Lackadditive kompakt erklärt 9783748600114

Additive tragen in Formulierungen von Lacken und Beschichtungen erheblich dazu bei, bestimmte Eigenschaften zu erzielen

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Lackadditive kompakt erklärt
 9783748600114

Table of contents :
Auf ein Wort
Inhalt
1. Netz- und Dispergiermittel
2. Verlaufsmittel/ Untergrundbenetzungsmittel
3. Entschäumer
4. Rheologisch wirksame Additive
5. Katalysatoren
6. Haftvermittler
7. Korrosionsschutzadditive
8. Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Bewitterungsbeständigkeit
9. Photoinitiatoren
10. Filmbildehilfsmittel
11. Neutralisationsmittel
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Index

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Bodo Müller

Lackadditive kompakt erklärt 2., überarbeitete Auflage

Cover: Plus-Icons: © Francois Poirier – stock.adobe.com

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.



FARBEUNDLACK // BIBLIOTHEK

Bodo Müller

Lackadditive kompakt erklärt 2., überarbeitete Auflage

Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

Auf ein Wort Vom Erfolg der ersten Auflage mit dem Titel „Additive kompakt“ war der Autor nicht überrascht und hat sich deshalb gerne in die Pflicht nehmen lassen, diese inhaltlich zu überarbeiten und zu aktualisieren. Der Titel wurde dabei in „Lackadditive kompakt erklärt“ geändert, um den Lehrbuchcharakter für Lacke deutlicher zu machen. Additive (Zusatz- oder Hilfsstoffe) sind Substanzen, die einem Lack in geringen Mengen (meistens weniger als 1 %) zugesetzt werden, um die Eigenschaften des Lacks bzw. der daraus hergestellten Beschichtung in die gewünschte Richtung zu verändern. Additive für Lacke sind wie „Arzneien“ und können so auch negative Nebenwirkungen haben. Lackadditive kann man wie folgt in Funktionsadditive und Formulierungsadditive unterteilen: Formulierungsadditive sind Additive, die bei der Herstellung, Lagerung und Verarbeitung von Lacken wirken; Beispiele sind Netz- und Dispergiermittel, rheologische Additive, Verlaufsmittel, Entschäumer, Katalysatoren, Fotoinitiatoren, Filmbildehilfsmittel, Neutralisationsmittel und Hautverhinderungsmittel. Funktionsadditive beeinflussen bestimmte Eigenschaften der festen Beschichtung; Beispiele sind Korrosionsschutzadditive, Haftvermittler, Lichtschutzadditive und Hydrophobierungsmittel. Das vorliegende Buch versteht sich in erster Linie als Lehrbuch und ist aus meinen Vorlesungen an der Hochschule Esslingen entstanden. Sein Ziel ist eine chemische und anwendungstechnische Beschreibung von unterschiedlichen Klassen der Lackadditive. Test- und Prüfmethoden sind nicht Thema dieses Buches. Aufgrund der Fülle von verschiedensten Lackadditiven beschränkt sich dieses Buch auf die wichtigsten Typen; dafür werden diese lehrbuchmäßig erklärt. Darüber hinaus sollen Schadensbilder, die die Additive beseitigen oder verhindern, anhand von Fotos und Abbildungen verdeutlicht werden. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Worte. In einzelnen Fällen werden Lackrezepturen (Richtrezepturen von Lackrohstoffherstellern) zur spezifischen Erklärung des Additiveinsatzes herangezogen und so wird ganz gezielt auf die Belange der Lackindustrie eingegangen. Auf patentrechtliche Einschränkungen und eingetragene Warenzeichen (z.B. ™ oder ®) wird nicht ausdrücklich hingewiesen. Produkt- und Markennamen werden so wenig wie möglich verwendet, lassen sich aber nicht ganz vermeiden. Es muss in Betracht gezogen

werden, dass sich heutzutage durch Firmenverkäufe Produkt- und Markennamen kurzfristig ändern können. Ziel des vorliegenden Lehrbuchs über Lackadditive ist es, angehende Lacklaboranten, Techniker, Bachelors, Ingenieure oder Chemiker mit dieser Lackrohstoffgruppe vertraut zu machen; gewisse Grundlagenkenntnisse der Chemie müssen dabei vorausgesetzt werden. Darüber hinaus kann es auch als Nachschlagewerk für alle an Lacken, Lackrohstoffen und Beschichtungen interessierte Leser dienen. Würzburg im Juni 2018 Bodo Müller [email protected]

Haftungsauschluss Es ist darauf hinzuweisen, dass der Autor lediglich seine persönliche Auffassung nach bestem Wissen und Gewissen wiedergibt. Dies entbindet den Leser nicht davon, eigene Nachforschungen bei der An- oder Verwendung der verschiedenen beschriebenen Verfahren oder Erzeugnisse anzustellen und/oder ergänzende Beratungsleistungen einzuholen. Eine Haftung des Autors ist insofern unter allen rechtlichen Gesichtspunkten ausgeschlossen.

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FARBEUNDLACK // BIBLIOTHEK

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Inhalt

Inhalt 1

Netz- und Dispergiermittel.......................................................................................... 11 1.1 Dispergierprozess....................................................................................................11 1.2 Stabilisierung von Dispersionen..........................................................................14 1.2.1 Elektrostatische Stabilisierung.............................................................................16 1.2.2 Sterische Stabilisierung.........................................................................................17 1.3 Beispiele für Netz- und Dispergiermittel............................................................19 1.3.1 Dispergiermittel.......................................................................................................19 1.3.2 Netzmittel ................................................................................................................24 1.4 Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen..................................31 1.4.1 Organische Buntpigmente.....................................................................................31 1.4.2 Titandioxid................................................................................................................34 1.4.3 Füllstoffe....................................................................................................................36 1.4.4 Pyrogene Kieselsäure..............................................................................................37 1.4.5 Plättchenförmige Metallpigmente.......................................................................40 1.5 Literatur.....................................................................................................................45

2 Verlaufsmittel/Untergrund­benetzungsmittel......................................................... 47 2.1 Oberflächenstörungen............................................................................................47 2.2 Silicon-Additive........................................................................................................50 2.2.1 Polydimethylsiloxane..............................................................................................51 2.2.2 Chemisch modifizierte Silicon-Additive.............................................................51 2.3 Literatur.....................................................................................................................54 .................................................................................................................. 55 3 Entschäumer 3.1 Schaumarten und Schaumstabilisierung...........................................................55 3.2 Arten und Wirkungsweisen von Entschäumern...............................................59 3.2.1 Entschäumer für wässrige Lacke.........................................................................60 3.2.2 Entschäumer für lösemittelhaltige Lacke...........................................................62 3.3 Entlüftung von Pulverlacken.................................................................................63 3.4 Literatur.....................................................................................................................64 4 Rheologisch wirksame Additive................................................................................. 65 4.1 Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben....................68 4.1.1 Schichtsilicate..........................................................................................................69 4.1.2 Pyrogene Kieselsäuren...........................................................................................72 4.1.3 Polymere Rheologieadditive.................................................................................73

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15:29

Inhalt 4.2 Rheologieadditive für lösemittelhaltige Lacke..................................................83 4.2.1 Organoschichtsilicate.............................................................................................83 4.2.2 Pyrogene Kieselsäuren...........................................................................................86 4.2.3 Rheologische Additive auf Harnstoffbasis.........................................................87 4.3 Rheologisch wirksame Additive in Einbrennlacken.........................................90 4.4 Literatur.....................................................................................................................91 5 Katalysatoren.................................................................................................................. 93 5.1 Sikkative....................................................................................................................94 5.1.1 Hautverhinderungsmittel.......................................................................................97 5.2 Katalysatoren für Polyurethan-Lacke..................................................................99 5.3 Katalysatoren für 2K-Epoxidharz-Lacke........................................................... 104 5.4 Säurekatalysatoren für Einbrennlacke............................................................. 106 5.5 Literatur.................................................................................................................. 110 6 Haftvermittler...............................................................................................................111 6.1 Silanhaftvermittler............................................................................................... 113 6.2 Silan-Haftprimer................................................................................................... 115 6.3 Dünne Polymerhaftschichten............................................................................. 116 6.4 Aminosilan als Härter in 2K-Epoxidharzlacken.............................................. 117 6.5 Literatur.................................................................................................................. 119 7 Korrosionsschutzadditive..........................................................................................121 7.1 Korrosion von Metallen....................................................................................... 121 7.2 Abgrenzung von Korrosionsschutzpigmenten .............................................. 122 7.3 Organische Korrosionsschutzadditive............................................................. 125 7.4 Korrosionsinhibitoren für Metallpigmente in alkalisch wässrigen Lackmedien................................................................... 127 7.5 Literatur.................................................................................................................. 119 8 Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Bewitterungsbeständigkeit..............................................131 8.1 Photooxidation/UV-Degradation....................................................................... 132 8.1.1 Absorption und Emission von Licht................................................................. 132 8.1.2 Photooxidation von Polymeren und Lackbindemitteln................................ 134 8.2 Schadensbilder von Beschichtungen nach der Bewitterung....................... 139 8.2.1 Kreidung................................................................................................................. 139 8.2.2 Ausbleichen........................................................................................................... 142 8.2.3 Versprödung und Rissbildung........................................................................... 143

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Inhalt 8.2.4 Besonderheiten bei der Bewitterung von Holz.............................................. 145 8.2.5 Spezielle Schadensbilder bei Zweischicht-Effektlackierungen................... 146 8.3 Stabilisierung von Lackfilmen gegen Photooxidation.................................. 148 8.3.1 Pigmentierung....................................................................................................... 148 8.3.2 Lichtschutz­additive.............................................................................................. 151 8.4 Literatur.................................................................................................................. 157 9 Photoinitiatoren...........................................................................................................159 9.1 UV-härtende Beschichtungen............................................................................ 159 9.2 Wirkungsweise von Photoinitiatoren............................................................... 160 9.3 Literatur.................................................................................................................. 163 10 Filmbildehilfsmittel.....................................................................................................165 10.1 Filmbildung von Primärdispersionen............................................................... 165 10.2 Wirkungsweise von Filmbildehilfsmitteln...................................................... 168 10.3 Literatur.................................................................................................................. 170 11 Neutralisationsmittel..................................................................................................171 11.1 Neutralisationsmittel für Carboxylgruppen-haltige Lackbindemittel....... 171 11.2 Neutralisationsmittel für Amingruppen-haltige Lackbindemittel............. 173 11.3 Literatur.................................................................................................................. 175 Autor.............................................................................................................................. 177 Index.............................................................................................................................. 179

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Dispergierprozess

1

Netz- und Dispergiermittel

1.1

Dispergierprozess

Für den Dispergierprozess ist zunächst eine Charakterisierung der Pigmentteilchen angebracht (Abbildung 1.1). Als Primärteilchen bezeichnet man die bei der Pigmentherstellung entstehenden kleinen Einzelkristalle. Aggregate sind flächig verwachsene Primärteilchen; beim Dispergieren werden sie in der Regel nicht getrennt. Unter Agglomeraten schließlich versteht man Zusammenlagerungen von Primärteilchen bzw. Aggregaten über Ecken und Kanten (Abbildung 1.1 bis 1.3). Abbildung 1.2 zeigt eine rasterelektronenmikroskopische und Abbildung 1.3 eine lichtmikroskopische Aufnahme von Pigment Red 3 als typisches Beispiel für Agglomerate eines organischen Buntpigments. Mahlprozesse unterscheidet man in Echtvermahlung (Zerkleinerung von Primär­ partikeln) und Desagglomerieren (Zerkleinerung von Agglomeraten zu Aggregaten bzw. Primärpartikeln). Im Sprachgebrauch der Lacktechnologie wird unter Dispergieren bzw.

Abbildung 1.1: Vereinfachte Darstellung von Primärteilchen, Aggregaten und Agglomeraten (vgl. DIN 53 206 T1)

Abbildung 1.2: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Pigment Red 3

Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

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Netz- und Dispergiermittel Mahlen das homogene Verteilen von feinstteiligen Feststoffpartikeln (z.B. Pigmente) in einem flüssigen Medium (häufig Bindemittellösung) verstanden, d.h. das Desagglomerieren. Da die Pigmentdispergierung der wichtigste Schritt bei der Lackherstellung ist, und es für das Verständnis von Dispergieradditiven notwendig ist, wird an dieser Stelle kurz auf den Dispergierprozess eingegangen. Beim Dispergieren müssen die Haftkräfte (z.B. van der Waals-Kräfte), die zwischen den Pigmentpartikeln wirken, überwunden werden [1]. Dispergieradditive (Dispergiermittel) werden benötigt, um die nach der Pigmentdispergierung erhaltene deflockulierte Pigmentdispersion über längere Zeiträume zu stabilisieren, d.h. eine Flockulation (Flockung) der Pigmentteilchen zu verhindern [2], hierauf wird in Kapitel 1.2 eingegangen.

Abbildung 1.3: Lichtmikroskopische Aufnahme von Pigment Red 3 (Maßstabsbalken 1 mm)

Abbildung 1.4: Aufstriche von Pigment Blue 60 abgemischt mit Titandioxid nach unterschiedlichen Dispergierzeiten in einem wässrigen Dispersionslack (Farbstärke­ entwicklung)

Abbildung 1.5: Lichtmikroskopische Aufnahme (Durchlicht) einer Dispersion von Phthalocyaninblaupigment nach unterschiedlichen Dispergierzeiten

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Dispergierprozess Zweck des Dispergierprozesses ist es, die Agglomerate zu zerteilen. Im Idealfall erhält man eine Dispersion bestehend aus Primärteilchen und Aggregaten. In der Praxis kommt es häufig nur zum Zerteilen von großen Agglomeraten zu kleineren [3]. Eine Überdispergierung (im Extremfall: Zerkleinerung von Primärpartikeln, Echtvermahlung) muss unbedingt vermieden werden, da hierbei die Nachbehandlung der Pigmentoberflächen beschädigt wird und damit anwendungstechnische Eigenschaften der Pigmente nachteilig beeinflusst werden (siehe Kapitel 1.4). Der Dispergierprozess besteht aus drei Schritten: –– Benetzen von Pigmentagglomeraten –– Zerteilen (besser Desagglomerieren) von Pigmentagglomeraten (Technik siehe [4]) –– Stabilisieren der erhaltenen Dispersion gegen Flockulation (siehe folgendes Kapitel 1.2) Die Benetzung von Pigmentagglomeraten läuft in zwei Schritten ab: dem Ausbreiten der flüssigen Phase auf der Agglomeratoberfläche und dem Eindringen der flüssigen Phase in die Poren bzw. Hohlräume der Pigmentagglomerate (Verdrängung von Luft). Das mechanische Zerteilen (Desagglomerieren) der Pigmentagglomerate erhöht beispielsweise die Farbstärke von Buntpigmenten (siehe Abbildung 1.4) und damit deren Wirtschaftlichkeit. Abbildung 1.5 zeigt lichtmikroskopische Aufnahmen (Durchlicht) einer Dispersion von Phthalocyaninblaupigment nach unterschiedlichen Dispergierzeiten; das qualitative Kleinerwerden der Agglomerate mit zunehmender Dispergierzeit ist deutlich zu erkennen.

Abbildung 1.6: Teilchengrößeverteilung eines organischen Rotpigments in einem wässrigen Bindemittel (Nullprobe, d50 = 1,3 µm, siehe auch Abbildung 1.8)

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Netz- und Dispergiermittel Die Abbildungen 1.6 und 1.7 zeigen das Kleinerwerden der Agglomerate mit zunehmender Dispergierzeit quantitativ durch Messung der Teilchengrößenverteilung. Nach 10 Minuten sind die Agglomerate vollständig verschwunden (Abbildung 1.4), d.h. der Dispergierprozess ist abgeschlossen. Abbildung 1.6 zeigt, dass schon das Vordispergieren mit dem Dissolver einen Teil der Agglomerate zu den Primärteilchen zerteilt hat; nach 10 Minuten Dispergierzeit sind alle Agglomerate zerteilt (Abbildung 1.7). In Abbildung 1.8 werden Aufzüge von Weißabmischungen der beiden Proben gezeigt; der Gewinn an Farbstärke ist deutlich zu erkennen).

1.2

Stabilisierung von Dispersionen

Beim Dispergieren werden Anziehungskräfte (z.B. van der Waals-Kräfte), die zwischen den Pigmentteilchen wirken, überwunden. Dispergieradditive werden benötigt, um die nach der Pigmentdispergierung erhaltene deflockulierte Pigmentdispersion zu stabilisieren, d.h. eine Flockulation der Pigmentteilchen durch diese Anziehungskräfte zu verhindern [2]. Die Begriffe Dispergiermittel und Dispersionsmittel müssen streng unterschieden werden. Dispergiermittel sind gleichzusetzen mit Dispergieradditiven, während Dispersionsmittel das flüssige Medium ist, in dem die Pigmentpartikel dispergiert werden. Als Flockulation bezeichnet man nun die Zusammenlagerung von dispergierten Pigmentteilchen in einem flüssigen Beschichtungsstoff bedingt durch die zwischen den Partikeln wirkenden Anziehungskräften (z.B. van der Waals-Kräfte). Flockulation verkleinert

Abbildung 1.7: Teilchengrößeverteilung eines organischen Rotpigments in einem wässrigen Bindemittel (nach 10 Minuten Dispergierzeit, d50 = 0,51 µm, siehe auch Abbildung 1.8)

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Stabilisierung von Dispersionen damit die Phasengrenzfläche Pigment/Dispersionsmittel. Die meisten dispersen Systeme sind in Bezug auf die Verkleinerung der Phasengrenzfläche (z.B. durch Flockulation) thermodynamisch instabil [3]. Warum? Die notwendige Arbeit (Energieaufwand), um Moleküle aus dem Inneren einer Phase an deren Oberfläche zu bringen, berechnet sich nach: wobei

W=γ·∆A W γ ∆A

Arbeit [Energie] Grenzflächenspannung [Kraft/Länge = Energie/Fläche] [3] Zuwachs der Grenzfläche [Fläche]

Die Arbeit W ist also proportional zum Zuwachs der Grenzfläche ∆A und zur Grenzflächenspannung γ. D.h. je größer die Grenzfläche und je größer die Grenzflächenspannung, desto höher ist der Energieinhalt des dispersen Systems und desto instabiler ist es (thermodynamisch). Eine Flockulation erniedrigt den Energieinhalt eines dispersen Systems, da die Grenzfläche ∆A dadurch erniedrigt wird; d.h. durch Flockulation geht das disperse System in seinen thermodynamisch stabilen Zustand über (Abbildung 1.9).

Abbildung 1.8: Weißabmischungen eines organischen Rotpigments in einem wässrigen Bindemittel: Nullprobe und nach 10 Minuten Dispergierzeit (siehe Teilchengrößeverteilun­ gen in Abbildung 1.6 und 1.7)

Abbildung 1.9: Thermodynamische Zustände von Pigmentdispersionen

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Netz- und Dispergiermittel Pigment- bzw. Polymerdispersionen sind häufig jahrelang beständig, weil sie metastabil sind. Der Begriff der Metastabilität wird in Abbildung 1.9 veranschaulicht. Warum sind nun Pigmentdispersionen haltbar, d.h. metastabil? Weil durch elektrostatische oder sterische Stabilisierung Flockulation verhindert werden kann; später werden diese Begriffe noch genauer erläutert werden. Die Kombination beider Stabilisierungsmechanismen bezeichnet man als elektrosterische Stabilisierung. Die Stabilisierung ist ein kinetischer Effekt: Ein Übergang in den thermodynamisch stabilen Zustand durch Flockulation wird durch eine hohe Aktivierungsenergie verhindert bzw. verzögert (Abbildung 1.9).

1.2.1

Elektrostatische Stabilisierung

Insbesondere in Wasser (hohe Dielektrizitätskonstante) dispergierte anorganische Pigmente und Füllstoffe tragen meistens Ladungen. Da das ganze System elektrisch neutral ist, muss in der angrenzenden flüssigen Phase die entsprechende Anzahl von Gegenionen vorhanden sein (Abbildung 1.10). Es bildet sich eine elektrische Doppelschicht (Ionenwolke); die elektrostatische Abstoßung gleichnamiger Ladungen verhindert eine Flockulation (elektrostatische Stabilisierung). Entscheidend ist, dass die Abstoßungskräfte (Coulomb-Abstoßung) weiter in das Dispersionsmittel reichen als die Anziehungskräfte (van-der-Waals-Kräfte; Abbildung 1.10). Bei ungleichnamigen Ladungen (z.B. bei verschiedenen Pigmenten) kommt es durch elektrostatische Anziehung zur Co-Flockulation. Ein Zusatz von Elektrolyten (Salzen) lässt die elektrische Doppelschicht (Ionenwolke) schrumpfen und kann zur Flockulation führen [3]. Die Schultze-Hardy‘sche Regel beschreibt den Einfluss der Ionenladung zugesetzter Salze auf deren flockulierende Wirkung: –– Bei negativ geladenen Dispersionen (Regelfall) wirken Kationen umso stärker flockulierend, je höher ihre Ladung ist: Na+ < Ca2+ < Al3+ oder Fe3+ –– Bei positiv geladenen Dispersionen (selten; z.B. KTL [3]) wirken Anionen mit zunehmender Ladung flockulierend: Cl- < SO42- < PO43Für die Praxis kann daraus gefolgert werden, dass Elektrolyte (Salze) in wässrigen Lacken möglichst vermieden werden müssen. Ladungen können auf verschiedene Weise auf Pigment- oder Füllstoffoberflächen entstehen, z.B. durch: –– Dissoziation von funktionellen Gruppen auf der Pigmentoberfläche [3] –– Adsorption von Ionen (häufig Polyanionen); siehe Dispergieradditive (Kapitel 1.3.1)

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Stabilisierung von Dispersionen Dissoziation von funktionellen Gruppen Tabelle 1.1: Isoelektrische Punkte (IEP) ausgewählter Oxide [5] auf der Teilchenoberfläche  [3] Oxid IEP (pH-Wert) Oxide haben an der Oberfläche Hydroxygruppen , MgO 12,5 die je nach der Art des Oxids als Säure oder Base 9 Al2O3 wirken können. Der pH-Wert, an dem die OberfläZnO 9 chenladung Null ist, wird als isoelektrischer Punkt 7 Cr2O3 (IEP) bezeichnet [4]. Oberhalb des IEP ist die Oxi6,5 Fe3O4 doberfläche durch Deprotonierung negativ, unter6,7 Fe2O3 halb des IEP durch Protonierung positiv geladen [3]. 4,5 bis 6,5 TiO2 Die Ladungsdichte steigt mit dem Abstand des pHWerts des Dispersionsmittels vom IEP. SiO2 2 Diese Daten (Tabelle 1.1) gelten für die chemisch reinen Oxide. Bei technischen Pigmenten oder Füllstoffen kann der IEP durch eine Nachbehandlung der Pigment- bzw. Füllstoffoberflächen stark von diesen Werten abweichen (z.B. bei Titandioxid, siehe Kapitel 1.4.2). Auch die Art der Kristallmodifikation von Oxiden kann einen Einfluss auf den IEP haben. Die elektrostatische Stabilisierung ist insbesondere in Wasserlacken oder Dispersionsfarben (hohe Dielektrizitätskonstante) von Bedeutung. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass elektrische Ladungen auf Pigmentoberflächen auch in lösemittelhaltigen Lacken eine Rolle spielen [6]; so kann ein Pigment, das in verschiedenen Bindemitteln dispergiert wurde, keine oder – das Vorzeichen betreffend – unterschiedliche Ladungen tragen.

1.2.2 Sterische Stabilisierung Es ist schon seit über 100 Jahren bekannt, dass wässrige Dispersionen (Kolloide) durch Zusatz von wasserlöslichen Polymeren, sog. Schutzkolloiden, wie z.B. Gelatine, Casein oder Polyvinylalkohol, sehr gut gegen Flockulation stabilisiert werden können. Im Gegensatz zur

Abbildung 1.10: Vereinfachte Darstellung der elektrischen Doppelschicht von zwei Pig­ mentteilchen

Abbildung 1.11: Sterische Stabilisierung (ver­ einfachte, nicht maßstabsgerechte Abbildung)

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Netz- und Dispergiermittel elektrostatischen Stabilisierung erwies sich die Stabilisierung durch Polymere als relativ unempfindlich bei Zusatz von Salzen (Elektrolyten). In organischen Lösemitteln ist der Zusatz von geeigneten Polymeren in der Regel die einzige Methode, eine Dispersion zu stabilisieren. Dabei müssen die Polymere (höhermolekulare Dispergieradditive bzw. Lackbindemittel) auf der Oberfläche des dispergierten Teilchens adsorbiert sein; d.h. die Polymere müssen adsorbierte Lösemittel- und/oder Netzmittelmoleküle verdrängen (Konkurrenz). Wenn sich die Pigmentteilchen einander nähern, wird die Beweglichkeit der Polymersegmente eingeschränkt, was zu einem Verlust von Bewegungsfreiheitsgraden und damit zu einer Erniedrigung der Entropie führt. Daraus resultiert eine rücktreibende Kraft (Abbildung 1.11). Deshalb wird die sterische Stabilisierung auch als entropische Abstoßung oder Deflockulation bezeichnet. Untersuchungen [7, 8] haben ergeben, dass für dispergierte Teilchen mit einem Durchmesser von bis zu 10 µm (= 10.000 nm) eine sterische Barriere von nur 10 nm ausreichend ist (Abbildung 1.12). Die Darstellung in Abbildung 1.11 kann suggerieren, dass auch Netzmittel (Tenside) sterisch stabilisieren können (insbesondere, wenn nicht beachtet wird, dass Abbildung 1.11 nicht maßstabsgerecht ist). Niedrigmolekulare Netzmittel leisten aber keinen Beitrag zur sterischen Stabilisierung, da diese Moleküle viel zu klein sind (siehe Kapitel 1.3.2). Nur Oligomere oder Polymere haben die erforderliche Molekülgröße.

Abbildung 1.12: Größenverhältnisse bei der sterischen Stabilisierung; der schwarze Rand um die Teilchen zeigt die 10 nm dünne sterische Barriere (näherungsweise maßstäb­ liche Darstellung)

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Voraussetzungen für eine sterische Stabilisierung a. Die Polymere müssen durch geeignete funktionelle Gruppen (pigmentaffine Gruppen oder Ankergruppen) fest auf der Pigmentoberfläche adsorbiert werden. b. Das Polymer muss ausreichend lange Kettensegmente haben, die im Dispersionsmittel (organische Lösemittel oder Wasser) gut löslich sind (serumaffine Gruppen oder Barrieregruppen), was zur erwünschten Kettenaufweitung führt. Der Zusatz von schlechten Lösemitteln hat eine Knäuelung diese

Beispiele für Netz- und Dispergiermittel Kettensegmente zur Folge und dadurch kann es zu Flockulation kommen (siehe Dispergieradditive Kapitel 1.3.1). c. Mittlere Molmassen von Polymeren (besser Oligomeren) sind optimal: –– Bei zu niedriger Molmasse ist die Kettenlänge des Polymers nicht ausreichend. –– Bei zu hoher Molmasse besteht die Gefahr der Überbrückungsflockulation (siehe Dispergieradditive Kapitel 1.3.1). Darüber hinaus kann eine zu hohe Molmasse zu Unverträglichkeiten oder zu einem Anstieg der Viskosität führen. d. Es ist eine Mindestkonzentration an Polymer erforderlich; wird sie unterschritten, kann insbesondere bei höheren Molmassen (siehe c) Flockulation erfolgen.

1.3 Beispiele für Netzund Dispergiermittel Es gibt leider kaum Angaben der Hersteller zum chemischen Aufbau von Dispergieradditiven (Dispergiermitteln), was die Erklärung ihrer Wirksamkeit stark erschwert. Häufig werden von den Herstellern die Begriffe Netz- und Dispergiermittel zusammengefasst, da die Abgrenzung voneinander unscharf ist. In diesem Buch wird eine Abgrenzung nach den Molmassen vorgenommen: –– Netzmittel (Tenside): Niedrigmolekulare, amphiphile Substanzen –– Dispergieradditive: Oligomere oder Polymere, die Pigment- bzw. Füllstoffdispersionen gegen Flockulation stabilisieren können. Im Anschluss an den Abschnitt über die Stabilisierung von Dispersionen sollen zuerst die Dispergiermittel beschrieben werden.

1.3.1

Dispergiermittel

Polyanionische Dispergieradditive zur elektrostatischen Stabilisierung Polyanionen als Dispergieradditive werden insbesondere auf anorganischen Pigmentund Füllstoffoberflächen adsorbiert und laden diese Oberflächen durch ihre eigenen Ladungen auf. Solche polyanionischen Dispergieradditive haben die Aufgabe, das Abstoßungspotential zu erhöhen und damit die elektrostatische Stabilisierung zu verstärken.

Abbildung 1.13: Polyacrylsäuresalz als Dispergieradditiv für wässrige Lacke

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Netz- und Dispergiermittel Sie bewirken dies durch: –– Verstärkung der gleichnamigen Ladung –– Umladung entgegengesetzt geladener Pigmente (Verhinderung der Co-Flockulation) –– Komplexierung von mehrwertigen Kationen (z.B. Ca2+; Reichweitenerhöhung der elektrostatischen Kräfte) Beispiele für polyanionische Dispergieradditive sind Polycarboxylate (meistens Salze von Polyacrylsäuren; Abbildung 1.13). Abbildung 1.14 zeigt schematisch die Adsorption eines Polyacrylsäuresalzes auf Zinkoxid (IEP bei pH 9). Vorteile von Polycarboxylaten + hydrolysestabil + bindemittelähnlich (Verträglichkeit, Filmqualität) Nachteile von Polycarboxylaten - höherer Preis (im Vergleich zu Polyphosphaten) - empfindlich gegen mehrwertige Kationen - relativ hohe Einsatzmenge

Abbildung 1-14: Aufladung von Zinkoxid-Pig­ ment durch ein Polyacrylsäuresalz (keine maß­stabsgerechte, stark vereinfachte Dar­ stellung)

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Abbildung 1.15: Block- und Pfropfcopolymere als Dispergieradditive Auch Multiblockcopolymere oder verzweigte Copolymere sind möglich

Beispiele für Netz- und Dispergiermittel Weitere Beispiele für polyanionische Dispergieradditive sind Polyphosphate –– Lineare Polyphosphate : Nan+2PnO3n+1 (Calgon) n = 2 : Pyrophosphat Na4P2O7 n = 4 : Tetraphosphat Na6P4O13 –– Cyclische Metaphosphate : (NaPO3)n Die Ladung und damit die Dispergiermittelwirkung nehmen mit steigendem n zu. Vorteile von Polyphosphaten + niedrigerer Preis (im Vergleich zu Polycarboxylaten) + gute Komplexbildung mit mehrwertigen Kationen (z.B. Ca2+) + niedrige Einsatzkonzentration (0,2 bis 0,5 %) Nachteile von Polyphosphaten - langsame Hydrolyse zu (Mono-)Phosphat - die löslichen Phosphat-Salze können zur Auswaschung und zur Kristallisation auf Beschichtungen führen Häufig wird in Dispersionsfarben eine Kombination aus Polyacrylat und Polyphosphat eingesetzt. Polymere Dispergieradditive zur sterischen Stabilisierung Aus Kapitel 1.2.2 „Sterische Stabilisierung“ folgt, dass zum Stabilisieren Block- oder Propfcopolymere (Abbildung 1.15) besser geeignet sind als statistische Copolymere oder Homopolymere. Bei entsprechendem Polaritätsunterschied der beiden Blöcke A und B (Abbildung 1.15) können AB-Blockcopolymere amphiphile Eigenschaften haben (vgl. Polymertenside); in solchen Fällen ist die häufig von den Herstellern gewählte Bezeichnung „Netz- und Dispergiermittel“ richtig. Konkrete Beschreibungen des chemischen Aufbaus von polymeren Dispergieradditiven zur sterischen Stabilisierung finden sich in der Literatur nur selten. Die sterische Stabilisierung von TitandioxidDispersionen in einem organischen Lösemittel (Methylethylketon MEK) durch AB-Blockcopoly- Abbildung 1.16: AB-Blockcopolymer mere aus 2-Vinylpyridin und Methacrylsäureme- als Dispergieradditiv für Titandioxid thylester (Abbildung 1.16) wurde in [9] beschrie- in organischem Lösemittel

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Netz- und Dispergiermittel ben. Bereits ab einem Gehalt von 18 mol-% an 2-Vinylpyridin im Blockcopolymer werden Titandioxid-Dispersionen (Rutil) wirksam gegen Flockulation stabilisiert. Für das Blockcopolymer mit 18 mol-% 2-Vinylpyridin berechnet sich ein Polymerisationsgrad für 2-Vinylpyridin zu n ≈ 27 und für Methacrylsäuremethylester zu m ≈ 122 (Abbildung 1.16). Ein zweites Beispiel für ein polymeres Dispergieradditiv zur sterischen Stabilisierung zeigt Abbildung 1.17; dank der Polyurethanchemie ist ein stufenweiser Aufbau dieses ABBlockcopolymeren möglich.

Abbildung 1.17: AB-Blockcopolymer als Dispergieradditiv

Abbildung 1.18: Lösemitteleinfluss auf sterische Stabilisierung (keine maßstabsge­ rechte Darstellung)

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Abbildung 1.19: Prinzip der Überbrückungs­ flockulation (keine maßstabsgerechte Darstellung)

Beispiele für Netz- und Dispergiermittel Die Stickstoffatome in beiden AB-Blockcopolymeren (Abbildung 1.16 und 1.17) können als Lewis-Basen eine Wechselwirkung mit Metallionen (Lewis-Säuren) eingehen; sie wirken damit pigmentaffin bei anorganischen Pigmenten und Füllstoffen. Beim Verdünnen von sterisch stabilisierten Pigmentdispersionen mit ungeeigneten Lösemitteln kann es zur Knäuelung der serumaffinen Kettensegmente von Dispergieradditiven und damit zur Flockulation kommen (Abbildung 1.18). Insbesondere bei zu niedriger Konzentration und bei sehr hohen Molmassen des Polymers kann eine Überbrückungsflockulation eintreten (Abbildung 1.19). Die gewollte aber reversible Überbrückungsflockulation durch spezielle Dispergieradditive ist die sog. kontrol­lierte Flockulation (siehe unten). Mischungsverhalten unterschiedlicher Pigmente An dieser Stelle ist ein kurzer Einschub zum Verhalten von Mischungen unterschiedlicher Pigmente angebracht. Da Lacke in der Regel mehr als eine Pigmentsorte enthalten, können sich verschiedene Pigmente auf Grund unterschiedlicher Beweglichkeiten (unterschiedlicher Größe und/oder Dichte) entmischen. Dies tritt meistens dann auf, wenn sich verschiedene Pigmente im frisch applizierten, noch fließfähigen Lackfilm entmischen und dann nicht mehr gleichmäßig verteilt vorliegen; man unterscheidet zwei Typen von Pigmententmischung: –– Ausschwimmen: Wenn sich in der Lackoberfläche lokale Konzentrationsunterschiede zeigen, spricht man von Ausschwimmen (Abbildung 1.20); dieses äußert sich häufig als Bénard’sche Zellen (Abbildung 1.21) oder in Form von Streifen. Die Lackoberfläche hat also keinen einheitlichen Farbton, sondern ein fleckiges oder streifiges Aussehen.

Abbildung 1.20: Ausschwimmen und Zellen­ bildung (lichtmikroskopische Aufnahme einer Beschichtung mit Titandioxid und Phthalo­ cyaninblau) Maßstabsbalken 0,5 mm

Abbildung 1.21: Bénard’sche Zellen (rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer Beschichtung mit Titandioxid und Pigment Red 3)

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Netz- und Dispergiermittel –– Aufschwimmen: Bestehen in der Lackoberfläche selbst keine Konzentrationsunterschiede, sondern treten diese nur in senkrechter Richtung dazu auf, spricht man von Aufschwimmen. Der Lackfilm zeigt in diesem Fall einen einheitlichen Farbton. Das Schadensbild kommt erst zum Vorschein, wenn z.B. der Rub-out-Test durchgeführt wird oder wenn man eine beschichtete Glasplatte von oben und von unten betrachtet. Beide Typen der Pigmententmischung können durch kontrollierte Flockulation oder – besser – kontrollierte Co-Flockulation verhindert oder verringert werden (Abbildung 1.22). Vorteile der kontrollierten Flockulation + keine Entmischung von Pigmenten unterschiedlicher Dichte –– kein/wenig Aus- oder Aufschwimmen –– keine/wenig Bénard’sche Zellen oder Streifen + rheologische Wirkung: Verstärkung des nicht-Newtonschen Fließverhaltens (reversibles dreidimensionales Netzwerk) –– verbesserte Applikationseigenschaften (z.B. verringerte Ablaufneigung) –– geringeres Absetzen + kein direkter Pigment-Pigment-Kontakt in den Flockulaten –– leicht redispergierbar/deflockulierbar (in der Regel schon durch Rühren) –– „weicher“ Bodensatz In vielen Fällen kann auch das Lackbindemittel (meist Oligomere) eine Pigmentdispersion sterisch stabilisieren.

1.3.2 Netzmittel

Abbildung 1.22: Kontrollierte Flockulation (stark vereinfachte, nicht maßstabsgerechte Darstellung) • : pigmenaffine Gruppe(n) o :  zur Nebenvalenzbindung befähigte Gruppe(n), kann identisch mit • sein

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In diesem Abschnitt werden die „klassischen“, niedrigmolekularen Netzmittel beschrieben. Netzmittel (auch Tenside, Emulgatoren, Amphiphile oder grenzflächenaktive Verbindungen genannt) sind Substanzen, die an Phasengrenzflächen die Oberflächen- oder Grenzflächenspannung erniedrigen; sie erleichtern damit die Benetzung. Die ersten Netzmittel waren Salze von Fettsäuren (Seifen); ein Beispiel ist Natriumstearat (Salz der Stearinsäure, Abbildung 1.23). Natriumstearat besitzt als typisches Netzmittel eine hydrophile Kopfgruppe

Beispiele für Netz- und Dispergiermittel (Carboxylatgruppe) und einen hydrophoben Schwanz (langkettige Alkylgruppe). Das gleichzeitige Vorhandensein hydrophiler und hydrophober Eigenschaften („KopfSchwanz-Struktur“) in einem Molekül bezeichnet man als amphiphil. Die maximale Länge des StearinsäureMoleküls beträgt etwa 2,2  nm (Abbildung 1.23); damit ist Natriumstearat nicht in der Lage, Pigmentdispersionen sterisch zu stabilisieren. Dazu wären mindestens 10 nm Kettenlänge erforderlich (Kapitel 1.2.2) [7, 8]. Netzmittel orientieren sich an Grenzflächen, erniedrigen damit die Grenzflächenspannung und erleichtern die Benetzung. In Abbildung 1.24 wird die Orientierung von Netzmitteln an der Grenzfläche WasserLuft gezeigt. Die hydrophilen Köpfe orientieren sich zum Wasser hin, die hydrophoben Schwänze zur Luft hin. Die Wasseroberfläche besteht nun nicht mehr aus Wassermolekülen (hohe Oberflächenspannung), sondern aus den Kohlenwasserstoff-Schwänzen mit niedrigerer Oberflächenspannung. Üblicherweise unterteilt man Netzmittel nach der Ladung der Kopfgruppen, und zwar in anionische, kationische, amphotere und nichtionische Typen (Abbildung 1.25). Darüber hinaus kann man Netzmittel weiter nach dem chemischen Aufbau der hydrophoben Gruppe (Schwanz) in Kohlenwasserstoff-, Silicon- und Perfluortenside einteilen. Mit zunehmender Hydrophobie des Schwanzes nimmt bei Netzmittelzugabe die Oberflächenspannung von Wasser ab; d.h. die spezifische Wirksamkeit des Netzmittels nimmt zu (Tabelle 1.2). Ein typisches Kohlenwasserstofftensid ist das erwähnte Natriumstearat (Abbildung 1.23),

Tabelle 1.2: Einfluss der hydrophoben Gruppe (Schwanz) auf die Netzmittel­wirkung in Wasser (Oberflächen­spannung) Oberflächen­

Wasser + Kohlenwasserstofftenside + Silicontenside + Perfluortenside

spannung [mN/m] 73 40 bis 25 30 bis 20 25 bis 15

Abbildung 1.23: Natriumstearat

Abbildung 1.24: Orientierung von Netzmit­ teln an der Grenzfläche Wasser-Luft

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Netz- und Dispergiermittel Beispiele für Silicon- und Perfluortenside werden in Abbildung 1.26 gezeigt (in Kapitel 7 wird in Abbildung 7-11 noch einmal auf Fluortenside eingegangen werden). Der Einfluss der hydrophilen Baugruppe (Kopf) auf die Netzmittelwirkung (Oberflächenspannung) von Nonylphenolethoxylaten (Abbildung 1.27) wird in Tabelle 1.3 gezeigt. Mit zunehmender Kettenlänge des Polyetherkopfs werden die nichtionischen Netzmittel hydrophiler, gleichzeitig nimmt aber die Oberflächenspannung der wässrigen Netzmittellösung zu. D.h. mit zunehmender Hydrophilie des Kopfes vermindert sich die Wirksamkeit dieser Netzmittel. Darüber hinaus zeigt Tabelle 1.3 den Einfluss der Netzmittelkonzentration. Wie erwartet, nimmt mit zunehmender Konzentration die Oberflächenspannung der wässrigen Lösung ab; d.h. die Wirksamkeit des Netzmittelzusatzes wird stärker. Allerdings kann man in Tabelle 1.3 deutlich erkennen, dass die optimale Wirksamkeit bei 0,1 g/l liegt; eine Erhöhung auf 1 g/l bringt vergleichsweise wenig. Die Nonylphenolethoxylate in Abbildung 1.27 sind eine wichtige Teilmenge der Alkylphenolethoxylate (APEO) und diese werden heutzutage in Mitteleuropa aus toxikologischen Gründen nicht mehr eingesetzt. Da aber anhand dieser Netzmittelgruppe Struktur-Wirkungs-Beziehungen (Tabelle 1.3) so eindrucksvoll aufgezeigt werden können, wer-

Abbildung 1-25. Netzmittelklassen: Einteilung nach den Kopfgruppen

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Abbildung 1.26: Beispiele für Silicon- und Perfluortenside

Beispiele für Netz- und Dispergiermittel den die APEOs in diesem Buch immer noch erwähnt.

