: Motilitätsstörungen des Darms (verlangsamte Darmpassage nach Laxanzienmissbrauch), Unterdrückung der Defäkation (Mehrbettzimmer, fremde Umgebung), ballaststoffarme Ernährung, Flüssigkeitsmangel, Bewegungsmangel, Elektrolytverschiebungen ● auslösende Medikamente: Analgetika, v. a. Opioide, Antidepressiva, Anti-Parkinson-Mittel, Antihypertonika, Antazida, Eisenpräparate, Diuretika

20.3 Bei der Ausscheidung unterstützen Kann ein Patient zur Verrichtung der Ausscheidung nicht mehr selbstständig die Toilette nutzen, können unterschiedliche Hilfsmittel zum Einsatz kommen. Wird z. B. ein Toilettenstuhl genutzt, muss der Stuhl immer durch Bremsen „festgestellt“ werden und die Patientenrufanlage in Reichweite liegen (Sturzgefahr!). Bei bettlägerigen Patienten wird häufig eine Urinflasche oder ein Steckbecken genutzt. Dabei muss besonders auf die Gefahr von Druckstellen (Vermeidung der Reibe- und Scherkräfte beim Einsetzen des Steckbeckens) geachtet werden. Die Wahrung der Intimsphäre steht immer an oberster Stelle!

20.3.1 Inkontinenzhilfsmittel Die Wahl der Hilfsmittel wird durch den Grad und die Form der Inkontinenz, die Situation des Patienten und das Geschlecht bestimmt. Die ausgeschiedene Urinmenge entscheidet über die Häufigkeit des Wechsels. Es wird zwischen aufsaugenden und aufsammelnden Hilfsmitteln unterschieden: ● aufsaugende Hilfsmittel: Inkontinenzvorlagen, die die Anatomie und die Bedürfnisse des Patienten berücksichtigen, z. B. Tag- und Nachtvorlagen, höschenförmige Einlagen, Einmalslips ● aufsammelnde Hilfsmittel: ableitende Systeme, die den Urin in ein Reservoir leiten, z. B. Kondomurinal, externer Urinableiter

Beim Wechsel der Hilfsmittel sind folgende Punkte zu beachten: ● Intimsphäre wahren ● Händehygiene (-desinfektion) ● evtl. allergische Reaktion auf das Material ● Informationen des Herstellers (Größe, Hautpflege, Rasur, Anlagetechnik, Funktionsfähigkeit) ● Wohlbefinden, Mobilität und Ressourcen des Patienten

20.3.2 Beim Abführen unterstützen Wenn die ausgewählten Maßnahmen zur Obstipationsprophylaxe (z. B. Kolonmassage, mild angesäuerte Milchprodukte oder Bewegung) nicht die gewünschte Wirkung zeigen, werden abführende Maßnahmen nötig, die die Stuhlausscheidung fördern bzw. unterstützen. Dazu zählen u. a. ● Klistiere (kleine Flüssigkeitsmengen werden in den Enddarm verabreicht), ● Abführ-Suppositorien oder ggf. auch das ● manuelles Ausräumen der Rektumampulle. Letzteres kommt v. a. dann infrage, wenn die zuvor genannten Maßnahmen keine Wirkung zeigen, der Stuhl verhärtet ist und/oder der Patient nicht pressen kann.

Definition Manuelles Ausräumen Manuelles (digitales) Ausräumen: manuelle – mit einem doppelt behandschuhten Finger – Entfernung der Kotsteine. Diese Maßnahme wird als sehr schmerzhaft und unangenehm empfunden. Sie greift stark in die Intimsphäre des Patienten ein und wird ausschließlich auf ärztliche Anordnung durchgeführt. Mögliche Komplikationen sind: Blutungen bei Hämorrhoiden, Verletzungen der Darmwand und des Schließmuskels.

20.4 Übelkeit und Erbrechen beobachten und kontrollieren Definition Übelkeit Übelkeit (Nausea) ist eine unangenehme Empfindung im Rachen oder Oberbauch. Nimmt die Spannung im Ösophagus, Magen und Darm zu, hat man das Gefühl, erbrechen zu müssen.

Definition Erbrechen Erbrechen (Emesis, Vomitus) ist ein Schutzreflex, bei dem der Magen- bzw. Darminhalt stoßartig entgegen der Peristaltik über den Mund entleert wird. Übelkeit, Würgen und Erbrechen können Symptome einer zugrunde liegenden Erkrankung sein. Die Medulla oblongata steuert den Vorgang des Erbrechens. Der Reizung des Brechzentrums folgen Übelkeit, Blässe, Schweißausbruch und vermehrte Speichelsekretion. Durch Reizung des Nervus vagus kann Übelkeit auftreten. Erbrechen kann auch ein Selbstschutz des Körpers vor toxischen Substanzen und verdorbenen Lebensmitteln sein. Die Ursachen für Erbrechen können sehr unterschiedlich sein.

l 20

Bei den Ausscheidungen unterstützen ●



zentrales Erbrechen: Das Erbrechen ist schwallartig und wird durch direkte Reizung des Brechzentrums hervorgerufen, z. B. durch Hirntumor, Migräne, Meningitis, Schädel-Hirn-Trauma, Zytostatika oder Digitalis. reflektorisches Erbrechen: Hier wird das Brechzentrum indirekt über das vegetative Nervensystem gereizt, z. B. bei Magen-Darm-Erkrankungen.

Wurde erbrochen, wird das Erbrochene auf Menge, Geruch, Aussehen (Beimengungen), Häufigkeit und Farbe des Erbrochenen kontrolliert (▶ Tab. 20.4).

Zu den weiteren Formen zählen: hormonell bedingtes Erbrechen: z. B. während der Schwangerschaft ● Postoperative nausea and vomiting (PONV): Stimulation des Brechzentrums, z. B. durch Narkotika oder Opiate ● antizipatorisches Erbrechen: wird hervorgerufen durch schlechte Erfahrungen mit bestimmten Gerüchen, Situationen oder Stoffen, z. B. Chemotherapie ●

! Merke Erbrechen von Blut

KOMPAK T Bei den Ausscheidungen unterstützen ●





Blut im Magen führt zu schwallartigem Erbrechen. Erbricht ein Patient frisches Blut oder Hämatin, handelt es sich um ein lebensbedrohliches Geschehen (Notfall), bei dem der Arzt sofort informiert werden muss. ●

Beobachtung des Erbrochenen • Übelkeit und Erbrechen können für die Betroffenen sehr belastend sein. Oft fühlen sie sich dem Zustand bzw. Vorgang machtlos ausgeliefert. Die Klärung der Ursachen und die Begleitung des Patienten wirken dem Gefühl des Kontrollverlustes entgegen.



Beobachtung der Ausscheidungen: Menge, Farbe, Geruch, Beimengungen, Häufigkeit, Konsistenz Miktionsstörungen: können sich durch Schmerzen, erschwertes oder fehlendes Wasserlassen und einen Verlust der Kontrolle über die Blasenfunktion zeigen. Von einem Harnverhalt spricht man, wenn die Blase nicht oder nicht mehr vollständig entleert wird. Stuhlentleerungsstörungen: Diarrhö kann zu Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten führen; Obstipation (erschwerte und seltene Stuhlausscheidung), Stuhlinkontinenz (Unvermögen, den Stuhl zu halten) sind für den Patienten u. a. mit Scham und einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden. Bei der Unterstützung des Patienten steht die Wahrung der Intimsphäre an erster Stelle. Dabei immer die Sicherheit des Patienten wahren. Hat ein Patient erbrochen, Mundpflege anbieten, Raum gut lüften.

Tab. 20.4 Beobachtungskriterien für Erbrochenes. Beobachtungskriterien

Veränderung

Farbe/Aussehen hell, frische Galle, Magensaft bis dunkelgrün, evtl. Beimengungen von Nahrungsresten

physiologische Abweichungen

Geruch leicht säuerlich

rot

mögliche Ursachen

Trinken von rotem Tee oder z. B. Essen Roter Bete

pathologische Veränderungen angedaut, säuerlich riechend

Störung der Magenpassage, z. B. bei Tumoren

grünlich gelb

hinter dem Choledochusgang liegende Abflussstörungen, Nüchternerbrechen

frisches Blut, Koagel

Magenblutung, z. B. bei Ulzera

frisches hellrotes Blut

Ösophagusvarizenblutung oder Blutung aus einer Arterie im Magen bei Ulzera

braunschwarz

„Kaffeesatz“-Erbrechen durch Magenblutung, z. B. bei Ulzera („angedautes“ Blut durch Magensäure)

braun, übel riechend (kotig)

Miserere (Kopremesis): Koterbrechen bei einem Ileus

physiologische Abweichungen abhängig von der Nahrung und der Verweildauer im Magen

z. B. Gerüche von Kräutern und Gewürzen (Knoblauch)

pathologische Veränderungen

142

kotig

bei einem Ileus

intensiv sauer

Passagehindernis im Magen

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Prophylaxen

Mund spülen Zähne putzen

trinken

verschleppte Keime

dauerhafte Mundtrockenheit

Hauptrisikofaktor: eingeschränkte Aktivität und Mobilität

Kontinenzförderung Maßnahmen, z.B.

Hautpflege

Risikofaktoren, z.B.

Ernährung und Flüssigkeit

Mobilisation Soor- und Parotitis

Maßnahmen, z.B.

Druck Zeit

Risikofaktoren, z.B.

Disposition

Dekubitus

individuelles Risiko erfassen (Assessment)

Prophylaxen II S. 150 Prä- und Probiotika trinken

Reize schaffen

ballaststoffreiche Kost

frühe Mobilisation

Hilfsmittel organisieren

Maßnahmen, z.B. Obstipation

Prophylaxen I

Maßnahmen, z.B.

Risikofaktoren, z.B. Bettlägerigkeit

Risikofaktoren, z.B.

Immobilität ballaststoffarme Ernährung

Deprivation

zu geringe Flüssigkeitszufuhr

Z. n. Sturz Schmerzen Risikofaktoren, z.B.

Heimeinzug

Hör- und Sehschäden

Bewegungseinschränkung

Maßnahmen, z.B.

Patient in Alltag einbinden

Bezugspflege

Reize schaffen

Dekubitusprophylaxe

21.1 Dekubitusprophylaxe



Definition Dekubitus Lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden Gewebes, verursacht durch zu lange und/oder zu starke Einwirkung von Druck- und Scherkräften.

21.1.1 Entstehungsmechanismus 3 Entstehungsfaktoren: Druck (Auflagedruck), Zeit (Dauer des Drucks), Disposition (individuelle Risikofaktoren, s. u.) ● Dekubitus 1. Grades: umschriebene, nicht „wegdrückbare“ Hautrötung (positiver Fingertest) ● Dekubitus 2. Grades: Schädigung von Epidermis und Dermis, ggf. mit Blasenbildung und nässendem oberflächlichem Hautdefekt ● Dekubitus 3. Grades: Schädigung von Epidermis, Dermis und Subkutis. Nekrosenbildung und ggf. auch Ausbildung von Wundtaschen möglich ● Dekubitus 4. Grades: wie Grad III + Schädigung von Muskeln, Sehnen und Knochen. Septische Komplikationen sind möglich.



primäre Risikofaktoren: Erkrankungen und Umstände, die die Aktivität und Mobilität einschränken, wie z. B. Lähmungen, Traumen, Bewusstseinsstörung, Schmerzen, Herz- und Lungenerkrankungen sekundäre Risikofaktoren: Zeit der Einwirkung von Druckund Scherkräften sowie Risikofaktoren, die den Zellstoffwechsel beeinflussen, wie z. B. Nikotinabusus, Diabetes mellitus, Tumoren, Adipositas, Kachexie, Malnutrition, Dehydration, transurethraler Blasenkatheter

! Merke Risikofaktoren Dekubitus

Je mehr ein Mensch auf pflegerische Unterstützung angewiesen bzw. je stärker seine Gesundheit beeinträchtigt ist, desto höher ist sein Dekubitusrisiko!

21.1.3 Dekubitusgefährdete Körperstellen Besonders gefährdet sind Hautstellen mit wenig Unterhautfettgewebe, wie z. B. Knochenvorsprünge. Man bezeichnet diese Stellen als Prädilektionsstellen (▶ Abb. 21.1).

21.1.4 Dekubitusrisiko einschätzen

21.1.2 Risikofaktoren Hauptrisikofaktoren für die Entstehung eines Dekubitus sind die Einschränkungen der Aktivität (z. B. durch Bettlägerigkeit) und der Mobilität (z. B. Unfähigkeit zur selbständigen Positionsveränderung).

Definition Bewegung Die Aktivität wird als Ausmaß bezeichnet, in dem sich ein Patient von einem Ort zum anderen bewegt. Die Mobilität kann in Mikround Makrobewegungen unterteilt werden. Mikrobewegungen verringern den Druck und sind kleine Körperbewegungen. Makrobewegungen dienen der Druckentlastung und sind komplette Körperpositionswechsel.

Es gibt unterschiedliche Assessmentinstrumente und Skalen zur Einschätzung einer Dekubitusgefährdung. Sie unterscheiden sich in ihren Zielgruppen und Kriterien. Das Dekubitusrisiko wird immer eingeschätzt, wenn ein Risiko nicht sicher ausgeschlossen werden kann, z. B. bei ● Aufnahme, ● Veränderungen der Aktivität und Mobilität oder ● veränderten extrinsischen Faktoren (z. B. Anlage oder Entfernung von Kathetern, Sonden). Wurde ein Dekubitusrisiko festgestellt, muss eine vertiefte Risikoeinschätzung vorgenommen werden. Dabei werden u. a. Ursachen, Risiken, Hautzustand und Allgemeinzustand erfasst.

Abb. 21.1 Prädilektionsstellen für Dekubitus. Hinterhauptknochen

Stirn

Jochbein

Jochbein

Ohrmuschel

Schulterblätter

Schultergelenke

Schultergelenke

Ellenbogen

Brustbein

Dornfortsätze

Ellenbogen

Kreuzbein

Darmbeinstachel

Kniescheibe

Hinterhaupt Rippen

Schulterblatt

Ellenbogen

Dornfortsätze

großer Rollhügel

Ellenbogen

Kniegelenk

Sitzbeinhöcker

Wadenbein Fersen a Rückenlage

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Fußspitzen b Bauchlage

seitliche Knöchel c 90°-Seitenlage

Fersen d im Sitzen

l 21

Prophylaxen

21.2 Prophylaxe der Bettlägerigkeit

21.1.5 Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe Das Ziel der Dekubitusprophylaxe ist die Entlastung gefährdeter Körperstellen von Druck- und Scherkräften. ● Mobilisation: Eigenbewegung des Patienten fördern, regelmäßige Positionswechsel durchführen und individuelle Gewebetoleranz berücksichtigen (Mikro- und Makropositionswechsel), Wirkung von Scherkräften vermeiden (z. B. durch Kinästhetik bei der Mobilisation) ● Hautpflege: Hautzustand regelmäßig kontrollieren (Fingertest). Die Haut sollte trocken und gut durchblutet sein. Zur Körperpflege milde, pH-neutrale Waschemulsion verwenden, bei feuchter Haut eine O/W-Emulsion und bei trockener Haut eine W/O-Emulsion. Kontraindiziert sind alkoholische Präparate, hautabdeckende Pasten und Puder. ● Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Für eine gesunde Haut sollte auf eine eiweiß-, vitamin- (A und C) und mineralstoffreiche (Zink) Kost und auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden (erhöht Gewebeelastizität). ● Risikofaktoren reduzieren: z. B. bei Inkontinenz Maßnahmen zur Kontinenzförderung; bei Kachexie Ernährungszustand verbessern ● druckverteilende Hilfsmittel: z. B. Wechseldruck- oder Micro-Stimulations-Systeme (MiS) einsetzen Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den „Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ (Kap. 10.4)

Definition Bettlägerigkeit Ein längerfristiger Zustand, bei dem sich der Mensch überwiegend im Bett aufhält. Bettlägerigkeit beginnt, wenn sich ein Mensch nicht mehr ohne Unterstützung von einem Ort zum nächsten bewegen kann.

21.2.1 Risikofaktoren ●



Z. n. Sturz (z. B. Immobilität durch Oberschenkelhalsfraktur) Bewegungseinschränkung (z. B. durch Schmerzen oder Gelenksteifigkeit)

21.2.2 Auswirkungen Durch die Abnahme der Mobilität kommt es zu einer Verringerung von Knochenmasse und Skelettmuskulatur. Die Betroffenen können sich kaum bis gar nicht mehr selbstständig fortbewegen und verlieren dadurch oft den Anschluss an das soziale Alltagsleben. Ebenso betroffen sind kognitive und kommunikative Fähigkeiten. Das Risiko für Dekubitus, Kontrakturen, Thrombosen, Nieren-, Herz- und Lungenerkrankungen, Inkontinenz und Infektionen steigt an (▶ Abb. 21.2).

Abb. 21.2 Auswirkungen längerfristiger Bettlägerigkeit.

verkümmernde kognitive Fähigkeiten

Dekubitusrisiko Kontrakturrisiko

Verlust von Selbstvertrauen und Lebensmut

Thromboserisiko

verkümmernde kommunikative Fähigkeiten

Nieren-, Herz- oder Lungenerkrankung

Elektrolytentgleisung kein sozialer Kontakt und keine Umweltreize

Auftreten weiterer gesundheitlicher Probleme

keine Bewegung

längerfristige Bettlägerigkeit

Inkontinenz Infektionsrisiko Verminderung orthostatischer Reaktionen (Anpassen des Kreislaufs an aufrechte Körperhaltung)

Die Mobilität des Patienten ist so weit eingeschränkt, dass er sich größtenteils im Bett aufhält. Das Mobilisieren geschieht nur noch passiv. Dieser Zustand hat Auswirkungen auf vielen Ebenen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

146

Obstipationsprophylaxe

21.2.3 Maßnahmen zur Prophylaxe von Bettlägerigkeit Grundregel: Reize schaffen und den Patienten regelmäßig und frühzeitig mobilisieren ● Sturzprophylaxe (siehe Kap. 21.6) ● bei längerem Krankenhausaufenthalt Case Management einschalten (um bestmögliche Nachbetreuung zu gewährleisten), ggf. Überleitungspflege einschalten ● Patienten und Angehörige über geeignetes Mobiliar und Hilfsmittel informieren (z. B. Matratze mit verstärktem Rand für leichteres Aufsitzen) ● bei langer Liegedauer gezielt Reize schaffen (z. B. Bild aufstellen, Musik, Fenster öffnen, bestimmter Duft, Gespräche) ● Angehörige in die Pflege einbinden und in Grundtechniken (z. B. bei der Mobilisation) schulen ● Patienten zur Mitarbeit bei der Mobilisation motivieren, loben ● geeignete Hilfsmittel zur Mobilisation gemeinsam mit dem Patienten auswählen und diese korrekt einstellen Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den „Expertenstandard Erhalt und Förderung der Mobilität“ (siehe Kap. 10.4).

21.3.1 Risikofaktoren Ursachen und Risikofaktoren können Sie der ▶ Abb. 21.3 entnehmen.

21.3.2 Auswirkungen Patienten mit Obstipation leiden häufig an ● Unbehagen, ● Völlegefühl, ● Appetitlosigkeit und ● Müdigkeit. Verhaltene Stühle benötigen mehr Platz im Darm und der Betroffene muss mehr Kraft aufwenden, um den Stuhl herauszupressen. Dadurch können organische Schäden entstehen, z. B.: ● Megakolon (aufgetriebener Dickdarm) ● Hämorrhoiden ● paralytischer bzw. mechanischer Ileus (Darmverschluss) Der häufige Gebrauch von Laxanzien und Darmeinläufen stört das Zusammenspiel von Tonus und Peristaltik und führt zur chronischen Kolitis.

21.3.3 Obstipationsrisiko einschätzen

21.3 Obstipationsprophylaxe Definition Obstipation Als Obstipation (Verstopfung) bezeichnet man eine seltene und mühsame Entleerung von hartem Stuhl. Ab wann von einer Obstipation gesprochen wird, hängt von der individuellen Defäkationsfrequenz ab. Die Obstipation ist gekennzeichnet durch hohe Konsistenz des Stuhls, zu lange Verweildauer des Stuhls im Darm, Probleme beim Absetzen des Stuhls sowie eine geringe und seltene Ausscheidung.





Derzeit gibt es keine spezifischen Instrumente zur Erfassung des Obstipationsrisikos. Durch die Anamnese kann der Patient nach seiner individuellen Defäkationsfrequenz befragt werden. Es gilt: Solange der Patient Wohlbefinden im Zusammenhang mit der Ausscheidung angibt, muss keine Veränderung vorgenommen werden.

Abb. 21.3 Ursachen und Risikofaktoren für Obstipation.

psychische Faktoren, z. B. Reise, Stress, Scham

körperliche Schwäche schwache Bauchpresse veränderte Darmflora

Unterdrücken des Stuhlgangs • gewohnheitsgemäß • bei Schmerzen (z. B. durch Hämorrhoiden)

Obstipation

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Ballaststoffaufnahme ohne ausreichenden Wasserkonsum

mangelnde Wasseraufnahme

Verlust des Entleerungsreizes

Intoxikation z. B. Opiate, Psychopharmaka, Bleivergiftungen

unzureichende Nahrungsaufnahme

organisch bedingt, z. B. Tumoren, Divertikel

stoffwechselbedingt, z. B. Kalziummangel

beeinträchtigende Innervation bei Querschnittlähmung

l 21

Prophylaxen

21.3.4 Maßnahmen zur Obstipationsprophylaxe ●











Präbiotika (= unverdauliche Stoffe, die physiologische Bakterien der Darmflora in ihrem Wachstum fördern): fördern die Verdauung. Präbiotische Lebensmittel sind z. B. Artischocken, Zwiebeln, Chicorée. Probiotika (= Mikroorganismen wie z. B. Milchsäurebakterien und spezielle Hefen, die das Immunsystem der Darmflora unterstützen und gesundheitsgefährdende Substanzen abbauen): Probiotische Lebensmittel sind z. B. Joghurts, Quarkzubereitungen, Käse und Fruchtdrinks. Tagesstruktur: individuelle Defäkationsrituale gewährleisten, z. B. morgens Kaffee oder ein kaltes Glas Wasser täglich nach dem Aufstehen trinken (reflektorische Darmentleerung) Darmentleerung fördern: ballaststoffreiche Kost (Vollkorn), Trockenpflaumen, ausreichend Flüssigkeit (mind. 2 l), frühzeitige Mobilisation, Bauchmassage, tiefe Bauchatmung Laxanzien: nur nach Arztanordnung verabreichen, bei pathophysiologischen Veränderungen (z. B. Blut im Stuhl) Arzt informieren Stuhlentleerung unterstützen: für ruhige Umgebung sorgen, Intimsphäre wahren, Zeit lassen. Die Entleerung wird erleichtert, wenn der Patient mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper sitzt und die Beine angewinkelt hat. Darf/Kann der Patient nicht aufstehen, Steckbecken mit angewinkelten Beinen in Rückenlage unterschieben.

21.4 Soor- und Parotitisprophylaxe







Auswirkungen ●







Durch den fehlenden Speichel haben Patienten Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken. Nahrungsbestandteile kleben an den Zähnen und der Zunge, Pilzbeläge breiten sich entlang der trockenen Mundschleimhaus aus. Parotitis und Soor können Folgeschäden an anderen Organen verursachen, z. B. kann der Mundsoor durch Ausbreitung in die Speiseröhre zu Ösophagusstrikturen, zu Atrophien der Schleimhäute und zur Sepsis führen. Die virale Parotitis kann Schäden an primären Geschlechtsorganen, am Herzen und im ZNS auslösen bzw. die bakterielle Parotitis im Kindes- und Erwachsenenalter in eine chronisch rezidivierende Form übergehen.

21.4.2 Parotitis- und Soorrisiko einschätzen ●



Definition Parotitis Parotitis ist eine Entzündung der Ohrspeicheldrüse. Man unterscheidet die bakterielle akute Parotitis (Parotitis acuta) und die virale Parotitis epidemica (Mumps).

Xerostomie (dauerhafte Mundtrockenheit) kann die Ursache für eine Parotitis sein, aber v. a. ist sie die Folge einer Parotitis. Nicht entzündliche Ursachen sind Stoffwechselstörungen in der Leber, in der Niere, im Pankreas und andere hormonelle Dysregulationen. Parotitis- und soorgefährdet sind Patienten mit: Infektionskrankheiten, eingeschränkter Immunkompetenz (HIV), malignen Erkrankungen, endotrachealer Beatmung, Antibiotikabehandlung, Nahrungskarenz.



Soor- und Parotitisprophylaxe immer einleiten, sobald die orale Nahrungsaufnahme beeinträchtigt ist. Patienten zum Mundstatus befragen: klebende Zunge, trockener Mund, trockene Kehle? tägliche Begutachtung, um Veränderungen frühzeitig zu erfassen: z. B. visuelle Analogskala von 1 bis 10 von Fitch et al. (1999) oder Brushed-Assessment von Hayes & Jones (1995) zur Beurteilung der Mundhöhle

Definition Soor Soor ist der Befall der Schleimhäute mit Hefepilzen.

21.4.1 Parotitis Bei der Parotitis sterben die physiologisch in der Mundflora lebenden Bakterien ab bzw. werden funktionslos. Somit können sie den Verdauungs- und den Atmungstrakt nicht mehr vor schädlichen Eindringlingen schützen. Krankheiten (z. B. Soor) können sich ausbreiten.

Symptome ●

● ● ●

Schmerzen unterhalb des Ohrläppchens oder am Unterkiefer Schwellung reduzierte Speichelproduktion Speichel ist weißlich grau, trüb und schmeckt salzig.

Risikofaktoren ●

148

Verschleppte Keime können sowohl in der Drüse selbst als auch im Ausführgang die Parotitis hervorrufen.

21.4.3 Maßnahmen zur Parotitisund Soorprophylaxe Ziel ist es, die Speichelproduktion und somit eine physiologische Mundflora zu gewährleisten, da diese vor Keimen schützt. ● mind. 2-mal täglich gründlich Zähne bzw. Prothesen putzen, Zahnseide verwenden ● Utensilien nach jeder Anwendung reinigen ● Mundspüllösungen und Materialien des Mundpflegesets täglich wechseln ● ausreichend trinken, Kaugummis kauen ● Dauerhafte Mundtrockenheit (Xerostomie) ist oft auch medikamentös bedingt (z. B. Antidepressiva).

ACHTUNG Kamille, Myrrhe und Zitrone haben eine schleimhautaustrocknende Wirkung. Auf antiseptische Wirkstoffe (z. B. Thymian, ätherische Öle oder Chlorhexidin) bei gesundem Mundstatus verzichten. Diese zerstören neben den Bakterien auch die physiologische Mundflora!

l 21

Prophylaxen

21.3.4 Maßnahmen zur Obstipationsprophylaxe ●











Präbiotika (= unverdauliche Stoffe, die physiologische Bakterien der Darmflora in ihrem Wachstum fördern): fördern die Verdauung. Präbiotische Lebensmittel sind z. B. Artischocken, Zwiebeln, Chicorée. Probiotika (= Mikroorganismen wie z. B. Milchsäurebakterien und spezielle Hefen, die das Immunsystem der Darmflora unterstützen und gesundheitsgefährdende Substanzen abbauen): Probiotische Lebensmittel sind z. B. Joghurts, Quarkzubereitungen, Käse und Fruchtdrinks. Tagesstruktur: individuelle Defäkationsrituale gewährleisten, z. B. morgens Kaffee oder ein kaltes Glas Wasser täglich nach dem Aufstehen trinken (reflektorische Darmentleerung) Darmentleerung fördern: ballaststoffreiche Kost (Vollkorn), Trockenpflaumen, ausreichend Flüssigkeit (mind. 2 l), frühzeitige Mobilisation, Bauchmassage, tiefe Bauchatmung Laxanzien: nur nach Arztanordnung verabreichen, bei pathophysiologischen Veränderungen (z. B. Blut im Stuhl) Arzt informieren Stuhlentleerung unterstützen: für ruhige Umgebung sorgen, Intimsphäre wahren, Zeit lassen. Die Entleerung wird erleichtert, wenn der Patient mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper sitzt und die Beine angewinkelt hat. Darf/Kann der Patient nicht aufstehen, Steckbecken mit angewinkelten Beinen in Rückenlage unterschieben.

21.4 Soor- und Parotitisprophylaxe







Auswirkungen ●







Durch den fehlenden Speichel haben Patienten Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken. Nahrungsbestandteile kleben an den Zähnen und der Zunge, Pilzbeläge breiten sich entlang der trockenen Mundschleimhaus aus. Parotitis und Soor können Folgeschäden an anderen Organen verursachen, z. B. kann der Mundsoor durch Ausbreitung in die Speiseröhre zu Ösophagusstrikturen, zu Atrophien der Schleimhäute und zur Sepsis führen. Die virale Parotitis kann Schäden an primären Geschlechtsorganen, am Herzen und im ZNS auslösen bzw. die bakterielle Parotitis im Kindes- und Erwachsenenalter in eine chronisch rezidivierende Form übergehen.

21.4.2 Parotitis- und Soorrisiko einschätzen ●



Definition Parotitis Parotitis ist eine Entzündung der Ohrspeicheldrüse. Man unterscheidet die bakterielle akute Parotitis (Parotitis acuta) und die virale Parotitis epidemica (Mumps).

Xerostomie (dauerhafte Mundtrockenheit) kann die Ursache für eine Parotitis sein, aber v. a. ist sie die Folge einer Parotitis. Nicht entzündliche Ursachen sind Stoffwechselstörungen in der Leber, in der Niere, im Pankreas und andere hormonelle Dysregulationen. Parotitis- und soorgefährdet sind Patienten mit: Infektionskrankheiten, eingeschränkter Immunkompetenz (HIV), malignen Erkrankungen, endotrachealer Beatmung, Antibiotikabehandlung, Nahrungskarenz.



Soor- und Parotitisprophylaxe immer einleiten, sobald die orale Nahrungsaufnahme beeinträchtigt ist. Patienten zum Mundstatus befragen: klebende Zunge, trockener Mund, trockene Kehle? tägliche Begutachtung, um Veränderungen frühzeitig zu erfassen: z. B. visuelle Analogskala von 1 bis 10 von Fitch et al. (1999) oder Brushed-Assessment von Hayes & Jones (1995) zur Beurteilung der Mundhöhle

Definition Soor Soor ist der Befall der Schleimhäute mit Hefepilzen.

21.4.1 Parotitis Bei der Parotitis sterben die physiologisch in der Mundflora lebenden Bakterien ab bzw. werden funktionslos. Somit können sie den Verdauungs- und den Atmungstrakt nicht mehr vor schädlichen Eindringlingen schützen. Krankheiten (z. B. Soor) können sich ausbreiten.

Symptome ●

● ● ●

Schmerzen unterhalb des Ohrläppchens oder am Unterkiefer Schwellung reduzierte Speichelproduktion Speichel ist weißlich grau, trüb und schmeckt salzig.

Risikofaktoren ●

148

Verschleppte Keime können sowohl in der Drüse selbst als auch im Ausführgang die Parotitis hervorrufen.

21.4.3 Maßnahmen zur Parotitisund Soorprophylaxe Ziel ist es, die Speichelproduktion und somit eine physiologische Mundflora zu gewährleisten, da diese vor Keimen schützt. ● mind. 2-mal täglich gründlich Zähne bzw. Prothesen putzen, Zahnseide verwenden ● Utensilien nach jeder Anwendung reinigen ● Mundspüllösungen und Materialien des Mundpflegesets täglich wechseln ● ausreichend trinken, Kaugummis kauen ● Dauerhafte Mundtrockenheit (Xerostomie) ist oft auch medikamentös bedingt (z. B. Antidepressiva).

ACHTUNG Kamille, Myrrhe und Zitrone haben eine schleimhautaustrocknende Wirkung. Auf antiseptische Wirkstoffe (z. B. Thymian, ätherische Öle oder Chlorhexidin) bei gesundem Mundstatus verzichten. Diese zerstören neben den Bakterien auch die physiologische Mundflora!

Deprivationsprophylaxe

21.5 Deprivationsprophylaxe

21.5.3 Deprivationsrisiko einschätzen

Definition Deprivation Deprivation ist der Zustand der Reizverarmung bzw. der fehlenden Befriedigung wesentlicher Bedürfnisse. Eine Person ist depriviert, wenn ihre objektiven (z. B. Gesundheitszustand) und subjektiven (z. B. Berufszufriedenheit) Lebensumstände schlecht sind.

21.5.1 Risikofaktoren ● ● ● ● ● ● ● ●

Krankenhausaufenthalt bzw. Heimübertritt Demenz sensorische und soziale Reizarmut Hör- und Sehschäden räumliche Isolation Trennung von der Familie bzw. der Gesellschaft Verlust bzw. Liebesentzug der Bezugsperson fehlende Herausforderungen

Screening mit Ja/Nein-Fragen (lässt sich eine dieser Fragen mit Nein beantworten, besteht ein Deprivationsrisiko): ● Bewegung: Erfährt der Patient täglich Ganzkörperbewegungsreize durch Gehen bzw. werden alle Gelenke mindestens 1-mal am Tag vom Patienten bewegt? ● Berührung: Erfährt der Patient täglich Eigen- oder Fremdberührungen am ganzen Körper und geschieht dies durch mehrere Reize (z. B. kaltes, warmes Wasser, Bürste etc.)? ● kognitive Herausforderungen: Wird der Patient vor verschiedene kognitive Herausforderungen gestellt und kann er diese auch bewältigen? ● soziale Kontakte: Bewegt sich der Patient täglich außerhalb des Zimmers in Gruppen und nimmt er dort aktiv an Gesprächen teil?

21.5.4 Maßnahmen zur Deprivationsprophylaxe

21.5.2 Auswirkungen Deprivation findet teilweise oder vollständig statt. Für Pflegende besteht die Gefahr, dass sie die Bedürfnisse von deprivierten Patienten übersehen, da diese nicht besonders auffallen und nichts einfordern (▶ Abb. 21.4).

Ziel: eine möglichst reizvolle und angemessene Umgebung gestalten. Menschliche Zuwendung und Spaß stehen im Vordergrund! Abwechslung schafft Reize und ein strukturierter Tagesablauf gibt Orientierung. ● Bezugspflege ● Angehörige in die tägliche Pflege einbinden

Abb. 21.4 Folgen der Reizarmut.

Deprivation

sensorische

soziale

reizarme, stereotype Umwelt

keine konstante emotionale Zuwendung

fehlende Geborgenheit

ungenügend wahrnehmbare Reize

fehlendes Selbstvertrauen

Wahrnehmungsstörungen akute Verwirrtheit (Delir)

Entwicklungsverzögerungen (Kind), Verlust kognitiver und körperlicher (Rest-)Fähigkeiten (älterer Mensch)

psychischer Hospitalismus in stationären Einrichtungen

stereotype Bewegungen, Passivität, Reizbarkeit, depressive Verstimmungen

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

l 21

Prophylaxen

angenehme Essensumgebung

Schmerzen beim Kauen und Schlucken Schluckstörung

Dysphagie?

Wunschkost

Vorlagenwechsel üben Hüftprotektoren

Demenz

Soor?

Wohnraumgestaltung

Prophylaxe I S. 144 Maßnahmen, z.B.

Risikofaktoren, z.B.

Maßnahmen, z.B. Harninkontinenz

Mangelernährung

individuelles Risiko erfassen (Assessment)

Schlafmangel

Risikofaktoren, z.B.

Sturz

Stolperfallen V-A-T-I-Lagerung

trinken

Hygiene passive und aktive Bewegung

Maßnahmen, z.B.

Schmerzursache beheben

Pneumonie Kontraktur

Risikofaktoren, z.B.

Risikofaktoren, z.B.

Prophylaxen II eingeschränkte Mobilität

Schonatmung bei Schmerzen

Risikofaktoren



● ● ● ●

Intertrigo

Apoplex

Demenz trinken

MTPS und Kompression

Besuche, so oft es geht, ermöglichen beruhigende oder anregende Waschung beruhigende und anregende Massagen mit ätherischen Ölen durchführen Musik, Blumenduft etc. basale Stimulationstechniken anwenden Teller ansprechend anrichten, gemeinsam essen Patienten in Alltag einbinden, z. B. Post sortieren, Kochen, Blumen gießen

Risikofaktoren, z.B. Adipositas



Definition Sturz Ereignis, bei dem eine Person unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer tieferen Ebene aufkommt (sitzend/hockend oder liegend).

starkes Schwitzen

Maßnahmen, z.B. Hautfalten trocken halten

atmungsaktive Kleidung

21.6.1 Risikofaktoren

21.6 Sturzprophylaxe

150

eingeschränkte Mobilität

Maßnahmen, z.B.

Mobilisation und Bewegungsübungen



Schmerzen

Thrombose

z.B. Virchow-Trias



Maßnahmen, z.B.



personenbezogene Risikofaktoren: – Beeinträchtigung funktioneller und/oder sensomotorischer Fähigkeiten, z. B. Gang- und Gleichgewichtsstörungen – Gesundheitsstörungen, die z. B. mit Schwindel, körperlicher Schwäche einhergehen, Schwierigkeiten beim Aufstehen – kognitive akute und/oder chronische Beeinträchtigungen, z. B. Demenz, Delir – Kontinenzprobleme (Urininkontinenz) – Nykturie (nächtlicher Harndrang) – Sehbeeinträchtigung (Visusminderung), ungeeignete Brille – Sturzangst oder Sturzvorgeschichte medikamentenbezogene Risikofaktoren: – Polypharmazie (mehrere Medikamente gleichzeitig) – psychotrope Medikamente (Medikamente, die auf die Psyche wirken) – Antihypertensiva (Medikamente zur Blutdrucksenkung)

Sturzprophylaxe



– Schlafmittel, Diuretika umgebungsbezogene Risikofaktoren: – steile Treppen – Hindernisse auf dem Boden, Stolperfallen (Teppich) – schlechte Beleuchtung – falsches Schuhwerk – ungewohnte Umgebung – freiheitsentziehende Maßnahmen

21.6.2 Auswirkungen ●

● ●



körperliche Verletzungen: Schmerzen, Frakturen, Hämatome, Prellungen, Wunden etc. psychische Beeinträchtigungen: Angst vor weiteren Stürzen Verlust der Selbständigkeit: z. B. nach Oberschenkelhalsfraktur auf Hilfe angewiesen Negativspirale Sturzangst: Nach einem Sturzereignis entwickeln besonders ältere Patienten eine Sturzangst. Sie bewegen sich weniger, um Stürze zu vermeiden, Skelettmuskulatur und Kraft bauen ab, wodurch das Sturzrisiko wiederum steigt.

21.6.3 Sturzrisiko einschätzen Im Vordergrund steht die Erfassung von Risikofaktoren im Rahmen der pflegerischen Anamnese. Verändern sich Fak-

toren wie z. B. der Gesundheitszustand, die Umgebung oder die Medikation, muss das Sturzrisiko erneut erfasst werden. Nach jedem Sturz muss das Sturzrisiko erneut eingeschätzt und ein Sturzereignisprotokoll ausgefüllt werden. Inhalte des Sturzereignisprotokolls sind: ● Angaben zur Person ● Angaben zur Einrichtung ● Datum, Uhrzeit, Ort des Sturzes ● Sturzumgebung ● gesundheitliches Befinden nach dem Sturz ● Aktivität vor dem Sturz ● unmittelbare physische und psychische Sturzfolgen ● eingeleitete Folgemaßnahmen

ACHTUNG Beinahestürze sind ein Alarmzeichen für ein erhöhtes Sturzrisiko. Sturzereignisse können ein Indiz für Krankheiten wie Arrhythmien, Herzinfarkte oder Schlaganfälle sein. Ein Sturz kann somit Anlass für weitere Abklärung sein.

21.6.4 Maßnahmen zur Sturzprophylaxe Die ▶ Tab. 21.1 zeigt wichtige Sturzrisikofaktoren und entsprechende pflegerische Maßnahmen. Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den „Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege“ (Kap. 10.4).

Tab. 21.1 Sturzrisikofaktoren und entsprechende Maßnahmen. Risikofaktoren ● ●

Muskelschwäche, Gangunsicherheit kognitive Beeinträchtigung, Konzentrationsschwäche

Pflegerische Intervention ●

● ● ● ● ● ●

bereits vorangegangener Sturz Sturzangst



Harninkontinenz, v. a. Dranginkontinenz Diarrhö ungeeignete Kleidung









kein sturzrisikobewusstes Verhalten ● ●

● ●

● ●



Hindernisse (Kabel, Infusionsständer etc.) bauliche Einschränkungen (steile Treppen)



Hypnotika, Sedativa Polypharmazie





Harnblase, Beckenboden trainieren Ablauf beim Vorlagenwechsel üben, v. a. wenn eine Hand zum Festhalten benötigt wird Kleidung sollte weit und leicht zu öffnen sein (für schnelles An- und Ausziehen)

Brille und Hörgeräte auf Funktionsfähigkeit prüfen Bewegungssensoren (im häuslichen Umfeld Wohnraumanpassung/Wohnraumberatung) auf barrierefreie Durchgänge achten Patienten begleiten

Patienten gezielt an die neue Umgebung gewöhnen, zeigen, wo Toiletten, Lichtschalter, Rufanlage sind ●

● ●

neurologische Einschränkungen (z. B. Morbus Parkinson)

Orientierung im Raum geben durch Hinweise auf Türbildern, Haltegriffe usw. Sicherheit geben durch verbales Orientieren

Aufklärung und Anleitung zur Nutzung von Hilfsmitteln (Sturzvermeidung)

eingeschränkte Seh- bzw. Hörfähigkeit schlechte Beleuchtung

ungewohnte Umgebung im Krankenhaus, Pflegeheim

Kraft, Ausdauer, Koordination, Körperwahrnehmung und Balance trainieren, Treppensteigen üben auf eine angemessene Flüssigkeitszufuhr achten

Patienten über Medikamentenwirkung und Sturzgefahr aufklären und gezielt überwachen Hüftprotektoren empfehlen (Aufpralldruck wird vermindert) ggf. Medikation anpassen lassen

auf regelmäßige und pünktliche Einnahme der Medikamente achten (Parkinsonmedikamente sollten nicht mit eiweißreichen Lebensmitteln, wie z. B. Milch, eingenommen werden. Dies kann die Wirkstoffaufnahme hemmen.)

l 21

Prophylaxen

21.7 Prophylaxe der Mangelernährung Definition Mangelernährung Mangelernährung (Malnutrition) ist ein anhaltendes Defizit an Energie und/oder Nährstoffen, entstanden durch eine länger andauernde negative Bilanz zwischen Aufnahme und Bedarf. ●



Mangelernährung kann Auswirkungen auf den Ernährungs- und Gesundheitszustand haben und die physischen und psychischen Funktionen beeinflussen. Auch übergewichtige Menschen können mangelernährt sein.

21.7.1 Risikofaktoren Ausgewählte Risikofaktoren, die eine Mangelernährung begünstigen: ● kognitive Beeinträchtigung (z. B. bei Demenz) ● Funktionseinschränkungen der Arme und Hände (z. B. bei Hemiparese) ● Läsionen im Mundinnenraum, Schmerzen beim Kauen und Schlucken, drückende oder lose Zahnprothese ● Schluckstörung ● Operationen am Gastrointestinaltrakt ● unangenehme Gerüche, fehlende soziale Zuwendung bei der Mahlzeit ● Müdigkeit, Fatigue, Appetitlosigkeit ● erhöhter Energiebedarf, z. B. durch Wunden ● Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, verminderte Flüssigkeitsaufnahme, Diuretika ● Bettlägerigkeit ● unzweckmäßiges Ess- und/oder Trinkgeschirr oder Besteck

21.7.2 Auswirkungen ●







Mangelernährung kann zu Komplikationen wie Wundheilungsstörungen und Infektionen führen. Krankheiten verschlechtern sich und die Mortalitätsrate steigt. Die Muskelkraft nimmt ab, sodass Betroffene Unterstützung im Alltag benötigen. Das Risiko eines Sturzes und des kognitiven Leistungsverfalls nimmt zu.

21.7.3 Mangelernährung erkennen/ einschätzen ●



Patienten beobachten und zu seinem Ernährungsverhalten befragen (Pflegeanamnese), Gewichtsverlauf beobachten Anzeichen von Nahrungs- und Flüssigkeitsmangel erfassen (z. B. stehende Hautfalten, weiter Hosenbund, geringe Ess- oder Trinkmengen)

Assessmentinstrumente zur Einschätzung von Mangelernährung Ergänzend zu einer ausführlichen Anamnese können folgende Assessmentinstrumente bei der Einschätzung einer Mangelernährung helfen: ● Krankenhaus: Nutritional-Risk-Screening-2002 (NRS 2002) und Subject Global Assessment (SGA) ● Geriatrie: Mini Nutritional Assessment (MNA) bzw. die Kurzversion MNA-SF (Short Form) ● ambulanter Bereich: Malnutrition Universal Screening Tool (MUST) ● stationäre Langzeitpflege: pflegerische Erfassung von Mangelernährung und deren Ursachen (PEMU)

21.7.4 Maßnahmen zur Prophylaxe von Mangelernährung Beispiele für Maßnahmen zur Prophylaxe von Mangelernährung: ● Hilfsmittel wie Brille, Hörgerät, Zahnprothese regelmäßig reinigen, Funktionalität prüfen ● Wunschessen des Patienten erfragen (z. B. lieber herzhaft oder süß) ● möglichst natürliche Essumgebung schaffen (z. B. Patienten an den Tisch mobilisieren) ● bei der Einnahme einer geeigneten Position unterstützen und Ressourcen des Patienten beachten (z. B. Essen im Sitzen am Tisch) ● Mund gründlich inspizieren (z. B. Soor) ● bei Schmerzen rechtzeitig Schmerzmedikamente verabreichen (z. B. bei Läsionen im Mundinnenraum) ● Essgepflogenheiten des Patienten ermitteln (z. B. Rituale und kulturelle Besonderheiten beachten) ● zusätzlichen Energiebedarf in Ausnahmesituationen errechnen (z. B. bei Wunden) ● mit der Ergotherapie über geeignete Hilfsmittel sprechen (z. B. Ess-/Trinkgeschirr oder Besteck) ● bei Dysphagie Logopäden hinzuziehen Zu den speziellen Maßnahmen siehe auch den „Expertenstandard Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ (Kap. 10.4)

21.8 Pneumonieprophylaxe Definition Pneumonie Unter einer Pneumonie (Lungenentzündung) versteht man eine infektiöse Entzündung der Alveolen (Lungenbläschen) und/oder des Lungeninterstitiums (Lungenzwischengewebe). Sie wird durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten ausgelöst. Die nosokomiale Pneumonie wird im Krankenhaus erworben.

21.8.1 Risikofaktoren ●





152

ungenügende Belüftung kleinster Lungensegmente (z. B. durch Schonatmung bei Schmerzen) vermehrte Sekretansammlung in der Lunge (z. B. durch fehlendes Abhusten aufgrund von allgemeiner Schwäche) absteigende Infektionen (z. B. Bronchitis)

Thromboseprophylaxe ● ● ● ● ● ●

Aspiration bei Dysphagie (z. B. bei Apoplex) liegende Sonden im Nasen- oder Rachenraum chirurgische Eingriffe am Abdomen/Thorax eingeschränkte Mobilität vorerkrankte Lunge (z. B. COPD, Emphysem) besonders gefährdete Patienten: beatmete, immunsupprimierte Patienten

21.8.2 Pneumonierisiko einschätzen Pflegende können durch Anamnese, Beobachtung und Assessment (z. B. Bienstein-Atemskala) feststellen, ob ein Pneumonierisiko vorliegt: ● Mobilität/Sitzhaltung: Sitzt oder liegt der Patient viel über 24 Stunden? ● Schmerzen: Hat der Patient Schmerzen und vermeidet tiefes Einatmen? ● Lungengeräusche: Sind Lungengeräusche hörbar (Giemen, Rasseln)? ● Husten/Sputum: Hustet der Patient? Ist es ein produktiver Husten mit Auswurf? ● Medikamente: Nimmt der Patient Medikamente wie Muskelrelaxanzien oder Opiate (Morphin)? ● Atemwegserkrankungen: Leidet der Patient unter COPD, Bronchitis, Asthma bronchiale? ● Aspiration: Hat der Patient eine Schluckstörung oder eine Bewusstseinsstörung? ● Sauerstoffsättigung/Atemfrequenz: Welche Sauerstoffsättigung hat der Patient und wie hoch ist seine Atemfrequenz? ● Rauchen: Raucht der Patient? Wenn ja, seit wann und wie viel?

21.8.3 Maßnahmen zur Pneumonieprophylaxe ●















Hygiene: Standardhygiene konsequent einhalten. Hände sind der Hauptübertragungsweg für eine nosokomiale Infektion. Atmung beobachten und kontrollieren: quantitative (z. B. Atemfrequenz, Atemtiefe) und qualitative (z. B. Geräusche, Schmerzen) Beobachtung atemvertiefende und sekretmobilisierende Maßnahmen anwenden: z. B. Atemtechniken (Lippenbremse) Wasser: ausreichende Flüssigkeitszufuhr, sekretverflüssigende Tees, ggf. Inhalation Absaugen: beim endotrachealen Absaugen geschlossenes System verwenden Medikamente: Klärung, ob Muskelrelaxanzien, Opiate nötig sind. Braucht der Patient leichte Schmerzmittel zur Vermeidung der Schonatmung? Positionierung: Lungenbelüftung fördern, z. B. durch Positionierung in V-A-T-I-Lage, Atemgymnastik Ernährung: orale Ernährung so lange wie möglich aufrechterhalten bzw. so früh wie möglich beginnen. Oberkörperhochlage bei der Nahrungsaufnahme, auf Schluckstörung achten.

21.9 Thromboseprophylaxe Definition Thrombose Verschluss oder Verengung eines Gefäßes durch ein Blutgerinnsel (Thrombus). Es können sowohl Arterien als auch Venen betroffen sein. Besonders häufig kommt es in den Becken- und tiefen Beinvenen zu einer Thrombose.

21.9.1 Risikofaktoren 3 Faktoren spielen bei der Entstehung einer Thrombose eine wesentliche Rolle (Virchow-Trias): 1. Veränderungen der Gefäßwand (Gefäßwandschäden, z. B. Arteriosklerose) 2. Veränderungen der Strömungsgeschwindigkeit (verlangsamter Blutfluss, z. B. durch Immobilität) 3. erhöhte Gerinnungsneigung (z. B. bei Exsikkose)

21.9.2 Thromboserisiko einschätzen Das individuelle Risiko setzt sich aus expositionellen (zeitlich begrenzte bzw. akute Risikofaktoren, z. B. OP oder Traumen) und dispositionellen (angeborene oder erworbene Risikofaktoren, hohes Lebensalter, Rauchen) Risikofaktoren zusammen. Treten beide Faktoren kombiniert auf, steigt das Thromboserisiko. Es gibt unterschiedliche Assessmentinstrumente, die zur Einschätzung des Thromboserisikos hinzugezogen werden können: z. B. Frowein (1997), Kümpel (1995), DVT-Risk-Assessment-Scale nach Autar (2002).

21.9.3 Maßnahmen zur Thromboseprophylaxe Für Patienten mit geringem Thromboserisiko reichen Basismaßnahmen und medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe. Menschen mit mittlerem und hohem Thromboserisiko benötigen zudem Antikoagulanzien.

! Merke Beine nicht ausstreichen

Beine des Patienten nicht ausstreichen, ein positiver Effekt ist nicht belegt und zudem könnte das Ausstreichen vorhandene Thromben lösen (EBN Südtirol 2011). Ziel der Thromboseprophylaxe ist es, den venösen Rückfluss zu verbessen und die Gerinnungsneigung in den Gefäßen zu reduzieren: ● Basismaßnahmen: Frühmobilisation; Durchführung von Bewegungsübungen, z. B. Bettfahrrad, Fußkreisen; auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten ● medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS): Unterstützen den Rückfluss des Blutes zum Herzen. Um einen optimalen Sitz zu gewährleisten, Beine des Patienten morgens nach dem Abwickeln eines Kompressionsverbands ausmessen. Je nach Hersteller werden die Maße an verschiedenen Stellen des Beines ermittelt. MTPS regelmäßig, wechseln. Kontraindikationen sind z. B. ausgeprägte Herzinsuffizienz, Durchblutungsstörungen, starke Beinödeme. ● Kompressionsverbände: Unterscheidung in Wechselverbände (werden abends abgewickelt und täglich neu angelegt) und Dauerverbände (diese unterstützen Tag und Nacht den Blutrückstrom)

l 21

Prophylaxen

! Merke Kompression

Kompressionsstrümpfe und -verbände sind kontraindiziert bei kritischen peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen, schweren Neuropathien, ausgeprägten peripheren Ödemen und lokalen Defekten, Nekrosen und Verletzungen.

21.10 Kontrakturenprophylaxe Definition Kontraktur

21.10.3 Maßnahmen zur Kontrakturprophylaxe ▶ Tab. 21.2 zeigt häufige Risikofaktoren und Beispiele für pflegerische Maßnahmen zur Vermeidung einer Kontraktur. Es gilt der Grundsatz: Bewegung, Bewegung, Bewegung!

21.11 Intertrigoprophylaxe

Bei einer Kontraktur kommt es durch Degeneration (Schrumpfung, Verkürzung) von Muskeln, Sehnen oder Bändern zu Funktions- und Bewegungseinschränkung eines Gelenks. Der Patient kann das betroffene Gelenk nur eingeschränkt oder gar nicht mehr aktiv bewegen.

Definition Intertrigo

21.10.1 Risikofaktoren

21.11.1 Risikofaktoren









Immobilität bzw. eingeschränkte Mobilität (z. B. bei Bettlägerigkeit) Schmerzen, Fehl- und Schonhaltung eines Gelenks, bestimmte Medikamente (Neuroleptika) Bei Demenz, Multimorbidität oder Apoplex besteht ein hohes Kontrakturrisiko. Die meisten Kontrakturen entstehen im Schulter- und Kniegelenk. In der Langzeitpflege kann es auch zum Spitzfuß kommen.

21.10.2 Kontrakturrisiko einschätzen Zur Einschätzung des Kontrakturrisikos können u. a. komplexe Instrumente wie das „Resident Assessment Instrument (RAI)“ oder das „Geriatrische Bases-Assessment (GBA)“ hinzugezogen werden. Auch Mobilitätsassessmentinstrumente wie „MOTPA“ oder „EBoMo“ eignen sich für die ergänzende Einschätzung.

Die Intertrigo ist eine stark gerötete, nässende Läsion der Haut, die v. a. im Bereich von Hautfalten auftritt. Die Haut juckt und brennt. Durch die vorgeschädigte Haut kann es leicht zu Pilz- oder bakteriellen Infektionen kommen.

● ● ● ● ●

Adipositas starkes Schwitzen Inkontinenz Diabetes mellitus unzureichende Körperpflege

21.11.2 Intertrigogefährdete Körperstellen ●



Kinder: z. B. Hals, Achseln, Ellenbeuge, Oberschenkel, Leiste, Analfalte Erwachsene: z. B. Leisten, Bauch, Brust, Achseln, Analfalte, Zehenzwischenräume, Skrotum

Tab. 21.2 Pflegerische Maßnahmen, die das Kontrakturrisiko reduzieren. Risikofaktor

Beispiele für pflegerische Interventionen

Immobilität und demenzielle Abbauprozesse



falsche oder fehlende Positionierung







Schmerzen und Schonhaltung

● ●

ruhigstellende Medikamente

154

passives und aktives Bewegen der Arme und Beine Patient soll so viel wie möglich selbst übernehmen, z. B. bei der Körperpflege. auf korrekte Positionierung achten nach dem Prinzip „Muskeltonus abgeben erhält Bewegung“ auf aufrechtes Sitzen achten Schmerzursachen analysieren, medikamentöse Schmerztherapie abklären alltagspraktische Übungen einbinden (z. B. Gegenstand von Boden aufheben)

interdisziplinäre Zusammenarbeit: Sind alle verordneten Medikamente notwendig (Stichwort: Polypharmazie, sedierende Wirkung)?

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Prophylaxen

! Merke Kompression

Kompressionsstrümpfe und -verbände sind kontraindiziert bei kritischen peripheren arteriellen Durchblutungsstörungen, schweren Neuropathien, ausgeprägten peripheren Ödemen und lokalen Defekten, Nekrosen und Verletzungen.

21.10 Kontrakturenprophylaxe Definition Kontraktur

21.10.3 Maßnahmen zur Kontrakturprophylaxe ▶ Tab. 21.2 zeigt häufige Risikofaktoren und Beispiele für pflegerische Maßnahmen zur Vermeidung einer Kontraktur. Es gilt der Grundsatz: Bewegung, Bewegung, Bewegung!

21.11 Intertrigoprophylaxe

Bei einer Kontraktur kommt es durch Degeneration (Schrumpfung, Verkürzung) von Muskeln, Sehnen oder Bändern zu Funktions- und Bewegungseinschränkung eines Gelenks. Der Patient kann das betroffene Gelenk nur eingeschränkt oder gar nicht mehr aktiv bewegen.

Definition Intertrigo

21.10.1 Risikofaktoren

21.11.1 Risikofaktoren









Immobilität bzw. eingeschränkte Mobilität (z. B. bei Bettlägerigkeit) Schmerzen, Fehl- und Schonhaltung eines Gelenks, bestimmte Medikamente (Neuroleptika) Bei Demenz, Multimorbidität oder Apoplex besteht ein hohes Kontrakturrisiko. Die meisten Kontrakturen entstehen im Schulter- und Kniegelenk. In der Langzeitpflege kann es auch zum Spitzfuß kommen.

21.10.2 Kontrakturrisiko einschätzen Zur Einschätzung des Kontrakturrisikos können u. a. komplexe Instrumente wie das „Resident Assessment Instrument (RAI)“ oder das „Geriatrische Bases-Assessment (GBA)“ hinzugezogen werden. Auch Mobilitätsassessmentinstrumente wie „MOTPA“ oder „EBoMo“ eignen sich für die ergänzende Einschätzung.

Die Intertrigo ist eine stark gerötete, nässende Läsion der Haut, die v. a. im Bereich von Hautfalten auftritt. Die Haut juckt und brennt. Durch die vorgeschädigte Haut kann es leicht zu Pilz- oder bakteriellen Infektionen kommen.

● ● ● ● ●

Adipositas starkes Schwitzen Inkontinenz Diabetes mellitus unzureichende Körperpflege

21.11.2 Intertrigogefährdete Körperstellen ●



Kinder: z. B. Hals, Achseln, Ellenbeuge, Oberschenkel, Leiste, Analfalte Erwachsene: z. B. Leisten, Bauch, Brust, Achseln, Analfalte, Zehenzwischenräume, Skrotum

Tab. 21.2 Pflegerische Maßnahmen, die das Kontrakturrisiko reduzieren. Risikofaktor

Beispiele für pflegerische Interventionen

Immobilität und demenzielle Abbauprozesse



falsche oder fehlende Positionierung







Schmerzen und Schonhaltung

● ●

ruhigstellende Medikamente

154

passives und aktives Bewegen der Arme und Beine Patient soll so viel wie möglich selbst übernehmen, z. B. bei der Körperpflege. auf korrekte Positionierung achten nach dem Prinzip „Muskeltonus abgeben erhält Bewegung“ auf aufrechtes Sitzen achten Schmerzursachen analysieren, medikamentöse Schmerztherapie abklären alltagspraktische Übungen einbinden (z. B. Gegenstand von Boden aufheben)

interdisziplinäre Zusammenarbeit: Sind alle verordneten Medikamente notwendig (Stichwort: Polypharmazie, sedierende Wirkung)?

Intertrigoprophylaxe

21.11.3 Intertrigorisiko einschätzen Bei der Einschätzung des Intertrigorisikos können folgende Fragen helfen: ● Schwitzt der Patient stark? ● Besteht eine Inkontinenz? ● Gibt es Vorerkrankungen, die eine Intertrigo begünstigen? ● Wie ist der aktuelle Haut- und Körperpflegezustand? ● Liegt Haut auf Haut?

21.11.4 Maßnahmen zur Intertrigoprophylaxe ●





● ● ● ●



Haut und Hautfalten sorgfältig abtrocknen (nicht reiben, sondern tupfen!) sorgfältige Hautbeobachtung, gefährdete Hautstellen häufiger kontrollieren kein Puder oder Zinkpaste anwenden (verstärkt Hautschädigung) ggf. Baumwollkompressen zwischen Hautfalten einlegen geeignetes Hautpflegeprodukt verwenden bei Inkontinenz: Inkontinenzhilfsmittel regelmäßig wechseln leichte, atmungsaktive und hautfreundliche Kleidung tragen (z. B. aus Baumwolle) verschwitzte Kleidung wechseln

Ziele: intakte Hautverhältnisse erhalten, Feuchtigkeitsansammlungen und Reibung vermeiden

KOMPAK T Prophylaxen Keine Prophylaxe ist wichtiger als die andere, aber zwischen allen Prophylaxen bestehen Zusammenhänge! Der Kern aller Prophylaxen ist die Bewegung! Maßnahmen: ● Dekubitusprophylaxe: Mobilisation, Hautpflege, Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Risikofaktoren reduzieren, druckverteilende Hilfsmittel ● Prophylaxe der Bettlägerigkeit: z. B. Sturzprophylaxe, gezielt Reize schaffen, zur Bewegung motivieren, informieren über Mobilisation, Mobiliar und Hilfsmittel ● Obstipationsprophylaxe: z. B. Prä- und Probiotika, Defäkationsrituale gewährleisten, ggf. Laxanzien ● Soor- und Parotitisprophylaxe: z. B. 2-mal täglich Zähne bzw. Prothesen putzen, Mundspüllösungen, ausreichend Flüssigkeit ● Deprivationsprophylaxe: reizvolle und angemessene Umgebung gestalten, z. B. mithilfe von Basaler Stimulation, Blumen, Musik ● Sturzprophylaxe: Risikofaktoren reduzieren, z. B. Muskelschwäche, Sturzangst, Harninkontinenz, Diarrhö, eingeschränkte Seh- und Hörfähigkeit, Stolperfallen, Medikamente ● Prophylaxe der Mangelernährung: z. B. Wunschessen und Rituale beachten, natürliche Essumgebung schaffen, erhöhten Energiebedarf berücksichtigen ● Pneumonieprophylaxe: z. B. sekretmobilisierende Maßnahmen, Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Absaugen, Medikamente, Positionierung ● Thromboseprophylaxe: z. B. Frühmobilisation, Bewegungsübungen, MTPS, Kompressionsverbände ● Kontrakturenprophylaxe: z. B. passives und aktives Bewegen, alltagspraktische Übungen, Schmerzmanagement ● Intertrigoprophylaxe: z. B. Haut und Hautfalten gründlich abtrocknen (tupfen, nicht reiben!), sorgfältige Hautbeobachtung, atmungsaktive Kleidung

5 ieme

Pflegetechniken 22 Umgang mit Blasenkathetern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 23 Injektionen und Blutentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 24 Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 25 Pflege von Patienten mit Sonden und Drainagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 26 Pflege bei Punktionen und Biopsien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 27 Darmeinläufe und Stomapflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 28 Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 29 Wundmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 30 Verbandtechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Transurethraler Blasenkatheter

22.1 Transurethraler Blasenkatheter 22.1.1 Grundlagen Definition Transurethraler Blasenkatheter Ein transurethraler Blasenkatheter wird durch die Harnröhre (Urethra) in die Blase eingeführt und dient der vorübergehenden künstlichen Harnableitung.

Katheteranlage Indikationen • Die Indikation für einen transurethralen Blasenkatheter muss medizinisch begründet sein und regelmäßig evaluiert werden! ● Therapeutisch werden Harnkatheter eingesetzt bei Blasenentleerungsstörungen, Harnabflussbehinderungen unterhalb der Blase, Prostatavergrößerungen, lang andauernden Operationen, großen abdominalen Operationen oder Blasenspülungen. ● Diagnostisch benötigt man Harnkatheter, um Harnblase (Zystogramm) und Harnröhre (Urethrogramm) darzustellen, Kontrastmittel zu instillieren, die Harnausscheidung zu bilanzieren oder die Nierenfunktion zu überwachen. Kontraindikationen • Harnröhrenabriss, nicht passierbare Harnröhrenverengungen oder eine akute Prostatitis. Komplikationen • Keimverschleppung mit Infektionen von Harnröhre, Harnblase sowie einer aufsteigenden Infektion der Niere. Bei Männern: Infektion der Prostata (Prostatitis) und des Nebenhodens. Harnröhrenstrikturen (Harnröhrenverengungen).

Katheterarten Einmalkatheter • Einmalkatheter sind aus Polyvinylchlorid (PVC). PVC beinhaltet Weichmacher. Bei längerer Liegezeit entweichen die Weichmacher und der Katheter wird hart, deshalb ist er nur zur einmaligen Harnableitung geeignet.

Kathetergrößen und Katheterspitzen Kathetergrößen • Kathetergrößen werden in Charrière (Ch.) angegeben. 1 Charrière entspricht 0,33 mm. Die üblichen Kathetergrößen liegen bei Männern zwischen 14 und 18 Ch., bei Frauen zwischen 12 und 14 Ch. und bei Kindern zwischen 8 und 10 Ch. Katheterspitzen • Der schnabelförmige Tiemann-Typ wird als Einmalkatheter bei Männern verwendet. Der Nélaton-Typ wird bei beiden Geschlechtern eingesetzt.

22.1.2 Transurethralen Blasenkatheter legen Das Legen eines transurethralen Blasenkatheters wird in ▶ Tab. 22.1 beschrieben. Um ein aseptisches Vorgehen sicherzustellen, wird die Durchführung durch 2 Pflegekräfte empfohlen.

22.1.3 Pflege bei transurethralem Blasenkatheter Körperpflege und Intimpflege 2-mal täglich Intimtoilette mit Einmalwaschlappen und Wasser durchführen. Wenn sich Borken gebildet haben, müssen diese entfernt werden, um Infektionen vorzubeugen. Bei Verunreinigung z. B. durch Stuhl muss mit einem Schleimhautdesinfektionsmittel (z. B. Octenisept) gesäubert werden.

Flüssigkeitszufuhr ●



Patient sollte 2–3 Liter pro Tag trinken (falls keine Kontraindikation besteht), hierdurch wird die Blase gespült, das Infektionsrisiko sinkt und Verkrustungen am Katheter werden vorgebeugt. ggf. ist eine Ein- und Ausfuhrbilanz notwendig (z. B. bei Herzinsuffizienz).

Dauerkatheter (Blasenverweilkatheter) ● Katheter aus Latex sind sehr weich und kostengünstig, verkrusten aber schnell und deshalb besteht die Gefahr, dass sie verstopfen. Eine Liegezeit von einer Woche sollte daher nicht überschritten werden. ● Katheter aus Polyurethan sind eine latexfreie Alternative, jedoch nicht so gut verträglich wie Katheter aus Silikon. Katheter aus Silikon sind dagegen gut verträglich (= gute Biokompatibilität). Beide Katheter dürfen je nach Herstellerangabe nicht länger als 4–6 Wochen liegen. ● Blockung: Dauerkatheter sind Zwei-Lumen-Katheter. Ein Lumen dient der Harnableitung, über das andere wird ein Ballon mit sterilem Aqua destillata gefüllt, wodurch der Katheter in der Blase fixiert wird. Die Füllmenge beträgt i. d. R. 8–10 ml. Die Blockung erfolgt in der Harnblase und dichtet den Blasenausgang zur Harnröhre ab.

Katheterpflege

Spülkatheter • Spülkatheter verfügen über 3 Lumen. Das dritte Lumen ist zum Spülen der Blase.

Zur Blasenspülung wird i. d. R. eine physiologische Kochsalzlösung verwendet.











vor jedem Kontakt mit dem Katheter: Händedesinfektion durchführen (ggf. Schutzhandschuhe) Pflegende achten auf Menge, Farbe, Konzentration und Beimengungen des Urins. Ableitungssystem immer zugfrei, ohne durchhängende Schlaufen, unterhalb des Blasenniveaus anbringen und Diskonnektion vermeiden auf ungehinderten Urinabfluss achten (Vorsicht: Abknicken des Katheters vermeiden) Urinbeutel regelmäßig (1-mal pro Schicht) und vor jedem Transport des Patienten leeren

22.1.4 Blasenspülung durchführen

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Umgang mit Blasenkathetern Tab. 22.1 Transurethralen Blasenkatheter legen: Material, Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge. Vorbereitung und Durchführung Material 2 sterile Katheter (Erwachsener ≤ 18 Ch.), steriler Urinbeutel (bei Dauerkatheteranlage), unsterile Handschuhe und Schutzschürze, Schleimhautdesinfektionsmittel (z. B. Octenisept®), Schutzunterlage, Auffangschale, Lochtuch*, Tupferschale mit 6 Kugeltupfern*, sterile Handschuhe (3 x)*, anästhesierendes Gleitmittel (z. B. Instillagel®), 1 Fertigspritze mit 10 ml Aqua dest. zum Blocken* Vorbereitung ● ● ● ● ● ●

Patienten über Maßnahme und Ablauf aufklären auf Raumtemperatur achten, Fenster und Türen schließen, Mitpatienten wenn möglich aus dem Zimmer bitten Intimtoilette durchführen (lassen) rückenschonende Arbeitshöhe beachten Arbeitsfläche desinfizieren und Abwurf bereitstellen Materialien griffbereit legen (entsprechend dem Ablauf) und sinnvoll anordnen (sterile Materialien patientenfern und unsterile patientennah)

Durchführung** Frau ● ●

Mann

hygienische Händedesinfektion durchführen und Schutzschürze anlegen Patienten beim Einnehmen der Rückenlage unterstützen und Schutzunterlage unter dem Gesäß platzieren



Beine in gebeugter Haltung spreizen (lassen), ggf. Gesäß mit einem Kissen unterlagern





auf Wunsch den Oberkörper zudecken und leicht erhöht positionieren hygienische Händedesinfektion durchführen unter aseptischen Bedingungen das Katheterset öffnen das Verpackungstuch als sterile Unterlage auf der desinfizierten Arbeitsfläche ausbreiten falls kein bestücktes Katheterset vorhanden: steril verpackte Materialien öffnen und aseptisch auf die sterile Fläche gleiten lassen Verpackung des Katheters öffnen (oberen perforierten Teil) und vorsichtig auf die sterile Arbeitsfläche gleiten lassen Arbeitsmaterialien so platzieren, dass alle Materialien mit der sterilen Hand gut erreichbar sind unsterile Handschuhe anziehen und das sterile Lochtuch an den Rändern entnehmen und so platzieren, dass …



der Genitalbereich (Vulva) gut sichtbar ist





Kugeltupfer mit Schleimhautdesinfektionsmittel tränken (lassen) unsterile Handschuhe ausziehen, Hände desinfizieren und sterile Handschuhe anziehen (Rechtshänder ziehen rechts zwei sterile Handschuhe übereinander, Linkshänder links) mit der linken Hand ...



... die großen Schamlippen spreizen



Die Hand verbleibt bis nach Einführen des Katheters in dieser Position. Vorsicht: Die linke Hand ist nun unsteril! die Kugeltupfer entnehmen. Vorsicht: Mit jedem Tupfer nur einmal wischen!

● ● ● ● ● ●



● ●



● ● ● ●

große Schamlippen und Symphyse in Richtung Anus (von vorne nach hinten) desinfizieren kleine Schamlippen und Harnröhrenmündung desinfizieren letzten Tupfer vor die Scheidenöffnung legen











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der Penis auf dem Lochtuch aufliegt

... den Penis fassen und Vorhaut zurückziehen, bis die Harnröhre freiliegt

die Eichel rundherum von oben nach unten in Richtung Peniswurzel desinfizieren (3x) mit einem weiteren Tupfer die Harnröhrenöffnung desinfizieren

Einwirkzeit des Schleimhautdesinfektionsmittels beachten (z. B. Octenisept 1 Min.)! sterilen Handschuh rechts ausziehen lassen, den darunterliegenden sterilen Handschuh belassen das Gleitgel mit der sterilen Hand auf die Katheterspitze geben







Das Becken ist gestreckt oder durch ein Kissen leicht angehoben

Schamlippen mit der linken (unsterilen) Hand spreizen und den Katheter mit der rechten (sterilen) Hand in die Harnröhre einführen, bis Urin fließt



wenig Gleitgel mit der sterilen Hand auf die Katheterspitze und die Harnröhrenöffnung geben Konus der Gleitmittelspritze auf die Harnröhrenöffnung aufsetzen und das Gleitmittel vorsichtig applizieren Penis mit der linken (unsterilen) Hand senkrecht halten und den Katheter mit der rechten (sterilen Hand) in die Harnröhre einführen, bis ein Widerstand spürbar ist. Dann wird der Penisschaft leicht nach vorne (Richtung Beine) gezogen, um den Widerstand zu überbrücken. Katheter behutsam vorschieben, bis Urin fließt

Intermittierender Selbstkatheterismus

Tab. 22.1 Fortsetzung Vorbereitung und Durchführung ●

Der Vorgang muss abgebrochen und der Katheter verworfen werden, wenn ... – der Katheter unsteril geworden ist (z. B. durch Kontakt mit unsterilen Hautregionen) – das Einführen nicht beim ersten Versuch klappt (ggf. zweiten Katheter bereitstellen) – Schmerzen oder ein spürbares Hindernis beim Einführen auftreten (Vorsicht: Prostatahyperplasie)



Katheter blocken (i. d. R. 8–10 ml Aqua dest., kein NaCl! Herstellerangaben beachten!) und vorsichtig zurückziehen Katheter mit der Dauerkatheteranlage konnektieren (alternativ kann auch vor dem Einführen die Konnektion erfolgen) Vorsicht: nicht mehr als 500 ml Urin pro Stunde ablassen (durch die plötzliche Druckentlastung kann es sonst zu Blutungen an der Blasenschleimhaut kommen); sind 500 ml abgelaufen, Katheterschlauch des Urinbeutels abklemmen und ca. ½−1 Stunde warten

● ●

Nachsorge ● ●

● ●

Intimtoilette durchführen. Beim Mann: Vorhaut wieder über die Eichel schieben (Paraphimose!) Patienten nach Wohlbefinden fragen, beim Ankleiden und bequemer Positionierung unterstützen und über den Umgang mit dem Katheter informieren und darin anleiten (s. u.) Arbeitsflächen desinfizieren und Materialien aufräumen Dokumentation: Datum, Katheterart und Größe (Charrière), Menge der applizierten Blockungsflüssigkeit, Menge des abgelassenen Urins, Besonderheiten bei der Durchführung, Indikation, Handzeichen der Pflegefachkraft

* Material i. d. R. im sterilen Katheterset enthalten ** Die Durchführung ist für Rechtshänder beschrieben. Linkshänder nehmen entsprechend die „andere“ Hand.

Indikationen Nach urogenitalen Operationen, bei Koagelbildung oder Blutung im Bereich der Blase, der Harnleiter, der Niere.

Spülgeschwindigkeit Spülungen nach Blutungen und Koagelbildung sollten mit einer höheren Geschwindigkeit einlaufen als bei der Instillation von Medikamenten. Hier ist eine längere Verweilzeit in der Blase gewünscht, damit das Medikament über die Blasenschleimhaut wirken kann.

Beobachtung Die ablaufende Spülmenge wird auf Farbe, Menge und Beimengungen beobachtet. Ist der Katheter verstopft, wird mit einer NaCl-Lösung angespült. Die Menge der eingelaufenen Spülmenge muss über das abführende Lumen des Katheters wieder ablaufen. Zur Überwachung wird eine Ein- und Ausfuhrbilanz erstellt.

22.1.5 Transurethralen Dauerkatheter entfernen ● ●





● ●

Patienten über Maßnahme und Ablauf aufklären auf Raumtemperatur achten, Fenster und Türen schließen, Mitpatienten wenn möglich aus dem Zimmer bitten, ggf. Sichtschutz aufstellen Patienten beim Einnehmen der Rückenlage unterstützen, ggf. Bettschutz unterlegen Abwurf bereitstellen und rückenschonende Arbeitshöhe beachten Hände desinfizieren und unsterile Handschuhe anziehen mit Spritze Katheter vollständig entblocken und Katheter vorsichtig entfernen

● ●

Intimtoilette durchführen (lassen) in den nächsten Stunden auf spontanes Wasserlassen achten und dokumentieren

22.2 Intermittierender Selbstkatheterismus 22.2.1 Grundlagen Definition Intermittierender Selbstkatheterismus Beim intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK) katheterisiert der Patient die Harnblase mehrfach täglich selbst (ca. 4–6-mal in 24 Stunden).

Indikationen ● ●

neurogene Blasenentleerungsstörung chronische Restharnbildung, z. B. bei Querschnittlähmung, Spina bifida, Multiple Sklerose

Kontraindikationen ● ●

Verletzungen der Harnröhre oder der Blase (Blut im Urin) Harnröhrenstriktur (Verengung der Harnröhre)

Vorteile Vorteile des ISK im Vergleich zur dauerhaften Harnableitung (transurethraler Blasenkatheter): ● mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im Alltag ● geringere Komplikationsrate (z. B. Harnwegsinfektionen) ● Erhalt der Speicher- und Entleerungsfunktion der Blase

Intermittierender Selbstkatheterismus

Tab. 22.1 Fortsetzung Vorbereitung und Durchführung ●

Der Vorgang muss abgebrochen und der Katheter verworfen werden, wenn ... – der Katheter unsteril geworden ist (z. B. durch Kontakt mit unsterilen Hautregionen) – das Einführen nicht beim ersten Versuch klappt (ggf. zweiten Katheter bereitstellen) – Schmerzen oder ein spürbares Hindernis beim Einführen auftreten (Vorsicht: Prostatahyperplasie)



Katheter blocken (i. d. R. 8–10 ml Aqua dest., kein NaCl! Herstellerangaben beachten!) und vorsichtig zurückziehen Katheter mit der Dauerkatheteranlage konnektieren (alternativ kann auch vor dem Einführen die Konnektion erfolgen) Vorsicht: nicht mehr als 500 ml Urin pro Stunde ablassen (durch die plötzliche Druckentlastung kann es sonst zu Blutungen an der Blasenschleimhaut kommen); sind 500 ml abgelaufen, Katheterschlauch des Urinbeutels abklemmen und ca. ½−1 Stunde warten

● ●

Nachsorge ● ●

● ●

Intimtoilette durchführen. Beim Mann: Vorhaut wieder über die Eichel schieben (Paraphimose!) Patienten nach Wohlbefinden fragen, beim Ankleiden und bequemer Positionierung unterstützen und über den Umgang mit dem Katheter informieren und darin anleiten (s. u.) Arbeitsflächen desinfizieren und Materialien aufräumen Dokumentation: Datum, Katheterart und Größe (Charrière), Menge der applizierten Blockungsflüssigkeit, Menge des abgelassenen Urins, Besonderheiten bei der Durchführung, Indikation, Handzeichen der Pflegefachkraft

* Material i. d. R. im sterilen Katheterset enthalten ** Die Durchführung ist für Rechtshänder beschrieben. Linkshänder nehmen entsprechend die „andere“ Hand.

Indikationen Nach urogenitalen Operationen, bei Koagelbildung oder Blutung im Bereich der Blase, der Harnleiter, der Niere.

Spülgeschwindigkeit Spülungen nach Blutungen und Koagelbildung sollten mit einer höheren Geschwindigkeit einlaufen als bei der Instillation von Medikamenten. Hier ist eine längere Verweilzeit in der Blase gewünscht, damit das Medikament über die Blasenschleimhaut wirken kann.

Beobachtung Die ablaufende Spülmenge wird auf Farbe, Menge und Beimengungen beobachtet. Ist der Katheter verstopft, wird mit einer NaCl-Lösung angespült. Die Menge der eingelaufenen Spülmenge muss über das abführende Lumen des Katheters wieder ablaufen. Zur Überwachung wird eine Ein- und Ausfuhrbilanz erstellt.

22.1.5 Transurethralen Dauerkatheter entfernen ● ●





● ●

Patienten über Maßnahme und Ablauf aufklären auf Raumtemperatur achten, Fenster und Türen schließen, Mitpatienten wenn möglich aus dem Zimmer bitten, ggf. Sichtschutz aufstellen Patienten beim Einnehmen der Rückenlage unterstützen, ggf. Bettschutz unterlegen Abwurf bereitstellen und rückenschonende Arbeitshöhe beachten Hände desinfizieren und unsterile Handschuhe anziehen mit Spritze Katheter vollständig entblocken und Katheter vorsichtig entfernen

● ●

Intimtoilette durchführen (lassen) in den nächsten Stunden auf spontanes Wasserlassen achten und dokumentieren

22.2 Intermittierender Selbstkatheterismus 22.2.1 Grundlagen Definition Intermittierender Selbstkatheterismus Beim intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK) katheterisiert der Patient die Harnblase mehrfach täglich selbst (ca. 4–6-mal in 24 Stunden).

Indikationen ● ●

neurogene Blasenentleerungsstörung chronische Restharnbildung, z. B. bei Querschnittlähmung, Spina bifida, Multiple Sklerose

Kontraindikationen ● ●

Verletzungen der Harnröhre oder der Blase (Blut im Urin) Harnröhrenstriktur (Verengung der Harnröhre)

Vorteile Vorteile des ISK im Vergleich zur dauerhaften Harnableitung (transurethraler Blasenkatheter): ● mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im Alltag ● geringere Komplikationsrate (z. B. Harnwegsinfektionen) ● Erhalt der Speicher- und Entleerungsfunktion der Blase

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Umgang mit Blasenkathetern

Anleitung Ist der Patient ausreichend mobil und kognitiv in der Lage, den Selbstkatheterismus zu erlernen, gilt es bei der Anleitung folgende Grundsätze zu beachten: ● für ruhige Umgebung sorgen (Schild: Bitte nicht stören!) ● professionelle, vertrauensvolle Beziehung aufbauen ● Ablauf Schritt für Schritt erklären. Katheterismus am Modell demonstrieren, den Patienten dabei zunehmend in die Durchführung miteinbeziehen. Ziel ist die sichere, selbständige Durchführung (Handlungskompetenz) ● Zeit für Fragen lassen ● über Hilfsmittel zur Katheterisierung informieren (z. B. Spiegel für Frauen) ● über Katheterisierung im häuslichen Umfeld informieren (z. B. Ablauf, Hygiene, Häufigkeit der Katheterisierung etc.) ● über unterschiedliche Kathetersysteme informieren ● auf Sorgen und Ängste eingehen

22.3 Suprapubischer Blasenkatheter 22.3.1 Grundlagen Definition Suprapubischer Blasenkatheter Der suprapubische Blasenkatheter (SPK) wird durch die Bauchdecke direkt in die Blase gelegt und dient der dauerhaften Harnableitung.

22.3.2 Anlage eines suprapubischen Katheters Vorbereitung ●

● ●



Material ●



Kontraindikationen Raumfordernde Prozesse im Unterbauch, z. B. Blasentumoren, Blutgerinnungsstörungen, Schwangerschaft, Hauterkrankungen im Punktionsbereich.

Für kurzen Einsatz wird meist ein Einwegkatheter aus Polyurethan verwendet. Bei längerem Einsatz über Wochen wird ein Silikonkatheter mit Ballonblockung verwendet.

Pflegemaßnahmen nach Anlage ● ●





Indikationen Wenn der Harn längerfristig abgeleitet werden soll, bei großen Rektum- und Dickdarmoperationen, da es aufgrund von Nervenirritationen zu Blasenentleerungsstörungen kommt. Bei Querschnittlähmung, Polytraumen, Harnröhrenverletzungen oder Stenosen, z. B. Prostatavergrößerung, neurogenen Blasenentleerungsstörungen.

gerinnungshemmende Medikamente nach Rücksprache mit Arzt rechtzeitig absetzen Gerinnungskontrolle im Labor Rasur des Unterbauchs und Waschen des Operationsgebietes Wenn keine Kontraindikation vorliegt, dem Patienten 0,5– 1 Liter Flüssigkeit verabreichen: In der Blase müssen mindestens 200 ml enthalten sein, damit der SPK gelegt werden kann.





Verband auf Nachblutung kontrollieren sicherstellen, dass Urin ungehindert ablaufen kann (z. B. Ablaufbeutel unter Blasenniveau) sicherstellen, dass kein Zug auf dem Katheter ist, sonst wird Einstichstelle gereizt auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von 2–3 Litern achten, wenn nicht kontraindiziert (z. B. bei Herzinsuffizienz) forcierte Diurese ist wichtig, damit Harnsalze, Blutkoagel oder andere Makromoleküle den Katheter nicht verstopfen Katheter nie diskonnektieren, da sonst Gefahr der Keimbesiedelung besteht

Verbandwechsel ● ●



am Anfang täglicher Verbandwechsel wenn die Wunde trocken ist, nicht nachblutet und kein seröses Exsudat austritt, Verbandwechsel alle 2 Tage ist Austrittstelle gerötet, sezerniert oder infiziert, täglicher Verbandwechsel

Vorteile Geringes Infektionsrisiko, kein Verletzungsrisiko für die Harnröhre, Vermeidung von Harnröhrenstrikturen, Spontanmiktion mit Restharnbestimmung möglich, Blasentraining möglich, da der Schließmuskel der Blase nicht durch einen Katheter beeinträchtigt ist.

Durchführung ●



Nachteile Kein Spülkatheter möglich, Blutungsgefahr, Fehlpunktion.





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Kathetereinstichstelle und Umgebung werden auf Rötung, Schwellung, Verkrustung und evtl. Sekretbildung aus dem Einstichkanal inspiziert. Kathetereinstichstelle und umliegendes Areal werden von innen nach außen mit Hautdesinfektionsmittel desinfiziert (Einwirkzeit von mindestens 30 Sekunden beachten). Schlitzkompresse anbringen und mit normaler Kompresse abdecken sowie Fixierung mit Fixierpflaster Bei reizloser Wunde kann nach 3–4 Tagen ein transparentes Pflaster verwendet werden.

Suprapubischer Blasenkatheter

22.3.3 Entfernen eines SPK Sind die Restharnwerte unauffällig (< 100 ml), wird der SPK auf Arztanordnung entfernt. Die Einstichstelle wird mit einem Druckverband versorgt. Kompressen werden auf die Einstichstelle gedrückt und mit Fixomullstretch-Pflaster befestigt. Nach Entfernen des SPK sollte der Patient ca. 1 Stunde lang liegen. Läuft viel Urin aus der Einstichstelle, kann für ca. 1 Stunde ein Sandsack zur Kompressionsunterstützung aufgelegt werden. Normalerweise ist die Einstichstelle nach ca. 24 Stunden verschlossen und der Druckverband kann entfernt werden.

KOMPAK T Umgang mit Blasenkathetern Das größte Risiko bei der Anlage eines transurethralen Blasenkatheters sind die Keimverschleppung mit Infektion von Harnröhre und Harnblase sowie eine aufsteigende Infektion der Niere. Daher hat im Umgang mit Blasenkathetern eine strenge hygienische Arbeitsweise höchste Priorität – besonders beim Legen eines Blasenkatheters, aber auch bei der Pflege bei liegendem DK: ● vor jedem Kontakt mit dem Katheter: Händedesinfektion durchführen (ggf. Schutzhandschuhe) ● 2-mal täglich Intimtoilette durchführen (lassen), Schleimhautdesinfektion (z. B. Octenisept) bei Verunreinigungen ● Flüssigkeitszufuhr von 2–3 Litern ● Beobachtung des Urins (Menge, Farbe, Konzentration und Beimengungen) ● Ableitungssystem immer zugfrei, ohne durchhängende Schlaufen, unterhalb des Blasenniveaus anbringen und Diskonnektion vermeiden ● Urinbeutel regelmäßig (1-mal pro Schicht) und vor jedem Transport des Patienten leeren

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Injektionen und Blutentnahme

Ohrläppchen Fingerbeere

Unterarm

BGA

Ferse

BZ

Ellenbeuge Punktionsstellen

Indikation,

aus zentralvenösen Kathetern und Kanülen

Punktionsstelle, z.B.

keine Infusion

Fehlerquellen, z.B.

kapillar

venös kein Lymphödem

Lagerungsfehler zu lange Stauung

Blutentnahme

falsches Patientenetikett

kein Shunt Injektionen 6-R-Regel beachten

exakte Dosierung nötig

Einwilligung einholen

lokale Wirkung notwendig

Durchführungsverantwortung

orale Aufnahme nicht möglich

Händehygiene

rascher Wirkungseintritt erforderlich

Indikation, z.B.

Komplikationen, z.B.

Injektionsarten, z.B.

z.B. Diuretika, Nitrolingual i. v.

Hämatome

i. m.

Abszess s.c.

z.B. Insulin, Heparin Kontraindikation

z.B. am betroffenen Arm Kontraindikation, z.B.

Injektionsort z.B. Oberschenkel

Kontraindikation

z.B. Hormonpräparate

Shunt z.B. gestörte Hautdurchblutung

gesteigerte Blutungsneigung

V. a. Herzinfarkt

Z. n. Lymphknotenentfernung

Injektionen

23.1 Injektionen Definition Injektion Bei einer Injektion werden sterile Flüssigkeiten mithilfe einer Spritze und einer dünnen Hohlnadel in das Gewebe gespritzt. Je nach Applikationsart und -ort werden zwischen 0,1 und 20 ml Flüssigkeit injiziert.

23.1.1 Injektionsarten Injektionen werden normalerweise nach ihrem Applikationsort unterschieden: ● intrakutane Injektion: Bei einer i. c.-Injektion werden geringe Flüssigkeitsmengen in die Epidermis (Oberhaut) injiziert, z. B. bei Allergie- oder Tuberkulintests. ● subkutane Injektion: Bei einer s. c.-Injektion wird die Flüssigkeit in die Subkutis (Unterhautfettgewebe) injiziert, z. B. zur Insulingabe oder Thromboseprophylaxe. ● intramuskuläre Injektion: Bei einer i. m.-Injektion wird in einen Muskel injiziert. Intramuskulär wird z. B. injiziert bei Impfungen, zur Schmerztherapie oder bei Resorptionsstörungen von Vitamin B12, B6 und Folsäure bei Magenteilresektionen. ● intravenöse Injektion: Bei der i. v.-Injektion wird durch die Punktion einer Vene ein Medikament in die venöse Blutbahn injiziert. Anwendung, wenn ein rascher Wirkungseintritt erwünscht ist, z. B. auf Intensivstationen, in Notfallsituationen, nach Operationen.

verantwortung liegt bei Pflegenden, wenn sie die Injektion durchführen. Führt eine Pflegefachkraft eine Injektion aus, muss sie die Wirkungen und Nebenwirkungen des Medikaments kennen. Bei Komplikationen muss die Pflegefachkraft Sofortmaßnahmen einleiten können. Falls eine Pflegefachkraft eine an sie delegierte Injektion nicht fachlich fehlerfrei durchführen kann, muss sie das Weigerungsrecht (Remonstrationsrecht) in Anspruch nehmen und die Aufgabe ablehnen.

23.1.4 Vorbereitung von Injektionen Material Vor dem Richten der Materialien muss eine hygienische Händedesinfektion erfolgen. Folgende Materialien sind zu richten: ● Spritzentablett ● Spritzen ● Aufzieh- und Injektionskanülen ● Injektionslösung (meist Medikament) ● Desinfektionsmittel ● Handschuhe, Tupfer ● Abwurfbehälter ● Material zur Beschriftung

Anordnung überprüfen, Regeln beachten

23.1.2 Vor- und Nachteile von Injektionen



Vorteile Injektionen haben viele Vorteile. Grundsätzlich sind sie indiziert, wenn ● ein schneller Wirkungseintritt ohne Wirkstoffverlust notwendig ist (z. B. in Notfallsituationen), ● keine orale Aufnahme möglich ist (z. B. bei Dysphagie, bewusstseinseingetrübten Patienten), ● eine lokale Wirkung angestrebt wird (z. B. bei der Injektion eines Lokalanästhetikums), ● eine exakte Dosierung nötig ist (z. B. bei Frühgeborenen) oder ● Wirkstoffe über den Magen-Darm-Trakt nicht absorbiert werden (z. B. Insulin).

Nachteile Die Eigenständigkeit der Patienten geht verloren, jemand muss spritzen oder das Spritzen muss gelernt werden. Daneben treten Nebenwirkungen und Komplikationen sowie Verletzungen massiver und schneller auf als bei oraler oder dermaler Applikation.

23.1.3 Rechtliche Bestimmungen Die Injektion ist ein invasiver Eingriff in den Körper eines Menschen und kann ohne Zustimmung des Patienten oder Betreuers als Körperverletzung gewertet werden. Die Anordnungsverantwortung trägt der Arzt. Die Durchführungs-







Beim Richten der Injektion muss die 6-R-Regel beachtet werden: – Richtiger Patient – Richtiges Medikament – Richtige Dosierung – Richtige Applikationsform – Richtiger Zeitpunkt und – Richtige Dokumentation Standards zum Schutz vor toxischen Substanzen müssen beachtet werden, z. B. Umgang mit Chemotherapie. Haltbarkeitsdaten von Materialien müssen überprüft werden. hygienische Händedesinfektion durchführen, Einmalhandschuhe anlegen

Patienten vorbereiten ●

● ●



Pflegende informieren über die Injektion und holen ein mündliches Einverständnis ein. geeignete Injektionsstelle auswählen Patienten bei Bedarf dabei unterstützen, eine angenehme Position einzunehmen: Je entspannter der Patient, desto weniger schmerzhaft ist der Einstich. Injektionsgebiet wird mit Hautdesinfektionsmittel desinfiziert (Einwirkzeit je nach Herstellerangaben beachten).

23.1.5 Injektionsarten Eine Übersicht über die gängigen Injektionsarten gibt ▶ Tab. 23.1.

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Injektionen und Blutentnahme Tab. 23.1 Übersicht über die gängigen Injektionsarten. Subkutane (s. c.-)Injektion

Intramuskuläre (i. m.-)Injektion

Intravenöse (i. v.-)Injektion

Isotone wässrige Lösungen werden injiziert. Resorptionszeit: ca. 30 Min.

Isotone wässrige oder auch ölige Lösungen werden injiziert. Resorptionszeit: ca. 10–20 Min.

Medikament oder Infusionen werden injiziert. Resorptionszeit: sehr kurz

Injektionsorte ●





Bereiche 1. Wahl: Unterbauch, Oberschenkel, Gesäß Bereiche 2. Wahl: Oberbauch, Oberarm bei Langzeitapplikation: Spritzenkalender anlegen







Musculus gluteus medius (mittlerer Gesäßmuskel) Musculus gluteus minimus (kleinerer Gesäßmuskel) Musculus vastus lateralis (äußerer breiter Oberschenkelmuskel)



über venösen Zugang, z. B. Venenverweilkanüle (VVK), Zentralvenenkatheter (ZVK), implantierten Katheter (Port)

allgemein: wie bei s. c.-Injektion Patienten mit gesteigerter Blutungsneigung Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt

Allgemeine Kontraindikationen gibt es nicht, aber: ● Vene nicht punktieren, wenn Shuntanlage geplant ist ● nach Lymphknotenresektion darf Injektion nicht auf betroffener Seite erfolgen

Verwendung von gelben G20-Kanülen (lang), bei sehr kachektischen Patienten kleinere G20–G21-Kanüle (grün) Methoden: ventrogluteale Injektion nach v. Hochstetter oder Crista-Methode (Anwendung v. a. bei Kindern), Oberschenkelinjektion



Durch eine Nervenschädigung können funktionale Einschränkungen und starke Schmerzen entstehen. Hämatombildung Durch Keimverschleppung kann es zur Abszessbildung bis zur generalisierten Sepsis kommen.



Kontraindikationen ● ● ● ●

gestörte Hautdurchblutung Entzündungen oder Ödeme Operationsgebiet Schockzustand

● ● ●

Hinweise zur Durchführung ●







Verwendung von braunen G26-Kanülen (kurz) Hautfalte bilden und im 90°- bzw. bei kachektischen Patienten im 45°Winkel einstechen langsam injizieren und Kanüle zügig entfernen (bei Insulingabe 10 Sek. warten) kein Recapping (Kanülenabwurf verwenden)





● ●

VVK: den Spritzenkonus aufsetzen und Medikament langsam einspritzen ZVK: Dreiwegehahn notwendig bei Port: spezielle Kanüle erforderlich

Komplikationen ● ●



Hämatombildung bei Langzeitanwendung (z. B. bei Diabetikern) kann es zur Lipombildung kommen Durch Keimverschleppung kann es zur Abszessbildung kommen.



● ●

23.2 Blutentnahme

! Merke

Blutentnahme

Die Blutentnahme dient der Diagnosefindung und -stellung, als Verlaufskontrolle von Therapien und zur Beurteilung des Schweregrads einer Erkrankung (Prognosestellung).

23.2.1 Venöse Blutentnahme Die venöse Blutentnahme gehört grundsätzlich zu den ärztlichen Aufgaben, kann aber an Pflegende delegiert werden:

Punktionsstellen Ellenbeuge oder Unterarm (Venen liegen dort oberflächlich). Eventuell Handrücken, aber schmerzhaft, Fußrücken

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● ●

z. B. Entzündung, Nekrosenbildung, durch Fehlinjektion in falsches Gefäß (z. B. Arterie) oder Gewebe (z. B. Subkutis) Infektion, Sepsis Hämatome, Paravasate, Schmerzen

nur in Ausnahmefällen, da Gefahr der Thrombophlebitis hier höher ist (Entzündung der oberflächlichen Venen). Bei der Auswahl der Punktionsstelle muss zusätzlich darauf geachtet werden, dass ● keine Infusion am selben Arm läuft (Risiko verfälschter Werte!), ● kein Shunt oder ● Lymphödem (z. B. nach Mastektomie) am Arm vorliegt.

Material Butterfly-System oder Sicherheitskanüle mit Klappdeckel, Blutentnahmeröhrchen, z. B. Vacutainer®-System oder Monovetten mit Patientenetikett, Stauschlauch, Hautdesinfektionsmittel, Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe, Abwurfbehälter

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Injektionen und Blutentnahme Tab. 23.1 Übersicht über die gängigen Injektionsarten. Subkutane (s. c.-)Injektion

Intramuskuläre (i. m.-)Injektion

Intravenöse (i. v.-)Injektion

Isotone wässrige Lösungen werden injiziert. Resorptionszeit: ca. 30 Min.

Isotone wässrige oder auch ölige Lösungen werden injiziert. Resorptionszeit: ca. 10–20 Min.

Medikament oder Infusionen werden injiziert. Resorptionszeit: sehr kurz

Injektionsorte ●





Bereiche 1. Wahl: Unterbauch, Oberschenkel, Gesäß Bereiche 2. Wahl: Oberbauch, Oberarm bei Langzeitapplikation: Spritzenkalender anlegen







Musculus gluteus medius (mittlerer Gesäßmuskel) Musculus gluteus minimus (kleinerer Gesäßmuskel) Musculus vastus lateralis (äußerer breiter Oberschenkelmuskel)



über venösen Zugang, z. B. Venenverweilkanüle (VVK), Zentralvenenkatheter (ZVK), implantierten Katheter (Port)

allgemein: wie bei s. c.-Injektion Patienten mit gesteigerter Blutungsneigung Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt

Allgemeine Kontraindikationen gibt es nicht, aber: ● Vene nicht punktieren, wenn Shuntanlage geplant ist ● nach Lymphknotenresektion darf Injektion nicht auf betroffener Seite erfolgen

Verwendung von gelben G20-Kanülen (lang), bei sehr kachektischen Patienten kleinere G20–G21-Kanüle (grün) Methoden: ventrogluteale Injektion nach v. Hochstetter oder Crista-Methode (Anwendung v. a. bei Kindern), Oberschenkelinjektion



Durch eine Nervenschädigung können funktionale Einschränkungen und starke Schmerzen entstehen. Hämatombildung Durch Keimverschleppung kann es zur Abszessbildung bis zur generalisierten Sepsis kommen.



Kontraindikationen ● ● ● ●

gestörte Hautdurchblutung Entzündungen oder Ödeme Operationsgebiet Schockzustand

● ● ●

Hinweise zur Durchführung ●







Verwendung von braunen G26-Kanülen (kurz) Hautfalte bilden und im 90°- bzw. bei kachektischen Patienten im 45°Winkel einstechen langsam injizieren und Kanüle zügig entfernen (bei Insulingabe 10 Sek. warten) kein Recapping (Kanülenabwurf verwenden)





● ●

VVK: den Spritzenkonus aufsetzen und Medikament langsam einspritzen ZVK: Dreiwegehahn notwendig bei Port: spezielle Kanüle erforderlich

Komplikationen ● ●



Hämatombildung bei Langzeitanwendung (z. B. bei Diabetikern) kann es zur Lipombildung kommen Durch Keimverschleppung kann es zur Abszessbildung kommen.



● ●

23.2 Blutentnahme

! Merke

Blutentnahme

Die Blutentnahme dient der Diagnosefindung und -stellung, als Verlaufskontrolle von Therapien und zur Beurteilung des Schweregrads einer Erkrankung (Prognosestellung).

23.2.1 Venöse Blutentnahme Die venöse Blutentnahme gehört grundsätzlich zu den ärztlichen Aufgaben, kann aber an Pflegende delegiert werden:

Punktionsstellen Ellenbeuge oder Unterarm (Venen liegen dort oberflächlich). Eventuell Handrücken, aber schmerzhaft, Fußrücken

166

● ●

z. B. Entzündung, Nekrosenbildung, durch Fehlinjektion in falsches Gefäß (z. B. Arterie) oder Gewebe (z. B. Subkutis) Infektion, Sepsis Hämatome, Paravasate, Schmerzen

nur in Ausnahmefällen, da Gefahr der Thrombophlebitis hier höher ist (Entzündung der oberflächlichen Venen). Bei der Auswahl der Punktionsstelle muss zusätzlich darauf geachtet werden, dass ● keine Infusion am selben Arm läuft (Risiko verfälschter Werte!), ● kein Shunt oder ● Lymphödem (z. B. nach Mastektomie) am Arm vorliegt.

Material Butterfly-System oder Sicherheitskanüle mit Klappdeckel, Blutentnahmeröhrchen, z. B. Vacutainer®-System oder Monovetten mit Patientenetikett, Stauschlauch, Hautdesinfektionsmittel, Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe, Abwurfbehälter

Blutentnahme

Vorbereitung und Durchführung ● ●



● ●





















Materialien auf desinfizierter Arbeitsfläche vorbereiten Patienten informieren, empathisch auf seine Situation eingehen (Laborergebnis kann sehr entscheidend sein) Positionierung: liegend oder sitzend (je nach Situation und Kreislaufzustand), Arm mit Unterarmpolster unterlegen hygienische Händedesinfektion durchführen Stauschlauch wird ca. eine Handbreit oberhalb der gewählten Punktionsstelle vorsichtig angebracht Vene ertasten (sollte sich wie gut gefüllter Fahrradschlauch anfühlen und nicht pulsieren) Achtung: Stauschlauch sollte nicht länger als eine Minute liegen und auf sog. „Pumpen“ mit der Faust sollte verzichtet werden (Gefahr verfälschter Blutergebnisse!) Punktionsstelle mit Desinfektionsspray besprühen und Einwirkzeit (je nach Herstellerangaben) beachten Punktionsstelle nicht mehr berühren! Unsterile Handschuhe anlegen. Haut wird unterhalb der Punktionsstelle straffgezogen und im 30°-Winkel zügig in Richtung des Venenverlaufs punktiert (dabei zeigt die angeschliffene Seite der Kanüle nach oben) Wenn die Haut durchstochen ist, wird der Winkel etwas abgeflacht. Bei erfolgreicher Punktion der Vene fließt Blut zurück und der Stauschlauch kann geöffnet werden. bei Verwendung von mehreren Blutentnahmeröhrchen: Kanüle während des Wechsels gut fixieren anschließend Tupfer auf die Einstichstelle legen, Kanüle herausziehen und entsorgen Einstichstelle mit Tupfer gut komprimieren (mind. 1 Minute), Arm sollte dabei gestreckt sein, das wirkt einer Hämatombildung entgegen Einstichstelle mit Pflaster versorgen und Blutentnahmeröhrchen leicht schwenken, damit die Zusätze mit dem Blut vermischt werden

Komplikationen ●





Vene lässt sich nicht punktieren: anderen Arm nehmen oder proximal (oberhalb) der bereits punktierten Stelle erneut versuchen arterielle Fehlpunktion: Falls versehentlich arteriell punktiert wurde, hat das auf die Laborparameter keinen Einfluss (Ausnahme: Blutgase). Wichtig ist, dass die Punktionsstelle länger komprimiert werden muss, ggf. mit einem Druckverband. Patient klagt über starke Schmerzen: Dann wurde wahrscheinlich ein Nerv getroffen, in diesem Fall muss die Punktion sofort abgebrochen werden!

23.2.2 Kapillare Blutentnahme Die kapillare Blutentnahme ist risikoärmer als die Gefäßpunktion und kann nach Schulung ggf. auch selbstständig vom Patienten durchgeführt werden.

! Merke Desinfektion der Punktionsstelle

Die Einstichstelle muss nur desinfiziert werden, wenn im Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung punktiert wird. Im Rahmen der häuslichen Pflege reicht es aus, wenn sich der Patient vor der Punktion die Hände gründlich wäscht.

Indikation ●

Blutzuckermessung, Blutgerinnung (Quickwert/INR), Blutgasanalyse (BGA)

Punktionsstellen ● ● ●

seitlich der Fingerbeere – weniger sensibel als Oberseite Ohrläppchen Ferse (bei Neugeborenen)

23.2.3 Blutentnahme aus zentralvenösen Kathetern und Kanülen Material Unsterile Handschuhe, Desinfektionsmittel, Blutentnahmeröhrchen mit Adapter, 20-ml-Spritze, Spritze mit 10 ml 0,9 %iger NaCl-Lösung, Verschlusskonus

Vorbereitung ● ● ●

Patienten informieren Hände desinfizieren und Handschuhe anziehen laufende Infusionen stoppen

Durchführung ●







möglichst einen „freien“ Schenkel wählen, an dem keine Medikamente (z. B. Heparin, Antibiose) appliziert werden, um die Gefahr verfälschter Laborparameter zu reduzieren! Verschlusskonus bzw. Infusionsschlauch entfernen und den Luer-Ansatz desinfizieren Mit einer 20-ml-Spritze ca. 15–20 ml Blut aspirieren und verwerfen, damit die Werte nicht verfälscht werden! mithilfe des Adapters und unter leichtem Sog die Blutentnahmeröhrchen mit Blut füllen

Nachsorge Der benutzte Schenkel wird mit 0,9 %iger NaCl-Lösung freigespült. Der Luer-Ansatz wird mit dem Verschlusskonus verschlossen und die pausierte Infusion wieder gestartet.

Alternative Zugänge für die Blutentnahme ● ●

über arteriellen Zugang über Venenverweilkatheter (Achtung: Durch starken Sog kann es zur Hämolyse und zu verfälschten Messwerten kommen.)

23.2.4 Fehlerquellen bei der Blutentnahme ●

● ● ●



falsches Blutentnahmeröhrchen oder falsches Patientenetikett zu lange Stauung Blutentnahme am Arm mit laufender Infusion schlechte Vermischung des Blutes mit den Zusätzen in den Blutentnahmeröhrchen Lagerungs- und Transportfehler: Blut muss innerhalb von 2– 3 Stunden erschütterungsfrei an das Labor geliefert werden

l 23

Injektionen und Blutentnahme

KOMPAK T Injektionen und Blutentnahme Der Eigenschutz und der Patientenschutz spielen im Rahmen von Injektionen und Blutentnahmen eine zentrale Rolle: ● Prävention von Nadelstichverletzungen: Kanülenabwurf bereithalten und kein Recapping! ● zum Eigenschutz immer Schutzhandschuhe tragen ● zur Prävention von Infektionen: hygienische Händedesinfektion und aseptische Arbeitsweise ● 6-R-Regel beachtet, um Verwechselungen zu vermeiden ● mündliches Einverständnis des Patienten einholen ● Bei fachlicher Unsicherheit kann die delegierte Aufgabe abgelehnt werden (Weigerungsrecht!).

168

24

Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen

z.B. Hickman-Broviac-Katheter

Infusionsschlauchpumpe subkutan

teilweise implantierter nicht implantierter

intravenös

implantierter (Port)

Midline-Katheter

Applikation, z.B.

über Pumpensysteme

ButterflyKatheter

VVK

Infusionsspritzenpumpe

intraossär

Infusionen

per Schwerkraft

Techniken, z.B.

ZVK

PVK

hypoton

venöse Gefäßzugänge

hyperton isoton

Zusammensetzung, z.B.

Pflege, z.B. Paravasat?

Osmolarität

Einteilung der Infusionslösungen

kristalloide Lösungen

Entzündungszeichen?

Dauer Kurzinfusion

kolloidale Lösungen

Dauerinfusion

Hygiene Energie- und Nährstofflösung aseptische Arbeitsweise

Schutzhandschuhe

Bluttransfusionen Transfusion stoppen!

!

Transfusionszwischenfall

Arzt informieren!

Indikationen, z.B. Blutprodukte

Anämie

Thrombozytenmangel

Symptome, z.B.

Transfusionsarten

Tachykardie

Eigentransfusion akuter Blutverlust

EK Fremdtransfusion Blutgruppenserologie

GFP/FFP Lebererkrankung

Hypotonie

Blutgruppensystem

AB0

TK Rhesusfaktor Antigen

Antikörper

Venöse Gefäßzugänge

24.1 Venöse Gefäßzugänge 24.1.1 Periphervenöse Gefäßzugänge (PVK) Periphervenöse Gefäßzugänge (PVK; Synonyme: Viggo, Braunüle) liegen in einer peripheren Vene. Verabreichung von: Nährlösungen, Transfusionen und Medikamenten. Zugang über: ● Erwachsene: Handrücken oder Unterarm (Alternativ: Ellenbeuge, Fuß) ● Kleinkinder: Hand, Unterarm, Ellenbeuge oder Fuß ● Säuglinge: Kopfhautvene oder Hand- bzw. Fußrückenvene.

Kanülenarten ●





Venenverweilkanüle (VVK): sehr häufig in der Klinik. Anwendung: Verabreichung von Infusionen, Medikamenten. Liegezeit 2–5 Tage. Häufigste Komplikation: Thrombophlebitis (Kap. 54.3.8). Midline-Katheter: Katheterspitze liegt in einem größeren Gefäß, z. B. in der V. axillaris. Zugang z. B. über die V. basilica. Liegedauer länger als bei einer VVK. Butterfly-Katheter: Anwendung: Medikamentenverabreichung, Kurzinfusionen, Blutentnahme. Liegezeit: Minuten bis wenige Stunden. Erhöhte Verletzungsgefahr durch die starre Kanüle.

Legen einer peripheren Venenverweilkanüle Das Legen von Venenverweilkanülen kann vom Arzt an Pflegende delegiert werden. Schwerpunkte der pflegerischen Aufgaben: Vorbereitung ● Materialien vorbereiten: Stauschlauch, Desinfektionsmittel, Schutzhandschuhe, sterile Kompresse, Kanüle (z. B. Butterfly, VVK), steriler Kombistopfen, Fixierpflaster, Dreiwegehahn oder steriles Extensionsset ● ggf. verordnetes Medikament oder Infusion vorbereiten ● Abwurf bereitstellen ● Patient soll sitzen oder auf dem Rücken liegen ● ggf. Punktionsstelle rasieren ● ggf. für 5 Min. feuchtwarmen Wickel anlegen (bei schlecht sichtbaren Venen) Nachbereitung Dreiwegehahn oder steriles Extensionsset anschließen (Verzicht auf Mandrins! Bundesgesundheitsblatt 2017) ● transparentes VVK-Pflaster anlegen (Alternativ: steriler Pflasterverband) ● ggf. verordnetes Medikament oder Infusion anschließen ● zusätzliche Fixierung durch Mullbinde oder Netzschlauchverband ● Dokumentation: Anlagedatum, Punktionsort ●

Verbandwechsel • Grundsätzlich erfolgt ein Verbandwechsel bei einem transparenten PVK-Pflaster i. d. R. alle 7 Tage (Herstellerangaben beachten!), ● bei sterilem Pflasterverband alle 72 Stunden, ●

vorausgesetzt es besteht kein Verdacht auf eine Komplikation (z. B. Schmerzen, Entzündungszeichen). Zudem muss ein VW erfolgen bei: Verschmutzung, Ablösung, Durchfeuchtung des Fixiermaterials. ● Hände desinfizieren und Einmalhandschuhe anlegen ● aseptisch arbeiten mithilfe der Non-Touch-Technik (S. 208) ● alten Verband entfernen und Einstichstelle inspizieren (PVK dabei gut fixieren) ● Haut besprühen (z. B. mit Octenidin), mit steriler Kompresse wischen (von innen nach außen), erneut besprühen (die vom Hersteller angegebene Einwirkzeit beachten) ● Flügel der VVK mit Pflasterstreifen fixieren, Folienpflaster anlegen und mit einer Mullbinde sichern ● Inspektion der Einstichstelle und Beobachtung auf Komplikationen, wie: Entzündungszeichen, Hautirritationen, Paravasat (S. 290), Schmerzen ● bei jedem VW die Indikation der PVK überdenken, ggf. kann PVK nach Arztangabe entfernt werden ● bei Entzündungszeichen PVK entfernen

24.1.2 Zentralvenöser Gefäßzugang (ZVK) Zentralvenöse Gefäßkatheter (ZVK) werden in eine größere Körpervene eingeführt und dann bis vor den rechten Vorhof in die V. cava vorgeschoben. Der Zugang erfolgt i. d. R. über die V. jugularis interna/externa oder V. subclavia. Möglich ist auch der periphere Zugang, z. B. über die V. basilica, V. cephalica oder V. femoralis.

Nicht implantierter zentralvenöser Katheter – ZVK Nicht implantierbare Katheter werden direkt durch die Haut in die Vene gelegt. Indikationen ● Applikation von Lösungen, die periphere Venen stark reizen, z. B. Aminosäurenlösungen, Kalium ● Situationen, in denen peripherer Zugang nicht möglich ist, z. B. bei Volumenmangel und/oder Schock, Verbrennungen oder schlechten Venenverhältnissen ● wenn ein Patient viele verschiedene Medikamente erhält, die nicht miteinander kompatibel sind Kontraindikationen besondere, schwierige anatomische Verhältnisse: Gefahr der Fehlpunktion ● herabgesetzte Blutgerinnung ●

Anlage eines ZVKs • Meist wird ein ZVK auf der Intensivstation oder im OP gelegt, da ein Monitor zur Überwachung benötigt wird. Pflegende sind für die Vor- und Nachbereitung des Eingriffs zuständig. Komplikationen ● Komplikationen während des Legens: Fehlpunktion, Pneumothorax, Hämatothorax, Luftembolie, ZVK-Fehllage, Verletzung des N. brachialis (Nervengeflecht, das den Arm versorgt)

l 24

Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen ●

Komplikationen nach dem Legen: Thrombophlebitis (S. 358), Thrombose, Infektion, Fehllage des Katheters (z. B. durch unzureichende Fixierung)

Bei Anzeichen einer Bakteriämie (Leukozytose, Körpertemperatur über 37,4 °C, Schüttelfrost) muss der Arzt informiert und der ZVK schnellstmöglich entfernt werden, um eine Sepsis zu vermeiden. Zur Diagnosesicherung wird i. d. R. eine Blutkultur abgenommen und die Katheterspitze im Labor untersucht. Pflege eines ZVKs • Nach der Anlage muss eine Röntgenkontrolle des Thorax erfolgen, um die korrekte Lage des ZVKs sicherzustellen. Erst dann darf der ZVK verwendet werden. Grundsätzlich sind folgende Regeln im Umgang mit einem ZVK wichtig: ● Pflegende müssen im Umgang geschult sein (Dokumentation!). ● Diskonnektion am System vermeiden ● ZVK-Zuleitungen steril behandeln, Ansätze immer mit sterilen Kombistopfen verschließen (keine Wiederverwendung!) ● vor jeder Manipulation: hygienische Händedesinfektion, Schutzhandschuhe und Zuspritzstellen desinfizieren ● Wenn keine kontinuierliche Bespülung des ZVKs angeordnet ist, müssen die Lumen mit 10 ml NaCl 0,9 % durchgespült werden. ● Lumen nie mit „Gewalt“ durchspülen (Gefahr der Lungenembolie!) ● Dokumentation: nach Anlage, täglich: Haut- bzw. Verbandzustand und -wechsel Inspektion der Einstichstelle: bei transparenten Folienverbänden: täglich ● bei sterilem Pflasterverband: nach 72 Stunden ●

Ein Verbandwechsel erfolgt alle 7 Tage bei einem transparenten Folienverband (Herstellerangaben beachten!) oder ● alle 72 Stunden bei sterilem Pflasterverband. ●

Ein VW muss zudem erfolgen bei Verschmutzung, Ablösung, Durchfeuchtung des Fixiermaterials oder wenn der Verdacht auf eine Komplikation (z. B. Entzündungszeichen, Schmerzen) besteht (▶ Abb. 24.1).

Teilweise implantierte zentralvenöse Katheter Beim teilweise implantierbaren Katheter (TCVAD, z. B. Hickman-Broviac-Katheter) wird ein Teil des Katheters subkutan entlanggeführt und dann in die Vene gebracht. Das Katheterende liegt außerhalb des Körpers. Diese Katheter werden nur vom ärztlichen Personal angeschlossen und eignen sich gut für die parenterale Ernährung, da sie mehrere Jahre liegen können.

Implantierter zentralvenöser Katheter – Port Definition Port Der Port ist ein subkutan implantiertes Kathetersystem. Er bietet einen dauerhaften Zugang zum venösen oder arteriellen Gefäßsystem oder zu bestimmten Körperhöhlen (z. B. Bauchhöhle, Epiduralraum). Indikationen ● langfristige Medikamentenapplikation, z. B. bei chronischen Erkrankungen, zur Verabreichung von Chemotherapeutika ● ambulante Infusionstherapie, z. B. zur parenteralen Ernährung ● häufig geplante Blutabnahmen oder Bluttransfusionen, z. B. bei schlechten Venenverhältnissen Die Punktion (Kanülierung) eines Ports darf nur durch speziell geschultes Personal erfolgen. Die Pflege eines bereits angestochenen Ports erfolgt durch geschultes Pflegefachpersonal. Pflege eines Ports • Es gibt einige Besonderheiten im Umgang mit einem Port: ● für Injektionen und Spülungen mindestens 10-ml-Spritzen verwenden, um keinen zu großen Druck zu erzeugen ● Wenn keine kontinuierliche Bespülung des Ports angeordnet ist, müssen die Lumen regelmäßig mit 20 ml NaCl 0,9 % durchgespült werden – je nach Anordnung kann der Port mit Heparin geblockt werden (vor jeder Applikation geblockte Menge abziehen!) ● Diskonnektionen am System vermeiden ● Zuleitungen steril behandeln, Ansätze immer mit sterilen Kombistopfen verschließen (keine Wiederverwendung!) ● vor jeder Manipulation: hygienische Händedesinfektion und Zuspritzstellen desinfizieren ● Lumen nie mit „Gewalt“ durchspülen (Gefahr der Lungenembolie!) ● Dokumentation: – nach Anlage – Haut- bzw. Verbandzustand und -wechsel: täglich ● Portnadel kann i. d. R. 7 Tage liegen, dann muss mit einer neuen Nadel punktiert werden, ● Verbandwechsel wird je nach Verbandmaterial ca. alle 2 Tage durchgeführt.

24.1.3 Zentraler Venendruck (ZVD) Definition Zentraler Venendruck Der zentrale Venendruck (ZVD) ist der Druck in der oberen Hohlvene (V. cava superior) vor dem Herzen. Er entspricht dem Druck im rechten Vorhof und ist ein Parameter für Herzleistung und Füllungszustand der Blutgefäße. Der ZVD wird i. d. R. elektronisch über einen zentralen Venenkatheter auf der Intensivstation gemessen. Selten wird er noch manuell bestimmt. Der ZVD kann kontinuierlich oder punktuell (in regelmäßigen Zeitabständen) gemessen werden. Ein einzelner Wert hat wenig Aussagekraft, erst die Werte im Verlauf sind zu interpretieren.

172

Venöse Gefäßzugänge Abb. 24.1 Verbandwechsel ZVK.

a

b

c

d

e

f

Durchführung eines ZVK-Verbandwechsels Foto: K. Oborny, Thieme

a Unsterile Handschuhe anziehen. Arbeitsfläche wischdesinfizieren. Handschuhe ausziehen. Hände desinfizieren. Material vorbereiten (2 × unsterile Handschuhe, sterile Tupfer, sterile Pinzette, sterile Kochsalzlösung, neues Verbandmaterial, Abwurf). b Materialien öffnen und sinnvoll (entsprechend des Ablaufs) anordnen. c Sterile Tupfer mit Kochsalzlösung tränken und unsterile Handschuhe anziehen. Wichtig: reizlose Einstichstellen werden mit Kochsalzlösung gereinigt, gerötete/gereizte Einstiche mit Schleimhautdesinfektionsmittel (z. B. Octenisept). d Verband vorsichtig entfernen. Handschuhe ausziehen und beides verwerfen. Hände erneut desinfizieren. e Unsterile Handschuhe anziehen. Pinzette und Kugeltupfer entnehmen. Punktionsstelle von innen nach außen (zirkulär) reinigen. Wichtig: Ein Tupfer pro Wischdurchgang. f Sterilen Verband anbringen. Für trockene Einstichstellen eignen sich transparente Pflaster. Blutet oder nässt die Punktionsstelle sollte saugfähiges Material (z. B. sterile Schlitzkompressen) aufgelegt und mit einem Verband (z. B. Fixierpflaster) spannungsfrei fixiert werden.

l 24

Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen ●



Ein niedriger ZVD weist auf eine Hypovolämie hin, z. B. im Rahmen einer Blutung oder bei Exsikkose. Ein hoher ZVD lässt sich beobachten z. B. bei einer Herzinsuffizienz, Lungenembolie, Hypervolämie oder Herzbeuteltamponade nach einem herzchirurgischen Eingriff.

24.2 Infusionen

Applikationsmöglichkeiten ●





24.2.1 Grundlagen



intravenöse Infusion: Eine Lösung wird über einen PVK oder ZVK in das venöse Blutsystem verabreicht. subkutane Infusion: Eine Lösung wird über das Unterhautfettgewebe verabreicht (z. B. im ambulanten Bereich, zur Vorbeugung einer Exsikkose). intraarterielle Infusion: Applikation einer Lösung über einen arteriellen Zugang zu diagnostischen Zwecken, z. B. zur Kontrastmittelgabe bei einer Angiografie intraossäre Infusion: Applikation eines Medikaments im Notfall über das Knochenmark

Mit einer Infusion wird eine kontrollierte Flüssigkeitsmenge in den Körper infundiert. Infusionen haben zum Ziel, den Stoffwechsel eines Organismus wieder ins Gleichgewicht zu bringen, wenn er (z. B. aufgrund von Krankheit, Unfall oder Mangelernährung) ständig oder vorübergehend seine Funktionen nicht aufrechterhalten kann.

Infusionstechniken

Rechtliche Bestimmungen



Der Arzt trägt die Anordnungsverantwortung, er entscheidet, was in welchem Zeitraum infundiert werden soll, und ordnet dies schriftlich an. Auch das Anlegen einer Infusion ist grundsätzlich eine ärztliche Tätigkeit, die aber an Pflegende delegiert werden kann.





Schwerkraftinfusion: Die Flüssigkeitszufuhr wird durch das hydrostatische Druckgefälle zwischen Infusionsbehälter und Patient bewirkt. Infusion über elektrische Pumpensysteme: Flüssigkeiten werden über Infusionsschlauchpumpen oder Infusionsspritzenpumpen verabreicht. Es können eine konstante Infusionsrate und eine Dosiergenauigkeit gewährleistet werden. Druckinfusion: Mithilfe einer Druckmanschette kann schnell viel Flüssigkeit verabreicht werden (z. B. in Notfallsituationen).

Infusionen und Zubehör ●







Überleitsystem/Infusionsbesteck: Es gibt Bestecke für schwerkraft- und pumpengesteuerte Infusionen. Infusionsfilter: halten Mikropartikel und Keime sowie Pyrogene vom Patienten fern (Anwendung z. B. bei immunsupprimierten Patienten) Rückschlagventile: erlauben nur eine Fließrichtung, so können z. B. Kurzinfusionen an Dauerinfusionen angeschlossen werden und Blut oder Infusionslösungen fließen nicht zurück in das Infusionssystem. Adapter und Konnektoren – Dreiwegehahn: Verbindungsstück mit Luer-Lock-Anschluss, die es ermöglichen, 2 Infusionen gleichzeitig laufen zu lassen – Hahnenbank: besteht aus mehreren verbundenen Dreiwegehähnen. Dadurch können mehr als 2 Infusionen gleichzeitig laufen. – Mehrfachverbindungen: Es gibt eine Verbindung zum Patienten und mehrere Abgänge (2–5) am anderen Ende, über die Infusionen laufen können.

24.2.2 Einteilung von Infusionslösungen Einteilung nach Osmolarität Durch die Osmose werden zwei unterschiedlich stark konzentrierte Flüssigkeiten so ausgeglichen, dass sie gleich stark konzentriert sind. Die zwei Flüssigkeiten sind durch eine semipermeable (halb durchlässige) Wand getrennt. Durch diese Wand wird so lange Flüssigkeit treten, bis beide Seiten dieselbe Konzentration gelöster Teilchen haben. Dabei tritt nur Flüssigkeit durch die Wand, keine Teilchen. Semipermeable Wände im Körper sind z. B. Zellmembranen oder Gefäßwände (▶ Abb. 24.2). Welche Infusion ein Patient benötigt, richtet sich immer danach, woran es dem Organismus mangelt. Grundsätzlich werden Infusionen eingeteilt in isotone, hypotone und hypertone Lösungen (▶ Tab. 24.1)

Tab. 24.1 Infusionslösungen und Osmolarität.

174

Isotone Lösungen

Hypotone Lösungen

Hypertone Lösungen

Osmolarität

gleich wie Blutplasma

geringer als Blutplasma

höher als Blutplasma

Indikation

bei Flüssigkeitsdefiziten, wenn physiologisches Trinken nicht möglich ist oder nicht ausreicht

wenn Flüssigkeit ersetzt werden muss, aber die Konzentration von Elektrolyten im Blutserum hoch ist (z. B. Hypernatriämie)

wenn Volumen ersetzt und der Kreislauf stabilisiert werden soll, z. B. bei akuten Blutungen

Beispiel

0,9 %ige NaCl-Lösung

5 %ige Glukoselösung

z. B. Plasmaexpander

Infusionen Abb. 24.2 Osmose und Osmolarität. Semipermeable Membran

Flüssigkeit mit gelösten Teilchen

isotone Lösung

hypotone Lösung

a

b

c

hypertone Lösung

Durch die semipermeable Membran kann nur Flüssigkeit hindurchtreten, aber keine Teilchen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

a Die Osmolarität und damit die Anzahl der gelösten Teilchen ist in beiden Lösungen gleich. Es findet keine Osmose statt. b Die Osmolarität der rechten Lösung ist geringer. Durch Osmose diffundiert so lange Flüssigkeit von rechts nach links durch die semipermeable Membran, bis die Konzentration gelöster Teilchen auf beiden Seiten gleich ist. c Die Osmolarität der rechten Lösung ist größer. Demzufolge diffundiert Flüssigkeit von links nach rechts, bis die Osmolarität auf beiden Seiten gleich ist.

Einteilung nach Dauer der Infusion ●



Kurzinfusion: Infusion wird innerhalb von 15 Minuten bis 3 Stunden infundiert, z. B. Antibiotika gelöst in 100 ml 0,9 %iger NaCl-Lösung. Dauerinfusion: Infusionen laufen z. T. über den ganzen Tag, z. B. Ernährungslösungen.

Einteilung nach Zusammensetzung ●





kristalloide Lösungen: bestehen aus in Wasser gelösten Substanzen, z. B. Elektrolyten. Wasser und Elektrolyte können aufgrund von Diffusion und Osmose die Zellmembran passieren, z. B. isotonische Kochsalzlösung 0,9 %, Ringerlösung, Glukoselösung 5 %. kolloidale Lösungen: bestehen aus Makromolekülen, z. B. Polysacchariden oder Polypeptiden. Diese können die Zellmembran nicht passieren und verbleiben bis zu ihrem Abbau intravasal. Hyperonkotische kolloidale Lösungen (z. B. Plasmaexpander) können auch Wasser binden. Energie- und Nährstofflösungen: dienen der Zufuhr von Fetten, Kalorien und essenziellen Aminosäuren, z. B. Lipidlösungen, Aminosäurenlösungen

Einteilung nach Verwendungszweck ● ● ● ● ●

zur Elektrolytzufuhr zur Energiezufuhr (parenterale Ernährung) zur Osmo-Onko-Therapie zum Volumenersatz zur Korrektur des Säure-Basen-Haushalts

24.2.3 Infusionsmanagement Pflegende richten, verabreichen und überwachen die Infusionstherapie. Der Arzt hat die Anordnungsverantwortung, er entscheidet, was in welchem Zeitraum infundiert werden soll, und ordnet dies schriftlich an.

Regeln beim Richten von Infusionen ●









● ● ● ●

Infusionen und Perfusorspritzen erst unmittelbar vor Gebrauch richten (max. 1 Stunde davor) und beschriften (Medikament, Datum, Uhrzeit, Handzeichen) vor dem Richten: Arbeitsfläche desinfizieren und eine hygienische Händedesinfektion durchführen Infusionsbesteck austauschen, wenn der Dorn kontaminiert wurde (das Besprühen des Dorns mit dem Desinfektionsspray reicht nicht aus) Infusionslösung auf Trübung, Ausflockung, Verfärbung und Ablaufdatum überprüfen Gummiverschluss der Infusion desinfizieren (nach Hygienevorschrift des Hauses) Plastikflaschen: Filter geschlossen halten Glasflaschen: Filter öffnen Infusionssystems luftleer befüllen (Achtung: Luftembolie!) 6-R-Regel beachten

l 24

Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen

Verabreichen von Infusionen ●



● ●





Zustand des Patienten überwachen (vor, während und nach der Verabreichung) Punktionsstelle kontrollieren, z. B. auf Entzündungszeichen (ggf. Rücksprache mit Arzt) Dokumentation der Therapie Zuspritzen von Medikamenten in eine laufende Infusion: Infusionslösung sollte noch möglichst voll sein (Medikamentenkonzentration beachten!) Abhängen der Infusion: jeweilige Schenkel abklemmen und zügig mit Verschlusskonus verschließen

▶ Tab. 24.2 zeigt mögliche Probleme im Rahmen der Verabreichung von Infusionen und entsprechende Maßnahmen.

Schwerkraftgesteuerte Infusionen Berechnung der Infusionsgeschwindigkeit • Die Geschwindigkeit einer Infusion kann mittels Rollenklemme eingestellt werden. Allerdings beträgt die Abweichung ±50 %. Deshalb sollten darüber nur Infusionen laufen, die nicht hochwirksam sind, z. B. Kristalloide. Grundsätzlich gilt:

Besonderheiten beim Infusionsmanagement ●





bei der Gabe von Blutprodukten über den ZVK-Zugang oder Schenkel mit NaCl 0,9 % nachspülen

1 ml ¼ 20 Tropfen ðTr:Þ

Infusionen anwärmen: Bei ausgeprägter Hypothermie (z. B. nach langen Operationen) erhalten Patienten manchmal Infusionen, die auf 37 °C erwärmt sind. lichtgeschützte Medikamente: Einige Medikamente müssen vor Licht geschützt und in einen lichtundurchlässigen Behälter verabreicht werden (z. B. Adalat, Konakion). Alternativ Aluminiumfolie umwickeln. Kurzinfusionen nacheinander anhängen: Infusionssystem zwischen zwei aufeinanderfolgenden Medikamenten durchspülen (z. B. NaCl mit 0,9 %), dabei die Kompatibilität von Infusionslösungen beachten

1 Tr:=Min: ¼ 60 Tr:=h ¼ 3 ml=h Berechnung: Infusionsmenge ðmlÞ  20 Tropfen ¼ Tropfen=min Infusionsdauer ðminÞ

Tab. 24.2 Infusionen überwachen: Probleme und Maßnahmen. Problem

Maßnahme

Infusion läuft zu langsam oder gar nicht? Infusion hängt zu tief, Höhendifferenz reicht nicht aus.

Infusion höher hängen, Arm des Patienten in eine andere Position bringen

Infusionsflasche ist nicht ausreichend belüftet.

Filter öffnen (häufig bei Glasflaschen)

Konnektoren sind nicht geöffnet.

Durchfluss gewährleisten (z. B. Dreiwegehahn oder Rollenklemme öffnen)

Infusionsleitung ist abgeknickt.

Durchfluss gewährleisten (häufig bei mobilen Patienten)

Venöser Zugang ist verlegt.

Verband lösen und am Zugang leicht manipulieren, mit Einmalspritze Blut aspirieren (niemals mit Druck spülen → Embolie!)

Infusion ist paravasal gelaufen.

Zugang entfernen und neuen legen lassen

Infusionssystem ist durch Rückstau von Blut verstopft.

System diskonnektieren und freispülen, ggf. neues System verwenden

andere Komplikationen

176

Patient klagt über Luftnot.

Infusion stoppen und Arzt informieren; evtl. kann das Herz die Flüssigkeitszufuhr nicht kompensieren.

plötzliches Auftreten von Hämatomen an der Einstichstelle der Venenverweilkanüle (z. B. bei Heparin-Applikation)

engmaschig überwachen, ggf. Infusion stoppen und Arzt informieren

Patient klagt über Unwohlsein, Kribbeln, hat Hautveränderungen.

Infusion stoppen und Arzt informieren; allergische Reaktion auf das Medikament

Schmerzen an Einstichstelle, überwärmter Arm

Zugang sofort entfernen, antiseptische Umschläge anlegen und Arzt informieren (Achtung: Thrombophlebitis)

Flocken im Infusionssystem

Infusion sofort stoppen, Kompatibilität der Lösungen prüfen und Arzt informieren

Bluttransfusionen

Infusionsschlauch- und Infusionsspritzenpumpen



Mit Infusionspumpen können Lösungen kontrolliert infundiert werden.





Unterscheidung ● Infusionsschlauchpumpen (Infusomaten): Infusionslösungen werden über ein spezielles Infusionssystem infundiert. Ein Sensor überwacht, ob Luft im System ist. Die Abweichung der Förderrate beträgt ±5 %, d. h. bei 100 ml ±5 ml. ● Infusionspritzenpumpen (Perfusoren): Medikamente werden in 20–60-ml-Spritzen in kleinen Förderraten infundiert. Die Abweichung der Förderrate kann bei ±2 % liegen, d. h. bei 100 ml ±2 ml. Vor der Benutzung der Infusionspumpen muss eine Geräteeinweisung stattgefunden haben. Sobald Medikamente potent (wirksam) sind, sollten sie über Infusionspumpen laufen (z. B. Ernährungslösungen, Heparin, Chemotherapeutika). Tipps zum Umgang mit Infusionspumpen ● Spritzenwechsel: sorgfältiger Umgang, auf aseptisches Arbeiten achten, Zugänge verschließen (z. B. mit Klemme, Achtung: kann Schlauch beschädigen) ● Beschriftung: alle Leitungen beschriften (z. B. mit kleinen Aufklebern) ● Leitungen kurz halten: nur so lange, wie es zum Bewegen notwendig ist ● Kompatibilität: auf Verträglichkeit der Lösungen achten, wenn mehrere Substanzen über einen Zugang infundiert werden sollen

24.2.4 Flüssigkeitsbilanz erstellen Eine Flüssigkeitsbilanz gibt Aufschluss über eingenommene und ausgeführte Flüssigkeiten (Kap. 19.3). Nach 24 Stunden werden die Mengen einander gegenübergestellt. Steht ein Minus vor der Summe der Endabrechnung, hat der Patient mehr ausgeschieden, als er zu sich genommen hat (Negativbilanz). Steht dort ein Plus, hat er mehr zu sich genommen als ausgeschieden (Positivbilanz).

Leberinsuffizienz: Leber produziert nicht genug Eiweiß, dadurch sinkt der osmotische Druck in den Gefäßen und Flüssigkeit tritt ins Gewebe (Ziel: Minus-Bilanz) Diabetes insipidus: zu wenig vom Hormon ADH, dadurch scheidet der Körper zu viel Wasser aus (Ziel: Plus-Bilanz) Dehydratation: Dem Körper wird zu wenig Flüssigkeit zugeführt (Ziel: Plus-Bilanz).

24.3 Bluttransfusionen Je nach Körpergröße zirkulieren im menschlichen Organismus 5–6 Liter Blut. Blut transportiert u. a. Sauerstoff und Nährstoffe, ist Teil der Immunabwehr und der Blutgerinnung und erhält ein stabiles Säure-Basen-Milieu aufrecht. Durch größere Verletzungen oder Erkrankungen kann es zum Verlust oder Fehlen bestimmter Blutkomponenten kommen (▶ Tab. 24.3). Dieser Funktionsverlust ist i. d. R. eine vitale Bedrohung für Betroffene. Bluttransfusionen können diesen Funktionsverlust kompensieren und so gesundheitlichen Schaden abwenden.

Definition Bluttransfusion Eine Bluttransfusion ist die intravenöse Gabe von menschlichen Blutbestandteilen. Gewinnung, Verarbeitung, Lagerung, Transport, Anwendung und Nachsorge von Bluttransfusionen unterliegen dem Transfusionsgesetz. Das Gesetz will Risiken auf ein Minimum reduzieren.

24.3.1 Transfusionsarten ●



Fremdtransfusion: Blutspender und Blutempfänger sind nicht identisch. Eigentransfusion: Blutspender und Blutempfänger sind identisch. Patienten können vor geplanten Operationen Eigenblut spenden.

Tab. 24.3 Indikationen für Bluttransfusionen.

Flüssigkeitsausfuhr Alles, was der Körper ausscheidet, gehört auf die Seite der Ausfuhr: ● Urin, Durchfall ● Magensaft: Erbrechen und Ablauf über die Magensonde ● Wundsekrete (Ausfuhr über Drainagen) ● Schweiß ● Feuchtigkeit, die über die Atmung abgegeben wird

Erkrankungen, bei denen Ein- und Ausfuhrbilanz von Bedeutung sind ●



Herzinsuffizienz: Die Pumpkraft des Herzes reicht nicht aus, dadurch staut sich Flüssigkeit zurück. Folge: Atemnot, Ödeme, Lungenödem (Ziel: Minus-Bilanz) Niereninsuffizienz: Nieren scheiden nicht genug Flüssigkeit aus. Folge: Beinödeme, Lungenödem (Ziel: Minus-Bilanz)

Indikation ● ● ● ● ● ●

Blutprodukt

Anämie bei akutem Blutverlust

Erythrozytenkonzentrat (EK)

Störung der Thrombozytenbildung bei hämatologischen Erkrankungen Mangel an Thrombozyten bei großem Blutverlust

Thrombozytenkonzentrat (TK)

Granulozytopenie aufgrund schwerer Infektion, z. B. Sepsis

Granulozytenkonzentrat (GK)

bei massivem Blutverlust mit plasmaarmem Volumenersatz Lebererkrankungen

gefrorenes Frischplasma (GFP)





prophylaktisch vor invasiven Operationen

Thrombozytenkonzentrat (TK)

Bluttransfusionen

Infusionsschlauch- und Infusionsspritzenpumpen



Mit Infusionspumpen können Lösungen kontrolliert infundiert werden.





Unterscheidung ● Infusionsschlauchpumpen (Infusomaten): Infusionslösungen werden über ein spezielles Infusionssystem infundiert. Ein Sensor überwacht, ob Luft im System ist. Die Abweichung der Förderrate beträgt ±5 %, d. h. bei 100 ml ±5 ml. ● Infusionspritzenpumpen (Perfusoren): Medikamente werden in 20–60-ml-Spritzen in kleinen Förderraten infundiert. Die Abweichung der Förderrate kann bei ±2 % liegen, d. h. bei 100 ml ±2 ml. Vor der Benutzung der Infusionspumpen muss eine Geräteeinweisung stattgefunden haben. Sobald Medikamente potent (wirksam) sind, sollten sie über Infusionspumpen laufen (z. B. Ernährungslösungen, Heparin, Chemotherapeutika). Tipps zum Umgang mit Infusionspumpen ● Spritzenwechsel: sorgfältiger Umgang, auf aseptisches Arbeiten achten, Zugänge verschließen (z. B. mit Klemme, Achtung: kann Schlauch beschädigen) ● Beschriftung: alle Leitungen beschriften (z. B. mit kleinen Aufklebern) ● Leitungen kurz halten: nur so lange, wie es zum Bewegen notwendig ist ● Kompatibilität: auf Verträglichkeit der Lösungen achten, wenn mehrere Substanzen über einen Zugang infundiert werden sollen

24.2.4 Flüssigkeitsbilanz erstellen Eine Flüssigkeitsbilanz gibt Aufschluss über eingenommene und ausgeführte Flüssigkeiten (Kap. 19.3). Nach 24 Stunden werden die Mengen einander gegenübergestellt. Steht ein Minus vor der Summe der Endabrechnung, hat der Patient mehr ausgeschieden, als er zu sich genommen hat (Negativbilanz). Steht dort ein Plus, hat er mehr zu sich genommen als ausgeschieden (Positivbilanz).

Leberinsuffizienz: Leber produziert nicht genug Eiweiß, dadurch sinkt der osmotische Druck in den Gefäßen und Flüssigkeit tritt ins Gewebe (Ziel: Minus-Bilanz) Diabetes insipidus: zu wenig vom Hormon ADH, dadurch scheidet der Körper zu viel Wasser aus (Ziel: Plus-Bilanz) Dehydratation: Dem Körper wird zu wenig Flüssigkeit zugeführt (Ziel: Plus-Bilanz).

24.3 Bluttransfusionen Je nach Körpergröße zirkulieren im menschlichen Organismus 5–6 Liter Blut. Blut transportiert u. a. Sauerstoff und Nährstoffe, ist Teil der Immunabwehr und der Blutgerinnung und erhält ein stabiles Säure-Basen-Milieu aufrecht. Durch größere Verletzungen oder Erkrankungen kann es zum Verlust oder Fehlen bestimmter Blutkomponenten kommen (▶ Tab. 24.3). Dieser Funktionsverlust ist i. d. R. eine vitale Bedrohung für Betroffene. Bluttransfusionen können diesen Funktionsverlust kompensieren und so gesundheitlichen Schaden abwenden.

Definition Bluttransfusion Eine Bluttransfusion ist die intravenöse Gabe von menschlichen Blutbestandteilen. Gewinnung, Verarbeitung, Lagerung, Transport, Anwendung und Nachsorge von Bluttransfusionen unterliegen dem Transfusionsgesetz. Das Gesetz will Risiken auf ein Minimum reduzieren.

24.3.1 Transfusionsarten ●



Fremdtransfusion: Blutspender und Blutempfänger sind nicht identisch. Eigentransfusion: Blutspender und Blutempfänger sind identisch. Patienten können vor geplanten Operationen Eigenblut spenden.

Tab. 24.3 Indikationen für Bluttransfusionen.

Flüssigkeitsausfuhr Alles, was der Körper ausscheidet, gehört auf die Seite der Ausfuhr: ● Urin, Durchfall ● Magensaft: Erbrechen und Ablauf über die Magensonde ● Wundsekrete (Ausfuhr über Drainagen) ● Schweiß ● Feuchtigkeit, die über die Atmung abgegeben wird

Erkrankungen, bei denen Ein- und Ausfuhrbilanz von Bedeutung sind ●



Herzinsuffizienz: Die Pumpkraft des Herzes reicht nicht aus, dadurch staut sich Flüssigkeit zurück. Folge: Atemnot, Ödeme, Lungenödem (Ziel: Minus-Bilanz) Niereninsuffizienz: Nieren scheiden nicht genug Flüssigkeit aus. Folge: Beinödeme, Lungenödem (Ziel: Minus-Bilanz)

Indikation ● ● ● ● ● ●

Blutprodukt

Anämie bei akutem Blutverlust

Erythrozytenkonzentrat (EK)

Störung der Thrombozytenbildung bei hämatologischen Erkrankungen Mangel an Thrombozyten bei großem Blutverlust

Thrombozytenkonzentrat (TK)

Granulozytopenie aufgrund schwerer Infektion, z. B. Sepsis

Granulozytenkonzentrat (GK)

bei massivem Blutverlust mit plasmaarmem Volumenersatz Lebererkrankungen

gefrorenes Frischplasma (GFP)





prophylaktisch vor invasiven Operationen

Thrombozytenkonzentrat (TK)

l 24

Gefäßzugänge, Infusionen und Transfusionen

24.3.2 Blutgruppenserologie

Thrombozytenkonzentrat (TK)

Auf der Erythrozytenoberfläche befinden sich Glukoproteine, die körperfremde Stoffe erkennen und eine Immunreaktion hervorrufen können. Diese Glukoproteine werden Blutgruppen-Antigene genannt. Sie können in verschiedene Systeme klassifiziert werden. Relevant sind vor allem das AB0System und das Rhesus-System.





● ●

Blutbestandteil: funktionelle Thrombozyten (erythrozyten- und leukozytenarm) Lagerung: bei Temperaturen von 22 °C (±2 °C); damit keine Verklumpung entsteht, werden TKs ständig in Bewegung gehalten. Transporttemperatur: keine Temperaturschwankungen Haltbarkeit: bis zu 5 Tage

Antigen Substanzen, die der menschliche Organismus als fremd erkennt und mithilfe des Immunsystems bekämpft.

Granulozytenkonzentrat-Apharese (GK) ● ●

Blutbestandteil: neutrophile Granulozyten Lagerung: Raumtemperatur und Ruhelage Haltbarkeit: maximal 24 Stunden

Antikörper



Werden vom Immunsystem bei Kontakt mit Antigenen (Immunglobuline) gebildet. Sie neutralisieren entweder die Antigene oder markieren sie für die weitere Immunabwehr.

Gefrorenes Frischplasma (GFP/FFP)

AB0-Blutgruppensystem Das System teilt die Erythrozyten nach Antigen-Eigenschaft in 4 Gruppen ein (A, B, AB, 0). Während des ersten Lebensjahres entwickeln sich Antikörper gegen die Antigene, die sich nicht an der Oberfläche befinden. Erhält dann ein Mensch mit Blutgruppe A beispielsweise ein EK der Blutgruppe B, verkleben die Erythrozyten (Hämagglutination) und die Blutzelle löst sich auf (Hämolyse), es kommt zu einem Transfusionszwischenfall (siehe Kap. 14.1.5). Blutgruppe 0 kann im Notfall als Universalspender dienen, da sie keine Antigene besitzt. Blutgruppe AB kann als Universalempfänger bezeichnet werden, da sie keine Antikörper besitzt. Dennoch muss stets der Rhesus-Faktor mit beurteilt werden.

Rhesus-Blutgruppensystem Das Rhesus-System kennt 5 Antigene, davon ist das Antigen D am stärksten wirksam. Hat ein Erythrozyt die Rhesus-Eigenschaft D, spricht man von „Rhesus-positiv“. Hat ein Erythrozyt die Rhesus-Eigenschaft D nicht, spricht man von „Rhesus-negativ“. Die Antikörper werden erst nach Kontakt entwickelt. Ist ein Mensch Rhesus-negativ und erhält als Ersttransfusion Rhesus-positiv, kommt es zur Antikörperbildung (Anti-D). Es passiert nichts. Nach einer zweiten Transfusion mit Rhesus-positiv würden jedoch enorme Komplikationen entstehen, da die gebildeten Anti-D-Antikörper mit dem Antigen reagieren würden.

24.3.3 Umgang mit Blutprodukten Je nach Blutprodukt müssen der Umgang, die Lagerung und die Haltbarkeit beachtet werden.

● ● ● ●

Blutbestandteil: funktionelle Gerinnungsfaktoren Lagerung: bei unter –30 °C Haltbarkeit: ohne Unterbrechung der Kühlkette 1–3 Jahre Nach Auftauen durch spezielle Geräte muss Plasma innerhalb von ca. 4–6 Stunden transfundiert werden.

24.3.4 Bluttransfusion Die Durchführung einer Bluttransfusion ist immer Aufgabe des Arztes. Pflegende konzentrieren sich auf die Vorbereitung der Transfusion, Überwachung des Patienten und Früherkennung von Komplikationen: ● vor Einleiten der Transfusion: Pflegende nehmen Blutprodukte in Empfang und kontrollieren: Lieferschein und Konserve (Übereinstimmung!), Haltbarkeitsdatum, Unversehrtheit. Vorbereitung: Transfusionsbesteck. Der Arzt wird informiert und bis zum Anhängen wird das Blutprodukt entsprechend der Lagerungstemperatur gelagert. ● Vorbereiten der Infusion: Blutprodukt, Transfusionsbesteck, Infusionsständer, Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Kanüle, 10-ml-Einmalspritze, Bedside-Test (Sicherheitskontrolle für den Arzt) ● Starten der Transfusion: über peripheren Zugang oder ZVK (Aufgabe des Arztes!). Laufzeit: i. d. R. höchstens 1 Stunde, Blutprodukte müssen alleine laufen. ● während der Transfusion: engmaschige Überwachung: Vitalparameter (siehe Kap. 16), Befinden, Schmerzen. Die Patientenklingel muss in Reichweite des Patienten angebracht sein. ● nach der Transfusion: Transfusionssystem entfernen, Zugang mit 0,9 % NaCl durchspülen. Weitere engmaschige Vitalzeichenkontrolle für mindestens 30 Minuten. Blutkonserve und System verpacken, mit Patientenname, Datum und Uhrzeit versehen und zurück in das Labor schicken.

ACHTUNG

Erythrozytenkonzentrat (EK) ● ● ●

● ●

178

Blutbestandteil: intakte Erythrozyten Lagerung: bei Temperaturen von + 4 °C (±2 °C) Transporttemperatur: 1–10 °C (Kühlkette darf nicht unterbrochen werden) Haltbarkeit: je nach Hersteller: 28–49 Tage Kontrolle vor Transfusion: Beutel unversehrt? Konzentrat frei von Koageln oder sichtbarer Hämolyse?

Treten während oder nach der Transfusion Symptome wie z. B. Fieber, Hypotonie, Tachykardie, Kaltschweißigkeit, Unruhe auf, deutet dies auf einen Transfusionszwischenfall hin. Es handelt sich um einen akuten Notfall (siehe Kap. 14.1.5).

Bluttransfusionen

KOMPAK T Periphervenöse und zentralvenöse Gefäßzugänge ●

● ●

hygienische Händedesinfektion, Schutzhandschuhe, aseptisches Arbeiten tägliche Inspektion der Einstichstelle Indikation täglich evaluieren

Infusionen ●







i. d. R. intravenöse Applikation (seltener: subkutan, intraarteriell, intraossär) Einteilung: – nach der Dauer: Kurz- oder Dauerinfusion – nach der Zusammensetzung: kristalloide, kolloidale, Energie- oder Nährstoff-Lösung – nach Verwendungszweck: z. B. zur Elektrolytzufuhr, Energiezufuhr, zum Volumenersatz Infusionen können schwerkraft- oder pumpengesteuert appliziert werden. Flüssigkeitsbilanz: – Einfuhr > Ausfuhr = positive Bilanz – Einfuhr < Ausfuhr = negative Bilanz – Einfuhr ≙ Ausfuhr = ausgeglichene Bilanz

Bluttransfusionen ●



Mit dem AB0- und dem Rhesus-System können Blutgruppen klassifiziert werden. Transfusionszwischenfall (Symptome z. B. Fieber, Hypotonie, Tachykardie, Kaltschweißigkeit, Unruhe) → Transfusion sofort stoppen und einen Arzt rufen

25

Pflege von Patienten mit Sonden und Drainagen

Ablauf-/ Spülsonde

zur Ableitung von Magensaft

zur Verabreichung von Medikamenten

Indikation, z.B.

zur Ernährung

Sondenarten

Magensonde

Ernährungssonde PVC

kurzzeitig

Silikon

längerfristig

Polyurethan Kontraindikation, z.B. Nasennebenhöhleninfektion

Sauerstoffsonden PEG Pflegeprobleme

Sonden

Indikation, z.B. Ösophagusvarizen

Wachkoma ausgeprägte Dysphagie

psychische Belastung

Tumoren im Rachenbereich

Bewegungseinschränkung

Infektion Schmerzen Dislokation

Drainagen aus den Hirnventrikeln Komplikationen, z.B. ableiten von Blut/Sekreten/Luft, z.B.

aus Wunden

Systeme aus der Pleura

offene (passiv), z.B. Easy-Flow-Drainage

halboffene (aktiv oder passiv), z.B. Robinson-Drainage

geschlossene (aktiv), z.B. Redon-Drainage

Bülau-Drainage

Pleura-/ Thoraxdrainage

Pflege von Menschen mit Sonden

25.1 Grundlagen Definition Sonden und Drainagen Sonden und Drainagen sind künstliche Verbindungen (Systeme) in das Körperinnere des Menschen, über die Flüssigkeiten dorthin transportiert oder von dort abgeleitet werden (z. B. Wundsekret). Sie können in der Akutsituation (z. B. Wunddrainagen) oder aber über einen längeren Zeitraum notwendig sein (z. B. Ernährungssonden). Probleme und Folgen, die sich aus der Anwendung von Sonden und Drainagen für Patienten ergeben können: ● Bewegungseinschränkungen mit einem erhöhten Dekubitus-, Pneumonie- und Thromboserisiko ● psychische Belastung: Angst, Schamgefühl, Ekel, Unwohlsein ● erhöhtes Infektionsrisiko: Mikroorganismen können durch die offene Verbindung leichter in das Körperinnere eintreten. ● Dekubitusgefahr: durch Druck auf die Haut bzw. Schleimhaut ● Verwachsungen: Systeme können in das Gewebe einwachsen.

25.2 Pflege von Menschen mit Sonden Definition Sonden Flexible oder starre, meist schlauchförmige Instrumente, die in Körperkanäle und Hohlräume eingeführt werden und diagnostischen oder therapeutischen Zwecken dienen. Der Durchmesser von Sonden wird in Charrière (Ch.) angegeben. Je nach Indikation gibt es verschiedene Typen von Sonden: ● Einlumige Sonden dienen meist dazu, Magensaft ablaufen zu lassen, Patienten künstlich zu ernähren oder Sauerstoff zu verabreichen. ● Doppelläufige Sonden besitzen ein zweites, kleineres Lumen, das z. B. zur Belüftung dient, wenn Magensaft abgesaugt werden muss.

Indikationen ● ●



● ●



Applikation von Sondennahrung Ableitung von gestautem Magensaft, z. B. bei Ileus oder Blutung Verabreichung von Medikamenten, z. B. bei intubierten Patienten Entleerung des Mageninhalts, z. B. nach Vergiftungen Zuführen von Spülflüssigkeit, z. B. bei einer orthograden Darmspülung Gewinnung von Magensaft, z. B. zu diagnostischen Zwecken

Sonden ●





Ablaufspülsonden: Über Ablaufsonden kann Magensaft oder Blut ablaufen (sog. Entlastungssonden), z. B. bei einem Ileus, zur Spülung des Magens, z. B. bei Intoxikation oder zur Schienung von Anastomosen. Ernährungssonden: zur kurzfristigen (max. 4 Wochen) oralen Nahrungsaufnahme und Medikamentenverabreichung therapeutische Sonde: – Linton-Nachlas-Sonde (3 Lumen): bei blutenden Magenfundusvarizen – Sengstaken-Blakemore-Sonde (3 Lumen): bei Ösophagusvarizen

Kontraindikationen ●

● ● ●

Fehlbildung und Verletzung in Mund-, Nasen- und/oder Rachenraum Ösophagusvarizen (außer bei therapeutischen Sonden) Soorösophagitis Nasennebenhöhleninfektion (orale Sonden möglich)

Sondenarten ●



PVC-Sonden: zur kurzzeitigen Anwendung (z. B. als Ablaufsonde), lassen sich leicht legen Silikon- und Polyurethansonden: längere Verweildauer (z. B. zur Ernährung auf Intensivstation), werden vom Patienten besser toleriert, sind schwieriger zu legen

25.2.1 Sauerstoffsonden

Magensonde legen

Mithilfe von Sauerstoffsonden kann Patienten mit Dyspnoe oder Atemwegserkrankungen Sauerstoff verabreicht werden.

Das Legen einer Magensonde muss immer ärztlich angeordnet sein. Der Arzt kann es an Pflegende delegieren. Material • Siehe ▶ Abb. 25.1.

Applikationshilfsmittel ●



Sauerstoffkatheter/-sonden: weiche PVC-Schlauchsysteme zum Einführen in die Nase (ca. 1 cm) Sauerstoffbrillen: weiche PVC-Schlauchsysteme mit ca. 1 cm langen Einflussstutzen für beide Nasenlöcher

25.2.2 Magensonden Magensonden (sog. gastrointestinale Sonden) werden meist nasal (selten oral) über den Ösophagus eingeführt. Die Größe der Magensonde richtet sich nach der Indikation und der Körpergröße des Patienten und liegt zwischen 7 und 15 Charrière.

Vorbereitung ● Patienten über die Maßnahme und den Ablauf informieren ● Intimsphäre schützen (z. B. Sichtschutz aufstellen, Fenster und Türen schließen) ● Arbeitsflächen desinfizieren und Abwurf bereitstellen ● Materialien griffbereit legen und sinnvoll anordnen (entsprechend dem Ablauf) ● rückenschonende Arbeitsweise beachten ● Patienten sitzend oder liegend mit leicht erhöhtem Oberkörper positionieren ● Nase reinigen bzw. reinigen lassen − mit Watteträger und Aqua dest. oder Nase schnäuzen lassen, ggf. nasal absaugen

l 25

Pflege von Patienten mit Sonden und Drainagen Abb. 25.1 Material zum Legen einer Magensonde.



● ●

bei korrekter Lage: Sonde an der Wange fixieren und je nach Sondenart: – Ernährungssonde: Sondierung von Tee/Sondenkost – Ablauf-/Spülsonde: Konnektion eines Ablaufbeutels bei Bedarf Nasenpflege durchführen Dokumentation: Datum, Sondenart, -material und Indikation, Charrière-Zahl, Länge bzw. Tiefe der Sonde, Besonderheiten bei der Durchführung, Handzeichen der Pflegefachkraft

Komplikationen beim Legen

Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe und Schutzschürze, Einmalunterlage (Bettschutz), Magensonde: Ablauf-/ Spül-/Ernährungssonde, anästhesierendes Gleitgel, Müllabwurf, wasserfester Stift, Zellstoff und Nierenschale, ggf. Glas mit Wasser und 1 Strohhalm, Pflaster zum Fixieren, Blasenspritze (20– 50 ml), Stethoskop, ggf. Indikatorstreifen (Säurenachweis), ggf. Ablaufbeutel. Foto: L. Schmülling, Thieme ● ●

Einmalunterlage zum Schutz auf die Brust legen Tipp: Rechtshänder stehen an der linken Bettseite (rechts vom Patienten).

Durchführung hygienische Händedesinfektion, unsterile Handschuhe und Schutzschürze anlegen ● Verpackung öffnen und Sonde entnehmen ● Länge der Magensonde abmessen: Der Patient sitzt dazu aufrecht oder ist mit erhöhtem Oberkörper positioniert. Länge der Sonde von der Nasenspitze über das Ohr bis zur Magengrube abmessen und mit dem Stift markieren ● Magensonde an der Spitze mit dem anästhesierenden Gel einreiben ● ggf. Führungsdraht kurz lösen und mehrmals vor-/zurückschieben (Herstellerangaben beachten!) ● Kopf leicht in den Nacken legen (lassen) und Sonde vorsichtig in ein Nasenloch einführen („nach unten“ Richtung Gaumen, nicht „nach oben“) ● nach ca. 10 cm den Kopf leicht nach vorne beugen (lassen) und weiter vorsichtig vorschieben ● Patienten, sobald die Magensonde den Nasen-RachenRaum erreicht hat, zum Schlucken auffordern (Glas Wasser und Strohhalm) ● Sonde zügig bis zur Markierung vorschieben und Führungsdraht entfernen, Sonde zugfrei an der Nase fixieren ● Handschuhe ausziehen und Hände desinfizieren ● Lage der Sonde kontrollieren: Schutzhandschuhe anziehen, mit der Blasenspritze ca. 20−50 ml Luft applizieren und gleichzeitig mit dem Stethoskop Magengeräusche abhören − bei „gurgelndem“ Geräusch liegt die Sonde richtig (Luft im Anschluss wieder vorsichtig abziehen). Alternativ mit der Blasenspritze Magensaft abziehen und mit Indikatorstreifen auf Säuregehalt testen. ●

182

Der Vorgang muss abgebrochen bzw. die Sonde zurückgezogen werden, wenn: ● der Patient erbricht (Aspirationsgefahr) ● der Patient hustet und/oder zyanotisch wird (u. U. liegt die Sonde in der Luftröhre) ● atemsynchrone Luftgeräusche aus der liegenden Sonde zu hören/fühlen sind (u. U. liegt die Sonde in der Luftröhre) ● die Lagekontrolle negativ ausfällt, d. h. die korrekte Lage nicht zweifelsfrei festgestellt wird (u. U. hat sich die Sonde im Rachen aufgerollt oder ist in der Luftröhre hängen geblieben) ● der Patient über Schwindel klagt oder kollabiert (u. U. Bradykardie durch Reizung des Nervus vagus)

Pflege bei liegender Magensonde ●



● ●







Magensonde bzw. betroffene Haut (Naseneingang, -rücken) täglich inspizieren, auf Verkrustungen, Verschmutzungen und Druckstellen achten bei Bedarf Fixierungspflaster erneuern (Herstellerangaben beachten!) mögliche Verkrustungen mit warmem Wasser lösen tägliche Nasenpflege (Watteträger, Aqua dest. und Nasensalbe) Soor- und Parotitisprophylaxe durchführen (siehe Kap. 21.4) Ernährungssonden: – Vor jeder Applikation (Sondennahrung, Medikament etc.) muss eine Lagekontrolle durchgeführt werden. – Überprüfung, ob Markierung der Magensonde noch an der Nasenspitze liegt Ablauf-/Spülsonden: – Ablaufbeutel unter Magenniveau hängend platzieren und – ablaufende Flüssigkeit auf Menge, Konsistenz, Farbe, Beschaffenheit, Beimengungen sowie Geruch kontrollieren und dokumentieren: bei Auffälligkeit Arzt informieren

25.2.3 Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) Definition PEG Die perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) ist ein mithilfe eines Endoskops künstlich gelegter Zugang zum Magen über die Bauchdecke. Sie dient der längerfristigen enteralen Ernährung. Das Legen ist eine ärztliche Aufgabe und kann nicht delegiert werden, Pflegende assistieren beim Eingriff. Die Anla-

Pflege von Menschen mit Drainagen ge einer PEG zur Sicherstellung der Ernährung stellt in manchen Fällen ein ethisches Problem dar und sollte gerade bei palliativen Patienten immer umfassend diskutiert werden. Die Einwilligungserklärung erfolgt durch den Patienten oder den gesetzlichen Betreuer.

Umgang mit Drainagen ● ●



Indikationen für eine PEG ●

● ●

ausgeprägte Dysphagie (Schluckstörung) z. B. nach Schlaganfall Wachkoma, Tumoren im Mund- und Rachenbereich wenn eine orale Ernährung einige Wochen nicht möglich ist

Verbandwechsel PEG ● ●





täglich in den ersten 10 Tagen nach dem Eingriff dann alle 2–3 Tage (bei reizloser Wunde reichen sterile Kompressen mit Pflaster) Nach 2–3 Wochen kein Verband mehr nötig (keine Infektionsgefahr mehr) besonders wichtig beim VW: Mobilisation der Sonde, damit sie nicht an der Magenwand anwächst

● ●



Beurteilungskriterien und Dokumentation ●



25.3.1 Grundlagen Definition Drainage Durch eine Drainage sollen Flüssigkeiten oder Gase nach außen abgeleitet werden. Drainagen liegen in Körperhöhlen oder Geweben. Bei einer Lymphdrainage wird durch Massage Flüssigkeit im Gewebe so abgeleitet, dass sie über Lymphbahnen abtransportiert werden kann.

Indikationen Ableiten von: ● Blut/Sekret oder Luft, z. B. aus der Pleura oder den Gelenken ● Gallensekret ● Liquor/Blut aus den Hirnventrikeln ● Wundsekrete/Eiter aus Wunden

Drainagensysteme ●





offene Drainagen: Sekret wird passiv in den Verband geleitet (z. B. Easy-Flow-Drainage) halboffene Drainagen: besitzen einen Auffangbeutel, können passiv und aktiv sein (z. B. Robinson-Drainage) geschlossene Drainagen: Ableitungsschlauch und Auffangbehälter sind verbunden, Sonden sind meist aktiv, d. h., sie haben einen Unterdruck (z. B. Redon- oder Bülau-Drainage)



● ●

nach ärztlicher Anordnung, wenn der Auffangbehälter voll ist, oder bei Verlust des Sogs (z. B. bei Redondrainagen) möglichst keine Manipulation am geschlossenen System (Gefahr aufsteigender Infektionen) Diskonnektionsstelle wird vor dem Wechsel desinfiziert Neues Auffangsystem wird mithilfe der Non-Touch-Technik mit Drainagesystem verbunden.

Komplikationen ●

● ● ●

Infektionen: erfolgen oft aufsteigend entlang des Drainageschlauchs Arrosion: Ableitung verwächst mit Gewebe Dislokation: durch Bewegung des Patienten Schmerzen: durch Stauung des Sekrets oder zu straffen Verband

25.3.2 Thorax- und Pleuradrainagen Definition Thorax- und Pleuradrainagen Thoraxdrainagen leiten Flüssigkeit und/oder Luft aus Brustkorb (Thorax), Pleuraspalt oder Mediastinalraum ab. Pleuradrainagen zählen zu den Thoraxdrainagen. Sie leiten Flüssigkeit und Luft aus dem Pleuraspalt, um den physiologischen Unterdruck der Pleura zur Entfaltung der Lungen wiederherzustellen. Häufig werden die Begriffe synonym verwendet. ●



Passive Drainagen funktionieren über Schwerkraft oder Kapillarwirkung, aktive Drainagen benötigen eine äußere Sogquelle.

grundsätzlich nach der Anlage: Drainagensystem, Lokalisation, Anzahl, Anlagedatum der Drainagen tägliche Beobachtung des Wundsekrets: Aussehen, Menge (tritt sehr viel seröses Sekret aus, Arzt informieren), Geruch (nur bei offenen System möglich), Konsistenz

Wechsel der Ablaufsysteme ●

25.3 Pflege von Menschen mit Drainagen

Die Anlage einer Drainage ist eine ärztliche Tätigkeit. Pflegende achten darauf, dass Drainagen frei ablaufen können. Schwerkraft-Drainagen unterhalb des Niveaus der Austrittstelle positionieren Bewegungseinschränkung für den Patienten reduzieren Patienten individuell informieren (z. B. über Umgang mit der Drainage) Ableitungsschlauch patientennah fixieren, sodass er nicht abknicken kann

Thoraxdrainagen werden in der Herzchirurgie zur Ableitung von Blut- oder Wundsekret aus dem Operationsgebiet eingesetzt und fungieren dabei als normale Wunddrainagen. Pleuradrainagen sind sehr verbreitet, sie zählen zu den geschlossenen aktiven Drainagen.

Pflege von Menschen mit Drainagen ge einer PEG zur Sicherstellung der Ernährung stellt in manchen Fällen ein ethisches Problem dar und sollte gerade bei palliativen Patienten immer umfassend diskutiert werden. Die Einwilligungserklärung erfolgt durch den Patienten oder den gesetzlichen Betreuer.

Umgang mit Drainagen ● ●



Indikationen für eine PEG ●

● ●

ausgeprägte Dysphagie (Schluckstörung) z. B. nach Schlaganfall Wachkoma, Tumoren im Mund- und Rachenbereich wenn eine orale Ernährung einige Wochen nicht möglich ist

Verbandwechsel PEG ● ●





täglich in den ersten 10 Tagen nach dem Eingriff dann alle 2–3 Tage (bei reizloser Wunde reichen sterile Kompressen mit Pflaster) Nach 2–3 Wochen kein Verband mehr nötig (keine Infektionsgefahr mehr) besonders wichtig beim VW: Mobilisation der Sonde, damit sie nicht an der Magenwand anwächst

● ●



Beurteilungskriterien und Dokumentation ●



25.3.1 Grundlagen Definition Drainage Durch eine Drainage sollen Flüssigkeiten oder Gase nach außen abgeleitet werden. Drainagen liegen in Körperhöhlen oder Geweben. Bei einer Lymphdrainage wird durch Massage Flüssigkeit im Gewebe so abgeleitet, dass sie über Lymphbahnen abtransportiert werden kann.

Indikationen Ableiten von: ● Blut/Sekret oder Luft, z. B. aus der Pleura oder den Gelenken ● Gallensekret ● Liquor/Blut aus den Hirnventrikeln ● Wundsekrete/Eiter aus Wunden

Drainagensysteme ●





offene Drainagen: Sekret wird passiv in den Verband geleitet (z. B. Easy-Flow-Drainage) halboffene Drainagen: besitzen einen Auffangbeutel, können passiv und aktiv sein (z. B. Robinson-Drainage) geschlossene Drainagen: Ableitungsschlauch und Auffangbehälter sind verbunden, Sonden sind meist aktiv, d. h., sie haben einen Unterdruck (z. B. Redon- oder Bülau-Drainage)



● ●

nach ärztlicher Anordnung, wenn der Auffangbehälter voll ist, oder bei Verlust des Sogs (z. B. bei Redondrainagen) möglichst keine Manipulation am geschlossenen System (Gefahr aufsteigender Infektionen) Diskonnektionsstelle wird vor dem Wechsel desinfiziert Neues Auffangsystem wird mithilfe der Non-Touch-Technik mit Drainagesystem verbunden.

Komplikationen ●

● ● ●

Infektionen: erfolgen oft aufsteigend entlang des Drainageschlauchs Arrosion: Ableitung verwächst mit Gewebe Dislokation: durch Bewegung des Patienten Schmerzen: durch Stauung des Sekrets oder zu straffen Verband

25.3.2 Thorax- und Pleuradrainagen Definition Thorax- und Pleuradrainagen Thoraxdrainagen leiten Flüssigkeit und/oder Luft aus Brustkorb (Thorax), Pleuraspalt oder Mediastinalraum ab. Pleuradrainagen zählen zu den Thoraxdrainagen. Sie leiten Flüssigkeit und Luft aus dem Pleuraspalt, um den physiologischen Unterdruck der Pleura zur Entfaltung der Lungen wiederherzustellen. Häufig werden die Begriffe synonym verwendet. ●



Passive Drainagen funktionieren über Schwerkraft oder Kapillarwirkung, aktive Drainagen benötigen eine äußere Sogquelle.

grundsätzlich nach der Anlage: Drainagensystem, Lokalisation, Anzahl, Anlagedatum der Drainagen tägliche Beobachtung des Wundsekrets: Aussehen, Menge (tritt sehr viel seröses Sekret aus, Arzt informieren), Geruch (nur bei offenen System möglich), Konsistenz

Wechsel der Ablaufsysteme ●

25.3 Pflege von Menschen mit Drainagen

Die Anlage einer Drainage ist eine ärztliche Tätigkeit. Pflegende achten darauf, dass Drainagen frei ablaufen können. Schwerkraft-Drainagen unterhalb des Niveaus der Austrittstelle positionieren Bewegungseinschränkung für den Patienten reduzieren Patienten individuell informieren (z. B. über Umgang mit der Drainage) Ableitungsschlauch patientennah fixieren, sodass er nicht abknicken kann

Thoraxdrainagen werden in der Herzchirurgie zur Ableitung von Blut- oder Wundsekret aus dem Operationsgebiet eingesetzt und fungieren dabei als normale Wunddrainagen. Pleuradrainagen sind sehr verbreitet, sie zählen zu den geschlossenen aktiven Drainagen.

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Pflege von Patienten mit Sonden und Drainagen

Indikationen von Pleuradrainagen ●

● ● ●

● ●

geschlossener und offener Pneumothorax (Luft im Pleuraspalt) Hämatothorax (Blut im Pleuraspalt) Hämatopneumothorax (Blut und Luft im Pleuraspalt) Serothorax/Pleuraerguss (seröse Flüssigkeit im Pleuraspalt) Pyothorax/Pleuraempysem (Eiter im Pleuraspalt) Chylothorax (Lymphe im Pleuraspalt)

Pleuradrainagensysteme ●



Bülau-Drainage: zur Ableitung von Sekreten oder Luft aus dem Pleuraspalt Monaldi-Drainage: zur Ableitung von Luft, Pleuraspülung, z. B. bei Tuberkuloseherden

Komplikationen ● ●

● ●



Information des Arztes ● ● ● ●

Auffangsysteme ●









Einflaschensystem: Mit diesem System kann Luft aus dem Pleuraspalt entweichen, jedoch nicht zurückströmen. Außerdem kann es Sekret ableiten, wenn es sich unterhalb des Patientenniveaus befindet und nach dem Schwerekraftprinzip agiert. Zweiflaschensystem: Dem Wasserschloss ist eine weitere Kammer vorgeschaltet, die das Sekret auffängt. Dreiflaschensystem: Hier wird aktiv gesaugt. Die dritte Flasche wird auch als Saugkontrollkammer oder Sogbegrenzungskammer bezeichnet. Einwegsysteme: funktionieren wie Dreiflaschensysteme und haben zusätzlich verschiedene Sicherheitsventile elektrische Thoraxdrainage: Der Unterdruck wird durch eine akkubetriebene Saugpumpe erzeugt. Die Parameter des Verlaufs werden auf einem Display angezeigt.

Blutungen Fehlpunktion, z. B. Punktion der Lunge, Verletzung von Nerven, Zwerchfell oder bei zu tiefer Punktion der Bauchorgane und Thoraxorgane (z. B. Herz) Herzrhythmusstörungen Infektion der Punktionsstelle, aufsteigende Infektion über die Drainage Hautemphysem (pathologische Luftansammlung in der Subkutis)

● ●

Luftnot des Patienten Infektion oder Schock Drainage fördert Luft („blubbern“) Bildung eines Hautemphysems Patient hat Schmerzen aufgrund der Drainage. Menge und/oder Aussehen des Sekrets ändern sich.

KOMPAK T Sonden und Drainagen ●



Am gebräuchlichsten sind die Einwegsysteme mit 3 Kammern (Dreiflaschensystem). ●

Pflegerische Aufgaben ● ●

● ● ● ● ●



184

Verbandwechsel nach Arztanordnung Patienten beobachten: Atemfrequenz und -rhythmus, Schmerzen, Emphysem, Entzündungszeichen Menge und Aussehen des Sekrets Fixierung kontrollieren Saugsystem auf Funktion und Dichtigkeit prüfen eingestellte Stärke des Sogs kontrollieren bei System mit Steigrohr-Manometer: überprüfen, ob dieses ständig „blubbert“ (→ kann Hinweis auf Pneumothorax sein) Wechsel des Einmalsystems: Drainage mit zwei Kunststoffschlauchklemmen abklemmen, Sog ausstellen und über Belüftungsventil Unterdruck ablassen, System wechseln (Non-Touch-Technik) → Sog wieder einstellen und Klemmen entfernen

allgemeine Probleme und Folgen bei Patienten mit Sonden und Drainagen: – Bewegungseinschränkungen, psychische Belastung, erhöhtes Infektionsrisiko, Dekubitusgefahr, Verwachsungen Sonden: – Starre PVC-Sonden dürfen nur wenige Tage liegen (z. B. als Ablauf-Spülsonde oder zu therapeutischen Zwecken). – Silikon- und Polyurethansonden sind zur kurzzeitigen Ernährung (max. 4 Wochen) zu verwenden. – PEG-Sonden dienen der längerfristigen Ernährung. Drainagen: – patientengerechte Aufklärung über den Umgang mit der Drainage – auf Anzeichen von Komplikationen achten (z. B. Entzündungszeichen)

26

Pflege bei Punktionen und Biopsien

Nachblutungen? Trinkmenge?

Kopfschmerzen?

Knochenmarkpunktion Beckendruckverband

Lumbalpunktion

Pleurapunktion Atmung?

Ödeme

Schmerzen?

Stauung Aszitespunktionen

eiweißarm, z.B. Bauchumfang?

Nachblutung?

Transsudat Punktat

Punktionen Aszites

Exsudat eiweißreich, z.B. Entzündungen

Pleuraerguss

therapeutisch, z.B.

Indikationen

Tumoren

Einbringen von Medikamenten

diagostisch, z.B. Biopsien Einbringen von Kontrastmittel Untersuchung von, z.B.

Blut Liquor Schleimhaut

endoskopische Biopsie

Stanzbiopsie

Exzisionsbiopsie

Knochenmarkbiopsie

Haut

Grundlagen

26.1 Grundlagen

26.1.1 Punktionen

Definition Punktion Eine Punktion ist das Einstechen einer Kanüle (Hohlnadel) in ein Blutgefäß, ein Organ oder einen vorgebildeten Hohlraum bzw. eine neu gebildete Höhle. Wird bei der Punktion Flüssigkeit abgezogen, bezeichnet man diese Flüssigkeit als Punktat.

Definition Biopsie Bei einer Biopsie wird Gewebe entnommen, um es histologisch zu untersuchen. Dabei kann es sich um Zellen oder Gewebestücke handeln. Indikationen ● diagnostisch: z. B. zyto- und histologische Untersuchung von Körperflüssigkeiten oder Gewebeanteilen wie Blut, Liquor, Haut, Schleimhaut, Einbringen von Diagnostika (z. B. Kontrastmittel) ● therapeutisch: z. B. Einbringen von Therapeutika (z. B. Zytostatika), Entlastung bei Gelenkerguss, Pleuraerguss, Aszites

Beim Punktat wird in der Diagnostik je nach Zusammensetzung und Eiweißgehalt der Flüssigkeit unterschieden zwischen Transsudat und Exsudat: ● Transsudat: eiweißarme Flüssigkeitsansammlung in einer Körperhöhle, bei der Flüssigkeit aus der Blutbahn ausgetreten ist. Transsudate weisen auf Ödeme, Stauungen oder erhöhte Gefäßdurchlässigkeit hin. Sind meist klar, hellgelb bis grünlich. ● Exsudat: eiweißreiche Flüssigkeitsansammlung, bei der Flüssigkeit durch durchlässige Kapillaren in Körperhöhlen gelangt. Exsudate weisen auf Entzündungen, Tumorerkrankungen und Verletzungen hin. Sind meist trüb, hellgelb bis grün, blutig oder jauchig. Die häufigsten Punktionen und ihre Besonderheiten finden Sie in ▶ Tab. 26.1.

Tab. 26.1 Häufige Punktionen und ihre Besonderheiten. Punktionen

Aszitespunktion

Pleurapunktion

Lumbalpunktion

Knochenmarkspunktion

Definition

Aszites (Bauchwassersucht) ist eine pathologische Flüssigkeitsansammlung in der freien Bauchhöhle.

Punktion der Pleurahöhle (Spaltraum zwischen Rippen- und Lungenfell)

Entnahme von Liquor durch Punktion des Duralsacks im Lendenwirbelbereich

Punktion des Knochenmarks und Entnahme von Knochenmarkszellen

Indikation (Beispiele)





diagnostisch, bei Verdacht auf Infektion therapeutisch: Entlastung bei Leberzirrhose oder Lymphabflussstörungen





diagnostisch: bakteriologische oder zytologische Untersuchung therapeutisch: Entlastung bei Pleuraerguss





Positionierung



Nachsorge









Rückenlage mit leicht erhöhtem Oberkörper



Bauchumfang messen und dokumentieren evtl. Humanalbumin als Kurzinfusion verabreichen, um Eiweißverlust auszugleichen Verband anlegen und mittels Laparotomiebinde 1–2 Std. komprimieren 24 Std. auf Nachblutungen oder Austritt von Flüssigkeit achten









diagnostisch, bei Verdacht auf: entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, Subarachnoidalblutung, Blut-LiquorSchranken-Störung, Tumorerkrankung therapeutisch: Spinalanästhesie zur Schmerzreduzierung und zur Druckentlastung bei einem Hydrozephalus (S. 459)





diagnostisch, bei Verdacht auf eine Erkrankung des Blut- und Immunsystems therapeutisch: zur Stammzelltherapie (selten)

sitzende Position Arme auf den Nachttisch legen, um Raum zwischen den Rippen zu vergrößern



sitzende Position mit gebeugtem Oberkörper (Rundrücken)



Patient liegt in Seitenlage mit angezogenen Beinen

nach 1–2 Std. Röntgenthorax, um Pneumothorax auszuschließen Verband 1-mal täglich wechseln, bis Einstichstelle verheilt ist Komplikationen: Fieber, Verschlechterung der Atmung (Hinweis auf Pneumo- oder Hämatothorax!)



steriles Wundpflaster anlegen „normale“ Nachwirkungen: Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen bei Lähmungserscheinungen oder Bewusstseinsstörungen (Arzt informieren) zum Trinken anhalten (zur Reduktion der Kopfschmerzen)



ca. 4 Min. mit steriler Kompresse komprimieren und Wundverband anlegen, um Nachblutungen zu vermeiden; evtl. Beckendruckverband anlegen Sandsack auf Punktionsstelle und 1 Std. Bettruhe Monitor-Überwachung bei Schmerzen ein Analgetikum verabreichen









● ●

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Pflege bei Punktionen und Biopsien

Biopsien Biopsien dienen zur Sicherung einer Diagnose. Dabei wird zwischen verschiedenen Formen von Biopsien unterschieden. Die Wahl der Biopsien hängt von dem zu untersuchenden Organ, der Gewebeart und der Größe des zu untersuchenden Bereichs ab. Es wird unterschieden zwischen: ● Stanzbiopsie, Feinnadelbiopsie: Gewebe wird mit Nadel entnommen, z. B. Rückenmark, Leberbiopsie, Nierenbiopsie, Knochenmarksbiopsie (durch Drehbewegung mit Jamshidi-Hohlnadel wird Knochenmark herausgestanzt). ● Exzisionsbiopsie: Gewebe wird mit Skalpell entnommen, z. B. bei V. a. Hauttumor. ● endoskopische Biopsie: Gewebe wird über Endoskop mit kleiner Zange herausgeschnitten, z. B. am Magen-DarmTrakt oder an der Blase.

Nachbereitung ● sterilen Verband anbringen ● Untersuchungsmaterial beschriften und ins Labor bringen ● Patienten mind. 2 Stunden nach dem Eingriff überwachen: – Vitalzeichenkontrolle: Erhöhte Temperatur deutet auf eine Infektion hin. – Schmerzen: Analgetika verabreichen – Punktionsstelle: Verband wird auf Nachblutung kontrolliert. ● evtl. spezifisches Gewicht und Menge des Punktats dokumentieren ● Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz je nach Hausstandard und Zustand des Patienten

KOMPAK T

26.1.2 Durchführung Vorbereitung ● Belastbarkeit des Patienten einschätzen und Patienten informieren ● schriftliche Aufklärung durch den Arzt ● Laborwerte, speziell Gerinnungswerte müssen vorliegen ● Patient muss 6 Stunden vor Eingriff nüchtern sein (damit er im Notfall eine Narkose erhalten kann). ● Notwendige Materialien werden steril vorbereitet: – Händedesinfektionsmittel, Desinfektionsmittelschale, sterile Tupfer – Lokalanästhesie nach Anordnung, Einmalspritze, Kanülen – sterile Handschuhe, steriler Einmalkittel, Mundschutz – sterile Kompressen 10 × 10 cm, steriles Lochtuch – Abwurfbehälter – ggf. Auffanggefäß für Punktat – steriler Wundverband, steriles Pflaster – ggf. sterile Laborröhrchen für bakteriologische Untersuchungen – Zellstoff, Abwurfschale, Pflaster, Schere ● Patient wird je nach Punktions- oder Biopsieort gelagert. ● evtl. Rasur entsprechender Punktions- oder Biopsiestelle ● Mittels „Sprüh-Wisch-Sprüh-Methode“ wird Hautdesinfektion durchgeführt. ● Einstichstelle wird mit sterilem selbstklebendem Schlitztuch abgedeckt. Aufgaben von Pflegenden während des Eingriffs • Pflegende assistieren dem Arzt bei der Probeentnahme und beobachten den Patienten: ● Patient: – bei der Positionierung unterstützen – begleiten und informieren – Schmerzen erfragen – Vitalparameter erheben ● Materialien steril anreichen ● Proben für die laborchemische Untersuchung vorbereiten

188

Pflege bei Punktionen und Biopsien ●











Bei einer Punktion wird – aus diagnostischen (z. B. zur histologischen Untersuchung) oder therapeutischen (z. B. bei einem Pleuraerguss) Gründen – Flüssigkeit aus einem Blutgefäß, einem Organ oder einem Hohlraum abgezogen. Bei einem Punktat wird ein Transsudat (eiweißarm) von einem Exsudat (eiweißreich) unterschieden. häufigste Punktionen: Aszites-, Pleura-, Lumbal- und Knochenmarkspunktion Bei einer Biopsie wird Gewebe zur histologischen Untersuchung entnommen. Biopsiearten: Stanzbiopsie/Feinnadelbiopsie, Exzisionsbiopsie und endoskopische Biopsie Zu den Hauptaufgaben von Pflegenden zählen: – Vorbereitung des Eingriffs (z. B. Materialien richten) – Assistenz während des Eingriff (z. B. steril anreichen) – Patienten überwachen und begleiten

27

Darmeinläufe und Stomapflege

Reinigungseinlauf

Hebe-Senk-Einlauf

hoher Einlauf Temperatur zu gering = ggf. Darmkrämpfe!

Einlauf (große Flüssigkeitsmenge)

Verletzungsgefahr!

Obstipation

Spüllösungen

Darmrohr

!

vor Geburt, OP

37 °C

Klistiere (kleine Flüssigkeitsmenge)

Indikationen,

frühe Schwangerschaft

Kontraindikationen,

Intimsphäre wahren!

Abortgefahr

Z. n. Darm-OP Nahtinsuffizienz

Darmeinläufe Darmverletzung Hautumgebung

Schleimhaut Tumorentfernung

Aussehen des Stomas

Ausscheidung

kontinuierlich

Indikationen, z.B. Beobachtung

Einteilung

temporär

endständiges Stoma

Stoma

Verfahren doppelläufiges Stoma

Urostoma Enterostoma Indikationen, z.B. Tumoren

Intimsphäre wahren!

Kolostoma

Anlage Oberbauch oder l. Unterbauch

Beutelwechsel Intimsphäre wahren! Ileostoma

angeborene Fehlbildungen Harnableitung, z.B. kontinent (Ersatzblase)

Beutelwechsel

Anlage r. Unterbauch

inkontinent (äußeres Reservoir)

sehr flüssiger Stuhl Hautschädigung!

eher fester Stuhl

Darmeinläufe

27.1 Darmeinläufe Definition Darmeinlauf Bei einem Darmeinlauf (Klistier, Klysma, [griech. Einlauf]) wird über den After Flüssigkeit in den Darm eingebracht, um die Defäkation (Stuhlausscheidung) anzuregen. Indikationen ● Anregung der Defäkation bei Obstipation ● kontrollierte Darmentleerung bei Querschnittlähmung ● Darmreinigung vor Rektoskopie/Koloskopie ● Darmentleerung vor OPs und Geburten (Ziel: kontrollierter Stuhlabgang) ● zur Applikation von Arzneimitteln (Laxanzien) ● zur Diagnostik (Darstellung der unteren Darmabschnitte mittels Kontrastmittel)

27.1.2 Darmeinlauf durchführen Vorbereitung ● Patienten über Ablauf informieren ● geeigneten Zeitpunkt wählen (nicht während der Besuchszeiten) ● Intimsphäre schützen (Trennwand, Vorhang, Türschild)! ● Material: Handschuhe, Händedesinfektionsmittel, Darmrohr, Schlauchklemme (wenn System keine eigene Klemme hat), Beutel mit der Einlaufflüssigkeit, wasserundurchlässige Unterlage, Reinigungstücher, Papiertücher, Creme oder Gleitmittel (für das Darmrohr), Infusionsständer (um Beutel mit Flüssigkeit anzuhängen), Bettschüssel (Steckbecken), Toilettenstuhl, Bettwäsche, Handtuch, Waschlappen, Sichtschutz Durchführung Hände desinfizieren, unsterile Einmalhandschuhe und Schutzschürze anziehen ● Patienten auffordern, sich auf die linke Seite zu drehen, Beine leicht anwinkeln (Flüssigkeit fließt so leichter ins Kolon), wasserundurchlässige Unterlage unterlegen ● Darmrohr mit dem Einlaufbeutel verbinden, abklemmen, Flüssigkeit einfüllen, Darmrohr vollständig entlüften und erneut abklemmen ● Spitze des Darmrohrs mit anästhesierender Creme oder Gleitmittel einreiben ● Einlaufbeutel oberhalb des Patientenniveaus anbringen ● Darmausgang inspizieren, bei sichtbaren Hämorrhoiden Arzt informieren ● Darmrohr unter leichter Drehbewegung ca. 10 cm in den Darm einführen ● Patienten bitten, tief durch den Mund zu atmen (Schließmuskel entspannt sich leichter) ● bei Schmerzen, Blut oder einem spürbaren Widerstand Maßnahme abbrechen und Arzt informieren ● Klemme am Einlaufbeutel öffnen und Flüssigkeit langsam einlaufen lassen ● Ist die Flüssigkeit vollständig eingelaufen, Darmrohr erneut abklemmen und anschließend ziehen; dabei Handschuh über das Ende des Darmrohrs stülpen und alles gemeinsam verwerfen. ● Patient sollte versuchen, Flüssigkeit mindestens 5–10 Min. zu halten. Ggf. Nachtstuhl oder Steckbecken bereithalten. Alternativ Patienten zur Toilette begleiten (Vorsicht: erhöhte Sturzgefahr! Stuhldrang, Kreislaufprobleme). ●

Kontraindikationen Zustand nach Darmoperationen (Gefahr: Nahtinsuffizienz) ● Blutungen im Magen-Darm-Trakt (Gefahr: verstärkte Blutung) ● mechanischer Darmverschluss (Gefahr: Darmruptur) ● frühe Schwangerschaft (Gefahr: Abort) ● schwere Herzerkrankung (Gefahr: hohe Belastung des Herzens) ● Niereninsuffizienz (Gefahr: hohe Belastung der Nieren) ●

27.1.1 Darmeinläufe, Spüllösungen und Darmrohr Darmeinläufe • Einläufe können nach ● der applizierten Flüssigkeitsmenge (z. B. Mikroklist, Klistier, Einlauf), ● der Indikation/Funktion (Reinigungseinlauf, rektale Darmspülung, Kontrastmitteleinlauf) und ● dem Prinzip (z. B. hoher Einlauf, Hebe-Senk-Einlauf) unterteilt werden. Die Art der Verabreichung ist abhängig von den Anforderungen an die Darmentleerung und wird ärztlich angeordnet. Spüllösungen • Ist die Temperatur der applizierten Spüllösung zu gering, kann dies zu massiven Darmkrämpfen und Schmerzen führen. Empfohlen wird eine Temperatur von ca. 37 °C. Die Spüllösungen können unterschiedlich zusammengesetzt sein: ● Klistier: geringe Flüssigkeitsmenge mit Zusatz von Sorbit (osmotische Wirkung), Glyzerin (löst Defäkationsreflex aus), Paraffinum subliquidum (macht Stuhl geschmeidig) oder salinischen Zusätzen (hypertone Lösung mit osmotischer Wirkung) ● Einlauf: größere Flüssigkeitsmenge, wird meist mit Leitungswasser und Glyzerin hergestellt (Zusätze wie Laxanzien sind nach Anordnung möglich) Darmrohr • Darmrohre gibt es in verschiedenen Größen und aus unterschiedlichen Materialien. Manche haben eine Blockung. Die Flüssigkeitsmenge richtet sich nach dem Alter des Patienten und der Art des Einlaufs. Vor dem Einführen sollte unbedingt kontrolliert werden, ob die Rohrspitze scharfe Kanten hat (Verletzungsgefahr für den Patienten)!

Nachsorge • Patienten aufklären, dass es auch später noch zu Darmentleerungen oder Windabgängen kommen kann; Rufsystem in Reichweite legen, ggf. Bettwäschewechsel, Gebrauchsartikel entsorgen, Abstellflächen und Hände desinfizieren, für Frischluftzufuhr sorgen, nach Arztanordnung Stuhlprobe abnehmen, Maßnahme dokumentieren.

l 27

Darmeinläufe und Stomapflege

27.2 Pflege von Menschen mit Enterostoma

Abb. 27.1 Enterostomaarten. oral

aboral

Colon transversum

Transversostoma

Definition Stoma Künstliche, operative Öffnung eines Hohlorgans (z. B. Darm, Blase, Luftröhre usw.) zur Körperoberfläche. Unter dem Begriff „Enterostoma“ werden künstliche Dickund Dünndarmausgänge zusammengefasst. Befindet sich die Öffnung im Bereich des Dünndarms, wird diese Ileostoma genannt, befindet sie sich im Bereich des Dickdarms, Kolostoma (▶ Abb. 27.1). Indikationen • chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Darmverletzungen, Darmverschluss, Schutz einer operativ angelegten Darmnaht (Anastomose), Tumorentfernung

Ileum

Colon ascendens

Colon descendens

Ileostoma

Kolostoma

Zökostoma

Colon sigmoideum Harnblase

Caecum

Rektum

27.2.1 Einteilung von Enterostomata Je nach Erkrankung können Enterostomata kontinuierlich oder nur für eine bestimmte Zeit (temporär) angelegt werden. Dies ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung. Vor der Anlage wird gemeinsam mit einer Stomatherapeutin die optimale Position ermittelt und angezeichnet (Bauchfalte, Hosenbund …). Es gibt 2 Möglichkeiten bzw. Verfahren zur Anlage eines Stomas. Man unterscheidet das endständige und das doppelläufige Stoma. ● endständiges Enterostoma: Der Darmstrang wird komplett durchtrennt. Der orale (vom Mund kommende) Teil des Darms wird durch die Bauchdecke abgeleitet. Der verbleibende Teil wird blindverschlossen und im Bauch belassen. Endständig bedeutet nicht, dass der Darmabschnitt nicht zurückverlegt werden kann. Dies ist in einer späteren Operation möglich (Operation „nach Hartmann“). ● doppelläufiges Enterostoma: Der Darm wird nur zur Hälfte durchtrennt, die beiden entstandenen Öffnungen werden an der Austrittstelle vernäht. Damit das Stoma nicht abrutscht, wird es häufig mit einem Reiter versehen (Kunststoffstab unter der Darmschlinge – wird i. d. R. nach 10 Tagen entfernt). Deviations- oder protektive Stomata werden häufig doppelläufig angelegt und nach einigen Wochen rückverlegt.

After

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

27.2.3 Kolostoma Definition Kolostoma Künstlich angelegter Darmausgang (syn. Anus praeter) mit Ableitung des Dickdarminhalts über die Bauchdecke nach außen. Abhängig vom OP-Verfahren wird das Kolostoma leicht erhaben oder auf Bauchdeckenniveau angenäht. Typische Lokalisation: rechter oder linker Oberbauch oder linker Unterbauch.

Versorgungssysteme Grundsätzlich kann man zwischen einteiligen und zweiteiligen Versorgungssystemen unterscheiden. Viele Beutel enthalten einen Kohlefilter, der Gerüche absorbiert. ● einteilige Systeme: weiche Platte, muss 1–2-mal täglich gewechselt werden ● zweiteilige Systeme: starre Platte, muss nach 3 Tagen gewechselt werden

Prinzipien der Stomaversorgung

27.2.2 Ileostoma



Definition Ileostoma Künstlich angelegter Darmausgang mit Ableitung des Dünndarminhalts über die Bauchdecke nach außen. Das Ileostoma wird 1–2 cm über dem Hautniveau angelegt, da die aggressive Darmflüssigkeit nicht mit der Haut in Berührung kommen sollte (Stuhlkonsistenz ist sehr flüssig). Typische Lokalisation: rechter Unterbauch.





● ●

192

Einfühlungsvermögen und fachliche Kompetenz der Pflegefachkraft sind wichtig. Im Gespräch – auf Ängste/Sorgen eingehen, – Scham und Ekel thematisieren, – Veränderung des Körperbildes (Nähe, Sexualität, Selbstbild) ansprechen. Stomatherapeutin frühzeitig hinzuziehen (im Idealfall bereits präoperativ) Patienten schrittweise zur Selbstversorgung anleiten (sofern möglich) ggf. Kontakt zu Selbsthilfegruppen herstellen Ernährung: mehrere kleine Mahlzeiten, keine blähenden Speisen, viel trinken

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Darmeinläufe und Stomapflege

27.2 Pflege von Menschen mit Enterostoma

Abb. 27.1 Enterostomaarten. oral

aboral

Colon transversum

Transversostoma

Definition Stoma Künstliche, operative Öffnung eines Hohlorgans (z. B. Darm, Blase, Luftröhre usw.) zur Körperoberfläche. Unter dem Begriff „Enterostoma“ werden künstliche Dickund Dünndarmausgänge zusammengefasst. Befindet sich die Öffnung im Bereich des Dünndarms, wird diese Ileostoma genannt, befindet sie sich im Bereich des Dickdarms, Kolostoma (▶ Abb. 27.1). Indikationen • chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Darmverletzungen, Darmverschluss, Schutz einer operativ angelegten Darmnaht (Anastomose), Tumorentfernung

Ileum

Colon ascendens

Colon descendens

Ileostoma

Kolostoma

Zökostoma

Colon sigmoideum Harnblase

Caecum

Rektum

27.2.1 Einteilung von Enterostomata Je nach Erkrankung können Enterostomata kontinuierlich oder nur für eine bestimmte Zeit (temporär) angelegt werden. Dies ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung. Vor der Anlage wird gemeinsam mit einer Stomatherapeutin die optimale Position ermittelt und angezeichnet (Bauchfalte, Hosenbund …). Es gibt 2 Möglichkeiten bzw. Verfahren zur Anlage eines Stomas. Man unterscheidet das endständige und das doppelläufige Stoma. ● endständiges Enterostoma: Der Darmstrang wird komplett durchtrennt. Der orale (vom Mund kommende) Teil des Darms wird durch die Bauchdecke abgeleitet. Der verbleibende Teil wird blindverschlossen und im Bauch belassen. Endständig bedeutet nicht, dass der Darmabschnitt nicht zurückverlegt werden kann. Dies ist in einer späteren Operation möglich (Operation „nach Hartmann“). ● doppelläufiges Enterostoma: Der Darm wird nur zur Hälfte durchtrennt, die beiden entstandenen Öffnungen werden an der Austrittstelle vernäht. Damit das Stoma nicht abrutscht, wird es häufig mit einem Reiter versehen (Kunststoffstab unter der Darmschlinge – wird i. d. R. nach 10 Tagen entfernt). Deviations- oder protektive Stomata werden häufig doppelläufig angelegt und nach einigen Wochen rückverlegt.