Tabelle 1.3: Einfluss der hydrophilen Baugruppe (Kopf) auf die Netzmittelwirkung (Oberflächenspannung) am Beispiel von Nonylphenolethoxylaten (siehe Abbildung 1.27) Oberflächenspannung [mN/m] Wasser 73 + Netzmittel 0,01 g/l 0,1 g/l 1 g/l n=6 38 30 29 n = 10 45 31 30 n = 30 54 40 36

Nebenwirkungen Für Netzmittel gilt demnach (wie für alle Lackadditive), dass es eine optimale Einsatzmenge gibt, die nicht überschritten werden sollte, zumal Netzmittel (ebenso wie alle Lackadditive) auch unerwünschte Nebenwirkungen haben können. Beispielsweise erhöhen Netzmittel die Hydrophilie von Beschichtungen. Eine weitere unerwünschte Nebenwirkung von grenzflächenaktiven Substanzen, wie z.B. Netzmitteln, ist die Schaumbildung in Wasser, wobei die Schaumlamellen (große Oberflächen) durch Netzmittel stabilisiert werden. Eine Gegenmaßnahme ist der Einsatz von Entschäumern. Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass Netzmittel umso effektiver sind, je hydrophober der Schwanz und je weniger hydrophil der Kopf ist. Allerdings gibt es in Wasser die Randbedingung der Löslichkeit; wird der Kopf zu wenig hydrophil, dann löst sich das Netzmittel nicht mehr. So ist bei den Nonylphenolethoxylaten (Abbildung 1.27) das Netzmittel mit n = 4 in Wasser nicht mehr vollständig, sondern nur noch trüb löslich. Orientierung an Phasengrenzflächen Netzmittel orientieren sich an Phasengrenzflächen und sind damit in der Lage, die Polarität (und damit die Benetzbarkeit) von Feststoffoberflächen zu verändern. Beispielsweise

Abbildung 1.27: Nonylphenolethoxylate (nichtionische Kohlenwasserstofftenside)

Abbildung 1.28: Adsorption eines katio­ nischen Netz­mittels auf einer negativ gelade­ nen Metalloxidoberfläche (keine maßstabs­ gerechte, stark vereinfachte Darstellung)

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Netz- und Dispergiermittel kann ein kationisches Netzmittel eine hydrophile, negativ geladene Metalloxidoberfäche (Pigment oder Füllstoff) hydrophobieren (Abbildung 1.28). In wässrigen Lacken lässt sich mit geeigneten Netzmitteln die Benetzung von hydrophoben organischen Pigmenten durch Wasser verbessern (Abbildung 1.29); aber auch in organisch gelösten Lacken werden häufig Netzmittel eingesetzt. Darüber hinaus zeigt Abbildung 1.29, dass durch Adsorption eines anionischen Netzmittels die Oberfläche des organischen Pigments negativ aufgeladen wird und damit das Pigment elektrostatisch stabilisiert werden kann. Die Pigmentbenetzung ist eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Pigmentdispergierung (siehe Kapitel 1.1); Lackeigenschaften wie z.B. Glanz oder Farbstärke können durch Netzmittel verbessert werden und die Dispergierdauer kann sich dadurch verkürzen. In Westeuropa werden 2,5 Mio. Tonnen Netzmittel verbraucht; davon entfallen 2 % (= 50.000 t) auf Farben, Lacke und Kunststoffe [22]. Beispiele lacktechnisch wichtiger Netzmittel Im Folgenden sollen als Beispiele drei lacktechnisch wichtige Netzmittel näher erläutert werden. Als erstes wird das amphotere (zwitterionische) Lecithin gezeigt, einem nachwachsenden, nichttoxischen Lackrohstoff (Abbildung 1.30). Zu beachten sind die zwei hydrophoben Gruppen (Schwänze). Lecithin wird z.B. aus Sojaöl (Sojalecithin) gewonnen und meist in lösemittelhaltigen Lacken eingesetzt. Sojaöl-Fettsäuren sind ein natürliches Substanzgemisch (C16:0 10 %, C18:0 4 %, C18:1 21 %, C18:2 56 %, C18:3 8 % u.a., Gehalt schwankend). Man nimmt solche Substanzgemische gern als Lackrohstoffe, da sie nicht zur Kristallisation neigen. Naphthenate (z.B. Calciumsalze der Naphthensäuren) fallen als technisches Substanzgemisch aus Erdöl an und werden in lösemittelhaltigen Lacken als Netzmittel und

Abbildung 1.29: Adsorption eines anionischen Netzmittels auf einer unpolaren organischen Pigmentoberfläche (keine maßstabsgerechte, stark vereinfachte Darstellung) 

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Abbildung 1.30: Lecithin als amphoteres Netzmittel

Beispiele für Netz- und Dispergiermittel als Sikkativ [3] eingesetzt (Abbildung 1.31). Doppelfunktionen von Additiven kommen häufig vor und müssen beim Einsatz beachtet werden. Nichtionische Netzmittel auf Basis Butindiol (Abbildung 1.32) werden als schaumarme Netzmittel für wässrige Lacke empfohlen; darüber hinaus sollen sie verlaufsfördernd wirken (Doppelfunktion). Die zwei hydrophoben Gruppen sind vergleichsweise kurz, die Kopfgruppe (Butindiolgruppe) gilt als besonders pigmentaffin. Reaktive Netzmittel Das Konzept der reaktiven Netzmittel soll am Beispiel der epoxyreaktiven Netzmittel für wässrige 2K-EP-Lacke näher erläutert werden [3]; diese ermöglichen die Herstellung von wässrigen EP-Emulsionen aus flüssigen, niedrigmolekularen Epoxidharzen. Epoxyreaktive Netzmittel reagieren dann bei der EP-Härtungsreaktion mit dem Aminhärter und werden so in das Netzwerk eingebaut, wodurch sie ihre – im Film unerwünschten – hydrophilen Emulgatoreigenschaften verlieren. Zur Herstellung von solchen epoxyreaktiven Netzmitteln kann man von Polyoxyalkylenmonoaminen („Jeffamine“) ausgehen (Abbildung 1.33) [10]. Diese Polyoxyalkylenmonoamine setzt man um mit einem Überschuss eines flüssigen Bisphenol-A-Epoxidharzes (mit EP-Äquivalentmasse von 188 und EPWert von 0,53) [10]. Wie die Kenndaten zeigen, besteht dieses EP-Harz zum größten Teil aus Bisphenol A-Diglycidylether (EPÄquivalentmasse 170, EP-Wert 0,59, Abbildung 1.34).

Abbildung 1.31: Naphthenate

Abbildung 1.32: Nichtionisches Netzmittel auf Basis Butindiol

Abbildung 1.33: Polyoxyalkylenmonoamine

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Netz- und Dispergiermittel Vereinfacht kann man sich diese Reaktion als Umsetzung von 2 mol Bisphenol A-Diglycidylether mit 1 mol (mono)aminterminierten Polyethern vorstellen, die zu einem amphi­ philen Molekül, dem epoxyreaktiven Netzmittel, führt (Abbildung 1.35). Es wirkt als nicht­ ionischer Emulgator (Netzmittel), der über seine beiden Epoxygruppen mit Aminhärtern reagieren kann. Praktisch stellt man diese epoxyreaktiven Netzmittel (ERS) „in situ“ her, d.h. in großem Überschuss von EP-Harz. Die Reaktion von 100 Gew.-Teilen flüssigem EP-Harz (EP-Äquivalentmasse 188) mit 10 Gew.-Teilen „Jeffamine“ M-1000 oder M-2070 (Abbildung 1.33) bei 125 °C (unter Stickstoff) führt nach einer Stunde zu einem Umsatz von über 95 % des primären zum tertiären Amin (Abbildung 1.35). Man erhält so in Wasser selbstemulgierende EP-Harze mit guter Filmbildung [10]. An dieser Stelle sei der Begriff der Emulsion erklärt (insbes. zur Abgrenzung gegenüber Dispersionen): Emulsionen sind Zweiphasensysteme mit einer flüssigen dispersen Phase (z.B. Bindemittel) und meistens Wasser als Dispersionsmittel. Durch physikalische Trocknung alleine bilden Bindemittel-Emulsionen nur dauerklebrige Filme („Fliegenleim“); feste Beschichtungen können mit Bindemittel-Emulsionen ausschließlich durch Härtung (chemische Reaktion) erhalten werden, wie es beispielsweise bei Emulsionen von niedrigmolekularen, flüssigen Epoxidharzen der Fall ist (Härtung in 2K-EP-Lacken durch Polyamine [3]). Dispersionen hingegen sind Zweiphasensysteme mit einer festen dispersen Phase (z.B. Bindemittel) und vielfach Wasser als Dispersionsmittel. Durch physikalische Trocknung alleine können nur Dispersionen im Gegensatz zu Emulsionen feste Beschichtungen bilden (z.B. Dispersionslacke und -farben [3]).

Abbildung 1.34: Bisphenol A-Diglycidylether

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Abbildung 1.35: Vereinfachte Darstellung eines epoxyreaktiven Netzmittels

Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen

1.4 Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen Häufig werden Pigmente bzw. Füllstoffe schon vom Hersteller mit spezifischen Substanzen nachbehandelt, um bestimmte Eigenschaften (z.B. das Dispergier- oder Fließverhalten) zu verbessern. Da diese Substanzen häufig amphiphile Eigenschaften haben, ist es gerechtfertigt, diese Nachbehandlung im Zusammenhang mit Netz- und Dispergiermitteln zu besprechen.

1.4.1

Organische Buntpigmente

Bei organischen Buntpigmenten werden in der Regel von den Herstellern keine oder nur unzureichende Angaben über eine Nachbehandlung (Finish, Oberflächenbelegung) gemacht, da diese meist streng gehütete Geheimnisse sind. Im sonst so ausgezeichneten Buch über organische Pigmente [11] finden sich kaum Hinweise zu diesem Thema; im neueren Buch [12] schon etwas mehr. Ausnahmen von diesem Informationsmangel bilden die beiden Literaturzitate [13, 14]. Bei der Pigmentherstellung wird nach der letzten Reaktionsstufe die meistens wässrige Pigmentsuspension mit Wasser elektrolytfrei gewaschen. Würde man diese Suspension filtrieren und trocknen, würde man in vielen Fällen nicht mehr redispergierbare Pig-

Abbildung 1.36: Adsorption von Calcium­ salzen der Abietinsäure (keine maßstabs­ gerechte, vereinfachte Darstellung)

Abbildung 1.37: Salz aus Dodecylbenzol­ sulfonsäure und einem langkettigen Alkylamin auf einer Pigmentoberfläche (keine maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung)

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Netz- und Dispergiermittel mentagglomerate erhalten. Organische Pigmente sind in der Regel feinteiliger ( höhere spez. Oberfläche) als anorganische und neigen daher bei der Herstellung insbesondere beim Trocknen stärker zur Agglomeratbildung; durch Kapillarkräfte kann es sogar zu Aggregatbildung kommen. Daher werden der Pigmentsuspension vor der Filtration häufig Substanzen zugesetzt, die die Bildung von „harten“ Agglomeraten während des Trocknens verhindern und die Dispergierbarkeit erleichtern (eventuelle Mahlprozesse wurden bei dieser vereinfachten Darstellung der letzten Stufen der Pigmentherstellung vernachlässigt). Durch die zugesetzten Additive wird die Kohäsion der Pulverteilchen (bzw. Agglomerate) abgesenkt erhält man „dispergierweiche“ Pigmente. Teilweise werden auch schon beim Kristallisieren von Pigmenten Additive zugesetzt, die Kristallgröße und -form beeinflussen; diese verbleiben meistens auch auf der Pigmentoberfläche. Der Additivbedarf eines Pigments beträgt 1 bis 2 mg/m2. Wird ein feinteiliges organisches Pigment (spez. Oberfläche ca. 100 m2/g) mit nur 2 Gew.-Teilen in einen Lack eingearbeitet, so werden gleichzeitig 0,2 bis 0,4 Gew.-Teile eines (in der Regel unbekannten) Additivs in die Lackrezeptur eingeschleppt, das eventuell negative Nebenwirkungen verursacht. Beispiele für Oberflächenbelegungen –– Zugabe von Harzen: „Harzung“ (z.B. Kollophonium-Harze) Der Zusatz von Harzen kann bei der Pigmentkristallisation oder erst danach erfolgen. Führt man die Harzbelegung gleichzeitig mit der Kristallisation durch, hat man gleich zwei Vorteile: + Das Wachstum der Primärteilchen wird durch das Harz abgeblockt. + Die nach der Trocknung entstandenen Pigmentagglomerate sind durch die Harzbelegung gut dispergierbar.

Abbildung 1.38: Vier verschiedene pigmentspezifische Hilfsstoffe für Kupferphthalocyanin (CuPc) Pro einzelner pigmentspezifischer Hilfsstoff ein bis vier Seitenketten möglich

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Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen Problem: Da nicht das gesamte Harz fest adsorbiert ist, kann es teilweise im Lack in Lösung gehen und dessen Eigenschaften (u.U. nachteilig) verändern. Neben Kollophonium-Harzen finden auch amphiphile Calcium- und Cyclohexylammoniumsalze der Abietinsäure Anwendung (Abbildung 1.36). Erst wird ein leicht lösliches Alkalisalz der Abietinsäure in der Pigmentsuspension gelöst und dann z.B. durch Calciumsalze auf der Pigmentoberfläche ausgefällt ( Calciumseife). –– Zugabe von Netzmitteln Abbildung 1.37 zeigt ein schwerlösliches Salz aus einem Sulfonsäurenetzmittel mit langkettigem Alkylamin (Anbindung der Dodecylgruppe an den Benzolring an C2 bis C6: technisches Gemisch). Für eine sterische Stabilisierung ist die Molekülgröße (Kettenlänge) der Netzmittel nicht ausreichend. Allerdings wird durch die Belegung die Polarität und damit die Benetzbarkeit der Pigmentoberfläche verändert; darüber hinaus wird die Kohäsion der Agglomerate verringert. –– Adsorption von mit dem Pigment chemisch verwandter Substanzen Als Beispiele seien sog. pigmentspezifische Hilfsstoffe (Pigmentfarbmittelderivate) für Kupferphthalocyanin (CuPc) genannt (Abbildung 1.38) [13]. Diese pigmentspezifischen Hilfsstoffe bewirken eine optimierte Flockungsstabilität insbesondere in lösemittelhaltigen Lacke; beim Einsatz in Wasserlacken (pH ≈ 8) kann der pigmentspezifische Hilfsstoff (CuPcSO3-) u.U. als unerwünschter Farbstoff in Lösung gehen. Aufgrund ihrer ähnlichen Struktur wie das Pigment werden diese pigmentspezifischen Hilfsstoffe wahrscheinlich auf den „Stapeln“ der Moleküle adsorbiert (Abbildung 1.39). Abbildung 1.39: Adsorption von spezifischen Kupfer­ Auch hier (Abbildung 1.39) phthalocyanin-Hilfsstoffen (keine maßstabsgerechte, ist für eine sterische Stabilisie- vereinfachte Darstellung)

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Netz- und Dispergiermittel rung die Molekülgröße (Kettenlänge) der Netzmittel nicht ausreichend. Aber die Polarität und damit die Benetzbarkeit der Kupferphthalocyanin-Pigmentoberfläche werden verändert; ebenfalls wird die Kohäsion der Agglomerate verringert. Sulfonierte pigmentspezifische Hilfsstoffe sind keineswegs nur auf Kupferphthalocyanine beschränkt. Chinacridon-Pigmente können ebenfalls mit sulfonierten Chinacridon-Derivaten nachbehandelt werden und zwar entweder als freie Sulfonsäure (Abbildung 1.40) oder in Form von verschiedenen Metallsalzen der entsprechenden Sulfonsäure [27]. Wie bei Kupferphthalocyanin (Abbildung 1.39) liegt das planare sulfonierte Chinacridon-Derivat flach auf der Pigmentoberfläche (Abbildung 1.40) [27].

1.4.2 Titandioxid Titandioxid ist das wichtigste Pigment schlechthin. In diesem Kapitel beschränken wir uns auf die lacktechnisch wichtigere Rutil-Modifikation von Titandioxid.

1.4.2.1

Anorganische Nachbehandlung

Die beiden wichtigsten Substanzen zur anorganischen Oberflächenbehandlung von Titandioxid-Pigmenten sind Kieselsäure (wasserhaltiges Siliciumdioxid: SiO2 · x H2O) und Aluminiumoxidhydrat (Al2O3 · x H2O). Diese werden durch Fällung aus wässriger Lösung auf die Pigmentoberfläche aufgebracht [15]. Nichtnachbehandelte Titandioxid-Pigmente enthalten als herstellungsbedingte Verunreinigung ca. 0,25 % Siliciumdioxid. Die am Markt befindlichen nachbehandelten Rutil-Typen enthalten bis 11 % Siliciumdioxid; dabei lassen sich bezüglich des Gehalts an Siliciumdioxid zwei Pigmentgruppen unterscheiden: –– 0,5 bis 4 % Siliciumdioxid: Pigmente mit verbesserter Glanzhaltung, Kreidungs-, Vergrauungs- und Gilbungsresistenz –– 6 bis 11 % Siliciumdioxid: Pigmente mit besonders guter Wetterbeständigkeit und Spezialtypen mit besonders hohem Streuvermögen (für Dispersionsfarben)

Abbildung 1.40: Adsorption eines sulfonierten Chinacridon-Derivats (nicht maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung).

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Die Morphologie der aufgebrachten SiliciumdioxidSchichten kann wie folgt unterschieden werden: –– (möglichst) gleichmäßige und vollständige Umhüllung: Zur Reduzierung der Photoaktivität (Verbesserung der Wetterbeständigkeit); siehe Kapitel 8.2.1.1. –– lockere, schwammige Auffällung: Für Spezialtypen mit besonders hohem Streuvermögen (für Dispersionsfarben)

Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen Das in der Regel danach aufgefällte Aluminiumoxidhydrat (1 bis 5 %) hat eine lockere, schwammige Struktur (Verbesserung der Wetterbeständigkeit; siehe Kapitel 8.2.1.1). Darüber hinaus können auch noch Zinkoxid (ZnO) oder besser Zirkondioxid (ZrO2) in Oberflächenschichten eingebaut sein. Auffällig ist, dass nachbehandelte Titandioxid-Pigmente mit 7 bis 20 m2/g eine deutlich höhere spezifische Oberfläche haben als nichtnachbehandelte mit 4 bis 9 m2/g. Dies ist auf die teilweise lockere, schwammige Struktur der aufgefällten Metalloxide zurückzuführen. Eine Konsequenz der anorganischen Oberflächenbelegung ist eine Veränderung des isoelektrischen Punktes (IEP; siehe Kapitel 1.2.1, Tabelle 1.1 [5]) der Titandioxid-Pigmentoberfläche. Nur mit Siliciumdioxid nachbehandelt Pigmente haben isoelektrische Punkte im sauren pH-Bereich, d.h. eine saure Pigmentoberfläche; in wässrigen Lacken (pH ≈ 8) tragen mit Siliciumdioxid nachbehandelte Typen negative Oberflächenladungen. Dagegen haben mit Aluminiumoxid nachbehandelt Pigmente isoelektrische Punkte im alkalischen pH-Bereich, d.h. eine alkalische Pigmentoberfläche; in wässrigen Lacken (pH ≈ 8) können diese Typen eine positive Oberflächenladung aufweisen. Diese Veränderungen der Oberflächenladungen sind leicht messbar und haben Konsequenzen für die Stabilität von Pigmentdispersionen insbesondere im wässrigen Medium [13, 16].

1.4.2.2

Organische Nachbehandlung

Die meisten handelsüblichen Titandioxid-Pigmente werden zusätzlich mit organischen Substanzen nachbehandelt [17]; die Zusatzmenge ist in der Regel kleiner als 1 % (bezogen auf Titandioxid). Folgende organische Substanzklassen werden dabei verwendet (Abbildung 1.41). Um das hydrophile Titandioxid beispielsweise in hydrophoben Kunststoffen dispergieren zu können, muss die Oberfläche des Titandioxids hydrophobiert werden, z.B. durch Silicone. Zur Silicon-Nachbehandlung von Titandioxid [31] kann man Polymethylhydrosiloxane [32], die durch Si-H-Bindungen gekennzeichnet sind, einsetzen; ein Beispiel ist in Abbildung 1.42 dargestellt [31]. Die chemische Reaktion des Polymethylhydrosiloxans mit den OberflächenhydroxylAbbildung 1.41: Organische Substanzen auf handels­ gruppen des Titandioxids (Ab- üblichen Titandioxidpigmenten

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Netz- und Dispergiermittel bildung 1.43) lässt sich sehr schön mit dem Konzept der Elektronegativität nach Pauling erklären: Sauerstoff (3,4) ist elektronegativer als Wasserstoff (2,2), während dieser elektro­ negativer als Silicium (1,9) ist; damit ergeben sich die in Abbildung 1.43 gezeigten Partialladungen (Si-H δ- und O-H δ+), woraus sich die Wasserstoffabspaltung zwanglos erklärt. Mit Polyalkoholen (48 %), deren Derivaten (in der Regel Ether: 15 %) und mit Alkanolaminen (meist Triethanolamin: 11 %) nachbehandelten Titandioxid-Pigmente werden häufig in Lacken eingesetzt. Diese Nachbehandlung soll die Dispergierbarkeit und den Glanz verbessern. Als Polyalkohole werden am meisten Pentaerythrit und Neopentylgykol verwendet (Abbildung 1.44).

1.4.3

Füllstoffe

Anorganische Füllstoffe wie z.B. Talkum können mit Silan-Haftvermittlern (Kapitel 6) oberflächenbehandelt werden. Durch eine auf das entsprechende Lackbindemittel abgestimmte Wahl des Silans ist es möglich, den Verbund zwischen der (gehärteten) Bindemittelmatrix und dem Füllstoff zu verbessern. Dadurch wird die Wasserdampfdiffusion durch den Lackfilm erschwert und dessen korrosionsschützende Eigenschaften verbessert [18].

Abbildung 1.42: Beispiel für ein Polymethylhydro­ siloxan (R ist langkettig: C12  H25 bis C14 H29 ) [31]

Abbildung 1.43: Vereinfachte Darstellung der Reaktion eines Polymethylhydrosiloxans mit den Oberflächenhydroxylgruppen von Titandioxid

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Abbildung 1.44: Polyalkohole und -derivate zur Nachbehandlung von Titandioxid

Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen Die Nachbehandlung von Talkum mit aminofunktionellen Silanen verbesserte den Korrosionsschutz einer wässrigen 2K-EP-Beschichtung wesentlich mehr als z.B. ein vinylfunktionelles Silan. Die Aminogruppen des Silans (auf der Talkumoberfläche) können mit den Epoxidgruppen des Bindemittels reagieren (Abbildung 1.45) und einen dauerhaften Verbund zwischen Füllstoff und Bindemittel herstellen; Vinylgruppen können dagegen nicht mit Epoxidgruppen reagieren. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Nachbehandlung von Calciumcarbonat-Füllstoffen mit Fettsäuren unter der Bildung von Calciumseifen auf der Füllstoffoberfläche [19]. Allgemein ist die Nachbehandlung von Füllstoffen aufgrund der damit verbundenen Kosten im Lackbereich nicht sehr bedeutend.

1.4.4

Pyrogene Kieselsäure

Hochdisperse (d.h. nanopartikulare), pyrogene Kieselsäure wird als rheologisches Additiv und insbesondere als rheologisch wirksames Additiv in Lacken eingesetzt (Kapitel 4.1.2). Pyrogene Kieselsäuren werden durch Hydrolyse von Siliciumtetrachlorid in einer Wasserstoffflamme hergestellt [20]:  2 H2O 2 H2 + O2  SiO2 + 4 HCl SiCl4 + 2 H2O ------------------------------------------------------------------------------- SiO2 + 4 HCl SiCl4 + 2 H2 + O2

Abbildung 1.45: Reaktion von chemisorbiertem Aminosilan mit Epoxidharz (keine maßstabsge­ rechte, vereinfachte Darstellung)

37

Netz- und Dispergiermittel Bei dem Verbrennungsprozess werden als erstes geschmolzene Kügelchen aus Kieselsäure (Siliciumdioxid: SiO2) gebildet. Der Durchmesser dieser nanopartikularen Primärteilchen lässt sich steuern und beträgt nur 7 bis 15 nm, was zu hohen spezifischen Oberflächen des Endprodukts führt: 130 bis 400 m2/g. Die in der Wasserstofflamme als flüssige Kügelchen anfallenden Primärteilchen bleiben jedoch nicht als solche bestehen, sondern sie wachsen beim Abkühlen irreversibel zu kettenartig, verzweigten Aggregaten zusammen. Beim weiteren Abkühlen findet unterhalb des Schmelzpunktes von Siliciumdioxid (ca. 1710 °C) eine (reversible) Agglomeration der Aggregate statt. Pyrogene Kieselsäure mit einer spez. Oberfläche 200  m2/g hat auf seiner Oberfläche etwa 1000 Silanolgruppen (Si-OH) pro Primärteilchen und ist damit hydrophil. Durch Umsetzung der Oberflächen-Silanolgruppen mit geeigneten Reagenzien erhält man oberflächensilylierte Kieselsäuren, die hydrophob sind und veränderte anwendungstechnische Eigenschaften aufweisen (Abbildungen 1.46 bis 1.48). Anwendungstechnische Eigenschaften von hydrophoben pyrogenen Kieselsäuren Hydrophobe Kieselsäure (ca. 2 Gew.-Teile bezogen auf festes Bindemittel) verändert das Fließverhalten von Lacken, z.B. die Ablaufneigung an senkrechten Flächen. Die hydro-

Abbildung 1.46: Hydrophobierung von Kieselsäure mit Hexamethyldisilazan (keine maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung, Produkt formelmäßig eindeutig)

38

Abbildung 1.47: Hydrophobierung von Kieselsäure mit Dimethyldichlorsilan (keine maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung, Produkt formelmäßig nicht ganz eindeutig)

Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen phobe Kieselsäure wird zwar von Wasser nicht benetzt, wohl aber von wässrigen Lackbindemitteln; sie ist daher gerade in wässrigen Lacken ein geeignetes Additiv zur Beeinflussung der Rheologie. Darüber hinaus ist sie ein ausgezeichnetes Antiabsetzmittel in lösemittelhaltigen und wässrigen Zinkstaubfarben [21]. Hervorzuheben ist auch die entschäumende Wirkung von hydrophober Kieselsäure insbesondere in wässrigen Lacken (siehe Kapitel 3.2.1). Nachbehandelte pyrogene Kieselsäure als verstärkender Füllstoff Nachbehandelte pyrogene Kieselsäure wird neuerdings nicht nur als rheologisches Additiv, sondern auch als verstärkender Füllstoff in kratzfesten Beschichtungen eingesetzt. Kieselsäure-Nanopartikel, die durch eine geeignete Oberflächenbelegung mit funktionalisierten Silanen (vgl. Silan-Haftvermittler, Kapitel 6) in die Bindemittelmatrix bei deren Vernetzung fest eingebaut werden, können als verstärkende Füllstoffe wirken und die Kratzfestigkeit (Waschstraßenbeständigkeit) erhöhen [20]. Aufgrund von kleinen Teilchengrößen und geringer Brechzahl streuen diese Teilchen kein Licht und ein Klarlack bleibt transparent [Brechzahl von Quarz (SiO2) 1,54; Brechzahl der festen Bindemittel 1,4 bis 1,7]. Beispielsweise können 2K-PUR-Klarlacke für die Automobilerstlackierung 7 % einer speziell nachbehandelten pyrogenen Kieselsäure zugesetzt werden. Mittlerweile werden speziell oberflächenbehandelte anorganische Nanopartikel auch in UV-härtenden Beschichtungen zur Erhöhung der Kratzfestigkeit eingesetzt. Es gibt bereits „Nano“-Additive am Markt. Für eine Einbindung von anorganischen Nanopartikeln in UV-härtende Systeme bietet sich eine Oberflächenbelegung mit dem in Abbildung 1.49 gezeigten Silan an.

Abbildung 1.48: Hydrophobierung von Kiesel­ säure mit Trimethoxyoctylsilan (keine maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung, Produkt formelmäßig nicht ganz eindeutig)

Abbildung 1.49: Silan zur Oberflächen­ behandlung von Siliciumdioxid für den Einsatz in UV-härtenden Beschichtungen

39

Netz- und Dispergiermittel

1.4.5

Plättchenförmige Metallpigmente

1.4.5.1

Für lösemittelhaltige Lacke

Metallpigmente werden in Lacken und Beschichtungen (einschließlich Druckfarben) für verschiedenste Anwendungen verwendet (Tabelle 1.4). Darüber hinaus werden auch noch andere Metalle (z.B. Edelstahl) als Pigmente eingesetzt, die aber weniger bedeutend sind. Hier soll noch darauf hingewiesen werden, dass der manchmal für plättchenförmige Aluminiumpigmente verwendete Begriff „Aluminiumbronze“ nicht nur veraltet sondern auch sachlich falsch ist. Aluminiumpigmente sind silberfarben und bestehen aus hochreinem Aluminium. Aluminiumbronze dagegen ist eine goldgelbe Kupfer-Legierung mit ei-

Abbildung 1.50: Rasterelekronenmikroskopi­ sche Aufnahme eines Aluminiumpigments vom Cornflake-Typ (Quelle: Eckart-Werke)

Abbildung 1.51: Rasterelekronenmikroskopi­ sche Aufnahme eines Aluminiumpigments vom Silberdollar-Typ (Quelle: Eckart-Werke)

Abbildung 1.52: Schmiermittel für plättchenförmige Metallpigmente (Beispiele)

40

Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen Tabelle 1.4: Anwendungen verschiedener Metallpigment-Typen Anwendungen Metallpigment-Typen Effekt Funktion 1. plättchenförmig (lamellar) – Aluminium Metalliclackierung Korrosionsschutz reflektierende Druckfarben Beschichtungen – Kupfer Druckfarben Abschirmlacke – Messing (10 -30 % Zink) Druckfarben  – Zink Korrosionsschutz 2. kugelförmig (sphärisch)  – Zinkstaub Korrosionsschutz

nem Aluminiumgehalt von nur etwa 10 % [28]. Darüber hinaus findet sich in der älteren Literatur auch manchmal der Begriff „blättchenförmige“ Metallpigmente. An dieser Stelle wird in stark vereinfachter Form auf das wichtigste Herstellungsverfahren für plättchenförmigen Metallpigmente (Aluminium, Zink, Kupfer, Messing) eingegangen; Interessierte können weitere Einzelheiten der Literatur [23] entnehmen. Durch Verdüsen von (sehr reinen) Metallschmelzen stellt man mehr oder weniger sphärische Metallpulver her. Diese werden danach in einer Testbenzinaufschlämmung in Kugelmühlen zu plättchenförmigen Partikeln umgeformt (Mahlvorgang). Je nach Verfahrensvariante erhält man die sog. Cornflake-Typen (Abbildung 1.50) oder die hochwertigeren Silberdollar-Typen (Abbildung 1.51). Beim Umformprozess muss zur Vermeidung einer Kaltverschweißung der Metallblättchen beim Mahlen ein Schmiermittel zugegeben werden. Die Art des eingesetzten Schmiermittels bestimmt die Verteilung der Metallplättchen in einem organischen Lackfilm. Mit der amphiphilen Stearinsäure (Abbildung 1.52) behandelte Pigmente schwimmen in einem organischen Medium mehr oder minder an der Oberfläche auf (Leafing-Effekt, Abbildung Abbildung 1.53: Leafing- und Non-Leafing1.50). Dagegen verteilen sich mit Ölsäure Effekt

41

Netz- und Dispergiermittel (Abbildung 1.52) geschmierte Pigmente gleichmäßig in einem organischen Medium (NonLeafing-Effekt, Abbildung 1.53). Früher wurden zum Teil auch Fettamine als Schmiermittel eingesetzt. Leafing-Pigmente enthalten häufig mehr Schmiermittel (bis 7 %) als Non-Leafing-Typen (ca. 1 bis 2 %). Darüber hinaus wirken Leafing-Pigmente als Sperrschicht gegenüber Strahlung und Feuchtigkeit (Anwendung: z.B. Korrosionsschutz, Druckfarben oder reflektierende Beschichtungen). Allerdings können mit Leafing-Typen pigmentierte Beschichtungen meistens nicht überlackiert werden (mangelnde Haftung). Leafing-Metallpigmente werden in der Regel in Korrosionsschutzbeschichtungen (Zink, Aluminium), reflektierenden Beschichtungen (Aluminium) und Druckfarben (Aluminium, Kupfer, Messing) eingesetzt. Für Metalliclackierungen werden ausschließlich Non-Leafing-Aluminiumpigmente verwendet, da man mit diesen durch Kombination mit transparenten Buntpigmenten eine Vielzahl von Farbtönen erzeugen kann. In Abbildung 1.54 ist die gleichmäßige Verteilung der Aluminiumpigmente (Non-Leafing) im Basislack deutlich zu erkennen. Die parallele Ausrichtung der Aluminiumpigmente zum Untergrund (Abbildung 1.54) ist Voraussetzung für den metallischen Effekt der Beschichtung. Die Fettsäuren werden während des Mahlvorgangs auf den Metall(oxid)oberflächen der Metallpigmente auf verschiedenen Arten adsorbiert (Abbildung 1.55). Für (das reaktive) Zink wurde eine direkte Salzbildung (Zinkseifen) nachgewiesen; für die anderen Metalle muss von einer zumindest teilweisen Chemisorption der Fettsäuren ausgegangen werden; der genaue Mechanismus ist noch ungeklärt. Die Konformation bzw. Konfiguration der beiden Fettsäuren bestimmt das Leafingbzw. Non-Leafing-Verhalten der Metallpigmente. Allerdings gilt dieses „Pelz-Modell“  als grobe Vereinfachung und ist mittlerweile nicht mehr unumstritten; es postuliert nun, dass

Abbildung 1.54: Lichtmikroskopische Aufnahme (500x) eines Querschliffs durch eine Autola­ ckierung (silbermetallic)

42

Oberflächenbelegung von Pigmenten bzw. Füllstoffen sich auf der Pigmentoberfläche mit durch die cis-Doppelbindung gewinkelten Ölsäure nur eine Monoschicht bildet (Abbildung 1.56): Die damit unpolare Pigmentoberfläche wird durch die Bindemittellösung vollständig benetzt, was zu Non-Leafing-Pigmenten führt. Im Falle der geradkettigen Stearinsäure bildet sich eine Doppelschicht (Abbildung 1.56): Die nun polare Pigmentoberfläche (-COOH) wird durch die Bindemittellösung nicht vollständig benetzt, was zu Leafing-Pigmenten führt. Während des Mahlvorgangs (örtlich hohe Drucke bzw. Temperaturen) kommt es auf der Pigmentoberfläche unter Sauerstoffeinfluss auch zu einer Vielzahl meistens unaufgeklärter chemischer Reaktionen des Schmiermittels (z.B. Oxidation). Nach der Umformung der Metallteilchen zu Plättchen können sich Siebprozesse zur Veränderung der Korngrößenverteilung anschließen (Klassierung). In der Regel werden die Metallpigment-Suspensionen über Filterpressen von dem meisten Testbenzin befreit; oft kommen Metallpigmente als (nichtstaubende) Pigmentpasten zum Einsatz (z.B. für lösemittelhaltige Lacke: 65 %ig in Testbenzin). Allerdings werden insbesondere für Druckfarben auch (staubende) Metallpigmentpulver eingesetzt. Der entscheidende Punkt hier ist, dass die herstellungsbedingt auf den Metallpigment­ oberflächen vorhandene (amphiphile) Fettsäure auch als „Formtrennmittel“ wirkt und die Haftung der Bindemittelmatrix auf den Metallpigmentoberflächen beinträchtigen kann.

Abbildung 1.55: Drei Möglichkeiten der Ad­ sorption von Fettsäuren auf Metallpigment­ oberflächen

Abbildung 1.56: Adsorption von Stearin- bzw. Ölsäure auf Metallpigmentoberflächen (idealisierte Modellvorstellung; keine maß­ stabsgerechte Darstellung) [22]

43

Netz- und Dispergiermittel Dadurch kann der Verbund (die Kohäsion) des Basislacks beispielsweise beim Steinschlagtest negativ beeinflusst werden.

1.4.5.2

Für wässrige Lacke

Die Substitution von organischen Lösemitteln durch Wasser in Lacken und Druckfarben ist aus Gründen des Umweltschutzes (Reduzierung der Emission von organischen Lösemitteln) wichtig und notwendig. Wegen der chemischen Reaktivität von Wasser (z.B. im Hinblick auf Korrosionsreaktionen [3]) treten bei wässrigen Lacken und Druckfarben, die Metallpigmente enthalten, eine Reihe von Problemen auf, die gelöst werden müssen, bevor die organischen Lösemittel durch Wasser ersetzt werden können. Schon seit mehreren Jahren werden wässrige Metalliclacke (pH-Werte ca. 8) in der Automobilindustrie eingesetzt. Die darin dispergierten Aluminiumpigmente werden in diesen wässrigen, leicht alkalischen Medien nach folgender Gleichung korrodiert [24]:

2 Al + 6 H2O  2 Al(OH)3 + 3 H2

Die Korrosion ist eine Grenzflächenreaktion, die durch die hohe spez. Oberfläche von Aluminiumpigmenten (ca. 5 m2/g) beschleunigt wird. Nur 2 ‰ Umsatz von Aluminiumpigment führen bereits zu einer Vergrauung des metallischen Farbtons. Das Korrosionsprodukt Wasserstoff aus Gründen der Sicherheit (Überduck- bzw. Knallgasbildung) unerwünscht. Die dadurch notwendige Stabilisierung (zusätzliche Oberflächenbehandlung) der Pigmente kann mit verschiedenen Methoden erreicht werden. Die älteste Methode ist die phosphororganische Stabilisierung (Abbildung 1.57); diese ist auch heute noch für einfache Anwendungen brauchbar. Allerdings nicht für die (wässrige) Zweischicht-Metalliclackierung, da hier der Stabilisator (Abbildung 1.57), der ein recht hydrophiles Netzmittel ist, die Feuchtigkeitsbeständigkeit der Beschichtungen verschlechtert. Der nicht chemisorbierte Anteil des Stabilisators (Abbildung 1.57) kann im alkalischen Lackmedium in Lösung gehen, was zu einer verstärkten Wasseraufnahme des Lackfims nach Feuchtigkeitsbelastung führt. Darüber hinaus kann dieser Stabilisator als haftverhindernde Schicht auf der Pigmentoberfläche wirken ( mangelhafter Verbund). Ein weiteres Stabilisierungsverfahren für AluminiumAbbildung 1.57: Salz eines Phosphorsäurepartialesters (Stabilisator für Metallpigmente in wässrigen Medien) pigmente in wässrigen Lacken

44

Literatur ist die Chromatierung [25]. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur die Wasserstoffkorrosionsreaktion verhindert, die Chromatierungsschicht auf der Pigmentoberfläche verbessert auch die Haftung des Bindemittels auf dieser und damit die Kohäsion der Beschichtung insbesondere auch bei Feuchtigkeitseinwirkung. Weitere moderne Passivierungsverfahren sind die Sol-Gel-Silicatbeschichtung und die Beschichtung der Pigmente mit Polymeren [23]. Am Schluss soll noch darauf hingewiesen werden, dass wasserlösliche Lackbindemittel mit geeigneten funktionellen Gruppen auf den Oberflächen von Aluminiumpigmenten adsorbiert werden; damit können diese zumindest teilweise gegen Wasserstoffkorrosion stabilisieren [26, 29, 30], worauf im Kapitel 7.4 noch genauer eingegangen werden wird.

1.5 Literatur [1] J. Bieleman et al., Lackadditive, WileyVCH, Weinheim, 1998 [2] H. Kittel †, M. Ortelt et al., Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen – Band 4: Lösemittel, Weichmacher und Additive, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2. Auflage 2007 [3] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, 4. Auflage 2017 [4] H. Kittel †, H. W. Ritter, W. Zöllner et al., Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen – Band 8: Herstellung von Lacken und Beschichtungsstoffen, Arbeitsicherheit, Umweltschutz, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, zweite Auflage 2004 [5] K. Köhler, C. W. Schläpfer, Chemie in unserer Zeit, 27, 1993, Nr. 5, S. 248–255 [6] M. Knospe, W. Scholz, Farbe & Lack 96 (1990) S. 120 ff [7] R. Jérôme, Farbe & Lack 98 (1992) S. 325–329 [8] A. Bouvy, Europ. Coat. Journ. 11/1996, S. 822–826 [9] J. M. Reck, L. Dulog, Farbe & Lack 99 (1993) S. 95 ff [10] Firmenschriften von Huntsman “The “Jeffamine” Polyoxyalkyleneamines” und “Water-Reducible Epoxy Coatings via Epoxy Resin Modification with “Jeffamine” MATP’s – In situ Epoxy Reactive Surfactant”

[11] W. Herbst, K. Hunger, Industrielle Organische Pigmente, Wiley-VCH, Weinheim, 2. Auflage, 2009 [12] E. B. Faulkner, R. J. Schwartz (Hrsg.). High Perfomance Pigments, Wiley-VCH, Weinheim, zweite Auflage, 2009 [13] J. Schröder, Farbe & Lack 93 (1987) S. 715–720 [14] B. G. Hays, American Ink Maker, June 1984, S. 28–50 [15] H. Weber, Kieselsäure als Bestandteil der Titandioxid-Pigmente, FATIPEC-Kongressbuch 1978 [16] M. Osterhold, K. Schimmelpfennig, Farbe & Lack 98 (1992) S. 841–844 [17] H.-H. Luginsland, Organische Behandlung von Titandioxid-Pigmenten, FATIPECKongressbuch 1986 [18] N. Wamser, E. Urbino, Farbe & Lack 95 (1989) S. 109 ff [19] D. Gysau, Füllstoffe, 3. Auflage, Vincentz Network, 2014, S. 61 f [20] H. Kittel †, J. Spille et al., Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen – Band 5: Pigmente, Füllstoffe, Farbmetrik, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, zweite Auflage 2003, S. 403 ff [21] B. Müller, P. Kienitz, Farbe & Lack 102 (1996) Nr. 8, S. 76–80 [22] Die fleißigen Verbindungen – eine kurze Einführung in die Welt der Tenside, Ver-

45

Netz- und Dispergiermittel

[23] [24] [25]

[26]

46

band TEGEWA e.V., Frankfurt am Main, 2014 P. Wißling, Metalleffekt-Pigmente, Vincentz Network, 2005 B. Müller, M. Gampper, Werkst. Korros. 45 (1994) S. 272-277 R. Treutlein, B. Müller, P. Mayenfels (BASF Lacke und Farben AG), DE OS 3636183 A1 (offengelegt am 3.3.1988); Chem. Abstr. 109 (1988) 8106d B. Müller, Europ. Coat. Journ., Nr. 5 (2001) S. 81 ff

[27] D. Satas, A. A. Tracton (Hrsg.), Coatings Technology Handbook, Marcel Dekker, New York, Basel, 2001, S. 620 ff [28] https://de.wikipedia.org/wiki/Aluminiumbronze [29] B. Müller, Surface Coat. Int., Vol 85, B2 (2002) S. 111–114 [30] B. Müller, S. Fischer, Corros. Sci. 48 (2006) S. 2406–2416 [31] US-Pat. 4,810,305 [32] https://en.wikipedia.org/wiki/Polymethylhydrosiloxane

Oberflächenstörungen

2 Verlaufsmittel/ Untergrund­ benetzungsmittel Es gibt viele Additive, die die Lackoberfläche beeinflussen. Abbildung 2.1 macht den Versuch, die wichtigsten an der Lackoberfläche wirkenden Additive, qualitativ einzuteilen und dabei Schnittmengen zwischen den einzelnen Typen aufzuzeigen. Zur Begriffsklärung sei hier erwähnt, dass Slipadditive den Gleitwiderstand von Beschichtungen erniedrigen, während Rub- bzw. Antislip-Additive den Gleitwiderstand von Beschichtungen erhöhen. In diesem Kapitel werden insbesondere Verlaufsmittel (Verlaufsadditive), Untergrundbenetzungsmittel sowie kurz auch Hammerschlag- und Slipadditive besprochen werden. Auf Mattierungsmittel und Rub- bzw. Antislip-Additive wird hier nicht weiter eingegangen.

2.1

Oberflächenstörungen

Benetzungsstörungen Voraussetzung für eine gute Benetzung eines festen Substrats durch eine flüssige Phase (hier flüssiger Lack) ist, dass die Oberflächenspannung der flüssigen Phase niedriger ist als die Oberflächenspannung des festen Substrats (Einzelheiten siehe [1]).

Abbildung 2.1: Versuch einer grob qualitativen Einteilung von Oberflächenadditiven Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

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Verlaufsmittel/Untergrund­benetzungsmittel Benetzungsstörungen treten auf, wenn auf dem Substrat (Untergrund) Verunreinigungen mit niedrigerer Oberflächenspannung als die des Lacks vorhanden sind. Solche Verunreinigungen sind häufig Öle oder Fette, aber in bestimmten Fällen auch Formtrennmittel, Schleifstaub oder Spritznebel. Treten derartige Verunreinigungen in sehr kleinen, örtlich begrenzten Bereichen auf, kann es zur Bildung von Kratern (Abbildung 2.2) kommen. In Abbildung 2.2 sind die Verunreinigungen im Kraterzentrum leicht zu erkennen. Häufig sind diese Verunreinigungen so gering, dass man sie nur mit hohem Aufwand mit Hilfe von analytischen Messinstrumenten nachweisen kann. Besonders gefürchtet sind Verunreinigungen aus hochmolekularen, unverträglichen Siliconen oder perfluorierten Kohlenwasserstoffen, da diese extrem niedrige Oberflächen-

Abbildung 2.2: Lichtmikroskopische Aufnahme eines Kraters

Abbildung 2.3: Große Anzahl von Kratern auf einer kleinen Fläche

Abbildung 2.4: Benetzungsstörungen eines colösemittelfreien, wässrigen, oxidativ härtenden Grundlacks auf Stahl

Abbildung 2.5: Strömungen in einem frisch applizierten Lackfilm bedingt durch das Verdunsten der Lösemittel

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Oberflächenstörungen spannungen haben. Häufig treten Krater nicht alleine, sondern in Gruppen auf (Abbildung 2.3). Auch können sich Stellen des Substrats, die geschliffen oder abgewischt wurden (Veränderung der Oberflächenspannung), im applizierten Lackfilm markieren („Ghosting, Quellerbildung“). Abbildung 2.4 zeigt als Beispiel Benetzungsstörungen eines colösemittelfreien wässrigen Grundlacks auf Stahl; die Benetzungsstörungen zeigen in diesem Fall eine selten auftretende Form, die an Dentriden erinnert. Die Problemlösung war hier sehr einfach; ein Zusatz von 2 % Butylglykol zum wässrigen Lack beseitigten diese Störungen vollständig. Bénard’sche Zellen Auf das Entmischen von Pigmenten und Bénard’ sche Zellen wurde schon im Kapitel 1.3.1 im Zusammenhang mit der kontrollierten Flockulation kurz eingegangen (siehe dort Abbildung 1.20 und 1.21). Die aus dem frisch applizierten Lackfilm verdunstenden Lösemittel „schleppen“ aus den tieferen Schichten des Films niedrigviskoseres Lackmedium zur Lackoberfläche (Abbildung 2.5). Dort spreitet der niedrigviskose Lack, die Lösemittel verdunsten, Viskosität und Dichte steigen an; dies verursacht ein Absinken in tiefere Schichten des Lackfilms. Durch die Verdunstung des Lösemittels und die Bewegungen im Lackfilm entstehen lokale (kleine) Änderungen der Oberflächenspannung, der Temperatur und der Dichte des Lackfilms, die Strömungen bzw. Wirbel bewirken und Pigmente unterschiedlicher Beweglichkeit (unterschiedlicher Dichte) voneinander trennen können. Auf waagrechten Flächen entstehen die sog. Bénard’sche Zellen, an senkrechten Flächen können sich Streifen bilden (“silking“). Mit zunehmender Trocknung und damit steigender Viskosität des Lackfilms kommen diese Bewegungen zum Stillstand und die entstandene Pigment­ entmischung wird damit fixiert. Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Schadensbildern wie z.B. “Telegraphing“, Zugluftempfindlichkeit, die alle durch lokale Änderungen der Oberflächenspannung erklärt werden können.

a)

b)

Abbildung 2.6: (a) Störungen in einem Lackfilm mit Pigment Red 88 und Titandioxid vor und nach Zugabe eines geeigneten Silicon-Additivs (b) Lichtmikroskopische Vergröße­ rung des entmischten Bereichs

49

Verlaufsmittel/Untergrund­benetzungsmittel In allen hier genannten Fällen können Silicon-Additive hilfreich sein, da sie sich an der Lackoberfläche anreichern und dort eine Zone mit einheitlicher Viskosität und Oberflächenspannung schaffen. Abbildung 2.6 zeigt eindrucksvoll die Wirkung eines Silicon-Additivs in Bezug auf Pigmententmischung.

2.2 Silicon-Additive Die beste Problemlösung für Benetzungsstörungen ist stets die Beseitigung der diese verursachenden Verunreinigungen. Da dies nicht immer vollständig möglich ist (z.B. bei geschliffenen Stellen), kann die Oberflächenspannung des Lacks durch Zugabe von grenzflächenaktiven Additiven gesenkt werden; diese verbessern die Benetzung des Substrats und bewirken damit häufig auch einen guten Verlauf. Besonders effektiv wirken Silicon-Additive; allerdings können diese auch unerwünschte Nebenwirkungen haben, wie z.B.: Haftungsstörungen beim Überlackieren oder Trübungen des Lackfilms. Da Silicon-Additive in der Regel mehr oder weniger unverträglich mit Bindemittellösungen sind, reichern sie sich an der Lackoberfläche (Grenzfläche Lackfilm-Luft) an, erniedrigen damit die Oberflächenspannung des Lackfilms und können deshalb als grenzflächenaktiv bezeichnet werden [2, 3]. Durch diese Grenzflächenaktivität können sie auch die Benetzung des Substrates verbessern (Abbildung 2.6).

Abbildung 2.7: Anwendungen von Polydimethylsiloxanen („Siliconölen“) in Abhängigkeit von deren Molmasse

50

Silicon-Additive

2.2.1

Polydimethylsiloxane

Als Silicon-Additive boten sich als erstes Polydimethylsiloxane („Siliconöle“) an, deren Wirkung von ihrer Molmasse abhängt (Abbildung 2.7); mit der Molmasse nimmt die Unverträglichkeit zu. Die niedrigmolekularen Polydimethylsiloxane (M < 5000) wirken als Verlaufsmittel und sind Thema dieses Kapitels. Etwas höhermolekulare Typen (M ca. 6000) verringern den Gleitwiderstand von Beschichtungen und werden als Slip-Additive bezeichnet; auf diese wird hier nicht weiter eingegangen. Sehr viel höhermolekulare Polydimethylsiloxane (M ca. 90.000) wirken entschäumend. Weiteres zu Entschäumern siehe Kapitel 3. Die Typen mit der höchsten Molmasse (M > 100.000) und damit mit der höchsten Unverträglichkeit erzeugen in Kombination mit Metalleffektpigmenten den „Hammerschlageffekt“ (Abbildung 2.7).

2.2.2

Chemisch modifizierte Silicon-Additive

Durch chemische Modifizierung der Polydimethylsiloxane kommt man zu besser verträglichen, „maßgeschneiderten“ Silicon-Additiven. Der erste modifizierte Silicon-Additiv-Typ sind die Methylalkylpolysiloxane (Abbildung 2.9). Die relative Erniedrigung der Oberflächenspannung wird mit zunehmender Alkylkettenlänge kleiner (Abbildung 2.9), da die Moleküle immer weniger Silicon-Anteil und immer längere Alkylgruppen (bindemittelähnlich) enthalten und damit verträglicher werden. Auf diese Weise kann

Abbildung 2.8: Foto einer Beschichtung mit „Hammerschlageffekt“

Abbildung 2.9: Methylalkylpolysiloxane

51

Verlaufsmittel/Untergrund­benetzungsmittel die Oberflächenspannung und die Verträglichkeit gezielt eingestellt werden. Eine weitere Möglichkeit der Modifizierung kann mit Polyethern erreicht werden (Abbildung 2.10). Polyetherpolysiloxane (Abbildung 2.10) sind bis etwa 150  °C thermostabil; ab 170/180 °C wird der Polyether thermisch abgebaut, was u.U. zu Haftungsstörungen führen kann. Polyestermodifizierte Polysiloxane und Aralkylalkylpoysiloxane (Abbildung 2.11) sind dagegen bis etwa 230 °C thermostabil. Ein reaktives hydroxyfunktionelles Polyester-Polysiloxan (R’’’ = H in Abbildung 2.11) kann in einen Lackfilm (z.B. PUR) fest eingebaut werden und lässt sich durch Abwischen nicht mehr entfernen. Die Bindung aller Modifizierungsgruppen erfolgt über nicht hydrolisierbare Si-C-Bindungen. Früher hatten modifizierte Polysiloxane hydrolysierbare Si-O-C-Bindungen, was u.U. zu einer Verschlechterung der lacktechnischen Eigenschaften (z.B. Kraterbildung) während einer längeren Lagerzeit führte (Abbildung 2.12). Die Abspaltung der organischen Modifizierung R durch Hydrolyse (Abbildung 2.12) bewirkt eine Erhöhung der Unverträglichkeit und die Bildung von reaktiven Silanolgruppen (Si-OH). Die nachfolgende Kondensation führt zu noch stärker unverträglichen Polysiloxanen höherer Molmasse und kann Krater verursachen. Da modifizierte Polysiloxane meistens mehr oder weniger unverträglich mit Bindemittellösungen sind, reichern sie sich an der Lackoberfläche an, erniedrigen damit die Oberflächenspannung des Lackfilms und sind somit grenzflächenaktiv; die Modifizierung orientiert

Abbildung 2.10: Polyethermodifizierte Poly­ siloxane

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Abbildung 2.11: Polyestermodifizierte Poly­ siloxane und Aralkylalkylpoysiloxane

Silicon-Additive sich dabei in Richtung Bindemittellösung das Silicon in Richtung Luft (Abbildung 2.13). Aus den Oberflächenspannungen, die in Tabelle 2.1 aufgeführt sind, kann man gut den Einfluss der Lösemittel auf die Untergrundbenetzungseigenschaften des Lacks erkennen. Beim Verdunsten der Lösemittel steigt die Oberflächenspannung des Lacks an und es kommt zu Benetzungsstörungen. Ein geeignetes Silicon-Additiv bewirkt, dass die Oberflächenspannung des Lacks auch nach dem Verdunsten der Lösemittel so niedrig ist, dass das Substrat benetzt wird (siehe Tabelle 2.1). Darüber hinaus gibt es auch siliconfreie Verlaufsmittel auf Acrylatbasis (z.B. Poly-nButylacrylat). In wässrigen Systemen können neben hydrophilen Polyetherpolysiloxanen (vgl. oben) auch (relativ) niedrigmolekulare Silicontenside (siehe Abbildung 1-26 in Kapitel 1.3.2) eingesetzt werden; letztere wirken aber ausschließlich als Untergrundbenetzungsmittel. Die Bildung von Bénard’schen Zellen kann verhindert werden: –– Beim Dispergieren durch Zusatz geeigneter Dispergier­additive; z.B. erschwert eine kontrollierte Flockulation eine Trennung der Pigmente nach ihrer Dichte (siehe Abbildung 1-22 in Kapitel 1.3.1). –– Danach durch geeignete Silicon-Additive: Diese bilden eine (dünne) Schicht mit einheitlicher (niedriger) Oberflächenspannung und einheitlicher Viskosität auf der

Tabelle 2.1: Beispiel für die Wirkungsweise eines Silicon-Additivs Oberflächenspannung [mN/m] A: Untergrund 29 (unbehandelter Stahl) B: Lack mit Lösemittel 28 C: Lack ohne Lösemittel 38 D: Lack ohne Lösemittel 26 + Silicon-Additiv Untergrundbenetzung [mN/m] B-A: Gut -1 C-A: Schlecht +9 D-A: Gut -3

Abbildung 2.12: Hydrolyse und nachfolgende Kondensation von modifizierten Polysiloxanen der ersten Generation

53

Verlaufsmittel/Untergrund­benetzungsmittel Lack­oberfläche. Dadurch können sich keine Zonen mit unterschiedlicher Oberflächenspannung bilden, welche für die Entstehung von Bénard’schen Zellen verantwortlich gemacht werden.

Abbildung 2.13: Grenzflächenorientierung von modifizierten Polysiloxanen

2.3 Literatur [1]

B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, 4. Auflage 2017 [2] J. Bieleman et al., Lackadditive, Wiley-VCH, Weinheim, 1998

54

[3] H  . Kittel †, M. Ortelt et al., Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen – Band 4: Lösemittel, Weichmacher und Additive, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2. Auflage 2007

Schaumarten und Schaumstabilisierung

3 Entschäumer Schaum kann in allen flüssigen Lacksystemen auftreten und Schadensbilder wie z.B. Krater oder Nadelstiche (“pinholes“) verursachen (Abbildung 3.1). Die Luft kann in den Lack bei dessen Herstellung (z.B. durch den Dissolver) oder bei dessen Applikation (z.B. beim Spritzen) eingebracht werden. Besonders oft tritt Schaum in wässrigen Lacksystemen auf. Luft kann in einen Lack auch durch poröse Untergründe wie z.B. Holz oder mineralische Substrate eingebracht werden, da flüssiger Lack die Luft aus den Poren verdrängt. Abbildung 3.2 zeigt eindrucksvoll die Poren in Buchenholz.

3.1 Schaumarten und Schaumstabilisierung Grundsätzlich gilt, dass reine Flüssigkeiten nicht schäumen (Abbildung 3.3). Da Lacke Vielstoffgemische sind, kann es bei Herstellung und Applikation zur Schaumbildung kommen. Insbesondere grenzflächenaktive Stoffe wie z.B. Netzmittel können Schaumblasen effektiv stabilisieren (Abbildung 3.3) [1, 2]. In einer reinen Flüssigkeit (ohne grenzflächenaktive Substanzen) platzen die Schaumblasen, wenn sie die Flüssigkeitsoberfläche erreichen (Abbildung 3.3). Ist eine grenzflächenaktive Substanz (z.B. Netzmittel) in der Flüssigkeit, so bildet diese an der inneren und

Abbildung 3.1: Tiefenprofil (1000x) eines Nadelstichs („pinhole”) in einer wässrigen Einbrennbe­ schichtung (Quelle: J. Domnick, D. Gruseck, Hochschule Esslingen) a) Draufsicht, b) Seitenansicht

Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

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Entschäumer äußeren Flüssigkeitsoberfläche einen (monomolekularen) Film. An die Oberfläche aufgestiegene Schaumblasen umhüllen sich dadurch beidseitig mit einem stabilisierenden Tensidfilm, der Schaumlamelle (Abbildung 3.4). In Schäumen, die ionische Netzmittel enthalten, können Schaumblasen elektrostatisch stabilisiert werden (vgl. Kapitel 1.2.1). Die Abstoßung der elektrischen Doppelschichten (Abbildung 3.5) verhindert erstens eine Vereinigung von kleinen Schaumblasen zu größeren und damit ein schnelleres Aufsteigen der Blasen. Zweitens wird eine Mindestdicke von Schaumlamellen stabilisiert, so dass die Schaumblasen nicht platzen. Leitet man Luftblasen in eine Flüssigkeit ein, so nehmen die Blasen wegen der Grenzflächenspannung Luft/Flüssigkeit (= Oberflächenspannung) Kugelform an (kleinste Oberfläche bei größtem Volumen). Bei der Entstehung von Gasblasen in einer Flüssigkeit wird die Oberfläche der Flüssigkeit vergrößert; d.h. es muss Arbeit W verrichtet werden. Diese Arbeit wird z.B. von den Dispergieraggregaten oder bei der Applikation geleistet. W = γL · ∆A W Arbeit (Energie) γL Oberflächenspannung der flüssigen Phase (Kraft/Länge = Energie/Fläche); siehe [3] ∆A Zuwachs der Oberfläche (Fläche) Die Arbeit W ist proportional zum Zuwachs der Oberfläche ∆A und zur Oberflächenspannung der flüssigen Phase. Daher haben kleinere Schaumblasen einen höheren Energieinhalt

Abbildung 3.2: Rasterelektronische Aufnahme von Buchenholz (Maßstabsbalken: 100 µm = 0,1 mm)

56

Abbildung 3.3: Luftblasen in einer reinen Flüssigkeit

Schaumarten und Schaumstabilisierung als größere und deshalb können sich kleinere Schaumblasen zu größeren unter Energiegewinn (Verkleinerung der Oberfläche) vereinigen. Kleine Schaumblasen werden oft als Mikroschaum, größere als Makroschaum bezeichnet. Netzmittel erniedrigen die Oberflächenspannung der flüssigen Phase und erleichtern damit die Schaumbildung (W wird kleiner). Darüber hinaus bewirkt die Oberflächenspannung γL (Kraft/Länge) einen Innendruck p in in den Schaumblasen; nach Laplace gilt (vereinfacht):

p ~ γL / r

D.h. je kleiner der Radius r der Blasen (je größer die Oberfläche) und je größer die Oberflächenspannung der flüssigen Phase desto größer ist der Innendruck.

Abbildung 3.4: Schaumbildung und -stabilisierung

Abbildung 3.5: Elektrostatische Stabilisierung einer Schaumlamelle durch anionische Netzmit­ tel (die positiv geladenen Gegenionen wurden der Übersichtlichkeit halber weggelassen)

57

Entschäumer Für die Aufstiegsgeschwindigkeit v (= negative Sinkgeschwindigkeit) von Schaumblasen gilt nach Stoke:

v=K·

K r ρG ρL η

Konstante Radius der Kugelblasen Dichte von Luft Dichte der flüssigen Phase (z.B. Bindemittellösung) Viskosität der flüssigen Phase (z.B. Bindemittellösung)

Da die Dichte von Luft immer kleiner ist als die Dichte der Flüssigkeit wird v < 0.

Vereinfacht gilt: v ~ r2 / η

Daraus folgt, dass größere Schaumblasen (Makroschaum) schneller aufsteigen als kleinere (Mikroschaum). Abbildung 3.6 zeigt Mikroschaumblasen in einer Beschichtung aus einem schwarzen, wässrigen Dispersionslack. Je größer die Viskosität der flüssigen Phase (Bindemittellösung) ist, desto langsamer steigen Blasen auf. Nach der Applikation von Lacken steigt die Viskosität der Bindemittellösung durch die Verdunstung der Lösemittel sehr schnell und stark an, so dass kleine Schaumblasen (Mikroschaum) häufig nicht mehr vollständig an die Lackoberfläche aufsteigen können, was „Nadelstiche“ in der Beschichtungsoberfläche verursachen kann. Abbildung 3.7 zeigt durch Schaum verursachte Oberflächenstörungen in einer Beschichtung.

Abbildung 3.6: Lichtmikroskopische Aufnahme (100x) von Mikroschaumblasen in einer Beschichtung aus einem schwarzen, wässrigen Dispersionslack; Maßstabsbalken 1 mm.

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Abbildung 3.7: Durch Schaum verursachte Oberflächenstörungen in einer Beschichtung

Arten und Wirkungsweisen von Entschäumern Die entstandenen Blasen bilden an der Oberfläche eine Schaumkrone, in der die Kugelblasen (Makroschaum) zunächst in einer hexagonal dichtesten Kugelpackung vorliegen. Durch ein gravitationsbedingtes Abfließen von Flüssigkeit aus den Schaumlamellen (Drainage-Effekt) kann der Kugelschaum in Polyederschaum übergehen (Abbildung 3.8 [4]). Kugelschaum hat aus geometrischen Gründen einen maximalen Gasanteil von 74  Vol.-% (unter der Annahme gleich großer Schaumblasen); bei Polyederschaum ist der Gasanteil >> 74 Vol.-% (bis max. 99,x Vol.-%). Abbildung 3.9 zeigt Polyederschaumblasen mit sehr hohem Gasanteil und entsprechend dünnen Schaumlamellen [4]. Die Lamellen von Polyederschaum können durch den Abfluss von Flüssigkeit durch die Zwickel der Lamellen immer dünner werden und bei der kritischen Schichtstärke schließlich platzen. Kritischen Schichtstärken für Schaumlamellen liegen näherungsweise bei 30 nm für Wasser und bei 70 nm für Hexan. Die Geschwindigkeit des Abflusses der Flüssigkeit ist von deren Viskosität abhängig, die kritische Schichtstärke aber nicht. Schaumlamellen, deren Schichtstärke kleiner als die Wellenlänge des Lichtes ist, zeigen durch Interferenzeffekte die sog. Farben dünner Plättchen, ein aus der Alltagserfahrung wohlbekanntes Farbspiel. Wenn nun diese Farberscheinungen auftreten, kann man davon ausgehen, die Schichtstärke der Schaumlamelle kleiner ist als die Wellenlänge des Lichts.

3.2 Arten und Wirkungsweisen von Entschäumern Manche Hersteller unterscheiden zwischen sog. Entschäumern und Entlüftern: Entschäumer wirken an der Lackoberfläche und zerstören die Schaumkrone (Makroschaum) bzw. den Polyederschaum; Entlüfter wirken im Inneren des Lacks und bringen Schaumblasen (Mikroschaum) schneller an die Oberfläche. Häufig werden Entschäumer mit Entlüftern

Abbildung 3.8: Kugel- und Polyederschaum

Abbildung 3.9: Polyederschaumblasen mit sehr hohem Gasanteil

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Entschäumer kombiniert. Es kann auch sein, dass eine Substanz gleichzeitig entschäumend und entlüftend wirkt. Dann ist eine Unterscheidung nicht immer sinnvoll.

3.2.1

Entschäumer für wässrige Lacke

Entschäumer sind meistens Flüssigkeiten mit niedriger Oberflächenspannung, die drei Bedingungen erfüllen müssen: 1. Sie sollten nahezu unlöslich in der Bindemittellösung sein. 2. Sie sollten einen positiven Eindringkoeffizienten E haben, wobei E = γL - γE + γLE > 0 mit γL Oberflächenspannung der Bindemittellösung (flüssige Phase) γE Oberflächenspannung der Entschäumerflüssigkeit γLE Grenzflächenspannung zwischen der Bindemittellösung und der Entschäumerflüssigkeit 3. Sie sollten positiven Spreitungskoeffizienten S haben. Der wie folgt berechnet wird:   

S = γL - γE - γLE > 0  γE + γLE < γL

Abbildung 3.10: Wirkungsweise von Entschäumern (Entschäumerflüssigkeit schwarz dargestellt)­ (a) Schaumblasen und Entschäumer­ tröpfchen, (b) Entschäumertröpfchen dringen in die Schaumlamelle ein und verdrängen schaumstabilisierende Netzmittel, (c) Schaumblasen platzen

60

Ist der Eindringkoeffizient E positiv kann der Entschäumer in die Schaumlamelle eindringen. Ist auch noch der Spreitungskoeffizient S positiv kann der Entschäumer in der Grenzfläche der Schaumlamelle spreiten; dadurch werden die Schaum-stabilisierenden Netzmittel verdrängt und die Lamelle durch die niedrige Oberflächenspannung des Entschäumers (= niedrige Kohäsion) labiler (Abbildungen 3.10 a bis c). Die Wirkung solcher Entschäumerflüssigkeiten lässt sich häufig durch die Zugabe feinst dispergierter hydrophober Feststoffteilchen [z.B.

Arten und Wirkungsweisen von Entschäumern hydrophobe pyrogene Kieselsäure (Kapitel 1.4.4) oder Polyharnstoffe] verstärken. Die Entschäumerflüssigkeit dient als Transportmittel, um die Feststoffteilchen in die Schaumlamelle zu bringen. Die hydrophoben Feststoffteilchen wirken in der hydrophilen Schaumlamelle als Fremdkörper und tragen durch Reduzierung der Kohäsionskräfte zu deren Destabilisierung bei; darüber hinaus adsorbieren sie an ihrer Oberfläche Netzmittelmoleküle, was die Schaumlamelle weiter destabilisiert.

Tabelle 3.1: Formulierung eines MineralölEntschäumers Mineralöl hydrophobe Feststoffe Emulgator(en) modifizierte Polysiloxane sonstige Hilfsstoffe

75 10 5,5 7,5 2 100

Silicon-Entschäumer Häufig werden modifizierte Polydimethylsiloxane eingesetzt. Extrem hydrophobe Polydimethylsiloxane („Siliconöle“ siehe Kapitel 2.2.1) sind stark unverträglich und somit muss bei der Dosierung ein hohes Maß an Aufmerksamkeit zugewendet werden (Gefahr der Kraterbildung). Eine Modifizierung des Polysiloxans mit einem relativ hydrophilen Polyether (vgl. Kapitel 2.2.2) kann die Verträglichkeit mit Lackbindemitteln verbessern, ohne die gezielte Unverträglichkeit mit dem schäumenden Medium (wässrige Netzmittellösung) zu verändern (Abbildung 3.11) [5]. Die Molmasse des Polysiloxans und Art bzw. Anteil des Polyethers (Abbildung 3.11) steuern die lacktechnischen Eigenschaften (z.B. Verträglichkeit mit Bindemitteln, entschäumende Wirkung) des Silicon-Entschäumers. Mögliche nachteilige Nebenwirkungen von Silicon-Entschäumern: –– Haftungsstörung bei Überlackierung –– Oberflächenstörungen (Krater) Mineralöl-Entschäumer Die Wirkungsweise von Mineralöl-Entschäumern ist aus dem Haushalt bekannt. Beim Kochen von Nudeln entsteht durch lösliche Stärkeanteile, die als Schutzkolloid wirken, ein hartnäckiger Schaum. Die Zugabe einiger Tropfen Speiseöl zerstört

Abbildung 3.11: Polyethermodifiziertes Poly­ siloxan als Entschäumer für wässrige Lacke (EO = Ethylenoxid; PO = Propylenoxid)

61

Entschäumer diesen Schaum effektiv; ähnlich muss man sich die Wirkung der Mineralöl-Entschäumer vorstellen. Ein Beispiel für die im Vergleich mit Siliconen preiswerteren Mineralöl-Entschäumer zeigt Tabelle 3.1. Das Mineralöl mit seiner vergleichsweise mit Wasser niedrigen Oberflächenspannung ist der entschäumende Wirkstoff. Mögliche nachteilige Nebenwirkungen von Mineralöl-Entschäumern: –– Glanzverminderung (bei Silicon-Entschäumern nicht!) –– Oberflächenstörungen –– Separierung des Mineralöls

3.2.2

Entschäumer für lösemittelhaltige Lacke

Auch in lösemittelhaltigen Lacken sollte der Spreitungskoeffizient S eines Entschäumers größer Null sein.

S = γL - γE - γLE > 0  γE + γLE < γL

Da die Oberflächenspannung γL von lösemittelhaltigen Lacken deutlich kleiner als von wässrigen Systemen ist, können keine Mineralöle mehr verwendet werden; es bleiben nur Silicon-Entschäumer (extrem niedrige γE). Wie schon in wässrigen Systemen können unverträgliche Polydimethylsiloxane („Siliconöle“: Gefahr der Kraterbildung) hier mit Molmassen von 10.000 bis 100.000 zum Einsatz kommen. Noch höhermolekulare Polydimethylsiloxane sind so unverträglich, dass sie zu „Hammerschlag-Effekten“ führen (siehe Abbildung 2.8 in Kapitel 2.2.1). Meistens werden wieder modifizierte Siloxane eingesetzt, um eine Balance zwischen schwacher Verträglichkeit und gezielter entschäumender Wirkung zu finden [6]. Ist der Entschäumer zu gut verträglich, wird Schaum stabilisiert, ist er zu unverträglich, treten Defekte auf (Abbildung 3.12). Solche Defekte können z.B. Krater, Filmtrübungen, Haftungsstörungen oder instabile Giesvorhänge sein. Die Kunst des LackAbbildung 3.12: Balance der Entschäumerwirkung formulierers ist es nun, aus der

62

Entlüftung von Pulverlacken Fülle der am Markt angebotenen Entschäumer, den auszuwählen, der für seinen speziellen Lack die optimale Wirkung entfaltet (Abbildung 3.12). Darüber hinaus gibt es noch siliconfreie Polymer-Entschäumer meistens auf Acrylatbasis.

3.3

Entlüftung von Pulverlacken

Pulverlacke sind feste, lösemittelfreie Beschichtungsstoffe für industrielle Anwendungen. Pulverlacke werden in pulverförmiger Form auf verschiedene Weisen appliziert und dann eingebrannt. Die Filmbildung (Verfestigung) von Pulverlacken erfolgt durch Aufschmelzen der applizierten Pulverteilchen auf dem Werkstück und anschließendes Abkühlen der ggf. pigmentierten Polymerschmelze. Dabei unterscheidet man thermoplastische Pulverlacke und hitzehärtbare Pulverlacke, bei denen sich nach dem Aufschmelzen eine chemische

Abbildung 3.14: Verlauf der Schmelzvisko­ sitäten beim Einbrennen von hitzehärtbaren Pulverlacken Abbildung 3.13: Querschnitt einer Pulver­ lackbeschichtung auf einem Untergrund (die kleinen Drei- und Vierecke sollen die Pigmente in den Pulverlackpartikeln schema­ tisch darstellen)

Abbildung 3.15: Benzoin

63

Entschäumer Vernetzungsreaktion (Härtung) anschließt [3, 7]. Hier wird nur auf hochwertige hitzehärtbare Pulverlacke eingegangen. Bei diesen reagiert bei 130 bis 220 °C ein geschmolzenes Basisharz mit einem geschmolzenen Härter (Vernetzer) zu duromeren Beschichtungen. Ein großes Problem bei allen hitzehärtbaren Pulverlacken ist die Entlüftung, da die zwischen den festen Pulverlackteilchen befindliche Luft bei der Filmbildung entweichen muss (Abbildung 3.13). Nur unterhalb einer bestimmten Viskosität ist ein Entweichen der Luft (Entlüftung) möglich. Dies ist eng mit dem Problem des Verlaufs von hitzehärtbaren Pulverlacken verknüpft, der ebenfalls nur unterhalb einer kritischen Viskosität (ηk) der Pulverlackschicht möglich ist (offene Zeit). Abbildung 3.14 zeigt den Viskositätsverlauf von zwei Pulverbeschichtungen beim Aufschmelzen und beim Härten. Zuerst fällt die Viskosität wegen der Temperaturerhöhung im Ofen; wenn die Vernetzungsreaktion einsetzt, steigt die Viskosität schnell und stark an (Abbildung 3.14). Pulverlack 1 ist reaktiver (vernetzt schneller) als Pulverlack 2; d.h. die offene Zeit, in der Entlüftung und Verlauf möglich sind, ist bei Pulverlack 1 kürzer als bei Pulverlack 2. Zum Vergleich zeigt Abbildung 3.14 auch den Viskositätsverlauf des reinen Basisharzes ohne Vernetzer; dieses verhält sich wie ein Thermoplast (Viskositätsabfall bis zur Schmelzviskosität). D.h. die offene Zeit, innerhalb der Entlüftung und Verlauf stattfinden, ist über die Reaktivität von hitzehärtbaren Pulverlacken steuerbar. Wo die Veränderung der Reaktivität nicht möglich ist, kann mit viskositätssenkenden Additiven gearbeitet werden. Als Beispiel für einen Entlüfter, der auch verlaufsfördernd wirkt, sei Benzoin genannt (Abbildung 3.15). Zusatzmengen von etwa 0,5 % verringern die Schmelzviskosität von Pulverlacken. Benzoin (Schmp.: 132 bis 137 °C) wirkt wie ein festes Lösemittel. Durch noch ungeklärte Reaktionen wird Benzoin häufig in das Netzwerk mit eingebaut; d.h. man könnte es auch als festen Reaktivverdünner bezeichnen. Zu weiteren Verbesserung des Verlaufs werden in vielen Fällen zusätzlich noch verlaufsfördernde Additive auf Acrylatbasis eingesetzt.

3.4 Literatur [1] F. Sebba, Foams and Biliquid Foams – Aphrons, Wiley, 1987 [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Schaum [3] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, 4. Auflage 2017 [4] www.maths.tcd.ie/~foams/gallery.htm [5] K.-H. Käsler et al., Phänomen Farbe 9/1996, S. 25 f

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[6] Technische Information L-DI 1, Entschäumer und Entlüfter (https://ebooks.byk. com/de/l-di-1/was-ist-schaum/) [7] P. G. de Lange, Powder Coatings – Chemistry and Technology, Vincentz Network 2004

Rheologisch wirksame Additive

4 Rheologisch wirksame Additive Aus der Fülle von verschiedenen rheologisch wirksamen Additiven werden hier die wichtigsten Beispiele exemplarisch besprochen werden. Auch andere Lackadditive wie z.B. Dis­ pergiermittel können durch kontrollierte Flockulation (Kapitel 1.3.1) die rheologischen Eigenschaften von Lacken ändern; hier können die Grenzen zwischen dispergierender und rheologischer Wirkung unscharf werden. Grundsätzlich ist bei allen Lackadditiven (hier Rheologieadditive oder Dispergiermittel) zu beachten, dass deren Wirkung in hohem Maße von der Lackformulierung (z.B. Art der Pigmente bzw. Füllstoffe) abhängt. Rheologisch wirksame Additive (Rheologieadditive) ändern die Viskosität von Lacken gezielt in bestimmten Bereichen der Scherrate (Schergefälle, Schergeschwindigkeit), was zu nicht-newtonschem Fließverhalten führt. Verdickungsmittel bewirken dagegen eine Erhöhung der Viskosität von Lacken über den ganzen Bereich der Scherrate, in dem sie nur die Viskosität der flüssigen Phase erhöhen (Flüssigphasenverdicker). Im Idealfall ändern sie das Fließverhalten (die Rheologie) nicht (oder nur wenig); d.h. keine bis wenig Strukturviskosität. Leider sind beide Typen nicht immer scharf zu unterscheiden. Der noch häufig verwendete veraltete Begriff „Thixotropiermittel“ sollte vermieden werden. Abbildung 4.1 zeigt newtonsches Fließverhalten, wobei keine Abhängigkeit der Abbildung 4.1: Zwei Beispiele für Viskosität von der Scherrate besteht (die Viskositätskurven (Abhängigkeit der Visko­ Viskosität ist konstant). Als Beispiel für nicht- sität von der Scherrate) newtonsches Fließverhalten zeigt Abbildung 1: Newtonsche Flüssigkeit (Viskosität = const.) 4.1 die Strukturviskosität (Pseudoplastizität), 2: Strukturviskose (pseudoplastische) Flüssigkeit: Viskosität wird mit zunehmender wobei die Viskosität mit zunehmender Scher- Scherrate kleiner; ein Beispiel für nicht-newton­ sches Fließverhalten. rate abnimmt (Scherverdünnung) [1].

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Rheologisch wirksame Additive Als weiteres lacktechnisch wichtiges Beispiel für nicht-newtonsches Fließverhalten zeigt Abbildung 4.2 die Thixotropie, wobei die Viskosität wieder mit zunehmender Scherrate abnimmt (Gelkurve) und bei abnehmender Scherrate wieder zunimmt (Solkurve), aber nicht im gleichen Ausmaß wie zuvor bei der Gelkurve. Lässt man dem System im Ruhezustand Zeit, kehrt es zur Ausgangsviskosität zurück (vollständige Reversibilität). Je größer der Unterschied zwischen Sol- und Gelkurve, desto größer ist die Thixotropie. Im Gegensatz zur zeitunabhängigen Strukturviskosität (Abbildung 4.1) ist die Thixotropie (Abbildung 4.2) zeitabhängig. Rheologieadditive können bei verschiedenen Scherraten, die beim Herstellen oder Applizieren von Lacken auftreten, wirksam werden (Abbildung 4.3). Viele Rheologieadditive bauen in Lacken (organisch gelöst oder wässrig) im Ruhezustand ein dreidimensionales Netzwerk auf (Gel). Bei Scherung (z.B. Rühren) wird dieses Netzwerk vorübergehend zerstört (Sol), baut sich aber in der Ruhe mehr oder weniger schnell wieder auf (reversibler Sol-Gel-Übergang). In diese rheologisch wirksamen Netzwerkstrukturen können auch Pigment bzw. Füllstoffe und/ oder Bindemittel mit eingebaut Abbildung 4.2: Thixotropes Fließverhalten sein, müssen aber nicht.

Abbildung 4.3: Scherraten beim Herstellen und Applizieren von Lacken

66

Rheologisch wirksame Additive Ein häufig auftretendes Problem in Lacken ist das Absetzen von Pigmenten bzw. Füllstoffen. Für die Absetzgeschwindigkeit (Sedimentationsgeschwindigkeit) v von Pigmenten bzw. Füllstoffen gilt nach Stoke:

mit Konstante K r Radius der Pigment- bzw. Füllstoff­teilchen (Näherung: Kugelform) ρS Dichte der Pigment- bzw. Füllstoffteilchen ρL Dichte der flüssigen Phase (z.B. Bindemittellösung) η Viskosität der flüssigen Phase (z.B. Bindemittellösung) Bei einem gegebenen Pigment bzw. Füllstoff ist die Absetzgeschwindigkeit v umgekehrt proportional zur Viskosität der Bindemittellösung; diese Aussage bezieht sich auf die Viskosität bei niedriger Schergeschwindigkeit (siehe Abbildung 4.3: Lagerung). Darüber hinaus ist die Absetzgeschwindigkeit v proportional zum Quadrat des Radius der Pigment- bzw. Füllstoffteilchen.

Abbildung 4.4: Ablaufen eines applizierten Lacks an einer senkrechten Fläche einer Automobilkarosserie

Abbildung 4.5: Versuch einer systematischen Einteilung von rheologisch wirksamen Additiven

67

Rheologisch wirksame Additive Aus dem Stoke’schen Gesetz lassen sich zwei Folgerungen, wie dem Absetzen von Pigmenten bzw. Füllstoffen entgegengewirkt werden kann, ziehen: Dispergierung der Agglomerate (r groß) bis möglichst zu Primärteilchen (r klein); auch durch Einsatz geeigneter Dispergieradditive (Kapitel 1.3.1). Einsatz von Rheologieadditiven, die nur bei niedriger Scherrate wirken (die z.B. dem Lack ein strukturviskoses Fließverhalten geben). Grundsätzlich gilt, dass das Absetzen von Pigmenten bzw. Füllstoffen in einem Lack, das Ablaufen eines an einer senkrechten Fläche applizierten Lacks (Abbildung 4.4) und das Verlaufen einer Lackoberfläche in rheologischer Hinsicht gegensätzliche Eigenschaften darstellen (alle drei laufen bei niedriger Schergeschwindigkeit ab). Hier muss bei der Formulierung einer Beschichtungszusammensetzung stets ein Kompromiss gesucht werden. Rheologisch wirksame Additive können wie in Abbildung 4.5 dargestellt eingeteilt werden. Die wachsartigen Additive (Abbildung 4.5) können in diesem Buch nicht besprochen werden, weil hier nur die wichtigsten Vertreter erklärt werden. Aus Gründen der praktischen Anwendung wird dieses Kapitel nach dem Lackmedium (lösemittelhaltig bzw. wässrig) gegliedert.

4.1 Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben Entgegen der sonst üblichen Systematik werden in diesem Kapitel wässrige Systeme zuerst besprochen, da (unmodifizierte) Schichtsilicate in wässrigen Lacken eingesetzt werden, während „veredelte“, organisch modifizierte Schichtsilicate (Organoschichtsilicate) in lösemittelhaltigen Lacken Anwendung finden.

Abbildung 4.6: Vereinfachte Darstellung der Elementarschichten von Smektiten

68

Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben

4.1.1 Schichtsilicate Schichtsilicate gehören zu den Tonmineralen und sind aufgrund ihres schichtförmigen Aufbaus durch Wasser quellbar. Smektite bilden eine Gruppe von Schichtsilicaten, die aus drei Elementarschichten aufgebaut sind (Dreischichttonminerale) [2, 3]. Die Mittelschicht aus Aluminium-/Magnesiumoxid-Oktaedern wird beidseitig von je einer Tetraederschicht umgeben, die aus Siliciumdioxid (ggf. mit Anteilen von Aluminiumoxid) besteht (Abbildung 4.6) [4]. Je nach Mineral bzw. Herkunft können auch noch andere Metallionen eingebaut sein. Diese Dreierschichten bilden die Elementarschichten (Primärplättchen) der Smektite; diese Primärplättchen sind wiederum schichtförmig übereinandergestapelt. Da die Elementarschichten negative Ladungen haben, müssen diese durch Kationen zwischen den Elementarschichten kompensiert sein (Abbildung 4.7). Eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme wird später in Abbildung 4.25 unten am Beispiel eines organisch modifizierten Schichtsilicats gezeigt werden. Zwei technisch wichtige Smektite sind der Montmorillonit und der Hectorit. Beim Montmorillonit ist Magnesiumoxid in die Oktaederschicht eingebaut [4]: [(Al3,34Mg0,66)Si8O20(OH)4]Na0,66 Die negativen Ladungen werden durch (austauschbare) Natriumionen ausgeglichen. Ungefähre Größe der nanopartikularen Primärplättchen: Ø 10 bis 100 nm; Dicke ca. 1 nm. Montmorillonit (schwankende Zusammensetzung) wird in der Natur praktisch nicht in reiner Form angetroffen, sondern meistens vermischt mit anderen Mineralen. Darüber hinaus findet man neben Natriumionen häufig auch Calciumionen oder Mischungen von beiden. Schichtsilicate mit hohem Montmorillonit-Gehalt werden als Bentonite bezeichnet. Beim Hectorit handelt es sich um ein Magnesiumschichtsilicat mit Lithium- und Fluoridionen: [(Mg5,34Li0,66)Si8O20(OH)3F]Na0,66 Abbildung 4.7: Aufbau von Smektite

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Rheologisch wirksame Additive Ungefähre Größe der Primärplättchen von natürlichen Hectoriten: Länge 300 nm, Breite 50 nm, Dicke 1 nm. Es gibt zwei unterschiedlich hergestellte Typen von Schichtsilicaten und zwar gereinigte Naturprodukte (ggf. chemisch modifiziert) und vollsynthetische. Vollsynthetische Schichtsilicate sind nanopartikular und bilden mit Wasser völlig klare Dispersionen (ungefähre Größe der Primärplättchen 40 ∙ 10 ∙ 1  nm; spez. Oberfläche ca. 370 m2/g nach BET). Bei allen Schichtsilicaten muss eine gewisse glanzvermindernde (mattierende) Wirkung in Kauf genommen werden; diese ist umso geringer, je feinteiliger die Schichtsilicate sind. Dispergierung von Schichtsilicaten Beim Dispergieren von Schichtsilicaten in Wasser werden aus den Stapeln von Primärplättchen die austauschbaren Kationen herausgelöst. Dadurch stoßen sich die negativ geladenen Primärplättchen gegenseitig ab und es entsteht eine feinteilige elektrostatisch stabilisierte Dispersion (Sol) [5]; siehe Abbildung 4.8. Abbildung 4.8: Wässrige SchichtsilicatDispersionen (zweidimensionale, stark verein­ fachte Darstellung)

Abbildung 4.9: Grob schematische Darstel­ lung der Primärplättchen von Smektiten (Ele­ mentarschichten)

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Gelbildung von Schichtsilicaten Die Primärplättchen eines Sols haben auf ihren Flächen starke negative Ladungen, die Kanten mit ihren Oberflächenhydroxygruppen (Abbildung 4.9) dagegen sind relativ dazu positiv geladen (die Gesamtladung eines Plättchens ist natürlich negativ) [4]. Durch eine elektrostatische Anziehung kann es bei konzentrierten Solen (in der Ruhe) zu einer Wechselwirkung Kante-Fläche kommen, die zu einer sog. KartenhausStruktur (Abbildung 4.10) führt und thixotrope Gele häufig mit einer Fließgrenze liefert. Diese Gelbildung bricht unter Scherbeanspruchung (z.B. Rühren, Spritzen) leicht zusammen, baut sich aber beim Ste-

Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben hen leicht wieder auf; der Sol-Gel-Übergang ist reversibel. Abbildung 4.10 zeigt deutlich, dass man eine optimale Gelstruktur nur dann erhält, wenn das Schichtsilicatsol möglichst bis zum Primärplättchen dispergiert worden ist. Schichtsilicatsole können schon bei recht niedrigen Konzentrationen (je nach Type schon ab 2 %) Gele bilden. Um höher konzentrierte Schichtsilicatsole als stabile, fließfähige Zwischenprodukte herstellen zu können, werden manchmal sog. Peptisatoren zugesetzt. Als Peptisatoren werden hier häufig polyanionische Dispergieradditive wie Tetranatriumpyrophosphat (Na4P2O7) verwendet; dann sind Dispersionen mit bis zu 10 % möglich. Durch die Adsorption von Pyrophosphat-Tetraanionen an den Plättchenkanten werden diese negativ aufgeladen und von den ebenfalls negativen Plättchenflächen abgestoßen ( elektrostatische Stabilisierung). Bei der Zugabe von Pigmenten oder Füllstoffen zu dem peptisierten Schichtsilicatsol wird das Pyrophosphat über Adsorptions-Desorptionsgleichgewichte auch von diesen adsorbiert und die in der Beschichtungszusammensetzung erwünschte reversible Gelbildung kann (zeitverzögert) eintreten [5]. Der Einsatz von so peptisierten Schichtsilicat-Typen erfolgt in Dispersionsfarben. Darüber hinaus können höher konzentrierte Schichtsilicatsole auch durch Zusatz bestimmter wasserlöslicher Oligomerer wie z.B. Polypropylenglykol (Molmasse ca. 900) erhalten werden [6]. Das Gewichtsverhältnis von Polypropylenglykol zu Schichtsilicat ist etwa 1 : 1. Diese nichtionischen Polypropylenglykole haben gegenüber Tetranatriumpyrophosphat den Vorteil, dass kein zusätzlicher Elektrolyt in die Beschichtungszusammensetzung eingeschleppt wird; dadurch können solche Schichtsilicatsole auch in hochwertigen, feuchtigkeitsbeständigen Industrieeinbrennlacken als rheologisches Additiv eingesetzt werden [6]. Schichtsilicatsole sind wie alle elektrostatisch stabilisierten Dispersionen empfindlich gegenüber mehrwertigen Kationen wie z.B. Ca2+ oder Al3+, Fe3+ die diese Sole meist irreversibel flockulieren (Kapitel 1.2.1).