After

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

27.2.3 Kolostoma Definition Kolostoma Künstlich angelegter Darmausgang (syn. Anus praeter) mit Ableitung des Dickdarminhalts über die Bauchdecke nach außen. Abhängig vom OP-Verfahren wird das Kolostoma leicht erhaben oder auf Bauchdeckenniveau angenäht. Typische Lokalisation: rechter oder linker Oberbauch oder linker Unterbauch.

Versorgungssysteme Grundsätzlich kann man zwischen einteiligen und zweiteiligen Versorgungssystemen unterscheiden. Viele Beutel enthalten einen Kohlefilter, der Gerüche absorbiert. ● einteilige Systeme: weiche Platte, muss 1–2-mal täglich gewechselt werden ● zweiteilige Systeme: starre Platte, muss nach 3 Tagen gewechselt werden

Prinzipien der Stomaversorgung

27.2.2 Ileostoma



Definition Ileostoma Künstlich angelegter Darmausgang mit Ableitung des Dünndarminhalts über die Bauchdecke nach außen. Das Ileostoma wird 1–2 cm über dem Hautniveau angelegt, da die aggressive Darmflüssigkeit nicht mit der Haut in Berührung kommen sollte (Stuhlkonsistenz ist sehr flüssig). Typische Lokalisation: rechter Unterbauch.





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Einfühlungsvermögen und fachliche Kompetenz der Pflegefachkraft sind wichtig. Im Gespräch – auf Ängste/Sorgen eingehen, – Scham und Ekel thematisieren, – Veränderung des Körperbildes (Nähe, Sexualität, Selbstbild) ansprechen. Stomatherapeutin frühzeitig hinzuziehen (im Idealfall bereits präoperativ) Patienten schrittweise zur Selbstversorgung anleiten (sofern möglich) ggf. Kontakt zu Selbsthilfegruppen herstellen Ernährung: mehrere kleine Mahlzeiten, keine blähenden Speisen, viel trinken

Pflege von Patienten mit Urostoma

Enterostomabeutel wechseln Bei immobilen Patienten wird der Beutelwechsel im Bett bei leichter Oberkörperhochlage vorgenommen, bei mobilen Patienten im Stehen vor dem Spiegel, damit der Patient (v. a. bei Neuanlage) besser angeleitet werden kann. Vorbereitung ● Patienten über Ablauf informieren ● geeigneten Zeitpunkt wählen (nicht während der Besuchszeiten) ● Intimsphäre schützen (Trennwand, Vorhang, Türschild)! ● Material: Kompressen steril und unsteril, wasserundurchlässige Unterlage (zum Schutz des Bettes), Pflasterentferner, Einmalrasierer, Watteträger, Nierenschale, Papier (falls das Stoma Sekret fördert), warmes Wasser, hygroskopischer (wasseranziehender) Hautschutz, Stomasysteme in verschiedenen Größen, Schablone für die Basisplatte, wenn möglich eine gebogene Schere (erleichtert das genaue Ausschneiden), unsterile Handschuhe, Stomapaste und ggf. Modellierstreifen oder Modellierringe, Abwurf Durchführung Hände desinfizieren, Einmalhandschuhe und Schutzschürze anziehen ● Beutel und die Hautschutzplatte (Basisplatte) vorsichtig ohne Zug auf die Haut von oben nach unten ablösen und im Abwurf entsorgen, nachlaufenden Stuhl mit einer Kompresse auffangen (Stuhl sollte nicht mit der Haut in Kontakt kommen) ● Haut um das Stoma mit angefeuchteter Kompresse von außen nach innen reinigen und mit trockener Kompresse nachtrocknen ● Stoma bei der Pflege beobachten auf: Aussehen der Hautumgebung (Hautreizung, Entzündung?), Aussehen des Stomas (Prolaps, ödematös?), Farbe der Schleimhaut (rosarot [gut durchblutet], bläulich [gering durchblutet]), Stomaausscheidung (Menge, Farbe, Beimengungen und Konsistenz); bei Auffälligkeiten Fotodokumentation ● Handschuhe verwerfen, Händedesinfektion, neue Handschuhe anziehen ● evtl. Haare im Stomabereich vorsichtig mit Einwegrasierer entfernen ● Stomagröße mit Schablone bestimmen, Basisplatte zurechtschneiden (darf nicht zu eng sein, Gefahr von Ödemen, Nekrose!) ● ggf. Hautschutz auftragen, Narben und Unebenheiten mit einer Stomapaste ausgleichen ● neue Platte von unten nach oben unter leichtem Druck andrücken und Beutelüberzug anbringen ●

Nachsorge • Material entsorgen, Handschuhe verwerfen, Hände desinfizieren, nicht benötigte Materialien wegräumen, Arbeitsplatz reinigen, Beutelwechsel und ggf. Auffälligkeiten dokumentieren

27.3 Pflege von Patienten mit Urostoma Definition Urostoma Künstlich angelegter Blasenausgang mit Harnableitung über die Bauchdecke nach außen. Indikationen • Wenn das harnableitende System gestört ist oder die Harnblase entfernt wurde, z. B. bei Tumoren, Strahlenschäden, angeborenen Fehlbildungen, Stenosen, Nervenschädigungen. Kontinente und inkontinente Harnableitung ● kontinente Harnableitung: Harn wird in einem inneren Reservoir (Ersatzblase) gesammelt. ● inkontinente Harnableitung: Harn wird in einem äußeren Reservoir gesammelt und künstlich nach außen geleitet.

27.3.1 Formen der inkontinenten Harnableitung ●









Zystostomie: Harnableitung mittels Katheter aus der Blase (suprapubische Harnableitung) Nephrostomie: Harnableitung mittels Katheter aus dem Nierenbecken Ileum-Conduit: In den ausgeschalteten Teil des Dünndarms wird ein Harnleiter implantiert und über die Bauchdecke als Urostoma ausgeleitet. Kolon-Conduit: Ein Teil des Kolons wird ausgeschaltet, der Harnleiter implantiert und über die Bauchdecke als Urostoma ausgeleitet. Ureterokutaneostomie: Harnleiterhautfistel

27.3.2 Urostomabeutel wechseln Vorbereitung ● Patienten über Ablauf informieren ● geeigneten Zeitpunkt wählen (nicht während der Besuchszeiten) ● Intimsphäre schützen (Trennwand, Vorhang, Türschild)! ● Material: Urostomiebeutel (Beutel mit einem weichen Vlies auf der körperzugewandten Seite und mit einer Rücklaufsperre), Basisplatte für den Beutel, Schablone für die Basisplatte, Ablaufbeutel, sterile Kompressen und weiche Vlieskompressen, sterile Handschuhe, wenn möglich eine gebogene Schere, hygroskopischer Hautschutz, wasserundurchlässige Unterlage (um das Bett zu schützen), Pflasterentferner, Einmalrasierer, Watteträger, Nierenschale, Stomapaste und Modellierstreifen oder Ringe, Abwurf, Sichtschutz, Gefäß zur Beutelentleerung, unsterile Handschuhe Durchführung Privatsphäre des Patienten schützen! (Sichtschutz, Mitpatienten ggf. aus Zimmer bitten) ● Arbeitsmaterial bereitstellen und Abwurf in Bettnähe platzieren ● wasserundurchlässige Unterlage unterlegen ● Händedesinfektion ● unsterile Handschuhe anlegen ●

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Darmeinläufe und Stomapflege ●

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sterile Kompressen öffnen und sterile Handschuhe anziehen System vorsichtig von Bauchdecke entfernen Splints auf steriler Kompresse ablegen Stoma mit sterilen Kompressen abdecken Handschuhe verwerfen und Händedesinfektion Basisplatte zurechtschneiden (muss gut mit Stoma abschließen) Händedesinfektion und sterile Handschuhe anlegen Reinigung des Stomas: zuerst Splints vom Katheterausgang zum Stoma reinigen (beugt Harnwegsinfektion vor), anschließend Stoma von innen nach außen säubern (umgekehrt wie beim Enterostoma)

Nachsorge • Material entsorgen, Handschuhe verwerfen, Hände desinfizieren, nicht benötigte Materialien wegräumen, Arbeitsplatz reinigen, Beutelwechsel und ggf. Auffälligkeiten dokumentieren (Sind Harnleiter, Stoma und/oder Darm gut durchblutet? Liegen Nekrosen, Ödeme, Retraktionen vor? Umgebungshaut gereizt? Stomanähte o. B.?).

KOMPAK T Darmeinläufe und Stomapflege ●















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Indikationen Darmeinlauf: z. B. Obstipation, kontrollierte Darmentleerung (vor OP), Applikation von Arzneimitteln, Diagnostik Kontraindikationen Darmeinlauf: z. B. Zustand nach Darmoperation, Blutung im Magen-Darm-Trakt Unterteilung von Darmeinläufen nach: Flüssigkeitsmenge, Indikation/Funktion, Prinzip Intimsphäre: sowohl beim Einlauf als auch bei der Stomaversorgung unbedingt beachten! Je nach Lage des Stomas variiert auch die Bezeichnung (z. B. Ileostoma, Kolostoma, Urostoma). Indikationen Stoma: z. B. chronisch-entzündliche Darmerkrankung, Darmverschluss, Tumorentfernung Einteilung Stoma: endständiges Stoma (Darmstrang wird komplett durchtrennt), doppelläufiges Stoma (Darm wird nur zur Hälfte durchtrennt) Stomaversorgung: auf Menge, Geruch, Farbe und Beschaffenheit achten, Haut und Schleimhaut beobachten und bei Auffälligkeiten Arzt informieren

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Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung

Drainagenlagerung expiratorisch

inspiratorisch min. 2 Liter Flüssigkeit

Atemtiefe verbessern

Atemtrainer ASE

Huffing Inhalation

Atemerleichterung

Kontaktatmung

Atemqualität erhöhen

Ziele

Lippenbremse

Atemphysiotherapiegeräte

Sekretolyse

Vibration

Maßnahmen zur Sekretmobilisation, z.B. endotracheal

oral nasal

Atemübungen

Hygiene! Arten

atemunterstützende Maßnahmen

atemunterstützende Position

Atemwegssekret absaugen

Kutschersitz

Oberkörperhochlage Ziele Atemerleichterung

Dehnlage (V-A-T-I)

Indikationen, z.B.

zähes Sekret

Kontraindikationen starker Hustenreiz

Durchblutung erhöhen

Lungenbelüftung verbessern

Bronchialsekret absaugen Atmung erleichtern

Atmung unterstützen I

Torwartstellung

Bauchlage

Ziele

Material vorbereiten und prüfen

Atmung unterstützen II S. 199

Lungenödem

Aspiration Abhusten nicht möglich

Maßnahmen zur Sekretmobilisation

28.1 Atemunterstützende Maßnahmen

Abb. 28.1 Atemstimulierende Einreibung.

28.1.1 Atemübungen Ziele: Belüftung der Lunge fördern (Atemtiefe), Atemerleichterung, Atemqualität steigern, Sekretolyse, Selbsthilfe z. B. in Notfallsituationen, Folgeerkrankungen verhindern (Pneumonieprophylaxe). ● Lippenbremse: Patient atmet normal ein und bei fast geschlossenen Lippen wieder aus. Durch den entstehenden Druck werden die Bronchien offen gehalten und ein Kollaps verhindert. ● Kontaktatmung: Die Pflegefachkraft legt ihre Hände unter leichtem Druck auf den Brustkorb des Patienten und fordert ihn auf, „die Hände wegzuatmen“. Ausatmung über leichten Druck bewusst machen. Gleiches Vorgehen an Flanken und Bauch, um alle Lungenbezirke zu belüften. ● atemstimulierende Einreibung (ASE): Patient sitzt entspannt und ist nach vorne abgestützt (Kissen, umgekehrte Stuhllehne). Lotion in den Händen verreiben und auf dem Rücken verteilen, beide Hände auf die Schultern auflegen, ca. 4 kreisende Bewegungen seitlich der Wirbelsäule von oben nach unten durchführen (Druck von unten nach außen/oben). An den Flanken angekommen, Hände nacheinander an den Schultern ansetzen (1 Hand hält immer Kontakt). Einreibung erfolgt im Atemrhythmus des Patienten. Dauer ca. 5–10 Min. (▶ Abb. 28.1). ● Anwendung von Atemtrainern: – inspiratorischer Atemtrainer: fördert die tiefe Einatmung, vertieft die Atemzüge und sorgt für eine optimale Verteilung der eingeatmeten Luft in der Lunge. Anwendung bei Patienten mit Operationen im Brust- oder Bauchbereich (wegen Schonatmung). Beispiel „TriflowAtemtrainer“: Patienten saugen durch starke Einatmung Kunststoffbälle nach oben und halten diese kurz. Kontraindikation: Patienten mit COPD oder starker Verschleimung der Bronchien. – exspiratorischer Atemtrainer: trainiert die Ausatmung. Bei der Ausatmung wird ein erhöhter Ausatmungsdruck erzeugt, was die Atemwege offenhält. Auch das Aufblasen eines Luftballons kann diesen Effekt erzeugen.

28.1.2 Atemunterstützende Positionen Ziele: Atmung erleichtern, Belüftung (Ventilation) und Durchblutung (Perfusion) der Lunge verbessern! ● Lunge wird in Rückenlage v. a. im hinteren Bereich der Lunge nicht vollständig belüftet. Abhilfe können atemunterstützende Positionen schaffen. ● Bauchlage: bessere Belüftung der hinteren Lungenabschnitte, der Gasaustausch wird erleichtert. Anwendung v. a. bei Patienten mit akutem Lungenversagen in 135°-Stellung, z. B. auf Intensivstationen und nach ärztlicher Anordnung. Auf Komplikationen wie Gesichtsödeme oder Dekubitus achten. ● Oberkörperhochlage: erleichtert den Einsatz der Atemund Atemhilfsmuskulatur (Zwerchfell kann sich leichter dehnen). Auf physiologische Sitzposition achten (Winkel 30–40°). Patient darf nicht in sich zusammensacken oder an das Fußende rutschen (ungünstige Position verstärkt

Einatmung Ausatmung

Foto: A. Fischer, Thieme





Atemnot!). Hilfsmittel wie ein gefaltetes Handtuch unter dem Sitzbeinhöcker, ein festes Kissen zur Fußstütze, eine leicht erhöhte Knierolle oder ein Fußteil können dem Abrutschen entgegenwirken. Dehnlage: Je nach Art der Positionierung (Halbmondlage, Drehdehnlage, V-[unterer Lungenbezirk], A-[oberer Lungenbezirk], T-[vorderer Lungenbezirk], I-[vorderer Lungenbezirk]-Lage) werden bestimmte Lungenabschnitte besser belüftet und die Atemarbeit erleichtert. Auf Schmerzäußerungen achten, Positionierung ggf. abbrechen. Wichtig: Bauchatmung muss immer ungehindert möglich sein! Atemerleichternde Körperstellungen: Entspannung und Entlastung des Thorax und der verkrampften Muskulatur, z. B. bei Atemnot oder Asthmaanfall – Kutschersitz: Der Patient sitzt nach vorne gebeugt an der Bettkante oder auf einem Stuhl und stützt die Arme auf die Oberschenkel ab. Die Atemhilfsmuskulatur kann so die Atmung besser unterstützen und die Atemfläche vergrößert sich. – Torwartstellung: Der Patient stützt die Arme im Stehen mit gestrecktem Oberkörper und leicht angewinkelten Beinen auf die Oberschenkel ab.

28.2 Maßnahmen zur Sekretmobilisation Wird viel zähes Bronchialsekret produziert, können folgende Maßnahmen das Abhusten erleichtern. ● ausreichend Flüssigkeit: mind. 2 l Flüssigkeit täglich, um zähes Sekret zu verflüssigen. Kontraindikationen: beschränkte Flüssigkeitszufuhr bei Herz- oder Nierenerkrankung ● Drainagelagerung: unterstützt die Sekretmobilisation, Sekret fließt bei leichter Kopftieflage (in Seiten- oder Bauchlage) der Schwerkraft folgend leichter aus den kleinen Bronchien in die Trachea ab. Kann der Patient die Position nicht selbst verlassen, darf er nicht allein gelassen werden. Kontraindikationen: akute Luftnot, erhöhter Hirndruck, Übelkeit

l 28

Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung ●









Huffing (spezielle Hustentechnik): Patient hustet in kurzen „huffs“, damit die Stimmritze offen bleibt und das Abhusten sanfter erfolgen kann. Diese Technik verhindert eine zu starke Kompression der Atemwege (geeignet bei COPD). Inhalation: Ziele: Befeuchtung der Schleimhäute, Lösen von Bronchialsekret, Applikation von Medikamenten. Je kleiner die Tröpfchen, desto tiefer gelangen diese in den Bronchialbaum. – Die Druck- oder Ultraschallvernebelung ist wirkungsvollste Art der Inhalation, da die Tröpfchen sehr klein sind und die vernebelte Substanz bis in die Alveolen vordringen kann. Inhalative Substanzen: Schleimlöser, Bronchodilatator, Glukokortikoide. Wichtig: Nach der Inhalation muss das Gerät gereinigt werden und vollständig durchtrocknen (Pseudomonas aeruginosa)! – Dosieraerosole enthalten in FCKW-freies Gas gepresste Medikamente zur Atemerleichterung. Durch Druck auf den Auslöser wird das Medikament zerstäubt. Handling für alte Menschen oder Kinder z. T. schwer (Spacer erleichtert Handhabung). Ablauf ohne Spacer: ausatmen, Mundstück an Lippen ansetzen, tief einatmen und gleichzeitig Auslöser drücken, Luft kurz anhalten (Wirkstoff verteilt sich in Lunge), nach Inhalation von Kortison, Mundpflege (Pilzgefahr!) – Bei der Pulverinhalation wird durch einen tiefen Atemzug das enthaltene Pulver zersprengt. Darauf achten, dass die Einatmung schnell und tief erfolgt (Wirkstoff gelangt so am besten in die Lunge). Atemphysiotherapiegeräte unterstützen die Sekretmobilisation und Lungenbelüftung. Beispiele sind: RC-Cornet, Acapella PEP-Vibrationssystem, Shaker plus. Die korrekte Anwendung wird mit der Physiotherapie trainiert, Pflegefachkräfte erinnern den Patienten an die regelmäßige Durchführung. Perkussion: Pflegefachkraft klopft den Rücken des Patienten leicht ab, um Sekret in feinen Bronchien zu lösen. Sekret wird in Richtung Hauptbronchus transportiert und kann dort leichter abgehustet werden. Kontraindikationen sind Operationen am Thorax und Verletzungen im Rückenbereich. Vibration: Sekret wird durch Schwingungen gelockert. Bei Anwendung eines Vibrationsgeräts (z. B. Vibrax) Vibration von außen in Richtung Wirbelsäule durchführen (Schulterblätter, Wirbelsäule, Nierengegend aussparen). Patient soll während der Anwendung tief ein- und ausatmen, anschließend Patienten zum Abhusten auffordern bzw. ihn dabei unterstützen.

28.3 Atemwegssekret absaugen Grundsatz: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ (Absaugen reizt Atemwege und fördert die Schleimproduktion!). Absaugen erfolgt immer auf ärztliche Anordnung (außer im Notfall). ● Ziele: Bronchialsekret entfernen und Atmung erleichtern (verbesserte Lungenbelüftung). ● Indikationen: zähes Sekret, Abhusten nicht möglich, Aspiration von Nahrung/Erbrochenem ● Kontraindikationen: starker Hustenreiz mit zähem Schleim (hier besser schleimlösende Maßnahmen), Lun-

198



genödem („Rasseln“ entsteht hier durch Flüssigkeit, die sofort nachläuft), vorherige Absaugversuche führen zu keiner Verbesserung, sterbende Patienten, die subjektiv nicht unter Sekret leiden Komplikationen: Würgereiz, Erbrechen, kurzfristiger Sauerstoffmangel, Vagusreizung (Bradykardie), Verletzung der Schleimhäute (Perforation, Blutungen), Stimmritzenkrampf, Keimverschleppung (durch unsauberes Arbeiten)

28.3.1 Arten der Absaugung ●





nasales Absaugen: durch die Nase (Sekret in oberen Atemwege entfernen) orales Absaugen: durch den Mund (Speichel oder aspirierte Fremdkörper entfernen) endotracheales Absaugen: erst nasal, dann endotracheal (auf Katheterwechsel achten!) oder z. B. über Tracheostoma absaugen

28.3.2 Nasales Absaugen Vorbereitung • Patienten informieren (Ziel, Ablauf), Mundund Nasenpflege vor Absaugung durchführen (verhindert Keimverschleppung), Material bereitlegen, Sog einstellen (Erwachsene 0,4 bar, Kinder 0,2 bar), prüfen, ob die Absaugvorrichtung funktioniert, Patienten mit leicht erhöhtem Oberkörper positionieren Material • Mundschutz und Schutzbrille, unsterile Handschuhe, einzeln verpackte sterile Handschuhe, sterile Absaugkatheter, Sauerstoff und geeignete Sonde, Watteträger, anästhesierendes Gel, Absaugvorrichtung mit angeschlossenem Absaugschlauch mit Fingertipp, evtl. spezielles Probenentnahmeset für Laboruntersuchungen des Sekrets Durchführung ● Hände desinfizieren, Mundschutz anlegen und Sog einstellen, Einmalhandschuhe anziehen ● Katheterhülle öffnen (Katheter noch in der Hülle lassen) und Absaugkatheter und Absaugschlauch verbinden ● Katheterhülle und Absaugschlauch unter den Arm klemmen und sterilen Handschuh über die führende Hand ziehen (bei Rechtshändern die rechte) ● erbsengroße Menge des anästhesierenden Gels auf den rechten Handrücken tropfen (steril!) ● Katheter mit steriler Hand entnehmen und mit Gel benetzen ● Absaugkatheter ohne Sog (mit offenem Fingertipp) vorsichtig waagerecht in die Nase einführen. Nach ca. 8–10 cm liegt die Katheterspitze im Rachenraum. Mit sanftem, gleichmäßigem Druck die Biegung überwinden (bei Widerstand Katheter etwas zurückziehen und vorsichtig unter leichter Drehbewegung erneut vorschieben). Rachenraum absaugen und zum Ende hin noch einmal tief in den unteren Rachenraum vorschieben. ● während des gesamten Absaugvorgangs Atmung, Bewusstsein, Hautkolorit und Befinden des Patienten beobachten ● zum Absaugen Fingertipp am Absaugschlauch mit einem Finger verschließen, Katheter vorsichtig unter Sog zurückziehen; wenn kein Sekret befördert wird, Sog kurz unterbrechen (Verletzungen der Schleimhaut vermeiden) ● Katheter herausziehen

Sauerstoff verabreichen Nachbereitung ● Katheter in sterilem Handschuh aufrollen, Handschuh darüberziehen und im Abwurf entsorgen ● Absaugschlauch mit Aqua dest. durchspülen und Sog abstellen ● Einmalhandschuhe ausziehen und Hände desinfizieren ● Vitalparameter kontrollieren ● Mund- und Nasenpflege durchführen ● Materialien aufräumen ● Dokumentation (Art der Absaugung, Zeitpunkt, Sekretmenge, Aussehen und Konsistenz, Besonderheiten, Befinden)







28.4 Sauerstoff verabreichen ●



Ziele: Atemluft mit Sauerstoff anreichern, um den Sauerstoffbedarf des Patienten zu erhalten oder zu verbessern (O2-Gabe: ärztliche Anordnung notwendig, außer im Notfall!) Indikationen: Erkrankungen, die zu eingeschränktem Gasaustausch bzw. Sauerstofftransport führen (z. B. Herzerkrankungen, Lungenerkrankungen, Schock), Dämpfung



des Atemzentrums durch Medikamente (z. B. Morphine), vorsorgliche Sauerstoffgabe (z. B. vor dem Absaugen) Komplikationen: Schädigung der oberflächenwirksamen Substanz „Surfactant“ (besonders gefährlich bei Frühgeborenen), Austrocknung der Schleimhäute des Respirationstrakts (deshalb Sauerstoff immer anfeuchten!), Gefahr des Atemstillstandes bei Patienten mit chronisch erhöhten Kohlenstoffdioxidwerten (z. B. bei COPD, Lungenemphysem) Sauerstoffquellen: Wandanschluss (▶ Abb. 28.2), Sauerstoffflaschen, spezielle Heimgeräte Applikationsformen: Sauerstoffbrillen (Verabreichung geringer O2-Mengen, meist ambulant, ggf. Verlust von O2 an Umgebungsluft), -masken (Verabreichung großer O2-Mengen, schränkt ein, beklemmendes Gefühl unter Maske), -sonden (Verabreichung geringer O2-Mengen, Sonde verrutscht leicht, reizt Nasenschleimhaut) Besonderheiten Pflege: System täglich wechseln, zur Befeuchtung der Schleimhäute steriles destilliertes Wasser verwenden, 2-mal pro Schicht Mund- und Nasenpflege durchführen, bei Nasensonden regelmäßig Nasenloch wechseln, auf Druckstellen achten

Präoxygenierung z.B. vor Absaugen Atmung unterstützen I

Atemwege offenhalten Beatmung

Dyspnoe Herzinsuffizienz

Ziel

ausgeprägte Schluckstörung

Schock

Ziel

chirurgische Tracheotomie Tracheostoma

Arten Dilatationstracheotomie

Sauerstoff verabreichen

Applikation

Cuffdruck prüfen!

!

Gefahr von Atemstillstand bei COPD

Reinigung Essen und Trinken

mit NaCl, kein Leitungswasser! Infektionsgefahr!

viel Speichel im Mund = Hinweis auf Schluckstörung

Sonde

Atmung unterstützen II

Metalline tgl. wechseln

Kanülenwechsel

nicht möglich bei geblocktem Cuff

Gefahrengut Sauerstoff!

Pflege

Absaugen nach Bedarf

Sprechen

Indikationen, z.B.

Oxygenierung des Körpers erhalten oder verbessern

Indikationen, z.B.

trockene Schleimhäute

Komplikationen, z.B.

Pflege

Brille Maske

tgl. Systemwechsel Mund- und Nasenpflege

auf Druckstellen achten

Patientenbeobachtung, z.B. Atemfrequenz?

Sauerstoffsättigung?

Schleimhäute?

l 28

Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung Abb. 28.2 Sauerstoffwandanschluss.

28.5.2 Essen und trinken ● ●





Tracheotomierte Patienten können prinzipiell schlucken. Nach Eingriff am Kehlkopf bestehen häufig Schluckstörungen. Wenn der Patient essen und trinken darf, Schluckversuch mit Tee durchführen. Viel Speichel im Mund deutet auf Schluckstörung hin!

28.5.3 Verbandwechsel

Zur Befeuchtung des Sauerstoffs ist ein Respiflo-System angeschlossen. Foto: A. Fischer, Thieme





Beobachtung bei Sauerstoffgabe: Atemfrequenz, Atemtiefe, Zustand der Schleimhäute, Zyanose? Sauerstoffsättigung, Überprüfung der angeordneten Dosis, Überprüfung des Systems zur Befeuchtung, Hygiene des Applikationssystems (Sekret im System?) Gefahrgut Sauerstoff: Sauerstoff ist brandfördernd, deshalb u. a. keine Flammen/Funken im Raum mit Sauerstoff, gefüllte und leere Sauerstoffflaschen getrennt lagern, volle Flaschen sturzsicher aufbewahren, Sauerstoffflaschen vor direkter Sonneneinstrahlung schützen, Ventil nicht einölen

28.5 Tracheostomapflege Definition Tracheostoma Ein Tracheostoma (Trachea, griech. Luftröhre, Stoma, griech. Mund, Öffnung) ist eine künstlich angelegte Öffnung in der Luftröhre, die die Atmung bzw. Beatmung erleichtert. ● ●



Ziel: Offenhalten der Atemwege Indikationen: künstliche Beatmung auf Intensivstation, ausgeprägte Schluckstörung, Aspirationsschutz bei Kehlkopfentfernung, schwere Verletzung, Stenose durch Tumoren Tracheostomaarten: chirurgische Tracheotomie (dauerhaft oder vorübergehend, Luftröhre wird mit Haut des Halses vernäht); Dilatationstracheotomie (Luftröhre wird von außen punktiert und Punktionsstelle mithilfe eines Plastikdilatators geweitet)

28.5.1 Sprechen ●







200

Patienten mit geblocktem Cuff können nicht sprechen (Atemluft gelangt nicht an Stimmbändern vorbei). Durch spezielle Innenkanülen oder Aufsätze mit Sprechventil kann der Patient sprechen (nicht bei Kehlkopfentfernung). Patienten mit Laryngektomie können lernen, über die Speiseröhre zu sprechen, sog. Ösophagusersatz-Stimme. Achtung: Vor Aufsetzen des Sprechaufsatzes muss die Kanüle entblockt sein, sonst droht Erstickungsgefahr!

Verbandwechsel bei frisch tracheotomierten Patienten: ● Tracheostoma mind. 1-mal pro Schicht inspizieren und Verbandwechsel durchführen (Stoma sollte immer so trocken wie möglich gehalten werden. Infektions- und Verletzungsgefahr ist sonst erhöht!) ● in den ersten 2–4 Wochen nach OP vorgehen wie bei aseptischem Verbandwechsel Material • Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe, sterile Handschuhe, NaCl-Lösung 0,9 %, sterile Kompressen/ Watteträger, sterile Schlitzkompressen/Trachealkompresse, ggf. neues Kanülenhaltebändchen, ggf. Hautschutzprodukt (bei starker Sekretion), ggf. Wund- und Heilsalbe (bei trockener Haut), ggf. Schleimhautdesinfektion (bei Infektion), ggf. spezielle Wundauflagen (bei Infektion) Durchführung ● Haltebändchen und Kompresse mit unsterilen Handschuhen entfernen (Handschuhe anschließend verwerfen) ● Händedesinfektion, sterile Handschuhe anziehen ● Tritt vermehrt Sekret aus dem Stoma, kann es seitlich neben der Kanüle abgesaugt werden. ● reizloses Stoma mit sterilen, in NaCl getränkten Watteträgern von innen nach außen reinigen, bei Infektionszeichen Schleimhautantiseptikum verwenden ● auf Druckstellen, Blutungen und Infektionszeichen achten (ggf. Arzt informieren) ● Wundabstrich bei Verdacht auf Infektion ● bei Bedarf Hautschutzprodukt auftragen ● sterile Trachealkompresse anbringen und mit Haltebändchen fixieren (zwischen Finger und Haut einen fingerbreiten Abstand lassen) ● bei geblockter Kanüle Cuffdruck prüfen ● Dokumentation (Verbandwechsel, Aussehen, Cuffdruck)

28.5.4 Reinigung der Trachealkanüle ●





herausnehmbaren Innenteil mind. 3-mal täglich und nach Bedarf reinigen (mit NaCl, kein Leitungswasser wegen Infektionsgefahr!) Langzeittracheotomierte Patienten haben meist eine Silberkanüle und reinigen diese selbst (warmes Wasser, Flaschenbürste). künstliche Nase 1-mal täglich und bei Bedarf wechseln

l 28

Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung Abb. 28.2 Sauerstoffwandanschluss.

28.5.2 Essen und trinken ● ●





Tracheotomierte Patienten können prinzipiell schlucken. Nach Eingriff am Kehlkopf bestehen häufig Schluckstörungen. Wenn der Patient essen und trinken darf, Schluckversuch mit Tee durchführen. Viel Speichel im Mund deutet auf Schluckstörung hin!

28.5.3 Verbandwechsel

Zur Befeuchtung des Sauerstoffs ist ein Respiflo-System angeschlossen. Foto: A. Fischer, Thieme





Beobachtung bei Sauerstoffgabe: Atemfrequenz, Atemtiefe, Zustand der Schleimhäute, Zyanose? Sauerstoffsättigung, Überprüfung der angeordneten Dosis, Überprüfung des Systems zur Befeuchtung, Hygiene des Applikationssystems (Sekret im System?) Gefahrgut Sauerstoff: Sauerstoff ist brandfördernd, deshalb u. a. keine Flammen/Funken im Raum mit Sauerstoff, gefüllte und leere Sauerstoffflaschen getrennt lagern, volle Flaschen sturzsicher aufbewahren, Sauerstoffflaschen vor direkter Sonneneinstrahlung schützen, Ventil nicht einölen

28.5 Tracheostomapflege Definition Tracheostoma Ein Tracheostoma (Trachea, griech. Luftröhre, Stoma, griech. Mund, Öffnung) ist eine künstlich angelegte Öffnung in der Luftröhre, die die Atmung bzw. Beatmung erleichtert. ● ●



Ziel: Offenhalten der Atemwege Indikationen: künstliche Beatmung auf Intensivstation, ausgeprägte Schluckstörung, Aspirationsschutz bei Kehlkopfentfernung, schwere Verletzung, Stenose durch Tumoren Tracheostomaarten: chirurgische Tracheotomie (dauerhaft oder vorübergehend, Luftröhre wird mit Haut des Halses vernäht); Dilatationstracheotomie (Luftröhre wird von außen punktiert und Punktionsstelle mithilfe eines Plastikdilatators geweitet)

28.5.1 Sprechen ●







200

Patienten mit geblocktem Cuff können nicht sprechen (Atemluft gelangt nicht an Stimmbändern vorbei). Durch spezielle Innenkanülen oder Aufsätze mit Sprechventil kann der Patient sprechen (nicht bei Kehlkopfentfernung). Patienten mit Laryngektomie können lernen, über die Speiseröhre zu sprechen, sog. Ösophagusersatz-Stimme. Achtung: Vor Aufsetzen des Sprechaufsatzes muss die Kanüle entblockt sein, sonst droht Erstickungsgefahr!

Verbandwechsel bei frisch tracheotomierten Patienten: ● Tracheostoma mind. 1-mal pro Schicht inspizieren und Verbandwechsel durchführen (Stoma sollte immer so trocken wie möglich gehalten werden. Infektions- und Verletzungsgefahr ist sonst erhöht!) ● in den ersten 2–4 Wochen nach OP vorgehen wie bei aseptischem Verbandwechsel Material • Händedesinfektionsmittel, unsterile Handschuhe, sterile Handschuhe, NaCl-Lösung 0,9 %, sterile Kompressen/ Watteträger, sterile Schlitzkompressen/Trachealkompresse, ggf. neues Kanülenhaltebändchen, ggf. Hautschutzprodukt (bei starker Sekretion), ggf. Wund- und Heilsalbe (bei trockener Haut), ggf. Schleimhautdesinfektion (bei Infektion), ggf. spezielle Wundauflagen (bei Infektion) Durchführung ● Haltebändchen und Kompresse mit unsterilen Handschuhen entfernen (Handschuhe anschließend verwerfen) ● Händedesinfektion, sterile Handschuhe anziehen ● Tritt vermehrt Sekret aus dem Stoma, kann es seitlich neben der Kanüle abgesaugt werden. ● reizloses Stoma mit sterilen, in NaCl getränkten Watteträgern von innen nach außen reinigen, bei Infektionszeichen Schleimhautantiseptikum verwenden ● auf Druckstellen, Blutungen und Infektionszeichen achten (ggf. Arzt informieren) ● Wundabstrich bei Verdacht auf Infektion ● bei Bedarf Hautschutzprodukt auftragen ● sterile Trachealkompresse anbringen und mit Haltebändchen fixieren (zwischen Finger und Haut einen fingerbreiten Abstand lassen) ● bei geblockter Kanüle Cuffdruck prüfen ● Dokumentation (Verbandwechsel, Aussehen, Cuffdruck)

28.5.4 Reinigung der Trachealkanüle ●





herausnehmbaren Innenteil mind. 3-mal täglich und nach Bedarf reinigen (mit NaCl, kein Leitungswasser wegen Infektionsgefahr!) Langzeittracheotomierte Patienten haben meist eine Silberkanüle und reinigen diese selbst (warmes Wasser, Flaschenbürste). künstliche Nase 1-mal täglich und bei Bedarf wechseln

Tracheostomapflege

28.5.5 Kanülenwechsel



Der erste Kanülenwechsel erfolgt immer durch den Arzt, spätere Wechsel werden meist von der Pflegefachkraft durchgeführt. Die nachfolgend beschriebene Durchführung bezieht sich auf den Kanülenwechsel mit Cuff.



Indikationen ● Liegedauer ist abgelaufen (i. d. R. nach 7–8 Tagen). ● Cuff ist undicht. ● Verlegung der Kanüle durch Sekret oder Borken Material • Händedesinfektionsmittel, unsterile und sterile Handschuhe, Absauganlage, Material zur Sauerstoffapplikation, Trachealkanülen in der angeordneten Größe (+ 1 Nummer kleiner und 1 Nummer größer), Führungshilfe, Spekulum, Material zum Verbandwechsel, wasserlösliches Gleitmittel, 20-ml-Spritze zum Entblocken des Cuffs, Cuffdruckmesser, Stethoskop



● ● ● ● ●

Monitoring während des Wechsels (Sauerstoff und Herzfrequenz) mit sterilen Kompressen das Tracheostoma reinigen (Inspektion) neue Kanüle mit Führungsdrain und untergelegter Metalline-Kompresse steril einführen (Führungsdrain sofort entfernen) Kanüle blocken und mit Haltebändchen fixieren endotracheal absaugen Patienten beobachten und Vitalparameter prüfen Materialien wegräumen Maßnahme dokumentieren

KOMPAK T Pflegetechniken zur Unterstützung der Atmung ●

Durchführung ● Patienten über Ablauf informieren, Arbeitsfläche desinfizieren, Material herrichten ● Hände desinfizieren ● Cuff der neuen Kanüle auf Funktionsfähigkeit prüfen! (Cuff aufblasen, Dichtigkeit mit Cuffdruckmanometer prüfen) ● Patienten in Rückenlage mit leicht überstrecktem Kopf bringen (Kissen entfernen) ● Präoxygenierung nach ärztlicher Anordnung ● Kanüle mit sterilem Gleitmittel gleitfähig machen ● Händedesinfektion und unsterile Handschuhe anziehen ● Haltebändchen und alten Verband entfernen ● alte Kanüle entblocken und entfernen ● beim Ziehen der Kanüle gleichzeitig steril absaugen (am besten Assistenz durch 2. Pflegefachkraft, da die Hand, mit der abgesaugt wird, steril sein muss – steriler Handschuh!)









atemunterstützende Maßnahmen: Lippenbremse, Kontaktatmung, atemstimulierende Einreibung (ASE), Anwendung von Atemtrainern atemunterstützende Positionen: Bauchlage, Oberkörperhochlage, Dehnlage, atemerleichternde Körperstellungen sekretmobilisierende Maßnahmen: ausreichende Flüssigkeitszufuhr, Drainagelagerungen, Huffing, Inhalation durch Substanzen oder über Vernebler Ziele atemunterstützender Maßnahmen: Belüftung der Lunge, Atemqualität steigern, Abhusten erleichtern, Sekretstau verhindern Tracheostoma: Metalline täglich steril wechseln; absaugen so viel wie nötig, so wenig wie möglich, bei geblockter Kanüle Cuffdruck regelmäßig prüfen

29

Wundmanagement

z.B. Verbrennung

Wundheilung unkompliziert

z.B. Ulcus cruris z.B. Dekubitus

z.B. Schnittwunde

Wundheilung langsam, meist Keimbesiedelung geschlossen

offen

akut

chronisch (länger als 12 Wochen)

z.B. durch radioaktive Strahlung

z.B. durch OP strahlenbedingt iatrogen z.B. Schürf- oder Schnittwunde

Ziel: feuchtwarmes Wundmilieu Arten von Wundauflagen, z.B. Hydrogele

NaCl 0,9%

Entstehungsursachen

Wunden

mechanisch

phasengerechte Wundtherapie

Alginate

chemisch

z.B. durch Säure Wundanamnese Wundanalyse

Wundreinigung

sekundär heilende Wunde Exsudation

z.B. durch Verbrennung

Verbandwechsel

alkoholische Desinfektionslösung

primär heilende Wunde

thermisch

(Foto-)Dokumentation Keimbesiedelung

Wundheilung

Non-Touch-Technik

Wundheilungsstörung

Phasen

Hygiene

aseptisch

Proliferation Regeneration

primär

sekundär

lokale Störfaktoren, z.B.

systematische Störfaktoren, z.B.

kontaminiert kolonisiert

Wunde ist sauber, keimfrei und gut durchblutet z.B. OP-Wunde

< 4–6 Stunden

Wunde ist sehr tief oder stark verschmutzt

>6 Stunden

Dekubitus

infiziert

Ödeme

Alter↑

Keime

Allgemeinzustand↓

Grundlagen Sehnen, Muskeln, Bänder. Charakteristisch: Hämatome oder Schwellungen

29.1 Grundlagen Definition Wunde Schädigung der Haut und ggf. des darunterliegenden Gewebes.

29.1.1 Wundarten und Wundreinigung

Grad der Keimbesiedelung ●

Akute Wunden ● ●



Ursache: äußere Gewalteinwirkung, Trauma Arten: Schnitt-, Stich-, Biss-, Schuss-, Schürfwunden, Verbrennung, Verätzung, Strahlung, Elektrizität Heilung: unkompliziert ohne Wundheilungsstörung (Infektion)





Chronische Wunden ●







Ursache: Wundart, Begleiterkrankungen und -umstände, z. B. chronisch venöse Insuffizienz, Polyneuropathie, Malnutrition oder pAVK Arten: ulzerierte Tumoren, diabetisches Fußulkus, Dekubitus, Ulcus cruris Heilung: nur langsam abheilende, meist keimbesiedelte Wunde siehe auch den Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ (Kap. 10.4)

! Merke Psychische Belastung

Die psychische Belastung bei chronischen Wunden ist hoch! Oft isolieren sich die Patienten z. B. aufgrund von Wundaussehen oder Geruch zunehmend.

Entstehungsursache Für die Wundbehandlung und den Heilungsverlauf ist es wichtig, die Entstehungsursache zu kennen: ● mechanische Wunden: Schürf-, Schnitt-, Stich-, Schuss-, Platz- und Quetschwunden, Ablederungswunden (Décollement), Kratz-, Riss-, Bissverletzungen ● thermische Wunden: Verbrennungen oder Erfrierungen. Schweregrad je nach Temperatur, Dauer und Intensität der Einwirkung ● chemische Wunden: Verletzungen durch Säuren, Laugen oder Gase (z. B. Verätzung) ● strahlenbedingte (aktinische) Wunden: problematischer als Brandwunden. Entstehung durch Röntgenstrahlung, radioaktive Strahlen oder starke UV-Strahlen ● iatrogene Wunden: Entstehung durch operative Eingriffe, z. B. Punktionen, Gewebeentnahmen ● Ulkus-Wunden: Entstehung durch Durchblutungs- und Stoffwechselstörungen, systemische Erkrankungen wie Magen-/Darmgeschwüre, Hautinfekte, Tumoren

Offene und geschlossene Wunden ●



offene Wunde: Haut- oder Schleimhautoberfläche ist zerstört, Wunde ist offen und von außen sichtbar (z. B. Schnittwunde). geschlossene Wunde: Hautoberfläche ist intakt, darunterliegendes Gewebe ist jedoch geschädigt, z. B. Knochen,



aseptische Wunden: Verletzungen nicht älter als 4–6 Std. (z. B. Schnittwunde) oder Operationen, sind fast keimfrei, Wundränder sind glatt und liegen nah beieinander, zeigen keine Entzündungszeichen. Wundheilung verläuft komplikationsfrei, Verschluss durch Klammern, Nähte, Pflaster. kontaminierte Wunden: bakteriell besiedelte Wunde, jedoch ohne Entzündungszeichen (z. B. Verbrennung). Offene Wundbehandlung, langsame Wundheilung vom Wundgrund ausgehend, ggf. kommt es zu Wundheilungsstörungen, Narbenbildung. kolonisierte Wunden: Vermehrungsfähige Bakterien sind in der Wunde enthalten, haben jedoch keinen Einfluss auf die Wundheilung, keine Entzündungszeichen. infizierte Wunden: bakterielles Wachstum mit Keimbesiedelung, hohe Keimbelastung, typische Entzündungszeichen (Rötung, Schwellung, Schmerz, Wärme und Funktionseinschränkung), Wunde sondert Exsudat ab, übel riechend, Gefahr Sepsis!

Wundreinigung Wundreinigung und Wundantiseptik erfolgen abhängig von ● lokalen Gegebenheiten, ● Lage und ● Ausdehnung der Wunde. Wichtig: Bei der Wundreinigung muss die komplette Wundoberfläche erfasst und mit dem Wundantiseptikum unter Berücksichtigung der Einwirkzeit vollständig benetzt sein! Inwiefern bei aseptischen Wunden die Wundreinigung von „innen nach außen“ erfolgen muss und bei septischen Wunden von „außen nach innen“, dafür gibt es derzeit keine Evidenz.

29.1.2 Prinzipien der Wundheilung Beim Heilungsprozess wird zwischen primärer und sekundärer Wundheilung unterschieden. ● primäre Wundheilung: Wenn das Wundgebiet sauber, keimfrei und gut durchblutet ist, kann es primär abheilen, z. B. bei aseptischen OP-Wunden oder Schnittwunden, die nicht älter als 4–6 Std. sind. Die Wunde kann genäht oder geklammert werden. Nach ca. 10–12 Tagen ist eine primäre Wundheilung abgeschlossen und es verbleibt nur eine feine Narbe. ● sekundäre Wundheilung: Ist eine Wunde älter als 6 Stunden, sehr tief oder stark verschmutzt, ist eine primäre Wundheilung ausgeschlossen, z. B. bei Dekubitus, Ulcus cruris. Die Wunde darf nicht verschlossen werden, sondern muss offengehalten werden und sekundär heilen. Mit der Zeit granuliert die Wunde von unten nach oben und es bildet sich Epithelgewebe, das die Wunde verschließt. Es bleibt eine Narbe zurück.

l 29

Wundmanagement ●

Die Wundheilung verläuft in 3 Phasen: 1. Exsudationsphase (Reinigungs- oder Entzündungsphase): Bei Verletzung werden Blutgefäße zerstört, Wunde blutet und Wundexsudat tritt aus. Fremdkörper und Bakterien werden ausgeschwemmt. Engstellung der Gefäße (Vasokonstriktion) wirkt weiterem Blutverlust entgegen. Wunde wird durch Fibrin verklebt. Makrophagen (Fresszellen) dringen in die Wunde ein und bauen Fremdkörper und Bakterien durch Phagozytose ab. I.d.R. dauert diese Phase bis zu 3 Tage. 2. Proliferationsphase (Granulationsphase): Substanzverlust wird durch Bildung von neuem Gewebe wieder aufgefüllt. Bindegewebszellen (Fibroblasten) nutzen das bei der Blutgerinnung entstandene Fibringerüst zur Neuansiedlung von Zellen. Fibroblasten produzieren zusätzlich Kollagen zur Festigung von Gewebe. Kapillargefäße sprießen ein und Endothelzellen lagern sich an. Entstehung von neuem, gefäßreichem Granulationsgewebe. 3. Regenerationsphase (Epithelisierungsphase): Fibroblasten werden zu Fibrozyten und Myofibroblasten und bewirken ein Zusammenziehen der Oberfläche. Das Granulationsgewebe verliert Wasser, Epithelzellen wandern vom Wundrand zur Wundmitte und überziehen das Gewebe mit feinem Epithel. Die Zellschicht verdickt sich und die Wunde schließt sich von außen nach innen.



! Merke

Die Abtragung z. B. von Verschmutzungen, Fibrinbelägen oder Nekrosen wird als Débridement (Wundtoilette) bezeichnet.

Phasengerechte Wundtherapie

Moderne Wundauflagen unterstützen die Wundheilung phasengerecht. Ein feuchtwarmes Wundmilieu trägt zur Wundheilung bei (optimale Granulation/Epithelisierung ab 28 °C).

Wundheilungsstörung



ACHTUNG Für eine erfolgreiche Wundbehandlung ist es wichtig, die lokalen und systemischen Störfaktoren zu kennen und diese zu beseitigen, bevor mit der eigentlichen Wundbehandlung begonnen wird!

29.2 Moderne Wundtherapie 29.2.1 Wundreinigung ●



Lokale Störfaktoren ● Keimbesiedlung, ggf. Infektionen, Beläge, Nekrosen ● Fremdkörper in der Wunde ● Ödeme, Hämatome ● trockener, die Wundheilung störender Schorf ● Druck auf die betroffene Region ● Austrocknung oder Auskühlung der Wunde (z. B. durch Wundspülung mit zu kalter Lösung) ● Hypergranulation (überschießende Bildung von Granulationsgewebe) ● Wunddehiszenz (Wundränder klaffen auseinander) ● Nahtdehiszenz (Aufplatzen primär bereits verschlossener Wunden) Systemische Störfaktoren Alter des Patienten (Durchblutung und Regeneration der Haut nehmen im Alter ab) ● Allgemeinzustand (z. B. Stress, Rauchen, Alkohol) ● Grunderkrankung (z. B. Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Durchblutungsstörungen wie pAVK) ● Ernährung (z. B. mangelhafte Ernährung, geringe Flüssigkeitszufuhr, Eiweißmangel usw.) ●

primär heilende, aseptische Wunden: mechanische Reinigung mit alkoholischer Desinfektionslösung oder physiologischer Kochsalzlösung 0,9 % und steriler Kompresse oder sterilem Tupfer sekundär heilende Wunden: Wundreinigung durch Débridement (chirurgisch, mechanisch) und Wundspülung

! Merke

Débridement

Mechanisches Débridement ●



Die Wundheilung wird gestört durch lokale (Faktoren, die von außen einwirken) oder systemische (Faktoren, die den gesamten Körper betreffen, z. B. Grunderkrankung) Faktoren.

204

Medikamente (z. B. Antibiotika, Diuretika usw. beeinflussen Wundheilungsprozess negativ) psychische Verfassung (psychische Erkrankung kann Mitarbeit und Kooperationsbereitschaft einschränken, wirkt sich negativ auf Wundheilung aus) systemische Infektionen (gelangen Bakterien über Wunde in die Blutbahn, besteht Sepsisgefahr!)

29.1.3 Phasen der Wundheilung

Ziel: nicht festhaftende Zellbestandteile und Biofilme entfernen Vorgehen: Beläge und Verschmutzungen mit geeigneter Wundspüllösung (bei nicht infizierter Wunde) oder einem Antiseptikum (bei infizierter Wunde) unter Verwendung steriler Kompressen oder Tupfer auswischen oder spülen

Chirurgisches Débridement ●



Ziel: Nekrosen oder Fibrinbeläge abtragen (Eingriff ist invasiv, nicht gewebeschonend) Vorgehen: Wunde wird chirurgisch mit Skalpell gereinigt (ärztliche Tätigkeit). Wichtig: rechtzeitige Analgesierung, da Abtragung sehr schmerzhaft sein kann.

Wundspülung Wundspüllösungen sollten grundsätzlich steril, physiologisch, nicht resorbierbar, farblos, reizlos, nicht ätzend, erwärmbar und atraumatisch sein. ● unkonservierte Spüllösungen: z. B. Ringerlösung oder physiologische Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %), Anwendung bei nicht infizierten Wunden ● konservierte Spüllösungen: z. B. Prontosan, Lavasorb- und Lavanid-Lösung ● antiseptika: Antiseptische Wirkung (Erreger werden abgetötet). Anwendung bei infizierten Wunden, bis Sanierung abgeschlossen ist. ● Octenidin und Polihexanid: antiseptische Wirkung ● PVP-Jod: antiseptische Wirkung. Nachteil: Verfärbung der Wunde erschwert die Wundbeurteilung.

Moderne Wundtherapie Vorbereitung ● unsteriles Material patientennah herrichten: Händedesinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Bettschutz, ggf. Nierenschale (zum Auffangen der Spüllösung), Abwurfbehälter ● steriles Material patientenfern herrichten: Spritze (20-mlSpritze oder Blasenspritze), ggf. Knopfkanüle oder Einmalspülkatheter. Auf Körpertemperatur angewärmte Spüllösung, z. B. Ringerlösung oder NaCl 0,9 % oder konservierte Spüllösung (z. B. Prontosan), bei infizierten Wunden (z. B. Octenisept), ggf. Verbindungsspike oder Kanüle. Anatomische Pinzette, Kugeltupfer bzw. Kompressen ● Desinfektion: Händedesinfektion und Arbeitsfläche Durchführung ● Patienten informieren, Besucher aus Zimmer bitten ● ggf. zuvor ein Schmerzmittel nach ärztlicher Anordnung verabreichen ● Fenster schließen, Sichtschutz, Bett auf Arbeitshöhe stellen ● Patienten auffordern, sich so hinzudrehen, dass Wunde versorgt werden kann und er bequem liegt ● Materialien zur Wundspülung ordnungsgemäß herrichten ● Spüllösungen auf Körpertemperatur anwärmen ● Händedesinfektion, unsterile Handschuhe anziehen ● alten Verband nach der Non-Touch-Technik entfernen, alte Wundauflage inspizieren ● unsterile Handschuhe verwerfen, Händedesinfektion ● neue unsterile Handschuhe anziehen, Spüllösung mittels Spritze in die Wunde geben, so lange spülen, bis klare Flüssigkeit aus der Wunde zurückfließt ● ist eine Wundtasche zu spülen, sterile Knopfkanüle oder Einmalkatheter verwenden ● Spülflüssigkeit soll wieder komplett herauslaufen. ● Wundumgebung mit sterilen Kompressen trocken wischen

29.2.2 Wundversorgung mit hydroaktiven Wundauflagen Aufgaben einer (hydroaktiven) Wundauflage: ● Wunde feucht halten und optimales Wundmilieu (feuchtwarm) schaffen ● Wundexsudat und Abfallprodukte aufnehmen ● Wundruhe ermöglichen ● vor Keimen und Bakterien schützen ● Gasaustausch ermöglichen ● schmerzarmen, atraumatischen Verbandwechsel ermöglichen ● empfindliches Gewebe in Epithelisierungsphase schützen ● Regenerationsprozess beschleunigen

● ● ● ● ●

Wie hoch ist die Exsudatmenge? Wie ist die Schmerzsituation des Patienten? Besteht Wundgeruch, muss dieser gebunden werden? Bedürfnisse des Patienten, wird die Auflage toleriert? Handhabung der Auflage, kann die Wundauflage schmerzfrei entfernt werden?

Arten von Wundauflagen ●



























Hydrogele: wirken autolytisch, unterstützen durch Abgabe von Feuchtigkeit den Abbau von Nekrosen und Fibrinbelägen hydroaktive Wundauflage zur Nasstherapie: kontinuierliche Abgabe von Ringerlösung. Wundexsudat und Abfallstoffe werden aufgenommen und gebunden. Alginate: Wundexsudat, Zelltrümmer und Bakterien werden aufgesaugt. Blutstillende Wirkung durch Kalzium. silberhaltige Wundauflagen: töten Keime auf physikalische Weise ab Aktivkohleauflagen mit Silber: hemmen die Funktion der Bakterienenzyme wirkstofffreie Wundauflagen mit hydrophober Wechselwirkung: Bakterien werden gebunden und können beim Verbandwechsel entfernt werden. Aktivkohlekompressen: wirken geruchsbindend, haben eine große Saugkapazität. Binden Eiweißmoleküle und Bakterien. Vlieskompressen mit Superabsorber: hohe Saugleistung, feuchtes Mikroklima der Wunde wird aufrechterhalten. Hydrofaser: Bei Kontakt mit Wunde verwandelt sich Wundauflage in ein transparentes Gel. Wundexsudat wird in vertikaler Richtung angenommen. Wundumgebung bleibt trocken. feinporige Polyurethanschaum-/Hydorpolymerverbände: hohes Absorptionsvermögen, Wunde trocknet aber nicht aus. Keime, Zelltrümmer und überschüssiges Wundexsudat werden in Polyurethanschaumstruktur eingeschlossen. Hydrokolloidverbände: nehmen überschüssiges Wundexsudat auf (gelblich: nicht mit Eiter zu verwechseln!) transparenter Hydroaktivverband: durch Transparenz gute Wundbeobachtung möglich, bei oberflächlichen Wunden anwendbar Hydrogelkompressen: wirken rehydratisierend bei trockenen Wunden. Atraumatischer Verbandwechsel möglich, kühlender, schmerzlindernder Effekt. semipermeable Transparentfolienverbände: durch Transparenz gute Wundbeobachtung möglich. Semipermeable Transparentfolie ist wasser- und keimdicht und bietet Infektionsschutz.

Wechselintervall

29.2.3 Auswahl der Wundauflage Angepasst an die Wundheilungsphase wird die geeignete Wundauflage ausgewählt (▶ Tab. 29.1). Bei der Auswahl können folgende Kriterien helfen: ● Welches Wundstadium, welche Heilungsphase liegt vor? ● Infektionszeichen (Rötung, Schwellung, Schmerz …)? ● Wie ist der Hautzustand?

Intervall ist abhängig von ● Abheilungszustand der Wunde, ● Exsudatmenge (Aufnahmefähigkeit der Wundauflage), ● Herstellerangaben. Grundsätzlich gilt: „So häufig wie nötig und so selten wie möglich.“

l 29

Wundmanagement Tab. 29.1 Wundauflagen in den einzelnen Wundstadien. Wundstadium

Beschreibung

Nekrose



● ●

Abgestorbenes Gewebe behindert Wachstum gesunder Zellen und bietet Bakterien optimalen Nährboden zur Ansiedelung und Vermehrung. Deshalb muss abgestorbenes Gewebe abgetragen werden! Beschaffenheit: trocken bis feucht Farbe: schwarz, braun, grünlich bis gelb

Wundauflage ● ● ●

Hydrogele in Gelform hydroaktive Wundauflage zur Nasstherapie Alginate (nur bei ausreichend Feuchtigkeit)

Foto: K.Protz, Thieme

Fibrinbeläge



● ●

Fibrinbeläge können die Heilung behindern. Bei chronischen Wunden kommt es zur vermehrten Fibrinbildung. Beschaffenheit: fest bis weich Farbe: gelb bis bräunlich (meist geruchlos)

Foto: K.Protz, Thieme

infizierte Wunde





bakterielles Wachstum, Keimbesiedlung ist auf den Körper übergegangen Symptome: Infektionszeichen!

● ●



silberhaltige Wundauflagen wirkstofffreie Wundauflagen mit hydrophober Wechselwirkung Antiseptika, z. B. Octenisept

Foto: K.Protz, Thieme

Wundgeruch





Foto: K.Protz, Thieme

206

z. B. bei Tumorwunden oder infizierten Wunden Wundgeruch: psychische Belastung und Einschränkung der Lebensqualität

Aktivkohlekompressen mit/ohne Silber

Moderne Wundtherapie

Tab. 29.1 Fortsetzung Wundstadium

Beschreibung

stark exsudierende Wunde





Wundauflage

Exsudat ist prinzipiell gut und wichtig, hält die Wunde feucht, spült u. a. Zelltrümmer aus Wunde Große Wundexsudationsmengen (z. B. durch Infektion) sind primär ursächlich zu behandeln.

Vlieskompressen mit Superabsorber

Tiefe Taschen, Wundhöhlen und Fisteln erschweren Wundversorgung, da Wundauflage Kontakt zum Wundgrund braucht. Wundhöhlen müssen aufgefüllt werden, sonst schließt sich Wunde nur oberflächlich und im Inneren bleibt ein infektgefährdeter Hohlraum zurück.



Granulationsgewebe ist gut durchblutet, gekörnt, feucht, glänzend, sauber und rot gefärbt. Neues Gewebe ist sehr empfindlich, deshalb Produkt wählen, das Wundruhe gewährleistet.



In der Epithelisierungsphase wächst die Wunde vom Rand her langsam zu, neues Gewebe wird gebildet. Die Wundexsudation nimmt ab. Wunde in dieser Phase vor Austrocknung schützen, lange Wundruhe gewährleisten durch atraumatischen Verbandwechsel (neues Gewebe darf nicht mit Wundauflage verkleben!)



Foto: K.Protz, Thieme

unterminierte Wunde





● ●

Alginate Cavity-Polyurethanschäume Hydrofaser

Foto: K.Protz, Thieme

granulierende Wunde









Hydrokolloidverbände Polyurethanschaum-/Hydropolymerverbände transparente Hydroaktivverbände

Foto: K.Protz, Thieme

epithelisierende Wunde

Foto: K.Protz, Thieme



● ● ●

transparente/dünne Hydrokolloidverbände transparenter Hydroaktivverband Hydrogelkompressen semipermeable Transparentfolienverbände

l 29

Wundmanagement Mund-/Nasenschutz anlegen, Verbandmaterial und Wundspülung/Antiseptika nach ärztlicher Anordnung, Reinigungs-/Hautdesinfektionsmittel bei primär heilenden Wunden, Fixiermaterialien, Schere, Abwurfbehälter

29.2.4 Verbandwechsel Grundsätze beim Verbandwechsel ●















● ●





● ●

ggf. Schmerzmedikation rechtzeitig vor Verbandwechsel verabreichen auf bequeme Positionierung während des Verbandswechsels achten Händedesinfektion (vor und nach Patientenkontakt, vor jeder aseptischen Maßnahme, nach Kontakt mit kontaminierten Substanzen) ggf. Schutzschürze und Mundschutz anziehen (nicht über offenen Wunde sprechen) Fenster und Türen schließen, auf ausreichende Beleuchtung achten Verfallsdatum der Materialien prüfen, keine angebrochenen Materialien verwenden! Materialien auf einer wischdesinfizierten Arbeitsfläche vorbereiten Wundauflage nur zuschneiden, wenn von Hersteller erlaubt (Beipackzettel) unsterile Handschuhe anziehen Material sinnvoll (nach Ablauf des Verbandwechsels) platzieren: steriles Material patientenfern, unsteriles Material patientennah (damit man nicht über sterile Materialien greifen muss, Kontaminationsgefahr!) Verbandwagen vor Kontamination schützen (z. B. abdecken, desinfizierend reinigen) Durchführung planen, Ablauf kurz im Kopf durchgehen, Materialien vollständig? (erspart unhygienische Gänge) kontaminierte Flächen umgehend desinfizieren! Non-Touch-Technik anwenden!

! Merke Reihenfolge Wundversorgung

Sind mehrere Wunden nacheinander zu versorgen, gilt: ● zuerst aseptische Wunden ● dann kontaminierte und kolonisierte Wunden ● dann infizierte, septische Wunden und schließlich Wunden, die z. B. mit MRSA oder anderen resistenten Keimen besiedelt sind Ziel: Aseptische Wunden sollen nicht kontaminiert werden! Non-Touch-Technik • Wundversorgung mit sterilen Materialien unter Anwendung der Non-Touch-Technik (engl. no touch = keine Berührung). Es gibt 2 Möglichkeiten: 1. Wundversorgung mit unsterilen Handschuhen und steriler Pinzette oder 2. mit sterilen Handschuhen.

Verbandwechsel bei primären und sekundären Wunden Vorbereitung ● Patienten informieren, geeigneten Zeitpunkt auswählen, ggf. Schmerzmittel rechtzeitig vor Verbandwechsel verabreichen, Intimsphäre schützen, Besucher aus dem Raum bitten, Bett auf Arbeitshöhe stellen ● Materialien auf wischdesinfiziertem Tablett oder Verbandwagen vorbereiten: unsterile Einmalhandschuhe, sterile Kompressen bzw. Tupfer, sterile Pinzetten, Schutzkleidung/Einmalschürze anziehen (keine langärmeligen Jacken/Kittel tragen); bei Erkältungen des Personals

208

Verbandwechsel bei primär heilenden Wunden Wiederholung: Primär heilende Wunde ist glatt, sauber, Wundränder liegen nah beieinander. ● Händedesinfektion, alten Verband mit unsterilen Handschuhen entfernen, Verband und Handschuhe im Abwurf verwerfen ● Wunde inspizieren, Hände erneut desinfizieren, unsterile Handschuhe anziehen ● ggf. Sprühdesinfektion mit passendem Hautdesinfektionsmittel ● mit steriler Pinzette und steriler Kompresse/Kugeltupfer Wundrand von innen nach außen wischen (pro Wischgang neue Kompresse oder Kugeltupfer) ● Wunde nach ärztlicher Anordnung versorgen, ggf. Klammern/Fäden ziehen ● Handschuhe verwerfen, Hände desinfizieren, VW dokumentieren ●

Verbandwechsel bei sekundär heilenden Wunden Wiederholung: sekundär heilende Wunde ist älter als 6 Stunden, sehr tief oder stark verschmutzt, granuliert von unten, Narbenbildung ● Händedesinfektion, alten Verband mit unsterilen Handschuhen entfernen, alten Wundverband inspizieren (z. B. Geruch, Wundexsudatmenge), Wundverband verwerfen, Handschuhe ausziehen, Händedesinfektion, neue Handschuhe anziehen ● sterile Wundreinigung durchführen (Non-Touch-Technik!), pro Wischgang neue Kompresse verwenden ● gereinigte Wunde inspizieren (Wundrand, Wundgrund, Wundumgebung, Exsudat, Lokalisation, Geruch, Farbe, Tiefe) ● Handschuhwechsel, Händedesinfektion, ggf. Fotodokumentation ● phasengerechte Wundversorgung mit entsprechenden Produkten, dazu Händedesinfektion, Handschuhe, sterile Arbeitsmaterialien (Non-Touch-Technik) ● Wundverband fixieren, Handschuhe entsorgen und hygienische Händedesinfektion ● Arbeitsfläche reinigen und Material entsorgen ● Hände desinfizieren, anschließend Wunddokumentation ●

Wunddokumentation

29.3 Wunddokumentation

29.3.2 Fotodokumentation

Die Wunddokumentation ist wichtig, um den Verlauf von Wundheilung und Therapie transparent für alle Beteiligten darzustellen. Zur Wunddokumentation gehören die Wundanamnese und die Wundanalyse. Es gilt: „Alles, was nicht dokumentiert wurde, ist weder nachvollziehbar noch beweisbar/belegbar.“



29.3.1 Schriftliche Dokumentation



Ziele: schriftliche Dokumentation mit Foto unterstützen, Wundstatus visualisieren, aktuellen Heilungsverlauf verdeutlichen Voraussetzungen: Patient bzw. Betreuer muss schriftliches Einverständnis geben. Auf dem Foto müssen Name, Geburtsdatum, Erstellungsdatum und Körperregion des Patienten vermerkt sein. Wundgröße durch Einmalmaßband kenntlich machen. Foto erst nach der Wundreinigung erstellen. Wundrand und Wundumgebung mit aufnehmen.

Wundanamnese Die erfassten Daten der Wundanamnese bilden die Grundlage für die Wunddokumentation. Beispiele für Daten: ● Informationen Patient/Angehörige: z. B. soziales Umfeld, Wohnsituation, Versorgung zu Hause ● Krankheitsbild: z. B. Begleit- und Stoffwechselerkrankung, Durchblutungsstörung ● psychosoziale Aspekte: z. B. Angst, soziale Isolation ● wundauslösende Faktoren: z. B. Druck ● negative Einflussfaktoren: z. B. Rauchen, Ernährung

Wundanalyse Die Wunde wird im Rahmen der Wundanalyse vermessen und beurteilt. Beispiele für die Wundeinschätzung: ● medizinische Wunddiagnose: z. B. Grunderkrankung, Wundart, Schweregrad ● Wundklassifikation: z. B. Dekubitus, diabetisches Fußulkus ● Schwergradeinteilung: z. B. Dekubitusklassifikation nach EPUAP ● Wundlokalisation: ausformulieren, in Dokumentation/ Schaubild anzeichnen ● Wunddauer: Einschätzung Belastung, Pflegezeit, Heilungszeit ● Rezidivanzahl: Anzahl der Rezidive, rezidivfreie Zeit ● Wundgröße: Länge, Breite und Tiefe der Wunde, Taschen, Fisteln? ● Wundrand/-umgebung: z. B. mazeriert, nekrotisch, ödematös, gerötet ● häufigste Gewebeart: z. B. Nekrose, Fibrinbelag, Granulationsgewebe, Biofilm ● Wundgeruch: ja/nein ● Exsudation: Menge, Farbe, Beschaffenheit, Geruch ● Infektionszeichen: Rötung, Schwellung, Schmerz, Funktionseinschränkung, Überwärmung ● Wundschmerzen: Schmerzintensität (Schmerzskala), Schmerzqualität (pochend, brennend, stechend usw.)

KOMPAK T Wundmanagement ●





● ●







Wundentstehung: Schädigung der Haut und ggf. des darunterliegenden Gewebes Ursache: Für die Wundbehandlung und den Heilungsverlauf ist die Entstehungsursache der Wunde entscheidend. Einteilung von Wunden: akute oder chronische Wunde? Entstehungsursache? Offene oder geschlossene Wunde? Verletzungstiefe? Keimbesiedelung? Heilungsprozess: primär und sekundär heilende Wunde? 3 Phasen der Wundheilung: Exsudationsphase, Proliferationsphase und Regenerationsphase Störfaktoren Wundheilung: lokale (z. B. Keimbesiedelung, Fremdkörper) und systemische (z. B. Alter, Ernährung) Störfaktoren Débridement (Wundtoilette): Entfernung von Verschmutzungen und Fibrinbelägen bei chronischen Wunden. Es wird zwischen mechanischem (z. B. Wundspülung) und chirurgischem (z. B. Wundreinigung mit Skalpell) Débridement unterschieden. Wundverlauf dokumentieren: z. B. Wundrand, Wundgrund, Wundumgebung, Exsudat, Lokalisation, Geruch, Farbe, Tiefe

Wunddokumentation

29.3 Wunddokumentation

29.3.2 Fotodokumentation

Die Wunddokumentation ist wichtig, um den Verlauf von Wundheilung und Therapie transparent für alle Beteiligten darzustellen. Zur Wunddokumentation gehören die Wundanamnese und die Wundanalyse. Es gilt: „Alles, was nicht dokumentiert wurde, ist weder nachvollziehbar noch beweisbar/belegbar.“



29.3.1 Schriftliche Dokumentation



Ziele: schriftliche Dokumentation mit Foto unterstützen, Wundstatus visualisieren, aktuellen Heilungsverlauf verdeutlichen Voraussetzungen: Patient bzw. Betreuer muss schriftliches Einverständnis geben. Auf dem Foto müssen Name, Geburtsdatum, Erstellungsdatum und Körperregion des Patienten vermerkt sein. Wundgröße durch Einmalmaßband kenntlich machen. Foto erst nach der Wundreinigung erstellen. Wundrand und Wundumgebung mit aufnehmen.

Wundanamnese Die erfassten Daten der Wundanamnese bilden die Grundlage für die Wunddokumentation. Beispiele für Daten: ● Informationen Patient/Angehörige: z. B. soziales Umfeld, Wohnsituation, Versorgung zu Hause ● Krankheitsbild: z. B. Begleit- und Stoffwechselerkrankung, Durchblutungsstörung ● psychosoziale Aspekte: z. B. Angst, soziale Isolation ● wundauslösende Faktoren: z. B. Druck ● negative Einflussfaktoren: z. B. Rauchen, Ernährung

Wundanalyse Die Wunde wird im Rahmen der Wundanalyse vermessen und beurteilt. Beispiele für die Wundeinschätzung: ● medizinische Wunddiagnose: z. B. Grunderkrankung, Wundart, Schweregrad ● Wundklassifikation: z. B. Dekubitus, diabetisches Fußulkus ● Schwergradeinteilung: z. B. Dekubitusklassifikation nach EPUAP ● Wundlokalisation: ausformulieren, in Dokumentation/ Schaubild anzeichnen ● Wunddauer: Einschätzung Belastung, Pflegezeit, Heilungszeit ● Rezidivanzahl: Anzahl der Rezidive, rezidivfreie Zeit ● Wundgröße: Länge, Breite und Tiefe der Wunde, Taschen, Fisteln? ● Wundrand/-umgebung: z. B. mazeriert, nekrotisch, ödematös, gerötet ● häufigste Gewebeart: z. B. Nekrose, Fibrinbelag, Granulationsgewebe, Biofilm ● Wundgeruch: ja/nein ● Exsudation: Menge, Farbe, Beschaffenheit, Geruch ● Infektionszeichen: Rötung, Schwellung, Schmerz, Funktionseinschränkung, Überwärmung ● Wundschmerzen: Schmerzintensität (Schmerzskala), Schmerzqualität (pochend, brennend, stechend usw.)

KOMPAK T Wundmanagement ●





● ●







Wundentstehung: Schädigung der Haut und ggf. des darunterliegenden Gewebes Ursache: Für die Wundbehandlung und den Heilungsverlauf ist die Entstehungsursache der Wunde entscheidend. Einteilung von Wunden: akute oder chronische Wunde? Entstehungsursache? Offene oder geschlossene Wunde? Verletzungstiefe? Keimbesiedelung? Heilungsprozess: primär und sekundär heilende Wunde? 3 Phasen der Wundheilung: Exsudationsphase, Proliferationsphase und Regenerationsphase Störfaktoren Wundheilung: lokale (z. B. Keimbesiedelung, Fremdkörper) und systemische (z. B. Alter, Ernährung) Störfaktoren Débridement (Wundtoilette): Entfernung von Verschmutzungen und Fibrinbelägen bei chronischen Wunden. Es wird zwischen mechanischem (z. B. Wundspülung) und chirurgischem (z. B. Wundreinigung mit Skalpell) Débridement unterschieden. Wundverlauf dokumentieren: z. B. Wundrand, Wundgrund, Wundumgebung, Exsudat, Lokalisation, Geruch, Farbe, Tiefe

30

Verbandtechniken

Fehlstellung korrigieren komprimierend

Gips

Binden

Kompression Kopf

Blutung stillen

ruhigstellend

Unterschenkel

Lokalisation,

Wundsekret aufsaugen

Ruhigstellung

Material, z.B.

Schutz vor Keimen

Wirkungsweise, z.B. Ziele und Indikationen, z.B. Einteilung

Mittelzugbinden Kurzzugbinden

Langzugbinden

Bindenarten

Stumpfbandagierung

Fixierung von Verbänden und Wundauflagen

Verbandarten Netzschlauchverband

Bindenverband

Handverband Gipsverband

Schlauchverband

Knieverband Fußverband

doppelte Länge verwenden

z.B. Kopfverband z.B. Brustverband

Ruhigstellung von Gliedmaßen und Gelenken

DMS-Kontrolle!

Fixierung von Verbänden und Wundauflagen

Verbandarten

30.1 Grundlagen

Abb. 30.1 Schildkrötenverband am Knie.

Einteilung ● Lokalisation: z. B. Kopf- oder Handverband ● verwendetes Material: z. B. Binden, Gips ● Wirkungsweise: z. B. ruhigstellend, komprimierend ● Aussehen: z. B. Rucksack- oder Dreiecktuchverband ● Eigennamen: z. B. Desault- oder Gilchrist-Verband

7 5 3

Ziele Schutz vor Keimen, mechanischen oder thermischen Einflüssen ● Wundsekret aufsaugen (Wundverband) ● Blutungen stillen (Druckverband) ● Fehlstellungen korrigieren (Extensionsverband) ● Gefäße im Rahmen der Thromboseprophylaxe komprimieren (Kompressionsverband) ● Gliedmaßen oder Gelenke ruhigstellen (Gipsverband, Stützverband)

1



Indikationen Distorsionen (Verstauchungen) ● Luxationen (Verrenkungen) ● Frakturen (Brüche) ● Blutstillung ● Thromboseprophylaxe und -therapie ● Wundauflagen fixieren ● zum Auftragen von lokalen Arzneimitteln, z. B. Salben

2 4

6



30.2 Verbandarten 30.2.1 Bindenverband Definition Bindenverband Elastischer, mit Textilbinden gewickelter Verband. ●





● ●





Bindenbreite orientiert sich am Durchmesser der zu verbindenden Extremität. Verband immer herzwärts wickeln, Ausnahme: absteigender Kornährenverband Verband in physiologischer Grundstellung anlegen (Extension oder Flexion) Bindenabschluss sollte nicht über einer Wunde liegen. zu Beginn kreisförmig wickeln, um die Binde zu befestigen (Kreisgang) an konisch zulaufenden Gliedmaßen im Schraubengang (Spiralgang) wickeln bei gelenküberschreitenden Verbänden Kornährenverband anlegen

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015 ●

! Merke



Kurzzugbinden: um ca. 50 % dehnbar. Bewirken hohen Druck bei Muskelanspannung und niedrigen Druck in Ruhe. Indikation: starke Kompression, z. B. bei tiefer Venenthrombose. Mittelzugbinden: um ca. 90 % dehnbar. Indikation: mittelstarke Kompression z. B. bei komprimierender Wundversorgung.

Beine wickeln

Es gilt der Grundsatz: „Immer von innen nach außen wickeln.“

Verbände mit Binden ●







Handverband: kann auf- oder absteigend gewickelt werden, Schmuck an Fingern oder Handgelenk der betroffenen Hand entfernen Knieverband: oft als Schildkrötenverband gewickelt, Knie ist leicht angewinkelt oder gestreckt (▶ Abb. 30.1) Fußverband: immer von innen nach außen wickeln (Kornährenverband an Zehengrundglied beginnen), Patient sollte sitzen, Verband sollte keine Falten bilden Stumpfbandagierung: Ziel: nach OP Ödeme und Hämatome vermeiden, Phantomschmerz reduzieren, Bandagierung formt Stumpf (wichtig für spätere Prothesenanpassung)

30.2.2 Gipsverband ●

Bindenarten ●

Langzugbinden: um ca. 180 % dehnbar. Bewirken geringen Druck bei Muskelanspannung und hohen Druck in Ruhe. Wegen hoher Ruhekompression nicht über Nacht anwenden! Indikation: bei leichten Kompressionsverbänden, z. B. um Bänder und Gelenke zu entlasten.







Indikationen: zur Ruhigstellung von Gliedmaßen und Gelenken, z. B. bei Frakturen. Auch bei entzündlichen Knochen- und Gelenkprozessen oder zur Korrektur von Fehlstellungen. Gipsarten: Es gibt geschlossene Gipsverbände oder Gipsschienen oder eine Kombination von beiden. Spaltung: Gips wird nach der Aushärtung gespalten, um verstärkte Weichteilschwellung mit einhergehender Durchblutungsstörung oder Nervenschädigung zu vermeiden. DMS-Kontrolle: Durchblutung (Nagelbettprobe, Hautkolorit, Hauttemperatur), Motorik (Finger, Zehen bewegen), Sensibilität (Taubheitsgefühl, Kribbeln) prüfen

l 30

Verbandtechniken

30.2.3 Schlauchmullverband ● ●





Indikationen: Fixierung von Verbänden und Wundauflagen Vorteile: ist sehr dehnbar und anschmiegsam, rutscht nicht und liegt fest an, ohne abzuschnüren, liegt auch über konischen Körperpartien glatt an Anlegen eines Schlauchmullverbands: kann mit Anbringhilfe (Applikator) angelegt werden. Schlauchmull wird dazu über Applikator gerollt und über den zu verbindenden Körperteil gestülpt. Arten von Schlauchmullverbänden: Kopfverband, Brustverband, Desault-Verband, Gilchrist-Verband, Handverband, Fingerverband

KOMPAK T Verbandtechniken ●





30.2.4 Netzschlauchverbände ● ●





212

Indikationen: Fixierung von Verbänden und Wundauflagen Vorteile: besteht aus einem weitmaschigen und extrem dehnbaren Baumwoll-Polyamid-Gemisch, kann an jeder Stelle und in jede Richtung geschnitten werden, reißt nicht ein und franst nicht aus, passt sich gut an Körperoberfläche an, schnürt nicht ein, ist u. a. indiziert bei Pflasterallergie oder Wundinfektion mit häufigen Verbandwechseln, normaler Wärme- und Feuchtigkeitsaustausch der Haut bleibt uneingeschränkt erhalten Ausmessen des Verbands: Netzschlauchmull an zu verbindendem Körperteil ungedehnt abmessen und über Wundauflage ziehen, ggf. doppelte Länge verwenden und noch einmal umstülpen Arten von Netzschlauchverbänden: Fixierung an Kopf, Rumpf, Extremitäten, Fingern möglich



Einteilung von Verbänden nach: Lokalisation, verwendetem Material, Wirkungsweise, Aussehen und Eigenname Ziele von Verbänden: Schutz vor äußeren Einflüssen, Aufsaugen von Wundsekret, Blutstillung, Korrektur von Fehlstellungen, Komprimierung von Gefäßen, Ruhigstellung von Gliedmaßen oder Gelenken Indikationen von Verbänden: Distorsionen, Luxationen, Frakturen, Blutstillung, Thromboseprophylaxe und -therapie, Fixierung von Wundauflagen, zum Auftragen von lokalen Arzneimitteln Verbandarten: Bindenverband, Gipsverband, Schlauchmullverband, Netzschlauchverband

6 600 ieme

Spezielle Pflegesituationen und therapeutische Pflegeaufgaben 31 Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 32 Das Kind im Krankenhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 33 Grundlagen der Pflege im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 34 Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung . . . . . . . . . . 238 35 Grundlagen der häuslichen Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 36 Medikamentenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 37 Schmerzmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 38 Ernährungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 39 Pflege bei Antikoagulation und Thrombolyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 40 Wickel und Auflagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 41 Perioperative Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 42 Pflege bei Fieber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 43 Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Patienten . . . . . . . . . . . . . 284 44 Pflege von Patienten mit malignen Tumoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 45 Grundlagen der Intensivpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 46 Pflege des sterbenden Menschen – Palliative Care . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 47 Kultursensible Pflege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 48 Grundlagen einer Pflegeethik und ethische Grenzsituationen in der Pflege . . . 312 49 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 50 Grundlagen der Kinästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 51 Grundlagen der Basalen Stimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 52 Grundlagen des Bobath-Konzepts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

Schwangerschaft

31.1 Schwangerschaft 31.1.1 Beratung der schwangeren Frau ●









Ernährung: Energiebedarf steigt gegen Ende der Schwangerschaft geringfügig an (um ca. 10 %). Eine ausgewogene Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Vollkorn- und Milchprodukten, fettarmem Fisch und Fleisch ist anzustreben. Vitamine und Mineralstoffe: hoher Bedarf an Vitaminen, Mineralstoffen bzw. Spurenelementen (insbesondere Jod, Folsäure und Eisen) Gewicht: Gewichtszunahme von 10–16 kg ist physiologisch. Normalgewicht vor der Schwangerschaft wirkt der Entwicklung eines Gestationsdiabetes entgegen. Sport: Regelmäßige Bewegung trägt zu einem unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf bei. Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko und dem Risiko starker Erschütterungen (z. B. Kampf- und Leistungssport, Reiten) sind nicht empfehlenswert. Vorsorgeuntersuchungen: Empfehlung, Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen, um den Schwangerschaftsverlauf und die Entwicklung des Kindes besser beobachten zu können.

ACHTUNG Zum Schutz vor Infektionen wie Listeriose und Toxoplasmose (können zu Schäden für das Kind führen) sollte auf den Verzehr von rohen tierischen Lebensmitteln verzichtet werden. Insbesondere von nicht richtig durchgebratenem Fleisch, Rohwurst, rohem Fisch, Rohmilch, Weichkäse, Räucherfisch, rohen Eiern und daraus hergestellten, nicht durcherhitzten Speisen und Produkten sollte abgesehen werden. ●









Koffein: maximal 3 Tassen Kaffee pro Tag. Höhere Mengen oder koffeinhaltige Energydrinks können zu Unruhe, Hypertonie, Schlafstörungen und zu einer verringerten Aufnahme von Eisen und Kalzium führen. Alkohol: Selbst auf geringe Mengen Alkohol sollten Schwangere verzichten. Sonst besteht die Gefahr des fetalen Alkoholsyndroms oder der Alkoholembryopathie). Nikotin: Rauchen wirkt sich schädlich auf das Ungeborene aus (u. a. niedriges Geburtsgewicht, kindliche Entzugssymptomatik). Drogen: Drogenabhängige Schwangere bedürfen der Betreuung durch ein professionelles, interdisziplinäres Team. Medikamente: Jede Medikamenteneinnahme in der Schwangerschaft sollte in Rücksprache mit dem Arzt erfolgen (embryo-/fetotoxische Wirkungen sind möglich, z. B. bei Antibiotika, Antiepileptika, Antihypertensiva, Zytostatika).

31.1.2 Schwangerschaftsbeschwerden

! Merke Komplikationen

Hinweise auf Komplikationen können vaginale Blutungen, starke Schmerzen im Bauchraum, wegfallende Kindsbewegungen und das Entwickeln von starken Ödemen sowie eine plötzliche starke Gewichtszunahme (> 2 kg/ Woche) sein.

Häufige Schwangerschaftsbeschwerden und Möglichkeiten zu deren Linderung sind: ● Hypotonie: entsteht durch die hormonell bedingte Tonusveränderung der Gefäßwände. Ein dauerhaft zu niedriger Blutdruck kann zu Kreislaufproblemen und zur Unterversorgung des Fetus führen. Maßnahmen: Regelmäßige Ruhe- und Entspannungszeiten, aber auch leichte körperliche Bewegung sowie eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr unterstützen den Kreislauf. ● Hautveränderungen: Veränderter Hormonhaushalt sorgt für stärkere Durchblutung der Haut und vermehrte Schweißbildung. Haut wird durch Wachstum des Bauches und ggf. Ödeme gedehnt. Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel kann es zu verstärktem Juckreiz kommen. Maßnahmen: bequeme Kleidung, regelmäßiges Eincremen und die Körperpflege mit pH-neutralen Waschlotionen können Linderung verschaffen. ● vaginale Infektionen: Durch die gesteigerte Durchblutung der Geschlechtsorgane und die gesteigerte Absonderung vaginaler Flüssigkeit neigen Schwangere zu Pilz- und anderen vaginalen Infektionen. Anzeichen sind: Juckreiz nach dem Wasserlassen oder dem Geschlechtsverkehr, Brennen, weißlicher Belag oder Ausfluss. Maßnahmen: gründliche Genitalhygiene durchführen, keine alkalischen Seifen verwenden, bei fortgeschrittener Pilzinfektion Antimykotikum, atmungsaktive Unterwäsche und Kleidung z. B. aus Baumwolle tragen. ● Ödeme: Häufigste Lokalisation sind Fuß- und Handrückenödeme, ebenso wie geschwollene Augenlider. Ursache sind hormonelle Veränderungen (Progesteron erhöht Durchlässigkeit der Venenwände für Flüssigkeit und onkotischer Druck nimmt ab). So tritt mehr Flüssigkeit in das Unterhautfettgewebe. Maßnahmen: Beine regelmäßig hochlegen, Beine herzwärts ausstreichen, eiweißreiche Kost. ● Varizen: Durch die höhere Blutmenge, den Druck des wachsenden Kindes und den verringerten Tonus der Gefäßwände bilden sich im Lauf einer Schwangerschaft oft Krampfadern (Varizen) bzw. verstärken sich. Zusätzliche Risikofaktoren: Übergewicht, Bewegungsmangel, langes Stehen, familiäre Veranlagung. Maßnahmen: Beine hochlegen, um venösen Rückfluss zu fördern, Wechselduschen, Bewegung, Schwimmen, Spazieren, ggf. Stützstrümpfe tragen. ● Übelkeit und Erbrechen: Morgenübelkeit und Erbrechen, besonders im ersten Drittel der Schwangerschaft. Die Ursache ist nicht bekannt. Stress und fette, stark gewürzte Lebensmittel können die Symptomatik verstärken. Maßnahmen: eher kleine Mahlzeiten, ggf. Ernährungsumstellung, Bewegung, Entspannung, ggf. Antiemetika bei massiver Schwangerschaftsübelkeit (Hyperemesis gravidarum). ● Sodbrennen: Zunehmende Größe der Gebärmutter führt zu einer Lageveränderung des Magens, dadurch fließt Magensäure in Speiseröhre zurück. Auch eine hormonell bedingte Schwäche der Kardiamuskulatur (Mageneingangsmuskulatur) kann zu Sodbrennen führen. Stress und fette, stark gewürzte Lebensmittel können Symptomatik verstärken. Maßnahmen: kleine Portionen essen, auf scharfe und fettreiche Speisen verzichten, Oberkörperhochlage nach dem Essen, ggf. Einnahme von Antazida oder H2-Rezeptoren-Blockern. ● Schmerzen: Besonders ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel kann es durch die Dehnung und Verlagerung der Gebärmutterbänder zu stechenden Schmerzen im seitlichen Bauchbereich kommen, die bis in die Labien ziehen.

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Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett



Die Schmerzen verschwinden von selbst nach kurzer Zeit. Oft kommt es auch zu Rückenschmerzen. Ursache: Schonhaltung, um Gewicht des Kindes auszugleichen. Auch Symphysenschmerzen, Druckschmerzen, Stauungsschmerzen oder Schmerzen beim Gehen treten häufig auf. Wichtig: Schmerz ist immer subjektiv! Maßnahmen: Bewegung, Schwimmen, Schonen, Entspannungs- und Lockerungsübungen usw. Schwangerschaftswehen: fördern die Durchblutung des Uterus und das Wachstum der Muskulaturschicht der Gebärmutter. Sogenannte Senkwehen treten i. d. R. in den letzten Wochen vor der Geburt auf, sie sind nur wenig schmerzhaft und werden oft nicht bemerkt. Regelmäßige Schmerzen, die mit einer Verhärtung des Bauches einhergehen, können auf eine vorzeitige Wehentätigkeit oder eine Plazentalösung hindeuten und bedürfen ärztlicher Abklärung.

31.1.3 Pflege bei Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom, Eklampsie Hypertonie, Präeklampsie, HELLP-Syndrom und Eklampsie sind Komplikationen, die u. a. mit einem erhöhten Blutdruck einhergehen, die Ursache hierfür ist unklar. ● Gestationshypertonie: Blutdruck steigt auf Werte über 140/90 mmHg. Symptome entsprechen denen einer Hypertonie. Maßnahmen: körperliche Schonung und Ruhe sowie ausgewogene Ernährung bei leichten Formen. Bei Blutdruckwerten über 170/100 mmHg antihypertensive Therapie. ● Präeklampsie: Gestationshypertonie nach der 20. SSW, die mit Proteinurie und Ödemen einhergeht. Sehstörungen, Kopf- und Oberbauchschmerzen, Ohrensausen, Schwindel und Erbrechen können symptomatisch auftreten. Maßnahmen: stationäre Aufnahme und Überwachung (Vitalzeichenkontrolle, siehe Kap. 16), Bettruhe, Ein- und Ausfuhrbilanzierung, auf Flüssigkeitseinlagerung und starke Gewichtszunahme achten, ggf. ist die Entbindung des Kindes notwendig. ● HELLP-Syndrom: lebensbedrohliche Variante der Präeklampsie, bei der zusätzlich eine Hämolyse, Thrombozytopenie und ein Anstieg der Leberenzyme vorliegen. Als Leitsymptom tritt ein rechtsseitiger Oberbauchschmerz auf. Ebenso können Übelkeit und Erbrechen auftreten. Maßnahmen: siehe Präeklampsie. ● Eklampsie: Auftreten von generalisierten tonisch-klonischen Krampfanfällen im Verlauf einer Präeklampsie. Die Eklampsie kann vor, während oder nach der Geburt entstehen (bis 10 Tage postpartal). Symptome bzw. Vorboten sind z. B. Kopfschmerzen, Sehstörungen, Augenflimmern, Übelkeit und Erbrechen. Maßnahmen: siehe Präeklampsie. Präventiv kann eine Schwangere mit bekannter Präeklampsie Magnesiumsulfat i. v. erhalten, dies senkt die Krampfneigung.

31.1.4 Pflege bei drohender Frühgeburt Definition Frühgeburt Eine Frühgeburt ist eine Lebendgeburt vor der vollendeten 37. SSW.

Symptome ●





● ●

Maßnahmen ●

● ●

● ●



Bettruhe bis zur 35. SSW sowie stressfreie und ruhige Umgebung starkes Pressen beim Stuhlgang vermeiden Die medikamentöse Therapie mit Tokolytika erfordert aufgrund ihrer Nebenwirkungen (u. a. Tachykardie, Herzrhythmusstörungen) eine engmaschige Überwachung der Vitalzeichen (siehe Kap. 16) und die psychosoziale Unterstützung der Schwangeren. regelmäßige CTG-Kontrollen durch die Hebamme bei vorzeitigem Blasensprung: engmaschige Temperaturkontrollen (Gefahr des Amnioninfektionssyndroms) enge psychische Begleitung, um die Mutter bestmöglich unterstützen zu können

31.1.5 Pflege bei Placenta praevia Definition Placenta praevia Bei einer Placenta praevia überdeckt die Placenta ganz oder teilweise den Muttermund. Dies kann bereits vorgeburtlich zu Komplikationen (wie Ablösung von Plazentateilen) führen. Meist wird die Placenta praevia im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung in der Schwangerschaft festgestellt. Begünstigt wird die atypische Lokalisation der Plazenta durch vorausgegangene Operationen am Uterus, Mehrlingsschwangerschaften und rasch aufeinanderfolgende Schwangerschaften. Leitsymptom ist eine schmerzlose vaginale Blutung (Frischblut) im letzten Trimenon (▶ Abb. 31.1).

Maßnahmen ●









218

regelmäßige, schmerzende Uteruskontraktionen, vorzeitige Öffnung des Muttermunds vorzeitiger Blasensprung mit tropfen- oder schwallartigem Fruchtwasserabgang vor der 37. SSW menstruationsähnliche Krämpfe, Druck- oder Schweregefühl durch das Absinken des Kindes verstärkter, veränderter vaginaler Ausfluss Juckreiz oder Brennen in der Scheide, Schmerzen bei der Urinausscheidung

Bei reifem Kind wird eine schnelle Entbindung (per Sectio) angestrebt. bei unreifem Kind und schwacher Blutung: abwarten mit engmaschiger Überwachung von Mutter und Kind bei Wehentätigkeit: Tokolyse mit Wehenhemmern und Lungenreifespritze (Glukokortikoide) notwendig (Blutzuckerkontrollen!) Beobachtung auf hämorrhagische Schocksymptome (Blässe, Unruhe, Kaltschweißigkeit, Tachykardie, Dyspnoe) strenge Bettruhe bis zum Versiegen der Blutung

Geburt Abb. 31.1 Placenta praevia.

normale Plazenta

Placenta praevia marginalis

Placenta praevia partialis

Placenta praevita totalis

Es werden 4 Formen der Placenta praevia unterschieden. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

31.1.6 Pflege bei Fehl- oder Totgeburt



Definition Fehl- oder Totgeburt Ein Kind, das weniger als 500 g bei der Geburt wiegt und keine Lebenszeichen zeigt, wird als Fehlgeburt bzw. Abort bezeichnet. Bei einer Totgeburt wiegt das Kind mehr als 500 g und zeigt ebenfalls keine Lebenszeichen bei der Geburt.





Ursachen Zu einem Abort kann es gezielt durch eine Abtreibung oder auch spontan kommen. Die Ursachen sind dann oft unklar. Mögliche Faktoren sind: ● mütterliche Faktoren: z. B. Gebärmutterfehlbildungen, Zervixinsuffizienz, Infektionen, Traumen, Tumoren, vorzeitige Plazentalösung ● kindliche Faktoren: z. B. Fehlbildungen, gestörte Immuntoleranz ● exogene Faktoren: z. B. Strahlung, Medikamente

Symptome ● ●



schmerzlose vaginale Blutungen wehenartige, ziehende Unterbauchschmerzen mit verstärkter Blutung bei Spätabort (nach 12. SSW): Blasensprung ohne Wehen oder Blutung

Maßnahmen Die Therapie ist abhängig vom Stadium des Abortgeschehens. ● bei Möglichkeit der Schwangerschaftserhaltung: strenge Bettruhe, Magnesiumsubstitution zur Ruhigstellung der Uterusmuskulatur ● bei Spontanabort bzw. Absterben des Kindes: in frühem Stadium Ausschabung, bei fortgeschrittener Schwangerschaft „natürliche“ Geburt des Kindes (stille Geburt)





nach einem Abort: psychosoziale Unterstützung der Eltern, engmaschige Vitalzeichenkontrolle (siehe Kap. 16), auf vaginale Blutung/Lochien (z. B. Menge, Farbe, Geruch) und Rückbildung des Uterus achten (z. B. Uterus gut kontrahiert, weich oder schmerzhaft?), Abstillen (z. B. medikamentös, Brust kühlen, engen BH tragen, Salbeitee oder Pfefferminztee trinken) bei Rh-negativen Frauen: Anti-D-Immunglobulin-Prophylaxe Rücksicht nehmen: Unterbringung im Einzelzimmer (nicht auf der Wochenbettstation, psychische Belastung hoch!), Wutausbrüche und Weinen nicht persönlich nehmen (gehört zum Trauerprozess) Zeit zum Abschied: Eltern Zeit zum Verabschieden lassen, Erinnerungsstücke anfertigen (Fotos, Fußabdrücke o. Ä.) professionelle Hilfe: psychologische Weiterbetreuung organisieren, Kontaktadressen von Elterninitiativen und Selbsthilfegruppen mitgeben

31.2 Geburt Zur bedarfs- und bedürfnisgerechten Unterstützung und Förderung einer physiologischen Geburt siehe auch den Expertinnenstandard „Förderung der physiologischen Geburt“ (siehe Kap. 10.4).

31.2.1 Zeichen der bevorstehenden Geburt ● ●

● ●

Abgang eines blutigen Schleimpfropfs Vor- und Senkwehen (treten vor Geburt auf, kindlicher Kopf tritt in das Becken ein) Kopf tritt tiefer Abgang von Fruchtwasser (sog. Blasensprung)

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Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett Abb. 31.2 Geburtsverlauf.

Senkwehen

Vorwehen

Eröffnungswehen

Austreibungswehen

Presswehen

Nachgeburtswehen

• 3–4 Wochen vor Geburt • unregelmäßige Abstände

• wenige Tage vor der Geburt • 6–12-mal pro Stunde • können sehr schmerzhaft sein

• zunächst alle 10 min • später alle 2 min

• alle 2–3 min nach Öffnung des Muttermunds • werden im Verlauf immer stärker und häufiger

• dauern an bis zur Austreibung des Kindes

• dauern das Wochenbett lang an • sorgen für Austreibung der Plazenta • sorgen für Rückbildung des Uterus

Kopf des Kindes ist ins Becken eingetreten

Kopf des Kindes ist genau im Becken ausgerichtet

Muttermund ist > 2 cm offen

Kind hat Beckenboden erreicht

Geburt

Arten von Wehen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

31.2.2 Geburtsphasen und Wehen Eine Spontangeburt lässt sich in 3 Phasen unterteilen. Die Art der Wehen verändert sich von Phase zu Phase (▶ Abb. 31.2). Bei Mehrgebärenden sind die Phasen oft kürzer als bei Erstgebärenden. Kommt es unter der Geburt z. B. zu einem Geburtsstillstand oder einem fetalen Sauerstoffmangel, kann die Verwendung von Instrumenten (Vakuumextraktion [VE], Geburtszange [Forzeps]) notwendig sein. 1. Eröffnungsphase (ca. 6–9 Std.): Zeitraum vom Geburtsbeginn bis zur vollständigen Eröffnung des Muttermundes (längster Teil der Geburt). Eröffnungswehen sind regelmäßig wiederkehrend und schmerzhaft. Muttermund öffnet sich um ca. 1 cm/Std. 2. Austreibungsphase (ca. 1–2 Std.): Zeitraum zwischen vollständiger Eröffnung des Muttermunds und der Geburt des Kindes. Austreibungswehen sind kurz und heftig, über die anschließenden Presswehen kann die Frau aktiv mithelfen. Der kindliche Kopf tritt durch die Scheide (Dammschutz!), anschließend folgen die Schultern und der Rest des Körpers. 3. Nachgeburtsphase (bis zu 60 Min.): Zeitraum nach der Geburt des Kindes bis zur Geburt der Plazenta. Nachwehen unterstützen Kontraktion der Gebärmutter, die Plazenta löst sich von der Gebärmutterwand. Plazenta muss vollständig sein (Plazentarest: Gefahr von verstärkter Blutung, Entzündung).

31.2.3 Häufige mütterliche Geburtsverletzungen Durch die starke Überdehnung des Gewebes kann es unter Geburt zu Geburtsverletzungen kommen. Abgesehen von der Episiotomie (Dammschnitt) stellt der Dammriss die häufigste Geburtsverletzung dar. Auch Risse von Uterus, Scheide, Klitoris und Labien können vorkommen. Der Wundbereich ist geschwollen, schmerzhaft und gerötet.

Dammriss ● ●







Dammschnitt (Episiotomie) ●



Ist eine Spontangeburt nicht möglich oder von der Mutter aus psychischen Gründen nicht leistbar, wird das Kind per Kaiserschnitt (Sectio caesarea, kurz Sectio) entbunden. Man unterscheidet zwischen primärer Sectio (Sectio vor Geburtsbeginn) und sekundärer Sectio (Sectio nach Geburtsbeginn).





220

Beim Dammriss unterscheidet man folgende Schweregrade: Dammriss 1. Grades: Hauteinriss des Scheideneingangs, der Vagina und des Dammes Dammriss 2. Grades: Riss der Dammmuskulatur bis zum analen Sphinkter Dammriss 3. Grades: Riss mit Verletzung des analen Sphinkters Dammriss 4. Grades: Dammriss 3. Grades mit Riss der Rektumvorderwand (Risiko Stuhl- und Urininkontinenz)

Einschneiden des Dammes mit dem Zweck, den Beckenausgang zu erweitern Der Dammschnitt beschleunigt die Geburt, verkürzt den Geburtsweg und vermindert den Druck auf den kindlichen Kopf (z. B. bei Frühgeburten, Zwillingsgeburten, Vakuumextraktion). Die Schnittführung kann median, mediolateral oder lateral verlaufen. Von einem routinemäßigen Dammschnitt sollte abgesehen werden (Problem: u. a. Wundheilungsstörung, glatte Wundränder heilen schlechter).

Wochenbett

31.3 Wochenbett



Definition Wochenbett Die ersten 6–8 Wochen nach der Geburt bezeichnet man als Wochenbett (Puerperium). Aufgaben des Wochenbettes ● Aufbau und Intensivierung der Mutter-Kind-Bindung ● Beginn und Aufrechterhaltung der Stillbeziehung ● Geburtsverletzungen heilen ● Rückbildung aller schwangerschafts- und geburtsbedingten Veränderungen ● Wiederherstellen des Menstruationszyklus und Umstellung der Hormonsituation ● An- und Übernahme der neuen sozialen Rolle als Mutter oder Vater

31.3.1 Pflege der gesunden Wöchnerin Stillen Vorteile ● Muttermilch ist die optimale Nahrung für den Säugling. Sie passt sich in Menge und Zusammensetzung den Bedürfnissen des Kindes an: – Vormilch (Kolostrum): wird in den ersten Tagen nach Geburt gebildet, ist vitamin- und eiweißreich sowie fettund kohlenhydratarm (leicht verdaulich). – Übergangsmilch: wird nach Milcheinschuss gebildet (durch Wegfall der Schwangerschaftshormone und Plazentaausstoßung kann Prolaktin [Milchbildungshormon] wirken, die Milchbildung wird gesteigert. Durch die Stimulation der Brustwarze beim Stillen wird Oxytocin ausgeschüttet, dieses bringt die Milch ins Fließen. Die Brüste sind im Milcheinschuss meist prall und gespannt, regelmäßiges Anlegen oder ggf. das Entleeren der Brust von Hand ist wichtig, um einer Brustentzündung vorzubeugen. Bei starker Schwellung können Kohl- oder Quarkwickel für Linderung sorgen). Die Milch enthält jetzt mehr Kohlenhydrate und Fette und weniger Eiweiß. – reife Frauenmilch: wird nach ca. 2 Wochen gebildet. Verändert sich während des Stillens, anfangs wässrigere Milch, dann fetthaltigere Milch. Enthält alles, was der Säugling an Nährstoffen braucht. ● Stillen fördert die Mutter-Kind-Beziehung. Die Stillhäufigkeit richtet sich nach dem Bedarf des Kindes (ad libitum). In den ersten Tagen nach der Geburt sollte das Kind ca. 8-mal in 24 Stunden angelegt werden. Also etwa alle 3 Stunden. Dies steigert die Milchbildung und fördert den Milcheinschuss. ● Muttermilch enthält Antikörper und senkt die Risiken für Diabetes Typ 1 und SIDS und senkt das Allergierisiko. ● Muttermilch ist jederzeit und überall verfügbar. ● Stillen fördert die Uterusrückbildung.





Pflege ●









Prinzipien und Stillpositionen ● Vorbereitung: Stillfreundliche Atmosphäre schaffen, bequeme Stillposition ermöglichen (im Sitzen z. B. Hocker unter Füße), Händedesinfektionsmittel, Getränk bereitstellen, Patientenruf in Griffnähe.

Prinzipien beim Anlegen: Kurze Brustmassage vor dem Anlegen fördert Milchbildung und Milchfluss. Kind liegt Bauch an Bauch mit der Mutter. Kind wird zur Brust geführt und nicht die Brust zum Kind. Kind sollte beim Stillen die gesamte Brustwarze mit Vorhof erfassen (Mund weit öffnen). Ein regelmäßiger Wechsel der Brust sowie der Stillposition fördert die vollständige Entleerung der Brüste und die Milchbildung. Schläft das Kind beim Stillen schnell ein, Hände und Füße massieren, ggf. zwischenwickeln. Beim Beenden der Mahlzeit das Vakuum mit einem Finger lösen. Was tun bei wunden Brustwarzen? Saugverhalten des Kindes und Anlegetechnik prüfen. Nuckelt das Kind nur, hat es die Brustwarze ausreichend im Mund? Luft und Licht an Brustwarze lassen. Muttermilchreste auf der Brustwarze antrocknen lassen. Pflegesalbe dünn auftragen (z. B. Lansinoh). Gesunde Seite zuerst anlegen und Stillzeit an betroffenen Seite verkürzen. Ggf. Stillhütchen verwenden oder abpumpen, wenn Stillen extrem schmerzhaft ist. häufige Stillpositionen: Wiegehaltung, Rückengriff (Football-Haltung), Stillen im Liegen



Uterusrückbildung: Täglich Fundusstand kontrollieren. Der Fundus sollte gut kontrahiert (fest) und nicht schmerzhaft sein. Bewegung, Wochenbettgymnastik und Stillen fördern die Rückbildung. Lochien: täglich Menge, Farbe und Geruch der Lochien kontrollieren. Versiegt der Wochenfluss frühzeitig (und ist der Fundus schmerzhaft und steigt die Temperatur), kann ein Lochialstau (z. B. durch einen Koagel) vorliegen (siehe Kap. 31.3.2). Regelmäßiger Vorlagenwechsel und Abspülen der Vulva mit klarem Wasser bei jedem Toilettengang (6–8-mal täglich), keine Tampons benutzen. Dammriss oder Dammschnitt: Kleine Risse verheilen ohne Naht. Größere Risse oder ein Dammschnitt werden nach der Geburt genäht (meist mit selbstauflösenden Fäden). Wöchnerinnen empfinden eine Kühlung der Geburtsverletzung meist als wohltuend (z. B. mit in Olivenöl getränkten Vorlagen aus der Tiefkühltruhe). Diese so lange auf die Naht legen, wie es als angenehm empfunden wird. Dammnaht oder Dammriss täglich auf Hämatome, Ödeme, Entzündungszeichen und Wundheilungsverlauf hin kontrollieren. Wegen des hohen Infektionsrisikos ist eine Beratung zur Intimhygiene notwendig. Die Wöchnerin sollte viel liegen und gehen, weniger sitzen und stehen. Eine gezielte Obstipationsprophylaxe reduziert Schmerzen beim Stuhlgang. Kaiserschnitt (Sectio caesarea): Die erste Mobilisation erfolgt ca. 6–8 Std. nach der OP (abhängig vom Befinden der Mutter). Bis dahin erfolgen pflegerische Maßnahmen zur postoperativen Überwachung (siehe Kap. 41.3) im Bett. Die Frau wird u. a. bei der Intimpflege, dem Vorlagenwechsel und der Körperpflege unterstützt. Auch das Handling und die Versorgung des Neugeborenen werden anfangs übernommen, bis die Frau mobil ist. Ein zeitnaher Haut-zuHaut-Kontakt (Bonding) zwischen Mutter und Kind sollte gefördert werden und ungestört stattfinden können. Thromboseprophylaxe: regelmäßige Mobilisation (je nach Kreislaufsituation), ausreichende Flüssigkeitszufuhr (2–3 l täglich), nach ärztlicher Anordnung subkutane Injektion von Heparin (z. B. nach Sectio, bei Gerinnungsstörungen) Babyblues: ist bedingt durch die hormonelle Umstellung nach der Geburt und tritt bei vielen Frauen auf (ab 3. Tag

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Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett



postpartal). Er kann mit psychischer Empfindsamkeit, Stimmungsschwankungen, Antriebslosigkeit und depressiver Verstimmung einhergehen. Er bedarf meist keiner therapeutischen Behandlung. Wochenbettdepression und Wochenbettpsychose: Hält der Babyblues über längere Zeit an, sollte die betroffene Frau therapeutische Unterstützung einholen.



Beratung im Wochenbett und Entlassberatung ●

















Hebammennachsorge wird im Wochenbett von der Krankenkasse übernommen und darüber hinaus bei weiterem Bedarf auch in der gesamten Stillzeit. Medikamente in der Stillzeit nur nach ärztlicher Rücksprache einnehmen. Auf Alkohol verzichten und Kaffee nur in Maßen genießen. Stillende Frauen haben einen täglichen Mehrbedarf von ca. 500–800 kcal. Eine ausgewogene Ernährung mit vielen Vitaminen, Ballaststoffen und Spurenelementen ist wichtig. Rückbildungsgymnastik zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur empfehlen. Ein Kurs wird bis zu einem Jahr nach der Geburt von der Krankenkasse bezahlt. Erste Menstruation ist nach 5–10 Wochen zu erwarten. Bei stillenden Müttern kann die Menstruation länger ausbleiben (Stillamenorrhö). Geschlechtsverkehr ist nach dem Versiegen des Wochenflusses (nach ca. 4 Wochen) wieder möglich, sofern sich die Frau dazu bereit fühlt. Geburtsverletzungen (z. B. Dammrisse) benötigen etwa 4–6 Wochen zur Heilung. An Verhütung denken! Eine erneute Schwangerschaft wird nach vorausgegangener Spontangeburt nach frühestens 6 Monaten und bei Kaiserschnitt nach 12 Monaten empfohlen (Risiko für Fehl- oder Frühgeburten ist sonst erhöht). Kontrolltermin beim Gynäkologen vereinbaren (ca. 4–6 Wochen nach Entbindung). Termin für Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt vereinbaren (U3).

31.3.2 Komplikationen im Wochenbett ●



222

Subinvolutio uteri: bezeichnet die unzureichende Rückbildung des Uterus (i. d. R. durch ungenügende Nachwehen). Risikofaktoren sind Mehrlingsgeburten, Zustand nach Sectio, lange Geburtsverläufe und körperliche/psychische Erschöpfung. Symptomatisch tritt ein hoher Fundusstand auf, der Uterus fühlt sich teigig weich an. Es kann ein Druckschmerz an den Uteruskanten auftreten. Nach ärztlicher Verordnung wird Oxytocin i. m. oder i. v. substituiert. Neben der Beobachtung und ggf. Unterstützung regelmäßiger Ausscheidung sowie der täglichen Erhebung von Vitalzeichen und des Fundusstandes sind die Mobilisation und die Anleitung zur Bauchlage (mehrmals täglich 10 Min.) pflegerische Aufgabe. Stillen trägt ebenfalls zur Rückbildung bei. Lochialstau: verminderter oder versiegender Wochenfluss innerhalb der ersten Tage post partum, der meist durch den Verschluss des Gebärmutterhalses durch Eihautreste oder Blutkoagel bedingt ist. Symptomatisch können des Weiteren Fieber, Stirnkopfschmerz, Druckempfindlichkeit des Uterus, ein weicher und wenig kontrahierter Uterus und ein unan-







genehmer Geruch des Wochenflusses auftreten. Vergleichbar sind Therapie und Pflege mit denen bei Subinvolutio uteri. Infektionen im Bereich von Vulva und Damm: treten meist in Zusammenhang mit Geburtsverletzungen auf. Es besteht die Gefahr, dass sich die Keime über Blut, Lymphe oder Schleimhaut ausbreiten. Entzündungszeichen sind regelmäßig zu erheben und zu dokumentieren, eine engmaschige Temperaturkontrolle ist erforderlich. Therapeutisch haben sich die lokale Anwendung von Schleimhautantiseptika, Sitzbäder mit entzündungshemmenden Wirkstoffen und regelmäßige Spülungen bewährt. Harnwegsinfekte: treten aufgrund der weitgestellten Harnabflusswege in Schwangerschaft und Wochenbett häufig auf. Puerperalfieber (Wochenbettfieber): Hierunter werden alle fieberhaften Infektionen im Wochenbett zusammengefasst, die durch das Eindringen von Keimen in Geburtswunden bedingt sind. – Risikofaktoren: Abwehrschwäche, Lochialstau und ein vorzeitiger Blasensprung – Symptome: beeinträchtigtes Allgemeinbefinden, Fieber und Stirnkopfschmerz – Komplikation: Puerperalsepsis – Therapie: Antibiose, medikamentöse und pflegerische Maßnahmen zur Steigerung des Uterustonus, Spasmolytika zum besseren Abfluss der Lochien Mastitis puerperalis: akute Entzündung der Brustdrüse bei der stillenden Frau. Trotz eingehaltener Prophylaxen (z. B. Händehygiene, Oberteil öffnen statt hochziehen, vollständige Brustentleerung, Stillpositionswechsel und ein häufiges korrektes Anlegen) kann die Erkrankung auftreten. Die Brust ist berührungsempfindlich, schmerzhaft und gerötet (einseitig/beidseitig). Axillare Lymphknoten können geschwollen sein. Unwohlsein, Müdigkeit und hohes Fieber begleiten die Brustentzündung. Eine Antibiotikatherapie ist je nach Erreger notwendig, es kann meist ganz normal weitergestillt werden. Von pflegerischer Seite können vor dem Stillen Wärmebehandlungen (z. B. warmer Waschlappen) und nach dem Stillen Kältebehandlungen (z. B. Quarkwickel) angeboten werden. Die Wärme bringt die Milch ins Fließen und erleichtert die Entleerung der Brust, die Kälte wirkt abschwellend und entzündungshemmend. Bettruhe und Ruhephasen sind je nach Krankheitsgefühl angezeigt (▶ Abb. 31.3).

31.3.3 Pflege des Neugeborenen Beobachtung des Neugeborenen ●





Einmal pro Schicht Allgemeinzustand kontrollieren, z. B. beim Wickeln, Wiegen oder Stillen: Hautkolorit, Atmung, Lebhaftigkeit, Trinkverhalten, Mekonium- und Urinausscheidung. Eine Neugeboreneninfektion macht sich durch reduziertes Trinkverhalten, Tachypnoe und Schläfrigkeit bemerkbar. Hyperbilirubinämie zeigt sich zusätzlich durch ein gelbliches Hautkolorit. Eine Gewichtsabnahme von bis zu 10 % in den ersten Tagen nach der Geburt gilt als physiologisch. Ein normales Geburtsgewicht liegt beim reifen Neugeborenen zwischen 3000 g und 4000 g, die Länge zwischen 48 cm und 55 cm und der Kopfumfang zwischen 33 cm und 37 cm. Bis zum 14. Lebenstag sollte das Kind sein Geburtsgewicht wieder erreicht haben.

Wochenbett Abb. 31.3 Wochenbett.

Probleme mit der Ausscheidung

Wochenbettdepression

• Beratung z. B. bei Angst vor Schmerzen bei der Ausscheidung • ausreichende Flüssigkeitsaufnahme • ballaststoffreiche Ernährung • frühzeitige Mobilisation

• professionelle Hilfe vom Psychologen

Brustdrüsenentzündung (Mastitis puerperalis) • Antibiotika • Hygiene beim Stillen • lokale Wärme- und Kältebehandlungen

Endometritis puerperalis • Bettruhe • Antibiotika • Medikation zur Steigerung des Uterustonus

Komplikationen bei der Uterusrückbildung • wehenfördernde Mittel • frühe Mobilisierung • Rückbildungsgymnastik • Druck (durch Bauchlage oder Massage)

Blasenentzündung und Inkontinenz • Antibiotika • Rückbildungsgymnastik • Stärkung der Vaginalmuskulatur

Risse und Infektionen an Damm und Vulva

erhöhtes Thromboserisiko • medikamentöse Behandlung • frühe Mobilisierung

• Schleimhautdesinfektion • spezielle Salben • Sitzbäder und Spülungen

Wochenflussanomalien • eventuelle Abflusshindernisse entfernen • Schleimhautdesinfektionsmittel • erweiterte Hygienemaßnamen

Mögliche Komplikationen und entsprechende Maßnahmen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Körperpflege und Handling ●



Nabelschnurrest fällt meist zwischen dem 7. und 10. Lebenstag ab. Empfohlen wird eine trockene Nabelpflege. Antiseptika nur bei Infektionszeichen (z. B. Rötung) verwenden. Baden nach Abfallen des Nabels, bis dahin reicht Waschen. Badezusätze anfangs eher meiden. Muttermilch kann alternativ als Badezusatz verwendet werden. Der Kopf des Neugeborenen ist beim Handling immer zu stützen. Grundsätzlich ist dabei langsam vorzugehen, sodass Bewegungsabläufe vom Kind aktiv miterlebt werden können (Stichwort: Kinaesthetics Infant Handling).

Untersuchungen des Neugeborenen und Prophylaxe ●

Neugeborenenscreening: Untersuchung auf seltene Stoffwechselerkrankungen (Abnahme von Fersenblut notwendig)









Hörscreening: Mit einem OAE-Test (otoakustischer Emissionstest) wird die Hörfähigkeit des Kindes überprüft. Vitamin-K-Gabe: Um die Blutgerinnung des Neugeborenen zu unterstützen, werden 2 mg Vitamin K oral bereits bei der U1 verabreicht. Rachitisprophylaxe: täglich orale Gabe von Vitamin D bis zum 1. Lebensjahr Prophylaxe plötzlicher Kindstod: Das Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) ist die häufigste Todesursache im Säuglingsalter. Ein scheinbar gesundes Kind verstirbt plötzlich und ohne Vorwarnzeichen im Schlaf. Die Ätiologie ist weitgehend ungeklärt. Risiko senken durch: konsequente Rückenlage beim Schlafen, Schlafsack nutzen statt Bettdecke und Kissen, eigenes Bett im Elternschlafzimmer, kühle Raumtemperatur (16–18 °C) beim Schlafen, rauchfreie Umgebung und Stillen.

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Pflege bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett

KOMPAK T Schwangerschaft ●



Die Schwangerschaft ist ein physiologischer Prozess. Eine ausführliche Beratung der Schwangeren ermöglicht gesundheitsbewusstes Verhalten. Schwangerschaftsbeschwerden treten auch unabhängig von Komplikationen auf. Sie lassen sich meist selbst lindern. Präeklampsie, HELLP-Syndrom und Eklampsie sind jedoch Erkrankungen, die eine engmaschige und ggf. notfallmäßige Therapie erfordern.

Geburt ●





Die Geburt untergliedert sich in Eröffnungs-, Austreibungs- und Nachgeburtsphase. Kinder kommen entweder bei einer regelhaften Geburt, einer vaginal-operativen Geburt (Zangengeburt oder Vakuumextraktion) oder per Sectio caesarea zur Welt. Geburtsverletzungen (z. B. Dammriss) können durch die Dehnung des Gewebes entstehen und bedürfen je nach Schweregrad weiterer Behandlung. Mütter nach Kaiserschnitt benötigen besonders am ersten postoperativen Tag vermehrte Pflege und Unterstützung.

Wochenbett ●





Im Wochenbett beobachten die Pflegenden v. a. physiologische Vorgänge wie den Wochenfluss, das Stillen sowie die Rückbildung der schwangerschafts- und geburtsbedingten Veränderungen und beraten über diese Aspekte. Mögliche Komplikationen stellen verschiedene Infektionen (z. B. Mastitis puerperalis oder Harnwegsinfekte) und eine Verzögerung der Uterusrückbildung (Subinvolutio uteri) dar. Eine fundierte Entlassberatung gibt den Eltern Sicherheit und ist eine sinnvolle Ergänzung zur Nachsorge im Wochenbett durch eine Hebamme.

Neugeborenenpflege ●



224

Der Nabelschnurrest sollte immer trocken sein, damit eine komplikationslose Abheilung möglich ist und die Nabelschnur zwischen dem 7. und 10. Lebenstag abfällt. Antiseptika sollten ohne Entzündungszeichen nicht zum Einsatz kommen. Beim Handling immer den Kopf des Neugeborenen stützen und auf langsame Bewegungsabläufe achten, damit das Neugeborene diesen folgen kann. Über SIDSProphylaxe werden die Eltern vor der Entlassung aufgeklärt. Dazu gehören z. B. die konsequente Rückenlage, die Verwendung eines Schlafsacks sowie die eher kühle (16–18 °C) und rauchfreie Schlafumgebung des Säuglings.

32

Das Kind im Krankenhaus

Weinen? Unruhe?

Körpersprache beachten

Hautkolorit?

Eltern in die Pflege einbeziehen

Puls Temperatur

RR

Pflegehandlungen und Ablauf erklären

Atmung?

Atmung

Gestik, Mimik? Appetitlosigkeit?

Kommunikation Schmerzbeobachtung

Vitalzeichen

Pflege, z.B. Meilensteine Ablenken

(Körper-)Kontakt zu den Eltern

Reaktionsfähigkeit Entwicklung Bewegungsverhalten

Applikation Beipackzettel lesen

Reflexe Medikamentengabe

6-R-Regel Nebenwirkungen

Energiebedarf

abhängig von

Ernährung

Entwicklungszustand Umgang mit Fehlern

Größen- und Gewichtsentwicklung Perzentilen

Verhalten, Wachstum Ernährungsverhalten

nach dem 10.–12. Lebensmonat

ab 4.–5. Lebensmonat

Säuglinge Stillen, Muttermilch

Übergang zur Kindernahrung, ausgewogene Mischkost

Beikost einführen z.B. Karottenbrei

Besonderheiten Für Kinder und ihre Bezugspersonen ist ein Krankenhausaufenthalt meist ein sehr belastendes Ereignis. Viele haben Angst vor Schmerzen und dem Alleinsein. Von zu Hause mitgebrachte Dinge (z. B. Kuscheltiere, Spielsachen), Rooming-in bzw. regelmäßige Besuche der Eltern können zum Wohlbefinden des Kindes beitragen. Steht ein geplanter operativer Eingriff an, bedarf es der Zustimmung beider Elternteile (sofern beide das Sorgerecht haben). In einer Notfallsituation kann der Arzt über die Notwendigkeit einer Behandlung entscheiden.

32.1 Besonderheiten 32.1.1 Vitalzeichen Es ist wichtig, die Vitalnormwerte aller Altersklassen zu kennen, um Abweichungen frühzeitig feststellen zu können (▶ Tab. 32.1). Normwerte zur Temperatur siehe Kap. 16.4.3.

32.1.2 Entwicklung Reflexe, Bewegungsverhalten und Reaktionsfähigkeit geben wichtige Auskünfte über den Entwicklungsstand des Kindes. Die Abfolge der einzelnen Entwicklungsschritte kann von Kind zu Kind sehr unterschiedlich sein. Um den Entwicklungsstand des Kindes und ggf. auch Entwicklungsverzögerungen feststellen zu können, sollte man die Meilensteine der physiologischen Entwicklung kennen (siehe hierzu die nachfolgende Infografik).

32.1.3 Ernährung Die Ernährung von Kindern sollte sich an Energiebedarf (▶ Tab. 32.2), Entwicklungszustand, Verhalten, Wachstum und Ernährungsverhalten des Kindes orientieren. ● Säuglinge: Stillen, Muttermilch ● ab dem 4.–5. Lebensmonat: Einführung von Beikost, Beginn z. B. mit Karottenbrei ● nach dem 10.–12. Lebensmonat: Übergang zur Kindernahrung, ausgewogene Mischkost Die Perzentilen ermöglichen die Beurteilung des Entwicklungsverlaufs. Werte zwischen der 3. und der 97. Perzentile gelten als unbedenklich. Eckdaten der physiologischen Größen- und Gewichtsentwicklung zeigt ▶ Tab. 32.3.

Tab. 32.2 Energiebedarf von Kindern (nach: Hoehl u. Kullick 2012). Alter

Energiebedarf in kcal (pro Tag)

0–3 Monate

550

3–6 Monate

760

6–9 Monate

905

9–12 Monate

1000

8 Jahre

2095

15 Jahre (weiblich)

2285

15 Jahre (männlich)

3000

Tab. 32.1 Normwerte Puls, Blutdruck, Atmung. Alter

Puls (Schläge pro Min.)

Blutdruck (in mmHg)

Atmung (Atemzüge pro Min.)

Neugeborenes (0–4 Wochen)

90–170

80/35

30–45

Säugling (< 1 Jahr)

80–170

85/40

25–35

Kleinkind (1–6 Jahre)

80–120

95/50

20–30

Schulkind (7–12 Jahre)

70–110

100/60

18–25

Jugendlicher (13–18 Jahre)

60–100

110/70

16–22

l 32

Das Kind im Krankenhaus

6 WOCHEN • soziales Lächeln

2 MONATE

bla

bla

• hebt Kopf in Bauchlage • gibt Laute von sich

4 MONATE • dreht Kopf zur Schallquelle • hält Gegenstände • beobachtet Hände

6 MONATE

bla bla bla

• passiert Gegenstände • sitzt (hingesetzt) kurze Zeit • spielt mit den Knien • plaudert

9 – 10 MONATE • Scherengriff • kriecht • sitzt auf

13 MONATE • wirft Gegenstände • Pinzettengriff

15 – 18 MONATE

mama auto

• geht frei • spricht 2–3 Worte • isst selbstständig • trinkt aus dem Glas

2 JAHRE

nein!

• kritzelt eckig • beachtet Handlungsresultat • Zweiwortsätze (Wortschatz 150) • betrachtet Bilderbuch • gibt Gegenstände • sagt: „NEIN!” • bittet um Hilfe

3 JAHRE • tags trocken • mit Hilfe anziehen • nachts meist trocken • öffnet und schließt Flasche • kritzelt geschlossene Formen • spricht alle Laute ohne S/Sch/R

6 JAHRE

4 JAHRE

auto

• Formen reproduzieren • Männchen zeichnen (13 Teile) • „schreiben” und rechnen • spielt Rollenspiele • grammatikalisch korrekte Sätze/Wörter definieren

228

• Erwachsenengriff • reproduziert Formen • Männchen zeichnen (7 Teile) • Groß-Klein-Unterscheidung • versteht z.B. „Was tust du, wenn du Hunger hast?” • kann Kapazität abschätzen

Besonderheiten

Tab. 32.3 Normale Größen- und Gewichtsentwicklung (aus: Hoehl u. Kullick 2012). Alter

Körpergröße

Körpergewicht

Neugeborenes

ca. 50 cm

3–4 kg

4.–5. Monat

ca. 60 cm

Geburtsgewicht verdoppelt

11.–12. Monat

ca. 75 cm (Geburtsgröße + 50 %)

Geburtsgewicht verdreifacht

2 Jahre

die Körpergröße erreicht die Hälfte der zu erwartenden Endgröße

12–14 kg

4 Jahre

Geburtsgröße verdoppelt

15–17,5 kg

6 Jahre

ca. 120 cm

Geburtsgewicht versechsfacht

10 Jahre

ca. 140 cm

Geburtsgewicht verzehnfacht

32.1.4 Medikamentengabe ●















Bei der Medikamentengabe immer die 6-R-Regel beachten! Medikament, Menge des Wirkstoffes und Darreichungsform (z. B. Saft, Tabletten) müssen dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes angepasst werden. Tabletten und Kapseln müssen für Säuglinge entsprechend gemörsert oder aufgelöst werden. Davor ist zu klären, ob die Präparation der Medikamente erlaubt ist (Beipackzettel!). Für die Applikation von oralen Medikamenten eignet sich z. B. bei Säuglingen ein Plastiklöffel oder eine Spritze. Immer auf mögliche Nebenwirkungen achten (z. B. Müdigkeit, Schwindel, Übelkeit, Ausschlag, Veränderung der Vitalfunktionen)! Die Beimischung von Medikamenten, z. B. in der Trinkflasche, ist unbedingt zu vermeiden, da in der Flasche Medikamentenreste verbleiben können und die Dosierung des Medikaments dann nicht mehr stimmt. Zudem kann sich durch die Beimischung eines Medikaments der Geschmack der Nahrung (negativ) verändern. Erbricht ein Kind nach der oralen Medikamentengabe, muss der Arzt informiert werden und ggf. über eine Zweitgabe entscheiden. Kommt es zu einem Fehler bei der Verabreichung, Arzt sofort informieren!

32.1.5 Schmerzbeobachtung Säuglinge und Kleinkinder können sich verbal nicht hinreichend äußern, sollten sie Schmerzen haben. Die genaue Beobachtung des Kindes ist deshalb umso wichtiger. Die Körperpflege eignet sich gut, um sich einen Gesamteindruck von dem Kind zu verschaffen. Eltern bemerken meist schnell, wenn sich das Verhalten des Kindes verändert. Beziehen Sie die Eltern eng in die Versorgung des Kindes ein und befragen Sie sie, ob es z. B. Anzeichen von Schmerzen zeigt (▶ Tab. 32.4).

32.1.6 Kommunikation ●

Beziehen Sie die Eltern nach Möglichkeit immer in die Pflege des Kindes ein. Sie kennen das Kind am besten und fühlen sich in dieser Ausnahmesituation gebraucht.





Je jünger ein Kind ist, desto weniger kann es sich verbal ausdrücken. Achten Sie deshalb besonders auf die Körpersprache des Kindes. Sprechen Sie immer mit dem Kind während einer Pflegehandlung und erklären Sie ihm, was als Nächstes passiert (z. B. auch bei Säuglingen). Seien Sie dabei ehrlich und sagen Sie dem Kind auch, dass es z. B. beim Legen einer Infusion einen kurzen „Pieks“ gibt.

KOMPAK T Das Kind im Krankenhaus ●













Für Kinder und ihre Bezugspersonen ist ein Krankenhausaufenthalt eine Ausnahmesituation. Die Vitalnormwerte aller Altersklassen unterscheiden sich stark. Das Wissen um die Normwerte der Herz- und Atemfrequenz, des Blutdrucks und der Körpertemperatur bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen ermöglicht es, Abweichungen frühzeitig festzustellen. Anhand der motorischen Entwicklung (Reflexe, Bewegungsverhalten und Reaktionsfähigkeit) können der Entwicklungsstand und mögliche Entwicklungsverzögerungen beurteilt werden. Bei der Ernährung von Kindern orientiert man sich am Energiebedarf, Entwicklungszustand, Verhalten, Wachstum und Ernährungsverhalten des Kindes. Medikamente für Kinder müssen in einer dem Entwicklungsstand angepassten Darreichungsform (z. B. Suspension, Suppositorien) vorliegen. Niemals Medikamente der Nahrung oder dem Trinken zumischen. Bei Erbrechen oder Ausspucken der Medikamente Arzt informieren. Säuglinge und Kleinkinder können ihre Schmerzen nicht oder nur ungenau verbal äußern. Hier ist die gezielte Beobachtung auf Schmerzen von großer Bedeutung. Eltern können mit ihrer Auskunft über das Verhalten des Kindes eine enorme Hilfe sein. Eine authentische und ehrliche Kommunikation mit Kindern ist wichtig für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses. Auch Säuglinge benötigen Ansprache.

l 32

Das Kind im Krankenhaus Tab. 32.4 Wie zeigt sich Schmerz? Kennzeichen

Methoden der Schmerzbeobachtung

pflegerische Maßnahmen

Schmerzbeobachtung bei Säuglingen ●

● ●



Weinen und Unruhe, Veränderung des SchlafWach-Rhythmus (z. B. nur kurze unruhige Schlafphasen) angespannte Körperhaltung, verzerrte Mimik Hautfarbe und -durchblutung (Blässe, marmoriertes Hautkolorit) Veränderung der Vitalzeichen (Tachykardien, angestrengte Atmung, Tachypnoe, Sauerstoffsättigungs-abfälle)





reine Fremdbeobachtung durch Pflegende und Eltern, therapeutisches Team Verwenden von Schmerzmessinstrumenten (z. B. Berner Schmerzscore für Neugeborene)







nonnutritives Saugen am Schnuller Verabreichen von Saccharoselösung vor invasiven Maßnahmen stressarme Umgebung, „Känguruhen“

Schmerzbeobachtung bei Kleinkindern (1.–3. Lebensjahr) ●





Schmerzzeichen wie Anspannung, Unruhe, Veränderung von Mimik und Körperhaltung, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen Verschlechterung des Allgemeinzustands (Tachykardie, Dyspnoe, Blutdruckanstieg) ungenaue oder generalisierte Schmerzlokalisation (z. B. Bauchschmerzen)





Fremdbeobachtung durch Pflegende und therapeutisches Team, enge Einbindung der Eltern in die Interpretation der Schmerzäußerung Beobachtung anhand von Verhaltenschecklisten und Ratingskalen, z. B. kindliche Unbehagens- und Schmerzskala = KUSS oder Toddler-Preschooler Postoperative Pain Scale = TPPPS







vorherige Aufklärung von Kind und Eltern Anwesenheit der Eltern, Hautkontakt spielerische Ablenkung

Schmerzbeobachtung bei Kindern und Jugendlichen ●

Schmerzzeichen und Verschlechterung des Allgemeinzustandes







230

Selbstauskunft des Kindes/Jugendlichen, Fremdbeobachtung durch Pflegende und therapeutisches Team, enge Einbindung der Eltern in die Interpretation der Schmerzäußerung Etwa ab dem 4. Lebensjahr können Skalen zur Selbsteinschätzung von Schmerzen verwendet werden, z. B. Faces-Pain-Scale revised. Ältere Kinder (> 7 Jahre) sind bereits in der Lage, Schmerz zu lokalisieren sowie die Schmerzintensität und -qualität anhand von Bewertungsskalen einzustufen.







vorherige Aufklärung von Kind und Eltern Anwesenheit der Eltern, ggf. Hautkontakt spielerische Ablenkung

33

Grundlagen der Pflege im Alter

Bewegungs- und Leistungsfähigkeit ↓

Geriatrie Gerontologie

Geragogik Haut

Wissenschaft kalendarisches Alter

Knochen physiologische Veränderungen

Organe

biologisches Alter Wasser- und Elektrolythaushalt gesellschaftliches Alter

Sensorik

Theorien

Reaktionszeit ↑

das Alter

Disengagement-Theorie Aktivitätstheorie Kontinuitätstheorie Menschen mit Demenz im Krankenhaus

Kognitive Persönlichkeitstheorie Kompetenzmodell

Pflegeanamnese pflegerische Grundprinzipien, z.B. Geduld und Ruhe

alte Menschen im Krankenhaus

Bewegung ermöglichen

Wohlwollen und Akzeptanz

Routine und Rituale beachten

Kommunikation Blickkontakt

Ängste und Befürchtungen

pflegerische Grundprinzipien, z.B.

Hilfe zur Selbsthilfe

Sicherheit vermitteln

sich zentrieren

Zugang über Biografie

Ressourcenorientierung

Selbstständigkeit erhalten

Das Alter und Altern als Prozess

33.1 Das Alter und Altern als Prozess Der Begriff „Alter“ wird unterschiedlich definiert: ● Das kalendarische Alter wird anhand des Geburtsdatums bestimmt und lässt Rückschlüsse auf prägende Lebensereignisse zu. ● Das biologische Alter bezieht sich auf den Gesundheitszustand eines Menschen (aktuelle körperliche und geistige Verfassung). ● Das gesellschaftliche Alter wird dem Menschen von der Gesellschaft zugeschrieben. Das Altern ist ein physiologischer Prozess mit psychischen und physischen Veränderungen, der mit dem Tod endet. Die Wahrnehmung des eigenen Alterns geschieht meist punktuell: Die eigene Lebenssituation verändert sich z. B. durch die Geburt des Enkelkinds, den Eintritt in den Ruhestand. Oft sind es auch körperliche Veränderungen oder Krankheiten, die den Menschen zwingen, sein Leben umzustellen. Dieser Prozess wird häufig als Belastung empfunden, z. B. durch den Verlust bestimmter Rollen oder das Aufgeben von Hobbys. Altern kann auch positiv erlebt werden, z. B. weil mehr Zeit für Familie, Freunde oder neue Interessen ist.

33.1.1 Wissenschaftliche Disziplinen Das Alter wird von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen untersucht. ● Gerontologie: erforscht die körperlichen, psychischen, sozialen, historischen und kulturellen Aspekte des Alters und Alterns (sog. Alters- und Alternswissenschaft) ● Geriatrie: befasst sich als medizinische Spezialdisziplin mit den verschiedenen Aspekten bei der Versorgung von akuten und chronischen Krankheiten alter Menschen, inklusive der Rehabilitation und Prävention ● Geragogik: untersucht die Lernprozesse alter Menschen, um deren Ressourcen zu erkennen und zu fördern, um sie auf das Älterwerden vorzubereiten (Teildisziplin der Gerontologie).

33.1.2 Veränderungen im Alter Physiologische Veränderungen Veränderungen, die im Laufe des Lebens auf natürliche Weise eintreten, werden als Biomorphose bezeichnet. Die Biomorphose verläuft individuell, es lassen sich jedoch typische Altersveränderungen benennen. ● verringerte Bewegungs- und Leistungsfähigkeit: u. a. da die Körperzellen im Alter weniger Flüssigkeit speichern und es außerdem zu einem physiologischen Muskelabbau kommt ● Veränderungen der Haut: Die Zellteilungsfähigkeit erschöpft sich. Die Haut wird dünner, weniger elastisch und Fettpolster nehmen ab. Die Schweiß- und Talgsekretion lässt nach, wodurch die Funktion des Säureschutzmantels abnimmt (→ begünstigt Pilzinfektionen). ● Veränderungen der Knochen: Die Knochentrabekel werden schmaler und weniger. Daher verringert sich die Knochenstabilität (wichtig: Sturzprophylaxe).









Veränderungen der Organe: Durch die Abnahme der Zellmasse nimmt z. B. auch die Funktionsfähigkeit der Nieren, des Gehirns, der Leber und der Lunge ab. Veränderungen des Wasser- und Elektrolythaushalts: Der Wassergehalt des Körpers sinkt im Alter auf unter 50 % und das Durstgefühl ist reduziert (Gefahr der Exsikkose). Veränderung der Sensorik: Einschränkung von Seh- und Hörfähigkeit, der Sprachwahrnehmung sowie des Tastsinns verlängerte Reaktionszeit: Im Alter benötigt man mehr Zeit, neue Informationen aufzunehmen, sie zu verarbeiten, neue Abläufe zu begreifen und sie einzuüben.

Auswirkungen auf den Alltag • Alle oben beschriebenen Veränderungen sind ein Teil des physiologischen Alterungsprozesses. Meistens wirken sie sich negativ auf das Wohlbefinden des alternden Menschen aus. In dieser Situation ist es sinnvoll, nicht der nachlassenden Leistungsfähigkeit nachzutrauern, sondern die bestehenden Fähigkeiten und Möglichkeiten zu erkennen und zu fördern.

Pathologische Veränderungen Physiologische Veränderungen bei alten Menschen erhöhen das Risiko für pathologische Veränderungen. Alte Menschen leiden häufiger an chronischen Erkrankungen. Liegen mehr als 2 chronische Erkrankungen vor, wird von Multimorbidität gesprochen (siehe Kap. 43.2).

33.1.3 Soziologische Alterstheorien Soziologische Alterstheorien versuchen, das Erleben und Verhalten alternder Menschen unter gesellschaftlichen Aspekten darzustellen und Hinweise für den Umgang mit ihnen und die Gestaltung ihres Umfelds zu geben. Da diese Lebensphase sehr individuell verläuft und von vielen unterschiedlichen Aspekten beeinflusst wird, gibt es unterschiedliche Theorien bzw. Modelle, die diese Phase beschreiben.

Disengagement-Theorie (Rückzugstheorie) Alternde Menschen ziehen sich freiwillig und im Interesse der Gesellschaft aus ihren sozialen Rollen und Kontakten zurück. Dieser Rückzug basiert auf dem persönlichen Bedürfnis des älteren Menschen. Durch das Loslassen der bisherigen Lebensbezüge (Berufstätigkeit) und die gleichzeitige Hinwendung zur eigenen Persönlichkeit erlebt der ältere Mensch Zufriedenheit und Wohlbefinden.

Aktivitätstheorie Das Wohlbefinden entsteht, wenn Menschen auch im Alter aktiv bleiben können. Aktivität im Alter ist Voraussetzung für Wohlbefinden und Gesundheit.

Kontinuitätstheorie Menschen können zufrieden altern, wenn sie den Lebensstil des mittleren Alters unabhängig von der Aktivität beibehalten können. Hier wird unterschieden zwischen ● innerer Kontinuität: Durch Beibehalten der inneren Werte, Interessen und Einstellungen erhöht sich die Zufriedenheit.

l 33

Grundlagen der Pflege im Alter ●

äußere Kontinuität: Kann der ältere Mensch in seiner gewohnten Umgebung leben, erhöht sich sein Wohlbefinden (kein Wohnungswechsel, Beibehalten sozialer Kontakte/ Eigentum/Finanzen).

Kognitive Persönlichkeitstheorie Der ältere Mensch fühlt sich wohl, wenn es ihm gelingt, ein Gleichgewicht zwischen seinen Bedürfnissen und Erwartungen sowie dem subjektiven Erleben seiner Situation herzustellen. Eine kognitive Umbewertung, z. B. andere Interessen finden, Einsatz von Hilfsmitteln, Veränderungen der Umgebung, können das Wohlbefinden des älteren Menschen positiv beeinflussen.

Kompetenzmodell Der alternde Mensch besitzt Kompetenzen und Ressourcen, mit denen er Einschränkungen und Verluste ausgleichen kann. Seine Fähigkeiten verändern sich, aber in der Summe werden sie nicht weniger. Denn der Mensch ist lebenslang lern- und veränderungsfähig.

33.2 Alte Menschen im Krankenhaus Ein Krankenhausaufenthalt ist v. a. bei alten Menschen mit vielen Ängsten und Befürchtungen verbunden (▶ Abb. 33.1). Die pflegerischen Schwerpunkte im klinischen Umfeld ergeben sich aus den altersbedingten Veränderungen oder Erkrankungen wie z. B.: Mobilitätseinschränkung, Exsikkose, Mangelernährung, Harninkontinenz, Verwirrtheitszuständen. Zu den Grundprinzipien der Pflege alter Menschen im Krankenhaus zählen: ● Hilfe zur Selbsthilfe ● Ressourcenorientierung ● Erhaltung der Selbstständigkeit ● Vermittlung von Sicherheit ● altersentsprechende Vermittlung von Informationen

Pflegende können durch gezielte Maßnahmen die Adhärenz des alten Menschen fördern: ● Ausgangssituation, schriftlich im Rahmen der Pflegeanamnese, erfassen ● geduldiger und empathischer Ansprechpartner sein: bei Ängsten, Unsicherheiten und Schmerzen ● Orientierung geben: Räumlichkeiten zeigen, am besten gleich nach der Aufnahme ● Funktionen und Abläufe erklären: direkt nach der Aufnahme ausführlich informieren, z. B. über die Funktion der Rufanlage, des Telefons und über interne Abläufe ● aktivierende Pflege und Unterstützung bei der Selbstpflege: Die Pflege alter Menschen ressourcenfördernd und aktivierend gestalten, damit die Patienten ihre Gewohnheiten beibehalten können und um ihre Selbstständigkeit zu erhalten bzw. zu fördern. Pflegetätigkeiten sollten nicht vorschnell übernommen werden. Durch verbale, visuelle und assistierende Anleitung können alte Menschen ihre Ressourcen abrufen, wenn ihnen Zeit gegeben wird.

33.3 Menschen mit Demenz in der Klinik Demenz ist verbunden mit fortschreitendem Abbau kognitiver Fähigkeiten, wie des Erinnerungs- und Orientierungsvermögens, des Denk- und Urteilsvermögens sowie des Sprachvermögens. Im fortgeschrittenen Stadium verändern sich das Verhalten, die emotionale Kontrolle und die Persönlichkeit des Betroffenen. Die demografische Entwicklung führt zur Zunahme der Zahl an Demenz erkrankter Menschen im Krankenhaus. Ein Krankenhausaufenthalt unterbricht das Leben in der vertrauten Umgebung mit seiner identitätsstiftenden Routine und seinen gewohnten Ritualen. Der ungewohnte Tagesablauf ist mit ständig neuen Situationen verbunden, die psychische Stressreaktionen auslösen können. Die Folge kann dann eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten oder eine zusätzliche akute Verwirrtheit sein. Viele Demenzerkrankte zeigen ein unruhiges Verhalten (z. B. gesteigerter Bewegungsdrang), manche reagieren ag-

Abb. 33.1 Befürchtungen und Ängste alter Menschen im Krankenhaus.

• trotz Einschränkungen zurechtkommen • sich sicher fühlen durch Gewohnheiten, Rituale und Routine

• Angst davor, ein Pflegefall zu werden • Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit

eintauschen für • fremde Strukturen, Hierarchien und Abläufe • viele unterschiedliche Räume, Wege, Menschen • alles muss schnell gehen

• Überforderung durch Informationsfülle und Verständnisprobleme

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bla blabla..

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bla blabla.. bla blabla..

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Einfühlungsvermögen zeigt sich in einem verstehenden Zugang zu den Gedanken, Gefühlen und Sichtweisen anderer Menschen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

234

Menschen mit Demenz in der Klinik gressiv (verbal und/oder nonverbal). Einige verhalten sich eher passiv (ziehen sich zurück, wirken apathisch). Der Umgang mit Demenzerkrankten stellt für Pflegende eine große Herausforderung im klinischen Alltag dar.

Sicherheit gewährleisten ●



33.3.1 Die Pflegeanamnese Um die Pflege eines an Demenz erkrankten Menschen bedarfsgerecht zu gestalten, ist eine ausführliche Pflegeanamnese unabdingbar. Die Pflegenden informieren sich nicht nur bei dem Patienten, sondern auch bei seinen Angehörigen oder Bezugspersonen über den kognitiven Status sowie die Verhaltensweisen. Dafür können sie sich die Informationen mithilfe verschiedener Assessmentinstrumente, z. B. des Dementia Care Mapping (DCM), des Resident Assessment Instrument (RAI) oder des Barthel-Index, erschließen. Im Umgang mit Demenzerkrankten soll in der Pflegeanamnese Folgendes erfragt werden: ● feste Rituale und Gewohnheiten ● tatsächlicher Unterstützungsbedarf ● herausfordernde Verhaltensweisen: Worauf beruhen sie? Womit lassen sie sich abmildern? ● Interessen: sind wichtig für Identifikationsgespräche als Tür zur Welt des Patienten ● Kontaktdaten der Angehörigen ● Feste Besuchstermine: geben Orientierung und vermitteln Sicherheit ● Foto der Bezugsperson: wirkt vertrauens- und geborgenheitsstiftend ● Informationen aus dem Überleitungsbogen oder Verlegungsbericht ● rechtliche Situation: Einwilligungsfähigkeit? Gesetzliche Vertretung oder Betreuung? Vorsorgevollmacht?

33.3.2 Umgang mit Demenzerkrankten An Demenz erkrankte Menschen benötigen oft viel Aufmerksamkeit und intensive pflegerische Betreuung. Pflegende können emotionale Sicherheit und Respekt geben durch: ● Validation ● Geduld und Ruhe ● Freundlichkeit ● Einbeziehung in Entscheidungen ● Ankündigung und Erklärung von Pflegehandlungen ● Kommunikation auf der Beziehungsebene ● Ausstrahlung von Wohlwollen und Akzeptanz Daneben gibt es Handlungsempfehlungen für den Umgang mit demenzerkrankten Patienten:

Routine und Rituale ● ● ●



Routinen und Rituale erfragen und beachten biografische Informationen einholen und nutzen ehrlich und verlässlich sein, keine falschen Versprechungen machen Geborgenheit vermitteln (z. B. durch Aufstellen von Fotos von Bezugspersonen)



Patienten mit Demenz zu Diagnostik und Behandlung begleiten bzw. Begleitung organisieren Termine koordinieren und Absprachen treffen gemeinsame Wartezeiten sinnvoll nutzen (z. B. durch biografische Gespräche)

Selbstständigkeit fördern ●







Pflegebedarf ermitteln, inklusive der Orientierung zu Ort, Zeit und Person Unterstützung geben (sog. Initialhandlung, z. B. bei der Nahrungsaufnahme: Gabel in die Hand geben und helfen, die Hand zum Mund zu führen) Anleitung geben, wenn Initialhandlung nicht ausreicht, z. B. verbal oder durch Gestik Orientierung stiften (z. B. bei der Nahrungsaufnahme: an den Tisch begleiten, Mahlzeit benennen, Essen und Düfte beschreiben)

Emotionale Realität Die emotionale Realität des Patienten erfassen und darauf eingehen, ihm auf der Gefühlsebene begegnen, z. B. durch Ruhe, Geduld und aufmerksames Zuhören, nicht sachlich argumentieren

Bewegung ermöglichen ●





Angehörige miteinbeziehen (sie z. B. bei starkem Bewegungsdrang des Patienten auffordern, mit ihm spazieren zu gehen) bereichsübergreifend denken (z. B. ehrenamtlichen Mitarbeiter, Seelsorger oder den sozialen Dienst miteinbeziehen) Ressourcen erhalten und fördern (z. B. den Weg zur Toilette zeigen – wenn nötig immer wieder, Badezimmertür markieren)

33.3.3 Hinweise zur Kommunikation ●















Bei einer Demenz ist die nonverbale oder paraverbale Kommunikation besonders wichtig. Folgende Empfehlungen können für die Kommunikation gegeben werden: sich zentrieren, indem man versucht, die eigene Gefühlslage vor dem Kontakt auszublenden, um nicht unbewusst Stress und Eile auf den Patienten zu übertragen Blickkontakt aufnehmen, und zwar vor jeder verbalen oder nonverbalen Kontaktaufnahme über den Körper kommunizieren (z. B. über einen Händekontakt bei Ansprache) über biografische Informationen den Zugang zum Patienten finden Entscheidungshilfe geben (z. B. kurze und prägnante geschlossene Fragen stellen, keine Warum-Fragen) Wertschätzung zeigen (z. B. durch Verzicht auf Richtigstellung und Korrektur von Sachaussagen) Kontakt beenden (z. B. die Hand zum Abschied geben und die Distanz vergrößern)

Weitere Informationen zum Krankheitsbild und zur Pflege von Menschen mit Demenz finden Sie in Kap. 61.7.

l 33

Grundlagen der Pflege im Alter

KOMPAK T Grundlagen der Pflege im Alter ●





236

Die physiologischen Veränderungen im Alter können sich negativ auf das Wohlbefinden auswirken und erhöhen das Risiko für pathologische Veränderungen. Daher ist es besonders wichtig, die Selbstpflegefähigkeit im klinischen Umfeld zu erhalten, Ressourcen zu erkennen und einzusetzen. Pflegerische Grundprinzipien im Umgang mit alten Menschen im Krankenhaus: Hilfe zur Selbsthilfe, Ressourcenorientierung, Erhaltung der Selbstständigkeit, Vermittlung von Sicherheit, die altersentsprechende Vermittlung der Informationen und die Beobachtung des Patienten. Demenzerkrankte benötigen zusätzliche Betreuung. Folgende Hinweise bzw. Verhaltensweisen können sehr hilfreich sein: sich selbst zentrieren, Blickkontakt aufnehmen, über den Körper kommunizieren, Biografie beachten, Wertschätzung zeigen, Entscheidungshilfen geben.

34

Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung

Zerebralparese

Neuralrohrdefekt

Down-Syndrom

AutismusSpektrumStörung

Ziel: Inklusion Formen, z.B.

keine Krankheit!

häufige Erkrankungen, z.B.

Obstipation

Epilepsie

Seh- und Hörbeeinträchtigungen

nesteln? hin- und herschaukeln?

Pflegeschwerpunkte

Veränderungen wahrnehmen, z.B.

Entlassungsmanagement

Betreuer einbeziehen Pflegeplanung

Bezugspflege

zusammengekniffene Augen? wimmern?

Erstkontakt und Anamnese, z.B.

Assessments, z.B.

VAS

individuellen Tagesablauf berücksichtigen Hilfsmittel zum Erhalt der Selbstständigkeit

Pflegeschwerpunkte

34.1 Geistige Behinderung Die WHO (Regionalbüro Europa) definiert geistige Behinderung wie folgt:

Definition Geistige Behinderung „Geistige Behinderung bedeutet eine signifikant verringerte Fähigkeit, neue oder komplexe Informationen zu verstehen und neue Fähigkeiten zu erlernen und anzuwenden (beeinträchtigte Intelligenz). Dadurch verringert sich die Fähigkeit, ein unabhängiges Leben zu führen (beeinträchtigte soziale Kompetenz). Dieser Prozess beginnt vor dem Erwachsenenalter und hat dauerhafte Auswirkungen auf die Entwicklung. Behinderung ist nicht nur von der individuellen Gesundheit oder den Beeinträchtigungen eines Kindes abhängig, sondern hängt auch entscheidend davon ab, in welchem Maße die vorhandenen Rahmenbedingungen seine vollständige Beteiligung am gesellschaftlichen Leben begünstigen.“ Abhängig vom IQ wird zwischen leichter, mittelschwerer, schwerer und schwerster geistiger Behinderung unterschieden. Trotz der o. g. Einschränkung empfinden diese Menschen Freude und Trauer, sie differenzieren zwischen Gut und Böse und sie sind individuelle Persönlichkeiten.

! Merke Inklusion

Geistige Behinderung ist keine Krankheit. Gesellschaftliches Ziel ist heute die Inklusion, d. h. die vollständige und gleichberechtigte Integration behinderter Menschen in das soziale Leben.

Zerebralparese Eine Zerebralparese ist eine spastische Lähmung, die auf der Minderversorgung des zentralen Nervensystems mit Sauerstoff während der Schwangerschaft oder der Geburt beruht. Symptomatisch zeigt sich ein verminderter Muskeltonus in der betroffenen Extremität. Häufig ist auch die Intelligenz beeinträchtigt.

Neuralrohrdefekt Der Neuralrohrdefekt ist eine pränatale Entwicklungsstörung im Bereich des Rückenmarks, der sog. „offene Rücken“ (Spina bifida). Abhängig von der Schwere der Störung zeigen sich die Symptome sehr unterschiedlich: als Bewegungseinschränkung bis zur Paraplegie, verminderte oder aufgehobene Sensibilität, Querschnittlähmung. Ist das Gehirn mitbeteiligt, können zudem schwere geistige Behinderungen auftreten.

Autismus-Spektrum-Störung Die autistischen Störungen zählen zu den neurologischen Entwicklungsstörungen. Auffälligkeiten zeigen sich im sozialen Umgang (z. B. fehlende Empathiefähigkeit), in der Kommunikation (z. B. fehlende Sprachmelodie) und im Verhalten (z. B. wiederholende und stereotype Verhaltensmuster). Unterschieden wird die Störung in „frühkindlichen Autismus“, „Asperger-Syndrom“ und „atypischen Autismus“.

34.2 Häufige Erkrankungen

34.1.1 Formen geistiger Behinderung Die Formen der geistigen Behinderung werden entsprechend ihren Ursachen eingeteilt.

Down-Syndrom Beim Down-Syndrom (Trisomie 21) handelt es sich um eine angeborene genetische Anomalie, bei der das Chromosom 21 dreifach vorliegt. Menschen mit Down-Syndrom haben mandelförmige Augen, einen gedrungenen Körper sowie eine Konzentrations- und Lernschwäche. Eine individuelle und gezielte Förderung trägt maßgeblich zu ihrer Entwicklung bei.

Einige Erkrankungen treten bei Menschen mit geistiger Behinderung öfter auf als gewöhnlich, weil häufig eine Prädisposition (Empfänglichkeit) für bestimmte Erkrankungen vorliegt (▶ Tab. 34.1).

34.3 Pflegeschwerpunkte Besondere Herausforderung im Umgang mit geistig behinderten Menschen sind die Kommunikation und Beobachtung bzw. das frühzeitige Erkennen möglicher Symptome. Eine Klinikeinweisung reißt die kognitiv eingeschränkten Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung heraus. Die Orientierung in der Klinik gestaltet sich oft problematisch, da die Verarbeitung der neuen Eindrücke und Informationen

Tab. 34.1 Häufige Erkrankungen und mögliche Ursachen bei Menschen mit geistiger Behinderung. Erkrankung

Ursachen, z. B. …

gastroösophagealer Reflux

Nebenwirkung von Antiepileptika, veränderte Körperhaltung durch Skoliose

Obstipation

Bewegungsmangel, Medikamentennebenwirkungen

Seh- und Hörbeeinträchtigungen

angeborene Defekte des Gehörgangs, zerebrale Lähmung

Skelettdeformationen

angeboren oder erworben, Osteoporose durch Immobilität

Epilepsie

verschieden: Menschen mit Behinderungen erleiden etwa 20-mal häufiger epileptische Anfälle als Menschen ohne Behinderung

Zahnerkrankungen

mangelnde Mundhygiene, Reflux, Wucherungen am Zahnfleisch

l 34

Pflege: Menschen mit geistiger Behinderung beeinträchtigt ist. Da die Betroffenen sich oft nicht adäquat äußern können, entstehen schnell Missverständnisse, Unsicherheiten, Angst und das Gefühl von Überforderung.

! Merke Erstkontakt

Pflegende sollten sich direkt an den Patienten selbst wenden. Sie sollten herausfinden, welche Fähigkeiten er besitzt und wie der Kontakt am besten aufgebaut wird. Kann sich der Betroffene nicht verbal äußern, kennen im Allgemeinen die Betreuer, z. B. die Eltern oder das Personal der betreuenden Einrichtung, die effektivsten Möglichkeiten der nonverbalen Kommunikation mit ihm.

34.3.1 Patientenorientierte Pflege Der Umgang mit geistig behinderten Menschen soll im Sinne der Inklusion möglichst „normal“ sein. Neben Fachkompetenz und Flexibilität erweisen sich im Klinikalltag folgende Empfehlungen als nützlich: ● Betreuer einbeziehen: Sie haben die Schlüsselposition inne, denn sie kennen die Schutzbefohlenen am besten, z. B. wie die Kommunikation am effektivsten zu gestalten ist (bestimmte Initialberührungen, Worte oder nur Laute). ● Aufnahme: ausführliche Anamnese und die individuelle Planung der Pflege ● Pflegeplanung aus der Einrichtung berücksichtigen: Betreuer befragen ● Bezugspflege mit möglichst wenig Wechsel vermittelt Kontinuität und Sicherheit, reduziert Ängste. ● klinikeigenen Patientenbegleitdienst miteinbeziehen: Da Lesen und Schreiben nicht selbstverständlich sind, benötigen geistig behinderte Menschen intensivere Alltagsbetreuung. ● individuellen Tagesablauf berücksichtigen: Betreuer befragen ● Hilfsmittel einsetzen: Die Pflegenden sollen sich mit allen Hilfsmitteln vertraut machen, die der Kommunikation (Piktogramme), Bewegung oder Selbstversorgung (spezielles Essbesteck) dienen, und sie in den Pflegealltag integrieren. ● Assessment anwenden: Zum Einschätzen der Schmerzintensität kann die visuelle Analogskala (VAS) oder die Wong-Baker-Gesichtsskala verwendet werden. ● Entlassung: ausführliche Information und ggf. Anleitung des Patienten und Betreuers

240

Veränderungen wahrnehmen Durch die oft eingeschränkte Kommunikation mit geistig behinderten Menschen ist die Beobachtung umso wichtiger. Da selbst kleinste Veränderungen auf eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes hinweisen können, sollten Pflegende besonders auf folgende Zeichen achten: ● Körperzeichen: eingeschränkte oder unübliche Haltung, Hin- und Herschaukeln, Nesteln oder Unruhe ● Gesichtszeichen: verstärkter oder geminderter Blickkontakt, Tränen, zusammengekniffene Augen oder Zähne ● Lautzeichen: Wimmern, Seufzen, Weinen, ständiges Summen oder auffällige Sprache bis zum Fluchen

KOMPAK T Grundlagen der Pflege von Menschen mit geistiger Behinderung ●





häufigste Formen geistiger Behinderung: Trisomie 21, Zerebralparese, Neuralrohrdefekt und autistische Störungen Je nach Art und Ausprägung der Behinderung sind die Betroffenen für verschiedene Erkrankungen (z. B. Obstipation) prädisponiert. Menschen mit geistiger Behinderung sollen vollständig und gleichberechtigt in unserer Gesellschaft integriert sein („Inklusion“). Pflegende gehen daher ganz „normal“ mit ihnen um: Folgendes kann im Umgang hilfreich ein: – ausführliche Anamnese (Betreuer einbeziehen) – Bezugspflege (sorgt für Sicherheit) – individuellen Tagesablauf berücksichtigen – Unterstützung im Alltag (z. B. Patientenbegleitdienst)

35

Grundlagen der häuslichen Pflege

höheres Wohlbefinden für Klienten geringeres Risiko nosokomialer Infektionen

geringere Kosten für Gesundheitssystem

Vorteile, z.B.

kognitive und geistige Fähigkeiten Selbstversorgung

Verhaltensweisen und psychische Problemlagen

Mobilität Grundsatz: ambulant vor stationär

Pflegebedürftigkeitsbegriff Pflegestärkungsgesetz II Grundpflege, z.B.

5 Pflegegrade

Behandlungspflege, z.B.

Finanzierung Aufgaben SGB XI

SGB V

Verbandwechsel

Injektionen

Blutzuckerkontrollen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten hauswirtschaftliche Versorgung ambulante Intensivpflege

Aufgaben

35.1 Allgemeines ●







ambulant vor stationär: Grundsatz auf Basis der gesetzlichen Regelung u. a. in § 43 Abs. 1 des 11. Sozialgesetzbuches (SGB XI) vom Patienten zum Klienten: Die Pflegefachkraft wird als Gast bei den Klienten zu Hause empfangen. Anders als in der Klinik müssen sämtliche Vorgänge mit dem Klienten besprochen werden, wie z. B. das Aussortieren von abgelaufenen Lebensmitteln oder die Beseitigung von Stolperfallen. Vorteile der ambulanten Pflege: geringere Kosten für das Gesundheitssystem, höheres Wohlbefinden für den Klienten, schnellere Fortschritte auf dem Weg zur Gesundung bzw. Selbstständigkeit und ein geringeres Risiko nosokomialer Infektionen, Pflegende begleiten Patienten meist über einen längeren Zeitraum Finanzierung: Je nach Art der Pflege (Grund- oder/und Behandlungspflege) wird die Finanzierung durch das Sozialgesetzbuch (SGB) XI (Krankenversicherung) bzw. SGB V (Pflegeversicherung) geregelt. Einzelheiten werden zwischen den Landesverbänden der Pflegekassen, den Trägern der ambulanten Pflegeeinrichtungen, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) sowie Vertretern der privaten Krankenversicherung und der Sozialhilfe ausgehandelt.

35.2 Aufgaben Das Leistungsangebot der ambulanten bzw. häuslichen Pflege umfasst laut Bundesministerium für Gesundheit u. a.: ● Grundpflege ● häusliche Krankenpflege (Behandlungspflege) ● Beratung ● hauswirtschaftliche Versorgung (z. B. Kochen, Einkaufen)

35.2.1 Grundpflege Nach dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (seit 01.01.2017) zählen zur Grundpflege (direkte Pflege) Pflegemaßnahmen in den folgenden Bereichen: ● Mobilität (z. B. Treppensteigen, Transfers, Verlassen der Wohnung) ● Selbstversorgung (z. B. Körperpflege, Ernährung, Hilfe beim Ausscheiden) ● kognitive und geistige Fähigkeiten (z. B. Orientierung geben) ● Verhaltensweisen und psychische Problemlagen (z. B. selbstschädigendes Verhalten)





Bewältigung von bzw. selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen (z. B. Arztbesuche, Medikation) Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte (Tagesablauf, Besuche ermöglichen)

Leistungen zur Grundpflege müssen bei der Pflegekasse beantragt werden. Nach einer Begutachtung und Einstufung des Pflegebedürftigen erhält der Betroffene finanzielle Unterstützung (Kap. 9.1 und Kap. 35.2).

Pflegegrade Das System der 3 Pflegestufen wurde durch das Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) und die dort beschriebenen 5 Pflegegrade zum 01.01.2017 abgelöst (▶ Tab. 35.1). Je nach Selbstständigkeit wird der Pflegebedürftige durch den MDK (bei gesetzlich Versicherten) bzw. durch eine GmbH namens Medicproof (bei privat Versicherten) einer dieser 5 Pflegegrade zugeordnet. Bei der Beantragung helfen Pflegende des mobilen Dienstes weiter.

35.2.2 Behandlungspflege Die spezielle Pflege und die Mitarbeit bei ärztlicher Diagnostik und Therapie (Behandlungspflege) umfasst alle Pflegemaßnahmen, die auf Anordnung eines Arztes erfolgen: z. B. Verbandwechsel, Wundversorgungen, Injektionen, Blutzuckerkontrollen, Medikamentenüberwachungen. Ziel der Behandlungspflege ist es, Krankenhausaufenthalte zu verkürzen oder zu vermeiden (Krankenhausvermeidungspflege).

! Merke Ärztliche Verordnung

Um Leistungen der Behandlungspflege zu erhalten und erstattet zu bekommen, ist eine ärztliche Verordnung nötig. Diese muss je nach Verschreibungsdauer (meist alle 4 Wochen) erneuert werden. Im Einzelfall kann der Arzt auch zur Grundpflege oder hauswirtschaftlichen Versorgung anweisen.

35.2.3 Ambulante Intensivpflege Schwerstpflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen sind auf ambulante Intensivpflege durch Pflegekräfte angewiesen. Spezielle Pflegedienste bieten daher eine 24-Stunden-Betreuung an, die durch Pflegende im 3- bzw. 2Schicht-System übernommen wird. Spezielle Leistungen sind z. B. Heimbeatmung, Absaugung, Mobilisation, Begleitung zur Arbeitsstelle oder Schule oder Freizeitaktivitäten.

Tab. 35.1 Pflegegrade. Pflegegrad

Einteilung

Pflegegrad 1

geringe Beeinträchtigung der Selbständigkeit

Pflegegrad 2

erhebliche Beeinträchtigung der Selbständigkeit

Pflegegrad 3

schwere Beeinträchtigung der Selbständigkeit

Pflegegrad 4

schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit

Pflegegrad 5

schwerste Beeinträchtigung der Selbständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung

l 35

Grundlagen der häuslichen Pflege

35.2.4 Umgang mit Angehörigen



Grundsätzliche Verhaltensempfehlungen ●



● ● ● ●

Umfeld und Lebensgestaltung der Klienten akzeptieren (z. B. ungewöhnliche Alltagsrituale) Konflikte innerhalb von Familien aushalten (und nicht zu lösen versuchen) fachliche Verbesserungsvorschläge machen professionell auftreten helfend eingreifen (z. B. bei erschöpften Angehörigen) auf Unterstützungsmaßnahmen hinweisen (z. B. Selbsthilfegruppen)



Gewalt: Treten regelmäßig Hämatome oder sogar Frakturen bei Klienten auf, sind diese zu dokumentieren und die PDL zu informieren. Erhärtet sich der Verdacht auf Gewalt oder Missbrauch, sucht der mobile Dienst das Gespräch mit den Angehörigen, evtl. mit Unterstützung des Hausarztes. Bessert sich die Situation nicht, ist die Polizei einzuschalten. üble Gerüche: Chronische Wunden oder exulzerierende Tumoren riechen oft sehr stark. Nicht nur Pflegende werden dadurch belastet, sondern auch der Klient in seiner sozialen Teilhabe. Wundexperten können durch spezielle Verbände den Geruch eindämmen. Duftsäckchen und Lüften helfen ebenfalls, den Geruch zu vermindern.

Verhalten in besonderen Situationen ●



244

Klient öffnet nach mehrmaligen Klingeln die Tür nicht: Ist kein Schlüssel vorhanden bzw. kann ein Schlüssel nicht durch Angehörige oder den Betreuer organisiert werden, darf die Pflegefachkraft durch ein Fenster oder die Terrassentür hineinspähen, ob sich der Klient in einer hilflosen Lage befindet. In diesem Fall informiert die Pflegefachkraft sofort die Polizei (Notrufnummer 110) bzw. die Rettungsleitstelle (112). Das selbstständige Aufbrechen von Türen oder Einschlagen von Fenstern ist nicht erlaubt. Kann keine Notsituation erkannt werden, sollte die PDL des Pflegedienstes trotzdem informiert werden. Verwahrlosung: Bedingt durch bestimmte Erkrankungen wie Suchterkrankungen, Depression oder das Vermüllungs- oder Diogenes-Syndrom, aber auch durch ein anderes Verständnis von Sauberkeit können Personen und ihre Haushalte verwahrlosen. Pflegende können bei der Hinzuziehung weiterer Dienste und einem Betreuungsverfahren unterstützend beraten und agieren.

KOMPAK T Grundlagen der häuslichen Pflege ●





Die häusliche bzw. ambulante Pflege bietet Leistungen der Grund-, Behandlungs- und Intensivpflege sowie hauswirtschaftlicher Art an. Je nach Leistungsart wird die Finanzierung durch das XI. (Krankenversicherung) oder V. Sozialgesetzbuch (Pflegeversicherung) geregelt. Pflegebedürftige werden entsprechend ihrer Selbstständigkeit vom MDK (bei gesetzlich Versicherten) oder durch Medicproof (bei privat Versicherten) in die Pflegegrade 1–5 eingestuft. Entsprechend der Einstufung erhalten Klienten finanzielle Leistungen zur Grundpflege. Behandlungspflege muss immer ärztlich verordnet sein. Manche Situationen in der ambulanten Pflege stellen Pflegende vor eine besondere Herausforderung. Ob bei Verwahrlosungs- und Gewaltproblematik oder dem Nichtantreffen eines Klienten: Die PDL dient als erster Ansprechpartner.

36

Medikamentenmanagement

Morphin Betäubungsmittel

BtMG

z.B. Antibiotika

z.B. Paracetamol

z.B. Midazolam erzielt pharmakologische Wirkung

BtMVV

z.B. Vitamine apothekenpflichtig

frei zugänglich

verschreibungspflichtig

geregelt durch Arzneimittelgesetz Zugänglichkeit

Wirkstoff

z.B. Metformin bei Diabetes mellitus

z.B. Süßungsmittel

Indikationen relativ

ohne pharmakologische Wirkung

Hilfsstoff

absolute

flüssig

Kontraindikationen Arzneiformen, z.B.

z.B. Müdigkeit

fest halbfest

Nebenwirkung Haarausfall

Tropfen z.B. Tabletten z.B. Creme

Therapieformen

Atemnot

Juckreiz

lokal unerwünschte Wirkung, z.B.

systemisch

z.B. Wundgebiet enteral, z.B. richten und verabreichen

oral bestellen

beobachten!

lagern

rektal

sublingual

parenteral, z.B. nasal

transdermal

Verfallsdatum?

Arbeitsplatz Verordnung

Hygiene 6-R-Regel

schriftlich

4-Augen-Prinzip

ökonomisch

First-inFirst-outPrinzip

bedarfsgerecht

Temperatur? Kühlschrank Raumtemperatur

intravenös

Medikamente anfordern und lagern

36.1 Begriffe und Grundlagen Definition Arzneimittel Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper kommen. Aufgrund ihrer Eigenschaften dienen sie zur Heilung, zur Linderung oder zur Verhütung von Krankheiten bzw. zur medizinischen Diagnosestellung.

36.1.1 Zugänglichkeit Das Arzneimittelgesetz (AMG) regelt in Deutschland den Umgang mit Arzneimitteln. Insbesondere legt dieses Gesetz die Zugänglichkeit von Medikamenten fest. ● Frei zugängliche Arzneimittel sind in Drogerien für jedermann erhältlich (z. B. Vitamine). ● Apothekenpflichtige Arzneimittel sind ausschließlich in Apotheken erhältlich, die über das Nebenwirkungspotenzial aufklären (z. B. Paracetamol). ● Verschreibungspflichtige Arzneimittel sind nur auf ärztliche Anordnung in Apotheken erhältlich. Diese Medikamente können u. U. bei unsachgemäßem Gebrauch zu erheblichen Schäden führen (z. B. Antibiotika). ● Betäubungsmittel (BtM) sind besonders stark wirksame Medikamente, die ein hohes Nebenwirkungs- und Suchtpotenzial aufweisen. Die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (BtMVV) und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) regeln den Umgang mit diesen Arzneimitteln.

36.1.2 Indikation und Kontraindikation ●



Indikationen = Krankheiten und Situationen, bei denen der Einsatz von Arzneimitteln angezeigt ist Kontraindikationen = Umstände/Situationen/Bedingungen, bei denen der Arzneistoff nicht eingesetzt werden darf – absolute Kontraindikation: wenn der Schaden höher ist als der Nutzen (z. B. Penicillin-Gabe bei einer bekannten Penicillin-Allergie) – relative Kontraindikation: wenn Nutzen höher ist als der Schaden (z. B. Sauerstoffgabe bei COPD-Patienten in Notfallsituationen)

36.1.3 Unerwünschte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen ●





unerwünschte Wirkung = unerwünschte Reaktion neben der erwünschten Wirkung (z. B. allergische Reaktion wie Juckreiz) Nebenwirkungen = alle unerwünschten oder erwünschten Wirkungen eines Medikamentes jenseits der erwünschten Hauptwirkung: Begleiterscheinungen (z. B. sedierende Wirkung bei Opiaten) Wechselwirkungen = wechselseitige Effekte unter mehreren Medikamenten

36.1.4 Wirkstoff und Hilfsstoff ●



Wirkstoff = Substanz in einem Medikament, die die gewünschte pharmakologische Wirkung erzielt Hilfsstoff = Stoff ohne pharmakologische Wirkung, der den Wirkstoffen beigegeben wird, um z. B. den Geschmack zu verändern

36.1.5 Arzneiformen Unterschiedliche Wirkstoffe und Zielgruppen erfordern verschiedene Arzneiformen. Der Arzt entscheidet, welche Darreichungsform beim Patienten Anwendung findet. ● flüssige Form: z. B. Lösung, Sirup, Saft, Injektions- oder Infusionslösung, Spray ● feste Form: z. B. Tablette, Kapsel, Dragee, Granulat, Brausetablette ● halbfeste Form: z. B. Suspension, Creme, Emulsion, GelSuppositorium ● weitere Formen: z. B. Pflaster

36.1.6 Therapieformen ●



lokale Therapie: Die Medikamente werden „direkt“ auf der Körperoberfläche, auf eine Wunde oder in einen lokal begrenzten Raum im Körper (z. B. in den Gelenkspalt) aufoder eingebracht. systemische Therapie: Der Wirkstoff wird an einer bestimmten Stelle appliziert, dann vom Körper resorbiert und über das Blutgefäßsystem im Körper verteilt. Das kann enteral (über den Verdauungstrakt) oder parenteral (den Darm umgehend) geschehen: – enterale Applikationen: (per) oral, sublingual, bukkal, rektal – parenterale Applikationen: Injektion, nasal, otal, konjunktival, inhalativ, transdermal, epikutal, vaginal

36.2 Medikamente anfordern und lagern 36.2.1 Medikamente bestellen Sowohl Engpässe als auch eine überflüssige Lagerhaltung lassen sich durch eine bedarfsgerechte Bestellung vermeiden. Betäubungsmittel können nur mit einem speziellen amtlichen Anforderungsschein bestellt werden.

36.2.2 Medikamente lagern Aufbewahrung Die Art der Aufbewahrung ist nach Eingang der Medikamente sofort zu prüfen: Raumtemperatur? Kühlschrank? Abschließbarer Schrank?

First-in-first-out-Prinzip Medikamente, die als Erste in den Schrank einsortiert wurden, werden auch als Erste herausgenommen. Neu gelieferte Medikamente werden hinter den bereits vorhandenen eingeordnet. Grund: gleichmäßige Erneuerung des Vorrats, Berücksichtigung des Verfallsdatums.

l 36

Medikamentenmanagement

Betäubungsmittel

36.3.2 Medikamente stellen

Die Lagerung von BtM muss separat in einem abschließbaren und gegen Einbruch gesicherten Schrank erfolgen. In jeder Schicht trägt eine zuständige Pflegefachkraft den Schlüssel bei sich. Zu- und Abgänge sind im BtM-Buch zu dokumentieren, dabei sind folgende Regeln zu beachten: ● Zugänge werden mit der Nummer des BtM-Anforderungsscheins (Aufbewahrungsdauer: 3 Jahre) sowie dem Datum der Lieferung vermerkt. ● Die Seiten des Buches sind fortlaufend nummeriert. Streng verboten ist das Entfernen von Seiten. ● Dokumentation von Abgängen: Datum, Patientenname, entnommene Menge und aktueller Bestand, Unterschrift der entnehmenden Pflegeperson, ggf. Name des anordnenden Arztes ● Fehleintragungen dürfen nur durchgestrichen, in keinem Fall entfernt oder unleserlich gemacht werden. ● Einmal im Monat kontrolliert ein Arzt den Bestand und dokumentiert diesen mit seiner Unterschrift. ● Sollte bei der Entnahme ein Präparat versehentlich unbrauchbar werden (z. B. eine Morphinampulle zerbrechen), muss diese in Gegenwart von 2 Zeugen entsorgt und dies mit Unterschrift bestätigt werden. ● Tägliche Kontrollen des Bestandes wirken unerklärlichen Fehlbeständen (z. B. durch Vergessen der Eintragung bei Entnahme) entgegen. Tritt trotzdem ein Fehlbestand auf, so ist der zuständige Arzt darüber zu informieren.

Arzneimittel in festen oralen Darreichungsformen (z. B. Tabletten, Dragees) können im Voraus gerichtet werden. Flüssige Medikamente werden direkt vor der Applikation gerichtet. Richtlinien beim Stellen von Medikamenten: ● Arbeitsplatz: Er muss konzentriertes, ablenkungsarmes Arbeiten ermöglichen. ● Hygiene: Die Arbeitsfläche und die Hände müssen vorab desinfiziert werden und der Dispenser muss sauber sein. ● Tages-Dispenser: Sie werden mit Vor- und Nachnamen und ggf. Geburtsdatum beschriftet (z. B. mit Patientenaufkleber). ● Beachtung der 6-R-Regel (▶ Abb. 36.1). ● Entnahme aus der Umverpackung: Angebrochene Packungen werden zunächst aufgebraucht. ● Blisterverpackungen: Medikamente sollten in den Blisterverpackungen belassen werden, um eine einfache Kontrolle zu ermöglichen. Bei dementen oder verwirrten Personen ist dies aus Sicherheitsgründen nicht empfehlenswert (Gefahr des Verschluckens der Blisterverpackung). ● Bestand im Auge behalten: Beim Entnehmen wird der Bestand überprüft, um rechtzeitige Nachbestellungen zu tätigen. ● 4-Augen-Prinzip: Die gerichteten Medikamente werden vor der Abgabe an den Patienten von einer 2. Pflegeperson kontrolliert. ● Fehlermanagement: Fehler offen im Team ansprechen und gemeinsam Maßnahmen ergreifen.

36.2.3 Verfallsdatum prüfen Medikamente dürfen nach Überschreiten des Verfallsdatums nicht mehr angewendet werden! Abgelaufene Medikamente sollten zur sachgerechten Entsorgung an die Apotheke weitergeleitet werden. Der Medikamentenbestand ist regelmäßig von den Pflegekräften zu prüfen.

36.3 Medikamente richten und verabreichen 36.3.1 Medikamentenverordnungen umsetzen Aus der Verordnung des Arztes muss hervorgehen, ob es sich um eine Dauermedikation, Einzelgabe oder Bedarfsmedikation handelt. Zudem muss die Verordnung immer schriftlich erfolgen und folgende Informationen enthalten: ● Name und Geburtsdatum des Patienten ● Medikamentenbezeichnung, Verabreichungsform und Konzentration bzw. Dosis ● Zeitpunkt und Häufigkeit der Gabe Ist in der Verordnung ein Markenname (Handelsname) eines Präparats vermerkt, das nicht im Bestand ist, muss ein Austauschpräparat (sog. Generikum) gefunden werden. Hierzu eignet sich die Rote Liste, das Intranet oder die direkte Ansprache des Arztes als Informationsquelle. Bei Unsicherheiten ist immer der Arzt zu kontaktieren!

Abb. 36.1 6-R-Regel.

?

Richtiger Patient

Richtige Dokumentation

? ?

Richtige Applikationsform

Richtige Dosierung

Richtiger Zeitpunkt

Die konsequente Anwendung der 6-R-Regel beugt Fehlern vor. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

248

Richtiges Medikament

6-RRegel

?

?

Besonderheiten bei Kindern

36.3.3 Medikamente verabreichen Ausführliche Hinweise zur Verabreichung eines Arzneimittels finden sich immer im Beipackzettel, in der Roten Liste und im Intranet der Institution. Folgende Hinweise sind bei der Verabreichung zu beachten:

Orale Arzneimittelform ●













Achten Sie auf genügend Flüssigkeit bei der Einnahme, d. h. mind. 100 ml Wasser/Tee (besteht eine ärztlich verordnete Einfuhrbeschränkung, hat diese allerdings Vorrang). Bei Schluckbeschwerden bzw. Verschlucken trotz angemessener Lagerung ist die Medikamentengabe abzubrechen und mit dem Arzt über eine andere Applikationsform zu beratschlagen. Tabletten mit einer Sollbruchstelle dürfen geteilt und i. d. R. auch gemörsert werden. Magensaftresistente Formen, Retardformen sowie Dragees und sublinguale Tabletten (Ausnahme: Sollbruchstelle liegt vor) nicht teilen, öffnen oder mörsern. Kapseln dürfen i. d. R. geöffnet und aufgelöst werden (nicht bei: Zytostatika, Retardformen). Nach dem Auflösen bleiben bei Brausetabletten oder Granulaten häufig unlösbare Teile übrig, die nicht verabreicht werden müssen. Medikamente getrennt voneinander mörsern, lösen und verabreichen sowie erst unmittelbar vor Verabreichung zerkleinern. Tablettenreste immer verwerfen.

Rektale Arzneimittelform Vor der Verabreichung von Zäpfchen (Suppositorien) oder flüssigen Arzneimitteln (z. B. über Rektiolen) sollte der äußere Analbereich eingecremt werden (z. B. mit Vaseline) und das Suppositorium leicht angewärmt werden (reduziert Schmerzen!).

Weitere Arzneimittelform ● ● ● ● ●

inhalativ (siehe Kap. 28.2) kutan/epikutan (siehe Kap. 63.5.1) parenterale Medikamentengabe (siehe Kap. 24.2) Augentropfen (siehe Kap. 62.1.3) Ohrentropfen (siehe Kap. 62.2.3)

36.3.4 Nebenwirkungen beobachten Nebenwirkungen können bei jedem Medikament auftreten. Treten wirkstoffabhängige Nebenwirkungen (z. B. Juckreiz, Exantheme, Atemnot, Stridor, plötzlich auftretende Kaltschweißigkeit, Unwohlsein) auf, sind sie auf eine allergische Reaktion (S. 432) zurückzuführen. Entsprechende Maßnahmen sind einzuleiten, z. B. sofortiges Stoppen der Infusion, Rücksprache mit dem Arzt. Im Beipackzettel werden Nebenwirkungen nach ihrer Häufigkeit (sehr häufig, häufig, gelegentlich, selten, sehr selten, unbekannt) klassifiziert. Für Pflegende ist es sehr wichtig, Wirkung und Nebenwirkung der verabreichten Medikamente zu kennen. Nur so können Nebenwirkungen schnell

erkannt und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Häufige Nebenwirkungen sind: ● Diarrhö ● Obstipation ● Zittern ● Kreislaufbeschwerden ● Schlafstörung ● Kopfschmerzen

36.4 Besonderheiten in der häuslichen Pflege In der häuslichen Pflege gehört die Medikamentengabe zur Behandlungspflege. Die Medikamente werden zumeist in Einwochendispensern gestellt bzw. der Klient oder der Angehörige zum Richten der Medikamente angeleitet. Folgende Aspekte gilt es zu beachten: ● Die Medikamente sollten in einem Medizinschrank gelagert werden. ● Verfallsdaten und Bestände sollten regelmäßig erfasst werden. ● Sind Kinder oder demenziell Erkrankte im Haushalt, müssen die Medikamente für sie unzugänglich gelagert werden. ● Bei Demenz oder Suizidgefahr des Patienten ist die Lagerung der Medikamente und der Dispenser in der Sozialstation empfehlenswert.

36.5 Besonderheiten bei Kindern Die Wirkungen und Nebenwirkungen von vielen Medikamenten sind am kindlichen Organismus nicht ausreichend getestet und dokumentiert, da Medikamente zumeist an jungen, gesunden Männern getestet werden. Bei der Medikamentengabe bei Kindern sollten auf folgende Besonderheiten geachtet werden: ● Die Verdauungsorgane von Säuglingen sind sehr empfindlich und können Stoffe nicht so verwerten und transportieren wie bei älteren Kindern. Die Haut von Säuglingen ist noch sehr dünn, weil die Wirkstoffe deswegen schneller aufgenommen werden, sind Salben und Cremes mit Vorsicht anzuwenden. ● Medikamente werden über die Nieren und die Leber verstoffwechselt. Bei Säuglingen dauert dieser Prozess länger, da Nieren und Leber noch unreif sind. Ältere Kinder bauen Substanzen schneller ab, im Vergleich zum Körpergewicht ist ihre Leber größer als bei Erwachsenen. ● Häufige Applikationsformen bei Kindern sind Säfte, Tropfen oder Lösungen sowie Zäpfchen. Zur richtigen Dosierung der Medikamente sind mitgelieferte Dosierhilfen (Messbecher, Spritzen) oder klinikeigene Spritzen (mit Milliliterangaben) zu benutzen. Rücksprache mit dem Arzt ist nötig, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass das Kind (durch Spucken oder Herauslaufen) die gesamte Menge bekommen hat.

l 36

Medikamentenmanagement

36.6 Besonderheiten bei älteren Menschen Auch bei älteren Menschen sollten bei der Medikamentengabe die altersspezifischen Besonderheiten beachtet werden: ● Die Stoffwechselvorgänge und die Ausscheidung über Nieren und Leber können insuffizient sein. Substanzen können sich anreichern und zur Intoxikation führen. ● Nebenwirkungen, die bei jüngeren Patienten eher harmlos erscheinen (z. B. Hypotonie, Schwindel), können von älteren Menschen nicht mehr so gut kompensiert werden (z. B. können vermehrt Stürze auftreten). ● Multiple Erkrankungen im Alter erfordern das Einnehmen mehrerer Medikamente. Diese können miteinander in Wechselwirkung treten.

KOMPAK T Medikamentenmanagement ●











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Arzneimittel können frei zugänglich, apothekenpflichtig oder verschreibungspflichtig sein. Betäubungsmittel unterliegen besonders strengen Reglungen: BtMVV und BtMG. Arzneimittel weisen neben der erwünschten Hauptwirkung meist auch unerwünschte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen auf. Diese müssen beobachtet und dokumentiert werden. Arzneimittel können lokal oder systemisch (enteral und parenteral) verabreicht werden. Stellen und Verabreichen von Medikamenten erfolgen unter Beachtung der 6-R-Regel. Zur professionellen Arbeitsweise gehört auch ein adäquater Umgang mit Fehlern (Fehlermanagement). Physiologische Besonderheiten bei Kindern und älteren Menschen müssen bei der Medikamentengabe beachtet werden.

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Medikamentenmanagement

36.6 Besonderheiten bei älteren Menschen Auch bei älteren Menschen sollten bei der Medikamentengabe die altersspezifischen Besonderheiten beachtet werden: ● Die Stoffwechselvorgänge und die Ausscheidung über Nieren und Leber können insuffizient sein. Substanzen können sich anreichern und zur Intoxikation führen. ● Nebenwirkungen, die bei jüngeren Patienten eher harmlos erscheinen (z. B. Hypotonie, Schwindel), können von älteren Menschen nicht mehr so gut kompensiert werden (z. B. können vermehrt Stürze auftreten). ● Multiple Erkrankungen im Alter erfordern das Einnehmen mehrerer Medikamente. Diese können miteinander in Wechselwirkung treten.

KOMPAK T Medikamentenmanagement ●











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Arzneimittel können frei zugänglich, apothekenpflichtig oder verschreibungspflichtig sein. Betäubungsmittel unterliegen besonders strengen Reglungen: BtMVV und BtMG. Arzneimittel weisen neben der erwünschten Hauptwirkung meist auch unerwünschte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen auf. Diese müssen beobachtet und dokumentiert werden. Arzneimittel können lokal oder systemisch (enteral und parenteral) verabreicht werden. Stellen und Verabreichen von Medikamenten erfolgen unter Beachtung der 6-R-Regel. Zur professionellen Arbeitsweise gehört auch ein adäquater Umgang mit Fehlern (Fehlermanagement). Physiologische Besonderheiten bei Kindern und älteren Menschen müssen bei der Medikamentengabe beachtet werden.

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Schmerzmanagement

WHO-Stufenschema z.B. PCA-Pumpe

Wärme-/Kälteanwendungen

Quarkwickel

Regionalanästhesie

z.B. Glukokortikoide

z.B. autogenes Training

Koanalgetika

Fentanyl

Wickel und Auflagen, z.B.

Basale Stimulation

Ablenkung

Opioide, z.B.

Lavendelölauflage ASE

Tramadol nichtopioide Analgetika, z.B.

Paracetamol

medikamentös

nichtmedikamentös, z.B.

Ibuprofen Schmerztherapie Schutzfunktion NRS Zwang zur Ruhe → Heilung

Warnsignal

Skalen, z.B.

Schmerzanamnese

Funktionen Schmerzassessment

nozizeptiv

Schmerz stechend

Qualität, z.B.

dumpf z.B. Schnittwunde

gezielte Patientenbeobachtung, z.B. akut

chronisch z.B. bei Rheuma

Schmerztagebuch Selbst- und Fremdeinschätzung

Arten

neuropathisch

VAS

erhöhter Puls Schonhaltung

Gestik, Mimik

Übelkeit, Erbrechen

Grundlagen erhöhter Blutdruck, erhöhte Puls- und Atemfrequenz

37.1 Grundlagen



37.1.1 Schmerz

können die Nozizeption begleiten.

Definition Schmerz

Der Betroffene weist dabei u. U. Schwäche, Schonhaltung oder eine steife und verkrampfte Körperhaltung auf.



Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben werden kann (International Association for the study of pain, IASP 1986). „Schmerz ist, was nach Aussage des Patienten weh tut“ (Juchli 1994).

37.1.2 Schmerzarten und Schmerzqualitäten ●

Schmerz ist ein komplexes Erleben, das sehr von der subjektiven Wahrnehmung bestimmt wird. Es trifft nicht nur die verletzte oder geschädigte Körperstelle, sondern den Menschen als Ganzes. Deswegen ist ein über Schmerzen klagender Patient immer ernst zu nehmen. Physische, soziale, geistige, psychische und kulturelle Faktoren spielen bei der Empfindung der Schmerzintensität eine maßgebliche Rolle (▶ Abb. 37.1).

Funktion Schmerzen sind ein Warnsignal des Körpers. Schmerz … ● ist ein lebenswichtiges Warnsignal: Meldung über Schädigung ● hat eine Schutzfunktion: Körper reagiert auf einen Reiz innerhalb von Millisekunden. ● dient der Heilung: Zwang zur Ruhe, damit bspw. eine Fraktur heilen kann

Physiologie des Schmerzes Der physiologische Prozess der Schmerzwahrnehmung (Nozizeption) besteht aus der Aufnahme, Weiterleitung und Verarbeitung von Schmerzreizen. Ein Schmerzreiz entsteht, wenn freie Nervenendigungen (Schmerzrezeptoren), z. B. in der Haut, den Schleimhäuten, der Muskulatur oder im Bindegewebe, auf einen Reiz reagieren. Vegetative Symptome wie z. B. ● Blässe, ● Schweißausbrüche, ● Übelkeit, ● Erbrechen,



nozizeptiver Schmerz: direkte Reizung der Schmerzrezeptoren im oder am menschlichen Körper. Weitere Einteilung: – somatischer Schmerz: in Haut, Muskeln, Bindegewebe, Knochen und Gelenken (Oberflächenschmerz, Tiefenschmerz): stechend, scharf, begrenzt, gut lokalisierbar. Beispiel: Schnittverletzung am Finger, Herzstiche bei einem Angina-pectoris-Anfall – viszeraler Schmerz: im Brust-, Bauch- und Beckenraum (Eingeweideschmerzen): dumpf, ziehend, drückend, schlecht lokalisierbar (da weniger Schmerzrezeptoren) – Beispiel: Im Pankreas ausgelöste Schmerzen werden im Lendenwirbelbereich empfunden: Die Gefahr von Fehldiagnosen ist hier deutlich erhöht. neuropathischer Schmerz: entsteht durch eine Funktionsstörung oder Schädigung des peripheren oder zentralen Nervensystems: einschießend, schneidend, stechend, attackenweise auftretend, bohrend. Beispiel: Bandscheibenvorfall, Tumoren. Sind viele Nerven betroffen, spricht man von Polyneuropathie.

37.1.3 Akuter und chronischer Schmerz Akute Schmerzen Sie treten plötzlich auf, halten nur kurz an und gehen mit einer Gewebeschädigung (Verletzungen, Quetschungen, Frakturen, Verbrennungen) einher (siehe Kap. 37.3). Sie haben eine sinnvolle und lebensnotwendige Funktion.

Abb. 37.1 Ebenen des Schmerzempfindens. SCHMERZ

physische Faktoren

soziale Faktoren

geistige Faktoren

psychische Faktoren

kulturelle Faktoren

• Kraftlosigkeit • Erbrechen • Appetitlosigkeit • Verstopfung

• Rollen/Beziehungen • Zuneigung • Passivität • häufiges Aufsuchen des Arztes • Arbeitsunfähigkeit

• Leiden • Motivationsverlust • Religiosität • Schuldgefühl

• Angst • Depression • Qual • Wahrnehmungs-/ Aufmerksamkeitsstörung

• Jammern und Klagen sind üblich. • Schmerz wird nicht gezeigt.

Viele verschiedene Faktoren haben Einfluss darauf, wie ein Mensch Schmerz empfindet. Nach: Köther I. Altenpflege. Thieme; 2011

l 37

Schmerzmanagement Pflegerische Maßnahmen ● den Patienten ernst nehmen ● entlastende Positionierung anbieten ● evtl. Gegendruck anbieten bzw. zu diesem anleiten ● Patienten beruhigen und Ängste nehmen ● vom Schmerzgeschehen ablenken ● evtl. Wärme- oder Kälteanwendungen durchführen ● Patienten, soweit möglich, nicht alleine lassen Akute Schmerzen sollten zügig gelindert werden – gleichzeitig muss auch die Ursache des Schmerzes geklärt werden. Siehe hierzu auch den Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen“ (Kap. 10.4).

ACHTUNG Plötzliches Fieber, Blutdruckabfall und ein schneller Puls können auf eine akute Verschlechterung hinweisen (z. B. eine Schocksymptomatik). In diesem Fall muss umgehend der Arzt informiert werden.

Chronische Schmerzen Chronische Schmerzen bestehen schon 3–6 Monate und sind kontinuierlich vorhanden oder treten immer wieder auf. Sie haben ihre sinnvolle Melde-, Schutz- und Heilfunktion weitestgehend verloren. Die chronische Schmerzkrankheit ist auf die Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses zurückzuführen und stellt ein eigenständiges Krankheitsbild dar (siehe Kap. 37.3). Pflegerische Maßnahmen • Eine geeignete Schmerztherapie zu finden ist sehr schwierig und komplex. ● Ganzheitliche Verfahren und die Betreuung durch spezialisierte Schmerztherapeuten können den Leidensdruck der Patienten lindern. ● Pflegende sollten eine vertrauensvolle und angstreduzierende Kommunikation mit dem Patienten anstreben, die den Patienten in seiner Selbstpflege stärkt und auf Schmerzlinderung fokussiert. Siehe hierzu auch den Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen“ (Kap. 10.4).

37.2 Schmerzmanagement in der Pflege Jeder Mensch hat ein Recht auf eine angemessene Schmerzlinderung (DGSS 2007). Ziele des Schmerzmanagements in der Pflege sind, bestehende Schmerzen zu lindern, unnötige Schmerzen zu vermeiden und einer Chronifizierung der Schmerzen vorzubeugen. Dabei helfen die Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen“ (DNQP 2017) und „Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen“ (DNQP 2011). Schmerzmanagement umfasst (unter aktiver Beteiligung des Patienten): ● gezieltes und strukturiertes Erfassen von Schmerzen ● Erfassen schmerzbedingter Pflegeprobleme, Ressourcen und Planung von Maßnahmen ● Koordination und Planung schmerztherapeutischer Maßnahmen

254

● ● ● ●



Überwachung von Wirkung und Nebenwirkung Prophylaxe gegen schmerzmittelbedingte Nebenwirkungen Beratung und Schulung des Patienten stetige Überprüfung der Maßnahmen im therapeutischen Team frühzeitige Information des Arztes bei Schmerzveränderungen

37.2.1 Schmerzassessment Schmerzassessments dienen zur strukturierten und systematischen Einschätzung und Beurteilung von Schmerzen. Dabei werden Instrumente zur Selbst- und Fremdeinschätzung unterschieden. Die Äußerungen des Patienten haben aufgrund der Subjektivität des Schmerzerlebens immer Vorrang. Zur Erfassung und Bewertung von Schmerzintensität und -qualität mittels Selbsteinschätzung eignen sich u. a. folgende Instrumente:

Schmerzanamnese erheben Schmerzanamnesen können zur Erfassung und Rekonstruktion eines lang andauernden Schmerzgeschehens eingesetzt werden. Inhalte der Anamnese: ● Schmerzgeschehen (z. B. Beginn, Veränderungen, Lokalisation, Art und Intensität) ● Begleitsymptome oder Nebenwirkungen eingenommener Medikamente ● soziales Umfeld und Lebensgewohnheiten Bei chronischen Schmerzen muss mit dem Patienten ermittelt werden, ob es sich um eine stabile oder instabile Schmerzsituation handelt. Liegt eine instabile Schmerzsituation vor, muss ein differenziertes multidimensionales Schmerzassessment durch einen pflegerischen Schmerzexperten erfolgen. Eine stabile Schmerzsituation zeichnet sich z. B. durch folgende Kriterien aus: ● Eine medikamentöse und/oder nichtmedikamentöse Therapie wird angewendet. ● Die Schmerzsituation ist für den Patienten akzeptabel. ● Der Patient ist mit der Situation zufrieden und kann am Alltag teilhaben.