Abbildung 4.10: Gelbildung von Schichtsilicat-Dispersionen

71

Rheologisch wirksame Additive

4.1.2 Pyrogene Kieselsäuren Herstellung und Oberflächenbehandlung von pyrogene Kieselsäure wurde bereits in Kapitel 1.4.4 beschrieben. Feinteiligere pyrogene Kieselsäuren sind wegen der größeren Oberfläche rheologisch wirksamer als gröbere. Die Oberfläche von pyrogener Kieselsäure hat 3,5 bis 4,5 Silanolgruppen pro nm2 und damit etwas weniger als theoretisch möglich (ca. 8); vgl. Abbildung 4.11. Pyrogene Kieselsäure reagiert leicht sauer (isoelektrischer Punkt bei 5; vgl. Kapitel 1.2.1); der pH-Wert einer 4 %igen wässrigen Dispersion liegt bei etwa 4. D.h. in wässrigen Lacken (pH 8 bis 9) trägt pyrogene Kieselsäure eine negative Oberflächenladung (Abbildung 4.11). In der Nähe des isoelektrischen Punktes (pH 4 bis 7) zeigen wässrige Kieselsäuredispersionen ein Maximum der Viskosität. Es kommt zu einer Netzwerkbildung der ungeladen oder nur schwach geladenen Kieselsäureteilchen, die man auch als eine Art kontrollierten Flockulation bezeichnen könnte. Grund hierfür ist eine mangelhafte elektrostatische Stabilisierung. Diese Gelbildung ist reversibel man kann diese durch Scherung (z.B. Rühren) vorübergehend wieder verflüssigen (Solbildung). Wird das wässrige Dispersionsmittel stärker alkalisch nimmt die rheologische Wirksamkeit von pyrogener Kieselsäure ab und geht bei pH-Werten von ca. 11 gegen Null (vollständige elektrostatische Stabilisierung des Sols). Im hier interessierenden pH-Bereich von 8 bis 9 ist die rheologische Wirkung allerdings noch als gut zu bezeichnen. Allgemein ist Wasser kein optimales Einsatzmedium für pyrogene Kieselsäuren, da das stark polare Wasser die hydrophile Kieselsäure vollständig solvatisiert und damit keine Wasserstoffbrücken zwischen den einzelnen Kieselsäureteilchen möglich sind. Aus diesem Grund sind hydrophobe pyrogene Kieselsäuren (ca. 70 % der Silanolgruppen silyliert; vgl. Kapitel 1.4.4) in alkalisch wässrigen Lackmedien häufig wirkungsvoller, auch wegen ihrer geringeren Oberflächenladung. Man muss auch beachten, dass bestimmte Lackbestandteile (z.B. nichtionische Netzmittel) die rheologische WirAbbildung 4.11: Oberflächenladung von pyrogener kung von wässrigen KieselsäuredisKieselsäure (keine maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung) persionen ändern können.

72

Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben

4.1.3

Polymere Rheologieadditive

Bei der Gruppe von rheologischen Additiven auf Acrylat- und Polyurethanbasis ist deren Wechselwirkung mit anderen Bestandteilen (z.B. Pigmente, Füllstoffe, Netz- und Dispergiermittel) der wässrigen Beschichtungszusammensetzung zu beachten. Dabei kann eine Wirkungsverstärkung (Synergismus) aber auch eine Wirkungsabschwächung (Antagonismus) auftreten [7]. Bei synthetischen polymeren Rheologieadditiven unterscheidet man zwei verschiedene Typen nach ihren Wirkungsmechanismen: –– Flüssigphasenverdicker (keine assoziative Wirkung) –– ASE : Alkali Soluble/Swellable Emulsion (alkalisch lösliche/quellbare Emulsion oder Dispersion) –– bestimmte Celluloseether –– Assoziativ wirkende Rheologieadditive –– HASE : Hydrophobically Modified Anionic Soluble Emulsion (hydrophob modifizierte anionisch lösliche Emulsion oder Dispersion) –– HEUR : Hydrophobically Modified Ethylene Oxide Urethane Rheology Modifiers (hydrophob modifizierte Ethylenoxid-Urethan-Rheologieadditiv) Die Grenzen zwischen beiden Typen können aber rezepturabhängig fließend, d.h. unscharf sein. Im Folgenden werden die Rheologieadditive nach ihrem chemischen Aufbau besprochen.

4.1.3.1

Acrylate

Bei rheologischen Additiven auf Acrylatbasis unterscheidet man zwischen hochmolekularen Acrylatcopolymeren mit hoher Säurezahl (ASE) und hydrophob modifizierten Acrylatcopolymeren (HASE), wobei die Grenzen zwischen beiden Gruppen unscharf sind (Abbildung 4.12).

Abbildung 4.12: Acrylatcopolymere als rheologisch wirksame Additive

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Rheologisch wirksame Additive Rheologisch wirksame Additive auf Acrylatbasis (ASE und HASE) werden meistens in Form einer niedrigviskosen, leicht einzuarbeitenden Emulsion bzw. Dispersion angeboten. In dieser Lieferform sind die Acrylatcopolymere unterneutralisiert, nicht wasserlöslich und damit nicht rheologisch aktiv, da die Viskosität von Polymeremulsionen bzw. -dispersionen unabhängig von der Molmasse der Polymere ist. Erst durch vollständige Neutralisation der Carboxylgruppen (pH 8 bis 9  vollständige Dissoziation zu anionischen Carboxylatgruppen) quellen die Makromoleküle unter Volumenvergrößerung oder gehen in Lösung. Dabei werden die Molekülketten durch die elektrostatische Abstoßung der nun negativ geladenen Carboxylatgruppen aufgeweitet und man erhält hochmolekulare Polyelektrolyte. Erst jetzt können die Acrylatcopolymere rheologisch wirksam werden. Acrylate des ASE-Typs quellen nach vollständiger Neutralisation in Wasser auf oder gehen in Lösung, was die Viskosität stark erhöht (Abbildung 4.13). Die verdickende Wirkung wird hauptsächlich durch die hohe Molmasse der wasserlöslichen Acrylate (ASE) verursacht. Dabei wird Wasser als Hydradationswasser gebunden und es treten intermolekulare Wasserstoffbrücken zwischen den Makromolekülen auf; auch eine (reversible) Verknäuelung von Molekülketten spielt eine Rolle. D.h. Acrylate des ASE-Typs erhöhen im Idealfall nur die Viskosität der Wasserphase. Allerdings haben hochmolekulare Acrylatcopolymere mit hoher Säurezahl (wie z.B. ASE) eine mehr oder weniger ausgeprägte Affinität zur Metalloxidoberflächen wie z.B. anorganischen Pigmenten und Füllstoffen; darauf beruht auch die Dispergiermittelwirkung von niedrigmolekularen Polyacrylsäuren (Kapitel 1.3.1). Hochmolekulare Acrylatcopolymere mit hoher Säurezahl (wie z.B. ASE) können in Bezug auf die Stabilität von wässrigen Pigment- bzw. Füllstoffdispersionen die gegenteilige Wirkung haben wie niedrigmolekulare Typen; d.h. sie können insbesondere in niedriger Konzentration flockulierend wirken (Überbrückungsflockung in Kapitel 1.2.2). Dies kann nach Angaben der Hersteller bei Acrylaten des ASE-Typs eigentlich nicht eintreten, aber es sollte bedacht werden. Auf dieser potentiell flockulierenden Wirkung beruht auch die technische Anwendung von (anderen) hochmolekularen Acrylatcopolymeren mit hoher Säurezahl als Flockungsmittel bei der Abwasseraufbereitung. D.h. die verdickende/ rheologische Wirkung von Acrylaten kann Abbildung 4.13: Qualitative Darstellung der auch durch Art und Menge der Pigmente Abhängigkeit der Viskosität eines Acrylatver­ bzw. Füllstoffe beeinflusst werden. dickers vom pH-Wert

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Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben Diese Abhängigkeit der rheologischen Wirkung von der Art und Menge der Pigmente bzw. Füllstoffe und der als Bindemittel verwendeten Polymerdispersion gilt insbesondere für die hydrophob modifizierten Acrylatcopolymere (HASE). Acrylate des HASE-Typs vereinigen die Wirkmechanismen der ASE- und der HEUR-Typen (siehe Kapitel 4.1.3.2). Die Besonderheiten von hydrophob modifizierten, wasserlöslichen Polymeren werden im nächsten Abschnitt bei den hydrophob modifizierten Ethylenoxid-Urethanen (HEUR) beschrieben werden. Acrylatcopolymere können nicht nur in Dispersionslacken und -farben sondern auch teilweise in hochwertigen Einbrennlacken eingesetzt werden. Beim Einbrennen werden Ammoniumsalze der Acrylate thermisch gespalten und die Hydrophilie des Acrylats im festen Lackfilm verringert:

Pol-COO-

4.1.3.2

HNR3 

+

Pol-COOH + NR3

Hydrophob modifizierte Ethylenoxid-Urethane (HEUR)

„Polyurethane“ oder „PUR-Verdicker“ sind unklare Begriffe für diese Gruppe von rheologisch wirksamen Additiven; es handelt sich um hydrophob modifizierte EthylenoxidUrethane (HEUR) [8]. Die Molmassen sind relativ niedrig und liegen zwischen 10.000 und 50.000. Im Gegensatz zu den Acrylaten handelt es sich hierbei um nichtionische wasserlösliche Copolymere; d.h. die Hydrophilie der HEUR-Additive bleibt auch im getrockneten Lackfilm mehr oder weniger erhalten. Die Urethangruppen dienen zur einfachen Verknüpfung der hydrophilen und hydrophoben Molekülsegmente (Abbildung 4.14). Rheologisch wirksame HEUR-Additive sind

Abbildung 4.14: Lineares hydrophob modifiziertes Ethylenoxid-Urethan (HEUR); vereinfachte, nicht maßstabsgerechte Darstellung

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Rheologisch wirksame Additive amphiphile Blockcopolymere; die Polyethylenoxidkette ist hydrophil, während die endständigen Alkylgruppen (z.B. Oleyl, Stearyl, Dodecylphenol, Nonylphenol) hydrophob sind. Aus diesem amphiphilen Aufbau resultiert eine gewisse Oberflächen- und Grenzflächenaktivität. Hydrophob modifizierte Ethylenoxid-Urethane können auch verzweigt sein (Abbildung 4.15).

Abbildung 4.15: Verzweigtes hydrophob modifiziertes Ethylenoxid-Urethan (HEUR); keine maß­ stabsgerechte, vereinfachte Darstellung

Abbildung 4.16: Assoziation (Netzwerkbildung) von HEUR-Additiven; keine maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung

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Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben Rheologische Wirkung von HEUR-Additiven 1. Erhöhung der Viskosität durch Lösen des polymeren HEUR-Additivs (Bindung von Wasser durch Polyethylenoxidkette). 2. Es erfolgt eine Assoziation der endständigen hydrophoben Alkylketten vergleichbar mit der Micellbildung von Tensiden (Abbildung 4.16); durch diese Assoziation wird reversibel ein dreidimensionales Netzwerk aufgebaut, was für die rheologische Wirkung verantwortlich ist. 3. Darüber hinaus erfolgt eine Assoziation der endständigen hydrophoben Alkylketten mit den Oberflächen von Polymerdispersionsteilchen (Dispersionsfarben) und anderen hydrophoben Partikeln (Abbildung 4.17). Diese Wechselwirkung wird als sehr wichtig für den Aufbau rheologisch wirksamer Strukturen angesehen; sie hängt allerdings stark von der verwendeten Polymerdispersion ab. Wechselwirkung von HEUR-Additiven mit anderen Lackbestandteilen 1. Niedrigmolekulare Netzmittel bzw. Tenside (Kapitel 1.3.2) stehen in direkter Konkurrenz mit den endständigen hydrophoben Alkylketten der HEUR-Additive und können die rheologischen Eigenschaften einer Beschichtungszusammensetzung entscheidend beeinflussen. Es muss berücksichtigt werden, dass über die (Primär-)Polymerdispersion auch amphiphile Substanzen eingeschleppt werden können (Emulgatoren der Emulsionspolymerisation).

Abbildung 4.17: Assoziation von HEUR-Additiven mit Polymerdispersionsteilchen; keine maß­ stabsgerechte, vereinfachte Darstellung

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Rheologisch wirksame Additive Tabelle 4.1: Wasserlöslichkeit von Filmbildehilfsmitteln (Kapitel 10) bzw. Colösemitteln Substanz 2,2,4-Trimethyl-1,3-pentandiol-1-isobutyrat Butyldiglykolacetat Butylglykol Butyldiglykol

Abkürzung

Wasserlöslichkeit (RT)

„Texanol“

0,05 Gew.-%

BDGA BG BDG

6,5 Gew.-% unbegrenzt unbegrenzt

Abbildung 4.18: Einfluss von Colöse- und Filmbildehilfs­ mitteln auf eine mit HEUR-Additiven verdickte Styrol-Ac­ rylat-Dispersion (qualitative Darstellung)

2.    Wasserlösliche organische Colösemittel reduzieren die Grenzflächenspannung des Wassers und beeinträchtigen damit die Micellbildung (vgl. Netzmittel). Dies führt zu einer Abnahme der Viskosität bei niedriger Scherrate. 3.    Wasserunlösliche Bestandteile wie z.B. Entschäumer (Kapitel 3) oder Filmbildehilfsmittel (Kapitel 10) werden in den Micellen solubilisiert und können die Viskosität erhöhen [9].

Abbildung 4.19: Einfluss von Filmbilde­hilfsmitteln auf die Viskosität von Dispersionsfarben mit zwei unter­ schiedlichen HEUR-Additiven

Den Einfluss von Filmbildehilfsmitteln und Colösemitteln [10] (Zusatz je 3,0  Gew.-Teile; siehe Tabelle 4.1) auf eine mit HEURAdditiven verdickte Styrol-Acrylat-Dispersion zeigt Abbildung 4.18 (Viskosität bei niedriger Scherrate). Man kann deutlich erkennen, dass das weitgehend wasserunlösliche „Texanol“ die Dispersion verdickt und das nur schwach wasserlösliche Butyldiglykolacetat trotz „Verdünnung“ die Viskosität nicht erniedrigt. Die vollständig wasserlöslichen

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Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben Colösemittel (Butylglykol und Butyldiglykol) senken erwartungsgemäß die Viskosität (Abbildung 4.15). Diese Ergebnisse an reinen Polymerdispersionen (Abbildung 4.18) lassen sich auf formulierte Dispersionsfarben übertragen, wie ein Versuch im Labor zeigte (Abbildung 4.19). Modell-Formulierungsleitline einer Dispersionsfarbe für Fassaden [10] –– Pigmentierungshöhe P/B = 4 : 1 –– Pigment: Titandioxid und Füllstoffe –– Bindemittel: Feinteilige Styrol-Acrylat-Dispersion (z.B. „Acronal“ 290 D) –– Zusatz Filmbildehilfsmittel (Kapitel 10): 4,0 Gew.-Teile –– Zwei HEUR-Additive („Rheolate“-Typen, Zusatz je 1,0 Gew.-Teil, Lieferform) –– Weitere Additive wie Entschäumer, Dispergiermittel usw. Auch hier fällt mit zunehmender Wasserlöslichkeit des Filmbildehilfsmittels (Tabelle 4.1) die Viskosität (bei niedriger Scherrate). Die rheologischen Messungen (Abbildung 4.19) korrelierten mit der praktischen Verarbeitbarkeit der Dispersionsfarben mit der Lammfellrolle; die mit „Texanol“ waren am besten, die mit Butyldiglykol am schlechtesten zu verarbeiten. Nach der Herstellung einer Beschichtungszusammensetzung mit HEUR-Additiven sollte diese mindestens über Nacht „reifen“, da die Netzwerkstrukturen einige Zeit brauchen, um sich vollständig aufzubauen. Eine Nacht „Reifezeit“ sollte man eigentlich jedem Lack oder Dispersionsfarbe gönnen. Weitere Vorteile von HEUR-Additiven sind die Biostabilität und ein guter Verlauf. Insbesondere in Dispersionslacken [10], die gut verlaufen sollen, sind HEUR-Additive von Vorteil.

4.1.3.3

Polysaccharide

Celluloseether Cellulose ist ein lineares, wasserunlösliches, aus β-1,4-verknüpften D-Glucose-Einheiten bestehendes Biopolymer (Molmasse 50.000 bis 500.000), das z.B. aus Holz gewonnen wird (Abbildung 4.20). Cellulose ist wegen starker intermolekularer Wasserstoffbrückenbin-

Abbildung 4.20: Cellulose

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Rheologisch wirksame Additive Tabelle 4.2: Substitutionsgrad von Celluloseethern für die Anwendung in Dispersionsfarben Celluloseether Methylcellulose Carboxymethylcellulose Hydroxyethylcellulose

Abkürzung MC CMC HEC

Substitutionsgrad (DS) 1,5 bis 2 0,5 bis 1 >2

dungen wasserunlöslich. In ca. 20 %iger Natronlauge wird Cellulose durch Salzbildung wasserquellbar und kann chemisch umgesetzt werden. Durch chemische Modifizierung (polymeranaloge Umsetzung) von in Natronlauge gequollener Cellulose erhält man Derivate (Tabelle 4.2 und Abbildung 4.21). Bei diesen Derivaten sind die intermolekulareren Wasserstoffbrückenbindungen durch die Substituenten sterisch gehindert und damit wird die Wasserlöslichkeit erreicht. Maximal können drei Hydroxygruppen pro Glucoseeinheit reagieren, d.h. der maximale Substitutionsgrad ist DS = 3. Bei der Umsetzung mit Ethylenoxid zur Hydroxyethylcellulose (HEC) kann die Additionsreaktion des Ethylenoxids auch in der hydroxygruppenhaltigen Seitenkette weitergehen, womit DS-Werte >3 möglich werden. Daher muss bei Hydroxyethylcellulose zusätzlich ein molarer Substitutionsgrad (MS) eingeführt werden (Abbildung 4.22). Darüber hinaus gibt es noch Hydroxypropylcellulose (HPC; Umsetzung mit Propylenoxid) und gemischt veretherte Typen, wie z.B. Methylhydroxypropylcellulose (MHPC), Methylhydroxyethylcellulose (MHEC) und Ethylhydroxyethylcellulose (EHEC). Auch eine hydrophob substituierte Hydroxyethylcellulose (hm HEC) ist erhältlich (assoziativ verdickende Wirkung ähnlich HEUR). Die am Markt erhältlichen verschiedenen Celluloseether unterscheiden sich im Substitutionsgrad und der Molmasse (Viskosität). Sie verleihen Dispersionsfarben ein mehr oder weniger ausgeprägtes strukturviskoses Fließverhalten; die Struk-

Abbildung 4.21: Wichtige Celluloseether (vereinfachte Darstellung)

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Rheologieadditive für wässrige Lacke bzw. Dispersionsfarben turviskosität nimmt mit steigender Molmasse der Celluloseether zu. Zu beachten sind auch mögliche Synergismen der rheologischen Wirkung bei der Kombination von verschiedenen Celluloseethern (z.B. 1:1-Mischung von NaCMC mit HEC). Die rheologische bzw. verdickende Wirkung wird hauptsächlich durch die hohe Molmasse der wasserlöslichen Cellusoseether verursacht. Dabei wird Wasser als Hydratationswasser gebunden und es treten intermolekulare Wasserstoffbrücken zwischen den Makromolekülen auf. Hierbei spielt auch eine (reversible) Verknäuelung von Molekülketten eine Rolle. Bei nichtionischen Cellulosethern wie HEC oder MHEC ist die verdickende Wirkung in erster Näherung unabhängig vom pH-Wert. Dagegen nimmt die verdickende Wirkung der anionischen Carboxymethylcellulose (CMC) mit steigendem pH-Wert zu und erreicht etwa bei pH 8 den Maximalwert (vollständige Dissoziation der Carboxygruppen). Celluloseether haben ein breites Eigenschaftsspektrum: –– Immobilisierung von Wasser durch Quellstrukturen –– Rheologische Wirkung auch in stark alkalischen Medien –– Wasserretention –– Wechselwirkung mit Feststoffteilchen durch Adsorption (Dispergiermittelwirkung) –– Stabilisierung von Pigment- bzw. Füllstoffdispersionen –– Bindemittelwirkung (in Einzelfällen) Vorteile von Celluloseethern: + nachwachsende Rohstoffe (chemisch modifiziert) + universell in Dispersionsfarben einsetzbar Nachteile: –N  ährboden für Bakterien oder Pilze (Fungizide bzw. Biozide erforderlich) – Wasserquellbarkeit der getrockneten Filme Als Kennzahl wird nicht die Molmasse der Celluloseether sondern die Viskosität [mPa·s] einer 2 %igen Lösung in Wasser angegeben; diese kann bis etwa 100.000 gehen. Die Zusatzmengen für Celluloseether in Dispersions- bzw. Dispersionssilicatfarben liegen in der Größenordnung von 0,2 % (bezogen auf Gesamtrezeptur). Celluloseether können auch mit Schichtsilicaten oder HEUR-Additiven kombiniert werden.

Abbildung 4.22: Idealisierte Struktur von Hydroxyethylcellulose (HEC) mit DS = 1,5 und MS = 2,5

81

Rheologisch wirksame Additive Xanthan Im Gegensatz zu Cellulose besteht Stärke zu ca. 80 % aus dem verzweigten, wasserquellbaren Amylopektin (Molmasse >300.000) sowie zu ca. 20 % aus der linearen, wasserlöslichen Amylose (Molmasse 50.000 bis 150.000); beide bestehen hauptsächlich aus α-glykosidisch verknüpften D-Glucose-Einheiten. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Cellulose (β) und Stärke (α) ist die Art der Verknüpfung zwischen den einzelnen D-GlucoseEinheiten. Ein biotechnologisch gewonnenes Fermentationsprodukt der Stärke ist das verzweigte, carboxygruppenhaltige Polysaccharid Xanthan (Molmasse ca. 2 · 106), auch Xanthan Gum genannt. Wässrige Lösungen von Xanthan sind deutlich stärker strukturviskos als solche von Celluloseethern. Xanthan zeigt in 1:1-Mischung mit Hydroxyethylcellulose (HEC) eine synergistische Wirkung. Die verdickende Wirkung von Xanthan nimmt mit steigendem pH-Wert zu (stärker als bei CMC) und erreicht etwa bei pH  9 den Maximalwert (Dissoziation der Carboxygruppen). Der Hauptnachteil von Xanthan ist der verglichen mit Celluloseethern höhere Preis. Xanthan wird in Dispersions- und Dispersionssilicatfarben (Zusatzmenge ca. 0,2 % bezogen auf Gesamtrezeptur) eingesetzt. In Einzelfällen wird Xanthan auch in hochwertigen Industrie-Einbrennlacken eingesetzt, entweder alleine [12, 13] oder in Kombination mit Schichtsilicaten [14]. Darüber hinaus wird Xanthan auch in der Lebensmittelindustrie als Verdickungsmittel verwendet (z.B. in Pudding) und kann damit als toxikologisch unbedenklich angesehen werden.

Abbildung 4.23: Quartäre Ammoniumionen für die organische Modifizierung von Schichtsilicaten

82

Rheologieadditive für lösemittelhaltige Lacke

4.2 Rheologieadditive für lösemittelhaltige Lacke 4.2.1

Organoschichtsilicate

Unmodifizierte hydrophile Schichtsilicate wurden in Kapitel 4.1.1 beschrieben. Die auf den Flächen der Primärplättchen von Schichtsilicaten adsorbierten Metallkationen (meist Natriumionen) lassen sich gegen andere Kationen austauschen. Der Ionenaustausch erfolgt im wässrigen Medium bei Bentonit und Hectorit in 24 Stunden quantitativ (stark vereinfachte Formelgleichung):

[R4N+ Cl-]   +   [Na+ Schichtsilicat-]      [R4N+ Schichtsilicat-]   +   NaCl

Für die lacktechnische Praxis haben sich organische quartäre Ammoniumionen bewährt, bei denen mindestens eine Alkylgruppe langkettig sein muss (minimal C12, Abbildung 4.23); auf diese Weise werden aus hydrophilen Schichtsilicaten hydrophobe Organoschichtsilicate (Abbildung 4.24). Durch die Adsorption der langkettigen Ammoniumionen wird der Abstand der Primärplättchen in den Stapeln von ursprünglich 1 bis 1,5 nm auf 1,7 bis 2,5 nm aufgeweitet (vgl. Abbildung 4.7 oben). Im Kristall (Plättchenstapel) sind die langkettigen Alkygruppen der adsorbierten Ammoniumionen regelmäßig angeordnet. Die langkettigen Alkygruppen hydrophobieren die Flächen der Primärplättchen und machen sie organophil. Es liegt aber keine sterische Stabilisierung vor; dafür sind die Alkylgruppen zu kurz (für eine sterische Stabilisierung wären 10 nm erforderlich; siehe Kapitel 1.2.2).

Abbildung 4.24: Schematische Darstellung der Primärplättchen von Organo­schichtsilicaten

Abbildung 4.25: Rasterelektronenmikrosko­ pische Aufnahme einer leicht dispergierbaren „Bentone“-Type

83

Rheologisch wirksame Additive Bei Organoschichtsilicaten für Lacke unterscheidet man zwischen Standard-Typen (z.B. „Bentone“ 27, 34, 38) und leicht dispergierbaren Typen (z.B. „Bentone“ SD 1 bis SD 3). Abbildung 4.25 zeigt eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer leicht dispergierbaren Type („Bentone“ SD 1); die Plättchenstuktur ist deutlich zu erkennen. Die Standard-Typen brauchen zur vollständigen Dispergierung einen polaren Aktivator, z.B. Ethanol/Wasser (95/5): Zugabemenge 50 % bezogen auf Organoschichtsilicat. Dieser Aktivator (z.B. Ethanol) diffundiert zwischen die gestapelten Primärplättchen und weitet deren Abstand durch Quellung auf. Dadurch können die Plättchenstapel (im Idealfall) zu Primärplättchen dispergiert werden. Die durch den Aktivator eingebrachte geringe Menge an Wasser wird an den Hydroxylgruppen der Plättchenkanten adsorbiert und ist von enscheidender Bedeutung für die Gelbildung von Organoschichtsilicatdispersionen in organischen Lösemitteln (Abbildung 4.26); es sind mindestens 3 % Wasser bezogen auf Organoschichtsilicat notwendig. Dabei ist zu bemerken, dass technische organische Lösemittel meist einige Zehntel Prozent Wasser als Verunreinigung enthalten. Die Wasserstoffbrücken verbinden die einzelnen Plättchenkanten zu einem dreidimensionalen Netzwerk, d.h. zu einer rheologisch wirksamen, reversiblen Gelstruktur (Abbildung 4.26). Die Standard-Organoschichtsilicat-Typen können auf zwei Arten in einen Lack eingearbeitet werden. Herstellung einer Stammpaste (Zwischenprodukt): 1. 87 Gew.-Teile Lösemittel vorlegen 2. 10 Gew.-Teile Organoschichtsilicat einrühren/10 min dispergieren (Dissolver) 3. 3 Gew.-Teile Aktivator zugeben/5 bis 10 min dispergieren (Dissolver) Bei der Lackherstellung wird die Stammpaste vor den Pigmenten ins Mahlgut gegeben. Alternativ kann das Organoschichtsilicat auch direkt im Mahlgut dispergiert werden:

Abbildung 4.26: Schematische Darstellung der Gelbildung von Organoschichtsilicaten (nicht maßstabsgerecht)

84

Rheologieadditive für lösemittelhaltige Lacke 1. Lösemittel und Bindemittel vorlegen 2. Organoschichtsilicat einrühren/10 min dispergieren (Dissolver) 3. Aktivator zugeben/5 bis 10 min dispergieren (Dissolver) 4. Ggf. Netzmittel zugeben 5. Pigment einrühren und dispergieren 6. Auflacken Je nach Lacktyp sind Verfahrensvarianten möglich. Die leicht dispergierbaren Organoschichtsilicat-Typen können direkt als Pulver (nach dem zweiten Verfahren) ins Mahlgut gegeben werden, wobei hier die Zugabe des Aktivators entfällt. Für den Aufbau der Gelstruktur ist auch bei den leicht dispergierbaren Organoschichtsilicat-Typen eine geringe Menge Wasser erforderlich; das notwendige Wasser ist in der Regel als Verunreinigung in technischen organischen Lösemitteln enthalten. Mit den leicht dispergierbaren Typen ist auch eine nachträgliche Korrektur eines Lackansatzes möglich. Dabei wird die zusätzliche Menge Organoschichtsilicat in einer Teilmenge des Lackansatzes mit dem Dissolver dispergiert und danach zur restlichen Charge zugegeben und homogenisiert. Organoschichtsilicate entfalten ihre rheologische Wirkung insbesondere bei niedriger Scherrate; sie verhindern bzw. verlangsamen das Absetzen von Pigmenten bzw. Füllstoffen und das Ablaufen eines frisch applizierten Lacks an senkrechten Flächen. Der Verlauf einer Beschichtung wird dagegen verschlechtert. Hier muss bei der Formulierung ein Kompromiss gesucht werden. Die Zugabemengen für Organoschichtsilicate (als Pulver) betragen 0,2 bis 1 % (bezogen auf Gesamtrezeptur); Anwendung in Industrie- und Malerlacken, sowie Korrosionsschutzanstrichen. Nicht jeder Organoschichtsilicat-Typ ist für jeden Lack geeignet.

Abbildung 4.27: Oberfläche von (unmodifizierter, hydrophiler) pyrogener Kieselsäure

85

Rheologisch wirksame Additive

4.2.2

Pyrogene Kieselsäuren

Bestimmte Aspekte pyrogener Kieselsäuren wurden in den Kapiteln 1.4.4 und 4.1.2 beschrieben. Auf der Oberfläche von pyrogener Kieselsäure liegen Siloxangruppen (O-Si-O), isolierte Silanolgruppen (Si-OH) und über Wasserstoffbrücken verbundene Silanolgruppen vor (Abbildung 4.27).

Abbildung 4.28: Netzwerk von pyrogener Kieselsäure (keine maßstabsgerechte, verein­ fachte Darstellung)

Abbildung 4.29: Netzwerk von pyrogener Kieselsäure bei Zusatz von Ethylenglykol (keine maßstabsgerechte, vereinfachte Darstellung)

Abbildung 4.30: In-situ-Herstellung eines rheologisch wirksamen Harnstoff-Additivs

86

Rheologieadditive für lösemittelhaltige Lacke Die Silanolgruppen an der Oberfläche sind für die rheologische Wirkung von pyrogener Kieselsäure in organischen Lösemitteln von entscheidender Bedeutung. In nicht oder nur wenig zu Wasserstoffbrückenbindungen neigenden (d.h. zumeist unpolaren) organischen Lösemitteln zeigt pyrogene Kieselsäure die höchste Wirksamkeit beim Aufbau rheologisch wirksamer Netzwerke. Der Grund dafür ist, dass sich hier durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den einzelnen Teilchen ein Netzwerk aufbauen kann (Abbildung 4.28); man könnte diesen Vorgang auch als eine Art von kontrollierter Flockulation bezeichnen. Auf der anderen Seite setzen zur Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen neigende Lackmedien die Fähigkeit von pyrogener Kieselsäure zur Netzwerksbildung herab. Hier konkurrieren Moleküle des Lackmediums mit den Silanolgruppen der pyrogenen Kieselsäure; daher braucht man in solchen Medien deutlich mehr pyrogene Kieselsäure, um die gewünschten rheologischen Eigenschaften einzustellen. Damit sind die Einsatzmenge und die Wirksamkeit von pyrogener Kieselsäure stark von den Bestandteilen des Lackes abhängig. Darüber hinaus können bestimmte Lackadditive einen großen Einfluss auf die rheologische Wirkung von pyrogener Kieselsäure haben. Beispielweise können in hochpolaren Systemen kationische Netzmittel die Wirkung von pyrogener Kieselsäure verbessern. In unpolaren Systemen ist eine weitere Steigerung der rheologischen Wirkung durch geringe Mengen (15 bis 25 % bezogen auf Kieselsäure) von kurzkettigen Molekülen mit mindestens zwei zur Wasserstoffbrückenbindung befähigten Gruppen möglich (z.B. mit Glykolen); siehe Abbildung 4.29. Bei der Lackherstellung wird pyrogene Kieselsäure am besten zusammen mit dem Pigment in das Mahlgut eingearbeitet; Zusatzmenge 0,5 bis 3 Gew.-Teile bezogen auf Gesamtrezeptur.

4.2.3 Rheologische Additive auf Harnstoffbasis Derartige Additive sind schon seit längerem bekannt [11]. Sie können durch chemische Reaktion von Aminen mit Diisocyanaten direkt (in-situ) in der entsprechenden Bindemittellösung hergestellt werden (Abbildung 4.30). Bei der Herstellung werden beispielsweise 2 mol Benzylamin im Bindemittel ge-

Abbildung 4.31: REM des kristallinen Harn­ stoffderivats aus Benzylamin und Hexamethy­ lendiisocyanat in Butylacetat hergestellt und danach getrocknet, Maßstabsbalken 2 µm

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Rheologisch wirksame Additive

Abbildung 4.32: Reaktionen von Harnstoffadditiven in Einbrennlacken auf MF-Basis

Abbildung 4.33: Neuartiges, leicht einarbeitbares Harnstoff-Derivat [15]; stark vereinfachte Dar­ stellung

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Rheologieadditive für lösemittelhaltige Lacke löst und 1 mol Hemethylendiisocyanat langsam, unter starkem Rühren (!) zugetropft. Der entsprechende Diharnstoff (Abbildung 4.30) bildet sich augenblicklich und fällt in sehr kleinen nadelförmigen, rheologisch wirksamen Kristallen aus [11]. Abbildung 4.31 zeigt eine eindrucksvolle rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von diesen Harnstoffkristallen. Die Wechselwirkung (Gelbildung) zwischen diesen Kristallen erfolgt über Wasserstoffbrückenbindungen. Das Vorliegen dieser sehr kleinen Harnstoffkristalle zeigt sich manchmal auch in einer Trübung des Bindemittels. Der Vorteil dieser Methode ist, dass das partikelförmige rheologische Harnstoffadditiv direkt nach der Synthese bereits optimal dispergiert im Bindemittel vorliegt. Der Nachteil ist, dass sich kleinere Lackhersteller u.U. schwer mit chemischen Synthesen in der Produktion tun. Ein weiter Vorteil dieser Harnstoffadditive ist, dass sie in Einbrennlacken nicht – wie die übrigen partikelförmigen rheologischen Additive – Glanz vermindernd wirken. In Melaminformaldehydharz-Einbrennlacken (MF) reagiert das Harnstoffadditiv beim Einbrennen mit dem Bindemittel (Abbildung 4.32), liegt danach nicht mehr als Partikel vor und vermindert damit nicht den Glanz der Beschichtung. Neue Harnstoff-Derivate Seit einigen Jahren gibt es flüssige, leicht einarbeitbare Harnstoffadditive: Byk-410, 411 u.a. Hierbei handelt es sich um Lösungen von Harnstoffderivaten in N-Methylpyrrolidon (NMP); mittlerweile gibt es auch schon NMP-freie Versionen. Abbildung 4.33 zeigt ein einem Patent [15] entnommenes Beispiel für ein solches neues, leicht einarbeitbares Harnstoff-Derivat. Beim Einrühren solcher Harnstofflösungen in Lacke fallen diese Additive unter Bildung sehr feiner nadelförmiger Kristalle aus, da diese Harnstoffderivate in den gängigen Lacklösemitteln unlöslich sind. Diese Harnstoffkristalle bauen dann – wie oben – dreidimensionale, rheologisch wirksame Netzwerke auf. Der Vorteil dieser neuen Typen ist, dass sie ohne chemische Reaktion in den Lack einarbeitbar sind; allerdings muss bei der Einarbeitung intensiv gerührt werden. Andernfalls können sich Stippen bilden. Abbildung 4.34 zeigt als Modellversuch ein liegendes (!) Glas mit einer Fällung von 5,4 % „Byk“ 410 in Xylol/Butanol = 4 : 1; man sieht im unteren Teil des Glases ein praktisch transparentes, standfestes Gel. Neuerdings gibt es solche Harnstoff-Derivate auch für Abbildung 4.34: Liegendes Glas mit einer Fällung von 5,4 % „Byk“ 410 in Xylol/Butanol = 4 : 1 wässrige Lacke (z.B. „Byk“ 420).

89

Rheologisch wirksame Additive

4.3 Rheologisch wirksame Additive in Einbrennlacken Bei der Applikation von Lacken an senkrechten Flächen kann es zum Ablaufen (Läuferbildung) kommen (vgl. Abbildung 4.4), beispielsweise durch Auftrag einer zu hohen Nassfilmdicke. Aber auch beim Einbrennen, insbesondere von High-Solid-Lacken mit niedrigmolekularen Bindemitteln, kann es dann erst im Ofen zur Läuferbildung kommen. Abbildung 4.35 macht den Versuch, dies zu veranschaulichen. Jeder lösemittelhaltige (und insbesondere wässrige) Einbrennlack muss vor dem Einbrennen abgelüftet werden, damit Lösemittel verdunsten können und Kocherblasen in Ofen vermieden werden; Abbildung 4.36 zeigt Kocherblasen. Bei industriellen Applikationsprozessen ist man natürlich bestrebt, die Dauer der Ablüftzeit zu minimieren. Abbildung 4.35 zeigt, dass der konventionelle Lack in der gut sechsminütigen Ablüftzeit Lösemittel verliert. Dies führt zu einem Ansteigen der Viskosität (die Viskosität ist logarithmisch aufgetragen). Im Ofen steigt die Temperatur des einzubrennenden beschichteten Objektes an, bis schließlich nach gut neun Minuten die Vernetzungstemperatur erreicht ist. In der Zeit von etwa sechs bis neun Minuten nach der Applikation laufen im Ofen zwei Vorgänge gleichzeitig ab:

Abbildung 4.35: Schematische Darstellung des Viskosi­ tätsverlaufs von lösemittelhaltigen Einbrennlacken nach der Applikation und während des Einbrennens (High-So­ lid-Lack ohne und mit rheologischem Additiv)

90

Abbildung 4.36: Kocherblasen in einer Einbrennbeschichtung

Literatur 1. Verdunstung von weiteren Lösemitteln ( Viskositätsanstieg) und 2. Erwärmung des Objektes, die die Viskosität der Beschichtung fallen lässt. Insgesamt dominiert der Viskositätsabfall durch Erwärmung (Abbildung 4.35). Nach Erreichen der Härtungstemperatur (etwa neun Minuten) steigt die Viskosität durch die einsetzende Vernetzungsreaktion schnell und stark an. Interessant wird es nun beim High-Solid-Einbrennlack; da dieser niedrigmolekularere, niedrigviskosere Bindemittel und damit weniger Lösemittel enthält, ist der Viskositätsanstieg während der Ablüftzeit geringer. Umso stärker ist der Viskositätsabfall anfangs im Ofen, dies kann zum Ablaufen an senkrechten Flächen führen, wenn eine kritische Viskosität (ηk) unterschritten wird (Abbildung 4.35). Dieses Unterschreiten der kritischen Viskosität (ηk) im Ofen kann man durch Zusatz von geeigneten rheologischen Additiven verhindern, wie die mittlere Kurve in Abbildung 4.35 deutlich zeigt.

4.4 Literatur [1] G. Meichsner, T. Mezger, J. Schröder, Lackeigenschaften messen und steuern/ Rheologie – Grenzflächen – Kolloide, Vincentz Network, Hannover, zweite Aufl., 2016 [2] G. Lagaly, R. Fahn, Ton und Tonminerale, Ullmann’s Encyklopädie der technischen Chemie, Verlag Chemie, Weinheim, 4. Aufl. (1983), Band 23, S. 311 ff [3] H. van Olphen, An Introduction to Clay Colloid Chemistry, 2. Aufl., Wiley, 1977 [4] J. Bieleman et al., Lackadditive, Wiley-VCH, Weinheim, 1998 [5] B. S. Neumann, K. G. Sansom, Farbe & Lack 81 (1975) S. 514 ff [6] R. Berg, B. Müller (BASF Lacke und Farben AG) DE-OS 37 07 388 A1, Chem. Abstr. 110, 25453 c (1989) [7] E. A. Johnson, Farbe & Lack 100 (1994) S. 759 ff [8] H. Reimann, B. Joos-Müller, K. Dirnberger, T. Schauer, C. D. Eisenbach, Farbe & Lack, 108 (2002) Nr. 5, S. 44–55; Nr. 8, S. 59–63 und Nr. 9, S. 91–97

[9] J. Müller, U. Thies, H. Kober, J. Mazanek, Farbe & Lack, 104 (1998) Nr. 7, S. 30–40 [10] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, vierte Auflage 2017 [11] C. A. M. Vijverberg, JOCCA, Nr. 7 (1988) S. 204–207 [12] B. Müller, E. Martin (BASF Lacke und Farben AG) EP 0 301 300 B1, Chem. Abstr. 111, 41442z (1989) [13] B. Müller, E. Martin (BASF Lacke und Farben AG) DE 38 32 142 C2, Chem. Abstr. 113, 154373n (1990) [14] B. Müller, E. Martin (BASF Lacke und Farben AG) EP 0 302 240 B1, Chem. Abstr. 110, 194743c (1989) [15] EP 1 188 779 A1 (Byk) veröffentlicht 2002

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5

Katalysatoren

Allgemein sind Katalysatoren Stoffe, die die Aktivierungsenergie zum Ablauf einer bestimmten chemischen Reaktion herabsetzen und dadurch die Reaktionsgeschwindigkeit erhöhen, ohne im Endprodukt der Reaktion zu erscheinen. Katalysatoren nehmen also an der chemischen Reaktion teil, bilden sich aber wieder zurück; d.h. sie verbrauchen sich nicht. Jede Härtung von Beschichtungen kann als chemische Reaktion katalysiert, d.h. beschleunigt werden, was in der Praxis von großer Bedeutung ist. Abbildung 5.1 macht den Versuch, die Zusammenhänge qualitativ darzustellen [10]. Dabei wird ein Reaktionsverlauf ohne Katalysator mit einem Verlauf unter Zusatz eines Katalysators verglichen. Man kann in Abbildung 5.1 erkennen, dass der Katalysatorzusatz die Aktivierungsenergie (EA) signifikant senkt und damit die Reaktionsgeschwindigkeit erhöht. Darüber hinaus ist deutlich zu sehen, dass bei den Reaktionsprodukten der Katalysator unverändert zurückgebildet wird; d.h. der Katalysator wird nicht verbraucht. Ein Katalysator greift so in den Reaktionsablauf ein, sodass die chemische Reaktion nach einem anderen Mechanismus verläuft (Abbildung 5.1).

Abbildung 5.1: Schematische Darstellung der Aktivierungsenergie (EA) ohne und mit Zusatz eines Katalysators (Kat.) Edukte: A + B, Zwischenprodukte, Produkt: A-B (blau); Übergangszustände (rot) Gesamtreaktion: A + B (+ Kat.)  A-B (+ Kat.) Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

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Katalysatoren

5.1 Sikkative Meistens wird die oxidative Härtung von Alkydharzen oder Ölen als oxidative Trocknung oder Lufttrocknung bezeichnet. Streng genommen ist das falsch [1]. Zur Verdeutlichung werden zwei Definitionen angeführt. Definition der Trocknung: Die Trocknung eines aufgetragenen Beschichtungsstoffs ist der Übergang vom flüssigen in den festen Zustand unter Abgabe von Lösemitteln (physikalische Trocknung). Definition der Härtung: Die Härtung von Beschichtungsstoffen ist der Übergang vom flüssigen in den festen Zustand unter Molmassenvergrößerung und Vernetzung durch chemische Reaktion. Der Begriff „oxidativ“ kennzeichnet klar eine chemische Reaktion, weshalb der Begriff Härtung angebracht ist. Die Bezeichnungen „Trockenstoffe“ oder „Trockner“ für Sikkative sind daher irreführend, sind jedoch so fest in der Lackterminologie etabliert, dass sie auch hier einige wenige Male verwendet werden müssen (dann aber in Anführungszeichen). Unter oxidativer Härtung versteht man eine durch das Diradikal Luftsauerstoff ausgelöste radikalische Vernetzungsreaktion von Bindemitteln, die mehrfach ungesättigte Fettsäureseitenketten haben (z.B. geeignete Alkydharze oder Öle). Der Mechanismus dieser Vernetzungsreaktion ist immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Im Idealfall führen diese Vernetzungsreaktionen zu dreidimensional vernetzten Lackfilmen. Im Allgemeinen verläuft die oxidative Härtung umso schneller, je mehr Doppelbindungen im Molekül vorhanden sind. Allerdings spielt auch die Art der Doppelbindungen (isoliert, konjugiert) eine wichtige Rolle [1]. Der erste Schritt der Vernetzungsreaktion ist eine Autoxidation einer aktivierten CH-Bindung einer ungesättigten Fettsäure durch Sauerstoff unter Bildung eines Hydroperoxids (Abbildung 5.2). Die Autoxidation erfolgt in Allylstellung zu Doppelbindungen und besonders leicht an Methylengruppen zwischen zwei Doppelbindungen bei sog. Isolenfettsäuren [1]; Verhältnis der entsprechenden Reaktionsgeschwindigkeiten etwa 1 : 30. Hydroperoxide zerfallen thermisch oder aber bei Raumtemperatur unter der WirAbbildung 5.2: Bildung und Zerfall von Hydroperoxiden kung von Redoxkatalysatoren

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Sikkative Tabelle 5.1: Einteilung von Sikkativen Redoxkatalysatoren („Oberflächentrockner“) „Durchtrockner“ Beschleunigung des Vernetzung von Carboxygruppen Peroxidzerfalls (und Hydroxygruppen) (Blei*), Zirkon, Lanthan, Kobalt, Mangan, Cer, Neodym, Aluminium, Bismut, Eisen, Vanadium Barium, Strontium

„Hilfstrockner“ Wechselwirkung mit Redoxkatalysatoren Calcium, Kalium, Lithium, Zink

* Blei wird heute aus ökologischen Gründen kaum noch verwendet.

(Sikkativen) in Radikale, die die Vernetzungsreaktion einleiten (Abbildung 5.2). Weiterführende Informationen zur oxidativen Härtung können der Literatur [1, 2] entnommen werden. Sikkative sind im Lackmedium lösliche Metallsalze langkettiger organischer Säuren (Metallseifen), die oxidativ härtenden Beschichtungsstoffen zugesetzt werden, um die Vernetzungsreaktion (Verfestigung des Lackfilms) zu beschleunigen. Die organischen Säuren zur Salzbildung sind entweder natürlich vorkommende Fettsäuren oder synthetische Carbonsäuren wie Naphthensäuren (siehe Abbildung 1.31) oder 2-Ethylhexansäure. Die Wirkung der Sikkative besteht in erster Linie darin, Hydroperoxide bei Raumtemperatur in Radikale zu spalten (Abbildung 5.1). Besonders wirksam sind Salze von Metallen, die zwei oder mehr Oxidationsstufen bilden können [z.B. Co(II)/Co(III), Mn(II)/Mn(III)/Mn(IV) oder Ce(III)/Ce(IV)] und damit als Redoxkatalysatoren wirken; sie werden auch als Oberflächentrockner bezeichnet. Der wichtigste Redoxkatalysator ist Kobalt, dessen Wirkungsweise in Abbildung 5.3 dargestellt ist. Im ersten Schritt wird Kobalt(II) zu Kobalt(III) oxidiert, während im zweiten Schritt Kobalt(III) zu Kobalt(II) reduziert wird; d.h. Kobalt(II) wird nicht verbraucht und ist damit ein echter Katalysator. Allerdings werden auch Metallsalze als Sikkative verwendet, die nur in einer Oxidationsstufe vorkommen [z.B. Ca(II), Ba(II), Zn(II) oder Zr(IV)]. Diese wirken alleine nicht oder nur sehr schwach sikkativierend; sie können jedoch die Wirkung von Redoxkatalysatoren verstärken. Diese Gruppe von Sikkativen kann in „Durchtrockner“ (oder „Koordinationstrockner“) und „Hilfstrockner“ (oder Promotoren) unterteilt werden (Tabelle 5.1) [3]. Wahrscheinlich ist der Lewis-Säure-Charakter (vgl. Friedel-CraftsKatalysatoren) der „Hilfstrockner“ wichtig für ihre Wirksamkeit (Verstärkung der Wir- Abbildung 5.3: Wirkungsweise von Kobaltsikkativen kung von Redoxkatalysatoren).

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Katalysatoren Die Wirkungsweise von „Durchtrocknern“ (bzw. „Koordinationstrocknern“) wird in Abbildung 5.4 dargestellt; Metallionen verknüpfen durch Salzbindungen Lackbindemittelmoleküle ähnlich der sog. Ionomervernetzung. Damit sind „Durchtrockner“ keine echten Katalysatoren, da sie verbraucht werden. Eine durch Sikkative beschleunigte oxidative Härtung führt nie zu einem Endpunkt, sondern geht – wenn auch immer langsamer – weiter. Übervernetzung kann langfristig zu einer Versprödung der Lackfilme führen (siehe auch Kapitel 8). Versprödung führt irgendwann zur Rissbildung, wie Abbildung 5.5 anschaulich zeigt. Sikkative sollten daher sorgsam dosiert werden, da davon die Lebensdauer des Lackfilms abhängen kann; eine Übersikkativierung sollte unbedingt vermieden werden. Sikkative sollen im Lackmedium löslich sein; daher werden meist Metallseifen eingesetzt. Metallseifen sind wie Netzmittel grenzflächenaktiv und können sich z.B. an der Lackoberfläche anreichern (Hautbildung siehe unten). Darüber hinaus können sie die Feuchtigkeitsbeständigkeit von Lackfilmen verschlechtern. Nachteilig bei Klarlacken oder hellen Farbtönen kann auch die Eigenfarbe von Sikkativen sein [z.B. Co(II) intensiv blauviolett]. Da Bleiverbindungen schon seit einiger Zeit als toxisch und umweltgefährdend eingestuft sind, sollten sie nicht mehr in Lacken eingesetzt werden. Als Ersatzprodukt für Blei in Sikkativen wird z.B. Zirkon genannt. Auch Kobalt-Verbindungen werden mittlerweile als gesundheitsschädlich und umweltgefährdend gekennzeichnet. Der Einsatz von Kobalt-Verbindungen sollte deshalb so weit wie möglich limitiert werden. Da aber Kobalt-Sikkative besonders gut wirken, ist es schwer, geeignete Ersatzprodukte zu finden; genannt werden in diesem Zusammenhang vor allem Mangan-, Eisen- und Vanadium-Sikkative (alle drei Redoxkatalysatoren). Käufliche Sikkative werden meistens durch den Metallgehalt [%] charakterisiert. Da bestimmte Metallseifen gezielt die Oberflächenhärtung und andere die Durchhärtung (siehe oben) des Lackfilms fördern, werden meistens Kombinationen aus Seifen verschiedener Metalle eingesetzt, um eine optimale Aushärtung zu erreichen und um den Sikkativzusatz zu minimieren. Daher gibt es am Rohstoffmarkt konfektionierte Mehrmetallsikkative („Kombinations-Trockenstoffe“) mit optimierter Zusammensetzung durch den Hersteller. Für styrolmodifizierte Alkydharze und Epoxidharzester empfiehlt sich keine Mehrmetallsikkatvierung, sondern Kobalt als Einzelsikkativ ist das geeignete Mittel. Bestimmte anorganische Pigmente bzw. Füllstoffe können ebenfalls eine sikkativierende Wirkung ausüben; als Beispiele seien hier Zinkstaub bzw. Zinkoxid, Calciumcarbonat [Zink(II)und Calcium(II)seifen sind Sikkative] oder auch Eisenoxidpigmente [Redoxkatalysator Abbildung 5.4: Wirkungsweise von „Durchtrocknern“ Fe(II)/Fe(III)] erwähnt. Insbe-

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Sikkative sondere transparente Eisenoxidpigmente können aufgrund ihrer hohen Oberflächen (bis etwa 100 m2/g) einen spürbaren Einfluss haben. Rußpigmente können dagegen eine härtungsverlangsamende Wirkung zeigen. Diese ist auf eine Adsorption von Metallseifen auf der Rußoberfläche (bis 500 m2/g) zurückzuführen. Es kann auch vorkommen, dass die Wirkung von Sikkativen bei längerer Lagerzeit von Lacken nachlässt (Adsorption); eine fragwürdige Problemlösung stellt das Nachsikkativieren dar. Bei der Lackherstellung werden Sikkative in der Regel nach der Pigmentdispergierung in das abgekühlte Mahlgut eingerührt. Nur Calciumseifen werden wegen ihres ausgeprägten Netzmittelcharakters häufig schon vor dem Dispergieren zugesetzt. Bei einigen wässrigen Lacksystemen kommen alle Sikkative ins Mahlgut und werden durch die Scherkräfte beim Dispergieren in den dispersen Bindemittelteilchen fein verteilt (dort sind sie auch vor der Hydrolyse des Wassers geschützt).

5.1.1

Hautverhinderungsmittel

Hautverhinderungsmittel sind keine Katalysatoren, da sie als Additive zusammen mit Sikkativen in oxidativ härtenden Lacken eingesetzt werden, ist es sinnvoll, sie an dieser Stelle zu beschreiben. Hautverhinderungsmittel sind eine Art von Inhibitoren, die die oxidative Härtung temporär verhindern bzw. verzögern; d.h. sie sind das Gegenteil von einem Katalysator, der beschleunigend wirkt. Eine langsame Anreicherung der grenzflächenaktiven Metallseifen an der Oberfläche des Lacks im Gebinde und/oder eine schnelle Oberflächenhärtung kann auch zu einer Hautbildung des flüssigen Lacks führen. Die Hautbildung tritt verstärkt in geöffneten, teilweise entleerten und dann wieder verschlossenen Gebinden auf (großes Luftvolumen!). Um die Hautbildung zu verhindern, werden oxidativ härtenden Lacken als Additive Hautverhinderungsmittel zugesetzt. Als Hautverhinderungsmittel werden bestimmte Phenolderivate und/oder Oxime verwendet (Abbildung 5.6). Oxime bilden mit den Metallionen labile Komplexe und inaktivieren Sikkative damit temporär. Unter den Bedingungen der Lackhärtung werden diese Abbildung 5.5: Risse in einer alten Öl­ labilen Komplexe durch Luftfeuchtigkeit wieder ge- farbebeschichtung auf einer Holztür

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Katalysatoren spalten und das Sikkativ wird aktiv; darüber hinaus sind Oxime häufig leicht flüchtig. Das früher sehr häufig eingesetzte Methylethylketonoxim wurde als krebsverdächtig eingestuft; alternative Komplexbildner siehe [4]. Oxime werden deshalb hier nicht weiter besprochen. Sterisch gehinderte Phenolderivate wie z.B. 2,6-Di-tert.-Butyl-4-methylphenol (Trivialname: Butylhydroxyltoluol, BHT, Abbildung 5.6) [5] sind nicht flüchtig und wirken als sog. Antioxidantien; sie fangen Radikale ab und brechen dadurch Radikalkettenreaktionen ab. Erst wenn das Phenol vollständig reagiert hat, setzt die oxidative Härtung des Lacks ein. BHT ist ein in der Kunststofftechnik weit verbreitetes Antioxidans. Es gibt am Markt noch eine Fülle weiterer sterisch gehinderter Phenolderivate als Antioxidantien [6]. Die Wirkungsweise von 2,6-Di-tert.-Butyl-4-Methylphenol als einfachstem Beispiel zeigt Abbildung 5.7. R-O• ist ein Bindemittel-Radikal, das beispielsweise durch die Spaltung eines Hydroperoxids entstanden ist (siehe Abbildung 5.2 oben). Von diesen Radikalen werden insgesamt zwei verbraucht (gefangen), bis das Antioxidans aufgebraucht ist (Abbildung 5.7). Deshalb bezeichnet man sterisch gehindert Phenole auch als Radikalfänger. Die sterische Hinderung des Phenols muss so stark sein, dass zwei Phenolradikale (Abbildung 5.7) nicht dimerisieren können, darf aber andererseits auch nicht zu stark sein, da ansonsten die erwünschte Reaktion mit dem sterisch nicht gehinderten Radikal R-O• verhindert werden würde. Das Prinzip der Antioxidationswirkung durch sterisch gehinderte Phenolderivate stammt aus der Natur; das fettlösliche Antioxidans Vitamin E ist nichts anderes als ein sterisch gehindertes Phenolderivat (Abbildung 5.8) [8]. Phenolderivate bewirken eine Härtungsverzögerung der Lackfilme; aus einer Antrocknungsverzögerung kann eine bessere Durchhärtung resultieren, da der Film länger offen ist. Damit können Phenolderivate in oxidativ härtenden Lacken auch den Verlauf und den Glanz verbessern. Nachteilig kann die starke (dunkle) Eigenfarbe von bestimmten Oxidationsprodukten von Phenolderivaten sein, die zur Vergilbung führen kann. In wässrigen Lacken sollte geprüft werden, ob ein Hautverhinderungsmittel überhaupt notwendig ist; insbesondere Alkydharzemulsionen (scharfe Zweiphasensysteme) brauchen meistens gar keinen Zusatz. Auf eine weitere Gruppe von Radikalfängern auf Basis von sterisch gehinderten Aminen wird bei den Lichtschutzadditiven (Kapitel 8.3.2.2) Abbildung 5.6: Beispiele für Haut­ eingegangen. verhinderungsmittel

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Katalysatoren für Polyurethan-Lacke

5.2

Katalysatoren für Polyurethan-Lacke

Unter Polyurethan-Lacken (PUR) sollen hier die bei Raumtemperatur härtenden zweikomponentigen (2K) Systeme auf Basis Polyol/Polyisocyanat und die einkomponentigen (1K) Einbrennlacke auf Basis blockierter Polyisocyanate verstanden werden [1]. Zwei der Grundreaktionen der PUR-Chemie werden in Abbildung 5.9 dargestellt. Oben zeigt Abbildung 5.9 die Addition eines Alkohols an ein Isocyanat zum Urethan; dies ist die Härtungsreaktion der 2K-PUR-Lacke. Allerdings sind Urethane thermisch nicht beständig und können bei ca. 200 °C wieder gespalten werden, was eine Voraussetzung für die 1K-Einbrennlacke auf Basis blockierter Isocyanate ist [1]. In Abbildung 5.9 wird die wichtigste Nebenreaktion mit Wasser dargestellt; diese unerwünschte Reaktionsfolge kann bei lösemittelhaltigen 2K-PUR-Lacken mit Luftfeuchtigkeit oder in wässrigen Systemen ablaufen. Lösemittelhaltige 2K-PUR-Lacke Aliphatische (oder cycloaliphatische) Polyisocyanate reagieren langsamer mit Polyolen als aromatische Polyisocyanate [1]. Deshalb müssen 2K-PUR-Lacke mit (cyclo)aliphatischen Polyisocyanaten meistens katalysiert werden (solche mit aromatischen nicht). Die Topfzeit (Verarbeitungszeit) von 2K-PUR-Lacken ist die Zeitspanne nach dem Vermischen der zwei Komponenten Polyol und Polyisocyanat, in der der Lack noch appliziert werden kann. In der Regel geht man davon aus, dass mit einer Verdopplung der Viskosität die Topfzeit abgelaufen ist.

Abbildung 5.7: Wirkungsweise von 2,6-Di-tert.-butyl-4-methylphenol als Antioxidans

99

Katalysatoren

Abbildung 5.8: Vereinfachte Darstellung von α-Tocopherol (ein Bestandteil von Vitamin E)

Abbildung 5.9: Grundreaktionen der Polyurethan-Chemie (vereinfachte Darstellung)

Abbildung 5.10: Reaktionsmechanismus der Addition eines Alkohols an ein Isocyanat

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Katalysatoren für Polyurethan-Lacke Sollen 2K-PUR-Lacke mit (cyclo)aliphatischen Polyisocyanaten bei Raumtemperatur schnell ausgehärtet werden, muss in der Regel ein Katalysator (Beschleuniger) zugesetzt werden, um die geringere Reaktivität gegenüber aromatischen Isocyanaten auszugleichen. Naturgemäß wird durch einen Katalysatorzusatz die Topfzeit reduziert. Grundsätzlich beschleunigt ein Katalysator sowohl die Hinreaktion (Urethanbildung) als auch die Rückreaktion (thermische Spaltung der Urethane); siehe Abbildung 5.9. D.h. ein Katalysatorzusatz senkt die Thermostabilität von PUR-Beschichtungen. Deshalb sollte nie mehr Katalysator zugesetzt werden, als unbedingt notwendig. Zum Verständnis der Katalysatorwirkung wird der chemische Reaktionsmechanismus der Addition eines Alkohols an ein Isocyanat in Abbildung 5.10 dargestellt. In dieser Reaktion addieren sich das nucleophile Sauerstoffatom (δ-) des Alkohols und das elektrophile Kohlenstoffatom (δ+) des Isocyanats. Will man diese Reaktion beschleunigen, muss man entweder die Nucleophilie des Sauerstoffs (Alkohol) und/oder die Elektrophilie des Kohlenstoffs (Isocyanat) erhöhen. Die Additionsreaktion kann sowohl durch Lewis-Säuren (Elektronenacceptoren wie Metallsalze) als auch Lewis-Basen (Elektronendonatoren wie tertiäre Amine) beschleunigt werden (Abbildung 5.11). Lewis-Basen (tertiäre Amine) vergrößern die Nucleophilie des Sauerstoffs (Alkohol), Lewis-Säuren (Metallsalze) erhöhen die Elektrophilie des Kohlenstoffs (Isocyanat); siehe Abbildung 5.11. Beide Katalysatoren-Typen können auch kombiniert eingesetzt werden. Dies führt zu einer synergistischen Wirkung (Wirkungsverstärkung) [8]. Einige Beispiele für Katalysatoren zeigt Abbildung 5.12. Beim DABCO (Abbildung Abbildung 5.11: Mechanismus der PUR-Katalyse (verein­ 5.12) sind die beiden freien fachte Darstellung)

101

Katalysatoren Elektronenpaare („Sitz“ der Nucleophilie) an den zwei Stickstoffatomen durch den Bicyclus fixiert und es kann nicht die bei Aminen sonst übliche Inversion stattfinden. Darüber hinaus fällt auf, dass bei den Aminen (Abbildung 5.12) immer genau zwei Methylengruppen zwischen zwei Stickstoffatomen sind; dies ist kein Zufall, sondern verstärkt der katalytischen Wirkung. Die relative Aktivität einiger PUR-Katalysatoren [9] zeigt Tabelle 5.2. Hier kann man deutlich erkennen, dass eine Verdopplung des DABCO-Zusatzes von 0,1 auf 0,2 % auch zu einer Verdopplung der Reaktivität führt. Eine Verdreifachung des DABCO-Zusatzes auf 0,3 % führt jedoch nicht zu einer Verdreifachung der Reaktivität; d.h. höhere Zusatzmengen bringen nicht mehr so viel. Die Summe der Reaktivitäten von 0,1 % DBTL und 0,2 % DABCO ist 470 (Tabelle 5.2); gemessen wurden aber 1000 (Tabelle 5.2); d.h. hier liegt ein echter Synergismus (Wirkungsverstärkung) vor. Bei der Herstellung von Dibutylzinndilaurat (DBTL) entstehen in Nebenreaktionen auch toxische Verunreinigungen triorganischer Zinn-Verbindungen. Deshalb ist man heutzutage bestrebt, zinnhaltige Katalysatoren wie DBTL in industriellen Anwendungen durch risikolosere Alternativen, wie z.B. Zink- oder Bismutcarboxylate zu ersetzen.

Abbildung 5.12: Beispiele für Katalysatoren

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Abbildung 5.13: Triethylamin und 2-Amino-2-methyl-1-propanol (AMP) sowie die Reaktion des letzteren mit Isocyanat

Katalysatoren für Polyurethan-Lacke Tabelle 5.2: Relative Aktivität einiger PUR-Katalysatoren Katalysator ohne (Standard) DABCO DABCO DABCO DBTL DBTL DBTL + DABCO

Konzentration [%] – 0,1 0,2 0,3 0,1 0,5 0,1 + 0,2

Relative Reaktivität 1 130 260 330 210 670 1000

Wässrige 2K-PUR-Lacke In wässrigen 2K-PUR-Lacken [1] existiert das Problem der Nebenreaktion von Isocyanatgruppen mit Wasser, was zur Abspaltung von Kohlendioxid führt (siehe Abbildung 5.9). Diese unerwünschte Nebenreaktion wird u.a. durch tertiäre Amine katalysiert. Tertiäre Amine wie z.B. Triethylamin (Abbildung 5.13) finden aber als Neutralisationsmittel in wässrigen Lacken Anwendung [1]; auf Neutralisationsmittel für wässrige Lacke wird im Kapitel 11 noch genauer eingegangen werden. Muss man zu viel Triethylamin als Neutralisationsmittel einsetzen, kann die Nebenreaktion zur Hauptreaktion werden und der Lackansatz schäumt durch die Kohlendioxidentwicklung auf (Abbildung 5.14). Es gibt zwei Lösungsansätze für diese Problematik: 1. Man kann ein Polyol mit niedrigerer Säurezahl und damit niedrigerem Aminbedarf einsetzen; dies führt jedoch zu einer vollständig neuen Lackformulierung (hoher Zeitaufwand). 2. Der zweite Lösungsansatz besteht in der Verwendung eines reaktiven sekundären oder primären Amins (z.B. 2-Amino-2-methyl1-propanol: AMP, Abbildung 5.13). Ein derartiges Amin wirkt im Stammlack vor dem Vermischen mit dem Isocyanathärter wie gewünscht als Neutralisationsmittel [1]. Beim Mischen mit dem Isocyanathärter reagiert es sehr schnell mit diesem zu Harnstoffderivaten (Abbildung 5.13), die katalytisch nicht mehr aktiv sind. Allerdings sind Harnstoffderivate nicht mehr basisch und wirken deshalb nicht als Neutralisationsmittel. Ob der zweite Lösungsansatz im Einzelfall funktioniert, kann nur über Versuche er- Abbildung 5.14: Aufschäumen eines falsch formulierten wässrigen 2K-PUR-Lacks mittelt werden.

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Katalysatoren Einbrennlacke auf Basis blockierter Isocyanate Die Härtungsraktion von Einbrennlacken auf Basis blockierter Polyisocyanate wurde bisher üblicherweise mit DBTL katalysiert [1]. Wegen der weiter oben beschriebenen Toxizitätsproblematik von DBTL müssen auch hier ggf. Austauschprodukte gesucht werden.

5.3 Katalysatoren für 2K-Epoxidharz-Lacke Epoxidharze vernetzen mit aminofunktionellen Härtern bei Raumtemperatur durch Additionsreaktionen (sog. Kalthärtung) [1]. Dabei ist das Kohlenstoffatom am Oxiranring das Elektrophil und der aminofunktionelle Härter das Nucleophil.

Abbildung 5.15: Vereinfachte Darstellungen der katalysierten Reaktionen von Epoxidharzen mit aminofunktionellen Härtern

Abbildung 5.16: Beschleuniger für lösemittelhaltige 2K-EP-Lacke Die beiden Mannichbasen werden unter dem Handelsnamen „Ancamine“ 1110 und „Ancamine“ K54 angeboten.

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Katalysatoren für 2K-Epoxidharz-Lacke Hydroxygruppen können mit dem Oxiranring Wasserstoffbrückenbindungen bilden und die Elektrophilie und damit die Reaktivität des Epoxidharzes erhöhen (Abbildung 5.15). Grundsätzlich wirken alle Verbindungen mit Hydroxygruppen beschleunigend, wie z.B. Salicylsäure, Milchsäure oder Phenol (toxisch). In wässrigen 2K-EP-Lacken übernimmt Wasser die beschleunigende Funktion; deshalb sind die Topfzeiten von wässrigen 2K-EPLacken häufig kürzer als die von lösemittelhaltigen Systemen. Da bei der Additionsreaktion Hydroxygruppen entstehen (Abbildung 5.15), beschleunigt sich die Reaktion selbst (Autokatalyse) [11]. Aber auch tertiäre Amine beschleunigen die Ringöffnung des Oxiranrings, indem sie über ihr freies Elektronenpaar mit dem endständigen elektrophilen Kohlenstoffatom des Oxiranrings in Wechselwirkung treten. Dadurch wird die sowieso schon polare C-O-Bindung weiter polarisiert und die Reaktivität erhöht (Abbildung 5.15). Am Markt gibt es durch Mannich-Reaktion aus Phenol, Formaldehyd und Dimethylamin hergestellte Katalysatoren für lösemittelhaltige 2K-EP-Lacke (Abbildung 5.16). Diese Mannich-Basen enthalten neben der katalysierend wirkenden sauren aromatischen Hydroxygruppe auch noch katalytisch aktive tertiäre Aminogruppen (Abbildung 5.16). Es gibt auch Aminhärter mit nicht-reaktiven tertiären Aminogruppen bzw. Hydroxyl­ gruppen als „eingebaute“ Katalysatoren (Abbildung 5.17). Das letzte Beispiel in Abbildung 5.17 zeigt, dass mit Hilfe der Mannich-Reaktion auch reaktive Härter herstellAbbildung 5.17: Beispiele für beschleuni­ bar sind; Einzelheiten siehe [1]. gend wirkende Aminhärter Der schwach saure Benzylalkohol wird häufig in 2K-EP-Lacken eingesetzt, um Aminhärter durch Protonierung vor der Carbamatisierung zu schützen. Die Carbamatisierung ist eine während der Härtung ablaufende Nebenreaktion von primären Aminen mit Koh- Abbildung 5.18: Reaktion von primären lendioxid unter Mitwirkung von Luftfeuch- Aminen mit Kohlendioxid und Wasser (Car­ tigkeit (Abbildung 5.18). Das entstehende bamatisierung)

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Katalysatoren Carbamat kann nicht mehr mit dem Epoxidharz reagieren, was zu Aushärtungs- und Filmstörungen führt. Benzylalkohol wirkt darüber hinaus schwach beschleunigend und als Lösemittel.

5.4 Säurekatalysatoren für Einbrennlacke Inhalt dieses Kapitels sind einkomponentige Lacksysteme, die bei Temperaturerhöhung durch Polykondensationsreaktionen vernetzten und deshalb als Einbrennlacke bezeichnet werden; Polykondensationsreaktionen können durch Säuren katalysiert werden. Insbesondere sollen in diesem Abschnitt Einbrennlacke auf Basis von Aminoharzen beschrieben werden [1]. Bei der spezifischen Säurekatalyse durch starke Säuren wie z.B. Sulfonsäuren, Phosphorsäure wird die Reaktionsgeschwindigkeit nur durch Zusatz der konjugierten Säure des Lösemittels erhöht (im Falle wässriger Lösungen ist sie eine Funktion des pH-Werts). Die schwach reaktiven HMMM-Harze (Abbildung 5.19) reagieren nach diesem Mechanismus. Im Falle der allgemeinen Säurekatalyse durch schwache Säuren wie z.B. Carbonsäuren oder auch Ammoniumionen (aus ionogen blockierten Säuren, siehe unten) wird die Reaktionsgeschwindigkeit durch Erhöhung der Konzentration jeder (auch einer sehr schwachen) Säure erhöht. Nach diesem Mechanismus reagieren hochreaktive Melaminharze.

Abbildung 5.19: Vereinfachte Darstellung eine HMMM-Harzes [Hexakis(methoxymethyl) melamin]

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Abbildung 5.20: Beispiele für Säure­ katalysatoren

Säurekatalysatoren für Einbrennlacke Damit können die relativ schwach sauren Carboxygruppen (Säurezahl!) von Alkydharzen, gesättigten Polyestern oder Acrylaten katalytisch wirken, was bei Einbrennlacken mit reaktiven Aminoharzen meistens völlig ausreicht. D.h. Einbrennlacke auf Basis der üblichen Alkydharze, gesättigten Polyester oder Acrylate jeweils kombiniert mit reaktiven Aminoharzen brauchen in der Regel keinen extra zugesetzten Säurekatalysator. Ausnahmen von dieser Regel können Einbrennlacke auf Basis hochmolekularer Epoxidharze und reaktiver Aminoharze sein, da sie Säurezahl von Epoxidharzen nahe Null ist. Die Härtung der relativ schwach reaktiven HMMM-Harze kann durch starke Säuren deutlich beschleunigt werden [1]. Während HMMM-Harze ohne Katalysator erst bei Temperaturen ab 180 °C mit hydroxyfunktionellen Bindemitteln vernetzen, können geeignete Säurekatalysatoren die Einbrenntemperaturen auf ca. 140 °C senken und damit Energie und Kosten sparen. Für den Einsatz als zusätzlicher Katalysator in Einbrennlacken (meistens auf Basis HMMM) stehen verschiedene Säuren zur Verfügung, die natürlich in organischen Lösemitteln löslich und mit den Bindemitteln verträglich sein müssen. Die Säurestärke in organischer Lösung ist je nach Säure unterschiedlich, ähnlich wie die Dissoziation in wässrigen Lösungen. Je nachdem was man erreichen will (vorgegebene Einbrenntemperatur und/ oder Einbrennzeit), oder welche Aminoharze man katalysieren will, wählt man den Säurekatalysatortyp aus. Hohe Säurestärke und/oder hoher Katalysatorzusatz können sich auf die Lagerstabilität negativ auswirken. Für niedrige Einbrenntemperaturen (z.B. bei Reparaturlackierungen) nimmt man eine begrenzte Verarbeitungszeit in Kauf. Säurekatalysatoren sind nicht flüchtig, verbleiben damit im Lackfilm und können als hydrophile, polare Substanzen die Feuchtigkeitsbeständigkeit der Beschichtung negativ beeinflussen. Säuren katalysieren die Selbstvernetzung insbesondere von reaktiven Melaminharzen stärker als die Fremdvernetzung. Flexibilität und Wetterbeständigkeit können daher bei katalysierten Beschichtungen geringer sein. Folgende, in Abbildung 5.20 aufgeführte Säuren werden für die Katalyse der Vernetzungsreaktion von Aminoharzen eingesetzt. Dabei sind Sulfonsäuren und Phosphorsäure starke Säuren, während Maleinsäuremonobutylester als Carbonsäure nur Abbildung 5.21: Ionogene Blockierung von starken Säuren am Beispiel der para-Toluolsulfonsäure eine schwache Säure ist.

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Katalysatoren Um beim Einsatz starker Säuren (Sulfonsäuren, Phosphorsäure) die Lagerstabilität der Lacke zu erhöhen, setzt man so genannte blockierte Säuren ein. Die erste Art der Blockierung besteht in einer Neutralisation der Säuren durch geeignete Amine, was zu Ammoniumsalzen führt und nebenbei auch die Löslichkeit in wässrigen Lacken fördert (ionogene Blockierung, Abbildung 5.21). Als Amine können beispielsweise eingesetzt werden: Diisopropanolamin und 2-Amino-2-methyl-1-propanol (AMP) [1]. Bei Raumtemperatur existieren bei den neutralisierten Säuren nur die sehr schwach sauren Ammoniumionen (Abbildung 5.21) und damit kaum eine katalytische Wirkung auf schwach reaktive HMMM-Harze. Je nach Säure und Amin zerfallen die Ammoniumsalze bei höherer Temperatur im Einbrennofen, das Amin verflüchtigt in der Ofenabluft, die Säuren werden frei und können katalytisch wirken. Zeitpunkt und Temperatur des Zerfalls der Ammoniumsalze bestimmen nicht nur die Vernetzungsreaktion, sondern auch den Verlauf und das Ablaufverhalten an senkrechten Flächen. Da die schwach sauren Ammoniumionen von ionogen blockierten Säuren (Abbildung 5.21) die Reaktion von hochreaktiven Melaminharzen katalysieren und damit deren Lagerstabilität verschlechtern können, muss in Einzelfällen ein zweiter Blockierungstypus, die sog. nicht-ionogene Blockierung von Säuren angewandt werden (Abbildung 5.22).

Abbildung 5.22: Prinzip der nicht-ionogenen Blockierung von starken Säuren am Beispiel einer aromatischen Sulfonsäure

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Abbildung 5.23: β-Hydroxyester (aus Säure und Oxiran) als nicht-ionogen blockierter Säurekatalysator

Säurekatalysatoren für Einbrennlacke Tabelle 5.3: Wasserverdünnbarer 1K-Einbrennklarlack Position 01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 Summe

Rohstoff Acrylatharz Butyldiglykol HMMM-Harz reaktives MF-Harz Verlaufsmittel Härtungskatalysator N-Methylpyrrolidon Dipropylenglykolmonomethylether HALS UV-Absorber VE-Wasser

01: Wässriges Acrylatharz, 43 % in Wasser (+ 2,3 % „Texanol“ und 7,8 % Butylglykol), pH 8,0 bis 9,5 (DMEA), Hydroxylzahl ca. 110 mg KOH/g (nfA), Säurezahl 36 mg KOH/g (nfA), „Macrynal“ VSM 6285w 02: Colösemittel 03: „Maprenal“ MF 904 (lösemittelfrei) 04: R  eaktives methanolverethertes MF-Harz, 90 % in Isobutanol, „Cymel“ 327 05: Verlaufsmittel (modifiziertes Silicon), „Byk“ 333 06: E  ster der para-Toluolsulfonsäure, 90 %ig, Säurezahl max. 10 mg KOH/g (Lieferform), „Additol“ VXK 6357

Gew.-Teile 70,56 5,68 5,83 2,44 0,09 0,57 2,75 1,37 0,38 0,38 9,95 100

nfA 30,3 5,8 2,2 0,1 0,5

0,4 0,4 39,7

07: Colösemittel, fortpflanzungsgefährdend, ggf. Austauschprodukt suchen 08: Colösemittel, Verdunstungszahl ca. 400, „Dowanol“ DPM 09: Lichtschutzadditiv, Radikalfänger auf Basis sterisch gehindertes Amin, keine Beeinflussung des Säure­ katalysators, wasseremulgierbar, „Tinuvin“ 123 (siehe Kapitel 8.3.2.2 und Abbildung 5-24) 10: Lichtschutzadditiv, UV-Absorber auf Basis Benzotriazol, wasseremulgierbar, „Tinuvin“ 1130 (siehe Kapitel 8.3.2.1) 11: Vollentsalztes Wasser

Bei der nicht-ionogenen Blockierung starker Säuren setzt man Ester dieser Säuren ein, die nicht sauer sind. Diese Ester zerfallen im Einbrennofen über eine elektrocyclische Reaktion in die freie Säure und ein flüchtiges Alken (Abbildung 5.22). Ein solcher Ester kann beispielsweise ein β-Hydroxyester (aus Säure und Oxiran) sein (Abbildung 5.23). Den nicht-ionogenen Blockierungstyp setzt man dann ein, wenn man in einem Einbrennlack eine Kombination aus schwach reaktiven HMMM-Harz und hochreaktiven Melaminharz einsetzt; das HMMM-Harz muss beim Einbrennen durch die starke Säure katalysiert werden, während das hochreaktiven Melaminharz im „Topf“ eben nicht durch Ammoniumionen katalysiert werden darf. Ein Beispiel dafür wird in der folgenden Rezeptur [12] gegeben (Tabelle 5.3). Bei dem wässrigen Klarlack in Tabelle 5.3 handelt es sich um einen 1K-Einbrennlack auf Basis Acrylat/Melaminharz. Allerdings wird hier eine Kombination aus zwei unterschiedlich reaktiven Melaminharzen eingesetzt; das ist zwar selten, aber nicht unüblich. Wir sehen in Tabelle 5.3 ein schwach reaktives HMMM-Harz, das einem Katalysator braucht, und ein hochreaktives Melaminharz, das wegen der Säurezahl des Acrylats von

109

Katalysatoren 36 mg KOH/g keinen Katalysator braucht. In diesem Fall muss zur Härtungsbeschleunigung des HMMM-Harzes unbedingt ein nicht-ionogen blockierter Säurekatalysator (Pos. 06 in Tabelle 5.3) eingesetzt werden, da ein ionogen blockierter über die dort vorhandenen Ammoniumionen die Lagerstabilität des reaktiven Melaminharzes verkürzen würde. Die Rezeptur zeigt noch ein zweites interessantes Detail in Bezug auf die Katalyse durch starke Säuren: das Lichtschutzadditiv ist auf Basis sterisch gehindertem Amin (Pos. 09 in Tabelle 5.3, Abbildung 5.24); über Lichtschutzadditive [13] wird noch ausführlich in Kapitel 8 berichtet. Lichtschutzadditive auf Basis sterisch gehinderter Amine sind normalerweise Basen und können starke Säure dauerhaft (!) blockieren, d.h. unwirksam machen (Kapitel 8.3.2.2). Um dies zu verhindern, muss ein spezieller Typ von Amin eingesetzt (Abbildung 5.24) werden: auf Basis =N-O-R; d.h. ein O-Alkylhydroxylamin-Derivat, das aufgrund der Elektronegativität des Sauerstoffs nicht mehr basisch ist und damit die Säure nicht blockieren kann. Bei säurekatalysierten Systemen müssen also auch alle anderen Lackbestandteile auf eine mögliche Wechselwirkung mit Säuren überprüft und ggf. ausgetauscht werden.