Schmerztagebuch führen Das Schmerztagebuch ist ein Hilfsmittel für den Patienten und den Arzt zugleich. Das Ziel ist es, Schmerzauslöser zu identifizieren, Schmerzen zu beurteilen und die Schmerztherapie zu optimieren. Dokumentation von: ● Ausmaß und Verlauf chronischer Schmerzen ● eingenommenen Medikamenten inkl. Wirkung und Nebenwirkung ● Allgemeinbefinden (z. B. Verdauung, Schlaf, Aktivitäten)

Schmerzskalen zur Einschätzung Schmerzskalen helfen Patienten, die wahrgenommene Schmerzintensität zu beschreiben. Zuverlässige Schmerzskalen sind: ● numerische Ratingskala (NRS): Sie besteht aus einer Skala von 0 (= kein Schmerz) bis 10 (= stärkster vorstellbarer Schmerz).

Schmerztherapie ●





visuelle Analogskala (VAS): Sie besteht aus einer ca. 10 cm langen Linie, an deren Ende sich zwei Pole – „kein Schmerz“ und „stärkster vorstellbarer Schmerz“ – befinden. verbale Ratingskala (VRS): Sie wird nicht visuell dargestellt, sondern der Patient wählt sein Schmerzempfinden anhand festgelegter Begriffe (keine, leichte, mäßige, starke, sehr starke Schmerzen). Wong-Baker-Gesichtsskala (Smiley-Skala): Sie besteht aus fünf Gesichtern (Smileys), die unterschiedliches Schmerzempfinden visualisieren. Häufige Anwendung findet sie bei Kindern ab 3 Jahren.

Bei akuten Schmerzen (z. B. nach Operationen) sind Skalen zur Schmerzeinschätzung mehrmals täglich vor und nach der Schmerzmittelgabe anzuwenden. Zeitnahes Dokumentieren der Schmerzintensität sowie das Informieren des Arztes bei Schmerzspitzen sind wichtig. Menschen mit schweren kognitiven Einschränkungen (z. B. Demenz) können u. U. nicht selbst Auskunft über ihre Schmerzsituation geben. Schmerzassessments zur Fremdeinschätzung können in diesem Fall einen Anhaltspunkt liefern, z. B. die BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz).

37.2.2 Gezielte Patientenbeobachtung Die Anwendung von Skalen zur Schmerzeinschätzung sollte immer mit einer gezielten Patientenbeobachtung einhergehen. Folgende Symptome stehen in enger Verbindung zu Schmerzen: ● Vitalwerte: erhöhter Blutdruck, beschleunigter Puls, beschleunigte Atmung







gastrointestinale Beschwerden: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Appetitlosigkeit, Nahrungsverweigerung, verringertes Körpergewicht Aktivitätsmuster und Körperbewegungen: starre Haltung, Bewegungsdrang oder eingeschränkte Bewegung, Veränderung des Ganges, Schonhaltung, höheres Ruhebedürfnis, Schlafstörungen Kommunikation und Verhalten: veränderte Mimik und Gestik, Stöhnen, Jammern, Weinen, Schimpfen sowie abweisendes, aggressives, zurückgezogenes Verhalten

37.3 Schmerztherapie Die moderne Schmerztherapie zielt in erster Linie auf Schmerzfreiheit des Patienten ab.

37.3.1 Medikamentöse Schmerztherapie In der medikamentösen Schmerztherapie werden vorwiegend schmerzlindernde bzw. schmerzstillende Medikamente (Analgetika) eingesetzt. Dabei wird zwischen NichtopioidAnalgetika, schwach und stark wirksamen Opioiden sowie Koanalgetika und Lokalanästhetika unterschieden.

Analgetika im Überblick ●





Die ▶ Tab. 37.1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Nichtopioid-Analgetika und Opiate. Nichtopioide und Opioide können mit Koanalgetika kombiniert werden. Schwache und starke Opioide dürfen niemals kombiniert werden, da sie sich in ihrer Wirkung beeinträchtigen.

Tab. 37.1 Übersicht über wichtige Analgetika. Klassifikation

Wirkstoffgruppen

Indikation

Hinweise

NichtopioidAnalgetika

Paracetamol

Fieber, Schmerzen

● ●

Ibuprofen

akute Schmerzen, Fieber, Entzündungen



gut verträglich NW: Verdauungsstörungen für Schwangere bis 28. SSW

● ●

Diclofenac

Schmerzen, Entzündungen



NW: Magen-Darm-Beschwerden

Metamizol

starke Schmerzen, Koliken



langsam i. v. applizieren! KI: Schwangerschaft NW: Blutdruckabfall, Agranulozytose

● ●

Opioide

wirkt nicht entzündungshemmend! KI: Lebererkrankung

schwach wirksame Opioide: Tramadol, Tillidin

stark wirksame Opioide: Fentanyl, Oxycodon, Piritramaid, Morphin

nicht tumorbedingte, mittelstarke bis starke Schmerzen, orthopädische Erkrankung, Traumen

● ●





KI = Kontraindikation | NW = Nebenwirkung

NW: Übelkeit, Erbrechen, Atemdepression KI: Ileus, Schädel-Hirn-Trauma NW: Atemdepression, Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Miosis (stecknadelkopfgroße Pupillen), Sucht, Abhängigkeit und Missbrauch KI: Ateminsuffizienz, COPD, Asthma bronchiale, akutes Abdomen oder Ileus

Schmerztherapie ●





visuelle Analogskala (VAS): Sie besteht aus einer ca. 10 cm langen Linie, an deren Ende sich zwei Pole – „kein Schmerz“ und „stärkster vorstellbarer Schmerz“ – befinden. verbale Ratingskala (VRS): Sie wird nicht visuell dargestellt, sondern der Patient wählt sein Schmerzempfinden anhand festgelegter Begriffe (keine, leichte, mäßige, starke, sehr starke Schmerzen). Wong-Baker-Gesichtsskala (Smiley-Skala): Sie besteht aus fünf Gesichtern (Smileys), die unterschiedliches Schmerzempfinden visualisieren. Häufige Anwendung findet sie bei Kindern ab 3 Jahren.

Bei akuten Schmerzen (z. B. nach Operationen) sind Skalen zur Schmerzeinschätzung mehrmals täglich vor und nach der Schmerzmittelgabe anzuwenden. Zeitnahes Dokumentieren der Schmerzintensität sowie das Informieren des Arztes bei Schmerzspitzen sind wichtig. Menschen mit schweren kognitiven Einschränkungen (z. B. Demenz) können u. U. nicht selbst Auskunft über ihre Schmerzsituation geben. Schmerzassessments zur Fremdeinschätzung können in diesem Fall einen Anhaltspunkt liefern, z. B. die BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz).

37.2.2 Gezielte Patientenbeobachtung Die Anwendung von Skalen zur Schmerzeinschätzung sollte immer mit einer gezielten Patientenbeobachtung einhergehen. Folgende Symptome stehen in enger Verbindung zu Schmerzen: ● Vitalwerte: erhöhter Blutdruck, beschleunigter Puls, beschleunigte Atmung







gastrointestinale Beschwerden: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Appetitlosigkeit, Nahrungsverweigerung, verringertes Körpergewicht Aktivitätsmuster und Körperbewegungen: starre Haltung, Bewegungsdrang oder eingeschränkte Bewegung, Veränderung des Ganges, Schonhaltung, höheres Ruhebedürfnis, Schlafstörungen Kommunikation und Verhalten: veränderte Mimik und Gestik, Stöhnen, Jammern, Weinen, Schimpfen sowie abweisendes, aggressives, zurückgezogenes Verhalten

37.3 Schmerztherapie Die moderne Schmerztherapie zielt in erster Linie auf Schmerzfreiheit des Patienten ab.

37.3.1 Medikamentöse Schmerztherapie In der medikamentösen Schmerztherapie werden vorwiegend schmerzlindernde bzw. schmerzstillende Medikamente (Analgetika) eingesetzt. Dabei wird zwischen NichtopioidAnalgetika, schwach und stark wirksamen Opioiden sowie Koanalgetika und Lokalanästhetika unterschieden.

Analgetika im Überblick ●





Die ▶ Tab. 37.1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Nichtopioid-Analgetika und Opiate. Nichtopioide und Opioide können mit Koanalgetika kombiniert werden. Schwache und starke Opioide dürfen niemals kombiniert werden, da sie sich in ihrer Wirkung beeinträchtigen.

Tab. 37.1 Übersicht über wichtige Analgetika. Klassifikation

Wirkstoffgruppen

Indikation

Hinweise

NichtopioidAnalgetika

Paracetamol

Fieber, Schmerzen

● ●

Ibuprofen

akute Schmerzen, Fieber, Entzündungen



gut verträglich NW: Verdauungsstörungen für Schwangere bis 28. SSW

● ●

Diclofenac

Schmerzen, Entzündungen



NW: Magen-Darm-Beschwerden

Metamizol

starke Schmerzen, Koliken



langsam i. v. applizieren! KI: Schwangerschaft NW: Blutdruckabfall, Agranulozytose

● ●

Opioide

wirkt nicht entzündungshemmend! KI: Lebererkrankung

schwach wirksame Opioide: Tramadol, Tillidin

stark wirksame Opioide: Fentanyl, Oxycodon, Piritramaid, Morphin

nicht tumorbedingte, mittelstarke bis starke Schmerzen, orthopädische Erkrankung, Traumen

● ●





KI = Kontraindikation | NW = Nebenwirkung

NW: Übelkeit, Erbrechen, Atemdepression KI: Ileus, Schädel-Hirn-Trauma NW: Atemdepression, Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Miosis (stecknadelkopfgroße Pupillen), Sucht, Abhängigkeit und Missbrauch KI: Ateminsuffizienz, COPD, Asthma bronchiale, akutes Abdomen oder Ileus

l 37

Schmerzmanagement ●



Koanalgetika (= adjuvante, „unterstützende“ Analgetika): – Antidepressiva beschleunigen die analgetische Wirkung. – Antikonvulsiva hemmen die Schmerzweiterleitung. – Bisphosphonate sind gut geeignet bei Knochenschmerzen. – Glukokortikoide wirken entzündungshemmend und schmerzstillend. Opioide unterliegen i. d. R. dem Betäubungsmittelgesetz (siehe Kap. 36).

Transdermale therapeutische Systeme (TTS) Transdermale therapeutische Systeme = spezielle Pflaster, deren Wirkstoff über die Haut aufgenommen wird. Die Wirkstoffaufnahme (z. B. von Fentanyl TTS) erfolgt dabei kontinuierlich und gleichmäßig. Hinweise zum Umgang: ● Die mögliche Applikationsstelle muss dem Beipackzettel entnommen werden. ● Die Applikationsstelle muss intakt, sauber, trocken und möglichst haarfrei (keine Rasur, da Läsionsgefahr!) sein. ● TTS dürfen nicht zerschnitten werden. ● Kontakt mit der Klebestelle unbedingt vermeiden (ggf. Einmalhandschuhe benutzen). ● Applikationstag, -uhrzeit und -stelle sowie das Datum des nächsten Wechsels werden in der Patientenakte vermerkt. ● Alte Pflaster müssen vor dem Wechsel unbedingt entfernt werden. ● Vollbäder und Sonnenbäder können die Wirkstoffaufnahme verstärken. ● Die Vigilanz (Wachheit) des Patienten sollte stets kontrolliert werden.

Regionalanästhesie Die Regionalanästhesie wird v. a. nach Operationen angewendet, bei denen mit starken postoperativen Schmerzen zu rechnen ist. Dabei kommen zentrale Schmerzkatheter (Spinal- und Periduralkatheter) oder periphere Schmerzkatheter (Plexuskatheter, Femoraliskatheter oder Ischiadikuskatheter) zum Einsatz. Über eine Schmerzpumpe wird der Katheter kontinuierlich oder bei Bedarf mit einer Bolusgabe mit langwirkenden Lokalanästhetika beschickt. Regionalanästhesien können „patientenkontrolliert“ erfolgen (Patient controlled Analgesia, PCA). Pflegende müssen dabei sicherstellen, dass der Patient das Verfahren versteht und anwenden kann. In Bezug auf die Hygiene sind Schmerzkatheter wie zentrale Venenkatheter zu handhaben (Kap. 24.1.2).

Grundregeln bei der medikamentösen Schmerztherapie Folgende Regeln sind zu beachten: ● Durchführungsverantwortung übernehmen (siehe Kap. 36). ● Einnahme nach festem Schema gewährleisten: Schmerzmittel sind zu festen Zeiten zu verabreichen, um den Wirkstoffspiegel konstant zu halten. ● Auf Bedarfsmedikation und Interventionsgrenzen achten: Bedarfsmedikamente sollten für Schmerzspitzen verordnet werden. Maßnahmen zu Schmerzlinderung sollten erfolgen: – ab einem Wert von 3/10 auf der NRS bei akuten Schmerzen in Ruhe

256









– ab einem Wert von 5/10 auf der NRS unter Belastung nicht invasive Applikation bevorzugen: Je schonender die Applikationsform, desto wahrscheinlicher ist die regelmäßige Einnahme des Medikamentes. regelmäßige Schmerzerfassung durchführen (siehe Kap. 37.2.1). Patienten beobachten und Verlauf kontrollieren: Wirkungen und Nebenwirkungen von Analgetika sind durch gut informierte Pflegende zu überwachen. zeitnah dokumentieren: Zur Schmerztherapie im interdisziplinären Team ist eine zeitnahe Dokumentation notwendig.

37.3.2 Nicht medikamentöse Schmerztherapie Nicht medikamentöse Therapien sind eine wertvolle Ergänzung zur medikamentösen Therapie – insbesondere bei chronischen Schmerzen. Wohlbefinden und eine Reduzierung des Schmerzerlebens können durch vielfältige Maßnahmen erreicht werden: ● Kälteanwendungen (z. B. Gelpacks): möglicher Einsatz bei akutem Trauma, Prellung, Schwellung, entzündlichen Prozessen (Achtung: Kälteschäden vermeiden!) ● Wärmeanwendungen (z. B. Körnerkissen): möglicher Einsatz bei Gelenkbeschwerden, Rücken- und Muskelschmerzen, Krämpfen, Koliken (Achtung: Verbrennungen vermeiden!) ● Wickel und Auflagen (siehe Kap. 40) ● Maßnahmen der Basalen Stimulation (siehe Kap. 51), z. B. ASE (siehe Kap. 28.1.1) und beruhigende Körperwaschung (siehe Kap. 17.2.5) ● transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS): Reizstromtherapie zur lokalen Schmerzlinderung ● Aromatherapie: Schmerzhemmende ätherische Öle sind Grapefruit, Jasmin, Muskatellersalbei, Patchouli, YlangYlang. Lokal betäubend wirken z. B. Nelke, Zimt, Piment und Pfefferminze. Sie können in einer Aromaduftlampe, als Badezusatz oder als Massageöl mit einem Basisöl verwendet werden. ● Ablenkung und kognitive Entspannungstechniken: schmerzlindernde Entspannungspraktiken wie autogenes Training, Meditation, progressive Muskelentspannung nach Jacobson.

Schmerztherapie

KOMPAK T Schmerzmanagement ●













Schmerz ist subjektiv und die Aussage des Patienten ist der wichtigste Anhaltspunkt für die Erfassung von Schmerzen. Akute und chronische Schmerzen bedürfen unterschiedlicher Schmerztherapien. In der Praxis orientieren sich Pflegende an den Expertenstandards „Schmerzmanagement in der Pflege bei chronischen Schmerzen“ und „… bei akuten Schmerzen“ des DNQP. Schmerzassessments (z. B. NRS) ermöglichen eine strukturierte und systematische Erfassung von Schmerzen. Sie müssen bei starken Schmerzen mehrmals täglich erfolgen. Chronische Schmerzpatienten profitieren von einer ausführlichen Schmerzanamnese und dem Führen eines Schmerztagebuchs. Instrumente zur Selbsteinschätzung sind immer Instrumenten zur Fremdeinschätzung vorzuziehen (Ausnahme: schwere kognitive Beeinträchtigung des Patienten). medikamentöse Schmerztherapie: Die Verabreichung von Analgetika nach ärztlicher Anordnung (Nichtopioide, Opioide, Koanalgetika, Lokalanästhetika) erfolgt durch Pflegekräfte. Wirkungen, Nebenwirkungen und Besonderheiten bei der Applikation müssen bekannt sein. nichtmedikamentöse Therapie: z. B. Aromatherapie, Kälte- und Wärmeanwendungen, Wickel und Auflagen, Basale Stimulation, progressive Muskelentspannung.

38

Ernährungsmanagement

abhängig von Geschlecht, Gewicht, Alter

Infektionen Schwangerschaft

Fieber Körperfunktionen aufrechterhalten

in Ruhe, bei 28 °C Außentemperatur

bei Aktivität

erhöhter Energiebedarf bei, z.B.

Mengenelemente Mineralstoffe

Vitamine

Grundumsatz

Arbeitsumsatz

Spurenelemente

variiert abhängig von

Energiebedarf Aufgabe, z.B.: Reparatur der DNA, Baustoff

Mikronährstoffe, z.B.

Gesundheitszustand Lebensalter Gewicht Außentemperatur

Flüssigkeitsbedarf

Kohlenhydrate

BMI Ernährungszustand erfassen, z.B.

Fette Makronährstoffe

Perzentile bei Kindern

Proteine WHR zentrale Aufgaben: liefern Energie, Baustoff

künstliche Ernährung

Ernährung in verschiedenen Lebensphasen, z.B.

Säugling

vorübergehend

Wunschkost

langfristig enteral PEG

Magensonde

alter Mensch

Stillen parenteral ZVK

Port

ab 5. Monat Beikost einführen

Fingerfood

Energiebedarf ↓ Durstgefühl ↓

Vitamin D bei Bettlägerigkeit

Nährstoffe

38.1 Nährstoffe

Proteine

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gibt Empfehlungen für die Zusammensetzung der täglichen Nahrungszufuhr. Nährstoffe können nach Menge, energetischen Eigenschaften und Essenzialität unterschieden werden. Die Ernährung hat einen bedeutenden Einfluss auf die Gesundheit und ist neben der Zufuhr von wichtigen Nährstoffen auch mit Genuss verbunden.

● ●



38.1.1 Makronährstoffe Die wichtigsten Makronährstoffe, ihren Energiegehalt und den empfohlenen Anteil an der täglichen Energiegesamtzufuhr können Sie der ▶ Tab. 38.1 entnehmen.





Kohlenhydrate ●









Aufbau: – Einfachzucker = Monosaccharide, z. B. Glukose, Fruktose – Zweifachzucker = Disaccharide, z. B. Haushaltszucker; sind beide schnell resorbierbar – Mehrfachzucker = Polysaccharide, z. B. Stärke; ist langsam resorbierbar Aufnahme: Polysaccharide werden im Darm gespalten und vom Blut (als Blutzucker) in die Körperzellen transportiert. Dort werden sie als Energiequellen genutzt oder in Form von Glykogen gespeichert. Aufgabe: Hauptenergielieferant, Baustoff/Bestandteil von Gewebe Vorkommen: überwiegend in pflanzlichen Lebensmitteln, Getreideprodukte (Brot, Nudeln) enthalten Polysaccharide, Süßwaren enthalten meist Mono- und Disaccharide, in geringeren Mengen auch in Obst und Gemüse enthalten. Besonderheiten bei Menschen mit Diabetes mellitus: Sie sollten vor allem Mehrfachzucker zu sich nehmen, damit der Blutzucker nur langsam steigt (siehe Kap. 58.2).

Fette ●







Ballaststoffe ● ●







Aufbau: unverdauliche Mehrfachzucker Aufnahme: werden durch Bakterien der Dickdarmflora (Mikrobiotika) zersetzt Aufgabe: beschleunigen und erleichtern die Stuhlabgabe durch wasserbindende Eigenschaft, sorgen für eine gesunde Darmflora durch erhöhte Zahl von Darmbakterien Vorkommen: Obst und Gemüse, Vollkornprodukte, Leinsamen, Kleie therapeutischer Einsatz: Diarrhö, Obstipation, Reizdarmsyndrom, Darmentzündungen, Fettstoffwechselstörungen

Aufbau: Aminosäuren Aufnahme: müssen regelmäßig aufgenommen werden, da der Körper keine Proteine speichern kann. Werden im Magen und Duodenum aufgespalten und im Dünndarm resorbiert. In der Leber werden daraus eigene Aminosäuren aufgebaut. Bei einem Mangel werden körpereigene Strukturen (Skelettmuskel) abgebaut. Aufgabe: sind Baustoff von Zellen, Bestandteil von Enzymen, Hormonen, Transportstoffen, Gerinnungs- und Antikörpern, dienen als Energielieferant Vorkommen: in fast allen pflanzlichen und tierischen Lebensmitteln (z. B. Eier, Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse) Besonderheiten bei kranken und alten Menschen: Nach Operationen, Tumorerkrankungen, bei Wundheilungsstörungen oder zur Regeneration ist der Eiweißbedarf erhöht, bei Niereninsuffizienz muss die Eiweißzufuhr beschränkt werden (ca. 0,6 g/kg). Patienten nach Magenresektion und Menschen nach Trauma verlieren in den ersten Tagen viel Körpereiweiß, eine gezielte Gabe von Eiweiß (i. d. R. über Supplemente) ist sinnvoll.







Aufbau der Triglyzeride: Glycerin (Alkohol) mit 3 Fettsäuren. Fettsäuren können sein: – kurz-, mittel- und langkettig – essenziell und nicht essenziell – gesättigt, einfach ungesättigt, mehrfach ungesättigt Neben den Triglyzeriden sind Phospholipide und Cholesterin wichtige Fette, HDL („gutes Cholesterin“) und LDL („schlechtes Cholesterin“). Aufnahme: Fette werden gespalten, in die Darmzellen aufgenommen, gespeichert, über die Lymphe abtransportiert und im Körper verteilt. Aufgaben: Energieträger und -speicher, Träger für essenzielle Fettsäuren und fettlösliche Vitamine, Bestandteil von Membranen, Isolation von Organen, Vorstufen für Botenstoffe Vorkommen: – gesättigte Fettsäuren: vorwiegend in tierischen Fetten (z. B. Milchfett, Butter, Fleisch) – ungesättigte Fettsäuren: Fisch, pflanzliche Fette (z. B. Lachs, Öle) Besonderheiten bei Fettresorptionsstörung: Fette mit hohem Anteil mittelkettiger Fettsäuren sind vorteilhaft. Besonderheiten bei Pankreasinsuffizienz: Supplementierung mit Lipase

Tab. 38.1 Makronährstoffe im Überblick. Nährstoffe

Grundeinheit

Energie

empfohlene Menge

Kohlenhydrate

Zucker (Monosaccharid)

4 kcal/g

> 50 % der gesamten Energiezufuhr

Fett

Glyzerin, Fettsäuren

9 kcal/g

30 % der gesamten Energiezufuhr

Protein

Aminosäuren

4 kcal/g

15–20 % der Energiezufuhr (0,8–1 g/kg KG/Tag)

0 kcal/g

30–35 ml/kg KG

Wasser

l 38

Ernährungsmanagement

Wasser ●

● ● ●

38.1.2 Mikronährstoffe

Aufgaben: Lösungsmittel, Transportmittel, Kühlmittel, Grundlage für biochemische Funktionen, Zellbestandteil Flüssigkeitslieferanten: Wasser, verdünnte Säfte, Tees Zufuhrmenge: ca. 1,5–3 Liter täglich Besonderheiten bei kranken und alten Menschen: angedickte Getränke bei Schluckstörungen, besonders geformte Tassen können die Flüssigkeitsaufnahme erleichtern, bei Herz- und Niereninsuffizienz reduzierte, bei Fieber und erhöhter Schleimproduktion erhöhte Flüssigkeitszufuhr.

Vitamine ●

Aufnahme: Vitamine müssen regelmäßig über die Nahrung aufgenommen werden (▶ Tab. 38.2). Man unterscheidet: – fettlösliche Vitamine: A, D, E und K (Merke: E-D-K-A); können gespeichert werden, sind in fetthaltigen Lebensmitteln enthalten – wasserlösliche Vitamine: B-Vitamine (B1, B2, B6, B12), Folsäure, Pantothensäure, Biotin, Niacin, Vitamin C; können nur kurze Zeit gespeichert werden, müssen regelmäßig aufgenommen werden

Tab. 38.2 Vitamine: Vorkommen und Mangelerscheinungen. Vitamin

Vorkommen

Mangelerscheinung

Vitamin A

Karotten, Leber, Lebertran

Nachtblindheit

Vitamin B1 (Thiamin)

Samen, Nüsse, Weizenkeime, mageres Schweinefleisch

Beriberi (Müdigkeit, Lethargie, Störungen von Herz, Kreislauf, Nerven und Muskeln)

Mangelerscheinungen treten in unseren Breiten so gut wie nie auf.

Vitamin B2 (Riboflavin)

Milch, Innereien, Eier, Nüsse, Samen, Fisch, Pilze

Pellagra (Durchfall, Hautentzündung, Demenz), hypochrome Anämie (Anämie mit geringem Hämoglobingehalt)

Mangelerscheinungen treten in unseren Breiten so gut wie nie auf.

Vitamin B3 (Niacin)

Fleisch, Nüsse, Fisch

Pellagra (s. Vitamin B2)

Mangelerscheinungen treten in unseren Breiten so gut wie nie auf.

Vitamin B5 (Pantothensäure)

Hefe, Getreide, Hering, Pilze, Eigelb, Leber

Burning-Feet-Syndrom (brennende Füße)

Vitamin B6 (Pyridoxin)

Hefe, Hafer, Nüsse, Bohnen, Avocados, Bananen

Störungen der Eiweißsynthese

Folsäure (Folat, Vitamin B9)

Hefe, Leber, Spinat

Anämie

Vitamin B12 (Cobalamin)

Leber, Nieren, Eier, Käse

perniziöse Anämie

Vitamin C (Ascorbinsäure)

Zitrusfrüchte, Kiwi, Preiselbeeren, Tomaten, Kohl, Paprika, Früchte und Gemüse allgemein

Skorbut, verzögerte Wundheilung, Infektanfälligkeit

Vitamin D (Calciferole)

Margarine, Fettfische

Rachitis (gestörter Einbau von Mineralien in den Knochen während des Wachstums)

Vitamin E (Tocopherole)

Gemüse, Samenöle, grünes Blattgemüse

keine spezifischen Symptome

Biotin (Vitamin H; zum VitaminB-Komplex gehörend)

Hefe, Leber, Eigelb, Tomaten, Sojabohnen, Reis, Weizenkleie

Eiweißschädigung

Vitamin K (Phyllo- und Menachinone)

grünblättriges Gemüse, Eigelb, Käse, Leber

Blutungsneigung durch fehlende Blutgerinnung

modifiziert nach: Biesalski HK. Ernährungsmedizin. Thieme; 2010

260

Bemerkung

besonders wichtig für schwangere Frauen (vermindertes Risiko für Neuralrohrdefekte beim Fetus)

Bei Neugeborenen und Säuglingen erfolgt eine prophylaktische Vitamin-DGabe zur Prophylaxe der Rachitis.

Neugeborene haben einen niedrigen Vitamin-K-Spiegel; deshalb erfolgt eine prophylaktische Gabe. Marcumar als Gegenspieler (siehe Kap. 39.2.3)

Energie- und Flüssigkeitsbedarf ●



Aufgabe: Sie dienen vorrangig als Cofaktoren von Enzymen und Transportproteinen. Besonderheiten bei kranken Menschen: Nebenwirkungen von Medikamenten können die Versorgung mit Nährstoffen beeinträchtigen, deshalb sind regelmäßige laborchemische Kontrollen notwendig.

38.2 Energie- und Flüssigkeitsbedarf 38.2.1 Energiebedarf ●

Mineralstoffe ●







Aufnahme: Sie müssen regelmäßig mit der Nahrung zugeführt werden (▶ Tab. 38.3). Man unterscheidet: – Mengenelemente (> 50 mg/kg Körpertrockenmasse): Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium, Chlorid, Phosphor und Schwefel – Spurenelemente (< 50 mg/kg Körpertrockenmasse): Eisen, Jod, Fluorid, Zink, Selen, Kupfer, Mangan, Chrom, Molybdän, Kobalt, Nickel Aufgaben: Wasserhaushalt in Balance halten (siehe Kap. 24), Baustoff für Knochen und Zähne, Cofaktoren für Enzyme, Proteine und Hormone Besonderheiten bei kranken Menschen: veränderter Bedarf bei Elektrolytstörungen (siehe Kap. 57.5)





Der Gesamtumsatz (= Energiebedarf) setzt sich aus dem Grundumsatz und dem Arbeitsumsatz zusammen. Grundumsatz (Ruheenergiebedarf) ist die Energie, die der Körper in 24 Stunden benötigt, um bei einer Außentemperatur von 28 °C und völliger körperlicher Ruhe seine Funktionen aufrechtzuerhalten. Er ist abhängig von Geschlecht, Körpergewicht und Alter: – ♀: (0,047 × Gewicht in kg – 0,01452 × Alter in Jahren + 3,21) × 239 – ♂: (0,047 × Gewicht in kg + 1,009 – 0,01452 × Alter in Jahren + 3,21) × 239 – Als Faustformel (grober Schätzwert) gilt: Gewicht in kg × 21,6 kcal ♀ bzw. 24 kcal ♂. Arbeitsumsatz (Leistungsumsatz) ist der darüber hinausgehende Mehrverbrauch, der für körperliche und geistige Aktivität benötigt wird. Dazu wird der Grundumsatz mit dem PAL-Wert (Physical Activity Level) multipliziert (Gesamtumsatz = Grundumsatz × PAL-Wert) – Kinder haben einen PAL-Wert von 1,4–1,8. – Erwachsene haben einen PAL-Wert von 1,0–2,4 (je nach körperlicher Aktivität), z. B. kritisch Kranke im Akutstadium PAL 1,0; bettlägerige Menschen PAL 1,2. Grundsätzlich besteht ein erhöhter Energiebedarf bei Infektionen, Fieber, Mangelernährung, motorischer Unruhe, Morbus Parkinson, Krebs, in Schwangerschaft und Stillzeit, nach OPs.

Tab. 38.3 Mineralstoffe: Vorkommen und Mangelerscheinungen. Mineralstoff

Vorkommen

Mangelerscheinung

Bemerkung

Natrium

Salz, salzhaltige Produkte (Brot, Wurstwaren, Käse)

Teilnahmslosigkeit, Muskelkrämpfe

selten; siehe Kap. 57.5.5

Kalium

Gemüse, Obst, Fleisch

Muskelschwäche, Störungen der Herztätigkeit, Darmverschluss

nur bei hohen Verlusten, bei starkem Erbrechen/Durchfall oder bei chronischen Nierenerkrankungen (siehe Kap. 57.5.5

Kalzium

Milch und Milchprodukte, kalziumreiche Mineralwässer, einige Gemüsesorten (Brokkoli, Grünkohl, Lauch)

Osteoporose

wichtig bei Frauen in den Wechseljahren zur Osteoporoseprophylaxe (siehe Kap. 57.5.5)

Magnesium

Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Milch(produkte), Fleisch, Fisch, Gemüse

Funktionsstörungen von Herz- und Skelettmuskeln

Einsatz bei (drohender) vorzeitiger Wehentätigkeit (siehe Kap. 57.5.5)

Eisen

Fleisch(produkte), grünes Gemüse, Vollkornprodukte

Anämie, Abgeschlagenheit, Infektanfälligkeit

Jod

Seefisch, Milch(produkte), mit Jodsalz hergestellte Produkte

Kropfbildung (Vergrößerung der Schilddrüse = Struma), Müdigkeit

Jodmangel ist in Deutschland seltener geworden.

Fluorid

fluoridiertes Speisesalz, schwarzer Tee, Mineralwasser, Seefisch

Zahnkaries

häufig kombinierte Gabe von Vitamin D und Fluorid bei Säuglingen

Zink

Fleisch, Milch(produkte), Vollkornprodukte

Wachstumsstörungen, Infektanfälligkeit, Störungen der Wundheilung

* Bei einer ausgewogenen Ernährung sind ausgeprägte Mangelerscheinungen selten.

l 38

Ernährungsmanagement

Tab. 38.4 Flüssigkeitsbedarf erheben (nach DGE). Alter (Jahre)

Empfohlene Wasserzufuhr durch Getränke und feste Nahrung (ml/kg und Tag)

Säugling (< 1)

110−130

Kleinkind (1−6)

75−95

Schulkind (7−12)

50−60

Jugendlicher (13−18)

40

Erwachsener (19−64)

35

älterer Mensch (> 64)

30

Praxisbeispiel: ♀, 79 Jahre, 64 kg: 30 ml × 64 kg = 1920 ml empfohlene Wasserzufuhr pro Tag

38.2.2 Flüssigkeitsbedarf ●





Der Flüssigkeitsbedarf ist abhängig vom Lebensalter (▶ Tab. 38.4). Grundsätzlich besteht ein erhöhter Bedarf bei Flüssigkeitsverlust durch Erbrechen, Diarrhö oder starkes Schwitzen, ein erniedrigter Bedarf bei Herz-/Niereninsuffizienz. Besonderheiten bei Sondennahrung: Flüssigkeit in der Sondennahrung muss in der Flüssigkeitsbilanzierung berücksichtigt werden.

38.3 Ernährung in verschiedenen Lebensphasen 38.3.1 Ernährung von Säuglingen Säuglinge sollten in den ersten 6–8 Lebensmonaten nach Bedarf (ca. 6–8-mal/Tag) gestillt werden. Kann oder möchte eine Mutter nicht stillen, gibt es hergestellte Säuglingsnahrung, die auf die Entwicklung des Kindes abgestimmt ist. Eine zusätzliche Flüssigkeitszufuhr ist nicht notwendig. Ab dem 5.–6. Lebensmonat sollte ergänzend schrittweise Beikost eingeführt werden. Es wird zusätzlich die Gabe von Vitamin D und Fluorid sowie Vitamin K empfohlen.

38.3.2 Ernährung von Kindern und Jugendlichen Mit steigendem Alter wird die Ernährung an die des Erwachsenen angepasst. Vorübergehendes Ablehnen von Lebensmitteln bei gesunden und normalernährten Kindern ist unbedenklich.

38.3.3 Ernährung des Erwachsenen Die Mengenempfehlungen werden häufig in Form einer Ernährungspyramide dargestellt. Eine ausgewogene Ernährung setzt sich aus 8 Lebensmittelgruppen zusammen. Diese sind: 1. Getränke, z. B. Wasser, Kräuter- und Früchtetee, verdünnte Säfte 2. Gemüse und Salat

262

3. Obst 4. Brot, Getreide und Beilagen (2, 3 und 4 = pflanzliche Lebensmittel sollten häufig verzehrt werden) 5. Milch und Milchprodukte 6. Fisch, Fleisch, Wurst und Eier (5 + 6 = tierische Lebensmittel sollten in Maßen verzehrt werden) 7. Fette und Öle sollten sparsam verzehrt werden. 8. „Extras“ = Süßigkeiten, Snacks, Alkohol, sie werden geduldet, wenn Lebensmittel aus Basis und Mittelfeld ausreichend im Speiseplan vertreten sind.

38.3.4 Ernährung im Alter Es gibt keine allgemeingültigen Empfehlungen für die Ernährung von Senioren, da die Gruppe sehr heterogen ist. Faktoren, die berücksichtigt werden sollten, sind: ● Energiebedarf sinkt, bei gleichbleibendem Vitamin und Mineralstoffbedarf: Obst statt Kuchen ● Durstgefühl nimmt ab: ausreichende Flüssigkeitszufuhr ● Nährstoffreserven sollten gefüllt sein, um Krankheiten gut zu überstehen: ausreichende Proteinmengen ● bei langer Bettlägerigkeit ggf. Vitamin D zuführen ● bei bestimmten Erkrankungen ggf. Vitamin-, Mineralstoff-, Enzympräparate, Eiweißkonzentrate, Trinknahrungen, Andickungspulver verwenden ● Medikamente können zu einem veränderten Nährstoffbedarf führen (z. B. senkt Metformin die Aufnahmen von Vitamin B12 und Folsäure). ● Ernährung bei Demenz – ausreichendes Speiseangebot „greifbar“ machen (z. B. jederzeit, auch nachts, Fingerfood) – persönlichen Geschmack berücksichtigen – Speisen sollten als solche erkennbar sein.

38.3.5 Alkohol ● ● ● ●

enthält viel Energie (Kalorien) max. 10 g/Tag für Frauen und 20 g/Tag für Männer. wird in der Leber abgebaut wirkt sich negativ auf Resorption, Verstoffwechselung und Ausscheidung von Nährstoffen aus

Künstliche Ernährung ●



dauerhaft erhöhter Konsum führt zur Fettleber und nachfolgend zu Leberzirrhose Auf Alkohol verzichten sollten Schwangere, Stillende, Kinder, Jugendliche und Personen, die Medikamente einnehmen.

Tab. 38.5 Klassifikation von Untergewicht, Übergewicht und Adipositas (nach WHO).

38.4 Ernährungszustand erfassen 38.4.1 Body-Mass-Index (BMI) Der BMI kann als grober Richtwert zur Klassifikation von Untergewicht, Übergewicht und Adipositas verwendet werden (▶ Tab. 38.5). BMI ¼ ●









Einteilung

BMI

Untergewicht

< 18,5

Normalgewicht

18,5–24,9

Übergewicht

≥ 25

Präadipositas

25–29,9

Adipositas I

30–34,9

Adipositas II

35–39,9

Adipositas III

≥ 40

Körpergewicht in kg ðKörpergröße in mÞ2

Bei Kindern und Jugendlichen (bis 18 Jahre) werden zur Einschätzung von Größe und Gewicht Perzentilenkurven verwendet. Liegt der BMI über der 90. Perzentile, spricht man von Übergewicht. Mit steigendem Alter werden höhere BMI-Werte akzeptiert (ab 65 Jahren BMI = 24–29). Bei amputierten Gliedmaßen muss das Gewicht entsprechend angepasst werden, d. h., die fehlenden Gliedmaßen müssen auf das Gewicht addiert werden. Bei einigen Erkrankungen muss der errechnete BMI-Wert besonders kritisch hinterfragt werden, z. B. bei Aszites oder Ödemen. Denn das Körpergewicht ist hier durch Wassereinlagerungen erhöht und nicht durch Körperfett. Die Verteilung des Körperfetts kann über den Waist-toHip-Ratio (WHR) (siehe Kap. 19.2.4) erfasst werden (Stichwort: „Birnentyp“ oder „Apfeltyp“)

38.4.2 Erfassung einer Mangelernährung Wichtiger, als den BMI zu ermitteln, ist es, Anzeichen einer Mangelernährung festzustellen, z. B.: ● 5 % unbeabsichtigter Gewichtsverlust in 3 Monaten bzw. 10 % in 6 Monaten ● zu weit gewordene Kleidung, ausgezehrter Körper, tief liegende Augen, Appetitlosigkeit, schlecht heilende Wunden ● Wadenumfang geringer als 31 cm ● Trizepshautfaltendicke und mittlerer Armumfang ● laborchemische Parameter, Messungen zur Bestimmung des Fett-, Knochen- und Muskelanteils des Körpers

38.5 Künstliche Ernährung So lange wie möglich sollte die Ernährung auf physiologische Weise erfolgen. Ist dies nicht mehr (ausreichend) möglich, sollte eine künstliche Ernährung nach folgendem Schema erfolgen: ● orale Ernährung + Supplemente (Nährstoffkonzentrate): Ernährung durch Essen und Trinken ggf. mit Hilfsmitteln (Ess- und Trinkhilfen) und/oder speziellen Kostformen (passierte Speisen, Andickungspulver) ● künstliche Ernährung, alleinig oder als ergänzende Anwendung: – oral bilanzierte Diäten: orale Nahrungssupplementation (Trinknahrung) – enterale Ernährung: Sondenernährung über Magen-/ Dünndarmsonde, z. B. PEG (perkutane endoskopische Gastrostomie) – parenterale Ernährung: Ernährung über intravenösen Zugang Ziel der künstlichen Ernährung ist es, Nahrungsdefizite auszugleichen, einer Mangelernährung vorzubeugen und einen ausreichenden Ernährungsstatus sicherzustellen.

38.5.1 Enterale Ernährung ●

ACHTUNG Auch adipöse Menschen können mangelernährt sein! Maßnahmen bei Anzeichen einer Unter-/Mangelernährung: ● Ess- und/oder Trinkprotokolle führen zur Erfassung des Ess- und Trinkverhaltens (wie viel?). ● Nährwertberechnung der verzehrten Speisen, z. B. mittels App ● Mini Nutritional Assessment zur Bestimmung des Ernährungszustands älterer Menschen ● Prophylaxe der Mangelernährung (siehe Kap. 21.7)





Indikationen: – Orale Nahrungsaufnahme ist nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. – Magen-Darm-Trakt ist intakt. – Es liegen Krankheiten mit erhöhtem Nährstoff- und Energiebedarf vor, z. B. Morbus Parkinson, maligne Tumoren. Formen: – kurzzeitige Ernährung (2–4 Wochen): naso-, orogastrale bzw. -jejunale Sonden – langfristige Ernährung (> 4 Wochen): PEG, Jet-PEG, PEJ, FKJ Applikation: – intermittierende Applikation = Bolusapplikation: Mehrmals täglich wird eine bestimmte Menge appliziert (nur bei gastraler Sondenlage).

l 38

Ernährungsmanagement



– kontinuierliche Applikation = Dauertropfapplikation über Schwerkraft oder Ernährungspumpe (bei allen jejunal liegenden Sonden, bei gastraler Lage) – Auswahl und Dosierung des Substrats richten sich nach Nährstoff- und Energiebedarf. – Wassergehalt der Sondennahrung auf den täglichen Flüssigkeitsbedarf anrechnen – Kostaufbau: langsam und schrittweise; stufenweise Steigerung über 3– 5 Tage nach Arztanordnung – Spülen: vor und nach jeder Nahrungsgabe – Schwerkraftapplikation: direkt aus der Flasche/dem Beutel; Regulierung über Rollenklemme – Ernährungspumpen: sehr genaue Regulierung möglich (z. B. 10 ml/Std.) Komplikationen und pflegerische Maßnahmen (siehe Kap. 25.2) – Aspiration: korrekte Sondenlage prüfen, während und nach Verabreichung Oberkörper um 30° hochlagern – gastrointestinale Symptome: Diarrhöen, abdominelle Krämpfe und Meteorismus können unterschiedliche Ursachen haben (z. B. zu schneller Kostaufbau, bakterielle Kontamination, zu kalte Nahrung, Ballaststoffmangel, Medikamente, zu hohe Rate, Grunderkrankungen). – Rückstau der Nahrung: auf Dosierung vom Vortag zurückgehen – ausgetrocknete Schleimhäute: regelmäßige Mundpflege und/oder Nasenpflege (Soor- und Parotitisgefahr, siehe Kap. 17.2) – Druckstellen bei transnasaler Sonde: Sonde abwechselnd an unterschiedlichen Stellen fixieren – Pneumonie bei transnasaler Sonde: Pneumonieprophylaxe durchführen (siehe Kap. 21.8) – Wundinfektion bei PEG: regelmäßiger hygienisch einwandfreier Verbandwechsel

38.5.2 Parenterale Ernährung ●





264

Infusionslösungen: – Kohlenhydratlösungen – Aminosäurelösungen – Fettlösungen – Elektrolytlösungen bzw. Elektrolytkonzentrate Applikation: – Applikation einzelner Substrate in einzelnen Beuteln – Zweikammerbeutel: Kohlenhydrat- und Aminosäurelösung, Fettzufuhr separat – Dreikammerbeutel (AIO-Systeme = All-In-One-Lösungen): Kohlenhydrate, Aminosäuren, Fette: sichere, effektive und risikoreduzierte Darreichungsform für alle Indikationen – Elektrolyte sind meist enthalten, Spurenelemente und Vitamine müssen zugespritzt werden. Formen der parenteralen Ernährung: – kurzfristige Ernährung bis zu 7 Tage: periphervenöser Zugang – längerfristige Ernährung: zentralvenöser Zugang, z. B. ZVK, Port





Komplikationen: – Hyper- bzw. Hypoglykämie – Hypertriglyzeridämie – Hyperkapnie (erhöhter Gehalt an Kohlenstoffdioxid) – Störungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts – Störungen des Säure-Basen-Haushalts – Störungen des Vitamin- und Spurenelementehaushalts – Unverträglichkeitsreaktionen Zu beachten: – regelmäßige Kontrolle von Blutzuckerspiegel, Elektrolyten, Säure-Basen-Haushalt, Leber- und Nierenfunktion – Zuspritzen von Medikamenten ist i. d. R. nicht erlaubt. – Kohlenhydrat-, Aminosäure- und Elektrolytlösungen mit einer hohen Osmolarität (mehr als 800 mosmol/l, siehe Kap. 24.2) dürfen nicht peripher verabreicht werden, da es zu Gefäßirritationen führt

38.6 Kostformen und Diäten Diäten müssen individuell an die persönlichen Bedürfnisse und Erkrankungen angepasst werden. Grundsätzlich kommen Diäten zum Einsatz, wenn ● eine ärztliche Verordnung vorliegt, ● bestimmte Nährstoffe Unverträglichkeiten bzw. Allergien auslösen oder ● Gewichtsanpassungen vorgenommen werden müssen. Es werden 4 wissenschaftlich gesicherte Diäten definiert: 1. Vollkost – leichte Vollkost – vegetarische Vollkost 2. energiedefinierte Diäten, z. B. bei Diabetes mellitus, Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie, Adipositas 3. eiweiß- und elektrolytdefinierte Diäten, z. B. bei Leberinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Herzinsuffizienz, Hypertonie 4. gastroenterologische Diäten sowie Sonderdiätformen, z. B. glutenfreie Kost bei Zöliakie, ballaststoffreduziert bei Stenosen im Intestinaltrakt 5. Nicht mehr empfohlen werden: ● spezielle Diabetiker-Lebensmittel ● lange perioperative Nahrungskarenzen, stattdessen gelten eine neue präoperative Flüssigkeitsregel (Glukosedrink bis 2 Stunden vor OP) und ein schneller postoperativer Kostaufbau (siehe Kap. 56.3). ● Schonkost, stattdessen gilt die (leichte) Vollkost.

Kostformen und Diäten

KOMPAK T Ernährungsmanagement ● ● ● ● ●









Makronährstoffe: Kohlenhydrate, Fett, Protein, Wasser Mikronährstoffe: Vitamine, Mineralstoffe Energiebedarf = Ruheenergiebedarf × PAL-Wert Flüssigkeitsbedarf = 35 ml/kg KG (Erwachsener) Die Ernährungspyramide (mit 8 Gruppen) gibt Mengenempfehlungen. Mit zunehmendem Alter sinken der Energiebedarf und das Durstgefühl, der Proteinbedarf steigt, Vitamine und Mineralstoffe müssen evtl. zugeführt werden. Der BMI kann als grober Richtwert zur Klassifikation von Unter-, Übergewicht und Adipositas verwendet werden (bei Kindern kommen Perzentilenkurven zum Einsatz). Anzeichen einer Mangelernährung: 5 % bzw. 10 % unbeabsichtigter Gewichtsverlust in 3 bzw. 6 Monaten, zu weit gewordene Kleidung, tief liegende Augen, schlecht heilende Wunden etc. künstliche Ernährung: enteral oder parenteral, kurzoder langfristig, intermittierend oder kontinuierlich, per Schwerkraft oder mittels Ernährungspumpe, naso-, orogastrale, jejunale Sonden oder PEG, Jet-PEG, PEJ, FKJ

39

Pflege bei Antikoagulation und Thrombolyse

kein scharfkantiges Essen weiche Zahnbürste

Blutungszeit Blutgerinnsel vorbeugen

Thrombozyten

bei Arzt/Zahnarzt auf Marcumar-Therapie hinweisen

Quick INR

Blutgerinnung herabsetzen

↑Blutungsrisiko beachten!

Marcumar-Ausweis

Obstipationsprophylaxe

pTT

Akuttherapie

Sturzprophylaxe

Labor Blutgerinnung

Dauertherapie

Blutungsprophylaxe, z.B. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

Antikoagulanzien

Vitalzeichen, EKG, Pupillen, Vigilanz Nasenbluten? Hämatome? Überwachung

Thrombozytenaggregationshemer

Indikation z.B. KHK, Apoplex

Überwachung bei Lyse NOAK

z.B. ASS

z.B. Apixaban

Cumarine

Vorteile

seltenere Quick-/INRWert-Kontrollen

z.B. Marcumar

z.B. Mono-Embolex

Antidot

Indikation pTT kontrollieren

Indikation

bei i.v.-Gabe täglich

z.B. Vorhofflimmern

Indikation Blutungsrisiko ↓

Heparin

z.B. Thromboseprophylaxe

z.B. Metalyse

kein Antidot

oft lebenslange Einnahme

Zeit! Lyse so schnell wie möglich!

Konakion

z.B. akuter Apoplex („time is brain“)

Kontraindikation, z.B.

PPSB Quick-/INR-Wert kontrollieren

Z. n. Hirnblutung

Krebserkrankung

Betreuung und Überwachung bei Antikoagulation viert, der über die Aktivierung von Faktor IX in die gemeinsame Endstrecke der Fibrinogenaktivierung mündet.

39.1 Grundlagen Unter Antikoagulation versteht man die medikamentöse Herabsetzung der Blutgerinnung, bspw. zur Vorbeugung gegen ein Blutgerinnsel. Bei der Thrombolyse (kurz: Lyse) dagegen werden bereits vorhandene Blutgerinnsel medikamentös aufgelöst.

39.1.1 Physiologie der Hämostase Die Blutstillung (Hämostase) ist eine lebenswichtige Funktion. Sie wird in 2 Phasen eingeteilt (primäre und sekundäre Hämostase):

Primäre Hämostase 1. Vasokonstriktion: Verengung des Gefäßabschnitts, zur Verkleinerung der Wundfläche und Senkung der Strömungsgeschwindigkeit: Thrombozyten lagern sich an die Gefäßwand an. 2. Thrombozytenadhäsion: Durch die geschädigte Gefäßwand werden bestimmte Substanzen (z. B. Kollagen und von-Willebrand-Faktor) freigesetzt. Diese veranlassen die Thrombozyten, sich an die Gefäßwand anzulagern. Der Prozess der Anlagerung wird als Adhäsion bezeichnet. 3. Thrombozytenaggregation: Die Thrombozyten werden aktiviert und verbinden sich miteinander: Ein Thrombozytenpfropf entsteht.

Sekundäre Hämostase Nachdem eine Blutung durch die Prozesse der primären Hämostase provisorisch gestillt wurde (ca. 1–3 Min.), schließt sich der Prozess der sekundären Hämostase (ca. 6–10 Min.) an. Dabei wird der Thrombozytenpfropf durch Gerinnungsfaktoren stabilisiert. Dadurch entsteht ein Fibrinpfropf. Dies geschieht, indem das inaktive Fibrinogen durch die Einwirkung von Gerinnungsfaktoren in aktives Fibrin umgewandelt wird. Die Aktivierung von Fibrinogen wird durch folgende zwei Prozesse in Gang gesetzt: ● exogene Aktivierung: Durch den Gefäßwandschaden wird Faktor III freigesetzt. Dieser aktiviert zusammen mit Calcium den Faktor VII und mündet über die Aktivierung des Faktors X in eine gemeinsame Endstrecke der Fibrinogenaktivierung. ● endogene Aktivierung: Die Aktivierung beginnt, indem Faktor XII Kontakt mit der negativ geladenen Oberfläche der Thrombozyten bekommt. Hierdurch wird Faktor XI akti-

Die sekundäre Hämostase spielt auch bei der Entstehung von Arteriosklerose eine wichtige Rolle.

39.1.2 Laborparameter Zur Beurteilung der Blutgerinnung eines Patienten können (je nach Erkrankung und Therapiemaßnahme) verschiedene Laborparameter bestimmt werden (▶ Tab. 39.1).

39.2 Betreuung und Überwachung bei Antikoagulation Maßnahmen zur Antikoagulation kommen in Akutsituationen (z. B. bei akuter Lungenembolie) oder zur Dauertherapie (z. B. bei Vorhofflimmern) zum Einsatz. Alle sog. Antikoagulanzien führen zu einem erhöhten Blutungsrisiko. Dieses ist bei Cumarinen am höchsten und bei Thrombozytenaggregationshemmern am niedrigsten ausgeprägt.

39.2.1 Thrombozytenaggregationshemmer Thrombozytenaggregationshemmer zählen nur im weiteren Sinne zu den Antikoagulanzien. Sie hemmen die Anlagerung von Thrombozyten an die Gefäßwand (primäre Hämostase). ● Indikationen: KHK, akutes Koronarsyndrom, pAVK, Schlaganfall, Prophylaxe nach Stentimplantation) ● Wirkstoff (Handelsname): Acetylsalicylsäure (ASS), Clopidogrel (Plavix, Iscover), Prasugrel (Efient), Ticagrelor (Efient) ● Betreuung und Überwachung: – (häufig) lebenslange tägliche Einnahme – auf Anzeichen von Blutungen achten – ggf. vor Operationen absetzen (Ausnahme: ASS)

39.2.2 Heparin Heparin wird sowohl prophylaktisch (Low-dose-Heparin) als auch therapeutisch (High-dose-Heparin) eingesetzt. Es hemmt verschiedene Gerinnungsfaktoren und hat dadurch eine gerinnungshemmende Wirkung. Heparin muss in jedem Fall subkutan oder intravenös verabreicht werden.

Tab. 39.1 Laborparameter: Blutgerinnung. Parameter

Normalwerte*

Thrombozyten

150 000–450 000/µl Blut

Blutungszeit

5–10 Min.

Quick-Wert

70–130 %

erniedrigt bei Marcumar-Therapie

INR

0,9–1,1

erhöht bei Marcumar-Therapie

pTT

20–40 sec

erhöht bei Heparin-Therapie

* Werte können je nach Untersuchungsmethode des jeweiligen Labors variieren.

Bemerkung

l 39

Pflege bei Antikoagulation und Thrombolyse ●





● ●

Für die subkutane Anwendung (meist prophylaktisch) wird meistens fraktioniertes (= niedermolekulares) Heparin, z. B. Mono-Embolex, verwendet. Für die intravenöse Anwendung (therapeutische Anwendung) wird fast ausschließlich unfraktioniertes (= hochmolekulares) Heparin verwendet. Indikation: Prophylaxe und Therapie von Thrombosen und Embolien, z. B. nach großen Operationen Die Wirkung kann über den pTT-Wert kontrolliert werden. Betreuung und Überwachung: – auf Anzeichen von Blutungen achten – Bei der intravenösen Anwendung muss der pTT-Wert täglich kontrolliert werden.

39.2.3 Cumarine Cumarine hemmen in der Leber die Produktion von Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren. ● Indikation: Schutz vor Schlaganfall beim Vorhofflimmern, langfristige Therapie von Embolien oder Thrombosen ● Handelsname: Marcumar, Falithrom ● Die Wirkung von Cumarin kann über den Quick-/INRWert kontrolliert werden. ● Betreuung und Überwachung: – zur Vitamin-K-reduzierten Ernährung beraten: grünes Gemüse eher meiden, da es viel Vitamin K enthält – auf Anzeichen von Blutungen achten (inkl. Hirn-, Magen-, Darm- und Muskelblutungen) – nach Marcumar-Ausweis fragen und wöchentliche Marcumar-Dosis (z. B. 5 Tabletten pro Woche) in Erfahrung bringen – regelmäßige (ggf. tägliche) Quick-/INR-Kontrollen – bei notfallmäßigen operativen Eingriffen oder einer versehentlichen Überdosierung können Cumarine durch die Gabe von Vitamin K (Konakion) oder Prothrombinkomplex (PPSB) inaktiviert werden

39.2.4 Neue, orale Antikoagulanzien (NOAK) Seit 2011 werden vermehrt neue Medikamente zur oral eingenommenen Antikoagulation angeboten. Beispiele sind Rivaroxaban (Xarelto), Apixaban (Eliquis) und Dabigatran (Pradaxa). Diese neuen oralen Antikoagulanzien (kurz: NOAK) haben im Vergleich zu den Cumarinen den Vorteil, dass sie beim Vorhofflimmern besser vor einem Schlaganfall schützen und gleichzeitig weniger Blutungen verursachen. Auch müssen die Patienten nicht mehr zum Hausarzt gehen, um ihren Quick-/INR-Wert zu kontrollieren. Wesentlicher Nachteil ist das Fehlen eines sicheren Gegenmittels.

39.3 Betreuung und Überwachung bei Thrombolysetherapie Durch die Thrombolysetherapie können bereits bestehende Thromben aufgelöst werden. Für eine optimale Wirkung muss das Medikament spätestens 4,5 Stunden nach dem Gefäßverschluss appliziert werden. Hierzu wird ein körper-

268

eigener Gegenspieler der Blutgerinnung (tissue-type-plasminogen activator = tPA) intravenös appliziert oder per Katheter direkt an die verschlossene Stelle injiziert. Der Stoff wird unter den Produktnamen Actilyse, Rapilysin und Metalyse vertrieben. Das Verfahren kommt in erster Linie beim akuten Schlaganfall zur Anwendung. Kontraindikationen • sind u. a.: Zustand nach Hirnblutung ● nicht behandelbare Hypertonie ● Krebserkrankung mit erhöhtem Blutungsrisiko ● Schlaganfall in den letzten 6 Wochen ●

Betreuung und Überwachung Überwachung der Vitalfunktionen am Monitor-EKG und mechanische Blutdruckmessung ● Überwachung des neurologischen Status (z. B. Pupillen, Vigilanz) ● Beobachtung des Patienten auf Nasenbluten, Hämatombildung und Hämaturie ● Unterstützung des Patienten bei den Aufgaben des täglichen Lebens (z. B. Körperpflege) ● Verständnis zeigen für die Situation des Patienten, Ängste erkennen, Gesprächsbereitschaft zeigen ●

39.4 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Allgemein gilt es, den Patienten über die Wichtigkeit der Therapie zu informieren und über Blutungszeichen aufzuklären. Außerdem sollte der Patient über eine effektive Blutungsprophylaxe beraten werden: ● weiche Zahnbürsten verwenden ● scharfkantiges Essen vermeiden (z. B. harte Brötchen) ● Falithrom/Marcumar-Ausweis mit sich führen ● auf weichen Stuhlgang achten, da zu starkes Pressen Mikroblutungen auslösen kann ● bei ärztlichen und zahnärztlichen Interventionen immer auf gerinnungshemmende Therapie hinweisen

KOMPAK T Pflege bei Antikoagulation und Lyse ●









Die Blutstillung (Hämostase) ist eine lebenswichtige Funktion Antikoagulanzien reduzieren die Blutgerinnung und erhöhen damit das Blutungsrisiko. Antikoagulanzien werden zur Akut-Therapie (z. B. bei akuter Lungenembolie) oder zur Langzeit-Therapie eingesetzt, z. B. bei Arteriosklerose, Vorhofflimmern, Schlaganfall, nach Stentimplantation. Pflege: auf Blutungszeichen achten, Laborparameter regelmäßig kontrollieren (Quick, pTT, INR), Beratung des Patienten (z. B. Marcumar-Ausweis, Vitamin K, Blutungsneigung) Bei der Thrombolyse (kurz: Lyse) dagegen werden bereits vorhandene Blutgerinnsel medikamentös aufgelöst (z. B. innerhalb von 4,5 Std. nach einem Schlaganfall).

l 39

Pflege bei Antikoagulation und Thrombolyse ●





● ●

Für die subkutane Anwendung (meist prophylaktisch) wird meistens fraktioniertes (= niedermolekulares) Heparin, z. B. Mono-Embolex, verwendet. Für die intravenöse Anwendung (therapeutische Anwendung) wird fast ausschließlich unfraktioniertes (= hochmolekulares) Heparin verwendet. Indikation: Prophylaxe und Therapie von Thrombosen und Embolien, z. B. nach großen Operationen Die Wirkung kann über den pTT-Wert kontrolliert werden. Betreuung und Überwachung: – auf Anzeichen von Blutungen achten – Bei der intravenösen Anwendung muss der pTT-Wert täglich kontrolliert werden.

39.2.3 Cumarine Cumarine hemmen in der Leber die Produktion von Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren. ● Indikation: Schutz vor Schlaganfall beim Vorhofflimmern, langfristige Therapie von Embolien oder Thrombosen ● Handelsname: Marcumar, Falithrom ● Die Wirkung von Cumarin kann über den Quick-/INRWert kontrolliert werden. ● Betreuung und Überwachung: – zur Vitamin-K-reduzierten Ernährung beraten: grünes Gemüse eher meiden, da es viel Vitamin K enthält – auf Anzeichen von Blutungen achten (inkl. Hirn-, Magen-, Darm- und Muskelblutungen) – nach Marcumar-Ausweis fragen und wöchentliche Marcumar-Dosis (z. B. 5 Tabletten pro Woche) in Erfahrung bringen – regelmäßige (ggf. tägliche) Quick-/INR-Kontrollen – bei notfallmäßigen operativen Eingriffen oder einer versehentlichen Überdosierung können Cumarine durch die Gabe von Vitamin K (Konakion) oder Prothrombinkomplex (PPSB) inaktiviert werden

39.2.4 Neue, orale Antikoagulanzien (NOAK) Seit 2011 werden vermehrt neue Medikamente zur oral eingenommenen Antikoagulation angeboten. Beispiele sind Rivaroxaban (Xarelto), Apixaban (Eliquis) und Dabigatran (Pradaxa). Diese neuen oralen Antikoagulanzien (kurz: NOAK) haben im Vergleich zu den Cumarinen den Vorteil, dass sie beim Vorhofflimmern besser vor einem Schlaganfall schützen und gleichzeitig weniger Blutungen verursachen. Auch müssen die Patienten nicht mehr zum Hausarzt gehen, um ihren Quick-/INR-Wert zu kontrollieren. Wesentlicher Nachteil ist das Fehlen eines sicheren Gegenmittels.

39.3 Betreuung und Überwachung bei Thrombolysetherapie Durch die Thrombolysetherapie können bereits bestehende Thromben aufgelöst werden. Für eine optimale Wirkung muss das Medikament spätestens 4,5 Stunden nach dem Gefäßverschluss appliziert werden. Hierzu wird ein körper-

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eigener Gegenspieler der Blutgerinnung (tissue-type-plasminogen activator = tPA) intravenös appliziert oder per Katheter direkt an die verschlossene Stelle injiziert. Der Stoff wird unter den Produktnamen Actilyse, Rapilysin und Metalyse vertrieben. Das Verfahren kommt in erster Linie beim akuten Schlaganfall zur Anwendung. Kontraindikationen • sind u. a.: Zustand nach Hirnblutung ● nicht behandelbare Hypertonie ● Krebserkrankung mit erhöhtem Blutungsrisiko ● Schlaganfall in den letzten 6 Wochen ●

Betreuung und Überwachung Überwachung der Vitalfunktionen am Monitor-EKG und mechanische Blutdruckmessung ● Überwachung des neurologischen Status (z. B. Pupillen, Vigilanz) ● Beobachtung des Patienten auf Nasenbluten, Hämatombildung und Hämaturie ● Unterstützung des Patienten bei den Aufgaben des täglichen Lebens (z. B. Körperpflege) ● Verständnis zeigen für die Situation des Patienten, Ängste erkennen, Gesprächsbereitschaft zeigen ●

39.4 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Allgemein gilt es, den Patienten über die Wichtigkeit der Therapie zu informieren und über Blutungszeichen aufzuklären. Außerdem sollte der Patient über eine effektive Blutungsprophylaxe beraten werden: ● weiche Zahnbürsten verwenden ● scharfkantiges Essen vermeiden (z. B. harte Brötchen) ● Falithrom/Marcumar-Ausweis mit sich führen ● auf weichen Stuhlgang achten, da zu starkes Pressen Mikroblutungen auslösen kann ● bei ärztlichen und zahnärztlichen Interventionen immer auf gerinnungshemmende Therapie hinweisen

KOMPAK T Pflege bei Antikoagulation und Lyse ●









Die Blutstillung (Hämostase) ist eine lebenswichtige Funktion Antikoagulanzien reduzieren die Blutgerinnung und erhöhen damit das Blutungsrisiko. Antikoagulanzien werden zur Akut-Therapie (z. B. bei akuter Lungenembolie) oder zur Langzeit-Therapie eingesetzt, z. B. bei Arteriosklerose, Vorhofflimmern, Schlaganfall, nach Stentimplantation. Pflege: auf Blutungszeichen achten, Laborparameter regelmäßig kontrollieren (Quick, pTT, INR), Beratung des Patienten (z. B. Marcumar-Ausweis, Vitamin K, Blutungsneigung) Bei der Thrombolyse (kurz: Lyse) dagegen werden bereits vorhandene Blutgerinnsel medikamentös aufgelöst (z. B. innerhalb von 4,5 Std. nach einem Schlaganfall).

40

Wickel und Auflagen

z.B. Wadenwickel bei Fieber

lokale Wirkung wärmen/kühlen klassischer Brustwickel

immer mehrere Lagen

Kümmelölauflage

Quarkauflage

EukalyptusölBlasenauflage

Wickel

Wirkung auf Gesamtorganismus

meist nur eine Lage

Wohlbefinden fördern, Beschwerden lindern

Auflagen

Ziele

Grundlagen Quarkwickel

ausgewählte Wickel und Auflagen, z.B.

Milcheinschuss z.B. abends vor dem Schlafen

Fieber

geeigneten Zeitpunkt wählen Wärmestau vermeiden

kalte Wickel und Auflagen

Indikationen, z.B. Wirkung

Pflege

Reaktion beobachten

entziehen Wärme

Kinder und alte Menschen

reflektorische Reizung der Blutgefäße warme Wickel und Auflagen

auf Verdünnung atherischer Öle achten!

z.B. Kümmelölauflage

Wirkung

Verbrennungsgefahr!

wärmen

lokale Entspannung und Entkrampfung

Wickel häufig wechseln

Indikationen, z.B.

Verspannungen Bauchschmerzen

Grundlagen

40.1 Grundlagen ●





Abb. 40.1 Kühlende Quarkauflage.

Wickel: bestehen immer aus mehreren Lagen (innere Schicht: „Heilmittel“; mittlere Schicht: umhüllt Körperteil, verhindert Auslaufen; äußere Schicht: wärmt) Auflagen: bestehen meist nur aus einer Lage (Auflage mit entsprechendem Zusatz) allgemeine Ziele: Erwärmen oder Kühlen einzelner Körperabschnitte mit lokaler Wirkung (z. B. Kartoffelwickel bei Halsschmerzen) oder Wirkung auf den Gesamtorganismus (z. B. Wadenwickel, um Fieber zu senken); Wohlbefinden des Patienten fördern und Beschwerden lindern

▶ Tab. 40.1 gibt einen Überblick über ausgewählte Wickel und Auflagen.

40.1.1 Kalte Wickel und Auflagen ●



Wirkung: entziehen dem Körper zunächst Wärme, Gefäße verengen sich (häufiger Wechsel des kalten Wickels notwendig, sonst „Gegenreaktion“ mit lokaler Erwärmung durch reflektorische Reizung der Blutgefäße) (▶ Abb. 40.1) Indikation: z. B. bei Gicht, Arthritis, Fieber, Milcheinschuss

Foto: J. Al-Abtah & O. Langels, Thieme

Tab. 40.1 Übersicht – ausgewählte Wickel und Auflagen. Wickel/Auflage

Indikation

Anwendungshinweise

Eukalyptusöl-Blasenauflage

beginnender oder chronischer Harnwegsinfekt im Anfangsstadium

● ●



● ●

klassischer Brustwickel







Kümmelölauflage

● ● ●

Selbstheilungskräfte aktivieren Bronchitis, Lungen- und Rippenfellentzündungen Bluthochdruck



Blähungen Bauchschmerzen Verdauungsprobleme



wirkt entspannend und schmerzlindernd 3 Tücher: ● Innentuch aus Leinen oder Baumwolle in kaltes Wasser legen, gut auswringen, möglichst faltenlos straff um den Oberkörper legen ● Zwischentuch aus Molton oder Frottee darüberlegen ● von außen Bettdecke oder Wolldecke auflegen ● Auflage verbleibt, bis sie durch die Körperwärme gut durchwärmt wurde (ca. 45–60 Min.) ● evtl. Wärme zuführen (Wärmflasche)







Quarkauflage

● ●



Entzündungen Sonnenbrand, Insektenstiche stumpfe Traumen

wirkt krampflösend, entzündungshemmend Kompresse (10 × 10 cm) mit 5 Tropfen des Eukalyptusöls beträufeln und gefaltet in Plastiktüte zwischen 2 Wärmflaschen anwärmen Kompresse für 30 Min. auf den Unterbauch in Höhe der Blase legen, mit Handtuch abdecken, ggf. Wärmflasche (Achtung, Verbrennungsgefahr!) auf Handtuch legen wichtig: Trinkmenge steigern (unterstützt die Eindämmung der Bakterien) bei fortgeschrittenem Harnwegsinfekt Arzt konsultieren

● ●





wirkt krampflösend und verdauungsfördernd Olivenöl mit etwas Kümmelöl vermischen und sanft im Uhrzeigersinn auf dem Bauch verteilen und einmassieren Feuchtwarmes Tuch auf den Bauch legen, darüber Frotteetuch und obenauf angewärmtes Kirschkernkissen legen Auflage bleibt so lange liegen, wie sie der Patient als angenehm empfindet. wirkt u. a. kühlend, schmerzlindernd, abschwellend Quark abtropfen lassen, diesen fingerdick auf eine Kompresse streichen und Kompresse wie ein Päckchen zusammenfalten Päckchen auf zu behandelnde Stelle legen, mit Geschirrtuch abdecken, als Bettschutz ein zweites Tuch auflegen Achtung: Soll der Körperstelle Wärme entzogen werden, Kompresse entfernen, sobald sie sich erwärmt hat. Sonst geschieht genau das Gegenteil und die Auflage gibt die entzogene Wärme wieder ab.

l 40

Wickel und Auflagen

40.1.2 Warme Wickel und Auflagen ●



Wirkung: führen Wärme von außen zu, sorgen für lokale Entspannung und Entkrampfung der Muskulatur. Dauer und Art der Zusätze sind entscheidend. Warme Wickel liegen so lange auf, wie sie als angenehm empfunden werden. Patienten immer wieder fragen, ob Auflage zu heiß wird (Verbrennungsgefahr!). Indikation: z. B. bei Arthrose, akuten Verspannungen, Entzündungen der Atemwege oder der Blase

40.2 Hinweise zur Anwendung Folgende Hinweise sollten bei jeder Anwendung beachtet werden: ● geeigneten Zeitpunkt wählen. Patienten informieren über Art, Dauer, Durchführung und Zweck/ggf. Wirkungsweise. Allergien unbedingt erfragen. Ggf. Einverständnis schriftlich dokumentieren. Materialien und Zimmer vorbereiten. ● Um einen Wärmestau zu vermeiden, auf Gummiunterlage oder synthetische Kleidung verzichten. ● Patienten und Reaktion auf Anwendung genau beobachten. Besonders Kinder und ältere Menschen reagieren z. T. sehr sensibel auf Temperaturreize und Zusätze. ● Bei Kindern nur speziell für Kinder ausgezeichnete Produkte verwenden, da bereits wenige Tropfen eines unverdünnten, nicht für Kinder geeigneten ätherischen Öls, das versehentlich in Mund oder Nase gelangt, zu lebensbedrohlichen Verkrampfungen des Kehlkopfs (Atemstillstand!) führen können. Auf vorgeschriebene Verdünnungsweise achten und Öl nicht direkt auf die Haut auftragen (zu starke Reizung!). Auf stark wirksame Öle wie Eukalyptus, Kampfer, Thymian komplett verzichten.

272

KOMPAK T Wickel und Auflagen ● ● ●





Wickel: bestehen aus mehreren Lagen Auflagen: bestehen aus einer Lage Ziele von Wickeln und Auflagen: Beschwerden lindern, Wohlbefinden fördern, Wärme entziehen oder zuführen Vorsicht bei thermischen Anwendungen! Verbrennung, Wärmestau oder Unterkühlung ausschließen! Vorsicht bei der Anwendung bei Kindern! Ätherische Öle können durch die Aufnahme über Mund oder Nase einen Atemstillstand hervorrufen. Deshalb unbedingt verdünnen und nur nach Gebrauchsanweisung verwenden. Auf stark wirksame Öle wie Eukalyptus, Kampfer, Thymian komplett verzichten.

41

Perioperative Pflege

ärztliche Aufklärung und Einwilligung

Dokumentation auf Vollständigkeit prüfen psychische Betreuung Einüben Post-OPFähigkeiten

bei der Diagnostik unterstützen

ggf. Darmreinigung Nüchternheit Prä-OPPflege

Drainagenwechsel Verbandwechsel

Maßnahmen am OP-Tag

Umgang mit Drainagen

pflegerische Schwerpunkte

Farbe

Körperreinigung und Hygiene

Hygiene

Prämedikation

ø Bodenkontakt, ø Diskonnektion

Thromboseprophylaxe Transport zum OP und Übergabe

Sekretbeobachtung Beimengungen

Menge

Kürzung der Haare im OP-Gebiet, keine Rasur!

Konsistenz

Post-OPPflege

Geruch

Abholen aus dem Aufwachraum

Patient muss wach und ansprechbar sein

pflegerische Schwerpunkte

Kostaufbau Körperpflege

Vitalzeichen sind stabil

Überwachung auf Station

Schmerzmanagement Medikation überwachen

ø Nachblutung Frühmobilisation

Ü-Bogen

Positionierung

Präoperative Pflege

41.1 Präoperative Pflege Unter perioperativer Pflege versteht man die pflegerische Versorgung eines Patienten vor der Operation (präoperative Phase), während der Operation (intraoperative Phase) und nach der Operation (postoperative Phase). Die präoperative Pflege wird entsprechend der Operationsdringlichkeit geplant. Handelt es sich um eine elektive (geplante) Operation, kann die Vorbereitung prästationär erfolgen, d. h., Untersuchungen und Aufklärungen werden ambulant durchgeführt. ● präoperative Diagnostik: Zu den allgemeinen präoperativen Voruntersuchungen gehören: Blutuntersuchung, Röntgen-Thorax, Lungenfunktionsprüfung und EKG. Die Ergebnisse der Untersuchungen dienen der Risikoeinschätzung und sie liefern Vergleichswerte für die postoperative Phase. ● Aufklärung und Einwilligung: Jede Operation ist im rechtlichen Sinne eine Körperverletzung. Deswegen ist es wichtig, dass der Patient dem Eingriff zustimmt und schriftlich sein Einverständnis gibt. Voraussetzung für die Einwilligung ist die ärztliche Aufklärung. Bei Kindern bis 16 Jahre geben die Erziehungsberechtigten oder die gesetzlichen Betreuer die Einwilligung. Jugendliche, die älter als







16 Jahre sind, können unter bestimmten Bedingungen selbst einwilligen. So müssen z. B. die Art und Schwere des Eingriffs berücksichtigt werden und der Arzt muss sich von der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Jugendlichen überzeugt haben. Bei Notfalloperationen, wenn die Patienten bewusstlos oder nicht ansprechbar sind, wird die mutmaßliche Einwilligung vorausgesetzt. präoperatives Einüben von Fähigkeiten: Bestimmte Fähigkeiten und Techniken können bereits präoperativ mit dem Patienten eingeübt werden, um postoperative Komplikationen zu vermeiden. Beispiele sind: Gehen mit Unterarmgehstützen, Umgang mit dem Rollstuhl, postoperative Mobilisation, Atemübungen (Atemtrainer nutzen). präoperative Darmreinigung: Art und Lokalisation des operativen Eingriffs bestimmen die Vorbereitung des Patienten (▶ Abb. 41.1). psychische Betreuung: vermittelt dem Patienten Sicherheit. Das empathische Auftreten und die Gesprächsbereitschaft der Pflegenden vermindern die Ängste des Patienten und wirken vertrauensfördernd. Weitere Beispiele hierfür sind: sachliche und nachvollziehbare Informationen, bewusste Atemübungen, Elemente aus dem autogenen Training, Aromatherapie, Lesen oder Musik.

Abb. 41.1 Präoperatives Abführen.

präoperatives Abführen Eingriffe im oberen Intestinaltrakt, z. B. Magen, Dünndarm, Galle

Eingriffe am Dickdarm

Eingriffe außerhalb des Intestinaltrakts OP

OP

2L 1L

2L

eventuell Laxans am Operationsvortag

1–2 Tage vor OP nur Trinknahrung

orthograde Darmlavage am Vortag

Brühe und Flüssigkeit bis zur OP OP

Miniklist am Vorabend

Bei einem Eingriff am Magen-Darm-Trakt ist eine gründliche Darmreinigung erforderlich. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Klistier mit Darmrohr am Vorabend

l 41

Perioperative Pflege ●

Zusammenstellen und Kontrollieren der Dokumentation: Am Vorabend der Operation muss die Patientendokumentation vollständig vorbereitet werden. Die Dokumentation umfasst: Patientenkurve, Einverständniserklärungen (Operation, Anästhesieverfahren), Anästhesieprotokoll inklusive Prämedikationsanordnung, alle aktuellen Befunde (Labor, Rö-Bilder, EKG usw.), ggf. präoperative Checkliste, Patientenidentifikationsarmband.





41.2 Maßnahmen am OP-Tag ●





präoperative Nüchternheit: Ein Überblick über die Anforderungen an Nahrungs-, Flüssigkeits- und Medikamentenkarenz gibt ▶ Abb. 41.2. Körperreinigung und Hygiene: Abhängig vom Zustand des Patienten und der präoperativ verfügbaren Zeit, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten der präoperativen Körperreinigung: z. B. Duschen, Teilwaschung/Ganzwaschung, Vollbad, Waschung mit Antiseptika. Bei allen Varianten gilt es, die in ▶ Abb. 41.3 genannten Aspekte zu beachten. Kürzung der Haare im OP-Gebiet: Die WHO rät davon ab, Haare im OP-Gebiet zu rasieren. Durch die Rasur können kleine Wunden in der Haut entstehen, die es Erregern ermöglichen, in den Körper einzudringen. Das Infektionsrisiko ist dadurch erhöht. Müssen die Haare im OP-Gebiet jedoch entfernt werden, sollte dies mit einer Haarschneidemaschine geschehen. Dabei ist auf Verletzungen zu achten.





Thromboseprophylaxe: Am OP-Tag selbst keine medikamentöse Thromboseprophylaxe. Je nach Hausstandard und Anordnung medizinische Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS) ausmessen und ggf. beim Anziehen unterstützen. Prämedikation: dient der Anxiolyse (Angstlösung) und Sedierung (Beruhigung). Der Anästhesist legt fest, welches Medikament (inklusive Dosierung und Zeitpunkt) der Patient erhält. Die Angaben hält er im Anästhesieprotokoll fest. Vor der Verabreichung der Prämedikation ist es wichtig, den Patienten darüber aufzuklären, dass er das Bett anschließend nicht mehr alleine verlassen darf (Sturzgefahr). Transport: Der Transport erfolgt meist auf Abruf. Davor muss die zuständige Pflegefachkraft die vorbereiteten Dokumente final prüfen, ggf. vervollständigen und die OPVorbereitungscheckliste unterschreiben. Nur eine examinierte Pflegefachkraft darf den prämedizierten Patienten in den OP fahren und wieder abholen (am besten zu zweit). Übergabe: Im Schleusenbereich findet die Übergabe statt. Der Patient muss mit seinem Namen begrüßt werden. Die Identität des Patienten wird zusätzlich anhand des Patientenarmbandes überprüft. Der geplante Eingriff wird genannt und ggf. die zu operierende Extremität markiert. Die Maßnahmen dienen der Qualitätssicherung und sollen eine Verwechslung vermeiden.

Abb. 41.2 Präoperative Nahrungskarenz.

Dauermedikation am Morgen auf Anordnung

KEINE blutverdünnenden Medikamente > 2 h vor der OP NICHT rauchen Medikation

präoperative Nüchternheit

> 2 h vor der OP KEINE Flüssigkeit

Nahrungskarenz ≥ 4 h vor der OP KEINE feste Nahrung

> 2 h vor der OP KEINE Bonbons oder Kaugummis

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

276

KEINE oralen Antidiabetika

Insulinabgabe auf Anordnung

Postoperative Überwachung und Pflege auf Station Abb. 41.3 Maßnahmen am OP-Tag in der Übersicht.

Nagellack entfernen, Nabelbereich und Hautfalten reinigen, Make-up entfernen, Schmuck und Piercings entfernen, MTpS anlegen, Prämedikation verabreichen danach Bettruhe

Zahnprothesen, Sehhilfen und Körperprothesen entfernen, OP-Unterlagen mitnehmen

Perücken und Haartoupets entfernen

Übergabe an das Operationspersonal

Einschleusen

am Operationstag

Transport zum OP

Operationsvorraum

OP

Übersicht über die wichtigsten Vorbereitungsmaßnahmen am OP-Tag. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

41.3 Postoperative Überwachung und Pflege auf Station ●





Aufwachraum: Die postoperative Pflege beginnt bereits im Aufwachraum. Der Patient wird engmaschig überwacht und bleibt so lange dort, bis eine ausreichende Spontanatmung, stabile Herz-Kreislauf-Verhältnisse, ein klares Bewusstsein, ausreichende Schutzreflexe, Normothermie und eine adäquate Schmerztherapie vorliegen. Abholen aus dem Aufwachraum: Bei der Übergabe erhält die Pflegefachkraft Informationen über den intraoperativen Verlauf (z. B. Besonderheiten? Komplikationen?) und den Zustand des Patienten im Aufwachraum (z. B. Schmerzen, erhaltene Medikamente, Infusionen, Katheter, Positionierung). Die Pflegefachkraft spricht den Patienten mit Namen an, erkundigt sich nach seinem Befinden, kontrolliert den Wundverband und Drainagen. Um die Sicherheit des Patienten zu gewährleisten, wird dieser immer zu zweit abgeholt (im Notfall kann eine Person beim Patienten bleiben und die zweite Hilfe holen). Überwachung auf Station: Bei der postoperativen Überwachung auf Station gilt es, die in ▶ Abb. 41.4 abgebildeten Faktoren zu beachten:

! Merke Überwachung

Die in ▶ Abb. 41.4 genannten Überwachungsmaßnahmen erfolgen zunächst in Intervallen von 30 Min. Ist der Zustand des Patienten stabil, kann das Intervall verlängert werden. Alle ermittelten Vitalparameter müssen in einem Überwachungsprotokoll (Ü-Bogen) dokumentiert werden. Abweichungen müssen unverzüglich dem behandelnden Arzt gemeldet werden. ●



Positionierung: Die postoperative Positionierung erfolgt nach Anordnung bzw. Klinikstandard. Frühmobilisation: Die frühzeitige postoperative Mobilisation dient der Thrombose-, Pneumonie- und Obstipationsprophylaxe. Die Pflegenden richten sich dabei nach der Kreislaufsituation, Art und Ausmaß der durchgeführten

Operation, hausinternen Standards und der ärztlichen Anordnung. Nach kleineren Eingriffen erfolgt die Frühmobilisation meist noch am selben Tag.

! Merke Vitalzeichen kontrollieren

Vor jeder Mobilisation Vitalzeichen kontrollieren! (Sturzgefahr!) ●



Körperpflege: postoperativ Teilwaschung und Mundpflege (Mundtrockenheit durch Nahrungskarenz) anbieten und ggf. dabei unterstützen. Kleidungswechsel anbieten (OP-Hemd gegen eigene Kleidung austauschen). postoperativer Kostaufbau: Der postoperative Kostaufbau richtet sich nach der Anästhesieart und der durchgeführten Operation. Nach Eingriffen am Magen-Darm-Trakt kann der Kostaufbau erst erfolgen, wenn z. B. die Gefahr der Anastomoseninsuffizienz nicht mehr besteht. Bis dahin wird der Patient parenteral ernährt. Nach allen anderen in Intubationsnarkose (ITN) durchgeführten Operationen gilt die ärztliche Anordnung zum Nahrungsaufbau.

41.3.1 Postoperative Schmerzmedikation Am OP-Tag erfolgt die Schmerzmittelgabe entsprechend der ärztlichen Anordnung meist parenteral. Bei größeren und schmerzintensiven Eingriffen beginnt man mit der Analgesie bereits präoperativ: ● PCA (patientenkontrollierte Analgesie): Der Patient kann sich selbst nach Bedarf mittels einer PCA-Pumpe i. v. oder über einen Periduralkatheter die vorab eingestellte Dosis eines Schmerzmittels applizieren. ● periphere Nervenblockaden: Diese Methode findet meistens in der Orthopädie Anwendung. Hierbei werden Nerven an bestimmten Stellen durch Applikation eines Lokalanästhetikums betäubt, entweder durch Injektion einer Einzeldosis oder über einen Katheter.

l 41

Perioperative Pflege Abb. 41.4 Patientenüberwachung.

Postaggressionssyndrom nach großen Traumata und OPs, Verbrennungen, schweren Infektionen • Tachykardie, Hypertonie • Tachypnoe mit oberflächlicher Atmung • erhöhte Körpertemperatur • Hyperglykämie • Abnahme des Serumkaliums • Durst und Oligurie • Appetitlosigkeit • Müdigkeit, Interesselosigkeit, Depression

Kreislaufsituation • Puls • Blutdruck • Atmung • Volumenmangel? • Hypoxie?

Schmerzen Schmerzerfassung z.B. mittels NRS

Orientierung und Bewusstsein • Narkoseüberhang? • neurologische Störungen?

Infusionstherapie laufende Infusionen kontrollieren

N

W

O

S

Körpertemperatur Resorptionsfieber bis 5 Tage nach der OP normal, Temperatur sollte nicht über 38,5 °C steigen • Wundinfektion? • Sepsis?

Kontrolle des Blutzuckerspiegels bei Diabetikern regelmäßige Blutzuckerkontrolle

Wundverband und Drainagen • Nachblutungen? • erhöhter Füllstand der Drainage?

Flüssigkeitshaushalt und Ausscheidung Wasserlassen bis spätestens 12 Stunden nach der OP • postoperative Harnretention? • Kontrolle der Ein- und Ausfuhr

Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015



278

Patientenbeobachtung: Da das Schmerzempfinden individuell ist, gehört es zu den Aufgaben der Pflegenden, die Patienten gezielt anhand folgender Kriterien zu beobachten: Schmerzintensität und -qualität, Bewusstsein, Sensibilität und Vitalparameter. Dies ist im Überwachungsprotokoll zu dokumentieren.

DMS-Kontrolle • Durchblutung • Motorik • Sensorik

Wunddrainagen

41.4 Wunddrainagen

KOMPAK T

Definition Wunddrainagen Drainagen sind flexible, weiche, oft perforierte Schläuche, die aus Wund-, Körper- oder Abszesshöhlen Sekret, Blut oder Eiter ableiten, um die Wundheilung zu fördern und Komplikationen zu vermeiden.

Perioperative Pflege ●

41.4.1 Drainagearten Es werden 2 Arten von Drainagen unterschieden: ● Drainagen mit Sog: Mittels Unterdruck in der Sekretflasche werden Wundflüssigkeiten und Blut durch die Sogwirkung (ca. 0,8 bar) kontinuierlich aus dem Gewebe abgesaugt (z. B. Redondrainage). ● Drainagen ohne Sog: Die Wirkung entsteht durch den Gewebedruck aufgrund der Schwerkraft. Durch den Höhenunterschied wird das Sekret in den Sekretbeutel gesogen und kann mithilfe des Auslassventils abgelassen werden (z. B. Robinson-Drainage oder Kapillardrainage [Gummilasche, Easy-Flow-Drainage oder Penrose-Drainage]). Des Weiteren kann unterschieden werden in: innere Drainagen: Sie werden operativ angelegt und dienen vor allem der Umgehung von inneren Hindernissen. ● äußere Drainagen: Sie werden wesentlich häufiger angelegt, die Ableitung erfolgt aus dem Körperinneren nach außen. ● offene Drainagen: Sekret wird über den Drainageschlauch oder Gummilasche in einen Verband geleitet. ● halboffene Drainagen: Sekret wird in einen angeschlossenen, wechselbaren Auffangbeutel abgeleitet. ● geschlossene Drainagen: Der Auffangbeutel ist untrennbar mit dem Drainageschlauch verbunden; durch ein Ventil wird der Reflux von Sekret in den Drainageschlauch verhindert.









41.4.2 Pflegerische Schwerpunkte Zu den pflegerischen Schwerpunkten bei liegender Drainage gehören: ● drainierte Flüssigkeit auf Menge, Farbe, Konsistenz, Beimengungen und Geruch kontrollieren und dokumentieren ● auf zugfreie, abgepolsterte, durchgängige und unter Körperniveau fixierte Ableitung achten ● bei Diskonnektion oder Leeren der Auffangbehälter hygienische Arbeitsweise beachten ● Patienten zum Umgang mit Drainagen aufklären und anleiten (kein Kontakt mit dem Fußboden, keine Manipulation) ● Bei Drainagen mit Sog auf den Vakuumindikator achten; zeigt er wenig Sog, Flasche umgehend wechseln. ● Verbandwechsel aseptisch durchführen, meist im Zusammenhang mit dem Verband der OP-Wunde, die zuerst zu verbinden ist. Dabei muss die Pflegefachkraft die Wunde und die Austrittsstelle der Drainage auf Entzündungszeichen inspizieren und dies dokumentieren.



Zu der präoperativen Pflege gehören: Diagnostik, Aufklärung und Einwilligung, Einüben postoperativer Fähigkeiten, Darmreinigung, psychische Betreuung des Patienten, Information des Patienten über die Nahrungskarenz sowie das Zusammenstellen und Kontrollieren der Dokumentation. Maßnahmen bzw. Aufgaben der Pflegenden am OPTag: Überwachung der präoperativen Nüchternheit, Kürzung der Haare, Körperreinigung und Hygiene, Thromboseprophylaxe, OP-Kleidung, Prämedikation, Transport und Übergabe im Aufwachraum Abholen aus dem Aufwachraum: Abholung nur zu zweit. Nur kreislaufstabile, ansprechbare und orientierte Patienten werden auf die periphere Station verlegt, sonst auf die Intensivstation. Pflege auf der Station: Überwachung von Kreislaufsituation, Körpertemperatur, Orientierung und Bewusstsein, Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS-Kontrolle), Flüssigkeitshaushalt und Ausscheidung, Blutzuckerkontrolle bei Diabetikern, Wundverband und Drainagen, Infusionstherapie, Kostaufbau, Frühmobilisation, Schmerzerfassung Umgang mit Wunddrainagen: Kontrolle von Menge, Farbe, Konsistenz, Beimengungen und Geruch der drainierten Flüssigkeiten inklusive Dokumentation, Durchgängigkeit und Fixierung sicherstellen, hygienische Aspekte beachten, bei Sogdrainagen Vakuum erhalten, Patienten im Umgang mit Drainagen anleiten

Wunddrainagen

41.4 Wunddrainagen

KOMPAK T

Definition Wunddrainagen Drainagen sind flexible, weiche, oft perforierte Schläuche, die aus Wund-, Körper- oder Abszesshöhlen Sekret, Blut oder Eiter ableiten, um die Wundheilung zu fördern und Komplikationen zu vermeiden.

Perioperative Pflege ●

41.4.1 Drainagearten Es werden 2 Arten von Drainagen unterschieden: ● Drainagen mit Sog: Mittels Unterdruck in der Sekretflasche werden Wundflüssigkeiten und Blut durch die Sogwirkung (ca. 0,8 bar) kontinuierlich aus dem Gewebe abgesaugt (z. B. Redondrainage). ● Drainagen ohne Sog: Die Wirkung entsteht durch den Gewebedruck aufgrund der Schwerkraft. Durch den Höhenunterschied wird das Sekret in den Sekretbeutel gesogen und kann mithilfe des Auslassventils abgelassen werden (z. B. Robinson-Drainage oder Kapillardrainage [Gummilasche, Easy-Flow-Drainage oder Penrose-Drainage]). Des Weiteren kann unterschieden werden in: innere Drainagen: Sie werden operativ angelegt und dienen vor allem der Umgehung von inneren Hindernissen. ● äußere Drainagen: Sie werden wesentlich häufiger angelegt, die Ableitung erfolgt aus dem Körperinneren nach außen. ● offene Drainagen: Sekret wird über den Drainageschlauch oder Gummilasche in einen Verband geleitet. ● halboffene Drainagen: Sekret wird in einen angeschlossenen, wechselbaren Auffangbeutel abgeleitet. ● geschlossene Drainagen: Der Auffangbeutel ist untrennbar mit dem Drainageschlauch verbunden; durch ein Ventil wird der Reflux von Sekret in den Drainageschlauch verhindert.









41.4.2 Pflegerische Schwerpunkte Zu den pflegerischen Schwerpunkten bei liegender Drainage gehören: ● drainierte Flüssigkeit auf Menge, Farbe, Konsistenz, Beimengungen und Geruch kontrollieren und dokumentieren ● auf zugfreie, abgepolsterte, durchgängige und unter Körperniveau fixierte Ableitung achten ● bei Diskonnektion oder Leeren der Auffangbehälter hygienische Arbeitsweise beachten ● Patienten zum Umgang mit Drainagen aufklären und anleiten (kein Kontakt mit dem Fußboden, keine Manipulation) ● Bei Drainagen mit Sog auf den Vakuumindikator achten; zeigt er wenig Sog, Flasche umgehend wechseln. ● Verbandwechsel aseptisch durchführen, meist im Zusammenhang mit dem Verband der OP-Wunde, die zuerst zu verbinden ist. Dabei muss die Pflegefachkraft die Wunde und die Austrittsstelle der Drainage auf Entzündungszeichen inspizieren und dies dokumentieren.



Zu der präoperativen Pflege gehören: Diagnostik, Aufklärung und Einwilligung, Einüben postoperativer Fähigkeiten, Darmreinigung, psychische Betreuung des Patienten, Information des Patienten über die Nahrungskarenz sowie das Zusammenstellen und Kontrollieren der Dokumentation. Maßnahmen bzw. Aufgaben der Pflegenden am OPTag: Überwachung der präoperativen Nüchternheit, Kürzung der Haare, Körperreinigung und Hygiene, Thromboseprophylaxe, OP-Kleidung, Prämedikation, Transport und Übergabe im Aufwachraum Abholen aus dem Aufwachraum: Abholung nur zu zweit. Nur kreislaufstabile, ansprechbare und orientierte Patienten werden auf die periphere Station verlegt, sonst auf die Intensivstation. Pflege auf der Station: Überwachung von Kreislaufsituation, Körpertemperatur, Orientierung und Bewusstsein, Durchblutung, Motorik und Sensibilität (DMS-Kontrolle), Flüssigkeitshaushalt und Ausscheidung, Blutzuckerkontrolle bei Diabetikern, Wundverband und Drainagen, Infusionstherapie, Kostaufbau, Frühmobilisation, Schmerzerfassung Umgang mit Wunddrainagen: Kontrolle von Menge, Farbe, Konsistenz, Beimengungen und Geruch der drainierten Flüssigkeiten inklusive Dokumentation, Durchgängigkeit und Fixierung sicherstellen, hygienische Aspekte beachten, bei Sogdrainagen Vakuum erhalten, Patienten im Umgang mit Drainagen anleiten

42

Pflege bei Fieber

Infektionen

Wärme zuführen, zudecken Trinkmenge erhöhen (warme Getränke)

Verletzungen Tumoren

Zimmertemperatur anpassen

Schädigung des Nervensystems

Auslöser

Fieberanstieg

Wärmestau vermeiden, dünne Decke Ruhe und Entspannung

Temperatur > 38 °C

Warn- und Schutzfunktion Funktionen

Pflege in den Fieberstadien

Fieberhöhe

regt Immunsystem an Fieber

Trinkmenge erhöhen (kühle Getränke)

sehr hohes Fieber

Fieberabfall °C

Lysis: langsamer Abfall, großperliger, warmer Schweiß

hemmt Erregerwachstum

38 .9

Komplikationen

Vitalzeichen kontrollieren

Fieberdelir

Fieberkrämpfe

Krisis: schneller Abfall, kleinperliger, kalter Schweiß Schockgefahr

ca. 10 °C kälter als Körpertemperatur

fiebersenkende Maßnahmen

!

Wadenwickel

Fieber langsam senken

kühlende Maßnahmen

2–3-mal wiederholen Waschungen

schont den Organismus

nach 5–10 Min. wechseln

lauwarmes Wasser

Antipyretika, z.B. Verdunstungskälte nutzen Paracetamol

trockene Kälteanwendungen

vor Erfrierung schützen

max. 30 Min.

Ibuprofen

Intimsphäre lokal kühlen

z.B. Leistenregion

Pflegerische Maßnahmen

42.1 Grundlagen

Abb. 42.1 Messen allein reicht nicht.

Definition Fieber Erhöhung der Körpertemperatur (über 38 °C) infolge einer Sollwertverstellung im Wärmeregulationszentrum des Hypothalamus. ●

● ●

● ●



Fieber hat eine Warn- und Schutzfunktion. Es regt das Immunsystem an und dämpft gleichzeitig das Wachstum von Erregern. Verschiedene Ursachen können zu einer Sollwertverstellung im Wärmeregulationszentrum führen: infektiöses Fieber: z. B. bei Pneumonie resorptions- oder aseptisches Fieber: z. B. durch Gewebezerfall bei Operationen toxisches Fieber: z. B. Reaktion auf Medikamente Dehydrationsfieber: bedingt durch Flüssigkeitsmangel, besonders häufig bei Kindern und alten Menschen zentrales Fieber: z. B. in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas, durch Schädigung des Wärmeregulationszentrums

42.2 Pflegerische Maßnahmen ●



Ziele: Ursache(n) des Fiebers erkennen, Komplikationen vermeiden und Wohlbefinden fördern. Die Auswahl der pflegerischen Maßnahmen ist abhängig vom jeweiligen Fieberstadium. Die 3 Fieberstadien sind: Fieberanstieg, Fieberhöhe und Fieberabfall.

Ob fiebersenkende Maßnahmen notwendig sind oder nicht, ist nicht allein von der Höhe der Temperatur abhängig, sondern z. B. auch vom Allgemeinzustand des Patienten. Es muss immer individuell entschieden werden. Foto: A. Fischer, Thieme ●

● ● ●

42.2.1 Fieberanstieg Fieber kann langsam oder schnell ansteigen. Ein schneller Anstieg geht meist mit Schüttelfrost einher. Durch Muskelzittern versucht der Körper, Wärme zu produzieren. Der Patient friert, die Extremitäten sind kühl. Puls- und Atemfrequenz sind erhöht. Die Belastung für den Organismus ist hoch. Pflegerische Maßnahmen in dieser Phase sind: ● warme Kleidung anziehen und den Patienten zudecken ● Zimmertemperatur dem Wärmebedürfnis des Patienten anpassen ● angewärmte Kalt/Warm-Kompressen ● warme Getränke anbieten ● ggf. nach Anordnung Assistenz bei der Abnahme einer Blutkultur bzw. einer Urinkultur

42.2.2 Fieberhöhe In der Fieberhöhe hat der Körper seine höchste Temperatur erreicht. Dem Patienten ist heiß, Puls- und Atemfrequenz sind erhöht. Pflegerische Maßnahmen in dieser Phase sind: ● Ruhe ermöglichen ● Patienten nur leicht zudecken, um einen Wärmestau zu vermeiden (luftdurchlässige Bettwäsche) ● ggf. Unterstützung bei der Körperpflege oder der Mobilisation anbieten ● häufig kühle Getränke anbieten (viel trinken! Wichtig für den Kreislauf und um eine Exsikkose zu vermeiden; Ausscheidung beobachten, ggf. Flüssigkeitsbilanzierung) ● ggf. bei der Mund-, Lippenpflege unterstützen

Vitalzeichen (Temperatur, Puls, Blutdruck), Hautkolorit, Bewusstsein engmaschig überwachen (▶ Abb. 42.1) geeignete Prophylaxen durchführen Zimmer regelmäßig lüften (Zugluft vermeiden) ggf. nach Anordnung Gabe von Antibiotika, Infusionen, fiebersenkende Maßnahmen, bei Kopf- und Gliederschmerzen ggf. Schmerzmedikation

42.2.3 Fieberabfall Stellt der körpereigene Temperaturregler den Sollwert wieder nach unten, nutzt der Körper die Schweißproduktion, um sich wieder abzukühlen. Die Temperatur fällt, der Patient ist müde und erschöpft. ● Krisis: schneller Fieberabfall innerhalb weniger Stunden. Hohe Belastung kann zum Schock führen (lebensbedrohlicher Zustand)! Der Schweiß ist kleinperlig, kalt und klebrig. ● Lysis: langsamer Fieberabfall über mehrere Tage. Belastung ist geringer, Organismus hat Zeit für Umstellung. Der Schweiß ist großperlig und warm. Pflegerische Maßnahmen in dieser Phase sind: Ruhe ermöglichen ● häufig Getränke anbieten (viel trinken! Wichtig für den Kreislauf und um eine Exsikkose zu vermeiden; Ausscheidung beobachten, ggf. Flüssigkeitsbilanzierung) ● fiebersenkende Maßnahmen durchführen ● Vitalzeichen (Temperatur, Puls, Blutdruck), Hautkolorit, Bewusstsein engmaschig überwachen ● geeignete Prophylaxen durchführen ● verschwitzte Kleidung und Bettwäsche zeitnah wechseln ●

42.2.4 Fieber bei Kindern Hinter Fieber bei Kindern muss nicht immer eine ernste Erkrankung stecken (z. B. Fieber beim Zahnen). Ernste Erkrankungen wie z. B. eine Meningitis als Ursache für Fieber sollten zügig ausgeschlossen werden. Kinder neigen zu Fieber-

l 42

Pflege bei Fieber krämpfen und bedürfen in den Fieberphasen erhöhte Beobachtung und Überwachung. Ebenfalls sollte die Trinkmenge beobachtet und ggf. angepasst werden.

42.2.5 Fieber bei älteren Menschen Bei älteren Menschen ist der Fieberverlauf häufig weniger intensiv. So kann es sein, dass trotz einer ernsthaften Infektion (z. B. Pneumonie) nur leichtes Fieber entsteht (subfebrile Temperatur). Die Gefahr von Kreislaufproblemen, Exsikkose oder Nierenversagen ist erhöht. Trinkmenge beobachten und regelmäßig Getränke anbieten.

ACHTUNG

KOMPAK T Pflege bei Fieber ● ●





Bei sehr hohem Fieber können Schüttelfrost (starkes Muskelzittern), Fieberkrämpfe (bei Kindern meist tonisch-klonisch und generalisiert) und Fieberdelir (Anzeichen: Unruhe, Desorientierung, Halluzinationen) auftreten!





42.2.6 Fiebersenkende Maßnahmen Es gibt 2 Ansätze zur Senkung der Körpertemperatur: 1. Medikamente (Antipyretika): z. B. Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Ibuprofen und Metamizol 2. kühlende Maßnahmen: entziehen dem Körper Wärme; wärmeentziehende Maßnahmen sofort abbrechen bei Kreislaufproblemen, blasser oder kalter Haut, Unwohlsein (▶ Tab. 42.1)





Fieber hat eine Schutz- und Warnfunktion. 3 Phasen des Fiebers: Fieberanstieg, Fieberhöhe, Fieberabfall im Fieberanstieg den Anstieg der Körpertemperatur unterstützen, in der Fieberhöhe Wärmestau vermeiden und bei schnellem Fieberabfall auf Komplikationen achten und diesen entgegenwirken Starker Schüttelfrost, Fieberkrämpfe und Fieberdelir können bei sehr hohem Fieber und insbesondere bei Kindern und älteren Menschen vermehrt auftreten. Fiebersenkende Maßnahmen: Medikamente (Antipyretika) und kühlende Maßnahmen (z. B. Wadenwickel) kühlende Maßnahmen nur in Fieberhöhe und im Fieberabfall anwenden Fieber sollte nicht zu schnell gesenkt werden, um die Belastung für den Organismus gering zu halten. Engmaschige Beobachtung (Bewusstseinslage, Trinkmenge) bei Kindern und älteren Menschen

Tab. 42.1 Kühlende Maßnahmen bei Fieber. Maßnahmen

Durchführungshinweise

Wadenwickel

● ●

● ●

Waschungen



● ●

trockene Kälteanwendungen

● ● ●

282

2 Tücher in lauwarmem Wasser (ca. 10 °C kälter als die Körpertemperatur) tränken und auswringen. Nässeschutz für das Bett nutzen und Tücher locker und faltenfrei um die Waden wickeln. Patienten auf Wunsch zudecken. Wadenwickel nach ca. 5–10 Min. wechseln. Vorgang je nach Höhe des Fiebers 2–3-mal wiederholen. ACHTUNG: Bei Durchblutungsstörungen sind Wadenwickel kontraindiziert! Waschung mit lauwarmem Wasser durchführen, dabei nur zu waschende Körperteile aufdecken (Intimsphäre schützen, Auskühlung verhindern), an Extremitäten beginnen. Wenig abtrocken, Verdunstungskälte nutzen. Dem Waschwasser fiebersenkende Zusätze (z. B. Pfefferminztee oder ein Schuss Zitronensaft) zugeben. Lokale Kühlelemente z. B. in die Leistenregion legen (in die Nähe großer Blutgefäße). Tücher um Kühlelement wickeln, um lokaler Erfrierung vorzubeugen. Nach 30 Min. Maßnahme beenden, Körperstelle erst wieder kühlen, wenn sich diese wieder erwärmt hat.

43

Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Patienten

Diabetes mellitus Erkrankung besteht länger als 3 Monate

Polypharmazie

Depression

Wechselwirkungen

Osteoporose

langsam fortschreitend

Herausforderungen, z.B. Asthma/COPD

meist nicht heilbar Morbus Crohn

Durchblutungsstörungen

Patient hat mehrere Krankheiten gleichzeitig

Kennzeichen

Multiple Sklerose

chronische Erkrankung

z.B.

Krankheiten, die häufig mit Mehrfacherkrankungen einhergehen

Multimorbidität

Mukoviszidose

Krankheit aktiv begegnen

soziale Kontakte Patient = Experte seiner Erkrankung

z.B. Bewältigungsstrategien

Maßnahmen gemeinsam planen Folgeerkrankungen und Komplikationen vermeiden

Ziele

Lebensqualität erhalten

Ziele

Pflege

Normalität wiederherstellen

Folgeerkrankungen und Komplikationen vermeiden

Trajekt-Modell

Unabhängigkeit erhalten und fördern

ganzheitliche Sichtweise

Aufgaben, z.B. Alltag so normal wie möglich gestalten Selbstpflegekompetenz erhalten und stärken

Verlauf beobachten Pflegemodell

Krankheitsverlauf in 8 Phasen

Ressourcen aktivieren Corbin und Strauss

Empowerment

Der multimorbide Patient

43.1 Der chronisch kranke Patient

Abb. 43.1 Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung.

soziale Kontakte

43.1.1 Grundlagen

Normalität ermöglichen

Man spricht von einer chronischen Krankheit, wenn eine Erkrankung ● länger als 3 Monate andauert, ● langsam fortschreitet und ● oft nicht heilbar ist. Die Erkrankung kann in Schüben verlaufen, angeboren oder durch einen Unfall erworben sein. Es kann sich dabei um körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigungen handeln. Beispiele für chronische Krankheiten sind: ● Asthma ● Diabetes mellitus ● Multiple Sklerose ● Morbus Crohn ● Mukoviszidose ● Demenz ● Suchterkrankungen

Eigenverantwortung fördern

Bewältigungsstrategien können dabei helfen, die Folgen einer Erkrankung abzumildern und Normalität im Alltag wiederherzustellen (siehe Kap. 5.5.5). Pflegende können den Patienten dabei gezielt unterstützen (▶ Abb. 43.1).

Trajekt-Modell nach Corbin und Strauss Das Trajektmodell ist ein Pflegemodell, das den Verlauf chronischer Krankheiten in ihren unterschiedlichen Phasen beschreibt (siehe Kap. 4.6.5). Es betrachtet den chronisch kranken Menschen ganzheitlich über einen langen Zeitraum (auch über den Krankenhausaufenthalt hinaus, siehe Kap. Kap. 9.3.2).

43.1.2 Pflege eines chronisch kranken Patienten Ziel: größtmögliche Unabhängigkeit des Patienten ermöglichen und erhalten! Aufgaben der Pflege: ● patienten- und bedürfnisorientiert pflegen, persönliche Vorgehensweisen akzeptieren ● Vitalparameter regelmäßig kontrollieren ● Verlauf der Symptomatik beobachten ● Alltag so normal wie möglich gestalten, bestehende Ressourcen aktivieren

Selbstbewusstsein fördern positive Einstellung und realistische Ziele vermitteln

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

● ● ●

● ● ●

Bewältigungsstrategien – Coping

Selbstpflegekompetenz vermitteln

Symptome unter Kontrolle halten



Durch eine chronische Erkrankung können bleibende Folgen entstehen, die das berufliche, soziale und familiäre Leben des Betroffenen und seiner Angehörigen verändern. Nicht selten werden sie für den Rest ihres Lebens von anderen abhängig und im Verlauf pflegebedürftig. Als chronisch Kranker muss man lernen, mit seiner Krankheit zu leben. Dabei sind die eingeschränkte Lebenserwartung und die fehlende Heilungsaussicht besonders belastend für die Betroffenen.

Hobbys

Selbstpflegekompetenzen und Selbstwertgefühl erhalten oder verbessern Unterstützung bei der Entwicklung realistischer Ziele Informationen und Beratung (Empowerment) Zeit für pflegerische und therapeutische Maßnahmen einplanen interdisziplinär zusammenarbeiten Angehörige einbeziehen Balance zwischen Nähe und Distanz (mitfühlen, aber nicht mitleiden)

! Merke Experte sein

Chronisch kranke Menschen werden mit der Zeit zu Experten ihrer Krankheit und den individuellen Umgang damit. Für Pflegenden gilt es, diese Kompetenzen anzuerkennen und in die Pflege zu integrieren (auch wenn etwas von empirischen Erkenntnissen abweicht), siehe auch Kap. 5.5.3.

43.2 Der multimorbide Patient 43.2.1 Grundlagen Definition Multimorbidität Liegen bei einer Person mehrere Krankheiten gleichzeitig vor, spricht man von Multimorbidität oder auch Polymorbidität. Dieses Phänomen tritt meist im Alter auf, da das Risiko, mehrfach zu erkranken, mit zunehmendem Alter ansteigt. Es gibt viele Krankheiten, die nicht heilbar, aber medizinisch und pflegerisch gut behandelbar sind. Dadurch erreichen viele chronisch kranke und multimorbide Patienten ein hohes Alter.

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Pflege: Chronisch kranke und multimorbide Patienten

Herausforderungen von Multimorbidität

Aufgaben der Pflege

Mehrfacherkrankungen können zu ungünstigen Wechselwirkungen führen, die die Prognose für den Betroffenen verschlechtern können. Dies tritt z. B. auf, ● wenn sich Krankheit und Symptome gegenseitig verstärken oder ungünstig beeinflussen (abhängige Multimorbidität), z. B. bei Diabetes mellitus und Durchblutungsstörungen ● wenn die Einnahme mehrerer Medikamente zu unerwünschten Neben- oder Wechselwirkungen führt ● wenn sich pflegerische oder therapeutische Maßnahmen negativ auf Begleiterkrankungen auswirken ● wenn heilungsfördernde oder vorbeugende Maßnahmen behindert werden, z. B. Anziehen von Stützstrümpfen durch ein offenes Ulcus cruris



Krankheiten, die häufig mit Mehrfacherkrankungen einhergehen, sind z. B.: ● Hypertonie/koronare Herzkrankheit/Herzrhythmusstörungen ● Lipidstoffwechselstörungen (Fettstoffwechselstörungen) ● Gelenkarthrose/Gicht ● Diabetes mellitus ● Hyper-/Hypothyreose (Schilddrüsenüberfunktion/-unterfunktion) ● Asthma/COPD ● Varikosis (Krampfadern) ● Osteoporose ● Tumorerkrankungen ● Depression ● chronische Rückenschmerzen

43.2.2 Pflege eines multimorbiden Patienten ●



Kennzeichen von Multimorbidität: Krankheitsbelastung und Einschränkungen im Alltag sind hoch. Die Betroffenen sind zunehmend auf Hilfe angewiesen. Im Laufe der Zeit sinkt oft die Therapiebereitschaft, dadurch nehmen Risiken und Komplikationen weiter zu. Ziele der Pflege: Lebenssituation und Lebensqualität verbessern und Folgeerkrankungen und Komplikationen vermeiden













Prioritäten setzen: Pflege patientenorientiert planen, Maßnahmen abwägen, Gesamtkonzept aus den Maßnahmen entwickeln Patientenbeobachtung: Therapie- und Pflegemaßnahmen immer wieder neu evaluieren und ggf. aktualisieren Behandlungsoptionen abwägen: verschiedene Therapieoptionen gemeinsam abwägen, dabei Patienten umfassend informieren und aufklären Gesamtkonzept entwickeln: eng mit anderen Disziplinen zusammenarbeiten und regelmäßig Rücksprache zur aktuellen Situation halten Case Manager einsetzen: zur besseren Abstimmung evtl. Case Manager hinzuziehen (siehe Kap. 9.3.2) Patientenverfügung berücksichtigen: Patienten nach einer vorliegenden Patientenverfügung fragen bzw. über die Möglichkeit informieren, eine zu treffen Polypharmazie: Einnahme von mehr als 3 verschiedenen Wirkstoffen: – auf Neben- und Wechselwirkungen achten, z. B. Übelkeit, Schwindel – auf verordnungsgemäße Einnahme achten – regelmäßig mit dem Arzt Rücksprache halten, ob alle Medikamente notwendig sind, und Arzt informieren, wenn Probleme (z. B. Schluckstörungen) bei der Einnahme auftreten

KOMPAK T Pflege von chronisch kranken und multimorbiden Patienten ●











286

Chronische Krankheiten bestehen länger als 3 Monate, sind langsam fortschreitend und meist nicht heilbar. Das Trajekt-Modell beschreibt den Krankheitsverlauf in 8 Phasen. Pflegende haben die Aufgabe, den Betroffenen bei der Bewältigung der Krankheit zu unterstützen und eine größtmögliche Unabhängigkeit des Patienten zu erhalten und zu fördern. Der chronisch Kranke ist ein Experte seiner eigenen Krankheit und muss in die Maßnahmenplanung einbezogen werden. Liegen mehrere Krankheiten gleichzeitig vor, spricht man von Multimorbidität. Die größte Herausforderung dabei sind die Wechselwirkungen der Erkrankungen bzw. ihrer Medikationen. Ziel der Pflege ist es, bei chronischer Krankheit Folgeerkrankungen und Komplikationen zu vermeiden und so die Lebensqualität zu erhalten.

44

Pflege von Patienten mit malignen Tumoren

z.B. Tumormarker

z.B. HPV physikalisch oder chemisch

Mikroorganismen

Tumorfrüherkennung

Nachtschweiß

Gewichtsverlust

bildgebende Verfahren

Labor

Schmerzen

erblich

Staging und Grading

Blutung Ursachen, z.B.

Symptome, z.B.

Diagnostik,

kurativ

palliativ

maligne Therapieansatz

benigne

chirurgisch Tumoren Mund spühlen

Tumortherapie

Salbeitee

Mukositis

Speichelfluss anregen

Fatigue

sensible Kommunikation

Angst

Schmerzmanagement

Hyperpigmentation

medikamentös (Chemotherapie) Strahlentherapie Haarausfall Diarrhö

symptomorientierte Pflege, z.B.

Schmerzen

Übelkeit und Erbrechen Prophylaxe

Hornhautverdickung

NW Zytostatika, z.B.

orale Mukositis

psychosoziale Unterstützung

frühe Antimese!

3 Säulen

Knochenmarkdepression

Komplikationen

Thromboserisiko ↑ Frakturrisiko ↑

Infos zu Selbsthilfegruppen

Obstipation

Infektionsrisiko ↑

Rehabilitation

Hautreaktionen, z.B.

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

Depression, Ängste, Fatigue

Ernährung Exanthem Hygiene

Umgang mit Nebenwirkungen

Grundlagen

44.1 Grundlagen 44.1.1 Tumoren Definition Tumor = Geschwulst, Schwellung Benigne (gutartige) oder maligne (bösartige) Neubildung von Körpergewebe (▶ Tab. 44.1).

Ursachen Faktoren, die zur Tumorentstehung führen können, werden Kanzerogene genannt. Zu ihnen zählen u. a.: ● erbliche Faktoren: z. B. familiäre Häufung bei Brustkrebs ● physikalische Faktoren oder chemische Substanzen: z. B. UV-Strahlung, radioaktive Strahlung, Inhaltsstoffe von Tabak ● Mikroorganismen: z. B. Humanpapillomaviren (HPV) bei Gebärmutterhalskrebs

Ein Beispiel für eine Klassifikation könnte sein: „T 2 N0 M0: Tumor ist 2–5 cm, kein Lymphknotenbefall, keine Fernmetastasen“ Die Klassifikation über TNM bildet meist die Grundlage für das sog. „Staging“, die Bestimmung des Erkrankungsstadiums. Beim „Grading“ wird der Tumor charakterisiert, also das Ausmaß bestimmt, in dem das Tumorgewebe vom normalen Gewebe abweicht. Das Grading erfolgt über eine Gewebeprobe. Die Ergebnisse sind entscheidend für Therapie und Prognose. Es werden folgende Therapieansätze unterschieden: ● kurativ: Heilung der Erkrankung ● adjuvant: Therapie, die an die kurative Therapie anschließt, z. B. um ein erneutes Auftreten des Tumors zu verhindern ● palliativ: Eine Heilung ist nicht mehr möglich, Ziel sind die Verbesserung der Lebensqualität und die Verlängerung der Lebenszeit durch Symptomkontrolle.

44.1.2 Säulen der Tumortherapie

Symptome Tumoren verursachen oft erst spät Symptome, der Beginn ist oft schleichend. Anzeichen können sein: ● Schmerzen (z. B. durch raumforderndes Wachstum) ● Funktionsstörungen des betroffenen Organs (z. B. Konzentrationsstörungen bei Hirntumor) ● Blutungen (z. B. wenn der Tumor in ein Gefäß einwächst) ● Ischämiesymptome (z. B. wenn der Tumor Gefäße abdrückt) ● allgemeine Krankheitszeichen (z. B. Gewichtsabnahme, Anämie, Fieber, B-Symptomatik = gleichzeitiges Auftreten von Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsverlust)

Die Tumortherapie basiert auf 3 Säulen: 1. chirurgische Intervention: Entfernung von Gewebeteilen (Teilresektion) oder Entfernung des kompletten Organs (Resektion) 2. medikamentöse Therapie: Chemotherapie (Zytostatika), Hormontherapie, molekulare Therapie 3. Strahlentherapie: perkutane Bestrahlung, Brachytherapie, radioaktive Seeds Die 3 Säulen werden durch supportive Therapieansätze ergänzt. Sie dienen nicht primär der Heilung, sondern unterstützen den Genesungsprozess und mildern Nebenwirkungen ab, z. B. Nahrungsumstellung.

Diagnostik und Therapie Für Therapie und Prognose ist es wichtig zu wissen, wie schnell sich ein Tumor ausbreitet und wie aggressiv er wächst. Anhand der sog. TNM-Klassifikation kann die Ausbreitung einer Tumorerkrankung erfasst werden. Die Einschätzung erfolgt vor Beginn der Therapie. Den Buchstaben „T, N, M“ folgt immer eine Zahl, die das jeweilige Stadium kennzeichnet: ● T (Tumor): Größe und Ausbreitung des Primärtumors (T 1–T 4) ● N („nodus“, lat. „Knoten“): Fehlen (N0) oder Vorhandensein (N1–N3) von benachbarten Lymphknotenmetastasen ● M (Metastasen): Fehlen (M0) oder Vorhandensein (M1) von Tochtergeschwülsten in anderen Organen

Chirurgische Intervention Chirurgische Interventionen reichen von minimalinvasiven Operationen (z. B. Abtragen von Darmpolypen mittels Endoskop) bis hin zur kompletten Entfernung des betroffenen Organs und des angrenzenden Gewebes inkl. nahe liegender Lymphknoten (z. B. bei Mammakarzinom).

Chemotherapie Zytostatika sind kanzerogen (krebserzeugend), mutagen (erbgutschädigend) und reproduktionstoxisch (fortpflanzungsgefährdend). Sie haben Auswirkung auf alle sich schnell teilenden Zellen und hemmen das Zellwachstum. Im Umgang mit Zytostatika gilt es folgende Aspekte zu beachten:

Tab. 44.1 Merkmale gutartiger und bösartiger Tumoren. Gutartiger Tumor

Bösartiger Tumor

Tumorgewebe ähnelt dem Ursprungsgewebe

Tumorgewebe hat kaum Ähnlichkeit mit Ursprungsgewebe

wächst langsam

wächst schnell

verdrängt Nachbargewebe

zerstört Nachbargewebe

bildet keine Metastasen

durchbricht Basalmembran und bildet Metastasen

z. B. Darmpolyp

z. B. Mammakarzinom

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Pflege von Patienten mit malignen Tumoren ●







Vorbereiten zur Applikation: erfolgt ausschließlich durch geschultes Pflegepersonal über 18 Jahre, i. d. R. in einer Zentralapotheke. Die Infusion wird auf einer saugfähigen, flüssigkeitsdichten Unterlage gerichtet, dazu wird spezielle Schutzkleidung (flüssigkeitsdichte Handschuhe + Schutzkittel) getragen. Vorsichtsmaßnahmen während der Gabe: Der Arzt hängt die Infusion an. Pflegefachkräfte überwachen die Gabe und beobachten den Patienten auf mögliche Nebenwirkungen. Verhindern von Paravasat: Kommt es während der Chemotherapie zu einem Paravasat (Infusionsflüssigkeit fließt nicht in das Gefäß, sondern in das umliegende Gewebe), kann dies zu erheblichen Gewebeschäden führen. Deshalb sollten sich Patienten während der Chemotherapie möglichst wenig bewegen, um das Paravasat-Risiko zu reduzieren. Die Gabe erfolgt über einen zentralen Venenkatheter oder Port. Die Pflegefachkraft kontrolliert engmaschig auf Anzeichen einer Paravasation (z. B. Schmerzen, Brennen). Sollte es dazu kommen, Infusion sofort anhalten, Arm hochlegen, Paravasat-Set bereithalten und Arzt informieren. Entsorgung von Zytostatika: Alle Materialien, die in Kontakt mit Zytostatika gekommen sind, müssen getrennt in stichsicheren, bruchfesten und dichtschließenden Einwegbehältnissen entsorgt werden. Zur notfallmäßigen Reinigung bei verschütteten Zytostatika eignet sich z. B. das sog. „SpillKit“.

Strahlentherapie Ziel: Zerstörung von Tumorzellen. Die Zellteilung wird durch die Strahlentherapie gestört oder komplett verhindert. Die Strahlentherapie wirkt nicht systemisch, sondern nur lokal im Bereich des bestrahlten Feldes. Es werden 3 Formen der Strahlentherapie unterschieden: 1. perkutane Bestrahlung (Teletherapie): Der Tumor wird in mehreren Einzelsitzungen über einen Zeitraum von 6 Wochen durch die Haut bestrahlt (findet zu etwa 90 % statt). 2. Brachytherapie (Nahabstandsbestrahlung): Die Bestrahlung findet direkt am Tumor statt, dabei werden die Strahlenquellen in Körperhöhlen (meist gynäkologische Tumoren) eingeführt oder der Tumor mittels Hohlnadel gespickt (HNO-Tumoren, Prostatakarzinom). 3. permanente Spickung mittels radioaktiver Seeds: Sonderform (z. B. bei Prostatakarzinom), bei der die Strahlenquellen im Körper verbleiben. Der Patient gibt Strahlung ab, weshalb enger Körperkontakt vermieden werden sollte. Das Personal befindet sich während der Bestrahlung immer außerhalb des Bestrahlungsraums (Selbstschutz).

44.2 Pflegeprobleme in der Onkologie Abhängig vom Tumor und vom ausgewählten Behandlungsverfahren stehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Intensität und Häufigkeit der Nebenwirkungen sind sehr unterschiedlich und können je nach Schweregrad die Lebensqualität stark einschränken. Den Prophylaxen kommt daher eine große Bedeutung zu.

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44.2.1 Besonderheiten bei den Pflegebasismaßnahmen ●









Thrombosegefahr: Durch einen Tumor ist die Thrombosegefahr deutlich erhöht (z. B. durch tumoröse Gefäßkompression oder liegende Kathetersysteme). Mobilität: Durch Knochenmetastasen kann es zu einer Instabilität des Gewebes kommen, wodurch die Gefahr einer pathologischen Fraktur steigt. Infektionsrisiko: Auf konsequente Händedesinfektion (auch durch Besucher) und persönliche Hygiene achten, da das Infektionsrisiko bei Tumorpatienten sehr hoch ist. Haut, Mund und Intimbereich besonders sorgfältig pflegen, um Infektionen zu vermeiden. Patienten zu Maßnahmen der Pneumonieprophylaxe anleiten bzw. diese durchführen. Ernährung: möglichst ausgewogen und nach den Vorlieben des Patienten, auf eine ausreichende Energie- und Nährstoffzufuhr achten und ggf. hochkalorische Zusatznahrung oder ergänzende parenterale Ernährung anbieten. psychosoziale Unterstützung: Neben den körperlichen Problemen, die mit einer Tumorerkrankung einhergehen, sind die Patienten mit existenziellen Ängsten konfrontiert. Die psychosoziale Belastung kann über das sog. „Distress Thermometer“ erfasst werden. Pflegende unterstützen die Patienten dabei, die Krankheit zu akzeptieren, und begleiten sie bei der Therapie. Für andere in schwierigen Situationen da zu sein kann auch für Pflegende sehr belastend sein. Zusammenhalt und Austausch im Team können helfen, belastende Situationen besser zu bewältigen (siehe Kap. 8).

44.2.2 Übelkeit und Erbrechen Ursachen Sowohl Chemotherapie als auch Bestrahlung können zu Übelkeit und Erbrechen führen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Übelkeit und Erbrechen auftreten, ist abhängig vom emetogenen (Brechreiz erzeugenden) Potenzial der Wirkstoffe. Eine Kombinationstherapie (Therapie mit verschiedenen Zytostatika) erhöht das Risiko. Bei chemotherapieinduziertem Erbrechen und Übelkeit unterscheidet man zwischen einer ● akuten (innerhalb von 24 Std.), ● verzögerten (2–5 Tage später) und ● antizipatorischen (vor oder bei Therapiestart, meist ausgelöst durch frühere negative Erfahrungen mit Chemotherapie) Form. Strahlenbedingtes Erbrechen ist abhängig von der Lokalisation und der Größe der bestrahlten Fläche, hier tritt überwiegend die akute Form auf. Andere Ursachen für Übelkeit und Erbrechen können sein: ● im Magen-Darm-Trakt liegende Tumoren, die zu einer Passagenbehinderung führen ● Reizung des Brechzentrums durch einen Hirntumor oder Metastasen ● Hyperkalzämie bei Knochentumoren ● Urämie bei eingeschränkter Nierenfunktion ● „normale Ursachen“ wie verdorbene Lebensmittel, Magen-Darm-Infektion

Pflegeprobleme in der Onkologie

Therapie und Pflege

Symptome

Medikamentöse Therapie ● Antiemetika blockieren die Übelkeit auslösenden Botenstoffe. Es werden Serotonin-, Neurokinin- und DopaminRezeptor-Antagonisten unterschieden. ● Benzodiazepine wirken nur gering antiemetisch, aber angstlösend und sind besonders für die antizipatorische Form geeignet. ● Glukokortikoide verstärken die Wirkung von Antiemetika.

Von einer Fatigue spricht man, wenn mindestens 6 der in (▶ Abb. 44.1) dargestellten Symptome vorliegen.

Pflegerische Maßnahmen Medikamente zum verordneten Zeitpunkt verabreichen, auch wenn dem Patienten noch nicht übel ist ● angeordnete Bedarfsmedikation rechtzeitig anbieten ● Patientenbeobachtung auf Übelkeit, Erbrechen, Appetit und Ernährung + Info an Arzt und ggf. Therapieanpassung ● Übelkeit auslösende Faktoren vermeiden (unangenehme oder starke Gerüche, fettreiches Essen, große Mahlzeiten, schlechte Raumluft) ● dem Patienten raten, eher langsam zu essen ● Ingwertee, Pfefferminz- bzw. Zitronenbonbons wirken antiemetisch. ● Entspannungsmethoden oder Aromatherapie anbieten ● auf Flüssigkeitshaushalt achten ● für Ablenkung sorgen (z. B. Musik, Fernsehen) ● Hilfsmittel (z. B. Nierenschale) außer Sichtweite bereithalten und Erbrochenes schnell entsorgen ● Mundpflege anbieten, Patienten Hände und Gesicht waschen lassen ●

! Merke Antiemetische Therapie

Optimale antiemetische Therapie verhindert schlechte Erfahrungen und vermindert damit die Angst vor der nächsten Therapie und die Gefahr antizipatorischer Übelkeit. Zudem kann damit einer möglichen Mangelernährung vorgebeugt werden.

44.2.3 Fatigue Fatigue bezeichnet einen sehr hohen körperlichen und seelischen Erschöpfungszustand, der sich auch durch Erholungsmaßnahmen nicht verbessert. Die Patienten sind trotz ausreichenden Schlafs müde und erschöpft. Schätzungsweise leiden zwischen 60 % und 90 % aller Tumorpatienten zumindest zeitweise darunter, von Pflegekräften wird das Ausmaß der Problematik oft unterschätzt.

Ursachen Mögliche Ursachen sind maligne Erkrankungen selbst, aber auch deren Therapie und ihre Nebenwirkungen. Beispiele: ● Schmerzen ● Hormonmangel ● Schlafstörungen ● Mangelernährung ● psychische Faktoren (Angst, Depression) ● Muskelabbau (durch Mangel an körperlichem Training)

Therapie und Pflege Zur Behandlung der Fatigue ist eine multidisziplinäre Zusammenarbeit wichtig. Die Behandlung besteht u. a. aus: ● medikamentöser Therapie (Anämie, Vitamin- und Hormonmangel, Schmerzen) ● Psychotherapie ● Physiotherapie (aufbauendes Ausdauertraining) ● Gesprächstherapie ● Beratung über mögliche Strategien zum Umgang mit Fatigue: – körperliche Aktivität – Energietagebuch führen – Kräfte einteilen und Prioritäten setzen – wichtige (ausgleichende) Aktivitäten auf Tageszeiten verlegen, an denen man sich leistungsfähiger fühlt – auf erholsamen Schlaf achten – ausgewogene Ernährung Bei einer Fatigue in palliativen Situationen sollte kompensierend gepflegt werden, d. h., die Körperpflege wird übernommen, damit der Patient entlastet wird und er seine Energie für wichtigere Dinge nutzen kann.

44.2.4 Knochenmarkdepression Eine Knochenmarkdepression bezeichnet die Schädigung des blutbildenden Knochenmarks mit Zellteilungs- und Zellreifungshemmung aller Knochenmarkszellen.

Ursachen Es werden 3 Ursachen unterschieden: 1. Erkrankung geht vom Knochenmark selbst aus (Leukämie, siehe Kap. 59.4.2). 2. Metastasen oder Primärtumor im Knochenmark 3. Chemotherapie und Bestrahlung

Symptome Die Symptome einer Knochenmarkdepression sind i. d. R. sehr stark ausgeprägt und beeinflussen den Menschen in seiner Lebensführung. Häufige Symptome sind: ● Anämie (Mangel an Erythrozyten und Hämoglobin): Leistungsabfall, Müdigkeit, Atemnot, Tachykardie (siehe Kap. 59.3) ● Thrombopenie (Mangel an Thrombozyten): erhöhte Blutungsgefahr, v. a. an Schleimhäuten von Mund und Nase, im Gastrointestinaltrakt und der Haut (Petechien) ● Leukopenie (Mangel an Leukozyten): erhöhte Infektionsgefahr; Gefahr von rezidivierenden Infekten und Fieber

l 44

Pflege von Patienten mit malignen Tumoren Abb. 44.1 Symptome der Fatigue. temporäre Schlaflosigkeit

Konzentrationsschwäche ständige Müdigkeit (ohne Besserung durch Schlaf)

Störung des Kurzzeitgedächtnisses Antriebslosigkeit

Reizbarkeit

Niedergeschlagenheit

Frustration

Übelkeit nach Anstrengung

Gliederschmerzen

Muskelschmerzen

Schwierigkeiten, den Alltag zu meistern

Muskelschwäche

Teufelskreis Antriebslosigkeit – Ruhebedürfnis

– +

Leistungsfähigkeit

Fatigue betrifft den Patienten ganzheitlich und hat direkten Einfluss auf seine Lebensqualität. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Therapie und Pflege Bei einer Leukämie zielt die Therapie darauf ab, durch Chemo- oder Strahlentherapie alle Knochenmarkszellen und damit auch alle Tumorzellen zu zerstören. Produziert das Knochenmark im Verlauf wieder selbst gesunde Zellen, ist die Therapie erfolgreich und keine Stammzelltransplantation notwendig. Bei Anämie ● Zur Stimulation des Erythrozytenwachstums erhält der Patient Erythropoetin (synthetisch hergestellter Wachstumsfaktor), alternativ ist auch die Transfusion von Erythrozyten möglich. ● Kreislaufsituation beobachten und Vitalzeichenkontrolle (inkl. Atmung), ggf. Sauerstoffgabe ● körperliche Anstrengungen und Stress vermeiden ● Ruhephasen einhalten und Hilfe anbieten Bei Thrombopenie Sturz- und Obstipationsprophylaxe durchführen ● auf Zeichen einer Blutung achten, inkl. Bewusstseinskontrolle wegen möglicher intrazerebraler Blutungen ● Maßnahmen vermeiden, durch die die Gefahr einer Blutung besteht: Injektionen, Blasenkatheterisierung, rektale Gabe von Medikamenten, Nassrasur, Zahnpflege mit harter Zahnbürste, Blutdruckmanschette nur so hoch wie nötig aufpumpen ●

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dem Patienten raten, sich nur vorsichtig zu schnäuzen, Nasenpflege durchführen bei Gabe von Medikamenten, die die Blutung zusätzlich beeinflussen (ASS, Heparin), Rücksprache mit dem Arzt halten

Bei Leukopenie 2-mal täglich Körpertemperatur messen, bei Fieber sofort Info an Arzt (Sepsisgefahr!) ● Zugänge (z. B. Port) auf Infektionszeichen (Rötung, Schwellung, Schmerz, Wärme, Funktionseinschränkung) prüfen ● hygienische Maßnahmen inkl. Mund- und Körperpflege, Händedesinfektion sorgfältig durchführen (Patienten und Angehörige anleiten) ● Besucher/Personal mit einem Infekt sollten Zimmer nicht betreten ● Patient sollte keine Blumen oder Topfpflanzen im Zimmer haben (Bakterien-/Sporenübertragung) ● Bettwäsche alle 2 Tage wechseln ● keimarme Kost anbieten bzw. darüber aufklären (nur geschälte oder abgekochte Lebensmittel) ● ggf. Umkehrisolation einleiten (bei stark erniedrigter Leukozytenzahl) ● Patient soll Menschenansammlungen meiden, ggf. Mundschutz und Kittel außerhalb des Zimmers tragen ●

Pflegeprobleme in der Onkologie

44.2.5 Orale Mukositis Ursachen Schleimhautzellen sind aufgrund ihrer kurzen Lebensdauer (10–14 Tage) sehr anfällig für Zytostatika und Bestrahlung. Besonders empfindlich ist die Mundschleimhaut. Durch Chemotherapie oder Bestrahlung wird die Zellwand dünner, es kommt dadurch ● schneller zu Verletzungen, ● die Zellen sind durchlässiger für Krankheitserreger, insbesondere für Pilze.









In Kombination mit einer schlechten Immunabwehr durch Leukopenie führt dies schnell zu einer Mukositis.

Symptome Die WHO unterscheidet 4 Schweregrade der Mukositis. Hauptsymptome sind: Schmerzen und Einschränkungen bei der Nahrungsaufnahme, die Schwere der Symptome ist dabei abhängig vom jeweiligen Schweregrad der Mukositis.

Therapie und Pflege Prophylaxe ● Patienten zur Mundpflege anleiten und motivieren, diese auch zu Hause weiter durchzuführen ● Mund regelmäßig anfeuchten und spülen (z. B. mit Salbeitee, Kochsalzlösung oder Wasser) ● keine austrocknenden Spüllösungen verwenden (z. B. Kamille oder alkoholhaltige Lösungen) ● zuckerfreie Bonbons oder Kaugummi zur Anregung des Speichelflusses anbieten ● die Mundschleimhaut regelmäßig auf Symptome beobachten bzw. den Patienten danach fragen Bei geschädigter Schleimhaut ● sobald Symptome (Rötung/Beläge/Schmerzen) auftreten, Spüllösungen mit Lokalanästhetika oder filmbildende Lösungen anbieten (v. a. vor dem Essen) ● bei eingeschränkter Nahrungsaufnahme Trinknahrung oder parenterale Nahrung anbieten ● ggf. Gabe von Traumeel zur Unterstützung der Wundheilung ● bei Pilzbefall Gabe von Antimykotika nach ärztlicher Anordnung ● nach Bedarf eine systemische Schmerztherapie einleiten

ACHTUNG Nach dem Gurgeln mit Lokalanästhetika besteht Aspirationsgefahr!

● ●

nahmen: Gabe von Schmerzmitteln, harnstoffhaltige Salben, kühle Kompressen allergische Reaktionen: z. B. Exanthem (Hautausschlag) oder Nesselsucht, kann in einen anaphylaktischen Schock übergehen (Kap. 59.7). Maßnahme: sofortige Info an Arzt Alopezie (Haarausfall): wird v. a. als psychisch belastend empfunden. Maßnahmen: Aufklärung über den zu erwartenden Haarausfall und Beratung über Möglichkeiten des Haarersatzes Nagelveränderungen: Nägel werden schneller brüchig, Bildung von Pigmentflecken oder Vertiefungen. Hyperpigmentation: Dunkelfärbung der Schleimhaut/Haut Hyperkeratose: Verdickung der obersten Hornhautschicht Photosensibilisierung: Haut wird überempfindlich gegen UV-Licht. Patient soll nicht ungeschützt in die Sonne gehen.

44.2.7 Hautreaktionen bei Strahlentherapie Durch verbesserte technische Möglichkeiten werden bestrahlungsbedingte schwere Hautschäden immer seltener. Die Hautreaktion ist dosisabhängig und wird in 4 Grade unterteilt (nach RTOG/EORTC): ● Grad 0: keine Veränderung ● Grad 1: schwaches Erythem, trockene Abschuppung, Haarausfall, verringertes Schwitzen ● Grad 2a: ausgeprägtes Erythem ● Grad 2b: feucht schuppende Effloreszenz, moderates Ödem ● Grad 3: flächige Abschuppung, ausgeprägte Ödeme ● Grad 4: Ulzeration, Hämorrhagie, Nekrose

Pflege Hautirritationen können sehr unangenehm und schmerzhaft für den Patienten sein. Oft jucken die entsprechenden Stellen stark. Die pflegerische Unterstützung orientiert sich an der individuellen Situation und den Bedürfnissen des Patienten. Es ist wichtig, den Patienten über die Relevanz der Hautpflege und Maßnahmen zur Reduzierung der Hautreizung zu informieren. Grundsätzlich gilt: ● lockere, atmungsaktive Kleidung tragen, die nicht scheuert ● keine mechanische Reizung der Haut, z. B. durch Schmuck ● im bestrahlten Gebiet keine Deos oder alkoholhaltigen Cremes verwenden (Pflege mit speziellen Cremes!) ● bestrahlte Haut mit lauwarmem Wasser und ggf. einer milden Waschlotion oder Seife vorsichtig waschen ● Haut vorsichtig trocken tupfen, nicht reiben ● Vorsicht bei Wärme- oder Kälteanwendungen! Bestrahlte Haut reagiert sehr empfindlich.

44.2.6 Hautreaktionen bei Chemotherapie

44.2.8 Diarrhö

Unter einer Chemotherapie kommt es häufig zu reversiblen Reaktionen der Haut. Der Patient sollte über mögliche Veränderungen aufgeklärt werden, um Unsicherheiten zu vermeiden. ● Hand-Fuß-Syndrom: schmerzhaftes Erythem (Hautrötung) mit Schwellung und anschließender Abschuppung. Maß-

Zytostatika schädigen alle sich schnell teilenden Zellen, so auch die Zellen der Darmschleimhaut. Auch bei einer Bestrahlung kann es zur Diarrhö kommen (Strahlenenteritis). Man unterscheidet akute und verzögerte Diarrhöen. Es kann zu erheblichen Flüssigkeits- und Elektrolytverschiebungen kommen. Kann die Ursache der Diarrhö nicht behoben wer-

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Pflege von Patienten mit malignen Tumoren den, wird symptomatisch therapiert. Maßnahmen bei Diarrhö sind: ● Ersatz von Flüssigkeit: ggf. parenteral, Patienten zum Trinken motivieren ● diätetische Maßnahmen: leicht verdauliche, ballaststoffarme Kost anbieten ● medikamentöse Maßnahmen: Gabe von Antidiarrhoika (z. B. Loperamid)

44.2.9 Obstipation ●



Ursachen: Tumorwachstum, Stoffwechselstörungen (z. B. Hyperkalzämie, Dehydrierung), Strikturen nach Bestrahlung, unerwünschte Wirkungen von Medikamenten (z. B. Antiemetika, Opioide) Maßnahmen: begleitende Gabe von Laxanzien nach ärztlicher Anordnung sowie allgemeine Maßnahmen der Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. 21.3)

44.2.10 Umgang mit Schmerzen Die meisten Tumorpatienten leiden im Verlauf der Krankheit unter Schmerzen: ● durch den Tumor selbst, z. B. durch Knochenmetastasen, Nervenkompressionen oder Infiltrationen ● durch die Therapie, z. B. durch eine OP, orale Mukositis ● unabhängig vom Tumorleiden, z. B. Migräne, Arthrose Schmerzen und psychische Faktoren hängen oft eng miteinander zusammen (Angst vor voranschreitender Erkrankung, Angst vor Schmerzen). Therapiemaßnahmen sind: ● Schmerzerfassung: Patienten täglich nach Schmerzen fragen (z. B. mittels NRS) und nach Rücksprache Schmerztherapie umsetzen (siehe Kap. 37 „Schmerzmanagement“) ● nichtmedikamentöse Maßnahmen: Wärme- und Kältebehandlungen (siehe Kap. 40) oder Massagen z. B. können unterstützend wirken.

44.2.11 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Zwischen Diagnosestellung und Therapie liegt meist wenig Zeit. Die Betroffenen können sich Informationen in dieser Ausnahmesituation häufig nicht beim ersten Mal merken und benötigen daher öfter gezielte Informationen zum Ablauf und zu den Nebenwirkungen, der Therapie und darüber, wie sie sich verhalten sollen (z. B. Ernährung, Mundpflege). Angehörige sollten in Beratungs- und Informationsgespräche möglichst mit einbezogen werden, da auch sie häufig unsicher im Umgang mit dem Betroffenen sind. Beratungsinhalte können sein: ● Rehabilitationsmaßnahmen: Ziel ist die schnellstmögliche Wiedereingliederung in das Alltagsleben. Deshalb Sozialdienst frühzeitig hinzuziehen, um bestmögliche Unterstützung zu gewährleisten. ● Selbsthilfegruppen: Kontakt zu Selbsthilfegruppen herstellen, Infomaterialien aushändigen ● Sport: Regelmäßige Bewegung hat positive Auswirkungen auf die Lebensqualität. Patienten sollten sich in den ersten 24 Std. nach Chemotherapie, Mediastinal- oder Ganzkörperbestrahlung schonen. Dies gilt auch bei geringen Hä-

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moglobin- und Thrombozytenwerten (keine intensive körperliche Belastung). palliative Versorgung: Ist eine Heilung nicht mehr möglich, sollten Fachleute der Palliativmedizin hinzugezogen werden, um Betreuungsmöglichkeiten (ambulant, Palliativstation, Hospiz) zu besprechen.

KOMPAK T Pflege von Patienten mit malignen Tumoren ●





















Tumoren können in benigne (gutartige) oder maligne (bösartige) Neubildung von Körpergewebe unterteilt werden. Tumoren haben weder spezifische Ursachen (sondern kanzerogene Faktoren) noch spezifische Symptome (sondern diffuse Anzeichen) und sind daher zu Beginn schwer festzustellen. Da es für die Heilung wichtig ist, den Tumor möglichst früh zu erkennen, gibt es für die häufigsten Tumorarten Früherkennungsprogramme. Die Tumortherapie setzt sich aus chirurgischen Interventionen, medikamentöser Therapie (inkl. Chemotherapie) und Strahlentherapie zusammen. Zytostatika sind Gefahrenstoffe, die akute oder chronische gesundheitliche Schäden verursachen können, deshalb sollte besonders sorgfältig mit ihnen umgegangen werden. Durch die zelltoxischen Substanzen verursachen Zytostatika viele unerwünschte Wirkungen, v. a. dort, wo sich Zellen schnell teilen. Die Folgen sind u. a. orale Mukositis, Diarrhö, Knochenmarksdepressionen und Haarausfall. Fatigue bezeichnet einen Zustand hoher Erschöpfung, der durch die Erkrankung selbst und deren Therapie (inkl. Nebenwirkungen) entsteht. Er lässt sich auch durch Erholungsmaßnahmen nicht verbessern, weshalb die Betroffenen sehr darunter leiden. Neben einer kausalen medikamentösen Therapie wird der Patient zu möglichen Strategien für den Umgang mit der Fatigue beraten. Im Rahmen einer Knochenmarksdepression kann es zu einer Anämie, einer Thrombopenie und/oder einer Leukopenie kommen. Die meisten Tumorpatienten leiden unter Schmerzen, daher sind die regelmäßige Schmerzerfassung und ein adäquates Schmerzmanagement von hoher Bedeutung. Betroffene und ihre Angehörigen haben in dieser Zeit einen besonders hohen Beratungsbedarf. Dabei geht es v. a. um den richtigen Umgang mit möglichen Nebenwirkungen bzw. der Vorbeugung dagegen z. B. durch eine ausgewogene Ernährung und angemessene Hygiene. Darüber hinaus können Rehabilitationsmaßnahmen, Selbsthilfegruppen, aber auch palliative Versorgung thematisiert werden. Bei den meisten Betroffenen löst eine bösartige Tumorerkrankung existenzielle Ängste aus. Pflegekräfte sollten mit viel Einfühlungsvermögen und sensibler Kommunikation die Ängste in Erfahrung bringen und diese ggf. mit psychologischer Unterstützung aufarbeiten.

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Grundlagen der Intensivpflege

Extubation ZVD

PAK

Überwachung

Herzfrequenz

Flüssigkeitsbilanz

Weaning Blutdruck

Herz-/Lungendrücke

intrakranieller Druck

Sauerstoffsättigung

invasiv

Wundversorgung

NIV

Ernährung

Beatmung

Schmerzmanagement

elektiv Intubation

Überwachung, z.B.

notfallmäßig

Pflege, z.B. 1. Verbrennungsschock

IMC Intensivstation

Pflege von Brandverletzten

ICU Kommunikation Vertrauen schaffen

Sicherheit vermitteln

2. Respirationsphase 3. Verbrennungskrankheit

Orientierung geben

81 0 99

81

0.54

z.B. Haut Regelung durch Eurotransplant

Umkehrisolation

autolog postmortal

z.B. Niere

allogen

Transplantation

Infektionsprophylaxe, z.B.

strenges aseptisches Arbeiten

Lebendspende psychische Betreuung z.B. Herzklappe

xenogen geregelt durch Transplantationsgesetz (TPG)

postoperative Pflege, z.B.

Abstoßungsreaktion

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

Hygiene- und Ernährungsregeln Lebensstil Immunsuppressiva

Intensivstation

45.1 Intensivstation Auf Intensivstationen werden die Vitalfunktionen von vital gefährdeten Patienten kontinuierlich überwacht, wenn nötig unterstützt (z. B. durch Beatmung) oder auch Funktionen einzelner Organe ersetzt (z. B. mit Hämodialyse). Einteilung von vital gefährdeten Patienten: ● Überwachungspatient: Patienten mit potenziellen vitalen Gefährdungen zur vorsorglichen Überwachung und Risikominimierung, z. B. nach großen OPs, bei kardialen und pulmonalen Problemen ● kritisch Kranke: Patienten mit akuten vitalen Gefährdungen, z. B. Frühgeborene, Patienten mit Verbrennungen, Schock, Sepsis, Polytrauma, Koma, Blutungen, neurologischen Störungen oder Intoxikationen





45.1.1 Intensiveinheiten ●



Intermediate Care Stations (IMC): Intensivüberwachungsstationen: für Patienten, die zwar überwachungspflichtig sind, aber nicht die aufwendige Intensivversorgung benötigen, also z. B. nicht beatmet werden müssen, keine Katecholamine benötigen Intensive Care Units (ICU): Intensivstationen bzw. Intensivtherapiestationen (High Care): für Patienten, die eine Intensivversorgung benötigen, z. B. mit Beatmung, Nierenersatzverfahren

45.1.2 Möglichkeiten der Überwachung Auf Intensivstationen gibt es viele Parameter, die überwacht werden können (z. B. Blutdruck, Sauerstoffsättigung, zentraler Venendruck). Zentraler Grundsatz: immer erst den Patienten anschauen – dann den Monitor. ● Sauerstoffsättigung: Die periphere Sauerstoffsättigung (SaO2) misst, wie viel Prozent des Hämoglobins mit Sauerstoff behaftet sind. Dies wird meist mittels eines Clips an der Fingerkuppe oder am Ohrläppchen (Pulsoxymetrie) gemessen. Es werden Werte zwischen 90 % und 100 % angestrebt, je nach Vorerkrankungen z. B. bei COPD (90 %). Pflegende überwachen zusätzlich den klinischen Zustand des Patienten: Dyspnoe, Zyanose, Vigilanz. ● Blutdruck: Der Blutdruck (RR) wird entweder über eine Manschette automatisch innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls gemessen oder mit invasiver Methode. Bei der invasiven Methode (nur bei kritisch Kranken) wird eine Kanüle in eine Arterie gelegt (z. B. in die A. radialis). Ein sog. Druckwandler rechnet die ankommenden Pulswellen in RR-Werte um. Gleichzeitig kann mit dieser Methode auch der Mitteldruck (mittlerer arterieller Blutdruck; MAD) ermittelt werden. Er gibt Auskunft über die Durchblutung in den Kapillaren. Unter einer schlechten kapillaren Durchblutung leiden z. B. die Nieren (sichtbar an verminderter Urinausscheidung). Müssen Katecholamine verabreicht werden, muss eine invasive Blutdruckmessung erfolgen. Katecholamine sind stark kreislaufwirksame Substanzen: Adrenalin (z. B. zur Steigerung der Herzfrequenz), Noradrenalin (z. B. zur Erhöhung des Blutdrucks), Dobutamin (z. B. zur Steigerung des Herzzeitvolumens).











Herzfrequenz: Durch ein EKG-Kabel wird der Herzschlag kontinuierlich abgeleitet und am Monitor angezeigt. Bei Herzrhythmusstörungen (z. B. Kammerflimmern, supraventrikuläre Tachykardie) gibt der Monitor Alarm. Herzdrücke/Lungendrücke: – zentraler Venendruck (ZVD): Über einen ZVK kann der ZVD erfasst werden. Er gibt Auskunft über den Druck im rechten Vorhof und über das Blutvolumen im Körper. Die Messung ist indiziert z. B. bei Herzbeuteltamponade, Infusionstherapie. – PiCCO: Dazu benötigt der Patient eine arterielle Kanüle oder einen ZVK. Das System ermöglicht Aussagen über die Schlagkraft und das Schlagvolumen des Herzens und über den Druck in den Gefäßen (Anwendung z. B. nach herzchirurgischen Eingriffen). – Pulmonaliskatheter (PAK): Der PAK ist komplikationsreicher als ein PiCCO (erhöhte Thrombosegefahr!). Er kann Auskunft über die Drücke in den Lungengefäßen liefern, was z. B. wichtig ist bei Versagen des rechten Herzens. Temperatur: Über Sonden, die z. B. anal, nasal oder oral liegen, kann die Temperatur des Patienten am Monitor überwacht werden. Teilweise sind diese Systeme auch in Blasenverweilkatheter oder Magensonden integriert. Ausscheidung: Die Urinausscheidung erfolgt meist über einen Blasendauerkatheter mit Stundenurimeter. Auch andere Ausscheidungen (Wundsekret, Magensaft, Stuhlgang etc.) werden kontinuierlich überwacht. intrakranieller Druck (ICP): Über die intrakranielle Druckmessung lässt sich der Druck im knöchernen Schädel bestimmen. Notwendig bei Patienten mit Schädel-HirnTrauma (SHT) oder intrakranieller Drucksteigerung z. B. durch einen Tumor oder eine Blutung. Über die Sonden kann Flüssigkeit abgelassen und dadurch der Druck im Schädel vermindert werden. intraabdomineller Druck (IAP): Der IAP kann z. B. mit einem liegenden Blasenkatheter gemessen werden. Notwendig bei entzündlichen Prozessen im Bauchraum oder akuten Blutungen. Blutgasanalyse (BGA): Die BGA liefert wichtige Werte der O2- und CO2-Konzentration im Blut. Das Blut kann arteriell (über eine Kanüle), peripher (Ohrläppchen, Finger) oder venös/zentralvenös (über einen ZVK) entnommen werden. Die Werte unterscheiden sich, je nachdem wo das Blut abgenommen wurde.

45.1.3 Intubation ●









Durch die endotracheale Intubation können die Atemwege gesichert werden. Der Tubus ermöglicht die invasive Beatmung mittels Respirator und die endotracheale Absaugung. Es kann orotracheal (durch Mund) oder nasotracheal (durch Nase) intubiert werden. elektive Intubation: geplante Intubation bei Verschlechterung des Allgemeinzustands notfallmäßige Intubation: bei akuter Verschlechterung des Allgemeinzustands

l 45

Grundlagen der Intensivpflege

45.1.4 Beatmung

45.1.6 Kommunikation

Jede Intensivstation hat Möglichkeiten zur künstlichen Beatmung.

Die kontinuierliche Überwachung und die intensive Pflege auf Intensivstationen geben vielen Patienten Sicherheit. Die vielen Störungen (z. B. durch therapeutische Maßnahmen, Lärm) werden aber auch als unangenehm und beängstigend empfunden. Daher ist es besonders wichtig, ihnen Halt, Sicherheit und Orientierung zu vermitteln (▶ Tab. 45.1).

Invasive Beatmung • Mittels Respirator (Beatmungsgerät) und Tubus: ● vollkontrollierte Beatmung: Die Maschine übernimmt die Atmung komplett. ● assistierte Beatmung: Patient kann unter der Beatmung eigene Atemzüge machen. Abhängig vom Krankheitsbild kann der Respirator so eingestellt werden, dass er in einem bestimmten Zeitraum ein definiertes Volumen in die Lungen gibt (volumenkontrollierte Beatmung) oder dass er den Luftstrom in den Patienten hinein oder aus ihm heraus zulässt, bis ein eingestelltes Druckniveau erreicht ist (druckkontrollierte Beatmung). Anfeuchtung: Da intubierte Patienten ihre Atemluft nicht über die Schleimhäute anfeuchten können, sind im Schlauchsystem der Beatmungsmaschine Filter zusammengeschaltet, die diese Aufgabe übernehmen. Pflegende wechseln diese Filter i. d. R. alle 24 Stunden.

45.2 Pflege von Brandverletzten Unter bestimmten Voraussetzungen müssen Patienten mit einer thermischen Verletzung auf der ICU behandelt werden: z. B. Kinder unter 8 Jahren, Patienten mit mehr als 15 % zweitgradig verbrannter Körperoberfläche bzw. mehr als 10 % drittgradig verbrannter KOF.

45.2.1 Spezielle Ausstattung ● ●

Nicht invasive Beatmung (NIV) • Mittels Respirator und Maske bzw. Helm. Die eng anliegenden Masken ähneln den SchlafApnoe-Masken. NIV eignet sich gut bei (akuter) Ateminsuffizienz, um eine Intubation zu umgehen.





45.1.5 Weaning Beim Weaning wird der Patient vom Beatmungsgerät entwöhnt. Ziel ist es, die Spontanatmung wiederherzustellen. ● Voraussetzung: u. a. ausreichender Atemantrieb, stabile Vitalparameter ● Vorgehen: Die Atemunterstützung durch den Respirator wird allmählich verringert. Die Entwöhnung kann wenige Stunden (z. B. nach einer OP) oder auch Tage bis Wochen andauern (z. B. bei Langzeitbeatmeten, bei Atemwegserkrankungen). ● intensive Überwachung: bei Tachypnoe, Tachykardie, Hypertonie, Kaltschweißigkeit sofort Arzt rufen ● Extubation: Bei ausreichender Spontanatmung kann der Tubus entfernt werden.

Einzel- oder Zweibettzimmer Zutritt nur mit steriler Kleidung, da eine stark erhöhte Infektionsgefahr für den Betroffenen besteht speziell klimatisierte Räume (Temperaturen 30–35 °C, erhöhte Luftfeuchtigkeit), da die Gefahr unzureichender Thermoregulation besteht In den Zimmern herrscht ein Überdruck, damit keine Keime eindringen können.

45.2.2 Verbrennungskrankheit Bei ausgedehnten thermischen Verletzungen kommt es zur Verbrennungskrankheit. Die ausgedehnten Verbrennungen führen im Verlauf zu weiteren systemischen Schäden an Organen und Organsystemen. Es entsteht ein schweres, lebensgefährliches Krankheitsbild. Eingeteilt wird die Erkrankung in 3 Phasen:

1. Phase: Verbrennungsschock (ca. 1.–3. Tag) ●

Über großflächige Wunden verliert der Körper viel Flüssigkeit (Exsudat); zudem verdunstet vermehrt Wasser über die verletzte Haut (Evaporation). Der Organismus verschiebt deshalb Flüssigkeit aus den Gefäßen in das Gewebe; als Reaktion auf Entzündungsmediatoren bilden sich massive Ödeme.

Tab. 45.1 Kommunikation mit Patienten und Angehörigen auf Intensivstationen. Patient*

Angehörige

Vertrauen schaffen

persönlich vorstellen, klar ansprechen, zuhören und reagieren

einbeziehen, zuhören und erklären, transparent bleiben

Sicherheit vermitteln

Handlungen erklären, Gegebenheiten des Umfelds erklären

Wartezeiten begründen, Gespräche anbieten

Orientierung geben

zeitliche und räumliche Orientierung geben

allgemeine Informationen zur Station liefern

*Kommunikationsaspekte gelten für wache, ansprechbare wie auch für intubierte, bewusstlose/sedierte Patienten.

298

Pflege bei Transplantationen ●



Um die Durchblutung intakter Körperregionen sicherzustellen, kann ein Entlastungsschnitt (Escharotomie) erforderlich sein (z. B. an Extremitäten, Thorax). Therapie: Volumenmangel ausgleichen durch die Gabe von kolloidalen und kristalloiden Infusionen. Teilweise werden Patienten analgosediert, intubiert und beatmet. Wundversorgung sowie Temperaturregulation sicherstellen.

2. Phase: Resorptionsphase (ca. 2.–8. Tag) ●



Der Körper versucht nach 24–48 Stunden, die Ödeme rückzuresorbieren. Therapie: Diuretika-Gabe zur Rückresorption und Förderung der Ausscheidung, Flüssigkeitszufuhr reduzieren und Bilanz erstellen. Gabe von Elektrolyten und Eiweißen.

3. Phase: Verbrennungskrankheit (8. Tag bis zur Wundheilung) ●



Der Metabolismus ist gesteigert: Der Körper versucht, Verletzungen zu heilen und Wärmeverlust zu kompensieren. Symptome: ausgeprägtes Krankheitsgefühl, Fieber (Resorptionsfieber), erhöhter Sauerstoffverbrauch mit gesteigerter Ventilation, erhöhter Energieverbrauch (Ernährung)

45.3 Pflege bei Transplantationen Bei der Transplantation wird ein Organ oder Organteil oder ein Gewebe an eine andere Stelle des Körpers oder auf ein anderes Lebewesen übertragen. ● autologe Transplantation: Transplantation findet am selben Körper statt, d. h., es wird beispielsweise Haut von einer Körperstelle an eine andere Stelle transplantiert (z. B. nach Verbrennungen). Auch kann z. B. ein Herzkranzgefäß durch eine Beinarterie ersetzt werden. ● allogene Transplantation: – postmortale Spende: Organe oder Gewebe werden von einem hirntoten Spender auf einen Empfänger übertragen. – Lebendspende: Ein Mensch kann Teile seiner Leber oder eine seiner Nieren an einen Empfänger spenden. Der Spender muss volljährig und einwilligungsfähig sein, zudem muss er ein naher Verwandter sein oder in enger Beziehung zum Betroffenen stehen. ● xenogene Transplantation: Hier werden Organe oder Gewebe zwischen zwei verschiedenen Arten transplantiert, z. B. Schweineklappen als Herzklappenersatz beim Menschen.

45.3.1 Gesetzliche Regelungen 45.2.3 Pflegerische Aufgaben Eine Verbrennungskrankheit ist lebensbedrohlich, deshalb müssen Patienten intensivmedizinisch überwacht werden. Hygienisches Arbeiten ist essenziell, da die Sepsis eine häufige tödliche Komplikation ist. Die wichtigsten Aufgaben für Pflegende sind: ● Überwachung: engmaschige Kontrolle der Kreislaufparameter, Oxygenisierung, Temperatur und Vigilanz des Patienten ● Flüssigkeitsbilanz: Toxische Zerfallsprodukte werden über die Nieren ausgeschieden. Daher muss die Diurese stündlich überwacht und die Flüssigkeitszufuhr bilanziert werden. So kann ein drohendes akutes Nierenversagen frühzeitig erkannt werden. Der Urin ist bei Verbrennungspatienten häufig dunkelbraun bis schwarz (Farbe durch frei gewordenes Myo- und/oder Hämoglobin). ● Positionierung: häufig Spezialbetten, je nach Verbrennungsphase müssen z. B. Extremitäten bei Ödembildung hochgelagert werden. ● Schmerzkontrolle: Mithilfe von Assessmentinstrumenten (Kap. 37.2.1) erfassen Pflegende die Schmerzsituation des Patienten und verabreichen nach Arztanordnung Analgetika. Verbrennungen 1. und 2. Grades sind besonders schmerzhaft. ● Wundversorgung: unter sterilen Bedingungen, bei ausreichender Analgesierung, engmaschige Kreislaufkontrolle ● Ernährung: Aufgrund des Hypermetabolismus benötigt der Körper v. a. Eiweiße und Kohlenhydrate. Bei wachen Patienten: orale Ernährung. In der Akutphase: ggf. zusätzliche parenterale Ernährung. ● Bewegung: Frühe Mobilisation ist wichtig (Analgosedierung!), da durch schmerzbedingte Schonhaltung verkürzte Narben entstehen: Es droht dauerhafte Bewegungseinschränkung, Muskeln und Sehnen verkürzen sich.

Die Rahmenbedingungen, unter denen eine Organübertragung legal ist, regelt in Deutschland das Transplantationsgesetz (TPG). Es sorgt u. a. für eine Chancengleichheit unter den Empfängern und wirkt kommerziellen Interessen entgegen.

Postmortale Spende Rechtliche Voraussetzung: ● die eindeutige Feststellung des Hirntods des Spenders durch 2 Ärzte sowie ● die mündliche oder schriftliche Einwilligung des Spenders, z. B. durch einen Organspendeausweis Die Vermittlungsstelle Eurotransplant und die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) regeln die Organvergabe. An Eurotransplant sind die Länder Deutschland, Belgien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Slowenien, Kroatien und Ungarn beteiligt. Nach bestimmten Kriterien wird der ideale Empfänger für das jeweilige Organ ermittelt. Dabei spielen medizinische und ethische Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle.

Wichtige Kriterien für die Organvergabe ●







Blutgruppenkompatibilität: Blutgruppen müssen übereinstimmen. Gewebeverträglichkeit: Bei manchen Organen müssen bestimmte Antigene übereinstimmen. Konservierungszeit des Organs: Je kürzer das Organ konserviert werden muss, desto besser. Wartezeit des Empfängers: je länger die Wartezeit eines Empfängers, desto höher die Chance

l 45

Grundlagen der Intensivpflege ●

Dringlichkeit: Nach dem Allgemeinzustand des Empfängers wird die Dringlichkeit eingeteilt: HU (High Urgency = sehr dringlich), U (Urgency = dringlich), T (Transplantable = möglich).

45.3.2 Ablauf einer Organspende 1. Kontaktaufnahme mit der DSO: Intensivstation meldet einen möglichen Spender. Der Hirntod muss durch 2 Ärzte unabhängig voneinander festgestellt werden. 2. Frage nach der Einwilligung zur Organentnahme: Gespräch mit Angehörigen: Gibt es einen Organspendeausweis? Eine Patientenverfügung? (siehe Kap. 48) 3. medizinische Versorgung des Verstorbenen: Sind alle Voraussetzungen erfüllt, wird der Spender sorgfältig untersucht (Tumorerkrankung? Infektionen?) 4. Übermittlung der Untersuchungsdaten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant zur Prüfung der Organvergabe-Kriterien 5. Organentnahme und Versorgung des Spenders: DSO organisiert Organentnahme 6. Organtransport und Transplantation: Konservierung der Organe und Transport zum Empfänger

45.3.3 Pflege bei Organtransplantation Prä- und postoperative Versorgung von Organempfängern orientieren sich in erster Linie an den allgemeinen Maßnahmen der prä- und postoperativen Pflege (siehe Kap. 41).

Prä- und postoperative Pflege Präoperativ wir die erste Dosis Immunsuppressiva appliziert. Nach der Verpflanzung muss die Funktionsfähigkeit des transplantierten Organs engmaschig kontrolliert und überwacht werden. So lässt sich früh erkennen, wie gut der Körper das neue Organ annimmt oder ob Anzeichen einer behandlungsbedürftigen Abstoßungsreaktion vorliegen. Weitere pflegerische postoperative Schwerpunkte: ● Infektionsprophylaxe: Es besteht eine erhöhte Infektanfälligkeit, deshalb: Umkehrisolation, streng aseptisch arbeiten, Mikroverletzungen vermeiden (z. B. Verzicht auf Nassrasur), Körperhygiene ● Schulung von Patienten: – Das Immunsystem ist allgemein schwächer, daher ist die Infektanfälligkeit höher: Hygiene- und Ernährungsregeln beachten (z. B. keine rohen oder halbrohen tierischen Produkte, Obst/Gemüse gründlich waschen). – verantwortungsbewussten Lebensstil pflegen: gesunde Ernährung, Bewegung, Nachsorgeuntersuchung, Medikamenteneinnahme – Symptome einer Abstoßungsreaktion: Fieber, Gewichtsabnahme, Appetitlosigkeit, Schmerzen, Abgeschlagenheit ● psychische Betreuung: Häufig empfinden die Empfänger das neue Organ als Fremdkörper und benötigen evtl. psychologische Unterstützung, um die Compliance zu erhalten. ● Abstoßungsreaktion: Wird das Spenderorgan von den Immunzellen des Empfängers als fremd erkannt, lösen sie eine Immunantwort aus: Entzündungen entstehen, Anti-

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körper bilden sich, die sich gezielt gegen das Gewebe des transplantierten Organs richten. Es werden verschiedene Formen von Abstoßungsreaktionen unterschieden: – hyperakute Abstoßung: Das Transplantat wird bereits im OP von Antikörpern angegriffen. – akute Abstoßung: Antikörper werden nach Transplantation gebildet (meist nach 1–3 Monaten). – chronische Abstoßung: Nach Monaten oder Jahren kommt es zur Abstoßung (chronisches Transplantatversagen).

Immunsuppressiva Patienten müssen nach einer Transplantation lebenslang Immunsuppressiva einnehmen, um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern. Es gibt verschiedene Gruppen von Immunsuppressiva: ● Glukokortikoide: Entzündungshemmer, verhindern die Bildung von Abwehrzellen ● Calcineurinhemmer: verhindern die Aktivität von T-Zellen ● mTOR-Hemmer und DNA-Synthese-Hemmer: verhindern Vermehrung von T-Zellen ● spezielle Antikörper: zerstören gezielt T- und B-Zellen

KOMPAK T Intensivstation ●







Kritisch Kranke werden auf Intensive Care Units (ICU), Überwachungspatienten auf Intermediate Care Stations (IMC) versorgt. (Monitor-)Überwachungsparameter: Sauerstoffsättigung, Blutdruck, Herzfrequenz, Herzdrücke/Lungendrücke, Temperatur, Ausscheidung, ICP, IAP, BGA Durch die endotracheale Intubation können die Atemwege gesichert werden, invasive Beatmung und Absaugung sind somit möglich. Weaning beschreibt den Entwöhnungsprozess, Ziel ist die Extubation. Kommunikation: Vertrauen schaffen (z. B. einbeziehen, zuhören), Sicherheit vermitteln (z. B. Handlungen erklären, Orientierung geben (z. B. zeitlich, räumlich)

Pflege von Brandverletzten Bei ausgedehnten thermischen Verletzungen kommt es zur Verbrennungskrankheit (schweres, lebensgefährliches Krankheitsbild, 3 Phasen). Striktes hygienisches Arbeiten hat höchste Priorität wegen der erhöhten Sepsisgefahr! Pflege bei Transplantation ●





autologe Transplantation (innerhalb des Körpers), allogene Transplantation (postmortale oder Lebendspende) und xenogene Transplantation (von anderer Art) Das Transplantationsgesetz regelt in Deutschland die Rahmenbedingungen. Eurotransplant und die DSO regeln die Organvergabe und organisieren den Ablauf (6 Schritte) einer Organspende. Infektionsprophylaxe wegen der erhöhten Infektanfälligkeit! Lebenslange Einnahme von Immunsuppressiva (z. B. Glukokortikoide), um eine Abstoßungsreaktion zu verhindern. Schulung des Patienten, psychische Betreuung.

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Pflege des sterbenden Menschen – Palliative Care

Sterbende und Angehörige im Mittelpunkt

Haltung: Autonomie, Würde, Lebensqualität

Besuchszeiten aufheben

Seelsorge hinzuziehen Ruhephasen einhalten

multidisziplinäre Zusammenarbeit

Angehörige begleiten

belastende, häufige Symptome erkennen und lindern, z.B.

Terminalphase (Wochen–Monate)

Angst

Dyspnoe

Schmerzen „Total Pain“

Mundtrockenheit

Palliative Care

Finalphase (Tage–Stunden)

Sterbeprozess „Tod und Sterben als Reifeprozess“

Obstipation

Sterbephasen (Kübler-Ross)

Schwäche

5 Phasen

Angehörige begleiten 1. Nicht-WahrhabenWollen

Trauerbewältigung

Abschiedsrituale Beratungsstellen

2. Zorn

ggf. Zugänge, Katheter, Sonden entfernen

Umgang mit Verstorbenen, z.B.

Tod

finale Sterbephase

Augen schließen

Hirntod

frisch ankleiden unsichere Todeszeichen, z.B.

Herz-KreislaufStillstand

keine Atmung

Ausfall aller Organe

klinischer Tod

keine Gehirnfunktion mehr

sichere Todeszeichen, z.B.

Bewusstlosigkeit blasse Haut, Schnappatmung

biologischer Tod

kein Puls

4. Depression

3. Verhandeln

Körperpflege Bett frisch beziehen

5. Annahme/ Akzeptanz

Gewebe zersetzt sich

rasselndes Atemgeräusch Angst und Unruhe Müdigkeit

Totenflecken

Leichenstarre

Der Sterbeprozess

46.1 Der Sterbeprozess

Grenzen des Modells

Sterben ist individuell und niemals gleich. Wann ein Sterbeprozess beginnt und wie lange er dauert, ist verschieden und nicht vorhersehbar (Todeszeitpunkt ungewiss). Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin unterteilt die letzte Lebenszeit eines Menschen in eine Terminalphase (= letzte Wochen bis Monate) und eine Finalphase (= letzte Tage bis Stunden). Beide Phasen sind nicht klar voneinander abzugrenzen.









46.1.1 Psychosoziale Begleitung Pflegende begleiten Angehörige während des Sterbeprozesses: ● Pflegende unterstützen Angehörige dabei, dem Sterbenden beizustehen; sie geben Angehörigen das Gefühl, geholfen zu haben. ● reguläre Besuchszeiten für Angehörige aufheben ● psychischer Beistand durch geschultes Personal oder Seelsorger/Psychologen ● Angehörige sollen ausreichend Ruhephasen für sich einhalten. ● Pflegende erklären den Angehörigen, was vermutlich während des Sterbens passiert, um Ängste abzubauen.

46.1.2 Sterbephasen nach Kübler-Ross Die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross hat in den 70er-Jahren Interviews mit sterbenden Menschen geführt. Dabei hat sie Parallelen im Verhalten vieler Menschen gesehen. Auf dieser Basis hat sie ein Modell entwickelt, das die (bewusste) Auseinandersetzung mit dem Tod und dem Sterben als eine Art Reifeprozess beschreibt. Nicht nur der Sterbende, sondern auch seine Angehörigen durchlaufen die 5 Phasen: 1. Nicht-Wahrhaben-Wollen: Betroffener will Diagnose nicht wahrhaben (Schockphase). 2. Zorn: Betroffener begreift die infauste Diagnose und reagiert mit Zorn und Wut. 3. Verhandeln: Sterbende klammern sich an kleinste Hoffnungsschimmer, um Lebenszeit zu gewinnen. 4. Depression: Schicksal wird erkannt, Hoffnung aufgegeben: tiefe Trauer und Depression. 5. Annahme/Akzeptanz: Sterbender „erwartet“ den Tod, hat einen Weg gefunden, sein „Schicksal“ zu akzeptieren.

Manche Menschen sterben unerwartet oder können sich aufgrund ihres eingeschränkten Bewusstseins nicht mit dem Tod auseinandersetzen. Sterbende durchlaufen die Phasen nicht starr. Es folgt nicht eine Phase auf die andere, Mischformen aus mehreren Phasen sind möglich. Nicht jeder Sterbende akzeptiert am Ende seinen bevorstehenden Tod. Nicht immer erreichen Sterbende alle Phasen des Modells.

46.1.3 Finale Sterbephase Es kann sinnvoll sein, den Angehörigen im Vorfeld zu erklären, was vermutlich während des Sterbens passieren wird, um Ängste abzubauen. Folgendes ist häufig beim Sterbenden zu beobachten: ● Müdigkeit und Schwäche (bis zu 20 Stunden Schlaf pro Tag) ● evtl. Auftreten von Angst mit starker Unruhe ● Hörvermögen bleibt lange erhalten: verbale Kommunikation sehr wichtig. ● Reaktionen und Kommunikation über Mimik oder Atemfrequenz ● Kreislauf wird schwächer: Extremitäten werden kalt, Haut blass oder marmoriert. ● Eingeschränkter Schluckreflex führt zu Speichelansammlung und diese zu rasselndem Atemgeräusch. ● Veränderung der Atmung: Schnappatmung zeigt Sauerstoffmangel am Ende des Sterbeprozesses. ● Bewusstlosigkeit in den letzten Stunden

46.1.4 Tod Beim Herzstillstand setzt die Atmung aus und Zellen sterben aufgrund des Sauerstoffmangels ab. Gehirnzellen sterben bereits nach wenigen Minuten ab, einige Muskelzellen können dagegen noch Stunden ihre Funktion aufrechterhalten. Aus diesem Grund kann es auch noch kurz vor dem Tod zu Muskelzuckungen oder Stuhlabgang kommen. Lebenswichtige Funktionen können maschinell aufrechterhalten werden (z. B. die Atmung). Aus diesem Grund kann man einen Atem- und Herz-Kreislauf-Stillstand nicht mehr so einfach mit dem Tod gleichsetzen. In der Medizin unterscheidet man 3 verschiedene Zustände oder Phasen: ● klinischer Tod: Ein Patient ist klinisch tot, wenn seine Atmung aussetzt und sein Kreislauf stillsteht. Sie erkennen den Eintritt des klinischen Todes am Auftreten aller unsicheren Todeszeichen (▶ Tab. 46.1). Möglich ist, dass der Sterbende nach minutenlangen Atempausen nochmals nach Luft schnappt bzw. der Monitor nochmals nach Ein-

Tab. 46.1 Todeszeichen. unsichere Todeszeichen ● ● ● ● ●

Patient verliert Bewusstsein. keine spontane Atmung kein Puls Ausbleiben der Hirnstammreflexe (weite, lichtstarre Pupillen) Muskeln erschlaffen

sichere Todeszeichen ● ●



Totenflecken durch Absacken des Blutes Leichenstarre beginnt nach 4–12 Stunden am Kopf und breitet sich nach unten aus. Verschwindet nach 1–6 Tagen wieder in umgekehrter Reihenfolge. Autolyse als Verwesung: Körpereigene Enzyme und Bakterien zersetzen das Gewebe.

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Pflege des sterbenden Menschen – Palliative Care





treten der Nulllinie einzelne „unförmige“ Ausschläge anzeigt = kein Lebenszeichen. Hirntod = irreversibler Verlust aller Gehirnfunktionen und damit auch der lebenserhaltenden zentralen Regulation von Atmung und Kreislauf. Der Ausfall aller Gehirnfunktionen ist das wissenschaftlich und juristisch anerkannte Kriterium für den Tod. Ursachen des Hirntods sind zu 56 % Hirnblutungen sowie Schäden durch Sauerstoffmangel, Schädel-Hirn-Traumen und Hirninfarkte. biologischer Tod: Nach Eintreten des klinischen Todes sterben nach und nach alle Zellen des Organismus ab. Dadurch kommt es schließlich zum Ausfall aller Organe = biologischer Tod. Im weiteren Verlauf zersetzen sich die Gewebe und es sind sichere Todeszeichen zu beobachten (▶ Tab. 46.1).

46.2 Palliative Care Definition Palliative Care „Palliative Care“ ist der Oberbegriff für die pflegerische, medizinische und seelsorgerische Versorgung von schwerkranken und sterbenden Patienten unter Einbezug von deren Angehörigen. Der Begriff setzt sich aus „palliativ“ (lat. „pallium“ = Mantel) und „care“ (engl. = Fürsorge, Pflege) zusammen. Sterbende und deren Angehörige stehen im Zentrum des Handelns. Palliative Care spiegelt sich in der Haltung der Mitglieder des Palliative-Care-Teams wider. Auf einer Palliativstation werden Menschen, die an einer unheilbaren Erkrankung leiden, betreut. Dies sind meist onkologische Patienten, aber auch Menschen mit anderen Erkrankungen (z. B. ALS, Leberzirrhose, Mukoviszidose).

Formalitäten nach dem Versterben Nach Herz- und Kreislaufstillstand erfolgt die Leichenschau durch den Arzt, der anhand sicherer Todeszeichen eine Bescheinigung über den Tod ausstellt. Der Totenschein geht an das Standesamt, das die Sterbeurkunde ausstellt.

46.1.5 Umgang mit Verstorbenen Grundsätzlich sind alle Maßnahmen würdig und achtsam durchzuführen: ● Infusionszugänge, Blasendauerkatheter, Sonden entfernen oder belassen (je nach Hausstandard) ● Körperpflege durchführen (ggf. auch gemeinsam mit dem Angehörigen) ● Bett frisch beziehen und Verstorbenen kleiden (Wünsche der Angehörigen berücksichtigen) ● Positionierung: Verstorbenen flach auf den Rücken legen, Hände locker auf den Bauch legen, Augen schließen und Zahnprothese einsetzen (vor Eintritt der Leichenstarre!), Unterkiefer z. B. durch ein zusammengerolltes Handtuch fixieren (damit der Mund verschlossen ist) ● möglichst für eine ruhige Abschiedsatmosphäre sorgen (ggf. Abschiedsraum) und Angehörigen Zeit geben ● Nach spätestens 24 Stunden kommt der Verstorbene in die Prosektur (Kühlraum). ● Angehörige über weitere Vorgehensweise informieren (Bestattungsinstitut) und alle persönlichen Dinge mitgeben

46.1.6 Trauerbegleitung Der Verlust eines geliebten Menschen ist immer mit starken Gefühlen verbunden. Folgendes können Pflegende im Rahmen der Trauerbegleitung tun: ● dafür sorgen, dass der Trauernde nicht allein ist, ggf. Verwandten oder Bekannten benachrichtigen ● auf Vereine und Beratungsstellen hinweisen (z. B. Trauercafés, Hospiz- oder Palliativdienste) ● Trauer- und Abschiedsrituale fördern (z. B. Musik, Duftlampe) sowie religiöse Rituale beachten (siehe Kap. 47), sie geben Trost und helfen bei der Trauerbewältigung. ● Kinder frühzeitig miteinbeziehen, damit sie begreifen können, was Sterben und Tod bedeuten.

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46.2.1 Palliative Haltung Die palliative Haltung ist gekennzeichnet durch 3 Werte: ● Autonomie: Es wird stets nach dem Willen des Patienten und seiner Angehörigen gehandelt (Wahl- und Entscheidungsfreiheit). Dem Patienten werden seine Fragen ehrlich beantwortet. ● Würde: Ein würdevoller Umgang bedeutet, die Grenzen zu akzeptieren. Die Agierenden wahren das notwendige „Nähe-Distanz-Verhältnis“ und prüfen dieses immer wieder neu. ● Lebensqualität: „Den Tagen mehr Leben geben“ – Hierbei geht es nicht darum, die begrenzte Lebenserwartung um jeden Preis verlängern zu wollen, sondern vielmehr die letzte Phase des Lebens so angenehm wie möglich zu gestalten.

46.2.2 Multidisziplinäres Team ●



Das Palliative-Care-Team besteht aus unterschiedlichen Berufsgruppen, um alle (körperlichen, seelischen, sozialen und spirituellen) Bedürfnisse des Patienten befriedigen zu können. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, um über den aktuellen Stand und Veränderungen beim Patienten zu sprechen. Dabei werden auch Therapien und Maßnahmen festgelegt.

46.2.3 Palliative Pflege ●





Aufgaben einer Palliative-Care-Pflegefachkraft: – Betreuung und Begleitung des Patienten unter Einbezug der Angehörigen – Grund- und Behandlungspflege – Sterbebegleitung – Vernetzung der Berufsgruppen: Was braucht der Patient? – Grenzen erkennen, setzen und einhalten („Nähe-Distanz-Verhältnis“) Pflegende entscheiden individuell (in enger Absprache mit dem Patienten – sofern möglich), welche Pflegemaßnahmen der Patient benötigt: Was tut ihm gut? Wie kann die Lebensqualität erhalten oder gesteigert werden? Wichtige Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit, Intuition, Kreativität und Flexibilität

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Pflege des sterbenden Menschen – Palliative Care





treten der Nulllinie einzelne „unförmige“ Ausschläge anzeigt = kein Lebenszeichen. Hirntod = irreversibler Verlust aller Gehirnfunktionen und damit auch der lebenserhaltenden zentralen Regulation von Atmung und Kreislauf. Der Ausfall aller Gehirnfunktionen ist das wissenschaftlich und juristisch anerkannte Kriterium für den Tod. Ursachen des Hirntods sind zu 56 % Hirnblutungen sowie Schäden durch Sauerstoffmangel, Schädel-Hirn-Traumen und Hirninfarkte. biologischer Tod: Nach Eintreten des klinischen Todes sterben nach und nach alle Zellen des Organismus ab. Dadurch kommt es schließlich zum Ausfall aller Organe = biologischer Tod. Im weiteren Verlauf zersetzen sich die Gewebe und es sind sichere Todeszeichen zu beobachten (▶ Tab. 46.1).

46.2 Palliative Care Definition Palliative Care „Palliative Care“ ist der Oberbegriff für die pflegerische, medizinische und seelsorgerische Versorgung von schwerkranken und sterbenden Patienten unter Einbezug von deren Angehörigen. Der Begriff setzt sich aus „palliativ“ (lat. „pallium“ = Mantel) und „care“ (engl. = Fürsorge, Pflege) zusammen. Sterbende und deren Angehörige stehen im Zentrum des Handelns. Palliative Care spiegelt sich in der Haltung der Mitglieder des Palliative-Care-Teams wider. Auf einer Palliativstation werden Menschen, die an einer unheilbaren Erkrankung leiden, betreut. Dies sind meist onkologische Patienten, aber auch Menschen mit anderen Erkrankungen (z. B. ALS, Leberzirrhose, Mukoviszidose).

Formalitäten nach dem Versterben Nach Herz- und Kreislaufstillstand erfolgt die Leichenschau durch den Arzt, der anhand sicherer Todeszeichen eine Bescheinigung über den Tod ausstellt. Der Totenschein geht an das Standesamt, das die Sterbeurkunde ausstellt.

46.1.5 Umgang mit Verstorbenen Grundsätzlich sind alle Maßnahmen würdig und achtsam durchzuführen: ● Infusionszugänge, Blasendauerkatheter, Sonden entfernen oder belassen (je nach Hausstandard) ● Körperpflege durchführen (ggf. auch gemeinsam mit dem Angehörigen) ● Bett frisch beziehen und Verstorbenen kleiden (Wünsche der Angehörigen berücksichtigen) ● Positionierung: Verstorbenen flach auf den Rücken legen, Hände locker auf den Bauch legen, Augen schließen und Zahnprothese einsetzen (vor Eintritt der Leichenstarre!), Unterkiefer z. B. durch ein zusammengerolltes Handtuch fixieren (damit der Mund verschlossen ist) ● möglichst für eine ruhige Abschiedsatmosphäre sorgen (ggf. Abschiedsraum) und Angehörigen Zeit geben ● Nach spätestens 24 Stunden kommt der Verstorbene in die Prosektur (Kühlraum). ● Angehörige über weitere Vorgehensweise informieren (Bestattungsinstitut) und alle persönlichen Dinge mitgeben

46.1.6 Trauerbegleitung Der Verlust eines geliebten Menschen ist immer mit starken Gefühlen verbunden. Folgendes können Pflegende im Rahmen der Trauerbegleitung tun: ● dafür sorgen, dass der Trauernde nicht allein ist, ggf. Verwandten oder Bekannten benachrichtigen ● auf Vereine und Beratungsstellen hinweisen (z. B. Trauercafés, Hospiz- oder Palliativdienste) ● Trauer- und Abschiedsrituale fördern (z. B. Musik, Duftlampe) sowie religiöse Rituale beachten (siehe Kap. 47), sie geben Trost und helfen bei der Trauerbewältigung. ● Kinder frühzeitig miteinbeziehen, damit sie begreifen können, was Sterben und Tod bedeuten.

304

46.2.1 Palliative Haltung Die palliative Haltung ist gekennzeichnet durch 3 Werte: ● Autonomie: Es wird stets nach dem Willen des Patienten und seiner Angehörigen gehandelt (Wahl- und Entscheidungsfreiheit). Dem Patienten werden seine Fragen ehrlich beantwortet. ● Würde: Ein würdevoller Umgang bedeutet, die Grenzen zu akzeptieren. Die Agierenden wahren das notwendige „Nähe-Distanz-Verhältnis“ und prüfen dieses immer wieder neu. ● Lebensqualität: „Den Tagen mehr Leben geben“ – Hierbei geht es nicht darum, die begrenzte Lebenserwartung um jeden Preis verlängern zu wollen, sondern vielmehr die letzte Phase des Lebens so angenehm wie möglich zu gestalten.

46.2.2 Multidisziplinäres Team ●



Das Palliative-Care-Team besteht aus unterschiedlichen Berufsgruppen, um alle (körperlichen, seelischen, sozialen und spirituellen) Bedürfnisse des Patienten befriedigen zu können. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig, um über den aktuellen Stand und Veränderungen beim Patienten zu sprechen. Dabei werden auch Therapien und Maßnahmen festgelegt.

46.2.3 Palliative Pflege ●





Aufgaben einer Palliative-Care-Pflegefachkraft: – Betreuung und Begleitung des Patienten unter Einbezug der Angehörigen – Grund- und Behandlungspflege – Sterbebegleitung – Vernetzung der Berufsgruppen: Was braucht der Patient? – Grenzen erkennen, setzen und einhalten („Nähe-Distanz-Verhältnis“) Pflegende entscheiden individuell (in enger Absprache mit dem Patienten – sofern möglich), welche Pflegemaßnahmen der Patient benötigt: Was tut ihm gut? Wie kann die Lebensqualität erhalten oder gesteigert werden? Wichtige Kompetenzen: Kommunikationsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit, Intuition, Kreativität und Flexibilität

Palliative Care

46.2.4 Besonderheiten in der Pflege ●









Ernährung und Flüssigkeit: Hunger- und Durstgefühl lassen in der Finalphase nach; um den Mund dennoch feucht zu halten und damit das Wohlbefinden zu fördern, können z. B. – eine regelmäßige Mundpflege durchgeführt, – kleine Schlucke Tee verabreicht oder – geschmackvoll angerichtete Häppchen angeboten werden. Haut- und Körperpflege: Eine vollständige Körperpflege ist oft zu belastend, daher ist eine individuelle, bedürfnisorientierte Pflege wichtig (z. B. Einreiben von Füßen oder Händen). Körperkontakt hat eine beruhigende Wirkung. Ausscheiden: In der Finalphase werden Patienten häufig inkontinent: Schutzhose mit Einlagen anlegen (keinen DK!), kräfteschonender Wechsel der Einlagen Dekubitusprophylaxe: – Regelmäßige Positionswechsel sind nicht unbedingt nötig, wenn der Patient dadurch Schmerzen und große Anstrengung erleiden muss (individuelle Positionierung, je nach Wunsch, Bedürfnis und Toleranz des Menschen) – Auf Wechseldrucksysteme verzichten, sie können Unruhe auslösen. – Mikropositionswechsel und Positionierungen in Nestlage werden häufig als angenehm empfunden. Prophylaxen spielen eine untergeordnete Rolle, sie müssen individuell abgewogen werden.

Abb. 46.1 Total Pain.

spirituelle Dimension

soziale Dimension Sorgen um die Familie Verlust des Berufs Verlust der sozialen Rolle

Total Pain

Abschied von der Familie/von Freunden Angst vor Schmerzen Angst vor dem Tod

physische Dimension Tumorwachstum Nebenwirkungen der Therapie

Schmerz bzw. das Schmerzerleben ist von vielen Faktoren abhängig. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015



Basale Stimulation Eine wertvolle Hilfe, um den bewusstseinseingeschränkten Patienten zu erreichen, ist die „Basale Stimulation“ (siehe Kap. 51). Durch Einsatz von gezielten Reizen sollen die verbliebenen Wahrnehmungsfähigkeiten des Patienten erreicht werden. Dies können optische, akustische oder auch andere Reize sein. Auch Angehörige können mit einbezogen werden. Dabei können Wickel und Auflagen entspannend, angst-, krampf- oder schleimlösend wirken (siehe Kap. 40). Wickel, Auflagen, Massagen und Einreibungen mit Duftölen stellen eine besondere Art der Zuwendung dar. Angehörige können dazu angeleitet werden, diese Einreibungen durchzuführen.



46.2.5 Symptomkontrolle



Bei der Begleitung von Sterbenden geht es darum, belastende Symptome zu erkennen und zu lindern. Durch die Anamnese werden diese Symptome dokumentiert und bei Veränderungen stets neu erhoben. Häufige Symptome im palliativen Kontext: ● Schmerzen sind nicht nur als körperliche Sinneswahrnehmung zu verstehen, sondern müssen in einem umfassenden Zusammenhang gesetzt werden. Die Gesamtheit der physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimension wird als „Total Pain“ bezeichnet. Maßnahmen: z. B. Schmerzmanagement (Kap. 37), Behandlung der Begleitsymptome (z. B. Obstipation, Übelkeit), psychoonkologische Betreuung (▶ Abb. 46.1) ● Dyspnoe ist ein häufiges und belastendes Symptom von Palliativpatienten. Sie kann körperliche Ursachen haben, aber ebenso wie Schmerzen durch andere Faktoren beeinflusst sein. Maßnahmen: Arzt informieren, Morphin nach Anordnung, Sauerstoff verabreichen, Patienten beruhigen und Trost spenden (siehe auch Kap. 14)

Warum ich? Welchen Sinn hat mein Leben? Wo gehe ich hin? psychische Dimension











Übelkeit und Erbrechen haben vielfältige Ursachen (z. B. Ileus, psychische Aspekte, unerwünschte Nebenwirkung von Medikamenten), Maßnahmen: siehe Kap. 44 Obstipation, z. B. durch eingeschränkte Bewegung, Analgetika, Opioide. Maßnahmen: Prophylaxe, Abführmaßnahmen (z. B. Milch-Honig-Einlauf, nach Arzt-Rücksprache), Kolonmassage (siehe auch Kap. 20.2) Mundtrockenheit aufgrund der reduzierten Nahrungsaufnahme und verstärkter Mundatmung. Pflegerisches Ziel ist es, den Speichelfluss anzuregen. Maßnahmen: regelmäßige Mundpflege, vom Patienten bevorzugte Getränke verwenden (z. B. auch Cola, Bier) Angst tritt in der letzten Lebensphase häufig auf. Maßnahmen: Gespräche, Seelsorger/Psychologen hinzuziehen, Medikamente (Anxiolytika) Unruhe tritt häufig bei nicht mehr klar orientierten Menschen auf. Sie zeigt sich z. B. dadurch, dass der Patient laut ruft, seine Beine wiederholt durch die Bettgitter steckt oder immer wieder aufstehen will. Maßnahmen: Ursache finden (z. B. Stuhl- oder Urindrang), beruhigend einwirken, ggf. Medikamente (Sedativa) Juckreiz kann sehr quälend sein und hat vielfältige Ursachen (z. B. Schmerzmittel, Lebererkrankungen). Maßnahmen: kühlende Lotionen. Medikamente (z. B. Antihistaminika), siehe auch Kap. 62. Müdigkeit und Schwäche wird bei onkologischen Erkrankungen auch als Fatigue bezeichnet (siehe auch Kap. 44.2.3). Maßnahmen: Ruhepausen gewährleisten, wache Zeit sinnvoll nutzen (z. B. Mobilisation, Angehörigen-Besuch) exulzerierende Wunden: Offene Wunden (z. B. durch einen Tumor) sind für Patienten meist sehr unangenehm, vor allem wenn sie sichtbar sind und unangenehm riechen. Maßnahmen: das Problem offen, aber mit Feingefühl ansprechen, um gemeinsam Lösungen zu finden (z. B. Duftlampen, regelmäßiges Lüften)

l 46

Pflege des sterbenden Menschen – Palliative Care

KOMPAK T Pflege des sterbenden Menschen ● ●













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Sterben ist stets individuell und niemals gleich. Die letzte Lebenszeit eines Menschen wird in die Terminal- und die Finalphase eingeteilt. Kübler-Ross beschreibt 5 Sterbephasen: Nicht-Wahrhaben-Wollen – Zorn – Verhandeln – Depression – Annahme/Akzeptanz. In der Medizin unterscheidet man 3 verschiedene Zustände: klinischen Tod, Hirntod und biologischen Tod. Es gibt unsichere (z. B. kein Puls, keine Atmung, lichtstarre Pupillen) und sichere (z. B. Totenflecken, Leichenstarre) Todeszeichen zur Bestimmung des Todes. Würdiger und achtsamer Umgang mit dem Verstorbenen und den Angehörigen: Pflege des Verstorbenen, religiöse Rituale berücksichtigen, Trauer- und Abschiedsrituale fördern, Kinder miteinbeziehen, Seelsorge etc.) Palliative Care = Oberbegriff für die pflegerische, medizinische und seelsorgerische Versorgung von schwerstkranken und sterbenden Menschen. 3 Werte: Autonomie, Würde, Lebensqualität Bei der Begleitung von Sterbenden geht es darum, belastende Symptome zu erkennen und zu lindern, z. B. Schmerzen, Dyspnoe, Obstipation, Mundtrockenheit, Unruhe.

47

Kultursensible Pflege

in ganzen Sätzen sprechen in gemäßigtem Tempo sprechen Toleranz und Respekt

Grundprinzipien der Kommunikation

Blickkontakt halten

Übersetzungshilfen

Dolmetscher Broschüren und Beschilderungen in verschiedenen Sprachen

zentrale Elemente

oft vegetarische Ernährung Reinkarnation

keine Bluttransfusion

keine Impfung

kein Rindfleisch

Erleuchtung

Religionen, Hinduismus

z.B. Zeugen Jehovas Buddhismus

Nirwana keine Verschwendung Meditation

Sondergruppierungen Thora Christentum Islam

Bibel freitags kein Fleisch

Koran

Fastenzeit

Ramadan

Krankensalbung bei Sterbenden

Judentum

Nottaufe ist möglich

rituelle Waschung vor dem Gebet

kein Schweinefleisch Körperpflege mit fließendem Wasser Krankenbesuch ist eine heilige Pflicht

mehrere Fastentage Trennung von Milchund Fleischspeisen

Religionen

47.1 Zentrale Elemente kultursensibler Pflege Pflegende sollten fremde Kulturen und ihre Regeln sowie Rituale kennen und akzeptieren. Ein hohes Maß an Toleranz gegenüber dem „Fremden“ und die Bereitschaft, sich auf kulturelle Besonderheiten einzulassen, tragen zu einer vertrauensvollen Pflegebeziehung bei. Um diesen Grundsätzen gerecht zu werden, sollten in der Kommunikation einige Grundregeln beachtet werden:

47.1.1 Innere Haltung Wichtig ist ein prinzipiell respektvoller Umgang. Der „fremde“ Patient fühlt sich wohl, wenn man seine Ängste erkennt und akzeptiert. Dies kann auch in wertschätzender Kommunikation zum Ausdruck gebracht werden. Sprechen Sie dafür in moderatem Tempo, in kurzen, vollständigen, leicht zu verstehenden Sätzen.