Abbildung 5.24: Lichtschutzadditiv auf Basis sterisch gehindertes Amin (Radikalfänger)

5.5 Literatur [1] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, vierte Auflage, 2017 [2] U. Poth, Polyester und Alkydharze, Vincentz Network, Hannover, 2. Auflage, 2014 [3] R. Wissmann, R. W. Hein, Farbe & Lack 106, Nr. 3 (2000) S. 38 ff [4] D. Edelmann et al., Farbe & Lack, 107, Nr. 12 (2001) S. 54–66 [5] http://de.wikipedia.org/wiki/Butylhydroxytoluol und http://chemicalland21.com/lifescience/foco/BHT.htm [6] R. Gächter, H. Müller, Taschenbuch der Kunststoff-Additive, Hanser Fachbuchverlag, 3. Auflage, 1989

110

[7] S. Böhmdorfer, T. Rosenau, Nachrichten aus der Chemie, 56, Nr. 4 (2008) S. 411– 417 [8] L. Thiele, R. Becker, H. Frommelt, Zeitschr. für Polymerforschung 28 (1977) S. 405 ff [9] Kunststoffhandbuch, Bd. 7, S. 95, Hanser Verlag 1983 [10] https://de.wikipedia.org/wiki/Katalysator und www.jagemann-net.de/chemie/chemie13lk/geschwindigkeit/geschwindigkeit.php [11] P. Mischke, Filmbildung, Vincentz Network 2007 [12] Richtrezept der vormaligen Vianova [13] A. Valet, Lichtschutzmittel für Lacke, Vincentz Network 1996

Haftvermittler

6 Haftvermittler Die Haftfestigkeit ist ein Maß für den Widerstand einer Beschichtung gegen ihre mechanische Abtrennung vom Untergrund. Die dauerhafte Haftung (auch bei Feuchtigkeitseinwirkung) einer Beschichtung auf dem Untergrund und innerhalb des Schichtaufbaus ist für die Schutzwirkung (z.B. Korrosionsschutz) erste Voraussetzung; eine Ausnahme von dieser Regel sind Abziehlacke (temporäre Transportschutzbeschichtungen). Zur Veranschaulichung zeigt Abbildung 6.1 großflächige Lackenthaftung auf einem feuerverzinkten Regenwasserabflussrohr. Definition der Adhäsion/Kohäsion Die Adhäsion wird definiert als die Wirkung von Anziehungskräften an der Grenzfläche zwischen unterschiedlichen festen Phasen. Die Adhäsion ist eine Energie pro Fläche; im Gegensatz dazu ist die Haftfestigkeit eine Kraft pro Fläche [1]. Das Gegenstück zur Adhäsion ist die Kohäsion; diese ist die Wirkung von Anziehungskräften innerhalb einer Phase. Falls die Haftung nicht ausreichend ist, muss man Veränderungen in der Grenzschicht Substrat/Beschichtung durchführen. Dazu gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: 1. Veränderungen in der Oberfläche des Substrats und zwar durch Oberflächenvorbereitung wie z.B. Schleifen oder Oberflächenvorbehandlung wie z.B. Beflammen (Kunststoffe) bzw. Phosphatieren (Metalle). 2. Aufbringen einer haftvermittelnden Schicht zwischen Substrat und Beschichtung, z.B. Silanhaftprimer (Kapitel 6.2) oder dünne Polymerhaftschichten (Kapitel 6.3). 3. Veränderungen in der Beschichtung durch Zusatz von haftvermittelnden Additiven, z.B. Silanhaftvermittler (Kapitel 6.1). Bei metallischen Substraten ist die Abgrenzung zwischen Punkt 1 (Phosphatieren) und Punkt Abbildung 6.1: Lackenthaftung auf 2 (dünne Polymerhaftschichten) allerdings un- einem feuerverzinkten Regenwasser­ abflussrohr scharf, da beide sog. Konversionsschichten sind. Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

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Haftvermittler Haftvermittler sind Substanzen, die die Haftung zwischen zwei festen Phasen, beispielsweise einem Substrat und einer Beschichtung, verbessern. Es gibt eine Reihe von Substanzen, denen eine haftvermittelnde Wirkung zugesprochen wird [2]. In diesem Buch werden die wichtigste Substanzklasse, die Silanhaftvermittler, besprochen.

Abbildung 6.2: Beispiele für Silanhaftver­ mittler

Abbildung 6.3: Reaktion von Silanhaftver­ mittlern

Abbildung 6.4: Reaktion eines aminofunktionellen Silanhaftvermittlers mit Epoxidharz

112

Silanhaftvermittler

6.1 Silanhaftvermittler Silanhaftvermittler sind aus der Klebstofftechnik schon lange bekannt [2–5], sie können auch als organofunktionelle Trialkoxysilane bezeichnet werden (Abbildung 6.2). Wirkungsmechanismus von Silanhaftvermittlern Die drei Alkoxygruppen in den Silanen können von ihrer Reaktivität her mit Estern verglichen werden, da ein Tetraalkoxysilan der Kieselsäuretetraalkoxyester ist. Die Hydrolyse dieser Alkoxygruppen durch Luftfeuchtigkeit führt zu sehr reaktiven Silanolgruppen (Abbildung 6.3). Diese können mit Oberflächenhydroxygruppen von Metallen (Me-OH), mit Glas (Si-OH), mit mineralischen Füll- und Baustoffen (Si-OH, Ti-OH, Al-OH usw.) und natürlich auch mit sich selbst (Si-OH) unter Wasserabspaltung kondensieren. Die Reaktion mit den Oberflächenhydroxygruppen verursacht eine Umfunktionalisierung der anorganischen Oberfläche (Abbildung 6.3). Die funktionelle Gruppe X, gewählt entsprechend der Funktionalität des Lackbindemittels, kann mit dem Bindemittel reagieren, was zu kovalenter Bindung des Lackbindemittels mit der anorganischen Oberfläche führt; am Beispiel von Aminosilan und Epoxidharzbindemittel wird dies in Abbildung 6.4 verdeutlicht. Aminofunktionelle Haftvermittler (Beispiel in Abbildung 6.4) sind für Einbrennlacke auf Basis von Aminoharzen ungeeignet, da sie als Basen die säurekatalysierte Härtungsreaktion inhibieren und Säurekatalysatoren dauerhaft blockieren (Kapitel 5.4). Dagegen sind aminofunktionelle Haftvermittler für Einbrennlacke auf Basis von blockierten Polyisocyanaten sehr gut geeignet, denn die Härtungsreaktion wird durch Amine sogar etwas beschleunigt. Dies zeigt, wie genau Silanhaftvermittler auf das Lackbindemittel abgestimmt sein müssen. Silanhaftvermittler bezeichnet man daher auch als Kupplungsreagenzien [6]; Abbildung 6.5 soll dies kenntlich machen. Die Abstand-haltende Gruppe besteht meistens aus drei Methylengruppen (γ-Silane). Relativ neu sind Typen mit nur noch einer Methylengruppe als Spacer (α-Silane); diese zeichnen sich beispielsweise durch eine erhöhte Reaktivität der Alkoxygruppen aus [7]. Die Wirksamkeit von Silanhaftvermittlern ist jedoch stark vom Substrat Abbildung 6.5: Silanhaftvermittler als abhängig (Abbildung 6.6) [2]. Kupplungsreagenzien

113

Haftvermittler

Abbildung 6.6: Wirksamkeit von Silanhaft­ vermittlern in Bezug auf verschiedene Sub­ strate

Anwendungen von Silanhaftvermittlern a. Haftvermittlung für Kleb- und Dichtstoffe (bedeutend) [2, 3] Verklebung und Abdichtung von Glas, Metallen und mineralischen Baustoffen b. Haftvermittlung zwischen Lackbindemittel und mineralischen Füllstoffen Anorganische Füllstoffe, wie z.B. Talkum, können mit Silanhaftvermittlern oberflächenbehandelt werden. Durch eine auf das entsprechende Lackbindemittel abgestimmte Wahl des Silans ist es möglich, den Verbund zwischen der (gehärteten) Bindemittelmatrix und dem Füllstoff zu verbessern. Dadurch wird die Wasserdampfdiffusion durch die Beschichtung hindurch erschwert, deren korrosionsschützende Eigenschaften so verbessert werden [8]. c. Haftvermittlung für Lacke (bisher noch wenig); hier soll insbesondere die Nasshaftung verbessert werden [9]. Allerdings ist beim Einsatz von Silanhaftvermittlern in Lacken Vorsicht geboten, da sie mit Wasserspuren in lösemittelhaltigen Lacken oder mit Luftfeuchtigkeit reagieren können (Abbildung 6.7). Die bei diesen Nebenreaktionen (Hydrolyse + Kondensation, Abbildung 6.7) entstehenden höhermolekularen Polysiloxane können in Lackfilmen u.U. zu Kratern führen. Beim Einsatz von Silanhaftvermittlern in Lacken sollten also Wasserspuren durch entsprechende Additive (z.B. Molekularsiebe) gebunden werden; zu hohe Luftfeuchtigkeit ist möglichst auszuschließen.

Abbildung 6.7: Nebenreaktion von Silanhaft­ vermittlern

114

Silan-Haftprimer

6.2 Silan-Haftprimer Mit diesen Haftprimern kann man sehr dünne Haftschichten im Nanometerbereich erzeugen. und sie lassen sich folgendermaßen bei Raumtemperatur herstellen [12], siehe auch Tabellen 6.1 und 6.2: –– Methoxypropanol vorlegen –– Wasser und falls notwendig Essigsäure zugeben –– Silan langsam unter Rühren zugeben –– 1 Stunde Rühren (im Labor mit dem Magnetrührer)

Tabelle 6.1: Rezeptur des GLYMO-Haft­ primers [12] Gew.-Teile mmol Methoxypropanol 88,8 986 VE-Wasser 10 556 Eisessig (Katalysator) 0,2 GLYMO 1 4,2 100

Als repräsentative Beispiel werden hier zwei Rezepturen (Tabellen 6.1 und 6.2) aufgeführt; die dort eingesetzten Silane sind in Abbildung 6.8 dargestellt. Die Lagerstabilität der GLYMO-Primerlösung (Tabelle 6.1) wird mit 50 Tage beschrieben [12], da der große Überschuss an Methoxypropanol (Glykolether) die Gleichgewichte in Richtung Edukte verschiebt (Abbildung 6.9). Eisessig (konzentrierte Essigsäure) ist hier als Katalysator notwendig. Häufig werden bei Silanen Katalysatoren zugesetzt, wobei grundsätzlich Säuren sowie Basen die Hydrolyse- bzw. Kondensationsreaktion katalysieren können (Abbildung 6.9). Der GLYMO-Haftprimer kann beispielsweise mit 2K-PUR-Lacken beschichtet werden, weil die Epoxidgruppe von GLYMO mit den Isocyanatgruppen des Härters reagieren kann (Abbildung 6.10). Man kann jedoch nicht generell sagen, dass der GLYMO-Haftprimer immer mit 2K-PUR-Lacken gute Ergebnisse liefert. Eine Einzelfallprüfung ist zwingend not-

Abbildung 6.8: (3-Glycidyloxypro­ pyl)trimethoxysilan (GLYMO) und N-2-Aminoethyl-3-aminopropyltri­ methoxysilan (DAMO)

Abbildung 6.9: Gleichgewichte in einer wässrigen Silanlösung mit einem Überschuss an Alkohol bzw. Glykolether (R-OH)

115

Haftvermittler wendig. Der DAMO-Haftprimer (Tabelle 6.2) wäre auch für 2K-PUR-Lacke prinzipiGew.-Teile mmol ell geeignet. Methoxypropanol 93 1032 Ein Katalysator ist beim DAMO-HaftpriVE-Wasser 5 278 mer (Tabelle 6.2) nicht notwendig, da die DAMO 2 8,9 Aminogruppen des DAMO (Basen) kataly100 tisch wirken. Aufgrund dieser Autokatalyse wird die Lagerstabilität der DAMO-Primerlösung auch nur mit 5 Tagen beschrieben [12], was aber ausreichend ist, da sich diese Primer schnell und problemlos herstellen lassen. Applikation der Haftprimer: Primerlösung dünn auf entfettete Metall-Bleche auftragen, sofort abwischen und dann trocknen lassen; danach mit Lack beschichten. Das Abwischen ist wichtig, da nur dadurch sehr dünne Schichten erzeugt werden, was eine Voraussetzung für deren Wirksamkeit ist. Man darf an diese Haftprimer nicht übertrieben große Erwartungen haben; sie können sehr gute (Nass-)Haftung bewirken aber nicht generell. Eine Einzelfallprüfung ist immer notwendig. In der Literatur [12] werden noch eine ganze Reihe ähnlicher Haftprimer auf Basis anderer Silan-Haftvermittler beschrieben.

Tabelle 6.2: Rezeptur des DAMO-Haftprimers [12]

6.3

Dünne Polymerhaftschichten

Dünne Poly(meth)acrylsäureschichten können, z.B. auf Stahl, die Nasshaftung von vernetzten Beschichtungen (z.B. AK/MF oder 2K-PUR) verbessern [10]. Diese Schichten erzeugt man durch Tauchen von Stahlblech in einer verdünnten (etwa 1 %igen) wässrigen Poly(meth) acrylsäurelösung (1 bis 2 min); pH ≈ 3. Dabei geht Eisen als Eisen(II) in Lösung und man erhält eine organische Konversionsschicht (Abbildung 6.11). Die Abscheidung der Poly(meth)acrylsäuren erfolgt im Sinne einer Autophorese bzw. Chemiphorese; die Dicke der so erhaltenen Schichten liegt im Bereich von nanoskaligen,

Abbildung 6.10: Reaktion von Isocyanaten mit Epoxidgruppen zu Oxazolidonen

116

Abbildung 6.11: Zusammensetzung einer Po­ lyacrylsäurehaftschicht auf Stahl

Aminosilan als Härter in 2K-Epoxidharzlacken ultradünnen Schichten bei 20 bis 30 nm. Für Polyacrylsäure ließ sich ein Optimum der Wirkung bei einer Molmasse von etwa 100.000 ermitteln [10]. Die ungefähre chemische Zusammensetzung einer solchen Haftschicht wird in Abbildung 2.11 gezeigt. Auch Phenolund Epoxidharze können dünne Haftschichten erzeugen [11]. Es handelt sich bei den Poly(meth)acrylsäuren nicht um klassische Additive, die einem Lack zugesetzt werden, sondern letztlich um eine Metallvorbehandlung.

6.4 Aminosilan als Härter in 2K-Epoxidharzlacken In diesen Lacksystemen wird das Aminosilan in Anteilen von deutlich größer als 1 Gew.Teil eingesetzt und ist damit streng genommen kein Additiv mehr, sondern Bestandteil des Bindemittels. Da diese Systeme aber gut zu der in diesem Kapitel beschriebenen Silanchemie passen, sollen sie hier kurz beschrieben werden. Bei den in diesem Kapitel besprochenen Systemen wird zuerst ein Alkoxysilangruppen-haltiges Silicon mit einen hydroxyfunktionellen Epoxidharz kondensiert [13]. Dieses wird dann mit einem Aminosilan als Härter umgesetzt, wobei zwei verschiedene Vernetzungsreaktionen ablaufen: a. Addition der Aminogruppen des Aminosilans an die Oxiranringe des Epoxidharzes. b. Kondensation (unter dem Einfluss von Luftfeuchtigkeit) der Alkoxysilangruppen des mit dem Epoxidharz verbundenen Siloxan/Silicons mit denen des Aminosilans (prinzipiell ähnlich wie in Abbildung 6.7). Aus dieser „doppelten“ Vernetzung resultiert ein hoch vernetztes Siloxan/Silicon-Epoxidharz-Hybrid [13, 14]. Konkret wird hier 3-Aminopropyltriethoxysilan (AMEO) als Aminosilan und ein Silicon-Epoxidharz-System auf Basis eines cycloaliphatischen Epoxidharzes eingesetzt. Abbildung 6.12 macht den Versuch, die Vernetzung des Silicon-Epoxidharz-Hybrides schematisch vereinfacht darzustellen [13, 16]. Da cycloaliphatische Epoxidharze eine eher seltene Bindemittelgruppe sind, werden sie nun kurz beschrieben: Als cycloaliphatisches Epoxidharz wird ein Glycidylether aus hydriertem Bisphenol A [2,2-Bis-(4-Hydroxycyclohexyl)-Propan] und Epichlorhydrin verwendet. Sie verhalten sich bei der Amin-Vernetzung ähnlich wie die aromatischen Epoxidharze auf Basis Bisphenol A. Es gibt jedoch auch Unterschiede: Diese cycloaliphatischen Epoxidharze besitzen bei gleicher mittlerer Molmasse eine signifikant niedrigere Viskosität als die entsprechenden aromatischen Bindemittel und sie sind natürlich besser lichtbeständig. Allerdings erreichen diese cycloaliphatischen Epoxidharze nicht die guten Korrosionsschutz­ eigenschaften der aromatischen Bindemittel [15].

117

Haftvermittler Tabelle 6.3: Richtrezeptur [17] und zwei Rezeptvarianten [16] für 2K-Silicon-Epoxidharz-HybridSysteme Rohstoff Komponente 1 Silicon-EP-Harz Titandioxid Talkum hydrophobe pyrogene Kieselsäure Butylacetat Komponente 2 AMEO Summe

Richtrezeptur

niedriger vernetzt

höher vernetzt

56,8 22,5 1,7

59,0 22,5 1,7

54,8 22,6 1,7

0,9

0,9

0,9

4,3

4,4

4,0

13,8 100,0

11,5 100,0

16,0 100,0

Silicon-EP-Harz: „Silikopon“ EF (98 %ig) Titandioxid: „Kronos“ 2310 Talkum: „Finntalc“ M15-AW hydrophobe pyrogene Kieselsäure: „Aerosil“ R972

Formulierungen In Anlehnung an eine Richtrezeptur [17] wurde ein Weißlack hergestellt. Um den Einfluss der Vernetzungsdichte zu untersuchen, wurde diese Rezeptur [17] mit AMEO gezielt niedriger und höher vernetzt [16]. Alle drei Rezepte sind in Tabelle 6.3 wiedergegeben. Es handelt sich dabei um ultra-high-solid-Lacke (nfA > 90 %). Die Lacke wurden auf Stahlbleche appliziert und eine Woche bei Raumtemperatur gehärtet. Geprüft wurden Haftung, Nasshaftung (nach einer Woche Wasserlagerung), Pendelhärte, Erichsen-Tiefung und MEK-Beständigkeit. Im Rahmen der Messgenauigkeit dieser Prüfmethoden ergaben sich zwischen den drei Ansätzen von Tabelle 6.3 keine signifikanten UnterAbbildung 6.12: Schematisch vereinfachte Darstellung der schiede [16]. Interessant wenn Vernetzung des Silicon-Epoxidharz-Hybrides mit 3-Amino­  [13, 16] auch nicht unerwartet war, dass propyltriethoxysilan (AMEO) und Luftfeuchtigkeit

118

Literatur ein zusätzliches Einbrennen von 45 Minuten bei 180 °C die MEK-Beständigkeit und die Pendelhärte erhöhten (dabei verringerte sich natürlich die Dehnbarkeit und eine gewisse Vergilbung machte sich bemerkbar). Weitere Versuche zeigten, dass sich die Nasshaftung durch partiellen Ersatz des Titandioxides durch den Barrierefüllstoff Glimmer verbessern ließ.

6.5 Literatur [1] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, 4. Auflage 2017 [2] E. M. Petrie, Handbook of Adhesives and Sealants, McGraw-Hill, New York 2000 [3] B. Müller, W. Rath, Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen, Vincentz Network, Hannover 2004 [4] E. P. Plueddemann, Silane Coupling Agents, Plenum Press, New York 1982 [5] U. Deschler et al., Angew. Chem. 98 (1986) S. 237-253 [6] B. Meyer-Roscher, S. Wellman, H. Brockmann, kleben & dichten, Adhäsion, 39 (1995) Nr. 4, S. 34-37 [7] Firmenschrift: Organofunktionelle Silane von Wacker, https://www.wacker. com/cms/media/publications/downloads/6085_DE.pdf [8] N. Wamser, E. Urbino, Farbe & Lack 95 (1989) S. 109 ff [9] W.-D. Kaiser, A. Rudolf, S. Pietsch, Farbe & Lack 103, Nr. 7 (1997) S. 80-88

[10] Z. Gao, H. Yamabe, B. Marold, W. Funke, Farbe & Lack, 98 (1992) S. 917ff [11] J. Gähde, Farbe & Lack 101 (1995) S. 689ff [12] pdf-Datei „Innovative Sol-Gel Coatings with Sivento Silanes“ früher in www.sivento-silanes.de (diese Internetadresse ist nicht mehr gültig) [13] M. Dornbusch, U. Christ, R. Rasing, Epoxidharze, Vincentz Network, Hannover, 2015, S. 102ff [14] M. Heuer, M. Siemens, F. Eichenberger, Farbe & Lack, 122, Nr. 7 (2016) S. 58ff [15] U. Poth, Synthetische Bindemittel für Beschichtungssysteme, Vincentz Network, 2016, S. 289 [16] D. Beljaeva, M. Wrenger, Projektarbeit, Hochschule Esslingen, 2017 [17] Evonik, Guiding Formulation No. 4005, 7/2007

119

Korrosion von Metallen

7

Korrosionsschutzadditive

7.1

Korrosion von Metallen

Unter Korrosion versteht man die (meistens chemische) Reaktion eines (hier metallischen) Werkstoffs mit seiner Umgebung (angreifendes Medium), die eine messbare Veränderung des Werkstoffs bewirkt und zu einem Korrosionsschaden führen kann (Abbildung 7.1). Die hier beschriebenen Korrosionsreaktionen sind Grenzflächenreaktionen; d.h. die Korrosionsgeschwindigkeit wird auch durch die Größe der Grenzfläche bestimmt. Alle Gebrauchsmetalle wie z.B. Eisen sind thermodynamisch in Bezug auf ihre Oxide instabil und deshalb an der Luft immer mit einer (hydratisierten) Metalloxidschicht überzogen (siehe gestrichelte Linie in Abbildung 7.1). Diese Oxidschichten können sehr dünn und damit fast unsichtbar sein; in bestimmten Fällen können sie auch die thermodynamisch instabilen Metalle vor Korrosion schützen (z.B. Chrom, Aluminium), d.h. in einen metastabilen Zustand bringen. Bei der im Folgenden diskutierten atmosphärischen Korrosion ist das angreifende Medium feuchte Luft und unlegierter Stahl (ca. 99,5 % Eisen) korrodiert in einer elektrochemischen Reaktion (Abbildung 7.2). Die atmosphärische Korrosion von Eisen erfolgt unter Verbrauch von Sauerstoff und wird als Sauerstoffkorrosion bezeichnet. Die elektrochemische Korrosion von Eisen verläuft in zwei Schritten (Abbildung 7.2). Zuerst wird Eisen zum schwerlöslichen Eisen(II)hydroxid [Fe(OH)2, farblos] oxidiert, danach in einer Folgereaktion zum roten, wasserhaltigen Eisen(III)oxid – dem Rost. Die Schwerlöslichkeit des intermediär auftretenden Eisen(II)hydroxids verlangsamt die Folgereaktion, da das schwerlösliche Produkt der ersten Reaktion das Abbildung 7.1: Schematische Darstellung der Edukt der Folgereaktion ist. Die kathodiKorrosion metallischer Werkstoffe (die gestri­ schen Teilreaktionen sind in der ersten Rechelte Linie soll die Oxidschichten auf Metal­ aktion und in der Folgeraktion gleich, wolen kennzeichnen) Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

121

Korrosionsschutzadditive bei sich alkalisch reagierende Hydroxylionen bilden (Abbildung 7.2). Diese Hydroxylionen entstehen im kathodischen Bereich, was bei der Korrosion von (verletztem) beschichtetem Stahl zur Osmose und zur Blasenbildung führt, da der kathodische Bereich unter der Beschichtung dicht neben der Verletzung liegt (sog. kathodische Delaminierung). Dies führt zur Unterrostung der Beschichtung (Abbildung 7.3). Eine weitere Konsequenz der kathodischen Teilreaktion ist, dass das Bindemittel für Korrosionsschutzbeschichtungen verseifungsstabil sein muss, da sie andernfalls durch die Hydroxylionen hydrolysiert werden würden. Der Verlust von Metallen durch Korrosion beträgt etwa 5 % der Metallproduktion, was auch mit einem Verlust von Energiereserven verbunden ist. Die jährlichen Verluste, die durch die Korrosion von Metallen entstehen, werden für Industrieländer auf ca. 3,5 % des Bruttosozialproduktes geschätzt.

7.2 Abgrenzung von Korrosionsschutzpigmenten Die Haftung einer Beschichtung ist eine notwendige, aber nicht alleine hinreichende Voraussetzung für den Korrosionsschutz. Darüber hinaus sind noch andere Schutz-

Abbildung 7.2: Elektrochemische Korrosion von Eisen

122

Abbildung 7.3: Korrosion und osmotische Blasenbildung in Bereich des Tankeinfüllstut­ zens eines Autos

Abgrenzung von Korrosionsschutzpigmenten maßnahmen in Betracht zu ziehen wie der Einsatz von Korrosionsinhibitoren bzw. Korrosionsschutzadditiven. Korrosionsschutzpigmente sind streng genommen nicht Inhalt dieses Kapitels; zur Einführung und zur Abgrenzung gegenüber den Korrosionsschutzadditiven wird kurz auf sie eingegangen. Korrosionsschutzpigmente können wie folgt unterteilt werden: a. Aktive, chemisch wirksame Korrosionsschutzpigmente (z.B. Zinkoxid) binden Korrosionsstimulatoren, wie z.B. Chlorid oder Sulfat, durch Bildung unlöslicher Verbindungen und/oder sie stabilisieren den pH-Wert einer Beschichtung im Kontakt mit einem Korrosionsmedium. Dazu müssen sie eine – wenn auch nur geringe – Löslichkeit im Korrosionsmedium aufweisen. b. Aktive, elektrochemisch wirksame Korrosionsschutzpigmente (z.B. Zinkchromat, Zinkphosphat) passivieren Metalloberflächen durch Ausbildung dünner Schichten, wie Chromat- oder Phosphat-Schichten. Dazu müssen sie ebenfalls eine geringe Löslichkeit im Korrosionsmedium aufweisen. Die Abgrenzung zu den chemisch wirksamen Pigmenten (a) kann manchmal unscharf sein, da es Korrosionsschutzpigmente gibt, die auf beide Weisen wirksam werden können (z.B. Zinkphosphat). c. Aktive, kathodisch schützende Korrosionsschutzpigmente (z.B. Zinkstaub) wirken als Opferanoden und schützen damit das Grundmetall. Sie sind als „klassische“ Pigmente unlöslich im Anwendungsmedium. d. Passive Korrosionsschutzpigmente (lamellare Partikel wie z.B. Eisenglimmer, Talkum: Abbildung 7.4) verlängern die Diffusionswege für Korrosionsstimulatoren und erhöhen

Abbildung 7.4: Rastereletronenmikroskopische Aufnahme von Talkum

Abbildung 7.5: Barrierewirkung von lamellaren passiven Korrosionsschutzpigmen­ ten (keine maßstabsgerechte Darstellung).

123

Korrosionsschutzadditive dadurch die korrosionsschützende Wirkung einer Beschichtung (Abbildung 7.5). Sie werden auch Barrierepigmente genannt und sind ebenfalls als „klassische“ Pigmente (bzw. Füllstoffe) unlöslich. Damit können die Korrosionsschutzpigmente aufgrund ihrer Löslichkeit im Korrosionsmedium in geringfügig lösliche (a, b) und unlösliche (c, d) eingeteilt werden. Da einige hochwirksame aktive Korrosionsschutzpigmente (z.B. canceroges Zinkchromat oder Bleimennige) aus ökologischen bzw. toxikologischen Gründen nicht mehr eingesetzt werden sollen und unbedenklichere aktive Korrosionsschutzpigmente, wie z.B. Phosphate, vergleichsweise weniger wirksam sind, wurde nach (möglichst nichttoxischen) organischen Lackadditiven gesucht, die die korrosionsschützenden Eigenschaften von Beschichtungen verbessern. Solche Zusatzstoffe werden üblicherweise als Korrosionsinhibitoren bezeichnet [1, 2], sollten aber besser Korrosionsschutzadditive genannt werden [3, 4]. Im Folgenden wird kurz aufgezeigt, warum zwischen diesen beiden Begriffen unterschieden werden soll. Als Korrosionsinhibitoren im engeren Sinn bezeichnet man in einem flüssigen Medium gelöste Substanzen, die sich an der Phasengrenzfläche Metall(oxid)/Medium anreichern. D.h. es kommt durch Adsorption zum Aufbau einer Schutzschicht an der Phasengrenzfläche und dadurch zur Verhinderung oder Verminderung der Korrosion (vgl. aktive, elektrochemisch wirksame Korrosionsschutzpigmente). Diese Definition kennzeichnet die Primäreigenschaft von Korrosionsinhibitoren, die beispielsweise im Wasser von Kühl- oder Heizkreisläufen eingesetzt werden.

Abbildung 7.6: Mengen der Korrosionsinhibitoren, Korro­ sionsschutzadditive und verschiedener Korrosionsschutz­ pigmente (vereinfachende, qualitative Darstellung)

124

Abbildung 7.7: Bleimennigehalti­ ger Grundanstrich (durch Abnut­ zung der Deckbeschichtung sicht­ bar geworden)

Organische Korrosionsschutzadditive Für die Anwendung in Korrosionsschutzbeschichtungen müssen Korrosionsinhibitoren noch eine Reihe zusätzlicher Anforderungen erfüllen, wie z.B.: –– gute Löslichkeit im flüssigen Lack –– Verträglichkeit mit Lack­bindemitteln –– geringe Wasserlöslichkeit in der getrockneten bzw. gehärteten Beschichtung –– keine negativen Nebenwirkungen wie Verfärbung oder Erhöhung der Hydrophilie der Beschichtung Diese Forderungen führten zur Entwicklung von Korrosionsinhibitoren mit lackspezifischen Sekundäreigenschaften [1], den Korrosionsschutzadditiven. Damit bilden die Korrosionsschutzadditive eine Teilmenge der Korrosionsinhibitoren (Abbildung 7.6). Mit anderen Worten: Jedes Korrosionsschutzadditiv ist ein Korrosionsinhibitor, aber nicht umgekehrt. In Abbildung 7.6 wird der Versuch gemacht, nach dem Prinzip der Mengenlehre qualitativ die Unterschiede zwischen Korrosionsinhibitoren, Korrosionsschutzadditiven und den vier verschiedenen Typen von Korrosionsschutzpigmenten (a bis d, siehe oben) sichtbar zu machen. Das chemisch wie elektrochemisch wirksame Korrosionsschutzpigment Bleimennige wird heute aus ökologischen Gründen in Westeuropa kaum noch eingesetzt, ist aber in alten Grundbeschichtungen noch häufig zu finden (Abbildung 7.7). Bleimennige ist durch seine orangerote Farbe (Farbabbildung 7.7) leicht zu erkennen. Falls in Altbeschichtungen Bleimennige vorkommt, muss bei einer Sanierung der bleihaltige Strahlschutt ordnungsgemäß entsorgt werden.

7.3 Organische Korrosionsschutzadditive Es gibt am Markt eine Reihe von Korrosionsschutzadditiven; allerdings werden deren genaue Zusammensetzung und deren Wirkungsweise von den Herstellern häufig nicht ausreichend bekannt gegeben. Zwei Korrosionsschutzadditive mit bekannter Struktur sind in Abbildung 7.8 dargestellt. Insbesondere über die Wirkungsweise von 2-Mercaptobenzothiazoyl-bernsteinsäure (MBTS) ist einiges bekannt. Einmal wirkt MBTS als schwaches Netzmittel und verbessert die Benetzung von Stahl durch ein Alkydharz; der Randwinkel einer Alkydharzlösung (60 % in Xylol) fällt mit 2 % Zusatz von MBTS von 114° auf 78°. Zum anderen reagiert MBTS während der Korrosionsreaktion mit Eisenionen und inhibiert diese durch Bildung eines unlöslichen Eisen-MBTS-Komplexes (Abbildung 7.9). Erste Voraussetzungen für eine korrosionsinhibierende Wirkung von MBTS ist die Bildung eines Eisen-Inhibitor-Komplexes an der Grenzfläche Eisenoxid/Lack, d.h. eine Chemisorption von MBTS auf der Eisenoxidoberfläche. Darüber hinaus muss dieser Eisen-Inhibitor-Komplex unlöslich sein; wäre er leicht löslich, dann würde die Korrosionsreaktion

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Korrosionsschutzadditive beschleunigt (stimuliert). Wenn nun noch die Bildung des Eisen-Inhibitor-Komplexes schneller ist als Rostbildung, dann wird die Korrosion inhibiert (Abbildung 7.9). Eine besonders gute Wirkung wurde bei der Kombination von MBTS (Korrosionsschutzadditiv) mit Zinkphosphat (aktives Korrosionsschutzpigment) beobachtet. MBTS wirkt zweifach. Einmal in getrockneten Lackfilmen als Korrosionsschutzadditiv (Abbildung 7.9). Zum anderen in flüssigen (!) wässrigen Lacken als „klassischer“ Korrosionsinhibitor zur Inhibierung der Flugbzw. Punktrostbildung während der Abdunstphase. Ein Modellversuch verdeutlicht die korrosionsinhibierende Wirkung von MBTS in wässrigen Lacken; bestimmt wurde der Massenverlust von unlegiertem Stahl nach 200 Stunden in einer wässrigen Kochsalzlösung (0,2  g NaCl/l) bei verschiedenen pH-Werten (Tabelle 7.1). Tabelle 7.1 zeigt zwei Ergebnisse. Erstens inhiAbbildung 7.8: Zwei organische Korrosionsschutzadditive biert MBTS die Korrosion von  [19] MBTS: „Irgacor“ 252 ; gab es auch als Bis-(tridecylammonium)-salz, „Irgacor“ 153 [1], Basisches Zinksalz der Nitroisophthalsäure: „Heucorin“ RZ [5] Eisen in der wässrigen Kochsalz-

Abbildung 7.9: Reaktion von 2-Mercaptobenzothiazoyl-bernsteinsäure (MBTS) mit Eisenionen

126

Korrosionsinhibitoren für Metallpigmente in alkalisch wässrigen Lackmedien lösung. Zweites passiviert ein steigender pH-Wert Eisen [was wegen der Anwendung von unlegiertem Stahl in alkalischem (nicht carbonatisiertem) Beton schon lange bekannt ist]. Eine neuere Gruppe von Korrosionsschutzadditiven für wässrige Lacke sind Komplexe der 3-(Toluoyl)-Propionsäure (TPA, Abbildung 7.10) [1], wie der TPA-Amin-Komplex [(TPA)2 · N-Ethyl­morpholin] und ein TPA-Zirkon-Komplex.

Tabelle 7.1: Massenverlust von unlegiertem Stahl nach 200 Stunden in einer wässrigen Kochsalzlösung (0,2 g NaCl/l). Probe ohne MBTS

+2 % MBTS*

pH-Wert 7,0 8,5 9,5 7,0

Massenverlust [%] 2,6 1,8 1,0 0

8,5

0

9,5

0

* als Ammoniumsalz

7.4 Korrosionsinhibitoren für Metallpigmente in alkalisch wässrigen Lackmedien Auf die Notwendigkeit der Inhibierung der Wasserstoffkorrosion von Aluminiumpigmenten in alkalisch wässrigen Metalliclacken wurde in Kapitel 1.4.5.2 hingewiesen. Hier sollen nun unsere Ergebnisse über die Stabilisierung von Aluminiumpigmenten durch Korrosionsinhibitoren summarisch beschrieben werden, die über viele Jahre in Versuchen gesammelt wurden. Ein Modellsystem aus Wasser und Butylglykol im Verhältnis 9 : 1, wird mit DMEA auf pH-Werte von 8 und 10 eingestellt [6]. Es zeigte sich, dass folgende Substanzklassen zur Korrosionsinhibierung grundsätzlich in der Lage sind (Einzelheiten können der Literatur entnommen werden). a. niedrigmolekulare Korrosionsinhibitoren  [6, 7] –– Chelatkomplexbildner  [8] –– Antioxidantien  [9] (Abbil–– Fluortenside dung 7.11) b. oligomere und polymere Korrosionsinhibitoren  [10, 11] –– Polymere Lackund Druckfarben–– bindemittel [10, 12] Abbildung 7.10: 3-(Toluoyl)-Propionsäure (TPA)

127

Korrosionsschutzadditive

In Abbildung 7.11 werden als Beispiel die untersuchten Fluortenside gezeigt. Die Ergebnisse ließen sich auch auf „lackähnliche“ Systeme (Bindemittelmischungen) übertragen [13]. In angepasster Form war eine Übertragung dieser Prinzipien zur Korrosionsinhibierung auf andere Metallpigmente wie Zink [9, 12, 14, 15], Kupfer und Messing [16] möglich. Es ist dabei zu beachten, dass Aluminium und Zink unter Wasserstoffentwicklung korrodieren, während die edleren Metallpigmente Kupfer und Messing unter Sauerstoffaufnahme reagieren, dies kann gasvolumetrisch gemessen werden. Aluminium: Zink: Kupfer: Messing:

2 Al + 6 H2O  2 Al(OH)3 + 3 H2  Zn + 2 H2O  Zn(OH)2 + H2  2 Cu + O2  2 CuO Cu/Zn + O2  CuO + ZnO

Die Reaktionsgleichungen für Kupfer und Messing sind nicht trivial, da theoretisch zwei verschiedene Kupferoxide (CuO bzw. Cu2O) entstehen können. Es konnte gasvolumetrisch nachgewiesen werden, dass nur Kupfer(II)oxid (CuO) entsteht. Bei pH 8 ist eine vollständige Korrosionsinhibierung durch einzelne Lackbindemittel [12] möglich. Bindemittel sind für die Stabilität von Aluminiumpigmenten in wässrigen Metalliclacken von entscheidender Bedeutung.

Abbildung 7.11: Fluortenside [9]

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Literatur Darüber hinaus führte das Studium der Wechselwirkung von Lackbindemitteln mit Zinkpigmenten [14] zur Entwicklung einer lagerstabilen, wässrigen, einkomponentigen Zinkstaubfarbe [17]. In allen bisher zitierten Arbeiten wurde als Messmethode die Gasvolumetrie benutzt (Wasserstoffentwicklung bzw. Sauerstoffaufnahme). In einem Fall war es möglich, die Adsorption von bestimmten Polymeren und Lackbindemitteln auf Aluminium mit Hilfe der Röntgen-Photoelektronen-Spektroskopie (XPS, x-ray photoelectron spectroscopy) zu untersuchen und dies mit den gasvolumetrischen Ergebnissen zu korrelieren [18].

7.5 Literatur [1] A. Braig, Korrosionsinhibitoren, in Lack­ additive (Hrsg. J. Bielemann), Wiley-VCH, Weinheim (1998), S. 307-324 [2] G. Schulte, W. Greß und R. Höfer, Welt der Farben (1995) Nr. 2, S. 17–22 [3] B. Müller, Farbe & Lack, 106 (2000) Nr. 11, S. 156 [4] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, vierte Auflage 2017 [5] www.heubachcolor.de/de/produkte/pigmentsuche/heucorin/ [6] B. Müller, M. Gampper, Werkstoffe Korrosion, 45 (1994) S. 272–277 [7] B. Müller, K. Franze, Werkstoffe Korrosion, 45 (1994) S. 467–473 [8] B. Müller, M. Müller, I. Löhrke, Farbe & Lack, 100 (1994) S. 528–532 [9] B. Müller, Tenside Surf. Det., 37 (2000) S. 241–244 [10] B. Müller, Reactive & Functional Polymers, 39 (1999) S. 165–177

[11] B. Müller, M. Schubert, C. Oughourlian, Pigment & Resin Technology, 30, Nr. 1 (2001) S. 6–12; 2002 ausgezeichnet mit dem „Highly Commended Award“ des Emerald Literati Club [12] B. Müller, Europ. Coat. Journ., Nr. 5 (2001) S. 81–83 [13] B. Müller, C. Oughourlian, D. Triantafillidis, Journ. Coat. Tech., 73, Nr. 917 (2001) S. 81–84 [14] B. Müller, P. Kienitz, Farbe & Lack 102 (1996) S. 49–55 [15] B. Müller, J. Langenbucher, Corros. Sci., 45 (2003) S. 395–401 [16] B. Müller, C. Oughourlian, M. Schubert, Farbe & Lack, 105, Nr. 5, (1999) S. 48 ff [17] B. Müller, P. Kienitz, Farbe & Lack 102 (1996) S. 76–80 [18] B. Müller, kleben & dichten, Adhäsion, 46, Nr. 6 (2002) S. 34–38 [19] www.chemicalbook.com/ChemicalProductProperty_EN_CB9186907.htm

129

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen

8 Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Bewitterungsbeständigkeit Bewitterung von Beschichtungen Bewitterung ist die Beanspruchung von Beschichtungen im Freien durch das Wetter. Die schädigenden Bestandteile des Wetters sind Licht (insbes. UV-Licht), Luftsauerstoff, Temperatur und Temperaturwechsel sowie Wasser in Form von flüssigem Wasser (Regen, Betauung) oder Wasserdampf (Luftfeuchte). Wasser kann durch Quell- und Trocknungsvorgänge das Eintreten Bewitterungsschäden beschleunigen. Zusätzlich können hierzulande noch Schadgase (SO2, NOx, HCl) aus industriellen Emission hinzukommen („saurer Regen“). Beschichtungen, die nicht dem Wetter ausgesetzt sind, können sehr lange halten. Ein Beispiel sind die steinzeitlichen Höhlenmalereien von Altamira oder Lascaux (um 14.000 vor Chr.); hier muss allerdings eine gewisse Versinterung mit dem Steinsubstrat in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus zeugen die prächtigen Grabmalereien des alten Ägyptens (3. und 2. Jahrtausend vor Chr.) von der Haltbarkeit von Beschichtungen (Abbildung 8.1); diese Gräber sind meist künstliche Felsstollen ohne Licht und einem extrem trockenen Mikroklima. Beschichtungen werden nach ihrer Bindemittelbasis in anorganische, mineralische Systeme (z.B. Kalkfarben, Silicatfarben) und in organische, polymere Systeme (z.B. Ölfarben, Kunstharzlacke) eingeteilt. Organische Beschichtungen werden insbesondere durch Licht und Luftsauerstoff an- Abbildung 8.1: Wandmalerei in Inne­ gegriffen. Anorganische Beschichtungen werden ren des Grabs von Sennofer, Theben, hingegen bei der Bewitterung besonders durch Ägypten (15. Jahrhundert vor Chr.) Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

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Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen Wasser, in der Regel nicht durch Licht und Sauerstoff, angegriffen und sind damit häufig beständiger als organische Beschichtungen. Heutzutage kann man bei modernen, organischen Beschichtungssystemen (z.B. schwerer Korrosionsschutz) von einer durchschnittlichen Nutzungsdauer von 25 Jahren ausgehen; dann muss saniert werden. Anorganische Beschichtungen halten häufig länger. Als extrem witterungsbeständige Beispiele seien hier die relativ gut erhaltenen Malereien (auf Sumpfkalkputzen) an der Außenseite (!) der Moldauklöster in der Bukovina (Rumänien) aufgeführt; diese stammen meist aus dem 16. Jahrhundert nach Chr. (Abbildung 8.2). Im Folgenden wollen wir uns auf moderne organische Beschichtungen beschränken.