47.1.2 Gestik und Mimik ●







In der westlichen Kultur ist der direkte Augenkontakt selbstverständlich und gilt als Zeichen von Ehrlichkeit. In asiatischen Ländern ist direkter Augenkontakt dagegen z. B. eher unüblich bzw. gilt als unhöflich. Dort ist der ausweichende Blick ein Zeichen des Respekts (z. B. gegenüber Vorgesetzten). Freundliches Lächeln bedeutet nicht in jeder Kultur dasselbe. Es kann als ein Zeichen von Zuneigung verstanden werden, aber auch als Entschuldigung oder Ablehnung. Lautes Lachen gilt in vielen Kulturen als unhöflich. „Kopfschütteln“ wird z. B. in Bulgarien und Indien als Ja verstanden. Vorsicht mit Fingergesten! Diese können je nach kulturellem Hintergrund komplett verschiedene Bedeutungen haben (von „Ich bin einverstanden!“ bis zu „Ich verachte dich!“)

47.1.3 Übersetzungshilfen Um die Sprachbarrieren zum Wohle des Patienten zu überwinden, können Dolmetscher, klinikinterne Übersetzerdienste oder interkulturelle Pflegekräfte hilfreich sein. Weitere Hilfen zur Verständigung sind z. B. Informationstafeln, Beschilderungen, Broschüren und Kurzvideos in mehreren Sprachen zu Abläufen, Regeln und Schutzmaßnahmen.

47.2 Religionen Der Glaube spielt im kulturellen Leben vieler Menschen eine wichtige Rolle. In Krankheit und Genesung kann er eine wichtige Ressource sein. Die meisten Gläubigen empfinden Krankheit als eine Prüfung, nur wenige sehen sie als Strafe. Nicht alle Gläubigen halten alle Vorschriften gleichermaßen streng ein. Pflegende sollten den Patienten fragen, ob und, wenn ja, nach welchen religiösen Regeln er lebt.

47.2.1 Christentum Innerhalb des Christentums gibt es verschiedene Konfessionen: Die größten sind die katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen und die evangelischen Kirchen. Hinzu kommen kleinere christliche Gruppen und Sekten. Christen glauben an die Dreifaltigkeit (Gott-Vater, Gott-Sohn, GottHeiliger Geist) und die Wiederauferstehung nach dem Tod. Die grundlegende Schrift ist die Bibel (Heilige Schrift), sie besteht aus dem Alten und Neuen Testament. Der Sonntag gilt als Ruhetag und wird feierlich gestaltet, meist mit dem Besuch der Kirche zum Gottesdienst. Besonderheiten ● Ernährung: – Sonn- und feiertags essen Christen festlich. – Freitags verzichten viele auf Fleisch. – Ihre Fastenzeit liegt in den 40 Tagen vor Ostern. ● Körperpflege: Außer der (natürlichen) Scham ist nichts Außergewöhnliches zu beachten. Von einer gleichgeschlechtlichen Pflegefachkraft versorgt zu werden wird sehr geschätzt. ● Sterben: – Im Sterben oder in schwerer Krankheit fragen Christen oft nach einem Geistlichen (zur Krankensalbung oder zur Beichtabnahme). – Christen sollte es ermöglicht werden, dass ihr kritisch krankes Neugeborenes vor dem Tod getauft wird. Eine Besonderheit ist bei der christlichen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas zu beachten: Sie lehnen Bluttransfusionen und Impfungen ab.

47.2.2 Islam Der Islam ist eine im arabischen Raum entstandene Religion. Muslime glauben an einen Gott („Allah“). Zudem verehren sie seinen Propheten Mohammed. Die grundlegende Schrift ist der Koran. Die Gotteshäuser der Muslime heißen Moscheen. Gläubige Muslime beten 5 Mal täglich. Innerhalb des Islams gibt es mehrere Glaubensgruppen. Die größten sind die Sunniten und Schiiten. In ihren Herkunftsländern bestehen zwischen beiden z. T. Vorbehalte, die immer wieder zu Konflikten führen. Besonderheiten ● Körperkontakt zwischen den Geschlechtern ist in der Öffentlichkeit verboten, bei orthodoxen Muslimen gilt das auch für das Händeschütteln. ● Krankenbesuch ist eine heilige Pflicht und ein religiöser Akt. Der Kranke erhält neue Kraft und die Besucher nehmen ihm einen Teil des Leidens ab. Mit der Anzahl der Besucher steigt die Ehre des Patienten. ● Ernährung: – Verzicht auf Schweinefleisch und daraus hergestellte Nahrungsmittel, z. B. Käsesorten, in denen Gelatine enthalten ist – Muslime essen nur Fleisch geschächteter Tiere (rituelle Art des Schlachtens). – Alkohol ist verboten, das gilt auch für alkoholhaltige Medikamente. – Während des Ramadans (Fastenmonat) dürfen Muslime am Tag nichts essen, nichts trinken, dürfen keinen Ge-

l 47

Kultursensible Pflege





schlechtsverkehr haben und müssen auf Genussmittel (z. B. Kaffee, Tee, Rauchen) verzichten. Ausnahmen: z. B. bei Krankheit, Schwangerschaft oder Reise muss nicht gefastet werden. Körperpflege: – Fließendes Wasser wird bevorzugt. Ein großer Becher mit Wasser kann hier Abhilfe schaffen. – Unterscheidung zwischen kleiner (Gesicht, Hände, Arme und Füße) und großer Waschung (kompletter Körper) – (rituelle) Waschung: vor dem Gebet, vor religiösen Handlungen, vor und nach dem Essen – Muslime gelten als besonders schamhaft: Körpernahe Pflege muss von gleichgeschlechtlichen Pflegenden durchgeführt werden. – Muslime entfernen sich die Achsel- und Intimbehaarung und sind in der Regel beschnitten. Sterben: – Sollte sich der Zustand des Patienten akut verschlechtern, müssen die Angehörigen und ggf. der Imam (Vorsteher der Gemeinde) informiert werden. – Ist ein Muslim verstorben, schließen die Angehörigen ihm die Augen. Der Verstorbene wird rituell gewaschen und gekleidet. – Nach der Waschung darf kein Andersgläubiger mehr den Verstorbenen berühren.

47.2.3 Judentum Juden glauben an den „Gott Israels“, Jahwe. Die Thora ist die grundlegende Schrift der Juden. Hierarchisch gilt der Rabbiner als Vorsteher der Gemeinde. Der Sabbat (von Freitagabend bis zum Samstagabend) gilt als Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll. Besonderheiten ● Ernährung: – Juden essen nur Fleisch bestimmter, geschächteter Tiere (z. B. Rinder, Schafe, Ziegen, Wild, Geflügel außer Raubvögel, Fische mit Schuppen und Flossen). – Juden essen Milch und Milchprodukte nicht zu Fleischgerichten. Zwischen Milch- und Fleischspeisen halten sie einige Stunden Abstand. – Als neutrale Nahrungsmittel gelten Fisch, Eier, Gemüse und Früchte. ● Körperpflege: – Orthodoxe Jüdinnen reinigen sich nach der Menstruation und nach der Geburt eines Kindes in einem rituellen Tauchbad („Mikwe“). – Juden verwenden fließendes Wasser: Duschen statt Baden oder Waschen mit dem Waschlappen. – Händewaschen (auch unter fließendem Wasser) ist besonders wichtig: morgens nach dem Aufstehen, vor dem Gebet, vor und nach dem Essen. – Jüdische Männer sind in der Regel beschnitten. ● Sterben: – Auf Wunsch sollte der zuständige Rabbiner benachrichtigt werden. – Juden trauern schweigend und berühren den Verstorbenen zunächst nicht. Dann wird er gewaschen und in ein Totenhemd (aus Leinen) gekleidet. Bis zur Beerdigung wird der Verstorbene von einem Schomer (Wächter) begleitet.

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– Die Angehörigen beten ein Kaddisch (Gebet für den Toten) und zünden eine Kerze an.

47.2.4 Hinduismus Der Hinduismus ist nach Christentum und Islam die drittgrößte Weltreligion. Ihm hängen ca. 1 Milliarde Gläubige an, die v. a. auf dem indischen Subkontinent leben. Er zerfällt in einige Teilreligionen, in denen mehrere Tausend Götter verehrt werden. Wichtig ist der Glaube an eine Wiedergeburt (Reinkarnation). Viele Hindus sehen sich einer bestimmten „Kaste“ zugehörig, die einem angeborenen, sozial-hierarchischen Status entspricht. Besonderheiten ● Hindus neigen dazu zu glauben, dass Krankheiten die Folge von schlechten Taten oder Fehlern sind, die ihnen früher oder in früheren Leben widerfahren sind. ● Viele Kranke fasten oder ernähren sich streng vegetarisch. Vor allem Rindfleisch wird gemieden. ● Wie Muslime und Juden waschen sich Hindus gerne mit fließendem Wasser. ● Das Schamgefühl ist bei Hindu-Frauen sehr ausgeprägt. ● Den Angehörigen ist oft sehr wichtig, dass sie bei der Pflege mithelfen können. ● Im Sterbeprozess werden oft hinduistische Mönche als Begleiter hinzugebeten.

47.2.5 Buddhismus Auch der Buddhismus gehört zu den großen Weltreligionen. Im Mittelpunkt steht keine bestimmende Göttlichkeit, sondern die Überzeugung, dass der Mensch durch grundlegende Einsichten („Erleuchtung“) das der Welt und den Menschen innewohnende Leid und alle Unvollkommenheit überwinden kann. Am Ende steht nach einem Kreislauf der Wiedergeburten der Eingang in einen Zustand ewigen Glücks („Nirwana“). Besonderheiten ● Buddhisten legen Wert auf einen bewussten Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Verschwendung (z. B. von Essen) ist ihnen ein Gräuel. ● Ein wichtiges Element im Buddhismus ist die Meditation, für die die Kranken ein ruhiges Umfeld benötigen. ● Ebenso wie bei den Hindus ist es Buddhisten ein Herzensanliegen, bei der Pflege von Angehörigen mitzuhelfen. ● Buddhisten möchten offen und ehrlich über ihren Zustand informiert werden. Für sie ist wichtig, dass sie ihren eigenen Sterbeprozess bewusst erleben und planen können.

KOMPAK T Kultursensible Pflege Pflegende sollten fremde Kulturen und ihre Regeln sowie Rituale kennen, tolerieren und akzeptieren. Besonders hinsichtlich der Kommunikation, der Ernährung, Körperpflege und des Sterbens gibt es viele kulturelle Unterschiede.

48

Grundlagen einer Pflegeethik und ethische Grenzsituationen in der Pflege

Regeln, Gebote die Werte schützen

Vulnerabilität der Patienten

Normen ermöglichen Zusammenleben in einer Gesellschaft

eigenständiger Tätigkeitsbereich

Werte

medizinischer Fortschritt

Moral

Pflegeforschung, Management, Pädagogik

zum Schutz von Wohl und Würde des Patienten

Wertekonflikte!

Würde

mitverantwortliche Tätigkeitsbereiche

„alles tun, was möglich ist“?

leiten Handeln und Entscheidungsfindung

medizinischer Fortschritt

Gesamtheit von Normen, Grundsätzen und Werten Notwendigkeit und Relevanz

zentrale Begriffe

ethnische Verantwortungsbereiche der Pflege

ethische Reflexion und Entscheidungsfindung

„passive Sterbehilfe“

Prinzipienethik freiheitsbeschränkende Maßnahmen

Prinzip des Respekts vor der Autonomie Prinzip der Fürsorge

Organspendeausweis/Patientenverfügung

Orientierung im Konfliktfall

ethische Normen für die Pflege

ICN-Ethikkodex Hirntod und Organspende

Pflegequalität

Entscheidungsfindungsmodelle zur Konfliktstrukturierung

ethische Grenzsituationen

Sterbebegleitung

Verschiedenheit der Bedürfnisse

Prinzip der Gerechtigkeit

Prinzip des Nichtschadens

Pflegecharta

Notwendigkeit einer Ethik in der Pflege

48.1 Grundlagen der Ethik Ethik wird im Allgemeinen als philosophische Disziplin verstanden, die sich darum bemüht, moralisches Handeln durch theoretische Reflexion zu hinterfragen und zu begründen. Wichtige Definitionen in ethischen Kontexten: ● Moral: Gesamtheit von Normen, Grundsätzen und Werten, die das zwischenmenschliche Verhalten einer Gesellschaft steuern. Moralische Einstellungen beeinflussen meist unbewusst unser Handeln. ● Ethik: reflektiertes Nachdenken über das moralische Handeln, um zu begründeten Entscheidungen zu gelangen ● Normen: Regeln, Gebote, Gesetze oder Handlungsvorschriften, die Werte schützen oder realisieren und das Zusammenleben in einer Gesellschaft ermöglichen ● Werte: – sind angestrebte Zustände oder Vorstellungen darüber, was Menschen in ihrem Leben als wertvoll erachten, – leiten unser Handeln und unsere Entscheidungen – moralische Werte: Sie sind Grundsätze, die das menschliche Miteinander betreffen, wie z. B. Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Treue, Mitmenschlichkeit, Frieden, Verantwortung. – pflegerische Werte: Achtung der Individualität, Stärkung der Position pflegebedürftiger Menschen, Hilfe zur Selbsthilfe, Fürsorge, Respekt, Schutz der Privatsphäre, Teilhabe, Kommunikation, Gesundheitsförderung ● Wertekonflikt: Werte können miteinander in Konflikt geraten. ● Würde: Die Würde des Menschen ist das höchste Gut: – rechtliche Dimension: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ (Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte), „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland). – moralische Perspektive: Die Würde eines Menschen kann missachtet, ihm jedoch nicht genommen werden. Weil der Mensch Würde hat, hat er einen Anspruch auf Unversehrtheit. Menschen, die nicht in der Lage sind, dieses Recht selbst durchzusetzen, sind besonders zu schützen (z. B. Kinder, Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen).

48.2 Notwendigkeit einer Ethik in der Pflege Die Verletzlichkeit und Würde des Menschen fordern uns dazu auf, im Umgang mit anderen Menschen achtsam zu sein.

48.2.1 Verletzlichkeit Die Ethikerin Hille Haker unterscheidet Verletzlichkeit als anthropologische und als moralische Kategorie: ● Verletzlichkeit als anthropologische Kategorie besagt, dass jeder Mensch verletzlich ist und dies Teil des Menschseins ist. ● Verletzlichkeit als moralische Kategorie: In Krankheit und Alter sind Menschen auf Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen. Diese Abhängigkeit macht verletzlicher: Pflege kann wohltun, sie kann aber auch missachtet werden oder sogar schädigend sein.

48.2.2 Bedeutung für die Pflege Pflegekräfte verbringen viel Zeit mit dem Patienten, müssen häufig in dessen Intimsphäre eingreifen und sind erster Ansprechpartner für Bedürfnisse, Sorgen und Ängste. Pflegekräfte ● müssen die Würde des Menschen achten und schützen, ● sollten ihr Handeln ethisch reflektieren können und ● ethisch vertretbare Entscheidungen treffen können. Immer wieder kommt es hierbei zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Diese Entscheidungen haben gewichtigen Einfluss auf die Qualität des Lebens in Krankheit, Gesundwerden oder Sterben.

48.2.3 Verantwortungsbereiche in der Pflege In der Pflegeethik ergeben sich folgende besondere Verantwortungsbereiche (▶ Tab. 48.1).

Tab. 48.1 Ethische Verantwortungsbereiche in der Pflege. Bereich

Ethische Reflexion

eigenständiger Tätigkeitsbereich

… sich das „Besondere“ in der Patienten-Pflege-Beziehung bewusst machen und hinterfragen, ob die Art der Pflegehandlung diesem speziellen Patienten aus seiner subjektiven Sicht eher nutzt oder schadet

mitverantwortlicher Tätigkeitsbereich

… sich entscheiden müssen, wie zu handeln ist, um den eigenen Wertekonflikt zu lösen

medizinischer Fortschritt

… die Bedeutung der neuen Techniken für den Patienten als Mensch hinterfragen

Pflegeforschung, -management, -pädagogik

… sich der Verantwortung bewusst sein, die hier für andere Pflegende übernommen wird, und das eigene Handeln auf ethische Aspekte prüfen

l 48

Pflegeethik und ethische Grenzsituationen

48.2.4 Nutzen einer Pflegeethik Die Auseinandersetzung mit Pflegeethik dient der persönlichen sowie der Reflexion der berufseigenen Werte und beeinflusst folgende Aspekte: ● Sicherung der Pflegequalität: Das Wohl und die Bedürfnisse der Patienten werden in den Vordergrund gestellt, ethische Prinzipien werden bewusst geachtet und Werte werden gelebt. ● Bewältigung von Konflikten: Entscheidungen können begründet werden, die eigene Haltung kann überdacht werden, gegenseitiges Verständnis kann entwickelt werden. ● Analyse von Rahmenbedingungen: Es wird geprüft, inwieweit das System der Institution zulässt, dass ethische Prinzipien und Rechte der Patienten beachtet werden können.

48.3 Ethische Normen für die Pflege 48.3.1 Der ICN-Ethikkodex ●





basiert auf der Achtung der Menschenrechte und der Würde des Menschen sowie einem respektvollen Umgang miteinander. ist Leitfaden ethischer Verhaltensnormen, nach denen Pflegende handeln sollen, um sozialen Werten und Bedürfnissen gerecht zu werden. umfasst die Bereiche zwischenmenschliches Verhalten, Berufsausübung, Profession und kollegiales Miteinander.

Jeder Pflegende soll sich mit den Inhalten auseinandersetzen, sie in die Praxis überführen, Handlungen daraus ableiten und Pflegesituationen reflektieren.

48.3.2 Pflegecharta ●



314

Sie wurde zum Schutz der Menschenwürde hilfe- und pflegebedürftiger Menschen erstellt, um die Rolle und Rechtsstellung dieser Menschen zu stärken und eine würdevolle Pflege zu ermöglichen. Sie enthält 8 Artikel, die die Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen formulieren. Diese basieren auf den Grundrechten des Grundgesetzes sowie Gesetzen des Sozialrechts: – Art. 1: Selbstbestimmung zur Hilfe und zur Selbsthilfe – Art. 2: Körperliche und seelische Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit – Art. 3: Privatheit – Art. 4: Pflege, Betreuung und Behandlung – Art. 5: Information, Beratung und Aufklärung – Art. 6: Kommunikation, Wertschätzung und Teilhabe an der Gesellschaft – Art. 7: Religion, Kultur, Weltanschauung – Art. 8: Palliative Begleitung, Sterben und Tod

48.4 Ethische Reflexion und Entscheidungsfindung Durch ethische Reflexion soll eine verantwortbare Praxis gelebt werden. Ziel ist es, seine Handlungen auf rationaler Ebene vernünftig, einsichtig und nachvollziehbar begründen zu können.

48.4.1 Prinzipienethik Die Prinzipienethik vereint unterschiedliche Aspekte mehrerer Ethiktheorien. Die 4 formulierten Prinzipien dienen als Orientierung zur ethischen Entscheidungsfindung in der Medizin und der Pflege: ● Prinzip des Respektes vor der Autonomie: Es fordert Pflegende dazu auf, das Recht des Patienten zu achten, gemäß seinen Wertvorstellungen und seinem Glauben zu leben und Entscheidungen zu treffen (bspw. hinsichtlich Zustimmung, Ablehnung, Selbstbestimmung). Wesentlich im Rahmen der Autonomie ist die persönliche Haltung Pflegender: Inwieweit ein Patient seine Autonomie wahrnehmen kann, wird davon beeinflusst, wie ihm begegnet wird! ● Prinzip der Fürsorge: Es fordert dazu auf, zum Wohle des Patienten zu handeln und schädigende Bedingungen zu entfernen, für seine Rechte einzutreten und diese zu schützen. ● Prinzip des Nichtschadens: Grundsätzlich sollen Pflegende dem Patienten keinen Schaden zufügen. Bei schwierigen Therapieentscheidungen ist eine Nutzen-Risiko-Abwägung durchzuführen. ● Prinzip der Gerechtigkeit: Gleichbehandlung aller Menschen und gerechte Verteilung von Ressourcen

Anwendung in der Pflege Die hier vorgestellten Prinzipien werden in einer konkreten Situation gegeneinander abgewogen und dienen so der Entscheidungsfindung. Pflegerisches Handeln kann anhand der Prinzipien ethisch reflektiert werden: Worauf sollen wir in der Pflege achten? Was sollen wir tun?

48.4.2 Entscheidungsfindungsmodelle – Prozess der Entscheidungsfindung Entscheidungsfindungsmodelle dienen der persönlichen Orientierung, aber auch als Leitfaden bei Fallbesprechungen (▶ Abb. 48.1).

Ethische Grenzsituationen in der Pflege Abb. 48.1 Prozess der Entscheidungsfindung.

ungutes Gefühl

Identifikation des Problems: medizinisches Problem, strukturelles Problem oder moralisches Problem?

Informationen sammeln und analysieren: Wer ist betroffen? Welche Werte werden jeweils vertreten? Welche ethischen Prinzipien sind betroffen?

Handlungsmöglichkeiten entwickeln, vergleichen und bewerten

Auswahl der Möglichkeit und Begründung

kritische Reflexion

Das Modell in der Übersicht.

48.5 Ethische Grenzsituationen in der Pflege



von begrenzter Dauer sein.

Negative Auswirkungen Freiheitsbeschränkende Maßnahmen intensivieren die pflegerische Betreuung (durch Überwachung, Dokumentation, Prophylaxen u. a.), erhöhen das Sturz-, Pneumonie-, Thrombose- und Verletzungsrisiko sowie den psychischen Stress.

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen vermeiden Jegliches „von der Norm abweichende“ Patientenverhalten muss hinterfragt und Ursachen für dieses Verhalten analysiert werden (z. B. Angstzustände, Infekte, Schilddrüsenfehlfunktion). Fixierungen werden häufig bei aggressiven, randalierenden Patienten (z. B. Alkoholkrankheit, postoperatives Delir) oder demenzerkrankten Menschen diskutiert. Maßnahmen zur Vermeidung von Fixierungen: ● spezielle Assessments der Geriatrie/Gerontopsychiatrie, Biografiearbeit, Angehörigengespräche ● Medikation überprüfen lassen: „Pillencocktail“ kann auffälliges Verhalten auslösen. ● Experten (z. B. Gerontopsychiater) hinzuziehen ● Bettgitter und Gurte abschaffen, stattdessen Sturzprophylaxe intensivieren (siehe Kap. 21.6) ● Umgebung gestalten, z. B. ausreichende Beleuchtung, Niederflurbetten, Rufanlage in Reichweite, Sensormatte verwenden ● personelle Betreuung: Präsenzkräfte einsetzen, regelmäßige Fallbesprechungen durchführen

Indikationen

Ethische Grenzsituationen in der Pflege stellen ungewöhnliche Situationen dar, in denen nicht die üblichen Maßnahmen zur ihrer Bewältigung Anwendung finden können. Wann sind freiheitsbeschränkende Maßnahmen ethisch vertretbar? Wie kann die Selbstbestimmung am Lebensende gesichert werden? Wann ist ein Mensch wirklich tot?

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind nur selten indiziert: ● sehr hohes Verletzungsrisiko durch einen Sturz ● Gesundheitsgefahr für den Betroffenen, z. B. durch Entfernung von (lebenswichtigen) Infusionen ● aggressives Verhalten, mit dem der Betroffene womöglich sich selbst oder andere gefährdet

48.5.1 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen

48.5.2 Selbstbestimmung am Lebensende

Fixiert werden darf ein Patient nur, wenn die Freiheitsbeschränkung unausweichlich ist (siehe auch Kap. 12.3.6). Handlungsempfehlung: Freiheitsbeschränkende Maßnahmen sind immer zu vermeiden! Werden sie dennoch eingesetzt, sollte(n) … ● sie dem Schutz des Patienten und/oder anderer Menschen dienen, ● sie nie „zur Erleichterung“ der Pflege angewendet werden, ● sie immer der Situation angepasst und mit der geringstmöglichen Einschränkung für den Betroffenen verbunden sein, ● alle Beteiligten – Patient, Klinikpersonal, Angehörige und evtl. auch Psychologen – in die Entscheidung einbezogen werden, ● der Nutzen höher als der Schaden für den Betroffenen sein, ● sie fachlich begründet und

Sterbehilfe Bislang wird zwischen „aktiver, „passiver“ und „indirekter“ Sterbehilfe unterschieden, die Ausführungen dazu lesen Sie im Kap. 12.3.11. Der Deutschen Ethikrat unterteilt die Entscheidungen und Handlungen am Lebensende in folgende 5 Kategorien: ● Sterbebegleitung: Pflege von Sterbenden ● Therapien am Lebensende: Leben wird auf Wunsch verlängert, Leiden gelindert. ● Sterbenlassen: „passive Sterbehilfe“ ● Beihilfe zur Selbsttötung: Ein todbringendes Mittel wird in die Nähe des Sterbenden gestellt, das Mittel wird jedoch nicht verabreicht. ● Tötung auf Verlangen: „aktive Sterbehilfe“

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Pflegeethik und ethische Grenzsituationen

Kritische Stimmen zur Sterbehilfe Vor allem die Deutsche Hospizstiftung setzt sich für die Palliative Care (siehe Kap. 46) ein. Die Beihilfe zum Suizid und das Töten auf Verlangen lehnt sie strikt ab. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) plädiert hingegen dafür, Sterbende selbst entscheiden zu lassen, wie lange sie ihre Leiden ertragen können – und möchten. Sie befürwortet die Palliative Care, toleriert aber Hilfe zur Beendigung eines Lebens.

Patientenverfügung Es gilt der Wille des Patienten, wenn er diesen klar in einer Patientenverfügung formuliert hat oder sich gegenüber Verwandten oder Freunden eindeutig mündlich darüber geäußert hat. Die Patientenverfügung sichert das Selbstbestimmungsrecht und gibt dem Personal Handlungssicherheit und juristische Sicherheit.

48.5.3 Hirntod und Organspende Ein Mensch gilt laut Bundesärztekammer als hirntot, wenn die Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms endgültig und nicht behebbar erloschen ist (siehe auch Kap. 46). Die Bundesärztekammer (BÄK) empfiehlt, nach Eintritt des Hirntods die Therapie bald zu beenden, Ausnahmen sind Schwangere oder die Bereitschaft zur Organspende. Kritiker halten diese „neurologische“ Todesdefinition der BÄK für falsch. Sie sagen, der Mensch funktioniere „biologisch“ weiter und könne noch Tage, Wochen oder gar Jahre leben. Er sei kein toter, sondern ein sterbender Mensch. Einig sind sich beide Parteien in einem: Der Ausfall der Hirnfunktionen ist nach bisherigem Wissen nicht reversibel. Jeder muss für sich entscheiden, welcher Argumentation er folgt.

316

KOMPAK T Grundlagen einer Pflegeethik und ethische Grenzsituationen in der Pflege Hilfe- und pflegebedürftige Menschen sind von der Unterstützung anderer Menschen abhängig, dies macht sie besonders verletzlich. Pflegende müssen den Anspruch auf Unversehrtheit schützen. Häufig stehen sie in einem Konfliktfeld aus unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen. Die Entscheidungen, die Pflegende hierbei treffen, haben gewichtigen Einfluss auf die Qualität des Lebens in Krankheit, im Gesundwerden oder im Sterben. ● ICN-Ethikkodex: Leitfaden ethischer Verhaltensnormen für Pflegende ● Pflegecharta: 8 Artikel, die auf Basis der Grundrechte die Rolle und Rechte der Patienten stärken ● Prinzipienethik: 4 Prinzipien dienen zur Orientierung in Medizin und Pflege: – Prinzip des Respektes vor der Autonomie – Prinzip der Fürsorge – Prinzip des Nichtschadens – Prinzip der Gerechtigkeit ● Entscheidungsfindungsmodelle dienen der persönlichen Orientierung, aber auch als Leitfaden bei Fallbesprechungen ● Mit ethischen Grenzsituationen werden Pflegende häufig am Lebensende eines Menschen (Sterbebegleitung, Hirntod und Organspende) oder bei der Abwägung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen (z. B. Fixierung) konfrontiert.

49

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

Konflikten

Pflegebedürftigkeit

Entlassung

Kompetenzen und Selbstständigkeit stärken

Gruppengespräche (z. B. mit Familienangehörigen) zu

moderieren

1. Beziehung herstellen 2. Probleme benennen 3. Lösung suchen

bei Problembewältigung unterstützen

größtmögliche Selbstbestimmung

Ziele

Patientenedukation

Kenntnisstand klären

Vorbereitung, z.B.

Infomaterial beschaffen

4. Reflexion grober Ablauf

zeitliche und räumliche Ressourcen berücksichtigen

beraten

Ziel informieren

selbstbestimmte Entscheidungsfindung

Diabetesschulung

komplexe Sachverhalte, z.B. einfache Sachverhalte, z.B.

schulen

vollständige Schulung

Überleitung Pflegemaßnahmen

Mikroschulung Stationsablauf

kurz eine bestimmte Fähigkeit vermitteln

z.B. Verbandwechsel Ablauf

anleiten

8. Dokumentation

1. Vorwissen ermitteln

7. Wissen überprüfen 2. Wissen ergänzen 6. Infomaterial aushändigen 3. Handlung zeigen

4. Handlung durchführen lassen

5. Rückfragen ermöglich

Rufanlage

1. Ressourcen, Bedarf einschätzen 2. realistische Ziele setzen 3. geeignete Rahmenbedingungen schaffen, Handlung zeigen und durchführen lassen 4. Wissen überprüfen, wiederholen

Anleiten

49.1 Patientenedukation Unter dem Begriff „Patientenedukation“ fasst man alle Maßnahmen zusammen, die Patienten und Angehörigen bei der Krankheitsbewältigung helfen. Darunter fallen das ● Informationsgespräch, ● Schulungen und Anleitungen wie auch ● Beratungsgespräche. Alle Maßnahmen haben zum Ziel, die Selbstständigkeit und Kompetenz des Patienten zu stärken, um ihm damit seine bestmögliche Selbstkontrolle, Autonomie und Würde im Alltag zurückzugeben. Im Krankenpflegegesetz (§ 3) wird Patientenedukation als wichtiger Bestandteil der professionellen Pflege erwähnt. Umso wichtiger ist es, diese gezielt, geplant, strukturiert und individuell wahrzunehmen und auch zu dokumentieren und zu evaluieren.

Mikroschulungen können in folgenden Bereichen sinnvoll sein: Umgang mit Ernährungspumpen, Wechsel eines Verbands, Anziehen von Kompressionsstrümpfen, Wechsel eines Stomabeutels, Verhalten bei einem Angina-pectorisAnfall usw.

Mikroschulungen durchführen ●









49.2 Informieren Pflegende informieren Patienten z. B. über bevorstehende Pflegemaßnahmen, notwendige Untersuchungen, verordnete Medikamente, allgemeine Stationsabläufe, Räumlichkeiten der Station oder zuständige Pflegekräfte. Es werden also sowohl einfachere als auch relativ komplexe Informationen weitergegeben. Einige Informationen können zwar spontan weitergegeben werden, in vielen Fällen ist jedoch auch eine gezielte Vorbereitung notwendig. Damit Pflegekräfte gezielt und patientenorientiert informieren können, müssen vorab folgende Fragen geklärt sein: ● Kenntnisstand: Verfüge ich über die notwendigen Informationen und kann ich diese objektiv, sicher und kompetent vermitteln? Welchen Kenntnisstand hat der Patient? ● Informationsvermittlung: Wie vermittle ich die Information? Abhängig von der Komplexität und dem Umfang, z. B. schriftlich, mithilfe von Broschüren und Skizzen? ● Rahmenbedingungen: An welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt gebe ich die Informationen weiter? Wichtig ist, dass bei persönlichen Themen z. B. für Privatsphäre gesorgt wird und dass (bei komplexen Sachverhalten, für Verständnisfragen) genügend Zeit eingeplant ist.

49.3 Schulen 49.3.1 Mikroschulungen Für Pflegende entsteht im Berufsalltag häufig die Notwendigkeit, sog. Mikroschulungen bei ihren Patienten und/oder Angehörigen durchzuführen. Hierunter versteht man relativ kurze Schulungen (Dauer ca. 15–30 Minuten), in denen jeweils nur eine bestimmte Fertigkeit und das hierfür notwendige Wissen vermittelt werden. Im Gegensatz hierzu werden bei einer vollständigen Schulung alle notwendigen Informationen und Fertigkeiten vermittelt bzw. eingeübt, die mit dem jeweiligen Krankheitsbild in Zusammenhang stehen, z. B. Diabetesschulung. Das Ziel einer Schulung besteht darin, Wissen und/oder Fertigkeiten geplant, zielorientiert und strukturiert zu vermitteln und die Patienten damit zur selbstständigen Durchführung bestimmter Maßnahmen zu befähigen.







Vorwissen des Patienten ermitteln: Was weiß der Patient schon? Wissen ergänzen: Welche wichtigen Informationen benötigt der Patient noch? Handlung vormachen: Welche Schritte beinhaltet die Maßnahme und wie kann ich diese dem Patienten am besten nahebringen? Handlung durchführen lassen: Zeigt der Patient Sicherheit oder Unsicherheit? (In dieser Phase nur eingreifen, wenn der Patient etwas falsch macht.) Rückfragen ermöglichen: Welche Fragen hat der Patient an mich? Was hat er noch nicht ganz verstanden? Informationsmaterial zur Verfügung stellen: Sind Broschüren, Skizzen oder Informationsblätter zur Handlung verfügbar, die ich dem Patienten geben kann? Wissensüberprüfung: Welche Verständnisfragen eignen sich, um das erworbene Wissen zu überprüfen? Dokumentation: In der Pflegedokumentation wird festgehalten, zu welchem Aspekt und in welchem Umfang der Patient beraten wurde und welche Fertigkeiten er erworben hat. Am nächsten Tag sollten diese Fertigkeiten nochmals überprüft werden.

49.4 Anleiten Bei der Anleitung werden dem Patienten und/oder seinen Angehörigen gezielt und strukturiert alltagspraktische Fertigkeiten vermittelt. Ziel ist es, die Selbständigkeit des Betroffenen/ der Angehörigen zu fördern und die Handlungskompetenz zu stärken. Der Anleitungsprozess verläuft in 4 Phasen: 1. Informationssammlung: z. B. Anleitungsbedarf erheben, Vorkenntnisse erfragen 2. Probleme, Ressourcen, Ziele und Maßnahmen: z. B. angepasst an die Probleme und Ressourcen des Betroffenen, realistische Nah- und Fernziele formulieren und entsprechende Maßnahmen auswählen 3. Durchführung: z. B. geeignete Rahmenbedingungen für die Anleitung schaffen und zu erlernende Handlung kleinschrittig und altersentsprechend erklären und vormachen. Der Betroffene kann in dieser Phase Fragen stellen und die Durchführung beobachten (Demonstrationsphase). In der anschließenden Übungsphase führt der Betroffene die Handlung selbst durch und wird dabei von der Pflegefachkraft unterstützt. Die Pflegefachkraft korrigiert in dieser Phase bei Bedarf, gibt Tipps, vermittelt Sicherheit, motiviert und steht unterstützend zur Seite. Führt der Betroffene die Handlung sicher durch, zieht sich die Pflegefachkraft nach und nach zurück. 4. Evaluation: Wurden die zu Beginn formulierten Nah- und Fernziele erreicht oder nicht? Wenn nicht, müssen die Ziele neu überdacht werden und die Anleitung entsprechend wiederholt und angepasst werden. Eine mögliche Anleitungssituation in der Pflege ist z. B. die Anleitung zur selbständigen Blutzuckermessung.

l 49

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

49.5 Beraten

49.5.3 Beratungen durchführen

Unter Beratung kann allgemein die Hilfe bei der Bewältigung von Problemen verstanden werden.



49.5.1 Beratungsbedarf erkennen Ein Beratungsbedarf liegt vor, wenn ein Patient ein Problem nicht allein lösen kann. Patienten kommen nicht immer von sich aus auf Pflegende zu, um sich beraten zu lassen (subjektives Beratungsbedürfnis). Häufig müssen Pflegende den Beratungsbedarf selbst erkennen (objektives Beratungsbedürfnis). Häufige Beratungsinhalte sind z. B. Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt, Umgang mit Einschränkungen in der Selbstständigkeit, z. B. nach Operationen, Inanspruchnahme, Vermittlung und Finanzierung von Pflegeleistungen oder Möglichkeiten der Durchführung einer notwendigen Wohnraumanpassung.





Beziehung herstellen: Beim ersten Kontakt vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, um emotional belastende Situationen aufzufangen. Problem benennen: Der Patient benötigt ausreichend Zeit, seine Probleme und Sorgen darzulegen. Durch vorschnelle Lösungen fühlt sich der Patient möglicherweise nicht ernst genommen. Rückfragen ermöglichen die vollständige Erfassung der Probleme. Lösung suchen: Eine Grundlage für die Entscheidung bietet während der Beratung die Reflexion und die Einordnung von Zusammenhängen. Ziel ist, dass der Patient die Entscheidung selbst trifft.

KOMPAK T Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

49.5.2 Voraussetzungen und Anforderungen Beratungsgespräche im pflegerischen Alltag finden häufig spontan statt und werden handlungsbegleitend zu einer Pflegemaßnahme durchgeführt. Nicht immer erlaubt der Stationsablauf ein ausführliches Gespräch, sodass mehrere kurze Gespräche geführt werden müssen. Folgende Voraussetzungen für ein gelungenes Beratungsgespräch sind erforderlich: ● Beziehungsaufbau gestalten: Zum Beziehungsaufbau braucht es Akzeptanz, Empathie, Kongruenz und aktives Zuhören (siehe Kap. 6.2.2). ● fachliche Kompetenz: Um verschiedene Lösungswege für das Problem aufzuzeigen, ist umfangreiches Fachwissen zum Beratungsthema erforderlich. ● soziale Kompetenz: Der Patient muss als Experte seiner eigenen Situation akzeptiert werden und er allein wählt den Lösungsweg. ● kommunikative Kompetenz: Suggestivfragen und negative Formulieren sollten vermieden werden.

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Die Patientenedukation hat zum Ziel, die Selbstständigkeit und Kompetenz des Patienten (und seiner Angehörigen) zu stärken, um ihm damit seine bestmögliche Selbstkontrolle, Autonomie und Würde im Alltag zurückzugeben. Die Patientenedukation kann durch folgende Maßnahmen gestärkt werden: ● Informieren: Vor einem Informationsgespräch: Kenntnisstand des Patienten kennen, gute Vorbereitung, Anschauungsmaterial (Broschüren etc.) besorgen, genügend Zeit einplanen. ● In einer Mikroschulung werden eine bestimmte Fertigkeit und das hierfür notwendige Wissen vermittelt. Sie bedarf einer gezielten Vorbereitung. ● Eine Anleitung findet während einer realen Situation statt und soll einen Patienten dazu befähigen, eine Handlung selbstständig durchzuführen. ● Unter Beratung kann allgemein die Hilfe bei der Bewältigung von Problemen verstanden werden.

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Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

49.5 Beraten

49.5.3 Beratungen durchführen

Unter Beratung kann allgemein die Hilfe bei der Bewältigung von Problemen verstanden werden.



49.5.1 Beratungsbedarf erkennen Ein Beratungsbedarf liegt vor, wenn ein Patient ein Problem nicht allein lösen kann. Patienten kommen nicht immer von sich aus auf Pflegende zu, um sich beraten zu lassen (subjektives Beratungsbedürfnis). Häufig müssen Pflegende den Beratungsbedarf selbst erkennen (objektives Beratungsbedürfnis). Häufige Beratungsinhalte sind z. B. Versorgung nach dem Krankenhausaufenthalt, Umgang mit Einschränkungen in der Selbstständigkeit, z. B. nach Operationen, Inanspruchnahme, Vermittlung und Finanzierung von Pflegeleistungen oder Möglichkeiten der Durchführung einer notwendigen Wohnraumanpassung.





Beziehung herstellen: Beim ersten Kontakt vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, um emotional belastende Situationen aufzufangen. Problem benennen: Der Patient benötigt ausreichend Zeit, seine Probleme und Sorgen darzulegen. Durch vorschnelle Lösungen fühlt sich der Patient möglicherweise nicht ernst genommen. Rückfragen ermöglichen die vollständige Erfassung der Probleme. Lösung suchen: Eine Grundlage für die Entscheidung bietet während der Beratung die Reflexion und die Einordnung von Zusammenhängen. Ziel ist, dass der Patient die Entscheidung selbst trifft.

KOMPAK T Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

49.5.2 Voraussetzungen und Anforderungen Beratungsgespräche im pflegerischen Alltag finden häufig spontan statt und werden handlungsbegleitend zu einer Pflegemaßnahme durchgeführt. Nicht immer erlaubt der Stationsablauf ein ausführliches Gespräch, sodass mehrere kurze Gespräche geführt werden müssen. Folgende Voraussetzungen für ein gelungenes Beratungsgespräch sind erforderlich: ● Beziehungsaufbau gestalten: Zum Beziehungsaufbau braucht es Akzeptanz, Empathie, Kongruenz und aktives Zuhören (siehe Kap. 6.2.2). ● fachliche Kompetenz: Um verschiedene Lösungswege für das Problem aufzuzeigen, ist umfangreiches Fachwissen zum Beratungsthema erforderlich. ● soziale Kompetenz: Der Patient muss als Experte seiner eigenen Situation akzeptiert werden und er allein wählt den Lösungsweg. ● kommunikative Kompetenz: Suggestivfragen und negative Formulieren sollten vermieden werden.

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Die Patientenedukation hat zum Ziel, die Selbstständigkeit und Kompetenz des Patienten (und seiner Angehörigen) zu stärken, um ihm damit seine bestmögliche Selbstkontrolle, Autonomie und Würde im Alltag zurückzugeben. Die Patientenedukation kann durch folgende Maßnahmen gestärkt werden: ● Informieren: Vor einem Informationsgespräch: Kenntnisstand des Patienten kennen, gute Vorbereitung, Anschauungsmaterial (Broschüren etc.) besorgen, genügend Zeit einplanen. ● In einer Mikroschulung werden eine bestimmte Fertigkeit und das hierfür notwendige Wissen vermittelt. Sie bedarf einer gezielten Vorbereitung. ● Eine Anleitung findet während einer realen Situation statt und soll einen Patienten dazu befähigen, eine Handlung selbstständig durchzuführen. ● Unter Beratung kann allgemein die Hilfe bei der Bewältigung von Problemen verstanden werden.

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Grundlagen der Kinästhetik

natürliche Bewegungsmuster

anatomische Grundprinzipien kennen

Gesundheit fördern

Kraft sparen

Ressourcen einschätzen

Mobilität fördern

Zeit lassen Ziele

in der Praxis unterstützen und anleiten klare, eindeutige Sprache Schritt-für-Schritt Anleitungen

Festigkeit und Kraft

Kinästhetik Interaktion Konzepte

funktionelle Anatomie

menschliche Funktion Umgebung

Hilfsmittel zur Positionierung

Massen und Zwischenräume menschliche Bewegung

Drücken

Ziehen

sichere Grundposition als Voraussetzung für Bewegung

Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen zielgerichtet stabilisierend

7 Grundpositionen Anstrengung

Bett, Matratze

Knochen und Muskeln

reagierend

Grundlegende Konzepte

50.1 Allgemeines Definition Kinästhetik Kunst/Wissenschaft menschlicher Bewegung und Wahrnehmung. Das Prinzip der Kinästhetik beruht auf der Erkennung und Nutzung der Patientenressourcen. Es fordert ein Umdenken von „Ich mache“ hin zu „Patient übernimmt und/oder gibt die Impulse“. Voraussetzung ist, dass man weiß, wie Bewegung funktioniert.

50.2 Ziele der Kinästhetik Das Konzept der Kinästhetik hilft dabei, ● die natürlichen Bewegungsmuster abzurufen, ● die Mobilität zu fördern, ● Kraft zu sparen und ● die Gesundheit zu fördern.

50.3.1 Interaktion ● ●



50.3.2 Funktionelle Anatomie Knochen und Muskeln ●







50.3 Grundlegende Konzepte Die menschlichen Bewegungsmuster werden im kinästhetischen Modell in 6 einzelne Teile aufgegliedert: ● Interaktion ● funktionelle Anatomie ● menschliche Bewegung ● menschliche Funktionen ● Anstrengung ● Umgebung

Der Mensch nimmt seine Umwelt mit allen Sinnen wahr. Er ist in der Lage, mit der Umwelt zu interagieren, auch wenn die verbale Kommunikation eingeschränkt ist. Beispiel: Führt man die Hand eines bettlägerigen Patienten an den Matratzenrand, werden Grenzen verdeutlicht und die Orientierung im Raum gefördert.



Knochen sind stabile Gebilde, die Gewicht tragen können, ohne Kraft aufbringen zu müssen. Muskeln halten die Knochen in der korrekten Position und bewegen die Knochen. Für die Bewegung nutzen wir die Festigkeit der Knochen und die Kraft der Muskeln. Die beiden Eigenschaften Kraft und Festigkeit geben dem Menschen Halt und ergänzen einander. Ist die Muskelkraft gering, können die Knochen immer noch das menschliche Gewicht tragen.

Massen und Zwischenräume ●



Der Körper besteht aus Massen (z. B. Kopf, Brustkorb, Becken, Extremitäten), von denen Bewegungen ausgehen und Bewegungskaskaden ausgelöst werden können. Zwischenräume verbinden die Massen (z. B. Hals, Achsel, Taille und Hüfte). Verlagert sich das Gewicht einer Masse, wird das Gewicht der nächstgelegenen Masse über die beweglichen Zwischenräume „nachgezogen“.

Abb. 50.1 Grundpositionen der Kinästhetik.

Die 7 Grundpositionen der Kinästhetik: Stand, Einbeinstand, Einbein-Knie-Stand, Hand-Knie-Stand, Schneidersitz, Bauchlage mit Ellbogenstütz, Rückenlage. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

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Grundlagen der Kinästhetik Abb. 50.2 Wichtige Fragestellungen für die Umsetzung. Ressourcen einschätzen

Kommunikation

Zeit lassen

Unterstützen, nicht übernehmen

Eindeutige Anweisungen

? Was kann der Patient? Welche Bewegungen belasten welches Gelenk und welchen Körperteil? Wo sind die Massen in einer bestimmten Position?

Was machen wir? Welche Zwischenschritte gibt es?

Wie viel Zeit braucht mein Patient?

Kann mein Patient das alleine?

!

Gebe ich unmissverständliche Schritt-für-SchrittAnweisungen?

Wichtige Fragestellungen bei der Umsetzung der Kinästhetik in der Praxis. Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015

! Merke Massen fassen, Zwischenräume spielen

lassen

Bei der initiierten Bewegung unterstützen Sie die Massen und lassen die Zwischenräume für die (Eigen-)Bewegung frei.

50.3.3 Menschliche Bewegung Der menschliche Organismus ist für Bewegung vorgesehen. Mit und durch Bewegung passen wir uns ständig der Umwelt an: Sie ist zielgerichtet (z. B. Greifen), stabilisierend (z. B. Ausgleichsbewegungen) und reagierend (z. B. beim Stolpern). Bewegungen können ● haltend sein: Der Körper balanciert sich über kleinste Beuge- und Streckbewegungen kontinuierlich aus. ● transportierend sein: Durch viele aufeinanderfolgende Gewichtsverlagerungen kann der Mensch seine Position wechseln und sich fortbewegen. ● parallel erfolgen: Die rechte und linke Körperhälfte können sich synchron bewegen. ● spiralartig erfolgen: Der Körper kann sich auch bei Einschränkungen durch Abstützen einer Körperhälfte in Bewegung setzen.

50.3.4 Menschliche Funktionen Die Kinästhetik unterscheidet 7 Grundpositionen (siehe ▶ Abb. 50.1). Eine sichere Grundposition ist die beste Voraussetzung dafür, evtl. über weitere Zwischenpositionen in die gewünschte Lage zu kommen. Für jede Bewegung organisiert sich der Körper in einer bestimmten Reihenfolge.

50.3.5 Anstrengung Jede Bewegung benötigt Kraft im Sinne von Anspannung. Bewegung ist immer dynamisch und eine Kombination aus ● Drücken (z. B. Abstützen auf der Matratze, den Fuß auf dem Boden abdrücken, um vorwärts zu kommen) und ● Ziehen (z. B. das Bein anziehen, einen Gegenstand hochheben).

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50.3.6 Umgebung Der Raum kann Bewegung fördern oder sie behindern, Hilfsmittel können helfen oder bremsen. Pflegende sollten sich die Umgebung anschauen, in der sie einen Patienten mobilisieren: ● Bett: Sobald der Patient an die Bettkante mobilisiert ist, sollte die Betthöhe so verändert werden, dass sich der Patient im Sitzen mit den Füßen abstützen kann. Darüber kann er sich selbst ausbalancieren und stabilisieren. ● Matratze: Widerstand fördert die Bewegung. Ist die Matratze zu weich, wird die Eigenbewegung des Patienten nicht gefördert. Die Indikation einer Wechseldruck-Matratze ist streng zu prüfen. ● Hilfsmittel: Um die Bewegungsfreiheit des Patienten nicht einzuschränken, sollen nur so viele Hilfsmittel wie nötig verwendet werden. Weiche Kissen bieten zu wenig Widerstand, damit der Patient sich abstützen und bewegen kann. Als Alternative kann man eingerollte Handtücher verwenden.

50.4 Kinästhetik in der Praxis Gemeinsames Bewegen entsteht durch das Führen und Folgen, initiiert durch Impulse. ▶ Abb. 50.2 beinhaltet die wichtigsten Regeln für die Praxis.

KOMPAK T Grundlagen der Kinästhetik ●





Kinästhetik ist eine Bewegungslehre, die auf den natürlichen Bewegungsmustern basiert. Das Konzept der Kinästhetik hilft dabei, die natürlichen Bewegungsmuster abzurufen, Mobilität zu fördern, Kraft zu sparen und die Gesundheit zu fördern. Leitsatz der Kinästhetik: „Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen.“

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Grundlagen der Kinästhetik Abb. 50.2 Wichtige Fragestellungen für die Umsetzung. Ressourcen einschätzen

Kommunikation

Zeit lassen

Unterstützen, nicht übernehmen

Eindeutige Anweisungen

? Was kann der Patient? Welche Bewegungen belasten welches Gelenk und welchen Körperteil? Wo sind die Massen in einer bestimmten Position?

Was machen wir? Welche Zwischenschritte gibt es?

Wie viel Zeit braucht mein Patient?

Kann mein Patient das alleine?

!

Gebe ich unmissverständliche Schritt-für-SchrittAnweisungen?

Wichtige Fragestellungen bei der Umsetzung der Kinästhetik in der Praxis. Nach: I care – Pflege. Thieme; 2015

! Merke Massen fassen, Zwischenräume spielen

lassen

Bei der initiierten Bewegung unterstützen Sie die Massen und lassen die Zwischenräume für die (Eigen-)Bewegung frei.

50.3.3 Menschliche Bewegung Der menschliche Organismus ist für Bewegung vorgesehen. Mit und durch Bewegung passen wir uns ständig der Umwelt an: Sie ist zielgerichtet (z. B. Greifen), stabilisierend (z. B. Ausgleichsbewegungen) und reagierend (z. B. beim Stolpern). Bewegungen können ● haltend sein: Der Körper balanciert sich über kleinste Beuge- und Streckbewegungen kontinuierlich aus. ● transportierend sein: Durch viele aufeinanderfolgende Gewichtsverlagerungen kann der Mensch seine Position wechseln und sich fortbewegen. ● parallel erfolgen: Die rechte und linke Körperhälfte können sich synchron bewegen. ● spiralartig erfolgen: Der Körper kann sich auch bei Einschränkungen durch Abstützen einer Körperhälfte in Bewegung setzen.

50.3.4 Menschliche Funktionen Die Kinästhetik unterscheidet 7 Grundpositionen (siehe ▶ Abb. 50.1). Eine sichere Grundposition ist die beste Voraussetzung dafür, evtl. über weitere Zwischenpositionen in die gewünschte Lage zu kommen. Für jede Bewegung organisiert sich der Körper in einer bestimmten Reihenfolge.

50.3.5 Anstrengung Jede Bewegung benötigt Kraft im Sinne von Anspannung. Bewegung ist immer dynamisch und eine Kombination aus ● Drücken (z. B. Abstützen auf der Matratze, den Fuß auf dem Boden abdrücken, um vorwärts zu kommen) und ● Ziehen (z. B. das Bein anziehen, einen Gegenstand hochheben).

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50.3.6 Umgebung Der Raum kann Bewegung fördern oder sie behindern, Hilfsmittel können helfen oder bremsen. Pflegende sollten sich die Umgebung anschauen, in der sie einen Patienten mobilisieren: ● Bett: Sobald der Patient an die Bettkante mobilisiert ist, sollte die Betthöhe so verändert werden, dass sich der Patient im Sitzen mit den Füßen abstützen kann. Darüber kann er sich selbst ausbalancieren und stabilisieren. ● Matratze: Widerstand fördert die Bewegung. Ist die Matratze zu weich, wird die Eigenbewegung des Patienten nicht gefördert. Die Indikation einer Wechseldruck-Matratze ist streng zu prüfen. ● Hilfsmittel: Um die Bewegungsfreiheit des Patienten nicht einzuschränken, sollen nur so viele Hilfsmittel wie nötig verwendet werden. Weiche Kissen bieten zu wenig Widerstand, damit der Patient sich abstützen und bewegen kann. Als Alternative kann man eingerollte Handtücher verwenden.

50.4 Kinästhetik in der Praxis Gemeinsames Bewegen entsteht durch das Führen und Folgen, initiiert durch Impulse. ▶ Abb. 50.2 beinhaltet die wichtigsten Regeln für die Praxis.

KOMPAK T Grundlagen der Kinästhetik ●





Kinästhetik ist eine Bewegungslehre, die auf den natürlichen Bewegungsmustern basiert. Das Konzept der Kinästhetik hilft dabei, die natürlichen Bewegungsmuster abzurufen, Mobilität zu fördern, Kraft zu sparen und die Gesundheit zu fördern. Leitsatz der Kinästhetik: „Massen fassen, Zwischenräume spielen lassen.“

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Grundlagen der Basalen Stimulation

Entzug von Sinnesreizen Verhinderung sensorischer Deprivation

z.B. über Bewegung und Reize

Leben erhalten und Entwicklung erfahren Sicherheit erleben und Vertrauen aufbauen

Stimulation Atmung Muskelspannung

zentrale Ziele, z.B.

Kommunikation über den Körper,

Wiederholungen

Konzept z.B. Lippen mit Lieblingsgetränk benetzen

Fotos

Rituale

orale und olfaktorische Erfahrungen

persönliche Pflegeangebote

Grundvertrauen fördern, z.B

Initialberührung atemstimulierende Einreibung

visuelle Erfahrungen, z.B.

somatische Erfahrungen, z.B.

große Uhr Blumen audiorhythmische Erfahrungen vestibuläre Erfahrungen

z.B. Lieblingsmusik Stress, Habituation

vibratorische Erfahrungen

z.B. leicht schaukelnde Bewegung

z.B. elektrische Zahnbürste

Pflegemaßnahmen

51.1 Hintergrundwissen Definition Basale Stimulation Konzept zur Förderung der Wahrnehmung, Kommunikation und Bewegung stark beeinträchtigter Menschen. Es beinhaltet Angebote zur Kommunikation, zum Austausch mit der Umwelt und zur Regulation ihrer eigenen Bedürfnisse. „Basal“ bezieht sich auf die frühentwickelten Sinne des Menschen. Mit „Stimulation“ sind Anregungen gemeint, die den Patienten einladen, ein Pflegeangebot anzunehmen. Von der basalen Stimulation profitieren besonders Menschen, die wahrnehmungsbeeinträchtigt sind, z. B. durch SchädelHirn-Trauma, Schlaganfall, hypoxischen Hirnschaden.

wahrnehmung eingeschränkt. Er versucht, das Vorhandene zu interpretieren, was zu falschen Sinneseindrücken führt, z. B. in Form von Halluzinationen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff sensorische Deprivation verwendet, darunter ist der teilweise bis völlige Entzug von Sinnesreizen zu verstehen.

51.1.3 Zentrale Ziele In der Basalen Stimulation stehen das Befinden und die Aktivitäten des Patienten im Mittelpunkt. Die zentralen Ziele sind: ● ● ● ● ●

51.1.1 Kommunikation



Die Basale Stimulation geht davon aus, dass der wahrnehmungsbeeinträchtigte Mensch über seinen Körper kommunizieren kann, z. B. durch die Atmung und die Muskelspannung. Zudem ist der Körper auch ansprechbar für Reize wie Berührungen, Temperaturunterschiede und Lageveränderungen.

51.1.2 Stimulation Durch Bewegung und Kontakt mit verschiedenen Materialien erfährt der Mensch seine eigenen Grenzen. Verbleibt er krankheitsbedingt über einen längeren Zeitraum in der gleichen Position oder in einer reizarmen Umgebung, wird seine Körper-

● ●

Leben erhalten und Entwicklung erfahren. Das eigene Leben spüren und gestalten. Sicherheit erleben und Vertrauen aufbauen. Den eigenen Rhythmus entwickeln. Die Außenwelt erfahren. Beziehung aufnehmen und Begegnung gestalten. Sinn und Bedeutung geben. Autonom leben und Verantwortung übernehmen.

Die einzelnen Punkte bauen aufeinander auf, ihre Reihenfolge kann aber jederzeit verändert werden.

51.2 Pflegemaßnahmen Kern der Basalen Stimulation ist die Förderung eines Grundvertrauens durch individuell angepasste Rituale, Wiederholungen und persönliche Pflegeangebote (▶ Abb. 51.1).

Abb. 51.1 Mögliche Pflegemaßnahmen der Basalen Stimulation.

Visuelle Erfahrung • visuelle Stimulation schafft Orientierung Stimulation mit • Schwarz-Weiß-Fotos • Gegenständen im Zimmer (große Uhr, Lampe) Achten auf • Patient soll sich abwenden können • Blickfeld nicht verstellen

Orale und olfaktorische Erfahrung

Vestibuläre Erfahrung

Audiorhythmische Erfahrung

• orale Stimulation verbessert Schlucken und Kauen

• vestibuläre Stimulation fördert den Lage- und Gleichgewichtssinn

• audiorhythmische Stimulation fördert den Hörsinn

Stimulation mit • Lieblingsnahrungsmitteln • vertrauten Gerüchen (z. B. Kleidung, Tierdecken)

Stimulation mit • Schaukelbewegungen

Stimulation mit • Lieblingsmusik • Ansprache von Angehörigen Achten auf • Lautstärke • Patient muss sich abwenden können

Vibratorische Erfahrung • vibratorische Stimulation fördert die Wahrnehmung der Gliedmaßen, Knochen und Gelenke Stimulation mit • z. B. elektrischer Zahnbürste an gelenknahen Stellen

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Taktile Erfahrung • taktile Stimulation verbessert die Tastfähigkeit Stimulation mit • Gegenstände ertasten • taktilem Kasten

Somatische Erfahrung • somatische Stimulation fördert Kommunikation durch Berührung Stimulation mit • Initialberührung • atemstimulierender Einreibung

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Grundlagen der Basalen Stimulation Basale Stimulation nutzt die folgenden Wahrnehmungsbereiche, um Angebote zu Kommunikation und körperlichen Erfahrungen zu machen:

51.2.1 Somatische Erfahrungen Somatische Sinneserfahrungen beziehen sich auf den Körper. Unsere Haut dient als die größte Kontaktstelle nach außen. Dies kann in der Pflege genutzt werden, in dem man einen wahrnehmungsbeeinträchtigten Patienten berührt, dadurch mit ihm in Kontakt tritt und kommuniziert. Grundsätzlich sollte Folgendes beachtet werden: ● Pflegehandlungen am Patienten sollten jeweils nur von einer Pflegeperson vorgenommen werden (und nicht von mehreren gleichzeitig). ● Die Pflegehandlungen sollten (in Ansprache mit dem Patienten) mit einer ritualisierten Initialberührung beginnen und enden (z. B. an der linken Schulter). Sie vermittelt dem Patienten Sicherheit und Vertrauen. ● Die Pflegehandlungen sollen ohne Unterbrechung durchgeführt werden. Jeder Abbruch bedeutet für den Patienten Neuanfang und Neuorientierung, was für ihn anstrengend sein kann. ● Die Bewegungen sollen langsam und rhythmisch sein, z. B. wie bei der atemstimulierenden Einreibung (ASE, siehe Kap. 28.1). ● Die Berührungen sollen großflächig sein, dadurch kann der Patient sie besser lokalisieren und zuordnen.

51.2.2 Vibratorische Erfahrungen Vibration erfährt der Mensch bereits im Mutterleib, z. B. durch Sprechen oder Bewegungen der Mutter. In der Praxis zeigt sich, dass vibratorische Stimuli aufmerksamer, wacher und gleichzeitig entspannter machen. Möglichkeiten: ● vibratorische Stimuli vor der Mobilisation bei länger bettlägerigen Patienten ● sanfte Vibrationen einsetzen, z. B. mit einer elektrischen Zahnbürste (eher ungeeignet ist das Vibrax-Gerät) ● mit Vibrationen an gelenknahen Stellen beginnen, z. B. Fersenbein oder Handwurzelknochen (nicht an großen Muskeln)

51.2.3 Taktile Erfahrungen Ein pflegebedürftiger Mensch, der lange Zeit im Bett liegt, hat kaum Möglichkeiten, taktile oder haptische Erfahrungen zu machen. Bei diesen Menschen beobachtet man Zupf- und Greifbewegungen, die als Nesteln bezeichnet werden. Nesteln ist ein Zeichen motorischer Unruhe und tritt oft im Zusammenhang mit sensorischer Deprivation auf. Angebote zur Förderung taktiler Erfahrungen: ● dem Betroffenen ein Fuß- oder Handbad anbieten ● dem Patienten vor der Körperpflege Wasch- oder Pflegeutensilien in die Hände geben, damit er sie betasten kann (z. B. Waschlappen, Zahnbürste) ● Bei der Mundpflege kann die Pflegende die Hand des Patienten führen. ● Angehörige können, auf der Biografie des Patienten Bezug nehmend, einen taktilen Kasten zusammenstellen (z. B. mit kleinem Werkzeug).

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51.2.4 Vestibuläre Erfahrungen Bettlägerige Menschen erhalten wenig vestibuläre Reize, dadurch erhalten sie weniger Informationen über den eigenen Standort (Wo befinde ich mich im Raum und in welcher Position?), die Schwerkraft (z. B. Gewicht) und über eigene Geschwindigkeit. Mögliche Angebote zur Förderung der vestibulären Erfahrung: ● Pflegende können den Kopf des Patienten leicht drehen und in eine andere Position bringen. ● Schaukelbewegungen und leichtes Kreisen des Körpers aktivieren das vestibuläre System (z. B. im Rahmen der Körperpflege, Mobilisation). ● Pflegende können die Extremitäten des Patienten in ein Handtuch legen, hochheben und schaukeln.

51.2.5 Audiorhythmische Erfahrungen Besonders in der Klinik sind Pflegebedürftige – meist hilflos – vielen unbekannten Geräuschen ausgesetzt. Das kann zu Stress führen oder sie können sich daran gewöhnen (= Habituation). Gleichzeitig können Geräusche aber auch zur positiven Stimulation der Pflegebedürftigen genutzt werden. Mögliche Angebote: ● bekannte und geliebte Geräusche anbieten, z. B. Lieblingsmusik, Sportschau, Filmserien ● passende Lautstärke vorsichtig austesten, z. B. bei Hörbeeinträchtigungen die Lautstärke langsam steigern ● akustische Reize zeitlich begrenzt einsetzen, um eine Überstimulation zu vermeiden ● Patienten von den Betriebsgeräuschen der Station abschirmen, z. B. Tür schließen

51.2.6 Orale und olfaktorische Erfahrungen Der Mund ist unsere sensibelste Körperregion. Unsere Zungenspitze ist mit den meisten taktilen Rezeptoren ausgestattet. Jeder Mensch hat als kleines Kind versucht, die Welt mit dem Mund zu erkunden. Auch unser Geruch entscheidet, ob uns jemand sympathisch ist. Die Sensibilität des Mundes und der Geruchssinn können bei wahrnehmungsgestörten Patienten gezielt angesprochen werden, z. B.: ● die Mundpflege vorsichtig anbahnen, über Berührungen der Wangen bis zum Mundwinkel ● stimulierender Einsatz von Geschmack und Geruch, z. B. Lippen mit Honig oder Lieblingsgetränk benetzen ● elektrische Zahnbürste einsetzen, dient gleichzeitig als vibratorischer Stimulus ● bekannte und geliebte Düfte (z. B. Obst) in Patientennähe stellen

51.2.7 Visuelle Erfahrungen Das Sehen ist unser Hauptsinn, mit dem wir uns die Welt erschließen. Auch wahrnehmungsbeeinträchtigte Patienten erfahren visuelle Reize. Aber vielleicht sind sie verschwommen und nicht sinnhaft oder sie sind zu wenig kontrast-

Pflegemaßnahmen reich, da zu häufig die Zimmerdecke angestarrt wird. Mögliche Angebote zur Förderung der visuellen Reize: ● Patienten häufiger aufsetzen ● Hilfreich sind Kontraste – klare Linien und eindeutige Farben. ● für Tag-Nacht-Rhythmus sorgen ● hastige Bewegungen vermeiden ● Bett so positionieren, dass der Patient aus dem Fenster schauen kann ● Hilfsmittel oder medizinische Geräte sollen das Blickfeld des Patienten nicht einschränken. ● visuelle Angebote machen, z. B. große Uhr, Blumen, Foto von Familienangehörigen

KOMPAK T Grundlagen der Basalen Stimulation Das Konzept der Basalen Stimulation wird bei stark beeinträchtigten Menschen zur Förderung der Wahrnehmung, Kommunikation und Bewegung eingesetzt. Dazu werden folgende Sinnesbereiche genutzt: ● somatische Stimulation, z. B. durch ASE, Initialberührung ● vibratorische Stimulation, z. B. mit elektrischer Zahnbürste an gelenknahen Stellen ● taktile Stimulation, z. B. Gegenstände ertasten lassen ● vestibuläre Stimulation, z. B. mit Schaukelbewegungen ● audiorhythmische Stimulation, z. B. Lieblingsmusik, Vorlesen ● orale und olfaktorische Stimulation, z. B. geliebte Gerüche in Patientennähe; Lippen mit Lieblingsgetränk benetzen ● visuelle Stimulation, z. B. für Tag-Nacht-Rhythmus sorgen, visuelle Angebote machen

52

Grundlagen des Bobath-Konzepts

verlorene Fähigkeiten wiedererlangen

Plastizität des Gehirns

lebenslange Lernfähigkeit

Rehabilitation von Menschen mit ZNS-Erkrankungen

große Unterstützungsflächen Stress reduzieren

Grundprinzipien

Indikation, z.B.

Schlüsselpunkte Normalisierung des Muskeltonus, z.B. Förderung der Körperwahrnehmung Raumgestaltung

Ziele Tempo anpassen ?

Basale Stimulation

z.B. Aufmerksamkeit auf mehr betroffene Körperhälfte fördern

Fähigkeiten berücksichtigen Anbahnung von normalen Bewegungsabläufen

Handling

gleiche Bewegungsrichtung Gewicht richtig verteilen

Fazilitation Hilfsmittel körpernah anmodellieren (Unterstützungsfläche vergrößern)

Kontrolle behalten

Lernangebot Positionierung, z.B.

Pflege über die mehr betroffene Seite Ziel: Aktivierung der mehr betroffene Seite

Lernangebot Mobilisation, z.B.

Kopfteil flach stellen Ziele: Druckentlastung Gesäß, Drehen in Seitenlage erleichtern

Bridging Bodenkontakt mit den Füßen fördert die Wahrnehmung und Balance

Ziele

52.1 Grundprinzipien Definition Bobath-Konzept Das Bobath-Konzept ist ein bewegungstherapeutisches Konzept. Es wird u. a. im Rahmen der Rehabilitation von Menschen mit Erkrankungen des ZNS genutzt (z. B. bei Schlaganfall, Schädel-HirnTrauma, Multiple Sklerose). Das Bobath-Konzept basiert auf der Annahme der lebenslangen Lernfähigkeit und Plastizität (Umstrukturierungsfähigkeit) des Gehirns. Ist eine Gehirnhälfte z.B. durch einen Schlaganfall beeinträchtigt, kann die gesunde Gehirnhälfte lernen, die Aufgaben und Fähigkeiten der beeinträchtigten Gehirnhälfte zu übernehmen. Häufige Wiederholungen und gezielte Stimulation helfen dabei.

Faktoren, die den Muskeltonus beeinflussen ●









52.2 Ziele Die zentralen Ziele der therapeutisch aktivierenden Pflege nach dem Bobath-Konzept: ● Förderung der Körperwahrnehmung ● Normalisierung des Muskeltonus ● Anbahnung von normalen Bewegungsabläufen





Alle Personen, die an der Pflege und Therapie beteiligt sind, inklusive der Angehörigen, müssen das Konzept rund um die Uhr konsequent umsetzen.

(Raum-)Temperatur: Kälte erhöht, Wärme reduziert den Tonus. Bewegungsgeschwindigkeit: Schnelle Bewegungen erhöhen, langsame reduzieren den Tonus. psychische Faktoren: Angst, Unsicherheit, Stress erhöhen den Tonus. Unterstützungsfläche: Je größer die Unterstützungsfläche, desto geringer ist der Muskeltonus und umgekehrt, z. B. ist der Tonus im Liegen am niedrigsten. Wichtig dabei ist, dass keine Hohlräume entstehen (großflächig unterlagern) und der Betroffene bequem liegt. Bei Überstreckung der Gelenke steigt der Tonus. Lage im Raum: Die Position des Betroffenen ist entscheidend, wie anstrengend die Bewegung ist, z. B. lässt sich ein Arm im Sitzen leichter heben als im Liegen. Mobilität und Stabilität: Damit eine Aktivität sicher ausgeführt werden kann, muss ein Gleichgewicht zwischen Mobilität und Stabilität bestehen, z. B. muss der Patient im Sitzen festen Bodenkontakt haben (Stabilität), um sich ohne Anstrengung und Angst nach vorn beugen zu können (Mobilität). Schlüsselpunkte: Schlüsselpunkte im Sinne des BobathKonzeptes sind folgende Körperregionen: – zentral: Thorax – proximale (körpernahe): Schulter, Becken – distale (körperferne): Hände und Füße

52.2.1 Förderung der Körperwahrnehmung

An den Schlüsselpunkten lassen sich Initialimpulse effektiver einleiten.

Der Patient soll seinen eigenen Körper wahrnehmen und auf Änderungen reagieren können. Zur Förderung der Körperwahrnehmung eigenen sich Maßnahmen der Basalen Stimulation (siehe Kap. 51).

52.2.3 Anbahnung von physiologischen Bewegungsabläufen

Raumgestaltung bei Hemiplegie Um die Aufmerksamkeit auf die mehr betroffene Körperhälfte zu fördern, kann der Raum entsprechend gestaltet werden, z. B. indem ● der Nachtschrank auf der mehr betroffenen Seite positioniert wird, ● das Bett so positioniert wird, dass der Patient über die mehr betroffene Seite in den Raum schauen muss. ● Achtung: Die Patientenklingel auf die weniger betroffene Seite legen, damit sie im Notfall schnell erreichbar ist.

52.2.2 Normalisierung des Muskeltonus Bei einer Erkrankung des ZNS (z. B. bei einem Schlaganfall) kann sich der Muskeltonus ändern: Die Muskulatur kann schlaff (niedriger Muskeltonus) oder stark angespannt sein (Spastik), womit gezielte Bewegungen nicht möglich sind. Daher muss der Muskeltonus angepasst werden, um normale Bewegungsabläufe zu ermöglichen.

Definition Physiologischer Bewegungsablauf Unter Physiologischen Bewegungsabläufen ist im Sinne des Bobath-Konzepts ein zielorientiertes und der Situation angepasstes Bewegungsverhalten zu verstehen. Pflegende unterstützen den Patienten bei der Anbahnung von Bewegungsabläufen durch Fazilitation.

Definition Fazilitation Fazilitation ist eine Technik zur Interaktion mit dem Pflegeempfänger. Sie erfolgt durch den spezifischen Einsatz der Hände und der Sprache der Pflegefachkraft, dient dem interaktiven Lernprozess und ermöglicht Alltagsaktivitäten. Pflegende unterstützen den Patienten bei der Anbahnung physiologischer Bewegungsabläufe und achten darauf, dass so wenig Kraft wie nötig angewendet wird. Die Aktivierung eines Patienten beruht auf einer Interaktion mit ihm. Voraussetzung dafür ist seine Motivation. Die Pflegenden beobachten den Patienten und versuchen zuerst, in Kontakt mit ihm zu treten. Die anschließende Bewegungsinitiierung spielt eine wesentliche Rolle für die aktive Einbeziehung des Patienten in seine Bewegung.

l 52

Grundlagen des Bobath-Konzepts

52.3 Handling – Führen von Bewegungen „Handling“ ist ein Oberbegriff innerhalb des Bobath-Konzepts und meint die therapeutisch korrekte Handhabung des Patienten bei der Bewegung. Handling wird genutzt, wann immer ein Patient bewegt wird oder sich durch Fazilitation selber bewegt (z. B. beim Umsetzen in den Rollstuhl). Pflegende begleiten oder führen die Bewegung, um verloren gegangene Abläufe neu einzuüben. Wichtig dabei ist: ● sich an dem Tempo des Patienten zu orientieren ● seine Fähigkeiten zu berücksichtigen ● Pflegefachkraft und Patient müssen die Kontrolle über die Bewegung haben. ● Die Bewegungsrichtung des Patienten und der Pflegefachkraft müssen übereinstimmen. ● Was bewegt wird, muss entlastet sein und darf kein Gewicht tragen.

52.3.1 Lernangebot Positionierung und Mobilisation Menschen mit einer Bewegungseinschränkung (z. B. Patienten mit Hemiplegie nach einem Schlaganfall) müssen u. U. mehrmals am Tag positioniert werden. Allgemein gilt, dass der Patient viele verschiedene Positionen erfahren sollte. Um aus jeder (Neu-)Positionierung auch gleichzeitig ein Lernangebot zu machen, sollte Folgendes beachtet werden: ● Kopfteil des Bettes flach stellen (Kontraindikation beachten!), somit wird der Druck auf das Gesäß reduziert und das Drehen in Seitenlage leichter. ● Hilfsmittel (z. B. Kissen, Handtücher, Decken) werden nah an den Körper des Patienten angelegt, um Sicherheit und Stabilität zu bieten. Gleichzeitig wird die Unterstützungsfläche vergrößert und Hohlräume werden vermieden. ● Die Pflegefachkraft steht meist auf der mehr betroffenen Seite. So kann sie diese Seite unterstützen und in die Abläufe einbeziehen. Grundsätzlich soll sich der Patient in der gewählten Position wohlfühlen und keine Schmerzen haben. Bei der Positionierung bzw. Mobilisation ist auch auf Folgendes zu achten: ● Vor dem Aufstellen des Beines sollte das Bein zunächst so ausgerichtet werden, dass es parallel zur Körperachse liegt.

332















Beim Becken-zur-Seite-Bewegen wird das sog. Bridging angewendet. Der Patient kann bei der Seitwärtsbewegung die weniger betroffene Hand auf die Schulter der Pflegeperson legen. Damit der Patient mit der Umwelt in Kontakt treten kann, ist die Positionierung auf die mehr betroffene Seite (90°Seitenlage) zu wählen. Die Positionierung auf die weniger betroffene Seite ist für Schlaf- und Ruhephasen geeignet. Stabiler Sitz im Bett: Patienten zum Kopfende bewegen – Knick des Kopfteils auf Leistenhöhe bringen – Oberschenkel und LWS unterlagern – Kopfteil hochstellen Sitzen an der Bettkante, im Stuhl (zu bevorzugen) oder Rollstuhl (Fußstützen entfernen!): Grundsätzlich muss auf Bodenkontakt geachtet werden. Im Sitzen an der Bettkante spürt der Patient seinen Körper und die Schwerkraft besser als im Liegen. Der Patient übt dabei, die Balance zu halten. Stehen: Wenn möglich, sollte der Patient das Stehen häufig üben, um sein Körpergewicht und die Schwerkraft zu spüren, Spitzfüße zu vermeiden und die Bewegungsfähigkeit in der Hüfte zu erhalten.

KOMPAK T Das Bobath-Konzept Das Bobath-Konzept ist ein Behandlungskonzept, das bei Menschen mit Erkrankungen des ZNS Anwendung findet, die unter Bewegungsstörungen, Lähmungserscheinungen und Spastiken leiden. Grundannahme: Die Plastizität und die lebenslange Lernfähigkeit des Gehirns ermöglichen das Wiedererlangen der verloren gegangenen Fähigkeiten. Zentrale Ziele des Konzepts sind: ● Förderung der Körperwahrnehmung ● Normalisierung des Muskeltonus ● Anbahnung von physiologischen Bewegungsabläufen Pflegende begleiten oder führen die Bewegung des Patienten, um verloren gegangene Abläufe neu einzuüben.

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Grundlagen des Bobath-Konzepts

52.3 Handling – Führen von Bewegungen „Handling“ ist ein Oberbegriff innerhalb des Bobath-Konzepts und meint die therapeutisch korrekte Handhabung des Patienten bei der Bewegung. Handling wird genutzt, wann immer ein Patient bewegt wird oder sich durch Fazilitation selber bewegt (z. B. beim Umsetzen in den Rollstuhl). Pflegende begleiten oder führen die Bewegung, um verloren gegangene Abläufe neu einzuüben. Wichtig dabei ist: ● sich an dem Tempo des Patienten zu orientieren ● seine Fähigkeiten zu berücksichtigen ● Pflegefachkraft und Patient müssen die Kontrolle über die Bewegung haben. ● Die Bewegungsrichtung des Patienten und der Pflegefachkraft müssen übereinstimmen. ● Was bewegt wird, muss entlastet sein und darf kein Gewicht tragen.

52.3.1 Lernangebot Positionierung und Mobilisation Menschen mit einer Bewegungseinschränkung (z. B. Patienten mit Hemiplegie nach einem Schlaganfall) müssen u. U. mehrmals am Tag positioniert werden. Allgemein gilt, dass der Patient viele verschiedene Positionen erfahren sollte. Um aus jeder (Neu-)Positionierung auch gleichzeitig ein Lernangebot zu machen, sollte Folgendes beachtet werden: ● Kopfteil des Bettes flach stellen (Kontraindikation beachten!), somit wird der Druck auf das Gesäß reduziert und das Drehen in Seitenlage leichter. ● Hilfsmittel (z. B. Kissen, Handtücher, Decken) werden nah an den Körper des Patienten angelegt, um Sicherheit und Stabilität zu bieten. Gleichzeitig wird die Unterstützungsfläche vergrößert und Hohlräume werden vermieden. ● Die Pflegefachkraft steht meist auf der mehr betroffenen Seite. So kann sie diese Seite unterstützen und in die Abläufe einbeziehen. Grundsätzlich soll sich der Patient in der gewählten Position wohlfühlen und keine Schmerzen haben. Bei der Positionierung bzw. Mobilisation ist auch auf Folgendes zu achten: ● Vor dem Aufstellen des Beines sollte das Bein zunächst so ausgerichtet werden, dass es parallel zur Körperachse liegt.

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Beim Becken-zur-Seite-Bewegen wird das sog. Bridging angewendet. Der Patient kann bei der Seitwärtsbewegung die weniger betroffene Hand auf die Schulter der Pflegeperson legen. Damit der Patient mit der Umwelt in Kontakt treten kann, ist die Positionierung auf die mehr betroffene Seite (90°Seitenlage) zu wählen. Die Positionierung auf die weniger betroffene Seite ist für Schlaf- und Ruhephasen geeignet. Stabiler Sitz im Bett: Patienten zum Kopfende bewegen – Knick des Kopfteils auf Leistenhöhe bringen – Oberschenkel und LWS unterlagern – Kopfteil hochstellen Sitzen an der Bettkante, im Stuhl (zu bevorzugen) oder Rollstuhl (Fußstützen entfernen!): Grundsätzlich muss auf Bodenkontakt geachtet werden. Im Sitzen an der Bettkante spürt der Patient seinen Körper und die Schwerkraft besser als im Liegen. Der Patient übt dabei, die Balance zu halten. Stehen: Wenn möglich, sollte der Patient das Stehen häufig üben, um sein Körpergewicht und die Schwerkraft zu spüren, Spitzfüße zu vermeiden und die Bewegungsfähigkeit in der Hüfte zu erhalten.

KOMPAK T Das Bobath-Konzept Das Bobath-Konzept ist ein Behandlungskonzept, das bei Menschen mit Erkrankungen des ZNS Anwendung findet, die unter Bewegungsstörungen, Lähmungserscheinungen und Spastiken leiden. Grundannahme: Die Plastizität und die lebenslange Lernfähigkeit des Gehirns ermöglichen das Wiedererlangen der verloren gegangenen Fähigkeiten. Zentrale Ziele des Konzepts sind: ● Förderung der Körperwahrnehmung ● Normalisierung des Muskeltonus ● Anbahnung von physiologischen Bewegungsabläufen Pflegende begleiten oder führen die Bewegung des Patienten, um verloren gegangene Abläufe neu einzuüben.

7 882 ieme

Pflege bei speziellen Erkrankungen 53 Pflege bei Erkrankungen des Herzens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 54 Pflege bei Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems. . . . . . . . . . . . . . . 348 55 Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 56 Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 57 Pflege bei Erkrankungen der Niere und der Harnwege, Störungen des Wasserund Säure-Basen-Haushalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 58 Pflege bei Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels . . . . . . . 410 59 Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 60 Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 61 Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 62 Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 63 Pflege bei Erkrankungen der Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 64 Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 65 Pflege bei Erkrankungen der Psyche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 66 Pflege bei organübergreifenden Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516

Anatomie und Physiologie des Herzens

53.1 Anatomie und Physiologie des Herzens 53.1.1 Aufbau, Lage, Form und Größe Das Herz liegt zwischen beiden Lungenflügeln in der Mitte des Thorax (Brustkorb). Der Raum zwischen den beiden Lungenflügeln wird als Mediastinum bezeichnet. Es wiegt beim gesunden Erwachsenen etwa 300 Gramm. Die Herzvorderseite (Vorderwand) wird durch Rippen und Sternum begrenzt. Die Herzhinterseite (Hinterwand) grenzt an die Speiseröhre. Funktionell wird das Herz in eine rechte und eine linke Herzhälfte unterteilt. Jede Herzhälfte besteht aus einem Vorhof und einer Kammer. Zwischen Vorhof und Kammer liegt jeweils eine Segelklappe (Mitral- bzw. Trikuspidalklappe). Zwischen den Herzkammern und dem arteriellen Gefäßsystem liegen die Taschenklappen (Pulmonal- bzw. Aortenklappe).

53.1.2 Aufgabe und Funktion Jeder Herzschlag besteht aus 2 Phasen: ● Systole: Zu Beginn der Systole steigt der Druck in den Kammern und durch die Kontraktion entsteht der 1. Herzton (Anspannungsphase). Die Taschenklappen öffnen sich und es wird Blut ins arterielle Gefäßsystem „gepumpt“ (Austreibungsphase). ● Diastole: Dann schließen sich die Taschenklappen wieder, was den 2. Herzton erzeugt. Während der Diastole entspannt sich das Herz (Entspannungsphase). Die AV-Klappen öffnen sich und die Kammern füllen sich passiv mit Blut (Füllungsphase).

Das Herz pumpt das Blut durch 2 Kreislaufsysteme (▶ Abb. 53.1): ● Im Lungenkreislauf (kleiner Kreislauf) wird das aus dem Körperkreislauf zurückflutende sauerstoffarme Blut mit Sauerstoff angereichert. Blutfluss: rechte Herzkammer → Pulmonalklappe → Truncus pulmonalis → Lungenarterien → Lunge → Lungenvenen → linker Herzvorhof → Mitralklappe → Körperkreislauf ● Im Körperkreislauf (großer Kreislauf) durchströmt das Blut alle Organsysteme und versorgt diese mit Sauerstoff. Auf dem Weg zurück zum rechten Herzvorhof transportiert es Kohlenstoffdioxid als Abfallprodukt der Energiegewinnung zurück zur Lunge. Blutfluss: linke Herzkammer → Aortenklappe → Aorta → Arterien → periphere Organe, Muskulatur, Gehirn etc. → Venen → untere bzw. obere Hohlvene → rechter Herzvorhof → Trikuspidalklappe → Lungenkreislauf

53.1.3 Feinbau Aufbau der Herzwand ● Herzinnenschicht (Endokard): kleidet das Herz innen aus und bildet die Segelklappen ● Herzmuskelschicht (Myokard): Der Herzmuskel ist zuständig für die Herzkraft und bildet das Reizleitungs- und Reizbildungssystem. Histologisch ist er eine Mischform aus quergestreifter und glatter Muskulatur. Die Zellen sind durch viele „Gap Junctions“ verbunden und können Erregungen dadurch schnell weiterleiten. ● Herzaußenhaut (Epikard): bildet die äußere Bindegewebsschicht der Herzens und den inneren Anteil des Herzbeutels Umgeben ist das Herz vom Herzbeutel. Durch ihn ist das Herz gegen seine Umgebung verschiebbar. Dadurch kann die Herzkontraktion ohne Reibung ablaufen.

Abb. 53.1 Der Weg des Blutes durch das Herz. Halsschlagader (A. carotis communis)

Truncus brachiocephalicus Aorta

Schlüsselbeinarterie (A. subclavia)

obere Hohlvene (V. cava superior)

Lungenarterie (A. pulmonalis)

Lungenvene (V. pulmonalis)

Lungenvene (V. pulmonalis)

Foramen ovale

linker Vorhof

Truncus pulmonalis

Mitral- oder Bikuspidalklappe

rechter Vorhof

Aortenklappe

Trikuspidalklappe

linke Kammer

untere Hohlvene (V. cava inferior)

rechte Kammer

Pulmonalklappe

Die Pfeile stellen die Fließrichtung dar: blaue Pfeile = sauerstoffarmes Blut; rote Pfeile = sauerstoffreiches Blut Aus: Bommas-Ebert U, Teubner P, Voß R. Kurzlehrbuch Anatomie und Embryologie. Thieme; 2011

l 53

Pflege bei Erkrankungen des Herzens Der Herzbeutel besteht aus zwei Anteilen: einem inneren Blatt, dem Epikard, und einem äußeren Blatt, dem Perikard. Das Epikard ist mit dem Herzmuskel verwachsen, das Perikard mit Strukturen, die dem Herzen benachbart sind (z. B. Zwerchfell). Zwischen Epikard und Perikard liegt ein dünner Flüssigkeitssaum, der die Verschiebbarkeit des Herzens innerhalb des Herzbeutels optimiert.

53.1.4 Gefäßversorgung Zur ausreichenden Versorgung mit Sauerstoff benötigt der schwer arbeitende Herzmuskel eine eigene Blutversorgung. Ist diese unterbrochen, kommt es zum Herzinfarkt. Die das Herz versorgenden Arterien werden als Koronargefäße bezeichnet. Sie entspringen direkt der Aorta. Es gibt zwei Hauptgefäße, wobei sich die linke Koronararterie rasch aufteilt. Deshalb spricht man oft von 3 Koronararterien (▶ Abb. 53.2):





rechte Koronararterie: A. coronaria dextra (lat.) bzw. Right coronary artery (engl.), kurz: RCA. Sie versorgt den re. Vorhof und die re. Herzkammer. linke Koronararterie: A. coronaria sinistra (lat.) bzw. Left coronary artery (engl.), kurz: LCA. Sie versorgt primär den li. Vorhof, die li. Herzkammer und die Herzscheidewand. Sie teilt sich kurz nach Abgang aus der Aorta auf in: – Ramus interventricularis anterior (lat.), kurz: RIVA, bzw. Left anterior descending coronary artery (engl.), kurz: LAD. Er verläuft auf der Vorderseite des Herzens zwischen li. und re. Herzkammer. – Ramus circumflexus (lat.), kurz: RCX, bzw. Left circumflex coronary artery, kurz: LCX. Er läuft zwischen li. Vorhof und li. Herzkammer.

Der venöse Abfluss der Koronararterien erfolgt über den Sinus coronarius, eine große Vene auf der Rückseite des Herzens. Sie mündet in den rechten Vorhof.

Abb. 53.2 Herzkranzgefäße. Truncus pulmonalis

linke Herzkranzarterie (A. coronaria sinistra)

linke Lungenvene (V. pulmonalis sinistra superior)

obere Hohlvene (V. cava superior)

linkes Herzohr Aorta

R. circumflexus (RCX)

rechte Herzkranzarterie (A. coronaria dextra)

V. interventricularis anterior R. interventricularis anterior (RIVA)

rechtes Herzohr

linke Kammer

kleine Herzvene (V. cardiaca parva)

Herzspitze a

rechte Kammer

linker Vorhof linke Lungenvenen (Vv. pulmonales sinistrae) große Herzvene (V. cardiaca magna) Koronarvenensinus (Sinus coronarius)

obere Hohlvene (V. cava superior) rechte Lungenvenen (Vv. pulmonales dextrae) rechter Vorhof untere Hohlvene (V. cava inferior) rechte Herzkranzarterie (A. coronaria dextra) kleine Herzvene (V. cardiaca parva)

b

mittlere Herzvene (V. cardiaca media)

Die wichtigsten Koronargefäße im Überblick. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

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Mitwirken bei der Diagnostik

53.1.5 Reizleitungs- und Reizbildungssystem Das Reizleitungs- und Reizbildungssystem im Herzen ist für den elektrischen Antrieb des Herzens verantwortlich. Es ist in seiner Funktion autonom (d. h. vom Gehirn unabhängig) und besteht aus spezialisierten Herzmuskelzellen. Beeinflusst wird es vom vegetativen Nervensystem (Sympathikus und Parasympathikus). Die elektrische Erregung des Herzens wird beim Gesunden im Sinusknoten gebildet. Grundsätzlich ist jedoch jeder Anteil des Reizleitungs- und Reizbildungssystems zur Produktion elektrischer Erregungen fähig. Strukturen des Reizleitungs- und Reizbildungssystems: ● Sinusknoten: beim Gesunden der „Taktgeber“ des Herzens. Er liegt im rechten Vorhof, kurz neben der Einmündung der oberen Hohlvene, und gibt eine Herzfrequenz von etwa 80/Min. vor. ● AV-Knoten: Er liegt am Boden des rechten Vorhofs und verzögert die Weiterleitung der elektrischen Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern. Dadurch kontrahieren Vorhöfe und Kammern nicht gemeinsam. ● HIS-Bündel: leitet die elektrische Erregung von den Vorhöfen auf die Kammern über. ● Tawara-Schenkel: Die beiden Tawara-Schenkel leiten die Erregung auf die rechte und linke Herzkammer über. Beide teilen sich in ihrem weiteren Verlauf weiter auf und enden in Form von Purkinje-Fasern im Myokard.

53.2 Mitwirken bei der Diagnostik Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen bei Patienten mit Herzerkrankungen sind: ● ärztliche Anamnese ● Puls und Blutdruckmessung (siehe Kap. 16) ● Elektrokardiogramm (EKG) ● Echokardiografie (Ultraschalluntersuchung des Herzens) ● Herzkatheteruntersuchung

53.2.1 Elektrokardiogramm Das Elektrokardiogramm (kurz: EKG) zeichnet grafisch auf, wie sich die elektrische Erregung im Herzen ausbreitet. Es gibt Auskunft über sämtliche elektrischen Abläufe innerhalb der Herzaktion. Keine Auskunft gibt es über die Herzkraft! Pflegende sollten v. a. wissen, wie die Saug- bzw. Klebeelektroden positioniert werden. Im normalen Ruhe-EKG werden 12 Ableitungen abgeleitet. Dies bedeutet, dass das Herz aus insgesamt 12 verschiedenen Blickwinkeln beurteilt werden kann. Man unterscheidet: ● Extremitätenableitungen: 4 Kabel für die Ableitungen I, II, III (Einthoven) und aVF, aVL, aVR (Goldberger). Anlegen nach dem „Ampel-Prinzip“: Rot (re. Handgelenk), Gelb (li. Handgelenk), Grün (li. Fußgelenk), Schwarz (re. Fußgelenk) ● Brustwandableitungen: 6 Kabel für die Ableitungen V1 bis V6 (Wilson). V1 und V2 li. und re. des Sternums auf Höhe 4. ICR, V4 im 5. ICR in der Medioklavikularlinie, V6 im 5. ICR in der mittleren Axillarlinie. V3 und V5 jeweils zwischen den Nachbarelektroden

Neben dem Ruhe-EKG gibt es folgende EKG-Arten: ● Monitor-EKG: kontinuierliche Überwachung der Herzaktion (auf Intensiv- oder Überwachungsstationen). Dazu werden 3 Elektroden am Brustkorb des Patienten nach dem „Ampelschema“ (rot, gelb, grün) geklebt. ● Langzeit-EKG: Aufzeichnung während der normalen täglichen Aktivität, meistens über 24 Stunden ● Belastungs-EKG: Ableitung unter Belastung (z. B. auf dem Fahrradergometer)

53.2.2 Echokardiografie Die Ultraschalluntersuchung des Herzens wird als Echokardiografie bezeichnet. Mit ihr kann das Herz auf Klappenfehler, Bewegungsstörungen und verminderte Auswurfleistung untersucht werden. Grundsätzlich gibt es 2 Verfahren der Echokardiografie: ● transthorakale Echokardiografie: Der Ultraschallkopf wird auf den Brustkorb des Patienten aufgesetzt. Weil manchmal Bewegungsstörungen des Herzens erst unter Belastung auftreten, wird das Verfahren mitunter unter körperlicher Belastung durchgeführt (Stressechokardiografie). ● transösophageale Echokardiografie (kurz: TEE): Der Ultraschallkopf wird wie bei der Magenspiegelung durch die Speiseröhre eingeführt. Dadurch kann das Herz von seiner Rückseite her untersucht werden. Vorteil: Die Herzklappen sind von hier aus sehr viel besser sichtbar als in der transthorakalen Echokardiografie. Entsprechend wird die TEE besonders zur Beurteilung der Vorhofohren und beim Verdacht auf Endokarditis eingesetzt. Pflegerisch wichtig: Vor der TEE muss der Patient nüchtern sein.

53.2.3 Herzkatheteruntersuchung Bei der Herzkatheteruntersuchung führt der Arzt einen dünnen Katheter über ein großes Blutgefäß zum Herzen. Je nachdem, ob das linke oder das rechte Herz untersucht werden soll, erfolgt der Eingriff über eine Arterie (Linksherzkatheter) oder über eine Vene (Rechtsherzkatheter). Mittels Linksherzkatheter können die Herzkranzgefäße sichtbar gemacht werden (Koronarangiografie). Dazu wird ein Katheter über eine große Arterie (meist A. radialis am Handgelenk, seltener A. femoralis in der Leiste) bis zum Herzen vorgeschoben. Anschließend wird über den Katheter Kontrastmittel gespritzt und die Koronargefäße so sichtbar gemacht. Festgestellte Engstellen können mit einem in die jeweilige Koronararterie platzierten Ballonkatheter aufgedehnt werden (perkutane transluminale koronare Angioplastie, kurz: PTCA). Zusätzlich wird häufig ein Drahtgeflecht (Stent) eingebracht, um die Engstelle offen zu halten.

Pflegerische Aufgaben Vorbereitung ● Laborwerte abnehmen bzw. bereitlegen (Quick/INR, pTT, TSH, T3, T4, Kreatinin) ● Unterlagen zu Voruntersuchungen (z. B. Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, Echokardiografie) und unterschriebene Einverständniserklärung bereitlegen ● ggf. Morgenmedikation des Patienten nach Arztanordnung modifizieren (z. B. Pausieren von Clexane)

l 53

Pflege bei Erkrankungen des Herzens ●









Patienten nüchtern lassen (je nach Klinik ist ggf. ein leichtes Frühstück erlaubt) Leistengegend nach hausinternem Standard rasieren (bei Zugang über A. femoralis) Fußpulse tasten und Taststellen für spätere Kontrolle markieren. Zusätzlich Hautfarbe, Hauttemperatur und Sensibilität als Richtwert für Verlaufskontrollen erfassen. Flügelhemd und Thromboseprophylaxestrumpf am nicht punktierten Bein anziehen Patienten im Bett zur Untersuchung bringen

Durchführung • Die Durchführung erfolgt meist durch die Pflegefachkraft des Herzkatheterlabors: ● i. v.-Zugang/Infusion und Kontrastmittel bereitlegen ● Monitor-EKG anlegen ● Röntgenschürzen bereitlegen ● nach der Untersuchung Druckverband anlegen Nachbereitung Patienten engmaschig überwachen (Blutdruck, Pulse, Sensibilität, Hautfarbe, Hauttemperatur der punktierten Extremität, Patient soll Missempfinden sofort melden) ● bei Punktion in der Leiste: Bettruhe für mindestens 6 Stunden ● Druckverband: – kontrollieren und auf Nachblutungen achten (Hypotonie, Tachykardie, Hämatome, frische Blutflecken) – nach Arztanordnung lockern bzw. ganz entfernen ● ausreichend Flüssigkeitszufuhr (oral oder über Infusionen) sicherstellen, um das Kontrastmittel auszuschwemmen, ggf. Bilanzierung durchführen ● Essen und Trinken sind i. d. R. sofort wieder erlaubt. ● Medikamentengabe nach Arztanordnung (z. B. Heparin über Perfusor, Plavix, ASS) ●

KOMPAK T Mitwirken bei der Diagnostik Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen bei Herzerkrankungen: ● ärztliche Anamnese, Puls und Blutdruckmessung ● EKG: für normales Ruhe-EKG werden 12 Ableitungen benötigt (Einthoven/Goldberger und Wilson). Für ein Monitor-EKG reichen die Extremitätenableitungen (meist zum Körperstamm hin verlagert). ● Echokardiografie: entweder transthorakal oder transösophageal. Bei der TEE (transösophageale Echokardiografie) muss der Patient nüchtern sein. ● Herzkatheter: nach Koronarangiografie Patient engmaschig überwachen, Druckverband in der Leiste kontrollieren, auf Fußpulse achten

53.3 Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen Wie stark ein Patient pflegerisch unterstützt werden muss, hängt von seiner Belastungsgrenze ab. Diese variiert je nach Erkrankung (ggf. in Absprache mit dem Arzt). ● Beobachtung: – Vitalparameter engmaschig kontrollieren und dokumentieren, Veränderungen und Auffälligkeiten dem Arzt mitteilen. Blutdruck und Puls: lassen wichtige Rückschlüsse auf die Pumpfunktion des Herzens zu: mind. 2–3-mal täglich kontrollieren, ggf. zusätzlich vor und nach körperlichen Belastungen, um Veränderungen frühzeitig erkennen zu können – Ruhe-EKG erheben und/oder EKG-Monitor anschließen (auf Arztanordnung) ● Medikamentenmanagement: medikamentöse Therapie überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten (siehe Kap. 36) ● Mobilisation und Positionierung: – Oberkörperhochlage (entlastet das Herz) – individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten – ggf. Bettruhe nach Arztanordnung (z. B. im Akutstadium) – Physiotherapie, Herzsportgruppe ● Körperpflege: – individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten – ggf. komplette Übernahme im Bett, z. B. im Akutstadium eines Herzinfarkts, akuter Herzinsuffizienz, oder nach einem operativen Eingriff – für Sitzmöglichkeiten beim Duschen sorgen ● Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Dekubitus-, Thrombose-, Kontrakturenprophylaxe: besonders bei verordneter Bettruhe oder stark eingeschränkter Belastung ● psychosoziale Begleitung: – Gesprächsbereitschaft signalisieren – über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen (z. B. längerer Ausfall am Arbeitsplatz) ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Wegen des chronischen Charakters vieler Herzerkrankungen ist es wichtig, dass Patienten individuell informiert, beraten, angeleitet oder geschult werden über: – Erkrankung, Verlauf und mögliche Symptome – verordnete (Notfall-)Medikamente (Wirkung und Nebenwirkung)

53.3.1 Perioperative Pflege bei Herz-OPs Beachten Sie auch die allgemeine perioperative Pflege (siehe Kap. 41).

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Pflege bei Erkrankungen des Herzens ●









Patienten nüchtern lassen (je nach Klinik ist ggf. ein leichtes Frühstück erlaubt) Leistengegend nach hausinternem Standard rasieren (bei Zugang über A. femoralis) Fußpulse tasten und Taststellen für spätere Kontrolle markieren. Zusätzlich Hautfarbe, Hauttemperatur und Sensibilität als Richtwert für Verlaufskontrollen erfassen. Flügelhemd und Thromboseprophylaxestrumpf am nicht punktierten Bein anziehen Patienten im Bett zur Untersuchung bringen

Durchführung • Die Durchführung erfolgt meist durch die Pflegefachkraft des Herzkatheterlabors: ● i. v.-Zugang/Infusion und Kontrastmittel bereitlegen ● Monitor-EKG anlegen ● Röntgenschürzen bereitlegen ● nach der Untersuchung Druckverband anlegen Nachbereitung Patienten engmaschig überwachen (Blutdruck, Pulse, Sensibilität, Hautfarbe, Hauttemperatur der punktierten Extremität, Patient soll Missempfinden sofort melden) ● bei Punktion in der Leiste: Bettruhe für mindestens 6 Stunden ● Druckverband: – kontrollieren und auf Nachblutungen achten (Hypotonie, Tachykardie, Hämatome, frische Blutflecken) – nach Arztanordnung lockern bzw. ganz entfernen ● ausreichend Flüssigkeitszufuhr (oral oder über Infusionen) sicherstellen, um das Kontrastmittel auszuschwemmen, ggf. Bilanzierung durchführen ● Essen und Trinken sind i. d. R. sofort wieder erlaubt. ● Medikamentengabe nach Arztanordnung (z. B. Heparin über Perfusor, Plavix, ASS) ●

KOMPAK T Mitwirken bei der Diagnostik Die wichtigsten diagnostischen Maßnahmen bei Herzerkrankungen: ● ärztliche Anamnese, Puls und Blutdruckmessung ● EKG: für normales Ruhe-EKG werden 12 Ableitungen benötigt (Einthoven/Goldberger und Wilson). Für ein Monitor-EKG reichen die Extremitätenableitungen (meist zum Körperstamm hin verlagert). ● Echokardiografie: entweder transthorakal oder transösophageal. Bei der TEE (transösophageale Echokardiografie) muss der Patient nüchtern sein. ● Herzkatheter: nach Koronarangiografie Patient engmaschig überwachen, Druckverband in der Leiste kontrollieren, auf Fußpulse achten

53.3 Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen Wie stark ein Patient pflegerisch unterstützt werden muss, hängt von seiner Belastungsgrenze ab. Diese variiert je nach Erkrankung (ggf. in Absprache mit dem Arzt). ● Beobachtung: – Vitalparameter engmaschig kontrollieren und dokumentieren, Veränderungen und Auffälligkeiten dem Arzt mitteilen. Blutdruck und Puls: lassen wichtige Rückschlüsse auf die Pumpfunktion des Herzens zu: mind. 2–3-mal täglich kontrollieren, ggf. zusätzlich vor und nach körperlichen Belastungen, um Veränderungen frühzeitig erkennen zu können – Ruhe-EKG erheben und/oder EKG-Monitor anschließen (auf Arztanordnung) ● Medikamentenmanagement: medikamentöse Therapie überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten (siehe Kap. 36) ● Mobilisation und Positionierung: – Oberkörperhochlage (entlastet das Herz) – individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten – ggf. Bettruhe nach Arztanordnung (z. B. im Akutstadium) – Physiotherapie, Herzsportgruppe ● Körperpflege: – individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten – ggf. komplette Übernahme im Bett, z. B. im Akutstadium eines Herzinfarkts, akuter Herzinsuffizienz, oder nach einem operativen Eingriff – für Sitzmöglichkeiten beim Duschen sorgen ● Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Dekubitus-, Thrombose-, Kontrakturenprophylaxe: besonders bei verordneter Bettruhe oder stark eingeschränkter Belastung ● psychosoziale Begleitung: – Gesprächsbereitschaft signalisieren – über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen (z. B. längerer Ausfall am Arbeitsplatz) ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Wegen des chronischen Charakters vieler Herzerkrankungen ist es wichtig, dass Patienten individuell informiert, beraten, angeleitet oder geschult werden über: – Erkrankung, Verlauf und mögliche Symptome – verordnete (Notfall-)Medikamente (Wirkung und Nebenwirkung)

53.3.1 Perioperative Pflege bei Herz-OPs Beachten Sie auch die allgemeine perioperative Pflege (siehe Kap. 41).

340

Erkrankungen des Herzens

Präoperative Pflege ●





postoperative Fähigkeiten einüben (z. B. Umgang mit Thoraxdrainagen, En-bloc-Aufstehen, Pneumonieprophylaxe mittels Tri-Flow) kardiologische Untersuchungsberichte bereitlegen (z. B. EKG, Echokardiografie, Koronarangiografie) Rasur von Brust und Abdomen; ggf. des Beines bei Venenentnahme aus dem Bein

Postoperative Pflege Bei Bypass-OP: ● Beobachtung von Sternumcerclagen und Thoraxdrainagen ● täglicher Verbandwechsel ● langes Taubheitsgefühl im Bereich der Brust möglich ● Reha-Aufenthalt nach der OP

KOMPAK T Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen ●





● ●

Vitalparameter regelmäßig kontrollieren, v. a. Puls und Blutdruck lassen wichtige Rückschlüsse auf die Pumpfunktion des Herzens zu. Mobilisation und Körperpflege: individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft zeigen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: über Erkrankung, Verlauf und mögliche Symptome, verordnete (Notfall-)Medikamente

53.4 Erkrankungen des Herzens 53.4.1 Koronare Herzkrankheit Definition Koronare Herzkrankheit (KHK) Bei der KHK sind die Herzkranzgefäße durch Arteriosklerose verengt. Der Herzmuskel ist dadurch minderdurchblutet und erhält zu wenig Sauerstoff. Hierdurch kommt es zum typischen Symptom „Angina pectoris“. Je nachdem, wie viele der insgesamt 3 großen Koronargefäße betroffen sind, spricht man von einer 1-, 2oder 3-Gefäß-Erkrankung.

Ursachen Die Ursache einer KHK ist die Arteriosklerose. Arteriosklerose ist eine Erkrankung der Arterien. Hauptrisikofaktoren sind: ● Fettstoffwechselstörungen ● arterielle Hypertonie ● Diabetes mellitus ● Rauchen ● familiäre Veranlagung ● männliches Geschlecht ● Alter über 65 Jahre

Pathophysiologie • Entzündungszellen dringen in die Gefäßwand ein, Fette und Kalk lagern ein (Plaquebildung) → Plaques wachsen an → Gefäßlumen wird enger → Blutfluss wird eingeschränkt → Durchblutungsstörungen → Gefäßwände werden starr → das Gefäß verliert die Fähigkeit zur Anpassung an verschiedene Druckverhältnisse

Symptome Angina pectoris • Die Angina pectoris ist das Leitsymptom der KHK. Typische Anzeichen sind: ● Brustschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm, die Magengegend und den Unterkiefer ● Angst ● Engegefühl im Brustkorb ● Dyspnoe ● vegetative Symptome (z. B. starkes Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen) Stabile Angina pectoris • Viele KHK-Patienten sind medikamentös gut auf ihre Erkrankung eingestellt. Bei ihnen treten die Symptome eher selten und meist nur unter Belastung auf. Kommt es zur Angina pectoris, ist diese meist durch Nitro-Spray gut zu behandeln. Akutes Koronarsyndrom • Sehr viel stärker sind die Symptome bei einem akuten Koronarsyndrom (kurz: ACS). Unter diesem Begriff werden zusammengefasst: ● instabile Angina pectoris: akute Verschlechterung einer bestehenden KHK, oft mit Ruhesymptomen. Der Übergang zum Herzinfarkt ist fließend. Daher wird eine instabile Angina pectoris bis zum Beweis des Gegenteils wie ein Herzinfarkt behandelt. ● NSTEMI (non ST-segment-elevation myocardial infarction): ein Herzinfarkt, der nur im Labor und anhand klinischer Symptome diagnostiziert werden kann. Das EKG sieht normal aus. ● STEMI (ST-segment-elevation myocardial infarction): Herzinfarkt, der sich in Labor, Symptomatik und EKG zeigt Das Krankheitsbild „Herzinfarkt“ finden Sie anschließend in Kap. 53.4.2.

Diagnostik ●

● ●

● ●





Anamnese (Luftnot und Schmerzen unter Belastung? Risikofaktoren?) klinische Untersuchung (Ödeme? Herzgeräusche?) Ruhe- und Belastungs-EKG (ST-Strecken-Veränderungen? T-Wellen-Veränderungen?) Blutuntersuchungen (Cholesterin? CK/CK-MB? Troponin T?) (Stress-)Echokardiografie (Auswurfleistung? Wandbewegungsstörungen?) Kardio-MRT (Stenosen der Koronargefäße? Ischämien des Herzmuskels?) Koronarangiografie (aussagekräftigste Untersuchung)

Therapie Nichtmedikamentöse Therapie • Ziel: Risikofaktoren reduzieren, z. B. durch Gewichtsreduktion, fettarme Ernährung, körperliche Bewegung (z. B. Herzsportgruppen), Verzicht auf Nikotin

Erkrankungen des Herzens

Präoperative Pflege ●





postoperative Fähigkeiten einüben (z. B. Umgang mit Thoraxdrainagen, En-bloc-Aufstehen, Pneumonieprophylaxe mittels Tri-Flow) kardiologische Untersuchungsberichte bereitlegen (z. B. EKG, Echokardiografie, Koronarangiografie) Rasur von Brust und Abdomen; ggf. des Beines bei Venenentnahme aus dem Bein

Postoperative Pflege Bei Bypass-OP: ● Beobachtung von Sternumcerclagen und Thoraxdrainagen ● täglicher Verbandwechsel ● langes Taubheitsgefühl im Bereich der Brust möglich ● Reha-Aufenthalt nach der OP

KOMPAK T Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen ●





● ●

Vitalparameter regelmäßig kontrollieren, v. a. Puls und Blutdruck lassen wichtige Rückschlüsse auf die Pumpfunktion des Herzens zu. Mobilisation und Körperpflege: individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft zeigen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: über Erkrankung, Verlauf und mögliche Symptome, verordnete (Notfall-)Medikamente

53.4 Erkrankungen des Herzens 53.4.1 Koronare Herzkrankheit Definition Koronare Herzkrankheit (KHK) Bei der KHK sind die Herzkranzgefäße durch Arteriosklerose verengt. Der Herzmuskel ist dadurch minderdurchblutet und erhält zu wenig Sauerstoff. Hierdurch kommt es zum typischen Symptom „Angina pectoris“. Je nachdem, wie viele der insgesamt 3 großen Koronargefäße betroffen sind, spricht man von einer 1-, 2oder 3-Gefäß-Erkrankung.

Ursachen Die Ursache einer KHK ist die Arteriosklerose. Arteriosklerose ist eine Erkrankung der Arterien. Hauptrisikofaktoren sind: ● Fettstoffwechselstörungen ● arterielle Hypertonie ● Diabetes mellitus ● Rauchen ● familiäre Veranlagung ● männliches Geschlecht ● Alter über 65 Jahre

Pathophysiologie • Entzündungszellen dringen in die Gefäßwand ein, Fette und Kalk lagern ein (Plaquebildung) → Plaques wachsen an → Gefäßlumen wird enger → Blutfluss wird eingeschränkt → Durchblutungsstörungen → Gefäßwände werden starr → das Gefäß verliert die Fähigkeit zur Anpassung an verschiedene Druckverhältnisse

Symptome Angina pectoris • Die Angina pectoris ist das Leitsymptom der KHK. Typische Anzeichen sind: ● Brustschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm, die Magengegend und den Unterkiefer ● Angst ● Engegefühl im Brustkorb ● Dyspnoe ● vegetative Symptome (z. B. starkes Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen) Stabile Angina pectoris • Viele KHK-Patienten sind medikamentös gut auf ihre Erkrankung eingestellt. Bei ihnen treten die Symptome eher selten und meist nur unter Belastung auf. Kommt es zur Angina pectoris, ist diese meist durch Nitro-Spray gut zu behandeln. Akutes Koronarsyndrom • Sehr viel stärker sind die Symptome bei einem akuten Koronarsyndrom (kurz: ACS). Unter diesem Begriff werden zusammengefasst: ● instabile Angina pectoris: akute Verschlechterung einer bestehenden KHK, oft mit Ruhesymptomen. Der Übergang zum Herzinfarkt ist fließend. Daher wird eine instabile Angina pectoris bis zum Beweis des Gegenteils wie ein Herzinfarkt behandelt. ● NSTEMI (non ST-segment-elevation myocardial infarction): ein Herzinfarkt, der nur im Labor und anhand klinischer Symptome diagnostiziert werden kann. Das EKG sieht normal aus. ● STEMI (ST-segment-elevation myocardial infarction): Herzinfarkt, der sich in Labor, Symptomatik und EKG zeigt Das Krankheitsbild „Herzinfarkt“ finden Sie anschließend in Kap. 53.4.2.

Diagnostik ●

● ●

● ●





Anamnese (Luftnot und Schmerzen unter Belastung? Risikofaktoren?) klinische Untersuchung (Ödeme? Herzgeräusche?) Ruhe- und Belastungs-EKG (ST-Strecken-Veränderungen? T-Wellen-Veränderungen?) Blutuntersuchungen (Cholesterin? CK/CK-MB? Troponin T?) (Stress-)Echokardiografie (Auswurfleistung? Wandbewegungsstörungen?) Kardio-MRT (Stenosen der Koronargefäße? Ischämien des Herzmuskels?) Koronarangiografie (aussagekräftigste Untersuchung)

Therapie Nichtmedikamentöse Therapie • Ziel: Risikofaktoren reduzieren, z. B. durch Gewichtsreduktion, fettarme Ernährung, körperliche Bewegung (z. B. Herzsportgruppen), Verzicht auf Nikotin

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Pflege bei Erkrankungen des Herzens Medikamentöse Therapie • Ziel: Sauerstoffbedarf reduzieren, Fortschreiten der Arteriosklerose verlangsamen: ● Beta-Blocker (z. B. Metoprolol) ● Kalziumantagonisten (z. B. Verapamil) ● Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. ASS, Clopidogrel) ● Nitrate (z. B. Nitro-Spray) ● ACE-Hemmer (z. B. Ramipril) ● Statine (z. B. Simvastatin) Invasive Therapie • Ziel: Wiedereröffnung der Koronargefäße durch Koronarangiografie oder Bypass-OP: ● Koronarangiografie mit Ballondilatation (PTCA) und Stentimplantation. Im Anschluss müssen die Patienten üblicherweise für einige Monate ASS und einen anderen Thrombozytenaggregationshemmer (z. B. Clopidogrel, Brilique, Efient) einnehmen. ● Bypass-Operation, wenn die Durchführung einer PTCA nicht möglich ist (z. B. bei langstreckigen Stenosen). Operativ wird ein aortokoronarer Venenbypass (ACVB) angelegt und damit die Engstelle überbrückt. Die Gefäßbrücken können z. B. aus Beinvenen oder Brustwandarterien gebildet werden.

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen (siehe Kap. 53.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit KHK: ● Beobachtung: auf Symptome einer Angina pectoris achten (z. B. Dyspnoe, Brustschmerzen, Schwitzen), um Maßnahmen schnell einleiten zu können ● Ernährung: cholesterinarme Kost ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über: – Möglichkeiten zur Reduzierung von Risikofaktoren und präventive Maßnahmen – Medikamentenwirkung und -nebenwirkung (siehe ▶ Tab. 53.1) – Möglichkeiten zur Prophylaxe von Notfällen (z. B. Verzicht auf Vollbäder wegen der hohen Kreislaufbelastung) – Verhalten im Notfall: – Hilfe rufen, Notarzt informieren – Anwendung der Notfallmedikamente (z. B. Nitro-Spray) ● perioperative Pflege: bei operativen Eingriffen (siehe Kap. 41)

KOMPAK T Koronare Herzkrankheit ●





● ●

Die Risikofaktoren einer Koronaren Herzkrankheit (KHK) sind: Fettstoffwechselstörungen, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Rauchen, familiäre Veranlagung, männliches Geschlecht, Alter über 65 Jahre. Angina pectoris ist das Hauptsymptom einer KHK und äußert sich z. B. durch Brustschmerzen, thorakale Enge und Luftnot. bei stabilen Symptomen (nur bei Belastung, wenig veränderlich): stabile KHK. Bei instabilen Symptomen (neu oder zunehmend, in Ruhe): instabile KHK (Form des akuten Koronarsyndroms, Übergang zum Herzinfarkt fließend) aussagekräftigste Untersuchung: Koronarangiografie Die Therapie soll die Risikofaktoren und den kardialen Sauerstoffverbrauch reduzieren. Bei Fortschreiten der Erkrankung: Wiedereröffnung der Koronararterien durch PTCA oder mit Bypass.

53.4.2 Herzinfarkt Definition Herzinfarkt Unter einem Herzinfarkt versteht man das Absterben (Nekrose) von Herzmuskelzellen aufgrund einer Durchblutungsstörung des Herzens. Er ist eine Komplikation der KHK.

Ursachen Bei einem Herzinfarkt verschließt sich ein bereits durch die KHK verengtes Koronargefäß komplett. Meist geschieht dies durch einen Riss einer arteriosklerotischen Plaque mit nachfolgender Aktivierung der Blutgerinnung. Durch den entstehenden Thrombus werden die nachfolgenden Muskelareale nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Es kommt zur Herzmuskelnekrose.

Symptome Die Symptome entsprechen im Wesentlichen denen einer instabilen KHK (eine Abgrenzung gelingt oft erst durch Labor und EKG): ● starke thorakale Schmerzen (Angina pectoris) ● Dyspnoe ● Kaltschweißigkeit ● Todesangst ● Übelkeit und Erbrechen Ein stummer Infarkt – ohne wesentliche Schmerzen – ist möglich (z. B. beim Diabetes mellitus). Hier äußert sich der Infarkt oft nur durch unklare Oberbauchbeschwerden (z. B. Übelkeit). Mögliche Komplikationen: Herzrhythmusstörungen (z. B. Kammerflimmern), Herzinsuffizienz bis zum kardiogenen Schock, Herzwandaneurysma, Papillarmuskelabriss

342

Erkrankungen des Herzens

Diagnostik



In der Akutsituation ● Anamnese (typische Symptomatik) ● Messung der Vitalparameter ● 12-Kanal-EKG (ST-Strecken-Veränderungen, Herzrhythmusstörungen) ● Labor (Troponin, CK/CK-MB) ● transthorakale Echokardiografie (z. B. Wandbewegungsstörungen)

siehe auch „Spezielle Pflege bei KHK“ (S. 342)

KOMPAK T Herzinfarkt ●



Im weiteren Krankheitsverlauf ● Herzrhythmusstörungen erkennen (regelmäßige Pulskontrolle) ● Symptome der Herzinsuffizienz erkennen (Beinödeme, Lungenödem, verminderte körperliche Belastbarkeit)





Therapie In der Akutsituation ● Akut-PTCA ● zusätzlich medikamentöse Begleittherapie: 250 mg ASS, 5000 IE Heparin, bei RRsyst. > 100 mmHg: Nitro-Spray, Morphin, ggf. Beta-Blocker)

! Merke Medikamente bei Infarkt

Die wichtigsten Notfallmaßnahmen beim Herzinfarkt lassen sich gut mit der Eselsbrücke „Monas BH“ merken: Morphin, O2, NitroSpray, ASS, Beta-Blocker, Heparin. Im weiteren Krankheitsverlauf • Medikamentöse Dauertherapie nach einem Herzinfarkt: Beta-Blocker, ACE-Hemmer, gerinnungshemmende Medikamente, Nitrate und Statine

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen (siehe Kap. 53.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Herzinfarkt: In der Akutsituation ● Patienten möglichst nicht allein lassen und Ruhe vermitteln ● Positionierung in Herzbettlage ● 2–3 l Sauerstoff verabreichen → auf Arztanordnung ● kontinuierliches Monitor-EKG, Pulsoxymetrie, Blutdruckmessung, im Verlauf 12-Kanal-EKG ● i. v.-Zugang legen (lassen) ● Blutentnahme vorbereiten (Troponin, CK/CK-MB, Gerinnung, Blutbild, Elektrolyte) ● Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z. B. ASS, Nitro-Spray, Heparin) → auf Arztanordnung ● Anmeldung der Akut-PTCA und Verlegung in Arztbegleitung ● anschließend intensivmedizinische Überwachung Im weiteren Krankheitsverlauf 2–3 Tage nach der Akut-PTCA Verlegung auf Normalstation ● ggf. Monitor-EKG über mehrere Tage nach dem Akutereignis ● insgesamt ruhiges Umfeld schaffen, Stress vermeiden ● Mobilisation: individuelle Frühmobilisation, in aufsteigenden Mobilisationsstufen, je nach Belastungsgrenze des Patienten (in Zusammenarbeit mit der Physiotherapie) ●



Ursache: Ein Herzinfarkt ist eine Komplikation einer KHK mit koronarem Gefäßverschluss und nachfolgender Herzmuskelnekrose. Symptome: wie schwere instabile Angina pectoris; stumme Infarkte jedoch möglich Diagnostik: Abgrenzung einer instabilen Angina pectoris von einem Herzinfarkt oft nur durch EKG (ST-Hebungen) und Labor (v. a. Troponin) möglich Therapie: v. a. Akut-PTCA. Zusätzlich medikamentöse Begleittherapie: Morphin, O2, Nitro-Spray, ASS, ggf. Beta-Blocker, Heparin (Monas BH). Pflege: Positionierung in Herzbettlage, Patienten nicht allein lassen, Medikamentenmanagement, später: Frühmobilisation

53.4.3 Herzinsuffizienz Definition Herzinsuffizienz Bei der Herzinsuffizienz reicht die Pumpfunktion des Herzens nicht mehr aus, um genügend Blut auszuwerfen. Das Blut staut sich daher in den dahinterliegenden Kreislauf (Lungen-/Körperkreislauf). Die Herzinsuffizienz ist Folge verschiedener anderer Herzerkrankungen – z. B. einer KHK.

Ursachen Akute Herzinsuffizienz ● Herzinfarkt ● Herzrhythmusstörungen ● Herzmuskelentzündung Chronische Herzinsuffizienz KHK oder Bluthochdruck (häufigste Ursache) ● Kardiomyopathie (primäre oder sekundäre Erkrankung der Herzmuskulatur) ● angeborene/erworbene Herzklappenfehler (selten) ●

Symptome Akute Herzinsuffizienz ● starke Luftnot (u. a. durch Lungenödem) ● Kreislaufversagen (kardiogener Schock) Chronische Herzinsuffizienz • Die Symptome unterscheiden sich, je nachdem welcher Teil des Herzens betroffen ist: ● Leistungsminderung, Erschöpfbarkeit und Schwäche ● Rechtsherzinsuffizienz (das Blut staut sich in den Körperkreislauf zurück): – Beinödeme – Halsvenenstauung – Stauungsleber, Stauungsgastritis (mit Appetitlosigkeit, abdominellen Beschwerden)

l 53

Pflege bei Erkrankungen des Herzens ●

Linksherzinsuffizienz (das Blut staut sich in den Lungenkreislauf zurück): – Lungenödem und Dyspnoe – Stauungspneumonie

fehlern (offenchirurgisch oder minimalinvasiv) oder (als Ultima Ratio) Herztransplantation

Spezielle Pflege

Im Stationsalltag sieht man meist Patienten mit Globalinsuffizienz. Hierbei vermischen sich Links- und Rechtsherzinsuffizienz zu einem gemeinsamen Bild.

Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen (siehe Kap. 53.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Herzinsuffizienz:

NYHA-Klassifikation • Die chronische Herzinsuffizienz wird in 4 Schweregrade eingeteilt. Die Einteilung wurde durch die New York Heart Association eingeführt und wird daher als NYHA-Klassifikation bezeichnet: ● NYHA I: keine Symptome im Alltag. Die verminderte Pumpfunktion zeigt sich lediglich in der Echokardiografie. ● NYHA II: Auftreten von Symptomen nur unter stärkerer, körperlicher Belastung ● NYHA III: Auftreten von Symptomen bei leichter Belastung ● NYHA IV: dauerhafte Symptome, auch in Ruhe

Akute Herzinsuffizienz ● Patienten möglichst nicht allein lassen und Ruhe vermitteln ● Positionierung in Herzbettlage ● 2–3 l Sauerstoff verabreichen → auf Arztanordnung ● Vitalparameter erheben (inkl. Sauerstoffsättigung), ggf. Monitoring, EKG schreiben ● i. v.-Zugang legen (lassen) ● Blutentnahme vorbereiten (Troponin, CK/CK-MB, Gerinnung, Blutbild, Elektrolyte) ● Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z. B. Furosemid, Dobutamin) auf Arztanordnung ● Verlegung auf die Intensivstation (in Arztbegleitung) ● ggf. perioperative Pflege bei operativem Eingriff (siehe Kap. 41)

Kompensierte oder dekompensierte Herzinsuffizienz • Zusätzlich wird bei der chronischen Herzinsuffizienz unterschieden, ob der Körper es durch entlastende Mechanismen (z. B. Herzhypertrophie) schafft, die unzureichende Pumpfunktion zu kompensieren: ● kompensierte Herzinsuffizienz: Die Symptome sind gleichbleibend. Die Erkrankung ist medikamentös gut eingestellt. ● dekompensierte Herzinsuffizienz: Die Symptomatik wird stärker. Der Patient muss meist im Krankenhaus behandelt werden.

Diagnostik ● ● ●





Echokardiografie: Einschätzung der Pumpfunktion Röntgen-Thorax: Einschätzung der Herzgröße Blutuntersuchung: Durch den Blutrückstau werden bestimmte Stoffe (z. B. BNP) freigesetzt. EKG und Langzeit-EKG: Nachweis von Herzrhythmusstörungen Koronarangiografie: Nachweis einer (auslöschenden) ischämischen Kardiomyopathie

Chronische Herzinsuffizienz Beobachtung: – Atmung: Dyspnoe, (Reiz-)Husten, schaumiger Auswurf, Rasselgeräusche, Zyanose → kann auf ein beginnendes Lungenödem hindeuten – Gewicht: tägliche Gewichtskontrollen, um Wassereinlagerungen (Ödeme) schnell zu erkennen ● Bilanzierung: Ein- und Ausfuhr bilanzieren, ggf. Flüssigkeitsbeschränkung berücksichtigen ● Mobilisation: körperliche Schonung, ggf. Bettruhe (auf Arztanordnung) ● auf eine Digitalisüberdosierung achten: Übelkeit und Erbrechen, Farbsehstörungen, Bradykardie bis hin zur Asystolie (Herzstillstand), Bewusstseinsveränderungen und Halluzinationen ● Obstipationsprophylaxe: bei eingeschränkter Flüssigkeitszufuhr ●

Therapie

KOMPAK T

Generell • Behandlung der verursachenden Grunderkrankung (z. B. Implantation eines Stents bei KHK). Akute Herzinsuffizienz • Behandlung der lebensbedrohlichen Symptome des kardialen Lungenödems und des kardiogenen Schocks: ● Sauerstoff ● Schleifendiuretika (Furosemid) ● Katecholamine (z. B. Dobutamin) ● Verlegung auf die Intensivstation ● ggf. Beatmung Chronische Herzinsuffizienz medikamentöse Entlastung des Herzens, z. B. mit ACEHemmer, Beta-Blocker, Diuretika, ggf. Digitalispräparate ● ggf. Herzschrittmacher ● operative Maßnahmen: z. B. koronarer Bypass bei KHK, Herzklappenrekonstruktion bzw. -ersatz bei Herzklappen●

344

Herzinsuffizienz ●







Die Herzinsuffizienz ist Ausdruck einer verminderten kardialen Pumpfunktion. Eine Herzinsuffizienz kann akut oder chronisch einsetzen. Die Symptome der akuten Herzinsuffizienz sind akut lebensbedrohlich (kardiales Lungenödem und kardiogener Schock). Je nachdem, welche Herzhälfte betroffen ist, staut sich das Blut in den Lungen- (Linksherzinsuffizienz) oder den Körperkreislauf (Rechtsherzinsuffizienz). Therapie und Pflege richten sich nach der verursachenden Grunderkrankung (oft KHK). Ansonsten: herzentlastende Therapie (v. a. Sauerstoff, Herzbettlage, herzstärkende bzw. -entlastende Medikamente), ggf. Schrittmacher oder operative Maßnahmen (KlappenOP, Herztransplantation).

Erkrankungen des Herzens

Komplikationen und Folgeerkrankungen

53.4.4 Herzrhythmusstörungen



Definition Herzrhythmusstörungen Gestörte Herzfrequenz und/oder Unregelmäßigkeit im Herzschlag, verursacht durch eine Störung des Reizbildungs-/Reizleitungssystems. Unterschieden werden tachykarde, bradykarde und/oder arrhythmische Herzrhythmusstörungen. Eine häufige Herzrhythmusstörung ist das Vorhofflimmern. Eine weitere ist das lebensbedrohliche Kammerflimmern.



Ursachen Störung im Reizbildungs-/Reizleitungssystems des Herzens. Der normale Erregungsablauf ist gestört. Konkret werden unterschieden: ● kardiale Ursachen: KHK, Herzklappenfehler, Herzmuskelerkrankungen – supraventrikulär: Die Ursache liegt im Bereich der Herzvorhöfe. – ventrikulär: Die Ursache liegt im Bereich der Herzkammern. ● extrakardiale Ursachen: Hormone, Medikamente, Elektrolytstörungen



Synkope (plötzliche Bewusstlosigkeit, Kap. 14.1.7): Bewirkt die Herzrhythmusstörung den Ausfall einer oder mehrerer Herzaktionen, bleibt das Herz für einige Sekunden stehen und der Patient wird plötzlich kurzzeitig bewusstlos. Schlaganfall: Bestimmte Herzrhythmusstörungen (z. B. Vorhofflimmern) können über einen veränderten Blutfluss im Herzen zur Bildung von Blutgerinnseln führen. Lösen sich von diesen Blutgerinnseln kleine Stücke ab, werden sie in den Körperkreislauf geschwemmt und können ein Blutgefäß im Gehirn verstopfen. In der Folge kommt es zum Schlaganfall. Herz-/Kreislaufstillstand: Manche tachykarde Herzrhythmusstörungen können einen Herz-/Kreislaufstillstand herbeiführen (z. B. Kammerflimmern). Hierbei schlägt das Herz so schnell, dass es effektiv kein Blut mehr auswerfen kann – der Kreislauf bricht zusammen.

Diagnostik Wichtig ist die herkömmliche Messung der Pulsfrequenz. Hierdurch können Frequenz (Tachykardie? Bradykardie?) und Rhythmus (rhythmisch? arrhythmisch?) des Herzschlags analysiert werden. Apparativ werden zusätzlich EKG und Langzeit-EKG angewendet (▶ Abb. 53.3). Der Herzschlag wird nach diesem Schema beschrieben: ● Beschreibung der Frequenz – normofrequent: 60–80 Schläge/min – Bradykardie: < 60 Schläge/min – Tachykardie: > 100 Schläge/min ● Beschreibung des Rhythmus – Abstand zwischen zwei Pulsschlägen bzw. zwei R-Zacken im EKG gleich: rhythmische Herzaktion – Abstand zwischen zwei Pulsschlägen bzw. zwei R-Zacken im EKG variiert: arrhythmische Herzaktion

Symptome Oft bemerkt der Patient von der Herzrhythmusstörung relativ wenig. Möglich sind jedoch Palpitationen (unregelmäßiger und spürbarer Herzschlag).

ACHTUNG Herzrhythmusstörungen werden oft erst durch eine mögliche Komplikation erkannt.

Abb. 53.3 Ruhe-EKG (Normalbefund).

I

V1

II

V2

III

V3

aVR

V4

aVL

V5

aVF

V6

a

b

EKG-Normalbefund ohne Rhythmusstörungen. Aus: Trappe H-J, Schuster H-P. EKG-Kurs für Isabel. Thieme; 2013

l 53

Pflege bei Erkrankungen des Herzens Im weiteren Verlauf können Koronarangiografie und Echokardiografie nötig sein, um eine verursachende KHK oder Herzklappenfehler zu diagnostizieren. Kann dabei nicht die Ursache der Herzrhythmusstörung gefunden werden, kommen Bluttests und spezielle elektrophysiologische Untersuchungen im Herzkatheterlabor zum Einsatz.

KOMPAK T Herzrhythmusstörungen ●



Therapie Für eine adäquate Therapie muss zunächst geklärt werden, um welche Herzrhythmusstörung es sich genau handelt. Diese Analyse ist oft dadurch erschwert, dass sich die Störungen nur temporär zeigen, z. B. unter Belastung. Sie sollten daher durch Pulsmessung und durch Beobachtung des Monitor-EKGs erkennen können, wann eine Rhythmusstörung auftritt, um dann den Arzt zu informieren. Die anschließende Therapie erfolgt medikamentös oder via Herzschrittmacher: ● Medikamente: – bei bradykarden Herzrhythmusstörungen: z. B. Parasympatholytika wie Atropin oder Sympathomimetika wie Alupent (Wirkung über das vegetative Nervensystem) – bei tachykarden Herzrhythmusstörungen: z. B. Betarezeptorenblocker wie Lopresor oder Kaliumkanalblocker wie Amiodaron (Wirkung über Blockade bestimmter Elektrolytkanäle am Reizleitungs-/Reizbildungssystem) ● Herzschrittmacher: – permanenter Herzschrittmacher: wird unter die Haut implantiert und verbleibt dort – passagerer Herzschrittmacher: meist nur auf Intensivstationen verwendet. Die Steuerungseinheit befindet sich außerhalb des Körpers. Die elektrischen Sonden verlaufen wie ein zentraler Venenkatheter über ein Blutgefäß zum Herzen.







53.4.5 Entzündliche Herzerkrankungen Akut bakterielle Endokarditis ● ● ●





● ●

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen (siehe Kap. 53.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Herzrhythmusstörungen: ● Beobachtung: – Pulsschläge eine volle Minute zählen, um Herzrhythmusstörungen erkennen zu können. – Monitor-/Ruhe-EKG auf Arztanordnung ● Sturzprophylaxe: aufgrund des erhöhten Risikos von Synkopen ● bei Herzschrittmacher-Implantation: Wundkontrolle und Verbandwechsel

Entzündung von Herzinnenhaut und Herzklappen Ursachen: oft durch Streptokokken Symptome: Abgeschlagenheit, hohes Fieber, Dyspnoe sowie ein erhöhtes Schlaganfallrisiko durch septische Embolien; ggf. Petechien (Knötchen durch Mikroembolien, z. B. an den Fingern) und Nierenbeteiligung mit Protein- und Hämaturie Diagnostik: Abnahme von Blutkulturen sowie eine transösophageale Echokardiografie Komplikation: bleibende Schädigung der Herzklappen; Herzinsuffizienz Therapie: Antibiotika Pflege: – Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen (siehe Kap. 53.3) – Temperaturen regelmäßig kontrollieren

Myokarditis/Perikarditis ● ●









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Herzrhythmusstörungen sind Ausdruck eines gestörten Reizleitungs-/Reizbildungssystems. Mögliche schwerwiegende Folgen: Synkope, Schlaganfall oder Herz-/Kreislaufstillstand Analyse der Herzrhythmusstörung nach Frequenz und Rhythmus durch Pulsmessung und EKG Therapie: Medikamente oder Implantation eines Herzschrittmachers Pflege: Vitalparameter engmaschig kontrollieren, Sturzprophylaxe

Entzündung von Herzmuskel oder Herzbeutel Ursachen: meist Viren, manchmal Pilze, Parasiten, rheumatische Grunderkrankung Symptome: Herzrasen, Herzklopfen, Herzschmerzen, Leistungsschwäche Komplikation: Perikarderguss, Herzinsuffizienz, maligne Herzrhythmusstörungen Therapie: oft keine kausale Therapie möglich; lediglich symptomatische Unterstützung Pflege: – Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen (siehe Kap. 53.3) – Temperaturen regelmäßig kontrollieren

Die wichtigsten Medikamente bei Herzerkrankungen

53.4.6 Erkrankungen der Herzklappen Erkrankungen der Herzklappen können alle 4 Klappen betreffen. Gestört ist entweder der Herzklappenschluss (Insuffizienz) oder die Öffnungsfähigkeit (Stenose) der erkrankten Klappe. Das linke Herz (Aorten- und Mitralklappe) ist prozentual häufiger betroffen als das rechte Herz. Die Aortenklappenstenose ist die häufigste Herzklappenerkrankung. ● Ursachen: angeboren, Endokarditiden, Z. n. Herzinfarkt, allg. Arteriosklerose ● Symptome: Betroffene bemerken die Erkrankung oft lange Zeit nicht, dann Zeichen der Herzinsuffizienz (z. B. Belas-



● ●



tungsdyspnoe), je nach Klappenfehler z. B. Bluthusten, Schwindel, Blässe, Zyanose, veränderte Blutdruckamplitude (groß: Aorteninsuffizienz; klein: Aortenstenose) Diagnostik: Auskultation (Herzgeräusche!), Echokardiografie Komplikation: Herzinsuffizienz Therapie: symptomatisch und medikamentös; ggf. operativer Herzklappenersatz Pflege: – Pflegebasismaßnahmen bei Herzerkrankungen (siehe Kap. 53.3) – perioperative Pflege (siehe Kap. 41)

53.5 Die wichtigsten Medikamente bei Herzerkrankungen Tab. 53.1 Medikamente zur Behandlung von Herzerkrankungen. Wirkstoffgruppe

Beispiele für Wirkstoffe und Handelsnamen

Therapieziel und Anwendung (Bsp.)

Nebenwirkung und Beobachtungsaspekte

Beta-Blocker

Metoprolol (Beloc-Zok)

Herzentlastung, z. B. bei Bluthochdruck und KHK

Bradykardie und Asthmasymptome

Kalziumantagonisten

Nifedipin (Adalat)

Herzentlastung, z. B. bei Bluthochdruck und KHK

Hypotonie

Nitrate

Glyceroltrinitrat (Corangin Nitrospray)

Weitstellung der Gefäße, z. B. bei akuter Angina pectoris

Hypotonie, Kopfschmerzen

ACE-Hemmer

Ramipril (Delix)

Blutdrucksenker, stoppen außerdem krankhafte Umbauvorgänge bei der Herzinsuffizienz (Remodeling)

Hypotonie, Reizhusten

Thrombozytenaggregationshemmer

Acetylsalicylsäure (Aspirin), Clopidogrel (Plavix)

verhindern Thrombenbildung, z. B. zur Nachsorge bei Herzinfarkt oder PTCA

Blutungsneigung

Antikoagulanzien

Heparin, Phenprocoumon (Marcumar), Apixaban (Eliquis)

verhindern Thrombenbildung, z. B. bei Vorhofflimmern, nach Lungenembolie

Blutungsneigung

Diuretika

Furosemid (Lasix)

Herzentlastung durch verstärkte Ausscheidung von Flüssigkeit, z. B. bei Herzinsuffizienz

Elektrolytentgleisung (insbesondere Hypokaliämie)

Herzglykoside

Digoxin/Digitoxin (Lanicor)

Steigerung der Schlagkraft (nur noch selten eingesetzt!), Verlangsamung der Herzfrequenz

Verwirrtheit, Sehstörungen

Statine (Cholesterinsenker)

Simvastation (Zocor)

Cholesterinsenkung und Stabilisierung bereits bestehender Plaques, z. B. bei KHK

Muskelschmerzen

Antiarrhythmika

Amiodaron (Cordarex)

z. B. bei Tachykardie

können selbst Rhythmusstörungen auslösen

54

Pflege bei Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems

Herzinsuffizienz

KHK

Diabetes mellitus

Nierenschäden

Bewegungsmangel Rauchen

pAVK O2 Schellong-Test

Folgeerkrankungen

Allen-Test

Nitrolingual

Adipositas

hypertensiver Notfall

kardiovaskuläre Risikofaktoren, z.B.

!

klinische Funktionsprüfung, z.B. Angiografie

Ursachen Diagnostik

beobachten

arterielle Hypertonie

Haut

Pflege, z.B.

pAVK

Doppler

pflegen Körperkreislauf Komplikationen,

fetaler Kreislauf Aufbau Lymphsystem Lungenkreislauf

Erkrankungen, z.B. Anatomie und Physiologie

Ulcus cruris arteriosum

Regulation der Organdurchblutung Regulation des Blutdrucks

! Tiefe Venenthrombose (TVT)

Funktion

Transport,

Symptomatik: 6P-Komplex

postthrombotisches Syndrom

O2

Komplikation, z.B.

Hormone

!

Arterienverschluss

Lungenembolie

Maßnahmen

Mobilisation

Stoffwechselprodukte Beine hoch!

Beine tief!

Antikoagulation

Anatomie und Physiologie: Kreislauf-/Gefäßsystem

54.1 Anatomie und Physiologie des Kreislauf- und Gefäßsystems





54.1.1 Aufgaben

● ●

Über das Gefäß- bzw. Kreislaufsystem fließt Blut zu den Organen und zurück. Dieses geschlossene System aus Arterien, Venen und Kapillaren bildet die Grundlage für den Stofftransport innerhalb des Körpers. Es bringt Sauerstoff und Nährstoffe zu den einzelnen Organen und im Gegenzug CO2 und Abbauprodukte zu Lunge und Leber. Angetrieben wird es durch eine kräftige Pumpe – das Herz.



54.1.2 Aufbau Das Kreislaufsystem besteht aus 2 Anteilen, dem Körper- und dem Lungenkreislauf (siehe auch Kap. 53.1.2 und ▶ Abb. 54.1). Es gibt 3 Arten von Blutgefäßen:

Venen ● ●

Arterien ● ●

führen im Körperkreislauf sauerstoffreiches und im Lungenkreislauf sauerstoffarmes Blut enthalten lediglich 15 % des gesamten Blutvolumens (sog. Widerstandsgefäße) ermöglichen Puls- und Blutdruckmessung haben relativ dicke Wände, die dem hohen Druck standhalten können sind vom „elastischen Typ“ oder vom „muskulären Typ“: – elastisch: v. a. herznahe Arterien (z. B. Aorta) – dehnen sich bei der Systole aus und geben in der Diastole das aufgenommene Blut gleichmäßig ab (sog. Windkesselfunktion) – muskulär: v. a. herzferne Arterien – können durch Anspannung den Durchmesser verändern und regulieren so die Organdurchblutung



führen vom Herzen weg bilden im Körperkreislauf das sog. Hochdrucksystem (mittlerer Druck 100 mmHg)



führen zum Herzen hin bilden im Körperkreislauf das sog. Niederdrucksystem (mittlerer Druck 20 mmHg) führen im Körperkreislauf sauerstoffarmes und im Lungenkreislauf sauerstoffreiches Blut enthalten 85 % des gesamten Blutvolumens (sog. Kapazitätsgefäße)

Abb. 54.1 Körper- und Lungenkreislauf mit großen Arterien und Venen. oberer Körperkreislauf Schilddrüsenvene (V. thyreoidea)

Gehirn

Schilddrüse

obere Hohlvene (V. cava superior)

Lungenarterie (A. pulmonalis)

Lunge

Lungenvene (V. pulmonalis)

Aorta Leberarterie (A. hepatica)

untere Hohlvene (V. cava inferior) Lebervenen (Vv. hepaticae)

Truncus coeliacus

Leber Magen

Pfortader (V. portae)

unterer Körperkreislauf

Magenarterie (Aa. gastricae) Milzarterie (A. splenica)

Milz Nierenvene (V. renalis)

Schilddrüsenarterie (A. thyreoidea)

Niere

Darm

obere Gekrösearterie (A. mesenterica superior) Nierenarterie (A. renalis) untere Gekrösearterie (A. mesenterica Inferior)

Schema des großen und kleinen Kreislaufs mit den wichtigsten großen Arterien und Venen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015. Nach: Faller A, Schünke M. Der Körper des Menschen. Thieme; 2016

l 54

Pflege: Erkrankungen des Kreislauf-/Gefäßsystems Abb. 54.2 Große Arterien des Körperkreislaufs.

Truncus brachiocephalicus Aorta ascendens A. subclavia dextra

A. carotis externa A. carotis interna A. carotis communis A. thoracica interna

A. axillaris

A. subclavia sinistra

Aorta descendens

A. gastrica sinistra

Truncus coeliacus

A. splenica

A. profunda brachii

A. mesenterica superior

A. hepatica communis

A. renalis A. mesenterica inferior

A. brachialis A. radialis

A. ovarica A. iliaca communis A. iliaca interna A. iliaca externa

A. femoralis

A. ulnaris

A. profunda femoris

A. poplitea

A. tibialis posterior A. peronea (fibularis) A. tibialis anterior

A. dorsalis pedis

Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2014. Grafiker: M. Voll

350

Anatomie und Physiologie: Kreislauf-/Gefäßsystem Abb. 54.3 Große Venen des Körperkreislaufs.

intrakranielle Venen

V. jugularis externa

V. jugularis interna V. brachiocephalica V. cava superior

V. subclavia

V. hepatica

V. axillaris V. azygos

Kapillargebiet des Pfortaderblutes

V. brachialis

V. portae hepatis

V. cephalica

V. splenica

V. basilica

V. renalis sinistra

V. cava inferior

V. mesenterica superior

V. radialis

V. mesenterica inferior V. ovarica V. iliaca communis V. iliaca interna

V. ulnaris

V. iliaca externa V. femoralis

V. saphena magna

V. poplitea

V. tibialis anterior

V. tibialis posterior

Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U: Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2014. Grafiker: M. Voll

l 54

Pflege: Erkrankungen des Kreislauf-/Gefäßsystems ● ●

haben im Vergleich zu Arterien eine relativ dünne Wand gewährleisten den venösen Rückfluss zum Herzen durch: – arteriovenöse Kopplung: Parallel verlaufende Arterien befördern durch ihre Pulswelle auch den Weitertransport des venösen Blutes. – Muskelpumpe: Besonders im Bereich der Beine werden die Venen durch Kontraktion der Skelettmuskulatur komprimiert und das venöse Blut so weitertransportiert. – Sogwirkung des rechten Vorhofs

Kapillaren ●



● ●

bilden ein Netz aus kleinsten Blutgefäßen in Organen und Geweben sind der Ort des Gas- und Nährstoffaustausches (sog. Mikrozirkulation) haben eine sehr dünne Wand (nur Endothelzellschicht) finden sich v. a. in Organen und Geweben mit hoher Stoffwechselaktivität (z. B. Leber, Nieren, Muskel). Gewebe mit niedriger Stoffwechselaktivität (z. B. Knorpel) haben dagegen nur wenige Kapillaren.

54.1.3 Große Gefäße des Körperkreislaufs Große Arterien Das sauerstoffreiche Blut des linken Ventrikels wird in die Aorta gepumpt. Diese verläuft im Bereich des hinteren Mediastinums (Brustaorta) und setzt sich anschließend in den Bauchraum (Bauchaorta) fort. Von ihr zweigen alle wichtigen Gefäße ab (▶ Abb. 54.2).

Große Venen Die Venen des Körperkreislaufs führen das sauerstoffarme Blut zum rechten Herzen zurück. Sie entsprechen in ihrem Verlauf und Namen meist den begleitenden Arterien. Eine Besonderheit bilden u. a. das Pfortadersystem und das Venensystem der Beine. Alle Venen münden über die untere und obere Hohlvene in den rechten Vorhof (▶ Abb. 54.3).

54.1.4 Gefäßfunktionen ●



352

Transport und Abtransport von (u. a.) Sauerstoff, Nährstoffen, Immunzellen und Stoffwechselprodukten Regulation der Organdurchblutung: Abhängig von seiner Stoffwechselleistung benötigt nicht jedes Organ zu jeder Zeit gleich viel Blut. So benötigt der Darm beispielsweise nach einer Mahlzeit mehr Blut als während sportlicher Betätigung. Das Kreislaufsystem hat durch die muskelstarke Wand der Arterien zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: – Vasodilatation: Weitstellung des Gefäßes erhöht die Organdurchblutung, z. B. bei vermehrter Ausschüttung von NO aus dem Gefäßendothel oder erhöhter Konzentration von Laktat und CO2. Beispiel: Markus treibt Sport. Seine Muskeln arbeiten. Um diese Leistung zu erbringen, benötigt der Muskel mehr Blut. Durch die Aktivität wird Laktat produziert. Außerdem steigt die Menge an CO2. Hierdurch entspannt sich die Wand der zuführen-







den Arterie – es kommt zur Vasodilatation, der Muskel wird stärker durchblutet. – Vasokonstriktion: Engstellung des Gefäßes verringert die Organdurchblutung, z. B. bei vermehrter Ausschüttung von Adrenalin (Sympathikusaktivierung) oder Angiotensin. Regulation des Blutdrucks: Im Normalfall liegt der Blutdruck bei etwa 120/80 mmHg. Die Höhe des Blutdrucks hängt vom Herzzeitvolumen (Schlagvolumen x Herzfrequenz), der Gesamtblutmenge und dem Gefäßwiderstand des arteriellen Systems ab. Der Körper kontrolliert seinen Blutdruck über „Messstationen“. Sie befinden sich im Bereich der Karotisgabel, der A. subclavia, des Aortenbogens sowie in der Wand des rechten Vorhofs. Aus den Faktoren Herzzeitvolumen, Gesamtblutmenge und Gefäßwiderstand ergeben sich 3 Mechanismen der Blutdruckregulation: 1. Änderung der Herzfrequenz (Beispiel: Aktivierung des Sympathikus → höhere Herzfrequenz → erhöhtes Herzzeitvolumen) 2. Änderung des Blutvolumens (Beispiel: Freisetzung von Aldosteron über das Renin-Angiotensin-AldosteronSystem [RAAS] → Wasserausscheidung durch die Nieren sinkt → Erhöhung des Blutvolumens → höherer Blutdruck) 3. Änderung des Gefäßdurchmessers und damit des Gesamtwiderstands (Beispiel: Dämpfung des Sympathikus → größerer Gefäßdurchmesser → kleinerer Gesamtwiderstand → Blutdruck sinkt)

54.1.5 Fetaler Kreislauf Weil das ungeborene Kind von Fruchtwasser umgeben ist, kann es keine Luft atmen. Durch die Lunge fließt nur sehr wenig Blut. Den benötigten Sauerstoff erhält das Kind über das Blut der Mutter. Die Schaltstelle zwischen kindlichem und mütterlichem Blut ist die Plazenta. Von hier verlaufen 3 Blutgefäße zum Kind (▶ Abb. 54.4): ● eine Nabelvene: verläuft zwischen Plazenta und kindlicher Leber und mündet über den Ductus venosus in die untere Hohlvene. Die Nabelvene transportiert sauerstoffund nährstoffreiches Blut zum Kind. ● zwei Nabelarterien: verlaufen zwischen den Beinarterien des Kindes und der Plazenta. Sie transportieren sauerstoff- und nährstoffarmes Blut vom Kind weg. Die Umgehung der aus dem Kreislauf „ausgeschalteten“ Lunge wird gewährleistet durch: ● das Foramen ovale: Kurzschlussverbindung zwischen rechtem und linkem Vorhof ● den Ductus arteriosus Botalli: Kurzschlussverbindung zwischen Lungenarterie und Aorta Hieraus ergibt sich für den Blutfluss des ungeborenen Kindes folgender Verlauf: Plazenta → Nabelvene → Ductus venosus → untere Hohlvene → re. Vorhof → über das Foramen ovale in den linken Vorhof oder über die rechte Kammer, die Lungenarterie und den Ductus arteriosus Botalli → in die Aorta → periphere Arterien → Nabelarterien → Plazenta

Mitwirken bei der Diagnostik Abb. 54.4 Fetaler und kindlicher Kreislauf. fetaler Kreislauf

kindlicher Kreislauf

Ductus arteriosus kindliche Lunge

fetale Lunge Aorta obere Hohlvene

Aorta Lungenkreislauf

linker Vorhof Foramen ovale

Lungenarterie (A. pulmonalis)

Lungenarterie (A. pulmonalis) rechte Herzkammer

Leber

Leber

Ductus venosus Aorta untere Hohlvene (V. cava inferior)

Nabelvene (V. umbilicalis)

abgebundene Nabelgefäße

Plazenta Sauerstoffgehalt des Blutes: Nabelarterien (Aa. umbilicales)

hoch hoch–mittel

mittel–niedrig niedrig

Nach der Geburt verschließen sich Nabelvene, Nabelarterie, Foramen ovale, Ductus arteriosus Botalli und das Blut nimmt seinen gewohnten Verlauf. Aus: I care – Anatomie und Physiologie. Thieme; 2015

54.1.6 Lymphgefäßsystem Über die dünne Wand der Blutkapillaren tritt ständig Flüssigkeit aus dem Blut in das Gewebe über. Ein Großteil (90 %) wird durch das venöse System resorbiert und nimmt anschließend seinen gewohnten Weg Richtung Herz. Der Rest (10 %) wird von Lymphgefäßen aufgenommen und auf diese Weise zurück in das Blutgefäßsystem geführt. Das Lymphgefäßsystem ist im Gegensatz zum Kreislaufsystem kein geschlossener Kreislauf. Seine Gefäße beginnen frei im Gewebe und münden im rechten und linken Venenwinkel in das venöse Blutgefäßsystem (jeweils an der Einmündung der Vv. jugulares). Auf diesem Weg durchfließen sie mehrere Lymphknoten (siehe auch Kap. 59.1.4).







Die wichtigsten Funktionsprüfungen: Prüfung der Kreislaufregulation: Schellong-Test/KipptischUntersuchung Prüfung der Arterien: z. B. Nagelbettprobe: zur Überprüfung der Durchblutung der Extremitäten im Notfall. Durch kurzen Druck auf Finger-/Fußnagel blasst das darunterliegende Gewebe ab. Im Normalfall wird das Gewebe anschließend innerhalb von 2 Sekunden wieder rosig. Weitere: Allen-Test, Ratschow-Lagerungsprobe. Gehtest/Laufbandtest Prüfung der Venen: Trendelenburg-Test, Perthes-Test

54.2.2 Ultraschalluntersuchungen ●

54.2 Mitwirken bei der Diagnostik 54.2.1 Funktionsprüfungen



Anhand von Lagerungsproben kann der Arzt die Funktion von Gefäßen und Kreislauf untersuchen. Alle Funktionsprüfungen sind rein qualitativer Natur und können lediglich einen ersten Anhalt für eine bestimmte Erkrankung liefern. Deshalb folgt auf die Funktionsprüfung meist noch eine weitere, apparative Untersuchung.



Doppleruntersuchung/Gefäßdoppler: macht den Blutstrom im Gefäß hörbar. Anders als bei anderen Ultraschall-Untersuchungen wird jedoch kein Bild erzeugt. Die Analyse erfolgt allein anhand des pulssynchronen „Fauchens“. Doppler-Duplexsonografie: kombiniert den Ton der Doppleruntersuchung mit dem Bild der Sonografie. Die Untersuchung wird von allen hier genannten am häufigsten angewendet. Knöchel-Arm-Index: vergleicht den Blutdruck an Armen und Beinen miteinander. Hieraus lassen sich Rückschlüsse auf die Durchblutung der Beine ziehen.

l 54

Pflege: Erkrankungen des Kreislauf-/Gefäßsystems

54.2.3 Angiografie

Komplikationen und Folgeerkrankungen

In das zu untersuchende Gefäß (Arterie oder Vene) wird Kontrastmittel injiziert. Dadurch lässt es sich auf dem Röntgenmonitor darstellen. Engstellen werden so direkt sichtbar gemacht. Weil das Kontrastmittel über die Nieren ausgeschieden wird, sollte vor der Untersuchung der Kreatininwert des Patienten bestimmt werden. Nach der Untersuchung kann die Ausscheidung des Kontrastmittels durch Infusionen gefördert werden.

Folgeerkrankungen ● Herzinsuffizienz und hypertensive Herzerkrankung ● Bildung arteriosklerotischer Plaques mit daraus resultierender KHK, pAVK, Nierenschädigung, Augenschädigung und Veränderungen an den Gehirngefäßen

54.3 Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems 54.3.1 Arterielle Hypertonie Definition Arterielle Hypertonie Über einen längeren Zeitraum bestehender, wiederholt gemessener, arterieller Blutdruck über 140/90 mmHg.

Ursachen ●



primäre Hypertonie: – keine auslösende Grunderkrankung („essenzielle Hypertonie“) – häufig zusammen mit anderen kardiovaskulären Risikofaktoren (Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen, Rauchen) – genetische Disposition – Männer sind häufiger betroffen sekundäre Hypertonie: als Folge einer anderen Erkrankung, wie z. B. einer Nierenerkrankung (z. B. Nierenarterienstenose), eines hormonproduzierenden Tumors oder eines Schlaf-Apnoe-Syndroms

Symptome Häufig verursacht die arterielle Hypertonie jahrzehntelang keine spezifischen Symptome. Dies macht die Erkrankung so gefährlich und verursacht bei den Patienten oft eine NonCompliance. Unspezifische Beschwerden können sein: ● Kopfschmerzen ● Schlafstörungen ● Schwindel ● Ohrensausen ● ggf. Belastungsdyspnoe

Notfall • Eine akute Komplikation ist der hypertensive Notfall. Dieser besteht, wenn der Blutdruck auf über 230/ 130 mmHg ansteigt und zusätzlich folgende Symptome auftreten: ● Verwirrtheit ● Kopfschmerzen ● Ohrensausen ● Lungenödem (z. B. Dyspnoe, Zyanose, Rasselgeräusche, Panik) ● Schwindel ● Einblutungen in die Augen ● Angina pectoris (z. B. Brustschmerzen, Kaltschweißigkeit, siehe Kap. 54.3.1)

Diagnostik ● ●



engmaschige Kontrolle der Vitalparameter Diagnose-Sicherung: 24-Stunden-Blutdruckmessung (syn. Langzeit-Blutdruck). Liegt hier der mittlere Wert über 140/90 mmHg, hat der Patient eine arterielle Hypertonie (▶ Tab. 54.1). anschließend: Ausschluss sekundärer Ursachen mittels Ultraschall, Röntgen und Labor

Therapie Weil die arterielle Hypertonie meist über Jahrzehnte keine spezifischen Symptome verursacht, fühlen sich die Patienten häufig „gesund“. Dieses fehlende Krankheitsverständnis macht eine Therapie häufig schwierig. Der Patient sollte daher über seine Erkrankung aufgeklärt werden. Zu den therapeutischen Maßnahmen zählen: ● Basismaßnahmen: z. B. Bewegung, Gewichtssenkung, Alkohol meiden, Stress- und Salzreduktion ● Medikamente: v. a. ACE-Hemmer, AT 1-Rezeptor-Antagonisten, Kalziumantagonisten, Beta-Blocker ● bei hypertensivem Notfall: Urapidil, Nifedipin, ggf. NitroSpray

Tab. 54.1 Klassifikation des Blutdrucks nach WHO.

354

Klassifikation

Systolischer Wert (mmHg)

Diastolischer Wert (mmHg)

optimaler Blutdruck

< 120

< 80

normaler Blutdruck

120–129

80–84

hochnormaler Blutdruck

130–139

85–89

milde Hypertonie (Stufe 1)

140–159

90–99

mittlere Hypertonie (Stufe 2)

160–179

100–109

schwere Hypertonie (Stufe 3)

> 180

> 110

Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems

Pflege ●

● ●



Beobachtung: – mind. 2–3-mal täglich Vitalparameter kontrollieren – auf Symptome eines hypertensiven Notfalls achten, um Maßnahmen schnell einleiten zu können Ernährung: salz- und cholesterinarme Kost psychosoziale Begleitung: Stress vermeiden, für eine ruhige Atmosphäre sorgen, Gesprächsbereitschaft zeigen, Selbsthilfegruppen vermitteln Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – über Erkrankung und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) – Möglichkeiten zur Reduzierung von Risikofaktoren (z. B. mit dem Rauchen aufhören, Gewicht reduzieren) und präventive Maßnahmen (z. B. regelmäßige Bewegung, Herzsportgruppen) – Medikamentenwirkung und -nebenwirkung (siehe ▶ Tab. 53.1) – über Symptome eines hypertensiven Notfalls informieren – Verhalten im Notfall: – Hilfe rufen, Notarzt informieren – Anwendung der Notfallmedikamente (z. B. Nitro-Spray)

Hypertensiver Notfall ● Arzt verständigen und Patienten nicht alleine lassen ● Patienten beruhigen und mit erhöhtem Oberkörper oder in Herzbettlage positionieren ● Monitor-EKG anlegen und Blutdruck überwachen ● 3–4 l Sauerstoff verabreichen → auf Arztanordnung ● i. v.-Zugang legen (lassen) ● Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z. B. Nitrolingual, Urapidil, Nifedepin, Furosemid) → auf Arztanordnung ● ggf. Verlegung auf die Intensivstation

KOMPAK T

Ursachen ●



primäre Hypotonie: oft junge Frauen ohne sportliche Aktivität sekundäre Hypotonie: – fehlerhafte antihypertensive Medikation (Überdosierung) – Hypovolämie – Hormonstörungen – Herzerkrankungen

Symptome Die Patienten klagen über Schwindel, Kollapsneigung, geringe Kältetoleranz und allgemeine Abgeschlagenheit.

Therapie und Pflege Primäre Hypotonie ● regelmäßiges körperliches Ausdauertraining in Form von Laufen oder Schwimmen ● ausreichend Flüssigkeitszufuhr ● Betätigung der Muskel-Venen-Pumpe während des Stehens bzw. vor dem Aufstehen ● Wechselduschen, um den Kreislauf anzuregen Sekundäre Hypotonie • Ursache identifizieren: z. B. hypertensive Medikation umstellen, Flüssigkeitshaushalt ausglichen (z. B. mit Infusionen)

54.3.3 Periphere arterielle Verschlusskrankheit Definition Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) Die pAVK ist eine chronische Erkrankung des Gefäßsystems mit fortschreitender, irreversibler Verengung oder Verschlüssen der Extremitätenarterien (90 % Beinarterien), meist infolge von Arteriosklerose.

Arterielle Hypertonie ●









arterielle Hypertonie: Blutdruck liegt über eine längere Zeit > 140/90 mmHg. Diagnose: Langzeit-Blutdruckmessung Die arterielle Hypertonie verursacht über eine lange Zeit keine Symptome. Langzeitschäden: Arteriosklerose (als Folge: u. a. KHK, Herzinfarkt, Schlaganfall) und Herzinsuffizienz hypertensiver Notfall: > 230/130 mmHg, Verwirrtheit, Kopfschmerzen etc. Therapie und Pflege: Nitro-Spray, Compliance fördern durch Information

54.3.2 Arterielle Hypotonie Definition Arterielle Hypotonie Eine Hypotonie liegt vor, wenn der systolische Blutdruck unter 100 mmHg abfällt. Hält dieser Zustand über längere Zeit an oder tritt er wiederholt auf, handelt es sich um eine chronische bzw. chronisch-rezidivierende Hypotonie. Kurzzeitig erniedrigte Blutdruckwerte werden als Hypotonus bezeichnet.

Ursachen Typische kardiovaskuläre Risikofaktoren: Rauchen, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Bewegungsmangel, erhöhte Blutfettwerte

Symptome Das typische Symptom der pAVK ist die Claudicatio intermittens. Hierunter versteht man bewegungsabhängige Beinschmerzen, die in Ruhe wieder nachlassen. Umgangssprachlich wird dieses Symptom auch als „Schaufensterkrankheit“ bezeichnet. In fortgeschrittenen Stadien verfärben sich betroffene Extremitäten blass und blau und fühlen sich kühl an. Im schlimmsten Fall kann eine Nekrose/Gangrän auftreten. Auf Basis der noch verbleibenden schmerzfreien Gehstrecke wird die pAVK nach Fontaine in 4 Stadien eingeteilt: ● Stadium I: keine Symptome ● Stadium IIa: Claudicatio intermittens mit einer schmerzfreien Gehstrecke von über 200 m ● Stadium IIb: Claudicatio intermittens mit einer schmerzfreien Gehstrecke von unter 200 m

l 54

Pflege: Erkrankungen des Kreislauf-/Gefäßsystems ● ●

Stadium III: Ruheschmerz in Füßen und Beinen Stadium IV: Nekrose/Gangrän der betroffenen Extremität



Komplikationen und Folgeerkrankungen ●





akuter Arterienverschluss: starke, plötzlich einsetzende Ischämie-Beschwerden (siehe Kap. 54.3.4) erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) Nekrose/Gangrän als Ulcus cruris arteriosum (meist an den Zehen und am Knöchel)

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – Erkrankung und möglicher Verlauf (zur Förderung der Compliance) – Möglichkeiten zur Reduzierung von Risikofaktoren (z. B. mit dem Rauchen aufhören, Gewicht reduzieren) und präventive Maßnahmen (z. B. regelmäßige Bewegung, Herzsportgruppen) – Selbstpflege: z. B. keine Wechselduschen oder Vollbäder und gut trocknen (Haut soll nicht aufweichen), keine einschnürende Kleidung/Schuhe, Füße täglich auf Verletzungen untersuchen und tief positionieren, professionelle Fußpflege

Diagnostik ● ● ● ●

KOMPAK T

bewegungsabhängige Beinschmerzen Knöchel-Arm-Index Duplexsonografie der Beinarterien (CT-)Angiografie

pAVK ●

Therapie



Die Therapie der pAVK ist abhängig vom Erkrankungsstadium: ● Stadium I: mehr Bewegung (Gehtraining, Gymnastik) ● Stadium II (Belastungsschmerz): Gehtraining (z. B. 3x/Woche 30 Minuten) bis an die individuelle Schmerzgrenze ● Stadium III (Ruheschmerz): kein Gehtraining; angioplastische/gefäßchirurgische Rekanalisation; Schmerzmedikation ● Stadium IV (Ulkus/Gangrän): chirurgische Wundbehandlung (z. B. Nekrosenabtragung, Spalthautdeckung); gefäßchirurgische Rekanalisation Die medikamentöse Therapie beschränkt sich meist auf die Gabe von ASS/Clopidogrel.

Pflege ●









356

Beobachten: – Haut des Patienten hinsichtlich Farbe und Temperatur beobachten – Pulsstatus der Beine erheben (A. dorsalis pedis, A. tibialis posterior) – Füße regelmäßig auf Verletzungen untersuchen Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 Mobilisation: – Gehtraining (Stadium II) bzw. eingeschränkte Bettruhe (Stadium III) – betroffene Extremitäten tief positionieren Körperpflege: – Haut nach dem Waschen sorgfältig trocknen, besonders zwischen den Zehenzwischenräumen – Beine nicht einengen (z. B. keine Thromboseprophylaxestrümpfe, einschnürende Kleidung oder Schuhe) Prophylaxe: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Dekubitus-, Thrombose-, Kontrakturenprophylaxe: besonders bei bettlägerigen Patienten







Ursache der pAVK ist eine Atherosklerose der Extremitätenarterien (v. a. der Beine) Risikofaktoren: Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus und Adipositas Einteilung nach Fontaine in 4 Stadien: keine Schmerzen, Bewegungsschmerz, Ruheschmerz, Ulkus Therapie: Gehtraining bis Stadium II, danach lediglich angioplastische/gefäßchirurgische Rekanalisation Pflege: Die Füße des Patienten sollten regelmäßig auf Verletzungen, Hauttemperatur und Farbe untersucht werden. Betroffene Extremitäten sollten tief gelagert werden. Keine Anwendung medizinischer Thromboseprophylaxestrümpfe (MTPS)

54.3.4 Akuter Arterienverschluss Definition Akuter Arterienverschluss Akuter Verschluss eines arteriellen Gefäßes (z. B. Beinarterie, Lungenarterie, Gehirnarterie). Im Bereich der Gefäßerkrankungen ist dies der häufigste Notfall.

Ursachen ●



Embolie: Verschluss durch einen an anderer Stelle (z. B. intrakardial) entstandenen Thrombus (80 % der Beinarterienverschlüsse) fortschreitende Arteriosklerose mit vollständigem Gefäßverschluss (20 % der Beinarterienverschlüsse)

Symptome Die Symptome eines akuten Arterienverschlusses treten rasch und heftig auf. Sie variieren je nach Versorgungsgebiet des betroffenen Blutgefäßes. Zum Beispiel: Gehirn → Schlaganfall (siehe Kap. 61.2.1); Koronararterie → Herzinfarkt (siehe Kap. 53.4.2); Lungenarterien → Lungenembolie (siehe Kap. 55.5.1). Nach eingetretenem Gewebstod kann Besserung eintreten (sog. „fauler Frieden“ bei akutem Mesenterialinfarkt). Tritt der Gefäßverschluss in einer Extremitätenarterie auf, können die Symptome anhand des 6-P-Komplexes nach Pratt zusammengefasst werden: ● Pain (Schmerz) ● Pulselessness (fehlende Extremitätenpulse)

Erkrankungen des Kreislauf- und Gefäßsystems ● ● ● ●

Paraesthesia (Gefühlsstörung) Paleness (Blässe) Paralysis (eingeschränkte Bewegung) Prostration (Schocksymptomatik)

KOMPAK T Akuter Verschluss einer Beinarterie

Diagnostik



Das betroffene Gefäß muss dargestellt werden. Je nach Lokalisation geschieht dies mittels konventioneller Angiografie, CT-Angiografie und/oder Duplexsonografie. Wird der Gefäßverschluss mittels Angiografie nachgewiesen, kann gleichzeitig eine geeignete Therapie (z. B. operative Embolektomie) festgelegt werden.







Therapie

! Merke Time is tissue

Bei Arterienverschlüssen muss schnell behandelt werden. Es zählt buchstäblich jede Sekunde nach dem Grundsatz „Time is tissue“ bzw. „Time is brain“. Folgende Therapiemaßnahmen sind möglich: ● hochmolekulares Heparin über Spritzenpumpe ● niedermolekulares Heparin (z. B. Clexane) in therapeutischer Dosis ● Thrombolysetherapie ● operative Entfernung eines Embolus (Embolektomie) ● Aufdehnung des verschlossenen Gefäßes mittels Ballonkatheter ● Abtragung von Plaques mittels rotierender Messer oder Laser

Pflege Beobachtung • Auf Symptome achten, um Maßnahmen schnell einleiten zu können, z. B. plötzliche Bauchschmerzen, neurologische Ausfälle oder Schmerzen in den Beinen (vor allem Patienten mit bekanntem Vorhofflimmern oder fortgeschrittener pAVK) Bei akutem Arterienverschluss der Beinarterien ● Arzt verständigen und Extremität tief lagern ● Patienten möglichst nicht allein lassen und Ruhe vermitteln ● i. v.-Zugang legen (lassen) ● Vitalparameter kontrollieren ● Kontrolle und Assistenz bei einer High-dose-Heparintherapie/Lysetherapie (siehe Kap. 39 „Antikoagulation und Lyse“) ● ggf. OP-Vorbereitung zur Embolektomie Postoperative Pflege nach Embolektomie • Beachten Sie auch die allgemeine perioperative Pflege (siehe Kap. 41). ● Vitalparameter und Fußpulse kontrollieren ● Hautfarbe und -temperatur kontrollieren ● Bein tief lagern und Gelenk nicht über 30° beugen (Optimierung der Restdurchblutung) ● Frühmobilisation auf Arztanordnung ● keine Injektionen/Infusionen an betroffener Extremität

Ursache: zu 80 % durch Embolie, zu 20 % durch fortschreitende pAVK Symptome: 6P-Komplex mit Pain, Pulselessness, Paraesthesia, Paleness, Paralysis, Prostration Therapie: durch Antikoagulation/Lyse, gefäßchirurgische Rekanalisation (z. B. Embolektomie) oder Aufdehnung des verschlossenen Gefäßes mittels Ballonkatheter Pflege: Vitalparameter und Pulse kontrollieren, Bein tief lagern, Schutz vor Verletzungen

54.3.5 Tiefe Venenthrombose Definition Tiefe Beinvenenthrombose Verlegung des tiefen Beinvenensystems durch ein Blutgerinnsel (Thrombus). Wesentlicher seltener kann das Venensystem des Arms betroffen sein (Armvenenthrombose).

Ursachen Die für die Entstehung einer Thrombose relevanten Faktoren sind nach dem deutschen Pathologen Rudolf Virchow (1821–1902) benannt (Virchow-Trias): 1. verlangsamter Blutstrom (z. B. durch Immobilität) 2. Schäden der Gefäßwand (z. B. durch Venenverweilkatheter) 3. erhöhte Gerinnungsneigung des Blutes (z. B. im Rahmen von Tumorerkrankungen) Zur Thromboseprophylaxe müssen diese Ursachen reduziert werden. Zusätzlich erhält der Patient bei längerer Immobilität eine Low-dose-Heparintherapie.

Symptome ● ●

● ●

einseitige Beinschwellung Schmerzen im betroffenen Bein (besonders Waden- und Fußsohlendruckschmerz) glänzendes, rötlich-bläulich verfärbtes Bein ggf. erhöhte Herzfrequenz

Komplikationen und Folgeerkrankungen ●



Lungenembolie: Abgelöstes thrombotisches Material wird über den Blutstrom in die Lunge geschwemmt (siehe Kap. 55.5.1). postthrombotisches Syndrom: Spätfolge einer Venenklappeninsuffizienz mit Venenabflussstörung nach durchgemachter Thrombose. Folgen sind Knöchelödeme, Pigmentveränderungen und Ekzeme. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Ulcus cruris venosum. Wichtigste therapeutische Maßnahme: Kompressionsstrümpfe.

l 54

Pflege: Erkrankungen des Kreislauf-/Gefäßsystems

Diagnostik Klinische Zeichen ● einseitige, schmerzhafte Beinschwellung ● Meyer-Zeichen: Druckschmerz bei Kompression der Wade ● Payr-Zeichen: Druckschmerz an der Fußsohle Weitere Diagnostik ● Labor: Abnahme von D-Dimeren ● Sonografie der Beinvenen: Goldstandard zur Diagnosesicherung







Therapie Bei Thromboseverdacht muss der Patient zunächst Bettruhe einhalten. Anschließend wird eine Antikoagulation begonnen. Vordringliches Ziel ist die Verhinderung einer Lungenembolie. Der Patient erhält einen Kompressionsverband und darf danach – entgegen langjähriger Lehrmeinung – mobilisiert werden.





Körperpflege: – bei Bettruhe oder starken Schmerzen individuelle Unterstützung bei der Körperpflege im Bett – kein Ausstreichen der Beine Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). – Dekubitus-, Kontrakturen-, Obstipationsprophylaxe: besonders bei verordneter Bettruhe oder stark eingeschränkter Belastung psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – selbstständiges Anziehen der Kompressionsstrümpfe – Erkrankung, Verlauf und Sekundärprophylaxe (s. o.) – verordnete Medikamente (Wirkung und Nebenwirkung)

ACHTUNG Eine häufige Komplikation der TVT ist die Lungenembolie. Dadurch kann aus einem zunächst „peripheren“ Problem rasch ein lebensgefährlicher Verlauf mit Rechtsversagen werden. Für die Antikoagulation gibt es 3 Optionen: ● orale Gabe von Rivaroxaban (Xarelto) ● hoch dosierte Therapie mit hochmolekularem Heparin (z. B. Clexane 0,8 ml 2-mal täglich s. c.) ● hoch dosierte Therapie mit niedermolekularem Heparin (z. B. Heparin-Natrium) über Spritzenpumpe (i. v.). Hierbei muss 2-mal täglich die pTT des Patienten kontrolliert werden.

KOMPAK T Tiefe Venenthrombose ● ●





Im Anschluss an die Akuttherapie wird der Patient für mindestens 6 Monate weiter antikoaguliert (Sekundärprophylaxe), entweder mit einer geringeren Dosis Rivaroxaban (Xarelto) oder mit Marcumar. Zusätzlich sollte der Patient Risikofaktoren minimieren. Dies geschieht durch: ● Kreisen der Beine bei langem Sitzen ● viel Bewegung (z. B. Nordic Walking) ● korrekte Einnahme der Sekundärprophylaxe ● bei Frauen: Verzicht auf die Antibabypille ● Rauchen aufgeben

Pflege ●





358

Mitwirken bei der Therapie: – medikamentöse Therapie überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten (z. B. auf Blutungen achten bei Antikoagulation) – Kompressionstherapie (z. B. Beine wickeln) Beobachtung: – Thromboseverdacht (z. B. bei einseitiger Beinschwellung) zügig einem Arzt mitteilen – auf Symptome einer Komplikation achten (z. B. Dyspnoe, Rasselgeräusche, Reizhusten bei Lungenembolie), um Maßnahmen schnell einleiten zu können Mobilisation und Positionierung: – betroffenes Bein hochlagern – Frühmobilisation, auf Arztanordnung (wirkt sich positiv auf Schwellung und Schmerzen aus)



Lokalisation: Meistens sind tiefe Beinvenen betroffen. Ursache: verlangsamte Blutströmung, Schäden der Gefäßwand, erhöhte Gerinnungsneigung (Faktoren der Virchow-Trias) Leitsymptome: einseitige Beinschwellung und Schmerzen Therapie: Antikoagulation (Heparin oder Rivaroxaban) und Beinvenenkompression Pflege: Bein wickeln und hochlagern, lebensbedrohliche Symptome einer Lungenembolie kennen, Mobilisation fördern, Patient über Sekundärprophylaxe informieren

54.3.6 Aneurysma Die lokale Erweiterung der arteriellen Gefäßwand wird als Aneurysma bezeichnet. Je nachdem, welche Wandschichten von der Erweiterung betroffen sind, unterscheidet man: ● falsches Aneurysma (Aneurysma falsum/spurium): Durch einen kleinen Defekt in der Gefäßwand (z. B. durch eine arterielle Punktion bei Koronarangiografie) bildet sich um das Gefäß ein Bluterguss. Normalerweise ist dies nicht schlimm und bildet sich von selbst zurück. In einigen Fällen muss der Defekt jedoch operativ verschlossen werden. ● echtes Aneurysma: häufig im Bereich der Aorta (thorakales Aortenaneurysma/Bauchaortenaneurysma). Es kommt zur Ausstülpung aller drei Gefäßwandschichten. Das Gefäß kann im Verlauf platzen. Hauptrisikofaktor ist die Atherosklerose. Ab einer gewissen Größe werden echte Aneurysmata operiert. ● Aneurysma dissecans: Durch einen Einriss der innersten Gefäßwandschicht (Intima) bildet sich ein zweites Lumen zwischen Intima und Media. Ein Aneurysma dissecans kann im Verlauf platzen und ist lebensgefährlich. Im Klinikalltag wird es häufig nur als „Dissektion“ bezeichnet.

Erkrankungen der Lymphgefäße

54.3.7 Varikosis Dieses Krankheitsbild wird im Volksmund häufig als „Krampfadern“ bezeichnet. Es handelt sich um eine sackartige Erweiterung oberflächlicher Beinvenen (V. saphena magna bzw. parva). Risikofaktoren sind eine angeborene Bindegewebsschwäche, weibliches Geschlecht, zunehmendes Alter, sitzende oder stehende Tätigkeit oder Bewegungsmangel. Neben kosmetischen Problemen verspüren die Patienten ein diffuses Spannungs-, Druck-, Schwere- und Müdigkeitsgefühl.

Therapie und Pflege ●

● ● ● ● ●

viel Gehen und langes Sitzen und Stehen vermeiden (SLRegel: Sitzen und Stehen ist schlecht – lieber laufen und liegen) Kompressionsstrümpfe Obstipationsprophylaxe keine schweren Lasten tragen Hitze in Sauna und Schwimmbad meiden Wechselduschen

In fortgeschrittenen Stadien können die Varizen operativ entfernt werden (Varizenstripping).

54.3.8 Thrombophlebitis Eine Thrombophlebitis ist die entzündliche Thrombose oberflächlicher Venen. Im Unterschied zur tiefen Beinvenenthrombose geht von der Thrombophlebitis meist kein Embolierisiko aus. Oft betroffen sind oberflächliche Venen der Hand, die infolge einer Gefäßpunktion entzündet sind. Ein Venenzugang sollte sofort entfernt werden und die betroffene Extremität hochgelagert werden. Anschließend sollte man kühlen und mit antiseptischen Umschlägen (z. B. Octenisept) behandeln. Regelmäßige sterile Verbandwechsel beugen einer Thrombophlebitis vor.

54.4 Erkrankungen der Lymphgefäße 54.4.1 Lymphangitis und Lymphadenitis Bei einer Lymphangitis sind die Lymphgefäße in Haut und Unterhaut entzündet. Dies zeigt sich durch einen roten Strich, der ausgehend von der Infektionsstelle in Richtung regionärer Lymphknoten zieht. Sie tritt meist durch eine lokale Infektion (z. B. nach einem Insektenstich) auf und wird im Volksmund oft als „Blutvergiftung“ bezeichnet. Medizinisch gesehen hat dieses Krankheitsbild jedoch wenig mit einer Sepsis zu tun. Oftmals heilt die Entzündung durch lokale Umschläge folgenlos ab.

54.4.2 Erysipel Ein Erysipel (Wundrose) ist eine örtlich begrenzte, bakterielle Entzündung von Haut und Unterhaut. Sie breitet sich über Lymphgefäße aus. Auslöser sind meist Streptokokken. Meist findet sich ein Erysipel im Bereich der unteren Extremität. Charakteristisch ist die scharf begrenzte, starke Rötung mit flammenden Ausläufern. Die Erkrankung ist mit Penicillin sehr gut behandelbar.

54.4.3 Lymphödem Ein Lymphödem zeigt sich durch eine sicht- und tastbare Flüssigkeitsansammlung im Unterhautfettgewebe. Im Unterschied zu herkömmlichen Ödemen sind diese Flüssigkeitsansammlungen nicht eindrückbar und werden durch einen behinderten Lymphabfluss hervorgerufen. Ursache können die operative Entfernung von Lymphknoten im Rahmen eines Mammakarzinoms oder Abflussbehinderungen durch Tumoren sein. Ein Lymphödem ist oft chronisch und führt zu einer starken Einschränkung der Patienten. Behandelt wird es mit physikalischen Maßnahmen (z. B. regelmäßige Lymphdrainage, gezielte Bewegungsübungen und Kompressionstherapie). Eine Behandlung mit Diuretika ist nicht sinnvoll.

55

Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems

Auslöser meiden medikamentöse Behandlung anfallsartige Dyspnoe

Asthmaschulung

!

Therapie, z.B.

Angst

Lippenbremse, Kutschersitz

Pflege, z.B.

Pneumothorax

Symptome, z.B.

obere Luftwege

Gasaustausch – Alveolen Status asthmaticus

Atmungssystem

Lufu Diagnostik, z.B.

Anatomie und Physiologie

Peak-Flow Komplikationen, z.B.

genetisch

untere Luftwege

Aufbau der Lunge

Pleuraspalt

2 Lungenflügel

Ursachen, z.B. allergisch

re.: 3 Lungenlappen li.: 2 Lungenlappen

Asthma bronchiale Mukoviszidose

Bronchodilatatoren

COPD

Medikamente, z.B. nicht-infektiöse Erkrankungen, z.B.

!

Lungenembolie

Glukokortikoide maligne Erkrankungen

Erkrankungen des Lungenkreislaufs, z.B.

Lungenödem

z.B. Bronchialkarzinom

infektiöse Erkrankungen, z.B. Viren

Ursachen, z.B.

Bakterien

Symptome

Pneumonie

Tuberkulose

meldepflichtig Pflege, z.B.

Diagnostik, z.B. typisch, z.B.

Tröpfcheninfektion

Therapie

atypisch, z.B. Rö-Thorax

Labor

Flüssigkeit Vitalzeichen

Lungenbelüftung

abhängig vom Erreger produktiver Husten

plötzlich hohes Fieber

trockener Husten

leicht erhöhte Temperatur

z.B. Antibiotika

z.B. Virostatika

Nicht-infektiöse Erkrankungen

55.1 Anatomie und Physiologie 55.1.1 Atmungssystem Das Atmungssystem besteht aus den oberen (Nase, Nasennebenhöhlen, Rachen) und unteren (Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien, Lunge) Luftwegen. Der Gasaustausch (Aufnahme von Sauerstoff und Abgabe von Kohlenstoffdioxid) findet in den Lungenbläschen (Alveolen) durch Diffusion statt.

55.1.2 Aufbau der Lunge Die Lunge besteht aus 2 Lungenflügeln, wovon sich der rechte, steiler abfallende Lungenflügel in 3, der linke Lungenflügel in 2 Lungenlappen gliedert. Zwischen den beiden Blättern des Brustfells (Pleura) liegt der Pleuraspalt mit Pleuraflüssigkeit; diese ist wichtig für die Atembewegung. Die Atmung wird vom Atemzentrum des zentralen Nervensystems reguliert. Bei der Einatmung (Inspiration) kontrahiert das Zwerchfell, die Zwerchfellkuppel sinkt ab (aktiv) und Luft strömt ein. Bei der Ausatmung (Exspiration) entspannt sich das Zwerchfell, die Zwerchfellkuppel wird angehoben, Luft strömt aus (passiv). Das Atemzugvolumen (Gesamtmenge, die pro Atemzug ein- und ausgeatmet wird) beträgt in Ruhe ca. 500 ml. Physiologische Atemfrequenz • Die physiologische Atemfrequenz ist abhängig vom Lebensalter (siehe ▶ Tab. 16.4).

55.2 Nicht-infektiöse Erkrankungen 55.2.1 Asthma bronchiale Definition Asthma bronchiale Asthma bronchiale ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege, die durch eine Überempfindlichkeit des Bronchialsystems und Atemwegsobstruktion gekennzeichnet ist. Asthmaanfälle treten typischerweise anfallsartig auf und gehen mit akuter Dyspnoe (Atemnot) einher.

Ursachen Bei der Entstehung von Asthma spielen ● genetische Faktoren, ● exogene Faktoren wie Virusinfektionen oder ● die Exposition mit Allergenen, inhalativen Reizstoffen und Medikamenten wie NSAR und β-Rezeptoren-Blocker eine Rolle. Man unterscheidet allergisches (extrinsisches) Asthma von nicht allergischem (intrinsischem) Asthma. Im Asthmaanfall verursachen 3 Mechanismen die Atemwegsobstruktion:

Abb. 55.1 Lunge und Lungenkreislauf. Luftröhre rechter Lungenflügel

linker Lungenflügel

Oberlappen

Oberlappen Aortenbogen

rechter Hauptbronchus

linker Hauptbronchus

rechte Lungenarterie

linke Lungenarterie

rechte Lungenvenen

linke Lungenvenen

obere Hohlvene

Lungenstamm

aufsteigende Aorta

linke Herzkammer

rechtes Herzohr Mittellappen

Herzspitze Unterlappen

Unterlappen untere Hohlvene

rechte Herzkammer

Lungenflügel, Lungengefäße und Bronchialbaum im Überblick. Gezeigt sind die Arterien (blau) und Venen (rot) des Lungenkreislaufs bis zu ihrem Übergang in die kleinen Segmentarterien. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

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Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems ●

● ●

Schleimhautödem: entzündliche Schwellung der Bronchialschleimhaut Bronchospasmus: Verkrampfung der Bronchialmuskulatur Dyskrinie: vermehrte Produktion von zähem Schleim

Symptome Klassische Leitsymptome des Asthma bronchiale sind: ● plötzliche, anfallsartige Dyspnoe und Tachypnoe ● trockener Husten ● Engegefühl im Brustkorb (v. a. bei der Ausatmung) ● starke Unruhe und Ängstlichkeit ● Tachykardie

Komplikationen Schwere Komplikationen eines Asthmaanfalles sind: ● Pneumothorax (Luft im Pleuraspalt) ● Status asthmaticus ● Atemstillstand

Diagnostik ●









Anamnese: Art, Häufigkeit und Einflussfaktoren von Asthmaanfällen körperliche Untersuchung im Anfallsgeschehen: Typische Befunde sind eine verlängerte Ausatmungsphase, trockene Rasselgeräusche, erhöhte Atem- und Herzfrequenz, manchmal ein paradoxer Puls (Puls fällt nach der Einatmung ab), Einsatz der Atemhilfsmuskulatur (Orthopnoe). Lungenfunktionsüberprüfung: Typischerweise zeigt sich eine reversible obstruktive Ventilationsstörung, die mit einem Bronchospasmolysetest überprüft wird. Peak-Flow-Messung: Mit dem Peak-Flow-Meter wird der Atemspitzenstoß gemessen, der mit altersgerechten Normwerten abgeglichen wird. Blutgasanalyse (BGA): Meistens besteht eine respiratorische Partialinsuffizienz, d. h. Hypoxämie bei normalem oder erniedrigtem Kohlenstoffpartialdruck.

Therapie ●

Ziel: Anfälle vermeiden, aufgetretene Anfälle durchbrechen, ausreichende Sauerstoffversorgung gewährleisten.

Die Therapie besteht aus: Meiden von Allergenen und anderen Auslösern ● medikamentöser Behandlung ● atemunterstützenden Maßnahmen ●

Medikamente • Es kommen 2 Wirkstoffgruppen zum Einsatz: ● bronchienerweiternde Wirkstoffe: z. B. β2-Sympathomimetika (Nebenwirkungen: Tachykardie, Zittern) ● entzündungshemmende Wirkstoffe: z. B. Kortison (Nebenwirkungen: Infektanfälligkeit, Gewichtszunahme, Blutzuckererhöhung, Knochenerweichung, Hautveränderungen, Wachstumsstörungen)

362

Atemunterstützende Maßnahmen ● Atemgymnastik mit exspiratorischen Atemtrainern (Kap. 28.1.1) ● Atem- und Hustentechniken (Lippenbremse, schonendes „Hüsteln“) ● Atempositionen (z. B. Kutschersitz) ● warme Brustwickel oder Entspannungsübungen

Pflege Sofortmaßnahmen bei einem Asthmaanfall ● Hilfe rufen und Arzt informieren ● Bedarfsmedikamente verabreichen ● evtl. Kortisongabe durch Arzt ● Lippenbremse und Kutschersitz zur Atemerleichterung ● Fenster öffnen ● Patienten beruhigen, nicht allein lassen Beobachtung Vitalparameter und Sauerstoffsättigung: – Puls: Tachykardien treten häufig auf (z. B. aufgrund von Medikamentennebenwirkungen, Dyspnoe, verstärkter Atemarbeit) – Atmung: Veränderungen erfassen, dokumentieren und ggf. Arzt informieren (Atemfrequenz? Atemgeräusche? Einsatz der Atemhilfsmuskulatur? Sauerstoffsättigung?) – Sauerstoffsättigung: erniedrigte Werte bei Asthmaanfällen erfordern eine Sauerstofftherapie → nach Arztanordnung ● Haut: Ein Patient mit zyanotischem Hautkolorit bedarf einer Sauerstofftherapie. Hautausschläge können ein Hinweis auf eine allergische Reaktion sein. ● Blutzucker: Nach einer systemischen Kortisongabe steigt der Blutzucker an, deshalb v. a. bei insulinpflichtigen Diabetikern Blutzucker nach Gabe kontrollieren. ● Sodbrennen: Sodbrennen kann Asthma auslösen, es muss eine ursächliche Behandlung erfolgen. ● intensivmedizinische Überwachung: Intensivmedizinisch überwacht werden müssen Patienten mit starker Dyspnoe, deutlicher Zyanose, Bewusstseinseintrübung durch Sauerstoffmangel und wenn Notfallmedikamente keine ausreichende Wirkung erzielen. ●

Inhalationen • Inhalationen (z. B. mit Diskus, Turbohaler oder Dosieraerosol): Der korrekte Umgang mit den Inhalationshilfen muss zunächst geübt werden. Bei kortisonhaltigen Medikamenten ist neben den üblichen Nebenwirkungen darauf zu achten, dass Patienten nach der Inhalation den Mund spülen bzw. eine Mundpflege durchführen (Soorprophylaxe). Mobilisation • In anfallsfreien Intervallen kann der Patient aktiv sein und muss sich nicht besonders schonen. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten ● Fachwissen vermitteln: Ursache, Symptome, Auslöser ● Medikamente: über Wirkungen und Nebenwirkung informieren ● Anleitung: Dosieraerosol, Inhaliergerät, Peak-Flow-Messung, atemunterstützende Techniken ● Notfall: Verhaltensmaßnahmen im Asthmaanfall

Nicht-infektiöse Erkrankungen ●

Alltagsbewältigung und Gesundheitsförderung: Asthmatagebücher, Selbsthilfegruppen, Asthmaschulungen, Anschlussheilbehandlungen, Disease-Management-Programm (krankenkassenfinanziertes, aber zentral organisiertes Behandlungsprogramm für chronisch kranke Menschen)





55.2.2 Chronische Bronchitis Definition Chronische Bronchitis Von einer chronischen Bronchitis spricht man, wenn ein Patient in den letzten 2 Jahren jährlich mindestens 3 Monate ohne Unterbrechung an Husten mit Auswurf gelitten hat.

Definition COPD „Chronisch-obstruktive Lungenerkrankung“ („chronic obstructive pulmonary disease“ = COPD) ist ein Oberbegriff für progredient verlaufende Erkrankungen, die mit einer nicht reversiblen Atemwegsobstruktion und Dyspnoe einhergehen. Die COPD ist eine der häufigsten Lungenerkrankungen.

Ursachen ● ● ● ●

langjähriges Rauchen Feinstaub, Arbeit im Bergbau (seltenere Ursache) häufige Infektionen der Atemwege endogene Faktoren (z. B. Sensibilität der Bronchialschleimhaut)

Therapie bei Exazerbation (Verschlechterung des Krankheitsbilds): Je nach Schwere der Exazerbation werden bronchienerweiternde Medikamente, Lippenbremse, Kutschersitz, systemische Kortisontherapie, Antibiotika, Sauerstofftherapie und ggf. maschinelle Beatmung auf der Intensivstation notwendig. Sauerstoff-Langzeittherapie und NIV-Therapie: Bei Hypoxie und niedriger Sauerstoffsättigung erhalten Patienten Sauerstoff per Nasenmaske oder -brille. Durch die nichtinvasive Beatmungstherapie (NIV-Therapie) wird der Patient mit einer druckdichten Atemmaske bei der Atmung unterstützt und die Atemmuskulatur entlastet.

! Merke Atemstillstand

In manchen Fällen kann die Sauerstoffgabe bei COPD-Patienten zu einem Atemstillstand führen. Bei der COPD kommt es aufgrund des dauerhaft erhöhten Kohlenstoffdioxidgehaltes im Blut zur Adaption (Gewöhnung) und der Atemtrieb wird nicht mehr durch einen erhöhten Kohlenstoffdioxidgehalt stimuliert. Vielmehr wird der Atemtrieb bei Patienten mit COPD über einen absinkenden Sauerstoffgehalt im Blut gesteuert. Die Sauerstoffgabe kann nun zu einem verminderten Atemtrieb (Atemdepression) bis hin zum Atemstillstand führen. Aus diesem Grund ist selbst bei Zyanose und Dyspnoe des COPD-Patienten die Sauerstoffgabe nur nach ärztlicher Anordnung sowie in verordneter Dosierung zu verabreichen. Regelmäßige Kontrolle und Beurteilung der Vitalzeichen des Patienten unter Sauerstofftherapie müssen gewährleistet sein.

Pflege Symptome ●

● ● ● ● ●

Husten („Raucherhusten“) und Auswurf (v. a. morgens nach dem Aufstehen) Abhusten von zähem Schleim Infektanfälligkeit (bronchiale Infektionen) Dyspnoe, Atemnot Zyanose im Verlauf: Lungenemphysem, Bronchiektasen, Cor pulmonale

Diagnostik ● ● ● ● ●

Untersuchung des Sputums Blutbild Röntgen-Thorax Lungenfunktionsprüfung Blutgasanalyse (BGA)

Therapie Die Therapie erfolgt nach einem festgelegten Stufenplan, der sich nach dem aktuellen Obstruktionsgrad, dem Ausmaß der Luftnot und der Häufigkeit jährlicher Exazerbationen richtet. Therapieaspekte sind: ● Rauchen: frühzeitiger Rauchverzicht, um den progredienten Verlauf aufzuhalten ● atemunterstützende Maßnahmen: Training der Atemhilfsmuskulatur z. B. mittels exspiratorischer Atemtrainer, Atem- und Hustentechniken (z. B. Kutschersitz), Brustwickeln und Entspannungsübungen (siehe Kap. 28)

Beobachtung ● Vitalparameter und Sauerstoffsättigung: – Puls: Tachykardien treten häufig auf (z. B. aufgrund von Medikamentennebenwirkungen, Dyspnoe, verstärkter Atemarbeit) – Atmung: Veränderungen erfassen, dokumentieren und ggf. Arzt informieren (Atemfrequenz? Atemgeräusche? Einsatz der Atemhilfsmuskulatur? Sauerstoffsättigung?) – Sauerstoffsättigung: erniedrigte Werte erfordern eine Sauerstofftherapie → nach Arztanordnung! – Bewusstsein: bei Sauerstofftherapie: Anzeichen einer Atemdepression zeigen sich durch Bewusstseinsstörungen. ● Körperhaltung: „Fassthorax“ (verkürzter und breiterer Thorax, der scheinbar in der Inspirationsstellung verharrt) durch chronische Überblähung der Lunge ● Husten und Sputum: Meist am Morgen tritt produktiver Husten mit bräunlichem Auswurf auf. Sekretlösende Maßnahmen schaffen Abhilfe. ● Haut: Dünne, pergamentartige Haut (durch Kortison verursacht) bedarf besonderer Pflege. Anstelle von Pflaster eher Mullbinden und Netzverbände nutzen und Hautläsionen mit Fettgaze verbinden. ● Blutzucker: Bei systemischer Kortisongabe muss der Blutzucker überwacht werden (siehe Kap. 55.2.1). Mobilisation auf ausreichende Pausen achten, je nach Belastbarkeit (Dyspnoe vermeiden) ● COPD-Medikamente möglichst vor der Mobilisation verabreichen, um die bestmögliche Atemsituation für den Patienten zu schaffen ●

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Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten ● Rauchen: frühzeitiger Rauchverzicht, Maßnahmen der Rauchentwöhnung ● Medikamente: über Wirkungen und Nebenwirkung informieren ● Anleitung: Dosieraerosol, Inhaliergerät, Sauerstoffgerät, Peak-Flow-Meter, atemunterstützende Maßnahmen ● Prophylaxe und Gesundheitsförderung: Grippeschutzimpfung, Disease-Management-Programm, Lungensportgruppen, ggf. hochkalorische Ernährung bei Unter-/Mangelernährung

55.2.3 Mukoviszidose Definition Mukoviszidose Die Mukoviszidose (auch zystische Fibrose) ist eine angeborene, genetisch bedingte Stoffwechselkrankheit, die durch eine zähflüssige Schleimproduktion der exokrinen Drüsen gekennzeichnet ist. So sind mehrere Organe betroffen, insbesondere die Lunge und die Bauchspeicheldrüse (Pankreas).