8.1

Photooxidation/UV-Degradation

8.1.1

Absorption und Emission von Licht

Die Kenntnis über photochemische Prozesse ist nicht nur für den photooxidativen Abbau von Beschichtungen und für Lichtschutzadditive wichtig, sondern auch für die UV-Härtung (Kettenstart, Kapitel 9), aus diesem Grund wird an dieser Stelle kurz darauf eingegangen. Nur derjenige Bruchteil des Lichtes, der auch vom belichteten Stoff absorbiert wird, kann chemische Reaktionen auslösen (Grotthus-Draper-Gesetz). Licht (elektromagnetische Strahlung) kann von der Materie nur in Form von ganzen Quanten (Photonen, E = h · ν) absorbiert werden. Das Jablonski-Diagramm (Abbildung 8.3) zeigt die Vorgänge bei der Absorption und Emission von Licht. Normalerweise befindet sich ein Molekül im Singulett-Grundzustand (S0); hier sind die Elektronen gepaart und deren Spins antiparallel ausgerichtet. Die Absorption von Licht benötigt nur 10-15 s; dabei geht das Molekül von S0 in den ersten angeregten Singulett-Zustand (S1) über (AbAbbildung 8.2: Malerei (1535 nach Chr.) an bildung 8.3). Voraussetzung für eine Abder Außenfassade der Kirche des Klosters Humor in Rumänien sorption von Licht durch ein organisches

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Photooxidation/UV-Degradation Molekül ist das Vorhandensein eines Chromophors (zur Lichtabsorption befähigtes Molekülsegment). Im Allgemeinen handelt es sich bei Chromophoren um mehr oder weniger ausgedehnte π-Elektronensysteme. Da der S1-Zustand nur eine sehr kurze Lebensdauer von 10-10 bis 10-7 s hat, sind hier als einzige chemische Reaktionen monomolekulare Reaktionen möglich (z.B. intramolekulare Spaltung einer Bindung). Ein solcher Bindungsbruch tritt ein, wenn die absorbierte Energie größer ist als die Bindungsenergie einer chemischen Bindung im Molekül. Bei homolytischer Spaltung der Bindung erhält man zwei Radikale (siehe auch UV-Härtung, Kapitel 9). Die interne Konversion (internal conversion: IC) ist eine sog. strahlungslose Desaktivierung, die 10-12 bis 10-6 s dauert. Dabei wird Energie in kleinen Portionen als Wärme abgegeben. Bei der Fluoreszenz (Dauer: 10-12 bis 10-6 s) wird Licht emittiert, wobei das Molekül in den S1-Zustand zurückkehrt (Abbildung 8.3). Fluoreszenzlicht ist aber meistens energieärmer als das absorbierte Licht (h · ν’ < h · ν). Beim Intersystem Crossing (ISC) geht das Molekül unter Spinumkehr in den ersten angeregten Triplett-Zustand (T1). Dieser Übergang ist streng quantenmechanisch genommen verboten, findet aber trotzdem statt. Aus diesem Verbot erklärt sich die lange Lebensdauer (im Sekundenbereich) des T1-Zustands. Der T1-Zustand hat Diradikalcharakter. Da der T1-Zustand eine relativ lange Lebensdauer hat, sind hier auch bimolekulare (intermolekulare) chemische Reaktionen möglich. Dabei ist auch eine Energieübertragung (durch Stoß) auf andere Moleküle, die selbst kein Licht absorbieren können, denkbar (Sensibilisierung). Bei der Phosphoreszenz (Dauer im Sekundenbereich) wird wieder Licht emittiert, wobei das Molekül in den S0-Zustand zurückkehrt (Abbildung 8.3). Phosphoreszenzlicht ist aber im Allgemeinen energieärmer als Fluoreszenzlicht (h · ν’’ < h · ν’). Sichtbares Licht (VIS) hat eine Wellenlänge von 400 bis etwa 780/800 nm. Nichtsichtbare Strahlung unterhalb 400 nm bezeichnet man als ultraviolettes Licht (UV) und solche oberhalb 800 nm als Infrarotstrahlung (IR). Die Sonnenstrahlung lie- Abbildung 8.3: Vereinfachtes Jablonski-Dia­ fert außerhalb der äußeren Luftschichten gramm: Absorption und Emission von Licht

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Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen (Weltraum) ein kontinuierliches Energiespektrum. Beim Durchgang der Strahlung durch die Atmosphäre absorbieren Wasserdampf (H2O) und Kohlendioxid (CO2) einen Teil der IR-Strahlung, so dass nur das kurzwellige IR (Wärmestrahlung) auf die Erdoberfläche gelangt. Die kurzwellige UV-Strahlung unterhalb 175  nm (sog. Vakuum-UV) wird in Höhen oberhalb 100 km durch Sauerstoff (O2) absorbiert. Die UV-Strahlung zwischen 175 und etwa 290 nm wird in 25 bis 30 km Höhe durch die Ozonschicht (O3) absorbiert. Die Strahlung, die letztlich auf der Erdoberfläche ankommt, zeigt Tabelle 8.1. Tabelle 8.1: Strahlung auf der Erdoberfläche (Global­ strahlung) Anteil Strahlung Wellenlänge [nm] [Energie-%] UV: UV-B 285 bis 315 0,4 UV-A 315 bis 400 5,6 VIS 400 bis 780 50 IR 780 bis 1400 44

8.1.2 Photooxidation von Polymeren und Lackbindemitteln Polymere sind wie alle organischen Verbindungen in Bezug auf Ihre Oxidationsprodukte (CO2, H2O u.a.) thermodynamisch instabil [1]. Die Thermodynamik sagt nichts darüber, in welchem Zeitraum diese Oxidation abläuft. Unter den üblichen Gebrauchsbedingungen führt eine hohe Aktivierungsenergie der Oxidationsreaktion zu einer thermodynamischen Metastabilität (der Begriff der Metastabilität wird in [2] erklärt). D.h. bei Polymeren liegen ähnliche thermodynamische Verhältnisse vor wie bei den Gebrauchsmetallen, die auch in Bezug auf Ihre Oxide thermodynamisch instabil sind (Kapitel 7.1). Organische Werkstoffe wie Polymere bzw. Lackfilme werden durch Luftsauerstoff sehr langsam oxidiert (Autoxidation, Tabelle 8.2); in der Umgangssprache wird dies auch als „Alterung“ bezeichnet. Eine gleichzeitige Einwirkung von Licht (insbesondere energiereiche UV-Strahlung) beschleunigt diese Oxidationsreaktionen (Photooxidation). Der photooxidative Abbau von Polymeren (UV-Degradation) stellt eine chemische Reaktion eines Polymerwerkstoffs mit seiner Umgebung (UV-Licht, Sauerstoff) dar und kann im erweiterten Sinne als Korrosionsreaktion bezeichnet werden Abbildung 8.4: Allgemeine Definition der Korrosion (Abbildung 8.4). Wenn man den Begriff Korrosion

134

Photooxidation/UV-Degradation Tabelle 8.2: Korrosionsreaktionen von Werkstoffen (im weitesten Sinn) Anorganische Werkstoffe nichtmetallische Werkst. metallische (z.B. Gläser, Email) Werkstoffe • chemische Korrosion • chemische Korrosion (Auslaugung) • elektrochemische Korrosion

Organische Werkstoffe Polymerwerkstoffe (Lackfilme, Kunststoffe) • Autoxidation • Photooxidation

soweit wie in Abbildung 8.4 fasst, dann unterliegen alle Werkstoffe (unterschiedlichen) Korrosionsreaktionen (Tabelle 8.2). Abbildung 8.5 vergleicht schematisch die elektrochemische Korrosion von Metallen (Kapitel 7.1) mit der Photooxidation von organischen Werkstoffen und zeigt u.a. folgende wesentliche Unterschiede auf: –– Die elektrochemische Korrosion von Metallen verläuft nur in der Grenzfläche Metall(oxid)/Medium. Die Photooxidation verläuft auch in grenzflächennahen, tieferen Schichten im Polymer (soweit Licht und Sauerstoff eindringen können). Da Lackfilme sehr dünne Polymerschichten sind, ist diese Tatsache hier von besonderer Bedeutung. –– Licht spielt bei der elektrochemischen Korrosion von Metallen keine Rolle, wohl aber bei der Photooxidation. –– Gebrauchsmetalle sind mit Oxidschichten überzogen, die deren Korrosionsverhalten maßgeblich beeinflussen können (Kapitel 7.1). Organische Werkstoffe zeigen dies nicht. Ein eindrucksvolles Beispiel für den Einfluss des Sonnenlichtes zeigt Abbildung 8.6; Die der Sonne ausgesetzten Vorderseiten der beiden Schilder zeigen fast alle Bewitterungsschadensbilder, die es gibt. Man sieht auch deutlich (Abbildung 8.6, Mitte), dass die photochemische Zerstörung der Beschichtung des oberen Schildes dessen Schutzwirkung

Abbildung 8.5: Schematischer Vergleich der elektrochemischen Korrosion von Metallen mit der Photooxidation von organischen Werkstoffen Die gestrichelte Linie an der Oberfläche des metalli­ schen Werkstoffs stellt die Oxidschicht dar

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Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen in Bezug auf das Substrat aufhebt; der Stahl beginnt zu rosten. Die in einer Schattenzone befindliche Rückseite der Schilder ist dagegen nahezu unversehrt (Abbildung 8.6, rechts). Zur weiteren Illustration der Wirkung von Photooxidation zeigt Abbildung 8.7 eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme einer stark bewitterten Oberfläche einer Beschichtung eines Eisenbahnwagons. Ein wirklich extremes Beispiel für Bewitterungsschäden an Automobilen zeigt Abbildung 8.8; da die Kühlerhaube eines Autos von unten durch den Motor „beheizt“ wird und gleichzeitig der Einfallswinkel für das Licht steil ist, sind Bewitterungsschäden auf der Kühlerhaube häufig besonders stark ausgeprägt. Besonders gut wurde die Photooxidation am einfachsten Polymer, dem Polyethylen [(-CH2-CH2-)n], untersucht [1, 4]; dabei handelt es sich um ein Radikalkettenreaktion (Abbildung 8.9). Anfängliche Verständnisprobleme bereitet insbesondere der Kettenstart in Abbildung 8.9. Hochreine Polymere sind häufig sehr gut wetterbeständig, da sie wegen des Fehlens entsprechender Chromophore nicht in der Lage sind, die zur Radikalbildung (Kettenstart) notwendige energiereiche Strahlung zu absorbieren. Ohne Absorption kann die Photooxidation nicht initiiert werden [1]. Technische Polymere enthalten aber meistens ausreichend prozessbedingte Zusätze oder Verunreinigungen, die als Chromophore wirken und die aufgenommene Strahlungsenergie im langlebigen T1-Zustand durch Stoß an die Makromoleküle weitergeben können. Diese Verunreinigungen werden deshalb als Sensibilisatoren bezeichnet (Abbildung 8.9: Kettenstart).

Abbildung 8.6: Bewitterungsschäden an Schildern; stark der Sonneneinstrahlung ausgesetzte Vorderseite (links), Detailaufnahme davon (Mitte) und die im Schatten befindliche Rückseite (rechts)

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Photooxidation/UV-Degradation Anzumerken ist, dass die Ketten­ab­bruchreaktion zu einer Vernetzung führt (Abbildung 8.9), was eine Versprödung des Polymers bewirkt. Ist die Radikalkettenreaktion erst einmal in Gang gekommen, wird sie immer schneller, da es durch photochemische Spaltung der gebildeten Hydroperoxide zur Bildung weiterer Radikale kommt. Dies bezeichnet man als Radikal-Kettenverzweigung (Abbildung 8.10). Darüber hinaus kann es auch zu Spaltungen der Polymerkette kommen. Das kann zwei Konsequenzen haben.

Abbildung 8.7: Rasterelektronenmikroskopi­ sche Aufnahme einer stark bewitterten Oberflä­ che einer Beschichtung eines Eisenbahnwagons, Maßstabsbalken 2 µm

Abbildung 8.8: Bewitterungsschäden auf der Kühlerhaube eines Autos

Abbildung 8.9: Stark vereinfachte Darstel­ lung der Photooxidation von Polymeren

Abbildung 8.10: Radikal-Kettenverzweigung und Polymer-Kettenspaltung

137

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen 1. Es kommt bei der Polymer-Kettenspaltung zur Bildung eines Aldehyds, der UV-Licht absorbieren kann (n-π*-Übergang). 2. Die Polymer-Kettenspaltung (Abbildung 8.10) führt, ähnlich wie die Vernetzung (Abbildung 8.9.), zu einer Versprödung des Polymers. Bei den im Vergleich zu Polyethylen komplizierter aufgebauten Lackbindemitteln sind die bei der Photooxidation ablaufenden Reaktionen meist noch nicht vollständig aufgeklärt. Allgemein verschlechtern aromatische Bausteine in Lackbindemitteln (z.B. Epoxidharze, aromatische Polyurethane) deren Lichtbeständigkeit, da diese langwelliges UV-Licht absorbieren und damit photochemische Reaktionen einleiten können. Ein Sensibilisator ist dann nicht mehr erforderlich. So sind 2K-PUR-Lacke mit aliphatischen Isocyanaten lichtstabil, während solche mit aromatischen Isocyanaten schon bei Bestrahlung mit relativ langwelligem UV-Licht (335 bis 410 nm) schnell vergilben (Abbildung 8.11). Deutlich ist diese Vergilbung auch an billigen Schaumstoffen auf Basis aromatischer Polyurethane zu erkennen (Abbildung 8.12). Chlorierte Bindemittel (RUC, PVC-Copolymere) verhalten sich aufgrund der leichten Bildung von Chlorradikalen ebenfalls ungünstig bei Bewitterung.

Abbildung 8.11: Photooxidation eines Poly­ urethans auf Basis MDI (vereinfachte Dar­ stellung)

138

Abbildung 8.12: Vergilbung eines Schaum­ stoffs auf Basis aromatischer Polyurethane

Schadensbilder von Beschichtungen nach der Bewitterung

8.2 Schadensbilder von Beschichtungen nach der Bewitterung 8.2.1

Kreidung

Unter Kreidung bzw. Abkreidung versteht man das Ablösen von Pigmenten und Füllstoffen, die infolge des Abbaus des Bindemittels an der Oberfläche eines Anstrichs freigelegt werden. Im Besonderen wird unter Kreidung der photooxidative Abbau von Anstrichen verstanden, die Titandioxid enthalten [5, 6]. Abbildung 8.13 zeigt Kreidung auf einem Kunststoffanbauteil eines Autos; der Vergleich mit der intakten Metallbeschichtung der Kühlerhaube zeigt das Schadensbild besonders deutlich. In Abbildung 8.14 ist ein Fall von ausgeprägter Kreidung an einem im Freien stehenden Metalltor zu sehen. Wenn man mit der Fingerspitze über diese Beschichtung fährt, ist die Fingerkuppe durch abgewischtes Titandioxid weiß; dadurch wird die Beschichtung „blauer“ (Abbildung 8.14). Abbildung 8.15 zeigt eine rasterelektronenmikroskopische Aufnahme dieser Beschichtung [3]; die Oberfläche besteht nur noch aus Titandioxidpartikeln, die nicht mehr durch Bindemittel untereinander verbunden sind (Abbildung 8.15). Abbildung 8.16 stellt den Bindemittelabbau durch Kreidung schematisch vereinfacht dar; nach Kreidung sind die Titandioxidpartikel nicht mehr miteinander durch Bindemittel, sondern nur noch durch einen schmalen Bindemittelsockel (in der Schattenzone) mit der Beschichtung verbunden und können damit leicht abgewischt werden.

Abbildung 8.13: Kreidung auf der Lackierung eines Kunststoffanbauteils an einem Auto

Abbildung 8.14: Kreidung eines im Freien ste­ henden Metalltors (REM siehe Abbildung 8.15)

139

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen Bei der Kreidung wird photooxidativ Bindemittel abgebaut. Das geschieht nach zwei verschiedenen Mechanismen: 1. Durch „normale“ Photooxidation (Kapitel 8.1.2) oder 2. Durch den sog. photokatalytischer Oxidationszyklus, wobei Titandioxid den photooxidativen Abbau des Bindemittels katalysiert (beschleunigt).

8.2.1.1

Photokatalytischer Oxidationszyklus

Die Titandioxidmodifikation Anatas ist photokatalytisch aktiver als Rutil; daher wird in Beschichtungen in der Regel Rutil eingesetzt. Die meisten anorganischen Buntpigmente (z.B. Eisen- oder Chromoxide) sind photoinaktiv; d.h. sie stabilisieren den Lackfilm sogar in Bezug auf den photooxidativen Abbau (siehe Kapitel 8.3.1). Abbildung 8.17 zeigt schematisch den Mechanismus des photokatalytischen Oxidationszyklus auf Titandioxidoberflächen. An der Oberfläche von Titandioxid befinden sich an feuchter Luft immer Oberflächenhydroxygruppen (Ti-OH-Gruppen). Der in Abbildung 8.17 vereinfacht dargestellte photokatalytische Oxidationszyklus lässt sich in vier Schritten erklären: 1.  Der Primärschritt des Kreidungsvorgangs ist die Absorption von UV-A-Licht durch Titandioxid, dies führt zur Bildung eines ElektronLoch-Paars (Exciton, AbbilAbbildung 8.15: Rasterelektronenmikroskopische Auf­ dung 8.17), da Titandioxid nahme einer stark gekreideten Beschichtungsoberfläche ein Störstellenhalbleiter ist. (Metalltor in Abbildung 8.14) Das Elektron wird durch die absorbierte Lichtenergie aus dem vollen Valenzband in das leere Leitungsband angehoben (Abbildung 8.18). 2. Das OH-Radikal startet eine Radikalkettenreaktion an dem direkt am Titandioxidkorn befindlichen Bindemittel, da es nur eine sehr kurze LebensAbbildung 8.16: Stark vereinfachte Darstellung der Kreidung dauer (10-4 bis 10-5 s) hat.

140

Schadensbilder von Beschichtungen nach der Bewitterung 3. Luftsauerstoff reoxidiert Titan(III) zu Titan(IV) und das Radikalanion O2- wird adsorbiert. 4. Protonen aus dem Dissoziationsgleichgewicht des Wassers setzen das Peroxidradikal (HO2•) frei, das ebenfalls mit dem am Titandioxidkorn befindlichen Bindemittel reagiert. Das verbleibende Hydroxylion bildet mit Titan(IV) wieder eine Oberflächenhydroxygruppe (Ti-OH); der photokatalytische Oxidationszyklus ist damit geschlossen (Abbildung 8.17). Gleichzeitig mit der „normalen“ Photooxidation an der Beschichtungsoberfläche läuft ein innerer Abbau im Film ab (photokatalytischer Oxidationszyklus an Titandioxid und UVDegradation), da erstens Feuchtigkeit und Sauerstoff leicht in den Film diffundieren können und zweitens die für den Abbau notwendige UV-Strahlung selbst in einem mit 15 Vol.- % Titandioxid pigmentierten Anstrichfilm in einer Tiefe von 30  µm nur um 30 bis 40 Energie- % abgeschwächt ist. Maßnahmen zur Verhinderung der Kreidung bei Rutil-Pigmenten sind: a. Einbau von beispielsweise photoinaktivem Zirkondioxid in die obersten Lagen des Pigmentkorns. Abbildung 8.17: Photokatalytischer Oxidationszyklus (die b. Zusätzliche Kreidungsstabili- Ladungen am Titan sind als Oxidations­stufen zu verstehen) sierung durch Umhüllung der Pigmentoberfläche mit Fällungen von Kieselsäure (wasserhaltiges Siliciumdioxid: SiO2 · x H2O) und Aluminiumoxidhydrat (Al2O3 · x H2O); siehe Kapitel 1.4.2.1. Diese Fällungen sind oberflächenreich und katalysieren die Rekombination von Radikalen Abbildung 8.18: Absorption von UV-Strahlung durch Titandioxid (Bändermodell) (Kettenabbruch).

141

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen Edelkreidung Heutzutage sieht man den Vorgang der Kreidung auch unter positiven Gesichtspunkten. Die photooxidative Freilegung von Pigmenten und Füllstoffen an der Oberfläche von Fassadenbeschichtungen und Straßenmarkierungsfarben bewirkt eine Art Selbstreinigung [14] und verhindert auch Algen- und Pilzbefall (Edelkreidung). Durch eine Pigmentierung mit (nanoskaligem) Titandioxid in der Anatas-Modifikation kann man selbstreinigende Oberflächen erzeugen; allerdings wird dadurch die Lebensdauer der Beschichtungen verkürzt.

8.2.2

Abbildung 8.19: Ausbleichen eines organischen Rotpigments (oberes Verkehrszeichen)

Abbildung 8.20: Organische Farbmittel

142

  Ausbleichen

Unter Ausbleichen versteht man den photochemischen Abbau von organischen Farbmitteln durch absorbiertes UV-Licht (Abbildung 8.19). Die photochemische Stabilität von organischen Buntpigmenten hängt von deren chemischer Zusammensetzung und Konzentration im Lackfilm ab; Volltöne sind häufig (scheinbar) stabiler als Pastelltöne. Darüber hinaus nimmt die photochemische Stabilität organischer Farbmittel mit fallender Teilchengröße ab; molekular gelöste organische Farbstoffe sind in der Regel nicht lichtecht (Abbildung 8.20). Organische Buntpigmente werden photochemisch stabiler mit steigender Zahl von interund intramolekularen Wasserstoffbrückenbindungen [7]. Abbildung 8.21 zeigt als einfaches Beispiel Indanthron-Blau (Pigment Blue 60) mit zwei intramolekularen Wasserstoffbrücken. Diese können absorbierte Lichtenergie portionsweise in (unschädliche) Wärmeenergie umwandeln (weiteres dazu siehe in Kapitel 8.3.2.1).

Schadensbilder von Beschichtungen nach der Bewitterung

8.2.3 Versprödung und Rissbildung Durch die photooxidative Spaltung von langen und damit zähelastischen Polymerketten in kleinere Bestandteile (Abbildung 8.10) und durch die nachträgliche Vernetzung dieser Bruchstücke (Pol-O-O-Pol, Abbildung 8.9) werden bewitterte Lackfilme im Laufe der Zeit hart und spröde; das bedeutet, dass die Glastemperatur (Tg) und die Oberflächenhärte steigen. Abbildung 8.22 macht den Versuch, diese Netzwerksveränderungen darzustellen; dabei ist die Zahl der zusätzlichen Vernetzungen gleich der der Kettenspaltungen. Darüber hinaus können niedrigmolekulare (weichmachende) Filmbestandteile bzw. Spaltprodukte ausgewaschen werden (Abbildung 8.22). Das führt zu einer Massenabnahme des Bindemittels und erhöht ebenfalls die PVK und Tg. Die Versprödung verläuft von der Lackoberfläche ins Innere des Films. So erhält man eine harte und spröde Deckschicht auf einer zähelastischen unteren Schicht (vgl. Reißlacke), dies kann durch die thermischen und hygrischen Bewegungen des Lackfilms im Laufe der Zeit zur Rissbildung führen (Abbildung 8.23 und 8.24). Das in Abbildung 8.23 abgebildete Beispiel ist ein extremer (und seltener) Fall für Rissbildung bei einer bewitterten Automobilbeschichtung. Beschichtungen auf metallischen bzw. mineralischen Baustoffen können bis zu 25 Jahre halten; Holzschutzbeschichtungen auf der Wetterseite von Häusern neigen dagegen nach wenigen Jahren zur Riss-

Abbildung 8.21: Indanthron-Blau (Pigment Blue 60) mit zwei intramolekularen Wasser­ stoffbrücke

Abbildung 8.22: Schematische Darstellung Netzwerksveränderungen bei der UV-Degradation

Abbildung 8.23: Rissbildung bei einer Automobilbeschichtung (Rissbreite im Millimeter-Bereich)

143

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen

Abbildung 8.24: Risse in einer Eisenbahnbe­ schichtung (Rissbreite im Centimeter-Bereich) [16]

Abbildung 8.25: Delamination einer Eisen­ bahnbeschichtung [16]

bildung. Gründe dafür sind einerseits die photochemisch bedingte Versprödung der Beschichtung (siehe oben) und andererseits die hygrischen Bewegungen von Holz: Quellung bei hoher Feuchtigkeit und Austrocknen (Schrumpfung) bei niedrigerer (siehe Kapitel 8.2.4). Im Gegensatz zu Holz zeigen metallische bzw. mineralische Baustoffe nur thermische aber keine hygrischen Bewegungen [8]. D.h. auch das Substrat kann einen Einfluss auf die Wetterbeständigkeit von Beschichtungen haben. Fortschreitende Versprödung führt letztlich zu einer Enthaftung (Delamination) der Beschichtung (Abbildung 8.25).

Abbildung 8.26: Photooxidation von Lignin (stark vereinfachte Formelgleichung

Abbildung 8.27: Beschichteter Holzbalken auf einem überdachten aber seitlich offenen Balkon; die West-Seite ist dem Sonnenlicht ausgesetzt (rechts), die Nord-Seite nicht (links)

144

Schadensbilder von Beschichtungen nach der Bewitterung Tabelle 8.3: Zusammensetzung von Holz Anteil [%]

Verbindung

Funktion/Eigenschaft Stütz- und Gerüstsubstanz

40–50

Cellulose* (Fasern)

20–30 20–40

Lignin Hemicellulosen**

(Aufnehmen von Zugkräften) Bindemittel Kittsubstanzen, Flexibilisatoren

1–10

Zucker, Stärke, Proteine

extrahierbare Stoffe

0,2–0,8 Mineralien * siehe Kapitel 4.1.3.3 ** niedrigmolekularer als Cellulose

8.2.4

Besonderheiten bei der Bewitterung von Holz

Allgemein hat Holz eine poröse Struktur (Abbildung 3.2 in Kapitel 3); seine Zusammensetzung ist in Tabelle 8.3 zusammengefasst. Bestrahlt man unbeschichtetes Holz mit Licht einer Wellenlänge von 300 bis 540 nm, so kommt es zu einem photochemischen Abbau des aromatischen Lignins [15], was sich durch eine Verfärbung („Bräunung“) bemerkbar macht. Eine stark vereinfachte Formelgleichung dieser Photooxidation zeigt Abbildung 8.26; diese Reaktion führt zu einem Chromophor, was die Verfärbung („Bräunung“) erklärt. Mit der Zeit werden die Photooxidationsprodukte durch Regenwasser ausgewaschen und farblose Cellulose bleibt zurück; man bezeichnet diesen Vorgang auch als „Vergrauung“  Im Freien halten Beschichtungen auf metallischen oder mineralischen Substraten bis zu 25 Jahre, während Holzbeschichtungen an der Sonnenseite von Gebäuden schon nach wenigen Jahren reißen (Abbildung 8.27). Der photooxidative Abbau der Holzbeschichtung führt zur Versprödung (Kapitel 8.2.3) und die hygrischen Bewegungen des Holzsubstrats verursachen ein Reißen der Beschichtung. Unter den hygrischen Bewegungen von (porösem) Holz versteht man ein Abbildung 8.28: REM einer Bruchkante eines beschichte­ Quellen (Ausdehnen) bei hoher ten Sperrholzbrettchens (sehr dünne Schicht eines oxida­ Luftfeuchte und ein Schrump- tiv härtenden Klarlacks)

145

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen fen (Kontraktion) bei niedriger Luftfeuchte. Im Gegensatz zu Holz zeigen metallische und mineralische Substrate keine hygrischen Bewegungen [8] und Beschichtungen hierauf sind stabiler. Mit anderen Worten, auch das Substrat kann die Wetterstabilität von Beschichtungen beeinflussen. Abbildung 8.28 zeigt die Bruchkante eines beschichteten Sperrholzbrettchens (sehr dünne Schicht eines oxidativ härtenden Klarlacks), was die komplexen Strukturen von beschichtetem Holz sichtbar machen soll.

8.2.5 Spezielle Schadensbilder bei Zweischicht-Effektlackierungen Mögliche Schadensbilder bei der Zweischicht-Effektlackierung sind im Klarlack Glanzabfall, Vergilbung und Rissbildung (Abbildung 8.23). Da sich die Brechzahlen des Klarlackbindemittels (n ≈ 1,5) und der Luft (n = 1,0) deutlich unterscheiden und gleichzeitig Metalleffektpigmente im Basislack Licht reflektieren, kann insbesondere bei hellen Metallicfarbtönen Licht im Klarlack mehrfach intern reflektiert werden. D.h. ein Klarlack über einem (hellen) Metallicbasislack muss eine höhere Lichtintensität aushalten als z.B. ein Klarlack über einem schwarzen Uni-Basislack. In der Grenzschicht Klarlack/Basislack können sich durch bewitterungsbedingte osmotische Vorgänge Blasen bilden, und es kann zum Haftungsverlust (Delamination) kommen (Abbildungen 8.29 und 8.30). In bunt pigmentierten Basislacken sind insbesondere bei hellen Farbtönen Farbtonveränderungen (Ausbleichen) möglich. Dunkle Farbtöne erscheinen stabiler, da man hier einen gewissen photochemischen Abbau von organischen Buntpigmenten visuell nicht bemerkt. Füller können auch anteilig geringe Mengen an nicht witterungsbeständigen (aromatischen) Epoxidhar-

Abbildung 8.29: Blasenbildung und Enthaf­ tung eines Autoklarlacks (makroskopische Aufnahme)

146

Abbildung 8.30: Großflächige Klarlackent­ haftung

Schadensbilder von Beschichtungen nach der Bewitterung Tabelle 8.4: Rissbildung bei 1K-Klarlacken Basisharz (immer + MF-Harz) AK AK/AY AY AY + Lichtschutz-additiv

Rissbildung nach Florida [a] WOM KFA [h]* 1 200 2 1000 >5 ** 1500 >5 ** 3200

* Weather-O-Meter Kantenfilter A, ** Test nach 5 Jahren abgebrochen

zen enthalten, deshalb kann es insbesondere im Falle von nicht deckend lackierten Basislacken zu photochemischen Abbauerscheinungen in der Grenzschicht Basislack/Füller kommen. Dies bezeichnet man als Unterkreidung, und es kann zum Haftungsverlust Basislack/ Füller kommen. Hier muss auch bedacht werden, dass die Deckfähigkeit von Perlglanzeffektpigmenten geringer ist als von Metalleffektpigmenten. Im Folgenden wird ein kurzer historischer Abriss über die Entwicklung von 1K-Klarlacken für die Zweischicht-Metalliclackierung gegeben. Diese Entwicklung zeigt deutlich die Verbesserung der Witterungsbeständigkeit (Tabelle 8.4). Die Einbrennklarlacke der ersten Generation in den 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren auf Basis Alkyd/Melaminharz. Dieses Bindemittelsystem von den Einschicht-Unidecklacken galt als relativ witterungsbeständig. Nicht bedacht hatte man die stabilisierende Wirkung der Pigmente (Kapitel 8.3.1) in Unidecklacken und die interne Mehrfachreflexion in Klarlacken (siehe oben). Dies führte nach vergleichsweise kurzer Zeit zur Rissbildung (Tabelle 8.4). Acrylate waren schon als witterungsbeständig bekannt, aber zeigten damals noch keinen ausreichenden Glanz. Deshalb arbeitete man in einer Übergangsphase mit einer Mischung aus Alkyd- und Acrylatharz (natürlich plus witterungsstabiles Melaminharz). Dies führte zu einer allerdings noch nicht zu einer ausreichenden Verbesserung der Witterungsbeständigkeit (Tabelle 8.4). Den Durchbruch brachte erst die Entwicklung von glänzenden Acrylatbindemitteln für Klarlacke. Zu einer weiteren Verbesserung führten dann noch die Lichtschutzadditive. Tabelle 8.4 zeigt deutlich, dass die Bewitterungstests in Florida und im Weather-O-Meter in die gleiche Richtung zeigen, dass aber die Abstände verschieden sind. Tabelle 8.4 beschreibt die Verhältnisse stark vereinfacht; beispielsweise bewirkt ein zu hoher Styrolgehalt in Acrylaten eine Abnahme von deren Wetterbeständigkeit auch in Bezug auf Rissbildung. Bei diesen Prüfungen, wie in Tabelle 8.4 aufgezeigt, muss auf eine einheitliche Klarlackschichtstärke geachtet werden, da die Zeit bis zur Rissbildung mit wachsender Schichtstärke länger wird. Bei polierten Lackfilmen tritt Rissbildung vorzeitig in Polierrichtung auf. Allgemein ist die Witterungsbeständigkeit von Autolacken und insbesondere von Zweischicht-Effektlackierungen heutzutage sehr groß. Schadensbilder wie in Abbildungen 8.29

147

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen und 8.30 findet man deshalb hierzulande nur noch selten. Das Foto für die Abbildung 8.29 wurde von einem Fahrzeug auf der kroatischen Insel Brač aufgenommen; dort ist bekanntlich die Sonneneinstrahlung intensiver und damit sind Bewitterungsschäden häufiger als hierzulande.

8.3 Stabilisierung von Lackfilmen gegen Photooxidation 8.3.1

Pigmentierung

Eine alte Faustregel besagt, dass pigmentierte Anstriche die doppelte bis vierfache Lebensdauer wie Klarlackfilme des gleichen Bindemittels haben. Sehr gut stabilisierende Pigmente sind Eisenoxide; auch die transparenten Typen, die in Holzschutzlasuren eingesetzt werden. Darüber hinaus ist noch Farbruß, der schon in geringen Mengen wirkt, zu erwähnen. Ruß wirkt einerseits als UV-Absorber, weil er UV-, VIS- und IR-Strahlung absorbiert. Andererseits wirkt Ruß auch als Radikalfänger, dies ist auf die funktionellen Gruppen an der Rußoberfläche zurückzuführen (vgl. sterisch gehinderte Abbildung 8.31: Schematische Darstellung von sauer­ Phenolderivate als Hautverhinstofffunktionellen Gruppen auf Rußoberflächen derungsmittel, Kapitel 5.1.1). Abbildung 8.31 zeigt schematisch die sauerstofffunktionellen Gruppen auf Rußoberflächen. Tabelle 8.5 zeigt, dass insbesondere nachoxidierte Ruße einen hohen Sauerstoffgehalt aufweisen. Tabelle 8.6 stellt den witterungsbedingten Abbau von Beschichtungen auf Basis eines langöligen Soja-Alkydharzes dar. Man sieht deutlich, dass eine Pigmentierung (insbesondere mit Eisenoxid) die WetAbbildung 8.32: Einfluss der Pigmentierung auf die Lichtstabilität terbeständigkeit verbessert.

148

Stabilisierung von Lackfilmen gegen Photooxidation Abbildung 8.32 zeigt drei ver- Tabelle 8.5: Chemische Zusammensetzung von Ruß schiedene Fälle der Pigmentie- (Grenzwerte) Element Gew.-% rung. Dabei muss man bedenKohlenstoff 80 bis 99,5 b  ei nicht nachoxidierken, dass glänzende Lacke weit tem Rußen ist C >95 % unterhalb der kritischen PigWasserstoff 0,3 bis 1,3 ment-Volumen-Konzentration Sauerstoff 0,5 bis 15 (!) Nachoxidation erhöht (KPVK) an der Oberfläche eine Sauerstoffgehalt bis Art Klarlackschicht bilden, die max. 15 % für den Glanz verantwortlich ist. Stickstoff 0,1 bis 0,7 Diese Klarlackschicht ist durch Schwefel 0,1 bis 0,7 Pigmente ungeschützt und baut bei der Bewitterung zuerst ab. Tabelle 8.6: Witterungsbedingte Abbaurate von Beschich­ Deshalb ist Glanzverlust in der tungen auf Basis eines langöligen Soja-Alkydharzes Regel das erste Schadensbild Beschichtung Abbaurate [µm/Jahr] bei der Bewitterung. Fall 1 in AbKlarlack 10 bildung 8.32 sind isometrische 3 15 Vol.-% TiO Pigmente (z.B. Titandioxid oder 2 O 1,5 15 Vol.-% Fe Eisenoxid); hier wird das einfal2 3 lende Licht durch Lichtstreuung und Lichtabsorption abgeschwächt. Die Fälle 2 und 3 betreffen plättchenförmige (anisometrische) Pigmente wie z.B. Aluminiumpigmente (Abbildung in Kapitel 1.4.5.1) oder Eisenglimmer (Abbildung 8.33, [3]). Diese schützen den Lackfilm durch Lichtreflexion (beim farbigen Eisenglimmer zusätzlich noch Lichtabsorption). Insbesondere Leafing-Aluminiumpigmente (Kapitel 1.4.5.1) machen den Film oben „dicht“ und schützen das Innere vor Lichteinfall (Abbildung 8.32, Fall 3). Ein Anstrichfilm mit 15  Vol.-% Titandioxid hat in 30  µm Tiefe erst 30 bis 40 % der Energie von einfallendem UV-A-Licht absorbiert. Mögliche Folgen sind Unterkreidung bei nicht lichtstabilen Grundlacken und danach Delaminierung nach Feuchtigkeitsbelastung. Günstiger in Bezug auf den Lichtschutz sind lamellare Pigmente (z.B. Aluminium, Eisenglimmer), die Licht Abbildung 8.33: Rasterelektronenmikroskopische Auf­ reflektieren (Abbildung 8.32). nahme von Eisenglimmer

149

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen

Abbildung 8.34: Durchgang eines Lichtstrahls durch ei­ nen Klarlackfilm

Abbildung 8.35: Prinzipielle Wirkungsweise von UV-Absorbern

Amingehärtete Epoxidharzbeschichtungen [2] sind aufgrund ihres aromatischen Charakters wenig lichtstabil. Im schweren Korrosionsschutz sind jedoch Epoxidharze wegen ihrer guten Korrosionsschutzwirkung das Bindemittel der Wahl; hier werden Epoxiddecklacke häufig mit Eisenglimmer (Abbildung 8.33) pigmentiert, um die schlechte Wetterbeständigkeit des Bindemittels durch eine geeignete Pigmentierung zu verbessern. Bei unpigmentierten Klarlacken wird der Untergrund (z.B. Holz) nur unvollständig vor Licht geschützt, da nur die Eigenabsorption des Bindemittels wirkt (Abbildung 8.34). Für die Eigenabsorption des Bindemittels gilt das Lambert-Beer‘sche Gesetz: E = lg(I0/I) = ε · c · d

Abbildung 8.36: Verschiedene Typen von organischen UV-Absorbern (vereinfachte Darstellungen)

150

E: E  xtinktion I0: einfallende Lichtintensität I: verbleibende Lichtintensität nach Durchgang durch den Lackfilm (Abbildung 8.34) ε: Extinktionskoeffizient [Maß für die Eigenabsorption; ε = f(λ)] c:  Konzentration (z.B. der chromophoren Gruppen des Bindemittels) d: Schichtdicke, die das Licht durchdringt

Stabilisierung von Lackfilmen gegen Photooxidation Das Lambert-Beer’sche Gesetz gilt streng nur für molekular im Bindemittel gelöste Substanzen wie z.B. UV-Absorber (siehe nächster Abschnitt 8.3.2.1).

8.3.2

Lichtschutz­additive

8.3.2.1 UV-Absorber

UV-Absorber gehören zu den Lichtschutzadditiven. Sie absorbieren (schädigendes) UV-Licht und wandeln es portionsweise in (unschädliche) thermische Energie um (Abbildung 8.35). Nach dem Lambert-Beer’­schen Gesetz (siehe oben, Abschnitt 8.3.1) ist der UV-Absorber umso wirksamer je höher seine Konzentration c, seine Eigenabsorption ε = f(λ) und die Schichtstärke des Lackfilms d ist. Deshalb schützt ein UV-Absorber den Untergrund und vielleicht noch die tiefer liegenden Schichten des Lackfilms aber nicht die Lackoberfläche. Organische UV-Absorber Aufgrund der chemischen Strukturen gibt es verschiedene Typen von UV-Absorbern am Rohstoffmarkt [9]; eine Auswahl zeigt Abbildung 8.36. Bei den vier verschiedenen chemischen Strukturen in Abbildung 8.36 fällt auf, dass alle intramolekulare Wasserstoffbrücken haben, was – wie gleich zu sehen ist – für deren Wirkung von entscheidender Bedeutung ist. Wirkungsmechanismus von UV-Absorbern auf Basis Benzotriazol Der Wirkungsmechanismus von UV-Absorbern ist am Beispiel der Hydroxyphenyl-Benzo­ triazole ausführlich untersucht worden [10]. Um diesen Mechanismus zu verstehen, wird zunächst die Umprotonierung bei diesen Benzotriazolen erklärt (Abbildung 8.37); die Umprotonierung ist aus sterischen Gründen wegen der intramolekularen Wasserstoffbrücke leicht möglich. Im Grundzustand S0 kommt es zu keiner Umprotonierung (Abbildung 8.37). Durch Absorption von Licht geht das Benzotriazol in den elektronisch angeregten Zustand S1 über, wobei dieser Übergang mit großen Änderungen der Aciditäts- und Basizitätseigenschaften verbunden ist. Die aromatische Hydroxygruppe des Benzotriazols wird dabei um 7 pK-Einheiten stärker sauer, die Basizität des Azastickstoffatoms wächst um dieselbe Größenord- Abbildung 8.37: Umprotonierung bei Hydroxyphenylnung (pK-Werte sind Logarith- Benzotriazolen

151

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen menwerte). D.h. im S1-Zustand erfolgt schnell die Umprotonierung gemäß Abbildung 8.37: S1  S’1. Das durch diese Protonenübertragung im angeregten Zustand entstandene Molekül S’1 desaktiviert strahlungslos (internal conversion: IC) zum Grundzustand S’0 (Abbildung 8.38), worauf nun eine Umprotonierung zu S0 folgt. Der Begriff „strahlungslos“ bezieht sich auf Lichtstrahlung; die Energie wird portionsweise als (unschädliche) IR-/Wärme-Strahlung abgegeben (Abbildung 8.38).

Abbildung 8.38: Wirkungsweise von UV-Absorbern (vereinfachte Modellvorstellung für HydroxyphenylBenzotriazole)

Abbildung 8.39: UV-Absorber auf Basis Benzotriazol („Tinuvin“ 1130)

152

Lacktechnische Anwendungen von organischen UV-Absorbern Eines der wesentlichen Anwendungsgebiete von UV-Absorbern sind Klarlacke für die Zweischicht-Effektlackierung von Automobilen (siehe Kapitel 8.2.4). Anforderungen an technische anwendbare UV-Absorber teilen sich in Primär- und Sekundäranforderungen [9]. Die Primäranforderungen betreffen die UVAbsorption und sind: –– hohe Wirksamkeit (hoher Extinktions­ koeffizient), –– breite Absorptionsbande in Bereich von UV-B- und UV-A-Licht und –– photochemische Stabilität.

Stabilisierung von Lackfilmen gegen Photooxidation Die Sekundäranforderungen betreffen die lacktechnischen Anwendungen: –– Gute Löslichkeit in Lacklösemitteln; am besten flüssige, nichtkristallisierbare UV-Absorber. Feste, schwerlösliche UV-Absorber können im Winter bei Minus-Temperaturen aus einem lösemittelhaltigen Klarlack auskristallisieren. –– Für Pulverlacke müssen UV-Absorber hingegen fest sein und bei den üblichen Extrudiertemperaturen schmelzen. –– Gute Verträglichkeit mit Lackbindemitteln im flüssigen wie im vernetzten Zustand. –– Leichte Einarbeitbarkeit in wässrige Systeme. –– Thermische Beständigkeit (geringe Flüchtigkeit) in Einbrennlacken. –– Keine Wechselwirkung mit anderen reaktiven Lackbestandteilen. Hier muss darauf hingewiesen werden, dass es bei Hydroxyphenyl-Benzotriazolen als potenziellen Chelatkomplexbildnern in Einzelfällen zu Problemen mit bestimmten Metallen oder Metallverbindungen (Katalysatoren) kommen kann. –– Extraktionsbeständigkeit: UV-Absorber sollen zwar leicht in wässrige Systeme einarbeitbar sein, dürfen aber nicht wasserlöslich sein, da sie sonst im Laufe der Zeit durch Regenwasser extrahiert werden würden. All diese Sekundäranforderungen werden durch die Reste R in den Formeln in Abbildung 8.36 gesteuert. Abbildung 8.39 zeigt ein konkretes Marktprodukt für einen UVAbsorber auf Basis Benzotriazol, der in der Klarlack-Rezeptur in Kapitel 5.4 (Tabelle 5.3) benutzt wird. Dieser UV-Absorber ist keine einheitliche Substanz, sondern die Reaktionsprodukte des Benzotriazols (Abbildung 8.39) mit Polyethylenglykol. Bei der Reaktion dieser beiden Substanzen (Abbildung 8.39) kommt es unter Methanolabspaltung zu einer Umesterung mit Polyethylenglykol, die wegen der Bifunktionalität des Polyethylenglykols nicht ganz einheitlich abläuft. Das uneinheitliche Reaktionsprodukt ist flüssig, es kann nicht kristallisieren. Das ist für die Anwendung außerordentlich vorteilhaft (siehe oben). Der zweite Vorteil dieses UV-Absorbers wird durch die Hydrophilie des Polyethylenglykols bewirkt: Er ist nicht wasserlöslich, aber in wässrige Systeme einarbeitbar (vgl. Tabelle 5.3). Man hat also ein Lichtschutzadditiv sowohl für lösemittelhaltige als auch für wässrige Lacke. Partikelförmige anorganische UV-Absorber Auf Ruß und transparente Eisenoxide wurde schon in Kapitel 8.3.1 hingewiesen. Organische UV-Absorber können den Nachteil haben, dass sie in Beschichtungen eine verminderte photochemische Langzeitbeständigkeit aufweisen. Anorganische Substanzen wie Titandioxid, Cerdioxid oder Zinkoxid absorbieren ebenfalls UV-Strahlung, haben aber den Vorteil, dass sie als Oxide langzeitstabil sind. Sie haben allerdings den Nachteil, dass sie aufgrund ihrer Partikelstruktur die Lackfilm-Transparenz verringern können (Filmtrübung durch Lichtstreuung).