Ursachen Die Mukoviszidose ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung und tritt somit nur auf, wenn beide Elternteile das Mukoviszidose-Gen besitzen. Durch den Gendefekt sind die Chloridkanäle in den Zellwänden der exokrinen Drüsen in ihrer Funktion beeinträchtigt. Es wird zähflüssiges Sekret (Dyskrinie) produziert, das nur sehr schwer abfließen kann und die Ausführungsgänge der Drüsen verstopft (Mukostase).

Symptome ●









364

Lunge: chronischer Husten mit Auswurf, häufige Atemwegsinfekte und Lungenentzündungen, Bronchiektasen und Lungenemphyseme bei zunehmender Zerstörung des Lungengewebes, (lebensbedrohliches) Husten von Blut (Hämoptyse), chronisch-respiratorische Insuffizienz im Spätstadium (mit Zyanose, Trommelschlägelfingern und Uhrglasnägeln) sowie Rechtsherzversagen. Meist ist die zunehmende Zerstörung der Lunge der lebenslimitierende Grund. Bauchspeicheldrüse: chronische Durchfälle, massiger und fettiger Stuhlgang, Blähungen, Gewichtsverlust, Diabetes mellitus durch Schädigung der Langerhans-Zellen im Verlauf Gedeihstörung: Kinder mit Mukoviszidose sind ausgesprochen mager und klein, da sie v. a. durch die Verdauungsprobleme nur schwer an Gewicht zulegen. Schweißdrüsen: Durch die gestörten Chloridkanäle wird salziger Schweiß produziert. Dieser gibt bei der Diagnostik erste Hinweise auf die Erkrankung (sog. Schweißtest nach Pilocarpin-Iontophorese). weitere Symptome: Mekoniumileus bei Neugeborenen, Verstopfung, chronische Gallenabflussstörung mit biliärer Leberzirrhose, Unfruchtbarkeit (insbesondere bei Männern)

Diagnostik Die Diagnostik erfolgt mittels Schweißtest nach PilocarpinIontophorese, bei dem über 30 Min. Schweiß gesammelt und der Chloridgehalt des Schweißes bestimmt wird. Ist dieser Wert erhöht, wird die Diagnose mit einem Gentest abgesichert.

Therapie Eine ursächliche Therapie ist nicht möglich. Die Therapie zielt darauf ab, Beschwerden zu lindern und die Funktionsfähigkeit der Organe lange zu erhalten. Die mittlere Lebenserwartung liegt derzeit bei über 40 Jahren. Für die lebenslange tägliche Therapie (bis zu 6 Stunden täglich) ist ein hohes Maß an Eigeninitiative und Engagement erforderlich. Die Sekretmobilisierung sowie die Infektionsprävention stehen dabei im Vordergrund. Letzte Therapieoption für die Lebensverlängerung ist eine Lungentransplantation.

Pflege Mitwirken bei der Therapie ● Atemphysiotherapie: Drainagelagerungen 3–4-mal täglich für 10–20 Minuten, Abklopfen mit Vibrationstechnik oder einem Vibrationsgerät, Atemtrainer wie Flutter, Acapella choice oder RC-Cornet ● Sekretolyse: Inhalation mit hypertoner Kochsalzlösung oder mit rekombinanter humaner DNAse ● Medikamente: Antibiotika bei pulmonalen Infekten, β2Sympathomimetika bei Bronchospasmen ● Sauerstoff-Langzeittherapie: bei Hypoxämie Ernährung • Aufgrund des erhöhten Kalorienbedarfs und Fettverlusts über den Stuhl: ● hochkalorische, fett- und salzreiche Kost und Zwischenmahlzeiten anbieten ● Pankreasenzyme (z. B. Lipase) substituieren psychosoziale Begleitung • Die Lebenserwartung von an Mukoviszidose Erkrankten hängt maßgeblich von ihrer Compliance ab. ● Gesprächsbereitschaft signalisieren ● auf Selbsthilfegruppen hinweisen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Bewegung: Regelmäßige Bewegung trainiert die Lunge und kann zu einem verbesserten Allgemeinbefinden beitragen. ● Fachwissen vermitteln: um Compliance zu fördern ● Medikamente: über Wirkungen und Nebenwirkung informieren ● Infektionsprävention: Impfungen (Pertussis, Pneumokokken, Influenza, Haemophilus influenzae) sind empfohlen. ● Vermitteln von Kontaktadressen spezialisierter Mukoviszidose-Zentren sowie Rehabilitations- und Kurangeboten ●

Infektiöse Erkrankungen Lungenentzündungen können ambulant (CAP = community acquired pneumonia) oder nosokomial (HAP = hospital acquired pneumonia) erworben sein.

KOMPAK T Nicht-infektiöse Erkrankungen ●







Symptome

physiologische Atemfrequenz: Säuglinge: 40–50 Atemzüge/Min., Kinder: 20–30 Atemzüge/Min., Erwachsene: 14–16 Atemzüge/Min. Asthma bronchiale: chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege mit Atemwegsobstruktion. Sofortmaßnahmen bei einem Asthmaanfall sind: Hilfe rufen, Arztinformation, Bedarfsmedikamente verabreichen, Kortisongabe durch Arzt, Lippenbremse und Kutschersitz, Frischluftzufuhr, Patienten beruhigen und nicht allein lassen chronische Bronchitis: Patienten leiden seit mind. 2 Jahren jährlich mind. 3 Monate ohne Unterbrechung an Husten mit Auswurf. Sauerstoffgabe bei COPD-Patienten kann zum Atemstillstand führen (Sauerstoff nur nach ärztlicher Anordnung!). Mukoviszidose: Mukoviszidose ist eine angeborene, genetisch vererbte Stoffwechselerkrankung. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht. In ihrer Funktion veränderte Chloridkanäle führen zur Produktion von zähflüssigem Sekret. V. a. Lunge und Pankreas sind stark betroffen. Therapeutisch ist hohe Eigeninitiative der Patienten gefragt: Mehrere Stunden am Tag nehmen Sekretmobilisation und Infektionsprophylaxe ein.

55.3 Infektiöse Erkrankungen 55.3.1 Pneumonie Definition Pneumonie Eine Lungenentzündung (Pneumonie) ist eine Entzündung der Lungenbläschen (Alveolen) und/oder des Lungenzwischengewebes (Lungeninterstitium).

Ursachen Die Pneumonie zählt zu den häufigsten Infektionserkrankungen weltweit. Verursacht wird die Pneumonie durch ● Bakterien (häufigste Ursache), ● Viren, ● Pilze oder ● Parasiten.

Abhängig davon, ob das Alveolargewebe oder das Zwischengewebe (Interstitium) betroffen ist, unterscheidet man zwischen einer typischen (alveoläre Lobärpneumonie) oder einer atypischen (interstitiellen) Pneumonie (▶ Tab. 55.1).

Diagnostik Diagnostisch stehen Anamnese, körperliche Untersuchung, Röntgenthorax, Erregernachweis, Blutuntersuchungen und Blutgasanalyse zur Verfügung.

Therapie Die medizinische Therapie richtet sich nach dem Erreger der Pneumonie, somit kommen Antibiotika, Antimykotika und Virostatika zum Einsatz. Hustenstillende, schleimlösende und fiebersenkende Medikamente werden nach Bedarf eingesetzt.

Pflege Die pflegerische Therapie zielt darauf ab, die Lungenbelüftung zu verbessern, eine ausreichende Sauerstoffversorgung zu gewährleisten, Dyspnoe zu verhindern und Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Beobachtung • Die pflegerische Beobachtung ist aufgrund möglicher Komplikationen wie Sepsis, septischer Embolie, respiratorischer Insuffizienz mit Sauerstoffmangel und anderer Komplikationen durch Immobilität und Nebenwirkungen besonders wichtig. Dazu sollten folgende Aspekte beachtet werden: ● Vitalparameter und Sauerstoffsättigung: erhöhte Pulsund Atemfrequenz bei Sauerstoffmangel, Kontrolle der Sauerstoffsättigung oder kontinuierliches Monitoring, ggf. Sauerstofftherapie nach Arztanordnung ● Körpertemperatur und Flüssigkeitsbilanz: Temperaturkontrolle, Trinkmenge erhöhen und bilanzieren, bei Fieber (siehe Kap. 42) ● Husten und Sputum: Farbe des Sputums gibt Aufschluss über den Erreger (weiß: viral; gelb-grünlich: bakteriell; gräulich: meist abheilende bakteriell bedingte Pneumonie), gestörter Hustenreiz kann zu neuen (Aspirations-)

Tab. 55.1 Symptome der typischen und atypischen Pneumonie im Vergleich. typische Pneumonie

atypische Pneumonie

Erkrankungsbeginn

plötzlich

schleichend

Fieber

hoch (bis 40 °C) mit Schüttelfrost

leicht erhöht

Husten

produktiv (bräunlich-gelber Auswurf)

trocken

Atemnot

von Beginn an ausgeprägt

langsam zunehmend

Begleitsymptome

Begleitpleuritis

„Grippesymptome“

Allgemeinbefinden

stark beeinträchtigt

mäßig beeinträchtigt

Infektiöse Erkrankungen Lungenentzündungen können ambulant (CAP = community acquired pneumonia) oder nosokomial (HAP = hospital acquired pneumonia) erworben sein.

KOMPAK T Nicht-infektiöse Erkrankungen ●







Symptome

physiologische Atemfrequenz: Säuglinge: 40–50 Atemzüge/Min., Kinder: 20–30 Atemzüge/Min., Erwachsene: 14–16 Atemzüge/Min. Asthma bronchiale: chronisch-entzündliche Erkrankung der Atemwege mit Atemwegsobstruktion. Sofortmaßnahmen bei einem Asthmaanfall sind: Hilfe rufen, Arztinformation, Bedarfsmedikamente verabreichen, Kortisongabe durch Arzt, Lippenbremse und Kutschersitz, Frischluftzufuhr, Patienten beruhigen und nicht allein lassen chronische Bronchitis: Patienten leiden seit mind. 2 Jahren jährlich mind. 3 Monate ohne Unterbrechung an Husten mit Auswurf. Sauerstoffgabe bei COPD-Patienten kann zum Atemstillstand führen (Sauerstoff nur nach ärztlicher Anordnung!). Mukoviszidose: Mukoviszidose ist eine angeborene, genetisch vererbte Stoffwechselerkrankung. Eine ursächliche Therapie gibt es nicht. In ihrer Funktion veränderte Chloridkanäle führen zur Produktion von zähflüssigem Sekret. V. a. Lunge und Pankreas sind stark betroffen. Therapeutisch ist hohe Eigeninitiative der Patienten gefragt: Mehrere Stunden am Tag nehmen Sekretmobilisation und Infektionsprophylaxe ein.

55.3 Infektiöse Erkrankungen 55.3.1 Pneumonie Definition Pneumonie Eine Lungenentzündung (Pneumonie) ist eine Entzündung der Lungenbläschen (Alveolen) und/oder des Lungenzwischengewebes (Lungeninterstitium).

Ursachen Die Pneumonie zählt zu den häufigsten Infektionserkrankungen weltweit. Verursacht wird die Pneumonie durch ● Bakterien (häufigste Ursache), ● Viren, ● Pilze oder ● Parasiten.

Abhängig davon, ob das Alveolargewebe oder das Zwischengewebe (Interstitium) betroffen ist, unterscheidet man zwischen einer typischen (alveoläre Lobärpneumonie) oder einer atypischen (interstitiellen) Pneumonie (▶ Tab. 55.1).

Diagnostik Diagnostisch stehen Anamnese, körperliche Untersuchung, Röntgenthorax, Erregernachweis, Blutuntersuchungen und Blutgasanalyse zur Verfügung.

Therapie Die medizinische Therapie richtet sich nach dem Erreger der Pneumonie, somit kommen Antibiotika, Antimykotika und Virostatika zum Einsatz. Hustenstillende, schleimlösende und fiebersenkende Medikamente werden nach Bedarf eingesetzt.

Pflege Die pflegerische Therapie zielt darauf ab, die Lungenbelüftung zu verbessern, eine ausreichende Sauerstoffversorgung zu gewährleisten, Dyspnoe zu verhindern und Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Beobachtung • Die pflegerische Beobachtung ist aufgrund möglicher Komplikationen wie Sepsis, septischer Embolie, respiratorischer Insuffizienz mit Sauerstoffmangel und anderer Komplikationen durch Immobilität und Nebenwirkungen besonders wichtig. Dazu sollten folgende Aspekte beachtet werden: ● Vitalparameter und Sauerstoffsättigung: erhöhte Pulsund Atemfrequenz bei Sauerstoffmangel, Kontrolle der Sauerstoffsättigung oder kontinuierliches Monitoring, ggf. Sauerstofftherapie nach Arztanordnung ● Körpertemperatur und Flüssigkeitsbilanz: Temperaturkontrolle, Trinkmenge erhöhen und bilanzieren, bei Fieber (siehe Kap. 42) ● Husten und Sputum: Farbe des Sputums gibt Aufschluss über den Erreger (weiß: viral; gelb-grünlich: bakteriell; gräulich: meist abheilende bakteriell bedingte Pneumonie), gestörter Hustenreiz kann zu neuen (Aspirations-)

Tab. 55.1 Symptome der typischen und atypischen Pneumonie im Vergleich. typische Pneumonie

atypische Pneumonie

Erkrankungsbeginn

plötzlich

schleichend

Fieber

hoch (bis 40 °C) mit Schüttelfrost

leicht erhöht

Husten

produktiv (bräunlich-gelber Auswurf)

trocken

Atemnot

von Beginn an ausgeprägt

langsam zunehmend

Begleitsymptome

Begleitpleuritis

„Grippesymptome“

Allgemeinbefinden

stark beeinträchtigt

mäßig beeinträchtigt

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Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems







Pneumonien führen, Dokumentation der Menge und Beschaffenheit des Sputums Schmerzen und Allgemeinbefinden: starke Schmerzen beim Atmen und Husten bei Beteiligung des Lungenfells und resultierender Schonhaltung, Minderbelüftung, unterdrücktes Abhusten begünstigen die Entzündung. Nach Arztanordnung werden Schmerzmittel verabreicht. Haut: Beobachtung auf Zyanose, Schweiß, Gänsehaut, Druckstellen, Pilzinfektionen (Mund- und Genitalbereich), allergische Reaktionen auf Antibiotika können sich durch ein Arzneimittelexanthem zeigen (Gefahr des anaphylaktischen Schocks). Stuhlgang: Antibiotika, Flüssigkeitsmangel und Immobilität begünstigen Obstipationen.

Pflegemaßnahmen ● Hygiene: je nach Erreger ggf. Isolierung des Patienten (siehe Kap. 15.3). ● Positionierung und Mobilisation: Oberkörperhochlage, körperliche Schonung, ggf. Bettruhe, bei Bedarf Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme und Körperpflege ● Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme: Bilanzierung des Flüssigkeitshaushaltes ● Prophylaxen: Thrombose-, Dekubitus- und Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. 21) ● Beratung: Grippeschutzimpfung, Pneumokokken-Schutzimpfung, schonende Hustentechniken, Schonung bei Infekten, bei Aspiration rehabilitative Maßnahmen

55.3.2 Tuberkulose Definition Tuberkulose Tuberkulose (Tbc) ist eine chronische, meldepflichtige Infektionskrankheit, die ein oder mehrere Organe befällt.

Ursachen Die Tuberkulose wird von Mykobakterien hervorgerufen, die durch Tröpfcheninfektion aufgenommen werden. Die häufigste Form ist die Lungentuberkulose (▶ Abb. 55.2).

Symptome Die Tuberkulose kann offen oder geschlossen sein. Patienten mit offener Tuberkulose scheiden Erreger aus und müssen isoliert werden. Bei der geschlossenen Tuberkulose gelangen keine Erreger aus dem Organismus. Bei der aktiven Tuberkulose zeigt der Patient deutliche Symptome, wie ● Nachtschweiß, ● Gewichtsverlust, ● Husten mit evtl. blutigem Auswurf und ● ein schlechtes Allgemeinbefinden. Radiologisch können im CT- oder Röntgen-Thorax Rundherde und/oder vergrößerte Lymphknoten nachgewiesen werden.

Abb. 55.2 Lungentuberkulose.

Tuberkelbakterien

gute Immunreaktion Abwehrzellen sorgen für Abkapselung = Granulom (Primäraffekt)

Granulom bricht auf Reaktivierung

oder

Infektionsherd (Primärinfektion)

schlechte Immunreaktion

primäre Tuberkulose

postprimäre Tuberkulose

Erreger breiten sich aus

Gelangen Tuberkelbakterien in die Lunge, kommt es zur Primärinfektion. Ist die Immunabwehr gut, bildet sich ein Primäraffekt. Bei geschwächtem Immunsystem kommt es zu einer primären Tuberkulose. Bricht ein Primäraffekt auf, spricht man von postprimärer Tuberkulose. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

366

Maligne Erkrankungen

Diagnostik ● ●





Röntgen-Thorax Tuberkulin-Hauttest (intrakutane Injektion von gereinigtem Erregerextrakt, Ergebnis ist nach 2 Tagen einsehbar; nicht beweisender Test) Interferon-Gamma-Bluttest (erfolgreiche Nachweismethode, liefert zuverlässige Ergebnisse) mikroskopischer Nachweis von Mykobakterien bei offener Tbc (z. B. über Sputum oder Urin)









bei Tumorverdacht: Röntgen-Thorax, -CT (ggf. kontrastmittelgestützt) Diagnose bestätigen: Bronchoskopie oder Thorakotomie ggf. mit Gewebeprobe, Sputum-Diagnostik bei schlechtem AZ Tumorausdehnung beurteilen: Staging (Suche nach Metastasen mittels CT-Abdomen und -Kopf, Abdomen-Sonografie, Skelettszintigrafie) Beurteilen der Operabilität mittels Lungenfunktionstests: Ist die Lungenfunktion bereits vor der Operation sehr schlecht, gelten Patienten als „funktionell inoperabel“.

Therapie und Pflege

Mitwirken bei der Therapie

Für die Bekämpfung der Tbc sind frühzeitige Erkennung und Isolierung (bei offener Tbc) besonders wichtig. ● Therapie: Gabe von Antituberkulotika (z. B. Isoniazid, Rifampicin) ● Hygiene: Patienten mit offener Tbc im Einzelzimmer isolieren. Kinder, Schwangere und abwehrgeschwächte Personen sollten nicht in Kontakt mit dem Patienten kommen. Ein spezieller Mundschutz (FFP2-Masken) ist für das Pflegepersonal erforderlich. Patienten zum korrekten hygienischen Verhalten anleiten (z. B. in Tuch husten, nie in den Raum hinein- bzw. einen anderen Menschen anhusten, Tuch anschließend im Infektionsmüllbehälter verwerfen) ● Ernährung: bei Unterernährung und Gewichtsverlust hochkalorische Kost anbieten ● Prophylaxe: Patienten nach Möglichkeit vor vermeidbaren Infektionen schützen (z. B. kein Besuch von erkälteten Angehörigen)

Die Therapie des Bronchialkarzinoms richtet sich nach dem histologischen Ergebnis und dem Stadium der Erkrankung. Kleinzellige Bronchialkarzinome (SCLC) metastasieren im Gegensatz zu nichtkleinzelligen Bronchialkarzinomen (NSCLC) sehr früh. Somit ergeben sich folgende Behandlungsstrategien: ● vollständige operative Entfernung: möglich, solange Tumor noch nicht metastasiert hat ● Bestrahlung und Chemotherapie: Tumorwachstum wird gehemmt (wichtig: Behandlung von Nebenwirkungen, z. B. Übelkeit!). ● palliative Maßnahmen: kommen bei späteren Stadien des Bronchialkarzinoms zum Einsatz. Je nach Zustand des Patienten zielt die Therapie auf Verlängerung der Lebenserwartung oder auf die Linderung des Leidensdruckes ab. ● Psychoonkologie: psychoonkologische Betreuung anbieten ● atemunterstützende Maßnahmen: Unabhängig von der gewählten medizinischen Therapie können Atemgymnastik, Atemtraining, spezielle Positionierungen, atemstimulierende Einreibungen, Inhalationen und Perkussion des Thorax (siehe Kap. 28) zur Atemunterstützung angeboten werden.

55.4 Maligne Erkrankungen 55.4.1 Bronchialkarzinom Definition Bronchialkarzinom Das Bronchialkarzinom ist ein maligner Tumor, der von den Epithelzellen der Bronchien und Alveolen ausgeht.

Ursachen Lungentumoren zählen zu den häufigsten Krebstodesursachen in Deutschland. Hauptrisikofaktor ist langjähriges Rauchen. Weitere Faktoren sind: ● Luftverschmutzung (Feinstaubinhalation) ● krebserzeugende Stoffe am Arbeitsplatz (Asbest, Arsen, ionisierende Strahlung) ● familiäre Veranlagung

Symptome Man unterscheidet Früh- und Spätsymptome: ● Frühsymptome: chronischer Husten, Auswurf ● Spätsymptome: Heiserkeit, Schluckstörungen, Atemnot, Blutdruckabfall mit Schwindel, obere Einflussstauung mit Halsvenenstauung und Schocksymptomatik

Diagnostik Besteht aufgrund der Symptome der Verdacht auf ein Bronchialkarzinom, wird die Diagnose über mehrere Untersuchungen gesichert. Zur Basisdiagnostik zählen:

Pflege Beobachtung ● Atmung und Sauerstoffsättigung: Sauerstoffgabe nach ärztlicher Anordnung, bei abnormaler Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung sowie bei Zyanose ● Schmerzmanagement: – bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 – Die Schmerztherapie muss dem Patienten schmerzfreies Atmen und Husten ermöglichen, ggf. Anpassung der Schmerztherapie. ● Husten/Auswurf: Blutiges Sputum kann vorkommen, Arzt bei Veränderungen informieren. ● Allgemeinbefinden: Linderung der Luftnot steht im Vordergrund, ggf. Schlafmittel bei Schlaflosigkeit, Ernährungszustand beobachten und nach ärztlicher Anordnung intravenös ergänzen. Pflegebasismaßnahmen Positionierung: zur Atemerleichterung Position mit erhöhtem Oberkörper wählen, ggf. Unterarme unterstützen ● Mobilisation: angepasste Bewegungsangebote, nicht an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehen, bei Gewichts●

l 55

Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems



verlust größere Anstrengungen vermeiden, Frakturgefahr bei Knochenmetastasen Ernährung: Wunschkost, hochkalorische Kost oder mitgebrachte Speisen

Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). ● Thromboseprophylaxe: Thromboserisiko bei Krebserkrankungen stark erhöht (Tumoren schwemmen gerinnungsaktive Substanzen aus und Gefäße verändern sich) ● Pneumonieprophylaxe: Pneumonierisiko stark erhöht, wenn der Tumor die Bronchien verlegt und Bestrahlungstherapie erfolgt („Strahlenpneumonie“) ● Dekubitusprophylaxe: Kachektische und immobile Patienten sind besonders stark gefährdet, einen Dekubitus zu entwickeln, zusätzlich zur Mobilisation und Positionierung eignen sich „Mikrolagerungen“ besonders, da diese den Patienten nur wenig belasten. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Unterstützung bei der Aufklärung des Patienten über Wirkungen, Nebenwirkungen und Komplikationen der Therapieformen ● über psychoonkologische und palliative Möglichkeiten informieren ● zu Ernährung und Bewegung beraten ● Maßnahmen zur Rauchentwöhnung aufzeigen ● Anleitung zu atemunterstützenden Maßnahmen ● medizinische Nachsorge durch Lungenfachärzte ●

KOMPAK T Infektiöse und maligne Erkrankungen ●





Pneumonie: Eine Lungenentzündung (Pneumonie) ist eine Entzündung der Lungenbläschen (Alveolen) und/ oder des Lungenzwischengewebes (Lungeninterstitium), verursacht durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten. Tuberkulose: Tuberkulose (Tbc) ist eine chronische, meldepflichtige Infektionskrankheit, die ein oder mehrere Organe befällt und durch Tröpfcheninfektion übertragen wird. Bei einer offenen Tbc muss der Patient isoliert werden. Bronchialkarzinom: maligner Tumor, der von den Epithelzellen der Bronchien und Alveolen ausgeht. Prophylaxen in der pflegerischen Versorgung sind besonders wichtig.

55.5 Erkrankungen des Lungenkreislaufs 55.5.1 Lungenembolie Definition Lungenembolie Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien durch einen Embolus (abgelöster Thrombus = Blutgerinnsel) aus dem venösen System (meist aus einer tiefen Beinvenenthrombose).

Ursachen Meist ist die Lungenembolie Folge einer tiefen Beinvenenthrombose (Phlebothrombose). Risikofaktoren sind: ● Immobilität (z. B. Bettlägerigkeit, langes Sitzen, Gips) ● Gerinnungsstörungen ● venöse Erkrankungen ● Kontrazeptiva

Symptome Die Lungenembolie geht mit folgenden Symptomen einher: ● plötzlicher Atemnot, Zyanose, kaltschweißiger blasser Haut ● Tachypnoe, Husten mit blutigem Auswurf ● Tachykardie, Blutdruckabfall ● atemabhängigen thorakalen Schmerzen (besonders beim Einatmen) ● Angst, Unruhe

ACHTUNG Eine schwere Lungenembolie (fulminante Lungenembolie) ist eine akut lebensbedrohliche Situation! Eine intensivmedizinische Überwachung ist zwingend erforderlich. Onkologische Patienten und Patienten nach einer großen Operation sind besonders gefährdet.

Diagnostik Die Diagnostik muss schnell und gezielt ablaufen, da die Lungenembolie potenziell lebensgefährlich ist. Der WellsScore wird angewendet, um die Wahrscheinlichkeit der Lungenembolie einzuschätzen. Des Weiteren erfolgt eine Blutuntersuchung beim Patienten, bei der die sog. D-Dimere im Blutserum bestimmt werden. D-Dimere entstehen im Körper, wenn ein Blutgerinnsel aufgelöst wird. Ein positiver D-Dimere-Test (D-Dimere im Serum > 500 ng/ml ist jedoch kein alleiniger Beweis für die Lungenembolie (Beeinflussung durch Infektionen, Tumoren, Schwangerschaft, Operationen möglich). Abschließend wird eine Bildgebung angestrebt (Kompressionssonografie der Beinarterien, Spiral-CT-Thorax mit Kontrastmittel, alternativ Lungenperfusionsventilationsszintigrafie).

Therapie und Pflege Bei Verdacht auf eine Lungenembolie sollten die nachfolgenden Maßnahmen schnellstmöglich getroffen werden: ● Arzt sofort verständigen! ● Positionierung in Oberkörperhochlage, Bettruhe und Sauerstoffgabe über Nasensonde, Frischluftzufuhr ● Vitalparameter kontrollieren

368

l 55

Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems



verlust größere Anstrengungen vermeiden, Frakturgefahr bei Knochenmetastasen Ernährung: Wunschkost, hochkalorische Kost oder mitgebrachte Speisen

Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). ● Thromboseprophylaxe: Thromboserisiko bei Krebserkrankungen stark erhöht (Tumoren schwemmen gerinnungsaktive Substanzen aus und Gefäße verändern sich) ● Pneumonieprophylaxe: Pneumonierisiko stark erhöht, wenn der Tumor die Bronchien verlegt und Bestrahlungstherapie erfolgt („Strahlenpneumonie“) ● Dekubitusprophylaxe: Kachektische und immobile Patienten sind besonders stark gefährdet, einen Dekubitus zu entwickeln, zusätzlich zur Mobilisation und Positionierung eignen sich „Mikrolagerungen“ besonders, da diese den Patienten nur wenig belasten. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Unterstützung bei der Aufklärung des Patienten über Wirkungen, Nebenwirkungen und Komplikationen der Therapieformen ● über psychoonkologische und palliative Möglichkeiten informieren ● zu Ernährung und Bewegung beraten ● Maßnahmen zur Rauchentwöhnung aufzeigen ● Anleitung zu atemunterstützenden Maßnahmen ● medizinische Nachsorge durch Lungenfachärzte ●

KOMPAK T Infektiöse und maligne Erkrankungen ●





Pneumonie: Eine Lungenentzündung (Pneumonie) ist eine Entzündung der Lungenbläschen (Alveolen) und/ oder des Lungenzwischengewebes (Lungeninterstitium), verursacht durch Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten. Tuberkulose: Tuberkulose (Tbc) ist eine chronische, meldepflichtige Infektionskrankheit, die ein oder mehrere Organe befällt und durch Tröpfcheninfektion übertragen wird. Bei einer offenen Tbc muss der Patient isoliert werden. Bronchialkarzinom: maligner Tumor, der von den Epithelzellen der Bronchien und Alveolen ausgeht. Prophylaxen in der pflegerischen Versorgung sind besonders wichtig.

55.5 Erkrankungen des Lungenkreislaufs 55.5.1 Lungenembolie Definition Lungenembolie Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien durch einen Embolus (abgelöster Thrombus = Blutgerinnsel) aus dem venösen System (meist aus einer tiefen Beinvenenthrombose).

Ursachen Meist ist die Lungenembolie Folge einer tiefen Beinvenenthrombose (Phlebothrombose). Risikofaktoren sind: ● Immobilität (z. B. Bettlägerigkeit, langes Sitzen, Gips) ● Gerinnungsstörungen ● venöse Erkrankungen ● Kontrazeptiva

Symptome Die Lungenembolie geht mit folgenden Symptomen einher: ● plötzlicher Atemnot, Zyanose, kaltschweißiger blasser Haut ● Tachypnoe, Husten mit blutigem Auswurf ● Tachykardie, Blutdruckabfall ● atemabhängigen thorakalen Schmerzen (besonders beim Einatmen) ● Angst, Unruhe

ACHTUNG Eine schwere Lungenembolie (fulminante Lungenembolie) ist eine akut lebensbedrohliche Situation! Eine intensivmedizinische Überwachung ist zwingend erforderlich. Onkologische Patienten und Patienten nach einer großen Operation sind besonders gefährdet.

Diagnostik Die Diagnostik muss schnell und gezielt ablaufen, da die Lungenembolie potenziell lebensgefährlich ist. Der WellsScore wird angewendet, um die Wahrscheinlichkeit der Lungenembolie einzuschätzen. Des Weiteren erfolgt eine Blutuntersuchung beim Patienten, bei der die sog. D-Dimere im Blutserum bestimmt werden. D-Dimere entstehen im Körper, wenn ein Blutgerinnsel aufgelöst wird. Ein positiver D-Dimere-Test (D-Dimere im Serum > 500 ng/ml ist jedoch kein alleiniger Beweis für die Lungenembolie (Beeinflussung durch Infektionen, Tumoren, Schwangerschaft, Operationen möglich). Abschließend wird eine Bildgebung angestrebt (Kompressionssonografie der Beinarterien, Spiral-CT-Thorax mit Kontrastmittel, alternativ Lungenperfusionsventilationsszintigrafie).

Therapie und Pflege Bei Verdacht auf eine Lungenembolie sollten die nachfolgenden Maßnahmen schnellstmöglich getroffen werden: ● Arzt sofort verständigen! ● Positionierung in Oberkörperhochlage, Bettruhe und Sauerstoffgabe über Nasensonde, Frischluftzufuhr ● Vitalparameter kontrollieren

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Übersicht über die wichtigsten Medikamente ●







Patienten beruhigen und nicht allein lassen, Morphinderivate und Benzodiazepine gegen Schmerzen und Angstgefühl → auf Arztanordnung bei Blutdruckabfall intravenöse Volumenzufuhr und Gabe vasoaktiver Substanzen (z. B. Adrenalin) → auf Arztanordnung Gabe von Heparin zur Antikoagulation bzw. systemischen Thrombolyse (siehe Kap. 39) → auf Arztanordnung ab dem 2.–5. Tag ergänzende Marcumartherapie für mind. 3–6 Monate (Sekundärprophylaxe) → auf Arztanordnung

55.5.2 Lungenödem Definition Lungenödem Ansammlung von Flüssigkeit im Zellzwischenraum (sog. interstitielles Lungenödem) und in den Lungenbläschen (sog. alveoläres Lungenödem), die zu einer Störung des Gasaustausches führt. Meist Folge einer Linksherzinsuffizienz (kardiales Lungenödem).

Pflege In der Akutsituation ● Arzt verständigen und Patienten nicht alleine lassen ● Patienten beruhigen und mit erhöhtem Oberkörper oder in Herzbettlage positionieren ● Vitalparameter erheben ● 3–4 l Sauerstoff verabreichen → auf Arztanordnung ● i. v.-Zugang legen (lassen) ● Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z. B. Nitroglycerin, Benzodiazepine, Diuretika) → auf Arztanordnung ● ggf. Verlegung auf die Intensivstation Im weiteren Verlauf • Beobachtung: Temperatur 1–3-mal täglich messen: erhöhte Temperaturen können auf eine Pneumonie hinweisen (erhöhtes Pneumonierisiko aufgrund verminderter Lungenbelüftung)

KOMPAK T

Ursachen ●

● ●



kardiales Lungenödem: Linksherzinsuffizienz (häufigste Form) Überwässerung bei Niereninsuffizienz niedriger osmotischer Druck des Blutes (z. B. bei Albuminmangel) Schädigung der Gefäßwände (z. B. durch Beinaheertrinken, Reizgasinhalation)

Erkrankungen des Lungenkreislaufs ●



Symptome ●

● ● ●

rasch auftretende, schwere Atemnot, rasselnde Atemgeräusche Zyanose starke Unruhe, Angst hohe Puls- und Atemfrequenz, Schweißausbruch, niedrige Sauerstoffsättigung

Diagnostik ● ● ● ●

Auskultation der Lunge (Rasselgeräusche, Brodeln) Atemgeräusch ist abgeschwächt. Klopfschall normal bis gedämpft Röntgen-Thorax

Therapie ● ●

● ●

Sauerstoff Morphinderivate und Benzodiazepine (bei Panik und Schmerzen) Diuretika und Flüssigkeitsrestriktion Nitroglycerin (bei kardialem Lungenödem)

Lungenembolie: Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien durch einen Embolus aus dem venösen System (meist aus einer tiefen Beinvene). Onkologische Patienten und Patienten nach einer großen Operation sind besonders gefährdet. Lungenödem: Ansammlung von Flüssigkeit in der Lunge mit gestörtem Gastaustausch, oft aufgrund einer Herzinsuffizienz. Typisches Symptom: rasselndes Atemgeräusch. Wichtig: Patienten in Herzbettlage bringen und Sauerstoff zuführen!

55.6 Übersicht über die wichtigsten Medikamente Die am häufigsten eingesetzten Medikamente bei Erkrankungen des Atemsystems sind (▶ Tab. 55.2): ● Bronchodilatatoren: entspannen die Bronchialmuskulatur (Bronchodilatation) ● Glukokortikoide: wirken antientzündlich und immunsuppressiv ● Expektoranzien: wirken mukolytisch und/oder sekretolytisch ● Antitussiva: hemmen den Hustenreflex ● antiinfektiöse Medikamente: erregerspezifische Anwendung

Übersicht über die wichtigsten Medikamente ●







Patienten beruhigen und nicht allein lassen, Morphinderivate und Benzodiazepine gegen Schmerzen und Angstgefühl → auf Arztanordnung bei Blutdruckabfall intravenöse Volumenzufuhr und Gabe vasoaktiver Substanzen (z. B. Adrenalin) → auf Arztanordnung Gabe von Heparin zur Antikoagulation bzw. systemischen Thrombolyse (siehe Kap. 39) → auf Arztanordnung ab dem 2.–5. Tag ergänzende Marcumartherapie für mind. 3–6 Monate (Sekundärprophylaxe) → auf Arztanordnung

55.5.2 Lungenödem Definition Lungenödem Ansammlung von Flüssigkeit im Zellzwischenraum (sog. interstitielles Lungenödem) und in den Lungenbläschen (sog. alveoläres Lungenödem), die zu einer Störung des Gasaustausches führt. Meist Folge einer Linksherzinsuffizienz (kardiales Lungenödem).

Pflege In der Akutsituation ● Arzt verständigen und Patienten nicht alleine lassen ● Patienten beruhigen und mit erhöhtem Oberkörper oder in Herzbettlage positionieren ● Vitalparameter erheben ● 3–4 l Sauerstoff verabreichen → auf Arztanordnung ● i. v.-Zugang legen (lassen) ● Vorbereitung, Gabe und Überwachung der medikamentösen Therapie (z. B. Nitroglycerin, Benzodiazepine, Diuretika) → auf Arztanordnung ● ggf. Verlegung auf die Intensivstation Im weiteren Verlauf • Beobachtung: Temperatur 1–3-mal täglich messen: erhöhte Temperaturen können auf eine Pneumonie hinweisen (erhöhtes Pneumonierisiko aufgrund verminderter Lungenbelüftung)

KOMPAK T

Ursachen ●

● ●



kardiales Lungenödem: Linksherzinsuffizienz (häufigste Form) Überwässerung bei Niereninsuffizienz niedriger osmotischer Druck des Blutes (z. B. bei Albuminmangel) Schädigung der Gefäßwände (z. B. durch Beinaheertrinken, Reizgasinhalation)

Erkrankungen des Lungenkreislaufs ●



Symptome ●

● ● ●

rasch auftretende, schwere Atemnot, rasselnde Atemgeräusche Zyanose starke Unruhe, Angst hohe Puls- und Atemfrequenz, Schweißausbruch, niedrige Sauerstoffsättigung

Diagnostik ● ● ● ●

Auskultation der Lunge (Rasselgeräusche, Brodeln) Atemgeräusch ist abgeschwächt. Klopfschall normal bis gedämpft Röntgen-Thorax

Therapie ● ●

● ●

Sauerstoff Morphinderivate und Benzodiazepine (bei Panik und Schmerzen) Diuretika und Flüssigkeitsrestriktion Nitroglycerin (bei kardialem Lungenödem)

Lungenembolie: Verschluss einer oder mehrerer Lungenarterien durch einen Embolus aus dem venösen System (meist aus einer tiefen Beinvene). Onkologische Patienten und Patienten nach einer großen Operation sind besonders gefährdet. Lungenödem: Ansammlung von Flüssigkeit in der Lunge mit gestörtem Gastaustausch, oft aufgrund einer Herzinsuffizienz. Typisches Symptom: rasselndes Atemgeräusch. Wichtig: Patienten in Herzbettlage bringen und Sauerstoff zuführen!

55.6 Übersicht über die wichtigsten Medikamente Die am häufigsten eingesetzten Medikamente bei Erkrankungen des Atemsystems sind (▶ Tab. 55.2): ● Bronchodilatatoren: entspannen die Bronchialmuskulatur (Bronchodilatation) ● Glukokortikoide: wirken antientzündlich und immunsuppressiv ● Expektoranzien: wirken mukolytisch und/oder sekretolytisch ● Antitussiva: hemmen den Hustenreflex ● antiinfektiöse Medikamente: erregerspezifische Anwendung

l 55

Pflege bei Erkrankungen des Atemsystems Tab. 55.2 Die wichtigsten Medikamente bei Atemwegserkrankungen. Arzneigruppen

Wirkstoffgruppen

Gebräuchliche Wirkstoffe

Bronchodilatatoren

langwirksame β2-Sympathomimetika



kurzwirksame β2-Sympathomimetika

● ●

Terbutalin Salbutamol

langwirksame Anticholinergika



Tiotropiumbromid

kurzwirksame Anticholinergika



Ipratropiumbromid

Mundtrockenheit, Obstipation, Tachykardie, Miktionsstörungen mit Harnverhalt, Akkommodationsstörungen, allergische Reaktionen

inhalative Glukokortikoide



Beclometasondipropionat Ciclesonid Budeosid

Husten, Bronchospasmus, Heiserkeit, Mundsoor (durch Applikation vor einer Mahlzeit bzw. konsequente Mundhygiene vermeidbar)

Prednisolon Prednison

Osteoporose, Hautatrophie, Wundheilungsstörungen, Myopathie mit Muskelatrophie, Steroid-Diabetes, Gewichtszunahme, Cushing-Syndrom, Wachstumsstörungen, Hypertonie, verminderte Infektabwehr, Glaukom, Katarakt, psychische Veränderungen

Acetylcystein Ambroxol Bromhexin

allergische Reaktionen, Kopfschmerzen, Tachykardie, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Juckreiz, Hautausschlag

Codein Dihydrocodein

Übelkeit, Erbrechen, Atemdepression, sedierende Wirkung, Kopfschmerzen, Obstipation

Glukokortikoide



● ●

systemische Glukokortikoide

● ●

Expektoranzien

Sekretolytika

● ● ●

Antitussiva

Opiate

● ●

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Salmeterol Formoterol

Nebenwirkungen Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Blutdruckanstieg, Tremor, Hypokaliämie, Hyperglykämie, allergische Reaktionen

56

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems

Blut MRT

Röntgenbreischluck

Stuhl

Gastroskopie

Labor

ERCP Koloskopie

Sonografie apparative Verfahren, z.B.

endoskopische Verfahren, z.B.

Diagnostik, z.B. Grunderkrankung behandeln

Körpergewicht Bilanz

Hautfarbe

z.B. OP

z.B. medikamentös

Therapie

Therapie

verlegtes Darmlumen

gestörte Darmmotorik

mechanisch

paralytisch

Transplantation

! Pflege, z.B. Therapie, z.B. Hepatitis B/C Ursache, z.B. Alkoholabusus

akutes Abdomen

Ileus

Volumenmangelschock Miserere Leberzirrhose

Erkrankungen, z.B. Peritonitis Perforation

Pankreatitis

Symptome, z.B. Ikterus Aszites gesteigerte Blutungsneigung Ösophagusvarizen

!

Ösophagusvarizenblutung

Ulkuskrankheit

Appendizitis

Gallensteinleiden

chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Morbus Crohn

Colitis ulcerosa

Pflege, z.B. Schmerzen

Ernährung

Ausscheidung

Anatomie und Physiologie

56.1 Anatomie und Physiologie 56.1.1 Aufgaben Neben der reinen Transportfunktion dient das Verdauungssystem der Versorgung des Körpers mit Nährstoffen. Der Verdauungsprozess beginnt bereits im Mund. Der Magen dient dann als Reservoir und gibt den Speisebrei portionsweise in den Dünndarm weiter. Hier wird er mit den Verdauungssäften aus Bauchspeicheldrüse und Leber vermengt. Im Dünndarm beginnt der Körper mit der Aufnahme von Nährstoffen. Der Dickdarm dient lediglich der Eindickung des verbliebenden Speisebreis und gibt ihn anschließend als Fäzes (Stuhl) an die Umwelt ab.

56.1.2 Aufbau Bauchhöhle und Peritoneum ●











Fast alle Organe des Verdauungssystems liegen in der Bauch- oder der Beckenhöhle. Die Bauchhöhle ist von innen mit Bauchfell (Peritoneum) ausgekleidet. Das Peritoneum besteht aus zwei verschiedenen Blättern: Das innere Blatt (Peritoneum viscerale) bedeckt den Großteil der Verdauungsorgane. Das äußere Blatt (Peritoneum parietale) kleidet die Bauchwand von innen aus. Aufgabe des Peritoneums: Es dient als Verschiebeschicht zwischen einzelnen Organen und erfüllt Aufgaben der Infektabwehr. Einige Organe sind komplett von Peritoneum überzogen – sie liegen intraperitoneal. Dazu zählen u. a. Leber, Gallenblase, Milz, Magen. Andere Organe sind nur teilweise von Peritoneum überzogen – sie liegen retroperitoneal. Dazu zählen u. a. Pankreas, Nieren, Nebennieren, Harnleiter.

Allgemeiner Wandaufbau des Verdauungssystems Von innen nach außen werden folgende Schichten unterschieden: ● Die Schleimhautschicht (Mukosa) enthält je nach Organabschnitt verschiedene spezialisierte Zellen und Drüsen. Sie produziert ein schleimiges Oberflächensekret, das teilweise Verdauungsenzyme enthält. ● Die Bindegewebsschicht (Submukosa) enthält Blutgefäße und Nerven sowie den Meissner-Plexus. ● Die Muskularis (Muskelschicht) besteht aus einem inneren Ringmuskel und einer äußeren Längsmuskelschicht. Die Speiseröhre verfügt zusätzlich noch über eine Quermuskelschicht. Zwischen den beiden Muskelschichten liegt der Auerbach-Plexus (Teil des autonomen, enterischen Nervensystems). ● Die Serosa bzw. Adventitia bilden eine Verschiebeschicht zwischen Muskulatur und umgebendem Bindegewebe. Sie entspricht bei intraperitoneal gelegenen Organen dem Peritoneum viscerale.

56.1.3 Die Organe Mundhöhle Aufgaben • Die Mundhöhle ● zerkleinert die Nahrung und vermischt sie mit Speichel. ● ist am Sprechen, Atmen und an der Abwehr von Krankheitserregern beteiligt. Lage und Aufbau • Die Mundhöhle ist der erste Abschnitt des Verdauungstraktes. Sie beherbergt den größten Teil des Kauapparats (Zähne und Zunge) und es münden die Speicheldrüsen (außer den Ohrspeicheldrüsen).

Speicheldrüsen Gefäßversorgung und Innervation des Verdauungssystems Die Organe des Verdauungssystems werden über 3 große Arterien versorgt, die alle der Aorta entspringen: Truncus coeliacus (versorgt den Magen, die Leber, Milz und Teile des Duodenums), A. mesenterica superior (versorgt den gesamten Dünndarm; zusätzlich den Dickdarm bis zur linke Flexur) und A. mesenterica inferior (versorgt das Colon descendens und das obere Rektum). Die nervale Innervation der Verdauungsorgane hat regulatorische Funktion. Sie setzt sich zusammen aus: ● Sympathikus: reduziert Bewegung und Durchblutung des Magen-Darm-Trakts und spannt den inneren Schließmuskel an ● Parasympathikus: erhöht Bewegung und Durchblutung des Magen-Darm-Trakts und entspannt den inneren Schließmuskel ● enterisches Nervensystem (Auerbach/Meissner-Plexus): unterstützt das vegetative Nervensystem in seiner Funktion und hat modulatorischen Einfluss auf Motorik, Durchblutung und Resorption

Aufgaben • Die Speicheldrüsen produzieren den Mundspeichel (täglich 500–1500 ml), der die Mundhöhle feucht hält. Der Speichel besteht zu 99 % aus Wasser, das restliche 1 % setzt sich zusammen aus: Schleimstoffen, Lysozym und IgAAntikörper (wirkt desinfizierend), Mineralstoffen, Amylase (Enzym beginnt mit der Kohlenhydratverdauung). Lage und Aufbau ● 600–1000 kleine Speicheldrüsen liegen verstreut in der Mukosa von Lippen, Wangen und Gaumen. ● 3 paarig angelegte große Speicheldrüsen: – Ohrspeicheldrüse (Glandula parotidea), liegt im Bereich des Kieferwinkels, vor dem Ohr – Unterkieferspeicheldrüse (Glandula submandibularis), liegt im Bereich des Unterkieferwinkels und produziert 70 % des gesamten Mundspeichels – Unterzungenspeicheldrüse (Glandula sublingualis), liegt in der Mundbodenmuskulatur direkt unter der Zunge

Speiseröhre (Ösophagus) Aufgaben • Der Ösophagus transportiert die Nahrung mittels peristaltischer Wellen (abwechselnde Anspannung von Ring- und Quermuskulatur) in den Magen.

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Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems Lage und Aufbau ● 25 cm langer Muskelschlauch zwischen Kehlkopf und Magen ● verläuft hinter der Luftröhre und vor der Wirbelsäule ● 3 physiologische Engstellen: Kehlkopfenge, Aortenbogenenge, Zwerchfellenge

Magen (Gaster) Aufgaben ● Bildung des Magensaftes (tägl. etwa 2 Liter) ● Bildung des Magenbreis (Chymus) durch die Mischung der zerkleinerten Nahrung mit Magensaft ● Reservoirfunktion: Der Magenbrei wird portionsweise in das Duodenum weitergegeben. Lage und Aufbau Form und Größe sind vom Füllungszustand abhängig. ● liegt intraperitoneal im linken Oberbauch und verläuft leicht gebogen ● Es gibt 4 Abschnitte mit unterschiedlichen Funktionen (▶ Abb. 56.1). ● Die Magenschleimhaut ist in Falten gelegt und ermöglicht so die Dehnung bei Nahrungsaufnahme. Sie besteht aus: – Hauptzellen: produzieren Pepsinogen zur Eiweißverdauung und (etwas) Lipase zur Fettverdauung – Belegzellen (Parietalzellen): produzieren Salzsäure und Intrinsic Factor. Die Salzsäure sorgt für ein antibakterielles, saures Milieu und ist an der Eiweißdenaturierung beteiligt. Der Intrinsic Factor wird benötigt, um im Dünndarm Vitamin B12 aufzunehmen. – Nebenzellen: produzieren schützenden Schleim, um die Magenwand vor der hochätzenden Salzsäure zu schützen. ●

Dünndarm (Duodenum, Jejunum, Ileum) Aufgaben ● weitere Durchmischung des Chymus durch Pendelbewegungen (wechselnde Entspannung/Anspannung der Längsmuskulatur) ● Hauptort der Verdauung (d. h. Aufspaltung von Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten) ● Resorption aufgespaltener Nahrungsmittel Lage und Aufbau schließt sich an den Magenpförtner (Pylorus) an und ist insgesamt 3–5 Meter lang ● liegt (größtenteils) intraperitoneal und ist vom Dickdarm (Colon) umrahmt ● Weitere Unterteilung: – Zwölffingerdarm (Duodenum): ist C-förmig aufgebaut und beherbergt in seinem Bogen den Pankreaskopf. Im mittleren Drittel des Bogens befindet sich die Papilla duodeni major (Papilla Vateri), wo Gallen- und Pankreasgang münden. – Leerdarm (Jejunum) und Krummdarm (Ileum): Es besteht keine eindeutige anatomische Grenze zwischen den beiden Darmabschnitten. Das Ileum mündet mit der Bauhin-Klappe in das Colon. In die Darmwand sind zahlreiche Lymphfollikel (Peyer-Plaques) eingestreut. Sie helfen bei der Abwehr von über die Nahrung eingedrungenen Krankheitserregern. – Feinbau: Die Oberfläche der Dünndarm-Schleimhaut ist in Falten gelegt und wird durch Zotten und Krypten zusätzlich vergrößert (können im Duodenum und oberen Jejunum bis zu 1 cm hoch sein, sog. Kerckring-Falten). ●

Abb. 56.1 Innenansicht des Magens. Magenfundus Ösophagus

Kardia

kleine Kurvatur Magensphinkter (M. sphincter pylori)

große Kurvatur Magenkorpus Schleimhautfalten

Duodenum Antrum

Der Magen kann in 4 Abschnitte eingeteilt werden. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

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Anatomie und Physiologie

Dickdarm (Colon) Aufgaben ● entzieht dem Chymus Wasser und lässt so Stuhl (Fäzes) entstehen ● bildet Vitamin K (das jedoch auch in größeren Mengen in der Nahrung enthalten ist) ● Erhaltung von Kontinenz und Defäkation. Die Defäkation läuft wie folgt ab: – Dehnungsrezeptoren nehmen die Stuhlfüllung des Rektums wahr und leiten dies an das Gehirn weiter. – Über eine Aktivierung des Parasympathikus wird der innere Schließmuskel entspannt. – willkürliche Entspannung des äußeren Schließmuskels – Der Parasympathikus regt peristaltische Wellen an. Über die zusätzliche Anspannung der Bauchdecke wird die Stuhlsäule in Bewegung gesetzt.

Lage und Aufbau ● Der Dickdarm legt sich wie ein Rahmen um den Dünndarm und unterteilt sich in: – Zäkum (Blinddarm): enthält neben der Appendix viele Lymphfollikel zur Abwehr von Krankheitserregern. Der Blinddarm liegt intraperitoneal. – Colon ascendens (aufsteigender Dickdarm): liegt retroperitoneal und geht an seinem oberen Knick (Flexura coli dextra) in den quer verlaufenden Dickdarm über – Colon transversum (quer verlaufender Dickdarm): liegt intraperitoneal – Colon descendens: liegt retroperitoneal und verläuft von seinem oberen Knick (Flexura coli sinistra) bis zum Colon sigmoideum – Colon sigmoideum (gebogener Dickdarm): liegt intraperitoneal; hauptsächlich hier entstehen Dickdarmdivertikel und Dickdarmkrebs.

Abb. 56.2 Dickdarm.

Flexura coli dextra

Tänie

quer verlaufender Teil des Kolons (Colon transversum)

Haustren

aufsteigender Teil des Kolons (Colon ascendens)

Flexura coli sinistra

absteigender Teil des Kolons (Colon descendens)

Tänie

Mesenterium

Ileum

Blinddarm (Zäkum)

Netzanhängsel

Wurmfortsatz (Appendix vermiformis) Rektum

gebogener Teil des Kolons (Colon sigmoideum)

Der Dickdarm besteht aus Blinddarm mit Wurmfortsatz, Kolon, Rektum und Analkanal. An seiner Oberfläche sind Taenien und Netzanhängsel gut zu erkennen. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

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Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems



– Rektum und Analkanal: bilden den Abschluss des Dickdarms. Der Analkanal sorgt mit seinem inneren (kontrolliert durch den Parasympathikus) und äußeren Schließmuskel (willkürlich kontrolliert) für die Kontinenz. muskuläre Besonderheiten: – Taenien: an der Oberfläche des Dickdarms angeordnete Bündel Längsmuskulatur. Sie dienen der Verkürzung des Dickdarms bei Anspannung. Insgesamt gibt es 3 Taenien. An den Taenien finden sich teilweise kleine Aussackungen aus Bindegewebe und Fett. Sie werden als Netzanhängsel bezeichnet. – Haustren: ringförmige Einziehungen der Ringmuskulatur. Sie schnüren den Darm von außen sichtbar ein.

Bauchspeicheldrüse (Pankreas) Aufgaben ● Das endokrine Pankreas produziert Hormone, die direkt in das Blut abgegeben werden und nicht den Ausführungsgang passieren (siehe auch Kap. 58.1). Die HormonProduktion findet in den Langerhans-Inseln statt. Diese spezialisierten Zellinseln bestehen aus: – Alpha-Zellen: Produktion von Glukagon – Beta-Zellen: Produktion von Insulin – Delta-Zellen: Produktion von Somatostatin

! Merke GABI

Glukagon wird in den Alpha-Zellen produziert; Beta-Zellen produzieren Insulin. ●



Das exokrine Pankreas produziert täglich bis zu 2 Liter Verdauungssaft, der direkt in das Duodenum abgegeben wird, darin enthalten sind: – bikarbonatreiche Flüssigkeit (zur Neutralisierung des Magenchymus) – Proteasen (spalten Eiweiße): Trypsin, Chymotrypsin, Elastase, Carboxypeptidase, Aminopeptidase – Amylase (spaltet Kohlenhydrate) – Lipasen (spalten Fette): Lipase, Phospholipase A, Cholinesterase – Nukleasen (spalten Nukleinsäuren): Ribonuklease, Desoxyribonuklease Die im Pankreas hergestellten Verdauungsenzyme sind stets inaktiv und werden über verschiedene Zwischenschritte erst im Dünndarm aktiviert. Auf diese Weise schützt sich das Organ vor einer Selbstverdauung.

Lage und Aufbau Die Bauchspeicheldrüse liegt hinter dem Magen, retroperitoneal, im Oberbauch. ● Sie gliedert sich in Kopf (Caput pancreatis), Körper (Corpus pancreatis) und Schwanz (Cauda pancreatis). Während der Schwanz die Milz berührt, schmiegt sich der Kopf in das duodenale „C“. ● Mittig im Organ verläuft ein Ausführungsgang (Ductus pancreaticus bzw. Wirsung-Gang). Er mündet an der Papilla duodeni major (Vater’sche Papille) in das Duodenum und transportiert die vom Pankreas produzierten Enzyme. ●

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Leber (Hepar) Aufgaben ● Funktionen im Rahmen des Kohlenhydratstoffwechsels: – Glukoneogenese (Neubildung von Glukose) – Speicherung von Glykogen und Glykogenabbau – Glykolyse (Abbau von Glukose) ● Bildung von Fettsäuren (Umbau überschüssiger Glukose in Fettsäuren), Lipoproteinen und Cholesterin sowie Ketonkörpern (zur Energiegewinnung in Hungerzeiten) ● Funktionen im Rahmen des Eiweißstoffwechsels: – Bildung von Plasmaproteinen (insbes. Albumin) – Bildung von Blutgerinnungsfaktoren ● Entgiftungsfunktion ● Bildung der Galle und Abbau des roten Blutfarbstoffs (Hämoglobin) Lage und Aufbau Die Leber liegt intraperitoneal, direkt unter dem Zwerchfell, im rechten Oberbauch (▶ Abb. 56.3). ● Sie ist von einer dicken Kapsel überzogen und hierüber mit dem Zwerchfell verwachsen. ● Sie besteht aus vier Leberlappen: Lobus dexter, Lobus sinister, Lobus quadratus, Lobus caudatus. ● An der Leberunterseite befindet sich die sog. Leberpforte. Hier treten Blutgefäße und Gallengang in die Leber ein bzw. aus der Leber aus. Konkret sind dies: Leberarterie (A. hepatica), Pfortader (V. portae), Gallengang. ● Feinbau und Gefäßversorgung: Die Leber verfügt über eine 2 spezielle Gefäßsysteme: – Gefäße zur Sauerstoffversorgung der Leber (Äste der A. hepatica und V. portae) – Gefäße zur Sicherstellung der Stoffwechselfunktion (Lebersinusoide und Zentralvene) ● Lebergewebe: gliedert sich in mikroskopisch kleine Leberläppchen. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der Stoffwechselfunktion der Leber. Hier entsteht Gallenflüssigkeit und das Blut wird von Fremdstoffen gereinigt. ●

Gallenblase (Vesica biliaris) Aufgaben • Die Gallenblase speichert und dickt die Gallenflüssigkeit ein (hergestellt wird sie in der Leber). Nachdem fettreicher Chymus den Dünndarm erreicht hat, kontrahiert sich die Gallenblase. Die abgegebene Gallenflüssigkeit sorgt für die Emulgierung der Fette (d. h., sie verändert Fette so, dass sie von Lipasen angegriffen und verdaut werden können). Die Gallenflüssigkeit selbst enthält keine Enzyme.

! Merke Gallenflüssigkeit

Gallenflüssigkeit wird nicht in der Gallenblase, sondern in der Leber hergestellt. Die Gallenblase dient lediglich der Speicherung und Eindickung von Galle. Lage und Aufbau ● liegt intraperitoneal im Bereich der Leberpforte ● Der Gallenblasenhals mündet in den Ductus cysticus. ● Der Ductus cysticus setzt sich in den Ductus choledocus fort und mündet, gemeinsam mit dem Pankreasgang, an der Papilla duodeni major (Vater’sche Papille) in das Duodenum.

Mitwirken bei der Diagnostik Abb. 56.3 Die Oberbauchorgane. rechter Leberlappen

linker Leberlappen

Bauchfell (Peritoneum) Zwerchfell (Diaphragma) Magenfundus

Gallenblase

Ösophagus Kardia Magenkorpus Milz

kleines Netz

kleine Kurvatur

Magenpförtner (Pylorus)

Bauchmuskulatur

rechte Niere

große Kurvatur

Duodenum

Colon descendens

Colon ascendens

großes Netz

Sicht von vorn in den Oberbauch. Die Leber wird im Bild mit zwei Haken etwas angehoben Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

56.1.4 Verdauung und Ernährung Energie- und Flüssigkeitsbedarf Der Körper nutzt Kohlenhydrate, Fette und Proteine als Energiequelle. Der Energiegehalt der einzelnen Nährstoffe ist jedoch unterschiedlich. Der tägliche Energiebedarf des Menschen hängt u. a. vom Geschlecht sowie von der täglich verrichteten Arbeit des Einzelnen ab (siehe Kap. 38).

Kohlenhydratverdauung Kohlenhydrate werden durch Karbohydrasen gespalten und in Form von Monosacchariden (Glukose, Fruktose, Galaktose) resorbiert. ▶ Tab. 56.1 zeigt, wie die einzelnen Organe an der Kohlenhydratverdauung beteiligt sind.

Eiweißverdauung Eiweiße werden durch Proteasen gespalten und in Form von einzelnen Aminosäuren resorbiert. ▶ Tab. 56.2 zeigt, wie die einzelnen Organe an der Eiweißverdauung beteiligt sind.

Fettverdauung Die Fettverdauung ist von allen Verdauungsvorgängen wohl die komplizierteste. Der Grund liegt im chemisch hydrophoben (d. h. wasserabweisenden) Verhalten der Fette. Dies muss man sich wie das Kochen einer Rinderbrühe vorstellen. Die in der Brühe enthaltenen Fette bilden mit dem enthaltenen Wasser keine homogene Masse, sondern schwimmen als Fettaugen obenauf. Gibt man einen Emulga-

tor (z. B. Gallen) hinzu, lösen sich die Fettaugen auf und es kommt zur Bildung einer homogenen Lösung. ▶ Tab. 56.3 zeigt den Fettverdauungsprozess und welche Organe beteiligt sind.

56.2 Mitwirken bei der Diagnostik Neben der ärztlichen Anamnese und klinischen Untersuchung spielen apparative Verfahren, häufig auch unter Einsatz von Kontrastmittel, bei der Diagnostik von Erkrankungen des Verdauungssystems eine entscheidende Rolle.

56.2.1 Kontrastmittel Durch Kontrastmittel können anatomische Strukturen besser sichtbar gemacht werden. Kontrastmittel kann getrunken, rektal eingeführt oder intravenös gespritzt werden. Intravenös verabreichte Kontrastmittel werden über die Nieren ausgeschieden und enthalten Jod. Pflegende sollten daher darauf achten, dass aktuelle Nieren- (Kreatinin und Harnstoff) und Schilddrüsenwerte (TSH, fT3, fT4) zur Untersuchung vorliegen, der Patient vorab nüchtern ist und er nach der Untersuchung ausreichend trinkt. Für orales Kontrastmittel gilt dies nicht. Es wird über den Stuhl ausgeschieden.

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Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems Tab. 56.1 Prozesse bei der Kohlenhydratverdauung. Organ

Verdauungsprozess

Mund

Mundamylase spaltet Stärke in Oligo- und Disaccharide.

Magen

Die Verdauung stoppt zunächst, weil die Mundamylase durch Salzsäure (HCl) inaktiviert wird.

Pankreas

Alphaamylase, Saccharase, Maltase, Laktase werden über das Pankreassekret hinzugegeben.

Dünndarm

Saccharase, Maltase, Laktase werden hinzugegeben (durch Dünndarmsekret).

Tab. 56.2 Prozesse bei der Eiweißverdauung. Organ

Verdauungsprozess

Magen

Salzsäure denaturiert (nicht spaltet!) Eiweißkörper und macht sie für Pepsinogen angreifbar.

Pankreas

Pepsinogen wird durch Salzsäure (aus Belegzellen im Magen) aktiviert und spaltet Eiweiße in kleinere Polypeptide (Oligopeptide).

Dünndarm

Proteasen (z. B. Trypsinogen, Chymotrypsinogen) werden vom Pankreas in das Duodenum abgegeben.

Tab. 56.3 Prozesse bei der Fettverdauung. Organ

Verdauungsprozess

Mund

Durchmischung der Fette und erste (mechanische) Emulgierung

Magen

Magenlipase (aus den Hauptzellen) wird hinzugegeben. weitere (mechanische) Emulgierung der Fette Spaltung von 15–30 % der Fette

Pankreas

Verschiedene Lipasen des Pankreas spalten Triglyzeride in Monoglyzeride, Phospholipide, Cholesterin und freie Fettsäuren. Die Pankreaslipase ist für die Spaltung von 70–85 % aller Fette zuständig.

Leber

Galle wird hinzugegeben. Dadurch erfolgt die (chemische) Emulgierung von Fetten und Fettsäuren im Duodenum.

Dünndarm

Monoglyzeride, kurze Fettsäuren, Cholesterin und Phospholipide legen sich mithilfe der Gallensäure zu Mizellen (kleinere Fettbläschen) zusammen und werden in die Pfortader resorbiert. Langkettige Fettsäuren werden mithilfe der Gallensäure zu Chylomikronen (größere Fettbläschen) verpackt und über den Ductus thoracicus (großer Lymphgang) in den großen Kreislauf aufgenommen.

56.2.2 Apparative Verfahren ●







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Laborparameter: Blutbild (z. B. Erythrozyten, Leukozyten); Gerinnung (z. B. Quick-Wert, INR, pTT); klinische Chemie (z. B. Albumin, Bilirubin, CRP, PCT, Lipase, GOT/GPT/Gamma-GT) mikrobiologische Diagnostik: Stuhldiagnostik (z. B. Suche nach pathogenen Keimen) Die Sonografie (Ultraschall) gehört zu den wichtigsten diagnostischen Maßnahmen in der Gastroenterologie. Um optimale Untersuchungsbedingungen herzustellen, sollte der Patient am Tag zuvor auf blähende Speisen verzichten. Am Untersuchungstag sollte er nüchtern sein. Die Computertomografie (kurz CT) stellt abdominelle Strukturen mittels Röntgenstrahlung dar. Spezielle pflegerische Maßnahmen sind meist nicht notwendig. Erhält der





Patient Kontrastmittel, sollte auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr nach der Untersuchung geachtet werden. Die Magnetresonanztomografie (kurz MRT) verläuft ähnlich wie eine CT-Untersuchung. Sie arbeitet jedoch nicht mit Röntgenstrahlung und ist daher für den Patienten nebenwirkungsärmer. Wegen der verwendeten magnetischen Strahlung dürfen Patienten mit Metallimplantaten (z. B. Herzschrittmacher) nicht untersucht werden. Auch müssen Piercings usw. vor der Untersuchung abgelegt werden. Beim Röntgenbreischluck (Ösophagusbreischluck) werden Schluckakt und Nahrungstransport radiologisch sichtbar gemacht, um z. B. eine Schluckstörung (Dysphagie) abzuklären. Hierzu schluckt der Patient während der Röntgenuntersuchung ein in Kontrastmittel getränktes Brot.

Mitwirken bei der Diagnostik

56.2.3 Endoskopische Untersuchungen ●



● ● ● ● ●



Ösophagoskopie: Untersuchung des Ösophagus (Speiseröhre) Gastroskopie (Magenspiegelung): Untersuchung des Magens (Gaster) Duodenoskopie: Duodenumuntersuchung Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD): s. u. Koloskopie: s. u. Rekto- und Proktoskopie: s. u. endoskopische retrograde Cholangio-Pankreatikografie (ERCP): s. u. Kapselendoskopie: Mithilfe einer Kamerakaspel, die vom Patienten verschluckt wird, wird der gesamte Darm aufgezeichnet.

Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) Mit der ÖGD können Ösophagus, Magen und Duodenum mittels eines dünnen Kameraschlauchs (Gastroskop) untersucht werden. Während der Untersuchung kann der Arzt Proben von der Schleimhaut nehmen und diese anschließend unter dem Mikroskop beurteilen. ● Komplikationen: sehr selten, Aspiration, Blutungen aufgrund von Verletzungen (z. B. Stimmbänder, Magenwand) ● Pflege: – am Vortag: leichte Kost, am Tag der Untersuchung nüchtern – vor der Untersuchung: Zahnprothesen/Zungenpiercings entfernen – nach der Untersuchung: regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter (Patienten sind aufgrund der Sedierung oft noch schläfrig); für 1–2 Stunden nüchtern bleiben (nach Arztanordnung)

Koloskopie Eine Koloskopie dient der Untersuchung von Kolon und terminalem Ileum mittels eines dünnen Kameraschlauchs (Koloskop). ● Komplikationen: sehr selten, Infektionen, Verletzungen der Darmwand (Blutungen) ● Pflege: – 3 Tage zuvor: auf körner-, faser- und kernhaltige Speisen verzichten – am Tag vor der Untersuchung: Darmreinigung mittels Darmeinlauf oder oral mit Lavage-Präparaten (siehe auch Kap. 20.3.2). Ggf. benötigt der Patient einen Toilettenstuhl. – am Abend vor der Untersuchung: nur noch Wasser und klare Brühe – am Morgen der Untersuchung: Patient sollte komplett nüchtern bleiben. – nach der Untersuchung: regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter (Patienten sind aufgrund der Sedierung oft noch schläfrig) – Kostaufbau nach Arztanordnung

Rekto- und Proktoskopie Mit der Rektoskopie wird das Rektum, mit der Proktoskopie der Analkanal untersucht. ● Komplikationen: Blähungen (aufgrund der eingebrachten Luft während der Untersuchung), sehr selten: Blutungen, Infektionen ● Pflege: – am Vortag: leichte Kost – 1–2 Stunden vor der Untersuchung: Darmreinigung mit Klistier – nach der Untersuchung: regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter (Patienten sind aufgrund der Sedierung oft noch schläfrig)

Endoskopische retrograde CholangioPankreatikografie (ERCP) Definition ERCP (Endoskopische retrograde Cholangio-Pankreatikografie) Durch das Einführen eines Katheters in den Ductus choledochus können die Gallen- und Pankreasgänge dargestellt werden. Der Katheter wird per Gastroskop in das Duodenum vorgebracht und über die Papilla vateri in das Gangsystem vorgeschoben. Die wichtigste Indikation ist die Entfernung von Gallensteinen aus dem Ductus choledochus (Choledocholithiasis). Die Untersuchung findet in der Endoskopieabteilung statt. Komplikationen: sehr selten: Infektionen der Gallenwege/-blase, Lufteintritt in die Gallenwege, Pankreatitis, Blutungen (aufgrund von Verletzung der Magen- oder Darmwand). Pflegerische Vorbereitung ● Patienten nüchtern lassen ● ggf. Heparin pausieren (nach Arztanordnung) ● Laborergebnisse mitgeben: Gerinnung, Blutbild, klinische Chemie (Bilirubin, Lipase, GOT/GPT/Gamma-GT) ● intravenösen Zugang vorbereiten (zwecks Sedierung) ● Zahnprothesen und Schmuck ablegen lassen ● ggf. Prämedikation verabreichen ● Vitalparameter kontrollieren ● auf Fragen und Ängste des Patienten eingehen Pflegerische Nachbereitung auf Schmerzen und mögliche Komplikationen achten, wie Nachblutung, Symptome einer Sepsis (siehe Kap. 66.2), Pankreatitis ● Vitalparameter (inkl. Körpertemperatur!) anfangs stündlich kontrollieren ● ggf. für einige Stunden Bettruhe einhalten; Urinflasche bereitlegen ● Labor für den nächsten Tag richten Gerinnung, Blutbild, klinische Chemie (Bilirubin, Lipase, GOT/GPT/Gamma-GT, CRP) ●

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Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems

56.3 Erkrankungen des Verdauungssystems

Pflege

56.3.1 Gastroösophageale Refluxkrankheit





Definition Gastroösophageale Refluxkrankheit Rückfluss von saurem Magensaft in die Speiseröhre. Hierbei empfindet der Patient Sodbrennen. Im weiteren Verlauf kann es zu Ulzerationen der Schleimhaut kommen.

Ursachen ● ●



mangelnder Verschluss des unteren Ösophagussphinkters erhöhter abdominaler Druck (z. B. bei Schwangerschaft oder Übergewicht) erhöhte Säureproduktion im Magen (z. B. durch übermäßigen Konsum von Alkohol oder Kaffee)

Symptome Patienten können unter Sodbrennen, Übelkeit, Völlegefühl leiden und müssen häufig sauer aufstoßen.

Komplikationen Durch den Rückfluss von saurem Magensaft wird die Schleimhaut der Speiseröhre gereizt. Im Anfangsstadium kann dies gut kompensiert werden. Gastroskopisch finden sich in diesem Stadium keine Schleimhautulzerationen (non-erosive gastroesophageal reflux disease; NERD). Bei länger andauernder Reizung verändert sich das Schleimhautepithel der Speiseröhre. Nun lassen sich auch Ulzerationen feststellen (erosive reflux disease; ERD). Im schlimmsten Fall kann sich aufgrund der ständigen Schleimhautreizung ein Ösophaguskarzinom entwickeln.

Diagnostik Der erste diagnostische Schritt ist meist die Gastroskopie. Hier findet der Arzt einen Reizzustand der Speiseröhre. Mittels anschließender Langzeit-pH-Metrie lässt sich der vermutete Reflux quantifizieren. Hierbei erhält der Patient für 24 Stunden eine dünne nasogastrale pH-Mess-Sonde. Die Anwendung einer Ösophagomanometrie gibt Aufschluss über die Genese der Erkrankung. Die Untersuchung weist z. B. einen mangelnden Verschluss des unteren Ösophagussphinkters nach. Hierdurch erhält der Arzt wichtige Informationen für die weitere Therapie.

56.3.2 Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit Definition Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit Bei der Gastritis handelt es sich um eine Entzündung der Magenschleimhaut. Bei einem Ulkus handelt es sich um ein Geschwür, das bis in die Mukosa der Schleimhaut vordringt. Bei chronischen Geschwüren im Magen (Ulcus ventriculi) und Zwölffingerdarm (Ulcus duodeni) spricht man von der gastroduodenalen Ulkuskrankheit.

Ursachen Die akute Gastritis tritt meist im Rahmen einer akuten Gastroenteritis auf und wird häufig durch Viren (z. B. Norovirus) verursacht. Wesentlich relevanter sind die chronischen Formen, die je nach Ursache in drei Typen unterteilt werden: 1. Typ-A-Gastritis: Ursache sind Antikörper gegen die Belegzellen des Magens (A wie autoimmun). 2. Typ-B-Gastritis: Ursache ist das Bakterium Helicobacter pylori (B wie bakteriell). 3. Typ-C-Gastritis: Ursache sind chemische (C wie chemisch) Stoffe (z. B. Ibuprofen oder Diclofenac). Wird die Magenschleimhaut besonders stark geschädigt, kommt es zum Magengeschwür (Ulkus). Die meisten Magengeschwüre entstehen auf dem Boden einer Typ-B- oder Typ-C-Gastritis.

Symptome ● ● ●

Therapie ●

● ●

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Veränderung der Lebensweise: Normalisierung des Körpergewichts, Reduzierung/Verzicht von fettreicher Nahrung, Kaffee, Nikotin und Alkohol säurehemmende Medikamente (z. B. Pantozol) operative Therapie: Bei fortgeschrittener Erkrankung wird der Magenfundus manschettenförmig um den unteren Ösophagus genäht, um die gestörte Antirefluxbarriere wiederherzustellen (sog. Fundoplicatio).

Positionierung: Patienten mit erhöhtem Oberkörper positionieren (verringert den Reflux von Magensäure) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – zur Veränderung der Lebensgewohnheiten anleiten (s. o.) – auf Programme der Krankenkasse hinweisen (z. B. Raucherentwöhnung) – auf regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim niedergelassenen Gastroenterologen hinweisen – über die korrekte Einnahme der Medikamente informieren: Säurehemmende Medikamente sollten im Stehen mit kohlensäurearmem Wasser auf nüchternen Magen eingenommen werden.

● ●

Übelkeit und Erbrechen saures Aufstoßen epigastrische Schmerzen Appetitlosigkeit und ggf. Gewichtsabnahme Teerstuhl und Hämatinerbrechen (bei einem blutenden Ulkus)

Komplikationen Wird ein bestehendes Magengeschwür weiter geschädigt, kann es in die freie Bauchhöhle durchbrechen oder bluten. Es folgt meist eine akute Peritonitis (= Entzündung des Bauchfells). Eine chronische Typ-A- oder Typ-B-Gastritis kann zu einem Magenkarzinom führen.

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Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems

56.3 Erkrankungen des Verdauungssystems

Pflege

56.3.1 Gastroösophageale Refluxkrankheit





Definition Gastroösophageale Refluxkrankheit Rückfluss von saurem Magensaft in die Speiseröhre. Hierbei empfindet der Patient Sodbrennen. Im weiteren Verlauf kann es zu Ulzerationen der Schleimhaut kommen.

Ursachen ● ●



mangelnder Verschluss des unteren Ösophagussphinkters erhöhter abdominaler Druck (z. B. bei Schwangerschaft oder Übergewicht) erhöhte Säureproduktion im Magen (z. B. durch übermäßigen Konsum von Alkohol oder Kaffee)

Symptome Patienten können unter Sodbrennen, Übelkeit, Völlegefühl leiden und müssen häufig sauer aufstoßen.

Komplikationen Durch den Rückfluss von saurem Magensaft wird die Schleimhaut der Speiseröhre gereizt. Im Anfangsstadium kann dies gut kompensiert werden. Gastroskopisch finden sich in diesem Stadium keine Schleimhautulzerationen (non-erosive gastroesophageal reflux disease; NERD). Bei länger andauernder Reizung verändert sich das Schleimhautepithel der Speiseröhre. Nun lassen sich auch Ulzerationen feststellen (erosive reflux disease; ERD). Im schlimmsten Fall kann sich aufgrund der ständigen Schleimhautreizung ein Ösophaguskarzinom entwickeln.

Diagnostik Der erste diagnostische Schritt ist meist die Gastroskopie. Hier findet der Arzt einen Reizzustand der Speiseröhre. Mittels anschließender Langzeit-pH-Metrie lässt sich der vermutete Reflux quantifizieren. Hierbei erhält der Patient für 24 Stunden eine dünne nasogastrale pH-Mess-Sonde. Die Anwendung einer Ösophagomanometrie gibt Aufschluss über die Genese der Erkrankung. Die Untersuchung weist z. B. einen mangelnden Verschluss des unteren Ösophagussphinkters nach. Hierdurch erhält der Arzt wichtige Informationen für die weitere Therapie.

56.3.2 Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit Definition Gastritis und gastroduodenale Ulkuskrankheit Bei der Gastritis handelt es sich um eine Entzündung der Magenschleimhaut. Bei einem Ulkus handelt es sich um ein Geschwür, das bis in die Mukosa der Schleimhaut vordringt. Bei chronischen Geschwüren im Magen (Ulcus ventriculi) und Zwölffingerdarm (Ulcus duodeni) spricht man von der gastroduodenalen Ulkuskrankheit.

Ursachen Die akute Gastritis tritt meist im Rahmen einer akuten Gastroenteritis auf und wird häufig durch Viren (z. B. Norovirus) verursacht. Wesentlich relevanter sind die chronischen Formen, die je nach Ursache in drei Typen unterteilt werden: 1. Typ-A-Gastritis: Ursache sind Antikörper gegen die Belegzellen des Magens (A wie autoimmun). 2. Typ-B-Gastritis: Ursache ist das Bakterium Helicobacter pylori (B wie bakteriell). 3. Typ-C-Gastritis: Ursache sind chemische (C wie chemisch) Stoffe (z. B. Ibuprofen oder Diclofenac). Wird die Magenschleimhaut besonders stark geschädigt, kommt es zum Magengeschwür (Ulkus). Die meisten Magengeschwüre entstehen auf dem Boden einer Typ-B- oder Typ-C-Gastritis.

Symptome ● ● ●

Therapie ●

● ●

380

Veränderung der Lebensweise: Normalisierung des Körpergewichts, Reduzierung/Verzicht von fettreicher Nahrung, Kaffee, Nikotin und Alkohol säurehemmende Medikamente (z. B. Pantozol) operative Therapie: Bei fortgeschrittener Erkrankung wird der Magenfundus manschettenförmig um den unteren Ösophagus genäht, um die gestörte Antirefluxbarriere wiederherzustellen (sog. Fundoplicatio).

Positionierung: Patienten mit erhöhtem Oberkörper positionieren (verringert den Reflux von Magensäure) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – zur Veränderung der Lebensgewohnheiten anleiten (s. o.) – auf Programme der Krankenkasse hinweisen (z. B. Raucherentwöhnung) – auf regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim niedergelassenen Gastroenterologen hinweisen – über die korrekte Einnahme der Medikamente informieren: Säurehemmende Medikamente sollten im Stehen mit kohlensäurearmem Wasser auf nüchternen Magen eingenommen werden.

● ●

Übelkeit und Erbrechen saures Aufstoßen epigastrische Schmerzen Appetitlosigkeit und ggf. Gewichtsabnahme Teerstuhl und Hämatinerbrechen (bei einem blutenden Ulkus)

Komplikationen Wird ein bestehendes Magengeschwür weiter geschädigt, kann es in die freie Bauchhöhle durchbrechen oder bluten. Es folgt meist eine akute Peritonitis (= Entzündung des Bauchfells). Eine chronische Typ-A- oder Typ-B-Gastritis kann zu einem Magenkarzinom führen.

Erkrankungen des Verdauungssystems

Definition Morbus Crohn

Diagnostik ● ●

Gastroskopie mit Schleimhautbiopsie Stuhluntersuchung und C13-Atemtest (v. a. zum Nachweis von Helicobacter pylori)

Definition Colitis ulcerosa

Therapie ●

● ●



akute Gastritis: heilt meist nach einigen Tagen Diät von selbst und folgenlos aus chronische Gastritis: auslösenden Faktor behandeln – Eliminierung des Bakteriums Helicobacter pylori mittels Tripple-Therapie: Einnahme von 2 verschiedenen Antibiotika in Kombination mit einem Protonenpumpenhemmer (z. B. Pantozol) Veränderung der Lebensweise: Normalisierung des Körpergewichts, Reduzierung/Verzicht von fettreicher Nahrung, Kaffee, Nikotin und Alkohol

Pflege ●





Chronische Entzündung der Darmwand. Jede Schicht der Darmwand und jeder Darmabschnitt kann betroffen sein. Am häufigsten sind Dünndarm (terminales Ileum) und Kolon betroffen.

Entzündung der Darmwand, die ausschließlich den Dickdarm und lediglich die Schleimhaut befällt.

Ursachen Die Ursache chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen ist weitestgehend unbekannt. Wahrscheinlich handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren: ● genetische Mutationen ● autoimmunologische Komponenten ● falsches Zusammenspiel der Bakterienflora im Darm ● Folge verschiedener Infektionen ● psychische Belastung

Symptome

Beobachten: Stuhl auf Veränderungen hinsichtlich Farbe (Teerstuhl?), Konsistenz und Häufigkeit beobachten (siehe Kap. 20.2) Ernährung: schrittweiser Nahrungsaufbau (z. B. Tee, Zwieback) bei Übelkeit und Erbrechen (akuter Gastritis) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – zur Veränderung der Lebensgewohnheiten (s. o.) – über die korrekte (regelmäßige!) Einnahme der Medikamente informieren – Erkrankung und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) – über mögliche Veränderungen des Stuhls aufklären

Die Symptome von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa unterscheiden sich (▶ Tab. 56.4). Charakteristisch für beide Erkrankungen sind ein schubweiser Verlauf, Durchfälle und abdominelle Schmerzen. Zudem können bei beiden Erkrankungen Symptome auch außerhalb des Magen-Darm-Trakts vorkommen (sog. extraintestinale Symptome). Beispiele sind Augenentzündungen und Beschwerden an den Gelenken.

Diagnostik ● ● ●

56.3.3 Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Definition Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen Chronisch verlaufende, meist schubweise auftretende Entzündung der Darmwand, die teilweise autoimmunologisch vermittelt ist und meist junge Menschen betrifft.

ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung Endoskopie mit Schleimhautbiopsie ggf. radiologische Verfahren (CT, MRT) und Sonografie (bei V. a. Stenosen)

Therapie ●

Morbus Crohn: systemische (d. h. orale) Gabe von Kortison und anderen Immunsuppressiva. Gleichzeitig kommen Salicylate zum Einsatz. Eine operative Therapie ist nur zur Behandlung von Komplikationen (z. B. Stenosen) sinnvoll.

Tab. 56.4 Morbus Crohn und Colitis ulcerosa im Vergleich. Symptome

Morbus Crohn

Colitis ulcerosa

Durchfallfrequenz

3–6-mal pro Tag

bis zu 30-mal täglich

Stuhlbeimengung

meist keine

oft schleimig-blutig

Bauchschmerzen

kolikartig, vor allem im rechten Unterbauch

kolikartig, besonders im linken Unterbauch, v. a. vor und während des Stuhlgangs

extraintestinale Symptome

häufig

selten

Komplikationen

v. a. Fisteln, Abszesse, Stenosierungen, Malabsorptionssyndrom, akutes Abdomen

toxisches Megakolon, Ulzera mit Darmblutungen, kolorektales Karzinom

l 56

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems ●

Colitis ulcerosa: meist lokale Gabe (z. B. durch Zäpfchen) von 5-ASA (5-Aminosalicylsäure). Bei stärkeren Symptomen ggf. Kortison oder andere Immunsuppressiva. Eine vollständige Heilung kann durch die Entfernung des Dickdarms erreicht werden.

56.3.4 Ileus Definition Ileus Bei einem Ileus (Darmverschluss) ist die Darmpassage gestört – entweder durch ein mechanisches Hindernis (mechanischer Ileus) oder eine Lähmung der Darmmotorik (paralytischer Ileus).

Pflege Mobilisation und Körperpflege • Individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand. Schmerzmanagement ● bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 ● bauchdeckenentspannende Position (z. B. Knierolle, Oberkörperhochlage) Ernährung ● bei starken Durchfällen auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten (erhöhte Gefahr der Exsikkose!) ● im akuten Schub auf ballaststoffreiche Ernährung verzichten (um den gereizten Darm nicht zusätzlich zu belasten) ● bei gleichzeitiger Laktoseintoleranz auf Milchprodukte verzichten (häufig!) ● ggf. kurzzeitige, parenterale Ernährung (nach Arztanordnung) ● Ernährungsberatung (Grundsatz: „Der Patient kann essen, was er verträgt“) ● Ernährungstagebuch führen ● psychosoziale Begleitung und Vermittlung von Selbsthilfegruppen Ausscheidung ● Beobachtung von Frequenz, Farbe, Konsistenz und Beimengungen des Stuhls ● bei häufigen Durchfällen Patienten einen eigenen Toilettenstuhl am Bett anbieten

KOMPAK T Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen ●

● ● ●

● ●

chronisch verlaufende, meist schubweise auftretende Entzündung der Darmwand Unterscheidung: Morbus Crohn und Colitis ulcerosa Symptome: abdominelle Schmerzen und Durchfälle Ursache ist unbekannt. Vermutlich komplexes Zusammenspiel aus genetischer Belastung, bakterieller Dysbalance, Folge von Infektionen und psychischer Belastung. Therapie: medikamentös, ggf. operative Maßnahmen Pflege: Unterstützung bei Schmerzen, Ausscheidung und Ernährung

Ursachen ●



Symptome Die Symptome eines Ileus können sehr variieren und im Alltag nicht immer direkt zu erkennen sein. Pflegende sollten daher stets für das Krankheitsbild sensibilisiert sein und bei Unklarheiten den Arzt kontaktieren. Auf folgende Symptome sollte geachtet werden: ● fehlender oder stark verminderter Stuhlgang ● Bauchschmerzen mit Übelkeit und Erbrechen ● aufgetriebener, luftgefüllter Bauch ohne Abgang von Winden ● unklares Fieber ● Appetitlosigkeit

Pathophysiologie und Komplikationen Nachdem der Körper den Stillstand der Stuhlsäule bemerkt hat, versucht er diesem Stillstand u. a. durch verstärkte Sekretion von Flüssigkeit entgegenzuwirken. Hierdurch kommt es relativ schnell zu einem Mangel an Blutvolumen – es droht ein Volumenmangelschock. Zudem kann es durch die Dehnung der Darmwand zu Durchblutungsstörungen kommen, wodurch die Darmschleimhaut geschädigt wird. In der Folge können Bakterien die Darmwand durchwandern und eine Peritonitis (Bauchfellentzündung) hervorrufen – der Patient bekommt Fieber. Schreitet der Darmverschluss weiter fort und wird oral weiterhin Nahrung und Flüssigkeit zugeführt, kann sich Darminhalt bis in den Magen zurückstauen. Dort verursacht er starke Übelkeit und führt letztlich zum Erbrechen von Stuhl (Miserere). Die gefährlichste Komplikation ist die Perforation (Platzen) des Darmes. Hierbei handelt es sich um einen lebensgefährlichen Zustand, der umgehend operativ versorgt werden muss.

Diagnostik ● ●



382

mechanischer Ileus: Das Darmlumen ist verlegt, z. B. durch Tumoren, Verwachsungen im Bauchraum, Hernien. paralytischer Ileus: Die Darmmotorik ist gestört, z. B. als Folge entzündlicher Prozesse im Bauchraum (z. B. bei Cholezystitis), bei Appendizitis, nach der Einnahme bestimmter Medikamente (z. B. Opiate, Narkotika).

ärztliche Anamnese: typische Symptome? klinische Untersuchung: Auskultation der Darmgeräusche – fehlende Darmgeräusche – Hinweis auf paralytischen Ileus – vermehrte, „klingende“ Darmgeräusche – Hinweis auf mechanischen Ileus apparative Verfahren zur Sicherung der Diagnose: Ultraschall, Röntgen, CT

Erkrankungen des Verdauungssystems

Therapie Um Komplikationen zu vermeiden, ist eine Therapie möglichst schnell einzuleiten. Folgende Maßnahmen sind zunächst relevant: ● Anlage einer nasogastralen Ablaufsonde, zur Entlastung des gestauten Magen-Darm-Trakts ● Nahrungskarenz ● Flüssigkeitsersatz durch Infusionen





Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Soor- und Parotitisprophylaxe bei Nahrungskarenz und daraus resultierender Mundtrockenheit psychosoziale Begleitung: Patienten über Erkrankung und Symptome aufklären, um Compliance zu fördern

KOMPAK T

Die weitere Therapie richtet sich nach der Ursache: Mechanischer Ileus • Wiederherstellung der Darmpassage mittels Operation. Zum Schutz vor einer Peritonitis wird präoperativ meist ein Antibiotikum verabreicht. Ist ein Teil des Darms abgestorben oder durch einen Tumor verlegt, wird ggf. ein künstlicher Darmausgang angelegt.

Ileus ●



Paralytischer Ileus • Durch die Gabe verschiedener Medikamente (z. B. Neostigmin) wird versucht, die Darmperistaltik zu aktivieren. Gleichzeitig wird durch Hebe-Senk-Einläufe versucht, den Patienten abzuführen. Eine Operation wird nur durchgeführt, wenn die zugrunde liegende Erkrankung es zwingend erfordert.







ACHTUNG Besteht der Verdacht auf einen mechanischen Ileus, sind Einläufe und Abführmittel kontraindiziert!

Pflege Bis zur endgültigen Diagnose: ● Beobachtung: – Vitalparameter 2–3-mal täglich erfassen, um Schocksymptome frühzeitig zu erkennen (z. B. Tachykardie) – nasogastrale Ablaufsonde: Sekretmenge, Sekretfarbe, Pflege (siehe Kap. 25.2.2) – Ausscheidungen: Häufigkeit, Farbe, Menge, Beimengungen – Flüssigkeitsbilanz erstellen ● Schmerzmanagement: – bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 – bauchdeckenentlastende Position, Schmerztherapie nach Arztordnung ● Mobilisation und Körperpflege: Bettruhe (auf Arztanordnung), individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand ● Infusionen: Infusionsmanagement nach Arztanordnung ● Ernährung: Nahrungskarenz einhalten ● Ausscheidung: – Urin: transurethralen Blasenverweilkatheter legen (auf Arztanordnung) zur exakten Flüssigkeitsbilanzierung – Stuhl: keine Abführmittel und Einläufe (bei unklarer Diagnose), sonst besteht die Gefahr einer Darmperforation (bei paralytischem Ileus bringen Einläufe Entlastung) – Erbrechen: bei Koterbrechen (Miserere): Unterstützung bei der Mundpflege



Ursache: Mechanisches Hindernis (mechanischer Ileus), Lähmung der Darmmotorik (paralytischer Ileus) – führen zu einer gestörten Darmpassage. typische Symptome: fehlender Stuhlgang, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und ggf. Fieber Komplikationen: Peritonitis, Volumenmangelschock, Erbrechen von Darminhalt (Miserere), Perforation Ein mechanischer Ileus muss operiert werden; Einläufe sind kontraindiziert! Beim paralytischen Ileus wird die Peristaltik durch Einläufe und Medikamente angeregt. Pflege: Anlage einer nasogastralen Ablaufsonde, Flüssigkeitsersatz durch Infusionen und Nahrungskarenz

56.3.5 Akutes Abdomen Definition Akutes Abdomen Lebensbedrohlicher Symptomenkomplex, der meist mit akut einsetzenden heftigen Bauchschmerzen, einer Abwehrspannung der Bauchdecke und einer Schocksymptomatik einhergeht.

Ursachen Ein akutes Abdomen kann durch viele verschiedene Erkrankungen verursacht werden: ● Entzündungen der Bauchorgane: z. B. Appendizitis, Cholezystitis, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Pankreatitis oder Divertikulitis ● Hohlorganperforation des Darms, der Gallenblase, Magen oder Duodenum ● Gallensteine ● mechanischer Ileus ● Durchblutungsstörungen des Darms (z. B. bei Mesenterialinfarkt)

Symptome ● ● ● ● ●

Bauchschmerzen Übelkeit und Erbrechen Obstipation oder Diarrhö ggf. Fieber Schocksymptomatik: Unruhe, Blässe, Kaltschweißigkeit, Tachykardie, ggf. Oligurie

l 56

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems

Diagnostik ●







56.3.6 Appendizitis

Anamnese und körperliche Untersuchung: Schmerzen? vorangegangene Bauchoperation? Abwehrspannung? Peristaltik? Laborparameter: Blutbild, Gerinnung, klinische Chemie (Leber- und Nierenwerte, Herz- und Pankreasenzyme, Laktat) Untersuchungen: EKG, Abdomensonografie, CT-AbdomenAufnahme, Röntgenaufnahmen (Abdomen und Thorax) ggf. explorative Laparoskopie (bei unklarer Diagnose)

ACHTUNG Ein akutes Abdomen ist ein Notfall, der eine umgehende Diagnostik erfordert!



Bei einer Appendizitis ist der Wurmfortsatz (Appendix vermiformis) des Dickdarms entzündet (umgangssprachlich: Blinddarmentzündung).

Ursachen Ausgelöst wird die Entzündung meist durch eine Verlegung der Appendix (z. B. durch Fremdkörper, Kotsteine). Die Erkrankung tritt typischerweise bei jungen Patienten auf (< 30 Jahre).

Symptome ●

Therapie ●

Definition Appendizitis

Nahrungskarenz operativer Eingriff abhängig von der Ursache

● ●

Pflege ●









Beobachtung: – intensivmedizinische Überwachung – Volumenmanagement (Flüssigkeitsbilanzierung, Messung des ZVDs, zentralvenöse Sättigung) Schmerzmanagement: – bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 – bauchdeckenentspannende Position (z. B. Knierolle, Oberkörperhochlage) Ernährung: Nahrungskarenz, ggf. parenterale Ernährung (auf Arztanordnung), ausreichende Substitution von Flüssigkeit, Elektrolyten und Glukose Ausscheidung: – ggf. Harnblasenkatheter zur exakten Flüssigkeitsbilanzierung (auf Arztanordnung) – Ablaufsonde

rechtsseitiger Unterbauchschmerz beim Druck auf den McBurney- oder Lanz-Punkt und kontralateraler Loslassschmerz bei Druck auf den Blumberg-Punkt (▶ Abb. 56.4) Schmerzen bei der rektalen Untersuchung Fieber mit Temperaturdifferenz von 1 °C zwischen der axillären und rektalen Messung Übelkeit, Erbrechen, evtl. Durchfall

Diagnostik ●

● ●

klinische Untersuchung: Palpitation der o. g. Schmerzpunkte Blutuntersuchung: erhöhte Entzündungswerte? Sonografie

Therapie Bei gesicherter Appendizitis muss der Patient operiert werden. Die OP kann im Normalfall laparoskopisch durchgeführt werden. Nur bei schwierigen anatomischen Verhältnissen oder ausgeprägter Umgebungsreaktion muss offen chirurgisch operiert werden. Postoperativ erhält der Patient intravenös Antibiotika.

Abb. 56.4 Appendizitis.

Nabel

McBurney

Blumberg

Spina iliaca anterior superior

Spina iliaca anterior superior

Lanz

Typische Schmerzpunkte im Rahmen einer Appendizitis. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

384

Erkrankungen des Verdauungssystems

Pflege ● ●



Beobachtung: Vitalparameter erfassen Ernährung: ggf. Nahrungskarenz, Kostaufbau erfolgt auf Arztanordnung Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: auf schweres Tragen 4 Wochen verzichten.

56.3.7 Divertikulose und Divertikulitis Definition Divertikulose und Divertikulitis Bei der Divertikulose wölbt sich die Dickdarmschleimhaut sackartig nach außen aus. Kommt es zur Entzündung eines Divertikels, spricht man von einer Divertikulitis. Divertikel gehören zu den sog. Zivilisationskrankheiten, weil sie durch Obstipation und ballaststoffarme Ernährung begünstigt werden. Besonders häufig treten Divertikel im Sigma auf.

Divertikulitis • Bei leichten Formen reicht meist eine orale Antibiotikatherapie durch den Hausarzt. Wird der Patient hierunter nicht rasch beschwerdefrei, sollte er zum Ausschluss von Komplikationen stationär aufgenommen werden. Die durch den Hausarzt begonnene Antibiotikatherapie wird dann intravenös fortgesetzt. Die Kostform wird durch den Arzt festgelegt. Kommt es gehäuft zur Entzündung von Divertikeln oder treten Komplikationen (z. B. Perforation) auf, muss operiert werden. Hierbei wird der betroffene Dickdarmabschnitt entfernt und der Stuhl ggf. vorübergehend über ein Kolostoma nach außen geleitet (sog. Hartmann-OP). Oft wird das Kolostoma bereits nach 3 Monaten zurückverlegt.

Pflege ●

Ursachen Durch chronische Verstopfung, ballaststoffarme Ernährung und zu wenig Bewegung buchtet sich die Darmwand nach außen aus. Zur Erkrankung wird die Divertikulose erst dann, wenn sich einzelne Divertikel entzünden. Meistens sind ältere Menschen von der Erkrankung betroffen.

Symptome Eine Divertikulose ist meist asymptomatisch und verursacht keine Beschwerden. Kommt es jedoch zur Entzündung (Divertikulitis), verspürt der Patient meist linksseitige Unterbauchschmerzen. Aus diesem Grund wird die Erkrankung auch als Linksappendizitis bezeichnet. Weitere Symptome sind Übelkeit, Erbrechen, Stuhlunregelmäßigkeiten und Fieber.

Komplikationen Die Divertikulitis stellt streng genommen eine Komplikation der Divertikulose dar. Bedingt durch die entstandene Entzündungsreaktion kann die Divertikulitis weitere Komplikationen verursachen: ● Perforation eines Divertikels mit nachfolgender Peritonitis ● Divertikelblutung ● Abszessbildung im Bereich eines Divertikels ● Fistelbildung zwischen Divertikel und Harnblase





Beobachten: – Vitalparameter: 2–3-mal täglich erfassen, um Komplikationen frühzeitig zu erkennen (z. B. Fieber aufgrund von entzündlichen Prozessen) – Stuhl: auf Veränderungen hinsichtlich Farbe, Beimengung, Konsistenz und Häufigkeit beobachten (siehe Kap. 20.2) → können Hinweise auf eine beginnende Divertikulitis geben – Kontrolle des Bauchs (ein „brettharter“ Bauch kann Anzeichen für eine Perforation sein!) Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – Ernährungsberatung: ballaststoffreiche Ernährung im entzündungsfreien Intervall – ggf. Anleitung zum Umgang mit einem Kolostoma und Vermittlung eines Stomatherapeuten (siehe Kap. 27.2)

KOMPAK T Divertikulose und Divertikulitis ●





Diagnostik ● ● ●

ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung Sonografie, Computertomografie Koloskopie: nachdem die akute Entzündung abgeheilt ist, zum Ausschluss anderer Beschwerdeursachen (z. B. eines Tumors)

Therapie Divertikulose • Eine Umstellung auf ballaststoffreiche Nahrung und ausreichend Bewegung kann das Fortschreiten der Erkrankung verringern.



Divertikulose: Bei der (meist asymptomatischen) Divertikulose buchtet sich die Darmwand nach außen aus. Durch eine ballaststoffreiche Ernährung und ausreichend Bewegung kann ein Fortschreiten der Erkrankung verringert werden. Divertikulitis: Entzündete Darmdivertikel werden als Divertikulitis bezeichnet und benötigen eine sofortige antibiotische Therapie. Komplikationen der Divertikulitis: Perforation, Blutung und Abszessbildung Pflege: Patient auf die Vitalparameter, Schmerzen, Stuhl und einen „brettharten“ Bauch hin beobachten

56.3.8 Kolorektales Karzinom Definition Kolorektales Karzinom Kolorektale Karzinome sind maligne (bösartige) Neubildungen im Kolon und Rektum. Sie sind die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache – bei Männern nach Lungenkrebs und bei Frauen nach Brustkrebs.

l 56

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems

Ursachen ● ● ● ●

KOMPAK T

chronisch-entzündliche Darmerkrankungen genetische Faktoren fett- und fleischreiche Ernährung Alter (90 % bei Patienten sind über 50 Jahre)

Kolorektales Karzinom ● ●

Diagnostik Ab dem 50. Lebensjahr wird ein jährliches Screening auf okkultes (unsichtbares) Blut im Stuhl empfohlen (iFOBT). Zusätzlich wird alle 10 Jahre eine Koloskopie empfohlen. Die Untersuchungen sind Teil des gesetzlichen Früherkennungsprogramms und die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen.





Therapie ● ● ●

Chemotherapie zur Verkleinerung des Karzinoms Anschließend erfolgt eine Operation. ggf. Anlage eines Enterostomas (siehe Kap. 27.2)

maligne (bösartige) Zellneubildung im Kolon und Rektum Ursachen: chronisch-entzündliche Darmerkrankung, genetische Faktoren, fett- und fleischreiche Ernährung, Alter Therapie: Chemotherapie und anschließend OP mit Enterostoma Pflege: ballaststoffarme Nahrung, evtl. parenterale Ernährung über ZVK, Stomatherapeuten hinzuziehen, abführen und Rasur nach hausinternem Standard, postoperative Überwachung: Vitalparameter, Stuhlgang, psychosoziale Begleitung

56.3.9 Hepatitis Definition Hepatitis

Pflege Präoperative Pflege bei Kolektomie ● ballaststoffarme Nahrung, ggf. parenterale Ernährung mittels ZVK, bei einem sehr reduzierten Allgemeinzustand ● Rasur: i. d. R. von den Mamillen (Brustwarzen) bis zu den Leisten einschließlich der Schambehaarung; wenn eine Rektumresektion (Teilentfernung des Rektums) oder Rektumexstirpation (komplette Entfernung des Rektums) geplant ist, muss auch der Anal- und Gesäßbereich rasiert werden. ● ggf. mit Einbezug des Stomatherapeuten ● Abführen nach Arztanordnung oder hausinternem Standard

ACHTUNG Es ist sehr wichtig zu wissen, wo der Tumor sitzt – teilweise besteht Perforationsgefahr beim Einführen eines Darmrohrs zur Durchführung eines Darmeinlaufs. Postoperative Pflege bei Kolektomie ● Beobachtung: – Vitalparameter: 2–3-mal täglich erfassen, um Komplikationen frühzeitig zu erkennen (z. B. Fieber aufgrund von entzündlichen Prozessen) – Stuhl: Nach 4–7 Tagen sollte ein Stuhlgang erfolgen. – auf postoperative Komplikationen achten: Blutung, Anastomoseninsuffizienz, Pneumonie, Kreislaufprobleme, Thrombose und Lungenembolie, Verdauungsprobleme, Blasenentleerungsstörung ● Mobilisation: Frühmobilisation möglichst ab dem 1. postoperativen Tag ● Ernährung: stufenweiser Aufbau auf Arztanordnung ● Ausscheidung: bei Enterostoma (siehe Kap. 27.2) ● Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Überleitung zum Sozialdienst für eine Anschlussheilbehandlung, Verweis an Krebsberatungsstellen ● psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, siehe Kap. 44)

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Bei einer Hepatitis handelt es sich um eine Entzündung der Leber. Die Infektion kann akut oder chronisch verlaufen und wird meist durch eine Virusinfektion hervorgerufen.

Ursachen Die häufigste Ursache einer Hepatitis ist die Virusinfektion. Folgende Hepatitisviren werden unterschieden: ● Hepatitis-A-Viren werden fäkal-oral übertragen. Die Infektion heilt folgenlos aus und kann nicht chronifizieren. ● Hepatitis-B-Viren werden durch Blut-zu-Blut-Kontakt übertragen. Die meisten Infektionen (90 %) verlaufen akut und heilen folgenlos aus. Etwa 10 % der Erkrankungen verlaufen jedoch chronisch. ● Hepatitis-C-Viren werden u. a. durch Blut-zu-Blut-Kontakt übertragen. Statistisch gesehen werden auch andere Übertragungswege angenommen, genaue Mechanismen sind jedoch unbekannt. Die Mehrzahl der Erkrankungen (50– 85 %) verläuft chronisch. Lediglich 15–50 % nehmen einen akuten Verlauf an. Neben o. g. Viren können auch Gifte (z. B. Medikamente, Alkohol) die Erkrankung auslösen. Auch eine vorbestehende Fettleber, bestimmte Stoffwechselerkrankungen (z. B. M. Wilson) oder eine Autoimmunhepatitis kann die Ursache der Erkrankung sein. In diesem Fall wird von einer nichtinfektiösen Erkrankung gesprochen, die Einteilung anhand von Buchstaben entfällt.

Symptome ●

akute Hepatitis (dauert maximal 6 Monate an) – fulminanter Verlauf, mit Leberversagen und hoher Letalität möglich – allgemeines Unwohlsein, Fieber, Übelkeit, Erbrechen – rechtsseitige Oberbauchschmerzen aufgrund der Leberschwellung – ggf. Gelbsucht (Ikterus) – Müdigkeit und Kraftlosigkeit über mehrere Monate

Erkrankungen des Verdauungssystems ●

chronische Hepatitis (dauert länger als sechs Monate an) – i. d. R. zunächst Symptome des akuten Verlaufs – Symptome der Leberzirrhose und Leberinsuffizienz – Gefahr des Leberzellkarzinoms – Abgeschlagenheit, Müdigkeit – Oberbauchbeschwerden, ggf. Gelbsucht (Ikterus)

Diagnostik ● ●

● ●

ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung Laborparameter: – Transaminasen (GOT, GPT, Gamma-GT) – Gerinnungsparameter (Quick, INR, pTT): geben Hinweis auf eine Leberinsuffizienz – Abnahme einer Hepatitisserologie (d. h. Bestimmung von Hepatitisantikörpern im Blut): zum Ausschluss einer Virushepatitis Sonografie der Leber ggf. Leberbiopsie

Therapie Die Therapie richtet sich nach der Ursache. Handelt es sich um eine Virushepatitis, wird wie folgt behandelt: ● akute Hepatitis: meist symptomatisch, zusätzlich Verzicht auf leberschädigende Stoffe (z. B. Alkohol) ● chronische Hepatitis: antivirale Therapie, zusätzlich symptomatische Behandlung bei Leberinsuffizienz (z. B. Gabe von Blutgerinnungsfaktoren)







Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 Mobilisation und Körperpflege: individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4)

ACHTUNG Bei Patienten mit chronischer Hepatitis (und Leberzirrhose) muss der Blutzucker regelmäßig kontrolliert werden, da aufgrund der eingeschränkten Leberfunktion die Produktion von Glukose in der Leber (Glukoneogenese) eingeschränkt ist. Hygienemaßnahmen • Pflegende sollten im Umgang mit Erkrankten besondere Hygienemaßnahmen einhalten. Hierzu gehören das Tragen von Handschuhen und der besonders vorsichtige Umgang mit infektiösen Gegenständen (z. B. Kanülen). Darüber hinaus müssen Patienten mit Hepatitis A isoliert werden. Bei Hepatitis B und C hingegen ist eine Isolation nicht nötig.

KOMPAK T Hepatitis ●



Impfung Gegen die Virushepatitis A und B kann geimpft werden. Die STIKO (Ständige Impfkommission) empfiehlt die Impfung gegen Hepatitis A für besonders gefährdete Personen. Hierzu gehören u. a. medizinisches Personal, Menschen mit chronischen Lebererkrankungen, homosexuell aktive Männer und Reisende in Länder mit hoher Hepatitisprävalenz (z. B. Türkei, Ägypten, Asien, Afrika). Die Impfung gegen Hepatitis B gehört seit 1995 zum regulären Impfprogramm für Kinder. Im Erwachsenenalter sollten nur besonders gefährdete Personen geimpft werden. Genau wie bei der Hepatitis A sind dies Menschen mit chronischen Lebererkrankungen, homosexuell aktive Männer und medizinisches Personal. Eine Impfung gegen Hepatitis B wird mittels Antikörpertest auf ihre Wirksamkeit überprüft und sollte bei ausreichendem Antikörperstatus alle 10 Jahre aufgefrischt werden.

Pflege ●

Beobachten: – Stuhl: auf Veränderungen hinsichtlich Farbe, Beimengung, Konsistenz und Häufigkeit beobachten (siehe Kap. 20.2). Häufig wird ein gräulich lehmfarbiger Stuhl (acholischer Stuhl) beobachtet. Diese Farbe deutet auf eine Erkrankung von Galle, Pankreas oder Leber hin. – Blutzucker kontrollieren (gibt Hinweis auf Leberschäden) – Haut und Schleimhäute (Gelbfärbung?) – Schmerzen im Oberbauch (aufgrund einer Leberschwellung)







Bei einer Hepatitis handelt es sich um eine Entzündung der Leber. Ursache: Virusinfektion, Stoffwechselerkrankungen, fortschreitende Fettleber Hepatitis A wird fäkal-oral übertragen und heilt folgenlos aus. Hepatitis B und C werden durch Blut-zu-Blut-Kontakte übertragen und können einen chronischen Verlauf annehmen. Eine Impfung ist gegen Hepatitis A und B möglich und u. a. für Krankenpflegepersonal empfohlen.

56.3.10 Leberzirrhose Definition Leberzirrhose Es handelt sich um eine chronische Erkrankung, bei der das Lebergewebe in unbrauchbares, fibrotisches Bindegewebe umgebaut wird. Hierdurch kann die Leber wichtige Stoffwechselleistungen nicht mehr erbringen. Zusätzlich steigt der Blutwiderstand innerhalb des Organs. Hierdurch staut sich das Blut zurück (Leberstauung) und es sammelt sich Flüssigkeit (Aszites) im Bauchraum.

Ursachen Jegliche Art von Leberschädigung kann zur Leberzirrhose führen. Hierunter fallen: ● chronische Virushepatitis ● Alkoholabusus ● bestimmte Stoffwechselerkrankungen (z. B. Morbus Wilson) ● fortgeschrittene Herzinsuffizienz (kardiale Zirrhose) ● bestimmte Tropenkrankheiten (z. B. Bilharziose)

l 56

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems

Symptome ●



Symptome der Leberinsuffizienz – gesteigerte Blutungsneigung (durch die fehlende Synthese von Gerinnungsfaktoren) – Ikterus (durch fehlenden Abbau von Hämoglobin) – Juckreiz (u. a. durch gestörten Abbau giftiger Abfallprodukte des Körpers) – hormonelle Störungen (Bauchglatze, Gynäkomastie, Menstruationsstörungen) – hepatische Enzephalopathie (durch fehlenden Abbau von Ammoniak) Symptome der Leberstauung (portale Hypertension) – Krampfadern (Varizen) in Magen und Speiseröhre – Hämorrhoiden – verstärkte Venenzeichnung am Bauch (Caput medusae) – Aszites – Vergrößerung der Milz (Hyperspleniesyndrom)

Komplikationen Die Ösophagusvarizenblutung gehört zu einer der schwersten Komplikationen. Die Blutung muss umgehend endoskopisch gestillt werden. Gleichzeitig werden verbleibende Varizen abgebunden (Banding). Eine Spätkomplikation der Leberzirrhose ist das hepatozelluläre Karzinom.

Diagnostik ● ●



ärztliche Anamnese und klinische Untersuchung Laborparameter: erhöhte Leberwerte (GOT, GPT, GammaGT, Bilirubin) und eingeschränkte Blutgerinnung Im fortgeschrittenen Stadium ist die Leberzirrhose auch sonografisch nachzuweisen.

Therapie ● ●





fortschreitende, nicht heilbare Krankheit Therapie der Grunderkrankung (z. B. Behandlung der Virushepatitis, Therapie einer Alkoholabhängigkeit) Behandlung der Komplikationen (z. B. endoskopisches Banding bei Ösophagusvarizen, eiweißarme Kost bei hepatische Enzephalopathie, Aszitespunktion) Lebertransplantation: einzige kurative (heilende) Therapie, die nur in speziellen Zentren durchgeführt wird. Im Jahr 2017 wurde 665 Lebertransplantationen durchgeführt.

Pflege Beobachten ● Vitalparameter: 2–3-mal täglich erfassen ● Flüssigkeitsbilanz und tägliches Wiegen, um die Entwicklung von Aszites zu erkennen ● Bauchumfang messen (bei Aszites) ● Blutzucker kontrollieren (gibt Hinweis auf Leberschäden) ● Haut und Schleimhäute (Gelbfärbung? Pergamenthaut? Juckreiz? Einblutungen?) ● Bewusstsein: Desorientierung bei hepatischer Enzephalopathie

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Schmerzen: häufig im Oberbauch aufgrund der Leberschwellung Stuhl: ● auf Veränderungen hinsichtlich Farbe und Beimengung beobachten (siehe Kap. 20.2) ● auf regelmäßigen Stuhlgang achten; ggf. Gabe von Lactulose, um den enterohepatischen Kreislauf giftiger Substanzen zu unterbrechen

Mobilisation und Körperpflege • Im Verlauf der Erkrankung nimmt die Selbstständigkeit häufig stark ab. ● individuelle Unterstützung je nach Allgemeinzustand ● körperliche Schonung, Belastungen vermeiden ● Hautpflege mit W/O-Lotion bei Pergamenthaut und um Juckreiz vorzubeugen/zu behandeln ● weiche Zahnbürsten benutzen (bei erhöhter Blutungsneigung) ● Trockenrasur (bei erhöhter Blutungsneigung) ● auf bequeme Kleidung achten (besonders bei Aszites) Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). ● Sturzprophylaxe: besonders bei erhöhter Blutungsneigung und Koordinationsstörungen (bei hepatischer Enzephalopathie) ● Pneumonieprophylaxe: besonders bei Aszites und daraus resultierendem Zwerchfellhochstand und Dyspnoe Ernährung • Ausgewogene, salz- und fettarme Ernährung, mehrere kleine Mahlzeiten pro Tag ● bei hepatischer Enzephalopathie: ggf. parenterale Zuführung von Aminosäuren ● bei Aszites: Flüssigkeitsbeschränkung: ggf. parenterale Zuführung von Humanalbumin Psychosoziale Begleitung • Gesprächsbereitschaft signalisieren, ggf. palliative Pflege (siehe Kap. 46) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten ● Erkrankung, mögliche Symptome und Verlauf (zur Förderung der Compliance) ● negativen Einfluss von leberschädigenden Stoffen (z. B. Alkohol, Paracetamol)

ACHTUNG Desorientierung und Koordinationsstörungen sind Anzeichen einer hepatischen Enzephalopathie. Sie können aber auch im Rahmen einer alkoholinduzierten Hepatitis auf ein beginnendes Alkoholentzugsdelir hindeuten.

Erkrankungen des Verdauungssystems

56.3.11 Gallenerkrankungen KOMPAK T

Definition Gallenerkrankungen

Leberzirrhose ●









Bei einer Leberzirrhose baut sich funktionsfähiges in funktionsloses Lebergewebe um. Ursache: chronische Leberschädigung, z. B. durch Virushepatitis, Alkoholabusus, Herzinsuffizienz Durch den fibrotischen Umbau der Leber kommt es zur Leberstauung (portale Hypertension). Die Folge sind u. a. Aszites und Ösophagusvarizen. Die Heilung der Erkrankung ist nur durch eine Lebertransplantation möglich. Pflege: Beobachten von z. B. Blutungen, Aszites, Bewusstsein, Blutzucker), körperliche Schonung, Informieren über leberschädigende Stoffe

Erkrankungen der Gallenblase und der Gallenwege sind fast immer durch Gallensteine bedingt. Folgende Erkrankungen werden zusammengefasst (▶ Abb. 56.5): ● Cholezystolithiasis = Gallensteine in der Gallenblase ● Cholezystitis = Gallenblasenentzündung ● Choledocholithiasis = Gallensteine im Gallengang ● Cholangitis = Entzündung des Gallengangsystems

Ursachen Gallensteine entstehen durch ein Ungleichgewicht gelöster Substanzen innerhalb der Gallenflüssigkeit. Hierdurch fallen feste Substanzen aus und es kommt zur Entstehung von Gallensteinen. Typische Risikofaktoren lassen sich als die „6 F“ zusammenfassen:

Abb. 56.5 Gallenerkrankungen im Überblick.

Leber Gallenblasengang (Ductus cysticus)

3

Gallenblase

2 4

1

Pankreasgang

großer Gallengang (Ductus choledochus)

5

Pankreas

Papilla Vateri Zwölffingerdarm

1

Cholezystolithiasis

2

Cholezystitis

3

Choledocholithiasis

4

Cholangitis

5

Der Stein verlegt den Pankreasgang. Pankreatitis

Verschiedene Gallenerkrankungen im Überblick. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

l 56

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems ● ● ● ● ● ●

female (weiblich) fair (hellhäutig) fat (übergewichtig) forty (Alter über 40 Jahre) fertile (Geburt mehrerer Kinder) family (familiäre Veranlagung)





Symptome Befinden sich Gallensteine ausschließlich in der Gallenblase (Cholezystolithiasis), verspürt der Patient i. d. R. keine Beschwerden. Erst wenn die Wand der Gallenblase gereizt wird (Cholezystitis), treten kolikartige, d. h. an- und abschwellende Schmerzen im rechten Oberbauch auf. Meist werden die Schmerzen durch fettreiche Mahlzeiten ausgelöst. Schreitet die Entzündung weiter fort, kann es zum Platzen (Perforation) der Gallenblase kommen. Wird der Gallengang durch einen Stein verstopft (Choledocholithiasis), kommt es zum Verschlussikterus mit Gelbfärbung der Skleren. Zusätzlich sind begleitende Symptome wie Übelkeit und Erbrechen möglich.









Schmerzmanagement: – bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 – ggf. bauchdeckenentspannende Positionierung anbieten Ernährung: – Kostaufbau nach ca. 12 Stunden mit Tee und Zwieback (auf Arztanordnung) – bei Nahrungskarenz Parotitisprophylaxe berücksichtigen (siehe Kap. 21.4) Mobilisation: an die Bettkante am Operationsabend (bei laparoskopischem Eingriff) Drainagen: Pflege der T-Drainage (nur bei konventioneller OP, dient dem postoperativen Gallenabfluss, Kap. 25.3): Fixierung mit Pflasterstreifen an der Bauchdecke, nach 8–12 Tagen abklemmen und 24 Std. später entfernen (auf Arztanordnung) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Beratung des Patienten zu fettarmer Ernährung, Gewichtsreduktion und sportlicher Aktivität psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, Zeit nehmen

Diagnostik

KOMPAK T

Die Standarduntersuchung bei Erkrankungen von Gallewegen und Gallenblase ist die Sonografie. Auf diese Weise erkennt der Arzt das Vorhandensein von Steinen in der Gallenblase (Cholezystolithiasis), eine Entzündung der Gallenblasenwand (Cholezystitis) sowie den Verschluss des Gallengangs mit Aufstau der Gallenflüssigkeit. Unterstützt wird dieses Verfahren durch entsprechende Labordiagnostik (Bilirubin, AP, GOT, GPT, Gamma-GT).

Gallenerkrankungen ●

● ●

Therapie ●

● ●

● ●

schmerz- und krampflösende Medikamente (z. B. Novaminsulfon und Buscopan) zur symptomatischen Therapie Nahrungskarenz im akuten Stadium Antibiotika bei einer Entzündung (Cholezystitis oder Cholangitis) ERCP (S. 379) bei Choledocholithiasis Cholezystektomie (Entfernung der Gallenblase) bei Cholezystitis und symptomatischer Cholezystolithiasis. Die Operation wird meist laparoskopisch, selten konventionell offen durchgeführt.

Pflege bei Cholezystektomie Präoperative Pflege • Die präoperativen Vorbereitungen entsprechen der normalen präoperativen Pflege (Kap. 41.1). Die Rasur erfolgt von den Mamillen bis zu den Leisten. Postoperative Pflege • Neben der allgemeinen postoperativen Pflege (Kap. 41.3) sind folgende Besonderheiten zu beachten: ● Beobachtung: – Kontrolle der Vitalparameter (Fieber?) und des Stuhlgangs – Blutentnahme am 2. Tag zur Kontrolle der Bauchspeicheldrüsenenzyme und Cholestaseparameter (alkalische Phosphatase, Gamma-GT, Bilirubin), um eine Pankreatitis frühzeitig zu erkennen

390





Cholezystolithiasis (Gallensteine in der Gallenblase), Cholezystitis (Gallenblasenentzündung), Choledocholithiasis (Gallensteine im Gallengang), Cholangitis (Entzündung des Gallengangsystems) Diagnostik: Sonografie und Laborparameter Symptome: meist keine Beschwerden, später kolikartige Schmerzen, Verschlussikterus, Übelkeit und Erbrechen Therapie: ERCP, laparoskopische Cholezystektomie, Antibiotikatherapie perioperative Pflege bei Cholezystektomie

56.3.12 Pankreatitis Definition Pankreatitis Entzündung der Bauchspeicheldrüse. Es wird zwischen einer akuten und einer chronischen Form unterschieden.

Ursachen ●



akute Pankreatitis: Choledocholithiasis mit Verschlussikterus (55 %), chronischer Alkoholabusus (35 %), medikamenteninduziert, Virusinfektionen, nach ERCP chronische Pankreatitis: chronischer Alkoholabusus (80 %), ohne erkennbare Ursache (15 %), medikamenteninduziert

Symptome Typisch sind gürtelförmige Oberbauchbeschwerden. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung fällt meist ein „gummiartiger“ Bauch auf. Weitere Symptome sind Erbrechen, Übelkeit, Fieber und Meteorismus (Blähbauch). Bei einer akuten Pankreatitis kann es durch das „Ausschwitzen“ von Verdauungssekret zu einem Volumenman-

Erkrankungen des Verdauungssystems gelschock kommen. Gleichzeitig beginnt sich das Organ hierdurch selbst zu verdauen. Die Behandlung erfolgt teilweise auf der Intensivstation. Bei der chronischen Pankreatitis kommt es zu rezidivierenden Oberbauchbeschwerden. Im Verlauf kann sich eine Pankreasinsuffizienz entwickeln mit folgenden Symptomen: Hyperglykämien, Fettstühlen, Ödemen aufgrund von Eiweißmangel, Gewichtsverlust.

Diagnostik ● ● ●

Sonografie (ödematös verändertes Organ) Labordiagnostik (Entzündungswerte, Lipase erhöht) Computertomografie

Therapie Akute Pankreatitis ● Behandlung ggf. auf der Intensivstation, die Letalität liegt bei bis zu 30 %. ● intravenöser Magenschutz (Protonenpumpenhemmer, z. B. Pantozol), um ein Stressulkus (Kap. 56.3.2) zu vermeiden ● Infusionen, zum Ausgleich eines Volumendefizits (Plus-Bilanz von bis zu 3000 ml) ● ERCP (S. 379) (bei Choledocholithiasis) ● adäquate Analgesie, ggf. in Kombination mit einem PDK ● ggf. operativer Eingriff Chronische Pankreatitis • Die schubweise auftretende, anund abschwellende Schmerzsymptomatik wird im akuten Stadium wie die akute Pankreatitis therapiert. Zusätzlich: ● absoluter Verzicht auf Alkohol (wichtigste Therapieoption) ● Im beschwerdefreien Intervall müssen dem Körper die fehlenden endokrinen (z. B. Insulin) und exokrinen Substanzen (z. B. Lipase) des Pankreas medikamentös zugeführt werden. ● operative Teilentfernung des Organs, wenn die Beschwerden im akuten Schub nicht mehr beherrschbar sind und das Pankreasgewebe sich zunehmend zystisch/fibrotisch oder sogar bösartig umbaut



Sonden: ggf. nasogastrale Ablaufsonde (Kap. 25.2) mit angeschlossenem Beutel, z. B. zur Entlastung des Magens, oder bei einem paralytischen Ileus (S. 382)

Chronische Pankreatitis Medikamentenmanagement: – auf regelmäßige Mahlzeiten und pünktliche Einnahme der Pankreasenzyme (z. B. Kreon-Kapseln) achten – Pankreasenzym-Kapseln nicht öffnen oder mörsern, weil die empfindlichen Enzyme sonst durch die Magensäure zersetzt werden – Benötigt der Patient zusätzlich Insulin, darf dieses nur in streng einzuhaltender Kombination mit den Enzymen gegeben werden (Hypoglykämiegefahr!). ● Schmerzmanagement: s. o. ● psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren, Zeit nehmen, zuhören ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über: – Notwendigkeit über regelmäßige Mahlzeiten und pünktliche Einnahme der Pankreasenzyme (z. B. KreonKapseln) – Umgang mit der Einnahme von Enzymen und Insulin – Anpassung der Lebensgewohnheiten, ggf. Behandlung einer Alkoholerkrankung – passende Ernährung und Vorbeugen weiterer, akuter Schübe – Vermittlung des Patienten in Alkoholentzugsprogramme, Selbsthilfegruppen, ggf. Diabetes-Sprechstunde ●

KOMPAK T Pankreatitis ●

Pflege Akute Pankreatitis ● Beobachten: – Aussehen des Bauches beobachten (z. B. glänzend, gespannt, Umfangszunahme) – Vitalparameter erfassen (kontinuierlich per Monitoring) – Flüssigkeitsbilanz, ggf. Infusionsmanagement ● Schmerzmanagement: – bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 – ggf. bauchdeckenentspannende Positionierung anbieten ● Mobilisation: vor der Mobilisation Blutdruck messen, um die Kreislaufsituation einzuschätzen (Flüssigkeitsmangel?) ● Ernährung: – Kostaufbau mit Schonkost: Der Patient darf essen, was er verträgt (ggf. enterale Ernährung über eine jejunale Magensonde, siehe Kap. 25.2). – Verzicht auf Alkohol, Nikotin und Kaffee





Bei der akuten Pankreatitis handelt es sich um schweres Krankheitsbild, das ggf. auf der Intensivstation überwacht werden muss. Typisches Symptom sind gürtelförmige Oberbauchbeschwerden. – Diagnostik: Sonografie und Laborparameter – Ursache: v. a. Choledocholithiasis – Therapie und Pflege: Pankreas mittels Schonkost entlasten, ausreichende Analgesie Eine chronische Pankreatitis verläuft symptomärmer. – Ursache: v. a. Alkoholabusus – Therapie und Pflege: Alkoholverzicht, Schmerzmanagement, Einnahmen von Pankreasenzymen, ggf. OP Komplikation: Pankreasinsuffizienz, die sich u. a. durch Hyperglykämien, Fettstühle, Gewichtsverlust zeigt. Häufig entwickeln Betroffene einen Diabetes mellitus.

56.3.13 Bauchwandhernien Definition Bauchwandhernien Bei einer Hernie (Bruch) stülpt sich das Bauchfell (Peritoneum parietale) sackartig durch eine angeborene oder erworbene Lücke der Bauchmuskulatur (= Bruchpforte) nach außen. Der so entstehende Bruchsack kann neben Bauchfell auch Anteile des Darms enthalten. Zu den häufigsten Bauchwandhernien gehört die Leistenhernie.

l 56

Pflege bei Erkrankungen des Verdauungssystems Abb. 56.6 Pathophysiologie einer Bauchwandhernie.

Haut parietales Bauchfell (Peritoneum parietale)

Darmschlingen

Bruchpforte Bruchsack

Bruchinhalt

Symptome Häufig verursacht eine Bauchwandhernie nur geringe Beschwerden. Schmerzen treten besonders beim Anspannen der Bauchmuskulatur auf. Im fortgeschrittenen Stadium kann eine äußerliche Schwellung sichtbar sein. Die gefürchtetste Komplikation ist eine Inkarzeration. Hierbei klemmen Darminhalte im Bereich der Bruchpforte ein und sterben infolge einer Minderdurchblutung ab. Eine Operation ist in diesem Fall Therapie der Wahl.

Diagnostik ● ●

Abtasten typischer Bruchpforten am stehenden Patienten Sonografie

Bruchhüllen

Therapie Der Bruchsack ist von Bauchfell ausgekleidet und kann Darmabschnitte enthalten. Aus: I care – Krankheitslehre. Thieme; 2015

Ursachen Eine Hernie entsteht, wenn die Bauchmuskulatur dem intraabdominellen Druck nicht standhält und einreißt bzw. bricht (▶ Abb. 56.6). Zu den häufigsten Ursachen zählen: ● Bindegewebsschwäche ● chronische Verstopfung ● schweres Heben ● chronisches Husten (z. B. COPD) ● Schwangerschaft ● Aszites ● Adipositas ● Narben der Bauchmuskulatur (z. B. nach Operationen) Grundsätzlich werden unterschieden: angeborene Hernien (selten): Die Bruchpforte ist ein Relikt der Embryonalentwicklung und hat sich in deren Verlauf nicht vollständig verschlossen. ● erworbene Hernien (häufig): Durch eine anlagebedingte Bindegewebsschwäche und/oder erhöhten Druck im Bauchraum (schweres Heben, Aszites, chronische Verstopfung) entstehen in der Bauchmuskulatur kleinste Risse, die sich im weiteren Verlauf zur Bruchpforte entwickeln. ●

Je nachdem an welcher Stelle der Bauchmuskulatur es zur Bruchpforte kommt, werden folgende Hernien unterschieden: ● Leistenhernie (am häufigsten): Die Bruchpforte liegt im Bereich des Leistenkanals (angeboren oder erworben, in ca. 90 % der Fälle sind Männer betroffen). ● Narbenhernie: Die Bruchpforte liegt im Bereich einer Narbe (häufig nach großen Bauchoperationen). ● Nabelhernie: Die Bruchpforte liegt im Bereich des Bauchnabels (häufig angeboren, bei Frühgeborenen). ● Schenkelhernie: Die Bruchpforte liegt unterhalb des Leistenkanals (sehr selten, bei adipösen, älteren Frauen).

Aufgrund der Gefahr einer Inkarzeration sollten Bauchwandhernien operativ verschlossen werden. Die Operation wird in den meisten Fällen minimalinvasiv (laparoskopisch) vorgenommen. Hierbei wird der Inhalt des Bruchsacks in den Bauchraum zurückverlagert und die Bruchpforte, teilweise unter Zuhilfenahme eines Netzes, operativ verschlossen.

Pflege Präoperative Pflege • Vor der Operation sollten Pflegende auf mögliche Symptome einer Inkarzeration (z. B. plötzliche Bauchschmerzen) achten. Postoperative Pflege • Postoperativ sollten neben der allgemeinen postoperativen Versorgung (siehe Kap. 41.3; Schmerzen? Nachblutung? Infektion?) folgende Punkte beachtet werden: ● Mobilisation: Frühmobilisation bereits am Tag der Operation ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – Um das Risiko eines postoperativen Hodenhämatoms (sehr schmerzhaft) zu reduzieren, sollten Männer einen engsitzenden Slip tragen (8 Tage). – abhängig von Hernienart und Operationstechnik: körperliche Schonung, Verzicht auf schweres Heben (4 Wochen), auf Intimverkehr verzichten (eine Woche)

KOMPAK T Bauchwandhernien ●





● ●

392

Bei einer Bauchwandhernie stülpt sich das Bauchfell sackartig durch eine Lücke der Bauchmuskulatur nach außen. Zu den häufigsten Bauchwandhernien gehören die Leistenhernien. Ursachen: chronische Verstopfung, schweres Heben, Übergewicht – angeboren (selten), erworben (häufig) Symptome: gering, ggf. Schmerzen bei Anspannung der Bauchmuskulatur Komplikation: Inkarzeration Therapie: (laparoskopische) Operation

Erkrankungen des Verdauungssystems

56.3.14 Peritonitis Definition Peritonitis Bei einer Peritonitis handelt es sich um eine Entzündung des Bauchfells. Weil dieses den gesamten Bauchraum ausfüllt, kann das gesamte Abdomen betroffen sein.

Ursachen Jede Entzündung (z. B. Cholezystitis, Appendizitis) oder nicht ausreichend sterile Operation innerhalb des Bauchraumes kann zur Peritonitis führen. Die häufigste Ursache ist eine Appendizitis. Eine spontan bakterielle Peritonitis entwickeln ca. 15 % der Patienten mit Aszites (= abdominelle Wasseransammlung). Hierbei durchdringen Darmbakterien die Darmwand und infizieren so das Bauchfell.

Symptome Typisch sind ein abdomineller Druckschmerz mit Abwehrspannung sowie starkes allgemeines Krankheitsgefühl mit hohem Fieber. Im weiteren Verlauf wird durch ein septisches Schockgeschehen das Herz-Kreislauf-System in Mitleidenschaft gezogen. Folge ist häufig die Behandlung auf einer Intensivstation. Trotz Therapie kann eine fulminante Peritonitis auch heute noch tödlich verlaufen.

Diagnostik Das diagnostische Vorgehen entspricht dem bei einem akuten Abdomen (körperliche Untersuchung, Blutentnahme mit Entzündungswerten, CT, Sonografie).

Therapie Neben einer intravenös verabreichten Antibiotikatherapie und intensivmedizinischer Überwachung gilt es, die Ursache der Peritonitis ausfindig zu machen und schnellstmöglich zu behandeln.

Pflege ●



Beobachtung: – intensivmedizinische Überwachung – Flüssigkeitshaushalt, bei septischem Schock (Urinmenge? Hautzustand?) Medikamentenmanagement: Gabe und Überwachung der Antibiotikatherapie

57

Pflege bei Erkrankungen der Niere und der Harnwege, Störungen des Wasser- und Säure-Basen-Haushalts

Kreatinin BGA

Säure-, Basen-, Wasserund Elektrolythaushalt S. 406

Elektrolyte Labor

Biopsie

Urethrozystoskopie

Eiweiß ↓

Ernährung

Urinstatus

Kreatinin-Clearance

Trinkmengenbeschränkung

NaCl↓

Pflege, z.B.

Sonografie

Prophylaxen Beobachtung

Diagnostik, z.B.

Bilanzierung Gewicht

nephritisches Syndrom

nephrotisches Syndrom

Urin Jucken

Hämaturie

Hypertonie

Ödeme

ausreichend Flüssigkeit

Algurie

Proteinurie > 3g/d

Hygiene

Hämaturie Symptome, z.B. Symptome, z.B. primär

Prävention, z.B.

Erkrankungen, z.B. sekundär Therapie, z.B.

Glomerulonephritis

Harnwegsinfekt Nierensteinleiden

Antibiotika

Nierenversagen

Glukokortikoide

chronisch

Therapie, z.B. Nierentransplantation

Nierenischämie

Nierenersatztherapie

Hämofiltration

Urämie

akut

Symptome, z.B.

Diuretika

Dialyse AV-Shunt

5 Stadien

Peritonealdialyse

Schock

!

Nierenarterienstenose

Ödeme

Juckreiz

Übelkeit, Erbrechen

Anatomie und Physiologie der Niere

57.1 Anatomie und Physiologie der Niere 57.1.1 Aufgaben, Lage, Form und Größe der Niere Die Aufgaben der Niere (Ren) sind: ● Harnproduktion ● Regulation des Wasser- und Elektrolythaushalts ● Regulation des Säure-Basen-Haushalts ● Reinigung und Entgiftung des Körpers ● Hormonproduktion (u. a. zur Steuerung von Blutdruck, Blutbildung und Knochenstoffwechsel) Beide Nieren liegen retroperitoneal rechts und links neben der Wirbelsäule. Ihre Form ähnelt einer Bohne von ca. 12 cm Länge, 5 cm Breite und 4 cm Dicke. Oberhalb jeder Niere liegen die Nebennieren, die zusammen mit den Nieren von einer Fett- und Bindegewebskapsel umgeben sind.



ren Filtration entsteht der Primärharn, die unkonzentrierte Vorstufe des Urins (ca. 180 l/Tag). Nierenkanälchen: Es verläuft vom Glomerulus in einer Schleife („Henle-Schleife“) durch das Nierenmark und zurück zur Rinde. In ihm wird der Primärharn durch Sekretion (z. B. Abbauprodukte) und Resorption (z. B. Zucker, Proteine, Aminosäuren, Na+, Wasser) auf ca. 1 % der Menge konzentriert (ca. 1,5 l/Tag). Über zum Nierenbecken verlaufende Sammelrohre wird der Harn dann ins Nierenbecken entleert.

Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und Kreatinin-Clearance • Die GFR beschreibt die Menge des Primärharns, die pro Minute von allen Glomeruli beider Nieren gebildet wird. Dadurch kann die Funktion der Niere beurteilt werden. Bei jungen Erwachsenen werden ca. 120 ml/Min. Primärharn gebildet. Die GFR kann durch die Bestimmung der Kreatinin-Clearance geschätzt werden. Diese wird ebenfalls in ml/ Min. angegeben und entspricht dem Plasmavolumen, das pro Zeiteinheit von Kreatinin gereinigt wird.

Nephron

Nierenschwelle • Die Menge eines Stoffes, die maximal von der Niere resorbiert werden kann, bezeichnet man als Nierenschwelle. Wird sie überschritten, wird der Stoff mit dem Urin ausgeschieden. Beispiel: Glukosurie bei Diabetes mellitus.

Die funktionelle Einheit der Niere, in der der Harn gebildet wird, nennt man Nephron. Jedes Nephron besteht aus zwei Anteilen: ● Nierenkörperchen: Es liegt in der Nierenrinde und besteht v. a. aus einem Kapillarknäuel (Glomerulus). Durch feine Poren in diesen Kapillaren werden durch den Blutdruck Wasser und Moleküle „abgepresst“. Bei dieser glomerulä-

Urinmenge und Urinzusammensetzung • Ein gesunder Erwachsener scheidet pro Tag ca. 1,5 l Urin aus. Entsprechend der Trinkmenge ist die Urinfarbe unterschiedlich. Sie ist sehr hell (wenig konzentriert) bis dunkelgelb (stark konzentriert). Der gelbe Farbton wird durch Hämoglobinabbauprodukte verursacht (Urochrome).

57.1.2 Aufbau und Funktion

Abb. 57.1 Aufbau der Niere.

Nierenrinde (Cortex renalis)

oberer Nierenpol Markpyramide (Pyramis renalis)

Nierenmark (Medulla renalis)

Nierenkelche (Calices renales)

Nierenpapille (Papilla renalis)

innerer Nierenrand Nierenarterie (A. renalis) Nierenhilum

Nierensäule (Columna renalis)

Nierenvene (V. renalis)

Bindegewebskapsel (Capsula fibrosa)

Nierenbecken (Pelvis renalis)

äußerer Nierenrand

Harnleiter (Ureter)

unterer Nierenpol

Rechte Niere von hinten betrachtet. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere Der Urin besteht zu 95 % aus Wasser, die restlichen 5 % machen vor allem die harnpflichtigen Substanzen aus. Das sind Stoffe, die der Körper zwingend über die Niere ausscheiden muss. Die wichtigsten harnpflichtigen Substanzen sind: ● Harnstoff: ein Proteinabbauprodukt ● Harnsäure: ein Abbauprodukt des Nukleinsäurestoffwechsels ● Kreatinin: stammt aus dem Muskelstoffwechsel und aus fleischhaltiger Nahrung

Regulationsmechanismen der Niere Zur Aufrechterhaltung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts verfügt die Niere über Mechanismen, die auch bei schwankendem Blutdruck die GFR weitgehend konstant halten: ● myogene Autoregulation (Bayliss-Effekt): Eine Erhöhung des systemischen Blutdrucks führt zur Konstriktion der kleinen Blutgefäße, die die Glomeruli mit Blut versorgen (Vasa afferentia). Die Durchblutung der Glomeruli bleibt dadurch im systolischen Blutdruckbereich von ca. 80– 160 mmHg konstant. ● tubuloglomeruläre Rückkopplung: Dieser Mechanismus findet am „juxtaglomerulären Apparat“ statt. Dieses ZellKonglomerat liegt dort, wo die kleinen zu- und abführenden Blutgefäße (Vasa afferentia und efferentia) in den Glomerulus ein- bzw. austreten. Teil dieses Apparates ist die „Macula densa“. Sie misst die NaCl-Konzentration im distalen Tubulus. Ist diese erhöht, verengt sich das Vas afferens des Glomerulus. Hierdurch wird der Bluteinstrom in den Glomerulus vermindert und die GFR sinkt. Der Körper „spart“ Flüssigkeit. ● Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS): Sinkt der Blutdruck systolisch unter 80 mmHg, wird im „Polkissen“ des juxtaglomerulären Apparates Renin freigesetzt. Renin bildet aus Angiotensinogen das Hormon Angiotensin I. ACE (Angiotensin-Converting Enzyme) macht daraus Angiotensin II. Dieses wirkt direkt vasokonstriktorisch. Dadurch steigt der Blutdruck und die Vasa efferentia verengen sich. Zudem fördert Angiotensin II die Ausschüttung von Aldosteron und ADH, was die Rückresorption von Na+ und Wasser fördert.

Hormonproduktion ●



Erythropoetin (EPO): wird bei Sauerstoffmangel aus dem Nierengewebe freigesetzt. Es fördert die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark. Vitamin D3: entsteht in den Zellen des distalen Tubulus durch Umwandlung des inaktiven Vitamin D2 in seine aktive Form.

KOMPAK T Aufbau und Funktion der Niere ●









Aufgaben: Harnproduktion, Regulation von Wasser-/ Elektrolyt-/Säure-Basen-Haushalt, Hormonproduktion (Blutdruck!), Ausscheidung von Abbauprodukten funktionelle Einheiten: Nephron (Harnproduktion in Nierenkörperchen und Nierenkanälchen) und juxtaglomerulärer Apparat (Regulation der Primärharnproduktion) renale Ausscheidung (Harn) = Filtration + Sekretion – Resorption glomeruläre Filtrationsrate (GFR): Menge des Primärharns, die pro Minute von allen Glomeruli beider Nieren gebildet wird Der Mensch bildet pro Tag ca. 180 Liter Primärharn, der auf ca. 1,5 l Sekundärharn konzentriert wird.

57.2 Anatomie und Physiologie der ableitenden Harnwege Zu den ableitenden Harnwegen gehören: ● Nierenbecken ● Harnleiter ● Harnblase ● Harnröhre

57.2.1 Nierenbecken und Harnleiter Das Nierenbecken liegt zentral in der Niere. Mit seinen Nierenkelchen fängt es den Harn aus den Sammelrohren auf und geht am Nierenhilus in den Harnleiter über. Die Harnleiter (Ureteren, Einzahl: Ureter) ziehen vom rechten bzw. linken Nierenhilus zur Harnblase. Die Harnleiter verlaufen retroperitoneal und münden in die Harnblase. Beide Strukturen, sowohl das Nierenbecken als auch der Harnleiter, sind mit einem mehrschichtigen Übergangsepithel, dem Urothel, ausgekleidet. Die Kontraktion der Harnleiterwand wird durch den Sympathikus gehemmt und durch den Parasympathikus gesteigert.

57.2.2 Harnblase Aufbau Die Harnblase (Vesica urinaria) liegt im kleinen Becken hinter der Schambeinfuge. Bei starker Füllung reicht sie über diese hinaus. Den größten Teil der Blase macht der Blasenkörper aus. Der Übergang von der Harnblase zur Harnröhre wird Blasenhals genannt.

Feinbau Die Schleimhaut der leeren Harnblase hat viele Falten und liegt der Muskelschicht nur locker auf, damit sich die Harnblasenwand dehnen kann. Im Bereich des Blasenhalses liegt der innere Harnröhrensphinkter (M. sphincter urethrae in-

396

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Pflege bei Erkrankungen der Niere Der Urin besteht zu 95 % aus Wasser, die restlichen 5 % machen vor allem die harnpflichtigen Substanzen aus. Das sind Stoffe, die der Körper zwingend über die Niere ausscheiden muss. Die wichtigsten harnpflichtigen Substanzen sind: ● Harnstoff: ein Proteinabbauprodukt ● Harnsäure: ein Abbauprodukt des Nukleinsäurestoffwechsels ● Kreatinin: stammt aus dem Muskelstoffwechsel und aus fleischhaltiger Nahrung

Regulationsmechanismen der Niere Zur Aufrechterhaltung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts verfügt die Niere über Mechanismen, die auch bei schwankendem Blutdruck die GFR weitgehend konstant halten: ● myogene Autoregulation (Bayliss-Effekt): Eine Erhöhung des systemischen Blutdrucks führt zur Konstriktion der kleinen Blutgefäße, die die Glomeruli mit Blut versorgen (Vasa afferentia). Die Durchblutung der Glomeruli bleibt dadurch im systolischen Blutdruckbereich von ca. 80– 160 mmHg konstant. ● tubuloglomeruläre Rückkopplung: Dieser Mechanismus findet am „juxtaglomerulären Apparat“ statt. Dieses ZellKonglomerat liegt dort, wo die kleinen zu- und abführenden Blutgefäße (Vasa afferentia und efferentia) in den Glomerulus ein- bzw. austreten. Teil dieses Apparates ist die „Macula densa“. Sie misst die NaCl-Konzentration im distalen Tubulus. Ist diese erhöht, verengt sich das Vas afferens des Glomerulus. Hierdurch wird der Bluteinstrom in den Glomerulus vermindert und die GFR sinkt. Der Körper „spart“ Flüssigkeit. ● Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS): Sinkt der Blutdruck systolisch unter 80 mmHg, wird im „Polkissen“ des juxtaglomerulären Apparates Renin freigesetzt. Renin bildet aus Angiotensinogen das Hormon Angiotensin I. ACE (Angiotensin-Converting Enzyme) macht daraus Angiotensin II. Dieses wirkt direkt vasokonstriktorisch. Dadurch steigt der Blutdruck und die Vasa efferentia verengen sich. Zudem fördert Angiotensin II die Ausschüttung von Aldosteron und ADH, was die Rückresorption von Na+ und Wasser fördert.

Hormonproduktion ●



Erythropoetin (EPO): wird bei Sauerstoffmangel aus dem Nierengewebe freigesetzt. Es fördert die Bildung roter Blutkörperchen im Knochenmark. Vitamin D3: entsteht in den Zellen des distalen Tubulus durch Umwandlung des inaktiven Vitamin D2 in seine aktive Form.

KOMPAK T Aufbau und Funktion der Niere ●









Aufgaben: Harnproduktion, Regulation von Wasser-/ Elektrolyt-/Säure-Basen-Haushalt, Hormonproduktion (Blutdruck!), Ausscheidung von Abbauprodukten funktionelle Einheiten: Nephron (Harnproduktion in Nierenkörperchen und Nierenkanälchen) und juxtaglomerulärer Apparat (Regulation der Primärharnproduktion) renale Ausscheidung (Harn) = Filtration + Sekretion – Resorption glomeruläre Filtrationsrate (GFR): Menge des Primärharns, die pro Minute von allen Glomeruli beider Nieren gebildet wird Der Mensch bildet pro Tag ca. 180 Liter Primärharn, der auf ca. 1,5 l Sekundärharn konzentriert wird.

57.2 Anatomie und Physiologie der ableitenden Harnwege Zu den ableitenden Harnwegen gehören: ● Nierenbecken ● Harnleiter ● Harnblase ● Harnröhre

57.2.1 Nierenbecken und Harnleiter Das Nierenbecken liegt zentral in der Niere. Mit seinen Nierenkelchen fängt es den Harn aus den Sammelrohren auf und geht am Nierenhilus in den Harnleiter über. Die Harnleiter (Ureteren, Einzahl: Ureter) ziehen vom rechten bzw. linken Nierenhilus zur Harnblase. Die Harnleiter verlaufen retroperitoneal und münden in die Harnblase. Beide Strukturen, sowohl das Nierenbecken als auch der Harnleiter, sind mit einem mehrschichtigen Übergangsepithel, dem Urothel, ausgekleidet. Die Kontraktion der Harnleiterwand wird durch den Sympathikus gehemmt und durch den Parasympathikus gesteigert.

57.2.2 Harnblase Aufbau Die Harnblase (Vesica urinaria) liegt im kleinen Becken hinter der Schambeinfuge. Bei starker Füllung reicht sie über diese hinaus. Den größten Teil der Blase macht der Blasenkörper aus. Der Übergang von der Harnblase zur Harnröhre wird Blasenhals genannt.

Feinbau Die Schleimhaut der leeren Harnblase hat viele Falten und liegt der Muskelschicht nur locker auf, damit sich die Harnblasenwand dehnen kann. Im Bereich des Blasenhalses liegt der innere Harnröhrensphinkter (M. sphincter urethrae in-

396

Mitwirken bei der Diagnostik ternus), der den Beginn der Harnröhre verschließt. Zusätzlich wird der Harnröhrenverschluss vom sog. Blasenzäpfchen (Uvula vesicae) unterstützt.

KOMPAK T Aufbau der ableitenden Harnwege

57.2.3 Die Harnröhre



Aufbau Die Harnröhre (Urethra) beginnt am Blasenhals und ist in ihrem Verlauf sowie ihrer Länge geschlechtsspezifisch. Bei einer Frau ist sie 4 bis 5 cm lang und verläuft gerade zwischen dem Schambein und der Vorderwand der Scheide, wo sie hinter der Klitoris endet. Bei einem Mann ist die Harnröhre 20 cm lang und verläuft in 2 Krümmungen. Sie wird in 4 Abschnitte unterteilt: Wand-, Prostata-, Beckenboden- und Schwellkörperanteil. Außerdem gibt es in der männlichen Harnröhre 3 Engstellen, die beim Legen eines transurethralen Katheters zu berücksichtigen sind: ● in der Muskelwand der Blase ● an der Durchtrittstelle durch den Beckenboden ● an der äußeren Harnröhrenöffnung







Strukturen: Nierenbecken, Harnleiter, Harnblase, Harnröhre Alle Strukturen sind mit einem mehrschichtigen Übergangsepithel, dem Urothel, ausgekleidet. Die Harnröhre einer Frau ist 4 bis 5 cm lang und verläuft gerade. Die Harnröhre eines Mannes ist ca. 20 cm lang und verläuft in 2 Krümmungen. Abschnitte: Wand-, Prostata-, Beckenboden- und Schwellkörperanteil. Es existieren 3 Engstellen, die beim Legen eines transurethralen Katheters zu berücksichtigen sind.

57.3 Mitwirken bei der Diagnostik

Feinbau

57.3.1 Anamnese

Die Harnröhre ist in ihrem Anfangsteil mit Urothel ausgekleidet, das im weiteren Verlauf in ein mehrschichtiges unverhorntes Plattenepithel übergeht. Am Durchgang durch den Beckenboden sitzt der äußere Harnröhrensphinkter, der willkürlich gesteuert werden kann und zusammen mit dem inneren Harnröhrensphinkter sowie der Beckenbodenmuskulatur für die Kontinenz sorgt.

Bei Verdacht auf eine Nierenerkrankung umfasst die Anamnese folgende Aspekte: ● Vorerkrankungen, z. B. wiederkehrende Harnwegsinfekte ● Grunderkrankungen, z. B. arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus ● Leitsymptome, z. B. Harnblasenentleerungsstörungen, Harninkontinenz, Urinmenge, Farbe des Urins, Schmerzen, Ausfluss aus der Harnröhre ● Begleitsymptome, z. B. Müdigkeit, Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit, Juckreiz, Ödeme, Fieber ● eingenommene Medikamente

57.2.4 Harnblasenentleerung Sobald die Blase mit 150 bis 300 ml gefüllt ist, melden dies die Dehnungsrezeptoren an das Rückenmark (Sakralmark, S 2–S 4). Die zentrale Steuerung der Miktion obliegt aber dem Miktionszentrum im Gehirn. Dort wird der Harndrang wahrgenommen und eine Entscheidung für Kontinenz oder Miktion getroffen. Fällt die Entscheidung für die Miktion, öffnet der Parasympathikus den Schließmuskel und aktiviert die Blasenentleerung, die dann autonom abläuft.

! Merke Miktion bei Kleinkindern

Kleinkinder bis 3 Jahre haben noch keine komplette Schließmuskelkontrolle!

57.3.2 Klinische Untersuchung Die körperliche Untersuchung umfasst: ● Inspektion: Ödeme (Knöchel, Augenlider), Hautfarbe (bei renaler Anämie ist die Haut blass, bei Urämie gelblich bräunlich), Geruch (urinartiger Mundgeruch, sog. Foetor uraemicus) ● Palpation und Perkussion: Klopfschmerz im Bereich der Flanken, Sensibilitätsstörungen, Polyneuropathie bei Urämie ● Auskultation: Rasselgeräusche bei Lungenödem

57.3.3 Apparative Untersuchungen Laborparameter ●



● ●

Retentionsparameter: – Kreatinin: ist erhöht bei > 50 % Einschränkung der GFR – Harnstoff: ist erhöht bei > 25 % Einschränkung der GFR – Cystatin C Elektrolytkonzentration: – Kalium ↑: Niereninsuffizienz – Phosphat ↑ und Kalzium ↓: länger bestehende Nierenfunktionsstörung Blutbild: renale Anämie durch Erythropoetinmangel Blutgasanalyse: Die BGA liefert Informationen über den Säure-Basen-Haushalt.

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere

Urindiagnostik Urinstatus • Der U-Status wird anhand einer Urinprobe erhoben und umfasst die Ergebnisse aus der makroskopischen Harnbeurteilung, der Untersuchung mittels Urinteststreifen und der im Labor erhobenen Befundanalyse (sog. Sedimentanalyse). Makroskopisch werden Farbe, Menge und Geruch des Urins beurteilt. Uringewinnung: ● Mobile Patienten sollten auf der Toilette den Mittelstrahlurin in einem Becher auffangen. ● Bei Patienten mit einem Dauerkatheter wird die Urinprobe aus der Entnahmestelle des Katheters entnommen. ● Die Urinprobe wird beschriftet und ins Labor weitergeleitet.





Bildgebende Verfahren ● ●

! Merke Morgenurin bevorzugt

Der erste Urin am Morgen hat diagnostisch die größte Aussagekraft, da er aufgrund der fehlenden nächtlichen Flüssigkeitsaufnahme konzentrierter ist. Dadurch lassen sich viele Substanzen besser nachweisen. ●

Urinteststreifen (Urinstix) • Der Urinstix wird in den aufgefangenen Mittelstrahlurin gehalten. Nach 1–2 Min. werden die Testfelder durch Vergleich mit einer Referenzskala (Farbskala) bewertet. ● pH-Wert: normal zwischen 4,5 und 8 ● Leukozyten: Erhöhte Leukos im Urin (Leukozyturie) weisen auf einen Harnwegsinfekt (HWI) hin. ● Nitrit: Die häufigsten Erreger von HWI sind Bakterien, die Nitrit produzieren. Verfärbt sich dieses Feld, liegt vermutlich ein Infekt vor. ● Protein: Eine Proteinurie kann z. B. durch eine Glomerulonephritis bedingt sein. ● Glukose: Die Glukosurie ist ein Kardinalsymptom des Diabetes mellitus. ● Ketonkörper: Sie entstehen bei Glukosemangel aus der vermehrten Lipolyse (Fettverbrennung). ● Bilirubin und Urobilinogen: Diese können im Urin ggf. bei Hämolysen sowie bei Erkrankungen der Leber und der Gallenwege nachgewiesen werden. ● Erythrozyten: Mögliche Ursachen einer Hämaturie sind z. B. Tumoren, Harnwegsteine oder HWI. Ist das Blut im Urin durch die rötliche Färbung mit bloßem Auge sichtbar, spricht man von Makrohämaturie. ● spezifisches Gewicht bzw. Dichte: Gelöste Stoffe liegen im Urin in einer bestimmten Dichte vor. Diese wird in g/ml Urin gemessen. Das normale spezifische Gewicht des Urins liegt zwischen ca. 1,001 und 1,035 g/ml. Sedimentanalyse • Die Sedimentanalyse ist die mikroskopische Untersuchung des sog. Urinsediments, das durch Zentrifugation gewonnen wird. Das Sediment setzt sich dabei als „Bodensatz“ ab.

Weitere Urinuntersuchungen ● 24-Stunden-Sammelurin: zur Bestimmung der KreatininClearance (S. 395) ● Differenzierung der Eiweiße: durch Elektrophorese im Labor (SDS-PAGE)

398

Sonografie radiologische Verfahren: – Abdomenübersicht – intravenöse Pyelografie (IVP): Kontrastmittel-Darstellung des Harnabflusses aus dem Nierenbecken – Miktionszystourethrografie (MCU): Kontrast-Darstellung des Harnabflusses aus der Blase – retrograde Urethrografie (RUG): retrograde Kontrastmitteleinspritzung zur Darstellung der Harnröhre – CT und MRT – Angiografie nuklearmedizinische Verfahren

Urodynamik • Durch urodynamische Untersuchungen können die Füllung und die Entleerung der Harnblase beurteilt werden: ● Uroflowmetrie: Methode zur Messung des Harnflusses ● Zystometrie: Methode zur Messung der Druckverhältnisse in der Harnblase Urethrozystoskopie • Eine Zystoskopie ist die endoskopische Untersuchung (Spiegelung) der Harnblase. Die Spiegelung der Harnröhre (Urethra) heißt Urethroskopie. Die Untersuchung findet meist kombiniert als Urethrozystoskopie statt. Nierenbiopsie • Probenentnahme zur histopathologischen Untersuchung

57.4 Erkrankungen der Niere und der ableitenden Harnwege 57.4.1 Glomerulonephritis Definition Glomerulonephritis Glomerulonephritis ist ein Sammelbegriff für die entzündlichen Erkrankungen der Nierenkörperchen. Meist sind beide Nieren betroffen.

Ursachen ●



Bakteriologische Untersuchung (Urinkultur) • Beim Verdacht auf einen Harnwegsinfekt kann mithilfe einer Urinkultur (z. B. Uricult-Test) abgeklärt werden, ob und in welcher Menge Bakterien im Urin vorhanden sind.

Urinzytologie: genaue Untersuchung der Zellen, z. B. bei Verdacht auf ein Harnblasenkarzinom NMP22 (nukleäres Matrix-Protein 22): ein urinlöslicher Marker für Blasenkrebs

primäre Glomerulonephritis: entsteht direkt an den Nierenkörperchen, z. B. durch Ablagerung von Immunglobulin A (IgA-Glomerulonephritis) sekundäre Glomerulonephritis: entsteht als Folge einer anderen Grunderkrankung, z. B. einer Autoimmunerkrankung (z. B. Lupus erythematodes) oder einer Infektionserkrankung (z. B. nach Streptokokkeninfektion)

Symptome Wenn > 50 % der Nierenkörperchen durch die Entzündung zerstört sind, wird die Glomerulonephritis manifest mit folgenden Symptomen:

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere

Urindiagnostik Urinstatus • Der U-Status wird anhand einer Urinprobe erhoben und umfasst die Ergebnisse aus der makroskopischen Harnbeurteilung, der Untersuchung mittels Urinteststreifen und der im Labor erhobenen Befundanalyse (sog. Sedimentanalyse). Makroskopisch werden Farbe, Menge und Geruch des Urins beurteilt. Uringewinnung: ● Mobile Patienten sollten auf der Toilette den Mittelstrahlurin in einem Becher auffangen. ● Bei Patienten mit einem Dauerkatheter wird die Urinprobe aus der Entnahmestelle des Katheters entnommen. ● Die Urinprobe wird beschriftet und ins Labor weitergeleitet.





Bildgebende Verfahren ● ●

! Merke Morgenurin bevorzugt

Der erste Urin am Morgen hat diagnostisch die größte Aussagekraft, da er aufgrund der fehlenden nächtlichen Flüssigkeitsaufnahme konzentrierter ist. Dadurch lassen sich viele Substanzen besser nachweisen. ●

Urinteststreifen (Urinstix) • Der Urinstix wird in den aufgefangenen Mittelstrahlurin gehalten. Nach 1–2 Min. werden die Testfelder durch Vergleich mit einer Referenzskala (Farbskala) bewertet. ● pH-Wert: normal zwischen 4,5 und 8 ● Leukozyten: Erhöhte Leukos im Urin (Leukozyturie) weisen auf einen Harnwegsinfekt (HWI) hin. ● Nitrit: Die häufigsten Erreger von HWI sind Bakterien, die Nitrit produzieren. Verfärbt sich dieses Feld, liegt vermutlich ein Infekt vor. ● Protein: Eine Proteinurie kann z. B. durch eine Glomerulonephritis bedingt sein. ● Glukose: Die Glukosurie ist ein Kardinalsymptom des Diabetes mellitus. ● Ketonkörper: Sie entstehen bei Glukosemangel aus der vermehrten Lipolyse (Fettverbrennung). ● Bilirubin und Urobilinogen: Diese können im Urin ggf. bei Hämolysen sowie bei Erkrankungen der Leber und der Gallenwege nachgewiesen werden. ● Erythrozyten: Mögliche Ursachen einer Hämaturie sind z. B. Tumoren, Harnwegsteine oder HWI. Ist das Blut im Urin durch die rötliche Färbung mit bloßem Auge sichtbar, spricht man von Makrohämaturie. ● spezifisches Gewicht bzw. Dichte: Gelöste Stoffe liegen im Urin in einer bestimmten Dichte vor. Diese wird in g/ml Urin gemessen. Das normale spezifische Gewicht des Urins liegt zwischen ca. 1,001 und 1,035 g/ml. Sedimentanalyse • Die Sedimentanalyse ist die mikroskopische Untersuchung des sog. Urinsediments, das durch Zentrifugation gewonnen wird. Das Sediment setzt sich dabei als „Bodensatz“ ab.

Weitere Urinuntersuchungen ● 24-Stunden-Sammelurin: zur Bestimmung der KreatininClearance (S. 395) ● Differenzierung der Eiweiße: durch Elektrophorese im Labor (SDS-PAGE)

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Sonografie radiologische Verfahren: – Abdomenübersicht – intravenöse Pyelografie (IVP): Kontrastmittel-Darstellung des Harnabflusses aus dem Nierenbecken – Miktionszystourethrografie (MCU): Kontrast-Darstellung des Harnabflusses aus der Blase – retrograde Urethrografie (RUG): retrograde Kontrastmitteleinspritzung zur Darstellung der Harnröhre – CT und MRT – Angiografie nuklearmedizinische Verfahren

Urodynamik • Durch urodynamische Untersuchungen können die Füllung und die Entleerung der Harnblase beurteilt werden: ● Uroflowmetrie: Methode zur Messung des Harnflusses ● Zystometrie: Methode zur Messung der Druckverhältnisse in der Harnblase Urethrozystoskopie • Eine Zystoskopie ist die endoskopische Untersuchung (Spiegelung) der Harnblase. Die Spiegelung der Harnröhre (Urethra) heißt Urethroskopie. Die Untersuchung findet meist kombiniert als Urethrozystoskopie statt. Nierenbiopsie • Probenentnahme zur histopathologischen Untersuchung

57.4 Erkrankungen der Niere und der ableitenden Harnwege 57.4.1 Glomerulonephritis Definition Glomerulonephritis Glomerulonephritis ist ein Sammelbegriff für die entzündlichen Erkrankungen der Nierenkörperchen. Meist sind beide Nieren betroffen.

Ursachen ●



Bakteriologische Untersuchung (Urinkultur) • Beim Verdacht auf einen Harnwegsinfekt kann mithilfe einer Urinkultur (z. B. Uricult-Test) abgeklärt werden, ob und in welcher Menge Bakterien im Urin vorhanden sind.

Urinzytologie: genaue Untersuchung der Zellen, z. B. bei Verdacht auf ein Harnblasenkarzinom NMP22 (nukleäres Matrix-Protein 22): ein urinlöslicher Marker für Blasenkrebs

primäre Glomerulonephritis: entsteht direkt an den Nierenkörperchen, z. B. durch Ablagerung von Immunglobulin A (IgA-Glomerulonephritis) sekundäre Glomerulonephritis: entsteht als Folge einer anderen Grunderkrankung, z. B. einer Autoimmunerkrankung (z. B. Lupus erythematodes) oder einer Infektionserkrankung (z. B. nach Streptokokkeninfektion)

Symptome Wenn > 50 % der Nierenkörperchen durch die Entzündung zerstört sind, wird die Glomerulonephritis manifest mit folgenden Symptomen:

Erkrankungen der Niere ● ●

● ● ● ●

gestörte Urinproduktion: Oligurie gestörte Filterfunktion: – Proteinurie (Urin ggf. trüb und schaumig) – Hämaturie (ggf. rötlich verfärbter Urin) Kopfschmerzen, Müdigkeit arterielle Hypertonie evtl. dumpfer Flankenschmerz Ödeme im Bereich der Augenlider und Fußgelenke

Verlauf Eine Glomerulonephritis ist die häufigste Ursache für eine chronische Niereninsuffizienz. Unterschieden werden zwei Verläufe: ● rapid-progressive Glomerulonephritis: rasch voranschreitende Glomerulonephritis. Sie führt innerhalb von Wochen oder Monaten zu einer Niereninsuffizienz. ● chronische Glomerulonephritis: mit schleichendem Verlauf. Diese Form kann lange Zeit asymptomatisch verlaufen.

! Merke Nephritisches vs. nephrotisches Syndrom

Die Kombination aus Hämaturie, Ödemen und Bluthochdruck bezeichnet man als nephritisches Syndrom. Beim nephrotischen Syndrom steht die Proteinurie (> 3 g/d im Urin) mit Hypoproteinämie und daraus resultierenden Ödemen im Vordergrund. Beide Syndrome können infolge einer Glomerulonephritis auftreten.

Diagnostik ●



● ● ●

Anamnese (z. B. vorangegangene Infekte der oberen Atemwege) klinische Untersuchung: Ödeme, arterielle Hypertonie, Flankenschmerz Blutuntersuchung und U-Status Sonografie ggf. Nierenbiopsie

Aufgrund der lange bestehenden unspezifischen Symptome ist die Glomerulonephritis oft ein Zufallsbefund.

Therapie ● ● ● ●

bei Ödemen: Diuretika bei postinfektiöser Form: Bettruhe, Antibiotika ggf. Blutdruck einstellen bei Autoimmunerkrankungen: Glukokortikoide, Immunsuppressiva, ggf. Plasmaaustausch (Plasmapherese), um autoaggressive Antikörper zu entfernen

Pflege Beobachtung ● Vitalparameter 2–3-mal täglich erfassen: arterielle Hypertonie? ● Urin: Menge? Farbe? Beimengungen? (siehe Kap. 20.1) ● Haut: Ödeme an Augenlidern oder Fußknöcheln? ● Gewichtskontrolle, ggf. Flüssigkeitsbilanzierung

Mobilisation und Körperpflege • Individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten, ggf. Bettruhe (auf Arztanordnung) Prophylaxen ● bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) ● Thrombose-, Dekubitus-, Kontrakturen-, Pneumonie- und Obstipationsprophylaxe: besonders bei verordneter Bettruhe oder stark eingeschränkter Belastbarkeit ● Zystitisprophylaxe: da Oligurie besteht, Vorsicht: ggf. Trinkmengenbeschränkung bei eingeschränkter Nierenfunktion ● Soor-/Parotitisprophylaxe: bei eingeschränkter Trinkmengenbeschränkung Essen und Trinken ggf. Trinkmengenbeschränkung bei eingeschränkter Nierenfunktion ● salzarme Kost zur besseren Einstellung der arteriellen Hypertonie ● bei Kaliumanstieg kaliumreiche Speisen meiden (z. B. Vollkornprodukte, frisches Obst) ● Die Eiweißzufuhr soll bei 0,8 g/kg Körpergewicht liegen. ●

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über Erkrankung, Symptome und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) informieren ● Medikamentenwirkung und -nebenwirkung ● Veränderungen der Lebensgewohnheiten ● Ernährungsberatung organisieren ● Nach Entlassung sollte sich der Patient beobachten hinsichtlich: erhöhter Blutdruckwerte, Gewicht, Trinkmenge, Urin (Menge, Konzentration), Ödeme, Ernährung (salzund eiweißarm), Infektzeichen (z. B. Fieber). Bei Veränderungen/Auffälligkeiten sollte er einen Arzt aufsuchen. ●

Psychosoziale Begleitung ● Gesprächsbereitschaft signalisieren ● Kontakte von Beratungsstellen (v. a. bei notweniger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit) und Selbsthilfegruppen vermitteln

KOMPAK T Glomerulonephritis ●

● ●



Pathogenese: entzündliche Erkrankung der Nierenkörperchen häufigste Ursache für Niereninsuffizienz typische Symptome: Hämaturie, Ödeme und Hypertonie (nephritisches Syndrom), ggf. Proteinurie (bei > 3 g/d: nephrotisches Syndrom) Pflege: auf Gewicht, Trinkmenge, Urin, Haut (Ödeme) achten

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere

57.4.2 Akutes Nierenversagen Definition Akutes Nierenversagen Das akute Nierenversagen (ANV bzw. akute Niereninsuffizienz) beschreibt die plötzliche Abnahme der Nierenfunktion auf < 0,5 ml/kg/h Urinausscheidung, verbunden mit einem Anstieg des Serum-Kreatinins um ≥ 0,3 mg/dl bzw. um 50 % des Ausgangswertes. Dieser Zustand ist prinzipiell reversibel. Das AVN kann primär oder als Folge einer fortgeschrittenen chronischen Niereninsuffizienz auftreten („acute-on-chronic“).

Ursachen Die Ursachen des ANV werden entsprechend ihrer Lokalisation eingeteilt: ● prärenales ANV (am häufigsten): Die Niere wird vermindert durchblutet. Mögliche Ursachen sind eine Hypovolämie, eine Hypotonie oder ein hepatorenales Syndrom (Verschlechterung der Nierendurchblutung aufgrund einer Leberschädigung). ● intrarenales ANV: Die Niere selbst ist geschädigt. Mögliche Ursachen: – nephrotoxische Substanzen, z. B. NSAR, Kontrastmittel, Antibiotika, Zellbestandteile wie Myoglobin bei einem massiven Untergang von Skelettmuskulatur (sog. Rhabdomyolyse, z. B. nach einem Krampfanfall) – Entzündungen in der Niere (z. B. Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis) – Vaskulitiden der Nierengefäße ● postrenales ANV (selten): Ein Hindernis oder eine Verengung (z. B. Uretersteine oder eine Prostatavergrößerung) führt zu einem Harnstau, der die Nieren schädigt.

Symptome Das akute Nierenversagen verläuft in 3 Phasen: 1. Initialphase: bestimmt durch Auslöser (z. B. hypovolämischer Schock) 2. oligurische bzw. anurische Phase: verminderte Urinproduktion (< 500 ml/d bei Oligurie und < 100 ml/d bei Anurie), Kreatinin steigt, Kalium steigt (Gefahr der Herzrhythmusstörung), Wasserretention (Ödeme, Lungenödem mit Dyspnoe, Hirnödem mit Bewusstseinsstörungen) 3. polyurische Phase: auch Spätphase genannt, mit vermehrter Urinausscheidung (> 5 l/d), da die Niere den Harn nicht mehr konzentrieren kann

Diagnostik ● ● ●

● ●

● ●

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Anamnese: Verletzungen, Grunderkrankungen, Miktion klinische Untersuchung: Ödeme? Blut: Blutbild, Retentionsparameter, Elektrolyte, Blutkultur, BGA U-Status: Hämaturie, Proteinurie, spezifisches Gewicht Sonografie zur Differenzierung der Ursache bzw. Dopplersonografie (Nierenperfusion?) ggf. Nierenbiopsie Rö-Lunge (Lungenödem?)

Therapie Überwachung ● Vitalparameter (Puls, RR, Temperatur und Atmung) ● ZVD-Messung ● Flüssigkeitsbilanzierung und tgl. Gewichtskontrolle Beispiele kausale Therapie Meiden nierenschädigender Substanzen bzw. Medikamente ● Blutungsstillung bzw. Kreislaufstabilisierung bei einem Schock ● Harnsteinentfernung bzw. Harnableitung bei Harnstau ●

Symptomatische Therapie Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt ausgleichen; ggf. Diurese ● Regulation des Säure-Basen-Haushalts ● bei Komplikationen wie Hyperkaliämie, Azidose, Anurie, Lungenödem: vorübergehende Hämodialyse ●

Pflege Die pflegerischen Schwerpunkte ergeben sich aus den Ursachen, den Folgen und dem Schweregrad der Erkrankung. ● Beobachtung: – Vitalparameter 2–3-mal täglich erfassen – Urin: Menge? Farbe? Beimengungen? (siehe Kap. 20.1) – Haut: Ödeme an Augenlidern oder Fußknöcheln? – Gewichtskontrolle und Flüssigkeitsbilanzierung – ggf. intensivmedizinische Überwachung – ggf. Infusionsmanagement – ggf. ZVD messen: zur Ermittlung des Volumenstatus ● Mobilisation und Körperpflege: körperliche Schonung, individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten ● Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) ● Ernährung: – eiweißreduzierte Kost (soll die Niere schonen) – natrium- und kaliumarme Kost in oligurischer/anurischer Phase, natrium- und kaliumreiche Kost in polyurischer Phase – ausreichende Kalorienzufuhr

57.4.3 Chronische Niereninsuffizienz Definition Chronische Niereninsuffizienz Die chronische Niereninsuffizienz (CNI bzw. chronisches Nierenversagen: CNV) ist der über einen längeren Zeitraum (> 3 Monate) bestehende, irreversible Funktionsverlust der Nieren. Das Krankheitsbild entwickelt sich in der Regel über Monate bzw. Jahre.

Erkrankungen der Niere

Ursachen

Therapie

Die häufigsten Ursachen des CNV sind: ● Diabetes mellitus (diabetische Nephropathie) ● Glomerulonephritiden ● Zystennieren ● arterielle Hypertonie, ggf. Nierenarterienstenosen ● chronischer Harnstau



● ●



Diese Erkrankungen führen zu einem Untergang von Glomeruli. Die verbleibenden werden übermäßig beansprucht. Es kommt zu einer Glomerulosklerose mit Atrophie der Nierentubuli und es entwickeln sich Schrumpfnieren.



Symptome



Die CNI verläuft in 5 Stadien (▶ Tab. 57.1). Die Stadien 1–3 sind oft symptomarm.



● ●

Urämie • Eine Urämie (Harnvergiftung) kann das Endstadium einer CNI sein. Symptome: ● Übelkeit, Erbrechen (urämische Gastroenteritis) ● Juckreiz ● Polyneuropathie ● Perikarditis, Herzinsuffizienz ● Herzrhythmusstörungen (durch Hyperkaliämie) ● Ödeme, z. B. Lungenödem ● Anämie ● Hypertonie ● Foetor uraemicus (Urin-Mundgeruch) ● gelblich braune Hautfärbung ● Enzephalopathie (Schwäche, Müdigkeit, urämisches Koma)



Diagnostik





● ●

● ● ●

Anamnese: arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, verminderte Miktion, Dyspnoe klinische Untersuchung: Symptome der Urämie (s. o.) Blut: Blutbild, Retentionsparameter (Kreatinin), Elektrolyte, BGA U-Status: Urinsediment und spezifisches Gewicht Sonografie: Schrumpfniere? Zystenniere? Harnstau? potenzielle Ursachen: Diabetes? Glomerulonephritis? Nierenarterienstenose(n)?



Therapie der Grunderkrankung (z. B. Blutzuckereinstellung bei Diabetes und Blutdrucksenkung bei arterieller Hypertonie, u. a. mit ACE-Hemmern) Ernährung: eiweißarm (Achtung: nicht unter 0,8 g/kg/d) keine nephrotoxischen Medikamente (z. B. NSAR wie Ibuprofen) ggf. Flüssigkeitsrestriktion (bei eingeschränkter Diurese) bei fortgeschrittener Erkrankung: Schleifendiuretika (Lasix) zur Senkung der Retentionsstoffe Prophylaxe einer Hyperkaliämie Regulation des Säure-Basen-Haushalts, ggf. Behandlung einer Azidose mit Natriumbicarbonat Behandlung weiterer Komplikationen, wie z. B. einer renalen Anämie mit Erythropoetin bei Störungen des Knochenstoffwechsels: u. a. Phosphatbinder und Vitamin D3 ggf. Nierenersatztherapie (Dialyse) ggf. Nierentransplantation (bei terminaler Niereninsuffizienz)

Pflege Beobachtung ● Vitalparameter: Hypertonie? Herzrhythmusstörungen? ● Haut: Ödeme (peripher), Blässe (Anämie?), Juckreiz (beginnende Urämie?) ● Atmung: Geruch? Lungenödem? Pleuraerguss? ● Gewicht und Bauchumfang: Aszites? ● Flüssigkeitsbilanzierung ● Medikamenten- und Infusionsmanagement Mobilisation und Körperpflege körperlich Schonung, individuelle Unterstützung, je nach Belastungsgrenze des Patienten ● Hautpflege mit kühlenden Umschlägen oder Lotionen bei Juckreiz Prophylaxen bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) ● Thromboseprophylaxe bei Eiweißverlust oder unter Erythropoetingabe ● Soor- und Parotitisprophylaxe bei Flüssigkeitsrestriktion ●

Tab. 57.1 Die 5 Stadien der chronischen Niereninsuffizienz. Stadium

Funktionseinschränkung

GFR (ml/min/1,73 m2)

Symptome

1

Nierenschädigung mit (noch) normaler Funktion

> 90

keine

2

leicht

60–89

ggf. Hypertonie

3

mittelschwer

30–68

ggf. Hypertonie, ggf. renale Anämie

4

hochgradig

15–29

beginnende Urämie

5

Nierenversagen (Urämie)

< 15

Urämie („Harnvergiftung“)

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten ● über Erkrankung, Symptome und möglichen Verlauf (zur Förderung der Compliance) ● über Medikamentenwirkung und -nebenwirkung: – pünktliche Einnahme der Hypertonika – Manche Schmerzmittel sind nierentoxisch (z. B. Paracetamol), Einnahme immer mit einem Arzt absprechen! ● Selbstbeobachtung: Patienten sollten sich beobachten hinsichtlich (und bei Veränderungen/Auffälligkeiten einen Arzt aufsuchen): – Urinausscheidung – Ödemen (Fußgelenke, Augenlider) – Kurzatmigkeit oder Dyspnoe bei Belastung – Appetitlosigkeit oder Gewichtsveränderungen – Blutdruck ● Haut: über Maßnahmen zur Linderung von Juckreiz informieren (siehe Kap. 63.3) ● Ernährungsberatung und Beratung zur Flüssigkeitsaufnahme bzw. -restriktion: – Faustregel: 500 bis 800 ml/Tag zuzüglich der Restausscheidung – kleine Gläser nutzen – Suppe und Joghurt sind auch Flüssigkeit. – auf salzige Speisen und süße Getränke verzichten (wirken durstfördernd) – mit Kräutern würzen – bei Durst Eiswürfel oder saure Bonbons lutschen – Ernährungsprotokoll führen psychosoziale Begleitung ● Gesprächsbereitschaft signalisieren ● Kontakte von Beratungsstellen (v. a. bei notwendiger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit), Sozialverbänden und Selbsthilfegruppen vermitteln

KOMPAK T Niereninsuffizienz ●





402

Das akute Nierenversagen (ANV) ist die plötzliche und prinzipiell reversible Abnahme der Nierenfunktion. Einteilung: prä-/intra-/postrenales Nierenversagen. Verlauf: symptomfreie/oligourische/polyurische Phase Die chronische Niereninsuffizienz (CNI) ist der über einen längeren Zeitraum (> 3 Monate) bestehende, irreversible Funktionsverlust der Nieren. Einteilung: 5 Schweregrade. Grad 1–3: oft symptomarm, evtl. Hypertonie/Anämie. Grad 4–5: beginnende bis manifeste Urämie Wichtig bei ANV und CNI: Vitalparameter-Kontrolle, Gewichtskontrolle (Ödeme?), Bilanzierung/Trinkmengenkontrolle, auf Warnzeichen für beginnende Urämie achten: z. B. Juckreiz, Bauchschmerz, Schwächegefühl, Lähmungen, Foetor uraemicus

57.4.4 Nierenersatztherapie Definition Nierenersatztherapie (Dialyse) Die Nierenersatztherapie (Dialyse, „Blutwäsche“) ist ein apparatives Blutreinigungsverfahren zur Entfernung von harnpflichtigen Substanzen (Harnstoff, Kreatinin) und Wasser aus dem Körper.

Indikationen ● ● ● ●

Anurie beim akuten Nierenversagen drohende Urämie beim chronischen Nierenversagen Elektrolytentgleisungen, metabolische Azidose Hyperhydratation mit Lungenödem

Funktionsprinzip Bei der Dialyse werden dem Körper Stoffe über eine semipermeable Membran entzogen. Der Stoffaustausch erfolgt passiv. Er folgt dem Konzentrationsgefälle zwischen dem Dialysat und dem Blut des Patienten. Es gibt 2 Verfahren der Dialyse: ● extrakorporal: Hämodialyse und Hämofiltration ● intrakorporal: Peritonealdialyse

Hämodialyse Die Hämodialyse ist das häufigste Verfahren. Der Patient benötigt dafür einen großlumigen Gefäßzugang, z. B. einen ● arteriovenösen Shunt: eine operativ angelegte Gefäßverbindung einer Arterie mit einer Vene, 4 bis 6 Wochen vor Therapiebeginn ● zentralvenösen Katheter: z. B. Shaldon- oder Demers-Katheter, der meistens über die V. jugularis interna oder V. subclavia oder im Notfall über die V. femoralis gelegt wird

ACHTUNG Die Shuntpunktion erfolgt in die Vene, die mit arteriellem Blut versorgt wird, und nicht in den Shunt. Die Dialyselösung (Dialysat) besteht aus: ● hochreinem, enthärtetem Wasser (ohne mineralische Stoffe) und ● einer an den Patienten angepassten Elektrolyt- und Bicarbonatkonzentration. Dialysat und Patientenblut fließen entlang der Dialysemembran im Gegenstromprinzip aneinander vorbei (▶ Abb. 57.2). Durch den Kontakt des Patientenblutes mit dem Dialysesystem wird die Gerinnung aktiviert. Um dem entgegenzuwirken, wird das Patientenblut im Schlauchsystem heparinisiert. Aus diesem Grund ist es wichtig, auf (gastrointestinale) Blutungen zu achten. Die Hämodialyse wird 3-mal pro Woche über 4–6 Stunden durchgeführt. Vor jeder Dialyse wird der Patient gewogen und die Elektrolytzusammensetzung im Blut bestimmt. Nach der Dialyse soll der Patient sein „Trockengewicht“ (normaler Hydratationszustand) erreichen.

Erkrankungen der Niere Abb. 57.2 Hämodialyse.

Gerinnungshemmer

Blutpumpe Dialysatabfluss

Dialysator Shunt (End-zu-SeitAnastomose)

Dialysatzufluss

A. radialis

gereinigtes Blut Ende der V. cephalica

V. cephalica

Ablauf der Hämodialyse. Aus: I care – Krankheitslehre. Thieme; 2015 Shuntpflege ● tägliche Reinigung des Shunts mit Wasser und Seife ● Hautpflege mit fetthaltiger Creme (nicht direkt vor der Dialyse, da sonst die Pflaster zur Kanülenfixierung nicht halten!) ● am Shuntarm keine Blutdruckmessung, Blutentnahmen, zirkuläre Verbände etc. ● grobe Verschmutzungen und Verletzungen am Shuntarm vermeiden ● keine schweren Lasten heben ● keine einengenden Kleidungsstücke

Hämofiltration Die Hämofiltration ist ein kontinuierliches Dialyseverfahren (über 24 Stunden pro Tag), das bei intensivpflichtigen Patienten angewendet wird. Da der Flüssigkeitsentzug kontinuierlich stattfindet, wird dieses Verfahren von kreislaufinstabilen Patienten besser vertragen.

Komplikationen ●





Hypovolämie: Ist der Flüssigkeitsentzug aus dem Blut zu hoch, kann das Wasser aus dem Gewebe nicht schnell genug nachdiffundieren. Der Patient hat einen Volumenmangel im Gefäßsystem, auch wenn am Körper noch Ödeme zu erkennen sind. Infektionen: Durch mangelnde Hygiene kann es im Shuntbereich zu einer Infektion kommen. Ein infizierter Shunt darf nicht punktiert werden und ein infizierter Katheter darf nicht angeschlossen werden. Blutungen: Bei einer Nachblutung nach der Dialyse aus dem Shunt muss die Blutungsstelle komprimiert und die Ursache gesucht werden.



allergische Reaktionen: Der Patient kann auf diverse Substanzen/Materialien allergisch reagieren, z. B. auf das Material des Dialysefilters oder auf spezielle Medikamente.

Peritonealdialyse Definition Peritonealdialyse Peritonealdialyse (Syn.: Bauchfelldialyse) ist ein Verfahren zur Entfernung der Urämietoxine und überschüssigen Wassers. Hierbei fungiert das Bauchfell als die semipermeable Membran. Als Dialysat wird eine kaliumfreie Glukoselösung verwendet, die über einen operativ angelegten Katheter in die Bauchhöhle eingebracht wird. Der Stoffaustausch erfolgt im Prozess der Diffusion entlang des Konzentrationsgefälles. Nach mehreren Stunden wird das verbrauchte Dialysat abgelassen. Vorteile einer Peritonealdialyse sind u. a. die höhere Mobilität des Patienten und dass der Volumenentzug kontinuierlich und dadurch für das Herz-Kreislauf-System schonender erfolgt. Kontraindiziert ist sie u. a. bei einer chronischentzündlichen Darmerkrankung oder bei einem Kolo- oder Nephrostoma. Eine schwerwiegende Komplikation der Peritonealdialyse ist die Peritonitis (siehe Kap. 56.3.14). Hinweise darauf sind Fieber, abdominelle Schmerzen und trübes Dialysat.

Pflege Siehe „Pflege“ bei akuter (S. 400) und chronischer Niereninsuffizienz (S. 401).

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere Abb. 57.3 Harnwegsinfektionen.

Symptome Entzündung des Nierenbeckens und/oder des Nierenparenchyms (Nierengewebe) = Pyelonephritis

Entzündung der Harnleiter = Ureteritis

Urethritis ● Ausfluss aus der Harnröhre ● Algurie (schmerzhafte Miktion) ● Jucken, Brennen, Rötung der Harnröhrenöffnung Zystitis ● Pollakisurie, Dysurie, Algurie ● Tenesmen und Schmerzen im unteren Abdomen ● leichte Blutungen (Hämaturie) ● bei Kindern: Enuresis Pyelonephritis allgemeines Krankheitsgefühl ● Fieber, ggf. mit Schüttelfrost ● atypische Symptome wie Übelkeit ● Pyurie ● dumpfe Schmerzen bzw. Klopfschmerzen im Flankenbereich ● Komplikationen – akut: Abszesse der Niere, ggf. mit Ausbreitung auf das umliegende Gewebe, sog. paranephritische Abszesse, Urosepsis mit Multiorganversagen – chronisch: Niereninsuffizienz, renale Hypertonie ●

Entzündung der Harnblase = Zystitis Entzündung der Harnröhre = Urethritis

Mögliche Lokalisationen von Harnwegsinfekten. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

57.4.5 Harnwegsinfektionen Definition Harnwegsinfektion Ein symptomatischer Harnwegsinfekt (HWI) ist eine Infektion im Urogenitalsystem, die mit klinischen Beschwerden einhergeht. Davon zu unterscheiden ist die asymptomatische Bakteriurie, ein Nachweis von Bakterien im Urin ohne Symptome eines Harnwegsinfekts.

Diagnostik ●

● ● ● ●

Einteilung der Harnwegsinfekte ● ●



akut oder chronisch bzw. rezidivierend unkompliziert (ohne anatomische und funktionelle Auffälligkeiten) oder kompliziert (mit anatomisch und funktionell pathologischem Urogenitalsystem) nach Lokalisation (▶ Abb. 57.3):

Ursachen

Therapie ●





allgemeine Maßnahmen, z. B. viel trinken (Harnwege spülen) kausale Therapie, z. B. Harnabflussstörungen behandeln oder Diabetes mellitus optimal einstellen Antibiotika, bei Pyelonephritis gezielt nach Antibiogramm

Meistens handelt es sich um eine aufsteigende (aszendierende) Infektion von Bakterien der Darmflora, die über die Harnröhre in die Harnblase gelangen.

Prävention und Prophylaxe

Risikofaktoren (Bsp.) ● Geschlecht: bei Frauen begünstigt durch anatomische Verhältnisse, wie die kurze Harnröhre und die Nähe zur Analregion ● Harnabflussstörungen: bei Männern benigne Prostatahyperplasie und bei Kindern VUR ● Immunschwäche: z. B. bei Diabetes mellitus ● Schwangerschaft ● instrumentelle Eingriffe: Urethrozystoskopie oder transurthraler Blasenverweilkatheter



Erreger • Häufig: E. coli, Enterokokken, Staphylococcus saprophyticus, Pseudomonas aeruginosa. Eine Urethritis entsteht häufig durch sexuell übertragbare Bakterien. 404

Anamnese und klinische Untersuchung (bei Pyelonephritis: Druckschmerz? Klopfschmerz?) Blut: Entzündungsparameter ↑ Urin: U-Status, Urinkultur (Uricult-Test) Abstrich bei Urethritis bildgebende Verfahren: Sonografie, Zystoskopie, i. v. Pyelografie, Miktionszystourethrografie (MCU), CT, MRT



● ● ●

● ●

● ●

viel trinken, gerne säuernde Getränke (z. B. Cranberrysaft, Johannisbeersaft usw.) Intimpflege von der Symphyse zum Anus Miktion nach Geschlechtsverkehr warme Kleidung (Auskühlen vermeiden) strenge Hygiene beim Legen und bei der Pflege eines Blasenkatheters Harndrang nicht aufschieben täglicher Wechsel der Unterwäsche bzw. (bei direktem Kontakt) der Unterlage im Bett (Klinik) angepasster Wechselrhythmus einer Inkontinenzvorlage Sauberkeit von Steckbecken, Toilettenstuhl und Toiletten

Wasser- und Elektrolythaushalt

57.4.6 Urolithiasis

● ●

Als Urolithiasis werden Steine in den Harnwegen bezeichnet. Sie entstehen durch das vermehrte Ausscheiden von steinbildenden Stoffen, z. B. Kalzium und Harnsäure, oder durch Erhöhung des Urin-pH-Wertes, z. B. bei Harnwegsinfekten. Leitsymptom eines wandernden Harnsteins sind kolikartige Schmerzen mit Ausstrahlung und Makrohämaturie. Des Weiteren können sich ein akutes Abdomen und ein Subileus entwickeln. Eine Sonografie oder eine Niedrigdosis-CT weisen die Harnsteine nach. Bei einer akuten Harnleiterkolik werden Spasmolytika und Analgetika verabreicht. Kleine Steine gehen häufig spontan ab. Bei einer fieberhaften Harnstauungsniere muss eine Urinableitung inklusive Antibiotikatherapie erfolgen. Die aktive Steinentfernung wird z. B. mittels extrakorporaler Stoßwellenlithotripsie (ESWL), perkutaner Nephrolithotomie (PNL), Ureteroskopie oder suprapubischer Zystoskopie durchgeführt.

Definition Vesikoureteraler Reflux Beim vesikoureteralen Reflux (VUR) fließt unphysiologisch Harn aus der Blase in die Ureteren bzw. bis in die Nieren zurück. Es besteht die Gefahr rezidivierender Infektionen.

Ursachen Man unterscheidet zwischen dem primären (angeborenen) und dem sekundären (erworbenen) vesikoureteralen Reflux. Betroffen sind 1–5 % aller Kinder. Mädchen häufiger als Jungen. ● primäre Ursache: Fehlanlage des Harnleiters an der Blasenwand, der Harnleiter ist verkürzt ● sekundäre Ursache: Schädigung der Harnblase durch eine Harnblasenerkrankung oder einen gestörten Harnabfluss unterhalb der Blase

● ● ●

Harnwegsinfektionen Nierenschmerzen Nierenbeckenentzündung hohes Fieber Flankenschmerzen

● ● ● ● ● ●

körperliche Untersuchung Klopfschmerzen im Lendenbereich Labor (CRP, Leukos, BSG) Urinstatus, Urinkultur Sonografie Niere, CT Nierenszintigrafie Miktionszystourethrografie (MCU), Schweregrads (Grad I–Grad V)

Feststellung

des

Therapie ● ●

● ●

Beobachtung: – Diurese – Bilanzierung – regelmäßige Gewichtskontrollen auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten bei operativer Versorgung: Lagekontrolle der Drainagen (abknicken? Koagel?), regelmäßige Verbandwechsel, Katheterpflege

57.5.1 Wasserräume und Wasserverteilung Der Mensch besteht zu ca. 60 % seiner Masse aus Wasser. Dieses liegt zu etwa ⅔ intrazellulär und etwa ⅓ extrazellulär vor. ¼ des extrazellulären Wassers (also 5 % der Körpermasse) macht das Blutplasma aus. Der Rest ist hauptsächlich interstitielles Wasser. Der tatsächliche Anteil des Wassers im Körper ist abhängig von: ● Alter (bei Säuglingen liegt der Wasseranteil bei 75 %, bei alten Menschen bei 50 %) ● Geschlecht (bei Frauen ist der Wasseranteil geringer) ● Fettanteil des Körpers

Homöostase

Diagnostik ●



57.5.2 Osmolalität im Extra- und Intrazellularraum

Symptome ●

Pflege

57.5 Wasser- und Elektrolythaushalt

57.4.7 Vesikoureteraler Reflux





bei HWI, Antibiose regelmäßige sonografische Verlaufskontrollen Falls die konservative Therapie nicht anschlägt oder es zur Hypertonie kommt, ist eine operative Versorgung indiziert.

hohe Spontanheilungsrate (Grad I–III) konservative Behandlungsmöglichkeiten (Reinfektionsprophylaxe)

Der intrazelluläre Flüssigkeitsgehalt wird über die Osmolalität geregelt. Osmolalität ist die Konzentration osmotisch wirksamer Teilchen in einer Lösung (Einheit: mosmol/kg). Zwischen dem Extra- und Intrazellularraum muss ein osmotisches Gleichgewicht herrschen, damit kein Wasser aus oder in die Zelle strömt und ihre Funktionsfähigkeit nicht gestört wird. Das heißt, dass der osmotische Druck in beiden Räumen gleich sein muss. Die Niere hält dafür den Wasser- und Elektrolythaushalt innerhalb enger Grenzen konstant. Dies geschieht über die Zusammensetzung des Sekundärharns, d. h., sie entzieht dem durch die Nieren gefilterten Primärharn die Wassermenge, die dem Körper fehlt, sorgt also für ein Gleichgewicht. Für den osmotischen Druck sind folgende Teilchen (Elektrolyte) verantwortlich: ● im Extrazellularraum: v. a. Natrium, weil die Wasser- und Kalium-, aber auch die Chloridausscheidung daran gekoppelt sind ● im Intrazellularraum: v. a. Kalium, aber auch Phosphate und Proteine

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere

¼ intervasal

¾ interstitiell

isoton? hyperton?

Osmolarität

⅔ intrazellulär

Dehydration

hypoton?

⅓ extrazellulär

Wasserverteilung Hyperhydration

Dehydrationsprophylaxe Pflege, z.B. Flüssigkeitsbilanzierung Natrium, Kalzium, Kalium, Phosphat, Magnesium, Chlorid

Elektrolyte Niere und ableitende Harnwege S. 394

Säure-, Basen-, Wasserund Elektrolythaushalt

Störungen, z.B. Hypo-/ Hyperkaliämie

Hypo-/ Hyperkalzämie

Blutdruck Regulation Elektrolytspiegel

lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen

Krämpfe/ Verstopfung

Ausscheidung

Wie?

Durst

Was?

Flüssigkeitshaushalt Blut-pH 7,37–7,43

ADH Hormone

Alkalose

RAAS

Puffersysteme juxtaglomerulärer Apparat

Atmung

Störungen der Homöostase Störungen des Wasser- und Elektrolythaushaltes können dazu führen, dass dem Körper entweder Wasser fehlt (Dehydratation) oder sich zu viel Wasser im Körper befindet (Hyperhydration). Abhängig vom osmotischen Druck kann es sich um eine isotone, hypotone oder hypertone Störung handeln: ● isotone Dehydratation: z. B. bei Erbrechen, Diarrhö oder Blutverlust. Es kommt im gleichen Ausmaß zum Verlust von Wasser und Elektrolyten. ● hypertone Dehydratation: z. B. wenn über längeren Zeitraum nichts getrunken wurde oder durch Schwitzen. Hier wird weniger Wasser als Salz ausgeschieden. ● hypotone Dehydratation: z. B. bei häufigem Erbrechen oder bei Überdosis von Diuretika oder Laxanzien. Es geht mehr Wasser als Salz verloren. ● isotone Hyperhydratation: z. B. bei Herzinsuffizienz oder bei zu großen Mengen an isotonen Infusionen. Im Extra-

406

Azidose





zellularraum befindet sich mehr Wasser. Es kommt zu Ödemen. hypertone Hyperhydratation: z. B. durch Trinken von salzhaltigem Wasser oder Infusion von hypertoner NaCl-Lösung hypotone Hyperhydratation: z. B. Konsum von mineralfreiem (destilliertem) Wasser oder bei Niereninsuffizienz

57.5.3 Die wichtigsten Elektrolyte Elektrolyte sind positiv oder negativ geladene Teilchen (Ionen), die mit der Nahrung aufgenommen und über die Niere, das Verdauungssystem und die Haut (Schweiß) ausgeschieden werden (▶ Tab. 57.2).

Säure-Basen-Haushalt Tab. 57.2 Die wichtigsten Elektrolyte. Elektrolyt/Ion

Normwert im Blut (mmol/l)

Funktion

Natrium (Na+)

135–145

häufigstes Kation im Extrazellularraum, wichtig bei der Erregung von Nerven- und Muskelzellen

Kalium (K+)

3,5–5,5

häufigstes Kation im Intrazellularraum, wichtig bei der Erregung von Nerven- und Muskelzellen

Chlorid (Cl-)

95–110

häufigstes Anion im Extrazellularraum, sorgt mit Natrium für den osmotischen Druck, wichtig im Säure-Basen-Haushalt

Kalzium (Ca2 + )

2,2–2,7

wichtig bei der Erregung von Nerven- und Muskelzellen, am Aufbau von Knochen und Zähnen beteiligt

Magnesium (Mg2 + )

0,75–1,05

wichtig bei der Erregung von Nerven- und Muskelzellen und für die Funktion der Enzyme

Phosphat (PO43-)

0,8–1,6

an der Mineralisierung der Knochen beteiligt, reguliert als Puffersystem den pH-Wert des Körpers

Normwerte und Funktionen der wichtigsten Elektrolyte

57.5.4 Regulationsmechanismen Volumen- und Osmolalitätssensoren ●





im rechten Vorhof und in den Hohlvenen: Volumenrezeptoren, die bei einem erhöhten Extrazellularvolumen die Freisetzung von ADH hemmen (s. u.) im Gehirn und in der Leber: Osmolalitätsrezeptoren, die die ADH-Sekretion steigern, wenn die Natriumkonzentration im Extrazellularraum zu hoch ist in der Niere: Sinkt das Extrazellularvolumen, sezernieren die Polkissen der Niere Renin. Dadurch wird das ReninAngiotensin-Aldosteron-System aktiviert (s. u.).

Durst Das Durstgefühl wird über die Osmolalitätssensoren im Gehirn durch Angiotensin II und ein vermindertes Extrazellularvolumen ausgelöst.

Hormonelle Beeinflussung ●









Natrium: ADH und Aldosteron fördern die Rückresorption von Wasser und Natrium. ANP fördert die Natriumausscheidung. Kalium: Aldosteron fördert indirekt (geknüpft an die Natriumausscheidung) auch die Kaliumausscheidung. Insulin fördert die Verschiebung von Kalium nach intrazellulär. Kalzium: Parathormon steigert die Kalziumrückresorption in der Niere und fördert die Freisetzung von Kalzium aus den Knochen (Knochenabbau). Kalzitriol (Vitamin D) gilt als Gegenspieler des Parathormons. Kalzitonin hemmt den Knochenabbau und damit die Einschwemmung des Kalziums ins Blut. Phosphat: Parathormon fördert an der Niere die Phosphatausscheidung. Magnesium: Parathormon und ADH fördern die Resorption von Magnesium.

57.5.5 Störungen des Elektrolythaushalts Die Elektrolytkonzentration im Organismus kann durch viele Faktoren beeinflusst werden (▶ Tab. 57.3).

57.6 Säure-Basen-Haushalt Der pH-Wert ist von der Konzentration der Wasserstoff-Ionen abhängig, die im Stoffwechsel anfallen. Der Blut-pH beträgt arteriell 7,4 (mit Schwankungen 7,37 bis 7,43) und wird durch Puffersysteme konstant gehalten: ● Bicarbonat-Puffer: Er ist das wichtigste Puffersystem. Aus Bicarbonat und H+ entsteht Kohlensäure, die in H2O und Kohlenstoffdioxid (CO2) zerfällt. Das CO2 wird über die Lunge abgeatmet. Etwas verzögert reagiert die Niere. Sie kann bei erhöhtem CO2-Gehalt im Blut Bicarbonat neu bilden bzw. rückresorbieren oder Wasserstoff-Ionen ausscheiden. ● Phosphat-Puffer ● Protein-Puffer

57.6.1 Azidose Definition Azidose Bei einer Azidose liegt der arterielle pH-Wert unter 7,37. Der Körper ist übersäuert, die Konzentration von H+-Ionen zu hoch.

Respiratorische Azidose CO2 wird nicht ausreichend über die Lunge abgeatmet. Ursachen dafür sind: ● chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen (COPD, siehe Kap. 55.2.2) ● Lähmung der Atemmuskulatur ● medikamentöse oder toxische Senkung des Atemantriebs

l 57

Pflege bei Erkrankungen der Niere Tab. 57.3 Störungen des Elektrolythaushalts. Störung

(häufigste) Ursachen

Symptome

Beachten

Hyperkaliämie

Niereninsuffizienz, Morbus Addison, schwere Quetschungen, rascher Tumorzerfall, Hämolyse, Azidose des Blutes, kaliumsparende Diuretika

lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen, Bradykardie, Muskelschwäche, Parästhesien, Lähmungen der Extremitäten

Obstipationsprophylaxe

Hypokaliämie

Diarrhö, Erbrechen, entzündliche Darmerkrankungen Laxanzienabusus, Insulintherapie, Alkalose

Herzrhythmusstörungen, verringerte Darmperistaltik (Obstipation) bis Darmlähmung (paralytischer Ileus)

Kaliumchloridpräparate mit viel Wasser einnehmen, Infusionsgeschwindigkeit exakt einhalten

Hyperkalzämie

Knochenmetastasen, Plasmozytom, Niereninsuffizienz

Verwirrtheit, Somnolenz, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Polyurie, Herzrhythmusstörungen

alle Elektrolyte gleichzeitig kontrollieren lassen

Hypokalzämie

Diarrhö, CED, Zöliakie, Schwangerschaft, osteoblastische Metastasen, Schleifendiuretika

Muskelkrämpfe, Parästhesien, Laryngospasmus, Hypotonie, Arrhythmie, Bradykardie

bei i. v.-Infusionen EKG-Kontrolle

Hypermagnesiämie

Niereninsuffizienz, Mg-Therapie zur Wehenhemmung, Verbrennungen

Übelkeit, Obstipation, Muskelschwäche, Lähmungen, RR↓, Hypoventilation

bei Schleifendiuretikatherapie Kontrolle aller Elektrolyte

Hypomagnesiämie

verminderte Zufuhr, Alkoholismus, Diarrhö, Erbrechen, Colitis ulcerosa, Laxanzienabusus

Krämpfe, Herzrhythmusstörungen, Darmspasmen, Reizbarkeit, Depressionen

Elektrolyt- und EKG-Kontrolle

Metabolische Azidose 3 mögliche Mechanismen: ● vermehrte „Produktion“ von Säure: z. B. bei Diabetes mellitus im Rahmen einer Ketoazidose ● unzureichendes Ausscheiden von Säure: z. B. bei Niereninsuffizienz ● Verlust von Bikarbonat, z. B. über den Magen-Darm-Trakt (starkes Erbrechen, Durchfall) oder über die Nieren bei bestimmten Nierenerkrankungen

Symptome Verlangsamung, Somnolenz bis zum Koma. Patienten mit metabolischer Azidose versuchen die Säuren durch Mehratmung abzuatmen. Beim ketoazidotischen Koma wird dies als Kußmaul-Atmung bezeichnet. Die respiratorische Azidose zeigt sich als Dyspnoe und Zyanose.

57.6.2 Alkalose Definition Alkalose Bei einer Alkalose liegt der arterielle pH-Wert über 7,43. Die Konzentration von H+-Ionen ist zu niedrig oder die von OH-Ionen zu hoch.

Respiratorische Alkalose Aufgrund einer Hyperventilation wird vermehrt CO2 abgeatmet, wodurch die Konzentration von H+-Ionen abfällt. Mögliche Ursachen: ● psychogen, bei Angst- und Erregungszuständen ● durch Herzinsuffizienz ● durch Lungenembolie ● beim Schock

Metabolische Alkalose Diagnostik Anamnese, klinische Untersuchung, Blutgasanalyse

Therapie ●



● ● ●

408

Diarrhö und Erbrechen: Flüssigkeit- und Elektrolytsubstitution, ggf. i. v. als Infusion Hyperkaliämie: Insulin in Kombination mit Glukoselösung, Lasix, Salbutamol, Resonium ausgeprägte Azidose: Natriumbicarbonat i. v. respiratorische Azidose: assistierte Beatmung schwere Niereninsuffizienz: ggf. Hämodialyse

Sie entsteht bei einem Verlust von Säuren, z. B.: ● über den Magen-Darm-Trakt (bei Erbrechen) ● über die Nieren durch Mineralkortikoide, z. B. – beim Hyperaldosteronismus – bei einer Hypokaliämie, z. B. im Rahmen einer Diuretikatherapie ● durch erhöhte Bikarbonatzufuhr

Symptome Durch die Alkalose kommt es zur Verminderung des freien ionisierten Kalziums im Blut. Es treten die gleichen Symptome wie bei einer Hypokalzämie auf: ● Sensibilitätsstörungen und Muskelkrämpfe, sog. Hyperventilationstetanie mit Pfötchenstellung der Hände

Säure-Basen-Haushalt ● ●



ggf. Herzrhythmusstörungen Der verminderte CO2-Gehalt bei einer Alkalose kann zu Minderdurchblutung im Gehirn mit zentralnervösen Störungen (wie Benommenheit) führen. Bei metabolischer Alkalose: ggf. flache Atmung (Versuch der Kompensation)

Diagnostik Anamnese, klinische Untersuchung, Blutgasanalyse

Therapie ●



Bei respiratorischer Alkalose: Beruhigung des Patienten und Rückatmung der ausgeatmeten Luft Bei metabolischer Alkalose: ggf. Infusionen mit NaCl. Ausgleich einer Hypokaliämie

KOMPAK T Säure-Basen-Haushalt ● ● ●

Azidose: arterieller pH-Wert unter 7,37 Alkalose: arterieller pH-Wert über 7,43 Ursachen: respiratorisch (verstärkte oder verminderte Atmung) oder metabolisch (erhöhte oder verminderte Produktion von Säure im Körper)

58

Pflege bei Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels

Intertrigoprophylaxe Oberkörperhochlagerung

Allopurinol

rückenschonendes Arbeiten

Diclofenac

Medikamente, z.B.

kleine Mahlzeiten Gewicht reduzieren

purinarm

Ernährung

Herzklopfen

Pflege, z.B.

Therapie, z.B.

schwitzen

Pflege, z.B.

BMI >30 kg/m² Adipositas

+

Hyperthyreose

Erkrankungen, z.B.

Diabetes mellitus S. 414

+

Symptome, z.B.

Hyperurikämie und Gicht

Struma Hypothyreose

+

Hypertonie Symptome, z.B.

=

Hyperlipidämie Leistungsabfall

metabolisches Syndrom

! Herzinfarkt

Hormonsystem und Stoffwechsel

Schlaganfall

Schilddrüse

Diagnostik, z.B. Labor, z.B.

Biopsie

frieren

Schilddrüsenszintigrafie

Anatomie und Physiologie

Pankreas

M. Addison

Hypothalamus Überfunktion

Blutzucker

Hypophyse Unterfunktion

Cholesterin LDL

HDL

TSH

Kortisol

Harnsäure

z.B. M. Cushing

Anatomie und Physiologie

58.1 Anatomie und Physiologie Hormone sind chemische Botenstoffe, mit denen der Körper Stoffwechsel- und Kreislaufreaktionen steuert. Sie werden in Drüsen produziert (z. B. in der Schilddrüse). Von dort gelangen sie mit dem Blut an das Zielorgan und entfalten dort über Rezeptoren ihre Wirkung. Dieser Mechanismus wird endokrine Signalübertragung genannt. Daneben gibt es noch die parakrine und autokrine Signalübertragung. Darunter versteht man eine Hormonwirkung auf benachbarte Zellen (parakrin) oder die produzierende Zelle selbst (autokrin) ohne Umweg über die Blutbahn. Diese Hormonwirkung findet man z. B. im Darm. Für den praktischen Alltag spielt sie jedoch eine untergeordnete Rolle. Zum Teil wird die Hormonproduktion durch übergeordnete Zentren überwacht (z. B. der Hypophyse).

58.1.1 Wichtige hormonproduzierende Organe Übersicht: ▶ Abb. 58.1 ● Hypothalamus-Hypophysen-Achse: ● Hypothalamus: produziert „Releasing-Hormone“ (z. B. CRH, GnRH, TRH) und Inhibiting-Hormone (z. B. Somatostatin). Diese kontrollieren die Hormonproduktion im Hypophysenvorderlappen und haben sonst keine direkte Wirkung. Mit Ausnahme der ebenfalls im Hypothalamus produzierten Hormone ADH und Oxytocin ist der Hypothalamus somit ein reines Hormonsteuerungsorgan.

Hypophyse: Die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) zählt zu den entscheidenden Steuerungseinheiten des menschlichen Hormonstoffwechsels. Sie besteht aus einem Vorder- und einem Hinterlappen. – Der Hypophysenvorderlappen (HVL) produziert (aktiviert durch Releasing-Hormone aus dem Hypothalamus) u. a. die „glandotropen“ Hormone ACTH, FSH, LH und TSH. ACTH regt die Nebennierenrinde (NNR) und TSH die Schilddrüse zur Hormonproduktion an. LH und FSH beeinflussen die Hormonproduktion in den Geschlechtsdrüsen. Zusätzlich werden GH („Growth Hormone“) und Prolaktin im HVL hergestellt. GH fördert u. a. den Aufbau von Muskel und Knochen. Prolaktin fördert die Milchproduktion bei stillenden Frauen. – Der Hypophysenhinterlappen (HHL) speichert die im Hypothalamus produzierten Hormone Oxytocin und ADH. Das „Kuschelhormon“ Oxytocin löst u. a. in der Gebärmutter die Wehen aus, führt in der Brustdrüse zur Milchejektion und reduziert die Wirkung von Stress. ADH fördert u. a. die Wasserrückresorption in der Niere. Schilddrüse: Sie produziert die Hormone T3 und T4 sowie das für den Calciumstoffwechsel benötigte Hormon Calcitonin. Die Ausschüttung wird vom Hormon TSH aus der Hypophyse getriggert. Um T3 und T4 zu produzieren, braucht die Schilddrüse Jod. – Lage: vor der Luftröhre, direkt unterhalb des Kehlkopfes (▶ Abb. 58.2) – Aufbau: unterteilt in linken und rechten Schilddrüsenlappen (durch Isthmus verbunden) ●



Abb. 58.1 Hormone.

Hormondrüse

Hormon

Hypothalamus

ADH, Oxytocin, Releasing-Hormone, Inhibiting-Hormone

Hypophyse

ACTH, FSH, LH, TSH Prolaktin, GH

Schilddrüse

Schilddrüsenhormone, Kalzitonin

Nebenschilddrüsen

Parathormon

Nebennieren

Aldosteron, Kortisol, Androgene, (Nor-)Adrenalin

Inselorgan der Bauchspeicheldrüse

Insulin, Glukagon, Somatostatin, PP

Eierstöcke

Östrogen, Progesteron

Hoden

Testosteron

Die wichtigsten hormonbildenden Organe. Aus: Schewior-Popp S, Sitzmann F, Ullrich L. Thiemes Pflege. Thieme; 2012

l 58

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels Abb. 58.2 Schilddrüse.

Zungenbein

Kehlkopf

M. cricothyroideus linker Lappen

rechter Lappen Isthmus



Luftröhre

Ansicht von Schilddrüse und Kehlkopf von vorn. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

– Histologie: in Läppchen gegliedert, die aus Follikeln („Bläschen“) aufgebaut sind. In diesen sind die Schilddrüsenhormone gespeichert. – Schilddrüsenhormone: T3 und T4 regen den Stoffwechsel an. Sie sorgen für vermehrte Wärmeproduktion, Herzfrequenz- und Blutdrucksteigerung, bei Kindern sorgen sie für die Wachstumsreifung und Förderung der Gehirnentwicklung, Stressreaktion (Unruhe, Gereiztheit, Nervosität), Steigerung der Darmmotilität und Steigerung der Muskeltätigkeit. – Nebenschilddrüsen: Sie sind sehr klein und befinden sich an der Rückseite der Schilddrüse. Oft bestehen sie nur aus einigen wenigen Zellen, sind aber sehr wichtig. Sie produzieren das Parathormon, das die Konzentration von Kalzium im Blut erhöht (Eselsbrücke: „Parathormon stellt Kalzium parat“). Bauchspeicheldrüse (Pankreas): Der endokrine Anteil der Bauchspeicheldrüse produziert die Hormone Insulin, Glukagon, Somatostatin und PP. Sie werden direkt in das Blut abgegeben und regulieren den Glucose-Stoffwechsel (▶ Abb. 58.3). Die Hormonproduktion wird direkt über die Höhe des Blutzuckerspiegels kontrolliert. Der exokrine Anteil gibt Verdauungsenzyme in den Verdauungstrakt ab (exokrin = Abgabe eines Drüsensekrets über einen Ausführungsgang). – Lage: hinter dem Magen (retroperitoneal). Der Pankreaskopf wird nach rechts vom Zwölffingerdarm begrenzt, der Pankreasschwanz kann bis zum Milzhilum reichen. – Aufbau: Sie besteht aus exokrinen und endokrinen Drüsenzellen.

Abb. 58.3 Wirkung von Insulin und Glukagon.

Blutzuckerspiegel hoch

BZ

BZ Blutzuckerspiegel niedrig Bauchspeicheldrüse

Insulinausschüttung (β−Zellen)

Glukagonausschüttung (α-Zellen) Leber

Glukoseeinstrom

Fettzellen Muskelzellen

Glukosefreisetzung

Blutzuckerspiegel normal

Insulin steigert die Aufnahme von Glukose in Fett- und Muskelzellen. Glukagon fördert den Einstrom von Glukose ins Blut. I care – Anatomie Physiologie. Thieme; 2015

412

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels – Histologie: Der endokrine Anteil aus speziellen Zellgruppen (sog. Langerhans-Inseln bzw. „Inselorgan“) ist in den exokrinen Anteil eingestreut. Die Langerhans-Inseln bestehen u. a. aus den „Beta-Zellen“ (produzieren Insulin) und den „Alpha-Zellen“ (produzieren Glukagon). – Insulin: senkt den Blutzuckerspiegel, v. a. durch die Förderung der zellulären Aufnahme von Blutzucker und durch den Aufbau von Glykogen (lange Glucoseketten) in der Leber und im Muskelgewebe. – Glukagon: Der „Gegenspieler“ von Insulin. Glukagon erhöht den Blutzuckerspiegel, u. a. durch die Förderung der Glucose-Produktion (Glukoneogenese) und Glykogen-Abbau.

! Merke Eselsbrücke „GABI“

„GABI“: Glukagon wird durch Alpha-Zellen produziert. Beta-Zellen produzieren Insulin. ●



Nebennierenrinde: Produziert, getriggert durch ACTH aus der Hypophyse, Glukokortikoide (insbes. Cortisol), Mineralokortikoide (insbes. Aldosteron) und Androgene (insbes. Testosteron) Nebennierenmark: produziert, getriggert durch den Sympathikus, Adrenalin und Noradrenalin (Katecholamine).

58.2 Erkrankungen des Hormonsystems, Stoffwechselstörungen und ernährungsbedingte Erkrankungen 58.2.1 Diabetes mellitus Definition Diabetes mellitus Chronisch verlaufende Erkrankung mit erhöhtem Blutzuckerspiegel. Die Ursache liegt in einem absoluten Mangel an Insulin (sog. Typ-1-Diabetes) oder einer gestörten Insulinwirkung mit relativem Insulinmangel durch Resistenz (sog. Typ-2-Diabetes).

Ursachen Der Körper (v. a. das Gehirn) ist auf Energie angewiesen. Diese Energie wird in erster Linie aus Glukose gewonnen. Deswegen ist es lebensnotwendig, dass der Blutzuckerspiegel nicht unter ein bestimmtes Level abfällt. Ist er andererseits zu hoch (z. B. bei Insulinmangel), führt die erhöhte Zuckerkonzentration im Blut und im Gewebe zu chronischen Organschäden und Flüssigkeitsverlust über die Nieren durch osmotische Diurese („Diabetes mellitus“). Je nachdem, ob zu wenig Insulin vorhanden ist (absoluter Insulinmangel) oder Insulin nicht ausreichend wirken kann (relativer Insulinmangel), werden unterschieden: ● Typ-1-Diabetes (5–10 % der Diabetesfälle): absoluter Insulinmangel. Beta-Zellen sind durch Autoimmunprozesse zerstört. ● Typ-2-Diabetes (90 % der Diabetesfälle): relativer Insulinmangel. Insulin kann nicht an der Zielzelle wirken, z. B. durch zunehmende Resistenz der Rezeptoren aufgrund falscher Ernährung bzw. eines „metabolischen Syndroms“ (S. 417). Zusätzlich nimmt auch die Insulinproduktion langsam ab.

Symptome ●





häufig zunächst wenig Symptome (v. a. beim Typ-2-Diabetes). Die Erkrankung wird oft erst durch chronische Folgeerkrankungen erkannt. Polyurie, Flüssigkeitsmangel, Polydipsie (v. a. beim Typ-1Diabetes): Der Körper versucht, den Blutzucker durch die Ausscheidung von Glukose über den Urin zu senken. Dies gelingt nur durch eine erhöhte Urinausscheidung. Es kommt zu vermehrtem Harndrang (Polyurie), der Patient verliert Flüssigkeit (Gefahr der Exsikkose) und hat mehr Durst (Polydipsie). Gewichtsverlust, Schwäche durch mangelnde Aufnahme von Glukose als Energielieferant

Komplikationen und Folgeerkrankungen Hypoglykämie (Blutzucker unter 50 mg/dl) Eine Hypoglykämie ist oft die Folge eines Dosierungsfehlers bei der Diabetestherapie. Sie ist wesentlich gefährlicher als eine Hyperglykämie und immer ein Notfall („diabetischer Schock“). Die Symptome resultieren aus einer Unterversorgung des Gehirns mit Energie sowie der daraus folgenden Stressreaktion. Symptome ● kalter und klebriger Schweiß, Zittern, Tachykardie (Stressreaktion) ● Bewusstlosigkeit, Verwirrtheit, Müdigkeit, Muskelschwäche, Krampfanfälle (Unterversorgung des Gehirns mit Glukose). Lebensgefahr! Notfalltherapie solange der Patient wach und ansprechbar ist: Limonade oder Traubenzucker ● bei schweren Fällen: Glukose i. v. oder Glukagon i. m. ●

Hyperglykämie (Blutzucker über 120 mg/dl) Hyperglykämie ist die Folge eines nicht erkannten oder unzureichend eingestellten Diabetes mellitus. Auch durch Infekte oder Stress kann der Blutzucker bei Diabetikern „entgleisen“. Symptome typische Diabetes-Symptome, u. a. Durst, Polyurie, Schwindel, Schwäche, Exsikkose, Bauchschmerzen ● Steigt der Blutzucker sehr schnell und stark an, kommt es zum diabetischen Koma. Unterschieden werden: – ketoazidotisches Koma: v. a. bei Typ-1-Diabetes, Blutglukose deutlich erhöht (> 350 mg/dl bzw. 19,4 mmol/l), Atem riecht nach Azeton, Blut-pH niedrig – hyperosmolares Koma: v. a. bei Typ-2-Diabetes, Blutglukose start erhöht (ca. 600 mg/dl bzw. 33,3 mmol/l), Symptome des Flüssigkeitsmangels, Blut-pH normal ●

Notfalltherapie • Gabe von kurzwirksamen Insulinen (z. B. Normalinsulin oder kurzwirksame Insulinanaloga), Ausgleich einer Exsikkose mit Infusionen. Beim ketoazidotischen Koma: Ausgleich des Blut-pHs mit Natriumbicarbonat; parallel Ausgleich des (kompensatorisch erniedrigten Serumkaliums).

l 58

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels

HbA1c

professionelle Fußpflege

Diagnostik

KHK

trockene Haut vermeiden

oGTT

Anleitung, Schulung, Beratung

Mikroangiopathie

Makroangiopathie, z.B.

Hautzustand

Körperpflege

z.B. Nierenschaden

pAVK

Wunden

Beobachtung, z.B. Akutkomplikationen, z.B.

Pflege

Insulininjektion

Folgeerkrankungen

BZ-Messung

akute Hypoglykämie

orale Antidiabetika

Komplikationen Therapie

Ernährung

akute Hyperglykämie

Insulin

Diabetes mellitus

Symptome,

Polyurie

Formen

Bauchschmerzen

Typ 1 abs. Insulinmangel Typ 2 rel. Insulinmangel

Polydipsie

Hormonsystem und Stoffwechsel S. 410

Schwäche

sonstige endokrin

M. Cushing medikamenteninduzierter Diabetes

Insulin

Gestationsdiabetes

Erhöhte Infektanfälligkeit



Bei chronisch erhöhtem Blutzuckerspiegel kommt es leichter zu Infekten der Haut und der Harnwege (z. B. Blasenentzündung). Besonders Läsionen im Fußbereich (vgl. diabetisches Fußsyndrom) sind für Infekte anfällig.



Folgeerkrankungen Folgeerkrankungen entstehen durch einen ständig erhöhten Blutzuckerspiegel. Die Erkrankungen treten meist erst 10 Jahre nach Diagnose des Diabetes mellitus auf. Zu den wichtigsten zählen: ● diabetische Makroangiopathie: z. B. KHK, Herzinfarkt, Schlaganfall, pAVK ● diabetische Mikroangiopathie: Retinopathie, Nephropathie, erektile Dysfunktion

414

Pankreas

exokrin

Glukagon

diabetische Neuropathie: Lähmungen, Taubheitsgefühle, Kribbeln, Blutdruckabfall, erektile Dysfunktion, Magenund Blasenentleerungsstörungen diabetisches Fußsyndrom: Läsionen bzw. Geschwüre am Fuß als Folge verminderter Sensibilität (diabetischer Neuropathie) und Durchblutungsstörungen

Diagnostik Blutzuckerbestimmung • Die Standardmethode ist die Messung des Blutzuckers über einen Blutstropfen aus der Fingerbeere. Vor der Messung sollte die Fingerbeere gründlich gereinigt werden, um (z. B. durch Marmeladenreste) die Messung nicht zu verfälschen. Bei manchen Messsystemen muss der erste Blutstropfen verworfen werden. Der Blutzucker kann auch kontinuierlich über einen Sensor im Unterhautfettgewebe gemessen werden. Dieses Verfahren findet bei Patienten mit Diabetes Typ 1 Anwendung.

!

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels Normalwert (nüchtern): 60–100 mg/dl (3,3–5,6 mmol/l). Nüchternblutzuckerwerte (nach 8 Std. Nahrungskarenz) von über 126 mg/dl (7 mmol/l) sind beweisend für einen Diabetes mellitus. Oraler Glukose-Toleranz-Test (oGTT) • Beim oGTT wird der Blutzuckeranstieg nach der Aufnahme einer fest definierten Menge Glucose gemessen. Vor der Untersuchung muss der Patient 10 Stunden fasten. Dann wird der Nüchternblutzucker bestimmt. Nach oraler Aufnahme von 75 g Glukose wird die Messung nach 2 Stunden wiederholt. Der oGTT hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Weitere Untersuchungen ● HbA1c: Laborwert, der den durchschnittlichen Blutzuckerwert in den letzten 8 Wochen angibt. Wichtig für die Therapiekontrolle von Diabetikern. ● Antikörperbestimmung: Bei Typ-1-Diabetikern finden sich oft Antikörper gegen die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse. Diese können im Blut bestimmt werden und untermauern die Diagnose. ● BMI und Waist-to-Hip-Ratio: besonders bei Typ-2-Diabetikern zur Einschätzung des Übergewichts ● Untersuchungen auf Folgeerkrankungen: Tasten von Fußpulsen (diabetische Angiopathie?), Stimmgabelversuch (diabetische Neuropathie?), Inspektion der Füße (diabetisches Fußsyndrom?), Albuminbestimmung im Urin (diabetische Nephropathie?), Spiegelung des Augenhintergrundes (diabetische Retinopathie?).

Therapie Ziel der Therapie ist eine konstant gute Blutzuckereinstellung. Dadurch sollen Folgeerkrankungen vermieden werden. Je nach Diabetestyp werden unterschieden: ● Typ-1-Diabetes: lebenslange Insulintherapie (s. c.) und Anpassung der Ernährung ● Typ-2-Diabetes: zunächst Bewegung, Übergewicht abbauen und Ernährungsumstellung. Je nach HbA1c-Wert („Langzeitzucker“) zusätzlich orale Antidiabetika (Tabletten). Nur bei unzureichendem Therapieerfolg zusätzliche (s. c.) Insulintherapie.

Insulintherapie Einteilung der Insuline: ● kurzwirksame Insuline – Normalinsulin (z. B. Insuman Rapid): – Wirkeintritt ca. 20–30 Min. nach s. c.-Injektion – Wirkdauer ca. 5–7 Std. – einziges Insulin, das intravenös verabreicht werden kann – kurzwirksame Insulinanaloga: – Wirkeintritt sofort – Wirkdauer ca. 2–3 Std. ● langwirksame Insuline (z. B. Protaphane) – NPH-Insuline (z. B. Protaphane): – Wirkeintritt ca. 45–90 Min. nach Injektion – Wirkdauer 10–12 Std. – langwirksame Insulinanaloga: – Wirkeintritt ca. 2–4 Std. nach Injektion – Wirkdauer 12–24 Std.

– Mischinsuline (z. B. Actraphane 30/70): – Kombination von kurz- und langwirksamen Insulinen (z. B. im Verhältnis 30:70)

! Merke Mischinsuline schwenken

Mischinsuline müssen vor dem Gebrauch 20-mal geschwenkt werden, um kurz- und langwirksame Anteile miteinander zu vermengen. Therapieregime • Welche Insulintherapie durchgeführt wird, richtet sich nach der Art des Diabetes und nach den Fähigkeiten des Patienten (z. B. ob der Patient selbstständig den Blutzucker messen kann): ● intensivierte konventionelle Therapie (ICT): kurzwirksames Insulin zu den Mahlzeiten in Kombination mit einem ein- bis zweimal täglich injizierten langwirksamen Insulin – Vorteil: Physiologische Insulinausschüttung des Körpers wird gut simuliert. – Nachteil: Selbstkontrolle des Blutzuckers vor jeder Mahlzeit – für Typ-1-Diabetiker und flexible, selbstständige Typ-2Diabetiker ● Insulinpumpentherapie: Kurzwirksames Insulin wird über eine Pumpe selbstständig und andauernd s. c. injiziert. Zu den Mahlzeiten kann die Pumpe zusätzlich Boli applizieren. – Vorteil: kommt der physiologischen Insulinausschüttung am nächsten – Nachteil: hohe Kosten, hoher Aufwand – für Typ-1-Diabetiker ● basalunterstützte orale Therapie (BOT): orale Antidiabetika in Kombination mit einem langwirksamen Insulin – Vorteil: langsamer Einstieg in eine Insulintherapie, um den Patienten daran zu gewöhnen – Nachteil: teilweise schwere Einstellung der optimalen Insulindosis – für Typ-2-Diabetiker, bei denen eine reine orale Therapie nicht mehr ausreicht ● supplementäre Insulintherapie (SIT): orale Antidiabetika in Kombination mit einem kurzwirksamen Insulin zu den Mahlzeiten – Vorteil: relativ nah an der physiologischen Insulinausschüttung – Nachteil: Berechnung der richtigen Insulindosis durch den Patienten – für Typ-2-Diabetiker mit hohen Blutzuckerwerten nach dem Essen

Orale Antidiabetika Orale Antidiabetika werden ausschließlich bei Typ-2-Diabetes eingesetzt. Können die Blutzuckerwerte durch Bewegung und Ernährungsanpassung nicht ausreichend gesenkt werden, wird nach aktuellen Leitlinien zunächst eine Therapie mit dem Biguanid Metformin begonnen (Glucophage). Je nach Therapieerfolg kann Metformin in einem zweiten Schritt mit einem anderen oralen Antidiabetikum oder mit Insulin kombiniert werden.

l 58

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels

! Merke Kein Metformin vor OP

Eine seltene, aber lebensbedrohliche Nebenwirkung von Metformin ist die Laktatazidose mit Übelkeit, Erbrechen, Bewusstlosigkeit und erniedrigtem Blut-pH mit einem Anstieg des Laktats. Diese Nebenwirkung tritt immer dann auf, wenn es im Körper zu einer Stressreaktion (z. B. akute Infektion, chronische Nierenschwäche, Operation u. a.) kommt. Deshalb muss Metformin vor Operationen pausiert werden! Weitere Beispiele für orale Antidiabetika: Glibenclamid (Handelsname: Euglucon; Wirkstoffgruppe: Sulfonylharnstoffe; Achtung: Hypoglykämiegefahr hoch!), Repaglinid (Handelsname: NovoNorm; Wirkstoffgruppe: Glinide); Acarbose (Handelsname: Glucobay; Wirkstoffgruppe: α-Glukosidase-Hemmer), Pioglitazon (Handelsname: Actos; Wirkstoffgruppe: Glitazone)

Pflege Beobachtung ● Anzeichen einer Hypo-/Hyperglykämie (S. 413): z. B. Übelkeit und Erbrechen ● Vitalparameter: ● Blutdruck: Zielblutdruck < 140/85 mmHg ● Atmung: Dyspnoe kann auf eine Herzinsuffizienz hinweisen, Kußmaul-Atmung auf eine Ketoazidose ● Körpergewicht kontrollieren: Rasche Gewichtszunahme (z. B. durch Wassereinlagerung) kann Hinweis auf dekompensierte Nieren- oder Herzinsuffizienz sein. ● Haut: Einrisse, Blasen und sonstige Wunden an den Füßen können ein Hinweis auf ein diabetisches Fußsyndrom sein; Ödeme können auf eine Niereninsuffizienz hinweisen. ● Sehstörungen: Akute Sehstörungen können ein Zeichen für eine Hypoglykämie sein. Ein sich langsam verschlechterndes Sehvermögen spricht für eine diabetische Retinopathie. Jährliche Augenarztkontrollen sind zu empfehlen. Mobilisation auf gut sitzende Schuhe achten, um die Gefahr von Druckstellen zu reduzieren ● Eingeschränkte Belastung und verringerte Gehstrecken können ein Hinweis auf eine Herzinsuffizienz oder eine pAVK sein (siehe Kap. 53.4.3). ●

Körperpflege • Diabetiker sind oft infektionsgefährdet. Deswegen ist eine sorgfältige Körperpflege besonders wichtig: ● Hautpflege: pH-neutrale Seifen und harnstoffhaltige Cremes an den Füßen, um trockene Haut zu vermeiden ● Mund- und Zahnpflege: Diabetiker sind für Karies und Soor besonders anfällig! ● Intimpflege: Diabetiker neigen zu Harnwegsinfekten. Deshalb Harnblasenkatheter frühzeitig entfernen. ● Fußpflege: Nur durch geprüfte Podologen, keine Hornhautpflaster, Bimssteine o. Ä. Kalte Füße niemals mit Wärmflaschen wärmen (Verbrennungsgefahr bei diabetischer Neuropathie!) Prophylaxen ● bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4)

416





Dekubitusprophylaxe: besonders aufgrund von Sensibilitäts- und Durchblutungsstörungen und hoher Infektanfälligkeit Intertrigoprophylaxe: besonders bei adipösen Patienten

Ernährung ● geeignete Kostform, z. B. Vollkornprodukte, Obst, Gemüse ● Bei Erbrechen, Durchfall und vor Operationen muss auf eine ausreichende Glukosezufuhr geachtet werden. Die Insulindosis muss ggf. reduziert und Glukose ggf. durch Infusionen zugeführt werden. Ernährungsberatung Die Angaben „BE“ (Broteinheit) oder „KE“ (Kohlenhydrateinheit) geben Auskunft darüber, wie viele Kohlenhydrate ein Lebensmittel enthält. Damit können die Betroffenen ihre Insulindosis selbstständig berechnen/schätzen. Die Berechnung erlernen Diabetiker in speziellen Schulungen. ● Empfohlen wird eine gesunde Mischkost mit viel Obst, Gemüse und Vollkornprodukten. ● Langsam resorbierbare Kohlenhydrate (z. B. Vollkornprodukte) lassen den Blutzucker weniger stark ansteigen als schnell resorbierbare Kohlenhydrate (z. B. Weißmehlprodukte). ● Auf große Mengen stark zuckerhaltiger Getränke oder Alkohol sollte verzichtet werden. Stattdessen wird Wasser empfohlen. ● Süßigkeiten sind (in Maßen) erlaubt. ● Übergewichtige Diabetiker sollten ihr Gewicht reduzieren. Dies reduziert die Gefahr von Folgeerkrankungen und senkt den täglichen Insulinbedarf. ●

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Weiterführende Therapie durch den Hausarzt und ggf. die Betreuung durch einen Pflegedienst muss gewährleistet sein. – Hinweis auf Disease-Management-Programme (DMP) beim Hausarzt – Hinweis auf Patientenschulungen durch Krankenkassen oder Hausarzt – Hinweis auf Selbsthilfegruppen – regelmäßige Fußkontrollen und Hinweis auf gut angepasste Schuhe (Druckstellen!) im Rahmen des DMP-Programms „Diabetes“ beim Hausarzt ● Schulungen: Patient sollte fähig sein, – sich selbst Insulin zu spritzen, – den Blutzucker zu messen sowie – Anzeichen einer Hypo- und Hyperglykämie zu erkennen und – Maßnahmen einzuleiten. ● bei neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes und anhaltend schlechter Blutzuckereinstellung (ambulante) Rehabilitation in Betracht ziehen ● Patienten ggf. zur Gewichtsreduktion motivieren (wirkt sich positiv auf Erkrankung und weiteren Verlauf aus) ●

Diabetes im Alltag Sportliche Aktivitäten sind wichtig. Bei großer Anstrengung sollte auf die Gefahr einer Hypoglykämie hingewiesen werden. ● Das Führen eines Kraftfahrzeugs ist erlaubt. ●

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels ●



Im Urlaub sollten genügend Insulin und Blutzuckerteststreifen vorhanden sein (Kühlkette beachten!). Familienangehörige sollten über die Erkrankung aufgeklärt und bezüglich Notfallmaßnahmen geschult werden (z. B. Glukagon-Notfallspritze).

Symptome ●



Psychosoziale Begleitung Gesprächsbereitschaft signalisieren ● über Änderung der Lebensgewohnheiten sprechen und motivieren ● auf Anzeichen von depressiver Stimmung achten: Typ-1Diabetiker können zu Depressionen neigen. Diese führen zu Bewegungsmangel und damit zu schlechterer Blutzuckereinstellung.

akuter Gichtanfall: Schmerzen, Schwellung, Rötung und Überwärmung einzelner Gelenke (oft Großzehengrundgelenk) chronische Gicht: Harnsäureablagerungen in Niere und Haut



Diagnostik ● ●

Therapie und Pflege ●

KOMPAK T Diabetes mellitus ●







● ●









Insulin senkt den Blutzucker, indem es die Glukose-Aufnahme in die Körperzellen fördert. typische Symptome bei Hyperglykämie: Polyurie, Durst, Exsikkose, Müdigkeit typische Symptome bei Hypoglykämie: Schwitzen, Zittern, Tachykardie, Verwirrtheit, Krämpfe Pathophysiologie: bei Diabetes Typ-1: absoluter Insulinmangel; bei Diabetes Typ-2: relativer Insulinmangel Typ-1-Diabetes wird immer mit Insulin behandelt. Typ-2-Diabetes wird zunächst diätetisch und mit Tabletten, später dann ggf. auch mit Insulin behandelt. Notfalltherapie bei Hypoglykämie: Gabe von Limonade oder Traubenzucker (solange der Patient wach und ansprechbar ist), Gabe von Glukose i. v. oder Glukagon („Notfallspritze“) i. m. Notfalltherapie bei Hyperglykämie: Gabe von kurzwirksamen Insulinen (z. B. Rapid), Ausgleich einer Exsikkose mit Infusionen Körperpflege: gute Haut- und Intimpflege, um Infektionen zu vermeiden! Familienangehörige: über Erkrankung und Notfallmaßnahmen aufklären.

58.2.2 Hyperurikämie und Gicht







Ursachen ● ● ●



gestörte Ausscheidung von Harnsäure über die Nieren Enzymdefekt im Harnsäurestoffwechsel vermehrter Anfall von Harnsäure durch Zelluntergang (z. B. von Tumorzellen bei einer Chemotherapie) vermehrter Anfall von Harnsäure durch besonders purinreiche Ernährung und Alkoholkonsum

Medikamente: Allopurinol, wenn Harnsäurespiegel diätetisch nicht unter 9 mg/dl gesenkt werden kann. Im akuten Schub: NSAR (z. B. Diclofenac) und Glucocorticoide (z. B. Prednisolon) Mobilisation: betroffenes Gelenk schonen, frei lagern, kühlen Ernährung: purinarme Kost (wenig Fleisch, keine Innereien, wenig Alkohol), üppige Mahlzeiten vermeiden, auf ausreichende Trinkmenge achten (mind. 2 Liter) Übergewicht reduzieren

58.2.3 Adipositas Definition Adipositas und metabolisches Syndrom Deutliche Vermehrung des Fettgewebes im Körper. Ab wann ein Patient „zu dick“ ist (also unter Adipositas leidet), wird über den BMI (Body-Mass-Index) definiert (Formel: Körpergewicht [in kg] / Körpergröße [in m]2) ● BMI > 25 kg/m2: Übergewicht (Vorstufe zur Adipositas) ● BMI > 30 kg/m2: Adipositas Tritt Adipositas zusammen mit Bluthochdruck (> 130/85 mmHg), Hyperlipidämie (v. a. zu viel LDL, zu wenig HDL) und Diabetes auf, spricht man vom metabolischen Syndrom. Dieses vervierfacht das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.

Ursachen ●



Definition Hyperurikämie und Gicht Von einer Hyperurikämie spricht man bei erhöhtem Harnsäurespiegel im Blut. Harnsäure ist ein Abbauprodukt von Purinen (Basen in der DNA), das v. a. bei fleischreicher Ernährung anfällt. Lagert sich die Harnsäure in Gelenken ab und führt dort zu Schmerzen, spricht man von Gicht. Die Krankheit verläuft oft in akuten Schüben (Gichtanfälle).

typische Klinik (entzündetes Gelenk) erhöhter Harnsäurespiegel im Blut

primäre Adipositas (häufig): durch übermäßige Kalorienzufuhr und zu wenig Bewegung sekundäre Adipositas (selten): Gewichtszunahme durch eine Hypothyreose, Glukokortikoidtherapie (z. B. Cortison), Morbus Cushing oder bestimmte Gehirntumoren

Symptome ● ● ●

Kurzatmigkeit verminderte körperliche Belastbarkeit vermindertes Selbstwertgefühl

Komplikationen und Folgeerkrankungen ● ● ● ●



Fettstoffwechselstörungen Gallensteine Diabetes mellitus Tumorerkrankungen (insbesondere Darm- und Harnblasenkrebs) Potenzstörungen

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Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels ● ● ●

Gelenkbeschwerden erhöhte Thromboseneigung erhöhte Gefahr für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Dabei ist Bauchfett (viszerale Fettverteilung, „Apfelform“) gefährlicher als Hüftfett („Birnenform“).

Therapie ●





Gewichtsreduktion durch effiziente Ernährungsumstellung und mehr Bewegung (am besten unter professioneller Anleitung) medikamentöse Therapie (bei schwerer Adipositas) durch Appetitzügler oder Fettaufnahmehemmer (Achtung: nur unter ärztlicher Aufsicht!) operative Therapie gilt als letzter Ausweg bei schwerer, therapieresistenter Adipositas, z. B. durch Magenverkleinerung per Magenbypass

Pflege ●









Beobachtung: – Vitalparameter: ggf. breitere Blutdruckmanschette verwenden – Haut: auf Pilz und Intertrigo in Hautfalten achten Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Thromboseprophylaxe: aufgrund erhöhter Thromboseneigung – Intertrigoprophylaxe: bei ausgeprägten Hautfalten und starkem Schwitzen Mobilisation und Positionierung: – Oberkörperhochlage erleichtert das Atmen – auf rückenschonendes Arbeiten achten (ggf. mit Patientenlifter), Patientenressourcen nutzen, siehe auch Kap. 50 – Achtung: Rollstühle und Betten sind oft nur bis 180 kg Körpergewicht zugelassen! Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Präventionsangebote der Krankenkassen empfehlen psychosoziale Beratung: „Adipositas als Krankheit akzeptieren“; Analyse des Essverhaltens, motivieren

KOMPAK T Adipositas ●





BMI = Körpergewicht (in kg) / (Körpergröße [in m])2; Adipositas ab einem BMI > 30 kg/m2 bei metabolischem Syndrom (Kombination mit Bluthochdruck, Hyperlipidämie, Diabetes): vierfach erhöhtes Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt Bauchfett (viszerale Fettverteilung, „Apfelform“) gefährlicher als Hüftfett („Birnenform“)

58.2.4 Hypothyreose Definition Hypothyreose Mangel an Schilddrüsenhormonen als Folge einer Hormonbildungsstörung in der Schilddrüse (primäre Hypothyreose – häufig) oder durch verminderte TSH-Produktion (sekundäre Hypothyreose – selten).

Ursachen ●

● ● ● ●

Symptome ● ●

● ● ●

● ●

Kälteempfindlichkeit Leistungsabfall, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten Obstipation Bradykardie und Hypotonie erschwertes Sprechen und schwere Zunge (evtl. Heiserkeit) trockene Haut, brüchige Haare bei Kindern: irreversible Entwicklungsverzögerung und Behinderung

! Merke Hypothyreose = Sparflamme

Bei der Hypothyreose läuft der Körper „auf Sparflamme“.

Diagnostik ● ●

Blutuntersuchung (TSH, fT3, fT4) weiterführende Diagnostik, z. B. Suche nach Schilddrüsenautoantikörpern oder Tumoren im Hypophysenbereich

Therapie ● ●

Schilddrüsenhormone (z. B. L-Thyroxin) regelmäßige TSH-Kontrollen

Pflege ●









418

am häufigsten: autoimmune Entzündung der Schilddrüse (Hashimoto-Thyreoiditis) nach einer Schilddrüsen-OP Überbehandlung einer Überfunktion angeborene Unterfunktion selten: TSH-Mangel

Beobachtung: Vitalparameter erfassen: Bradykardie? Hypotonie? Mobilisation und Körperpflege: – Unterstützung individuell nach Belastungsgrenze – Zeit lassen, Ruhepausen einplanen – Hautpflege bei trockener Haut Ernährung: Schilddrüsenhormone eine halbe Stunde vor dem Frühstück mit einem Glas Wasser einnehmen (kein Kaffee, dieser kann die Wirksamkeit verringern) Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Obstipationsprophylaxe: bei Neigung zur Obstipation zweite Decke anbieten, wenn der Patient schnell friert

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels

58.2.5 Hyperthyreose

58.2.6 Struma

Definition Hyperthyreose

Definition Struma

Überproduktion von Schilddrüsenhormonen durch vermehrte TSH-Produktion (sekundäre Hyperthyreose) oder eine übermäßige Hormonbildung in der Schilddrüse (primäre Hyperthyreose).

Vergrößerung der Schilddrüse. Die Stoffwechsellage kann hypothyreot, hyperthyreot oder normal sein.

Ursachen ●





am häufigsten: autonomes Adenom (hormonproduzierender Tumor) schilddrüsenaktivierende (TSH ähnelnde) Antikörper (Morbus Basedow) selten: vorübergehend bei Thyreoiditis oder bei Übertherapie einer Unterfunktion

Symptome ● ● ● ● ● ● ●

Herzklopfen, Tachykardie, Hypertonie Unruhe und Nervosität feinschlägiger Tremor Neigung zum Schwitzen Haarausfall ungewollte Gewichtsabnahme bei Morbus Basedow: Struma (S. 419), hervortretende Augäpfel („Exophthalmus“)

Ursachen Am häufigsten vergrößert sich die Schilddrüse im Rahmen eines Jodmangels. Die Schilddrüse versucht in dieser Situation, die Unterversorgung durch Größenzunahme zu kompensieren. Gelingt ihr das, ist die Stoffwechsellage normal. Man spricht von einer euthyreoten Struma. Weitere Ursachen sind z. B. Schilddrüsentumoren, Morbus Basedow (hyperthyreot) oder eine Thyreoiditis (meistens hypothyreot).

Symptome Zunächst oft keine Beschwerden. Später dann Schluckstörungen, Fremdkörpergefühl und Luftnot.

Diagnostik ● ● ●

Blutuntersuchung (TSH, fT3, fT4) Schilddrüsensonografie Schilddrüsenszintigrafie (kann hormonproduzierende von nichthormonproduzierenden Bereichen abgrenzen)

Komplikationen und Folgeerkrankungen Plötzliche, starke Freisetzung von Schilddrüsenhormonen u. a. durch jodhaltige Kontrastmittel. Hierdurch kommt es zu starker Tachykardie, Herzrhythmusstörungen und Fieber. Eine solche thyreotoxische Krise kann tödlich enden. Deshalb müssen bei jedem Patienten vor der Gabe von jodhaltigem Kontrastmittel die Schilddrüsenwerte kontrolliert werden.

Therapie ●

● ●



Orale Thyreostatika (z. B. Carbimazol) blockieren die Hormonproduktion der Schilddrüse. Beta-Blocker gegen die kardialen Symptome Radiojodtherapie: Durch radioaktives Jod werden Schilddrüsenzellen zerstört. operative Teilentfernung der Schilddrüse

Pflege ●





● ●

Beobachtung: Vitalparameter erfassen: Tachykardie? Hypertonie? Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Obstipationsprophylaxe: bei Neigung zur Obstipation Mobilisation und Körperpflege: – Unterstützung individuell nach Belastungsgrenze – Hektik vermeiden koffeinhaltige Getränke meiden nach intravenöser Kontrastmittelgabe auf Fieber, Tachykardie und Herzrhythmusstörungen achten (thyreotoxische Krise!)

Therapie ● ●

Behandlung der jeweiligen Ursache, z. B. Jod-Applikation ggf. Operation (z. B. bei Knotenstruma mit „autonomen“ hormonproduzierenden Knoten oder bei Schilddrüsenkarzinom)

Pflege Postoperative Pflege nach Strumaresektion: ● 45°-Oberkörperhochlage (Wundsekret kann besser ablaufen) ● regelmäßige Kontrolle der Vitalparameter ● Beobachtung hinsichtlich Luftnot (Stridor?) ● Überprüfung der Stimmfähigkeit (Beeinträchtigung bei Lähmung des „Stimmbandnervs“ N. laryngeus recurrens durch intraoperative Verletzung, Wundödem oder Nachblutung). Dafür sollte der Patient „K“-Laute (z. B. „CocaCola“) aussprechen. Ist der Nerv beschädigt, erlischt diese Fähigkeit. ● ggf. Hilfe beim Trinken (Aspirationsgefahr) ● auf Nachblutungen achten (Stridor, Dyspnoe, Zunahme des Halsumfangs bei Blutungen nach innen; rasche Füllung der Redonflasche und durchgebluteter Verband bei Nachblutungen nach außen) ● auf Zeichen eines Hypoparathyreoidismus (hypokalzämische Tetanie) durch intraoperative Schädigung der Nebenschilddrüsen achten (z. B. Nervosität, Muskelzuckungen im Gesicht, tetanische Krämpfe mit Pfötchenstellung, Angstgefühl)

l 58

Erkrankungen des Hormonsystems und des Stoffwechsels

KOMPAK T Erkrankungen der Schilddrüse ●



● ●

Hypothyreose (Schilddrüsenhormonmangel): Ursache oft Thyreoiditis, seltener OP; Symptome: trockene Haut, Müdigkeit, Patienten frieren. Hyperthyreose (Schilddrüsenhormonüberschuss): Ursache oft Adenom oder schilddrüsenaktivierende Antikörper (M. Basedow); Symptome: Herzklopfen, Tachykardie, Unruhe, Patienten schwitzen. Struma: häufigste Ursache: Jodmangel Pflege nach Strumaresektion: Achtung: eingeschränkte Stimmfähigkeit (Rekurrens-Schädigung?); Tetanie (Hypoparathyreoidismus?); Stridor, Luftnot (Nachblutung?)

58.2.7 Lipidstoffwechselstörungen Definition Lipidstoffwechselstörungen Bei Lipidstoffwechselstörungen ist der Fettspiegel im Blut verändert. Häufig handelt es sich um eine Hypercholesterinämie, bei der zu viel „schlechtes Cholesterin“ (sog. LDL) im Blut vorhanden ist. Lipidstoffwechselstörungen gehören zu den klassischen Risikofaktoren einer Atherosklerose. Lipoproteine (LDL, HDL, VLDL u. a.) sind im Körper für den Transport von Fetten verantwortlich. Sie bestehen aus Eiweißen (Proteinen) und sind mit Fetten (Lipiden) beladen. HDL transportiert das Fett aus dem Blut in die Leber. Dort wird es gespeichert und kann sich nicht an den Gefäßwänden ablagern – einer Atherosklerose wird vorgebeugt. LDL dagegen transportiert das Fett aus der Leber heraus. Ein Missverhältnis zwischen HDL und LDL fördert die Entwicklung einer Atherosklerose und ist ein Aspekt des „metabolischen Syndroms“.

420

! Merke „gutes“ und „schlechtes“ Cholesterin ●



HDL („high density lipoprotein“. Eselsbrücke: „hab dich lieb“): schützt vor Atherosklerose LDL („low density lipoprotein“): Risikofaktor für Atherosklerose

Ursachen ●



primäre Fettstoffwechselstörung (genetische Erkrankung mit zu viel LDL im Blut). Patienten sind meist nicht übergewichtig und entwickeln früh eine Atherosklerose. Die Folgen sind Herzinfarkt und Schlaganfall. sekundäre Fettstoffwechselstörungen (zu viel LDL durch „ungesunden Lebenswandel“). Typische „Wohlstandskrankheit“. Ursachen sind fettreiche Ernährung, übermäßiger Alkoholkonsum und Übergewicht.

Therapie und Pflege Fettstoffwechsel durch einen gesünderen Lebenswandel normalisieren: ● viel Bewegung ● cholesterinarme Kost (d. h. wenig Alkohol und Fleisch), viel ungesättigte Fettsäuren (z. B. Olivenöl, Rapsöl, Fisch), Übergewicht abbauen ● medikamentöse Senkung der Blutfette – meist durch Statine (z. B. Simvastatin)

KOMPAK T Lipidstoffwechsel Die Hypercholesterinämie (zu viel LDL bzw. Cholesterin im Blut) ist ein häufiger/wichtiger Risikofaktor für Atherosklerose. Protektiv: HDL („gutes Cholesterin“)

59

Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems

Übelkeit

Postexpositionsprophylaxe

Monozyten/ Makrophagen

Durchfall Granulozyten

Leukozyten Plasmaproteine

Antikörper

Lymphozyten

Nebenwirkungen,

Hämostase Thrombozyten

Wasser

unspezifische Abwehr, z.B.

Therapie

Immunsystem

Blutzellen ca. 45 %

HAART

spezifische Abwehr, z.B.

Erythrozyten

Blutplasma ca. 55 %

Polyneuropathie

keimarme Ernährung Hygiene

erhöhte Infektanfälligkeit! Anatomie und Physiologie

Erkrankungen, z.B.

Lymphknoten

psychosoziale Begleitung

lymphatische Organe

Pflege, z.B.

Milz

Leukämie Therapie

MALT Blutbild

Therapie Erythrozytenkonzentrate

Lymphknotenbiospie Nebenwirkungen: Übelkeit, Erbrechen

Anämie

Diagnostik

Serologie Allergietest

erhöhte Blutungsneigung!

HIV und AIDS

Thymus

Knochenmark

Sturzprophylaxe keine Nassrasur!

Eigenschutz!

Zusammensetzung Blut

Nieren- und Leberschäden

Eisen nüchtern einnehmen

Pflege, z.B.

beobachten Haut

anthrazitfarbener Stuhl

Stammzelltransplantation

autolog

Ursachen, z.B.

Eisenmangel Ausscheidungen

Symptome, z.B. S

Lymphknotenschwellung

Kolonkarzinom

allogen

Infektanfälligkeit

Anatomie und Physiologie

59.1 Anatomie und Physiologie



59.1.1 Aufgaben und Zusammensetzung des Blutes Das Blutvolumen eines Erwachsenen beträgt 6–8 % seines Körpergewichts. Damit verfügt ein erwachsener Mensch über ca. 4–6 Liter Blut. Dieses besteht zu 55 % aus Flüssigkeit (Blutplasma) und zu 45 % aus Blutzellen (▶ Abb. 59.1). Neben dem reinen Transport von Stoffen (Atemgase, Nährstoffe, Hormone u. a.) erfüllt das Blut Funktionen im Bereich der Blutgerinnung (u. a. Thrombozyten) und Immunabwehr (u. a. Leukozyten).

Blutplasma Blut ohne Blutzellen wird als Blutplasma bezeichnet. Es besteht zu 90 % aus Wasser. Die restlichen 10 % bestehen v. a. aus Eiweißen (Plasmaproteine): ● Albumin: Es ist hauptverantwortlich für den „kolloidosmotischen Druck“. Dieser übt auf die intravasale Flüssigkeit einen Sog aus und verhindert so ihren Übertritt ins Gewebe.

Abb. 59.1 Bestandteile des Blutes.

Blut 4,5–6 l Wasser (90 %) Plasmaproteine (8 %) • Albumin (60 %) • Globuline (40 %)

55 %

Elektrolyte, Hormone, Nährstoffe u. a. (2 %)

45 % Erythrozyten (99 %) 4 –5,5 Mio./μl Blut Leukozyten (< 1 %) 4000 –100 000/μl Blut

Thrombozyten (< 1 %) 150 000 –350 000/μl Blut

Globuline: Die meisten Alpha- und Beta-Globuline haben Aufgaben beim Stofftransport oder im Gerinnungssystem. Gamma-Globuline haben als Immunglobuline (Antikörper) eine wichtige Aufgabe im Immunsystem.

Blutzellen Der Anteil zellulärer Bestandteile wird in der Labormedizin als Hämatokrit bezeichnet. Er liegt im Normalfall bei etwa 45 % und kann z. B. durch Veränderungen im Flüssigkeitshaushalt (z. B. Exsikkose) variieren. Es gibt drei verschiedene Arten von Blutzellen: ● Erythrozyten (rote Blutkörperchen): – Sie machen 99 % der Blutzellen aus. – Aufgabe: Transport von Sauerstoff (und eines Teils des peripher anfallenden Kohlenstoffdioxids) mittels des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin. Der Anteil mit Sauerstoff beladenen Hämoglobins wird als Sauerstoffsättigung bezeichnet und kann z. B. mittels Pulsoxymetrie gemessen werden. Sie beträgt im Normalfall 98 %. – Größe: im Vergleich zu Leukozyten sehr klein (7 μm), verformbar und im reifen Stadium kernlos – Antigene: Erythrozyten tragen an ihrer Oberfläche Antigene, die die Blutgruppen repräsentieren. Die wichtigsten Blutgruppenantigene sind A und B. Die Kombination dieser Faktoren entscheidet darüber, welches Blut einem Empfänger transfundiert werden kann (▶ Tab. 59.1). Ein weiteres wichtiges Blutgruppenantigen ist der Rhesusfaktor (D). ● Leukozyten (weiße Blutkörperchen): – Aufgabe: Immunabwehr – prozentual gesehen relativ kleiner Anteil am Gesamtblutvolumen – können die Blutbahn verlassen (sog. Diapedese) und halten sich hauptsächlich in den lymphatischen Organen auf – Untergruppen: – Granulozyten – Monozyten (im Gewebe: Makrophagen und dendritische Zellen) – Lymphozyten ● Thrombozyten (Blutplättchen): – Aufgabe: Blutstillung – sind wie die Erythrozyten kernlos, besitzen aber Mitochondrien und andere Zellorganellen

Immerhin ca. 45 % des Blutes bestehen aus zellulären Bestandteilen – v. a. Erythrozyten. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Tab. 59.1 Blutgruppen(un)verträglichkeit bei Transfusionen. Blutgruppe

Antigen

kann Erythrozyten empfangen von

kann Plasmaspende empfangen von

A

A

A und 0

A und AB

B

B

B und 0

B und AB

AB

A und B

A, B, AB und 0

AB

0

weder A noch B

nur 0

A, B, AB und 0

l 59

Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems Abb. 59.2 Blutbildung (Hämatopoese). hämatopoetische Stammzelle lymphatische Vorläuferzelle

Knochenmark

myeloische Vorläuferzelle

Thymus

Monoblast naiver T-Lymphozyt

Myeloblast

Proerythroblast

naiver B-Lymphozyt

Megakaryozyt Blut

Monozyt

Erythrozyt

neutrophile eosinophile basophile

Thrombozyt

Granulozyten Gewebe

lymphatisches Organ

aktivierter T-Lymphozyt

Plasmazelle

dendritische Zelle

Mastzelle Makrophage

Alle Blutzellen stammen von einer Stammzelle ab. Im ersten Schritt differenzieren sich die Blutzellen entweder auf dem myeloischen oder dem lymphatischen Entwicklungspfad. Nach: I care – Anatomie, Physiologie. Thieme; 2015

59.1.2 Bildung und Abbau der Blutzellen Beim erwachsenen Menschen findet die Blutbildung (Hämatopoese) ausschließlich im roten Knochenmark statt. Dieses befindet sich neben den langen Röhrenknochen (z. B. Femur) auch in den sog. platten Knochen (z. B. Becken und Wirbelkörper). Möchte man das Knochenmark untersuchen (z. B. im Rahmen der Leukämiediagnostik), kann besonders im Bereich des Beckenknochens rotes Knochenmark entnommen und unter dem Mikroskop betrachtet werden. Der menschliche Embryo/Fetus bildet außerdem Blut in der Leber, der Milz und im Dottersack. Alle Blutzellen stammen von einer einzigen pluripotenten Stammzelle ab (▶ Abb. 59.2). Nachdem sich diese geteilt hat, entwickelt sich aus der Tochterzelle eine Vorläuferzelle (Progenitorzelle). Es werden zwei Progenitorzellen unterschieden: ● myeloische Vorläuferzelle: Aus ihr entwickeln sich Erythroyzten, Thrombozyten, Monozyten und Granulozyten. ● lymphatische Vorläuferzelle: Aus ihr entwickeln sich Lymphozyten.

424

loischen Stammzelle bis zum fertigen Erythrozyten (Erythropoese) dauert 5–7 Tage. Nach 120 Tagen Lebensdauer werden Erythrozyten in Milz, Leber und Knochenmark (zusammengefasst als „Retikulo-Endotheliales-System“ bzw. RES) abgebaut.

Entwicklung und Abbau der Leukozyten Mit Ausnahme der T-Lymphozyten läuft die Leukozytenentwicklung komplett im Knochenmark ab. T-Lymphozyten verlassen bereits in einem unreifen Stadium das Knochenmark und beenden ihre Entwicklung im Thymus. B-Lymphozyten verlassen nach ihrer Entwicklung das Knochenmark und warten im Lymphknoten auf ihren Einsatz als Mittel der spezifischen Immunabwehr. Der Abbau der Leukozyten erfolgt sehr unterschiedlich. Granulozyten werden z. B. im Rahmen entzündlicher Prozesse in Form von Eiter abgebaut. Lymphozyten können mehrere Jahre überleben und werden nach ihrem Tod von Makrophagen phagozytiert.

Entwicklung und Abbau der Erythrozyten

Entwicklung und Abbau von Thrombozyten

Ihre Bildung findet komplett im Knochenmark statt. Die direkte Vorstufe der Erythrozyten sind die Retikulozyten. Ihre Anzahl im peripheren Blut bietet einen Anhalt über das aktuelle Tempo der Blutbildung. Die Reifung von der mye-

Thrombozyten (Blutplättchen) entwickeln sich aus Megakaryozyten. Sie sind die größten Zellen des Knochenmarks und unter dem Mikroskop gut zu erkennen. Thrombozyten entstehen aus Abschnürungen des Megakaryozyten und

Anatomie und Physiologie sind damit im Prinzip Zellbruchstücke. Sie werden, sofern sie nicht in der Blutstillung verbraucht werden, in der Milz abgebaut.



59.1.3 Aufbau und Funktion des Immunsystems

Spezifische bzw. erworbene Abwehr

Die Körperabwehr gliedert sich in innere und äußere Bestandteile. Zur äußeren Abwehr gehören neben den chemischen Schutzmechanismen der Haut auch noch das Flimmerepithel des Respirationstrakts oder der Spüleffekt des Urins. Diese Mechanismen stellen für Krankheitserreger eine erste Barriere dar. Gelangt ein Erreger dennoch in den Körper, greifen die Mechanismen des Immunsystems. Dieses gliedert sich in humorale (z. B. Antikörper) und zelluläre Bestandteile (z. B. Granulozyten, Lymphozyten). Zudem kann ein angeborener bzw. unspezifischer von einem erworbenen bzw. spezifischen Anteil unterschieden werden:

Unspezifische bzw. allgemeine Abwehr Dieser Teil des Immunsystems fungiert im Körper als „schnelle Eingreiftruppe“. Zusätzlich sorgt er dafür, dass Zellen der spezifischen Abwehr an ihren korrekten Einsatzort gelangen. Zu den Zellen der allgemeinen Abwehr gehören Granulozyten, Monozyten/Makrophagen, Mastzellen und dendritische Zellen. Sie dienen neben der Phagozytose von Krankheitserregern auch der späteren Präsentation von Krankheitsantigenen. Konkret erfüllen sie folgende Funktion:

Granulozyten ● ●





sind die häufigsten Leukozyten. sind für einen ersten, unspezifischen Angriff gegen Krankheitserreger verantwortlich und locken gleichzeitig weitere Immunzellen an den Ort der Infektion. Dieser Prozess wird als Chemotaxis bezeichnet. besitzen die Fähigkeit zur Phagozytose von Krankheitserregern. Gehen hierbei viele Granulozyten zugrunde, entsteht Eiter. lassen sich anhand ihres laborchemischen Färbeverhaltens in neutrophile, eosinophile und basophile Granulozyten unterteilen.

Monozyten/Makrophagen ● ●

besitzen ebenfalls die Fähigkeit zur Phagozytose. stellen Informationen über phagozytierte Krankheitserreger auf ihrer Oberfläche „zur Schau“. Dieser Prozess wird als Antigenpräsentation bezeichnet und ist Voraussetzung für die spezifische Immunabwehr.

Mastzellen Befinden sich meist im Bindegewebe und schütten bei Allergie und Entzündung bestimmte Stoffe (z. B. Histamin) aus.

Dendritische Zellen ●

befinden sich nur im Gewebe und haben oft Eigennamen (z. B. Kupffer-Sternzellen der Leber oder Langerhans-Zellen der Haut).

besitzen die Fähigkeit zur Phagozytose und wandern mit den dadurch erhaltenen Informationen in Richtung Lymphknoten. Dort dienen sie der Antigenpräsentation.

Dieser Teil des Immunsystems muss erst „passende Waffen“ gegen Krankheitserreger herstellen. Die dafür nötigen Informationen erhält er über den Prozess der Antigenpräsentation durch Zellen der allgemeinen Abwehr. Dieser Prozess dauert bis zu 7 Tage und damit wesentlich länger als die Reaktion der allgemeinen Abwehr. Da die spezifische Abwehr jedoch über ein Gedächtnis verfügt, kann der Körper bei einem Zweitkontakt deutlich schneller reagieren. Zur spezifischen Abwehr gehören: ● Lymphozyten: sind verantwortlich für die spezifische Immunabwehr. Je nachdem ob sie in Thymus oder Knochenmark (engl: bone) geprägt werden, bezeichnet man sie als T- oder B-Lymphozyten. Sie haben unterschiedliche Aufgaben, arbeiten jedoch im Rahmen der Immunreaktion zusammen: – T-Lymphozyten reagieren auf die von dendritischen Zellen präsentierten Antigene. Sie aktivieren B-Lymphozyten zur Produktion von Antikörpern und veranlassen Makrophagen, zellschädigende Substanzen freizusetzen. Gleichzeitig zerstören sie von Viren befallene Zellen. – B-Lymphozyten binden passende Krankheitsantigene und präsentieren diese auf ihrer Oberfläche. T-Lymphozyten binden an diese Antigene und veranlassen dann über Zytokine den B-Lymphozyten zur Vermehrung und zur Umwandlung in eine Plasmazelle, die spezifische Antikörper produziert. Einige Plasmazellen überleben als Gedächtniszellen mehrere Jahre. Bei erneutem Kontakt mit dem gleichen Krankheitserreger können sie schnell mit der Antikörperproduktion beginnen. ● Antikörper: haben molekularbiologisch eine Y-Form. Über die beiden „Y-Arme“ binden sie an zu ihnen passende Krankheitsantigene und markieren so die damit verbundenen Erreger. Gleichzeitig bindet der Antikörper mit seinem „Stiel“ an Makrophagen und führt damit zu einer schnelleren Phagozytose.

59.1.4 Lymphatische Organe ●



primär lymphatische Organe: Hier bilden sich die Immunzellen. Im Knochenmark entwickeln sich z. B. die B-Lymphozyten. Im Thymus entstehen die T-Lymphozyten. Der Thymus liegt hinter dem Sternum im Bereich des oberen Mediastinums. Das Organ vergrößert sich bis zur Pubertät und verfettet dann zunehmend (Thymusinvolution). sekundär lymphatische Organe: Der „Wohnort“ der Immunzellen. Hier treffen sie auf Krankheitsantigene und werden aktiviert. Zu den sekundär lymphatischen Organen zählen: – Lymphknoten: Sie haben als Kontrollstationen die Aufgabe, Krankheitserreger aus der Lymphflüssigkeit zu filtern und den Kontakt zwischen Krankheitsantigenen und Lymphozyten zu ermöglichen. Bei bösartigen Tumoren können sich hier auch Krebszellen ansiedeln. Ist beim Mamma-Karzinom der erste Lymphknoten im Lymphabflussgebiet eines Organs von Tumorzellen befallen („Wächterlymphknoten“), hat der Krebs bereits lymphogen metastasiert.

l 59

Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems – Milz: Sie liegt im linken Oberbauch, direkt unter dem Zwerchfell, und ist von einer dicken, bindegewebsartigen Kapsel umgeben. Neben der Speicherung von Immunzellen (v. a. Lymphozyten und Monozyten) ist sie das entscheidende Organ für den Abbau von Erythrozyten und Thrombozyten. Aus diesem Grund ist sie sehr gut durchblutet. Kommt es im Rahmen eines Oberbauchtraumas zu Milzeinrissen, können große Blutmengen verloren gehen (Milzruptur). Eine Milzruptur kann auch noch mehrere Tage nach dem eigentlichen Unfallereignis auftreten. Aus diesem Grund sollten Patienten mit Verletzungen der Milz über mehrere Tage stationär überwacht werden. – MALT (mucosa-associated lymphatic tissue): MALT bezeichnet das lymphatische Gewebe im Bereich der Mandeln, des Darms, der Bronchien und des Harn-/Geschlechtstraktes. Das Gewebe soll Krankheitserreger abfangen, die von außen in den Körper gelangen.

59.1.5 Impfungen Durch eine Impfung wird die spezifische Immunabwehr in die Lage versetzt, beim Kontakt mit Krankheitserregern rasch auf die Attacke zu reagieren. Neben dem Schutz des Individuums haben Impfungen auch eine gesellschaftliche Aufgabe, da sie der Ausbreitung von Krankheiten vorbeugen. Gegen welche Erkrankungen geimpft werden soll, empfiehlt die Ständige Impfkommission (kurz: STIKO). Der so entstandene „Impfkalender“ kann unter www.rki.de (Robert KochInstitut) heruntergeladen werden. Es werden zwei Impfverfahren unterschieden: ● aktive Immunisierung: Durch die Injektion von abgeschwächten oder abgetöteten Erregern/Erregerbestandteilen wird dem Körper eine Infektion vorgegaukelt. Dieser reagiert über die Aktivierung von Lymphozyten mit der Produktion von Antikörpern und Plasmazellen. Durch das so entstehende Immungedächtnis wird der Körper bei realem Erregerkontakt vor einer Infektion geschützt. ● passive Immunisierung: Bei der passiven Immunisierung werden dem Patienten fertige Antikörper injiziert. Hierdurch tritt ein sofortiger Impfschutz ein. Der Nachteil ist die teilweise kurze Überlebensdauer der injizierten Antikörper. Bereits nach einigen Tagen lässt der Impfschutz nach. Eine passive Immunisierung wird daher nur nach direktem Kontakt mit einem Erreger zur Infektionsprophylaxe verwendet. Werden aktive und passive Immunisierung gleichzeitig appliziert, spricht man von einer Simultanimpfung. Simultanimpfungen werden z. B. verwendet, wenn ein nicht ausreichend geimpfter Patient mit Tetanuserregern in Kontakt gekommen sein könnte.



großes Blutbild: Neben den Parametern des kleinen Blutbilds zusätzlich Analyse bezüglich der Unterformen der Leukozyten (z. B. Lymphozyten, Granulozyten etc.). Neben entzündlichen Erkrankungen spielt das große Blutbild in der Leukämiediagnostik eine entscheidende Rolle. Serologie: Bestimmung von spezifischen Antikörpern. Auf Basis einer Hepatitisserologie klärt der Arzt z. B., ob ein Patient an einer viralen Hepatitis erkrankt ist.

59.2.2 Knochenmarkspunktion Neben Störungen der Blutbildung gehört die Abklärung von Leukämien zu den wichtigsten Indikationen einer Knochenmarkspunktion. Knochenmark wird meist über eine dicke Kanüle aus dem Beckenkamm entnommen (siehe Kap. 26.1.1).

59.2.3 Lymphknotenbiopsie Besteht eine Lymphknotenschwellung über längere Zeit und ist der Lymphknoten nicht schmerzhaft oder mit umgebendem Gewebe verbacken, kann ein malignes Lymphom die Ursache sein. Um diese Diagnose weiter abzuklären, muss der Lymphknoten unter dem Mikroskop untersucht werden. Früher hat man den Lymphknoten hierzu biopsiert. Heute weiß man, dass das Risiko einer Tumorzellverschleppung hierbei recht groß ist. Aus diesem Grund wird ein Lymphknoten heute nicht mehr biopsiert, sondern gleich im Ganzen entfernt (Lymphknotenexstirpation).

59.2.4 Allergietests ●





Bestimmung des Immunglobulins E (kurz IgE): Bei einer Allergie produziert der Körper spezifische Antikörper (IgE) gegen das auslösende Allergen. Diese Antikörper können im Blut bestimmt werden. Erhöhte Werte weisen auf eine Allergie hin. Pricktest: Hierbei werden bis zu 12 potenziell allergen wirkende Stoffe auf die Haut des Patienten geträufelt. Anschließend sticht der Arzt diese mit einer Lanzette in die Oberhaut ein. Reagiert der Patient auf eine Substanz allergisch, kommt es an der Einstichstelle zur Quaddelbildung. Im schlimmsten Fall entwickelt der Patient einen anaphylaktischen Schock. Deshalb sollte der Patient genau beobachtet werden (Tachykardie? Hypotonie? Dyspnoe?). Provokationstests: Bei einem Provokationstest nimmt der Patient das mutmaßliche Allergen unter ärztlicher Aufsicht auf (z. B. Bienenstich bei Bienengiftallergie). Reagiert er allergisch, kommt es zu Symptomen. Die Gefahr eines anaphylaktischen Schocks ist hoch.

59.2 Mitwirken bei der Diagnostik

59.3 Erkrankungen der Erythrozyten

59.2.1 Blutuntersuchung

59.3.1 Anämie



426



kleines Blutbild: Bestimmung von Erythrozyten, Leukozyten, Thrombozyten, Hämoglobin und Hämatokrit (S. 423). Hieraus werden berechnet: mittlerer Hb-Gehalt/Ery (MCH), mittleres Ery-Volumen (MCV) und mittlere HbKonzentration der Erys (MCHC). Das kleine Blutbild gehört praktisch zu jedem Aufnahmelabor.

Definition Anämie Von einer Anämie spricht man bei Verminderung des Hämoglobin- oder Hämatokritwerts: ● Hämoglobin: < 13 g/dl für Männer bzw. < 12 g/dl für Frauen ● Hämatokrit: < 42 % für Männer bzw. < 38 % für Frauen

Erkrankungen der Leukozyten

Ursachen ●







Bildungsstörung: Leukämien, Mangel an Eisen (häufig!), Folsäure oder Vitamin B12 erhöhter Abbau: angeborene Enzymstörungen (z. B. Thalassämie), Nebenwirkung bestimmter Medikamente Blutverluste (akut oder chronisch): Die häufigste Ursache einer chronischen Blutungsanämie beim alten Menschen ist das Kolonkarzinom. Verteilungsstörung: bei stark vergrößerter Milz (sog. Hyperspleniesyndrom)

Symptome ● ● ● ● ●

Blässe Müdigkeit, Konzentrationsschwäche Schwindel Kopfschmerzen Tachykardie und Hypotonie

! Merke Tachykardie bei Blutverlust

Bei der akuten Blutungsanämie ist die regelmäßige Pulsmessung besonders wichtig. Bevor es bei einer Blutung zu einem messbaren Abfall der Hämoglobinkonzentration kommt, reagiert der Patient mit einer Tachykardie.



Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Bei der Einnahme von Eisen ist auf Folgendes zu achten: – Eisentabletten 1–2 Stunden vor der Mahlzeit auf nüchternen Magen einnehmen – Tabletten müssen ca. 6 Wochen lang eingenommen werden. – Stuhlgang kann sich anthrazitfarben verfärben. – Mögliche Nebenwirkungen sind Obstipation und Übelkeit. – Unterstützt werden kann die Therapie durch den Verzehr besonders eisenhaltiger Nahrungsmittel, wie Leber- bzw. Blutwurst, Kürbiskerne oder Hülsenfrüchte (z. B. Linsen).

KOMPAK T Anämie ●







Diagnostik Eine erste Eingrenzung der Ursache erfolgt durch die Bestimmung von MCV und MCH: ● MCV und MCH erniedrigt (mikrozytäre, hypochrome Anämie): Die Ursache ist meist eine Eisenmangelanämie (oft durch chronische Blutverluste). Weiterführend sollte eine Gastro-/Koloskopie erfolgen (gastrointestinale Blutung?). ● MCV und MCH normal (normozytäre, normochrome Anämie): Dahinter steckt oft eine akute Blutung. Alternativ kommen angeborene Enzymdefekte der Erys als Ursache in Betracht. Es sollte nach einer Blutung gesucht werden (Anamnese? Gastro-/Koloskopie?) und mögliche Enzymdefekte anhand von Genuntersuchungen abgeklärt werden. ● MCV und MCH erhöht (sog. makrozytäre, hyperchrome Anämie): Die Ursache ist meist ein Mangel an Folsäure oder Vitamin B12. Diagnose: Vitaminbestimmung und Suche nach der Ursache, evtl. Mangel (Unterernährung? Aufnahmestörung, z. B. bei „perniziöser Anämie“ (S. 432)?).

Therapie Die Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung. Bei Hb < 10 g/dl evtl. Gabe von Erythrozytenkonzentraten (siehe Kap. 24.3). Häufig werden Eisenpräparate verabreicht, um die Blutbildung anzukurbeln.

Pflege ●



Beobachtung: – Haut: blasses Hautkolorit als Zeichen einer Anämie – Ausscheidung: Stuhl kann sich anthrazitfarben verfärben (Achtung: Verwechslung mit Teerstuhl möglich!). Ernährung: auf ausreichende Zufuhr von Eisen, Folsäure und Vitamin B12 achten



Anämie: Verminderung des Hämoglobin- oder Hämatokritwertes unter die Norm Ursache: oft eine akute oder chronische Blutung in Verbindung mit Eisenmangel Symptome: Blässe, Tachykardie, Hypotonie und Schwindel Therapie: zugrunde liegenden Erkrankung behandeln Pflege: auf Warnsignale bezüglich gastrointestinaler Blutungen achten

59.4 Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems 59.4.1 Allgemeine Grundlagen Die Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems sind sehr vielfältig. Meist handelt es sich um hämatoonkologische Erkrankungen, die von der Medizin seit Jahrzehnten bezüglich Ursachen, Klassifikation und Therapie intensiv erforscht werden. Für die pflegerische Versorgung betroffener Patienten reicht meistens folgende Einordnung: ● Leukämien: Krebserkrankung einer myeloischen oder lymphatischen Stammzelle im Knochenmark („Blutkrebs“) ● malignes Lymphom: Krebserkrankung von Lymphozyten im lymphatischen Gewebe bzw. in Lymphknoten („Lymphdrüsenkrebs“) ● myelodysplastisches Syndrom (kurz: MDS): spez. Vorstufe einer Leukämie

59.4.2 Leukämien Definition Leukämien Krebserkrankung einer myeloischen oder lymphatischen Stammzelle im Knochenmark mit der unkontrollierten Vermehrung von unreifen Leukozyten. Die Ausreifung funktionsfähiger Blutzellen wird unterdrückt. Die Erkrankung kann akut (meist schwerer) oder chronisch (meist leichter) verlaufen. Geht eine chronische Leukämie in eine akute Form über, ist das oft lebensbedrohlich.

Erkrankungen der Leukozyten

Ursachen ●







Bildungsstörung: Leukämien, Mangel an Eisen (häufig!), Folsäure oder Vitamin B12 erhöhter Abbau: angeborene Enzymstörungen (z. B. Thalassämie), Nebenwirkung bestimmter Medikamente Blutverluste (akut oder chronisch): Die häufigste Ursache einer chronischen Blutungsanämie beim alten Menschen ist das Kolonkarzinom. Verteilungsstörung: bei stark vergrößerter Milz (sog. Hyperspleniesyndrom)

Symptome ● ● ● ● ●

Blässe Müdigkeit, Konzentrationsschwäche Schwindel Kopfschmerzen Tachykardie und Hypotonie

! Merke Tachykardie bei Blutverlust

Bei der akuten Blutungsanämie ist die regelmäßige Pulsmessung besonders wichtig. Bevor es bei einer Blutung zu einem messbaren Abfall der Hämoglobinkonzentration kommt, reagiert der Patient mit einer Tachykardie.



Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Bei der Einnahme von Eisen ist auf Folgendes zu achten: – Eisentabletten 1–2 Stunden vor der Mahlzeit auf nüchternen Magen einnehmen – Tabletten müssen ca. 6 Wochen lang eingenommen werden. – Stuhlgang kann sich anthrazitfarben verfärben. – Mögliche Nebenwirkungen sind Obstipation und Übelkeit. – Unterstützt werden kann die Therapie durch den Verzehr besonders eisenhaltiger Nahrungsmittel, wie Leber- bzw. Blutwurst, Kürbiskerne oder Hülsenfrüchte (z. B. Linsen).

KOMPAK T Anämie ●







Diagnostik Eine erste Eingrenzung der Ursache erfolgt durch die Bestimmung von MCV und MCH: ● MCV und MCH erniedrigt (mikrozytäre, hypochrome Anämie): Die Ursache ist meist eine Eisenmangelanämie (oft durch chronische Blutverluste). Weiterführend sollte eine Gastro-/Koloskopie erfolgen (gastrointestinale Blutung?). ● MCV und MCH normal (normozytäre, normochrome Anämie): Dahinter steckt oft eine akute Blutung. Alternativ kommen angeborene Enzymdefekte der Erys als Ursache in Betracht. Es sollte nach einer Blutung gesucht werden (Anamnese? Gastro-/Koloskopie?) und mögliche Enzymdefekte anhand von Genuntersuchungen abgeklärt werden. ● MCV und MCH erhöht (sog. makrozytäre, hyperchrome Anämie): Die Ursache ist meist ein Mangel an Folsäure oder Vitamin B12. Diagnose: Vitaminbestimmung und Suche nach der Ursache, evtl. Mangel (Unterernährung? Aufnahmestörung, z. B. bei „perniziöser Anämie“ (S. 432)?).

Therapie Die Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung. Bei Hb < 10 g/dl evtl. Gabe von Erythrozytenkonzentraten (siehe Kap. 24.3). Häufig werden Eisenpräparate verabreicht, um die Blutbildung anzukurbeln.

Pflege ●



Beobachtung: – Haut: blasses Hautkolorit als Zeichen einer Anämie – Ausscheidung: Stuhl kann sich anthrazitfarben verfärben (Achtung: Verwechslung mit Teerstuhl möglich!). Ernährung: auf ausreichende Zufuhr von Eisen, Folsäure und Vitamin B12 achten



Anämie: Verminderung des Hämoglobin- oder Hämatokritwertes unter die Norm Ursache: oft eine akute oder chronische Blutung in Verbindung mit Eisenmangel Symptome: Blässe, Tachykardie, Hypotonie und Schwindel Therapie: zugrunde liegenden Erkrankung behandeln Pflege: auf Warnsignale bezüglich gastrointestinaler Blutungen achten

59.4 Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems 59.4.1 Allgemeine Grundlagen Die Erkrankungen der Leukozyten und des lymphatischen Systems sind sehr vielfältig. Meist handelt es sich um hämatoonkologische Erkrankungen, die von der Medizin seit Jahrzehnten bezüglich Ursachen, Klassifikation und Therapie intensiv erforscht werden. Für die pflegerische Versorgung betroffener Patienten reicht meistens folgende Einordnung: ● Leukämien: Krebserkrankung einer myeloischen oder lymphatischen Stammzelle im Knochenmark („Blutkrebs“) ● malignes Lymphom: Krebserkrankung von Lymphozyten im lymphatischen Gewebe bzw. in Lymphknoten („Lymphdrüsenkrebs“) ● myelodysplastisches Syndrom (kurz: MDS): spez. Vorstufe einer Leukämie

59.4.2 Leukämien Definition Leukämien Krebserkrankung einer myeloischen oder lymphatischen Stammzelle im Knochenmark mit der unkontrollierten Vermehrung von unreifen Leukozyten. Die Ausreifung funktionsfähiger Blutzellen wird unterdrückt. Die Erkrankung kann akut (meist schwerer) oder chronisch (meist leichter) verlaufen. Geht eine chronische Leukämie in eine akute Form über, ist das oft lebensbedrohlich.

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Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems Folgende Leukämieformen werden unterschieden: ● akute myeloische Leukämie (kurz: AML): 80 % im Erwachsenenalter ● akute lymphatische Leukämie (kurz: ALL): 80 % im Kindesalter ● chronisch myeloische Leukämie (kurz: CML) ● chronisch lymphatische Leukämie (kurz CLL; Anmerkung: Neuere Definitionen zählen die CLL zur Gruppe der malignen Lymphome).

Ursachen Verursacher der Leukämie sind chromosomal veränderte („entartete“) blutbildende Stammzellen im Knochenmark, die sich ungebremst vermehren, aber funktionsuntüchtig sind. Diese Veränderung kann angeboren sein oder durch ionisierende Strahlung (atomare Katastrophen, Röntgenstrahlung) bzw. Chemikalien (insbesondere Benzol) verursacht werden.

Symptome Die Symptome werden durch die Verdrängung gesunder blutbildender Zellen ausgelöst. Hieraus resultiert in erster Linie eine Anämie. Durch die Begriffe „akut“ und „chronisch“ wird zusätzlich unterschieden, ob es sich um einen schwerwiegenden (d. h. symptomreichen) oder um einen leichteren (d. h. symptomarmen) Verlauf handelt. Folgende Symptome sind möglich: ● Anämie ● Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Fieber und Nachtschweiß (sog. „B-Symptomatik) ● Anfälligkeit für bakterielle Infekte und Pilzinfektionen (Mangel an gesunden Immunzellen) ● spontane Blutungen (Mangel an Thrombozyten) ● Lymphknotenschwellung, Milz- und Lebervergrößerung

Diagnostik Typische Hinweise bei Blutabnahme: ● Anämie ● erhöhte oder erniedrigte Leukozytenzahlen ● atypische Blutzellen im Blutausstrich Gesichert wird die Diagnose durch den Nachweis vermehrt auftretender Blutvorläuferzellen (sog. Blasten) im Knochenmarkpunktat. Um das Therapiekonzept festlegen zu können, benötigt der Arzt in vielen Fällen zusätzlich noch eine Chromosomenanalyse der erkrankten Zellen.

Therapie Die Applikation einer Chemotherapie folgt strengen Studienprotokollen. Nach einer Intensivchemotherapie folgt anschließend meist für ein Jahr eine Erhaltungstherapie. Gegebenenfalls wird die Therapie von einer regelmäßigen Immunglobulingabe sowie von Transfusionen begleitet. In einigen Fällen ist eine Stammzelltransplantation nötig. Bei der Stammzelltransplantation wird versucht, die erkrankten Zellen aus dem Knochenmark des Patienten zu entfernen und durch gesunde Stammzellen zu ersetzen.

428

Der Therapieprozess beginnt mit der „Reinigung“ des Knochenmarks von bösartigen Zellen. Dieser Vorgang wird als Konditionierung bezeichnet und erfolgt über die hoch dosierte Gabe von Chemotherapeutika. Neben den eigentlichen Krebszellen werden durch die Chemotherapie auch gesunde Zellen im Knochenmark abgetötet. Aus diesem Grund fehlt dem Patienten während der Konditionierung ein funktionierendes Immunsystem. In der Folge können sonst banale Infekte lebensbedrohliche Verläufe nehmen. Pflegende sollten daher besonders hygienisch arbeiten, um den Patienten vor einer Infektion zu schützen. Die Verabreichung der „neuen“ gesunden Stammzellen kann auf zwei Wegen erreicht werden: Allogene Stammzelltransplantation • Einem Spender wird über mehrere Tage ein Medikament verabreicht, das dafür sorgt, dass Stammzellen aus dem Knochenmark in das Blut wandern. Anschließend werden diese aus dem Blut des Spenders isoliert und dem Empfänger über eine Infusion verabreicht. Nach der Transplantation wandern die Stammzellen des Spenders automatisch in das Knochenmark des Empfängers ein und beginnen dort mit einer neuen, gesunden Blutbildung. Nach der Transplantation besteht die Gefahr der Abstoßung. Diese äußert sich z. B. durch juckende Hautausschläge, Übelkeit und Erbrechen sowie Laborwertveränderungen. Autologe Stammzelltransplantation • Der Patient selbst erhält Medikamente, die Stammzellen aus dem Knochenmark ins Blut spülen. Diese werden anschließend über eine Blutentnahme entnommen und im Labor von bösartigen Zellen befreit. Die „gesunden“ Zellen werden dem Patienten über eine Infusion wieder verabreicht.

Pflege Beachten Sie auch Kap. 44. ● Beobachtung: Patienten besonders auf Symptome eines Infekts, einer Blutung und einer Anämie beobachten. – Temperatur: Fieber? – Haut- und Schleimhäute: Infektionszeichen (Schwellung, Schmerzen, Rötung)? Läsionen? Pilzinfektionen (z. B. in Hautfalten)? Einblutungen (Petechien)? Hämatome? – Ausscheidungen: Blutbeimengungen? – auf Symptome einer Transplantatabstoßung nach allogener Transplantation achten (z. B. juckender Ausschlag, Gastroenteritis, Übelkeit, Erbrechen, Ikterus) ● Mobilisation und Körperpflege: – Unterstützung individuell je nach Belastungsgrenze – Pausen einplanen, Hektik vermeiden – keine Nassrasur: aufgrund erhöhter Blutungsgefahr – sorgfältige Hautpflege, um Läsionen und Austrocknung zu vermeiden (Infektions-, Intertrigoprophylaxe) – Mundpflege mit antiseptischer Lösung: besonders während und nach Chemotherapie, um Infektionen vorzubeugen (Soor- und Parotitisprophylaxe) ● Ernährung: – keimarm, d. h. kein ungeschältes Obst/Gemüse, rohes Fleisch, rohe Eier, Nüsse, Frischmilch, Schimmelpilzprodukte – hygienischer Umgang mit Nahrungsmitteln: z. B. Kühlketten einhalten, Haltbarkeitsdatum einhalten, Obst/Gemüse gründlich waschen

Erkrankungen der Leukozyten









– keine scharf gewürzten Speisen, um die Schleimhäute nicht zu reizen Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Sturzprophylaxe: aufgrund erhöhter Blutungsgefahr Hygiene: gründliche Händedesinfektion, ggf. Isolation (siehe Kap. 15.3), Kontakt mit Außenwelt minimieren, Schutzkleidung, ggf. Kontrollen zur Keimbesiedlung Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – über erhöhte Blutungs- und Infektionsgefahr und Maßnahmen zur Prophylaxe informieren (z. B. Händehygiene, Ernährungsempfehlungen, Hautpflege) – über Erkrankung, Symptome und Verlauf informieren – über Möglichkeiten einer Anschlussheilbehandlung informieren – Impfstatus vom Hausarzt überprüfen lassen psychosoziale Begleitung: – Selbsthilfegruppen vermitteln – Maßnahmen zur Linderung der psychischen Belastung (z. B. aufgrund von Isolation, Haarausfall, siehe Kap. 44.2)

KOMPAK T Leukämie ●









Ursache: ungebremste Vermehrung chromosomal veränderter myeloischer oder lymphatischer Blut(stamm) zellen akut: meist schwerer Verlauf; chronisch: meist leichter Verlauf Symptome: Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Lymphknotenschwellung, spontane Infekte und Blutungen Therapie: meist entsprechend speziellen Studienprogrammen. Oft Chemotherapie mit anschließender Stammzelltransplantation Pflege: Komplikationen erkennen, Infektionen vermeiden, psychisch unterstützen

häufiger an malignen Lymphomen. Neben dem HI-Virus gilt in vielen Studien auch das Ebstein-Barr-Virus (EBV) als potenzieller Lymphomverursacher.

Symptome Leitsymptom ist die schmerzlose, derbe Lymphknotenschwellung, meist im Halsbereich. Zusätzlich können auftreten: ● Milz- oder Lebervergrößerung ● schwerer verlaufende Infektionen ● B-Symptomatik (siehe Kap. 59.4.2)

Diagnostik Gesichert wird die Diagnose durch eine histologische Untersuchung des befallenen Lymphknotens. Anschließend wird untersucht, wie weit sich die Erkrankung im Körper ausgebreitet hat. Zum Staging werden folgende Untersuchungen durchgeführt: ● Ultraschall des Bauchraums ● Computertomografie von Hals, Brust- und Bauchraum ● ggf. Knochenmarksbiopsie

Therapie In vielen Fällen spricht die Krankheit gut auf Chemo- und Strahlentherapie an. Dies kann bei jungen Patienten zur Infertilität führen. Bei Kinderwunsch ist daher die Entnahme von Ei-/Samenzellen vor Therapiebeginn möglich. Eine Knochenmarkstransplantation kann die Erkrankung heilen. Neuere Forschungen bieten zudem vielversprechende Ansätze im Bereich der Antikörpertherapie. Dabei werden speziell hergestellte Antikörper verabreicht, die die Lymphomzellen des Patienten angreifen und zerstören. Auch kommen Medikamente zum Einsatz, die den Krebs durch die Blockade bestimmter Wachstumsfaktoren hemmen. Bei niedrigmalignen Lymphomen ist die Prognose oft sehr gut.

Pflege Zur Pflege bei malignen Lymphomen siehe Kap. 44 „Pflege von Patienten mit malignen Tumoren“.

KOMPAK T

59.4.3 Maligne Lymphome Definition Maligne Lymphome Maligne Lymphome sind Tumorerkrankungen des lymphatischen Systems. Ursache ist die Mutation einer lymphatischen Zelle mit nachfolgender rascher und unkontrollierter Vermehrung in den lymphatischen Organen (meist in den Lymphknoten). Man unterscheidet schnell wachsende Formen (hochmaligne und gut zu behandeln) von langsam wachsenden Formen (niedrigmaligne und schlecht zu behandeln).

Malignes Lymphom ●







Ursachen Die eigentliche Ursache ist unbekannt. Gesichert ist jedoch, dass maligne Lymphome als Spätkomplikation nach Bestrahlung oder Exposition mit radioaktiven Substanzen entstehen können. Manchmal sind Infektionen der Auslöser. So erkranken beispielsweise AIDS-Patienten bis zu 1000-mal



Entstehung: maligne Entartung von Lymphozyten mit unkontrollierter Vermehrung in lymphatischen Organen Leitsymptom: derbe, schmerzlose Lymphknotenschwellung(en) Diagnostik: Untersuchung eines (vollständig entfernten) befallenen Lymphknotens Therapie: kombinierte Strahlen- und Chemotherapie; evtl. Antikörpertherapie regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen (Zweittumoren!)

l 59

Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems

59.4.4 Myelodysplastisches Syndrom Das myelodysplastische Syndrom (MDS) ist eine Funktionsstörung des Knochenmarks durch genetische Veränderung von Blutvorläuferzellen. Dadurch verliert der Körper die Fähigkeit, eine ausreichende Anzahl funktionierender Blutzellen zu produzieren. Folgen sind Anämie, Leukopenie und Thrombopenie. Betroffen sind v. a. alte Menschen. In über 90 % der Fälle ist die Ursache unklar. Gesichert wird die Diagnose durch eine Knochenmarkspunktion. Die Therapie hängt von der Ausprägung der Erkrankung ab und geht von regelmäßigen Bluttransfusionen bis zur Stammzelltransplantation. Bleibt die Erkrankung stabil, kann der Patient mit ihr oftmals lange Zeit normal leben. In einigen Fällen wandelt sich die Erkrankung jedoch in eine Leukämie um. Es gelten dann die Prinzipien der Pflege und Therapie bei Leukämie (Kap. 59.4.2).

59.5 Immundefekte Die Ursachen für Immundefekte sind vielfältig und reichen von Infektionen (z. B. HIV) über Blutbildungsstörungen (z. B. bei Leukämie) bis hin zu ärztlichen Maßnahmen (z. B. Chemotherapie oder Nebenwirkung einer Therapie mit Metamizol). Die Betroffenen leiden häufiger an Infektionen. Weil das Immunsystem auch für die Tumorbekämpfung zuständig ist, leiden sie zudem häufiger an Malignomen.

59.5.1 Allgemeine Grundlagen Immungeschwächte Patienten müssen auch vor solchen Krankheitserregern geschützt werden, die für Gesunde eher harmlos sind. Hygienerichtlinien gilt es daher streng einzuhalten. Therapeutisch sind verschiedene Maßnahmen denkbar. Ggf. ist die Verlegung in ein spezielles Immundefektzentrum zu erwägen. Zudem kann versucht werden, das Immunsystem durch gezielte Maßnahmen zu stärken, z. B.: ● regelmäßige Bewegung an der frischen Luft ● vitaminreiche, ausgewogene Ernährung mit viel Flüssigkeitszufuhr in Form von Tees oder Wasser ● Einnahme von Probiotika ● Work-Life-Balance mit ausreichend Zeit für Ruhephasen ● Kneipp-Anwendungen (z. B. Wechselduschen) ● Saunagänge

59.5.2 HIV und AIDS Definition HIV und AIDS Das humane Immundefizienz-Virus (HIV) befällt eine spezielle Form der T-Lymphozyten (CD4-positive T-Lymphozyten) und verursacht so eine schwere Form der Immunschwäche. Die Erkrankung kann über viele Jahre asymptomatisch sein und begünstigt im weiteren Verlauf Infektionserkrankungen. Erst in diesem Stadium spricht man vom Vollbild AIDS (angeeignetes Immundefizienz-Syndrom). Weltweit sind etwa 40 Millionen Menschen mit dem HI-Virus infiziert.

430

Ursachen Die Hauptübertragungswege des HI-Virus sind: ● sexueller Kontakt ● Blut-zu-Blut-Kontakt mit einem Infizierten (z. B. durch Nadelstichverletzungen, Transfusionen) ● Übertragung von der Mutter auf das ungeborene Kind Risikolos sind dagegen Körperkontakte im Rahmen des alltäglichen sozialen Miteinanders, gemeinsame Nutzung sanitärer Anlagen oder das Küssen erkrankter Personen.

Symptome und Verlauf Eine HIV-Infektion verläuft in mehreren Phasen (▶ Abb. 59.3): ● akute HIV-Krankheit (1–6 Wochen nach Infektion): Fieber, Lymphknotenvergrößerungen, Gliederschmerzen und Angina ● asymptomatische Latenzphase (etwa 10 Jahre, unter schlechten Lebensbedingungen oder bei Kindern auch bedeutend kürzer): beschwerdefrei ● Steigt die HI-Viren-Zahl im Blut und sinkt die Zahl immunkompetenter Zellen, kommt es zu AIDS-definierenden Erkrankungen (sog. opportunistische Infektionen). Hierzu zählen: – Pilzinfektionen (z. B. Soor) – maligne Lymphome – Kraftlosigkeit und starke Gewichtsabnahme (WastingSyndrom) – Lungentuberkulose – Toxoplasmose – bestimmte Formen der Pneumonie

Diagnostik Die Diagnostik erfolgt durch den Nachweis von HIV und Antikörpern gegen das Virus im Blut. Weil die Erkrankung immer noch ein soziales Stigma darstellt, erfordert die Durchführung eines HIV-Tests das schriftliche Einverständnis des Patienten. HIV-Tests werden zur Erstdiagnostik und zur Verlaufsbeurteilung bei bestehender Behandlung eingesetzt. ● HIV-Tests zur Erstdiagnostik (Schnelltest): Hierbei wird ein kleiner Blutstropfen auf den Test gegeben. Befinden sich HIV-Antikörper im Blut, reagiert der Test positiv. Das Verfahren wird nur als Screening-Instrument verwendet und muss bei positivem Ergebnis durch einen zweiten Test bestätigt werden. ● Antikörpernachweis im Labor: Wie beim Schnelltest wird auch hier nicht das Virus selbst, sondern die durch den Körper produzierten Antikörper nachgewiesen. Anders als beim Schnelltest erfolgt die Bestimmung jedoch mit einem komplizierten Verfahren (sog. Western Blot). Hierdurch ist der Test wesentlich sensitiver als der Schnelltest und wird daher als Bestätigungstest verwendet. ● HIV-Tests zur Verlaufskontrolle (PCR-Test): Zur Verlaufskontrolle bei antiretroviraler Therapie wird per PCR-Diagnostik alle 3 Monate die Anzahl der Virus-RNA-Kopien im Blut des Patienten bestimmt.

Immundefekte Abb. 59.3 Verlauf der HIV-Infektion.

HIV-Infektion

Prophylaxe • Kondome • Schutz vor Nadelstichverletzungen durch gebrauchte Spritzen

• sexueller Kontakt • Kontakt mit infiziertem Blut • Übertragung von der Mutter auf das Kind

akute HIV-Krankheit ~ 4–8 Wochen Fieber, Lymphknotenvergrößerungen, Gliederschmerzen, Angina

Antiretrovirale Therapie

asymptomatische Latenzphase Infektionsprophylaxe

~ 10 Jahre Viren vermehren sich symptomatische Phase

gesunde Ernährung

• Virenzahl steigt • Zahl der immunkompetenten Zellen sinkt → Störungen des Allgemeinbefindens, Veränderung von Haut und Schleimhaut, gastrointestinale Beschwerden AIDS

AIDS-definierende Erkrankungen, z. B. Pilzinfektionen, Virusinfektionen, bakterielle Infektionen, Tumorerkrankungen, Wasting-Syndrom, HIV-assoziierte Enzephalopathie

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Therapie Besteht der Verdacht, dass HI-Viren übertragen wurden, kann eine Postexpositionsprophylaxe versucht werden. Diese muss unmittelbar nach dem Ereignis erfolgen und besteht in der Einnahme einer antiretroviralen Medikation. Eine definitive Infektion mit HIV ist nicht heilbar. Durch die Entwicklung hochwirksamer Therapien ist bei frühzeitigem Therapiebeginn und konsequenter Einnahme jedoch eine annähernd normale Lebenserwartung möglich. Die Medikamente hemmen die Vermehrung des Virus innerhalb der Zellen und halten damit die Viruslast im Blut niedrig. Weil das HI-Virus ein sog. Retrovirus ist, bezeichnet man die Therapie als hochaktive antiretrovirale Therapie (kurz: HAART). Die eingesetzten Substanzen werden so kombiniert, dass jeder Wirkstoff die Virusvermehrung an einem anderen Punkt hemmt. Zur Therapiekontrolle bestimmt der Arzt vierteljährlich die Anzahl der Virus-RNA-Kopien im Blut des Patienten und die Anzahl der T-Helferzellen (sog.

CD4-positive T-Lymphozyten). Folgende Therapie-Nebenwirkungen sind typisch: ● Übelkeit und Erbrechen ● Durchfälle ● erhöhte Blutfettwerte, Umverteilung des Körperfetts ● Nieren- und Leberschädigungen ● erhöhte Blutungsneigung ● Polyneuropathie

Pflege ●

Beobachtung: Betroffenen zur Selbstbeobachtung anleiten: – Haut- und Schleimhäute: Läsionen? Pilz (z. B. Mund, Zehen)? Herpes? Juckreiz? Einblutungen? – Gewicht: Gewichtsabnahme? – Temperatur: Fieber? Beginnender Infekt? – Ausscheidung: Diarrhö?

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Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems ●









Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Soorprophylaxe: aufgrund erhöhter Infektanfälligkeit: sorgfältige Haut- und Mundpflege – Sturzprophylaxe: besonders bei erhöhter Blutungsneigung – Pneumonieprophylaxe: aufgrund erhöhter Infektanfälligkeit Ernährung: – Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ beachten (siehe Kap. 10.4) – ggf. hochkalorische (Trink-)Nahrung (bei Wasting-Syndrom) – ggf. keimarme Ernährung zur Infektionsprophylaxe (d. h. kein ungeschältes Obst/Gemüse, rohes Fleisch, rohe Eier, Nüsse, Frischmilch, Schimmelpilzprodukte) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – zur Selbstbeobachtung anleiten – über Prophylaxe-Maßnahmen informieren – Ernährungsberatung – Gesundheitsförderung durch regelmäßige Tagesstruktur, ausreichend Schlaf und Bewegung, Meiden von Stress, Alkohol und Nikotin – über Notwendigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme informieren psychosoziale Begleitung: – professionelle und emotionale Unterstützung (z. B. Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen) – bei Depressionen bzw. Suizidgedanken einen Arzt informieren Auf Eigenschutz achten, v. a. beim Umgang mit Kanülen. Bei Stichverletzung (siehe Kap. 15.2.6): – Wunde initial zur Blutung anregen – Betriebsarzt informieren – Postexpositionsprophylaxe einnehmen

KOMPAK T HIV-Infektion ●











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Das HI-Virus befällt T-Lymphozyten und verursacht so Immunschwäche. Übertragungswege: Blut-zu-Blut-Kontakte z. B. durch Sexualverkehr, Nadelstichverletzung, Geburt. Einfache Berührungskontakte (Küssen, Händeschütteln) sind ungefährlich. Nach einer möglichen Übertragung: rasch Postexpositionsprophylaxe einnehmen! Stadien: akute HIV-Krankheit (grippale Symptome) → symptomfreie Phase (mehrere Jahre) → symptomatische Phase (Virenzahl steigt, T-Lymphozyten-Zahl sinkt) → AIDS (typische „AIDS-definierende Erkrankungen“ wie Cytomegalie-Virus-Pneumonie, Kaposisarkom, Soor) Therapie: antiretrovirale Therapie (ART). Bei gewissenhafter Einnahme besteht eine annährend normale Lebenserwartung. Pflege: Beratung, psychosoziale Begleitung, auf Eigenschutz achten, Infektionsprophylaxe

59.6 Autoimmunerkrankungen Definition Autoimmunerkrankungen Bei einer Autoimmunerkrankung richtet der Körper seine Immunabwehr gegen sich selbst. Antikörper befallen einzelne Organe (organspezifische Autoimmunerkrankung) oder den gesamten Organismus (systemische Autoimmunerkrankung). Beispiele für wichtige Autoimmunerkrankungen: ● organspezifisch: – Hashimoto-Thyreoiditis: häufigste Ursache einer Schilddrüsenunterfunktion beim jungen Menschen (siehe Kap. 58.2.4) – Diabetes mellitus Typ 1: autoantikörpervermittelte Zerstörung der Beta-Zellen innerhalb der Bauchspeicheldrüse (siehe Kap. 58.2) – perniziöse Anämie/Typ-A-Gastritis: Autoantikörper gegen den Intrinsic Factor des Magens mit nachfolgendem Vitamin-B12-Mangel und daraus resultierender Anämie ● systemische Autoimmunerkrankungen: – rheumatoide Arthritis: durch Autoantikörper vermittelte Entzündung der Gelenkshaut (siehe Kap. 60.6.2) – Kollagenosen: durch Autoantikörper gegen Zellkernbestandteile verursachte Autoimmunerkrankungen, u. a. systemischer Lupus erythematodes (SLE) – Autoimmunerkrankungen der Gefäße: sog. Vaskulitiden (chronische Entzündung der Gefäßwand durch Autoantikörper)

59.7 Allergien Definition Allergien Überempfindlichkeit des Immunsystems gegen Umweltstoffe (z. B. Pollen, Wespengift, Metall). Die Immunabwehr des Menschen produziert nicht nur gegen Krankheitserreger gerichtete spezifische Antikörper. Auch Umweltstoffe (z. B. Pollen) stehen im Fadenkreuz der Immunfahndung. Beim gesunden Menschen sind diese Antikörper nicht weiter relevant. Reagiert der Körper jedoch besonders empfindlich, kann eine Allergie ausgelöst werden. Es werden 4 Typen von Allergien unterschieden. Bei der sehr häufigen Typ-I-Variante (z. B. „Heuschnupfen“, Wespenstichallergie) schütten Mastzellen und basophile Granulozyten massiv Entzündungsmediatoren wie Histamin und Prostaglandine aus. Die daraus resultierenden Symptome reichen von leichtem Hautjucken bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock (siehe Kap. 14.1.6). Neben einer Hyposensibilisierung ist die Gabe von Glukokortikoiden und Antihistaminika möglich. Den besten Schutz bietet jedoch die Allergenkarenz.

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Pflege bei Erkrankungen des Blut- und Immunsystems ●









Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Soorprophylaxe: aufgrund erhöhter Infektanfälligkeit: sorgfältige Haut- und Mundpflege – Sturzprophylaxe: besonders bei erhöhter Blutungsneigung – Pneumonieprophylaxe: aufgrund erhöhter Infektanfälligkeit Ernährung: – Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ beachten (siehe Kap. 10.4) – ggf. hochkalorische (Trink-)Nahrung (bei Wasting-Syndrom) – ggf. keimarme Ernährung zur Infektionsprophylaxe (d. h. kein ungeschältes Obst/Gemüse, rohes Fleisch, rohe Eier, Nüsse, Frischmilch, Schimmelpilzprodukte) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – zur Selbstbeobachtung anleiten – über Prophylaxe-Maßnahmen informieren – Ernährungsberatung – Gesundheitsförderung durch regelmäßige Tagesstruktur, ausreichend Schlaf und Bewegung, Meiden von Stress, Alkohol und Nikotin – über Notwendigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme informieren psychosoziale Begleitung: – professionelle und emotionale Unterstützung (z. B. Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen) – bei Depressionen bzw. Suizidgedanken einen Arzt informieren Auf Eigenschutz achten, v. a. beim Umgang mit Kanülen. Bei Stichverletzung (siehe Kap. 15.2.6): – Wunde initial zur Blutung anregen – Betriebsarzt informieren – Postexpositionsprophylaxe einnehmen

KOMPAK T HIV-Infektion ●











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Das HI-Virus befällt T-Lymphozyten und verursacht so Immunschwäche. Übertragungswege: Blut-zu-Blut-Kontakte z. B. durch Sexualverkehr, Nadelstichverletzung, Geburt. Einfache Berührungskontakte (Küssen, Händeschütteln) sind ungefährlich. Nach einer möglichen Übertragung: rasch Postexpositionsprophylaxe einnehmen! Stadien: akute HIV-Krankheit (grippale Symptome) → symptomfreie Phase (mehrere Jahre) → symptomatische Phase (Virenzahl steigt, T-Lymphozyten-Zahl sinkt) → AIDS (typische „AIDS-definierende Erkrankungen“ wie Cytomegalie-Virus-Pneumonie, Kaposisarkom, Soor) Therapie: antiretrovirale Therapie (ART). Bei gewissenhafter Einnahme besteht eine annährend normale Lebenserwartung. Pflege: Beratung, psychosoziale Begleitung, auf Eigenschutz achten, Infektionsprophylaxe

59.6 Autoimmunerkrankungen Definition Autoimmunerkrankungen Bei einer Autoimmunerkrankung richtet der Körper seine Immunabwehr gegen sich selbst. Antikörper befallen einzelne Organe (organspezifische Autoimmunerkrankung) oder den gesamten Organismus (systemische Autoimmunerkrankung). Beispiele für wichtige Autoimmunerkrankungen: ● organspezifisch: – Hashimoto-Thyreoiditis: häufigste Ursache einer Schilddrüsenunterfunktion beim jungen Menschen (siehe Kap. 58.2.4) – Diabetes mellitus Typ 1: autoantikörpervermittelte Zerstörung der Beta-Zellen innerhalb der Bauchspeicheldrüse (siehe Kap. 58.2) – perniziöse Anämie/Typ-A-Gastritis: Autoantikörper gegen den Intrinsic Factor des Magens mit nachfolgendem Vitamin-B12-Mangel und daraus resultierender Anämie ● systemische Autoimmunerkrankungen: – rheumatoide Arthritis: durch Autoantikörper vermittelte Entzündung der Gelenkshaut (siehe Kap. 60.6.2) – Kollagenosen: durch Autoantikörper gegen Zellkernbestandteile verursachte Autoimmunerkrankungen, u. a. systemischer Lupus erythematodes (SLE) – Autoimmunerkrankungen der Gefäße: sog. Vaskulitiden (chronische Entzündung der Gefäßwand durch Autoantikörper)

59.7 Allergien Definition Allergien Überempfindlichkeit des Immunsystems gegen Umweltstoffe (z. B. Pollen, Wespengift, Metall). Die Immunabwehr des Menschen produziert nicht nur gegen Krankheitserreger gerichtete spezifische Antikörper. Auch Umweltstoffe (z. B. Pollen) stehen im Fadenkreuz der Immunfahndung. Beim gesunden Menschen sind diese Antikörper nicht weiter relevant. Reagiert der Körper jedoch besonders empfindlich, kann eine Allergie ausgelöst werden. Es werden 4 Typen von Allergien unterschieden. Bei der sehr häufigen Typ-I-Variante (z. B. „Heuschnupfen“, Wespenstichallergie) schütten Mastzellen und basophile Granulozyten massiv Entzündungsmediatoren wie Histamin und Prostaglandine aus. Die daraus resultierenden Symptome reichen von leichtem Hautjucken bis hin zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock (siehe Kap. 14.1.6). Neben einer Hyposensibilisierung ist die Gabe von Glukokortikoiden und Antihistaminika möglich. Den besten Schutz bietet jedoch die Allergenkarenz.

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Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems

CT Röntgen

MRT

Wärme/Kälte

Analgetika

bildgebende Verfahren

Sturzprophylaxe

Gelenkpunktion

Gelenkspiegelung

Mobilisation

Schmerzen reduzieren

DMS-Kontrolle

Bewegung fördern

Beobachtung

Pflege

Diagnostik, z.B.

primär Arhtritis

Osteomyelitis infektiös

Morbus Bechterew rheumatoide Arthritis

Kollagenosen

traumatisch

rheumatisch, z.B.

Osteoporose Knochentumoren

Erkrankungen

primär traumatologisch, z.B.

Luxation

Reposition

sekundär

Übergewicht Stoffwechselerkrankungen

Distorsion Komplikationen

Arthrose

orthopädisch, z.B.

Amputation

therapeutisch

Fraktur

Risikofaktoren, z.B.

Analgetika Therapie

Blutverlust

sekundär

Therapie, z.B.

Kompartmentsyndrom Endoprothese

Ostitis Pseudarthrose

konservativ, z.B. Schiene

operativ, z.B.

Arthrodese Osteosythese Reduzierung der Risikofaktoren

Anatomie und Physiologie

60.1 Anatomie und Physiologie



Der Bewegungsapparat besteht aus dem sog. Stützapparat (Knochen, Knorpel, Gelenke und Bänder) und der Skelettmuskulatur, die willkürlich gesteuert werden kann (▶ Abb. 60.1).

Knochen: stabilisieren den Körper und schützen die Organe, zudem enthalten sie das Knochenmark. Sie bestehen aus einer Knochengrundsubstanz (Mineralstoffe, Proteine, Kollagenfasern) und den Knochenzellen, den Osteoklasten und -blasten, die für den ständigen Umbau des Knochengewebes sorgen.

Abb. 60.1 Das Skelettsystem.

Scheitelbein (Os parietale)

Schädel (Cranium) Augenhöhle (Orbita)

2. Halswirbel (Axis)

Unterkieferbein (Mandibula)

Schlüsselbein (Clavicula)

Hinterhauptsbein (Os occipitale)

1. Halswirbel (Atlas)

Oberkieferbein (Maxilla)

Schulterblatt (Scapula)

Schulterblatt (Scapula)

Oberarmknochen (Humerus)

Brustbein (Manubrium sterni)

Wirbelsäule (Columna vertebralis)

Oberarmknochen (Humerus) Kreuzbein (Os sacrum) Darmbein (Os ilium)

Elle (Ulna)

Schambein (Os pubis)

Speiche (Radius)

Sitzbein (Os ischii)

Elle (Ulna)

Speiche (Radius)

Steißbein (Os coccygis)

HandMittel Fingerwurzelknochen hand(Ossa knochen knochen (Ossa digitorum (Ossa carpi) metamanus) carpi)

Os sacrum Trochanter minor

Trochanter major

Oberschenkelknochen (Os femoris)

Kniescheibe (Patella) Wadenbein (Fibula)

Wadenbein (Fibula)

Schienbein (Tibia)

Schienbein (Tibia) Fußwurzelknochen (Ossa tarsi) Mittelfußknochen (Ossa metatarsi)

a

Zehenknochen (Ossa digitorum pedis)

Fersenbein (Calcaneus) b

a Übersicht von vorne. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: K. Wesker

b Übersicht von hinten. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: K. Wesker

l 60

Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems ●











Knorpel: sind druck- und zugelastisch und wirken so an vielen Stellen des Körpers als Stoßdämpfer. Da sie keine Gefäße enthalten und nur über Diffusion ernährt werden, erholen sie sich nach Verletzungen meist nur unvollständig. Gelenke: verbinden 2 oder mehr Knochen miteinander. Echte Gelenke bestehen aus einem Gelenkkopf, einer Gelenkpfanne, dem Gelenkspalt und werden von der Gelenkkapsel umgeben, die die Gelenkflüssigkeit enthält. Bei unechten Gelenken sind die Knochenenden über Bindegewebe, Knorpel oder Knochen direkt miteinander verbunden. Sie haben keinen Gelenkspalt (z. B. Schambeinfuge, Bandscheiben). Sehnen: bestehen aus kollagenem Bindegewebe und werden über Diffusion versorgt. Muskeln und Knochen werden meist durch Sehnen verbunden. Die Sehnenscheiden sind Bindegewebshüllen, die die Sehnen schützen und als Führungskanal dienen. Skelettmuskulatur: dient dazu, den Körper in einer bestimmten (aufrechten) Position zu halten und ihn zu bewegen. Außerdem ist sie wichtig für den: – Wärmehaushalt: Muskelarbeit erzeugt die Körperwärme. – Glukosehaushalt: Die Muskulatur nimmt Blutglukose auf und senkt so den Blutzuckerspiegel. Muskeln, die eine bestimmte Bewegung verursachen, heißen Agonisten. Muskeln, die dieser Bewegung entgegenwirken, heißen Antagonisten.

60.2 Mitwirken bei der Diagnostik Die Diagnostik bei Erkrankungen des Bewegungssystems stützt sich hauptsächlich auf die Anamnese, die klinische Untersuchung und die bildgebenden Verfahren.





Im Behandlungsverlauf wird die DMS-Kontrolle meist von Pflegenden übernommen. Bei jeder Veränderung (z. B. Kälte, Kribbeln, Taubheitsgefühle) muss sofort der Arzt informiert werden.

60.2.2 Bildgebende Verfahren Zu den bildgebenden Verfahren zählen beispielsweise: ● Röntgen ● Sonografie ● Magnetresonanztomografie (MRT) ● Computertomografie (CT) ● Knochenszintigrafie ● Osteodensitometrie (Knochendichtemessung)

60.2.3 Gelenkspiegelung und Gelenkpunktion Arthroskopie = endoskopische Gelenkspiegelung ●





60.2.1 Anamnese und klinische Untersuchung Pflegende unterstützen den Patienten dabei, sich richtig zu positionieren und auszukleiden (gesunde Seite immer zuerst), damit der Arzt in der klinischen Untersuchung die Leitsymptome durch Inspektion und Palpation überprüfen kann. Beobachtet werden: ● Zustand der verletzten/betroffenen Region ● Körperhaltung ● Form und Stellung der Extremitäten ● Bewegung ● Schwellung ● Druckschmerzempfindlichkeit ● Funktionsfähigkeit

DMS-Kontrolle Wesentlicher Teil der körperlichen Untersuchung ist die DMS-Kontrolle. Sie muss nach jeder Verletzung und OP durchgeführt werden. Sie wird immer distal der Verletzung bzw. Erkrankung durchgeführt: ● Durchblutung: peripheren Puls tasten, Hautfarbe und Hauttemperatur prüfen: Schwacher Puls, kalte und blasse

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Haut oder Kribbeln sind Zeichen einer mangelnden Durchblutung. Motorik: Extremität hinter der Verletzung bewegen lassen: Bei Einschränkungen können Nerven, Muskulatur oder Sehnen beschädigt sein. Sensibilität: mit der flachen Hand oder einem Stift über beide Extremitäten gleichzeitig streichen und erfragen, ob sich die Berührungen gleich anfühlen: Unterschiede oder Taubheitsgefühle deuten auf Sensibilitätsstörung hin.



Ein Arthroskop wird in einer kleinen OP, unter Vollnarkose oder Spinalanästhesie, in die Gelenkhöhle eingeführt. Zur Diagnostik können Gewebeproben entnommen werden. Zur Therapie können Blutungen verödet oder Spülungen durchgeführt werden. Pflege: Siehe allgemeine perioperative Pflege (siehe Kap. 41), das operierte Gelenk wird hochgelagert und gekühlt.

Gelenkpunktion ●



● ●

Das betroffene Gelenk wird unter sterilen Bedingungen und unter lokaler Anästhesie punktiert. zur Diagnostik z. B. bei Verdacht auf Entzündungen oder Tumoren) zur Therapie z. B. bei Gelenkergüssen Pflege: Die Punktionsstelle wird mit einem Pflaster und Druckverband versorgt und das Gelenk hochgelagert.

Beide Eingriffe werden meist ambulant durchgeführt, daher muss der Patient über wichtige Aspekte (z. B. Körperhygiene, Infektionszeichen, Mobilisation) aufgeklärt werden.

Traumatologische Erkrankungen

60.3 Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen ●







● ●





Beobachtung: – Vitalparameter kontrollieren – DMS-Kontrolle der betroffenen Körperregion: – Durchblutung (Nagelbettprobe, Hautkolorit, Hauttemperatur) – Motorik (Finger, Zehen bewegen) – Sensibilität (Taubheitsgefühl, Kribbeln) – Bewegungseinschränkungen? Schonhaltungen? – Verband und Wundgebiet: Entzündungszeichen? Blutungen? Verbandwechsel auf Arztanordnung Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 Medikamentenmanagement: medikamentöse Therapie überwachen und auf mögliche Nebenwirkungen achten (siehe Kap. 36) Positionierung, Mobilisation und Körperpflege: – kurzzeitige Hochlagerung bzw. Ruhigstellung der betroffenen Extremität – gezielte aktive und passive Bewegungsübungen – bedarfsgerechte Unterstützung je nach Bewegungseinschränkung – Hilfsmittel und Orthesen (z. B. Gehhilfen, Korsett, Schienen) anlegen, korrekten Sitz kontrollieren bzw. richtig anpassen (in interdisziplinärer Zusammenarbeit mit Arzt, Physiotherapeut) Ausscheidung: ggf. Toilettensitzerhöhung bereitstellen Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – Dekubitus-, Thrombose-, Obstipations-, Sturzprophylaxe: besonders aufgrund eingeschränkter Bewegung – Pneumonieprophylaxe: besonders bei schmerzbedingter Schonatmung Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – richtige Positionierung und Bewegung – notwendige Prophylaxen, insbesondere Maßnahmen zur Sturzprophylaxe – mögliche Hilfsmittel für den Alltag, z. B. Greifzangen, Schuhlöffel psychosoziale Begleitung: Gesprächsbereitschaft signalisieren

60.4 Traumatologische Erkrankungen Definition Trauma Ein Trauma ist eine durch Gewalteinwirkung entstandene Verletzung des Körpers oder der Psyche.

60.4.1 Distorsion Definition Distorsion Zerrung bzw. Verstauchung eines Gelenks durch eine äußere Krafteinwirkung. Dabei wird die Gelenkkapsel verletzt und die Bänder, die das Gelenk stabilisieren, werden überdehnt bzw. gezerrt. ●







häufig betroffen: Handgelenk, Sprunggelenk, Knie oder Halswirbelsäule (HWS-Schleudertrauma) Symptome: Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, lokale Schwellungen, Hämatombildung Therapie: Analgetika, Ruhigstellung (ggf. Halskrawatte bei HWS-Schleudertrauma) Pflege: siehe Kap. 60.3

60.4.2 Luxation Definition Luxation Ist die Ver- bzw. Ausrenkung eines Gelenkes, d. h., der Gelenkkopf sitzt nicht mehr in der Gelenkpfanne. ●







häufig betroffen: – Schulter: durch einen Sturz auf den Arm oder die Schulter – Ellenbogen: durch ein erhebliches Trauma (z. B. Verkehrsunfall) Symptome: starke Schmerzen, Schonhaltung und Bewegungseinschränkungen (keine Gelenkbewegungen) Therapie: Gelenk-Reposition, ggf. Gilchrist-Verband oder Gips zur Ruhigstellung, davor und danach Röntgen- und DMS-Kontrolle Pflege: siehe Kap. 60.3

60.4.3 Frakturen – Grundlagen Definition Fraktur Unter einer Fraktur (Knochenbruch) versteht man eine komplette oder inkomplette Kontinuitätsunterbrechung des Knochengewebes, bei der 2 oder mehr Fragmente (Knochenbruchstücke) durch die Bruchspalte(n) voneinander getrennt sind.

Einteilung Die Einteilung spielt eine wesentliche Rolle bei der Entscheidung darüber, wie die Fraktur therapiert werden muss. Einteilungskriterien sind: ● Ursache: traumatisch durch Krafteinwirkung (Stürze) oder pathologisch bei Schwächung des Knochengerüsts (z. B. bei Osteoporose, Tumoren) ● Gewebsbeteiligung: geschlossener oder offener Bruch, Gelenkbeteiligung

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Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems ●



● ●

Dislokationsformen: Seitenverschiebung, Verlängerung, Verkürzung, Stauchung, Achsenknickung, Rotationsverschiebung Verlauf der Frakturlinie: T- oder Y-förmig, Längs-, Quer-, Schräg- oder Spiralfraktur Vollständigkeit: komplett oder inkomplett Anzahl der Fragmente: einfache Frakturen oder Mehrfragmentfrakturen wie Stück- und Trümmerfrakturen

Tab. 60.1 Unsichere und sichere Frakturzeichen.

Symptome Die Symptome werden in sichere und unsichere Frakturzeichen eingeteilt (▶ Tab. 60.1). Die Bezeichnung „unsichere Frakturzeichen“ kommt daher, da die Symptome auch bei Entzündungen oder Prellungen auftreten können.

ACHTUNG Frakturen mit Gefäßverletzungen können mit einem großen Blutverlust einhergehen. Bei geschlossenen Frakturen wird der Blutverlust ggf. erst spät durch Schwellungen oder Hämatome sichtbar. Als Folge kann es zu einem gefährlichen Volumenmangelschock kommen.

Therapie Eine Fraktur muss ruhiggestellt werden, z. B. konservativ durch einen Gips oder eine Schiene, eine Extension oder einen Fixateur externe. ● Anwendung: geschlossene, nicht dislozierte Fraktur; Kinder oder Patienten, die nicht narkose- bzw. operationsfähig sind

Unsichere Frakturzeichen

Sichere Frakturzeichen

(Druck-)Schmerz

Fehlstellungen

Schwellung

abnorme Beweglichkeit

Funktionseinschränkung oder Sensibilitätsstörungen

fühl- oder hörbares Knochenreiben

Hämatome

offene Fraktur

Extensionstherapie Die verletzte Extremität wird über einen Längszug kontinuierlich auseinandergezogen und so in die richtige Position gebracht. Extensionsdrähte werden in Lokalanästhesie durch den Knochen gebohrt oder geschossen, an denen ein Extensionsbügel mit Seilzug und Gewichten befestigt wird. ● Anwendung: instabile, dislozierte Frakturen; untere Extremitäten, Becken, Halswirbelsäule; zur Ruhigstellung, bis eine OP möglich ist Spezielle Pflege siehe Kap. 60.3 ● vorsichtige Bewegungen, da es sich um keine stabile Versorgung handelt ● darauf achten, dass Schnüre frei laufen können und die richtigen Gewichte angehängt sind ● Einstichstelle versorgen und auf Entzündungszeichen achten ●

Gipsbehandlung ●







Anwendung: geschlossene Frakturen ohne Weichteilverletzung Gips immer in Funktionsstellung anlegen (90° bei Ellenbogen und Sprunggelenk und 160° bei Knie und Handgelenk) bei frischen Frakturen den Gips vollständig spalten, damit ausreichend Platz für evtl. auftretende Schwellungen ist Ist die Schwellung abgeklungen, können zirkuläre Kunststoffgipse angelegt werden.

Spezielle Pflege ● siehe Kap. 60.3 ● Finger bzw. Zehen der betroffenen Extremität regelmäßig bewegen, bei Ruhigstellung des Beins: Thromboseprophylaxe (siehe Kap. 21.9) und Antikoagulanzien nach Arztanordnung durchführen ● Bei einem Armgips sollte keine Armschlinge getragen werden, da dies zu Fehlhaltungen und Muskelschwund führt.

! Merke DMS

Gibt der Patient ein Druckgefühl oder Schmerzen an, muss der Gips kontrolliert und ggf. neu angelegt werden. Grundregel: Der gegipste Patient hat immer recht.

438

ACHTUNG Jegliche Entzündungszeichen müssen sofort an den Arzt weitergegeben werden, da schwere Weichteil- und Knocheninfektionen drohen!

Fixateur externe Mit einem Fixateur externe können Frakturstücke von außen an der richtigen Stelle fixiert werden. Dabei werden distal und proximal der Fraktur Pins in den Knochen eingebracht und über außen angebrachte Metallstäbe fest miteinander verbunden. Anwendung: ● Trümmerfrakturen ● offene und infizierte Wunden und Frakturen mit Weichteilverletzung ● zur Überbrückung bei Polytraumen Pflege: siehe Kap. 60.3

Operative Therapie Osteosynthese • Bei einer Osteosynthese wird die Fraktur operativ reponiert und mithilfe eines Implantats in der richtigen Stellung fixiert. Häufige Osteosyntheseverfahren: Schrauben-, Plattenosteosynthese, Marknagel, Zuggurtosteosynthese. Anwendung: ● offene Frakturen ● begleitende Nerven- und Sehnenverletzungen ● Frakturen, die sich geschlossen nicht reponieren lassen

Traumatologische Erkrankungen Von Vorteil ist die schnellere Beweglichkeit und u. U. Belastbarkeit der betroffenen Extremität. Von Nachteil ist, dass meist eine weitere OP notwendig wird, um die Implantate zu entfernen. Spezielle Pflege ● siehe Kap. 41 und Kap. 60.3 ● Beobachtung: Bei offenen Frakturen besteht erhöhte Infektionsgefahr, daher tägliche DMS-Kontrolle und Kontrolle auf Entzündungszeichen. ● Frühmobilisation: Marknagel: Das Bein ist sofort belastungsstabil. Plattenosteosynthese: nur übungsstabil, es muss 4 Monate entlastet werden. Endoprothese • Bei einer Endoprothese (Gelenkersatz) kann ein Gelenkteil (Hemiendoprothese = HEP) oder beide Gelenkteile (Totalendoprothese = TEP) ersetzt werden. Bei einer HEP wird nur der Gelenkkopf ersetzt, bei der TEP dagegen Gelenkkopf und -pfanne. Anwendung: ● HEP: Schenkelhalsfraktur ● TEP: Frakturen bei älteren Menschen mit Osteoporose oder Arthrose ● Vorteile der TEP: – Gelenkschmerzen werden reduziert. – Patienten können schneller mobilisiert werden. – Bei älteren Personen wird i. d. R. eine zementierte Prothese eingesetzt, wodurch das Bein sofort wieder voll belastet werden kann und somit Komplikationen längerer Bettlägerigkeit vermieden werden. ● Nachteil der TEP: – höherer Aufwand des Verfahrens – damit steigende Komplikationsrisiken inkl. Blutverlust – Pflege: siehe Kap. 41, Kap. 60.3 und „Pflege bei Koxarthrose nach Hüft-TEP“ und „Pflege bei Gonarthrose nach Knie-TEP“ (S. 444)

Kompartmentsyndrom • Hämatome oder Ödeme verursachen einen Druckanstieg in der von Faszien umhüllten Muskelkammer, wodurch Blutgefäße und Nerven komprimiert werden. Symptome: starke Schmerzen, Schwellungen, Sensibilitätsstörungen und ggf. Lähmungen. Maßnahmen und Therapie: Bei Verdacht muss sofort der Arzt informiert und alle Verbände entfernt werden. Bei sicherer Diagnose wird eine Fasziotomie notwendig, d. h., die Faszie wird operativ gespalten, um den Druck zu reduzieren. Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) • Periphere Durchblutungsstörungen können zu Entzündungen, Dystrophien oder sogar zur völligen Gelenkversteifung führen. ● Therapie: NSAR, Glukokortikoide, Sympathikusblockade, Physio- und Ergotherapie ● Prävention: ausreichende Ruhigstellung der betroffenen Region und Schmerztherapie gleich zu Beginn, im Anschluss Unterstützung bei der Mobilisation.

60.4.4 Schädelfrakturen Ursache Stumpfe Gewalteinwirkung, z. B. bei Verkehrsunfällen.

Diagnostik CT des Kopfes (cCT) und neurologische Untersuchungen (Pupillenreaktion, Bewusstsein etc.).

Symptome und Therapie Schädelbasisfraktur ● Symptome: Hämatome um ein oder beide Augen (Monokel- oder Brillenhämatom), evtl. Blut- und/oder Liquorfluss aus Nase, Mund und Ohr ● Therapie: Tritt dauerhaft Liquor aus, muss operiert werden.

Komplikationen Folgende Komplikationen können im Rahmen von Frakturen auftreten: Verzögerte Heilung • Davon wird gesprochen, wenn nach 4– 6 Wochen noch keine knöcherne Überbrückung vorhanden ist. Ist die Fraktur auch nach 6–8 Wochen noch nicht zusammengewachsen, spricht man von einer Pseudarthrose (falsches Gelenk). ● Ursachen: – allgemeine Faktoren: z. B. hohes Alter, Diabetes mellitus, Osteoporose – mechanische Faktoren: z. B. mangelnder Kontakt der Frakturenden, unzureichende Ruhigstellung – lokale Faktoren: z. B. schlechte Durchblutung, Infektionen ● Symptome: Schmerzen, Schwellungen, eingeschränkte Belastbarkeit, bei einer Pseudarthrose: abnorme Überbeweglichkeit im Frakturbereich ● Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, Osteosynthese Ostitis (Knocheninfektion) und Osteomyelitis (Knochenmarksinfektion) • Treten v. a. bei offenen Frakturen oder großen Weichteilverletzungen auf, da die Erreger hier direkt an den Knochen gelangen.

Kalottenfraktur (Schädeldachbruch) Symptome: Prellmarken und Wunden am Kopf, evtl. Frakturlinien oder Impressionen (= Frakturstück ist in den Schädel hineingedrückt) sichtbar ● Therapie: Bei Impressionsfrakturen muss operiert werden, sonst Überwachung. ●

Gesichtsschädelfrakturen zentrale Mittelgesichtsfrakturen: mehrere schwere Gesichtsfrakturen mit gleichzeitiger Schädelbasisfraktur und großen Weichteilverletzungen im Gesicht ● isolierte Mittelgesichtsfrakturen: nur eine Fraktur, z. B. am Jochbein oder Nasenbein, meist sind Faustschläge die Ursache ● Therapie: umgehende OP, v. a. bei Sehstörungen ●

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen (siehe Kap. 60.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Schädelfrakturen: ● Beobachtung: – engmaschige Kontrolle der Vitalparameter (ggf. Monitoring) und auf Anzeichen eines Hirndruckanstiegs achten:

l 60

Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems

● ●



Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Bradykardie, Krampfanfälle, Atemstörungen, Bewusstseinseintrübungen, Pupillenreaktion, Bewusstseinslage, Sensibilitätsstörungen – Test auf Liquoraustritt – Blutungen? Hämatome? Prellungen? Positionierung: Oberkörperhochlage (ca. 30°) psychosoziale Begleitung: – Ruhe vermitteln, Hektik vermeiden – sensibel gegenüber Ängsten sein (z. B. Entstellung, Verlust des Geruchs- oder Sehsinns) ggf. perioperative Pflege (siehe Kap. 41)

Tab. 60.2 Stabilisierungsgrade.

! Merke Blutzuckertest

Ein Blutzuckertest kann schnell Aufschluss darüber geben, ob es sich bei austretender Flüssigkeit um Liquor handelt, da Liquor einen hohen Glukosegehalt hat. Ein weiteres Zeichen für Liquor ist ein heller Rand um einen Blutfleck auf einer Kompresse.

Begriffe

Beschreibung

Instabilität

keine Mobilisation

„Lagerungsstabilität“

Eine längere Seitenlage ist möglich, z. B. zur Dekubitusprophylaxe.

Bewegungsstabilität

Bewegung darf aktiv oder passiv erfolgen, z. B. darf der Patient zum Verbandwechsel auf die Seite gedreht werden.

Belastungsstabilität

Bewegungen und rehabilitative Übungen sind erlaubt.

Trainingsstabilität

wiederholte, aktive Bewegungsabläufe

ACHTUNG

60.4.5 Frakturen der Wirbelsäule Ursache ●



traumatisch, z. B. durch einen Kopfsprung ins flache Wasser, durch Auffahrunfälle pathologisch, z. B. durch Osteoporose, Knochentumoren

Bei Veränderungen des neurologischen Status müssen Sie sofort den Arzt informieren, da sie auf eine Einengung des Rückenmarks hindeuten können. ●

Die Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule können betroffen sein.

Stabile Frakturen ● ● ●

Bei stabilen Frakturen ist das Rückenmark nicht betroffen. Symptome: Druck-, Klopf- und Bewegungsschmerzen Therapie und Pflege: konservative Therapie mit 1–2 Wochen strenger Bettruhe, Zervikalstütze bei HWS-Frakturen; Positionierung in Flachlage (v. a. bei HWS-Frakturen), Oberkörperhochlage max. 30°

Instabile Frakturen ●





Hohes Risiko für Verletzungen des Rückenmarks durch Knochenfragmente. Dadurch besteht ein erhöhtes Risiko von Querschnittlähmungen oder sogar tödlichen Verläufen. Symptome: Spontan- und Bewegungsschmerz, Belastungsunfähigkeit, Fehlstellungen des Rumpfes, Taubheitsgefühle, Lähmungen Therapie: operativer Eingriff, HWS-Frakturen werden mit einer Philadelphia-Krawatte fixiert. – präoperativ: strenge Bettruhe, Positionierung in Flachlage, nur En-bloc-Drehung – postoperativ: Mobilisation je nach Operationsverfahren auf Arztanordnung

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen (siehe Kap. 60.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Frakturen der Wirbelsäule: ● Beobachtung des neurologischen Status: DMS-Kontrolle und Beobachtung von Sensibilitätsstörungen, Inkontinenz, Bewusstsein etc. (bei Ausfällen muss ein MRT erfolgen)

440



Positionierung und Mobilisierung: Erfolgt nach ärztlicher Anordnung und/oder nach einem festen Standard. Zur Beschreibung werden die Stabilisierungsgrade verwendet (▶ Tab. 60.2). – En-bloc-Drehung: Die Wirbelsäule bleibt dabei starr. Die Mobilisation sollte mit mind. 2, besser 3 Pflegekräften erfolgen. Der Patient sollte sich dazu möglichst steif machen, indem er Bauch und Rückenmuskulatur anspannt. Die Arme sollten vor der Brust verschränkt werden, ggf. durch die Pflegefachkraft. Die erste Person hält den Kopf, die zweite fasst Schulter und Hüfte, die dritte Hüfte und Knie. Dann wird er gleichzeitig auf die Seite gedreht. Ist der Patient mobilisationsstabil, kann er sich auch selbstständig nach der En-bloc-Methode aufrichten. – Hilfsmittel: Bei den ersten Gehversuchen sollte ein höhenverstellbarer Gehwagen (mit Unterarmauflagen) genutzt werden. Rehabilitation: – zur Förderung des Muskelaufbaus und zum Erlernen schonender Bewegungsmuster – Patienten mit dauerhaften Einschränkungen können hier lernen, wie sie ihre Selbstständigkeit möglichst erhalten. – Sport nur nach Rücksprache mit dem Arzt

60.4.6 Verletzungen der oberen Extremitäten ▶ Tab. 60.3 gibt einen Überblick häufiger Verletzungen der oberen Extremitäten. Beachten Sie auch die Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen (siehe Kap. 60.3).

Traumatologische Erkrankungen Tab. 60.3 Häufige Verletzungen der oberen Extremitäten. Verletzung

Pathophysiologie

Therapie und Pflege

entstehen durch direkten Sturz auf die Schulter oder indirekten Sturz auf den ausgestreckten Arm



Humerusschaftfraktur

entsteht durch einen direkten Schlag oder Sturz auf den Oberarm

i. d. R. Osteosynthese

Unterarmschaftfraktur



Besondere Komplikationen

Frakturen am Arm proximale Humerusfrakturen



isolierte Fraktur: Ulna oder Radius gebrochen komplette Fraktur: beide Knochen gebrochen



Bruch der Speiche nahe dem Handgelenk, meist durch einen Sturz auf die Hand





distale Radiusfraktur









Gilchrist-Verband zur Ruhigstellung operativ, ggf. Endoprothese frühzeitige Mobilisation/Physiotherapie Ist der N. radialis betroffen, zeigt sich neben den typischen Symptomen eine sog. Fallhand (Hand- und Fingerstrecker sind gelähmt).

bei Kindern: Gips bei Erwachsenen: operative Versorgung

besonders hohe Gefahr, ein Kompartmentsyndrom (S. 439) zu entwickeln

Der Arm wird für 4–6 Wochen im Gips ruhiggestellt. Bei dislozierten Brüchen wird durch „Aushängen“ reponiert. Instabile Frakturen werden operativ versorgt.







erneute Verschiebung der Bruchstücke CRPS (complex regional pain syndrome) sekundäre Handgelenksarthrose

Verletzungen der Hand Handwurzelfraktur

Sturz auf die überstreckte Hand (Kahnbein am häufigsten betroffen)

i. d. R. operative Versorgung mit Spickdrähten und anschließend Kahnbeingips für 3 Wochen

Mittelhand- und Fingerfraktur

Bruch meist bei einem Faustschlag gegen einen festen Gegenstand oder bei Stürzen



durch Traumen oder degenerative Erkrankung



Sehnenverletzungen





operative Versorgung, v. a. wenn die Knochen zusätzlich verdreht sind bei Endgliedfrakturen reicht eine Schiene Schiene operatives Zusammennähen der Sehnenenden

60.4.7 Verletzungen der unteren Extremitäten ▶ Tab. 60.4 gibt einen Überblick über häufige Verletzungen der unteren Extremitäten. Beachten Sie auch die Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen (siehe Kap. 60.3) und das Kapitel zur Therapie bei Frakturen (S. 438).

Traumatische Amputation ●





60.4.8 Amputationen Definition Amputation Eine Amputation ist die Abtrennung einer Gliedmaße (oder von Teilen davon) im knöchernen Bereich. Die Abtrennung in Höhe eines Gelenks wird als Exartikulation bezeichnet. Es werden traumatische und therapeutische Amputationen unterschieden.

Durch Vernarbungen können Funktionseinschränkungen entstehen.



Durch Unfälle werden Gliedmaßen teilweise oder ganz abgetrennt oder abgerissen. Wird die abgetrennte Gliedmaße gefunden und mit in die Klinik gebracht, kann sie unter bestimmten Voraussetzungen (glatte Schnittränder, saubere Wundverhältnisse, geringe Weichteilquetschung) von spezialisierten Chirurgen replantiert (angenäht) werden. Bis zum Eintreffen in die Klinik sollte die abgetrennte Gliedmaße möglichst sauber, trocken und kühl (aber nicht direkt auf Eis) gelagert werden. Kann nicht replantiert werden, wird die Wunde verschlossen.

Therapeutische Amputation ●



werden bei schweren Erkrankungen (z. B. pAVK), bösartigen Tumoren, schweren Infektionen oder Nekrosen durchgeführt Es wird so wenig wie möglich von der Extremität entfernt, damit möglichst viele Funktionen erhalten bleiben.

l 60

Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems Tab. 60.4 Häufige Verletzungen der unteren Extremitäten. Verletzung

Pathophysiologie

Therapie und Pflege

Beckenrandfrakturen (z. B. Beckenschaufelfrakturen, Steißbeinfrakturen)

Stabilität des Beckens bleibt erhalten.



Beckenringfrakturen

entstehen durch hohe Gewalteinwirkungen, häufig liegen Polytraumen mit massiven Begleitverletzungen vor

Bemerkung

Beckenfrakturen

● ●

kurze Bettruhe Schmerzmittelgabe frühe Mobilisation

stabile Frakturen: 6–12 Wochen Bettruhe ● Schmerzmittelgabe ● langsame Mobilisation instabile, dislozierte Frakturen: ● operative Versorgung ● Patienten in Flachlage positionieren ● Drehen und Beugen des Beckens vermeiden ● Mobilisation erfolgt en bloc ● Prophylaxen durchführen ●

Frakturen am Bein Schenkelhalsfrakturen

Oberschenkelschaftfraktur

Der Oberschenkelknochen bricht zwischen Hüftkopf und Trochanter major. Vor allem ältere Personen mit Osteoporose ziehen sich als Folge eines Sturzes auf die Hüfte oder das Bein diese Verletzung zu. ●



entsteht durch große Gewalteinwirkungen bei älteren Patienten mit Hüftkopfprothese auch schon bei geringem Trauma

Tibiakopffraktur

entsteht durch Stürze aus großer Höhe, Ski- oder Verkehrsunfälle

Unterschenkelschaftfraktur





isolierte Fraktur: Tibia oder Fibula ist gebrochen. komplette Fraktur: Beide Knochen sind gebrochen.

operative Versorgung: hüftkopferhaltend: nur möglich, wenn der Patient in der Lage ist, das Bein 3 Monate zu entlasten ● Endoprothese

Symptome: starke Schmerzen und ein nach außen gedrehtes und verkürztes Bein

Stabilisierung mit Marknagel oder Plattenosteosynthese Wegen der langen OP-Dauer und der hohen Blutverluste werden Patienten zunächst auf der Intensivstation versorgt.

Symptome: Frakturzeichen, je nach Begleitverletzung massive Blutungen, es kann auch ein Kompartmentsyndrom entstehen.



operative Reposition und Osteosynthese mit anschließender Ruhigstellung im Gips und Physiotherapie ●





bei isolierten Fibulafrakturen: Zinkleimverband bei Kindern mit geschlossenen, nicht dislozierten Frakturen: Oberschenkelgips (2–4 Wochen) + Gehgips (2 Wochen) bei Erwachsenen: Osteosynthese oder Fixateur externe

Knieverletzungen Patellafraktur

entsteht meist durch Sturz auf das gebeugte Knie

Schiene oder Zuggurtosteosynthese

Kreuzbandruptur

entstehen häufig bei Verdrehungen des Knies unter Belastung (z. B. Sport)







442

konservative Therapie mit Kniegelenksorthese arthroskopisch durchgeführte Kreuzbandplastik Physiotherapie

Traumatologische Erkrankungen

Tab. 60.4 Fortsetzung Verletzung

Pathophysiologie

Therapie und Pflege

Bemerkung

Verletzungen des Sprunggelenks Malleolarfrakturen

Bandverletzungen

Brüche des Knöchels entstehen durch plötzliches Umknicken. Es können Innen- (Tibia) und Außenknöchel (Fibula) brechen.



Es kann zu einer Zerrung oder zu einem Riss kommen.

Sprunggelenksorthese für 4–6 Wochen



Unterschenkelgips operativ

Verletzungen des Fußes Kalkaneusfraktur (Fersenbein)

operativ

Mittelfußfraktur

konservativ mit Unterschenkelgips, Gehgips oder sog. Geisha-Schuh

Zehenfrakturen

Dachziegel-Tapeverband

Achillessehnenruptur

entsteht meist beim Sport

Komplikationen ●







allgemeine OP-Komplikationen: Schmerzen, Nachblutungen, Wundheilungsstörungen und Wundinfektionen Phantomschmerzen, Stumpfschmerzen (z. B. durch Neurombildung, d. h. Nervenaussprossung am durchtrennten Nervenende) Hautprobleme durch die Prothese (z. B. Entzündungen, Kontaktekzeme oder Dekubitus) Kontrakturen an benachbarten Gelenken (z. B. im Kniegelenk nach einer Unterschenkelamputation)

Sehnenenden werden zusammengenäht, danach Gips oder Schiene, später Spezialschuh







Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen (siehe Kap. 60.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Amputationen: Präoperative Vorbereitung ● Bei geplanten Eingriffen kann der Patient bereits den Umgang mit Hilfsmitteln (z. B. Unterarmgehstützen) erlernen sowie mit gezieltem Training den Muskelaufbau fördern und postoperative Überbelastungen vermeiden. ● Beratungsgespräche und Informationen zur Prothesenversorgung unterstützen die psychische Vorbereitung. Ggf. Psychologen hinzuziehen oder Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermitteln. Postoperative Maßnahmen Positionierung: Um Wundödeme zu vermeiden, wird der Stumpf für 24 Stunden hochgelagert (außer bei Durchblutungsstörungen). Zur Kontrakturprophylaxe wird die Extremität in Streckstellung gelagert, da die Beugemuskulatur stärker ist.









● ●

Schmerzmanagement: – bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 – Auch Phantomschmerzen müssen schnell und konsequent behandelt werden, da sie sonst chronisch werden und nur noch schwer behandelt werden können. Verbandwechsel (aseptisch): erfolgt ab dem 2. postoperativen Tag täglich. Beim ersten Verbandwechsel sollte möglichst behutsam und sensibel vorgegangen werden, da der Patient den Stumpf das erste Mal sieht. Stumpf wickeln: zur Ödemprophylaxe und um den Stumpf zu formen. Ziel ist, eine prothesengerechte konische Form zu erreichen. Die Durchführung finden Sie in Kap. 30. Hautpflege: Die Haut darf nicht aufweichen, Seifenreste müssen vollständig abgespült und die Haut sorgfältig abgetrocknet werden. Bei starker Schweißbildung können Stumpfbänder mit Salbei verwendet werden. Bei Bedarf Stumpf nur abends eincremen und nicht vor dem Anziehen der Prothese. Stumpfhaut abhärten: Wenn die Wunde abgeheilt ist, kann nach dem Waschen die Stumpfhaut kräftig abgerieben oder mit einer weichen Bürste abgerieben werden. Durch kaltwarme Wechselbäder kann die Durchblutung angeregt werden. Prothesenversorgung: So bald wie möglich sollte ein Prothesenstrumpf getragen werden und nach Abschluss der Wundheilung die erste Übungsprothese angepasst werden. Eine dauerhafte Prothese bekommt der Patient nach 6–12 Monaten, wenn der Stumpf seine endgültige Form erreicht hat. Sturzprophylaxe (siehe Kap. 21.6) Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – Rehabilitationsprogramme – Kontakte von Beratungsstellen (v. a. bei notweniger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit) und Selbsthilfegruppen vermitteln

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Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems ●

psychosoziale Begleitung: Das veränderte Körperbild, Schmerzen und tägliche Einschränkungen sind sehr belastend. Es sollte einfühlsam auf die Situation eingegangen werden, ggf. sollte ein Psychologe hinzugezogen werden.

60.5 Orthopädische Erkrankungen Definition Orthopädie Die Orthopädie (griech. orthos = aufrecht, richtig) beschäftigt sich mit Form- und Funktionsfehlern des Bewegungssystems.

60.5.1 Arthrose Definition Arthrose Die Arthrose ist eine schmerzhafte degenerative Erkrankung in den Gelenken. Der Gelenkknorpel wird allmählich zerstört, woraus sich im Verlauf Gelenkentzündungen entwickeln, die zu Verformungen bis hin zur völligen Einsteifung des Gelenks führen können.

Formen und Ursachen ●







primäre (idiopathische) Arthrose: entsteht aufgrund minderwertigen Knorpelgewebes, die Ursache ist hierfür unbekannt. sekundäre Arthrose: entsteht aufgrund einer vorangegangenen Erkrankung und/oder durch Über- oder Fehlbelastung des Gelenks. Ursachen bzw. Risikofaktoren sind: – Übergewicht, Leistungssport oder schwere körperliche Arbeit – Fehlstellungen, z. B. X- oder O-Beine – Frakturen mit Gelenkbeteiligung – Stoffwechselerkrankungen, z. B. Gicht – endokrine Erkrankungen, z. B. Schilddrüsenunterfunktion Es werden Monoarthrosen (nur ein betroffenes Gelenk), Oligoarthrosen (2–4 betroffene Gelenke) und Polyarthrosen (mehr als 5 betroffene Gelenke) unterschieden. Häufig betroffene Gelenke: – Koxarthrose = degenerativer Gelenkknorpelverschleiß im Hüftgelenk – Gonarthrose = degenerativer Gelenkknorpelverschleiß im Kniegelenk

Symptome ●

● ● ● ●

zu Beginn Morgensteifigkeit und Anlaufschmerzen, später Belastungs- und Ruheschmerzen Muskelverspannungen Gelenkschwellungen Bewegungseinschränkungen Deformationen

Konservative Therapie ● ●

● ●

444

NSAR zur Schmerzlinderung und Entzündungshemmung Physiotherapie, Massagen, physikalische Maßnahmen (Wärme/Kälte) orthopädische Schuheinlagen ggf. Reduzierung der Ursachen/Risikofaktoren (z. B. Übergewicht, Fehlstellung)

Operative Therapie Nehmen die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen zu, muss eine OP in Betracht gezogen werden. Es bestehen folgende Möglichkeiten: ● operative Sanierung des Gelenks: Entfernung der entzündeten Gelenkinnenhaut oder von Wulstgebilden am Knochen (Knorpel-Shaving) ● Gelenkversteifung (Arthrodese): i. d. R. an der Wirbelsäule, den Hand-/Finger-/Zehengelenken ● Gelenkersatz: Endoprothese

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen (siehe Kap. 60.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Arthrose: Pflege bei Koxarthrose nach Hüft-TEP ● allgemeine Maßnahmen der postoperativen Pflege (siehe Kapitel 41.2) ● Positionierung: – betroffenes Bein in Abduktion lagern – Oberkörper um max. 60° hochlagern – Der Patient darf zunächst nur in Rückenlage und auf der nicht betroffenen Seite liegen. – Wurden die Drainagen entfernt, kann er auch vorsichtig auf der betroffenen Seite liegen. – Um eine Hüftluxation vorzubeugen, dürfen die Patienten keine Innen- und Außenrotation durchführen, die Hüfte um nicht mehr als 90° beugen sowie die Beine nicht übereinanderschlagen. Idealerweise wurde der Patient schon vor der OP darüber aufgeklärt (ggf. kann eine Antirotationshose getragen werden). ● Mobilisation: – Patienten immer über die betroffene Seite mobilisieren, auf Kreislaufschwäche achten – Mobilisation in Ruhe und kleinen Etappen planen: Bettkante, Stehen vor dem Bett, kurze Strecken laufen – beim Aufstehen und Gehen mit Unterarmgehstützen auf Teil- oder Vollbelastung achten Pflege bei Gonarthrose nach Knie-TEP • Die Pflege ist grundsätzlich wie bei Hüft-TEP, außer: ● Positionierung: Das betroffene Kniegelenk wird immer hoch- und frei gelagert, ggf. dabei leicht anwinkeln. Gleichzeitig auf frühzeitige Mobilisation achten, da sich schnell Kontrakturen bilden. ● Mobilisation: Das Knie wird aktiv durch den Patienten und passiv mithilfe einer Kniebewegungsschiene bewegt. Bis zur Entlassung sollte das Knie um bis zu 60° gebeugt werden können.

60.5.2 Osteoporose Definition Osteoporose Krankhafter Knochenschwund, bei dem mehr Knochensubstanz abgebaut als neu gebildet wird. Dadurch sinkt die Knochendichte und das Frakturrisiko steigt. Von der Osteoporose abzugrenzen ist Morbus Paget (Osteodystrophia deformans). Die Knochenerkrankung führt zu einem pathologischen Knochenumbau.

Orthopädische Erkrankungen

Formen und Ursachen Die primäre Osteoporose macht ca. 95 % der Fälle aus, die Ursachen sind unbekannt. Als Risikofaktoren gelten: ● weibliches Geschlecht ● höheres Lebensalter ● helle Hautfarbe ● schlanke Figur ● geringe Sonnenexposition (Vitamin-D-Mangel) ● wenig Bewegung ● Rauchen ● kalziumarme Ernährung Die sekundäre Osteoporose ist Folge von Vorerkrankungen bzw. Therapien: ● Schilddrüsenüberfunktion ● Diabetes mellitus ● chronischer Nierenerkrankung mit Kalziumverlust ● chronischen Pankreas- bzw. Darmerkrankungen ● langer Kortisontherapie ● langer Immobilität

Symptome Osteoporose selbst verursacht keine Symptome, erst durch die im fortgeschrittenen Stadium auftretenden Knochenbrüche und Wirbelverformungen kommt es zu sichtbaren Veränderungen: ● Rundrücken (Kyphose) und Kugelbauch ● Größenverlust (Körperrumpf schrumpft) ● Tannenbaumphänomen (Hautfalten, die vom Rücken zu den Flanken ziehen) ● Rückenschmerzen durch Fehlhaltung und Muskelverspannungen

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten zu sturzpräventiven Maßnahmen (siehe Kap. 21.6) ● zu Hilfsmitteln (z. B. Gehhilfen, Hüftprotektoren) ● Ernährung: – Kalzium- und Vitamin-D-reich, z. B. Milchprodukte, grünes Gemüse, natriumarmes Wasser – „Kalziumräuber“ wie Koffein, Salz, Wurst, Fleisch, Schokolade, Cola und Alkohol sollten gemieden werden. ● über Bewegungsmöglichkeiten (Physiotherapie oder spezielle Osteoporose-Sportgruppen) ● ggf. Sozialdienst hinzuziehen, um Reha oder Pflegegrad zu beantragen ●

ACHTUNG Da osteoporotische Knochen leichter brechen, ist die Sturzprophylaxe besonders wichtig!

60.5.3 Akute Osteomyelitis Definition Osteomyelitis Infektiöse Entzündung des Knochenmarks. Häufig unter Beteiligung des Knochens (Osteitis). Die Infektion kann endogen über den Blutweg (z. B. durch eine Mandelentzündung) oder exogen durch eine offene Fraktur oder OP erfolgen. ●





Diagnose Die Diagnosestellung erfolgt häufig im Rahmen einer Fraktur durch Anamnese, Blutuntersuchungen, Knochendichtemessung und Röntgen.

Therapie ●







Frakturen oder Wirbeldeformationen werden konservativ oder operativ versorgt. Schmerztherapie, physikalische Therapie, Massagen, Physiotherapie und Mobilisation medikamentöse Therapie, um den Knochenabbau zu hemmen und den Knochenaufbau zu fördern, mit Kalzium, Vitamin D und Bisphosphonat; bei Frauen ggf. mit Hormontherapie Behandlung der Ursache bei einer sekundären Osteoporose

60.5.4 Eitrige Arthritis Definition Eitrige Arthritis Akute bakterielle Gelenkentzündung mit Eiteransammlung im Gelenk. Ohne schnelle Behandlung (Notfall-OP!) wird das Gelenk durch die Entzündung zerstört. ●

● ●

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei traumatologischen und orthopädischen Erkrankungen (siehe Kap. 60.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Osteoporose:

Symptome: schweres Krankheitsgefühl, Fieber, Schüttelfrost, starke Schmerzen und Entzündungszeichen Therapie: i. v.-Antibiose und Ruhigstellung, bei exogener Osteomyelitis operative Wundreinigung/-spülung und lokale Antibiotika. Ggf. kann auch eine Saug-Spül-Drainage angelegt werden oder eine Vakuumtherapie erfolgen. In schweren Fällen kann eine Amputation notwendig werden. Spezielle Pflege (siehe auch Kap. 60.3): – Verbandwechsel durchführen, ggf. Drainage kontrollieren und Flaschen wechseln – strenge Bettruhe sicherstellen



Ursache: meist exogen durch offene Gelenkverletzungen, Injektionen, Punktionen oder OPs. Besonders Abwehrgeschwächte und Menschen mit Diabetes mellitus sind betroffen. Symptome: klassische Entzündungszeichen und ggf. Fieber Therapie: frühzeitig beginnen, um das Gelenk zu erhalten. Sie besteht aus Antibiose und operativer Sanierung des Gelenks und anschließender Physiotherapie. Ggf. wird eine Versteifung oder eine Gelenkendoprothese notwendig. Pflege: siehe auch Kap. 60.3, ggf. perioperative Pflege (siehe Kap. 41)

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Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems

60.5.5 Knochentumoren

Abb. 60.2 Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen.

Knochenmetastasen

hinteres Längsband

Entstehen durch Streuung eines bösartigen Tumors aus anderen Organen. Vor allem Brust-, Prostata-, Lungen-, Nierenoder Schilddrüsenkrebs metastasiert in die Knochen. Betroffen sind meist Wirbelsäule, Becken und Oberschenkel. ● Symptome: Die Belastbarkeit des Knochens wird herabgesetzt und es kommt zu pathologischen Frakturen mit Schmerzen und evtl. neurologischen Ausfällen. ● Therapie: Behandlung des Primärtumors, ggf. Bestrahlung der Metastase, Gabe von Schmerzmitteln und Bisphosphonaten, um den Knochenabbau zu hemmen. ● Pflege: siehe Kap. 60.3 und Kap. 44

Bandscheibe normal vorderes Längsband

60.5.6 Erkrankungen der Wirbelsäule Morbus Scheuermann Morbus Scheuermann ist eine Wachstumsstörung der Wirbelkörper, das im Kindes- oder Jugendalter als Rundrücken (Kyphose) sichtbar wird. In der Folge kann es zu Deformationen der Wirbelkörper kommen. Bei leichten Fällen ist eine spezielle Physiotherapie ausreichend, bei ausgeprägten Kyphosen muss ein Korsett getragen werden. Dies ist für die Jugendlichen oft eine hohe psychische Belastung. Ggf. kann die Anbindung an Selbsthilfegruppen hilfreich sein. Die Jugendlichen erhalten zudem Rückenschulungen. Nach Abschluss der Wachstumsphase schreitet Morbus Scheuermann nicht weiter voran, bis dahin entstandenen Veränderungen bleiben jedoch bestehen. Siehe auch Kap. 60.3.

Skoliose Skoliose entsteht meist während der Wachstumsphase. Dabei kommt es zur Seitenverbiegung der Wirbelsäule mit einzelnen verdrehten Wirbelkörpern. Beschwerden treten erst nach langen Fehlbelastungen aufgrund von Knochen- und Gelenkschäden auf. Konservative Therapie erfolgt wie bei Morbus Scheuermann. Bei hochgradigen Skoliosen muss die Wirbelsäule operativ begradigt werden, ggf. müssen einzelne Wirbelsäulensegmente versteift werden. Meist muss ein Korsett getragen werden. Siehe auch Kap. 60.3.

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Intervertebralgelenk

Chondrose Spondylarthrose

Primäre Knochentumoren Sie entstehen direkt aus dem Knochengewebe und sind häufiger gut- als bösartig. Insgesamt machen sie nur 1 % der Knochentumoren aus. ● Symptome: lange asymptotische, unspezifische Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Schwellungen, später entstehen pathologische Frakturen ● Therapie: bei gutartigen Tumoren symptomorientiert, bei bösartigen Tumoren abhängig vom Stadium des Tumors. Meist erfolgt eine Kombination von OP, Chemotherapie und Bestrahlung. ● Pflege: siehe Kap. 60.3 und Kap. 44

Nervenwurzel im Foramen intervertebrale

Osteochondrose

Spinalkanalstenose

Spondylose

Bei der Chondrose liegt ein Höhenverlust der Bandscheiben vor, bei der Osteochondrose tritt zusätzlich eine knöcherne Reaktion mit den benachbarten Wirbeln auf. Bei der Spondylose bilden sich Randzacken an den Wirbelkörpern, bei der Spondylarthrose bestehen arthrotische Veränderungen an den Wirbelgelenken. Weiterhin kann es zu Spinalkanalstenosen kommen. Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Definition Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen Darunter werden alle altersbedingten Verschleißerkrankungen an den Bandscheiben, den Wirbelkörpern und -gelenken sowie den Bändern und Muskeln zusammengefasst (▶ Abb. 60.2).

Pathophysiologie Durch die flacher werdenden Bandscheiben wird der betroffene Wirbelsäulenbereich überbeweglich und instabil, was zum Wirbellösen (Spondylolyse) bzw. Wirbelgleiten (Spondylolisthesis) sowie zum Bandscheibenvorfall (siehe Kap. 61) führen kann. Am häufigsten ist die Lendenwirbelsäule betroffen.

Symptome ● ● ●

Rückenschmerzen Muskelverspannungen Schonhaltung

Bei Belastung verschlimmern sich die Symptome.

Rheumatische Erkrankungen

Therapie und Pflege ●

● ● ●



medikamentöse Therapie: Lokalanästhetikum, Glukokortikoide, NSAR Operationen sind nur selten hilfreich. gezielte Physiotherapie und Rückenschulung bei Schmerzen im Lendenwirbelbereich Positionierung in Stufenbettlage siehe auch Kap. 60.3

60.5.7 Erkrankungen des Knies und des Fußes



Pflege: – siehe Kap. 60.3 – präoperativ: die Füße gründlich reinigen – postoperativ: Fuß in Hallux-Schiene hochlagern und kühlen – nach Lokalanästhesie: vor Kälteanwendungen Sensibilität im Fuß überprüfen – zur Mobilisation Vorfußentlastungsschuh anziehen – bei Spickdrähten verstärkt auf Infektionen achten (PinTrack-Infektion) – zur Mobilisation ggf. Spickdrähte abpolstern, um ein Anstoßen mit den Drähten im Vorfußentlastungsschuh zu vermeiden

Genu varum und valgum Definition Genu varum und valgum Angeborene oder erworbene Fehlstellung im Knie (auch O- bzw. X-Beine genannt). ●





Symptome: zunächst keine Symptome, durch falsche Belastung entsteht frühzeitig eine Arthrose Therapie: bei kleineren Fehlstellungen Physiotherapie, orthopädisches Schuhwerk, bei ausgeprägten Fehlstellungen Umstellosteotomie der Tibia Pflege: siehe Kap. 60.3

Meniskusschäden Definition Meniskusschäden Entstehen entweder durch Degeneration im Alter oder durch Traumen. ●





Symptome: – nach Trauma: plötzliche Schmerzen, Bewegungseinschränkungen im Knie (meist Streckhemmung), Schwellung durch Erguss – degenerativ: Belastungsschmerz, Gelenkblockaden Therapie: i. d. R. operativ durch Arthroskopie (Meniskus wird genäht oder ganz/teilweise entfernt), ggf. werden Kollagen-Meniskusimplantate eingesetzt, um das Arthroserisiko zu senken. Pflege: siehe Kap. 60.3, ggf. Sitz der Knieschiene überprüfen

Hallux valgus Definition Hallux valgus Zehenfehlstellung, bei der die Großzehe im Grundgelenk zu den Nachbarzehen hin abknickt und gleichzeitig nach innen gedreht ist. Meist sind Frauen über 50 Jahre betroffen. ●





Risikofaktoren: familiäre Disposition, Spreizfüße, enges Schuhwerk Symptome: Belastungsschmerzen, Rötungen, Schwielen und Hautdefekte am Grundgelenk, eingeschränkte Beweglichkeit Therapie: Operation: – gelenkerhaltend, wenn das Grundgelenk noch frei beweglich ist und keine Arthrose vorliegt, oder – Gelenk wird versteift (Arthrodese)

60.6 Rheumatische Erkrankungen Definition Rheumatische Erkrankungen Unter den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises werden zahlreiche (mehr als 100) unterschiedliche entzündliche und degenerative Erkrankungen im Bereich der Gelenke, Sehnen, Knochen, Muskeln und des Bindegewebes zusammengefasst. Es werden 4 Hauptgruppen unterschieden: 1. entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bewegungssystems 2. degenerative Gelenk- (Kap. 60.5.1) und Wirbelsäulenerkrankungen (Kap. 60.5.6) 3. Weichteilrheumatismus, z. B. Fibromyalgie (Fasermuskelschmerzen, mit ungeklärter Ursache und ungeklärtem Pathomechanismus) 4. Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden (z. B. Gicht, Kap. 58.2.2)

60.6.1 Grundlagen In diesem Kapitel geht es um die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen des Bewegungssystems. Viele dieser Erkrankungen sind autoimmun, d. h., das Immunsystem richtet sich gegen eigenes Körpergewebe. Sie verlaufen meist chronisch und schubweise, sind also nicht heilbar. Zu den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen des Bewegungssystems zählen z. B.: ● rheumatoide Arthritis (Kap. 60.6.2) ● Morbus Bechterew (Kap. 60.6.3) ● Kollagenosen (Kap. 60.6.4) ● reaktive Arthritis (= Gelenkentzündung nach einer bakteriellen Infektion, meist Darm- oder Harninfekt) ● Psoriasis-Arthritis (= Schuppenflechte mit Gelenkbeteiligung)

Ursachen Auslöser der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sind nicht bekannt. Vermutet werden genetische Veranlagung und Infektionen durch Bakterien oder Viren.

Rheumatische Erkrankungen

Therapie und Pflege ●

● ● ●



medikamentöse Therapie: Lokalanästhetikum, Glukokortikoide, NSAR Operationen sind nur selten hilfreich. gezielte Physiotherapie und Rückenschulung bei Schmerzen im Lendenwirbelbereich Positionierung in Stufenbettlage siehe auch Kap. 60.3

60.5.7 Erkrankungen des Knies und des Fußes



Pflege: – siehe Kap. 60.3 – präoperativ: die Füße gründlich reinigen – postoperativ: Fuß in Hallux-Schiene hochlagern und kühlen – nach Lokalanästhesie: vor Kälteanwendungen Sensibilität im Fuß überprüfen – zur Mobilisation Vorfußentlastungsschuh anziehen – bei Spickdrähten verstärkt auf Infektionen achten (PinTrack-Infektion) – zur Mobilisation ggf. Spickdrähte abpolstern, um ein Anstoßen mit den Drähten im Vorfußentlastungsschuh zu vermeiden

Genu varum und valgum Definition Genu varum und valgum Angeborene oder erworbene Fehlstellung im Knie (auch O- bzw. X-Beine genannt). ●





Symptome: zunächst keine Symptome, durch falsche Belastung entsteht frühzeitig eine Arthrose Therapie: bei kleineren Fehlstellungen Physiotherapie, orthopädisches Schuhwerk, bei ausgeprägten Fehlstellungen Umstellosteotomie der Tibia Pflege: siehe Kap. 60.3

Meniskusschäden Definition Meniskusschäden Entstehen entweder durch Degeneration im Alter oder durch Traumen. ●





Symptome: – nach Trauma: plötzliche Schmerzen, Bewegungseinschränkungen im Knie (meist Streckhemmung), Schwellung durch Erguss – degenerativ: Belastungsschmerz, Gelenkblockaden Therapie: i. d. R. operativ durch Arthroskopie (Meniskus wird genäht oder ganz/teilweise entfernt), ggf. werden Kollagen-Meniskusimplantate eingesetzt, um das Arthroserisiko zu senken. Pflege: siehe Kap. 60.3, ggf. Sitz der Knieschiene überprüfen

Hallux valgus Definition Hallux valgus Zehenfehlstellung, bei der die Großzehe im Grundgelenk zu den Nachbarzehen hin abknickt und gleichzeitig nach innen gedreht ist. Meist sind Frauen über 50 Jahre betroffen. ●





Risikofaktoren: familiäre Disposition, Spreizfüße, enges Schuhwerk Symptome: Belastungsschmerzen, Rötungen, Schwielen und Hautdefekte am Grundgelenk, eingeschränkte Beweglichkeit Therapie: Operation: – gelenkerhaltend, wenn das Grundgelenk noch frei beweglich ist und keine Arthrose vorliegt, oder – Gelenk wird versteift (Arthrodese)

60.6 Rheumatische Erkrankungen Definition Rheumatische Erkrankungen Unter den Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises werden zahlreiche (mehr als 100) unterschiedliche entzündliche und degenerative Erkrankungen im Bereich der Gelenke, Sehnen, Knochen, Muskeln und des Bindegewebes zusammengefasst. Es werden 4 Hauptgruppen unterschieden: 1. entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bewegungssystems 2. degenerative Gelenk- (Kap. 60.5.1) und Wirbelsäulenerkrankungen (Kap. 60.5.6) 3. Weichteilrheumatismus, z. B. Fibromyalgie (Fasermuskelschmerzen, mit ungeklärter Ursache und ungeklärtem Pathomechanismus) 4. Stoffwechselerkrankungen mit rheumatischen Beschwerden (z. B. Gicht, Kap. 58.2.2)

60.6.1 Grundlagen In diesem Kapitel geht es um die entzündlich-rheumatischen Erkrankungen des Bewegungssystems. Viele dieser Erkrankungen sind autoimmun, d. h., das Immunsystem richtet sich gegen eigenes Körpergewebe. Sie verlaufen meist chronisch und schubweise, sind also nicht heilbar. Zu den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen des Bewegungssystems zählen z. B.: ● rheumatoide Arthritis (Kap. 60.6.2) ● Morbus Bechterew (Kap. 60.6.3) ● Kollagenosen (Kap. 60.6.4) ● reaktive Arthritis (= Gelenkentzündung nach einer bakteriellen Infektion, meist Darm- oder Harninfekt) ● Psoriasis-Arthritis (= Schuppenflechte mit Gelenkbeteiligung)

Ursachen Auslöser der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sind nicht bekannt. Vermutet werden genetische Veranlagung und Infektionen durch Bakterien oder Viren.

l 60

Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems

Symptome und Verlauf ● ●



chronische Schmerzen und Bewegungseinschränkungen Im Verlauf treten Deformierungen des betroffenen Gewebes auf. Alltägliche Dinge fallen immer schwerer, was das Berufsund Privatleben zunehmend einschränkt.

Diagnostik ● ● ●

Anamnese und klinische Untersuchungen bildgebende Verfahren (z. B. Röntgen, CT) Blutwerte (z. B. Entzündungsparameter, Autoantikörper, HLA-Antigene)

Therapie Medikamentöse Basistherapeutika langwirksame Rheumamedikamente ● Wirkstoffgruppe, z. B. Zytostatika (Methotrexat), Kalzineurinhemmer (Ciclosprin A), Biologika (Etanercept) ● zur Dämpfung des Immunsystems (Immunsuppressiva) ● Regelmäßige und langfristige Einnahme ist essenziell, um die Autoimmunreaktion des Immunsystems zu verhindern. ● Wirkungseintritt erfolgt erst nach Wochen bzw. Monaten. ● Nebenwirkung: Übelkeit, Erbrechen, Infektanfälligkeit, Leber- und Nierenschäden, Haarausfall, Kopfschmerzen, allergische Reaktion Medikamente in akuten Phasen oder bis die Basistherapie anschlägt ● Glukokortikoide: – um Entzündungszeichen zu reduzieren – Nebenwirkung: z. B. Wundheilungsstörungen, erhöhtes Infektionsrisiko, Hautveränderungen (Pergamenthaut), erhöhte Blutzuckerwerte ● NSAR: – haben eine entzündungshemmende, fiebersenkende und schmerzstillende Wirkung; für Akutphasen – Nebenwirkung: Magen-Darm-Geschwüre ● ggf. Protonenpumpenhemmer (z. B. Pantoprazol) zum Schutz der Magenschleimhaut

Weitere therapeutische Maßnahmen in der Rheumatologie ● ● ●

● ●

Physiotherapie Ergotherapien physikalische Therapien: im akuten Entzündungsschub Kälteanwendungen, im Intervall Wärmeanwendungen intraartikuläre Injektionen Operationen, z. B. Synovektomien (Entfernung der Gelenkinnenhaut), Osteotomien (Durchtrennung von Knochen bzw. Entfernung von Knochenfragmenten) oder Arthrodesen (Gelenkversteifungen)

Die Therapie, die durch regelmäßige Laborkontrollen und Untersuchungen gekennzeichnet ist, kann durch den Arzt und den Patienten mithilfe von Therapieüberwachungsbögen überwacht werden.

448

Pflegebasismaßnahmen bei rheumatischen Erkrankungen Medikamenten- und Therapiemanagement ● Patienten über Medikamente, Dosierung, Einnahmezeiten, Wirkung und Nebenwirkungen informieren und so die korrekte Einnahme fördern ● Patienten auf (Neben-)Wirkungen der Medikamente beobachten und zur Selbstkontrolle anleiten, z. B.: – Teerstuhl kann Hinweis auf eine Blutung in der MagenDarm-Passage sein, z. B. durch Zytostatika. – hoher Blutzucker, z. B. durch Glukokortikoide – Bluthochdruck, z. B. durch NSAR ● Patienten anleiten, ihren „Rheumapass“ selbstständig zu führen. Er sollte Informationen zur aktuellen Therapie, zu Kontrollterminen oder unwirksamen bzw. unverträglichen Medikamenten beinhalten. ● bei Bedarf Patienten zur selbstständigen subkutanen Injektion anleiten ● Kälte- oder Wärmeanwendungen: Während eines akuten Schubs hilft trockene Kälte, bei Sekundärarthrosen Wärme. Schmerzmanagement • Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37. Notfallmanagement • Einige Basistherapeutika können allergische Reaktionen auslösen (z. B. Zytostatika, Biologika). ● Symptome: z. B. Atemnot, Schüttelfrost, Schwindelgefühl oder Unwohlsein ● Maßnahme: sofort die laufende Infusion stoppen und einen Arzt verständigen; Patienten möglichst nicht alleine lassen (siehe Kap. 14.1.6) Mobilisation und Körperpflege Sturzprophylaxe durchführen und über Sturzgefahr aufklären (siehe Kap. 21.6) ● genügend Zeit für die Körperpflege einplanen und aktivierend pflegen, ggf. Hilfsmittel einsetzen ● praktische Kleidung und Schuhe wählen, die gut alleine an- und ausgezogen werden können (z. B. durch Klettverschluss oder Gummizug) ●

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Rehabilitationsmaßnahmen früh einleiten und zu Aspekten der Alltagsbewältigung beraten (interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Physio- und Ergotherapie, Medizinern usw.) ● Patienten über Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeverbände informieren ●

60.6.2 Rheumatoide Arthritis Definition Rheumatoide Arthritis Chronisch-entzündliche Erkrankung der Gelenke, die sich i. d. R. durch den Befall an mehreren Gelenken (Polyarthritis) mit symmetrischer Verteilung auszeichnet.

Symptome Die Symptome sind in der ▶ Tab. 60.5 aufgelistet.

Rheumatische Erkrankungen Tab. 60.5 Symptome der rheumatoiden Arthritis. Frühsymptome ● ●

● ● ●

Nach Wochen bis Monaten

Morgensteifigkeit symmetrische Schwellungen (v. a. an den Fingergelenken) rasche Ermüdbarkeit, Erschöpfung Fieberschübe Gewichtsverlust

● ● ●

Im weiteren Verlauf

Ruheschmerzen Bewegungseinschränkungen Druckempfindlichkeit

● ● ● ●

Deformationen und Kontrakturen Sehnenscheiden- und Schleimbeutelentzündungen Entstehen subkutaner Rheumaknoten Befall der inneren Organe (v. a. Lunge, Herz, Augen)

Tab. 60.6 Symptome bei Morbus Bechterew. Frühsymptome ● ● ●

tief sitzende Rückenschmerzen Gesäßschmerzen Fersenschmerzen

Im Krankheitsverlauf ● ●

Rundrücken (Kyphose) Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule

Diagnostik ●



Endstadium

Bestimmung von Leber- und Nierenwerten, um die richtige Therapie auszuwählen bei geplanter Gelenkpunktion vorher Gerinnungsstatus erheben

● ●

siehe Kap. 60.6.1 Bei einem akut entzündeten Gelenk kann eine Schiene zur Ruhigstellung indiziert sein.

Spezielle Pflege ● ●







Pflegebasismaßnahmen: siehe Kap. 60.6.1 Medikamente: möglichst früh am Morgen (nicht nüchtern!) einnehmen lassen (ggf. Retardpräparate am Abend), um Gelenksteifigkeit und Schmerzen am Morgen zu reduzieren Positionierung: den Patienten unterstützen, sich bequem für die Nacht hinzulegen, ggf. Nachtschiene anlegen Fußpflege: sorgfältig durchführen, bei Deformierungen auf Rötungen und Druckstellen achten; für gute Polsterung sorgen und über angemessenes Schuhwerk beraten Ernährung: wenig rotes Fleisch, Übergewicht, Alkohol und Rauchen vermeiden; empfohlen wird eine mediterrane, ballaststoffreiche Mischkost

60.6.3 Morbus Bechterew Definition Morbus Bechterew Entzündungen an den Wirbelgelenken, den Iliosakralgelenken und am Bandapparat der Wirbelsäule, wodurch es zu einer fortschreitenden Verknöcherung und Verkrümmung der Wirbelsäule kommt. Krankheitsbeginn ist meist im Alter von 15 bis 35 Jahren.



keine Bewegung mehr möglich dadurch Einschränkungen bei der Atmung

Symptome Die Symptome sind in der ▶ Tab. 60.6 aufgelistet.

Therapie ●

Therapie



● ●



medikamentöse Basistherapeutika (Kap. 60.6.1) tägliche physiotherapeutische Übungen physikalische Maßnahmen (z. B. Wärme/Kälte, Ultraschall) im Endstadium operative Aufrichtungsosteotomie

Spezielle Pflege ● ●



Pflegebasismaßnahmen: siehe Kap. 60.6.1 Schmerzen: bei nächtlichen Schmerzen Umhergehen ermöglichen, da dies schmerzlindernd wirkt; bei Entzündungen an der Ferse oder der Achillessehne auf gut gepolsterte Schuhe achten Physiotherapie: zur Physiotherapie motivieren und die Notwendigkeit verdeutlichen (wegen der Schmerzen führen diese Patienten die Übungen oft nicht durch)

60.6.4 Kollagenosen Definition Kollagenosen „Kollagenosen“ ist ein Sammelbegriff für entzündlich-rheumatische Erkrankungen des Bindegewebes. Sie verursachen Schäden der Haut, des Subkutangewebes, der Muskulatur und vieler innerer Organe, aber auch der Gelenke.

Systemischer Lupus erythematodes (SLE) SLE verursacht Schäden an Haut, Gelenken, Blutgefäßen, inneren Organen und am ZNS. Meist erkranken Frauen zwischen 25 und 35 Jahren. Mögliche Auslöser, bei vorhandener genetischer Veranlagung, können Virusinfektionen, Sonnenstrahlung, Hormone und Medikamente sein.

l 60

Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems

Symptome

Therapie

Die Symptome sind stark abhängig davon, welche Organsysteme betroffen sind: ● allgemein: starkes Krankheitsgefühl und Fieber ● Gelenke: Schmerzen, Arthritis, Deformationen ● Haut: Schmetterlingserythem im Gesicht, Erytheme am Körper, Schleimhautgeschwüre, Haarausfall ● Herz: Endokarditis, Perikarditis, Myokarditis, Klappenschäden, Herzinfarkt ● Lunge: „Lupus-Pneumonitis“ ● Nieren: „Lupus-Nephritis“ ● ZNS: Kopfschmerzen, Krampfanfälle, Depressionen, Psychosen, Polyneuropathien



Wegen der vielen unterschiedlichen Symptome, die die Diagnosestellung erschweren, wird es auch als Chamäleon der Medizin bezeichnet.

Therapie Leichte Verläufe werden mit NSAR behandelt, bei schweren Verläufen werden zudem Glukokortikoide und ggf. weitere Immunsuppressiva verabreicht.



Pflege ● ●











Pflege ●



● ● ●

Direkte Sonneneinstrahlung kann einen Schub auslösen, daher sollte sie gemieden werden (Patienten darüber aufklären). Vitalparameter regelmäßig kontrollieren, um Herz-Kreislauf- oder Nierenbeteiligung rechtzeitig zu erkennen Urinausscheidung beobachten Ödembildung (inkl. Gewicht) beobachten psychosoziale Begleitung: ggf. Psychologen hinzuziehen

Systemische Sklerodermie Definition Systemische Sklerodermie Hierbei vermehrt sich das Bindegewebe in der Haut, den Blutgefäßen und den inneren Organen, wodurch es zu einer Verhärtung kommt. Der Patient wird zunehmend „eingemauert“, bis er sich nicht mehr bewegen kann und die Organe versagen. Dies kann wenige Monate, aber auch Jahre dauern.

Symptome ●



● ●

● ●

450

Raynaud-Syndrom: Durch Arterienverengung kommt es zu Durchblutungsstörungen, meist an Fingern und Zehen. Ödeme und Rötungen an den betroffenen Fingern, Haut ist straff gespannt, später Atrophie der Haut Maskengesicht Mundöffnung verkleinert sich, Zungenbändchen verkürzt sich, trockene Mundschleimhaut inkompletter Lidschluss, Austrocknung der Augen Kälte- und Zugempfindlichkeit

medikamentöse Therapie: – entzündungshemmende (Glukokortikoide) und immunsuppressive (z. B. Zytostatika) Therapie – Bindegewebsvermehrung verlangsamende Therapie (z. B. Penicillinamin) – durchblutungsfördernde Therapie (z. B. ASS, Prostavasin) Physio-, Ergo- und physikalische Therapie



siehe Kap. 60.6.1 Hautpflege nur mit W/Ö-Emulsionen, regelmäßig eincremen, Scherkräfte vermeiden regelmäßige Mundpflege durchführen, Speichelfluss fördern warme und locker sitzende Kleidung (inkl. Handschuhen), Druckstellen vermeiden Patienten zu physiotherapeutischen Handübungen motivieren Essenswünsche erfragen, ggf. passierte oder flüssige Kost bestellen, Ernährungsberater oder Diätassistenten hinzuziehen Augencremes auftragen psychologische Betreuung hinzuziehen

KOMPAK T Pflege bei Erkrankungen des Bewegungssystems zentrale Erkrankungen des Bewegungssystems: – traumatologisch: Distorsionen, Luxationen, Frakturen und Amputationen – orthopädisch: Arthrose und Osteoporose – rheumatisch: rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew Bei allen Erkrankungen des Bewegungssystems ist die Bewegung des Patienten mehr oder weniger (schmerzbedingt) eingeschränkt. Daraus ergibt sich folgender pflegerischer Schwerpunkt: ● Schmerzen reduzieren: z. B. mit Analgetika, Kälte/Wärme ● Bewegung fördern: Unterstützung bei der Positionierung und Mobilisierung (evtl. mit Hilfsmitteln), Sturzprophylaxe ● bei verordneter Bettruhe oder Immobilität: notwendige Prophylaxen (v. a. Dekubitus, Pneumonie, Thrombose) durchführen ● postoperative Pflege: Vitalparameter- und DMS-Kontrolle, Verbandwechsel inkl. Beobachtung von Entzündungszeichen ● Unterstützung bei: der Nahrungsaufnahme, Körperpflege und Ausscheidung ● Medikamentenmanagement: v. a. bei rheumatischen Erkrankungen ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: Ziel: Selbstständigkeit fördern ●

61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems

Benzodiazepin

!

Halluzinationen, Dyskinesien

Status epilepticus

vor Verletzungen schützen

generalisiert Pflege, z.B.

Therapie, z.B.

Muskelsteifigkeit Bewegungsarmut

SymptomTrias

partiell

Alltagsberatung

Zittern Morbus Morbus Parkinson Parkinson

Epilepsie

!

Dopaminagonisten

L-Dopa

Pflege, z.B. Bewegung fördern

Schlaganfall S. 455 Multiple Sklerose

Schädel-Hirn-Trauma

Prophylaxen

Erkrankungen, z.B.

Meningitis

Hilfsmittel

Hirntumoren

Ausscheidung Pflege, z.B.

Anatomie und Physiologie medikamentöse Therapie, z.B.

Aufbau

Symptome, z.B.

somatisches Nervensystem Glukokortikoide autonomes Nervensystem

Sympathikus

ZNS

PNS

Gehirn Rückenmark

Parasympathikus

akuter Schub

Bewegungs-/ Sprechstörungen

Immunsuppressiva spastische Lähmungen

Frühsymptome

Harnverhalt/ -inkontinenz

Hirnnerven Spinalnerven periphere Nerven

Sehstörungen

Sensibilitätsstörungen

Anatomie und Physiologie

61.1 Anatomie und Physiologie 61.1.1 Einteilung



Topografisch ● ●

61.1.2 Aufbau des zentralen Nervensystems (ZNS)

zentrales Nervensystem (ZNS): Gehirn und Rückenmark peripheres Nervensystem (PNS): alle Nervenstrukturen in der Peripherie (außerhalb des ZNS)





Funktionell ●



somatisches Nervensystem: – steuert willkürliche und reflexartige (unwillkürliche) Körperbewegungen – leitet und verarbeitet über Sinnesorgane aufgenommene Informationen und ermöglicht die bewusste Wahrnehmung unserer Umwelt autonomes (vegetatives) Nervensystem: unbewusste Steuerung der Organfunktionen durch zwei „Gegenspieler“: – Sympathikus: versetzt Körper in Alarmbereitschaft (Herzfrequenz ↑, Muskeldurchblutung ↑, Bronchien weit gestellt), Neurotransmitter: Noradrenalin – Parasympathikus: versetzt Körper in entspannten Zustand (Herzfrequenz ↓, Verdauung ↑), Neurotransmitter: Acetylcholin



Gehirn (Encephalon): Großhirn, Zwischenhirn, Hirnstamm und Kleinhirn (▶ Abb. 61.1) Rückenmark (Medulla spinalis): liegt im Wirbelkanal. Schließt an den Hirnstamm an und wird in 32 Segmente unterteilt. Meningen (Hirnhäute): Gehirn und Rückenmark werden von 3 Meningen umgeben: – Dura mater (äußerste Hülle): besteht aus 2 Schichten, die im Bereich des Gehirns fast überall fest miteinander verbunden sind. Im Bereich des Rückenmarks liegt zwischen den beiden Schichten der Epiduralraum. – Arachnoidea (Spinnengewebshaut, mittlere Hülle): liegt direkt der Dura mater an. – Pia mater (innere Hülle): Sie ist von der Arachnoidea durch den Subarachnoidalraum getrennt, der viele Gefäße enthält. Die Pia mater liegt der Oberfläche von Gehirn und Rückenmark direkt auf. Liquor cerebrospinalis: Flüssigkeit, die Gehirn und Rückenmark umgibt. Sie schützt vor Erschütterungen und übernimmt die Aufgabe der Lymphe. Liquor befindet sich – im Subarachnoidalraum, – in den Hirnventrikeln, – im Zentralkanal des Rückenmarks.

Abb. 61.1 Das Gehirn und seine Abschnitte.

Großhirn (Cerebrum)

Balken (Corpus callosum)

Zwischenhirn (Diencephalon) mit Hypophyse

Mittelhirn (Mesencephalon) Hirnstamm (Truncus encephali)

Brücke (Pons) verlängertes Mark (Medulla oblongata)

Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

Kleinhirn (Cerebellum)

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems

Graue und weiße Substanz

! Merke Graue und weiße Substanz ●



Die graue Substanz des Gehirns besteht v. a. aus Nervenzellkörpern. Die weiße Substanz des Gehirns besteht überwiegend aus Nervenfasern.

Gehirn Im Gehirn liegt die graue Substanz hauptsächlich an der Oberfläche und bildet die Hirnrinde (Kortex). Nervenzellen mit ähnlicher Funktion sind in Rindenfeldern angeordnet. So gibt es z. B. Rindenfelder, die für die Steuerung von Bewegungen in bestimmten Extremitäten zuständig sind. Andere sind für die Verarbeitung sensibler Signale aus einem bestimmten Körperareal zuständig. Kleinere Ansammlungen grauer Substanz, die eingebettet in die weiße Substanz im Inneren des Gehirns liegen, nennt man Hirnkerne (Nuclei). Beispiel dafür sind die Basalkerne (Basalganglien), die im Großhirn mit Zwischenhirn, Hirnstamm und den Kleinhirnkernen Bewegungsabläufe koordinieren. Im verlängerten Mark befinden sich Hirnkerne, in denen das Kreislaufzentrum und das Atemzentrum angesiedelt sind. An den Hirnnervenkernen des Hirnstamms entspringen die Hirnnerven. Unterhalb der Hirnrinde liegt die weiße Substanz, die die Informationen zwischen Rückenmark, Hirnrinde und Hirnkernen leitet.

Gefäßversorgung des Rückenmarks • Das Rückenmark wird von den längs verlaufenden Aa. spinales versorgt (zwei hinten, eine vorne). Zudem wird segmental Blut aus den Zwischenrippenarterien zugeführt. Das venöse Blut fließt über das Venengeflecht im Epiduralraum ab.

61.1.3 Aufbau des peripheren Nervensystems (PNS) ●



Das PNS besteht aus Hirnnerven und Spinalnerven. Aus den Fasern der kurzen Spinalnerven bilden sich durch Teilung oder Umlagerung die peripheren Nerven, die bis in die Peripherie ziehen. Die Nerven des PNS bestehen hauptsächlich aus 3 Fasertypen: – sensible (afferente) Fasern: leiten Informationen aus der Peripherie zum ZNS – motorisch (efferente) Fasern: leiten Bewegungsimpulse in die Muskeln – autonome Fasern: steuern Organfunktionen

61.2 Erkrankungen des ZNS

Rückenmark

61.2.1 Schlaganfall

Im Rückenmark liegt die graue Substanz im Querschnitt schmetterlingsförmig innerhalb der weißen Substanz. Sie wird unterteilt in Hinterhörner (sensible Nervenzellen), Vorderhörner (motorische Nervenzellen) und Seitenhörner (autonome Nervenzellen). In der weißen Substanz des Rückenmarks ziehen aufsteigende (sensible) Bahnen von den Hinterhörnern zum Gehirn, absteigende (motorische) Bahnen leiten Informationen vom Gehirn zu den Vorderhörnern.

Definition Schlaganfall

Hirn- und Rückenmarksgefäße Hirnarterien ● A. cerebri media (Bezeichnung für die A. carotis interna in der Schädelhöhle): Sie versorgt die mittleren Gehirnabschnitte mit Blut. ● A. cerebri anterior: Sie entspringt der A. cerebri media und versorgt die vorderen Bereiche des Gehirns. ● A. cerebri posterior: Ihre beiden Äste (links und rechts) entspringen der Teilung der A. basilaris, die sich aus dem Zusammenfluss der beiden Wirbelarterien bildet (linke und rechte A. vertebralis). ● Die 6 Gehirnarterien sind durch Verbindungsäste miteinander verbunden und bilden an der Hirnbasis einen Gefäßring (Circulus arteriosus). ● Daneben gibt es noch zahlreiche weitere, kleine Arterien, die das Gehirn mit Blut versorgen (u. a. Abflüsse aus der A. basilaris).

454

Hirnvenen • Das venöse Blut fließt über oberflächliche, subarachnoidal verlaufende oder tiefe Hirnvenen in venöse Blutleiter (Hirnsinus). Von dort wird es zur V. jugularis interna geleitet.

Bei einem Schlaganfall (Apoplex) treten plötzlich („schlagartig“) Symptome wie Hemiplegie (Halbseitenlähmung), Bewegungs-, Sprach- und Bewusstseinsstörungen auf. Ursache ist entweder eine plötzliche Minderdurchblutung des Gehirns (in ca. 80 % der Fälle) oder eine Hirnblutung. Synonyme: „Apoplex“, „Hirnschlag“ oder „zerebraler Insult“.

Verläufe ●





TIA (transitorische ischämische Attacke): Neurologische Störungen und Ausfälle sind binnen 24 Std. komplett reversibel. Im CT nicht sichtbar, kann einen späteren Schlaganfall ankündigen. Progressive Stroke (voranschreitender Schlaganfall): Zunahme der Symptomatik im Verlauf. Completed Stroke (vollendeter Schlaganfall): Neurologische Störungen und Ausfälle dauern länger als 24 Std.

Ursachen ●

Hirninfarkt: Nervenzellen im Gehirn sterben aufgrund von Minderdurchblutung (Ischämie) und Sauerstoffmangel ab. Häufigste Ursachen sind: – plötzliche Verengung durch die Ruptur einer arteriosklerotischen Plaque – Embolien, z. B. durch abgelöstes arteriosklerotisches Material oder verschleppte Gerinnsel aus anderen Körperregionen, z. B. aus dem linken Herzvorhof bei Vorhofflimmern

Erkrankungen des ZNS

Pusher-Syndrom

Thrombose Embolie

Halbseitensymptome

Aneurysma

weitere Erkrankungen des Nervensystems S. 452 hängender Mundwinkel Sprachstörungen

Schluckstörungen

Trauma

Hirninfarkt

Neglect

Bewusstseinsstörungen

anfangs schlaff, später spastisch

Hirnblutung

Gleichgewichtsstörungen

Paresen Diabetes

Ursachen

abhängig von infarziertem Hirngefäß

Rauchen Symptome Hypertonie Hyperlipidämie

< 24 h reversibel

Stroke Unit Thrombolyse



Aspiration

Hilfsmittel organisieren TIA

OP (bei Blutung) „Time is brain“!

Sturz

Risikofaktoren

Essen Prophylaxe, z.B.

Schlaganfall

Pflege

Therapie

Unterstützung, z.B.

Reha, z.B.

Basale Stimulation, z.B.

Logopädie

Physio

Hirnblutung (▶ Abb. 61.2): – intrazerebrale Blutung: Blutung aus einem Blutgefäß innerhalb des Gehirns, z. B. infolge der Einnahme von Antikoagulanzien (z. B. Marcumar) verbunden mit einem Hirntrauma – extrazerebrale Blutung: Blutungen im Bereich der Hirnhäute, z. B. in Form einer Subarachnoidalblutung infolge eines rupturierten Aneurysmas

mehr betroffene Seite immer einbeziehen!

Bobath

Initialberührung

Abb. 61.2 Blutungen des Gehirns. Schädelknochen Dura mater

Arachnoidea Pia mater

Symptome ●



● ● ● ●

Körperpflege

Hemiparese: unvollständige Lähmung einer Körperhälfte (zu Beginn: schlaffe Lähmung und später: spastische Lähmung, mit erhöhtem Muskeltonus) Fazialisparese: Lähmung der Gesichtsmuskulatur, hängender Mundwinkel, Ausfluss von Speichel, Mund kann nicht geschlossen werden. Sprachstörungen bis Sprachverlust: – Aphasie: Bei einer Aphasie können Gedanken nicht mehr in Wörtern und Grammatik normaler Sprache ausgedrückt werden. Die Patienten benennen z. B. Dinge falsch. – Dysarthrie: Die Sprachmotorik ist gestört. Die Sprache ist undeutlich und verwaschen, Wortverständnis und Wortwahl sind aber erhalten. Bewusstseinsstörungen bis Bewusstseinsverlust Kopfschmerzen Gleichgewichtsstörungen und Schwindel Dysphagie (Schluckstörung): Die Patienten verschlucken sich beim Essen oder Trinken. Dies kann eine Aspirationspneumonie, Mangelernährung oder Dehydratation zur Folge haben.

epidurale Blutung (EDH)

subdurale Blutung (SDH)

subarachnoidale Blutung (SAB)

intrazerebrale Blutung

Aus: I care – Pflege. Thieme; 2015

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems ●

● ●





● ●

Neglect: Die Patienten nehmen die betroffene Körperseite nicht oder nur wenig wahr. Wird oft begleitet vom Pusher-Syndrom, bei dem die Patienten die subjektive Mittellinie ihres Körpers falsch verorten und deswegen z. B. beim Sitzen zur geschädigten Seite neigen. Hemianopsie: Halbseitenblindheit Anosognosie: Die Patienten können ihre körperlichen Defizite und Fähigkeiten nicht richtig einschätzen. Sie erkennen z. B. nicht, dass sie Lähmungen haben. Apraxie: Die Patienten können keine zielgerichteten Bewegungen durchführen, obwohl die Wahrnehmung und Bewegungsfähigkeit selbst intakt sind. Aphasie: Störungen der Sprache. Die globale Aphasie ist dabei die schwerste Form. Hierbei sind das Sprachverständnis, die Sprachproduktion, die Anstrengung, Lesen und Schreiben erheblich beeinträchtigt. Bei der BrocaAphasie (motorische Aphasie) sind das Sprachverständnis und das Schreiben kaum beeinträchtigt, jedoch die Sprachproduktion und das Lesen. Harn- und Stuhlinkontinenz psychosoziale Symptome: – sozialer Rückzug (z. B. aufgrund der Aphasie) – Aggression, Depression aufgrund der plötzlichen Pflegebedürftigkeit – Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen

Typische Folgesymptome ● Subluxation der Schulter (unvollständige Ausrenkung): Der veränderte bzw. reduzierte Muskeltonus führt zu einer Subluxation des Oberarmkopfes. Dies kann für den Patienten sehr schmerzhaft sein. Möglich ist auch, dass der Patient die Subluxation gar nicht bemerkt. ● Schulterarmsyndrom: ödematöses Anschwellen der Hand der betroffenen Seite. Ursache ist eine gestörte Blut- und Lymphzirkulation aufgrund des veränderten Muskeltonus.

Diagnostik Voraussetzung für die Behandlung eines Schlaganfalls ist die Abklärung, ob es sich um eine Hirnblutung oder einen Hirninfarkt handelt. ● Grundsätzlich gilt: „Time is brain!“ (Der Patient muss schnell untersucht und versorgt werden, da minütlich mehr Nervenzellen zugrunde gehen können.) ● neurologischer Status: Anamnese und körperliche Untersuchung: Vigilanz, Gedächtnis, Motorik, Sensorik, Reflexe, Hirnnerven ● Laboruntersuchung: Blutzucker, Elektrolyte, Nierenwerte, Blutbild, Blutgerinnung ● EKG-Monitoring: Liegt die Ursache ggf. im Herzen, z. B. als Vorhofflimmern? ● Dopplersonografie der A. carotis: Ist das Gefäß verschlossen? ● CT bzw. MRT des Gehirns

Therapie Jeder Schlaganfall sollte auf einer Stroke Unit versorgt werden (engl. stroke = Schlaganfall). Dort stehen alle personellen, diagnostischen und therapeutischen Ressourcen zur bestmöglichen Versorgung zur Verfügung.

456

Therapie bei Hirninfarkt ●











Thrombolyse: Ziel ist, dass das ischämische Gewebe möglichst rasch wieder durchblutet wird. Sauerstoffgabe: Zellen in der Penumbra können sich durch die Gabe von Sauerstoff erholen, nach einer bestimmten Zeit ohne Sauerstoff sterben sie hingegen ab. Volumengabe (Infusionen), Katecholamine (z. B. Norepinephrin) oder Sympathomimetika bei Hypotonie Hypertonie: Leichte Hypertonie wird toleriert zur besseren Hirndurchblutung, ein kritisch erhöhter Blutdruck muss langsam gesenkt werden (schnelle Senkung führt zur Verschlechterung des Infarktgebiets) Antikoagulationstherapie: z. B. durch Heparin bei Sinusvenenthrombose Sekundärprophylaxe (um erneuten Schlaganfall zu vermeiden): Verabreichung von ASS (Acetylsalicylsäure)

Therapie bei Hirnblutung Eine Hirnblutung kann im Unterschied zu einem Hirninfarkt nicht mit durchblutungsfördernden Maßnahmen behandelt werden. Im Vordergrund steht die Senkung des Hirndrucks: ● Ventrikeldrainage ● Osmotherapie mit Mannitol oder Glycerol ● kurzfristige Hyperventilation ● operative Entfernung der Blutung aus dem Gehirn

Pflege Akutsituation Diagnostik und Therapiemaßnahmen müssen so schnell wie möglich eingeleitet werden! ● Mitwirken bei der Diagnostik: Monitoring anschließen, (Labor-)Untersuchungen vorbereiten, intravenöse Zugänge legen (lassen) ● Mitwirken bei der Therapie: – Sauerstoff verabreichen – Medikamente nach Arztanordnung vorbereiten ● Beobachtung: Eine erhöhte Körpertemperatur sowie Hypo- bzw. Hyperglykämien wirken sich negativ auf das Infarktgebiet aus, daher – Vitalparameter engmaschig kontrollieren (anfangs Blutdruckmessung alle 5 Minuten, erhöhte Blutdruckwerte werden toleriert) – Körpertemperaturen über 37,5 °C senken (durch z. B. Wadenwickel, Paracetamol) – Blutzucker kontrollieren und ggf. durch Insulin senken – auf Anzeichen einer Hirndrucksteigerung achten; z. B. Kopfschmerzen, Übelkeit, Bewusstseinsstörungen, BiotAtmung (S. 117) und Pupillendifferenz – Thrombolysetherapie: auf Blutungszeichen achten (siehe Kap. 39) – Flüssigkeitsbilanz erstellen ● Positionierung: Bettruhe! – stabile Seitenlage (bei Bewusstlosigkeit) – Positionierung mit erhöhtem Oberkörper (ca. 30°) ● Ausscheidung: ggf. ist ein Dauerkatheter (DK) indiziert ● Zahnprothese entfernen und Atemwege freihalten (bei Bewusstlosigkeit) ● Betroffenen beruhigen und nicht alleine lassen

Erkrankungen des ZNS Pflege bei erhöhtem Hirndruck ● Positionierung: – 30°-Oberkörperhochpositionierung – Kopf gerade ausrichten (Drehung oder Dehnung des Kopfes vermeiden, um venösen Rückfluss zu gewährleisten) – auf eine seitliche Positionierung zur Dekubitusprophylaxe verzichten ● Ausscheidung: weichen Stuhl anstreben (Drücken oder Pressen vermeiden, siehe Kap. 21.3) ● psychosoziale Begleitung: Patienten über Maßnahmen informieren und Ängste ernst nehmen



Im weiteren Krankheitsverlauf



Bewegung ● Prinzipien des Bobath-Konzepts anwenden (siehe Kap. 52), zur Förderung der Körperwahrnehmung, Normalisierung des Muskeltonus und Anbahnung von normalen Bewegungsabläufen ● Konzept der Basalen Stimulation anwenden, z. B. Handlungen verbal bzw. mittels Initialberührung ankündigen (siehe Kap. 51) Körperpflege bei Körperkontakt möglichst mit konstantem Druck arbeiten ● bei zunehmender Aktivität Patienten ins Waschen mit einbinden (z. B. geführte Waschbewegungen) ● Die Pflegefachkraft steht beim Waschen auf der mehr betroffenen Seite. Den Patienten anleiten, die betroffene Körperseite anzufassen. Dadurch integriert sie der Patient besser in seine Körperwahrnehmung. ●

Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). ● Aspirationsprophylaxe: siehe „Ernährung bei Dysphagie“ ● Pneumonie-, Thrombose- und Kontrakturenprophylaxe: aufgrund der Bewegungseinschränkungen ● Sturzprophylaxe: bei Wahrnehmungsstörungen, (z. B. Neglect, Pushersyndrom) und bei Dranginkontinenz Schmerzmanagement bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 ● bei schmerzhafter Schulter: Hilfe beim An- und Auskleiden und Waschen. Betroffenen Arm des Patienten immer körpernah anfassen. Bewegung nach vorne oben in Außenrotation führen. Die Schulter sollte dabei nicht nach oben geschoben werden. Arm nur mit Unterstützung des Ellenbogens anheben.

● ●

Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme (siehe Kap. 19.1) – ggf. Ess- und Trinkhilfen hinzuziehen (z. B. aufsteckbare Griffvorrichtungen für Gläser) – Ressourcen des Patienten nutzen und trainieren, möglichst viel selbst machen lassen – sorgfältige Mundpflege nach dem Essen (Essensreste entfernen) – keine Gespräche während der Nahrungsaufnahme gegebenenfalls muss die Zahnprothese angepasst werden. Essprotokoll führen

Ausscheidung DK schnellstmöglich entfernen ● Toilettentraining (z. B. anfangs Urinflasche, dann Toilettenstuhl und später selbstständiger Toilettengang) ● Hilfsmittel verwenden (z. B. Einlagen) Wahrnehmung • Ziel ist es, die Wahrnehmung zu fördern und Stürze zu vermeiden ● Neglect: z. B. Wahrnehmung des Patienten auf mehr betroffene Seite richten ● Pusher-Syndrom: z. B. Becken des Patienten beim Sitzen symmetrisch ausrichten ● bei Fazialisparese: Augenpflege durchführen und durch Ausstreichen beide Gesichtshälften stimulieren Kommunikation bei Aphasie langsam und deutlich sprechen, sich Zeit nehmen ● Logopädie hinzuziehen ● Sprechen so früh wie möglich trainieren und ggf. Hilfsmittel (z. B. Sprechtafel) hinzuziehen ● Angehörige aufklären ● soziale Kontakte fördern ●

psychosoziale Begleitung informieren über Krankheitsbild, Verlauf und Symptome ● motivieren, z. B. indem Fortschritte anerkannt werden ● über Verluste, Sorgen und Ängste sprechen ● Angehörige miteinbeziehen, ggf. Seelsorger oder Psychologe miteinbeziehen ●

KOMPAK T



Ernährung • Bei Dysphagie steht die Prophylaxe der Mangelernährung und der Aspirationspneumonie im Fokus: ● Logopädie hinzuziehen ● Kostform anpassen (z. B. Flüssigkeiten andicken, passierte Kost) ● bei ausgeprägter Dysphagie parenterale Ernährung per Magensonde oder PEG (siehe Kap. 25) ● Patienten bei Nahrungsaufnahme nicht allein lassen

Schlaganfall ●



● ●



Ursache: Hirninfarkt mit Ischämie (80 % der Fälle) oder Hirnblutung Symptome: oft halbseitige Lähmungserscheinungen (Hemiparese, „hängender Mundwinkel“), Schwindel, Sprachstörung, Schluckstörung Diagnostik: Jede Minute zählt! Rasch CT bzw. MRT. Therapie: Versorgung auf Stroke Unit. Bei Hirninfarkt rasche Lysetherapie. Bei Blutung Druckentlastung, ggf. Liquordrainage oder OP Pflege: Malnutrition und Dehydration vorbeugen! Wahrnehmungsförderung (Bobath, Basale Stimulation). Unterstützung mit dem Ziel, dass verlorene Fähigkeiten wiedergewonnen werden.

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems

61.2.2 Schädel-Hirn-Trauma



Definition Schädel-Hirn-Trauma (SHT) Ein Schädel-Hirn-Trauma ist eine Verletzung des Gehirns, ausgelöst durch Gewalteinwirkung. Die Funktion des Gehirns kann beeinträchtigt sein.

Einteilung Grundsätzlich können offene von geschlossenen („gedeckten“) Schädel-Hirn-Traumen (SHT) unterschieden werden. Beim offenen SHT besteht eine direkte Verbindung zwischen Außenluft und Gehirn. Entsprechend hoch ist die Gefahr einer Infektion. Die wichtigste Einteilung erfolgt nach der Glasgow Coma Scale (GCS). Geprüft werden dafür die motorischen und verbalen Fähigkeiten sowie das Augenöffnen des Patienten. Der ermittelte Punktwert (maximal 15) gibt dann Auskunft über den klinischen Schweregrad des SHT: ● leichtes SHT (15–13 Punkte) ● mittelschweres SHT (12–9 Punkte) ● schweres SHT (≤ 8 Punkte) ● Eine ältere Unterteilung orientiert sich an der Substanzschädigung des Gehirns: ● Commotio cerebri (Gehirnerschütterung): kurze Bewusstseinsstörung ohne im CT erkennbare Schädigung ● Contusio cerebri (Gehirnprellung): längere Bewusstlosigkeit mit Nachweis von Trauma im CT ● Compressio cerebri (Gehirnquetschung): Verletzung ist so stark, dass Gehirn anschwillt und der Hirndruck ansteigt.



Therapie und Pflege ●





● ●

● ● ●

● ●

Schädel-Hirn-Trauma

Bewusstseinsstörung retro- oder anterograde Amnesie (Erinnerungslücken) Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit/Erbrechen neurologische Ausfälle wie Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, Sprachstörungen bei erhöhtem Hirndruck: epileptischer Anfall Begleitverletzungen: Blutungen, Knochenbrüche, Austritt von Liquor











Komplikationen und Folgeerkrankungen ●



Anschwellen des Gehirns durch Hirnödem oder Einblutungen. Dies führt zu einem Anstieg des Hirndrucks mit der Gefahr, dass das Gehirn in den knöchernen Strukturen des Schädels eingeklemmt und somit die Blut- und Sauerstoffzufuhr unterbrochen werden neurologische und/oder psychiatrische Restsymptome wie epileptische Anfälle, Halbseitensymptomatik, Sprachstörungen, Antriebsstörungen, depressive Verstimmung

Je nach Schweregrad wird unterschieden: – leichtes SHT und unauffälliges CT: Patient kann nach Hause entlassen werden, wenn er Angehörige daheim hat, die ihn beobachten können. – mittelschweres SHT: mindestens 24-stündige Überwachung auf Intensivstation – schweres SHT: Überwachung des Hirndrucks (Intubation und Beatmung) – bei Blutungen: OP, um Blutung zu stoppen, und Legen einer Sonde zur Hirndruck-Kontrolle – bei starker Gehirnschwellung: Öffnung der Schädeldecke, damit Gehirn mehr Platz hat auf Anzeichen einer Hirndrucksteigerung achten: z. B. Bewusstsein, Augenmotorik, Pupillenreaktion, Blutdruck, Puls, allgemeine Motorik, Sensibilität und Reflexe bei Kopfschmerzen: Analgetika (kein ASS wegen des gerinnungshemmenden Effekts), Bettruhe, Oberkörperhochpositionierung bei Schwindelgefühl: Antivertiginosa bei Übelkeit/Erbrechen: Antiemetika

KOMPAK T

Symptome ●

bildgebende Verfahren: CT-Schädel (Hirnschaden? Blutung? Schädelfraktur?), bei schwerem SHT zusätzlich CTWirbelsäule Differenzialdiagnostik: epileptischer Anfall (EEG)

Einteilung nach der Glasgow Coma Scale: leichtes SHT, mittelschweres SHT, schweres SHT Symptome: Bewusstseinsstörung, Amnesie, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit/Erbrechen, neurologische Ausfälle Komplikationen: Anschwellen des Gehirns und Anstieg des Hirndrucks Diagnostik: Anamnese, CT-Schädel, körperliche Untersuchung Therapie: grundsätzlich mindestens 24 Stunden Überwachung

61.2.3 Hirntumoren Definition Hirntumor Ein Hirntumor ist eine benigne (gutartige) oder maligne (bösartige) Zellneubildung im Gehirn. Bösartige Gehirntumoren wachsen in das gesunde Gewebe hinein und zerstören es. Gutartige Gehirntumoren richten Schäden durch die Raumforderung an.

Diagnostik ●



458

Anamnese; klinischer Befund und neurologischer Status (Glasgow Coma Scale, s. o.) Flüssigkeitsaustritt aus Nase bzw. Ohren beachten! Hierbei kann es sich um austretenden Liquor handeln.

Einteilung ●



primäre Tumoren: entwickeln sich aus Gehirngewebe, z. B. Glioblastom sekundäre Tumoren: Metastasen anderer Tumoren, z. B. eines malignen Melanoms

Erkrankungen des ZNS

Symptome ●





erste Symptome: diffuse Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen (ggf. als Folge erhöhten Hirndrucks) psychische Auffälligkeiten, z. B. Wesensveränderungen, Konzentrationsstörungen Lähmungen, Sensibilitätsstörungen, epileptische Anfälle

Die Symptome können ja nach Wachstum und Lokalisation des Tumors sehr verschieden sein. Prinzipiell werden bösartige Tumoren meistens klinisch sehr schnell auffällig. Bei gutartigen Tumoren können erste Anzeichen auch erst nach Jahren auftreten.

einer Aufweitung der Ventrikel und einem entsprechenden Verlust von Hirngewebe. Situationen, die zu einem Hydrozephalus führen können, sind z. B. verklebte oder verengte Liquorkanäle durch Entzündungen, Blutungen und Tumoren. Ursache einer reduzierten Liquorresorption kann z. B. eine Subarachnoidalblutung, eine Meningitis oder eine Strahlentherapie sein. Bei einem nur leicht oder intermittierend erhöhten Hirndruck aufgrund einer chronischen Resorptions- oder Abflussstörung spricht man von einem Normaldruckhydrozephalus.

Symptome ●

Diagnostik ● ● ● ●

Anamnese körperliche Untersuchung bildgebende Verfahren: MRT Gewebeprobe zur Bestimmung der Tumor-Art

● ●



Kopfschmerzen Schwindel, Krampfanfälle oder Bewusstseinsstörung je nach Schweregrad: Lähmungserscheinungen an Augen, Gliedmaßen bei Normaldruckhydrozephalus typische klinische Trias: – Gangstörung (kleinschrittiger Gang) – Demenz – Harninkontinenz

Therapie ● ●

möglichst vollständige Entfernung des Tumors Strahlentherapie, Chemotherapie

Diagnostik ● ●

Pflege postoperative Pflege • Neben der allgemeinen postoperativen Pflege (siehe Kap. 41.3) ist Folgendes zu beachten: ● Beobachtung: Überwachung erfolgt auf der Intensivstation (siehe Kap. 45), Fokus liegt auf der frühzeitigen Erkennung einer Hirndrucksteigerung – Hirndruckmessung, ZVD-Überwachung – Überprüfung der Vitalfunktionen (Puls, Blutdruck, Atmung, Temperatur, Bewusstsein) – Glasgow Coma Scale zur Einschätzung der Bewusstseinslage ● Körperpflege: Bobath-Konzept und Prinzipien der Basalen Stimulation anwenden ● Ausscheidung: Dauerkatheter zur Überwachung der Urinausscheidung ● Prophylaxen: bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) ● psychosoziale Begleitung: (siehe Kap. 44) – Selbsthilfegruppen, psychoonkologische Beratung, Seelsorger oder Psychologen vermitteln – Sorgen und Ängsten Raum geben – Angehörige miteinbeziehen



Therapie Ziel: Liquorresorption normalisieren: ● externe Ventrikeldrainage: Überschüssiger Liquor wird durch externen Katheter abgeleitet. ● interner Liquor-Shunt: Ableitung z. B. in die Bauchhöhle (ventrikuloperitonealer Shunt) oder in den rechten Herzvorhof (ventrikuloatrialer Shunt, selten) Komplikationen nach Liquor-Shunt-Anlage Infektionen am Kathetersystem: je nach Ableitung z. B. Endokarditis, Meningitis, Peritonitis (siehe Kap. 53) ● Unterdrainage mit Anstieg des Hirndrucks und Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Apathie ● Überdrainage mit erniedrigtem Hirndruck. Typisch für diese Situation ist, dass Kopfschmerzen im Liegen abnehmen, da dann weniger Liquor abfließt. ● Krampfanfälle durch den Katheter im Nervengewebe (selten) ●

Pflege nach Shunt-OP ●

61.2.4 Hydrozephalus



Definition Hydrozephalus Bei einem Hydrozephalus („Wasserkopf“) sind die Liquorräume im Gehirn erweitert und das Hirngewebe geht zurück.



Ursache



Ein Hydrozephalus entsteht, wenn zu viel Liquor produziert wird, die Liquorzirkulation gestört ist oder der Liquor nicht ausreichend resorbiert wird. Alle drei Situationen führen zu

klinischer Befund bildgebende Verfahren (CT, MRT) Liquorablassversuch

allgemeine postoperative Pflege beachten (siehe Kap. 41) Beobachten: auf Symptome achten, die auf Unter- oder Überdrainage bzw. sonstige Komplikationen hinweisen: Kopfschmerz, Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, Sehstörung, Schläfrigkeit, Schmerzen im Bauchraum Bewegung: – Frühmobilisation am 1. postoperativen Tag (nach Arztrücksprache) Entlassmanagement: – Patient soll im ersten Monat körperliche Anstrengung vermeiden. – jeglichen Druck auf das Ventil und den Katheter vermeiden

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Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems – Kontrolle im ersten Jahr alle 3–6 Monate, danach einmal im Jahr – Patient und Angehörige für Notfall-Symptome sensibilisieren (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Krampfanfälle, Sehstörungen) – Patient bekommt einen Ventil-Pass, den er immer bei sich tragen soll.

61.3 Entzündliche Erkrankungen des ZNS 61.3.1 Meningitis

Pflege ●





● ●

● ●

Definition Meningitis Die Meningitis ist eine – meist infektiös bedingte – Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute (Hirnhautentzündung).

Ursachen ● ● ●

Bakterien, z. B. Meningokokken Viren, z. B. Coxsackie- oder Polioviren selten: Pilze, z. B. Kryptokokken, Parasiten, z. B. Würmer, nicht-infektiös, z. B. Sarkoidose

Symptome ●

● ●



Leitsymptome: (starke) Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit (Meningismus), (hohes) Fieber, Lichtempfindlichkeit, Übelkeit/ Erbrechen Hörstörungen, Blutdruck- und Herzfrequenzveränderungen Eine Bewusstseinsstörung oder zerebrale Krampfanfälle sind ein Hinweis dafür, dass das Hirngewebe mitbetroffen ist (Enzephalitis, s. u.). Bakterielle Meningitiden verlaufen oft schwerer und akuter als virale.

61.3.2 Enzephalitis Definition Enzephalitis Eine Enzephalitis bezeichnet eine – oft infektiös bedingte – Entzündung des Hirngewebes. In Kombination mit einer Meningitis spricht man von einer Meningoenzephalitis.

Ursachen ●







Vor allem bei Kindern mit Meningokokkenmeningitis kann das lebensgefährliche Waterhouse-Friderichsen-Syndrom auftreten (Meningokokkensepsis). Es führt zur Verbrauchskoagulopathie mit Einblutungen in Haut, Schleimhäute und Organe (Gefahr des Multiorganversagens).

Diagnostik ● ● ● ●

Lumbalpunktion: Erregernachweis im Liquor Nackensteifigkeit CT-Schädel Blutkulturen





● ●



460

bei bakteriellen Erregern: Antibiose bei viralen Erregern: Virostatika (z. B. Aciclovir bzw. Zovirax) bei beiden Erregern: Kortikosteroide zur Hirnödemprophylaxe

(hohes) Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen neuropsychologische Defizite, z. B. Bewusstseinseintrübung, fokale Lähmungen, Sprachstörungen epileptische Anfälle

Komplikationen und Folgeerkrankungen Klinisch manifeste Enzephalitiden haben eine schlechte Prognose. Bei Herpes-simplex-Enzephalitis sterben (ohne Behandlung) 70 % der Patienten. Bei Überlebenden verbleiben häufig neurologische Ausfälle.

Therapie und Pflege ● ●

Therapie

häufigste Ursache: Virusinfektion (z. B. Herpes-simplex-, FSME-, Polio- oder Tollwutviren) fehlgeleitete Immunantwort: nach Mumps-, Masern-, Röteln-, Windpockeninfektion typische Bakterien: Staphylokokken, Streptokokken, Borrelien selten: Pilze (z. B. Candida) und Parasiten (z. B. Toxoplasmose)

Symptome ●

Komplikationen und Folgeerkrankungen

bei Licht- und Geräuschempfindlichkeit: Raum abdunkeln und ruhige Umgebung schaffen engmaschige Kontrolle der Vitalparameter und Kontrolle der Symptome (Kopfschmerzen, Nackensteife, Hirndruckzeichen) Flüssigkeitsbilanz erstellen und auf Elektrolythaushalt achten pflegerische Maßnahmen bei Fieber (siehe Kap. 42.2) bedarfsgerecht Prophylaxen durchführen (siehe Kap. 21), z. B. regelmäßige Mundpflege Patient wird vorerst isoliert, bis Erreger bekannt sind Pflegende tragen Schutzkittel, Mund-Nasen-Schutz und Handschuhe bei jedem Patientenkontakt (siehe Kap. 15).



ähnlich wie bei Meningitis (S. 460) bei Herpes-simplex-Enzephalitis: rasche Applikation von Aciclovir Hirndruck-Monitoring und evtl. -Senkung

61.3.3 FSME Die FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) ist eine spezielle Form der Enzephalitis. Sie wird vom FSME-Virus verursacht und von Zecken übertragen. Meist verläuft die Erkrankung asymptomatisch bzw. wie ein grippaler Infekt. Sel-

Entzündliche Erkrankungen des ZNS ten kommt es zur Ausprägung einer Meningitis bzw. Enzephalitis mit z. T. irreversiblen Lähmungen bis hin zur Atemlähmung. Die Erkrankung ist meldepflichtig. Zur Prophylaxe gibt es eine Impfung, die v. a. für Menschen, die sich in Risikogebieten häufig in Wäldern aufhalten, sinnvoll ist. Zudem ist wichtig, dass Zecken nach einem Stich möglichst rasch und fachgerecht entfernt werden.

61.3.4 Borreliose Die Borreliose wird durch das Bakterium Borrelia burgdorferi verursacht und durch Zecken übertragen. Die Erkrankung verläuft in Stadien. Typisches Frühsymptom ist die Wanderröte (Erythema chronicum migrans), eine sich kreisförmig ausdehnende, zentral abblassende Hautrötung an der Zeckenstichstelle. Die Symptome sind oft grippeähnlich. Der Erreger kann im Verlauf Gelenke, Muskeln, Nervensystem und weitere Organe befallen. Bei Befall des Nervensystems spricht man von einer Neuroborreliose. Die Enzephalitis und Polyneuritis können zu Lähmungen (z. B. Gesichtslähmung, Gangstörungen) und fokalen Schmerzen führen. Rechtzeitig erkannt, kann die Borreliose gut mit Antibiotika (z. B. Doxycyclin) behandelt werden. Eine Impfung existiert nicht. Prophylaktisch wichtig ist, dass Zecken rasch entfernt werden.

Diagnostik ● ●

MRT: Nachweis der Entzündungsherde im ZNS Lumbalpunktion: Erhöhung des Gesamteiweißes, Antikörpernachweis

Komplikationen und Folgeerkrankungen Die Erkrankung verläuft sehr variabel. Oft treten die Symptome in Schüben auf und bilden sich im Verlauf vollständig oder unvollständig zurück. Nach 20–25 Jahren Krankheitsverlauf können allerdings ca. 50 % der Patienten nicht mehr gehen. Wenige Patienten sind auch nach langem Verlauf nur leicht körperlich eingeschränkt.

Therapie ●









Akute Schübe werden durch hoch dosierte Steroide (z. B. Methylprednisolon) behandelt. Immunsuppressiva (z. B. Beta-Interferon), Antikörpergabe (z. B. Alemtuzumab) oder Chemotherapeutika (Mitoxantron) können die Schubfrequenz senken. Alle Medikamente können Verlauf nur verzögern, nicht aufhalten. Physio- und Ergotherapie: zur Erhaltung der Muskelkraft und Bewegungsfähigkeit Logopädie bei Sprachstörung

61.3.5 Multiple Sklerose

Pflege

Definition Multiple Sklerose

Beobachtung ● körperliche Veränderungen beobachten, um Schübe frühzeitig zu erkennen ● Medikamentennebenwirkungen beobachten und ggf. dem Arzt rückmelden

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Sie führt zu Entzündungen des Myelins (Markscheiden). Durch den Abbau der Markscheiden (Demyelinisierung) kommt es zu Funktionsausfällen im Gehirn.

Ursache Die MS ist ein autoimmuner Prozess. Doppelt so viele Frauen wie Männer sind betroffen. Der eigentliche Auslöser ist unbekannt.

Symptome ●









Frühsymptome: – Sensibilitätsstörungen mit „Ameisenlaufen“ oder einem „pelzigen“ Gefühl“ an bestimmten Hautarealen – Sehstörungen: „verschwommenes Sehen“ durch die Entzündung des Sehnervs motorische Störungen: spastische Lähmungen der Extremitäten Kleinhirnsymptome: Bewegungsstörungen, Nystagmus, Sprechstörungen vegetatives Nervensystem: – Blasenentleerungsstörung (Reflex- oder Dranginkontinenz, siehe Kapitel Harninkontinenz (S. 137) – Beeinträchtigung der Sexualfunktion Psyche: depressive oder euphorische Stimmung möglich. Im Verlauf ist die Entwicklung einer Demenz möglich.

Bewegung Körperwahrnehmung fördern z. B. durch Basale Stimulation (siehe Kap. 51) ● Gleichgewichtstraining, Geh- und Stehübungen der Physiotherapie in den Alltag integrieren ● Ressourcen erhalten und Selbstständigkeit fördern ● Prinzipien des Bobath-Konzepts anwenden (siehe Kap. 52), bei spastischen Lähmungen ●

Körperpflege Anwendung des Bobath-Konzepts oder der Basalen Stimulation ● Patient sollte beim Ankleiden mit der eingeschränkteren Körperseite beginnen ● Selbstständigkeit fördern, z. B. – Hilfsmittel einsetzen (z. B. elektronische Zahnbürste) – Reißverschlüsse anstelle von Knöpfen – Klettverschlüsse statt Schnürsenkel ●

Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) ● Pneumonieprophylaxe: Tiefes Durchatmen und Abhusten sind bei fortschreitender Erkrankung oft unzureichend.

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Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems ●



Sturzprophylaxe: besonders bei Gangunsicherheit, Sehund Wahrnehmungsstörungen Harnwegsinfektionsprophylaxe: siehe Kap. 57.4.5, z. B. Intimpflege, viel trinken (bei Inkontinenz besteht ein erhöhtes Infektrisiko!)

KOMPAK T Entzündliche Erkrankungen des ZNS ●

Schmerzmanagement • Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37. ●

Ernährung ● vitaminreiche, vollwertige Kost, viel trinken ● Hilfsmittel wie verdickte Besteckgriffe oder Anti-RutschFolie-Becher benutzen ● je nach Zustand des Patienten: Essen und Trinken anreichen





Ausscheidung sorgfältige Haut- und Intimpflege ● Hilfsmittel bedarfsgerecht einsetzen ● Kontinenztraining (siehe Kap. 20.3) ● auf Anzeichen einer Harnwegsinfektion achten ● ggf. suprapubischer Harnblasenkatheter oder Selbstkatheterisierung (siehe Kap. 22.2)





Meningitis: (meist) infektiöse Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute. Bakterielle Meningitiden verlaufen oft schwerer als virale. Gefürchtet bei Kindern: Meningokokken-Sepsis (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Enzephalitis: (meist) infektiöse Entzündung des Gehirns. Oft viral bedingt. Bei Herpes-simplex-Enzephalitis: Letalität 70 %. FSME: ausgelöst durch Virus, übertragen durch Zecken. Impfung möglich. Borreliose: ausgelöst durch Bakterien (Borrelien), übertragen durch Zecken. Keine Impfung möglich. Therapie: Antibiose. Multiple Sklerose: Die MS ist eine autoimmune Entzündung mit Abbau des Myelins (Markscheiden) unklarer Ursache. – Therapie: Medikamente können Verlauf nur verzögern, nicht aufhalten. – Pflege: bedarfsgerechte Prophylaxen (z. B. Harnwegsinfektion, Sturz und Pneumonie), psychosoziale Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen

Kommunikation • Logopädie hinzuziehen und ggf. Sprachübungen integrieren psychosoziale Begleitung • Die Krankheitseinsicht der Patienten ist relativ gering und die spätere Wesensveränderung nehmen häufig nur enge Bezugspersonen wahr. Daher müssen Angehörige unterstützt und begleitet werden: ● über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen ● soziale Kontakte fördern ● Erfolgserlebnisse schaffen, motivieren, sinnvolle Beschäftigung ermöglichen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über möglichen Verlauf der Erkrankung und evtl. Wesensveränderung informieren ● auf Beratungsangebote der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) hinweisen ● übermäßige Wärme vermeiden, da es zur Verschlechterung der Symptomatik führen kann ●

61.4 Epileptische Anfälle und Epilepsie Definition Epileptischer Anfall und Epilepsie Ein epileptischer Anfall ist eine vorübergehende Funktionsstörung des ZNS mit gleichzeitiger Entladung vieler Nervenzellen im Gehirn. Die Epilepsie ist die dauerhaft erhöhte Erregungsbereitschaft im Gehirn, bei der es immer wieder zu epileptischen Anfällen kommt.

Definition Status epilepticus Ein Status epilepticus besteht, wenn epileptische Anfälle länger als 5 Minuten andauern oder der Patient zwischen einzelnen Anfällen das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Dieser lebensbedrohliche Zustand muss medikamentös unterbrochen werden.

61.4.1 Epilepsie Ursachen ●

● ●

Epilepsie ist keine Erbkrankheit, aber eine genetische Disposition ist wahrscheinlich. Circa 0,5–1 % der Bevölkerung sind betroffen. Circa 5 % der Bevölkerung erleiden im Laufe des Lebens einen einmaligen epileptischen Anfall (Gelegenheitsanfall), z. B. aufgrund von Fieber, Unterzuckerung, Elektrolytstörungen.

Die Epilepsie kann nach den auslösenden Ursachen in 3 Kategorien eingeteilt werden: ● symptomatische Epilepsie: nachweisbare Ursache, z. B. Tumor oder Blutung ● kryptogene Epilepsie: Auslöser lässt sich nicht nachweisen, aber fokale Ursache im Gehirn ist wahrscheinlich. ● idiopathische Epilepsie: familiäre Belastung

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Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems ●



Sturzprophylaxe: besonders bei Gangunsicherheit, Sehund Wahrnehmungsstörungen Harnwegsinfektionsprophylaxe: siehe Kap. 57.4.5, z. B. Intimpflege, viel trinken (bei Inkontinenz besteht ein erhöhtes Infektrisiko!)

KOMPAK T Entzündliche Erkrankungen des ZNS ●

Schmerzmanagement • Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37. ●

Ernährung ● vitaminreiche, vollwertige Kost, viel trinken ● Hilfsmittel wie verdickte Besteckgriffe oder Anti-RutschFolie-Becher benutzen ● je nach Zustand des Patienten: Essen und Trinken anreichen





Ausscheidung sorgfältige Haut- und Intimpflege ● Hilfsmittel bedarfsgerecht einsetzen ● Kontinenztraining (siehe Kap. 20.3) ● auf Anzeichen einer Harnwegsinfektion achten ● ggf. suprapubischer Harnblasenkatheter oder Selbstkatheterisierung (siehe Kap. 22.2)





Meningitis: (meist) infektiöse Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute. Bakterielle Meningitiden verlaufen oft schwerer als virale. Gefürchtet bei Kindern: Meningokokken-Sepsis (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom). Enzephalitis: (meist) infektiöse Entzündung des Gehirns. Oft viral bedingt. Bei Herpes-simplex-Enzephalitis: Letalität 70 %. FSME: ausgelöst durch Virus, übertragen durch Zecken. Impfung möglich. Borreliose: ausgelöst durch Bakterien (Borrelien), übertragen durch Zecken. Keine Impfung möglich. Therapie: Antibiose. Multiple Sklerose: Die MS ist eine autoimmune Entzündung mit Abbau des Myelins (Markscheiden) unklarer Ursache. – Therapie: Medikamente können Verlauf nur verzögern, nicht aufhalten. – Pflege: bedarfsgerechte Prophylaxen (z. B. Harnwegsinfektion, Sturz und Pneumonie), psychosoziale Begleitung des Patienten und seiner Angehörigen

Kommunikation • Logopädie hinzuziehen und ggf. Sprachübungen integrieren psychosoziale Begleitung • Die Krankheitseinsicht der Patienten ist relativ gering und die spätere Wesensveränderung nehmen häufig nur enge Bezugspersonen wahr. Daher müssen Angehörige unterstützt und begleitet werden: ● über Ängste, Sorgen und Nöte sprechen ● soziale Kontakte fördern ● Erfolgserlebnisse schaffen, motivieren, sinnvolle Beschäftigung ermöglichen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über möglichen Verlauf der Erkrankung und evtl. Wesensveränderung informieren ● auf Beratungsangebote der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft) hinweisen ● übermäßige Wärme vermeiden, da es zur Verschlechterung der Symptomatik führen kann ●

61.4 Epileptische Anfälle und Epilepsie Definition Epileptischer Anfall und Epilepsie Ein epileptischer Anfall ist eine vorübergehende Funktionsstörung des ZNS mit gleichzeitiger Entladung vieler Nervenzellen im Gehirn. Die Epilepsie ist die dauerhaft erhöhte Erregungsbereitschaft im Gehirn, bei der es immer wieder zu epileptischen Anfällen kommt.

Definition Status epilepticus Ein Status epilepticus besteht, wenn epileptische Anfälle länger als 5 Minuten andauern oder der Patient zwischen einzelnen Anfällen das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Dieser lebensbedrohliche Zustand muss medikamentös unterbrochen werden.

61.4.1 Epilepsie Ursachen ●

● ●

Epilepsie ist keine Erbkrankheit, aber eine genetische Disposition ist wahrscheinlich. Circa 0,5–1 % der Bevölkerung sind betroffen. Circa 5 % der Bevölkerung erleiden im Laufe des Lebens einen einmaligen epileptischen Anfall (Gelegenheitsanfall), z. B. aufgrund von Fieber, Unterzuckerung, Elektrolytstörungen.

Die Epilepsie kann nach den auslösenden Ursachen in 3 Kategorien eingeteilt werden: ● symptomatische Epilepsie: nachweisbare Ursache, z. B. Tumor oder Blutung ● kryptogene Epilepsie: Auslöser lässt sich nicht nachweisen, aber fokale Ursache im Gehirn ist wahrscheinlich. ● idiopathische Epilepsie: familiäre Belastung

462

Epileptische Anfälle und Epilepsie Tab. 61.1 Anfallstypen und Symptome einer Epilepsie. Anfallstyp

Symptome

Partielle (fokale) Anfälle einfach partielle Anfälle

ohne Bewusstseinsstörung ● motorisch: Muskelzuckungen einzelner Muskelgruppen ● sensibel: z. B. lokales Kribbeln ● sensorisch: z. B. Lichtblitze, Ohrgeräusche

komplex partielle Anfälle

mit Bewusstseinsstörung ● z. B. Automatismen wie Schmatzbewegungen, Verdrehen eines Armes, ruckartiges Kopfdrehen

Generalisierte Anfälle Petit-mal-Anfälle

Dauern nur kurz, ohne tiefe Bewusstlosigkeit, Beispiele: Absencen: kurzzeitige „Abwesenheit“ (häufig bei Kindern im Schulalter) ● tonisch: Sekunden bis Minuten dauernde Muskelanspannung ● klonisch: rhythmische Muskelzuckungen ●

Grand-mal-Anfälle

tonisch-klonischer Anfall, meist ca. 1 Minute, mit tiefer Bewusstlosigkeit: zuerst generalisiertes Anspannen (Tonus), dann rhythmischer Wechsel zwischen Anspannen und Lösen der Muskulatur des ganzen Körpers (Klonus) ● Gefahr durch Zungenbiss ● häufig unkontrollierter Urin- oder Stuhlabgang ● Dämmerzustand nach dem Anfall mit Amnesie ●

Symptome Generell unterscheidet man zwischen partiellen (fokalen) und generalisierten Epilepsien. Je nachdem, ob nur ein Teil des Gehirns (partiell) oder das ganze Gehirn (generalisiert) betroffen ist, sind die Symptome sehr unterschiedlich (▶ Tab. 61.1).

Diagnostik ●



● ●

Anfallsanamnese: Wie lief der Anfall ab? Vorerkrankungen? Auren (auffällige Empfindungen vor dem Anfall)? Labor: Blutzuckererhöhung? Elektrolytveränderung? Entzündungszeichen im Liquor? MRT: Tumor? Infarkt? Hydrozephalus? EEG: gibt Hinweis auf auslösende Hirnregion

Anfallsprophylaxe ● Antikonvulsivum, z. B. Lamotrigin, Valproat ● ggf. Resektion eines auslösenden Hirnareals Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Medikamente: Dosisveränderungen nur bei Rücksprache mit Arzt ● Anfallsauslöser meiden: kein Stress, kein Alkohol, kein Hochleistungssport, kein Aufenthalt an Orten mit hochfrequenten elektronischen Lichtreizen (z. B. Disco) ● Anfallskalender führen ● Straßenverkehr: Je nach Anfallsfrequenz muss ein Fahrverbot beachtet werden. ● Schwangerschaft: sorgfältige Planung in Rücksprache mit Arzt ●

Therapie und Pflege Im akuten Anfall ● Patienten nicht allein lassen, Arzt verständigen, Patienten vor Verletzungsgefahren schützen (Stühle, scharfkantige Gegenstände wegräumen), Kopf ggf. mit Kissen unterlegen ● Patienten während des Anfalls nicht festhalten! Keinen Mundkeil einsetzen! Keine Flüssigkeit einflößen! ● Dauer, Anfallstyp, Verlauf und ggf. Verletzungen erfassen und dokumentieren. Patienten nach Anfall beobachten. ● Ein einzelner Anfall von weniger als 3 Minuten muss nicht medikamentös behandelt werden. ● bei Anfall von längerer Dauer als 5 Minuten: Antikonvulsiva ● ggf. Behandlung des Zungenbisses ● Patienten nach Anfall ggf. in stabile Seitenlage bringen ● Patienten haben im Rahmen des Anfalls oft eingenässt (Körperpflege durchführen). Die Notfallmaßnahmen bei „Status epilepticus“ finden Sie in Kap. 14.1.9.

KOMPAK T Epilepsie ●







Bei einem epileptischen Anfall sind sehr viele Nervenzellen parallel erregt, sodass der Patient die „Herrschaft“ über seinen Körper zum Teil oder völlig verliert. Einteilung: Grundsätzlich unterscheidet man partielle (fokale) Anfälle, die von einer Hirnregion ausgehen, von generalisierten Anfällen, bei der die gesamte Hirnrinde übererregt ist. im akuten Anfall: Patienten nicht alleine lassen, nicht festhalten, scharfkantige Gegenstände im Umfeld entfernen, Arzt benachrichtigen. Normalerweise ist keine notfallmedizinische Behandlung erforderlich. Status epilepticus: Anfallsdauer > 5 Minuten. Dieser muss notfallmedizinisch behandelt und unterbrochen werden.

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems

61.5 Basalganglienerkrankungen 61.5.1 Parkinson-Syndrom Definition Morbus Parkinson

ACHTUNG Parkinson-Medikamente haben häufig Nebenwirkungen wie Halluzinationen oder Dyskinesien.

Morbus Parkinson ist eine degenerative Erkrankung des Nervensystems. Dabei werden unwillkürliche Bewegungen (z. B. Zittern) hervorgerufen und willkürliche Bewegungsabläufe gestört.

Pflege

Ursache

Bei allen pflegerischen Maßnahmen sollte ausreichend Zeit eingeplant werden. Die verlangsamte Reaktion ist Teil des Krankheitsbilds. Ungeduld und Hektik wirken sich negativ aus.

Beim Parkinson-Syndrom (Morbus Parkinson) sterben in der Substantia nigra im Mittelhirn die für die Dopamin-Herstellung verantwortlichen Nervenzellen ab. Dies führt zu Dopaminmangel. 75 % der Erkrankungen sind idiopathisch, die auslösende Ursache der Nervenzelldegeneration ist also unklar. Es gibt aber auch sekundäre, symptomatische Formen, z. B. durch Vergiftungen, Medikamentennebenwirkungen (Neuroleptika) oder infolge eines Morbus Alzheimer.

Symptome ●



● ● ● ●

● ●

typische Symptom-Trias: – Muskelsteifheit (Rigor) – Verlangsamung der Bewegungen (Bradykinese) bis hin zur Bewegungsarmut (Akinese) – Ruhezittern (Ruhetremor) maskenhaftes Gesicht, gebückte Haltung, schlurfender und kleinschrittiger Gang Schwierigkeiten beim Starten von Bewegungen („freezing“) erhöhte Talgproduktion (Salbengesicht) Dranginkontinenz psychische Beeinträchtigungen: Depressivität, kognitive Störungen Sprechstörungen: Betroffene sprechen leise und monoton. Mikrografie: Schrift wird immer kleiner.

Folgeerkrankungen und Komplikationen ● ●

Demenz Nach 20 Jahren sind die meisten Patienten pflegebedürftig.

Diagnostik ● ●

klinische Symptomatik, v. a. Rigor, Tremor, Bradykinese Gabe von L-Dopa und Überprüfung, ob Symptomatik dann besser ist

Therapie Ziel: Krankheitsverlauf verzögern und Symptome lindern. Hauptansatzpunkt der medikamentösen Therapie ist die Behebung des Dopamin-Mangels. ● symptomatisches Parkinson-Syndrom: kausale Therapie (z. B. Absetzen von Neuroleptika) ● Eine kurative Therapie des idiopathischen Morbus Parkinson ist nicht möglich. ● Symptombekämpfung: – durch Medikamente: z. B. L-Dopa-Präparate, Dopaminagonisten (z. B. Piribedil), COMT-Hemmer (z. B. Entacapon)

464



– durch Hirnstimulation: elektronische Reizung über Elektroden in den Basalganglien Physio-, Ergo- und Logopädie

Mitwirken bei der Therapie ● Medikamentennebenwirkungen beobachten und ggf. dem Arzt rückmelden, z. B. treten Halluzinationen häufig bei Nacht auf, hilfreich kann ein Nachtlicht sein. ● L-Dopa muss eine halbe Stunde vor oder 90 Minuten nach dem Essen eingenommen werden. Es darf nicht gleichzeitig mit eiweißreichen Nahrungsmitteln eingenommen werden (z. B. mit Milch, Quark, Joghurt), da es sonst nicht ausreichend resorbiert werden kann. Bewegung Bewegungsübungen (z. B. Gehtraining, Gleichgewichtsübungen) der Physiotherapie in den Alltag integrieren ● Pflegeempfänger aktivieren, nicht überfordern, Pausen machen ● Ressourcen erhalten und Selbstständigkeit fördern ● Freezing: Da der erste Schritt nach vorn häufig schwierig ist, kann der Patient zuerst einen Schritt zur Seite machen oder auf der Stelle gehen. Zudem hilfreich sind optische oder akustische Reize, wie Marschmusik oder das Einüben eines Selbstkommandos. Der Patient sollte die Fersen zuerst aufsetzen und den Fuß abrollen (Schlurfen vermeiden!). ● bei Bedarf Hilfsmittel einsetzen (z. B. Gehstock), in Absprache mit der Physiotherapie ●

Körperpflege tägliches Waschen/Duschen ermöglichen, aufgrund der erhöhten Talgproduktion ● Selbstständigkeit fördern, z. B. – Hilfsmittel einsetzen (z. B. Elektrorasierer) – Reißverschlüsse anstelle von Knöpfen – Klettverschlüsse statt Schnürsenkel ●

Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). ● Pneumonieprophylaxe: Betroffene atmen oft nur oberflächlich ● Aspirationsprophylaxe: Schluckprobleme treten häufig auf (Logopädie hinzuziehen) ● Infektionsprophylaxe: wegen der starken Talgproduktion drohen Hautpilzinfektionen ● Sturzprophylaxen: aufgrund der Bewegungsstörungen, Dranginkontinenz ● Dekubitusprophylaxe: fehlende Eigenbewegung im Schlaf ● Prophylaxe der Mangelernährung: Pflegeempfänger benötigen viel Zeit bei der Nahrungsaufnahme

Motorische Degenerationen Ernährung ● Hilfsmittel einsetzen, aufgrund des Ruhetremors: z. B. Besteck mit verdickten Griffflächen, Teller mit erhöhtem Rand, stabile Gläser mit Strohhalm ● ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr achten, aufgrund vermehrter Schweißproduktion ● ausreichend Zeit einplanen, sonst besteht das Risiko einer Unter- oder Mangelernährung

Gleichzeitig können logo- und physiotherapeutische Übungen (z. B. Atemtherapie, Schlucktraining) anfangs das Leben mit der Erkrankung etwas erträglicher machen.

KOMPAK T Basalganglienerkrankungen

Ausscheidung Hilfsmittel bedarfsgerecht einsetzen, z. B. Urinflasche direkt am Bett ● Kontinenztraining (siehe Kap. 20.1.2)



psychosoziale Begleitung und Kommunikation logopädische Übungen in den Alltag integrieren ● soziale Kontakte fördern ● Erfolgserlebnisse schaffen, motivieren, sinnvolle Beschäftigung ermöglichen ● Selbsthilfegruppen vermitteln









Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über Erkrankung informieren, Gespräche anbieten ● Physiotherapie und Logopädie fortsetzen ● regelmäßige Zahnarztkontrollen: Zahnprothesen können sich aufgrund der Dyskinesien lockern (Kiefer verändert sich) ● Sport verbessert die Beweglichkeit (z. B. Nordic Walking, Wandern, Radfahren). ●

61.5.2 Chorea Huntington Definition Chorea Huntington Bei der Chorea Huntington kommt es aufgrund eines vererbten Gendefekts zum Untergang von hemmenden Neuronen in Endhirn- und Zwischenhirnkernen. Dies äußert sich in plötzlichen, unwillkürlichen Bewegungen. Später kommt es zur Demenz.



61.6 Motorische Degenerationen 61.6.1 Amyotrophe Lateralsklerose Definition Amyotrophe Lateralsklerose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems. Es sterben Neurone im Gehirn und Rückenmark ab, die für Bewegungsinformationen verantwortlich sind (Motoneurone). Die Ursache ist unklar.

Symptome ●

● ●

Symptome Die ersten Symptome treten meistens zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf. Typisch sind Zuckungen und unwillkürliche Bewegungen an Armen, Beinen und Gesicht (Hyperkinesien). Später sind auch andere Muskelgruppen betroffen. Die Persönlichkeit verändert sich, es kommt zur Demenz. Hinzu kommt eine schwere Dysphagie mit nachfolgender Kachexie.

● ●



Diagnostik

Therapie und Pflege Chorea Huntington ist nicht heilbar. Medikamentös können Neuroleptika und Dopaminantagonisten helfen. Pflegende achten auf eine ausreichende Kalorienzufuhr, da durch die übermäßige Bewegung ein erhöhter Kalorienbedarf besteht.

anfangs: Muskelzuckungen und Lähmungen in den Händen, später auch an Armen und Beinen Schluck- und Sprechstörungen Typisch ist das gleichzeitige Auftreten von spastischen und schlaffen Lähmungen. psychische Veränderungen Kognitive Fähigkeiten bleiben erhalten.

Folgeerkrankungen und Komplikationen



Die Krankheit kann durch den typischen autosomal dominant vererbten Gendefekt auf Chromosom 4 diagnostiziert werden. Kinder von Chorea-Huntington-Patienten erkranken mit einer 50 %igen Wahrscheinlichkeit auch. Sie sollten deshalb genetisch beraten werden, auch zur Familienplanung.

typische Symptom-Trias bei Morbus Parkinson: Rigor (Muskelsteifheit), Bradykinese (Bewegungsarmut), Tremor (Zittern). Insgesamt: zu wenig Bewegung Therapie des Morbus Parkinson: Linderung z. B. durch Dopaminagonisten oder „Gehirnschrittmacher“ typische Symptome bei Chorea Huntington: sind Zuckungen und unwillkürliche Bewegungen. Insgesamt: zu viel Bewegung Therapie der Chorea Huntington: Linderung z. B. durch Dopaminantagonisten

Die häufigste Todesursache von ALS-Patienten ist die Lähmung der Atemmuskulatur. ALS verläuft sehr unterschiedlich. Bei der Hälfte der Betroffenen liegt die Überlebenszeit nach der Diagnose allerdings bei lediglich 36–48 Monaten.

Diagnostik ● ●

klinische Symptomatik neurophysiologische Untersuchungen (Elektromyografie, Neurografie)

Therapie und Pflege ALS ist nicht heilbar. Das Medikament Riluzol kann in einer frühen Phase den Fortschritt der Erkrankung vorübergehend bremsen. Alle therapeutischen und pflegerischen Maßnah-

Motorische Degenerationen Ernährung ● Hilfsmittel einsetzen, aufgrund des Ruhetremors: z. B. Besteck mit verdickten Griffflächen, Teller mit erhöhtem Rand, stabile Gläser mit Strohhalm ● ausreichende Flüssigkeits- und Elektrolytzufuhr achten, aufgrund vermehrter Schweißproduktion ● ausreichend Zeit einplanen, sonst besteht das Risiko einer Unter- oder Mangelernährung

Gleichzeitig können logo- und physiotherapeutische Übungen (z. B. Atemtherapie, Schlucktraining) anfangs das Leben mit der Erkrankung etwas erträglicher machen.

KOMPAK T Basalganglienerkrankungen

Ausscheidung Hilfsmittel bedarfsgerecht einsetzen, z. B. Urinflasche direkt am Bett ● Kontinenztraining (siehe Kap. 20.1.2)



psychosoziale Begleitung und Kommunikation logopädische Übungen in den Alltag integrieren ● soziale Kontakte fördern ● Erfolgserlebnisse schaffen, motivieren, sinnvolle Beschäftigung ermöglichen ● Selbsthilfegruppen vermitteln









Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über Erkrankung informieren, Gespräche anbieten ● Physiotherapie und Logopädie fortsetzen ● regelmäßige Zahnarztkontrollen: Zahnprothesen können sich aufgrund der Dyskinesien lockern (Kiefer verändert sich) ● Sport verbessert die Beweglichkeit (z. B. Nordic Walking, Wandern, Radfahren). ●

61.5.2 Chorea Huntington Definition Chorea Huntington Bei der Chorea Huntington kommt es aufgrund eines vererbten Gendefekts zum Untergang von hemmenden Neuronen in Endhirn- und Zwischenhirnkernen. Dies äußert sich in plötzlichen, unwillkürlichen Bewegungen. Später kommt es zur Demenz.



61.6 Motorische Degenerationen 61.6.1 Amyotrophe Lateralsklerose Definition Amyotrophe Lateralsklerose Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems. Es sterben Neurone im Gehirn und Rückenmark ab, die für Bewegungsinformationen verantwortlich sind (Motoneurone). Die Ursache ist unklar.

Symptome ●

● ●

Symptome Die ersten Symptome treten meistens zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr auf. Typisch sind Zuckungen und unwillkürliche Bewegungen an Armen, Beinen und Gesicht (Hyperkinesien). Später sind auch andere Muskelgruppen betroffen. Die Persönlichkeit verändert sich, es kommt zur Demenz. Hinzu kommt eine schwere Dysphagie mit nachfolgender Kachexie.

● ●



Diagnostik

Therapie und Pflege Chorea Huntington ist nicht heilbar. Medikamentös können Neuroleptika und Dopaminantagonisten helfen. Pflegende achten auf eine ausreichende Kalorienzufuhr, da durch die übermäßige Bewegung ein erhöhter Kalorienbedarf besteht.

anfangs: Muskelzuckungen und Lähmungen in den Händen, später auch an Armen und Beinen Schluck- und Sprechstörungen Typisch ist das gleichzeitige Auftreten von spastischen und schlaffen Lähmungen. psychische Veränderungen Kognitive Fähigkeiten bleiben erhalten.

Folgeerkrankungen und Komplikationen



Die Krankheit kann durch den typischen autosomal dominant vererbten Gendefekt auf Chromosom 4 diagnostiziert werden. Kinder von Chorea-Huntington-Patienten erkranken mit einer 50 %igen Wahrscheinlichkeit auch. Sie sollten deshalb genetisch beraten werden, auch zur Familienplanung.

typische Symptom-Trias bei Morbus Parkinson: Rigor (Muskelsteifheit), Bradykinese (Bewegungsarmut), Tremor (Zittern). Insgesamt: zu wenig Bewegung Therapie des Morbus Parkinson: Linderung z. B. durch Dopaminagonisten oder „Gehirnschrittmacher“ typische Symptome bei Chorea Huntington: sind Zuckungen und unwillkürliche Bewegungen. Insgesamt: zu viel Bewegung Therapie der Chorea Huntington: Linderung z. B. durch Dopaminantagonisten

Die häufigste Todesursache von ALS-Patienten ist die Lähmung der Atemmuskulatur. ALS verläuft sehr unterschiedlich. Bei der Hälfte der Betroffenen liegt die Überlebenszeit nach der Diagnose allerdings bei lediglich 36–48 Monaten.

Diagnostik ● ●

klinische Symptomatik neurophysiologische Untersuchungen (Elektromyografie, Neurografie)

Therapie und Pflege ALS ist nicht heilbar. Das Medikament Riluzol kann in einer frühen Phase den Fortschritt der Erkrankung vorübergehend bremsen. Alle therapeutischen und pflegerischen Maßnah-

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Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems men zielen darauf ab, Lebensqualität und Fähigkeiten möglichst lange zu erhalten. Wenn die Atemmuskulatur zu schwach wird, muss beatmet werden. Pflegende unterstützen bei Körperpflege, Essen und Trinken, Ausscheidung etc. Wichtig sind Prophylaxen, z. B. die Aspirationsprophylaxe.

61.7 Demenz Definition Demenz Demenz ist der Verlust von kognitiven und sozialen Fähigkeiten. Ursache ist der fortschreitende Abbau von Hirngewebe. Prävalenz • Ungefähr 1,2 Mio. Menschen in Deutschland leiden an einer Demenz. Dabei sind: ● 50–60 % Demenzen vom Alzheimer-Typ ● 20–30 % vaskuläre Demenzen ● 10–20 % andere Demenzerkrankungen

61.7.1 Alzheimer-Typ Definition Alzheimer-Typ Bei einer Demenz vom Alzheimer-Typ (Morbus Alzheimer) geht Nervengewebe in der Hirnrinde verloren. Die genaue Ursache ist nicht bekannt. Wahrscheinlich sind mehrere Gene und Umweltfaktoren beteiligt.

Ursache ●



Der Auslöser ist unbekannt. Bei den Patienten kommt es zu einer vermehrten Ablagerung von Beta-Amyloid-Peptiden v. a. um Gefäße herum („senile Plaques“) und zur Ablagerung von Tau-Proteinen in den Nervenzellen. Ob diese Phänomene ursächlich sind oder nur eine Krankheitsfolge, ist allerdings unklar. Der Botenstoff Glutamat ist erhöht und Acetylcholin erniedrigt.

Symptome ●









schleichende Störung der Merkfähigkeit, zunächst v. a. des Kurzzeitgedächtnisses meist zunächst zeitliche, dann auch räumliche Desorientierung, die oft zuerst von nahestehenden Personen und dann erst vom Patienten selbst erkannt wird Schlaflosigkeit, Unruhe, Angst, Inkontinenz, Erregungszustände im späteren Stadium Persönlichkeitsveränderungen, oft verbunden mit aggressivem Verhalten oder Abgleiten in Depression im Spätstadium: Störung des Langzeitgedächtnisses, Angehörige werden nicht mehr erkannt, Pflegebedürftigkeit, Bettlägerigkeit.

Diagnostik ●





466

psychiatrische und neurologische Tests: z. B. Uhren-Zeichen-Test, Mini-Mental-Status-Test (MMST) Liquoruntersuchung: erhöhte Konzentration von Tau-Proteinen und Beta-Amyloid-Peptiden bildgebende Verfahren (CT, MRT): z. B. Nachweis einer Hirnatrophie

● ●

EEG: Allgemeinveränderung, diffuse Störung definitive Diagnosestellung erst nach dem Tod durch Untersuchung von Hirngewebe möglich

Therapie ● ● ●



Es gibt keine kurative Therapie. Physio-, Musik-, Kunst- und Ergotherapie psychosoziale Therapieansätze: Biografiearbeit, Realitätsorientierungstraining (ROT), Validation, 10-Minuten-Aktivierung, Snoezelen Medikamente: Acetylcholinesterasehemmer, z. B. Rivastigmin (verzögert Abbau von Acetylcholin) und NMDA-Antagonist Memantin (blockiert Glutamat) können kognitive Leistungen vorübergehend verbessern.

Pflege Beachten Sie auch das Kap. 33.3 zur Pflege von Menschen mit Demenz in der Klinik. Bewegung • Ein ausgeprägter Bewegungsdrang gehört zum Krankheitsbild, dem Raum gegeben werden sollte. Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). ● Sturzprophylaxe: aufgrund des erhöhten Bewegungsdrangs, Harninkontinenz, Einschränkungen der Sehfähigkeit ● Pneumonieprophylaxe: Die häufigste Todesursache von Menschen mit Demenz ist die Pneumonie! ● Kontrakturenprophylaxe ● Prophylaxe der Mangelernährung: s. u. „Ernährung“ Ernährung auf gesteigerten Kalorienverbrauch achten: aufgrund von Unruhe, erhöhtem Bewegungsdrang, Schluckstörungen, Sprachstörungen (Hunger und Durst können nicht mehr verbal geäußert werden) ● an Nahrungsaufnahme und Trinken erinnern ● Nahrungs- und Trinkprotokolle führen und auf Anzeichen einer Exsikkose und Unterernährung achten ● Ernährungsgewohnheiten und Vorlieben berücksichtigen (Biografiearbeit) ●

Kommunikation siehe Kap. 33.3.3 ● Orientierungshilfen geben: – zur eigenen Person (z. B. Betroffene mit Namen ansprechen) – zur Zeit (z. B. je nach Tageszeit begrüßen) – zur Räumlichkeit (z. B. Bilder an Türen anbringen) – zur Situation (z. B. in kurzen Sätzen zu einer Tätigkeit anleiten) ● Sicherheit vermitteln: z. B. durch Rituale, feste Tagesstruktur ● Basale Stimulation: Im fortgeschrittenen Stadium kann mithilfe dieses Konzepts nonverbal kommuniziert werden (siehe Kap. 51). ● Wertschätzung: loben und nicht kritisieren ●

Demenz psychosoziale Therapieansätze • Die Ansätze können sinnvoll kombiniert und in den Alltag integriert werden. ● Biografiearbeit: Grundlage weiterer Ansätze. Dabei spielen weniger Eckdaten wie Name, Geburtsort und Beruf im Vordergrund, sondern mehr die „kleinen Geschichten“, diese bleiben länger im Gedächtnis. ● Validation: Kommunikationstechnik, bei der das individuelle Erleben des Menschen mit Demenz in den Vordergrund rückt. Es wird weniger auf der Inhaltsebene, sondern mehr auf der Beziehungsebene kommuniziert. Die Grundhaltung ist geprägt von Wertschätzung, Annahme und Akzeptanz des Betroffenen. ● 10-Minuten-Aktivierung: kurze Konfrontation (am besten über mehrere Sinne) mit Themenkästen (z. B. Kochen, Gartenarbeit) ● Erinnerungspflege: Aktivierungsangebot auf Grundlage der Biografie des Menschen (z. B. mit Seife, Foto) ● Snoezelen: – Ziel: Sicherheit vermitteln, Entspannung ermöglichen und Aggressionen abbauen – Zugang über visuelle, akustische und olfaktorische Reize Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten • Häufig übernehmen Angehörige die Pflege und benötigen daher Unterstützung und Information, z. B. über ● das Krankheitsbild, den Verlauf und mögliche Symptome (z. B. Aggression), ● Möglichkeiten der Entlastung (z. B. Tages-, Kurzzeit- und Verhinderungspflege, häusliche Pflege, Nachbarschaftshilfe) ● Beratungsangebote (z. B. zur Pflege, zum Wohnraum) ● Selbsthilfegruppen und ● Medikamentenwirkung und -nebenwirkung. Grundsätzlich sollten Gespräche angeboten werden, um über Ängste und Sorgen sprechen zu können (oft leiden Angehörige an Schuldgefühlen). Aggression und Demenz • Demenzkranke Menschen finden sich im Alltag nicht mehr zurecht, sind verunsichert und überfordert, was zu unfreundlichem und aggressiven Verhalten führen kann. Tipps zum Umgang: ● Eigenschutz, Pflegemaßnahme abbrechen, Verhalten ignorieren, ablenken ● ruhig bleiben, Verhalten nicht persönlich nehmen ● nicht auf Streit einlassen, nicht auf der Realität beharren ● Gefühle ansprechen, in den Arm nehmen ● Orientierungshilfe geben (z. B. zu Ort, Zeit, Person) ● dokumentieren, im Team austauschen, Supervision, Angehörige, Mitmenschen und Arzt informieren ● ggf. Rahmenbedingungen anpassen (z. B. Hektik vermeiden, mehr Licht zur besseren Orientierung)

61.7.2 Vaskuläre Demenz Definition Vaskuläre Demenz Die vaskuläre Demenz entsteht durch eine Durchblutungsstörung im Gehirn. Betroffen sind Hirnbereiche unterhalb der Hirnrinde. Sie wird auch als Multi-Infarkt-Demenz (MID) oder arteriosklerotische Demenz bezeichnet.

Ursache ●



Chronische Durchblutungsstörungen durch arteriosklerotische Gefäßveränderungen. Diese führen zu kleinen Hirninfarkten. Risikofaktoren: Diabetes mellitus, Bluthochdruck

Symptome ● ● ●





schubweiser Verlauf (hängt mit Infarkten zusammen) Antriebsstörungen, Konzentrationsstörungen Stimmungsschwankungen: rascher Wechsel von Lachen und Weinen Hirninfarkte führen zu fokal-neurologischen Ausfällen wie Halbseitenlähmung, Sprachstörung, Gangstörung und gesteigerten Muskeleigenreflexen. Persönlichkeit und Sozialverhalten bleiben erhalten.

Diagnostik ● ● ●

Anamnese bildgebende Verfahren (CT, MRT) Ultraschalluntersuchung der hirnversorgenden Arterien

Therapie und Pflege ●

● ●

Minimierung der Risikofaktoren: z. B. Blutdruckeinstellung bei Hypertonie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie siehe „Pflege bei Demenz vom Alzheimer-Typ“ (S. 466)

KOMPAK T Demenz ●





● ●

Ursache: fortschreitender Abbau von Hirngewebe. Dadurch Verlust von kognitiven und sozialen Fähigkeiten. > 50 % sind vom Alzheimer-Typ (mit Ablagerung von Beta-Amyloid-Peptiden). vaskuläre Demenz: Abbau von Hirngewebe durch multiple Durchblutungsstörungen Keine Demenzform ist heilbar. Pflege: Patienten beim Orientieren helfen, wertschätzendes Ansprechen, Stärken loben, nicht ständig wegen verlorenen Realitätsbezugs korrigieren

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems

61.8 Erkrankungen am Rückenmark 61.8.1 Querschnittsyndrom Definition Querschnitt Bei einem Querschnittsyndrom (Querschnittlähmung) ist das Rückenmark traumatisch so beschädigt, dass die für die Versorgung der darunterliegenden Körperregion zuständigen Nervenbahnen komplett oder vollständig unterbrochen sind.

Ursache ● ● ● ● ●

Abb. 61.3 Einschränkungen durch Rückenmarktraumen unterschiedlicher Höhe. 1 2 3 4 5 6 7 8 1 2 3

Halsmarkläsion 4

Unfall (häufigste Form) = traumatische Querschnittlähmung Tumor Entzündungen Durchblutungsstörungen Multiple Sklerose

5 6 7 8 9

Symptome

10

Die Ausfallsymptome betreffen neurologische Funktionen unterhalb des beschädigten Rückenmarksegments. Sie sind abhängig von Art, Ort und Ausmaß der Schädigung (▶ Abb. 61.3). ● kurz nach dem Trauma: schlaffe Lähmung; später: spastische Lähmung ● Empfindungsstörungen oder -verlust (z. B. Beeinträchtigung der Sexualfunktion) ● Störungen des vegetativen Systems, z. B. – Hypotonie: besonders bei Positionswechsel kann es zu akuten Blutdruckabfällen kommen (orthostatische Hypotonie). Bei Läsionen im oberen Bereich des Rückenmarks besteht das Risiko der Blutdruckdysregulation. Dabei steigt der Blutdruck nach einem unspezifischen Reiz extrem an. – Puls: häufig Bradykardien mit Herzfrequenzen unter 60 Schlägen/min ● Bei Verletzungen des Rückenmarks oberhalb des 4. Halswirbelkörpers kann es zur Tetraparese und zum Ausfall des Atem- oder Kreislaufzentrums sowie zur Zwerchfelllähmung kommen.

11

Brustmarkläsion

12 1 2 3 4 5

Lumbalmarkläsion

Diagnostik ●



Konus-/Kaudasyndrom

neurologische Untersuchung: Welche Funktionen sind verloren? bildgebende Verfahren: CT, MRT

Nach: Rohkamm R, Kermer P. Taschenatlas Neurologie. Thieme; 2009

Therapie ●







● ●

468

am Unfallort: Patienten ruhig lagern, Vitalfunktionen sicherstellen Transport: Vakuummatratze mit Zervikalstütze zur Sicherung der Halswirbelsäule Gabe von Schmerzmitteln und Kortison (Ödementwicklung soll verhindert werden) Die Rückenmarkskompression muss operativ entlastet und die Wirbelsäule stabilisiert werden. medikamentöse Therapie von Hypotonie und Bradykardie Nach Akuttherapie beginnt Rehabilitation in Spezialzentren (Physio- und Ergotherapie) mit dem Ziel der Reintegration in den Alltag

Pflege Akutsituation Beobachtung • Engmaschige Überwachung der Vitalparameter (Monitoring, siehe Kap. 45). ● Atmung: Bei Querschnittverletzungen im oberen Bereich des Rückenmarks kann die Atmung stark eingeschränkt sein, ggf. muss intubiert und maschinell beatmet werden. ● Blutdruck: Thromboseprophylaxestrümpfe, ausreichend Flüssigkeitszufuhr und Medikamente auf Arztanordnung bei Hypotonie ● Puls: Medikamente auf Arztanordnung bei Bradykardie

Erkrankungen am Rückenmark

ACHTUNG Bei einer hohen Querschnittlähmung ist oft die vegetative Kontrolle des Herz-Kreislauf-Systems gestört. Plötzliche Blutdruckanstiege sind möglich, ebenso wie Bradykardien bzw. sogar Asystolien. Blutdruck und Herzfrequenz müssen deshalb (v. a. in den Tagen nach dem Unfall) engmaschig kontrolliert werden. Positionierung ● Verdrehungen der Wirbelsäule und abrupte Bewegungen vermeiden ● Beim Positionswechsel muss der Körper des Patienten en bloc gedreht werden (mit 2–3 Personen) ● ggf. Kleidung aufschneiden ● ggf. Verwendung einer Zervikalstütze, bei Verdacht auf eine Verletzung der Halswirbelsäule

psychosoziale Begleitung • Die Patienten befinden sich in einer äußerst schwierigen Krisensituation. Aus einem aktiven, selbstbestimmten Leben ist auf einen Schlag eine umfassende Abhängigkeit geworden, die schwer zu ertragen ist. Mögliche Unterstützung: ● Gesprächsbereitschaft signalisieren ● Reaktionen wie Wut, Aggression, Verzweiflung und Traurigkeit Raum geben und akzeptieren ● alle Interventionen und Pflegehandlungen genau erklären ● auf Selbsthilfegruppen hinweisen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten über Krankheitsbild, den Verlauf und mögliche Symptome (z. B. Sexualfunktion) informieren ● auf Beratungsangebote hinweisen (z. B. zur Pflege, zum Wohnraum) ●

Schmerzmanagement • Bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37. Durch die Irritation einzelner Nerven können Schmerzen unterhalb und auf der Höhe der Rückenmarksverletzung auftreten (sog. neuropathische Schmerzen).

KOMPAK T Querschnittsyndrom ●

Im weiteren Krankheitsverlauf Mobilisation und Körperpflege ● Prinzipien des Bobath-Konzepts anwenden (siehe Kap. 52), zur Förderung der Körperwahrnehmung, Normalisierung des Muskeltonus und Anbahnung von normalen Bewegungsabläufen ● Ressourcen erhalten und Selbstständigkeit fördern ● Geh- und Sitzübungen ● Prinzipien der Basalen Stimulation anwenden (siehe Kap. 51), zur Förderung der Körperwahrnehmung ● Geh- und Stehübungen der Physiotherapie in den Alltag integrieren ● Umgang mit Hilfsmitteln einüben, in Absprache mit der Physiotherapie (z. B. Rollstuhl) ● Kontrolle der Körper-, Raum- und Wassertemperatur, da das Temperaturempfinden und die Schweißsekretion gestört sein können Ernährung ● ggf. eine Magensonde legen ● Bei stabilisierter Wirbelsäule ist Essen sitzend möglich, ggf. Einsatz von Hilfsmitteln (z. B. Griffverdickung). Ausscheidung ● auf eine regelmäßige und vollständige Entleerung der Blase achten, ggf. durch Katheterisierung (auf Arztanordnung, siehe Kap. 22) ● auf eine regelmäßige Entleerung des Darms achten (siehe Kap. 27) Prophylaxen • Bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4). ● Pneumonieprophylaxe: Bei Lähmungen der Atemhilfsmuskulatur ist das Risiko stark erhöht. ● Dekubitus-, Thrombose- Kontrakturenprophylaxe: aufgrund der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit ● Obstipationsprophylaxe: aufgrund der vegetativen Störung der Darmtätigkeit











Bei einem Querschnittsyndrom (Querschnittlähmung) ist das Rückenmark im Querschnitt beschädigt mit Ausfall der distalen neurologischen Funktionen. häufigste Ursache: Unfall (traumatische Querschnittlähmung) Symptome: abhängig von Art, Ort und Ausmaß der Schädigung Akutphase: engmaschige Kontrolle von RR und Herzfrequenz (Hypotonie-/Asystolie-Gefahr) Therapie: Rückenmarksdekompression und Stabilisierung der Wirbelsäule Pflege: Verdrehungen der Wirbelsäule vermeiden, Ausscheidungen sicherstellen, Prophylaxen anwenden, Schmerzmanagement, psychosoziale Begleitung

61.8.2 Bandscheibenvorfall Definition Bandscheibenvorfall Bei einem Bandscheibenvorfall drückt Bandscheibengewebe in den Wirbelkanal. Sobald auf eine Nervenwurzel gedrückt wird, entstehen Beschwerden.

Ursache ● ● ● ● ●

Übergewicht chronischer Bewegungsmangel ständige schwere körperliche Belastung Beckenschiefstand durch Beinverkürzung Wirbelsäulenverkrümmung und angeborenes Wirbelgleiten

Verlaufsformen Protrusion: Der Faserring der Bandscheibe wölbt sich nach vorn. ● Prolaps: Der äußere Faserring ist perforiert und der Gallertkern tritt nach vorn (Bandscheibenvorfall im eigentlichen Sinne). ● Sequester: Von der Bandscheibe abgetrenntes Material befindet sich im Wirbelkanal. ●

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems

Symptome ●





KOMPAK T

ausstrahlende, ziehende Rückenschmerzen in der betroffenen Region Im Verlauf neurologische Ausfälle: Empfindungsstörungen, Lähmungen (durch Funktionsbeeinträchtigung der betroffenen Nerven) schmerzbedingte Schonhaltung (z. B. „Schiefhals“ oder „Ischias-Skoliose“)

Bandscheibenvorfall ●





Komplikationen und Folgeerkrankungen ●



Diagnostik ● ●



Anamnese körperliche Untersuchung: Reflexprüfung, Lasègue-Test (Schmerzen beim Dehnen des Ischiasnervs?) bildgebende Verfahren: v. a. MRT

Therapie ●



konservative Behandlung (reicht in 90 % der Fälle aus): – Schmerzmedikation (z. B. Diclofenac), ggf. lokale Kortison-Injektion – physikalische und manuelle Therapie – lokale Wärmebehandlung (Fangopackungen) – Massagen bei andauernden Schmerzen und Lähmungen: Operation zur Entlastung der Nervenwurzel

Pflege ●





● ●



470



Konus- oder Cauda-Syndrom (lebensgefährlich, sofortige Operation): Das gesamte Nervenbündel im Wirbelkanal ist betroffen. Es kommt zur „Reithosenanästhesie“ mit Sensibilitätsstörungen an der Oberschenkelinnenseite. Wurzeltod: Der Druck auf die Nervenwurzel ist so stark, dass sie zerstört ist mit der Folge eines anhaltenden Funktionsausfalls.

Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37. ggf. Positionierung in Stufenbettlage, um die Bandscheibe zu entlasten (bei lumbalem Vorfall) Anleiten zu bandscheibenschonenden Bewegungsabläufen, z. B. beim Bücken (in die Hocke gehen, Wirbelsäule gestreckt halten) oder zum richtigen Aufstehen aus dem Bett (Beine anziehen, En-bloc-Drehung in Seitenlage, dann seitlich hochdrücken) bei Sensibilitätsstörungen: auf Wassertemperatur achten postoperative Pflege: z. B. Schmerzerfassung, Sekret in Drainage überwachen (Liquor?), Beweglichkeit und Sensorik der Extremitäten prüfen, Nierentätigkeit überwachen, Drehen immer en bloc, möglichst Sitzen vermeiden zu Sport und Physiotherapie motivieren





Ursache: Bandscheibengewebe drückt im Wirbelkanal auf Nervengewebe. Symptome: Rückenschmerzen, ggf. neurologische Ausfälle, schmerzbedingte Schonhaltung Verlaufsformen: Protrusion, Prolaps oder Sequester lebensgefährliche Komplikation: Konus- oder CaudaSyndrom Therapie: 90 % heilen konservativ aus. Bei progredienter Parese: OP. Pflege: Schmerzmanagement, Screening auf Verschlechterung der Symptome, Anleitung zur richtigen Haltung, Motivation zum Sport

61.8.3 Spinalkanalstenose Definition Spinalkanalstenose Bei einer Spinalkanalstenose ist der Spinalkanal (Wirbelkanal) durch Weichteil- oder Knochengewebe eingeengt.

Ursache ●



degenerative Veränderungen: z. B. durch knöcherne Auswüchse an den Wirbelkörpern lokale Raumforderungen: z. B. durch Tumoren, Entzündungen

Symptome ●



Zervikalkanalstenose: Schmerzen im Nacken, ggf. mit Ausstrahlung in den Arm. Paresen (Gefühlsstörungen), Blasen- und Mastdarmstörungen Lumbalkanalstenose: Schmerzen und Gefühlsstörungen in den Beinen. Bei Bewegungen, bei denen der Oberkörper nach vorne gebeugt wird, bessern sich Beschwerden.

Therapie und Pflege ● ● ●



konservativ mit Schmerzmitteln (z. B. Diclofenac) Physiotherapie bei neurologischen Ausfällen: operative Erweiterung des Spinalkanals Pflege, siehe Bandscheibenvorfall (S. 469)

Kopf- und Gesichtsschmerzen

61.9 Kopf- und Gesichtsschmerzen 61.9.1 Spannungskopfschmerz Definition Spannungskopfschmerz Spannungskopfschmerzen sind Kopfschmerzen mittlerer Intensität ohne neurologische Begleitsymptome und ohne nachweisbare Ursache.

Symptome ●

● ●

beidseitige, drückend-ziehende, nicht pulsierende, leichte bis mäßige Kopfschmerzen (Gefühl, als hätte man einen zu engen Hut auf) keine Schmerzverstärkung bei körperlicher Aktivität evtl. Lärm- und Lichtempfindlichkeit möglich

Therapie ●

● ● ●

kurzfristig medikamentös mit Analgetika (z. B. Ibuprofen, Aspirin) zur Prophylaxe: Amitriptylin, Dozepin, Imipramin Entspannungsverfahren Physiotherapie

Pflege ● ● ● ●



mit Pfefferminzöl Stirn und Schläfen einreiben kalten Waschlappen auf die Stirn legen ggf. Zimmer abdunkeln Patienten darüber informieren, dass Dauergebrauch von NSAR wie Ibuprofen zu medikamenteninduzierten Kopfschmerzen führen kann Aufklärung über die prophylaktische Wirkung von Ausdauersport, gesunder Ernährung, Entspannung und dem Verzicht auf Alltagsdrogen wie Alkohol

Stunden bis Tage nach diesen Symptomen beginnt der Migräneanfall, häufig mit einer Aura (Auraphase). Diese äußert sich oft mit einer einseitigen Sehstörung, z. B. einem „Flimmerskotom“, oder mit Lähmungen, Sprachstörungen oder sonstigen fokal-neurologischen Ausfällen. Die eigentliche Kopfschmerzphase dauert 4–72 Stunden. Der Schmerz ist bohrend-hämmernd, meist einseitig und oft hinter der Schläfe oder dem Auge lokalisiert. Die Patienten sind licht- und lärmempfindlich. Vielen ist übel. Bei Kindern kann die Migräne auch ohne Kopfschmerzen, nur mit Bauchschmerz und Schwindel, ablaufen.

Diagnostik ● ●

Anamnese ggf. MRT (Ausschluss anderer Ursachen)

Therapie ● ●



Akuttherapie: Analgetikum, Antiemetikum Medikation: Triptane z. B. Sumatriptan (bei starken Schmerzen) Migräneprophylaxe: Beta-Blocker, Antikonvulsiva, Ausdauersport

ACHTUNG Triptane dürfen nur an ≤ 10 Tagen/Monat eingesetzt werden. Der übermäßige Gebrauch von Analgetika führt zum Dauerkopfschmerz!

Pflege ●

● ● ● ●

Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 Medikamentenverabreichung nach Arztanordnung Lärmquellen vermeiden, Raum abdunkeln auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten anleiten zum Führen eines Schmerztagebuchs und zu geregeltem Tagesablauf über Sport und Entspannungstechniken aufklären und dazu motivieren Angebote zu Körperschmerzseminaren vermitteln

61.9.2 Migräne



Definition Migräne



Bei Migräne erleiden Betroffene starke, oft einseitige Kopfschmerzattacken, häufig mit Übelkeit und Erbrechen sowie einer erhöhten Licht- und Lärmempfindlichkeit.

61.9.3 Trigeminusneuralgie

Ursache ●



Genetische Veranlagung führt zu kortikaler Erregbarkeit und Empfindlichkeit für Schmerzreize. Die Attacken werden ausgelöst durch innere oder äußere Einflüsse, z. B. Änderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus (Schichtarbeit), Hormonveränderungen (Menstruation) oder psychische Belastungen (Stress).

Symptome Eine Migräneattacke beginnt häufig mit einer Prodromalphase mit Plus- und Minussymptomen: ● Plussymptome: Heißhunger, Überaktivität, Euphorie ● Minussymptome: Gereiztheit, Müdigkeit, Obstipation

Definition Trigeminusneuralgie Trigeminusneuralgie ist ein meist einseitiger, attackenartiger starker Gesichtsschmerz im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus (V. Hirnnerv).

Ursache ●



idiopathische Form: Ursache unklar (möglicherweise wird Nerv durch eine Gefäßschlinge eingeklemmt) symptomatische Form: z. B. infolge einer MS, Gefäßläsion, Herpes-zoster-Infektion, Schädelbasisfraktur

Symptome ●

heftiger, plötzlicher Schmerz im Bereich des Trigeminusnervs

Kopf- und Gesichtsschmerzen

61.9 Kopf- und Gesichtsschmerzen 61.9.1 Spannungskopfschmerz Definition Spannungskopfschmerz Spannungskopfschmerzen sind Kopfschmerzen mittlerer Intensität ohne neurologische Begleitsymptome und ohne nachweisbare Ursache.

Symptome ●

● ●

beidseitige, drückend-ziehende, nicht pulsierende, leichte bis mäßige Kopfschmerzen (Gefühl, als hätte man einen zu engen Hut auf) keine Schmerzverstärkung bei körperlicher Aktivität evtl. Lärm- und Lichtempfindlichkeit möglich

Therapie ●

● ● ●

kurzfristig medikamentös mit Analgetika (z. B. Ibuprofen, Aspirin) zur Prophylaxe: Amitriptylin, Dozepin, Imipramin Entspannungsverfahren Physiotherapie

Pflege ● ● ● ●



mit Pfefferminzöl Stirn und Schläfen einreiben kalten Waschlappen auf die Stirn legen ggf. Zimmer abdunkeln Patienten darüber informieren, dass Dauergebrauch von NSAR wie Ibuprofen zu medikamenteninduzierten Kopfschmerzen führen kann Aufklärung über die prophylaktische Wirkung von Ausdauersport, gesunder Ernährung, Entspannung und dem Verzicht auf Alltagsdrogen wie Alkohol

Stunden bis Tage nach diesen Symptomen beginnt der Migräneanfall, häufig mit einer Aura (Auraphase). Diese äußert sich oft mit einer einseitigen Sehstörung, z. B. einem „Flimmerskotom“, oder mit Lähmungen, Sprachstörungen oder sonstigen fokal-neurologischen Ausfällen. Die eigentliche Kopfschmerzphase dauert 4–72 Stunden. Der Schmerz ist bohrend-hämmernd, meist einseitig und oft hinter der Schläfe oder dem Auge lokalisiert. Die Patienten sind licht- und lärmempfindlich. Vielen ist übel. Bei Kindern kann die Migräne auch ohne Kopfschmerzen, nur mit Bauchschmerz und Schwindel, ablaufen.

Diagnostik ● ●

Anamnese ggf. MRT (Ausschluss anderer Ursachen)

Therapie ● ●



Akuttherapie: Analgetikum, Antiemetikum Medikation: Triptane z. B. Sumatriptan (bei starken Schmerzen) Migräneprophylaxe: Beta-Blocker, Antikonvulsiva, Ausdauersport

ACHTUNG Triptane dürfen nur an ≤ 10 Tagen/Monat eingesetzt werden. Der übermäßige Gebrauch von Analgetika führt zum Dauerkopfschmerz!

Pflege ●

● ● ● ●

Schmerzmanagement: bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten bzw. chronischen Schmerzen“ und siehe Kap. 37 Medikamentenverabreichung nach Arztanordnung Lärmquellen vermeiden, Raum abdunkeln auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten anleiten zum Führen eines Schmerztagebuchs und zu geregeltem Tagesablauf über Sport und Entspannungstechniken aufklären und dazu motivieren Angebote zu Körperschmerzseminaren vermitteln

61.9.2 Migräne



Definition Migräne



Bei Migräne erleiden Betroffene starke, oft einseitige Kopfschmerzattacken, häufig mit Übelkeit und Erbrechen sowie einer erhöhten Licht- und Lärmempfindlichkeit.

61.9.3 Trigeminusneuralgie

Ursache ●



Genetische Veranlagung führt zu kortikaler Erregbarkeit und Empfindlichkeit für Schmerzreize. Die Attacken werden ausgelöst durch innere oder äußere Einflüsse, z. B. Änderungen im Schlaf-Wach-Rhythmus (Schichtarbeit), Hormonveränderungen (Menstruation) oder psychische Belastungen (Stress).

Symptome Eine Migräneattacke beginnt häufig mit einer Prodromalphase mit Plus- und Minussymptomen: ● Plussymptome: Heißhunger, Überaktivität, Euphorie ● Minussymptome: Gereiztheit, Müdigkeit, Obstipation

Definition Trigeminusneuralgie Trigeminusneuralgie ist ein meist einseitiger, attackenartiger starker Gesichtsschmerz im Versorgungsgebiet des Nervus trigeminus (V. Hirnnerv).

Ursache ●



idiopathische Form: Ursache unklar (möglicherweise wird Nerv durch eine Gefäßschlinge eingeklemmt) symptomatische Form: z. B. infolge einer MS, Gefäßläsion, Herpes-zoster-Infektion, Schädelbasisfraktur

Symptome ●

heftiger, plötzlicher Schmerz im Bereich des Trigeminusnervs

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems ●





Attacken können bis zu 100-mal am Tag über Wochen bis Monate auftreten. vegetative Begleitsymptome: Hautrötung, Tränen-, Nasen-, Speichelsekretion Schlucken, Kauen, Sprechen, Luftzug können Schmerzanfälle auslösen.

Diagnostik ● ●

Anamnese und klinischer Befund MRT, CT, Liquoruntersuchung zum Ausschluss der symptomatischen Form

Therapie und Pflege ●



● ●



Antikonvulsiva, z. B. Carbamazepin (Analgetika reichen nicht aus) sollte Gefäßschlinge um den Nerv die Ursache sein: Entlastungs-OP evtl. operative Läsion das Ganglion trigeminale auf ausreichende Flüssigkeits- und Nährstoffzufuhr achten (Patienten vermeiden aus Angst vor Schmerzauslösung die Nahrungsaufnahme) Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermitteln

KOMPAK T Kopf- und Gesichtsschmerzen ●





Spannungskopfschmerzen: Kopfschmerzen mittlerer Intensität ohne neurologische Begleitsymptome und ohne Ursache Migräne: meist einseitige Kopfschmerzattacken, häufig mit Übelkeit und Erbrechen, kombiniert mit einer Lichtund Lärmempfindlichkeit Trigeminusneuralgie: meist einseitiger, attackenartiger starker Gesichtsschmerz im Versorgungsgebiet des N. trigeminus (V. Hirnnerv).

61.10 Erkrankungen im peripheren Nervensystem

Diagnostik ● ●

Anamnese klinischer Befund

Therapie und Pflege ●





konservative Behandlung: Ruhigstellung der Hand und entzündungshemmende Medikamente, z. B. Diclofenac operative Behandlung: operative Durchtrennung des „Dachs“ des Karpaltunnels, des Retinaculum flexorum (dadurch wird Druck auf N. medianus genommen) postoperativ: Schmerzmanagement, Hochlagerung des Arms, Ruhigstellung, auf Durchblutung der Finger achten, bei Zyanose der Finger, Nachblutungen, Gefühlsstörungen, Hämatom: sofort Arzt informieren

61.10.2 Guillain-Barré-Syndrom Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute entzündliche Erkrankung peripherer Nerven und Nervenwurzeln (Polyneuroradikulitis). Durch eine Autoimmunreaktion werden die Myelinscheiden von peripheren Nerven zerstört. Typisch sind aufsteigende Lähmungen: Erst sind Füße, dann Beine, dann Hände, Arme, Beckengürtel, Rumpfmuskulatur und schließlich Atemmuskulatur (!) und Gesichtsmuskulatur betroffen. Ist das vegetative Nervensystem mitbetroffen, besteht die Gefahr der Bradykardie. In den meisten Fällen verschwinden die Lähmungserscheinungen nach einigen Wochen wieder in der umgekehrten Reihenfolge ihres Auftretens. Therapeutisch ist ggf. eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmung erforderlich. Mit einer Plasmapherese könnten die Autoimmunantikörper aus dem Blut entfernt werden. Pflegende kümmern sich um die erforderlichen Prophylaxen (z. B. Kontrakturenprophylaxe und Thromboseprophylaxe). Bei fehlender Kau- und Schluckbewegungen muss auf eine gründliche Mundpflege (Speicheldrüsen werden unzureichend angeregt) und Ernährungsunterstützung (ggf. Ernährungssonde) geachtet werden. Wichtig ist zudem, die Patienten darüber aufzuklären, dass die Symptome sehr wahrscheinlich nur vorübergehend anhalten.

KOMPAK T

61.10.1 Karpaltunnelsyndrom Definition Karpaltunnelsyndrom (KTS) Bei einem Karpaltunnelsyndrom (Medianuskompressionssyndrom) wird der N. medianus im Karpaltunnel komprimiert.

Erkrankungen peripherer Nerven ●

Ursache Auslöser der Kompression sind z. B. entzündliche Prozesse im Karpaltunnel, Verletzungen oder metabolische Ursachen (z. B. Diabetes mellitus oder eine Schwangerschaft).

Symptome ● ● ●

472

Kribbeln, Schmerzen, Taubheitsgefühl in der Hand Feinmotorik nimmt ab Kraft in der Hand lässt nach



Karpaltunnelsyndrom: Schädigung des Nervus medianus durch Einengung des Karpaltunnels. Verbunden mit Schmerzen, Parästhesien und Muskelatrophie in der Hand. Operative Therapie: Durchtrennung des Karpaltunnel-Dachs. Guillain-Barré-Syndrom: akute entzündliche, autoimmune Schädigung peripherer Nerven mit aufsteigenden Lähmungen bis hin zur Atemlähmung. Heilt nach intensivmedizinischer Versorgung (meist) folgenlos aus.

l 61

Pflege bei Erkrankungen des Nervensystems ●





Attacken können bis zu 100-mal am Tag über Wochen bis Monate auftreten. vegetative Begleitsymptome: Hautrötung, Tränen-, Nasen-, Speichelsekretion Schlucken, Kauen, Sprechen, Luftzug können Schmerzanfälle auslösen.

Diagnostik ● ●

Anamnese und klinischer Befund MRT, CT, Liquoruntersuchung zum Ausschluss der symptomatischen Form

Therapie und Pflege ●



● ●



Antikonvulsiva, z. B. Carbamazepin (Analgetika reichen nicht aus) sollte Gefäßschlinge um den Nerv die Ursache sein: Entlastungs-OP evtl. operative Läsion das Ganglion trigeminale auf ausreichende Flüssigkeits- und Nährstoffzufuhr achten (Patienten vermeiden aus Angst vor Schmerzauslösung die Nahrungsaufnahme) Kontakte zu Selbsthilfegruppen vermitteln

KOMPAK T Kopf- und Gesichtsschmerzen ●





Spannungskopfschmerzen: Kopfschmerzen mittlerer Intensität ohne neurologische Begleitsymptome und ohne Ursache Migräne: meist einseitige Kopfschmerzattacken, häufig mit Übelkeit und Erbrechen, kombiniert mit einer Lichtund Lärmempfindlichkeit Trigeminusneuralgie: meist einseitiger, attackenartiger starker Gesichtsschmerz im Versorgungsgebiet des N. trigeminus (V. Hirnnerv).

61.10 Erkrankungen im peripheren Nervensystem

Diagnostik ● ●

Anamnese klinischer Befund

Therapie und Pflege ●





konservative Behandlung: Ruhigstellung der Hand und entzündungshemmende Medikamente, z. B. Diclofenac operative Behandlung: operative Durchtrennung des „Dachs“ des Karpaltunnels, des Retinaculum flexorum (dadurch wird Druck auf N. medianus genommen) postoperativ: Schmerzmanagement, Hochlagerung des Arms, Ruhigstellung, auf Durchblutung der Finger achten, bei Zyanose der Finger, Nachblutungen, Gefühlsstörungen, Hämatom: sofort Arzt informieren

61.10.2 Guillain-Barré-Syndrom Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine akute entzündliche Erkrankung peripherer Nerven und Nervenwurzeln (Polyneuroradikulitis). Durch eine Autoimmunreaktion werden die Myelinscheiden von peripheren Nerven zerstört. Typisch sind aufsteigende Lähmungen: Erst sind Füße, dann Beine, dann Hände, Arme, Beckengürtel, Rumpfmuskulatur und schließlich Atemmuskulatur (!) und Gesichtsmuskulatur betroffen. Ist das vegetative Nervensystem mitbetroffen, besteht die Gefahr der Bradykardie. In den meisten Fällen verschwinden die Lähmungserscheinungen nach einigen Wochen wieder in der umgekehrten Reihenfolge ihres Auftretens. Therapeutisch ist ggf. eine intensivmedizinische Behandlung mit Beatmung erforderlich. Mit einer Plasmapherese könnten die Autoimmunantikörper aus dem Blut entfernt werden. Pflegende kümmern sich um die erforderlichen Prophylaxen (z. B. Kontrakturenprophylaxe und Thromboseprophylaxe). Bei fehlender Kau- und Schluckbewegungen muss auf eine gründliche Mundpflege (Speicheldrüsen werden unzureichend angeregt) und Ernährungsunterstützung (ggf. Ernährungssonde) geachtet werden. Wichtig ist zudem, die Patienten darüber aufzuklären, dass die Symptome sehr wahrscheinlich nur vorübergehend anhalten.

KOMPAK T

61.10.1 Karpaltunnelsyndrom Definition Karpaltunnelsyndrom (KTS) Bei einem Karpaltunnelsyndrom (Medianuskompressionssyndrom) wird der N. medianus im Karpaltunnel komprimiert.

Erkrankungen peripherer Nerven ●

Ursache Auslöser der Kompression sind z. B. entzündliche Prozesse im Karpaltunnel, Verletzungen oder metabolische Ursachen (z. B. Diabetes mellitus oder eine Schwangerschaft).

Symptome ● ● ●

472

Kribbeln, Schmerzen, Taubheitsgefühl in der Hand Feinmotorik nimmt ab Kraft in der Hand lässt nach



Karpaltunnelsyndrom: Schädigung des Nervus medianus durch Einengung des Karpaltunnels. Verbunden mit Schmerzen, Parästhesien und Muskelatrophie in der Hand. Operative Therapie: Durchtrennung des Karpaltunnel-Dachs. Guillain-Barré-Syndrom: akute entzündliche, autoimmune Schädigung peripherer Nerven mit aufsteigenden Lähmungen bis hin zur Atemlähmung. Heilt nach intensivmedizinischer Versorgung (meist) folgenlos aus.

Anlage- und Entwicklungsstörungen

61.11 Anlage- und Entwicklungsstörungen 61.11.1 Neuralrohrdefekte

61.11.2 Infantile Zerebralparese Definition Infantile Zerebralparese Infantile Zerebralparese bezeichnet eine perinatale Schädigung des Gehirns mit motorischen Defekten („infantile Kinderlähmung“).

Definition Neuralrohrdefekte Neuralrohrdefekte sind Fehlbildungen des Rückenmarks und des Gehirns. Sie entstehen, wenn sich das Neuralrohr in der Frühschwangerschaft (5.–6. SSW) nicht korrekt schließt.

Ursache Die genaue Ursache ist unklar. Wahrscheinlich spielen genetische Defekte eine Rolle, kombiniert mit Folsäuremangel.

Prophylaxe

Ursache Die häufigste Ursache ist eine mangelnde Sauerstoffversorgung des kindlichen Gehirns vor, während oder nach der Geburt. Weitere Ursachen sind z. B. Hirnblutungen, Infektionen oder Vergiftungen (z. B. Alkoholismus der Mutter).

Symptome ● ●

spastische Bewegungsstörungen unwillkürliche Bewegungen zusätzlich häufig: Verhaltensauffälligkeiten, geminderte Intelligenz

Einnahme von Folsäure vor und während der Schwangerschaft.



Symptome

Diagnostik

Neuralrohrdefekte manifestieren sich meistens an der Lendenwirbelsäule und am Kreuzbein als: ● Spina bifida occulta: Wirbelbogen-Spaltbildung. Die Kinder sind klinisch unauffällig. ● Spina bifida aperta: – Meningozele: Rückenmark intakt. Rückenmarkshäute vorgewölbt. – Meningomyelozele: Rückenmarkshäute und Rückenmark vorgewölbt, aber verschlossen (häufigste Form). Führt zu neurologischen Ausfällen wie z. B. Querschnittsyndrom (siehe Kap. 61.8.1). – Myelozele: Neurale Gewebe liegt offen an der Oberfläche (schwerste Form). Führt zu neurologischen Ausfällen wie z. B. Querschnittsyndrom.

Diagnostik ● ●



Operation: Verschluss einer offenen Spina bifida (spätestens am 2. Lebenstag), Korrektur einer Skoliose bzw. Fußfehlstellung inkl. orthopädischer Hilfen, Shunt-OP bei Verschlusshydrozephalus interdisziplinäre Zusammenarbeit: Wichtig ist die bereichsübergreifende Zusammenarbeit von Pädiatrie, Neuropädiatrie, Physiotherapie, Urologie, Ergotherapie.

Pflege ● ●

● ●

Anamnese und klinisches Bild MRT Liquorpunktion

Therapie und Pflege ● ●







Physio-, Ergo- und Logopädie medikamentös: z. B. Baclofen (wirkt Krampfanfällen und Spastiken entgegen), ggf. Baclofen-Pumpe ab 4. Lebensjahr operativ: Verlängerung der Sehnen (Verbesserung der Motorik) alle Pflegemaßnahmen und Prophylaxen je nach Bedarf und Betroffenheit Dekubitus- und Kontrakturenprophylaxe: aufgrund starker Bewegungseinschränkungen und Spastiken

klinisches Bild bildgebende Verfahren: Sonografie, MRT

Therapie ●



siehe Pflege beim Querschnittsyndrom (S. 469) auf Hirndrucksymptomatik achten (bei Verschlusshydrozephalus), z. B. Bewusstseinsstörungen, Hypertonie, Bradykardie, Pupillendifferenz

KOMPAK T Anlage- und Entwicklungsstörungen ●



Neuralrohrdefekte: Fehlbildungen des Rückenmarks und des Gehirns mit unklarer Ursache. Folgen: z. B. Lähmungen. Prophylaxe: Folsäure in der (Früh-)Schwangerschaft. infantile Zerebralparese: perinatale Schädigung des Gehirns mit motorischen Defekten, oft mit weiteren neurologischen Ausfällen und Intelligenzminderung

62

Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane

Parasympathomimetika Augeninnendruck

Medikamente, z.B. Lanamycin

Sehschärfeprüfung

Pupillenreflex

Augenpflege

Augenhintergrund OP Diagnostik, z.B.

Augentropfenapplikation

Therapie, z.B. klare, verbale Ansprache

Händehygiene!

Das Ohr S. 481

„Stolperfallen“ im Umfeld entfernen

Leitsymptome, z.B.

Pflege, z.B.

Patienten führen Orientierungsund Mobilitätstraining

Augentränen „rotes Auge“ Schmerzen im Auge

Unterweisung im Gebrauch von Hilfsmitteln

Miosis/ Mydriasis

Sehverschlechterung

Das Auge Erkrankungen, z.B.

Glaukom

altersbedingte Makuladegeneration (AMD)

Konjunktivitis Katarakt Keratitis

diabetische Retinopathie

Linsentrübung

Erhöhung des Augeninnendrucks

Funktionsstörung der Photorezeptoren

Sehnervschädigung Erblindungsgefahr

!

Blindheit

Erkrankungen des Auges

62.1 Erkrankungen des Auges



62.1.1 Anatomie und Physiologie Aufbau des Auges Augapfel • Der Augapfel (Bulbus oculi, ▶ Abb. 62.1) liegt, eingebettet in ein Fettpolster, in der knöchernen Augenhöhle (Orbita). Sein Durchmesser beträgt beim Erwachsenen 24 mm. Innerhalb des Augapfels liegen der Glaskörper und die Linse.



Augenwand • Die Augenwand hat 3 Schichten: ● äußere Augenhaut, bestehend aus: – Hornhaut (Kornea), gefäßfrei und durchsichtig – Lederhaut (Sklera), undurchsichtig, umgibt den ganzen Augapfel

mittlere Augenhaut (Gefäßhaut), bestehend aus: – Aderhaut (Choroidea), liegt der Sklera innen an, enthält zahlreiche kleine Gefäße – Iris (Regenbogenhaut), bildet den farbigen Ring um die Pupille – Ziliarkörper, liegt unter dem äußeren Rand der Iris. In ihm wird das Kammerwasser produziert, das für den Augeninnendruck verantwortlich ist. innere Augenhaut (Netzhaut, Retina). Sie enthält die Photorezeptoren. Besonders viele sitzen am „Gelben Fleck“, dem Punkt des schärfsten Sehens. Es gibt zwei Typen: – Stäbchen: zuständig für die Helligkeitswahrnehmung – Zapfen: zuständig fürs Farbensehen

Linse • Die Linse liegt hinter der Pupille und ist über Zonulafasern in den Ziliarkörper-Ring eingespannt. Kontrahiert sich der Muskel im Ziliarkörper, verändert sich ihre Wölbung und damit ihre Brechkraft.

Abb. 62.1 Aufbau des Auges. Iris

Linse

Cornea vordere Augenkammer

hintere Augenkammer

Kammerwinkel

Schlemm-Kanal

Limbus corneae

Pigmentepithel des Ziliarkörpers

Corpus ciliare, M. ciliaris

Conjunctiva bulbi

Zonulafasern

Fossa hyaloidea

Ora serrata

Corpus vitreum M. rectus lateralis

M. rectus medialis

Retina Choroidea

Papilla nervi optici

Sclera Lamina cribrosa A. centralis retinae

Fovea centralis N. opticus

Blick von oben auf das Schnittbild des rechten Augapfels. Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: K. Wesker

l 62

Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane Glaskörper • Der Glaskörper liegt direkt hinter der Linse, er füllt den Innenraum des Augapfels aus und besteht aus einer viskösen Gallertmasse (99 % Wasser). Bindehaut • Die Bindehaut des Auges (Konjunktiva) kleidet die Innenseite der Augenlider aus und schlägt im Bindehautsack auf die Sklera des Augapfels um. Sie enthält zahlreiche Gefäße und Sekret produzierende Becherzellen. Tränenapparat • Die Tränendrüse liegt im oberen äußeren Augenhöhlenrand. Die Tränenflüssigkeit wird durch den Lidschlag über die Hornhaut verteilt, hält sie sauber und schützt sie vor der Austrocknung. Über eine Öffnung am inneren Augenwinkel („Tränenpunkt“) fließt die Tränenflüssigkeit über die Tränenkanälchen, den Tränensack und den Tränen-Nasen-Gang in den unteren Nasengang ab. N. opticus • Der Sehnerv (II. Hirnnerv bzw. N. opticus) leitet die optische Information von der Netzhaut zum Gehirn.

Funktionen des Auges Beim Sehvorgang wird ein scharfes, aber umgekehrtes und verkleinertes Bild des Gesehenen auf die Netzhaut projiziert. Das Bild wird scharf, indem die Linse ihre Wölbung und damit ihre Brechkraft verändert. Diese Anpassung bezeichnet man als Akkommodation. Die Lichtreize, die an der Netzhaut ankommen, werden von den Photorezeptoren in elektrische Reize umgewandelt und über die Sehbahn (u. a. N. opticus) zur Großhirnrinde transportiert.

Die Pupillengröße kann von 2–8 mm variieren. Sie wird über das autonome Nervensystem und die Muskulatur in der Iris gesteuert. Eine Verengung (Miosis) findet z. B. statt bei: ● starkem Lichteinfall (Schutz vor Überblendung) ● Nahakkommodation (Erhöhung der Tiefenschärfe) ● Schädigung des Sympathikus Eine Weitung der Pupille (Mydriasis) findet z. B. statt bei: geringem Lichteinfall (verbessertes Sehen im Halbdunkel) ● parasympathisch wirksamen Medikamenten, z. B. Atropin ● Panikreaktion (Sympathikus-Aktivierung) ●

62.1.2 Diagnostik Die ▶ Tab. 62.1 gibt einen Überblick über wichtige Leitsymptome bei Augenerkrankungen und mögliche Ursachen. Sehschärfen-/Visusprüfung • Die Sehschärfenprüfung ist die häufigste augenärztliche Untersuchung. Hierbei wird geprüft, wie gut das Auflösungsvermögen des Auges bei Nahoder Fernsicht ist. Pupillenreflextest • Bei diesem Test wird ein Auge direkt angeleuchtet und beobachtet, wie die Pupille reagiert. Reagiert sie sehr träge oder anders als die Pupille auf der anderen Seite, besteht der Verdacht auf eine neurologische Störung. Ursachen können z. B. Kopfverletzungen oder Drogenkonsum sein. Die Untersuchung wird oft bei notärztlichen Untersuchungen durchgeführt.

Tab. 62.1 Leitsymptome bei Augenerkrankungen. Symptom

Ursachen (Beispiele)

tränendes Auge

● ● ● ● ●

trockenes Auge

● ● ●

gerötetes Auge



● ● ●

Schmerzen am oder im Auge

● ●

● ●

Sehverschlechterung

● ●

Miosis/Mydriasis

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Reizung, z. B. durch Wind, Rauch, Staub Entzündungen, z. B. durch Allergien oder Infektionen mangelnde Drainage der Tränenflüssigkeit Überanstrengung Lidfehlstellungen, v. a. bei „Ektropium“ (abstehendes Unterlid) Zugluft aus der Klimaanlage (Tränenflüssigkeit verdunstet zu schnell) Lidschlag erfolgt zu selten (z. B. bei PC-Arbeit) Oberflächenunregelmäßigkeit der Hornhaut Entzündung, z. B. der Bindehaut (Konjunktivitis), Hornhaut (Keratitis) oder Lederhaut (Skleritis) Glaukomanfall Bluterguss (z. B. nach schwerer Geburt) gestörte Blutgerinnung Verletzungen Entzündungen, z. B. „Gerstenkorn“ (Lidrandentzündung) oder Entzündungen der Augenhäute Sehnervenentzündung Glaukomanfall akut: z. B. durch Verschluss eines Augengefäßes, Netzhautablösung, Glaukomanfall langsam: z. B. durch grauen Star, Makuladegeneration, diabetische Retinopathie

siehe „Funktionen des Auges“ (S. 476)

Erkrankungen des Auges Untersuchung des Augenhintergrunds • Bei dieser Untersuchung befundet der Augenarzt den Augenhintergrund mithilfe des „Augenspiegels“ (Ophthalmoskop). Damit er möglichst viel Netzhautfläche untersuchen kann, muss die Pupille durch ein Mydriatikum (z. B. Tropicamid) weitgestellt sein. Achtung: Die Tropfen beeinträchtigen das Sehvermögen (ca. 4–5 Stunden). Die Patienten dürfen deshalb nach der Untersuchung nicht aktiv am Straßenverkehr teilnehmen. Messung des Augeninnendrucks • Bei der Tonometrie wird ein Messstempel auf die Hornhaut aufgesetzt. Die Untersuchung wird z. B. als Glaukom-Vorsorgeuntersuchung durchgeführt. Vor der Messung verabreicht die Pflegefachkraft dem Patienten Augentropfen, die die Hornhaut betäuben.

Augenpflege und Applikation von Augenmedikamenten ● ●









62.1.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges Orientierung ● Wenn man das Zimmer betritt, den eigenen Namen und bei Visite den Namen aller Anwesenden nennen. ● Medikamente, Toilettenartikel und Kleidung immer an denselben Platz stellen, damit der Patient sie leicht finden kann Prophylaxen bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) ● Sturzprophylaxe mit Berücksichtigung des Expertenstandards „Sturzprophylaxe in der Pflege“: Durch eingeschränkte Sehfähigkeit ist das Sturzrisiko stark erhöht. – Verletzungsgefahr minimieren, indem z. B. keine Hindernisse wie offene Schranktüren die Alltagswege des Patienten blockieren – Bei der Begleitung zu Untersuchungen muss der Patient geführt werden. Richtungswechsel oder Bodenunebenheiten muss man rechtzeitig ankündigen. – Weitere Maßnahmen: siehe Kap. 21.6 ●

psychosoziale Begleitung ● Gesprächsbereitschaft signalisieren, über Ängste sprechen ● Bei plötzlicher Sehbehinderung ist es für die Patienten belastend, dass sie typischen „Entspannungs-Tätigkeiten“ nicht mehr nachgehen können (z. B. Lesen, Fernsehen). Deswegen ist es wichtig, ihnen Zugang zu ermöglichen, dass sie Radio oder Hörbücher hören können, damit sie sich ablenken können. ● Dauert die Sehbehinderung länger, sollte neben psychosozialer Unterstützung der Kontakt zu Selbsthilfegruppen vermittelt werden. Therapeuten erklären zudem die für den Alltag erforderlichen Hilfsmittel wie spezielle PC-Tastaturen oder sprechende Uhren. Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Manipulationen am Auge reduzieren ● korrekte Applikation von Augenmedikamenten (überschüssige Flüssigkeit vorsichtig abtupfen) ● Notwendigkeit der Händehygiene (Infektionsprophylaxe!) ●





Patienten über Zweck und Vorgehensweise informieren Patienten bitten, eine sitzende (ggf. auch liegende) Position einzunehmen, den Kopf in den Nacken zu legen und nach oben zu schauen hygienische Händedesinfektion durchführen (ggf. Schutzhandschuhe anziehen bei infizierten Augen) sterilen Tupfer mit 0,9 %-NaCl-Lösung anfeuchten und das Auge, ohne Druck auszuüben, auswischen. Pro Vorgang nutzt man eine neue Kompresse. Wischrichtung: vom Außen- zum Innenlid. Bei infiziertem Auge vom Innen- zum Außenlid, um eine Keimverschleppung zur kontralateralen Seite zu verhindern. Ist das Auge verklebt, legt man eine mit 0,9 % NaCl getränkte Kompresse für 10–15 Minuten auf das verkrustete Auge (Achtung: niemals das Auge mit Gewalt öffnen!). Anschließend reinigt man das Auge mit sterilen getränkten Kompressen. Inspektion des Auges (Rötung? Fremdkörper? Pupillen?), ggf. gemeinsam mit dem Arzt

Bei Applikation von Augenmedikamenten: Medikamentenmanagement (z. B. 6-R-Regel beachten, siehe auch Kap. 36) ● einen Tupfer an das Unterlid legen und mit der freien Hand das Lid leicht herunterziehen ● Medikament in den unteren Bindehautsack applizieren; dabei drauf achten, dass Flasche bzw. Tube nicht kontaminiert wird (z. B. durch Berührung mit dem Auge). ● Patient soll langsam das Auge für ca. ½–1 Minute schließen. ● überschüssige Tropfen mit dem Tupfer am Unterlid auffangen ●

! Merke Ring entfernen

Nach dem Öffnen der Tropfenflasche sollte der Ring, mit dem der Deckel befestigt ist, entfernt werden. Er könnte beim Verabreichen ins Auge fallen und Verletzungen verursachen.

Augenspülung Augenspülungen sind z. B. nach Verätzungen indiziert. Nach Information des Patienten wird die Hornhaut mit einem Anästhetikum beträufelt, um den Lidschlussreflex auszuschalten. Dann neigt der Patient den Kopf zur betroffenen Seite und an die Wange legt er eine Nierenschale an. Die Pflegefachkraft hält mithilfe der Tupfer die Augenlider auseinander und das Auge wird mit einer körperwarmen Spüllösung oder mit einer Spüllinse aus 10 cm Entfernung gespült.

Augenverband Das Anlegen von Augenverbänden (z. B. Lochkapselverband, Uhrglasverband, geschlossener Augenverband) dient der Fixierung von Wundauflagen und der Ruhigstellung der Augen.

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Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane

62.1.4 Konjunktivitis und Keratitis Definition Konjunktivitis und Keratitis Die Konjunktivitis ist die Entzündung der Bindehaut, die Keratitis die Entzündung der Hornhaut.

Ursachen Bindehautentzündungen gehören zu den häufigsten Augenerkrankungen. Sie werden ausgelöst z. B. durch Infektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen, können aber auch durch reizende Noxen verursacht werden, z. B. Rauch, Staub oder Substanzen, auf die der Körper allergisch reagiert (z. B. Blütenpollen). Die Augen sind in der Regel gerötet, jucken oder brennen. Die Bindehaut sondert ein Sekret ab, das oft über Nacht eintrocknet, wodurch die Augen dann frühmorgens verklebt sind. Die Auslöser einer Hornhautentzündung sind oft dieselben wie die einer infektiösen Konjunktivitis. Ursache sind u. a. kleine Defekte, über die die Keime in die Hornhaut eindringen können. Die Kombination aus Konjunktivitis und Keratitis wird als Keratokonjunktivitis bezeichnet. Die Symptome sind schwerer als bei einer Konjunktivitis. Bei bakterieller Keratitis besteht die Gefahr, dass die Keime die Hornhaut zerstören und der Patient erblindet.

Therapie und Pflege ● ●



Therapie und Pflege richten sich nach der Ursache. Augenpflege und Applikation von antibiotischen Augentropfen (siehe Kap. 62.1.3) Bei einer Keratitis: ggf. antibiotische Augensalbe, Uhrglasverband. Ist die Hornhaut perforiert, muss operiert werden.

Neben den Pflegebasismaßnahmen (siehe Kap. 62.1.3) und der allgemeinen perioperativen Pflege (siehe Kap. 41) gibt es folgende pflegerische Besonderheiten bei Augenoperationen: präoperative Pflege ● Entlassungsmanagement: poststationäre Nachsorge klären (Angehörige? Ambulanter Dienst?) ● Labor: Gerinnungsparameter (Quick, pTT, INR) bestimmten (lassen), ggf. müssen Thrombozytenaggregationshemmer und Marcumar vorab abgesetzt werden, um Blutungsgefahr zu reduzieren. ● Prämedikation: pupillenerweitere Augentropfen verabreichen (siehe Kap. 62.1.3, auf Arztanordnung) präoperative Pflege Beobachtung: – Vitalparameter engmaschig erheben – Blutzucker bei Diabetikern – Augenverband kontrollieren (Blutung? Korrekter Sitz?) ● Augenverband wechseln, Augenpflege durchführen und Augenmedikamente applizieren (auf Arztanordnung, siehe Kap. 62.1.3) ● ggf. Zimmer abdunkeln, auf Wunsch des Pflegeempfängers ● Patientenruf gut erreichbar platzieren ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – Ein leichtes Fremdkörpergefühl im Auge ist in den ersten Tagen normal. – keine Manipulation am Auge (z. B. Augen reiben) – 4–6 Wochen nach der OP erreicht das Auge die endgültige Sehschärfe und ein neues Brillenglas kann angepasst werden. ●

62.1.5 Katarakt

62.1.6 Glaukom

Definition Katarakt

Definition Glaukom

Eine Katarakt (grauer Star) ist eine stoffwechselbedingte Trübung der Augenlinse.

Ursachen Zu über 90 % ist die Erkrankung eine Alterserscheinung (Cataracta senilis). Folgende Risikofaktoren spielen eine große Rolle: Diabetes mellitus, Stoffwechselstörungen, UV-Strahlung, Dialyse, langfristige Glukokortikoidtherapie, Augenverletzungen (z. B. Augenprellung) und genetische Disposition.

Symptome und Diagnostik Die Betroffenen sehen wie durch einen Grauschleier. Kontraste und Farben nehmen sie schwächer wahr. Mitunter treten Doppelbilder auf. Mit der Spaltlampe lässt sich feststellen, welche Schicht der Linse betroffen ist und wie weit der graue Star fortgeschritten ist.

Therapie Bei der meistens ambulant und in Lokalanästhesie durchgeführten extrakapsulären Kataraktoperation (ECCE) wird der getrübte Linsenkern zunächst verflüssigt, dann entfernt und schließlich eine künstliche Linse implantiert.

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Spezielle Pflege

Das Glaukom (grüner Star) ist eine durch Erhöhung des Augeninnendrucks hervorgerufene Schädigung des Sehnervs, die unbehandelt zur Erblindung führt.

Ursache Der Augeninnendruck (IOD: intraokulärer Druck) steigt, wenn das Kammerwasser nicht richtig abfließen kann. Ursachen können Ablagerungen im Kammerwinkel sein, die den Abfluss reduzieren. Dieses Offenwinkelglaukom entwickelt sich oft langsam. Das Winkelblockglaukom dagegen entsteht, wenn der Kammerwinkel und damit der Abfluss akut verlegt ist, z. B. indem die Pupille den Durchfluss zwischen hinterer und vorderer Augenkammer blockiert. Der Anstieg des IOD führt zur Schädigung des Sehnervs. Medikamente, wie Kortison, lokale Mydriatika, Anticholinergika oder bestimmte Antidepressiva erhöhen ebenfalls den IOD. Auch Tumoren und Verletzungen des Auges können Ursache eines Glaukoms sein.

Symptome und Diagnostik Beim Offenwinkelglaukom ist der Verlauf schleichend, beginnend evtl. mit Kopfschmerzen, Augenrötung, Sehen von Farbringen oder Gesichtsfeldausfällen mit Ausfall des zentralen Sehens.

Erkrankungen des Auges Beim akuten Glaukomanfall kommt es plötzlich zu starken Schmerzen des betroffenen Auges. Der Augapfel ist auffallend rot und hart, die Pupille weit, entrundet und lichtstarr, das Sehvermögen ist stark beeinträchtigt. Dazu kommen Begleitsymptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen.

! Merke Glaukomanfall

Ein Glaukomanfall ist ein Notfall und muss schnellstmöglich behandelt werden. Es besteht die Gefahr der irreversiblen Sehnervschädigung bis hin zur Erblindung. Zentrales Element der apparativen Diagnostik ist die Augendruckmessung (Tonometrie).

Therapie ●







Medikamente: z. B. Parasympathomimetika und Prostaglandine. Sie fördern den Abfluss des Kammerwassers. akuter Glaukomanfall: – Augenarzt benachrichtigen – Medikamente zur Augendrucksenkung, Diuretika, Analgetika OP: Mittels Laser oder Mikrochirurgie kann der Abfluss „mechanisch“ verbessert werden, z. B. durch Perforation der Iris. Prophylaxe: ab dem 40. Lebensjahr bei Risikofaktoren (z. B. extreme Kurz-/Weitsichtigkeit) regelmäßige Kontrolle des IOD

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges (siehe Kap. 62.1.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Glaukom: Beobachten ● auf Anzeichen eines akuten Glaukomanfalls achten (z. B. starke Schmerzen im Auge, geröteter Augapfel, eingeschränktes Sehvermögen, weite, lichtstarre, entrundete Pupille) ● Medikamenten-Nebenwirkungen: z. B. Augenlidödem, Augenjucken, Dunkelfärbung des Augenlids, verschwommenes Sehen, Bradykardie

62.1.7 Altersbedingte Makuladegeneration Definition Altersbedingte Makuladegeneration (AMD) Die Altersbezogene Makuladegeneration (AMD) ist eine Ausdünnung des Pigmentepithels der Netzhautmitte. Sie führt zu einer Funktionsstörung der Photorezeptoren im Bereich der Makula (der Stelle des schärfsten Sehens) mit der Folge einer Sehbehinderung bis zur Erblindung.

Ursachen Risikofaktoren sind z. B. eine starke und ungeschützte Belastung der Augen durch UV-Strahlung über viele Jahre, arterielle Hypertonie, Nikotinabusus und Fettstoffwechselstörungen.

Symptome Es werden zwei Formen unterschieden: ● trockene AMD (ca. 90 %): Wenn der Patient einen Punkt fixiert, sieht er einen grauen, undurchlässigen Fleck. Dieser Fleck wird über die Jahre immer größer, bis lediglich das äußere Gesichtsfeld erhalten ist. ● feuchte AMD (ca. 10 %): Diese Form ist durch pathologische Gefäßneubildung und ein Ödem im Bereich der Makula charakterisiert. Dieses Ödem führt zu einem verzerrten Sehen (gerade Linien erscheinen verbogen) mit im weiteren Verlauf rascher Abnahme der Sehfähigkeit.

Therapie ● ●



trockene AMD: hoch dosiertes Beta-Carotin und Vitamin C Die feuchte AMD kann durch die Instillation von gefäßwachstumshemmenden Antikörpern in den Glaskörper gebremst werden. vergrößernde Sehhilfen

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges (siehe Kap. 62.1.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit AMD: ● Beobachten: Vitalparameter erfassen: Hypertonie ggf. medikamentös einstellen ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – über Änderung der Lebensgewohnheiten (z. B. Nikotinverzicht) sprechen und motivieren – über Notwendigkeit eines gut eingestellten Blutdrucks sprechen

62.1.8 Sehbehinderung und Blindheit Definition Sehbehinderung und Blindheit Bei einer Sehbehinderung beträgt die Sehschärfe unter 0,3. Hochgradige Sehbehinderung besteht bei einer Sehschärfe unter 0,05. Blindheit liegt vor, wenn die Sehschärfe auf dem besseren Auge bei intaktem Gesichtsfeld nicht mehr als 0,02 beträgt oder wenn eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung auf unter 5° auch bei normaler Sehschärfe besteht.

Ursachen Häufige Ursachen erworbener Sehbehinderung bzw. Blindheit sind: ● Makuladegeneration ● diabetische Retinopathie ● Glaukom

Therapie Wichtig ist die Behandlung der Grunderkrankung, um die weitere Abnahme der Sehfähigkeit zu stoppen.

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Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges (siehe Kap. 62.1.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit: ● Orientierung: – Hilfsmittel bei Sehschwäche: z. B. Leuchtlupen, Lupenbrillen, vergrößernde Sehhilfen – Hilfsmittel bei Blindheit: z. B. Braille-Schrift (Blindenschrift) – Orientierungs- und Mobilitätstraining ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: ggf. Kontakt zu Beratungsstellen vermitteln (v. a. bei notweniger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit, Antrag auf Schwerbehinderung etc.)

KOMPAK T Erkrankungen des Auges ●











Pflege: in der Kommunikation mangelnde Sehkraft berücksichtigen, viel erklären, Sturzprophylaxe, bei der Applikation von Augenmedikamenten besonders auf Händehygiene achten Konjunktivitis: Entzündung der Bindehaut, oft infektiös oder durch chemische oder allergische Reize. Therapie: Augentropfen und Augenpflege. Achtung bei Hornhautentzündung (Keratitis): Gefahr der Erblindung! Katarakt: Trübung der Linse („grauer Star“), oft altersbzw. stoffwechselstörungsbeding. Glaukom: Erhöhung des Augeninnendrucks („grüner Star“). Durch die Druckschädigung des Augennervs droht die Erblindung. Altersbedingte Makuladegeneration: alters- bzw. stoffwechselstörungsbedingte Zerstörung der Photorezeptoren bei Sehbehinderung und Erblindung: Therapie auslösender Grunderkrankung, Hilfsmittel sowie Orientierungs- und Mobilitätstraining vermitteln

62.2 Erkrankungen des Ohres 62.2.1 Anatomie und Physiologie Das Ohr beherbergt 2 Sinne: Hörsinn und Gleichgewichtssinn.

Aufbau und Funktion des Ohres Das Ohr gliedert sich in 3 Abschnitte (▶ Abb. 62.2): 1. Außenohr, mit: Ohrmuschel, äußerer Gehörgang und Trommelfell 2. Mittelohr, mit: ● Paukenhöhle: In ihr liegen die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Sie übertragen die Schwingungen des Trommelfells an das ovale Fenster zum Innenohr. ● Ohrtrompete (Tube): Die „eustachische Röhre“ verbindet die Paukenhöhle mit dem Rachen. ● Mittelohrmuskeln: winzige Muskeln, die eine Art „Lautstärkenregler“-Funktion haben 3. Innenohr, mit:

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Hörschnecke (Cochlea): In ihr liegt das Corti-Organ. Seine Sinneszellen („Hörzellen“) wandeln die eintreffenden Vibrationen in elektrische Signale um und leiten diese über den „Cochlearis-Anteil“ des VIII. Hirnnervs (N. vestibulocochlearis) ans Gehirn weiter. Labyrinth: In ihm liegt das Gleichgewichtsorgan. Es besteht aus drei gebogenen Gängen (Bogengängen) und zwei kugelförmigen Innenräumen (Utriculus und Sacculus), die jeweils Sinneszellen enthalten. Sie leiten Bewegungsinformationen über den „Vestibularis-Anteil“ des VIII. Hirnnervs ans Gehirn.

62.2.2 Mitwirken bei der Diagnostik Anamnese • In der Anamnese wird nach Beschwerden im Bereich des Gehörs bzw. des Ohrs gefragt: Besteht eine Schwerhörigkeit? Hört der Patient ungewohnte Geräusche (Tinnitus)? Hat er Ohrenschmerzen? Tritt Flüssigkeit aus? Leidet er an Schwindel oder einer Fallneigung? Wichtig ist zudem die Frage nach Verletzungen und/oder Operationen am/im Ohr. Klinische Untersuchung ● Inspektion: Untersuchung des äußeren Ohres, u. a. der Ohrmuschel ● Otoskopie: Hierbei untersucht der Arzt mittels Otoskop (Ohrspiegel) oder Ohrmikroskop den inneren Gehörgang inkl. Trommelfell auf Fremdkörper, Ohrenschmalz, Entzündungen oder Verletzungen. Eine Vorwölbung des Trommelfells weist z. B. auf eine Mittelohrentzündung hin. ● Tubenfunktionsprüfung: Die Durchgängigkeit der Ohrtrompete lässt sich z. B. mit dem Valsalva-Manöver testen: Der Patient hält sich die Nase zu und presst gegen den geschlossenen Mund. Ist die Tube durchgängig, wölbt sich das Trommelfell vor. Hörprüfungen • Hier werden 2 Verfahrenstypen unterschieden: ● subjektive Hörtests (abhängig von der bewussten Reaktion des Patienten), z B. Hörweitenprüfung, Stimmgabeltest, Tonaudiometrie ● objektive Hörprüfungen (unabhängig von der bewussten Reaktion des Patienten), z. B. Tympanometrie, Messung otoakustischer Emissionen (OAE), Hirnstammaudiometrie

62.2.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Ohres Applikation von Ohrentropfen ● generelle Regeln bei der Applikation von Medikamenten beachten (siehe Kap. 36) ● Ohrentropfen auf Körpertemperatur erwärmen ● Patient dreht sich so, dass das behandelte Ohr oben liegt. ● Ohrmuschel vorsichtig nach hinten-oben ziehen, damit sich der Gehörgang streckt. Dann Applikation der Ohrentropfen. ● Patient soll in der Position noch ca. 15 Minuten verbleiben. Applikation von Ohrumschlägen • Eine Indikation für Ohrumschläge ist ein entzündlicher Prozess am Ohr, z. B. ein Erysipel. Benötigt werden ein Antiseptikum (Octenisept), sterile Kompressen und eine Einmalohrklappe. Die Kompressen werden unter aseptischen Bedingungen geöffnet,

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Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane

Spezielle Pflege Beachten Sie die Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Auges (siehe Kap. 62.1.3). Besonderheiten bei der Pflege von Menschen mit Sehbehinderung und Blindheit: ● Orientierung: – Hilfsmittel bei Sehschwäche: z. B. Leuchtlupen, Lupenbrillen, vergrößernde Sehhilfen – Hilfsmittel bei Blindheit: z. B. Braille-Schrift (Blindenschrift) – Orientierungs- und Mobilitätstraining ● Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: ggf. Kontakt zu Beratungsstellen vermitteln (v. a. bei notweniger Umschulung, Erwerbsunfähigkeit, Antrag auf Schwerbehinderung etc.)

KOMPAK T Erkrankungen des Auges ●











Pflege: in der Kommunikation mangelnde Sehkraft berücksichtigen, viel erklären, Sturzprophylaxe, bei der Applikation von Augenmedikamenten besonders auf Händehygiene achten Konjunktivitis: Entzündung der Bindehaut, oft infektiös oder durch chemische oder allergische Reize. Therapie: Augentropfen und Augenpflege. Achtung bei Hornhautentzündung (Keratitis): Gefahr der Erblindung! Katarakt: Trübung der Linse („grauer Star“), oft altersbzw. stoffwechselstörungsbeding. Glaukom: Erhöhung des Augeninnendrucks („grüner Star“). Durch die Druckschädigung des Augennervs droht die Erblindung. Altersbedingte Makuladegeneration: alters- bzw. stoffwechselstörungsbedingte Zerstörung der Photorezeptoren bei Sehbehinderung und Erblindung: Therapie auslösender Grunderkrankung, Hilfsmittel sowie Orientierungs- und Mobilitätstraining vermitteln

62.2 Erkrankungen des Ohres 62.2.1 Anatomie und Physiologie Das Ohr beherbergt 2 Sinne: Hörsinn und Gleichgewichtssinn.

Aufbau und Funktion des Ohres Das Ohr gliedert sich in 3 Abschnitte (▶ Abb. 62.2): 1. Außenohr, mit: Ohrmuschel, äußerer Gehörgang und Trommelfell 2. Mittelohr, mit: ● Paukenhöhle: In ihr liegen die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Sie übertragen die Schwingungen des Trommelfells an das ovale Fenster zum Innenohr. ● Ohrtrompete (Tube): Die „eustachische Röhre“ verbindet die Paukenhöhle mit dem Rachen. ● Mittelohrmuskeln: winzige Muskeln, die eine Art „Lautstärkenregler“-Funktion haben 3. Innenohr, mit:

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Hörschnecke (Cochlea): In ihr liegt das Corti-Organ. Seine Sinneszellen („Hörzellen“) wandeln die eintreffenden Vibrationen in elektrische Signale um und leiten diese über den „Cochlearis-Anteil“ des VIII. Hirnnervs (N. vestibulocochlearis) ans Gehirn weiter. Labyrinth: In ihm liegt das Gleichgewichtsorgan. Es besteht aus drei gebogenen Gängen (Bogengängen) und zwei kugelförmigen Innenräumen (Utriculus und Sacculus), die jeweils Sinneszellen enthalten. Sie leiten Bewegungsinformationen über den „Vestibularis-Anteil“ des VIII. Hirnnervs ans Gehirn.

62.2.2 Mitwirken bei der Diagnostik Anamnese • In der Anamnese wird nach Beschwerden im Bereich des Gehörs bzw. des Ohrs gefragt: Besteht eine Schwerhörigkeit? Hört der Patient ungewohnte Geräusche (Tinnitus)? Hat er Ohrenschmerzen? Tritt Flüssigkeit aus? Leidet er an Schwindel oder einer Fallneigung? Wichtig ist zudem die Frage nach Verletzungen und/oder Operationen am/im Ohr. Klinische Untersuchung ● Inspektion: Untersuchung des äußeren Ohres, u. a. der Ohrmuschel ● Otoskopie: Hierbei untersucht der Arzt mittels Otoskop (Ohrspiegel) oder Ohrmikroskop den inneren Gehörgang inkl. Trommelfell auf Fremdkörper, Ohrenschmalz, Entzündungen oder Verletzungen. Eine Vorwölbung des Trommelfells weist z. B. auf eine Mittelohrentzündung hin. ● Tubenfunktionsprüfung: Die Durchgängigkeit der Ohrtrompete lässt sich z. B. mit dem Valsalva-Manöver testen: Der Patient hält sich die Nase zu und presst gegen den geschlossenen Mund. Ist die Tube durchgängig, wölbt sich das Trommelfell vor. Hörprüfungen • Hier werden 2 Verfahrenstypen unterschieden: ● subjektive Hörtests (abhängig von der bewussten Reaktion des Patienten), z B. Hörweitenprüfung, Stimmgabeltest, Tonaudiometrie ● objektive Hörprüfungen (unabhängig von der bewussten Reaktion des Patienten), z. B. Tympanometrie, Messung otoakustischer Emissionen (OAE), Hirnstammaudiometrie

62.2.3 Pflegebasismaßnahmen bei Erkrankungen des Ohres Applikation von Ohrentropfen ● generelle Regeln bei der Applikation von Medikamenten beachten (siehe Kap. 36) ● Ohrentropfen auf Körpertemperatur erwärmen ● Patient dreht sich so, dass das behandelte Ohr oben liegt. ● Ohrmuschel vorsichtig nach hinten-oben ziehen, damit sich der Gehörgang streckt. Dann Applikation der Ohrentropfen. ● Patient soll in der Position noch ca. 15 Minuten verbleiben. Applikation von Ohrumschlägen • Eine Indikation für Ohrumschläge ist ein entzündlicher Prozess am Ohr, z. B. ein Erysipel. Benötigt werden ein Antiseptikum (Octenisept), sterile Kompressen und eine Einmalohrklappe. Die Kompressen werden unter aseptischen Bedingungen geöffnet,

Erkrankungen des Ohres

Das Auge S. 474 Mastoiditis

Cholesteatom

NSAR

Antibiotika

Hörweitentest Therapie Audiometrie

Otoskopie

Messung otoakustischer Emissionen

Erkrankungen

Mittelohrentzündung Hörsturz

Diagnostik, z.B. Gehörgangs-System

Symptome Im-Ohr-System

Hörgeräte

Tinnitus

Hörverlust

Hinter-dem-Ohr-Gerät Druckgefühl

Pflege

Das Ohr

zum korrekten Umgang mit Hörgerät anleiten

Therapie, z.B.

in kurzen, klaren Sätzen sprechen Blickkontakt halten, langsam sprechen

Ohrtropfenapplikation bei Ohrspülung mitwirken

bei Verständnisproblem: aufschreiben!

Schwerhörigkeit

Drehschwindel?

mit der Lösung getränkt und auf das Ohr gebracht. Auch die Ohrrückseite muss damit bedeckt werden. Anschließend werden die Kompressen mit der Ohrklappe für ca. 10 Minuten fixiert. Ohrspülung • Die Ohrspülung ist eine ärztliche Tätigkeit, bei der die Pflegenden assistieren. Indikation dafür ist ein Ohrenschmalzpfropf. Kontraindiziert ist die Maßnahme bei V. a. Trommelfellperforation und bei Kindern (Verletzungsgefahr). Gespült wird dabei mit körperwarmem Leitungswasser, bis sich das Zerumen gelöst hat, ggf. wird Wasserstoffperoxidlösung zugesetzt. Die Pflegeperson deckt dabei die Schulter des Patienten zum Schutz vor Nässe ab. Unter das Ohr wird eine Nierenschale gehalten (vom Patienten selbst oder von der Pflegeperson).

ACHTUNG Eine Ohrenspülung kann Blutdruckschwankungen, Schwindel und Übelkeit auslösen.

Ursachen, z.B. Altersschwerhörigkeit

Lärmschaden ototoxische Medikamente Cochlea-Implantat

Fehlbildung im Innenohr

Tumoren z.B. Akustikusneurinom

Durchblutungsstörungen

Therapie

Kommunikation • Bei langsam fortschreitender Schwerhörigkeit muss herausgefunden werden, wie viel der Betroffene noch versteht. Wichtig ist die Vermittlung eines Kontakts zum Hörgeräteakustiker. Er passt das Hörgerät an oder stellt bei Cochlea-Implantaten (S. 483) den Audioprozessor ein. Prinzipiell sind bei der Kommunikation mit Gehörlosen bzw. hochgradig Schwerhörigen folgende Regeln zu beachten: ● von vornherein mehr Zeit einplanen ● bei der „Ansprache“ durch Gesten oder Berührungen auf sich aufmerksam machen ● während des Gesprächs den Patienten ansehen, zudem langsam und deutlich in einfach strukturierten Sätzen sprechen (erleichtert Verständnis bei Rest-Hörvermögen und ggf. Lippenlesen) ● Mimik und Gestik wie gewohnt einsetzen ● bei Problemen kurz aufschreiben, was man sagen möchte ● Hat der Pflegeempfänger ein Hörgerät, unterstützen Pflegende bei Bedarf beim Anlegen, Überprüfen die Funktion und sorgen ggf. für einen Batteriewechsel.

l 62

Pflege bei Erkrankungen der Sinnesorgane Abb. 62.2 Aufbau des Ohrs.

Canalis semicircularis posterior

Canalis semicircularis lateralis

Canalis semicircularis anterior Vestibulum N. vestibularis N. cochlearis Cochlea

Malleus, Caput Felsenbein Stapes M. tensor tympani Cavitas tympani

Tuba auditiva

Membrana tympanica

Incus

Proc. styloideus Meatus acusticus externus

Frontalschnitt durch das rechte Ohr mit Überblick auf Außen-, Mittel- und Innenohr Aus: Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: K. Wesker

62.2.4 Mittelohrentzündung (Otitis media)

Komplikationen ●

Definition Mittelohrentzündung Die Mittelohrentzündung ist eine entzündliche Veränderung der Schleimhaut im Mittelohr, die akut oder chronisch verlaufen kann.



Ursache Eine akute Mittelohrentzündung beruht oft auf einer Infektion der oberen Luftwege (Nasen- und Rachenraum). Die Erreger gelangen über die Ohrtrompete ins Innenohr. Erhöhtes Risiko besteht bei einer verkürzten Ohrtrompete (z. B. bei Kindern) oder wenn die Tubenbelüftung gestört ist (z. B. bei zu großen Rachenmandeln).

Symptome ● ● ● ● ●

482

stechende Schmerzen Druckgefühl im Ohr schlechtes Hören durch Paukenerguss Fieber bei Trommelfellruptur: Austritt von Flüssigkeit aus dem Ohr mit gleichzeitiger Schmerzlinderung

Selten kommt es zu einer Mastoiditis (Entzündung des Warzenfortsatzes) oder Labyrinthitis. Bei Durchbruch in die benachbarten Strukturen, wie z. B. Muskeln oder Schädelknochen, kann es zu Abszessen oder Meningitis kommen. Chronifiziert die Mittelohrentzündung, haben die Betroffenen oft längerfristig ein Loch im Trommelfell, durch das übel riechendes Sekret austritt. Im Gegenzug kann Plattenepithel aus dem äußeren Gehörgang ins Mittelohr einwandern und sich dort tumorartig vermehren. Eine solche Wucherung wird als Cholesteatom bezeichnet. Folge kann z. B. die Zerstörung der Gehörknöchelchen mit zunehmender Schwerhörigkeit sein.

Therapie ●





bei akuter Mittelohrentzündung: NSAR; erst bei persistierenden Beschwerden: Antibiotika, ggf. Parazentese (Schlitzung des Trommelfells, damit Sekret abfließen kann) bei chronischer Mittelohrentzündung: Verschließen des Trommelfelldefekts, ggf. operative Entfernung eines Cholesteatoms Prophylaxe: Bei Kindern, die zur Otitis media neigen, sollten bei Schnupfen abschwellende und schleimlösende Nasentropfen oder -sprays verabreicht werden.

Erkrankungen des Ohres

Spezielle Pflege ● ●

● ●

Verabreichung von Nasentropfen/-sprays (siehe Kap. 62.2.3) Schmerzmanagement: – bedarfsgerecht, unter Berücksichtigung der Expertenstandards „Schmerzmanagement bei akuten Schmerzen“ und siehe Kap. 37 – Ein Zwiebelwickel kann schmerzlindernd wirken. Hektik und Lärm vermeiden ggf. Pflege bei Fieber (siehe Kap. 42)

Altersschwerhörigkeit (Presbyakusis) • Ursache der Altersschwerhörigkeit ist die mit zunehmendem Alter nachlassende Funktion der Haarsinneszellen im Innenohr und der zuständigen Bezirke im Gehirn (z. B. aufgrund von Durchblutungsstörungen). Typisch ist, dass zunächst v. a. die hohen Frequenzen schlechter gehört werden. Unbehandelt führt die Altersschwerhörigkeit häufig zu Vereinsamung, Abbau der kognitiven Fähigkeiten und psychischen Problemen. Deswegen ist wichtig, dass die Betroffenen ein Hörgerät bekommen.

62.2.8 Lärmschaden 62.2.5 Hörsturz Der Hörsturz ist ein plötzlicher, meist einseitiger Hörverlust. Hinzu kommen häufig ein Tinnitus mit einem Druckgefühl auf der betroffenen Seite und Schwindel. Vermutet werden als Auslöser Durchblutungsstörungen im Mittelohr, Entzündungen des Hörnervs und psychosomatische Faktoren. Da die tatsächliche Ursache aber meistens unbekannt ist, ist eine kausale Therapie schwierig. Oft wird versucht, die Situation mit Kortikosteroid-Infusionen zu verbessern.

Die von einer Lärmquelle ausgehenden Schallwellen können ab einem bestimmen Schallpegel die Haarzellen im Innenohr beschädigen. Diese Schädigung kann irreversibel sein. Typische Ursachen sind z. B. ein sehr lauter Knall, ein sehr lautes Konzert oder eine jahrelange Lärmbelästigung ab 85 Dezibel, z. B. ständiger Verkehrslärm oder „Industrielärm“. Bei einer Explosion kann der Schalldruck so stark sein, dass sogar das Trommelfell oder die Gehörknöchelchen beschädigt werden.

62.2.9 Gehörlosigkeit 62.2.6 Tinnitus Ein Tinnitus ist ein Pfeifen, Piepsen oder Rauschen im Ohr. Er kann akut auftreten, chronisch anhalten, sich nach einigen Wochen oder Monaten aber auch zurückbilden und völlig verschwinden. Als Auslöser kommen z. B. infrage: ● Lärmschäden, Barotrauma ● Hörsturz ● Altersschwerhörigkeit ● ototoxische Medikamente, z. B. Zytostatika ● Morbus Menière (Krankheit mit Schwindel, Ohrensausen und Hörminderung) ● psychische Faktoren, wie hoher Leistungsdruck, Stress ● Akustikusneurinom Der Betroffene empfindet das Ohrgeräusch v. a. in stiller Umgebung, z. B. beim Einschlafen. Der Leidensdruck ist oft erheblich. Viele Patienten leiden an Angstzuständen und/oder Depressionen. Liegt eine Erkrankung zugrunde, erfolgt die kausale Therapie. Ist die Ursache unbekannt, können Kortikosteroid-Infusionen und Rheologika (z. B. Pentoxifyllin) versucht werden. Prinzipiell gilt die Behandlung aber als schwierig. Psychotherapie hilft zumindest bei der Krankheitsbewältigung.

62.2.7 Schwerhörigkeit Abhängig von der Ursache werden drei Formen der Schwerhörigkeit unterschieden: 1. Schallleitungsschwerhörigkeit: Hier werden die Schallwellen auf ihrem Weg vom äußeren Ohr über den Gehörgang ins Innenohr behindert. Ursachen sind z. B. Ohrenschmalz, Fremdkörper im Gehörgang oder eine Mittelohrentzündung. 2. Schallempfindungsschwerhörigkeit: Das Innenohr kann die ankommenden Schallwellen nicht verarbeiten, z. B. nach einer Schädigung der Haarzellen durch einen Lärmschaden, ototoxische Medikamente oder eine Fehlbildung im Innenohr. 3. Schallwahrnehmungsschwerhörigkeit: Der Hörnerv ist geschädigt, z. B. durch eine neurologische Erkrankung wie ein Akustikusneurinom.

Gehörlosigkeit kann angeboren oder erworben sein. Meistens sind die Haarzellen im Innenohr betroffen. Seltener liegt eine Nervenschädigung oder eine Schädigung im Hörzentrum im Gehirn (zentrale Gehörlosigkeit) vor. Typische Ursachen einer erworbenen Gehörlosigkeit sind komplizierte Mittelohrentzündungen, Lärmschäden oder Meningitiden. Ist die Cochlea betroffen, kann mithilfe eines Cochlea-Implantats ein Höreindruck ermöglicht werden – auch wenn die Haarzellen als Sensoren ausgefallen sind. Dies ist v. a. bei Kleinkindern sinnvoll, um ihnen das Sprechenlernen zu ermöglichen. Ansonsten steht im Vordergrund, den Betroffenen Kenntnis und Gebrauch der Gebärdensprache und des Lippenlesens zu vermitteln.

KOMPAK T Erkrankungen des Ohres ●











Pflege: bei Schwerhörigkeit: in der Kommunikation mit Gesten und Berührungen arbeiten, deutlich und strukturiert sprechen sowie Patient ansehen, um Lippenlesen zu ermöglichen; Achtung bei Ohrspülungen (kann Drehschwindel und Kreislaufschwankungen auslösen) Mittelohrentzündung: häufig bei Kleinkindern (u. a. wegen der kurzen Ohrtrompete). Prophylaxe: abschwellende Nasentropfen bei Schnupfen. Therapie: NSAR. Pflege: Schmerzmanagement Cholesteatom: Einwucherung von Plattenepithel ins Mittelohr, oft als Komplikation einer chronischen Mittelohrentzündung Tinnitus: konstantes subjektives Geräusch im Ohr. Therapie ist oft schwierig. Die Patienten sind psychisch oft stark belastet. Ursachen für Schwerhörigkeit: z. B. Ohrschmalz, Hörsturz, Lärmschäden, Altersschwerhörigkeit, entzündliche Zerstörung des Hörorgans, Fehlbildung Gehörlosigkeit: oft als Folge einer kindlichen Fehlbildung. Kann z. T. mit Cochlea-Implantat therapiert werden.

63

Pflege bei Erkrankungen der Haut

vor Sonneneinstrahlung

Entspannung kühlen

Hautpflege Kratzalternativen

vor Austrocknung

Corium

Reibung vermeiden

Epidermis

mechanisch

Subkutis

Schutz

Wahrnehmung Immunabwehr

Aufbau

Juckreiz lindern, z.B. Schmerzmanagement

Funktion

Anatomie und Physiologie

medikamentöse Therapie überwachen

Pflege, z.B.

Trichogramm

Abstrich

Hauttests

wichtige Medikamente, z.B.

Biopsien

Diagnostik, z.B.

Melanom

Karzinome, Psoriasis z.B. Systemtherapeutika, z.B.

Basaliom

Lokaltherapeutika, z.B. Erkrankungen, z.B.

Zytostatika

Psoriasis

Antibiotika verläuft in Schüben

Antimykotika Antihistaminika

Virustatika

nicht-infektiös

Glukokortikoide

Infektionen, z.B.

Candidose

Neurodermitis atopica

Autoimmunerkrankung

Follikulitis

Erysipel Superinfektion

chronischentzündlich quälender Juckreiz

Mitwirken bei der Diagnostik

63.1 Anatomie und Physiologie Die Haut ist das größte Organ des Körpers und besteht aus mehreren Schichten (▶ Abb. 63.1): ● Oberhaut (Epidermis): besteht aus Plattenepithel ● Lederhaut (Corium): besteht aus Bindegewebe ● Unterhaut (Subkutis): besteht aus Fettgewebe Die Haut schützt den Körper vor mechanischen Einwirkungen, Austrocknung und Sonneneinstrahlung, ● dient der Wahrnehmung von Berührungen und Druck, ● erfasst mit dem Temperatursinn ihre Umwelt und ● spielt eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr. ●

63.2.1 Weiterführende Untersuchungen Beispiele für weiterführende Untersuchungen sind: ● dermatoskopische Untersuchung: zur Beurteilung der Oberhaut (z. B. bei Pigmentveränderungen) ● mikrobielle/parasitäre Untersuchung: Abstrich der betroffenen Hautpartie, Haut-, Haar- oder Nagelproben (z. B. bei Verdacht auf eine Infektion durch Pilze oder Bakterien) ● Trichogramm: mikroskopische Beurteilung von Aussehen und Wachstumsphase von Haaren (bei Haarveränderungen) ● Hochfrequenzultraschall: Feststellung der Tiefenausdehnung von Hauttumoren

63.2.2 Hauttests

63.2 Mitwirken bei der Diagnostik Die Diagnostik ist Aufgabe des Arztes. Die Anamnese und die klinische Untersuchung führt er i. d. R. allein durch. Bei Bedarf folgen weiterführende Untersuchungen zur Sicherung der Diagnose.

Bei Verdacht auf eine Allergie kommen Allergietests zum Einsatz. In erster Linie sind dies Hauttests und serologische Untersuchungen, die direkt an der Haut vorgenommen werden. Häufig werden dazu Prick-, Reib-, Intrakutan- sowie Epikutantests zur Diagnose eingesetzt. Bei der Testung und 30 Minuten danach besteht die Gefahr eines anaphylakti-

Abb. 63.1 Aufbau der Haut. Haar Hornschicht

Talgdrüse

Nerven M. arrector pili

Glanzschicht Körnerzellschicht Stachelzellschicht

Oberhaut (Epidermis)

Basalzellschicht Papillarschicht Meißner-Tastkörperchen Geflechtschicht

Lederhaut (Dermis, Corium)

Schweißdrüse

Vater-PaciniKörperchen

Fettgewebe Unterhaut (Subkutis)

Gefäße

Muskulatur

Mit Oberhaut, Lederhaut und Unterhaut besteht die Haut aus 3 Schichten. Aus: Schwegler JS, Lucius R. Der Mensch – Anatomie und Physiologie. Thieme; 2011

l 63

Pflege bei Erkrankungen der Haut schen Schocks (Kap. 14.1.6). Notfallmedikamente und -equipment müssen vorab bereitgestellt sein. Reaktionen, die über den Testort hinausgehen, müssen unmittelbar dem Arzt mitgeteilt werden.

63.2.3 Biopsie

● ●





Bei Biopsien wird Gewebe entnommen und im Labor untersucht. Pflegende übernehmen die Vorbereitung des Patienten (Rasur, Positionierung etc.), sie bereiten den Raum und das benötigte Material vor. Auch die Weiterleitung des gewonnenen Materials ins Labor sowie die Beobachtung des Patienten nach dem Eingriff sind pflegerische Aufgaben.

● ●

Schwitzen, Arbeit in Staub und Schmutz vermeiden juckende Hautstelle mit Kühlelementen kühlen, Umschläge mit schwarzem Tee regelmäßige Hautpflege mit rückfettenden Präparaten, die juckreizlindernde Substanzen enthalten, z. B. Harnstoff, Glyzerin, Arnica, Polidocanol, Bisabolol juckreizlindernde Medikamente (Glukokortikoide, Antihistaminika, siehe Kap. 63.5) schmerzlindernde Maßnahmen ergreifen Entspannung mindert Juckreiz, z. B. autogenes Training, progressive Muskelentspannung nach Jacobsen, Yoga.

63.4 Erkrankungen der Haut 63.3 Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten

63.4.1 Psoriasis Definition Psoriasis

Viele Hauterkrankungen verlaufen chronisch: Sie lassen sich zwar durch therapeutische Maßnahmen beeinflussen, können jedoch nicht vollständig behoben werden. Menschen mit einer Hauterkrankung sind an einem Organ erkrankt, das den Blicken anderer ausgesetzt ist. Zurückweisung und Stigmatisierung durch Mitmenschen können zu Isolation, Depression und Substanzmissbrauch führen. Pflegende sollten hinsichtlich möglicher Anzeichen sensibel sein und bei Auffälligkeiten gezielt intervenieren. Symptome wie Juckreiz oder Schmerzen können die Lebensqualität des Patienten deutlich einschränken. Besonders der quälende Juckreiz ist häufig ein Teufels-Kreislauf (▶ Abb. 63.2). Folgende Maßnahmen können den Juckreiz lindern: ● Nägel kurz halten ● Kratzalternativen: Nägel fest auf juckende Stelle drücken, Stelle beklopfen, Massageball sanft darüberrollen lassen ● Reibung vermeiden: mit Handtuch abtupfen, lockere Kleidung mit Naturfasern, keinen Weichspüler benutzen

Die Psoriasis (Schuppenflechte) ist eine chronisch-entzündliche, nichtinfektiöse und schubweise verlaufende Autoimmunerkrankung, die hauptsächlich Haut und Nägel (und seltener Gelenke) betrifft. Durch die Entzündung ist die Neubildung von Hornzellen stark beschleunigt.

Ursachen Die Veranlagung für Psoriasis ist erblich bedingt. Bestimmte Triggerfaktoren (Infektionen v. a. der oberen Luftwege, Medikamente wie Beta-Blocker, mechanische Reizungen der Haut, Stress und Klimaveränderungen) können einen Schub auslösen.

Abb. 63.2 Juck-Kratz-Zirkel.

Einflussfaktoren kontrollieren

Kratzalternativen, z. B.:

• Hautkontaktstoffe • Nahrung • Umweltbelastungen • Stress • Keime • Reibung

• Klopfen • Massageball • Kühlen • Entspannungstechniken

Juckreiz

Kratzen

• Phototherapie • Glukokortikoide • Antihistaminika

Hautreizung

Viele verschiedene Einflussfaktoren können Juckreiz auslösen. Kratzen lindert zwar unmittelbar den Juckreiz, führt aber zu einer entzündeten, schmerzenden Haut, die wiederum anfällig ist für Juckreiz. Aus: I care – Pflege, Thieme; 2015

486

Erkrankungen der Haut

Symptome Je nach Art der Schuppenflechte sind die Symptome unterschiedlich: ● Psoriasis vulgaris: scharf begrenzte, gerötete Plaques und silbrig weiße Schuppung v. a. an den Streckseiten der Extremitäten, des behaarten Kopfes und im Bereich des Kreuzbeins. Im akuten Schub kann Juckreiz auftreten. Sind nur Hautfalten betroffen (z. B. Achsel- und Leistenregion), spricht man von Psoriasis inversa. ● Psoriasis arthropathica: Finger- und Zehengelenke sind schmerzhaft verdickt und gerötet (5 % der Psoriasis-Patienten). ● Psoriasis pustulosa: schwerste, lebensbedrohliche Form mit berührungsempfindlichen und schmerzhaften Pusteln am ganzen Körper

63.4.2 Neurodermitis atopica Definition Neurodermitis atopica Das atopische Ekzem ist eine schubweise verlaufende, chronische Hauterkrankung mit stark juckenden Ekzemen. Unter einem Ekzem (Dermatitis) versteht man eine nichtinfektiöse Entzündungsreaktion der Haut.

Pathophysiologie und Ursachen Der Pathomechanismus der Neurodermitis atopica ist noch teilweise unbekannt. Eine genetische Veranlagung wird angenommen. Die Haut ist in ihrer Barrierefunktion gestört und reagiert empfindlich auf Triggerfaktoren (z. B. Hautreizungen, Allergene, Infektionen, Stress und hormonelle Faktoren). 10 % der Kinder und 3 % der Erwachsenen leiden unter dieser Erkrankung.

Therapie ●









Um die gesteigerte Verhornung und Entzündung einzudämmen, wird meist eine abgestimmte lokale Basistherapie mit einer weiteren Therapieform kombiniert: Basistherapie: auf den Hauttyp abgestimmtes, wirkstofffreies Präparat zur täglichen Pflege Lokaltherapie: bei geringer Ausdehnung der Herde, z. B. mit Glukokortikoiden zur Eindämmung der Entzündung, Salicylsäureshampoo zur Entfernung der Schuppen (siehe Kap. 63.5.1) Phototherapie: bei stärkerer Ausdehnung oder ungenügenden Erfolg, nur bei Patienten über 40 Jahre (wegen möglicher Förderung von Hautkrebs), z. B. UVB-Schmalspektrumtherapie, PUVA-Therapie systemische Therapie: bei großflächiger Ausdehnung oder ungenügendem Erfolg, z. B. mit Fumarsäureester, Methotrexat, Ciclosporin (Kontraindikationen, wie z. B. Kinderwunsch, sind streng zu prüfen)

Pflege ●







● ●

Hautbeobachtung, z. B. Hautfarbe, Hautturgor, Hautoberfläche auf lokale Nebenwirkungen achten (z. B. Juckreiz), Info an Arzt Patient bei der lokalen und/oder systemischen Therapie unterstützen Patient sollte z. B. starke Hitze, Sonnenstrahlung (Sonnenbrand), beengende Kleidung, Alkohol, Drogen, Übergewicht vermeiden Maßnahmen gegen Juckreiz (siehe Kap. 63.3) Information zu Selbsthilfegruppen

Symptome Ein stark quälender Juckreiz löst bei den Betroffenen einen hohen Leidensdruck aus. Die Haut ist trocken und die Haare glanzlos (Sebostase = verminderte Talgproduktion). Ekzeme heilen zwar ohne Narben ab, langfristig entstehen jedoch entstellende Hautvergröberungen (Lichenifikationen). Gefürchtet ist die Superinfektion der Haut, die durch das Aufkratzen der Hautatrophie und das Anheften von Bakterien (z. B. Staphylokokken), Viren (z. B. Herpes simplex) oder Pilzen (z. B. Dermatophyten) bedingt wird und sogar lebensbedrohliche Formen annehmen kann.

Therapie Die Therapie setzt sich aus Basistherapie (Ziel: Feuchtigkeitsgehalt normalisieren) und der Therapie im akuten Schub (Ziel: Entzündung hemmen) zusammen: ● Basistherapie: mehrmals täglich Hautpflege mit rückfettenden Grundstoffen, Ölbäder ● akuter Schub: – in leichten bis mittelschweren Fällen: Glukokortikoide (lokal) – bei ausbleibendem Erfolg oder anderen Kontraindikationen: topische Calcineurin-Inhibitoren – bei schwerem Ekzem: Glukokortikoide oder Ciclosporin (oral) – superinfizierte Ekzeme: antiseptische und ggf. antibiotische Therapie – zur Linderung des Juckreizes: z. B. Antihistaminika, Phototherapie

Pflege ●





Beobachtung: – Veränderung von Haut und Haaren: Nebenwirkungen? Superinfektion? – erhöhte Körpertemperatur: Superinfektion? – psychosoziale Faktoren Körperpflege: Nägel kurz halten, vorsichtiges Abtupfen der Haut nach dem Waschen Therapie: Patient bei der lokalen und/oder systemischen Therapie unterstützen

l 63

Pflege bei Erkrankungen der Haut ●





Ernährung: schubauslösende Nahrungsmittel erfragen bzw. dokumentieren Schlaf: Schlafen im ungeheizten Zimmer unter dünner Bettdecke Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten: – Triggerfaktoren: künstliche Nahrungszusätze, Duftstoffe, Umweltbelastungen, chlorhaltiges Wasser (Tagebuch über Nahrung und Aktivitäten führen) – Maßnahmen gegen Juckreiz (siehe Kap. 63.3) – Selbsthilfegruppen – Sozialdienst

63.4.3 Arzneimittelexanthem Definition Arzneimittelexanthem Ein Arzneimittelexanthem ist eine unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW), die als allergische Hautreaktion nach Medikamenteneinnahme oder als Pseudoallergie (nicht allergische Intoleranzreaktion) auftritt.

Ursachen Prinzipiell können alle Medikamente ein Arzneimittelexanthem auslösen, gehäuft entsteht es aber bei Antibiotika (besonders bei Ampicillin), Schmerzmitteln und Schilddrüsenmedikamenten.

Symptome Die Ausschläge treten meist ab der 2. Behandlungswoche auf. Sie entstehen häufig am Stamm und gehen dann auf die Extremitäten über. Die Ausschläge können sehr unterschiedlich aussehen und sind meist von Juckreiz begleitet (▶ Abb. 63.3).

Abb. 63.3 Arzneimittelexanthem.

Therapie und Pflege ● ●



Medikament absetzen Antihistaminikum, Glukokortikoide und lokale Maßnahmen (Kap. 63.3) zur Linderung des Juckreizes auslösendes Medikament in Zukunft meiden und Eintrag in den Allergiepass

63.4.4 Follikulitis, Furunkel und Karbunkel Definition Follikulitis, Furunkel und Karbunkel Eine Follikulitis ist eine bakterielle, oberflächliche Infektion des Haarbalgs mit Staphylococcus aureus. Von einem Furunkel spricht man, wenn tiefere Schichten des Haarbalgs infiziert sind. Die Verschmelzung mehrerer Furunkel bezeichnet man als Karbunkel.

Ursachen ● ●

geschwächtes Immunsystem (z. B. bei Diabetes mellitus) mangelnde Körperhygiene

Symptome Symptomatisch zeigt sich der Furunkel durch Rötung und Pustelbildung und tritt am häufigsten mit Abszessen im Bartwuchsbereich, am Gesäß oder im Schambereich auf.

Therapie und Pflege Therapie und Pflege richten sich nach dem Schweregrad, Ort und Ursache der Infektion. ● Follikulitis: lokal antiseptische Therapie z. B. mit Jodlösung, Information und Anleitung zur Prophylaxe und Pflege ● Furunkel/Karbunkel: Ichthyolsalbe (sog. Zugsalbe) bringt den beginnenden Abszess zur vollen Ausprägung. Der Arzt kann nun durch Stichinzision den Abszess eröffnen, ausräumen und ggf. mit einer Drainage versorgen. ● Furunkel/Karbunkel im Gesicht: Gefahr der Erregerverschleppung über die Vena angularis in den Sinus cavernosus: Sinusthrombose, Meningitis, Enzephalitis. Die Eröffnung von Abszessen im Gesicht ist kontraindiziert. Stattdessen wird systematisch mit Antibiotika behandelt und die Erregerverbreitung minimiert (Sprech- und Kauverbot für den Patienten). Flüssige Kost und Parotitisprophylaxe (siehe Kap. 21.4) sind angezeigt.

63.4.5 Mykotische Hauterkrankungen Definition Mykotische Hauterkrankungen Arzneimittelexantheme können sehr unterschiedlich aussehen, hier zeigen sich viele kleine Papeln. Aus: Moll I. Duale Reihe Dermatologie. Thieme; 2010

488

Pilzinfektionen der Haut, der Haare und Nägel bezeichnet man als Dermatophytosen (Tinea). Eine Infektion mit Pilzen der Gattung Candida (meist Candida albicans) bezeichnet man als Candidose. Pilzinfektionen der Schleimhäute werden als Soor bezeichnet.

Erkrankungen der Haut

Symptome

Therapie und Pflege

Infektionen durch Dermatophyten sind besonders häufig in folgenden Arealen zu beobachten: ● Fußpilz (Tinea pedis): Rhagaden und Rötungen zwischen den Zehen, starker Juckreiz ● Nagelpilz (Tinea unguium): Verfärbung und Brüchigwerden des Nagels ● Kopfhautpilz (Tinea capitis): kreisrunde, schuppende Herde mit abgebrochenen Haaren



Die Besiedelung mit Candida ist recht häufig, wobei besonders häufig Menschen, die unter einem beeinträchtigten Immunsystem (z. B. Diabetes mellitus, AIDS, Tumorerkrankungen) leiden, an Candidosen erkranken. Besonders häufig sind folgende: ● orale Candidose (▶ Abb. 63.4a): weißliche Beläge an der Mundschleimhaut ● intertrigenöse Candidose (▶ Abb. 63.4b): weißliche Epidermis mit rötlichen Erosionen oder Rhagaden in feuchten Hautfalten (Achseln, Analfalte, unter den Brüsten, bei Säuglingen im Windelbereich) ● genitale Candidose: bei Frauen Juckreiz und weißlich bröckeliger Ausfluss, bei Männern Entzündung der Eichel ● Candida-Pneumonie/Candida-Pyelonephritis/Candida-Sepsis: Bei sehr geschwächtem Immunsystem, Letztere kann lebensbedrohlich sein. Abb. 63.4 Candidose.

Betroffene Areale werden je nach Umfang und Ort der Infektion behandelt. Bei geringer Ausdehnung an Haut und Nägeln kommen antimykotische Cremes und antimykotischer Nagellack zum Einsatz. Bei stärkerer Ausprägung muss eine systemische Therapie in Erwägung gezogen werden. Sowohl zur Behandlung eines akuten Pilzbefalls als auch zur Prophylaxe sollten alle Körperfalten (z. B. Brustfalte) und Zehenzwischenräume trocken gehalten werden. Gründliches Abtrocknen, Föhnen und das Einlegen von Kompressen unterstützen die Behandlung. Eine antiseptische Hautreinigung mit separatem (Einmal-) Waschhandschuh und Handtuch minimiert das Risiko, dass sich der Pilz auf andere Stellen ausbreiten kann. Bei der Behandlung von Mundsoor werden die weißlichen Beläge mittels Zahnbürste und Zungenreiniger entfernt und das Antimykotikum aufgetragen. Danach sollte der Patient eine halbe Stunde nichts essen oder trinken.

63.4.6 Parasitäre Hauterkrankungen Definition Parasitosen Parasitosen sind infektiöse Erkrankungen, die durch Parasiten (z. B. Milben, Flöhe, Würmer, Läuse, Zecken) hervorgerufen werden. Bei einer Infektion mit Skabies graben Milben zur Eiablage Gänge durch die Hornschicht der Haut. Der Körper reagiert mit einer allergischen Reaktion auf den Kot der Milben, sodass sich entlang der Gänge juckende Hauterscheinungen (▶ Abb. 63.5) bilden. Eine Ansteckung ist durch engen Körperkontakt möglich. Skabies ist eine weitverbreitete Parasitose, vor allem in Entwicklungsländern. Seit ein paar Jahren ist sie auch wieder häufiger in Deutschland anzutreffen.

Therapie und Pflege Die Behandlung von Skabies wird zumeist ambulant durchgeführt. Säuglinge und Patienten mit massivem Befall werden stationär aufgenommen und für 14 Tage isoliert. Der Patient wird gebadet und Permethrin(salbe) wird auf die betroffenen Hautstellen aufgetragen (ggf. am ganzen Körper). Kleidung und Bettwäsche müssen gewechselt werden. Es Abb. 63.5 Skabies (Krätze).

a Mundsoor. Typische abwischbare weißliche Beläge der Mundschleimhaut. b Intertriginöse Candidainfektion in der Analfalte. Aus: Sterry W, Burgdorf W, Worm M. Checkliste Dermatologie. Thieme; 2014

Milbenbefall zwischen den Fingern. Aus: Sterry W. Kurzlehrbuch Dermatologie. Thieme; 2011

l 63

Pflege bei Erkrankungen der Haut empfehlen sich dünne Stoffe, da die Milben bei Wärme aktiver sind und sich ein stärkerer Juckreiz einstellen kann. Nach 8–12 Stunden wird durch Abduschen die Salbe entfernt. Die stark ausgetrocknete Haut kann mit rückfettender Hautpflege ggf. in Ergänzung mit Glukokortikoidsalbe gepflegt werden. Auf den eigenen Infektionsschutz ist unbedingt zu achten. Dazu empfehlen sich Einmalhandschuhe und Schutzkittel sowie gründliche Händehygiene nach jedem Kontakt.

63.4.7 Hauttumoren Definition Tumor Tumoren (von lat. tumor, „Geschwulst, Schwellung“) sind Neubildungen von Körpergewebe (Neoplasie). ● Benigne (gutartige) Hauttumoren verdrängen das umgebende Gewebe, aber durchdringen es nicht und bilden keine Metastasen. ● Maligne (bösartige) Hauttumoren dringen in das umliegende Gewebe ein (Infiltration), zerstören es (Destruktion) und bilden Metastasen. ● Semimaligne Hauttumoren wachsen in das umliegende Gewebe ein, bilden jedoch keine Metastasen. Benigne Hauttumoren • Beispiele für gutartige Hauttumoren sind: ● Pigmentnävus („Leberfleck“): Durch eine Vermehrung von Melanozyten kommt es zu hell- bis dunkelbraunen Flecken der Haut, die sich durch Sonneneinstrahlung vermehren können („Sommersprossen“). Auffällige Pigmentnävi werden im Zweifelsfall durch Exzision entfernt. ● kongenitaler Nävus: Kongenitale Nävi sind angeboren und sollten beobachtet werden. Riesennävi (Durchmesser > 10 cm) sollten wegen der Entartungsgefahr frühzeitig chirurgisch entfernt werden. ● Nävus flammeus: Feuermale sind angeborene, hellrote Flecken und sind auf erweiterte Kapillaren zurückzuführen. Eine Entfernung mit Lasertherapie ist möglich.

Abb. 63.6 Maligne Hauttumoren.

a Basaliom. b Spinaliom. c Malignes Melanom. Aus: Moll I. Duale Reihe Dermatologie. Thieme; 2012

490



Hämangiom (Blutschwamm): Hämangiome sind umschriebene, gutartige Neubildungen von Gefäßen mit schwammartiger Konsistenz. Sie können sich bis zum 9. Lebensjahr zurückbilden und werden nur bei Funktionseinschränkung entfernt.

Maligne Hauttumoren • Bei bösartigen Hauttumoren entscheidet man 3 Arten: ● Basaliom (Basalzellkarzinom): häufigster Hauttumor, der ein semimalignes Wachstum aufweist und von den basalen Zellschichten der Haut ausgeht (▶ Abb. 63.6a). Die Therapie besteht aus einer Exzision des Tumors oder einer Bestrahlung, wenn die Entfernung des Tumors nicht möglich ist. ● Spinaliom (Plattenepithelkarzinom): zweithäufigster Hauttumor, der eine großzügigere Exzision erforderlich macht (▶ Abb. 63.6b). Ist dies nicht möglich oder bestehen Lymphknotenmetastasen, wird zusätzlich eine Strahlenoder Chemotherapie durchgeführt. ● malignes Melanom („schwarzer Hautkrebs“): sehr bösartiger Tumor, der von den Melanozyten der Haut ausgeht (▶ Abb. 63.6b). Eine sehr breite Tumorexzision und die Entfernung der befallenden Lymphknoten sind nötig. Bei Metastasen kommen je nach Stadium zusätzlich noch eine Strahlen-/Chemotherapie oder palliative Behandlung in Betracht.

ACHTUNG Sollte Ihnen bei der Pflege eines Patienten eine entsprechende Hautveränderung auffallen, weisen Sie den Patienten darauf hin, diese von einem Facharzt kontrollieren zu lassen. Präventiv gilt es, die regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen durch den Hautarzt in Anspruch zu nehmen.

Medikamente bei Hauterkrankungen

63.5 Die wichtigsten Medikamente bei Erkrankungen der Haut In der Behandlung von Hautkrankheiten werden vorwiegend Lokaltherapeutika, aber auch systemisch eingesetzte Medikamente angewendet (▶ Tab. 63.1 und ▶ Tab. 63.2).

63.5.1 Lokaltherapeutika Lokaltherapeutika werden gezielt an einer bestimmten Körperstelle appliziert und wirken epikutan (auf der Haut) oder perkutan (durch die Haut). Dermatologische Lokaltherapeutika (Externa) bestehen aus 3 Komponenten: ● Grundstoff: eine individuell abgestimmte Trägersubstanz, die fette, flüssige und feste Grundstoffe enthält

● ●

Wirkstoff: ist für die Wirkung verantwortlich Hilfsstoff: Lösungsmittel

Die Wahl des Grundstoffes hängt von dem Hautzustand und Hauttyp des Patienten, dem Applikationsort und der Jahreszeit/Außentemperatur ab. Beispiele für Grundstoffe sind Fette, Öle, Salben, Cremes, Gele, Lotionen, Tinkturen, Puder und Pasten. Vor der ärztlichen Visite sollten die Hautareale gereinigt werden, um die Begutachtung zu erleichtern. Patienten werden über unangenehme Begleiterscheinungen aufgeklärt. Lokaltherapeutika werden immer hygienisch mit Spatel oder Tupfer aus dem Gefäß entnommen. Eventuelle Reste der Externa auf der Haut werden vor der erneuten Anwendung entfernt.

Tab. 63.1 Die wichtigsten Wirkstoffe dermatologischer Lokaltherapeutika. Wirkstoffgruppe und Wirkstoffe

Therapieziel/Anwendung

Nebenwirkungen/ Beobachtungskriterien

Entzündungshemmung, Immunsuppression

bei Anwendung > 2 Wochen: Hautatrophie, Erweiterung und erhöhte Fragilität der Hautgefäße, Anfälligkeit für Pilzinfektionen, verstärkte Behaarung, Akne

Glukokortikoide ● ● ● ●

Hydrokortisonacetat Dexamethason Betamethason Clobetasolpropionat

Retinoide ● ●

Isotretinoin Adapalen





Förderung der Zelldifferenzierung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten, Hemmung der Talgproduktion Akne



Entzündungshemmung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten Psoriasis



Hautdesinfektion bakterielle Superinfektion

Jod nicht bei Patienten mit Hyperthyreose, bei Schwangeren und Stillenden nur bei Alternativmangel



Hautrötung, Hauttrockenheit erhöhte UV-Sensibilität (Sonnenschutz!)

Antipsoriatika ●

Dithranol







Hautreizung Verfärbung der Haut (passager), der Textilien und Sanitäreinrichtungen (permanent)

Antiinfektiva Desinfizienzien ● ●

Jod Chlorhexidin

● ●

Antibiotika ● ● ●

Erythromycin Clindamycin Fusidinsäure

Abtötung oder Wachstumshemmung von Bakterien

auf Allergieanzeichen achten

Abtötung oder Wachstumshemmung von Pilzen

Lokaltherapie auch nach 2 Wochen (auch bei Verschwinden der Mazerationen) weiterführen, sonst Rezidivgefahr

Abtötung von Milben und Läusen

Brennen, Juckreiz

Antimykotika ● ● ●

Bifonazol Ciclopiroxolamin Amphotericin

Antiparasitika ● ●

Permethrin Benzozylbenzoat

Medikamente bei Hauterkrankungen

63.5 Die wichtigsten Medikamente bei Erkrankungen der Haut In der Behandlung von Hautkrankheiten werden vorwiegend Lokaltherapeutika, aber auch systemisch eingesetzte Medikamente angewendet (▶ Tab. 63.1 und ▶ Tab. 63.2).

63.5.1 Lokaltherapeutika Lokaltherapeutika werden gezielt an einer bestimmten Körperstelle appliziert und wirken epikutan (auf der Haut) oder perkutan (durch die Haut). Dermatologische Lokaltherapeutika (Externa) bestehen aus 3 Komponenten: ● Grundstoff: eine individuell abgestimmte Trägersubstanz, die fette, flüssige und feste Grundstoffe enthält

● ●

Wirkstoff: ist für die Wirkung verantwortlich Hilfsstoff: Lösungsmittel

Die Wahl des Grundstoffes hängt von dem Hautzustand und Hauttyp des Patienten, dem Applikationsort und der Jahreszeit/Außentemperatur ab. Beispiele für Grundstoffe sind Fette, Öle, Salben, Cremes, Gele, Lotionen, Tinkturen, Puder und Pasten. Vor der ärztlichen Visite sollten die Hautareale gereinigt werden, um die Begutachtung zu erleichtern. Patienten werden über unangenehme Begleiterscheinungen aufgeklärt. Lokaltherapeutika werden immer hygienisch mit Spatel oder Tupfer aus dem Gefäß entnommen. Eventuelle Reste der Externa auf der Haut werden vor der erneuten Anwendung entfernt.

Tab. 63.1 Die wichtigsten Wirkstoffe dermatologischer Lokaltherapeutika. Wirkstoffgruppe und Wirkstoffe

Therapieziel/Anwendung

Nebenwirkungen/ Beobachtungskriterien

Entzündungshemmung, Immunsuppression

bei Anwendung > 2 Wochen: Hautatrophie, Erweiterung und erhöhte Fragilität der Hautgefäße, Anfälligkeit für Pilzinfektionen, verstärkte Behaarung, Akne

Glukokortikoide ● ● ● ●

Hydrokortisonacetat Dexamethason Betamethason Clobetasolpropionat

Retinoide ● ●

Isotretinoin Adapalen





Förderung der Zelldifferenzierung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten, Hemmung der Talgproduktion Akne



Entzündungshemmung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten Psoriasis



Hautdesinfektion bakterielle Superinfektion

Jod nicht bei Patienten mit Hyperthyreose, bei Schwangeren und Stillenden nur bei Alternativmangel



Hautrötung, Hauttrockenheit erhöhte UV-Sensibilität (Sonnenschutz!)

Antipsoriatika ●

Dithranol







Hautreizung Verfärbung der Haut (passager), der Textilien und Sanitäreinrichtungen (permanent)

Antiinfektiva Desinfizienzien ● ●

Jod Chlorhexidin

● ●

Antibiotika ● ● ●

Erythromycin Clindamycin Fusidinsäure

Abtötung oder Wachstumshemmung von Bakterien

auf Allergieanzeichen achten

Abtötung oder Wachstumshemmung von Pilzen

Lokaltherapie auch nach 2 Wochen (auch bei Verschwinden der Mazerationen) weiterführen, sonst Rezidivgefahr

Abtötung von Milben und Läusen

Brennen, Juckreiz

Antimykotika ● ● ●

Bifonazol Ciclopiroxolamin Amphotericin

Antiparasitika ● ●

Permethrin Benzozylbenzoat

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Pflege bei Erkrankungen der Haut

63.5.2 Systemische Therapeutika Tab. 63.2 Die wichtigsten Medikamente zur systematischen Anwendung bei Hauterkrankungen. Wirkstoffklasse und Wirkstoffe

Therapieziel/Anwendung

Nebenwirkungen/Beobachtungskriterien

Abtötung oder Wachstumshemmung von Bakterien



Antiinfektiva Antibiotika ● ● ● ●

Penicillin, Ampicillin Cefotaxim Doxycyclin Erythromycin





Magen-Darm-Beschwerden Pilzinfektionen der Haut oder – bei Frauen – des Genitalbereiches Arzneimittelexanthem

Virustatika ● ● ●

Aciclovir Brivudin Famiclovir

Hemmung der Proliferation von Herpes

Magen-Darm-Beschwerden

Abtötung oder Wachstumshemmung von Pilzen



Entzündungshemmung, Immunsuppression



Antimykotika ● ● ●

Amphotericin Caspofungin Ketoconazol



Magen-Darm-Beschwerden Leber

Immunsuppressiva Glukokortikoide Prednisolon Fluocortin

● ● ● ● ● ● ● ● ●

Nebenwirkungen auf die Haut (▶ Tab. 63.1) erhöhte Infektanfälligkeit verzögerte Wundheilung Gewichtszunahme Diabetes mellitus Nebennierenrindeninsuffizienz Magen-Darm-Ulzera Osteoporose Glaukom, Katarakt Psychose

Zytostatika Methotrexat (MTX)

Immunsuppression

● ● ● ● ● ●

Übelkeit, Erbrechen Haarausfall Mukositis Knochenmarksuppression Leberschädigung Infektanfälligkeit

Antihistaminika ●

Generation: – Clemastin – Ketotifen



Generation: – Cetirizin – Loratadin

Abschwächung der Histaminwirkungen auf die Haut (Rötung, Ödem, Juckreiz, Schmerz)

Mundtrockenheit, Schwindel, Müdigkeit

weniger sedierend

Retinoide Isotretinoin Alitretinoin Acitretin

Förderung der Zelldifferenzierung, Hemmung der Proliferation von Keratinozyten, Hemmung der Talgproduktion



● ● ●

492

Teratogen (fruchtschädigend): Patientinnen in gebärfähigen Alter müssen sorgfältig verhüten. trockene Haut und Lippen Haarausfall Depression und Suizidalität

Medikamente bei Hauterkrankungen

KOMPAK T Hauterkrankungen ●





Verlauf: Hauterkrankungen können chronisch verlaufen (z. B. Psoriasis, Neurodermitis atopica), infektiös (z. B. Follikulitis, Candidose) oder maligne (z. B. Basaliom) bedingt sein. Symptome: Juckreiz und Schmerzen zählen zu den häufigsten Symptomen. Maßnahmen bei Juckreiz: Kratzalternativen (z. B. Nägel fest auf juckende Stelle drücken, Stelle beklopfen, Massageball sanft darüberrollen lassen), Schwitzen und Reibung vermeiden, Kühlung, Entspannung, Medikamente (z. B. Glukokortikoide, Antihistaminika)

64

Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane

neu aufgetretene Knoten

Abrasio uteri Kolposkopie

Konisation Laparoskopie

rechtzeitige Antiemese

Hautveränderungen

Chemotherapie

Ausfluss an Brustwarze

Mammografie

vollständig

Symptome, z.B.

Spekulumuntersuchung

Ovarial-Ca

operative Entfernung

Therapie, z.B.

Zervix-Ca

brusterhaltend

Lymphödemvorbeugung

Mamma-Ca

Diagnostik, z.B.

Pflege, z.B.

Wundversorgung

Karzinome, z.B. Vitalzeichenkontrolle

sonstige Erkrankungen, Descendus/ Prolaps uteri

psychische Unterstützung frühe Mobilisation

Endometriose

generell Erkrankungen, z.B.

Wichtig beim ersten Verbandwechsel!

Würde und Schamgefühl der Betroffenen achten

Geschlechtskrankheiten, Syphilis

Hoden

AIDS

Penis Prostata

Hodentumor

Erektionsstörungen

Diagnostik, z.B.

Phimose

Feigwarzen

Hepatitis B/C

Prostatastanzbiopsie

PSA

Prostatitis Paraphimose

Gonorrhoe (Tripper)

Herpes genitalis

Hodentorsion

!

HIV

Prostatahyperplasie Prostata-Ca

transrektale Sonografie

Prostatauntersuchung

Urin: 3-Gläser-Probe

Weibliche Geschlechtsorgane

64.1 Weibliche Geschlechtsorgane



64.1.1 Anatomie und Physiologie Zu den weiblichen Geschlechtsorganen (▶ Abb. 64.1) gehören die äußeren Geschlechtsorgane (Vulva) sowie die inneren Geschlechtsorgane (Scheide, Gebärmutter, Eierstöcke, Eileiter) und die Brüste. ● Vulva: Die Gesamtheit der weiblichen äußeren Geschlechtsorgane (mit Schamhügel, Schambehaarung, Schamlippen, Klitoris und Scheidenvorhof). ● Scheide (Vagina): Die Vaginalwand besteht aus glatter Muskulatur und ist aufgrund ihrer Funktion zum Geschlechtsverkehr und als Geburtsweg stark dehnbar. Milchsäurebakterien sorgen für ein saures Milieu in der Scheide (pH-Wert: 4–4,5). ● Gebärmutter (Uterus): Dickwandiges, muskulöses Hohlorgan. Die Uteruswand besteht aus Endometrium, Myometrium und Perimetrium. Der Uterus nimmt die befruchtete Eizelle auf und passt sich während der Schwangerschaft der Größe des sich entwickelnden Kindes an.





Die Muskulatur sorgt für rhythmische Kontraktionen während der Geburt (Wehen). Eierstöcke (Ovarien): Die Eierstöcke liegen zu beiden Seiten der Gebärmutter seitlich an der Beckenwand und haben eine ovale Form. Ihre Größe variiert im Verlauf des Zyklus. Pro Menstruationszyklus reift (meist) eine Eizelle heran, die von einem Bläschen umgeben ist (sog. Follikel). Beim Eisprung reißt der Follikel und gibt die Eizelle frei. Die Eizelle wird vom Eileiter aufgenommen und in Richtung Gebärmutter transportiert. Auf dem Weg in die Gebärmutter kann die Befruchtung stattfinden. In den Eierstöcken werden die Hormone Östrogen und Gestagen gebildet. Eileiter (Tuba uteri): sorgen für den Transport der Eizelle zum Uterus Brust (Mamma): besteht aus Brustdrüse, Brustwarze mit Warzenvorhof und Binde- und Fettgewebe sowie der äußeren Haut und dient der Milchbildung und -abgabe

Abb. 64.1 Die weiblichen Geschlechtsorgane.

Lig. suspensorium ovarii

Ureter

Uterus, Fundus

Rectum

Colon sigmoideum

Peritoneum parietale

Os ilium A. iliaca externa dextra

M. iliacus

V. iliaca externa dextra

Ovarium sinistrum Tuba uterina sinistra

Lig. cardinale mit Anschnitten der A. uterina und des Plexus venosus uteri

Lig. teres uteri Spatium extraperitoneale pelvis, „Paracolpium“

Cervix uteri, Portio vaginalis, mit Ostium uteri

Rr. vaginales und Plexus venosus vaginalis

M. obturatorius internus mit Fascia obturatoria

Vagina, Paries posterior, mit Rugae vaginales

M. levator ani M. transversus perinei profundus

Os pubis, R. inferior

Fascia perinei superficialis

Crus clitoridis mit M. ischiocavernosus

A. perinealis Labium majus pudendi

Lig. teres uteri

Labium minus pudendi

Vestibulum vaginae mit Ostium vaginae

Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

A. bulbi vestibuli Bulbus vestibuli mit M. bulbospongiosus

l 64

Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane

64.1.2 Mitwirken bei der Diagnostik Gynäkologische Untersuchungen Pflegende betreuen die Patientin vor, während und nach gynäkologischen Untersuchungen und Verfahren und unterstützen Ärzte bei der Durchführung dieser Diagnostik. ● Kolposkopie: Pflegende sorgen im Rahmen dieser Untersuchung für eine angstfreie Atmosphäre. Sie bereiten die Patientin sowie die Instrumente (Spekula) vor. Wird bei der Kolposkopie eine Knipsbiopsie der Portio durchgeführt, müssen Gerinnungswerte der Patientin vorliegen, um stärkere Blutungen zu vermeiden. Längere oder stärkere Blutungen sowie stärkere Schmerzen nach Eingriff müssen abgeklärt werden. ● Abrasio uteri: transvaginale Abtragung der oberen Gebärmutterschleimhaut. Sie wird diagnostisch (zur histologischen Beurteilung) und therapeutisch (Abtragung von Schleimhautpolypen oder Plazentaresten) üblicherweise in Vollnarkose durchgeführt. Postoperative Entzündungszeichen oder sehr starke Blutungen müssen abgeklärt werden. Beratung: Die Patientin sollte 3 Wochen nicht baden, keinen Geschlechtsverkehr haben, keine Tampons benutzen sowie 1 Woche sich schonen und 3 Monate nicht schwanger werden. ● Konisation: Entnahme eines kegelförmigen Gewebeabschnitts aus dem Gebärmutterhals zur histologischen Beurteilung. Entzündungs-, Schockanzeichen (Pulsanstieg, Blutdruckabfall) sowie verstärke vaginale Blutungen ärztlich abklären lassen. Beratung wie bei Abrasio uteri. ● Laparoskopie: minimalinvasiver Eingriff mit einem Endoskop in Vollnarkose zur Beurteilung der inneren Geschlechtsorgane und zur Durchführung therapeutischer Maßnahmen. Präoperativ wird der Bauchnabel gereinigt, evtl. werden (nach Arztanordnung) Abführmittel und eine präoperative Medikation appliziert. Postoperativ kontrollieren Pflegende die Vitalparameter. Bei starken vaginalen Blutungen und Bauchschmerzen wird der Arzt informiert.

Besondere Beobachtungsaspekte Pflegende sollten bei Patientinnen (v. a. bei gynäkologischen Erkrankungen) auf den vaginalen Ausfluss (Fluor genitalis) und Menstruationszyklusstörungen achten: ● Fluor genitalis: Genitaler Ausfluss tritt physiologisch auf in der Zyklusmitte, bei sexueller Erregung, physischer Anstrengung und während der Schwangerschaft. Verändert sich der Fluor in Menge, Geruch und Aussehen, kann das ein Hinweis auf eine Krankheit sein. ● Menstruation: Menstruationszyklen dauern zwischen 25 und 35 Tage. Zu Beginn kommt es zu einer 3- bis 7-tägigen vaginalen Blutung, bei der die oberste Schicht der Gebärmutterschleimhaut (Functionalis) abgestoßen wird. Viele Frauen leiden dabei an Unterbauchschmerzen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen oder leichter Übelkeit. Ein gestörter Zyklus oder eine veränderte Menstruation kann auf Hormonstörungen oder pathologische Veränderungen der inneren oder äußeren Geschlechtsorgane hindeuten.

64.1.3 Spezielle Pflegemaßnahmen in der Gynäkologie ●





64.1.4 Mammakarzinom Definition Mammakarzinom Das Mammakarzinom ist ein maligner Tumor der Brustdrüse.

Ursache Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frau. Die Erkrankten sind im Mittel 63 Jahre alt. Es können aber auch jüngere Frauen betroffen sein. Die wichtigsten Risikofaktoren sind: ● genetische Vorbelastung, z. B. Mutation im BRCA-1- oder BRCA-2-Gen ● höheres Lebensalter ● Adipositas ● Rauchen ● keine Stillperioden

Symptome Leitsymptome von Mammakarzinomen sind: ● neu aufgetretene derbe, meist nicht schmerzhafte und wenig verschiebbare Verhärtungen (Knoten) in der Brust. Zu 50 % treten Karzinome im äußeren oberen Quadranten auf. Bei Metastasierung sind oft Achsellymphknoten tastbar. ● Hautveränderungen, z. B. Einziehungen, Vorwölbungen, Orangenhaut im Bereich des Tumors, ekzemartige Veränderungen (sog. Morbus Paget) sowie Hautrötungen und Entzündungen (inflammatorisches Karzinom) ● Einziehungen oder Ausfluss an der Brustwarze ● neu aufgetretene Asymmetrie der Brüste

Diagnostik ● ● ● ●

496

Genitalspülungen: Besteht nach einer OP (z. B. nach Kaiserschnitt) eine starke vaginale Blutung oder schmerzt das Wundgebiet, werden Genitalspülungen im Patientinnenbett angewendet. Dazu benötigen Pflegende neben dem Eigenschutz (Einmalhandschuhe, Kittel und Mittel zur Händedesinfektion): Steckbecken, Behälter mit Spüllösung, Bettschutz, Einmalhandtücher, frischer Einmalslip, frische Vorlage, Abwurfbeutel. Sitzbäder: Sitzbäder können die Wundheilung fördern. Badezusätze sind nach Abklärung von Allergien nach Arztanordnung möglich. Das Wasser sollte 38–40 °C warm sein und das Sitzbad 10–20 Minuten dauern. Vorlage vaginaler Kompressen: Wenn die Scheide juckt oder brennt, können antimikrobielle oder kühlende Salben nach Arztanordnung mit einer Kompresse auf den Vaginalbereich aufgebracht werden.

Tastuntersuchung Mammografie (Röntgenuntersuchung der Brust) Sonografie der Brüste Biopsie aus dem tumorverdächtigen Areal mit histologischer Beurteilung des Hormon- und Wachstumsfaktorrezeptorstatus

Weibliche Geschlechtsorgane ●

Untersuchung auf Metastasen (vorwiegend in Lunge, Leber, Knochen): Sonografie Abdomen, Röntgen-Thorax, Skelettszintigramm

Therapie Die betroffene Brust als äußeres Erscheinungsmerkmal der Frau wird möglichst brusterhaltend therapiert. Je nach histologischem Befund wird die operative Tumorentfernung als Tumorektomie, Segment- oder Quadrantenresektion oder als (radikale) Mastektomie geplant. Achsellymphknoten werden nur nach Fund von Metastasen entfernt, um ein Lymphödem am Arm zu vermeiden. Im Anschluss an die OP und Bestrahlung findet oft eine Chemotherapie statt. Eine Therapie mit Antiöstrogenen bzw. Antigestagenen bzw. eine Immuntherapie können je nach Tumorrezeptoren eine Option sein. Der chirurgisch-plastische Brustaufbau kann direkt oder in einer zweiten OP nach Mastektomie stattfinden. Einige Patientinnen lehnen die Rekonstruktion ab und tragen stattdessen eine Epithese.

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten • Pflegende beraten über ● die korrekte Selbstuntersuchung der Brüste ● Lymphödemprophylaxe (z. B. kein schweres Heben, kein Vollbad, keine Sauna, keine einschnürende Kleidung), ● Einschreiben in ein Disease-Management-Programm ● Anschlussbehandlung und medizinische Nachsorge

64.1.5 Ovarialkarzinom Definition Ovarialkarzinom Das Ovarialkarzinom ist ein vom Oberflächenepithel des Eierstocks ausgehender maligner Tumor. Es zählt zu den häufigsten Krebsformen der Frau und tritt vorwiegend zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr auf.

Ursache ● ●

Pflege präoperativ • Präoperativ haben Pflegende neben den allgemeinen präoperativen Maßnahmen (siehe Kap. 41) folgende Aufgaben: ● Armumfang messen, damit postoperatives Lymphödem rechtzeitig erkannt werden kann ● Physiotherapie ab 1. postoperativen Tag anmelden (Prophylaxe von Lymphödem, Fehlhaltung und Kontraktion) ● Bestellen einer Erstversorgungsprothese als Übergangslösung (in Absprache mit Patientin) Pflegebasismaßnahmen psychosoziale Unterstützung in der Trauer um die verlorene Brust, Gesprächsbereitschaft signalisieren ● Körperpflege und Mobilisation: Frühmobilisation am ersten postoperativen Tag möglich. Wunde muss mit einem wasserdichten Pflaster die ersten Tage verschlossen bleiben (sensibler Verbandwechsel!). Duschen ist möglich, jedoch sollte der Arm nicht stark bewegt werden. ● individuelles Schmerzmanagement nach dem Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen“ (siehe Kap. 10.4) ● Prophylaxen: – Kontrakturenprophylaxe – Haltungsübungen vor dem Spiegel helfen, Fehlhaltungen aufgrund der Gewichtsveränderung bei einseitiger Mastektomie vorzubeugen und das neue Körperbild zu akzeptieren. – Lymphödemen kann durch Hochlegen des Arms, manuelle Lymphdrainage, vorsichtige Bewegung des Arms nicht über die Schmerzgrenze und einen Kompressionsstrumpf für Arm und Hand vorgebeugt werden. – Injektionen und Blutdruckmessen sollten stets am nicht betroffenen Arm stattfinden und der Umfang regelmäßig gemessen werden. – Pneumonieprophylaxe (Schonatmung durch Schmerzen kann eine Pneumonie begünstigen, siehe Kap. 21.8). ●

Ursache bislang nicht eindeutig geklärt Risikofaktoren: z. B. zunehmendes Alter, Adipositas, Kinderlosigkeit, familiäre Disposition

Symptome Symptomatisch leidet die Frau erst spät unter eine Zunahme des Bauchumfangs (Tumorwachstum und Aszites) und Problemen beim Wasserlassen und beim Stuhlgang (Druck auf Blase und Darm). Leistungsminderung und Gewichtsverlust treten erst im Spätstadium auf. Ein lebensbedrohlicher Notfall liegt bei Stieldrehung oder Ruptur des Eierstocks vor und äußert sich in einem akuten Abdomen.

Diagnostik ● ● ●

Vaginalultraschall CT oder MRT Labor, Tumormarker

Therapie Therapeutische Option ist die Radikaloperation (Entfernung von Ovarien, Uterus, Beckenlymphknoten, ggf. Anteile von Blase, Darm und Peritoneum) in Kombination mit einer Chemotherapie.

Pflege Pflegebasismaßnahmen bei Genitalkarzinomen: ● Beobachtung: – Ausscheidungen: z. B. Fluor übel riechend? Urin blutig? Verstärkte Nachblutung? – Vitalparameter regelmäßig kontrollieren ● Wundmanagement: Wundheilung beobachten und dokumentieren, Drainagen überprüfen, regelmäßige Verbandwechsel durchführen und ausreichend Zeit einplanen, sensible und einfühlsame Wundversorgung, Intimsphäre wahren ● Mobilisation: Frühmobilisation am OP-Tag, Physiotherapie ● Schmerzmanagement: Schmerzerfassung, postoperativ individuelles Schmerzmanagement nach Expertenstandard „Schmerzmanagement in der Pflege bei akuten Schmerzen“ (siehe Kap. 10.4)

l 64

Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane ●



Prophylaxen: – bedarfsgerecht, je nach körperlichem Zustand (siehe Kap. 21), unter Berücksichtigung der jeweiligen Expertenstandards (siehe Kap. 10.4) – ggf. Lymphödemprophylaxe: z. B. bei Beckenlymphknotenentfernung kein langes Stehen, Beine öfters hochlegen, Verletzungen der Haut vorbeugen, Kleidung sollte nicht einschnüren psychosoziale Begleitung: – Ängste: psychosoziale Situation vor und nach OP beobachten und begleiten, Gespräche anbieten, ggf. Partner mit einbeziehen (Themen u. a. Selbstwertgefühl, Sexualität) – Seelsorge: ggf. psychoonkologische und seelsorgerische Beratung einschalten – über Selbsthilfegruppen informieren

64.1.7 Endometriumkarzinom Definition Endometriumkarzinom Das Endometriumkarzinom ist ein bösartiger Tumor der Gebärmutterschleimhaut, der oft östrogenabhängig wächst. Er tritt vor allem bei älteren Frauen auf.

Ursache ● ●

Ursache bislang nicht eindeutig geklärt Risikofaktoren: z. B. zunehmendes Alter, Hormone (frühe Pubertät oder späte Wechseljahre), Adipositas und Bewegungsmangel, Kinderlosigkeit, Diabetes mellitus, familiäre Disposition

Symptome

64.1.6 Zervixkarzinom Definition Zervixkarzinom Das Zervixkarzinom ist ein bösartiger Tumor, der von der Schleimhaut des Gebärmutterhalses ausgeht. Betroffen sind neben älteren Frauen z. T. auch recht junge Frauen um die 40.

Frühsymptome sind Blutungen nach der Menopause bzw. Menstruationsstörungen.

Diagnostik ● ●

Ursache



Ursache ist eine Infektion mit Humanen Papillomviren (HPV), die beim Geschlechtsverkehr übertragen werden. Da mittlerweile viele junge Mädchen gegen diese Viren geimpft sind, kommt der Tumor immer seltener vor.

Therapie und Pflege

Symptome ● ●



meist keine oder nur unspezifische Symptomatik unspezifische Symptome: z. B. Müdigkeit, unregelmäßige Blutung, Gewichtsverlust Symptome im fortgeschrittenen Stadium: z. B. Blutung nach Geschlechtsverkehr, Blutung außerhalb des Menstruationszyklus, übel riechender Ausfluss, Schmerzen beim Wasserlassen

Diagnostik ● ● ● ●

498

Vaginalsonografie körperliche Untersuchung (Tastuntersuchung) weiterführende Diagnostik: Hysteroskopie, Biopsie, Histologie (bei tatsächlichem Befund folgen weiterführende, diagnostische Maßnahmen)

körperliche Untersuchung (Tastuntersuchung) Zellabstrich (Pap-Test) HPV-Nachweis weiterführende Diagnostik: Kolposkopie, Biopsie, Histologie (bei tatsächlichem Befund folgen weiterführende, diagnostische Maßnahmen)

Therapie ist die operative Entfernung. Bei invasivem Wachstum müssen ggf. die gesamten inneren Geschlechtsorgane entfernt werden, inkl. Eileiter und Ovarien. Zudem müssen Chemotherapie und Bestrahlung erwogen werden. Zur Pflege siehe die Pflegebasismaßnahmen bei Genitalkarzinom (S. 497).

64.1.8 Endometriose Ursache Bei der Endometriose kommt Gebärmutterschleimhaut nicht nur im, sondern auch außerhalb des Uterus vor – z. B. in den Eierstöcken, im Bauchraum oder in der Harnblase. Da das Gewebe wie normales Endometrium hormonabhängig als Blutung abgestoßen wird, verursacht die Erkrankung (oft zyklusabhängig) Beschwerden. Längerfristig kann eine Endometriose zu ernsten Problemen wie Zysten und Sterilität führen.

Therapie und Pflege

Therapie und Pflege

Therapie ist die operative Entfernung. Ist die Neubildung noch auf die Schleimhaut beschränkt und hat er die Basalmembran noch nicht durchbrochen (Carinoma in situ), reicht evtl. die Konisation aus. Bei invasivem Wachstum muss ggf. auch die Gebärmutter mit umgebendem Gewebe entfernt werden. Zur Pflege siehe die Pflegebasismaßnahmen bei Genitalkarzinom (S. 497).

Verursacht die Endometriose Beschwerden, sollte versucht werden das „verirrte“ Gewebe möglichst vollständig zu entfernen (z. B. per Laparoskopie). Auch eine Hormontherapie kann Linderung bringen. Nach einer Laparoskopie kontrollieren Pflegende die Vitalparameter, sie achten u. a. auf Schmerzen, vaginale Blutungen und Veränderungen des Bauchumfangs.

Männliche Geschlechtsorgane

64.1.9 Descensus und Prolaps uteri KOMPAK T

Ursache Beim Descensus uteri senkt sich die Gebärmutter in die Scheide. Wird die Gebärmutter im Scheidenvorhof sichtbar, spricht man von einem Prolaps uteri bzw. einem „Vorfall der Gebärmutter“. Dies kann so weit gehen, dass auch Teile der Harnblase bzw. des Rektums „vorfallen“ (Zystozele bzw. Rektozele). Der Descensus uteri ist bei älteren Patientinnen häufig. Begünstigende Faktoren dafür sind: ● Bindegewebsschwäche ● Östrogenmangel ● schwere oder zahlreiche Geburten ● unzureichende Rückbildungsgymnastik nach den Geburten ● chronisch erhöhter Druck im Bauchraum (Adipositas, schwere körperliche Arbeit oder chronischer Husten) ● Operationen im Bereich des kleinen Beckens

Therapie und Pflege Die Therapie richtet sich nach der Schwere der Senkung. Bei leichteren Fällen helfen Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur oder Östrogen-Vaginalzäpfchen (bei Östrogenmangel). Ein Scheidenpessar kann den Uterus in Position halten, jedoch auch Entzündungen und Druckgeschwüre verursachen. In schweren Fällen ist eine Raffung der Scheidenwände oder eine Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) notwendig (vaginal, laparoskopisch oder laparotomisch). Postoperativ sollte nach einer vaginalen Hysterektomie 1–2-mal täglich und nach Stuhlgang eine Genitalspülung durchgeführt und auf vaginale Nachblutungen geachtet werden. Nach Entfernung des Blasendauerkatheters (DK) wird ein Kontinenztraining durchgeführt. Die Patientin sollte z. B. darüber informiert werden, dass der Fluss des Wundsekretes bis zu 2 Wochen postoperativ andauern kann und dass sie 3 Monate lang nicht mehr als 5 kg heben sollte. Der erste Geschlechtsverkehr darf erst nach vollständiger Ausheilung (ca. nach 6 Wochen) stattfinden.

Wichtige Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane ●











Mammakarzinom: Typische Erstsymptome sind z. B. derbe und wenig verschiebbare Verhärtungen in der Brust, Hautveränderungen oder eine Asymmetrie der Brüste. Therapie ist die (möglichst brusterhaltende) Resektion des Tumors, ggf. mit Lymphknotenentfernung, ggf. mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung. Bei der Pflege nach Mastektomie ist u. a. wichtig: Vermeidung eines Lymphödems (z. B. durch Hochlagerung des betroffenen Arms), Kontrakturenprophylaxe und psychosoziale Unterstützung. Zervixkarzinom: Betroffen sind nicht selten auch Frauen unter 40. Kann im frühen Stadium durch Konisation behandelt werden. Impfung gegen HP-Viren reduziert das Risiko deutlich. Endometriumkarzinom: Betroffen sind v. a. ältere Frauen. Therapie ist die Entfernung der Gebärmutter (Hysterektomie) und ggf. weiterer Organe im Becken (z. B. Ovar und Eileiter). Endometriose: Versprengtes Gebärmuttergewebe z. B. im Bauchraum, was wegen der zyklusabhängigen Blutungen zu Problemen führen kann. Therapie: OP oder Hormone. Descensus und Prolaps uteri: Therapie je nach Befund, von Beckenbodentraining bis Hysterektomie. Pflege nach Hysterektomie: auf vaginale Blutungen und Entzündungszeichen achten, DK kontrollieren, Genitalspülungen 1- bis 2-mal täglich, Stärkung der Beckenbodenmuskulatur

64.2 Männliche Geschlechtsorgane 64.2.1 Anatomie und Physiologie Zu den männlichen Geschlechtsorganen gehören (▶ Abb. 64.2): ● Penis: Abgabe von Urin und Sperma. Die zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs erforderlich Erektion erfolgt durch eine parasympathisch vermittelte erhöhte Durchblutung der zwei Schwellkörper. ● Hoden (Testis), Nebenhoden (Epididymitis) und Hodensack (Skrotum): Bildung, Reifung und Speicherung von befruchtungsfähigen Samenzellen. Im Hoden außerdem: Produktion von Testosteron. ● Samenleiter: Spermienleitung aus dem Nebenhoden in die Harnröhre ● akzessorische Geschlechtsdrüsen: bilden Sekrete, die zusammen mit den Spermien das Sperma (Ejakulat) bilden ● Prostata (Vorsteherdrüse): Ihr Sekret trägt zur Beweglichkeit der Spermien bei und macht etwa 30 % des Spermas aus.

Männliche Geschlechtsorgane

64.1.9 Descensus und Prolaps uteri KOMPAK T

Ursache Beim Descensus uteri senkt sich die Gebärmutter in die Scheide. Wird die Gebärmutter im Scheidenvorhof sichtbar, spricht man von einem Prolaps uteri bzw. einem „Vorfall der Gebärmutter“. Dies kann so weit gehen, dass auch Teile der Harnblase bzw. des Rektums „vorfallen“ (Zystozele bzw. Rektozele). Der Descensus uteri ist bei älteren Patientinnen häufig. Begünstigende Faktoren dafür sind: ● Bindegewebsschwäche ● Östrogenmangel ● schwere oder zahlreiche Geburten ● unzureichende Rückbildungsgymnastik nach den Geburten ● chronisch erhöhter Druck im Bauchraum (Adipositas, schwere körperliche Arbeit oder chronischer Husten) ● Operationen im Bereich des kleinen Beckens

Therapie und Pflege Die Therapie richtet sich nach der Schwere der Senkung. Bei leichteren Fällen helfen Übungen zur Stärkung der Beckenbodenmuskulatur oder Östrogen-Vaginalzäpfchen (bei Östrogenmangel). Ein Scheidenpessar kann den Uterus in Position halten, jedoch auch Entzündungen und Druckgeschwüre verursachen. In schweren Fällen ist eine Raffung der Scheidenwände oder eine Hysterektomie (operative Entfernung der Gebärmutter) notwendig (vaginal, laparoskopisch oder laparotomisch). Postoperativ sollte nach einer vaginalen Hysterektomie 1–2-mal täglich und nach Stuhlgang eine Genitalspülung durchgeführt und auf vaginale Nachblutungen geachtet werden. Nach Entfernung des Blasendauerkatheters (DK) wird ein Kontinenztraining durchgeführt. Die Patientin sollte z. B. darüber informiert werden, dass der Fluss des Wundsekretes bis zu 2 Wochen postoperativ andauern kann und dass sie 3 Monate lang nicht mehr als 5 kg heben sollte. Der erste Geschlechtsverkehr darf erst nach vollständiger Ausheilung (ca. nach 6 Wochen) stattfinden.

Wichtige Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane ●











Mammakarzinom: Typische Erstsymptome sind z. B. derbe und wenig verschiebbare Verhärtungen in der Brust, Hautveränderungen oder eine Asymmetrie der Brüste. Therapie ist die (möglichst brusterhaltende) Resektion des Tumors, ggf. mit Lymphknotenentfernung, ggf. mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung. Bei der Pflege nach Mastektomie ist u. a. wichtig: Vermeidung eines Lymphödems (z. B. durch Hochlagerung des betroffenen Arms), Kontrakturenprophylaxe und psychosoziale Unterstützung. Zervixkarzinom: Betroffen sind nicht selten auch Frauen unter 40. Kann im frühen Stadium durch Konisation behandelt werden. Impfung gegen HP-Viren reduziert das Risiko deutlich. Endometriumkarzinom: Betroffen sind v. a. ältere Frauen. Therapie ist die Entfernung der Gebärmutter (Hysterektomie) und ggf. weiterer Organe im Becken (z. B. Ovar und Eileiter). Endometriose: Versprengtes Gebärmuttergewebe z. B. im Bauchraum, was wegen der zyklusabhängigen Blutungen zu Problemen führen kann. Therapie: OP oder Hormone. Descensus und Prolaps uteri: Therapie je nach Befund, von Beckenbodentraining bis Hysterektomie. Pflege nach Hysterektomie: auf vaginale Blutungen und Entzündungszeichen achten, DK kontrollieren, Genitalspülungen 1- bis 2-mal täglich, Stärkung der Beckenbodenmuskulatur

64.2 Männliche Geschlechtsorgane 64.2.1 Anatomie und Physiologie Zu den männlichen Geschlechtsorganen gehören (▶ Abb. 64.2): ● Penis: Abgabe von Urin und Sperma. Die zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs erforderlich Erektion erfolgt durch eine parasympathisch vermittelte erhöhte Durchblutung der zwei Schwellkörper. ● Hoden (Testis), Nebenhoden (Epididymitis) und Hodensack (Skrotum): Bildung, Reifung und Speicherung von befruchtungsfähigen Samenzellen. Im Hoden außerdem: Produktion von Testosteron. ● Samenleiter: Spermienleitung aus dem Nebenhoden in die Harnröhre ● akzessorische Geschlechtsdrüsen: bilden Sekrete, die zusammen mit den Spermien das Sperma (Ejakulat) bilden ● Prostata (Vorsteherdrüse): Ihr Sekret trägt zur Beweglichkeit der Spermien bei und macht etwa 30 % des Spermas aus.

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Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane Abb. 64.2 Die männlichen Geschlechtsorgane. Vesica urinaria, Apex

Peritoneum urogenitale

Vesica urinaria, Corpus

Vesica urinaria, Cervix

Fascia investiens superficialis abdominis

Excavatio rectovesicalis Vesica urinaria, Fundus

Symphysis pubica Spatium retropubicum

Ampulla ductus deferentis

V. dorsalis superficialis penis

Rectum

Fascia penis (superficialis)

Ductus ejaculatorius

Fascia penis (profunda)

Prostata

Urethra, Pars spongiosa

Fascia rectoprostatica M. transversus perinei profundus

Corpus spongiosum penis

Gl. bulbourethralis

Corpus cavernosum penis Glans penis

M. bulbospongiosus

Preputium penis Urethra, Fossa navicularis

Septum scroti

Scrotum

Aus: Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus LernAtlas der Anatomie. Thieme; 2012. Grafiker: M. Voll

64.2.2 Mitwirken bei der Diagnostik Pflegende wirken bei folgenden diagnostischen Maßnahmen mit: ● Urinuntersuchungen: Urinstatus, Schnelltest oder Urinkultur (siehe Kap. 57.3.3). Bei Verdacht auf Urethritis wird die erste Harnportion verwendet. Bei Verdacht auf Prostatitis kann eine Drei-Gläser-Probe durchgeführt werden (1. Glas: Ersturin; 2. Glas: Mittelstrahlurin; 3. Glas: Urin nach Massage der Prostata). Achtung! Nicht im akuten Entzündungsstadium. ● Blutuntersuchungen: z. B. Nierenfunktionsparameter oder PSA-Wert (prostataspezifisches Antigen) und weitere Tumormarker (ATP, β-HCG, PLAP, LDH) ● bildgebende Verfahren: z. B. transrektale Sonografie der männlichen Geschlechtsorgane oder Zystografie (Röntgenverfahren unter Kontrastmittel bei liegendem DK) ● urodynamische Untersuchungen: Urodynamik (S. 398) ● Prostatastanzbiopsie: dient zur Diagnose eines Prostatakarzinoms. Präoperativ wird evtl. ein Klysma zur Enddarmreinigung verabreicht. Nach dem Eingriff darf der Patient 4 Wochen kein Fahrrad fahren, nicht schwer heben und keine heißen Bäder nehmen.

64.2.3 Prostatitis Die Prostatitis ist meistens Folge einer bakteriellen Infektion der ableitenden Harnwege oder des Nebenhodens. Die Patienten leiden unter Fieber, Schmerzen beim Harnlassen (Dysurie) und einer unvollständigen Blasenentleerung. Der

500

Urin ist mitunter rötlich tingiert (Hämaturie). Bei der rektalen Tastuntersuchung bzw. Defäkation ist die Prostata schmerzhaft. ● Therapeutisch erhalten die Patienten eine i. v.-Antibiose, entzündungshemmende und schmerzstillende Medikamente, ggf. einen DK bzw. suprapubischen Katheter (SPK) zur Gewährleistung des Harnabflusses und sie sollten Bettruhe einhalten. Pflegende beobachten den Urin, führen die Katheterpflege durch, sorgen für die Obstipationsprophylaxe und unterstützen den Patienten bei der Einhaltung der Bettruhe.

64.2.4 Benigne Prostatahyperplasie Definition Benigne Prostatahyperplasie Bei der benignen Prostatahyperplasie (BPH, Prostataadenom) ist die Prostata aufgrund einer Vermehrung von Drüsenzellen vergrößert.

Symptome Auslöser ist vermutlich ein Ungleichgewicht zwischen Östrogenen und Testosteron. Betroffen sind sehr viele Männer jenseits des 50. Lebensjahrs. Symptomatisch leitend sind Probleme beim Urinieren: Der Harnstrahl ist abgeschwächt (oft mit „nachträufeln“). Hinzu kommt Pollakisurie, Nykturie und starker Harndrang mit Schmerzen.

Männliche Geschlechtsorgane

Therapie ●



Stadium I (Probleme beim Wasserlassen, ohne Restharn): Medikamentöse Therapie mit pflanzlichen Präparaten (Kürbissamen, Brennnesselwurzel) oder mit Medikamenten, die entweder zur Verringerung des Auslasswiderstandes (α1-Rezeptorblocker, z. B. Tamsolosin) oder zur Verkleinerung der Prostata (5α-Reduktasehemmer, z. B. Finasterid) führen. Stadium II + III (Probleme beim Wasserlassen, mit Restharn): operative Therapie mittels transurethraler Elektrosektion der Prostata (TUR-P). Bei Patienten mit sehr großer Prostata muss ggf. eine offene Operation (Adenomenukleation) durchgeführt werden. Der Harnabfluss im Stadium III muss durch einen DK sichergestellt werden.

Therapie Am häufigsten wird die offene radikale Prostatektomie ggf. in Kombination mit Bestrahlungen durchgeführt. Hat der Tumor sich bereits in benachbartes Gewebe ausgebreitet, wird bei kurativer Intention unterstützend eine Hormontherapie durchgeführt. Die Operation erfolgt entweder perineal (Zugang über den Damm) oder retropubisch (Zugang über die Bauchdecke). Bei älteren Patienten mit wenig bis mittelgradig aggressivem Tumor wird auf eine Therapie verzichtet, jedoch sind regelmäßige Kontrollen notwendig.

Pflege bei OP ●

Pflege bei OP ●





präoperativ: u. a. Enddarmreinigung mittels Klysma am Vorabend, Information des Patienten über strenge Bettruhe am OP-Tag postoperativ: – engmaschige Kontrolle der Vitalparameter und Reduktion des Nachblutungsrisikos (u. a. durch Bettruhe am OP-Tag und Obstipationsprophylaxe) – Überwachung der Spülung des Wundgebiets: Über SPK (Zufluss) und DK (Abfluss) läuft eine kontinuierliche Spülung mit 0,9%iger NaCl-Lösung. Beobachtung des Urins (Blutkoagel?), Kontrolle der Zu- und Ableitungen (ggf. Verstopfung durch Blutkoagel?) und Bilanzierung am OP-Tag. Bei Mengendifferenz Arztinformation und Bauchumfang messen (Verletzung der Harnblase?). – Kostaufbau: Patient sollte am OP-Tag nüchtern bleiben, danach normale Kost. – sonstige perioperative Maßnahmen, z. B. Thromboseprophylaxe, Schmerzmanagement Information und Beratung für die ersten 6 Wochen nach OP: – tägliche Trinkmenge, 1,5 l (nach Beendigung der Spülung) – Hämaturie postoperativ möglich (ggf. vermehrte Blutung bei Lösung des Wundschorfs am 7.–14. Tag) sowie Pollakisurie oder plötzlicher Harndrang – Empfehlenswert ist ballaststoffreiche Kost und ggf. Milchzuckerpräparate zur Obstipationsprophylaxe. – körperliche Schonung, kein Fahrradfahren, keine Vollbäder oder Saunabesuche, kein Geschlechtsverkehr – längerfristig: ärztliche Kontrollen wahrnehmen (z. B. Prostatakrebs-Früherkennungsuntersuchungen)

64.2.5 Prostatakarzinom Definition Prostatakarzinom Das Prostatakarzinom ist ein maligner Tumor, der vom Drüsengewebe der Prostata (Adenokarzinom) ausgeht.

Symptome Das Prostatakarzinom ist der häufigste bösartige Tumor beim Mann. Es tritt v. a. bei Männern ab 70 Jahren auf, wächst langsam und macht sich erst spät durch Blasenentleerungsstörungen oder Metastasen im Skelettsystem (z. B. Kreuzschmerzen) bemerkbar.





präoperativ: Das Zugangsgebiet (entweder Damm oder Unterbauch) und die Fixationsstelle des DK am Oberschenkel werden rasiert. Zudem wird der Patient darüber informiert, dass man ihm vorübergehend einen DK legen wird und er nach der OP (zumeist nur vorübergehend) evtl. inkontinent sein wird. postoperativ: – engmaschige Kontrolle der Vitalparameter am OP-Tag – Körperpflege: Duschen nach Frühmobilisation möglich, keine Bäder, solange DK liegt, Netzhosen und Vorlagen bereitstellen, Wunde am Damm nach Stuhlgang mit feuchtem Einmalwaschlappen reinigen und vorsichtig abtupfen – Katheterpflege (siehe Kap. 22.1.3) mit Beobachtung der Urinfarbe (Nachblutungsgefahr), Entfernen des DK am 8. postoperativen Tag nach Zystografie – Mobilisation: frühestens nach 6 Stunden und durch 2 Pflegekräfte, Aufrichten über Seitenlage, Sitzen erst ab 2. postoperativen Tag – Drainage und Verbandwechsel: Dokumentation des Wundsekrets, Wunddrainage am 2. Tag entfernen nach Arztanordnung, Verbandwechsel alle 2 Tage oder bei Bedarf – Ernährung: am OP-Tag nur Wasser/Tee und Suppe, am 1. postoperativen Tag Aufbaukost danach leichte Kost, bei Bauchschnitt langsamerer Kostaufbau – Ausscheidung: Obstipationsprophylaxe Information und Beratung nach der OP: – Der Patient hat Anspruch auf eine psychoonkologische Beratung und eine Anschlussheilbehandlung. – kein Sport in den ersten 3 Wochen, keine Vollbäder und Saunabesuche in den ersten 4 Wochen, 3 Monate kein Fahrrad fahren – Kontinenztraining regelmäßig durchführen – Erektionsfähigkeit ist ggf. eingeschränkt (Tage bis Monate postoperativ). Ggf. auf urologische Sprechstunden zu diesem Thema hinweisen.

64.2.6 Hodentumoren Von Hodentumoren sind meistens Männer von 20 bis 40 Jahren betroffen. Die (leider oft malignen) Hodentumoren fallen durch eine zunehmende schmerzlose Schwellung und einem Schwere- oder Druckgefühl des Hodensacks auf. Tastbar ist die Schwellung als derber Knoten. Übliche Therapie ist die Entfernung des betroffenen Hodens (Semikastration), ggf. mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung. Eine präoperative Kryokonservierung

l 64

Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane ist empfehlenswert. Zudem kann erwogen werden, den entfernten Hoden durch ein Hodenimplantat zu ersetzen. Postoperativ sollte der Patient zeitnah mobilisiert werden. Da im Liegen die Schwellung jedoch leichter zurückgeht, sollte der Patient anschließend nur für die Körperpflege oder den Toilettengang aufstehen. Das Hochlegen des Hodens auf einem Hodenbänkchen und kühlende Auflagen unterstützen das Abschwellen. Weitere pflegerische Basismaßnahmen sind: Beobachtung von Verband (Intimsphäre wahren), Schwellung, Hämatombildung, Schmerzen und Urinausscheidung, Gesprächsbereitschaft signalisieren.

64.2.7 Hodentorsion Bei einer Hodentorsion sind der Samenstrang und der Hoden in der Längsachse verdreht. Dadurch ist die Blutversorgung des Hodens unterbrochen und es besteht ein Notfall. Oft sind Säuglinge oder junge Männer (15- bis 25-Jährige) betroffen. Symptomatisch äußert sich die Hodentorsion durch plötzliche, stärkste Schmerzen im Hoden und in der Leistengegend. Begleitend können Übelkeit und Erbrechen auftreten, der Hoden kann bläulich verfärbt sein. Therapeutisch gilt es, eine Nekrose des Hodens zu verhindern. Dies erfordert eine operative Reposition mit Orchidopexie (Fixierung des Hodens am Hodensack) innerhalb von 4–6 Stunden nach Beginn der Symptomatik. Bis zur Operation sollte der Hoden gekühlt werden. Postoperativ gilt (S. 502): Frühmobilisation, Hochlegen des Hodens (Hodenbänkchen), kühlen, weitere pflegerische Basismaßnahmen (s. o.)

KOMPAK T Wichtige Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane ●









64.2.8 Phimose Definition Phimose Eine Phimose (Vorhautverengung) liegt vor, wenn sich die Vorhaut nach dem 3. Lebensjahr nicht oder nur unter Schmerzen hinter die Eichel zurückstreifen lässt.

Definition Paraphimose Bei der Paraphimose klemmt eine zu enge, zurückgeschobene Vorhaut die Eichel ein. Das kann eine Nekrose der Eichel zur Folge haben und gilt als Notfall. Bei kleinen Jungen unter 3 Jahren ist die Vorhaut physiologisch mit der Eichel verklebt. Wird zu früh versucht, die Vorhaut zurückzuschieben, kann dies durch die Vernarbung zur Phimose führen. Phimosen können dann wiederum zu rezidivierenden Entzündungen führen und Probleme bei der Harnausscheidung und der Erektion hervorrufen. Therapie der Phimose ist die Zirkumzision (Beschneidung), also die Entfernung der Vorhaut. Pflegende achten beim Patienten nach der Zirkumzision u. a. darauf, dass es zu keinem Harnverhalt kommt. Zur Versorgung der Wunde kann ein Panthenolsalbenverband angelegt werden.

502



Prostatitis: Typische Symptome sind Dysurie, Hämaturie, unvollständige Blasenentleerung, Schmerzen und Fieber. Pflegerisch wichtig ist, für weichen Stuhlgang zu sorgen, auf Bettruhe zu achten und ggf. Wärme zu applizieren. benigne Prostatahyperplasie: Anwachsen der Prostata bis zu einer Größe, die Harnstau verursacht. Therapie z. B. mittels transurethraler Elektrosektion der Prostata (TUR-P). Postoperative Pflege: u. a. auf Nachblutungen achten, Spülung des Wundgebiets über Spülkatheter, Kostaufbau, Verbandwechsel, für ballaststoffreiche Kost sorgen Prostatakarzinom: äußert sich z. B. mit Blasenentleerungsstörungen oder Rückenschmerzen (Metastasen). Therapie ist häufig die radikale Prostatektomie. Pflegerisch wichtig ist nach einer OP u. a. die Vitalzeichenkontrolle, Urinbeobachtung auf Hämaturie (Nachblutungsgefahr), Drainagepflege, Wundpflege, Mobilisation und Obstipationsprophylaxe. Wichtig ist zudem die Unterstützung bei postoperativer Inkontinenz. Hodentumor: äußert sich als schmerzloser, derber Knoten sowie Schwere- und Druckgefühl im Hoden. Nach OP: Hoden hochlagern und kühlen. Hodentorsion: Notfall! Der Hoden muss rasch reponiert werden, sonst droht die Nekrose. Phimose: Vorhaut lässt sich wegen Vorhautverengung nicht über die Eichel zurückschieben. Therapie: Zirkumzision.

64.3 Sexuell übertragene Erkrankungen Definition Sexuell übertragbare Krankheiten Infektionen, die ausschließlich oder überwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, bezeichnet man als sexuell übertragbare Krankheiten. Neben den hier genannten Krankheiten zählen zu den sexuell übertragbaren Krankheiten auch Chlamydieninfektionen, Herpes genitalis sowie Hepatitis B und C (siehe Kap. 56.3.9) und die HIV-Infektion (siehe Kap. 59.5.2).

64.3.1 Gonorrhö („Tripper“) Die Gonorrhö wird durch Gonokokken verursacht. Sie löst eitrigen Ausfluss und Schmerzen beim Wasserlassen aus. Durch aufsteigende Erreger können sich bei Frauen die Eileiter entzünden (Salpingitis) und bei Männern kann die Infektion auf Nebenhoden (Epididymitis) und Prostata (Prostatitis) übergreifen. Unfruchtbarkeit (Sterilität) kann die Folge sein. In seltenen Fällen kann der Erreger auch eine Peritonitis oder akute Gelenkentzündungen auslösen. Nach der gesicherten Diagnose (durch Abstrichuntersuchung und ein Antibiogramm) erfolgt eine antibiotische Therapie des Betrof-

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Pflege bei Erkrankungen der Geschlechtsorgane ist empfehlenswert. Zudem kann erwogen werden, den entfernten Hoden durch ein Hodenimplantat zu ersetzen. Postoperativ sollte der Patient zeitnah mobilisiert werden. Da im Liegen die Schwellung jedoch leichter zurückgeht, sollte der Patient anschließend nur für die Körperpflege oder den Toilettengang aufstehen. Das Hochlegen des Hodens auf einem Hodenbänkchen und kühlende Auflagen unterstützen das Abschwellen. Weitere pflegerische Basismaßnahmen sind: Beobachtung von Verband (Intimsphäre wahren), Schwellung, Hämatombildung, Schmerzen und Urinausscheidung, Gesprächsbereitschaft signalisieren.

64.2.7 Hodentorsion Bei einer Hodentorsion sind der Samenstrang und der Hoden in der Längsachse verdreht. Dadurch ist die Blutversorgung des Hodens unterbrochen und es besteht ein Notfall. Oft sind Säuglinge oder junge Männer (15- bis 25-Jährige) betroffen. Symptomatisch äußert sich die Hodentorsion durch plötzliche, stärkste Schmerzen im Hoden und in der Leistengegend. Begleitend können Übelkeit und Erbrechen auftreten, der Hoden kann bläulich verfärbt sein. Therapeutisch gilt es, eine Nekrose des Hodens zu verhindern. Dies erfordert eine operative Reposition mit Orchidopexie (Fixierung des Hodens am Hodensack) innerhalb von 4–6 Stunden nach Beginn der Symptomatik. Bis zur Operation sollte der Hoden gekühlt werden. Postoperativ gilt (S. 502): Frühmobilisation, Hochlegen des Hodens (Hodenbänkchen), kühlen, weitere pflegerische Basismaßnahmen (s. o.)

KOMPAK T Wichtige Erkrankungen der männlichen Geschlechtsorgane ●









64.2.8 Phimose Definition Phimose Eine Phimose (Vorhautverengung) liegt vor, wenn sich die Vorhaut nach dem 3. Lebensjahr nicht oder nur unter Schmerzen hinter die Eichel zurückstreifen lässt.

Definition Paraphimose Bei der Paraphimose klemmt eine zu enge, zurückgeschobene Vorhaut die Eichel ein. Das kann eine Nekrose der Eichel zur Folge haben und gilt als Notfall. Bei kleinen Jungen unter 3 Jahren ist die Vorhaut physiologisch mit der Eichel verklebt. Wird zu früh versucht, die Vorhaut zurückzuschieben, kann dies durch die Vernarbung zur Phimose führen. Phimosen können dann wiederum zu rezidivierenden Entzündungen führen und Probleme bei der Harnausscheidung und der Erektion hervorrufen. Therapie der Phimose ist die Zirkumzision (Beschneidung), also die Entfernung der Vorhaut. Pflegende achten beim Patienten nach der Zirkumzision u. a. darauf, dass es zu keinem Harnverhalt kommt. Zur Versorgung der Wunde kann ein Panthenolsalbenverband angelegt werden.

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Prostatitis: Typische Symptome sind Dysurie, Hämaturie, unvollständige Blasenentleerung, Schmerzen und Fieber. Pflegerisch wichtig ist, für weichen Stuhlgang zu sorgen, auf Bettruhe zu achten und ggf. Wärme zu applizieren. benigne Prostatahyperplasie: Anwachsen der Prostata bis zu einer Größe, die Harnstau verursacht. Therapie z. B. mittels transurethraler Elektrosektion der Prostata (TUR-P). Postoperative Pflege: u. a. auf Nachblutungen achten, Spülung des Wundgebiets über Spülkatheter, Kostaufbau, Verbandwechsel, für ballaststoffreiche Kost sorgen Prostatakarzinom: äußert sich z. B. mit Blasenentleerungsstörungen oder Rückenschmerzen (Metastasen). Therapie ist häufig die radikale Prostatektomie. Pflegerisch wichtig ist nach einer OP u. a. die Vitalzeichenkontrolle, Urinbeobachtung auf Hämaturie (Nachblutungsgefahr), Drainagepflege, Wundpflege, Mobilisation und Obstipationsprophylaxe. Wichtig ist zudem die Unterstützung bei postoperativer Inkontinenz. Hodentumor: äußert sich als schmerzloser, derber Knoten sowie Schwere- und Druckgefühl im Hoden. Nach OP: Hoden hochlagern und kühlen. Hodentorsion: Notfall! Der Hoden muss rasch reponiert werden, sonst droht die Nekrose. Phimose: Vorhaut lässt sich wegen Vorhautverengung nicht über die Eichel zurückschieben. Therapie: Zirkumzision.

64.3 Sexuell übertragene Erkrankungen Definition Sexuell übertragbare Krankheiten Infektionen, die ausschließlich oder überwiegend durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, bezeichnet man als sexuell übertragbare Krankheiten. Neben den hier genannten Krankheiten zählen zu den sexuell übertragbaren Krankheiten auch Chlamydieninfektionen, Herpes genitalis sowie Hepatitis B und C (siehe Kap. 56.3.9) und die HIV-Infektion (siehe Kap. 59.5.2).

64.3.1 Gonorrhö („Tripper“) Die Gonorrhö wird durch Gonokokken verursacht. Sie löst eitrigen Ausfluss und Schmerzen beim Wasserlassen aus. Durch aufsteigende Erreger können sich bei Frauen die Eileiter entzünden (Salpingitis) und bei Männern kann die Infektion auf Nebenhoden (Epididymitis) und Prostata (Prostatitis) übergreifen. Unfruchtbarkeit (Sterilität) kann die Folge sein. In seltenen Fällen kann der Erreger auch eine Peritonitis oder akute Gelenkentzündungen auslösen. Nach der gesicherten Diagnose (durch Abstrichuntersuchung und ein Antibiogramm) erfolgt eine antibiotische Therapie des Betrof-

Sexuell übertragene Erkrankungen fenen und seines Sexualpartners. Der Patient sollte darüber informiert werden, keinen Geschlechtsverkehr bis zum vollständigen Ausheilen der Erkrankung zu haben.





64.3.2 Syphilis (Lues) Beim Geschlechtsverkehr mit einem Infizierten dringt das Bakterium Treponema pallidum durch Haut- oder Schleimhautdefekte in den Körper ein. Nach einer Inkubationszeit von 10 Tagen bis 3 Wochen durchläuft die unbehandelte Infektion 4 Stadien: ● Stadium I (Primärstadium): Bildung eines harten, schmerzlosen Geschwürs mit nässender, infektiöser Stelle an der Eintrittsstelle ● Stadium II (Sekundärstadium): Nach ca. 8 Wochen wandern die Bakterien in die Blutbahn. Die Erkrankten leiden an grippeartigen Allgemeinsymptomen und geschwollenen Lymphknoten. Ein nichtjuckender, aber infektiöser Ausschlag an der Haut und an den Schleimhäuten tritt auf. Nässende Papeln im Genitalbereich und Haarausfall sind möglich.



Stadium III (Tertiärstadium): Monate bis Jahre nach der Infektion entwickeln sich Granulome (entzündliche Knoten) in Haut, Knochen, Gefäßen, inneren Organen und im ZNS. Neurolues (früher Stadium IV/Quartärstadium): Die Patienten erkranken an einer chronischen Enzephalitis mit Demenz, Gehstörung, Verlust der Schmerz- und Temperaturwahrnehmung sowie Kontrollverlust über Blase und Darm. Das erste Stadium ist mit einer Einmalgabe eines Antibiotikums (Penicillin) gut zu behandeln. Spätere Stadien erfordern eine längere und intravenöse Gabe des Antibiotikums.

Der Patient sollte ausführlich über mögliche Übertragungswege informiert werden. Bis zum vollständigen Ausheilen der Erkrankung darf kein ungeschützter Geschlechtsverkehr stattfinden.

65

Pflege bei Erkrankungen der Psyche

Aggression

Stigmatisierung Diskriminierung Ausgrenzung frühkindlicher Autismus

Konflikte im sozialen Umfeld und Beruf

ADHS

Suizidalität

! herausfordernde Situationen meistern, z.B. professioneller Beziehungsaufbau

Bezugspflege Bedeutung für den Patienten

Mitwirken bei der Psychotherapie

Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen,

Pflege, z.B. z.B. Verfolgungswahn

Belastungs- und Anpassungsstörungen, z.B.

akute Belastungsstörung

Psychosen des schizophrenen Formenkreises, z.B.

paranoide Schizophrenie

posttraumatische Belastungsstörung

Depression affektive Störungen, z.B.

sozialer Rückzug

Manie bipolare Störung

Depressionen Sucht- und Abhängigkeit, z.B. Alkoholabhängigkeit

Medikamente, z.B. Benzodiazepine Neuroleptika

Angst- und Zwangsstörungen, z.B.

Spielsucht

Essstörungen, z.B.

Antidepressiva Anorexia nervosa Panikattacke Phobien

Zwangsgedanken

Zwangshandlungen

Bulimie

Mitwirken bei der Diagnostik und Therapie

65.1 Bedeutung für den Patienten Psychische Erkrankungen verändern das Leben eines Menschen von Grund auf. Im sozialen Umfeld und im Berufsalltag kommt es häufig zu Konflikten – die Betroffenen fühlen sich ungerecht behandelt und missverstanden. Mitunter werden sie ausgegrenzt, diskriminiert und stigmatisiert. Umso wichtiger ist es für Pflegende, diesen Menschen wertschätzend, vorurteilsfrei und sensibel zu begegnen.

65.2 Mitwirken bei der Diagnostik und Therapie Ein ganzheitliches Bild des Patienten auf der Basis einer engen Zusammenarbeit aller Berufsgruppen ist wesentlich für das Gelingen einer Behandlung. Pflegende haben eine zentrale Rolle in der Gestaltung der Beziehung zum Patienten. In interdisziplinären Fallbesprechungen bringen sie ihre Beobachtungen im Umgang mit dem Patienten ein.

65.2.1 Pflegerische Beobachtung ●





objektive Beobachtung: z. B. Vitalparameter, Blutzucker, Körpergröße, Gewicht subjektive Beobachtung: z. B. Stimmungslage, Orientierungsfähigkeit, Sozialverhalten, Compliance Assessmentinstrumente: z. B. Beurteilung der Delirgefährdung: Confusion Assessment Method (CAM) (Kap. 10.4)

65.2.2 Professioneller Beziehungsaufbau Die professionelle Beziehungsgestaltung ist eine der wichtigsten Aufgaben von Pflegenden im psychiatrischen Arbeitsalltag (siehe Kap. 6.2). Eine professionelle Beziehung unterscheidet sich von einer Alltagsbeziehung. Dafür sollten Pflegende folgende Aspekte beachten: ● zeitliche Begrenzung: Eine professionelle Beziehung hat einen definierten Anfang und ein definiertes Ende. ● definiertes Ziel: Unterstützung des Patienten bei der Genesung ● Nähe und Distanz: Nähe ermöglicht eine empathische Begegnung. Trotzdem muss Distanz gewahrt sein, um emotionale Verstrickung zu verhindern. ● Offenheit und Wertschätzung: Grundhaltung für eine personenzentrierte Pflege ● Lernmodell: Pflegende sind oft Vorbild für psychisch Erkrankte, da diese sich keine Handlungsalternativen ableiten können. Wichtig ist dabei, dass Pflegende authentisch bleiben. ● Reflexion: Herausfordernde Situationen werden in kollegialen Gesprächen, Supervisionen oder Teamsitzungen reflektiert.

65.2.3 Psychotherapie Die Psychotherapie soll den Patienten bei der Krankheitsbewältigung unterstützen. Der Patient und ggf. die Angehörigen setzen sich dabei aktiv mit Symptomen und Ursachen der Erkrankung auseinander. Mit speziellen Methoden lernen sie, wie sie mit der Erkrankung im Alltag bestmöglich umgehen können. Wichtige Ansätze sind: ● Verhaltenstherapie ● systemische Familientherapie ● Psychoanalyse ● tiefenpsychologische Verfahren ● Psychoedukation (Information und Schulung zur Erkrankung) Pflegende unterstützen die Psychotherapeuten bei ihrer Arbeit. Aufgaben, die sie z. B. übernehmen, sind: ● Ablauforganisation: – Koordination, Begleitung und Schnittstellenmanagement zwischen ärztlichem Dienst, Fachtherapien und Psychotherapie – Stationsablauf und -regeln erklären ● Bezugspflegeaufgaben: – Pflegeprozess durchführen – Reflexion von Verhalten und Förderung der Therapiemotivation – Durchführung begleitender therapeutischer Interventionen, Beratung von Angehörigen ● Psychoedukation: – Vermittlung von Wissen über die Krankheit und den Umgang mit ihr – Herstellen von Akzeptanz der Erkrankung, Compliance und Adhärenz in der Therapie

65.2.4 Medikamentöse Therapie Zu den Aufgaben Pflegender zählen: ● Medikamentengabe: Sie erfolgt aufgrund oft geringer Krankheitseinsicht i. d. R. unter Aufsicht. ● Beobachtung: Nebenwirkungen (z. B. Zittern, Schwitzen, Appetitsteigerung) sollten aufmerksam beobachtet und dokumentiert werden. Bei älteren Patienten können Psychopharmaka eine erhöhte Sturzgefahr bewirken. ● Information und Beratung: Informationen zur Medikamenteneinnahme, auch zur Auflösung von Ängsten („Werde ich abhängig?“), verbessern die Akzeptanz der Medikamentengabe. ● Laborkontrollen: Medikamentenspiegelkontrollen vorbereiten oder bei entsprechender Qualifikation ggf. selbst durchführen. Eine Übersicht über die gängigsten Medikamente bei psychischen Erkrankungen zeigt ▶ Tab. 65.1.

65.2.5 Herausfordernde Situationen bewältigen Im psychiatrischen Umfeld ergeben sich häufig herausfordernde Situationen. Beispiele sind aggressives oder suizidales Verhalten.

l 65

Pflege bei Erkrankungen der Psyche Tab. 65.1 Die wichtigsten Medikamente bei psychischen Erkrankungen. Wirkstoffe

Eigenschaften/Anwendung

Nebenwirkungen und Beobachtung

Benzodiazepine z. B. Bromazepam, Diazepam, Midazolam





beruhigende, krampflösende, schlaffördernde Wirkung bei Angstzuständen, Depressionen, Schlafstörungen

● ● ●



u. a. Müdigkeit, verlangsamte Reaktion Schwindel, Obstipation Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten (auch Alkohol) hohes Abhängigkeitspotenzial

Neuroleptika (Antipsychotika) z. B. Haloperidol, Olanzapin, Risperidon





Antipsychose (verhindern Halluzinationen, Wahn, Angstzustände) bei Alkoholdelir und Angstzuständen



● ● ●

Bewegungsstörungen (z. B. Dyskinesien, Muskelzuckungen) Sturzprophylaxe Agranulozytose malignes neuroleptisches Syndrom

Antidepressiva z. B. Fluoxetin (SSRI; selektiver Serotonin„Reuptake“-Inhibitor), Amitryptilin (trizyklisches Antidepressivum), Moclobemid (MAO-Hemmer), Lithium (Leichtmetall), Johanniskraut (Phytotherapeutikum)



stimmungsaufhellende und antriebssteigernde Wirkung

Aggressives Verhalten Formen der Aggression: ● verbale Aggression: z. B. Schimpfen, Beleidigen, Drohen ● nonverbale Aggression: z. B. Spucken, verächtliches Wegschauen ● körperliche Aggression: z. B. körperliche Gewalt oder Zerstörung von Gegenständen ● Autoaggression: selbstverletzendes Verhalten oder Suizidalität Umgang mit aggressiven Patienten • Verhält sich ein Patient gegenüber sich selbst oder seinem Umfeld aggressiv, muss die Ursache zeitnah erfasst werden. Das Personal darf sich dabei nicht von der aggressiven Stimmung anstecken lassen und sollte ruhig und sachlich bleiben (Hinweis: z. B. Stufenmodell zur Deeskalation von Gewalt und Aggression beachten!). Im psychiatrischen Umfeld sollten alle Mitarbeiter entsprechend geschult sein. Meist bahnt sich aggressives Verhalten über längere Zeit an. Wird es frühzeitig erkannt, sollte der Patient von seiner Bezugspflegekraft in einem 1:1-Gespräch darauf angesprochen werden. Sie kann dem Patienten dann Angebote zur Ablenkung machen (z. B. kurzes Gespräch, Spaziergang). Hilft dies nicht und der Patient ist weiter akut aggressiv, kann es notwendig sein, freiheitsbeschränkende Maßnahmen einzusetzen. Zur rechtlichen Situation siehe Kap. 12.3.6 „Freiheitsbeschränkende Maßnahmen“.

506



● ●

u. a. Mundtrockenheit, Schwindel, gastrointestinale Störungen, Müdigkeit ggf. zu Beginn gesteigerte Suizidgefahr bei Lithium: leichter Tremor, Polyurie, Durst

Suizidales Verhalten ACHTUNG Äußert ein Patient Suizidgedanken, müssen diese immer ernst genommen werden. Suizidale Patienten darf man mit ihren Gedanken niemals allein lassen. Die Pflegefachkraft sollte: ● das Thema Suizid direkt ansprechen und nachfragen: Woher kommen die Suizidgedanken? Gibt es schon einen konkreten Plan? Was wären Alternativen zum Suizid? Gibt es noch positive Dinge im Leben? Unterstützende Ressourcen (z. B. Familie, Kirche …)? ● die Lage richtig einschätzen: Entspannt sich die hochakute Situation (zu) schnell, ist erhöhte Wachsamkeit geboten. Es kann sein, dass der Patient dies nur vortäuscht, um schnell aus dem 1:1-Kontakt zu gelangen. ● psychiatrische Hilfe anbieten: Kann sich der Patient nicht von seinen Suizidgedanken distanzieren, müssen Hilfsangebote gemacht werden. Möglich ist z. B. eine Intervention auf einer psychiatrischen Akutstation oder im ambulanten Bereich die Information des sozialpsychiatrischen Dienstes. ● das Gespräch dokumentieren: Dies muss unbedingt geschehen, auch wenn der Patient es nicht möchte. Das Team muss über eine Suizidgefährdung informiert werden. ● selbst Hilfe suchen: Der Umgang mit suizidalen Patienten belastet und kann hilflos machen. Involvierte Pflegende sollten deshalb Austausch und Unterstützung suchen.

Psychosen des schizophrenen Formenkreises

Symptome KOMPAK T Pflege bei Erkrankungen der Psyche ●







pflegerische Beobachtung: objektiv, subjektiv und gestützt auf Assessments professioneller Beziehungsaufbau: trotz empathischer Nähe Distanz wahren mitwirken bei medikamentöser Therapie: Gabe i. d. R. unter Aufsicht, Beobachtung, Information und Beratung, Spiegelkontrollen (durchführen) herausfordernde Situationen bewältigen: – Stufenmodell zur Deeskalation von Gewalt und Aggression beachten – (Gefährdungs-)Lage des Patienten und seines Umfelds richtig erfassen und einschätzen – bei Aggression: Ruhe bewahren; bei fortgesetzter Aggression freiheitsbeschränkende Maßnahmen erwägen – suizidale Patienten mit ihren Gedanken nie allein lassen – selbst (kollegiale) Hilfe suchen

Die Symptome werden untergliedert in: ● Plus- oder Positivsymptome (Aspekte, die im Vergleich zu Nichterkrankten hinzukommen): – Wahneinfälle oder Wahnvorstellungen (z. B. Verfolgungswahn bei „paranoider Schizophrenie“) – Halluzinationen – Ich-Störungen (z. B. Fremdheitsgefühl gegenüber dem eigenen Ich) – Denkstörungen (z. B. starke Gedankensprünge) ● Minus- oder Negativsymptome (Aspekte, bei denen den Erkrankten etwas fehlt): – Antriebslosigkeit – Niedergeschlagenheit – Gefühlsarmut

Therapie ●

● ●

65.3 Psychosen des schizophrenen Formenkreises 65.3.1 Schizophrenie Definition Schizophrenie Die Schizophrenie ist eine psychische Störung, die viele Dimensionen menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns beeinträchtigt. Die Betroffenen leiden unter Wahn, Halluzinationen, Wahrnehmungsstörungen, Auffälligkeiten des Denkens und Ich-Störungen. Oft können sie zwischen der Realität und ihrer „verzerrten“ Wahrnehmung nicht mehr unterscheiden. Betroffen ist 1 % der Bevölkerung. In den meisten Fällen beginnt die Erkrankung zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr.

Ursachen Bei der Schizophrenie wird eine multifaktorielle Entstehung vermutet. Folgende Ursachen werden diskutiert: ● genetische Faktoren: Es besteht eine familiäre Häufung. ● neurobiologische Faktoren: Häufig besteht eine Überoder Unterfunktion von Nervenzellen, die ihre Informationen mit Dopamin oder Glutamat übertragen. ● strukturelle Veränderungen des Gehirns: Die Liquorräume vieler Patienten sind vergrößert. ● erworbene Gehirnschädigungen: Frühkindliche Hirnschädigungen, z. B. durch Virusinfektionen in der Schwangerschaft oder Asphyxie unter der Geburt, sind ein Risikofaktor. ● psychosoziale Faktoren: Viele Patienten stammen aus „High-expressed-Emotions“-Familien. Das heißt, sie wurden/werden als Kind mit übertriebener Kritik, feindseliger Ablehnung, Überbehütung oder allem zusammen konfrontiert. Auch sonstige belastende Lebensereignisse (z. B. Missbrauch) können das Risiko erhöhen.

medikamentöse Therapie: v. a. Neuroleptika (z. B. Risperidon) Psychotherapie: v. a. Psychoedukation Soziotherapie: u. a. Förderung der sozialen Fähigkeiten

Pflege Mitwirken bei der Therapie ● Medikamente: Die Applikation kann sich durch Wahnvorstellungen (z. B. Vergiftungswahn) schwierig gestalten. Achtung: Ein Untermischen von Medikamenten in Speisen oder Getränke ist trotzdem nicht zulässig (Körperverletzung). ● Kommunikation: Stellen Sie Wahn, Ängste und Halluzinationen nicht infrage! Eine Kommunikation rund um sachliche Themen, z. B. aktuelle Ereignisse, Hobbys, Sport, kann den Realitätsbezug des Patienten fördern. Die Kommunikation sollte klar und eindeutig sein. Themen wie Religion und Philosophie sollten nicht angesprochen werden, da sie zu abstrakt oder wahnhaft besetzt sind. Seien Sie authentisch und sachlich und achten sie auf ein angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis. ● Reflexion: Interdisziplinäre Teambesprechungen und Supervisionen sind zur Behandlung des Patienten wichtig. Ist die Bezugspflegekraft wahnbesetzt, müssen Zuständigkeiten für den Patienten personell neu geregelt werden. ● Struktur geben: Compliance kann durch psychoedukative Gruppensitzungen mit Patienten gefördert werden, die Pflegende selbstständig oder in Kooperation mit Ärzten durchführen. Beobachtung und Pflegebasismaßnahmen Suizidalität: Schizophrene Patienten haben ein erhöhtes Suizidrisiko (10–15 % sterben durch Selbsttötung). Diese Gefährdung erstreckt sich nicht nur auf die Akutphase, sondern auch auf die Zeit, in der der medikamentös eingestellte Patient seine Situation reflektiert. In Akutphasen kann auch fremdaggressives Verhalten auftreten. Beides können Pflegende rechtzeitig wahrnehmen, wenn sie eine professionelle Beziehung zum Patienten aufgebaut haben (wichtig: genaue Patientenbeobachtung!). ● Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Patienten können in akuten schizophrenen Phasen ein Ernährungs- oder Flüssigkeitsdefizit aufweisen. Bei Vergiftungswahn sollten ●

Psychosen des schizophrenen Formenkreises

Symptome KOMPAK T Pflege bei Erkrankungen der Psyche ●







pflegerische Beobachtung: objektiv, subjektiv und gestützt auf Assessments professioneller Beziehungsaufbau: trotz empathischer Nähe Distanz wahren mitwirken bei medikamentöser Therapie: Gabe i. d. R. unter Aufsicht, Beobachtung, Information und Beratung, Spiegelkontrollen (durchführen) herausfordernde Situationen bewältigen: – Stufenmodell zur Deeskalation von Gewalt und Aggression beachten – (Gefährdungs-)Lage des Patienten und seines Umfelds richtig erfassen und einschätzen – bei Aggression: Ruhe bewahren; bei fortgesetzter Aggression freiheitsbeschränkende Maßnahmen erwägen – suizidale Patienten mit ihren Gedanken nie allein lassen – selbst (kollegiale) Hilfe suchen

Die Symptome werden untergliedert in: ● Plus- oder Positivsymptome (Aspekte, die im Vergleich zu Nichterkrankten hinzukommen): – Wahneinfälle oder Wahnvorstellungen (z. B. Verfolgungswahn bei „paranoider Schizophrenie“) – Halluzinationen – Ich-Störungen (z. B. Fremdheitsgefühl gegenüber dem eigenen Ich) – Denkstörungen (z. B. starke Gedankensprünge) ● Minus- oder Negativsymptome (Aspekte, bei denen den Erkrankten etwas fehlt): – Antriebslosigkeit – Niedergeschlagenheit – Gefühlsarmut

Therapie ●

● ●

65.3 Psychosen des schizophrenen Formenkreises 65.3.1 Schizophrenie Definition Schizophrenie Die Schizophrenie ist eine psychische Störung, die viele Dimensionen menschlichen Fühlens, Denkens und Handelns beeinträchtigt. Die Betroffenen leiden unter Wahn, Halluzinationen, Wahrnehmungsstörungen, Auffälligkeiten des Denkens und Ich-Störungen. Oft können sie zwischen der Realität und ihrer „verzerrten“ Wahrnehmung nicht mehr unterscheiden. Betroffen ist 1 % der Bevölkerung. In den meisten Fällen beginnt die Erkrankung zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr.

Ursachen Bei der Schizophrenie wird eine multifaktorielle Entstehung vermutet. Folgende Ursachen werden diskutiert: ● genetische Faktoren: Es besteht eine familiäre Häufung. ● neurobiologische Faktoren: Häufig besteht eine Überoder Unterfunktion von Nervenzellen, die ihre Informationen mit Dopamin oder Glutamat übertragen. ● strukturelle Veränderungen des Gehirns: Die Liquorräume vieler Patienten sind vergrößert. ● erworbene Gehirnschädigungen: Frühkindliche Hirnschädigungen, z. B. durch Virusinfektionen in der Schwangerschaft oder Asphyxie unter der Geburt, sind ein Risikofaktor. ● psychosoziale Faktoren: Viele Patienten stammen aus „High-expressed-Emotions“-Familien. Das heißt, sie wurden/werden als Kind mit übertriebener Kritik, feindseliger Ablehnung, Überbehütung oder allem zusammen konfrontiert. Auch sonstige belastende Lebensereignisse (z. B. Missbrauch) können das Risiko erhöhen.

medikamentöse Therapie: v. a. Neuroleptika (z. B. Risperidon) Psychotherapie: v. a. Psychoedukation Soziotherapie: u. a. Förderung der sozialen Fähigkeiten

Pflege Mitwirken bei der Therapie ● Medikamente: Die Applikation kann sich durch Wahnvorstellungen (z. B. Vergiftungswahn) schwierig gestalten. Achtung: Ein Untermischen von Medikamenten in Speisen oder Getränke ist trotzdem nicht zulässig (Körperverletzung). ● Kommunikation: Stellen Sie Wahn, Ängste und Halluzinationen nicht infrage! Eine Kommunikation rund um sachliche Themen, z. B. aktuelle Ereignisse, Hobbys, Sport, kann den Realitätsbezug des Patienten fördern. Die Kommunikation sollte klar und eindeutig sein. Themen wie Religion und Philosophie sollten nicht angesprochen werden, da sie zu abstrakt oder wahnhaft besetzt sind. Seien Sie authentisch und sachlich und achten sie auf ein angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis. ● Reflexion: Interdisziplinäre Teambesprechungen und Supervisionen sind zur Behandlung des Patienten wichtig. Ist die Bezugspflegekraft wahnbesetzt, müssen Zuständigkeiten für den Patienten personell neu geregelt werden. ● Struktur geben: Compliance kann durch psychoedukative Gruppensitzungen mit Patienten gefördert werden, die Pflegende selbstständig oder in Kooperation mit Ärzten durchführen. Beobachtung und Pflegebasismaßnahmen Suizidalität: Schizophrene Patienten haben ein erhöhtes Suizidrisiko (10–15 % sterben durch Selbsttötung). Diese Gefährdung erstreckt sich nicht nur auf die Akutphase, sondern auch auf die Zeit, in der der medikamentös eingestellte Patient seine Situation reflektiert. In Akutphasen kann auch fremdaggressives Verhalten auftreten. Beides können Pflegende rechtzeitig wahrnehmen, wenn sie eine professionelle Beziehung zum Patienten aufgebaut haben (wichtig: genaue Patientenbeobachtung!). ● Ernährung und Flüssigkeitszufuhr: Patienten können in akuten schizophrenen Phasen ein Ernährungs- oder Flüssigkeitsdefizit aufweisen. Bei Vergiftungswahn sollten ●

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Pflege bei Erkrankungen der Psyche





dem Patienten ungeöffnete oder abgepackte Lebensmittel zur Verfügung gestellt werden. Körperpflege: Die eigene Körperpflege ist evtl. beeinträchtigt. Feste Duschtage und das Anbieten von Alternativen wie Baden oder Waschen helfen, eine Regelmäßigkeit aufzubauen. Schlafverhalten: Bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen helfen entspannende Abendrituale.

Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten Psychoedukation ● Wichtigkeit der regelmäßigen Medikamenteneinnahme vermitteln ● geordnete Tagesstruktur etablieren ● sozialen Rückzug oder Reizüberflutung vermeiden ●

Symptome Eine Depression äußert sich … ● im Denken (z. B. Konzentrationsschwierigkeiten, Selbstvorwürfe) ● in den Emotionen (z. B. Angst, Sinnlosigkeit) ● im Verhalten (z. B. sozialer Rückzug, Lustlosigkeit) ● im Körper (z. B. Kopfschmerzen, Engegefühl in der Brust)

Therapie ●



KOMPAK T Schizophrenie ●



● ●





Hauptmerkmal: „Verzerrungen“ vieler Bereiche der Psyche wie des Denkens und der Wahrnehmung sowie des Gefühlslebens Plussymptome: z. B. Wahn, Halluzinationen, Ich- und Denk-Störungen Negativsymptome: fehlender Antrieb, Gefühlsarmut Ursache: vermutlich multifaktoriell (genetische Veranlagung, neurobiologische Defekte im Transmittersystem, evtl. zusätzlicher infektiöser Faktor, oft Herkunft aus „High-expressed-Emotions-Familien“ Therapie: Medikamente (v. a. Neuroleptika), professioneller Beziehungsaufbau und Psychoedukation Pflege: erhöhte Suizidgefahr beachten, defizitäres Ernährungs- und Trinkverhalten erkennen, auf regelmäßige Medikamenteneinnahme achten, Wahngedanken nicht wegdiskutieren, Vorbild für Realitätsbezug geben

65.4 Affektive Störungen 65.4.1 Depression Definition Depression Leitsymptome einer Depression sind Niedergeschlagenheit, Interessenverlust und verminderter Antrieb oder Aktivität. Der Betroffene fühlt eine tiefe innere Leere. Physische Symptome sind Appetitlosigkeit, Übelkeit, Gewichtsverlust, Erschöpfung. Depressive Erkrankungen zählen zu den häufigsten psychischen Leiden. Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und Erwachsene können eine Depression entwickeln. Etwa 18 von 100 Menschen sind im Laufe ihres Lebens von der Erkrankung betroffen.

Ursachen ● ●



508

familiäre Prädisposition Störung in der über Serotonin, Dopamin und Noradrenalin vermittelten Signalübertragung Belastende Lebenssituationen können als Auslöser eine Rolle spielen.

medikamentöse Therapie: v. a. Antidepressiva (z. B. Fluoxetin, Paroxetin) nicht-medikamentöse Therapie: – Gesprächstherapie – Bewegungstherapie – Schlafentzugstherapie (totaler Schlafentzug, partieller Schlafentzug oder Schlafphasenverlagerung) – Elektrokrampftherapie (Auslösung eines epileptischen Anfalls mit Stromstößen unter Vollnarkose)

Pflege Mitwirken bei der Therapie ● Medikation: Antidepressiva sollten regelmäßig und kontrolliert verabreicht werden. Antidepressiva können in Überdosis und in Kombination mit Alkohol lebensbedrohlich sein. Pflegende achten darauf, dass Antidepressiva nicht vom Patienten gesammelt werden und für einen Suizidversuch missbraucht werden. ● Schlafentzugstherapie: Pflegende wecken die Patienten entsprechend dem Behandlungsplan und beschäftigen und begleiten sie am Folgetag und in der Nacht. Bereits kurze zusätzliche Schlafphasen können das Ergebnis negativ beeinflussen. Achtung: Schlafentzug kann Kreislaufprobleme verursachen (Vitalwerte kontrollieren). ● in Phasen der Antriebssteigerung: Hinweise auf Suizidalität besonders aufmerksam registrieren Pflegebasismaßnahmen und Beobachtung Vitalparameter: physische Beschwerden (z. B. Schwindel, Herzrasen) ernst nehmen und Vitalparameter überprüfen ● Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme: Antriebs- und Appetitlosigkeit können zum Flüssigkeits- bzw. Ernährungsdefizit führen (motivationale Anreize schaffen, Vorlieben erfragen). Ebenso können appetitsteigernde Antidepressiva zur Überernährung führen. Pflegende sprechen den Patienten gezielt darauf an. ● Körperpflege und Ausscheiden: Starkes Schwitzen und mangelnder innerer Antrieb zur Körperpflege können Körpergeruch verursachen. Pflegende sprechen Patienten dezent darauf an und motivieren zur Körperpflege. Als pflegerisches Grundprinzip gilt es, die Balance zwischen Aktivierung und Vermeidung von Überforderung zu finden. Viele Depressive leiden an Obstipation. Pflegende führen entsprechende prophylaktische Maßnahmen durch (siehe Kap. 21.3). ● Schlafverhalten: Patienten mit Depressionen leiden häufig unter Einschlafstörungen. Pflegende unterstützen bei der Etablierung von Ritualen rund um das Zubettgehen (z. B. Entspannungsmusik, Hörbücher, Aroma-Fußbäder, dämmrige Beleuchtung vor dem Zubettgehen, Meiden von Genussmitteln wie Alkohol und Nikotin) ●

Affektive Störungen Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten ● Psychoedukation ● regelmäßige Einnahme der Antidepressiva anmahnen, auf Wirkungen und Nebenwirkungen hinweisen, kein Absetzen der Medikamente ohne ärztliche Begleitung ● sozialen Rückzug vermeiden: Angebote zum Empfang von Freunden und Angehörigen. Wichtigkeit sozialer Kontakte zur Alltagsbewältigung betonen ● bei der Tagesstrukturierung helfen, z. B. mithilfe eines Wochenplans, evtl. ambulanten psychiatrischen Pflegedienst einschalten ● Zugang zu Selbsthilfegruppen herstellen, Angehörige einbinden

65.4.2 Manie Definition Manie Manische Patienten zeigen übertrieben sorglose Heiterkeit, gesteigerten Antrieb, Überaktivität und Selbstüberschätzung. Insgesamt ist die Stimmung unangemessen gehoben.

Therapie ●



● ● ●

ACHTUNG Besonders in unbemerkten depressiven Episoden ist die Suizidalität hoch! 20 % der Patienten sterben durch einen Suizid.

Pflege ●



Eine stationäre Aufnahme (evtl. mit richterlichen Beschluss) von manischen Patienten ist aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht oft unumgänglich. In der stationären Therapie steht die Einstellung auf Medikamente (Antidepressiva oder Neuroleptika) an erster Stelle. Nach der akuten Phase kann mit einer Psychotherapie begonnen werden. Pflegerisch sind folgende Aspekte zu beachten: ● Betroffene Patienten suchen i. d. R. vermehrt Kontakt. Deshalb besonders auf ein angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis achten. ● In einer manischen Phase verfallen viele Patienten einem Kaufrausch. Dies ist bei gemeinsamen Einkäufen zu berücksichtigen. ● Geschenke dürfen von Pflegenden in diesen Phasen keinesfalls angenommen werden.

Akutphase: stationäre Behandlung und medikamentöse Therapie (Neuroleptika), Wach- und Elektrokrampftherapie depressive Phase: ggf. ambulante oder stationäre Behandlung und medikamentöse Therapie (Antidepressiva) Dauermedikation oft mit Lithium Psychotherapie Psychoedukation: Patient soll lernen, eine beginnende Krankheitsepisode frühzeitig zu erkennen und Hilfe zu suchen



● ●



● ●



Gespräche anbieten, immer wieder Bezug zur Realität herstellen auf suizidale Äußerungen achten und diese ernst nehmen Überforderung vermeiden, kleine Fortschritte positiv bestätigen, Probleme nicht bagatellisieren bei der Alltagsgestaltung unterstützen Medikamenteneinnahme überwachen (oft ist die Medikamenten-Compliance gering, besonders in der manischen Phase) bei Schlafstörungen: Schlafrituale erfragen (z. B. warmes Bad, Tasse Tee) Obstipationsprophylaxe (siehe Kap. 21.3) Angehörige über Erkrankung und Verlauf informieren, um sie im Umgang mit dem Patienten zu stärken Angehörigen ggf. Kontaktadressen von Angehörigengruppen vermitteln

KOMPAK T

65.4.3 Bipolare affektive Störung Häufig verläuft eine affektive Störung „bipolar“. Das bedeutet: Manische und depressive Phasen wechseln sich ab. Bei Mischformen aus affektiven und schizophrenen Symptomen spricht man von einer schizoaffektiven Psychose.

Ursachen ●





Erstmanifestation meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr (Männer und Frauen gleichermaßen) Gleichgewicht zwischen Noradrenalin und Serotonin ist gestört. genetische Disposition (familiäre Häufung)

Symptome ●



manische Episode: z. B. Euphorie, Antriebssteigerung, Selbstüberschätzung (Größenwahn), Ablenkbarkeit, Ideenflucht, Logorrhö, Halluzinationen, fehlende Krankheitseinsicht, Schlaflosigkeit, übermäßige Geldausgaben depressive Episode: z. B. Dysphorie, Antriebsminderung, Hypersomnie, Gedankenkreisen, Konzentrationsstörungen, Suizidgedanken, Müdigkeit, Hoffnungslosigkeit

Affektive Störungen ●







Formen: Depression (Niedergeschlagenheit, Interessenverlust, verminderter Antrieb, Rückzug, Angst), Manie (gesteigerter Antrieb, übertriebene Fröhlichkeit, Überaktivität) und Mischform „bipolare affektive Störung“ Therapie: medikamentös (v. a. Antidepressiva) und nicht-medikamentös (Gesprächstherapie, evtl. Schlafentzugstherapie oder Elektrokrampftherapie bei Depression) Pflege: Psychoedukation, Hilfe zur Alltagsstrukturierung, Motivation zur Körperpflege und regelmäßigen Medikamenteneinnahme, Ernährungs- und Trinkverhalten beobachten Achtung: bei Depression jeden Hinweis auf Suizidalität aufmerksam registrieren; bei Manie auf angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis achten

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Pflege bei Erkrankungen der Psyche

65.5 Sucht und Abhängigkeit

Pflege

Definition Abhängigkeit Wer abhängig ist, spürt das unwiderstehliche Verlangen nach dem Konsum einer Substanz oder nach einem bestimmten Verhalten (sog. „Craving“). Wird das Verlangen befriedigt, kommt es zu einem kurzweiligen gehobenen Erlebniszustand. Man unterscheidet zwei Formen der Abhängigkeit: ● substanzgebundene Abhängigkeiten: Alkohol, Drogen ● nicht-substanzgebundene Abhängigkeiten: z. B. Spielsucht, Kaufsucht, Arbeitssucht, Internetsucht

65.5.1 Alkoholabhängigkeit In Deutschland sind etwa 1,3 Millionen Menschen alkoholabhängig. Damit sind Alkoholkranke die größte Patientengruppe in psychiatrischen Kliniken. Alkoholismus hat nicht nur soziale Folgen wie Rückzug, Einsamkeit, Diskriminierung und Arbeitslosigkeit. Er ist auch schädlich für die körperliche Gesundheit (▶ Abb. 65.1).

Therapie Die Therapie gliedert sich in 3 Phasen: ● Entgiftung bzw. „Entzug“ ● Entwöhnung ● Rehabilitation

Mitwirken bei der Therapie ● Pflegende verabreichen auf Arztanordnung Medikamente, die den Patienten vor schweren Entzugssymptomen, z. B. Delirium tremens, schützen. ● Oft sind die Patienten in dieser Phase deprimiert. Motivation und Unterstützung sind in dieser Phase deshalb sehr wichtig. ● Angehörige sind unter Umständen von Ko-Abhängigkeit betroffen. Pflegende fragen auch nach ihrem Befinden und motivieren sie, den Betroffenen zu unterstützen. ● Ablenkung des Patienten kann bei Craving helfen. Es können organisatorische Tätigkeiten begleitet übernommen werden (z. B. Post wegbringen, Laborgänge). Auch sensorische Anreize wie warmes/kaltes Duschen können angeboten werden. ● Versprechen und die Ankündigung von Konsequenzen müssen von der Pflegefachkraft auf Umsetzbarkeit und Angemessenheit hin überprüft werden, damit sie weiterhin glaubhaft für den Patienten sind. ● Viele Patienten ordnen sich in der Entwöhnung eine passiv-abhängige Rolle zu. Wichtig ist es, immer wieder zu betonen, dass der Patient für sein Verhalten und seine Entscheidungen selbst verantwortlich ist. Pflegende sollten den Patienten aber beim Aufbau einer neuen (abstinenten) Tagesstruktur unterstützen. ● Die Gewöhnung an neue Regelmäßigkeiten betrifft auch die Körperpflege. ● Alkohol- und Drogentests werden z. B. bei Verdacht auf Rückfälle angewendet. Ggf. wird die Urinprobe in Begleitung einer gleichgeschlechtlichen Pflegefachkraft abgegeben, um Manipulationen auszuschließen. ● Die berufliche und soziale Wiedereingliederung erfolgt entweder stationär, teilstationär oder ambulant. In diesem Tätigkeitsfeld sind eher Sozialarbeiter als Pflegende aktiv.

Abb. 65.1 Körperliche Folgen von Alkoholismus.

Stoffwechsel • Hypoglykämie • Hypertriglyzeridämie • Vitaminmangel – Vitamin B1 – Vitamin B12 – Folsäure

Schädigung des Kindes (Alkoholembryopathie) • geistige Behinderung • Wachstumsstörung • kleiner Kopf • flaches Gesicht

Herz-Kreislauf-System

Nervensystem

• arterielle Hypertonie • Kardiomyopathie • KHK • Herzrhythmusstörungen • pAVK

• ZNS – Hirnatrophie – Demenz – WernickeEnzephalopathie – hepatische Enzephalopathie (durch Leberzirrhose)

körperliche Folgen von Alkoholismus

Knochen

• PNS – Polyneuropathie

• Osteoporose Hormonsystem Mund, Rachen, Speiseröhre • Karzinome

Immunsystem • Immunschwäche und Infekte

Magen • Gastritis • Ulkus

Aus: I care – Krankheitslehre. Thieme; 2015

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Haut Leberhautzeichen (bei Leberzirrhose) • Spider naevi • Caput medusae • Lackzunge • Rhinophym

Leber • alkoholische Fettleber • Fettleberhepatitis • Leberzirrhose • Leberkarzinom

• Frau – ausbleibende Regelblutung • Mann – Gynäkomastie – Impotenz Pankreas • Pankreatitis

Essstörungen Beobachtung • Pflegende beobachten den Patienten (auch unter regelmäßiger Vitalzeichenkontrolle) auf Entzugssymptome und mögliche Anzeichen eines Alkoholdelirs: ● somatische Entzugssymptome: Frieren, Schwitzen, Zittern, Tremor, epileptische Anfälle, Herz-Kreislauf-Problematik mit Sturzrisiko, Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen ● psychische Entzugssymptome: Angstzustände, Aggressivität, depressive Verstimmung, Nervosität, Konzentrationsschwäche, Nervosität, Halluzinationen, Orientierungsstörungen, Suizidgedanken ● Alkoholdelir (Delirium tremens): optische und akustische Halluzinationen, Desorientiertheit, Bewusstseinseintrübung, motorische und psychische Unruhe (Agitiertheit), Tremor, Schwitzen, starkes Zittern und Blutdruckkrisen. Achtung: Ein Alkoholdelir ist lebensbedrohlich! Bei Verdacht: Arzt informieren! Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten • Die Beratung erfolgt begleitend zu den Phasen der Therapie: ● Entgiftung: – Psychoedukation: Entzugssymptome und unterstützende Medikamente – Maßnahmen zur Linderung bei Craving ● Entwöhnung: – Risikofaktoren eines Rückfalls minimieren (ergeben sich u. a. aus Kontakt zu konsumierenden Personen und Suchtmittelbesitz) – sinnvolle Tagesstruktur mit Beschäftigungen und sozialen Kontakten etablieren – Möglichkeit zu regelmäßigen Gesprächen bieten – Ressourcen wahrnehmen: z. B. Kontakt zu Vertrauenspersonen herstellen ● Gesundheitsförderung und Alltagsbewältigung: – mit dem Patienten Interessen identifizieren und ihn in der Kontaktaufnahme mit Vereinen oder Kursen unterstützen – Selbsthilfegruppen bieten neue Kontakte und Motivation für den Patienten. Beispiele: „Anonyme Alkoholiker“ oder „Blaues Kreuz“. – Nahrungsmittel mit versteckten Alkoholen oder Alkoholaromen meiden! (Rückfallgefahr) – Notfallplan für Rückfall erstellen

KOMPAK T

65.6 Essstörungen 65.6.1 Anorexia nervosa Definition Anorexia nervosa Die Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine seelisch bedingte Essstörung, bei der die Betroffenen unter verzerrter Selbstwahrnehmung leiden und sich trotz Abmagerung zu dick fühlen. Fehlende Krankheitseinsicht und eine große Angst vor Gewichtszunahme sind charakteristisch für dieses Krankheitsbild. Extremes Untergewicht kann zu (irreversiblen) Schädigungen führen (z. B. Osteoporose, Nierenfunktionsstörung, Unfruchtbarkeit, zerstörter Zahnschmelz). Vorwiegend erkranken Mädchen in der Pubertät an Magersucht. Oft liegt das an alterstypischen Überforderungen. Die starke Kontrolle über das eigene Essverhalten und das „Siegesgefühl“ über den Hunger sollen das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit kompensieren. Medien und Werbung vermitteln Schlankheit als Garant für Erfolg, Schönheit, Aktivität und Lebensfreude und tragen dazu bei, dass junge Menschen über eine Diät in die Magersucht gelangen. Kritische Lebensereignisse wie ein sexueller Missbrauch können ebenfalls Essstörungen auslösen.

Therapie und Pflege ●







Alkoholismus ●



● ●

● ●



Therapie in 3 Schritten: Entgiftung („Entzug“) – Entwöhnung – Rehabilitation in der Entgiftung: motivieren, unterstützen. Entzugssymptome beobachten bei Alkoholentzugsdelir: Arzt informieren Angehörige/Kontaktpersonen: im Auge behalten: Gefahr oder Ressource? bei Craving: Ablenken durch Reize oder Angebote Kommunikation: Dem Patienten verdeutlichen „Wir helfen“ (z. B. beim Finden einer neuen Struktur im Leben), aber Verantwortung liegt bei ihm. Ernährung: Nahrungsmittel mit Alkoholaromen meiden





professionelle Beziehung: Magersüchtige Patienten haben ein geringes Selbstbewusstsein und fühlen sich schnell angegriffen. Das muss bei dem Aufbau der Beziehung beachtet werden. Andererseits sind sie meistens leistungsbewusste und zielstrebige Personen und können durch positives Feedback und Verantwortungsübernahme (z. B. Stationsaufgaben) an Selbstvertrauen gewinnen. auf Mangelerscheinungen achten: Anzeichen für Elektrolytstörungen (siehe Kap. 57.5.5) sowie Vitamin- und Mineralstoffmangel (bei Eisenmangel: Anämie, Müdigkeit, Atemnot, bei Kalzium- und Phosphatmangel: Muskelkrämpfe) ernst nehmen und dem Arzt mitteilen verbindliche Vereinbarungen: Anorektische Patienten haben im Verheimlichen und „Schwindeln“ rund um das Essen oft langjährige Erfahrungen. Ein Therapieplan mit individueller Zielsetzung mit der Unterschrift des Betroffenen dient der Verbindlichkeit und kann bei Täuschungsversuchen (z. B. versteckte oder entsorgte Nahrungsmittel oder beschwerte Kleidungsstücke beim Wiegen) angeführt werden. Nahrungsaufnahme begleiten: Mahlzeiten werden von den Bezugspflegepersonen eng begleitet und wenn möglich von dem Patienten selber vorbereitet und angerichtet. Diskussionen über das Essen sollten vermieden werden und ggf. auf die Therapievereinbarung verwiesen werden. Körpergewicht überwachen: Wiegezeit ist i. d. R. einmal wöchentlich zu einem festen Zeitpunkt. Anorektische Patienten sollten allein keinen Zugang zu einer Körperwaage haben. Angehörige einbeziehen: Gegenseitiges Verständnis beugt Konflikten vor. Positive Rückmeldungen von Angehörigen stärken die weitere Entwicklung des Betroffenen.

Essstörungen Beobachtung • Pflegende beobachten den Patienten (auch unter regelmäßiger Vitalzeichenkontrolle) auf Entzugssymptome und mögliche Anzeichen eines Alkoholdelirs: ● somatische Entzugssymptome: Frieren, Schwitzen, Zittern, Tremor, epileptische Anfälle, Herz-Kreislauf-Problematik mit Sturzrisiko, Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen ● psychische Entzugssymptome: Angstzustände, Aggressivität, depressive Verstimmung, Nervosität, Konzentrationsschwäche, Nervosität, Halluzinationen, Orientierungsstörungen, Suizidgedanken ● Alkoholdelir (Delirium tremens): optische und akustische Halluzinationen, Desorientiertheit, Bewusstseinseintrübung, motorische und psychische Unruhe (Agitiertheit), Tremor, Schwitzen, starkes Zittern und Blutdruckkrisen. Achtung: Ein Alkoholdelir ist lebensbedrohlich! Bei Verdacht: Arzt informieren! Informieren, Schulen, Anleiten, Beraten • Die Beratung erfolgt begleitend zu den Phasen der Therapie: ● Entgiftung: – Psychoedukation: Entzugssymptome und unterstützende Medikamente – Maßnahmen zur Linderung bei Craving ● Entwöhnung: – Risikofaktoren eines Rückfalls minimieren (ergeben sich u. a. aus Kontakt zu konsumierenden Personen und Suchtmittelbesitz) – sinnvolle Tagesstruktur mit Beschäftigungen und sozialen Kontakten etablieren – Möglichkeit zu regelmäßigen Gesprächen bieten – Ressourcen wahrnehmen: z. B. Kontakt zu Vertrauenspersonen herstellen ● Gesundheitsförderung und Alltagsbewältigung: – mit dem Patienten Interessen identifizieren und ihn in der Kontaktaufnahme mit Vereinen oder Kursen unterstützen – Selbsthilfegruppen bieten neue Kontakte und Motivation für den Patienten. Beispiele: „Anonyme Alkoholiker“ oder „Blaues Kreuz“. – Nahrungsmittel mit versteckten Alkoholen oder Alkoholaromen meiden! (Rückfallgefahr) – Notfallplan für Rückfall erstellen

KOMPAK T

65.6 Essstörungen 65.6.1 Anorexia nervosa Definition Anorexia nervosa Die Magersucht (Anorexia nervosa) ist eine seelisch bedingte Essstörung, bei der die Betroffenen unter verzerrter Selbstwahrnehmung leiden und sich trotz Abmagerung zu dick fühlen. Fehlende Krankheitseinsicht und eine große Angst vor Gewichtszunahme sind charakteristisch für dieses Krankheitsbild. Extremes Untergewicht kann zu (irreversiblen) Schädigungen führen (z. B. Osteoporose, Nierenfunktionsstörung, Unfruchtbarkeit, zerstörter Zahnschmelz). Vorwiegend erkranken Mädchen in der Pubertät an Magersucht. Oft liegt das an alterstypischen Überforderungen. Die starke Kontrolle über das eigene Essverhalten und das „Siegesgefühl“ über den Hunger sollen das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit kompensieren. Medien und Werbung vermitteln Schlankheit als Garant für Erfolg, Schönheit, Aktivität und Lebensfreude und tragen dazu bei, dass junge Menschen über eine Diät in die Magersucht gelangen. Kritische Lebensereignisse wie ein sexueller Missbrauch können ebenfalls Essstörungen auslösen.

Therapie und Pflege ●







Alkoholismus ●



● ●

● ●



Therapie in 3 Schritten: Entgiftung („Entzug“) – Entwöhnung – Rehabilitation in der Entgiftung: motivieren, unterstützen. Entzugssymptome beobachten bei Alkoholentzugsdelir: Arzt informieren Angehörige/Kontaktpersonen: im Auge behalten: Gefahr oder Ressource? bei Craving: Ablenken durch Reize oder Angebote Kommunikation: Dem Patienten verdeutlichen „Wir helfen“ (z. B. beim Finden einer neuen Struktur im Leben), aber Verantwortung liegt bei ihm. Ernährung: Nahrungsmittel mit Alkoholaromen meiden





professionelle Beziehung: Magersüchtige Patienten haben ein geringes Selbstbewusstsein und fühlen sich schnell angegriffen. Das muss bei dem Aufbau der Beziehung beachtet werden. Andererseits sind sie meistens leistungsbewusste und zielstrebige Personen und können durch positives Feedback und Verantwortungsübernahme (z. B. Stationsaufgaben) an Selbstvertrauen gewinnen. auf Mangelerscheinungen achten: Anzeichen für Elektrolytstörungen (siehe Kap. 57.5.5) sowie Vitamin- und Mineralstoffmangel (bei Eisenmangel: Anämie, Müdigkeit, Atemnot, bei Kalzium- und Phosphatmangel: Muskelkrämpfe) ernst nehmen und dem Arzt mitteilen verbindliche Vereinbarungen: Anorektische Patienten haben im Verheimlichen und „Schwindeln“ rund um das Essen oft langjährige Erfahrungen. Ein Therapieplan mit individueller Zielsetzung mit der Unterschrift des Betroffenen dient der Verbindlichkeit und kann bei Täuschungsversuchen (z. B. versteckte oder entsorgte Nahrungsmittel oder beschwerte Kleidungsstücke beim Wiegen) angeführt werden. Nahrungsaufnahme begleiten: Mahlzeiten werden von den Bezugspflegepersonen eng begleitet und wenn möglich von dem Patienten selber vorbereitet und angerichtet. Diskussionen über das Essen sollten vermieden werden und ggf. auf die Therapievereinbarung verwiesen werden. Körpergewicht überwachen: Wiegezeit ist i. d. R. einmal wöchentlich zu einem festen Zeitpunkt. Anorektische Patienten sollten allein keinen Zugang zu einer Körperwaage haben. Angehörige einbeziehen: Gegenseitiges Verständnis beugt Konflikten vor. Positive Rückmeldungen von Angehörigen stärken die weitere Entwicklung des Betroffenen.

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Pflege bei Erkrankungen der Psyche ●

KOMPAK T Anorexia nervosa

Pflege ●







Anorexia nervosa: seelisch bedingte Essstörung mit verzerrter Selbstwahrnehmung und fehlender Krankheitseinsicht Auslöser: Gefühl der Überforderung; „Sieg“ über den Körper bringt positives Gefühl. Pflege: professioneller Beziehungsaufbau, geringes Selbstbewusstsein stärken, auf Mangelerscheinungen achten, Mahlzeiten begleiten, aufmerksam Täuschungsversuche registrieren, Körpergewicht überwachen

medikamentöse Behandlung: selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

● ● ● ● ●

professionelle Beziehung aufbauen auf Mangelerscheinungen achten verbindliche Vereinbarungen treffen Nahrungsaufnahme begleiten Körpergewicht überwachen Angehörige einbeziehen

KOMPAK T Bulimie

65.6.2 Bulimie



Definition Bulimie



Essstörung, die mit wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essanfällen einhergeht. Die Betroffenen (meist junge Frauen) ergreifen gezielt gegenregulatorische Maßnahmen wie: Erbrechen, Laxanzienabusus, Diäten, übermäßigen Sport.



Bulimie: Essstörung, die mit wiederkehrenden, unkontrollierbaren Essanfällen einhergeht Auslöser: z. B. geringes Selbstwertgefühl, hohe Erwartungshaltung des Umfelds, Probleme und Konflikte in der Familie oder Schule Pflege: z. B. professionelle Beziehung aufbauen, Nahrungsaufnahme begleiten, Angehörige einbeziehen

Ursachen Die Ursachen der Bulimie ähneln denen der Anorexia nervosa. Oft geht der Bulimie eine anorektische Phase voraus. Die Betroffenen sind meist normalgewichtig. Weitere Ursachen sind u. a.: ● familiäre Disposition ● unrealistische Schönheitsideale ● geringes Selbstwertgefühl, hohe Erwartungshaltung des Umfelds ● Probleme und Konflikte z. B. in der Familie oder Schule

Symptome ● ● ● ● ● ● ● ● ●

Essattacken (Schuldgefühle) Erbrechen, Angst vor Gewichtszunahme Bauchschmerzen Elektrolytverschiebung Ödeme Obstipation Herzrhythmusstörungen Hypotonie Zahnschäden durch Magensäure

Therapie ●







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körperliche Rehabilitation und Ernährungstherapie: z. B. Ernährungsberatung, Essensplan, therapeutische Essbegleitung, Lehrküche individuelle Psychotherapie: z. B. kognitive Verhaltenstherapie (Ziel: Selbstbewusstsein stärken), interpersonale Therapie (Ziel: Auseinandersetzung mit Erkrankung und Auswirkungen auf soziale Beziehungen erkennen) Einbezug der Familie: z. B. Familientherapie, Familienberatung Gruppentherapie: z. B. Kunst- oder Musiktherapie

65.7 Organisch bedingte psychische Störungen 65.7.1 Delir Definition Delir Das Delir beschreibt einen akuten Verwirrtheitszustand mit Bewusstseinsstörung und kognitiver Beeinträchtigung.

Ursachen ● ● ● ● ● ● ●

Schädel-Hirn-Trauma Schlaganfall Flüssigkeitsmangel Hypoglykämie hohes Fieber Alkoholentzug Einzug in eine Pflegeeinrichtung, Verlust der gewohnten Umgebung

Tritt ein Delir nach einer Operation auf, spricht man von einem „postoperativen akuten organischen Psychosyndrom“ (siehe Kap. 41).

Symptome ●

● ● ●

● ●

Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, z. B. Erinnerungslücken Desorientierung, z. B. räumlich, zeitlich, situativ ggf. Halluzinationen Unruhe, z. B. Schlaflosigkeit, motorische Unruhe, Bewegungsdrang Aggressivität Schwitzen, Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus

Belastungs- und Anpassungsstörungen

Therapie

Symptome

Therapeutisch wichtig ist die Behandlung der Grunderkrankung. Ist der Patient stark erregt, können Antipsychotika oder Benzodiazepine verordnet werden. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist zudem wichtig.

Die Betroffenen leiden unter einer Art innerer „Betäubung“ mit eingeengter Wahrnehmung und Desorientiertheit. Hinzu kommen vegetative Symptome wie Schwitzen, Schwindel, Blässe und Herzklopfen. Die Symptome klingen meist nach wenigen Tagen bis Wochen wieder ab.

Pflege ● ● ●

● ●





Bezugspflege Vitalparameter kontrollieren strukturierten Tagesablauf ermöglichen (Tag-NachtRhythmus fördern: Licht, Aktivität und Ruhe) auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten, Bilanzierung geeignete Prophylaxen durchführen, z. B. Sturzprophylaxe (siehe Kap. 21.6) Wirkung und Nebenwirkung der medikamentösen Therapie überwachen für weitere Pflegemaßnahmen siehe auch Kap. 61.7.

KOMPAK T Delir ●





Delir: akuter Verwirrtheitszustand mit Bewusstseinsstörung und kognitiver Beeinträchtigung Ursachen: z. B. Apoplex, Flüssigkeitsmangel, Einzug in eine Pflegeeinrichtung Symptome: z. B. Desorientierung, Unruhe, Gedächtnisund Konzentrationsstörung Therapie: Behandlung der Grunderkrankung, medikamentöse Behandlung Pflege: u. a. Bezugspflege, Tagesablauf, Flüssigkeitszufuhr, Prophylaxen

Therapie und Pflege Wichtig ist eine enge pflegerische und psychotherapeutische Begleitung. Der Betroffene sollte in der akuten Situation möglichst nicht alleine sein und mit einer Vertrauensperson über das Erlebte sprechen können. Ggf. kann die Gabe von Psychopharmaka zur kurzzeitigen Beruhigung indiziert sein. Die Betroffenen sollten versuchen einen geregelten Tagesablauf beizubehalten (Schlaf-Wach-Rhythmus). Auch Unterstützungsangebote im Alltag können sinnvoll sein. Das Angebot von Atem- oder Entspannungsübungen kann helfen, wieder mehr Ruhe im Alltag zu finden.

ACHTUNG In manchen Fällen kann die akute Belastungsstörung nicht überwunden werden und in eine posttraumatische Belastungsstörung übergehen. Ein häufiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses oder Albträume können ein wichtiger Hinweis dafür sein. Achten Sie deshalb auf entsprechende Äußerungen des Patienten.

65.8.2 Posttraumatische Belastungsstörung

65.7.2 Demenz

Wie stark sich ein traumatisierendes Ereignis auf den Menschen auswirkt, hängt von der Verletzlichkeit (Vulnerabilität) und dem Alter des Menschen ab. Besonders bei psychisch angeschlagenen Menschen sowie bei Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen wirken sich traumatische Ereignisse stark aus und die nachfolgende Belastungsreaktion kann verzögert bzw. protrahiert verlaufen. Man spricht dann von einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Die Demenz ist eine chronische psychische Störung. Ausführlich beschrieben ist das Krankheitsbild in Kap. 61.7.

Symptome







65.8 Belastungs- und Anpassungsstörungen

● ● ●

„Flashbacks“: blitzartiges Wiedererinnern des Traumaerlebnisses Schreckhaftigkeit und Ängste Depressionen sozialer Rückzug und Teilnahmslosigkeit Schlafstörungen

Definition Belastungsstörungen



Eine Belastungsstörung ist eine starke emotionale Reaktion auf ein traumatisches Ereignis (z. B. Kriegserlebnisse, Vergewaltigung, Beobachtung eines schweren Unfalls). Die Belastungsstörung kann akut oder verzögert auftreten.

Therapie und Pflege ●

65.8.1 Akute Belastungsstörung Definition Akute Belastungsstörung Die akute Belastungsreaktion tritt meist unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis oder Erlebnis auf (z. B. Tod einer nahestehenden Person, Gewalt, Unfälle) und ist durch eine schnell wechselnde Symptomatik gekennzeichnet.





Stabilisierungsphase: Die Symptome des Patienten werden behandelt (z. B. mit Medikamenten, Entspannungstechniken). Allein der Patient entscheidet, worüber er reden möchte. Körperkontakt (selbst zu enges Beisammensitzen) kann bedrängend auf ihn wirken. Bearbeitungsphase: In dieser Phase wird das Trauma psychotherapeutisch aufgearbeitet. Pflegende begleiten den Patienten weiterhin sensibel und bleiben in engem Kontakt mit dem Therapeuten, um den emotionalen Zustand des Patienten zu erfassen. Integrationsphase: Alltagspraktische Fähigkeiten und soziale Bezüge werden wiederhergestellt.

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Pflege bei Erkrankungen der Psyche ●

KOMPAK T Posttraumatische Belastungsstörung ● ●



Verlauf: protrahiert, zum Teil über Jahre bis Jahrzehnte Symptome: „Flashbacks“, Schreckhaftigkeit, Angst, Depressionen, sozialer Rückzug, Teilnahmslosigkeit, Schlafstörungen Therapie und Pflege: Stabilisierungsphase (Symptome bearbeiten), Bearbeitungsphase (Aufarbeiten des Traumas), Integrationsphase (alltagspraktische Fähigkeiten und soziale Bezüge wiederherstellen)





in kurzen und knappen Sätzen beruhigend auf ihn einwirken, für Ablenkung sorgen (sensomotorischer Kontakt, Entspannungsübung, Spaziergang), nach der Panikattacke einen Notfallplan erarbeiten.

65.9.2 Zwangsstörungen Definition Zwangsstörung Bei einer Zwangsstörung leidet der Betroffene unter Gedanken oder Handlungen, die er „zwangsweise“ denken bzw. ausführen muss (z. B. Waschzwang, Zählzwang, Ordnungszwang). Die Betroffenen versuchen durch die Zwangshandlung ein befürchtetes Unheil abzuwenden.

Anpassungsstörung

Symptome

Von einer Anpassungsstörung Betroffene entwickeln aufgrund einschneidender Lebensveränderungen (z. B. Tod des Lebenspartners, Flucht) eine depressive Verstimmung mit Ängsten oder/und ziehen sich sozial zurück. Meistens klingen die Beschwerden nach spätestens einem halben Jahr ab.

Dem Zwang zu widerstehen verursacht starke Angst und innere Unruhe. Körperliche Symptome können z. B. Schwitzen, ein erhöhter Puls und eine veränderte Körperwahrnehmung sein. Durch die körperlichen Symptome können sich Angst und Unruhe verstärken, es kann zur Panikattacke kommen.

65.9 Angst- und Zwangsstörungen

Therapie und Pflege

65.9.1 Angststörungen Definition Angststörungen Beeinträchtigt objektiv übersteigerte Angst einen Menschen so stark, dass sein alltägliches oder soziales Leben beeinträchtigt ist, spricht man von einer Angststörung. Angststörungen werden unterteilt in ● situationsabhängige Angststörungen: z. B. Phobien wie Flugangst, Spinnenangst, Angst vor großen Menschenansammlungen ● situationsunabhängige Angststörungen: ohne Auslöser oder bestimmte Situation ● generalisierte Angststörung: Die Angst ist diffus und hält lange an. ● Panikstörung: Die Angst tritt plötzlich und unverhofft auf.

Zur Therapie werden wie bei der Angststörung auch beim Zwang medikamentöse und nicht-medikamentöse Verfahren kombiniert. Oft werden mit Antidepressiva zunächst zugrunde liegende Ängste gelöst. Dann lernt der Betroffene in der Verhaltenstherapie, dass das befürchtete Unheil nicht eintritt, wenn er seinen Zwängen widersteht. Pflegende sollten ein professionelles Vertrauensverhältnis zum Patienten aufbauen und ihn in seiner Angst bzw. seinem Zwang ernst nehmen (Bezugspflege). Kommt es zu einer Panikattacke, sollte der Patient von den angstauslösenden Reizen abgeschirmt werden (reizarme Umgebung, beruhigend auf Patienten einwirken). Der Patient darf in dieser Situation nicht allein gelassen werden. Um dem Patienten aus seiner Angst zu helfen, kann der Fokus z. B. auf die Atmung (Ziel: tiefe, ruhige Ein- und Ausatmung) umgelenkt werden. Nach der Panikattacke sollten Auslöser erfasst und ein individueller Notfallplan erstellt werden. Der Einbezug und die Schulung von Angehörigen zu therapeutisch-pflegerischen Maßnahmen sind wichtig für den nachhaltigen Erfolg der Therapie.

KOMPAK T

Therapie und Pflege ●



Pharmakologische Behandlung, stets kombiniert mit Verhaltenstherapie. Die Erkrankten werden mit den angstbesetzten Situationen konfrontiert. So sollen sie lernen, dass die tatsächliche Gefährdung minimal bzw. nicht existent ist. Primär kann eine solche „Exposition“ zu starken physischen und psychischen Reaktionen führen. Schwitzen, erhöhter Puls und Erstickungs- oder Engegefühle in der Brust können auftreten und bis zu einer Panikattacke mit Todesangst führen. Die Interventionen sind Teil der Pflegeplanung und sollten regelmäßig mit der Bezugspflegekraft durchgeführt werden.

Angst- und Zwangsstörungen ●







Wenn ein Patient eine Panikattacke hat, sollten Pflegende ● die Angst und Panik nicht herunterspielen, ● ihn vom als bedrohlich erlebten Reiz abschirmen,

514

Angststörungen: situationsabhängig, situationsunabhängig, generalisiert, Panikstörungen Zwangsstörungen: innerer Zwang, etwas zu tun oder zu denken, um „Unheil“ abzuwenden Therapie und Pflege: pharmakologische Behandlung verbunden mit verhaltenstherapeutischen Interventionen (Konfrontation mit angstbesetztem Objekt; bei Panikattacken professionell handeln) Umgang mit Panikattacken: Angst und Panik ernst nehmen, für Ablenkung sorgen, beruhigend auf den Patienten einwirken (tiefe Ein- und Ausatmung)

l 65

Pflege bei Erkrankungen der Psyche ●

KOMPAK T Posttraumatische Belastungsstörung ● ●



Verlauf: protrahiert, zum Teil über Jahre bis Jahrzehnte Symptome: „Flashbacks“, Schreckhaftigkeit, Angst, Depressionen, sozialer Rückzug, Teilnahmslosigkeit, Schlafstörungen Therapie und Pflege: Stabilisierungsphase (Symptome bearbeiten), Bearbeitungsphase (Aufarbeiten des Traumas), Integrationsphase (alltagspraktische Fähigkeiten und soziale Bezüge wiederherstellen)





in kurzen und knappen Sätzen beruhigend auf ihn einwirken, für Ablenkung sorgen (sensomotorischer Kontakt, Entspannungsübung, Spaziergang), nach der Panikattacke einen Notfallplan erarbeiten.

65.9.2 Zwangsstörungen Definition Zwangsstörung Bei einer Zwangsstörung leidet der Betroffene unter Gedanken oder Handlungen, die er „zwangsweise“ denken bzw. ausführen muss (z. B. Waschzwang, Zählzwang, Ordnungszwang). Die Betroffenen versuchen durch die Zwangshandlung ein befürchtetes Unheil abzuwenden.

Anpassungsstörung

Symptome

Von einer Anpassungsstörung Betroffene entwickeln aufgrund einschneidender Lebensveränderungen (z. B. Tod des Lebenspartners, Flucht) eine depressive Verstimmung mit Ängsten oder/und ziehen sich sozial zurück. Meistens klingen die Beschwerden nach spätestens einem halben Jahr ab.

Dem Zwang zu widerstehen verursacht starke Angst und innere Unruhe. Körperliche Symptome können z. B. Schwitzen, ein erhöhter Puls und eine veränderte Körperwahrnehmung sein. Durch die körperlichen Symptome können sich Angst und Unruhe verstärken, es kann zur Panikattacke kommen.

65.9 Angst- und Zwangsstörungen

Therapie und Pflege

65.9.1 Angststörungen Definition Angststörungen Beeinträchtigt objektiv übersteigerte Angst einen Menschen so stark, dass sein alltägliches oder soziales Leben beeinträchtigt ist, spricht man von einer Angststörung. Angststörungen werden unterteilt in ● situationsabhängige Angststörungen: z. B. Phobien wie Flugangst, Spinnenangst, Angst vor großen Menschenansammlungen ● situationsunabhängige Angststörungen: ohne Auslöser oder bestimmte Situation ● generalisierte Angststörung: Die Angst ist diffus und hält lange an. ● Panikstörung: Die Angst tritt plötzlich und unverhofft auf.

Zur Therapie werden wie bei der Angststörung auch beim Zwang medikamentöse und nicht-medikamentöse Verfahren kombiniert. Oft werden mit Antidepressiva zunächst zugrunde liegende Ängste gelöst. Dann lernt der Betroffene in der Verhaltenstherapie, dass das befürchtete Unheil nicht eintritt, wenn er seinen Zwängen widersteht. Pflegende sollten ein professionelles Vertrauensverhältnis zum Patienten aufbauen und ihn in seiner Angst bzw. seinem Zwang ernst nehmen (Bezugspflege). Kommt es zu einer Panikattacke, sollte der Patient von den angstauslösenden Reizen abgeschirmt werden (reizarme Umgebung, beruhigend auf Patienten einwirken). Der Patient darf in dieser Situation nicht allein gelassen werden. Um dem Patienten aus seiner Angst zu helfen, kann der Fokus z. B. auf die Atmung (Ziel: tiefe, ruhige Ein- und Ausatmung) umgelenkt werden. Nach der Panikattacke sollten Auslöser erfasst und ein individueller Notfallplan erstellt werden. Der Einbezug und die Schulung von Angehörigen zu therapeutisch-pflegerischen Maßnahmen sind wichtig für den nachhaltigen Erfolg der Therapie.

KOMPAK T

Therapie und Pflege ●



Pharmakologische Behandlung, stets kombiniert mit Verhaltenstherapie. Die Erkrankten werden mit den angstbesetzten Situationen konfrontiert. So sollen sie lernen, dass die tatsächliche Gefährdung minimal bzw. nicht existent ist. Primär kann eine solche „Exposition“ zu starken physischen und psychischen Reaktionen führen. Schwitzen, erhöhter Puls und Erstickungs- oder Engegefühle in der Brust können auftreten und bis zu einer Panikattacke mit Todesangst führen. Die Interventionen sind Teil der Pflegeplanung und sollten regelmäßig mit der Bezugspflegekraft durchgeführt werden.

Angst- und Zwangsstörungen ●







Wenn ein Patient eine Panikattacke hat, sollten Pflegende ● die Angst und Panik nicht herunterspielen, ● ihn vom als bedrohlich erlebten Reiz abschirmen,

514

Angststörungen: situationsabhängig, situationsunabhängig, generalisiert, Panikstörungen Zwangsstörungen: innerer Zwang, etwas zu tun oder zu denken, um „Unheil“ abzuwenden Therapie und Pflege: pharmakologische Behandlung verbunden mit verhaltenstherapeutischen Interventionen (Konfrontation mit angstbesetztem Objekt; bei Panikattacken professionell handeln) Umgang mit Panikattacken: Angst und Panik ernst nehmen, für Ablenkung sorgen, beruhigend auf den Patienten einwirken (tiefe Ein- und Ausatmung)

Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen

65.10 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen



● ●

65.10.1 Persönlichkeitsstörungen Persönlichkeitsstörungen sind chronische von der Norm abweichende Wahrnehmungs-, Verhaltens- oder Denkmuster. Ursache sind neben einer Disposition frühe „Lernerfahrungen“, z. B. in Form sich selbst verstärkenden Vermeidungsverhaltens. Beispiele sind: ● paranoide Persönlichkeitsstörung: Die Betroffenen erwarten von ihrem Umfeld prinzipiell Schlechtes, fühlen sich beobachtet, denken, dass andere es „auf sie abgesehen haben“. Pflege: z. B. professionelle Vertrauensbasis schaffen, klare Absprachen treffen, authentisch und glaubwürdig in der Kommunikation sein. ● schizoide Persönlichkeitsstörung: Die Betroffenen sind sehr verschlossen, unfähig, enge soziale Kontakte zu knüpfen. Die Übergänge zum Asperger-Syndrom sind fließend. Pflege: z. B. professionelle Vertrauensbasis schaffen, regelmäßige Kontakte anbieten. ● narzisstische Persönlichkeitsstörung: Die Betroffenen sind überzeugt, dass sie etwas ganz Besonderes sind. Erhalten sie nicht die „gebührende“ Aufmerksamkeit, neigen sie zu Aggressionen. Pflege: z. B. professionelle Vertrauensbasis schaffen, Geduld im Umgang, aggressives Verhalten nicht tolerieren, klare Absprachen.

65.10.2 Störungen der Impulskontrolle Die Betroffenen leiden unter Impulsen, sich abnorm zu verhalten. Beispiele sind: ● pathologische Brandstiftung (Pyromanie) ● pathologisches Glücksspiel ● pathologisches Stehlen (Kleptomanie)

65.11 Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen 65.11.1 Frühkindlicher Autismus Definition Frühkindlicher Autismus Beim frühkindlichen Autismus ist die Entwicklung der kommunikativen Fähigkeiten, der Kontaktaufnahme und der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen stark beeinträchtigt. Die Erkrankung manifestiert sich vor dem 3. Lebensjahr.

Ursache Die Ursachen des frühkindlichen Autismus sind bislang nicht eindeutig geklärt. Zugrunde liegt vermutlich eine hirnorganische Ursache, ausgelöst durch einen genetischen Faktor.

Symptome Die Kinder ● lernen verspätet sprechen,



haben kein Interesse an sozialen Kontakten (fehlender Blickkontakt, Abwehr von Körperkontakt), tun sich schwer, Emotionen anderer zu erkennen, führen stereotype Bewegungen und Verhaltensweisen aus, haben große Angst vor Veränderungen.

Therapie und Pflege In der Behandlung wird versucht, die Entwicklung und Lernfähigkeit des Kindes zu unterstützen (Verhaltenstherapie, Musiktherapie, Elternberatung, Selbsthilfegruppen für Eltern). Ursächlich kann die Krankheit aber nicht behandelt werden. Wird ein Kind mit Autismus in die Klinik aufgenommen, gilt es im Umgang folgende Aspekte zu beachten: ● Bezugspflege ● ausführliche Pflegeanamnese bei Aufnahme ● Eltern eng in die Pflege und Versorgung des Kindes einbeziehen ● gewohnten Tagesablauf des Kindes erfragen und versuchen beizubehalten ● besondere Gewohnheiten des Kindes berücksichtigen ● ruhige Umgebung schaffen ● Körperkontakt wenn möglich vermeiden

65.11.2 ADHS Definition ADHS Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) können sich schlecht konzentrieren, sind unruhig, haben eine geringe Frustrationstoleranz und einen hohen Bewegungsdrang.

Ursachen Die Ursache ist unklar. Wahrscheinlich liegt ein Mix aus neurobiologischen Faktoren und Umweltfaktoren zugrunde.

Symptome Ziel ist es, die Symptome (z. B. Hyperaktivität, Konzentrationsschwierigkeiten) in den Griff zu bekommen.

Therapie und Pflege Therapeutisch helfen pädagogische und psychotherapeutische Maßnahmen. Nach dem 6. Lebensjahr kann in ausgeprägten Fällen das Medikament Methylphenidat (Ritalin) die Symptome lindern. Wird ein Kind mit ADHS in die Klinik aufgenommen, gilt es im Umgang folgende Aspekte zu beachten: ● Bezugspflege ● ausführliche Pflegeanamnese bei Aufnahme ● Eltern eng in die Pflege und Versorgung des Kindes einbeziehen ● Kind für kleine Erfolge loben ● sachlich und konsequent bleiben ● Erwartungen und Regeln klar kommunizieren ● negative Situationen nicht besonders hervorheben („aufschaukeln“ vermeiden) ● Kind Aufgaben geben, für die es die Verantwortung übernehmen darf (Stärkung Selbstwertgefühl)

66

Pflege bei organübergreifenden Infektionen

Fieber/Hypothermie MRSA Diarrhoe

Clostridiumdifficileassoziierte Kolitis

Übelkeit

ESBL

Fieber

Leukozytose/-penie

Durchfall

multiresistente Erreger, z.B.

Tachypnoe Tachykardie

Salmonellose SIRS: mindestens 2 Symptome

! Clostridien Sepsis Tetanus

Pflege, z.B.

Legionellen Bakterien, z.B.

atyp. Pneumonie

engmaschige Beobachtung, z.B.

FlüssigkeitsBilanzierung

Blutkulturen (ggf. Assistenz)

Vitalparameter Parasiten, z.B.

Hautzustand Bewusstseinszustand

Toxoplasmose Viren, Pflege, z.B. Varizella-Zoster-Viren Prävention der Erregerübertragung ggf. IsolationsMaßnahmen umsetzen psychisch unterstützen

Masern

Mumps

Windpocken

Beobachtung, z.B. Herpes zoster

HygieneMaßnahmen

Reaktivierung, z.B. durch Stress

Körpertemperatur Flüssigkeitszufuhr

Röteln

schmerzhaft! Post-ZosterNeuralgie

Meldepflicht

Sepsis

66.1 Mitwirken bei der Diagnostik ●





Leitsymptome: Fieber, Tachypnoe, Tachykardie, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Lethargie Entzündungsparameter: erhöhte BSG, Anstieg der AkutePhase-Proteine (z. B. CRP), Leuko- bzw. Lymphozytose, Anstieg des Prokalzitonins (PCT) Erregernachweis: – in Bakterienkultur, z. B. in einer Blutkultur (S. 518) – durch gegen den Erreger gerichtete spezielle Markierungsantikörper – durch Nachweis der Erreger-DNA mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) – indirekt durch Nachweis von erregerspezifischen Antikörpern im Blut (häufig bei Viren)

66.2 Sepsis Definition Sepsis Eine Sepsis („Blutvergiftung“) ist eine lebensgefährliche systemisch-entzündliche Abwehrreaktion des Körpers (SIRS = systemic inflammatory response syndrome) bei mikrobiologisch oder klinisch nachgewiesener Infektion.

66.2.3 Pathophysiologie Erreger einer Sepsis ●





grampositive Kokken (z. B. Staphylococcus aureus, Streptokokken) gramnegative Stäbchen (z. B. Escherichia coli, Enterobacter, Pseudomonas aeruginosa) Anaerobier (z. B. Bacteroides)

Seltene Auslöser einer Sepsis sind Pilze (z. B. Candida albicans), Viren oder Parasiten. Besonders gefährlich sind septische Verläufe bei Infektion mit multiresistenten Erregern (MRE, siehe Kap. 15.4).

Ausgangsherde Eine Sepsis geht häufig von lokalen Infektionsherden aus, z. B. in der Lunge (Pneumonien), im Bauchraum (z. B. Cholezystitis), im Harnsystem (z. B. Harnwegsinfekte) oder an Kathetern.

Risikofaktoren Eine Sepsis wird begünstigt durch eine geschwächte Immunabwehr (z. B. bei Diabetes mellitus, Tumoren, Alkoholabhängigkeit), hohes Alter, Klinikaufenthalte und größere Operationen.

66.2.1 Formen bzw. Schweregrade ●



● ●



Bakteriämie: Bakterien befinden sich in der Blutbahn, lösen aber keine klinischen Symptome aus. Somit ist die Bakteriämie keine Sepsis, sie kann sie aber begünstigen. SIRS: Auch das „systemic inflammatory response syndrome“ (SIRS) ist keine Sepsis, denn es kann auch ohne Infektion auftreten, z. B. bei einer Verbrennung oder einem Polytrauma, wobei es mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt: – Fieber oder Hypothermie – Tachykardie (> 90/min) – Tachypnoe (> 20/min) oder vertiefte Atmung mit pCO2 < 33 mmHg – Leukozytose oder Leukopenie Sepsis: SIRS + Nachweis einer Infektion schwere Sepsis: Sepsis + Organfehlfunktion (z. B. akutes Nierenversagen, Enzephalopathie) septischer Schock

Verlauf Die Keime bzw. von ihnen produzierte zytotoxische Substanzen schädigen die Kapillarendothelien. Es kommt zu einer intravasalen Gerinnung mit Mikro- und Makrozirkulationsstörungen und Organschäden (▶ Abb. 66.1).

66.2.4 Vorgehen bei Sepsis Diagnostik ●

● ● ● ● ●

66.2.2 Prophylaxe ● ● ●





Händehygiene und persönliche Hygiene beachten aseptisches Arbeiten zeitnah nicht erforderliche Katheter und Drainagen entfernen gezielter Einsatz von Antibiotika zur Vermeidung von Resistenzen Impfungen





Leukozytose mit „Linksverschiebung“ (es befinden sich viele unreife Granulozyten im Blutbild) oder Leukopenie erhöhte Infektionsparameter (CRP, BSG, Procalcitonin) Thrombozytopenie (durch Verbrauch) Laktat ↑ bei Organschäden ggf. Leberwerte ↑, Nierenwerte ↑ frühzeitiger Erregernachweis, z. B. aus: – mindestens 2 Blutkulturen (anaerob und aerob) – Wundabstrich – Mittelstrahlurin – Liquor – Stuhl – Katheterspitzen (z. B. von ZVK) Suche nach Infektionsherd: – Rö-Thorax (Pneumonie?) – U-Status (Harnwegsinfekt?) – Sonografie (abdominelle Infektion?) – klinische Zeichen: z. B. Nackensteifigkeit bei Meningitis Blutgasanalyse (Sepsis führt zu Hypoxämie und metabolischer Azidose)

l 66

Pflege bei organübergreifenden Infektionen Abb. 66.1 Verlauf der Sepsis.

Therapie

1. Infektionsherd

2. Erreger oder Erregerprodukt (Toxin) tritt in die Blutbahn über

O2

O2 NO NO

1. Beseitigung der Erreger: durch Antibiose (initial Breitband, nach Bestimmung des Erregers gezielt) und Ausschaltung bzw. Sanierung des Infektionsherds (z. B. Abszess-Drainage, Blasenkatheter entfernen, chirurgische Wundreinigung) 2. Überwachung und Funktionsunterstützung der Körperfunktionen: ● bei instabilem Kreislauf bzw. drohendem Schock: Gabe von blutdruckstabilisierenden bzw. -erhöhenden Medikamenten und Flüssigkeitssubstitution ● bei Atemnot bzw. Hypoxämie: O2-Gabe, ggf. Beatmung ● bei Stoffwechsel- bzw. Elektrolytentgleisung: z. B. Insulin- bzw. Elektrolytgabe ● Fiebersenkung ● bei Nierenversagen: ggf. Dialyse ● zur Stressulkusprophylaxe: Protonenpumpenhemmer ● bei Thrombosegefahr: Thromboseprophylaxe

Pflege 3. überschießende Produktion von zytotoxischen Substanzen Kapillarendothel wird geschädigt Ödeme bilden sich im Interstitium Sauerstoffversorgung des Gewebes ist beeinträchtigt Blutgerinnung wird aktiviert Fibrinolyse ist gehemmt

4. Thromben bilden sich in den Kapillaren, disseminierte Gerinnung

● ●



5. Durchblutungsstörungen verstärken den Sauerstoffmangel im Gewebe



6. Blutdruck sinkt durch Verringerung des Gefäßwiderstands durch Stickstoffmonoxid aus dem Endothel

● ●

● ●

7. Minderversorgung der Organe mit Sauerstoff Organschädigungen Kreislaufversagen septischer Schock

518

Überwachung der Bettruhe ggf. Abnahme von Blutkulturen (durch Pflegefachkraft oder Arzt): – möglichst vor Beginn der Antibiose und nach Fieberanstieg – 2 Nährmedien (für aerobe und anaerobe Bakterien) – steril arbeiten! Flaschenmembranen desinfizieren! – Blutkulturen sofort weiterleiten engmaschige Beobachtung des Patienten auf: – Vitalparameter – Temperatur – Blutzucker – Bewusstseinszustand (Schläfrigkeit?) und kognitiven Zustand (Verwirrtheit?) – Hautzustand (Farbe, Temperatur, Turgor, Druckstellen, Blutungen?) – Urinausscheidung – Entzündungszeichen an Ein- und Austrittstellen von Kathetern, Drainagen und Gefäßzugängen Übernahme von bzw. Unterstützung bei der Körperpflege, An- und Auskleiden Unterstützung bei der Ausscheidung Durchführen von Prophylaxen: Soor- und Parotitis-, Thrombose-, Zystitis- und Pneumonie- sowie Blutungsprophylaxe, z. B. bei offensichtlich erhöhter Blutungsneigung (Petechien!) zur Fixierung von Braunülen anstelle von Pflaster Mullbinden nutzen Flüssigkeitsbilanzierung Überwachung der Medikamenteneinnahme (v. a. Antibiotika)

Virale Infektionen Abb. 66.2 Hautbefunde bei viralen Infektionen

KOMPAK T Masern

Sepsis ●







Sepsis: Infektion, die mit einer systemisch-entzündlichen Abwehrreaktion des Körpers (SIRS) einhergeht. Auslöser: Schädigung der Kapillaren durch Bakterien bzw. ihre Toxine. Es kommt zu Gerinnungsfaktorenverbrauch, Zirkulationsstörungen, Organschäden und Schock. Therapie: Antibiose und Beseitigung der Infektionsherde + Unterstützung der Körperfunktionen Pflege: Antibiotikaeinnahme überwachen, engmaschige Beobachtung (Vitalparameter, Temperatur, Haut, Ein-/Austrittsstellen von Zugängen und Kathetern), ggf. regelmäßige Abnahme/Anlage von Blutkulturen

Röteln

66.3 Virale Infektionen 66.3.1 Masern Definition Masern Masern sind eine hochinfektiöse, meldepflichtige Virusinfektion, die am häufigsten Kinder betrifft und einen charakteristischen Hautausschlag verursacht.

Windpocken

Pathophysiologie Masernviren wandern durch infektiöse Sekrete über Tröpfchen- oder Kontaktinfektion von Mensch zu Mensch. Sie gelangen über die Atemwege in den Körper und in die Lymphknoten, wo sie sich vermehren und über den Blutweg z. B. in die Haut gelangen. Durch die Immunreaktion des Körpers auf das Virus entsteht der typische Ausschlag.

Symptome Frühsymptome sind Fieber, Schnupfen, trockener Husten, Halsschmerzen. Hinzu kommt häufig eine Konjunktivitis mit Lichtscheu und Koplik-Flecken auf der Wangenschleimhaut (kalkspritzige weiße Flecken). Nach ca. 4 Tage fällt das Fieber ab. 1 bis 2 Tage später steigt das Fieber erneut an (bis auf 41 °C) und das Masernexanthem tritt auf. Es besteht aus leicht erhabenen bräunlich rosafarbenen, z. T. zusammenfließenden (konfluierenden) Flecken (▶ Abb. 66.2), die zuerst hinter den Ohren, dann auf dem Gesicht und anschließend auf dem ganzen Körper manifest werden. Nach ca. 4–5 Tagen bilden sich die Effloreszenzen zurück und das Fieber sinkt. Der Patient ist nicht mehr ansteckend.

Bei Masern fließen die Flecken des Ausschlags ineinander und sind eher erhaben. Bei Röteln stehen die kleinen, scharf abgegrenzten Flecken eher einzeln. Für Windpocken ist typisch, dass die Befunde sehr unterschiedlich sind. Manche Bläschen entwickeln sich erst, manche sind prall gefüllt, andere sind aufgeplatzt und verkrusten („Sternenhimmel“).

Therapie und Pflege ● ● ● ● ●

Komplikationen Häufig kommt es zu einer Pneumonie oder Mittelohrentzündung. Gefürchtet wird eine Masernenzephalitis mit Krämpfen, Bewusstseinsstörungen und neurologischen Ausfällen. Diese (oft letale) Komplikation kann in drei Formen auftreten: ● akute Enzephalitis ● Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis (MIBE) ● subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)





Prophylaxe: Impfung gemäß der Empfehlung der STIKO Isolation der Patienten Bettruhe Zimmer abdunkeln engmaschige Vitalzeichenkontrolle symptomatische Therapie: z. B. fiebersenkende Medikamente Meldepflicht

Virale Infektionen Abb. 66.2 Hautbefunde bei viralen Infektionen

KOMPAK T Masern

Sepsis ●







Sepsis: Infektion, die mit einer systemisch-entzündlichen Abwehrreaktion des Körpers (SIRS) einhergeht. Auslöser: Schädigung der Kapillaren durch Bakterien bzw. ihre Toxine. Es kommt zu Gerinnungsfaktorenverbrauch, Zirkulationsstörungen, Organschäden und Schock. Therapie: Antibiose und Beseitigung der Infektionsherde + Unterstützung der Körperfunktionen Pflege: Antibiotikaeinnahme überwachen, engmaschige Beobachtung (Vitalparameter, Temperatur, Haut, Ein-/Austrittsstellen von Zugängen und Kathetern), ggf. regelmäßige Abnahme/Anlage von Blutkulturen

Röteln

66.3 Virale Infektionen 66.3.1 Masern Definition Masern Masern sind eine hochinfektiöse, meldepflichtige Virusinfektion, die am häufigsten Kinder betrifft und einen charakteristischen Hautausschlag verursacht.

Windpocken

Pathophysiologie Masernviren wandern durch infektiöse Sekrete über Tröpfchen- oder Kontaktinfektion von Mensch zu Mensch. Sie gelangen über die Atemwege in den Körper und in die Lymphknoten, wo sie sich vermehren und über den Blutweg z. B. in die Haut gelangen. Durch die Immunreaktion des Körpers auf das Virus entsteht der typische Ausschlag.

Symptome Frühsymptome sind Fieber, Schnupfen, trockener Husten, Halsschmerzen. Hinzu kommt häufig eine Konjunktivitis mit Lichtscheu und Koplik-Flecken auf der Wangenschleimhaut (kalkspritzige weiße Flecken). Nach ca. 4 Tage fällt das Fieber ab. 1 bis 2 Tage später steigt das Fieber erneut an (bis auf 41 °C) und das Masernexanthem tritt auf. Es besteht aus leicht erhabenen bräunlich rosafarbenen, z. T. zusammenfließenden (konfluierenden) Flecken (▶ Abb. 66.2), die zuerst hinter den Ohren, dann auf dem Gesicht und anschließend auf dem ganzen Körper manifest werden. Nach ca. 4–5 Tagen bilden sich die Effloreszenzen zurück und das Fieber sinkt. Der Patient ist nicht mehr ansteckend.

Bei Masern fließen die Flecken des Ausschlags ineinander und sind eher erhaben. Bei Röteln stehen die kleinen, scharf abgegrenzten Flecken eher einzeln. Für Windpocken ist typisch, dass die Befunde sehr unterschiedlich sind. Manche Bläschen entwickeln sich erst, manche sind prall gefüllt, andere sind aufgeplatzt und verkrusten („Sternenhimmel“).

Therapie und Pflege ● ● ● ● ●

Komplikationen Häufig kommt es zu einer Pneumonie oder Mittelohrentzündung. Gefürchtet wird eine Masernenzephalitis mit Krämpfen, Bewusstseinsstörungen und neurologischen Ausfällen. Diese (oft letale) Komplikation kann in drei Formen auftreten: ● akute Enzephalitis ● Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis (MIBE) ● subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)





Prophylaxe: Impfung gemäß der Empfehlung der STIKO Isolation der Patienten Bettruhe Zimmer abdunkeln engmaschige Vitalzeichenkontrolle symptomatische Therapie: z. B. fiebersenkende Medikamente Meldepflicht

l 66

Pflege bei organübergreifenden Infektionen

66.3.2 Mumps (Parotitis epidemica)

66.3.3 Röteln

Definition Mumps

Definition Röteln

Mumps („Ziegenpeter“) ist eine akute hoch ansteckende, meldepflichtige Kinderkrankheit, die durch das Mumpsvirus hervorgerufen wird.

Röteln sind eine durch das Rubellavirus verursachte meldepflichtige Infektionskrankheit, die am häufigsten im Kindesalter auftritt.

Pathophysiologie

Pathophysiologie Mumpsviren werden durch Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch (z. B. durch Niesen) oder durch Kontaktinfektion (z. B. durch Küssen) übertragen. Die Viren befallen Drüsenorgane, z. B. die Speicheldrüse. Die Ansteckungsgefahr besteht 5 Tage vor und bis zu 9 Tage nach Beginn der Symptomatik.

Röteln werden durch Tröpfcheninfektion übertragen. Die Viren gelangen über die Schleimhäute der Atemwege in den Körper, befallen die Lymphknoten, wo sie sich vermehren und auf dem hämatogenen Weg die Haut erreichen. Die Ansteckungsgefahr besteht ca. eine Woche vor und eine Woche nach Ausbruch des Exanthems. In ca. 50 % der Fälle verläuft die Infektion asymptomatisch.

Symptome

Symptome

Nach einer Inkubationszeit von 2–3 Wochen kommt es zu: ● allgemeiner Abgeschlagenheit ● Fieber ● schmerzhafter entzündlicher Schwellung der Ohrspeicheldrüse, meist einseitig mit abstehendem Ohr ● Schmerzen beim Kauen und Sprechen



Komplikationen ●











ZNS-Beteiligung mit Meningitis bzw. Enzephalitis, was zu neurologischen irreversiblen Schäden führen kann, z. B. Innenohrschwerhörigkeit bei männlichen Jugendlichen Hodenentzündung mit der Gefahr der Sterilität und bei weiblichen Jugendlichen Eierstock- oder Brustdrüsenentzündung Begleitpankreatitis

Komplikationen ● ●

Therapie und Pflege ●

● ● ● ● ● ●

Prophylaxe: Impfung gemäß STIKO-Empfehlung (▶ Tab. 66.1) kühlende Umschläge Schmerztherapie Schonung breiige Kost aufgrund der Schmerzen beim Kauen Beobachtung des Patienten bezüglich Komplikationen Meldepflicht

Hals- und Nackenlymphknotenschwellung allgemeines Krankheitsgefühl mit Kopfschmerzen und Konjunktivitis Gleichzeitig oder 1 Tag später tritt ein kleinfleckiges Exanthem auf, zuerst hinter den Ohren und im Gesicht. Die kleinen scharf begrenzten Flecken (▶ Abb. 66.2) breiten sich über den Körper aus, fließen aber nicht zusammen. Das Exanthem bildet sich nach 1 bis 3 Tagen zurück. gelegentlich Gelenkschmerzen

selten Enzephalitis Eine Erstinfektion mit Röteln während der Schwangerschaft, v. a. vor der 11. SSW, kann zu einer Rötelnembryopathie (Gregg-Syndrom) führen mit Kleinwuchs, Herzfehler, Schwerhörigkeit bis zur Taubheit, Katarakt und Mikrozephalie. Bei Infektionen nach dem dritten Schwangerschaftsmonat sind die Schädigungen weniger schwer.

Therapie und Pflege ● ● ●

● ●

Prophylaxe: Impfung gemäß STIKO-Empfehlung (▶ Tab. 66.1) im Krankenhaus: Isolation symptomatisch: ggf. Fiebersenkung, bei Gelenkschmerzen Schmerztherapie Meldepflicht bei Rötelnembryopathie: keine kausale Therapie des Embryos möglich

Tab. 66.1 Standardimpfungen gegen häufige Virusinfekte. Impfung

Kleinkinder 11–23 Monate

Kinder und Jugendliche 2–17 Jahre

Masern

Erwachsene ab 18 Jahre

alle nach 1970 Geborenen

Mumps Röteln

1. und 2. Grundimmunisierung

Nachimpfung

Windpocken (Varizellen) Auszug aus dem Impfkalender für Säuglinge, Kinder, Jugendliche und Erwachsene; Robert Koch-Institut auf der Basis von Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO), 2018

520

Virale Infektionen

66.3.4 Windpocken (Varizellen)

66.3.5 Gürtelrose (Herpes zoster)

Definition Windpocken

Definition Gürtelrose

Windpocken sind eine sehr ansteckende, meldepflichtige durch Varizella-Zoster-Viren (VZV) verursachte Kinderkrankheit. Die Viren bleiben lebenslang in Spinal- und Hirnnervenganglien.

Hauterkrankung im Versorgungsgebiet eines Hautnervs. Verursacher sind nach einer Windpockeninfektion überdauernde Varizella-Zoster-Viren. Die Erkrankung ist meldepflichtig.

Pathophysiologie und Symptome

Pathophysiologie und Symptome









Auf Kopf, Rumpf und Schleimhäuten bilden sich kleine rötliche Papeln, die sich rasch in Bläschen umwandeln. Die Bläschen platzen auf und verkrusten. Die austretende Flüssigkeit ist hochinfektiös und eignet sich gut für den direkten Erregernachweis. Die Bläschen jucken beim Abheilen. Deswegen werden sie aufgekratzt, was zu einer bakteriellen Superinfektion führen kann. Begleitend tritt Fieber auf. Da die Effloreszenzen nicht gleichzeitig ausbrechen, findet man nebeneinander verschiedene Entwicklungsstadien („Sternenhimmel-Exanthem“, ▶ Abb. 66.2). Bei Erwachsenen ist der Verlauf meistens deutlich schwerer.

Komplikationen v. a. bei Erwachsenen und Immunsupprimierten: ● Varizellenpneumonie, Meningoenzephalitis, Zerebellitis mit Gangstörung ● In der Schwangerschaft vor der 24. SSW kommt es zu einem fetalen Varizellensyndrom mit Vernarbung der Haut, Fehlbildung von Extremitäten, Gehirn und Augen. Die Letalität ist hoch. Spätere Infektionen in der Schwangerschaft sind weniger gefährlich. ● Bei Infektionen 5 Tage vor und 2 Tage nach der Entbindung kann das Neugeborene (sehr gefährliche) neonatale Windpocken entwickeln.

Varizella-Zoster-Viren verbleiben nach einer Infektion lebenslang in den Spinalganglienzellen oder (seltener) in den Ganglienzellen des N. trigeminus. Durch Stress, Immunsuppression, bei Tumorerkrankungen, UV-Licht oder im Alter kann es zur Reaktivierung kommen. Dabei wandern die Viren in die sensiblen Versorgungsgebiete einer oder mehrerer Spinalnervenwurzeln (Dermatome) und führen dort zu einer Entzündung im Bereich der Nervenenden. Es entwickeln sich: ● gruppiert stehende Bläschen auf gerötetem Grund, am häufigsten am Thorax, seltener im Bereich des Auges (Zoster ophthalmicus) oder des Ohrs (Zoster oticus) ● starke, brennende Schmerzen im Ausschlaggebiet ● allgemeines Krankheitsgefühl Das Sekret aus den aufgeplatzten Bläschen ist hochinfektiös. Bei starker Entzündung kann das Gewebe großflächig nekrotisieren und vernarben.

Komplikationen ●

● ●

● ●

Therapie und Pflege ● ●

● ● ●



● ●

● ●

Prophylaxe: Impfung gemäß STIKO (▶ Tab. 66.1) Auf die Bläschen wird eine juckreizlindernde zinkhaltige Schüttellotion aufgetragen. Pflegende sollen dabei Handschuhe tragen. ggf. Antihistaminikum bei starkem Juckreiz ggf. fiebersenkende Medikamente bei Kindern: – Fingernägel kurz schneiden – nachts Baumwollhandschuhe anziehen – zum Kämmen weiche Haarbürste verwenden bei Bläschen im Mund: lauwarme, breiige Kost und Mundspülung mit Kamille bei Sekundärinfektionen: ggf. Antibiotika bei schweren Verläufen und Immunsuppression: Virustatikum, z. B. Aciclovir Duschen oder Baden: erst nach Abheilung der Bläschen bei stationärer Aufnahme: Patient isolieren



Post-Zoster-Neuralgie (PZN): Fortbestehen starker, brennender Schmerzen Hornhautschäden bei Zoster ophthalmicus Schwerhörigkeit oder Gleichgewichtsstörungen bei Zoster oticus Fazialisparese Meningoenzephalitis Bei ausgeprägter Immunschwäche kann es zum Befall von mehreren sensiblen Haut- oder Hirnnerven kommen. Ggf. sind sogar innere Organe betroffen (Zoster generalisatus).

Therapie und Pflege ● ● ● ●











systemische Gabe von Virustatikum (z. B. Aciclovir) bei bakterieller Superinfektion: Antibiotikum Patienten müssen ggf. isoliert werden (siehe Kap. 15.3) lokale Behandlung der Bläschen mit austrocknenden und antiseptischen und im Krustenstadium mit krustenlösenden Externa. Handschuhe tragen! Die erkrankten Areale dürfen nicht gewaschen werden, ansonsten zum Waschen desinfizierende Waschzusätze verwenden. Gabe und Überwachung der angeordneten Schmerzmedikation Eine starke, langjährige Post-Zoster-Neuralgie kann zu Suizidalität führen. bei stark nässendem Ausschlag: leichte und luftdurchlässige Verbände bei Effloreszenzen in den Hautfalten: Mullkompressen einlegen

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Pflege bei organübergreifenden Infektionen

KOMPAK T Mumps, Masern, Röteln und Windpocken/Herpes zoster ●









Infektiosität: hochinfektiöse und meldepflichtige Virusinfekte Manifestation: meistens im Kindesalter (außer Herpes zoster) Symptome: Mumps führt zu einer Schwellung der Ohrspeicheldrüse. Masern, Röteln, Windpocken und Herpes zoster zeigen typische Exanthem-Muster (▶ Abb. 66.2). Herpes zoster („Gürtelrose“): basiert auf der Persistenz der Varizella-Zoster-Viren (VZV) in den Spinal- und Hirnnervenganglien. Der Zoster tritt meistens auf: im Alter, bei Gestressten, bei Immunsupprimierten, bei Tumorkranken. Prophylaxe: von STIKO empfohlene Impfungen (▶ Tab. 66.1)

66.4 Spezielle organübergreifende bakterielle Infektionen 66.4.1 Clostridien-Infektionen Clostridien sind Erreger des Botulismus, des Gasbrands, des Tetanus und der Clostridium-difficile-Kolitis. Sie kommen im Erdboden und im Magen-Darm-Trakt des Menschen und der Tiere vor. Clostridien bilden z. T. gefährliche Toxine und sind Anaerobier, d. h., sie wachsen und vermehren sich nur in sauerstoffarmer Umgebung. Voll ausgeprägt sind durch Clostridien verursachte Krankheitsbilder häufig lebensbedrohlich. Deswegen werden die Patienten intensivmedizinisch versorgt und ihre Vitalparameter engmaschig überwacht.

Tetanus (Wundstarrkrampf)

Zur Therapie bekommen die Patienten Tetagam (Tetanus-Antitoxin), eine gründliche Wundtoilette und Antibiotika, ggf. außerdem: Sedierung, Muskelrelaxierung und Beatmung. Prophylaxe ist die Impfung im Säuglingsalter mit späterer regelmäßiger Auffrischung.

Clostridium-difficile-Kolitis Definition Clostridium difficile Clostridiumdifficile ist ein anaerobes, grampositives Stäbchenbakterium, das nach Antibiotika-Applikation zu einer schweren Darmentzündung (Kolitis) führen kann. Clostridium difficile ist bei gesunden Menschen ein harmloses Darmbakterium. Wird die physiologische Darmflora durch bestimmte Antibiotika (z. B. Clindamycin oder Cephalosporine) zerstört, kann es sich jedoch stark vermehren und Toxine produzieren. Diese können zu einer lebensbedrohlichen Kolitis führen. Begünstigend wirkt ein vorgeschädigter Darm (z. B. aufgrund einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung) oder eine Immunsuppression. Die Patienten leiden unter Fieber, Bauchschmerzen und Dehydratation. Im Verlauf kann sich eine pseudomembranöse Kolitis mit toxischem Megakolon und/oder eine Sepsis entwickeln. Zur Therapie erhalten die Patienten Antibiotika, auf die die Clostridien sensibel reagieren (z. B. Metronidazol oder Vancomycin). Pflegerisch wichtig sind u. a. eine sorgfältige Hautpflege v. a. im Analbereich (Mazerationsgefahr durch häufige Ausscheidung), ein individuelles Schmerzmanagement und die Beobachtung auf mögliche Darmblutungen.

KOMPAK T Infekte mit Clostridien ●



Definition Tetanus Tetanus (Wundstarrkrampf)ist eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit. Die Symptome werden verursacht durch das vom Bakterium Clostridium tetani gebildete Nervengift Tetanospasmin.





Ausgangspunkt der Infektion ist eine z. B. mit Erde verunreinigte Hautverletzung. Tetanospasmin entfaltet seine Wirkung an den motorischen Endplatten der Skelettmuskulatur. Durch die muskuläre Übererregbarkeit kommt es zu Krämpfen („Wundstarrkrampf“). Typische Symptome eines generalisierten Wundstarrkrampfs sind der Risus sardonicus (fixiertes Grinsen), die Kiefersperre und die Überstreckung der Nacken- und Rückenmuskulatur. Bei der lokalisierten Form beschränken sich die Krämpfe auf die Wundumgebung.

! Merke Tetanusimpfung abklären

Jeder Patient mit Hautverletzung muss gefragt werden, wann er zuletzt gegen Tetanus geimpft wurde. Ist dies unklar, erfolgt ggf. eine Impfung mit einem aktiven und passiven Impfstoff (Tetanol und Tetagam).

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Clostridien: sind Erreger von Botulismus, Gasbrand, Tetanus und der Clostridium-difficile-Kolitis Clostridien sind Anaerobier: Sie gedeihen am besten dort, wo Sauerstoff fehlt (z. B. in Konservendosen, im Erdreich, in tiefen Wunden). Clostridien-Infektionen: sind schwerwiegend bis lebensbedrohlich und erfordern intensivmedizinische Behandlung und Pflege Pflege: sorgfältige Hautpflege im Analbereich, Schmerzmanagement, Beobachtung auf mögliche Darmblutung

66.4.2 Legionellose Definition Legionellose Legionellose ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, die durch Legionella pneumophila hervorgerufen wird und hauptsächlich die Atemwege betrifft.

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Pflege bei organübergreifenden Infektionen

KOMPAK T Mumps, Masern, Röteln und Windpocken/Herpes zoster ●









Infektiosität: hochinfektiöse und meldepflichtige Virusinfekte Manifestation: meistens im Kindesalter (außer Herpes zoster) Symptome: Mumps führt zu einer Schwellung der Ohrspeicheldrüse. Masern, Röteln, Windpocken und Herpes zoster zeigen typische Exanthem-Muster (▶ Abb. 66.2). Herpes zoster („Gürtelrose“): basiert auf der Persistenz der Varizella-Zoster-Viren (VZV) in den Spinal- und Hirnnervenganglien. Der Zoster tritt meistens auf: im Alter, bei Gestressten, bei Immunsupprimierten, bei Tumorkranken. Prophylaxe: von STIKO empfohlene Impfungen (▶ Tab. 66.1)

66.4 Spezielle organübergreifende bakterielle Infektionen 66.4.1 Clostridien-Infektionen Clostridien sind Erreger des Botulismus, des Gasbrands, des Tetanus und der Clostridium-difficile-Kolitis. Sie kommen im Erdboden und im Magen-Darm-Trakt des Menschen und der Tiere vor. Clostridien bilden z. T. gefährliche Toxine und sind Anaerobier, d. h., sie wachsen und vermehren sich nur in sauerstoffarmer Umgebung. Voll ausgeprägt sind durch Clostridien verursachte Krankheitsbilder häufig lebensbedrohlich. Deswegen werden die Patienten intensivmedizinisch versorgt und ihre Vitalparameter engmaschig überwacht.

Tetanus (Wundstarrkrampf)

Zur Therapie bekommen die Patienten Tetagam (Tetanus-Antitoxin), eine gründliche Wundtoilette und Antibiotika, ggf. außerdem: Sedierung, Muskelrelaxierung und Beatmung. Prophylaxe ist die Impfung im Säuglingsalter mit späterer regelmäßiger Auffrischung.

Clostridium-difficile-Kolitis Definition Clostridium difficile Clostridiumdifficile ist ein anaerobes, grampositives Stäbchenbakterium, das nach Antibiotika-Applikation zu einer schweren Darmentzündung (Kolitis) führen kann. Clostridium difficile ist bei gesunden Menschen ein harmloses Darmbakterium. Wird die physiologische Darmflora durch bestimmte Antibiotika (z. B. Clindamycin oder Cephalosporine) zerstört, kann es sich jedoch stark vermehren und Toxine produzieren. Diese können zu einer lebensbedrohlichen Kolitis führen. Begünstigend wirkt ein vorgeschädigter Darm (z. B. aufgrund einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung) oder eine Immunsuppression. Die Patienten leiden unter Fieber, Bauchschmerzen und Dehydratation. Im Verlauf kann sich eine pseudomembranöse Kolitis mit toxischem Megakolon und/oder eine Sepsis entwickeln. Zur Therapie erhalten die Patienten Antibiotika, auf die die Clostridien sensibel reagieren (z. B. Metronidazol oder Vancomycin). Pflegerisch wichtig sind u. a. eine sorgfältige Hautpflege v. a. im Analbereich (Mazerationsgefahr durch häufige Ausscheidung), ein individuelles Schmerzmanagement und die Beobachtung auf mögliche Darmblutungen.

KOMPAK T Infekte mit Clostridien ●



Definition Tetanus Tetanus (Wundstarrkrampf)ist eine lebensbedrohliche Infektionskrankheit. Die Symptome werden verursacht durch das vom Bakterium Clostridium tetani gebildete Nervengift Tetanospasmin.





Ausgangspunkt der Infektion ist eine z. B. mit Erde verunreinigte Hautverletzung. Tetanospasmin entfaltet seine Wirkung an den motorischen Endplatten der Skelettmuskulatur. Durch die muskuläre Übererregbarkeit kommt es zu Krämpfen („Wundstarrkrampf“). Typische Symptome eines generalisierten Wundstarrkrampfs sind der Risus sardonicus (fixiertes Grinsen), die Kiefersperre und die Überstreckung der Nacken- und Rückenmuskulatur. Bei der lokalisierten Form beschränken sich die Krämpfe auf die Wundumgebung.

! Merke Tetanusimpfung abklären

Jeder Patient mit Hautverletzung muss gefragt werden, wann er zuletzt gegen Tetanus geimpft wurde. Ist dies unklar, erfolgt ggf. eine Impfung mit einem aktiven und passiven Impfstoff (Tetanol und Tetagam).

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Clostridien: sind Erreger von Botulismus, Gasbrand, Tetanus und der Clostridium-difficile-Kolitis Clostridien sind Anaerobier: Sie gedeihen am besten dort, wo Sauerstoff fehlt (z. B. in Konservendosen, im Erdreich, in tiefen Wunden). Clostridien-Infektionen: sind schwerwiegend bis lebensbedrohlich und erfordern intensivmedizinische Behandlung und Pflege Pflege: sorgfältige Hautpflege im Analbereich, Schmerzmanagement, Beobachtung auf mögliche Darmblutung

66.4.2 Legionellose Definition Legionellose Legionellose ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, die durch Legionella pneumophila hervorgerufen wird und hauptsächlich die Atemwege betrifft.

Spezielle Infektionen

Pathophysiologie und Symptome

Therapie und Pflege

Legionellen sind aerobe Bakterien, die sich im Wasser bei Temperaturen unter 60 °C vermehren, z. B. in schlecht gewarteten Wasserleitungen oder Klimaanlagen. Die Infektion erfolgt durch das Einatmen von erregerhaltigen Tröpfchen. Legionellen vermehren sich in Makrophagen, die sie durch die Atemwege transportieren und in der Lunge verteilen. Bei gesunden Menschen kann die Infektion asymptomatisch verlaufen. Bei Risikopatienten (z. B. Immunsupprimierte oder Intubierte) kann sie folgenden Verlauf nehmen: ● Erkältungsbeschwerden („Pontiac-Fieber“) ● atypische Pneumonie („Legionärskrankheit“) mit: – hohem Fieber – Muskelschmerzen – trockenem Husten – Diarrhö – Verwirrtheit



Therapie und Pflege ● ● ●

Antibiose (Makrolid, z. B. Clarithromycin) medikamentöse Fiebersenkung Pflege bei Fieber (siehe Kap. 42) und Atemwegserkrankungen

66.4.3 Salmonellose

● ● ● ● ●

Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution ggf. Antibiotika Patient soll „eigene Toilette“ erhalten. ggf. Betreuung im Einzelzimmer (Isolation) tgl. Desinfektion der patientennahen Kontaktflächen Schlussdesinfektion

Prävention ●









Händewaschen v. a. vor jeder Nahrungsaufnahme und Kontakt mit Lebensmitteln Beratung und Information zu sorgfältiger Küchenhygiene, Händehygiene keine Unterbrechung der Kühlkette beim Transport von Lebensmitteln gründliches Erhitzen von Speisen, die kontaminiert sein könnten, z. B. Hähnchenfleisch Verzicht auf Verzehr von Rohei und Roheiprodukten, v. a. im Sommer

KOMPAK T Legionellose ●

Definition Salmonellose Salmonellose ist eine meldepflichtige Infektionskrankheit, die durch Salmonellen hervorgerufen wird und den Magen-DarmTrakt betrifft.





Pathophysiologie und Symptome Salmonellen sind gramnegative Stäbchen. Die Übertragung erfolgt oral durch die Aufnahme kontaminierter Nahrung (Eier, Roheiprodukte, Geflügel und Milchprodukte). Die Inkubationszeit beträgt wenige Stunden bis zu einem Tag. Die Patienten haben oft Fieber und leiden an Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall. Für Kinder und ältere Menschen ist v. a. die Dehydratation gefährlich.

meldepflichtige Infektionskrankheit: durch Legionellen verursacht, betrifft überwiegend die Atemwege, Infektion über Einatmung erregerhaltiger Tröpfchen Erkältungssymptome: bzw. Symptome einer asymptomatischen Pneumonie medikamentöse Therapie: mittels Antibiose, Pflege bei Fieber

Salmonellose ●





meldepflichtige Infektionskrankheit: durch Salmonellen verursacht, betrifft überwiegend den Magen-DarmTrakt, Infektion oral, über kontaminierte Nahrung Symptome: Fieber, Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall Flüssigkeit- und Elektrolytgabe: ggf. Isolierung, Hygiene! Pflege entsprechend der jeweiligen Symptomatik

Sachverzeichnis Sachverzeichnis A AB0-Blutgruppensystem 178 ABCDE-System 103 ABEDLs – Einflussfaktoren, primäre 36 – Konzepte und Kategorien 36 – Zielsetzung, primäre pflegerische 36 Abführen, präoperatives 275 Abhängigkeit 510 Abhängigkeits-/Unabhängigkeits-Kontinuum 35 Abort 219 Absaugen, nasales 198 Abwehr – spezifische 425 – unspezifische 425 Abwehrmechanismen 50 Adhärenz 50 Adipositas 263, 417 Affektive Störung 508–509 Aggression 64, 506 Agonist 436 AIDS 430 Akkommodation 476 Aktivitätstheorie 47, 233 Akutes Abdomen 383 Albumin 423 Alkalose 408–409 Alkohol 262 Alkoholismus 510 Allergie 432 – Hauttests 485 Allergietest 426 Altenpflege – Ausbildungsziele 21 – Pflegeausbildung 22 – Pflegeplanung 79, 82 Altenpflegegesetz (AltPflG) 21 Alter – Disziplinen, wissenschaftliche 233 – Fieber 282 – Medikamentengabe 250 – Rückzugstheorie 233 – Veränderungen 233

– Zufriedenheit 233 Altersdefinitionen 233 Alterstheorie 47 – soziologische 233 Amputation 441 Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) 465 Analgesie, patientenkontrollierte (PCA) 277 Analgetika 255 Analogskala, visuelle (VAS) 240, 255 Anämie 292, 426–428, 430 – perniziöse 432 Anästhesieprotokoll 276 Aneurysma 358 Anfall, epileptischer 462 Angina pectoris 102, 341 Angiografie 354 Angststörung 514 Anlagestörung 473 Anleitung 319 Anordnung 90 Anorexia nervosa 511 Anpassungsstörung 514 Antagonist 436 Antidiabetika, orale 415 Antiemetika 291 Antigen 178 Antikoagulanzien, neue orale (NOAK) 268 Antikoagulation 267 – Betreuung 267 – Überwachung 267 Antikörper 178, 425 Antipyretika 282 Anxiolyse 276 Aortenaneurysma 358 Aortenklappenstenose 347 Aphasie 455 Apnoe 117 Apoplex 454 Appendizitis 384, 393 Arbeitslosenversicherung 73 Arbeitsplatz, Stress 63 Arbeitsrecht 89 Arbeitsumsatz 261 Arbeitsunfähigkeit 63 Arbeitsvertrag 89 Arbeitszeiten 21 Ärger, Umgang 64

Aromatherapie 256 Arterien 349 – große 352 – herznahe und -ferne 349 – herzversorgende 338 – Prüfung 353 Arterienverschluss, akuter 356–357 Arteriosklerose 341 Arthritis, eitrige 445 Arthrose 444 Arthroskopie 436 Arzneiformen 247 Arzneimittel 247 – Therapieformen 247 – Wirkungen 247 Arzneimittelexanthem 488 Arzneimittelform 249 Arzneimittelgesetz (AMG) 92, 247 Aspiration 133 Assessment 82 Associate Nurse 75 Asthma bronchiale 361– 362 Atemfrequenz 361 Atemnot 99, 117, 197 – COPD 363 Atemstillstand 363 Atemsystem, Erkrankungen 361 Atemtiefe 117 Atemtrainer 197 Atemübungen 197 Atemwegserkrankung, Medikamente 369 Atemwegssekret, Absaugung 198 Atemzentrum 361 Atmung 117 – Unterstützung, Pflegetechniken 197 – Unterstützung, Positionen 197 Audiorhythmische Erfahrung 328 Aufklärung 275 Auflagen 271 – Anwendung 272 – Palliative Care 305 AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung (ADHS) 515

Augenerkrankung 475 – Pflege 477 Augenpflege 123 Augenspülung 477 Ausatemluft, Geruch 117 Ausbildungs- und Prüfungsverordnung – für die Berufe in der Altenpflege (AltPflAPrV) 21 – für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflGAPrV) 21 Ausbildungsformen 22 Ausbildungsvergütung 21 Ausbildungsvertrag 21 Ausfluss, vaginaler 496 Ausräumen, manuelles 141 Ausscheidungen, Unterstützung 137 Autismus, frühkindlicher 515 Autismus-Spektrum-Störung 239 Autoimmunerkrankung 432 Autoimmunhepatitis 386 Autonomie 304, 314 – Prinzipienethik 314 AV-Knoten 339 Azidose 407

B Babyblues 221 Bakteriämie 517 Ballaststoffe 259 Bandscheibenvorfall 469– 470 Basale Stimulation 305, 327 – Pflegemaßnahmen 327– 328, 331 – Schlaganfall 457 – Ziele, zentrale 327 Basalganglienerkrankung 464 Basaliom 490 Bauchaortenaneurysma 358 Bauchfellentzündung 393 Bauchgefühl 31

66

Sachverzeichnis

Bauchhöhle 373 Bauchspeicheldrüse 376, 412 Bauchwandhernie 392 Bayliss-Effekt 396 Beatmung – künstliche 298 – nicht invasive (NIV) 298 Bedürfnisspyramide 47 Behandlungspflege 243– 244 Behaviorismus 46 Behinderung, geistige – Definition 239 – Erkrankungen, häufige 239 – Formen 239 – Pflegeschwerpunkte 239–240 Beinahestürze 151 Beinarterien, akuter Verschluss 357 Beine wickeln 211 Beinvenenthrombose, tiefe 357–358, 368 – Antikoagulation 358 Bekleidung 124 Belastungsstörung, posttraumatische 513 Beobachtungsbögen 97 Beratungsgespräch 320 Bereichspflege 73 Berufskleidung 109 Berufskodex 26 Berufsverband 26 Berufsverständnis 26 Bestrahlung 290 Betäubungsmittel (BtM) 248 Betreuungsrecht 91 Bettenmachen 128 Bettlägerigkeit, Prophylaxe 146–147 Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) 255 Bewältigungsstrategie, bewusste 51 Bewegung – Anstrengung 324 – menschliche 324 Bewegungsablauf, physiologischer, Bobath-Konzept 331 Bewegungsapparat 435– 436

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Bewegungseinschränkung, Positionierung und Mobilisation 332 Bewegungslehre 323 Bewusstlosigkeit, plötzliche 100 Beziehungsaufbau 320 Beziehungsgestaltung, professionelle 56, 60, 505 Bezugspflege 75 Bindenverband 211 Biomorphose 233 Biopsie 187 – Formen 188 Biot-Atmung 117 Bipolare affektive Störung 509 Blasenkatheter – suprapubischer 162 – transurethraler 159 – transurethraler, Pflege 159 – Umgang 163 Blasenspülung 159 Blasenverweilkatheter 159 Blindheit 479 Blutbestandteile 423 Blutbildung 424 Blutdruck 115 – Klassifikation nach WHO 354 Blutdruckmessung 354 Blutdruckregulation 352 Blutdrucküberwachung 297 Blutentnahme – Kanüle 167 – kapillare 167 – Katheter, zentralvenöser 167 – Punktionsstelle, Desinfektion 167 – venöse 166 Bluterbrechen 100, 142 Blutgerinnsel, Auflösung 267 Blutgerinnung – Herabsetzung 267 – Laborparameter 267 – Neugeborenes 223 – Thrombolyse 268 Blutgruppenserologie 178 Blutgruppenunverträglichkeit 423 Blutplasma 423 Blutprodukt, Umgang 178

Blutstillung 267 Bluttransfusion 177–178 – Indikationen 177 Blutung, innere und äußere 100 Blutungsprophylaxe, effektive 268 Blutuntersuchungen 426 Blutvolumen 423 Blutzellen 423 Blutzuckerbestimmung 414 Bobath-Konzept 331 – Bewegungsablauf, physiologischer 331 – Muskeltonus, Schlüsselpunkte 331 – Schlaganfall 457, 469 Body-Mass-Index (BMI) 134, 263 Borreliose 461 Bradypnoe 117 Brandverletzung 298 Bronchialkarzinom 367– 368 Bronchialsekret, Sekretmobilisation 197 Bronchitis, chronische 363 Brustdrüsenentzündung 222 Brustwickel 271 Buddhismus 310 Bülau-Drainage 184 Bulimie 512 Burnout-Syndrom 65

C Candidose 489 Case-Management 75, 147, 286 Charrière (Ch.) 159 Chemotaxis 425 Chemotherapie 289–290 – Hautreaktionen 293 Cheyne-Stokes-Atmung 117 Cholangio-Pankreatikografie, endoskopische retrograde (ERCP) 379 Cholesterin 420 Cholezystektomie 390 Chorea Huntington 465 Christentum 309

Claudicatio intermittens 355 Clostridien 522 Clostridium difficile 522 Cochlea-Implantat 483 Colitis ulcerosa 381–382 Colon 375 Compliance 50 Confusion Assessment Method (CAM) 505 COPD 363 Coping 50, 285 Cuff, geblockter 200 Cumarine 268

D D-Dimere 368 Dammriss 220 Dammschnitt 220 Darmeinlauf, Durchführung 191 Darmerkrankung, chronisch-entzündliche 381– 382 Darmreinigung, präoperative 275 Darmrohr 191 Dauerkatether 159 Débridement 204 Defäkation 137, 139 Dehydratation 177, 406 Dekubitusprophylaxe 145– 146 Dekubitusrisiko 145 Delegation 90 Delir 512 Demenz 234, 466, 513 – Alzheimer-Typ 466 – BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) 255 – Kommunikation 235 – Pflegeanamnese 235 – Umgang, gemeinsamer 235 – vaskuläre 467 Dendritische Zellen 425 Dependenzpflege 34 Depression 508 Deprivation, sensorische 328 Deprivationsprophylaxe 149

Sachverzeichnis

Dermatophytose 489 Descensus uteri 499 Desinfektion 109 Diabetes – insipidus 177 – mellitus 413–414, 432 – mellitus, Ernährung 416 Dialyse 402 Diarrhö 139, 293 Diastole 337 Diäten 264 Dickdarm 375 Digitalisüberdosierung 344 Direktions- und Weisungsrecht 90 Disengagementtheorie 47, 233 Distorsion 437 Divertikulitis 385 Divertikulose 385 DMS-Kontrolle 436 Dokumentation 82 – Patientenbeobachtung 97 – Vorbereitung 276 Down-Syndrom 239 Drainage 181, 279 – Pflege 183 Drainagensysteme 183 Druckmessung – intraabdominelle (IAP) 297 – intrakranielle (ICP) 297 Dünndarm 374 Duodenum 374 Durstgefühl 407 Dysarthrie 455 Dysphagie 133 Dyspnoe 99, 117 – Palliative Care 305 Dyssomnie 129

E Ebstein-Barr-Virus (EBV) 429 Echokardiografie 339 EDEKA-Regel 133 Eingeweideschmerzen 253 Einmalkatheter 159 Einreibung, atemstimulierende (ASE) 197 Einwilligung 275 Eiweißverdauung 377 Ekel 64

Eklampsie 218 Elektrokardiogramm (EKG) 339 Elektrolyte 406 Elektrolythaushalt 405 – im Alter 233 – Störungen 407 Elektrounfälle 104 Emesis 141 Emotionen 47 Empathie 56 Endokard 337 Endokarditis, akut bakterielle 346 Endometriose 498 Endometriumkarzinom 498 Endoprothese 439 Energiebedarf 261, 377 – erhöhter 263 – Kind 227 Enterostoma 192–193 Entscheidungsfindung, partizipative 50 Entscheidungsfindungsmodelle 314 Entspannungstechniken, Schmerz 256 Entwicklung – Meilensteine 46–47 – psychosexuelle nach Freud 45 – psychosoziale nach Erikson 45–46 Entwicklungsaufgaben nach Havighurst 46 Entwicklungspsychologie 45, 52 Entwicklungsstörung 473 Entwicklungstheorie, kognitive, nach Piaget 46 Entwicklungsverlauf, Kind 227 Entzündung 107 Enzephalitis 460 Epikard 337 Epilepsie 462 Episiotomie 220 Erbrechen 100, 141 – Beobachtung 142 – chemotherapieinduziertes 290 – strahlenbedingtes 290 Ergebnisqualität 85 Erkrankung – chronische 285 – Experte sein 285

Ernährung 263, 377 – ausgewogene 262 – enterale 263 – im Alter 262 – künstliche 263 – parenterale 264 Ernährungsmanagement 259 Ernährungspyramide 262 Ernährungszustand 263 Erreger, multiresistente (MRE) 111 Erschöpfungszustand, sehr hoher 291 Erste Hilfe 103 Ersthelfersituation, spezielle 103 Erysipel 359 Erythropoetin (EPO) 396 Erythrozyten 423–424 – Erkrankungen 426–427 Erythrozytenkonzentrat (EK) 178 – Anämie 427 Essen 133 Essstörung 512 Ethik 313 Eukalyptusöl-Blasenauflage 271 Eupnoe 117 Evidence-based Nursing (EBN) 33 Expertenstandards 82 Exsikkose 233 Exsudat 187 Extensionstherapie 438 Extremität – untere, Verletzungen 441–442 – obere, Verletzungen 440–441 Exzisionsbiopsie 188

F Fachkräftemangel 19 Fahrlässige Tötung 92 Fallmanagement 75 Familienbild, verändertes 19 Fatigue 291, 305 Fazilitation 331 Fehlbelastung, körperliche 63 Fehlermanagement 87

Fehlgeburt 219 Feinnadelbiopsie 188 Fette 259 Fettstoffwechselstörung, primäre und sekundäre 420 Fettverdauung 377 Fibrinogenaktivierung 267 Fieber 281 Fieberabfall 281 Fieberhöhe 281 Fiebersenkung 282 Finanzierungssystem, duales 75 Fixateur externe 438 Fixierung 91, 315 – Vermeidung, Maßnahmen 315 Flüssigkeitsaufnahme 260 Flüssigkeitsbedarf 377 – Berechnung 262 Flüssigkeitsbilanz 134, 177 Flüssigkeitsverlust, unbemerkter 134 Follikulitis 488 Forming 59 Forschung 31 – qualitative 32 – quantitative 32 Fortbildung 28 Fraktur 437–438 – Komplikationen 439 Frakturzeichen 438 Freiheitsbeschränkende Maßnahmen 315 Freiheitsbeschränkung 91 Freiheitsentziehung 91 Frischplasma, gefrorenes (GFP/FFP) 178 Frühgeburt, drohende 218 Frühmobilisation 277 Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) 460 Funktionspflege 73 Fürsorge 40 – kulturspezifische 40 – Prinzipienethik 314 Furunkel 488

G GABI 413 Gallenblase 376 Gallenerkrankungen 389 Gallensteine 390

66

Sachverzeichnis

Ganzheitlichkeit 45 Ganzkörperwaschung, therapeutische 122 Gaster 374 Gastritis 380, 432 Gastrostomie, perkutane endoskopische (PEG) 182 Geburt 219–220 Geburtsverletzung 220 Gefäßfunktionen 352 Gefäßsystem 349 – Ultraschalluntersuchung 353 Gefäßzugang – periphervenöser (PVK) 171 – zentralvenöser (ZVK) 171 Gehirn 453 – Blutungen 455 – graue und weiße Substanz 454 – Lernprozess 331 Gehörlosigkeit 483 Gelenke, echte 436 Gelenkspiegelung 436 Gelenkspunktion 436 Generationenvertrag 71 Genesungsprozess 59 Genu varum und valgum 447 Gerechtigkeit, Prinzipienethik 314 Geruchssinn 328 Gesamtumsatz 261 Geschlechtsorgane – männliche 499 – weibliche 495–496 Gesichtsschädelfraktur 439 Gesichtsschmerzen 471 Gesprächskompetenz, Entwicklung 57 Gestationshypertonie 218 Gesundheit – Definition 48 – Modell der Salutogenese 48 – physische und psychische 21 Gesundheits– und Krankenpflege, Ausbildungsziele 21 – und Sozialsystem, deutsches 71 Gesundheits-KrankheitsKontinuum 48 – Gesellschaft 50 Gesundheitsförderung 49

528

Gesundheitssystem 73 – Finanzierungssystem 75 – Organisationskonzepte 75 Gesundheitsverhalten, individuelles 49 Gesundheitswissenschaften 50 Gewalt 64 – Verdacht 244 Gewerkschaft 26 Gicht 417 Gipsbehandlung, DMS-Kontrolle 438 Gipsverband 211 Glaukom 478 Glaukomanfall, akuter 479 Glioblastom 458 Globuline 423 Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) 395 Glomerulonephritis 398– 399 Glukagon 376, 413 Glukose-Toleranz-Test, oraler (oGTT) 415 Gonarthrose 444 Gonorrhö 502 Granulozyten 425 GranulozytenkonzentratApharese (GK) 178 Grundgesetz (GG) 89 Grundpflege 243 Grundrechte, Unterteilung 89 Grundumsatz 261 Gruppe, soziale 59 Guillain-Barré-Syndrom 472 Gürtelrose 521 Gynäkologie 496

H Haarpflege 123 Hallux valgus 447 Haltung – innere 56 – palliative, Werte 304 Hämangiom 490 Hämatemesis 100 Hämatokrit 423 Hämatopoese 424 Hämodialyse 402 Hämofiltration 403

Hämoptyse 364 Hämostase 267 – primäre 267 – sekundäre 267 Hand-Fuß-Syndrom 293 Händedesinfektion, hygienische und chirurgische 108 Händehygiene 108 Handeln, primär pflegerisches 36 Handling 332 Handlungskompetenz, berufliche 26 Haptik 328 Harnableitung – inkontinente 193 – kontinente 193 Harnblase 396 Harnblasenentleerung 397 Harninkontinenz 137 Harnleiter 396 Harnleiterhautfistel 193 Harnröhre 397 Harnwege, ableitende 396– 397 Harnwegsinfektion 404 Hashimoto-Thyreoiditis 432 Hautbeobachtung 121 Hauterkrankung 485 – Juckreiz 486 – Lokaltherapeutika 491 – mykotische 489 – parasitäre 489 Hautkrebs, schwarzer 490 Hautpflege 121 Hautpflegeprodukte 121 Hautreinigungsprodukte 121 Hauttumoren 490 – maligne 490 Health-Belief-Modell 49 Heilung, verzögerte 439 Heimgesetz (HeimG) 85 HELLP-Syndrom 218 Hemiplegie – Positionierung 332 – Raumgestaltung 331 Heparin 267 Hepatitis 386–387 Hernie 392 Herpes zoster 521 Herz – Anatomie 337 – Gefäßversorgung 338 – Kreislaufsysteme 337

– Reizleitungs- und Reizbildungssystem 339 Herz-OP, Pflege 341 Herzbeutel 337 Herzerkrankung 337 – entzündliche 346 – Medikamente 347 – Pflegebasismaßnahmen 340 Herzfrequenz, Überwachung 297 Herzinfarkt 102, 342–343 – Medikamente 343 Herzinsuffizienz 177, 343– 344 – Klassifikation 344 Herzkatheteruntersuchung 339–340 Herzklappenerkrankung 347 Herzkrankheit, koronare (KHK) 341 Herzrhythmusstörung 102, 345 – Therapie 346 Herzschlag, Phasen 337 Herzstillstand 303, 345 Herzwand 337 High-dose-Heparin 267 Hilfeleistung, unterlassene 90 Hinduismus 310 Hirnblutung 455 – Therapie 456 Hirndruckanstieg 439 Hirngefäße 454 Hirntod 304, 316 – Feststellung 299–300 Hirntumor 458 Hirnvenen 454 HIS-Bündel 339 HIV 430 Hochdrucksystem 349 Hodentorsion 502 Hodentumor 501 Homöostase 405–406 Hormonsystem 411 Hörprüfung 480 Hörsturz 483 Hydrozephalus 459 Hygiene 107 – Bettenmachen 128 Hygieneplan 110 Hypercholesterinämie 420 Hyperglykämie 413 Hyperhydratation 406 Hyperthyreose 419

Sachverzeichnis

Hypertonie – arterielle 354 – Schwangerschaft 218 Hyperurikämie 417 Hypoglykämie 413 Hypophyse 411 Hypothalamus 411 Hypothyreose 418

I ICN-Ethikkodex 314 Ileostoma 192 Ileum 374 Ileum-Conduit 193 Ileus 382 Immundefekte 430 Immundefizienz-Virus, humanes (HIV) 430 Immunsuppressiva 300 Immunsystem 425 Impfung 426 Impulskontrollstörung 515 Infektion – nosokomiale 107, 111 – organübergreifende 517 – organübergreifende bakterielle 522 – Übertragungswege 107 Infektionslehre, Grundlagen 107 Infektionsschutzgesetz 92 Information, patientenorientierte 319 Infusion 174 – Probleme und Maßnahmen 176 – Schwerkraftgesteuerte 176 Infusionsgeschwindigkeit 176 Infusionslösungen 174– 175 Infusionsmanagement 175–176 Infusionspumpen 177 Infusomaten 177 Injektion 165 – Bestimmung, rechtliche 165 – Vorbereitung 165 Injektionsarten 165 Inklusion 239 Inkontinenzhilfsmittel 141 Insuffizienz 347

Insulin 376, 413 Insulintherapie 415 Intensive Care Units (ICU) 297 Intensivpflege, ambulante 243 Intensivstation 297 – Kommunikation 298 Interdisziplinarität 60 Interesse, primär pflegerisches 36 Intermediate Care Stations (IMC) 297 Intermittierender Selbstkatheterismus 161 Intertrigoprophylaxe 154 Intimpflege 121 – Blasenkatheter 159 – Grundregeln 122 Intoxikation 103 Intubation, endotracheale 297 Intuition 31 Islam 309–310 Isolationsmaßnahmen 110–111

J Jejunum 374 Jetlag, sozialer 64 Juck-Kratz-Zirkel 486 Judentum 310 Jugendarbeitsschutzgesetz 90 Jugendliche – Ernährung 262 – Gewicht 263 – Schmerzbeobachtung 229

K Kaiserschnitt 220 – Pflege 221 Kalottenfraktur 439 Kälteanwendung 256 Kälteschäden 104 Kammerflimmern 345 Kanzerogene 289 Kapillaren 352 Karbunkel 488 Kardiopulmonale Reanimation (CPR) 102

Karpaltunnelsyndrom 472 Karzinom – hepatozelluläres 388 – kolorektales 386 Katarakt 478 Katecholamine 297 Katheter – implantierter zentralvenöser 172 – nicht implantierter zentralvenöser 171 – teilweise implantierter zentralvenöser 172 – zentralvenöser, Blutentnahme 167 – zentralvenöser, Pflege 172 – zentralvenöser, Verbandwechsel 172 Katheterarten 159 Kathetergrößen 159 Katheterspitzen 159 Keratitis 478 Kerckring-Falten 374 Kinästhetik 323 – Grundpositionen 324 – Konzepte, grundlegende 323 – Umgebung 324 – Ziele 323 Kind – Entwicklung 227 – Ernährung 262 – Fieber 281 – Gewicht 263 – im Krankenhaus 227 – Medikamentengabe 229, 249 – Öl, ätherisches 272 – Schmerzbeobachtung 229 – ungeborenes, Kreislauf, fetaler 352 – Vitalnormwerte 227 Kinder-Krankenpflege, Ausbildungsziele 21 Kinderernährung 227 Kleinkind, Schmerzbeobachtung 229 Klinikwäsche 110 Knochen 435 Knochenmarksdepression 291–292 Knochenmarkspunktion 426 Knochentumor 446 Knorpel 436

Koanalgetika 255 Kohärenzgefühl 48 Kohlenhydrate 259 Kohlenhydratverdauung 377 Kolektomie, Pflege 386 Kolitis, lebensbedrohliche 522 Kollagenosen 432, 449 Kolon-Conduit 193 Kolonisation 107 Koloskopie 379 Kolostoma 192 Kommunikation – basale Stimulation 327 – fördernde 36 – Intensivstation 298 – Kind 229 – Kultur, fremde 309 – professionelle, Grundlagen und Anwendung 55, 57 Kommunikationsgestaltung, professionelle 56 Kommunikationsmodell nach Schulz von Thun 55 Kompartmentsyndrom 439 Kompetenzmodell 234 Konditionierung 428 – operante 46 Kongruenz 39 Konjunktivitis 478 Kontaktinfektion 107 Kontinenztraining 137 Kontinuitätstheorie 47, 233 Kontrakturenprophylaxe 154 Kontrollüberzeugung 50 Kopfschmerzen 471 Koronargefäße 338 Körpergewicht, Messwerte 134 Körperkreislauf 337 – Gefäße, große 352 Körperlänge 133–134 Körperoberfläche, Berechnung 134 Körperpflege 121 – Grundregeln 121 Körperreinigung, präoperative 276 Körpertemperatur 118 – Messen 118 – Senkung 282 Körperverletzung 91 Körperwahrnehmung, Bobath-Konzept 331

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Sachverzeichnis

Körperwaschung, beruhigende 256 Kosten-Nutzen-Abwägung 49 Kostformen 264 Koxarthrose 444 Krampfadern 359 Krankenhausaufenthalt, im Alter 234 Krankenhausvermeidungspflege 243 Krankenpflegegesetz (KrPflG) 21 Krankenversicherung 71– 72 Krankheit – als Bedrohung 49 – Bewältigungsstrategien 50–51 – Definition 48 Krankheitsbewältigung, Patientenedukation 319 Krankheitserreger 107 Krankheitsverlaufskurve 38 Kreatinin-Clearance 395 Kreislauf, fetaler 352 Kreislaufregulation, Prüfung 353 Kreislaufstillstand 345 Kreislaufsystem 349 Krisis 281 Kultur 40 Kultur, fremde 309 Kümmelölauflage 271 Kutschersitz 197

L Lärmschaden 483 Lebensaktivitäten 35 Lebensende, Selbstbestimmung 315 Lebensmittelgruppen 262 Lebensqualität 304 Lebensspanne 35 Leber 376 Leberinsuffizienz 177 Leberzirrhose 387–388 Legionellose 522 Lehre 31 Leistungsmotivation 47 Leistungsumsatz 261 Lernen durch Beobachtung 46

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Leukämie 427 – Chemotherapie 428 Leukämieformen 427 Leukopenie 292, 430 Leukozyten 423–424 – Erkrankungen 427 Linksherzinsuffizienz 344 Lipidstoffwechselstörung 420 Listeriose 217 Lochialstau 222 Locus of Control 50 Lokaltherapeutika, dermatologische 491 Low-dose-Heparin 267 Lues 503 Lunge 361 Lungenembolie 368 – Wells-Score 368 Lungenentzündung 365 Lungenerkrankung, chronisch-obstruktive (COPD) 363 Lungenkreislauf 337 Lungenödem 369 Lungentuberkulose 366– 367 Lungentumor 367–368 Lupus erythematodes, systemischer (SLE) 432, 449 Luxation 437 Lymphadenitis 359 Lymphangitis 359 Lymphatische Organe 425– 426 Lymphatisches System 427 Lymphgefäßsystem 353 Lymphödem 359 Lymphom, malignes 427, 429 Lymphozyten 425 Lyse 267 Lysis 281

M Magen 374 Magensonde, Legen 181 Magensonden 181 – Legen 181 – Legen, Komplikationen 182 Magersucht 511 Makronährstoffe 259 Makrophagen 425

Makuladegeneration, altersbezogene (AMD) 479 Maligne Erkrankungen 367 MALT (mucosa-associated lymphatic tissue) 426 Mammakarzinom 496–497 Manchester-Triage-System (MTS) 103 Mangelernährung 152, 263 – Assessmentinstrumente 152 – Prophylaxe 152 Manie 509 Masern 519 Maskengesicht 450 Mastitis puerperalis 222 Mastzellen 425 Medikamente – 6-R-Regel 248 – Indikationen 247 – Kontraindikationen 247 – Nebenwirkungen 249 – schlaffördernde 129 – Stellen, Richtlinien 248 – Verfallsdatum 248 Medikamentenbestellung 247 Medikamentengabe, Kind, 6-R-Regel 229 Medikamentenlagerung 247 Medikamentenmanagement 247 Medikamentenverabreichung 249 Medikamentenverordnung 248 Medizinischer Dienst der Krankenkassen (MDK) 85 Medizinprodukte, Umgang und Aufbereitung 110 Medizinproduktegesetz 92 Melanom, malignes 458, 490 Meningitis 460 Meningoenzephalitis 460 Meniskusschäden 447 Menschenbild – in der Pflege 45 – Perspektiven, verschiedene 45 Menstruationszyklusstörung 496 Metformin, Nebenwirkung 416 Methoden des Helfens 35 Migräne 471

Mikronährstoffe 260–261 Mikroschulung 319 Miktion 137, 397 Miktionsstörung 137 Milz 426 Mineralstoffe 261 Miosis 476 Mischinsuline 415 Mitgefühl 56 Mittelohrentzündung 482 Mobilisation 127, 147 Modell – der gesundheitlichen Überzeugung 49 – der Krankheitsverlaufskurve von Jukiet Corbin und Anselm Strauss 38 – der Salutogenese, Bedeutung 49 – des Lebens 35 – fördernder Prozesspflege 36 Monaldi-Drainage 184 Monozyten 425 Moral 313 Morbus – Alzheimer 466 – Basedow 419 – Bechterew 449 – Crohn 381 – Paget 444 – Parkinson 464 – Scheuermann 446 Motivation 47 MRSA 111 Mukositis, orale 293 Mukoviszidose 364 Multimorbidität 285–286 Multiple Sklerose (MS) 461 Multiresistente Erreger (MRE) 111 Mumps 520 Mund- und Lippenpflege 122 Mundhöhle 373 Mundpflege, Basale Stimulation 328 Muskeltonus, Normalisierung 331 Muttermilch 221 Myelodysplastisches Syndrom (MDS) 427, 430 Myokard 337 Myokarditis 346

Sachverzeichnis

N Nagelpflege 123 Nahabstandsbestrahlung 290 Nähe-Distanz-Verhältnis 304 Nahrungsaufnahme 133 Nahrungskarenz, präoperative 276 Nasenpflege 123 Nävus 490 Nephron 395 Nephrostomie 193 Nervenblockade, periphere 277 Nervenstimulation, transkutane elektrische (TENS) 256 Nervensystem – peripheres (PNS) 454, 472 – zentrales (ZNS) 453 Nesteln 328 Netzschlauchverband 212 Neugeborenenscreening 223 Neugeborenes 222 Neuralrohrdefekt 239, 473 Neuroborreliose 461 Neurodermitis atopica 487 Nichtschaden, Prinzipienethik 314 Niederdrucksystem 349 Niere – Aufbau 395 – Aufgaben 395 – Regulationsmechanismen 396 Nierenbecken 396 Nierenbiopsie 398 Nierenerkrankung, Diagnostik 397–398 Nierenersatztherapie 402 Niereninsuffizienz 177 – chronische (CNI) 400 Nierenschwelle 395 Nierenversagen, akutes (ANV) 400 Non-Touch-Technik, Wundversorgung 208 Normen 313 Norming 59 Notfall – außerklinischer 103 – hypertensiver 354

Notfallsituation 99 Nozizeption 253 NSTEMI 341 NYHA-Klassifikation, Herzinsuffizienz 344

O Oberbauchorgane 376 Oberflächenschmerz 253 Obstipation 141, 294 – Unterstützung 141 Obstipationsprophylaxe 147 Offenwinkelglaukom 478 Ohrenpflege 123 Ohrerkrankung 480 – Diagnostik 480 Ohrspülung 481 Öl, ätherisches 272 Onkologie, Pflegeprobleme 290 Opiate 255 Orchidopexie 502 Organe, hormonbildende 411 Organisch bedingte psychische Störung 512 Organspende 316 – Ablauf 300 Organtransplantation 300 – Abstoßungsreaktion 300 – Immunsuppressiva 300 Organvergabe, Regelung 299 Orthopnoe 117 Osmolalität 405 Osmolalitätsrezeptoren 407 Osmolarität 174–175 Osmose 174–175 Ösophago-Gastro-Duodenoskopie (ÖGD) 379 Ösophagus 373 Ösophagusvarizenblutung 388 Osteomyelitis 439, 445 Osteoporose 444–445 Osteosynthese 438 Ostitis 439 Ovarialkarzinom 497

P Palliative Care 303–304, 316 – Besonderheiten 305 – Symptomkontrolle 305 Palliative-Care-Pflegefachkraft, Aufgaben 304 Palliative-Care-Team 304 Pankreas 376, 412 Pankreatitis 390–391 Parathormon 412 Paravasat 290 Parotitisprophylaxe 148 PÄSR-Schema 81 Pathogenese 48 Patient – controlled Analgesia (PCA) 256 – vital gefährdeter, Überwachung 297 Patientenbeobachtung 80, 97 – Grundlagen 97 – Schmerzeinschätzung 255 Patientenedukation 319 Patientenressourcen, Kinästhetik 323 Patientensicherheit 87 Patientenüberwachung, postoperative 277 Patientenverfügung (PV) 92, 286, 316 – Notfallsituation 99 – Organspende 300 PDCA-Zyklus 86 Performing 59 Perfusoren 177 Perikarditis 346 Peritonealdialyse 403 Peritoneum 373 Peritonitis 393 Personalentwicklungsgespräche 87 Persönlichkeit, Definition 47 Persönlichkeitspsychologie 47 Persönlichkeitsstörung 515 Persönlichkeitstheorie, kognitive 234 Perspiratio insensibilis 134 Perzentilenkurven 263

Pflege – als Dienstleistung 39 – ambulante 243 – ambulante, Angehörige 244 – berufspolitisch organisierte 26 – Definition 19 – direkte 243 – Geschichte 25 – Grenzsituation, ethische 315 – Grundlagen, rechtliche 89 – Handlungsfelder 25 – häusliche, Angehörige, Umgang 244 – häusliche, Aufgaben 243 – häusliche, Grundlagen 243 – häusliche, Medikamentengabe 249 – im Alter, Grundprinzipien 234 – Intensivpflege 297 – kulturkongruente 41 – kultursensible 309 – nichtberufliche 26 – perioperative 275 – postoperative 277 – präoperative 275 – professionelle 19, 26 – professionelle, Merkmale 19 – systemische 39 Pflegeanamnese 80 – Ausgangssituation 234 – Demenz 235 – Ernährungsverhalten 152 Pflegeausbildung – generalisierte 22 – Grundlagen 21 – Prüfung 22 – Standard, europäischer 19 Pflegebedürftigkeitsbegriff, neuer 79, 243 Pflegeberuf, Belastung, psychische 64 Pflegeberufegesetz, neues 22 Pflegebeziehung – Aufbau 60 – kultursensible 309 – professionelle 60 Pflegecharta 314 Pflegediagnosen 81

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Sachverzeichnis

Pflegedokumentation 82 Pflegeeinrichtung – Finanzierung 243 – Qualitätsmanagement 86 – Qualitätsverantwortung 85 Pflegeethik 313 – Normen 314 – Nutzen 314 – Verantwortungsbereiche 313 Pflegeforschung 32 – Gütekriterien 32 Pflegegrade 243 Pflegehandlung, Erfahrung, somatische 328 Pflegekammer 26 Pflegekompetenz – Entwicklung nach Benner 27 – Entwicklung nach Olbrich 27 – Varianten 35 Pflegekonzepte 33 Pflegemaßnahmen 81 Pflegemodell 33–34 – Corbin und Strauss 37 – Friedemann 38 – Krohwinkel 36 – Leininger 40 – Orem 34 – Peplau 37 – Roper-Logan-TierneyModell 36 – Sunrise-Modell 41 Pflegeorganisationssysteme 73 Pflegeplanung 79 – Praxis 82 Pflegeprobleme 80–81 Pflegeprozess 79 – Kongruenz 39 – Phasen und Rollen der Beziehung 37 – Schritte 39 – Vorteile 79 Pflegeprozessmodell 79 – nach Fiechter und Meier 80 – nach WHO 80 Pflegequalität 85 – Grundlagen, gesetzliche 85 Pflegestandards 82 Pflegestärkungsgesetz 79 Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) 243

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Pflegetätigkeit, Belastung, körperliche 63 Pflegetechniken 159 Pflegetheorie 33 – Theorie des Selbstpflegedefizits von Dorothea Orem 34 – Vergleichskriterien 33 Pflegeübergabe 83 Pflegeutensilien, Umgang 110 Pflegeversicherung 72 Pflegeverständnis 26 Pflegevisite 83 Pflegewissenschaft 26, 31, 41 – Aufgaben 31 Pflegeziele 81 – Wirksamkeit, Beurteilung 81 Pfortadersystem 352 pH-Wert 407 Phimose 502 Phlebothrombose 368 Physical Activity Level (PALWert) 261 PiCCO 297 Placenta praevia 218 Plattenepithelkarzinom 490 Pleuradrainage 183 Pleuradrainagensysteme 184 Pneumonie 365 Pneumonieprophylaxe 152–153, 197 Polymorbidität 285–286 Polyneuropathie 253 Polypharmazie 286 Polytrauma 103 Port 172 – Blutentnahme 167 Positionierung – Bobath-Konzept 332 – gute 127 Prädilektionsstellen, Dekubitus 145 Präeklampsie 218 Prävention 49 Primary Nursing 75 Prinzipienethik 314 Proktoskopie 379 Prolaps uteri 499 Prophylaxen 145 Prostatahyperplasie, benigne 500–501 Prostatakarzinom 501

Prostatitis 500 Proteine 259 Pseudarthrose 439 Psoriasis 486–487 Psychische Erkrankung 505 – Medikamente 505 Psychose – Formenkreis, schizophrener 507 – schizoaffektive 509 Psychotherapie 505 Public Health 50 Puerperalfieber 222 Pulmonaliskatheter (PAK) 297 Puls, Beurteilung 115 Punktat 187 Punktion 187 Pupillenreflextest 476 Purkinje-Fasern 339 Pyelonephritis 404

Q QM-Handbuch 87 QM-Systeme 86 Qualitätsmanagement (QM) 86 Qualitätsmanagementsysteme (QM-Systeme) 86 Qualitätspolitik 86 Qualitätssteigerung – Instrumente 87 – PDCA-Zyklus 86 Qualitätsstufenmodell nach Fiechter und Meier 85 Quarkauflage 271 Quarkauflage, kühlende 271 Querschnittsyndrom 468

R Rahmenmodell Fördernder Prozesspflege mit integrierten ABEDLs von Monika Krohwinkel 36 Rasur 123 Ratingskala – numerische (NRS) 254 – verbale (VRS) 255 Raynaud-Syndrom 450 Reanimation, kardiopulmonale (CPR) 102

Rechtsherzinsuffizienz 343 Redondrainage 183 Reflexion, ethische 314 Reflux, vesikoureteraler (VUR) 405 Refluxkrankheit, gastroösophageale 380–381 Regionalanästhesie 256 Regression 50 Rehabilitation 51 Rehabilitationsphasenmodell, neurologisches 51 Reinigung 109 Reiz – vestibulärer 328 – visueller, Förderung 329 Reizarmut 149 Reizstromtherapie 256 Rektoskopie 379 Religionen 309 Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) 396 Rentenversicherung 73 Ressourcen 81 – Stärkung 65 Rhesus-Blutgruppensystem 178 Rheumamedikamente 448 Rheumatische Erkrankungen 447–448 – Pflegebasismaßnahmen 448 Rheumatoide Arthritis 432, 448 Rollen, soziale 59 Rollenkonflikte 59 Roper-Logan-Tierney-Modell 35–36 Röteln 520 Rückenmark 454 – Gefäßversorgung 454 Rückenmarkserkrankung 468 Ruheenergiebedarf 261

S Salmonellose 523 Salutogenese 48 Sauerstoffsättigung, periphere (SaO2) 297 Sauerstoffsonden 181 Sauerstoffverabreichung 199

Sachverzeichnis

Säugling – Ernährung 262 – Schmerzbeobachtung 229 Säure-Basen-Haushalt 407 Säureschutzmantel 121 Schädel-Hirn-Trauma (SHT) 458 Schädelfraktur 439 Scham 64 Schaufensterkrankheit 355 Schichtarbeit, Belastung 63 Schilddrüse 411 Schilddrüsenerkrankung 418 Schildkrötenverband, Knie 211 Schizophrenie 507 Schlafanamnese 128 Schlafapnoe 117 Schlafbedarf 128 Schlafförderung 128 Schlafphasen 128 Schlafstörung 129 Schlaganfall 454–455 – akuter, Lysetherapie 268 – Herzrhythmusstörung 345 – Muskeltonus 331 – Therapie 456 Schlauchmullverband 212 Schluckstörung 455 Schmerz – akuter 253–254 – akuter, Schmerzskala 255 – chronischer 254 – postoperativer, Überwachung 278 – Tumorpatient 294 Schmerzanamnese 254 Schmerzarten 253 Schmerzassessment 254 Schmerzbeobachtung, Kind 229 Schmerzeinschätzung 255 Schmerzempfinden 253 Schmerzintensität 253 Schmerzkatheter, zentraler und peripherer 256 Schmerzlinderung, angemessene 254 Schmerzmanagement 253 – Ziele 254 Schmerzmedikation, postoperative 277 Schmerzreiz 253 Schmerzskala 254

Schmerzsyndrom, komplexes regionales (CRPS) 439 Schmerztagebuch 254 Schmerztherapie 255 – medikamentöse 255–256 – medikamentöse, Grundregeln 256 – nichtmedikamentöse 256 Schmerzwahrnehmung 253 Schmierinfektion 107 Schnappatmung 117 Schnittverletzung, Schutz 110 Schock 100 Schulung, Angehörige 319 Schutz des freien Willens 91 Schutzausrüstung, persönliche (PSA) 108 Schwangerschaft 217 Schwangerschaftsbeschwerden 217–218 Schweigepflicht 90 Schweißtest nach Pilocarpin-Iontophorese 364 Schwerhörigkeit 481, 483 Sectio caesarea, Pflege 221 Seeds, radioaktive 290 Sehbehinderung 477, 479 Sehen 328 Sehnen 436 Sehschärfenprüfung 476 Sehvorgang 476 Sekretmobilisation 198 Selbstbestimmung 19 Selbstkatheterismus 161 Selbstpflege 34 Selbstpflegebedarf 34 Selbstpflegedefizit 34 Selbstreflexion 60 Selbstwirksamkeitserwartung (SWE) 50 Selektivitätstheorie, sozialemotionale 47 Sepsis 517 Sexuell übertragbare Krankheiten 502 Sinneserfahrung, somatische 328 Sinnesorgane 475 Sinus coronarius 338 Sinusknoten 339 Skabies 489 Skelettsystem 436

Sklerodermie, systemische 450 Smiley-Skala 255 Sodbrennen 380 Somatostatin 376 Sonden 181 – gastrointestinale 181 Soorprophylaxe 148 Sozialgesetzbuch (SGB V, XI) 85 Sozialsystem 71 Sozialversicherungen (SV) 71 Sozialversicherungsträger 71 Spannungskopfschmerz 471 Spastik 331 Speicheldrüsen 373 Speisen, servieren 133 Spina bifida 239, 473 Spinaliom 490 Spinalkanalstenose 470 Spitzfuß 154 SPK 162 Spontangeburt, Phasen 220 Sprachbarrieren 309 Spülkatheter 159 Stammzelltransplantation 428 Standardhygiene 107 Standardpflegepläne 82 Stanzbiopsie 188 Status epilepticus 462 STEMI 341 Stenose 347 Sterbehilfe 92, 315 Sterbephasen nach KüblerRoss 303 Sterbeprozess 303, 305 – Sterbephase, finale 303 – Verstorbener, Umgang 304 Sterilisation 109 Stichverletzung, Schutz 110 Stillen 221 Stoma 192 – Versorgung 192 Storming 59 Strahlenenteritis 293 Strahlentherapie 290 – Hautreaktionen 293 Stress 63, 66 Stressbewältigung, Strategien 65 Stressoren 48, 63

Stressreaktion 63 Stridor 117 Struktur- und Prozessqualität 85 Struma 419 Stuhlausscheidung 137, 139 Stuhlinkontinenz 139 Sturz 100 Sturzprophylaxe 150–151 – im Alter 233 Subinvolutio uteri 222 Sudden Infant Death Syndrome (SIDS) 223 Suizid, Beihilfe 92 Suizidgedanken 506 Sunrise-Modell 41 Supervision 65 Synkope 100, 345 Syphilis 503 systemic inflammatory response syndrome (SIRS) 517 Systole 337

T Tachykardie 427 Tachypnoe 117 Taille-Hüft-Verhältnis (THV) 134 Tawara-Schenkel 339 Team, Definition 59 Teamentwicklung 59 Teletherapie 290 Tetanus 522 Theorie 31 – der Selbstpflege 34 – des Pflegesystems 35 – des Selbstpflegedefizits 34 – Leininger 40 – Peplau 37 – von Jean Piaget 46 Therapieformen, Arzneimittel 247 Thermoregulation 118 Thoraxdrainage 183 Thoraxschmerz, Ersteinschätzung nach MTS 103 Thrombolyse 267 Thrombolysetherapie 268 Thrombopenie 292, 430 Thrombophlebitis 359 Thrombose 290

66

Sachverzeichnis

Thromboseprophylaxe 153 Thrombozyten 423–424 Thrombozytenadhäsion 267 Thrombozytenaggregation 267 Thrombozytenaggregationshemmer 267 Thrombozytenkonzentrat (TK) 178 Time is tissue 357 Tinnitus 483 TNM-Klassifikation 289 Tod, klinischer und biologischer 303 Todesdefinition, neurologische 316 Todeszeichen 304 Tonometrie 477, 479 Torwartstellung, Atemnot 197 Total Pain 305 Totalendoprothese (TEP) 439 Totgeburt 219 Toxoplasmose 217 Trachealkanüle, Reinigung und Wechsel 200–201 Tracheostomapflege 200 Trajektmodell nach Corbin und Strauss 285 Transdermale therapeutische Systeme (TTS) 256 Transfusion, Blutgruppen 423 Transfusionszwischenfall 100 Transplantation 299 Transplantationsgesetz (TPG) 92, 299 Transsudat 187 Transtheoretisches Modell 50 Trauerbegleitung 304 Trauma – Belastungsstörung, posttraumatische 513 – Beobachtungsparameter 103 – Definition 437 – Triage-System 103 Traumatologische Erkrankung 437 Triage-System 103 Trigeminusneuralgie 471 Triglyzeride 259 Trinken 133

534

Trisomie 21 239 Tröpfcheninfektion 107 Tuberkulose 366–367 Tumor, maligner 289 – Beratung 294 Tumorausbreitung 289 Tumorentstehung 289 Tumortherapie, Säulen 289

U Übelkeit 141, 290 Übergewicht 263 Überlaufblase 137 Überwachung, postoperative 277 Überwachungspatient 297 Ulkuskrankheit, gastroduodenale 380 Umgangskultur 60 Unfallversicherung 73 Unruhe, motorische 328 Unterbringung 91 Untergewicht 263 Unternehmenskultur 60 Ureterokutaneostomie 193 Urethritis 404 Urethrogramm 159 Urethrozystoskopie 398 Urin 395 Urinausscheidung 137 Urinkultur 398 Urinstix 398 Urodynamik 398 Uroflowmetrie 398 Urolithiasis 405 Urostoma 193 – Wechsel 193

V Varikosis 359 Varizellen 521 Vasokonstriktion 267 Venen 349 – große 352 – Prüfung 353 Venendruck, zentraler (ZVD) 172, 297 Venenthrombose 357 Venenverweilkanüle, periphere 171 Verätzung 104 – Augenspülung 477

Verbandarten 211 Verbandwechsel, Wunden 208 Verbandtechniken 211 Verbrennungen 104 Verbrennungskrankheit 298 – Aufgaben, pflegerische 299 Verbrühungen 104 Verdauung 377 Verdauungsorgane, Innervation 373 Verdauungssystem 373 – Diagnostik 377–378 – Gefäßversorgung 373 – Untersuchung, endoskopische 379 Verdrängung 50 Verhaltensänderung, Begriffe und Modelle 50 Verletzlichkeit 313 Verletzung 103 Verordnung, ärztliche 243 Verschlussikterus 390 Verschlusskrankheit, periphere arterielle (pAVK) 355–356 Versorgungspfade, klinische 75 Verwahrlosung 244 Vesikoureteraler Reflux 405 Vibration 328 Vigilanz 50 Virushepatitis, Impfung 387 Virusinfekt, Standardimpfungen 521 Virusinfektion 519–520 Vitalnormwerte, Altersklassen, kindliche 227 Vitalzeichen 277 Vitamin D3 396 Vitamine 260–261 Volumenrezeptoren 407 Vomitus 141 Vorhofflimmern 345, 357 Vorsorgevollmacht 92

W Waist-to-Hip-Ratio (WTH) 134 Wandel, demografischer 19

Wärmeanwendung 256 Wasser, Besonderheiten 260 Wasserhaushalt 405 Weaning 298 Weigerungsrecht 90 Weisungsrecht 90 Weiterbildung 28 Werte, moralische und pflegerische 313 Wickel 271 – Anwendung 272 – kalter 271 – Palliative Care 305 – warmer 272 Widerstandsressourcen 48 Wille, freier, Schutz 91 Windpocken 521 Wirbelsäulenerkrankung 446 – degenerative 446 Wirbelsäulenfraktur 440 Wissenschaft, Kennzeichen 31 Wissensquellen, strukturierte und unstrukturierte 31 Wissensquellen, unstrukturierte 31 Wochenbett 221 – Beratung 222 – Infektionen 222 – Komplikationen 222 – Pflege 221 Wochenbettdepression 222 Wochenbettfieber 222 Wong-Baker-Gesichtsskala 240, 255 Work-Life-Balance 66 Wundanalyse 209 Wundanamnese 209 Wundarten 203 Wundauflagen, Arten 205 Wunddokumentation 209 Wunddrainage 279 Wunden, Keimbesiedelung 203 Wundheilung 203 – Phasen 204 Wundheilungsstörung 204 Wundreinigung 203–204 Wundspülung 204 Wundstarrkrampf 522 Wundtherapie – moderne 204 – phasengerechte 204

Sachverzeichnis

Wundversorgung 205 – Non-Touch-Technik 208 – Verbandwechsel 208 Würde 304, 313 Würgen 141

Z Zahnprothesenpflege 123 Zerebralparese 239 – infantile 473 Zervixkarzinom 498 Zielsetzung, primäre pflegerische 36

Zirkumzision 502 Zuhören, aktives 56 Zusammenarbeit, interdisziplinäre 60 Zwangsstörung 514 Zyanose 99 Zystitis 107, 404 Zystogramm 159 Zystometrie 398 Zystostomie 193 Zytostatika 289 – Darmschleimhaut 293