153

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen Der unerwünschte Effekt der Filmtrübung lässt sich minimieren, wenn man die Teilchengröße bis in den Nanometerbereich hinein reduziert. Je kleiner die Teilchengröße, desto geringer ist die Lichtstreuung und desto besser ist die Transparenz. Zusätzlich zur Teilchengröße spielt auch die Brechzahl der Partikel eine große Rolle. Je geringer die Differenz der Brechzahlen von Bindemittelmatrix (etwa 1,5) und darin dispergierten Feststoffpartikeln, umso geringer ist die Lichtstreuung (Trübung) und desto besser ist die Transparenz. Zinkoxid ist mit einer Brechzahl von 2,0 wesentlich besser geeignet als Titandioxid mit einer Brechzahl von 2,7. Darüber hinaus ist Titandioxid photoaktiv (siehe Kapitel 8.2.1 Kreidung). Derartige Additive werden als wässrige Dispersionen für Holzlacke angeboten (z.B. „Nanobyk“ 3840).

8.3.2.2

Radikalfänger

UV-Absorber schützen die Lackoberfläche nicht, so fehlt nun noch ein zweiter Typ von Lichtschutzadditiv, der an der Lackoberfläche wirkt. Dies sind Radikalfänger auf Basis sterisch gehinderter Amine (hindered amine light stabilizers: HALS; Abbildung 8.40).

Abbildung 8.40: Radikalfänger auf Basis sterisch gehinderter Amine (HALS)

Abbildung 8.41: Vereinfachte Darstellung der Wirkungsweise von HALS

154

Stabilisierung von Lackfilmen gegen Photooxidation Durch Photooxidation bildet sich aus dem HALS ein Nitroxylradikal. Es ist das eigentlich „wirksame Reagenz“ (Abbildung 8.40) [9]. Die Wirkungsweise dieses Nitroxylradikals wird in Abbildung 8.41 aufgezeigt. Letztlich „katalysiert“ HALS die Kettenabbruchreaktionen, da Polymerradikale in nicht radikalische Verbindungen umgewandelt werden. Damit ist die Wirkungsweise von HALS ähnlich, aber nicht identisch mit der der Antioxidantien auf Basis sterisch gehinderter Phenole (Hautverhinderungsmittel, Kapitel 5.1.1). Sterisch gehinderte Phenole brechen zwar wie HALS Radikalketten ab, aber im Gegensatz zu HALS verbrauchen sie sich dabei, sind also keine Katalysatoren. Außerdem absorbieren Phenole UV-Licht und sind deshalb und aufgrund ihrer Neigung zur Dunkelfärbung als Lichtschutzadditive ungeeignet. Im Gegensatz zu UV-Absorbern wirkt HALS sowohl an der Lackoberfläche als auch im Inneren des Lackfilms. Der UV-Absorber verhindert eine Schädigung in der Tiefe, während HALS erst wirkt, wenn sich im Lackfilm durch Photooxidation schon Radikale gebildet haben. HALS sind als Piperidinderivate basisch, das führt bei säurekatalysierten Lacken zu einer dauerhaften Blockierung des Säurekatalysators. Deshalb gibt es am Markt HALS-Produkte mit elektronenziehenden Substituenten am Stickstoff (z.B. Acetyl), die nicht mehr basisch sind (Abbildung 8.42). Diese können dann in säurekatalysierten Lacken eingesetzt werden. Als konkretes Beispiel dafür dient die Rezeptur eines wässrigen Klarlacks in Kapitel 5.4 (Tabelle 5.3); hier wurde ein HALS mit –OC8H17 am Stickstoff eingesetzt (Abbildung 5.24), um den Säurekatalysator nicht dauerhaft zu blockieren. Bei Zweischichteffektlacken wird im Klarlack eine Kombination aus UV-Absorber und HALS eingesetzt. Nach dem Einbrennen (Härtung) wurde festgestellt, dass sich durch Diffusion die beiden Lichtschutzadditive gleichmäßig im Basis- und Klarlack verteilt haben [11]. Anwendungsbeispiel Flugzeuglacke Eine wichtige Anforderung an Flugzeugdecklacke für die Außenbeschichtung (Exterieur) ist die Stabilität gegen UV-Licht, da in der Reiseflughöhe (bis 12.000 m) eine stark erhöhte UV-Intensität herrscht [12]. Tabelle 8.7 gibt ein Rezepturbeispiel [13] für eine solche Beschichtung. Hier wird in einer pigmentierten Beschichtung sowohl UV-Absorber als auch HALS eingesetzt, was

Abbildung 8.42: Basizität von HALS (R3)

155

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen Tabelle 8.7: 2K-PUR-Exterieur-Decklack (lösemittelhaltig) für Flugzeuge Stammlack Position Rohstoff 01 OH-Acrylat (74 % BA) 02 Polyesterharz (80 % BA) 03 Lichtschutzadditiv HALS 04 UV-Absorber (50 %ig) 05 Netz- und Dispergieradditiv 06 Titandioxid Rutil 07 Organoschichtsilicat (10 %ig) 08 Butylacetat 09 Methoxypropylacetat 10 Verlaufmittel 11 Zinn-Katalysator (1 %ig) Summe Härter 12 HDI-Polyisocyanat (100 %ig) Summe 01: H  ydroxygruppenhaltiges Acrylatharz, 74 %ig in Butylacetat, 3,3 % OH auf nfA, „Setalux“ 1905 BA-74 (Nuplex) 02: Polyesterharz, 80 %ig in Butylacetat, 7,4 % OH auf nfA, „Synthoester“ 1773 (Synthopol) 03: „Tinuvin“ 292 (BASF) siehe Abbildung 8.43 04: „Tinuvin“ 384-2 (BASF) siehe Abbildung 8.44

Abbildung 8.43: HALS aus Tabelle 8.7

156

Gew.-Teile 8,7 19 1,0 2,0 0,8 26,7 3,8 15,8 6,7 0,2 0,3 85 15 100 05: 07: 10: 11:

nfA 6,4 15,2 1,0 1,0 26,7 0,38

50,7 15 65,7

„Disperbyk“ 110 (Byk) „Bentone“ 38 (Elementis) , rheologisches Additiv Polyethermodifiziertes Silicon, Byk 301 „Tinstab“ BL 277 (Valtris): DBTL, ggf. Austausch­ produkt suchen 12: „Tolonate“ HDT-LV“ (Vencorex) 23 % NCO

Literatur sonst eigentlich nur bei Klarlacken gemacht wird. Als lichtbeständiges 2K-PUR-Bindemittelsystem wird ein Acrylat/Polyester-Gemisch mit aliphatischen Polyisocyanat als Härter verwendet [2]. Zur Übung werden die Rezepturkenndaten berechnet [2]. Bei einer festgelegten Rezeptur berechnet sich das NCO/OH-Verhältnis wie folgt. NCO/OH-Verhältnis =

Gew.-Teile Polyisocyanat · 17 · % NCO = Gew.-Teile Polyol · 42 · % OH

= (15∙17∙23) : [(6,4∙42∙3,3) + (15,2∙42∙7,4)] ≈ 1; d.h. stöchiometrische Umsetzung Pigmentierungshöhe: P/B = 26,7 : (6,4 + 15,2 + 15) = 26,7 : 36,6 = 0,7 : 1 Pigmentvolumenkonzentration [2]: PVK = (26,7/4,1) : [26,7/4,1 + (6,4 + 15,2 + 15)/1,2] ∙ 100% = 17,6 % Sowohl UV-Absorber (Abbildung 8.44) als auch HALS (Abbildung 8.43) sind flüssig, der UV-Absorber wahrscheinlich aufgrund der relativ langen Octyl-Seitenkette. Das HALS-Produkt ist flüssig, da es (gewollt) eine Mischung aus zwei Substanzen (Abbildung 8.43) ist.

Abbildung 8.44: UV-Absorber aus Tabelle 8.7

8.4 Literatur [1] U. Schulz, Kurzzeitbewitterung, Vincentz Network, Hannover 2007 [2] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, vierte Auflage 2017, S. 46f [3] M. Kremser, Projektarbeit, Hochschule Esslingen 2008 [4] R. Gächter, H. Müller, Taschenbuch der Kunststoff-Additive, Hanser Fachbuch­ verlag, 3. Auflage 1989 [5] G. Kämpf, W. Papenrot, R. Holm, Farbe & Lack 78 (1972) S. 606 ff

[6] H. Völz, G. Kämpf, A. Klaeren, Farbe & Lack 82 (1976) S. 805 ff und 86 (1980) S. 1047 ff [7] H. M. Smith, High Performance Pigments, Wiley-VCH, Weinheim 2002 [8] V. E. Schmid, Farbe & Lack, 98 (1992) S. 330 ff [9] A. Valet, Lichtschutzmittel für Lacke, Vincentz Network, Hannover 1996 [10] H. Kramer, Farbe & Lack 92 (1986) S. 919 ff [11] H. Böhnke, E. Hess, Farbe & Lack 95 (1989) S. 715 ff

157

Lichtschutzadditive und weitere Maßnahmen [12] S. Schröder in H. Kittel †, H.-J. Streit­ berger, Lehrbuch der Lacke und Beschichtungen – Band 6: Anwendungen von Lacken und sonstigen Beschichtungen, 2. Auflage, S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2008, S. 313–322 [13] G. Hansen, Projektarbeit, Hochschule Esslingen 2007 in Zusammenarbeit mit Nuplex Resins

158

[14] www.european-coatings.com/content/download/68931/858799/version/.../61276.pdf [15] https://de.wikipedia.org/wiki/Lignin [16] Ph. Hofmann, R. Hofmann, Projektarbeit, Hochschule Esslingen 2009

UV-härtende Beschichtungen

9

Photoinitiatoren

9.1

UV-härtende Beschichtungen

Bindemittel, die polymerisierbare Doppelbindungen enthalten, können auch durch UVLicht gehärtet werden. Die bei der Härtung ablaufende (Co-)Polymerisation gehorcht meistens den Gesetzen der Radikalkettenpolymerisation. Radikalreaktionen stellen bei der UVHärtung die weitaus häufigsten Reaktionen dar, somit werden diese im Kapitel 9 vertieft. Beim Kettenstart (Initiation) greift UV-Licht als „sauberes Reagenz“ ein, indem es mit Hilfe der Photoinitiatoren (UV-Initiatoren) die notwendigen Startradikale erzeugt [1, 2]. Die wichtigsten Bindemittel für lösemittelfreie UV-härtende Beschichtungen sind: –– ungesättigte Polyester-Harze (UP) angelöst in Styrol (als Reaktivverdünner) –– Präpolymere (Oligomere) mit Acrylatendgruppen (sind wegen der niedrigen Molmassen von etwa 500 bis 1500 flüssig) –– Niedrigmolekulare, niedrigviskose Mono-, Di-, Tri- oder Tetraacrylate (als Reaktivverdünner), Abbildung 9.1 Monomere, Oligomere bzw. Präpolymere mit einer Doppelbindung ergeben bei der radikalischen Polymerisation lineare Polymere, solche, die mehr als eine Doppelbindung enthalten, ergeben vernetzte Produkte. Beispiele für Anwendungen von UVhärtenden Beschichtungen sind die Holzlackierung [3] (Möbel- und Fußbodenbeschichtung), (Kunststoff-)Folienbeschichtungen, Pa­pier­beschichtungen (auch Druckfarben). Die Vorteile von UV-härtenden Lacken sind extrem schnelle Härtungszeiten (!), Härtung bei Raumtemperatur und die Abwesenheit von flüchtigen organischen Verbindungen (Lösemitteln).

Abbildung 9.1: Beispiele für Reaktiv­ verdünner

Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

159

Photoinitiatoren

9.2

Wirkungsweise von Photoinitiatoren

Da die meisten für UV-härtende Lacke als Bindemittel oder Reaktivverdünner verwendeten Monomere, Oligomere bzw. Präpolymere keine ausreichende Absorption im Bereich des langwelligen UV-Lichts aufweisen, müssen sog. Photoinitiatoren (UV-Initiatoren) zugesetzt werden. Photoinitiatoren erzeugen durch Bestrahlung mit langwelligem UV-Licht die zum Kettenstart der Polymersiation benötigten Radikale auf zweierlei Art und Weise: a. Durch intramolekulare homolytische Spaltung einer Bindung (z.B. α-Hydroxyalkylphenylketone, Abbildung 9.2). Eine Bindung wird dann in einem angeregten Zustand gespalten, wenn die absorbierte Lichtenergie größer ist als die Bindungsenergie der schwächsten Bindung im Molekül. b. Durch intermolekulare Wasserstoffabstraktion im T1-Zustand (z.B. Benzophenon, Abbildung 9.3). Hier können auch sog. Coinitiatoren notwendig werden; d.h. Substanzen, die leicht ein Wasserstoffatom abgeben können (z.B. tertiäre Amine). Nur im relativ langlebigen T1-Zustand (siehe Jablonski-Diagramm in Abbildung 8-3) sind auch bimolekulare Reaktionen möglich. Am Markt gibt es weitere Typen von Photoinitiatoren [2, 4]. Wässrige UV-härtende Beschichtungen UV-härtende Wasserlacke [5] erfordern ein vollständiges Abdunsten des Wassers vor der Härtung, das erfordert Zeit und/oder Energie (Nachteil). Sie bieten jedoch eine Reihe von Vorteilen:

Abbildung 9.2: 2-Hydroxy-2-methyl-1-phenylpropanon-1 als Beispiel für einen Photoinitiator vom Typ α-Hydroxyalkylphenylketon (a)

Abbildung 9.3: Benzophenon als Beispiel für einen Photoinitiator vom Typ (b)

160

Wirkungsweise von Photoinitiatoren + ohne Reaktivverdünner und Monomere herstellbar + niedrigerer Filmschrumpf aufgrund der Abwesenheit von Monomeren + Viskositätseinstellung mit Wasser und/oder Rheologieadditiven + je nach Bindemittel ist auch eine physikalische Antrocknung vor der Härtung möglich (Ausbesserung möglich) + Reinigung der Auftragsmaschinen mit Wasser + Verringerung der Brand- und Explosionsgefahr Weiterhin können beim Substrat Holz keine niedrigmolekularen reaktiven Lackbestandteile in dessen Poren (Schattenzonen) eindringen, die dann nicht oder nur unvollständig

Abbildung 9.4: Mögliche Herstellung einer Urethanacrylat(sekundär)dispersion (Bindemittel für wässrige UV-härtende Lacke)

Abbildung 9.5: Photoinitiator in Tabelle 9.1: 2,4,6-Trimethylbenzoyldiphenylphosphinoxid

161

Photoinitiatoren Tabelle 9.1: Richtrezept einer wässrigen UV-härtenden Grundierung für Holz Rohstoff 1. Mahlgutformulierung Urethanacrylatdispersion (39 %) VE-Wasser Netz- und Dispergiermittel AMP 90 HEUR-Additiv (10 %) Verlaufs- und Entgasungsmittel Talkum Titandioxid Rutil 2. Komplettierung Urethanacrylatdispersion (39 %) Substratbenetzungsmittel Entschäumer Wasser UV-Initiator Summe

Gew.-Teile

nfA

30,0 5,0 1,0 0,2 0,5 0,05 8,0 5,0

11,7

38,6 0,2 0,2 10,25 1,0 100

15,1

8,0 5,0

39,8

Urethanacrylatdispersion: „Bayhyrol“ UV VP LS 2280 (Covestro), 39 %ig in Wasser (Abbildung 9.4) Netz- und Dispergiermittel: „Borchi Gen“ SN 95 (Borchers) AMP 90: 2-Amino-2-methyl-1-propanol, Neutralistionsmittel (siehe Kapitel 11.1) HEUR-Additiv: “Borchi Gel” PW 25 (Borchers), 25 %ig in Wasser/Propylenglykol = 4 : 6 Talkum IT extra: Füllstoff, lamellares Silicat, d = 2,8 g/cm3 Titandioxid Rutil, d = 4,1 g/cm3 Verlauf- und Entgasungsmittel: „Baysilone“-Lackadditiv 3468 (Borchers), polyether-modifiziertes Methylpolysiloxan Substratbenetzungsmittel: „Baysilone“-Lackadditiv 3739 (Borchers), polyether-modifiziertes Methylpolysiloxan Entschäumer T (Lanxess): Entschäumer auf Basis Tri-n-butylphosphat UV-Initiator: „Darocur“ 4265 (BASF) 1:1-Mischung aus 2-Hydroxy-2-methyl-1-phenyl-propanon-1 (Abbildung 9.2) und 2,4,6-Trimethylbenzoyl-diphenyl-phosphinoxid (Abbildung 9.5)

mit UV-Licht härten und sich anschließend durch Geruch unangenehm bemerkbar machen. In die Poren des Holzes dringt nur Wasser ein; ein oligomeres Bindemittel (Abbildung 9.4) bleibt auf der Holzoberfläche. Tabelle 9.1 zeigt zur Verdeutlichung die Richtrezeptur für eine wässrige, physikalisch antrocknende, UV-härtende Grundierung für Holz [6]. Der im Rezept (Tabelle 9.1) verwendete flüssige Photoinitiator ist nur gering wasserlöslich, aber lässt sich in wässrige Lacke einarbeiten; er löst sich im dispersen Bindemittel (Urethanacrylat). Die so erhaltene Beschichtung (Tabelle 9.1) wird 5 Minuten bei Raumtemperatur und 10 Minuten bei 60 °C (physikalisch) getrocknet. Danach erfolgt die UVHärtung mit 2 Strahlern zu je 80 W/cm bei einer Bandgeschwindigkeit von 2,5 m/min [6].

162

Literatur Zur Übung werden die Pigmentierungshöhe und die PVK dieser Beschichtung (Tabelle 9.1) berechnet, wobei die Additive näherungsweise vernachlässigt werden können:

P/B = (8 + 5) : (11,7 : 15,1) = 13 : 26,8 ≈ 0,5 : 1 PVK = [(8/2,8 + 5/4,1) : (8/2,8 + 5/4,1 + 26,8/1,2)] ∙ 100% = 15,4 %

Monoacylphosphinoxide (Beispiel in Abbildung 9.5) sind eine weitere wichtige Gruppe von Photoinitiatoren vom Typ (a); intramolekulare homolytische Spaltung einer Bindung im S1-Zustand.

9.3 Literatur [1] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, 4. Auflage 2017 [2] P. Glöckner et al., Radiation Curing, Vincentz Network, Hannover, 2008 [3] H.-H. Bankowsky, P. Enenkel, M. Lokai, K. Menzel, Farbe & Lack 105 (2000) Nr. 10, S. 50 ff

[4] J.-P. Fouassier, Europ. Coat. Journ. No. 6 (1996) S. 412–419 [5] W. Reich, K. Menzel, W. Schrof, Farbe & Lack 104 (1999) Nr. 12, S. 73 [6] Richtrezept RR 3.12, Borchers GmbH (2004)

163

Filmbildung von Primärdispersionen

10 Filmbildehilfsmittel 10.1 Filmbildung von Primärdispersionen Eine wohlbekannte natürlich vorkommende Polymerdispersion ist im Milchsaft des Kautschukbaums; es handelt sich dabei um eine wässrige Dispersion von Naturkautschuk (hochmolekulares cis-1,4-Polyisopren mit einer Teilchengröße bis 1,5 µm, das mit Proteinen als Schutzkolloiden stabilisiert ist. Die Rinde von Kautschukbäumen wird angeritzt und der herauslaufende milchig weiße Latex wird in kleinen Töpfen aufgefangen (Abbildung 10.1). Der Latex wird in Schalen beispielsweise mit Ameisensäure koaguliert, was thermodynamisch begünstigt ist (siehe unten). Danach wird das Wasser ausgepresst und die erhaltenen Kautschukfelle werden getrocknet. Die Bezeichnung Latex (Plural Latices) wird auch oft für Polymerdispersionen allgemein verwendet [3]. Unter Primärdispersionen versteht man in der Lacktechnologie durch Emulsionspolymerisation hergestellte Polymerdispersionen mit diskreter disperser Phase und mit scharfer Phasengrenzfläche zwischen disperser Phase (Polymer) und Dispersionsmittel (Wasser). Primärdispersionen sind in der Regel in Bezug auf Koagulation thermodynamisch instabil. Sie müssen deshalb elektrostatisch oder sterisch stabilisiert werden, d.h. in einen thermodynamisch metastabilen Zustand gebracht werden [1]. Lacktechnisch wichtige Typen von Primärdispersionen sind – neben anderen – Reinacrylat-Dispersionen (Copolymere verschiedener Ester der Meth/Acrylsäure) und Styrol-Acrylat-Dispersionen (Copolymere aus Styrol und Estern der Acrylsäure) [2]. Diese in der Regel durch radikalische Copolymerisation hergestellten Makromoleküle enthalten in der Polymerhauptkette nur unverseifbare C-C-Bindungen und in Abbildung 10.1: Sammeln von Latex an den (Meth)acrylatseitenketten schwer ver- einem Kautschukbaum in Südindien Müller: Lackadditive kompakt erklärt, 2. Auflage © Copyright: 2018 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

165

Filmbildehilfsmittel seifbare Estergruppen. Dies führt zu hohen Beständigkeiten der daraus hergestellten Beschichtungen. Primärdispersionen werden häufig als Bindemittel im Bautenschutz eingesetzt: für hochpigmentierte Dispersionsfarben (z.B. Fassadenbeschichtungen) und für niedrigpigmentierte Dispersionslacke (z.B. Holzbeschichtungen) [1]. Beim Verdunsten des Wassers rücken die dispersen Polymerteilchen immer enger zusammen, bis sie eine Kugelpackung bilden (Abbildung 10.2). Durch weiteres Verdunsten von Wasser werden die kugelförmigen Polymerteilchen durch den Kapillardruck der immer dünner werdenden Flüssigkeitslamellen zu rhombischen Dodekaedern deformiert, und sie verschmelzen an den Teilchengrenzen (Koaleszenz). Danach kann es über die Teilchengrenzen hinweg zu einer (teilweisen) Interdiffusion von Polymermolekülen kommen. Da Primärdispersionen in Bezug auf Koagulation thermodynamisch instabil sind, gehen sie bei der Filmbildung irreversibel in den thermodynamisch stabilen Zustand über. Die Filmbildung von Primärdispersionen erfolgt durch physikalische Trocknung und die einzelnen Polymerteilchen behalten im Lackfilm ihre Identität (Abbildung 10.3). Abbildung 10.3 zeigt eine transmissionselektronenmikroskopische Aufnahme eines kontrastierten Dünnschnitts von einem Film aus einer Reinacrylat-Dispersion; die zweidimensionale Darstellung der rhombischen Dodekaeder führt zu einem Bild, das an Bienenwaben erinnert (Abbildung 10.3). Beschichtungen aus Primärdispersionen sind als unvernetzte Filme thermoplastisch und lösemittelquellbar [1].

Abbildung 10.2: Filmbildung von Primär­dispersionen

166

Abbildung 10.3: Transmissions­ elektronenmikroskopische Aufnahme eines kontrastierten Dünnschnitts von einem Film aus einer Rein­ acrylat-Dispersion

Filmbildung von Primärdispersionen Zum tieferen Verständnis der Filmbildung wird an dieser Stelle auf die optischen Eigenschaften von Primärdispersionen eingegangen. Trifft Licht auf Teilchen, die klein im Vergleich zu dessen Wellenlänge sind, wird es gestreut: Rayleigh-Streuung (Opaleszenz, Tyndall-Effekt). Nach Rayleigh ist der Streukoeffizient proportional zu λ-4; d.h. kurzwelliges blaues Licht wird etwa 10-mal stärker gestreut als langwelliges rotes. Dies führt dazu, dass feinteilige (farblose) Polymerdispersionen in der Schrägsicht bläulich schimmern (Abbildung 10.4) und in der Durchsicht eine scheinbar rötliche Farbe haben (Abbildung 10.5). Besonders deutlich zeigt dieses bläuliche Schimmern das untere Teilbild von Abbildung 10.4; auf dem Kontrastkarton sieht man vor dem schwarzen Hintergrund die bläuliche Reflexionsfarbe. Umgekehrt kann man davon ausgehen, dass wenn dieser „Farbeffekt“ auftritt, die Teilchengröße der Polymerdispersion kleiner als die Wellenlänge des Lichts ist. Auch an dispergierten Teilchen, die größer als die Wellenlänge des Lichts sind, findet Lichtstreuung statt (Mie-Streuung). Solche Dispersionen erscheinen nur milchig trüb (grobteilige Polymerdispersionen haben Teilchengrößen bis 5 µm). Bei der Beurteilung des Aussehens einer Primärdispersion muss allerdings beachtet werden, dass meistens eine mehr oder weniger breite Teilchengrößenverteilung vorliegt; wenige große Partikel am Ende der Teilchengrößenverteilung können die Trübung einer Dispersion stark erhöhen (Blockpfeil in Abbildung 10.6). Darüber hinaus können Dispersionen klar und transparent erscheinen, wenn die Diffe-

Abbildung 10.4: Mit dem Lackspa­ tel auf eine Glasplatte frisch auf­ getragener Film einer farblosen Primär­dispersion in der Schrägsicht (bläuliches Schimmern)

Abbildung 10.5: Frisch aufgetragener Film einer Primärdispersion in der Durchsicht gegen den Himmel (links); nach einer Stunde Trockenzeit (rechts) ist der Film am Rande in der dünneren Schicht bereits klar geworden (roter Pfeil)

167

Filmbildehilfsmittel renz der Brechzahlen zwischen Dispersionsmittel (Wasser) und disperser Phase (Polymer) nahe Null ist. Bei der Filmbildung verschwindet die Phasengrenze Polymer-Wasser und es findet dann keine Lichtstreuung mehr statt; der Film wird klar (Abbildung 10.7). Die Serie der drei farbigen Abbildungen 10.4, 10.5 und 10.7 zeigt die gleiche Beschichtung einer farblosen Styrol-Acrylat-Primärdispersion (Teilchengröße etwa 100 nm) unter verschiedenen Betrachtungswinkeln und nach unterschiedlichen Zeiten (aufgrund des dicken und ungleichmäßigen Auftragens mit dem Lackspatel zeigen die Filme Risse und eingeschlossene Luftblasen).

10.2 Wirkungsweise von Filmbildehilfsmitteln Die Filmbildung (Koaleszenz) von Primärdispersionsteilchen findet nur oberhalb der Mindestfilmbildungstemperatur (MFT, auch „minimale Filmbildungstemperatur“) statt. Unterhalb der MFT befindet sich das Polymer im Glaszustand und kann keinen Film bilden.

Abbildung 10.6: Schematische Darstellung der Teil­ chengrößeverteilungen von zwei Primärdispersionen mit gleicher mittlerer Teilchengröße aber schmaler und breiter Teilchengrößeverteilung; der Blockpfeil markiert die (wenigen) groben Teilchen bei der breiten Teilchengrößeverteilung.

168

Abbildung 10.7: Vollständig getrock­ neter und damit klarer Film einer Primärdispersion in der Durchsicht gegen den Himmel (aufgrund der dicken und ungleichmäßigen Schicht zeigt der Film einige Risse und ein­ geschlossene Luftblasen)

Wirkungsweise von Filmbildehilfsmitteln Tabelle 10.1: Beispiele wichtiger Filmbildehilfsmittel bzw. Colösemittel Substanz Löslichkeit 1. Filmbildehilfsmittel Verdunstungszahl* in Wasser (RT) 2,2,4-Trimethyl-1,3-pentandiol5000 0,05 Gew.-% 1-isobutyrat (Abbildung 10.8) Butylglykolacetat 137 1,5 Gew.-% Butyldiglykolacetat 3000 6,5 Gew.-% 2. Colösemittel Butylglykol Butyldiglykol

119 1200

unbegrenzt unbegrenzt

3. Sonstige 1,2-Propylenglykol**

1000

unbegrenzt

* Diethylether = 1 ** 1,2-Propylenglykol ist weder ein klassisches Colösemittel noch ein Filmbildehilfsmittel. In Dispersionsfarben wird es häufig als Wasserretentionsmittel eingesetzt; d.h. es verlängert die „offene Zeit“. Darüber hinaus ist es ein Frostschutzmittel.

Die MFT von Primärdispersionen für Beschichtungszwecke liegt häufig zwischen -5 und +25 °C, kann in Einzelfällen (Dispersionslacke für industrielle Anwendungen) auch wesentlich höher liegen. Eine niedrigere MFT bedeutet, dass das Polymer weicher ist. Das kann zu schlechteren mechanischen Filmeigenschaften führen. Die MFT liegt meistens etwas unterhalb der Glastemperatur Tg der dispergierten Polymere [2]. Primärdispersionen mit einer MFT über +5 °C benötigen eine äußere Weichmachung, wie den Zusatz von permanenten Weichmachern (z.B. Phthalate) oder besser von Filmbildehilfsmitteln (schwerflüchtige organische Lösemittel) als temporäre Weichmacher. Im Gegensatz zu permanenten Weichmachern verlassen Filmbildehilfsmittel den Polymerfilm nach einiger Zeit und führen somit zu keiner andauernden Weichmachung. Die Anforderungen an Filmbildehilfsmittel sind: –– optimales Anlösen bzw. Quellen der Polymerpartikel –– keine Beeinflussung der Stabilität der Polymerdispersion –– möglichst geringe Löslichkeit in Wasser; d.h. Lösung im Polymer –– möglichst rasche Verdunstung nach der Filmbildung –– Geruchlosigkeit Abbildung 10.8: 2,2,4-Trimethyl-1,3-pentandiol-1-isobu­ –– Umweltverträglichkeit tyrat („Texanol”)

169

Filmbildehilfsmittel Der Übergang zwischen Colösemitteln [1] und Filmbildehilfsmitteln gilt jedoch als fließend (Tabelle10.1). Beispielsweise kann Butylglykol sowohl als Colösemittel als auch als Filmbildehilfsmittel wirken. Als Filmbildehilfsmittel lässt sich auch das vollständig wasserunlösliche Testbenzin verwenden, alleine oder in Kombination mit anderen Lösemitteln (z.B. als 1:1-Mischung mit „Texanol“). Zu beachten ist der mögliche Einfluss von Filmbildehilfsmitteln bzw. Colösemitteln auf die Viskosität: –– Durch Quellung der Polymerteilchen (mögliche Erhöhung der Viskosität) –– Durch Wechselwirkung mit Rheologieadditiven, insbesondere vom Typ HEUR, vgl. Kapitel 4.1.3.2. Filmbildehilfsmittel werden Dispersionsfarben und -lacken in Mengen von etwa 2  % zugesetzt.

10.3 Literatur [1] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, Vincentz Network, Hannover, 4. Auflage 2017

170

[2] R. Baumstark, M. Schwartz, Dispersionen für Bautenfarben, Vincentz Network, Hannover 2001 [3] https://en.wikipedia.org/wiki/Latex

Neutralisationsmittel für Carboxylgruppen-haltige Lackbindemittel

11 Neutralisationsmittel Neutralisationsmittel werden manchmal auch Neutralisierungsmittel genannt. Man muss hier grundsätzlich zwischen Carboxylgruppen-haltigen Lackbindemitteln, die Basen zur Neutralisation benötigen, und Amingruppen-haltigen Lackbindemitteln, die Säuren zur Neutralisation benötigen, unterscheiden.

11.1 Neutralisationsmittel für Carboxylgruppen-haltige Lackbindemittel Carboxylgruppen-haltige Systeme sind die wichtigsten wasserlöslichen Lackbindemittel. Als Neutralisationsmittel werden hier in der Regel Amine (Abbildung 11.1) eingesetzt, die unter den Trocknungs- bzw. Härtungsbedingungen flüchtig sein sollten, um die Hydrophi-

Abbildung 11.1: Beispiele lacktechnisch wichtiger Amine AMP = 2-Amino-2-methyl-1-propanol, AEPD = 2-Amino-2-ethyl-propandiol, DMEA = Dimethyletanolamin (Totenkopf-Pictogramm), TEA = Triethylamin (Totenkopf-Pictogramm)

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Neutralisationsmittel lie der Beschichtungen zu reduzieren (Abbildung 11.2). Die thermische Spaltung der gebildeten Ammoniumsalze kann auch schon bei Raumtemperatur ablaufen, wenn das als Neutralisationsmittel eingesetzte Amin bei Raumtemperatur flüchtig ist (z.B. Ammoniak). Für Einbrennlacke war DMEA bislang das wichtigste Neutralisationsmittel. Neuerdings wird DMEA mit dem Totenkopf gekennzeichnet; man sollte daher versuchen, es in wässrigen Einbrennlacken durch das unbedenklichere, weil deutlich weniger toxische AMP zu ersetzen. Für Einbrennlacke eignen sich weiterhin das toxikologisch günstiger eingestufte AEPD und das feste und damit geruchlose Diisopropanolamin (Abbildung 11.1). Es empfiehlt sich, Diisopropanolamin vor Gebrauch 50 %ig in Wasser anzulösen. Prüfenswert könnte auch das geruchsarme, schwerflüchtige Butyldiethanolamin sein, da es zusätzlich als Emulgator und Korrosionsinhibitor wirkt [2]; hier liegt also wieder ein Additiv mit Mehrfachfunktion vor. Für lufttrocknende Lacke nahm man die leichter flüchtigen Spezies, Ammoniak und TEA, wobei jetzt auch TEA mit dem Totenkopf gekennzeichnet wird und damit nicht mehr verwendet werden sollte. In oxidativ härtenden Wasserlacken sollte Ammoniak als Neutralisationsmittel ausreichen. Auf die Neutralisation von Abbildung 11.2: Neutralisationsreaktion von Carboxyl­ lufttrocknenden wässrigen 2Kgruppen-haltigen Lackbindemitteln mit Amin und ther­ PUR-Lacken wurde schon in Kamische Spaltung der gebildeten Ammoniumsalze pitel 5.2 eingegangen (siehe Abbildung 5.13). Viele Amine besitzen einen mehr oder weniger unangenehmen Geruch. Für Dispersionsfarben kann auch das nichtflüchtige und geruchlose Kaliumhydroxid (KOH) verwendet werden. Neuerdings werden hier auch der Einsatz von Aminogruppen-haltigen Sacchariden als nachwachsende Rohstoffe diskutiert [1]. Verschiedene Amine haben eiAbbildung 11.3: Vereinfachte Darstellung des Viskosi­ nen unterschiedlichen Einfluss tätsverlaufs eines neutralisierten, wasserlöslichen Lack­ bindemittels beim Verdünnen mit Wasser auf die Löslichkeit von Lackbin-

172

Neutralisationsmittel für Amingruppen-haltige Lackbindemittel demitteln. Dabei ist weniger die Basizität der Amine von Bedeutung, sondern mehr ihre Eigenschaft als Lösevermittler. So nimmt z.B. in der Reihe DMEA > TEA > Ammoniak die Löslichkeit von Bindemitteln ab bzw. die Trübung der wässrigen Bindemittellösungen zu, da DMEA als Aminoalkohol natürlich am besten lösevermittelnd wirkt. Die zur 100 %igen Neutralisation eines Lackbindemittels (Menge: mBm) notwendige Menge an Amin (Masse: mAmin; Molmasse: MAmin) kann über die Säurezahl (SZ in mg KOH/g) des Bindemittels (Masse: mBm) berechnet werden: mAmin = (MAmin · SZ · mBm) : 56100 Weiter ist zu beachten, dass Amine von Pigmenten und Füllstoffen adsorbiert werden können (insbesondere von nachoxidierten sauren Farbrußen). Der Amin-Bedarf zur Einstellung des erforderlichen pH-Werts von ca. 8 kann daher in pigmentierten wässrigen Lacken deutlich höher als berechnet sein. Bei der Herstellung eines wässrigen Lacks sollte grundsätzlich bei jedem Arbeitsschritt der pH-Wert überprüft werden, um unliebsame Überraschungen, wie z.B. die Koagulation des Bindemittels, zu vermeiden. Beim Verdünnen von neutralisierten, Carboxylgruppen-haltigen Lackbindemitteln (z.B. AK, SP, AY) mit Wasser wird häufig ein anomales Viskositätsverhalten beobachtet [3, 4]. Diese Viskositätsanomalie („Wasserberg“) ist auf zwei gegenläufige Effekte zurückzuführen (Abbildung 11.3): –– Der Verdünnungseffekt des Wassers führt zum Abfall der Viskosität. –– Wasser ist ein schlechtes Lösemittel für organische Bindemittel (Ausnahme bestimmte MF- oder UF-Harze); d.h. die Lösekraft des Mediums fällt beim Verdünnen mit Wasser, mit der Folge zunehmender Assoziation der Bindemittelmoleküle (ähnlich Sekundärdispersionen) und damit Ansteigen der Viskosität. Durch die geeignete Wahl des Neutralisationsmittels, lässt sich diese Viskositätsanomalie („Wasserberg“) minimieren; Aminoalkohole sollten hier mehr oder weniger günstig sein.

11.2 Neutralisationsmittel für Amingruppen-haltige Lackbindemittel Kathodisch abscheidbare Elektrotauchlacke (KTL) enthalten aromatische Epoxidharze, die dafür bekannt sind, einen sehr guten Korrosionsschutz zu gewährleisten. Epoxidharze bieten sich für eine Additionsreaktion mit Aminen an (Abbildung 11.4); diese Additionsreaktion liefert auch gleich die für die spätere Vernetzungsreaktion notwendigen Hydroxylgruppen mit. Derartige Amin-modifizierten Epoxidharze lassen sich mit organischen Säuren neutralisieren; so erhält man ein wasserverdünnbares Bindemittel (Abbildung

173

Neutralisationsmittel 11.5). Diese neutralisierten Amin-modifizierten Epoxidharze bilden eine Art Trägerbindemittel für die weiteren wasserunlöslichen Rezepturbestandteile wie Vernetzer (meist blockierte Polyisocyanate), Pigmente und Füllstoffe. Die neutralisierten Amin-modifizierten Epoxidharze bilden wässrige Kolloidteilchen, die die genannten wasserunlöslichen Rezepturbestandteile in sich aufnehmen (Abbildung 11.6) und so bei der nachfolgenden Elektro­ phorese zur Kathode transportieren. Als Neutralisationsmittel werden bevorzugt Essigsäure sowie Milchsäure und Ameisensäure verwendet. Auch wegen der geringeren Flüchtigkeit von organischen Säuren verglichen mit Aminen (Kapitel 11.1) sind die Einbrenntemperaturen hier relativ hoch und liegen im Falle der KTL bei 165 bis 180 °C. Weitere Einzelheiten zur KTL finden sich in der Literatur [5].

Abbildung 11.4: Addition eines sekundären Amins an ein aromatisches EP-Harz zur Herstellung eines Amin-modifizierten Epoxidharzes als KTL-Bindemittel (stark vereinfachte Darstellung)

Abbildung 11.5: Vereinfachte Darstellung der Neutralisation eines Amin-modifizierten Epoxidharzes mit Essigsäure

174

Abbildung 11.6: Kolloides Teilchen aus einen Amin-modifizierten Epoxidharz und allen wei­ teren wasserunlöslichen Rezepturbestandtei­ len einer KTL (stark vereinfachte Darstellung)

Literatur

11.3 Literatur [1] S. Ziebold, J. Rüger, Farbe & Lack, 123, Nr. 3 (2017) S. 90–95 [2] B. Müller, P. Kienitz, Farbe & Lack, 101, Nr. 11 (1995) S. 919–921 [3] J. Dörffel, Farbe & Lack, 81 (1975) S. 10–15

[4] H. J. Luthardt, Farbe & Lack, 87 (1981) S. 456–460 [5] B. Müller, U. Poth, Lackformulierung und Lackrezeptur, 4. Aufl., Vincentz Network (2017) Kapitel III-4.4.3

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Autor

Autor Prof. Dr. rer. nat. Bodo Müller, geb. 1954, war zuerst in der Industrie in der Entwicklung von wässrigen Metalliclacken und später von Kleb- und Dichtstoffen angestellt. Von 1990 an war er als Professor mit den Lehrgebieten Lacktechnologie sowie Kleb- und Dichtklebstoffen an der Hochschule Esslingen beauftragt. Von 1996 bis 2017 leitete er dort 12 Jahre lang den Studiengang Chemie­ingenieurwesen/ Farbe-Lack-Umwelt. Seit 2017 ist er im Ruhestand und hat bis dato ca. 100 Publikationen veröffentlicht.

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Index

Index A Ablaufen 68, 85, 90, 108 Ablüftzeit 90 Absetzen 67, 85 Absorption 132, 136, 140, 152, 160 Acrylat 109, 147, 159 Adhäsion 111 Adsorption 129 AEPD 172 Agglomerat 11, 14, 32 Aggregat 11 Aktivierungsenergie 16 Alkydharz 94, 147 Alterung 134 Aluminiumoxidhydrat 35 Aluminiumpigment 127, 149 Amin 171 Aminhärter 30 Aminoharz 106, 113 Aminosilan 117 Amin, sterisch gehindert 110 Ammoniak 173 AMP 172 amphiphil 21, 25 Antiabsetzmittel 39 Antioxidans 98, 127, 155 Anziehung, elektrostatisch 70 ASE 73 Assoziation 77 Aufschwimmen 24 Ausbleichen 142 Ausschwimmen 23 Autokatalyse 105 Automobilerstlackierung 39 Autoxidation 134

B Basislack 42, 146 Bénard’sche Zellen 23, 49, 53 Benetzung 25, 50 Benetzungsstörung 48, 53

Bentonit 69 Benzoin 64 Benzophenon 160 Benzotriazol 151 Benzylalkohol 105 Bewitterung 131 Bindemittel 129, 138, 148 Blasenbildung 122 Blockcopolymer 21, 76 Blockierung, ionisch 108 Blockierung, nicht-ionisch 108 Brechzahl 168 Butindiol 29 Butyldiethanolamin 172

C Carbamatisierung 105 Cellulose 79 Celluloseether 80, 81 Chelatkomplex 153 Chelatkomplexbildner 127 Chromatierung 45 Chromophor 133 Co-Flockulation 16, 24 Coinitiator 160 Colösemittel 78, 170

D Delaminierung 149 Delaminierung, kathodisch 122 Desagglomerieren 11 Dibutylzinndilaurat (DBTL) 102 Diisopropanolamin 172 Dispergieradditiv (Dispergiermittel) 14, 19, 21, 68 Dispergieren 11 Dispersionsfarbe 79, 166 Dispersionslack 166 Dispersionsmittel 18, 165 DMEA 172

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Index Dreischichttonmineral 69 Druckfarbe 42 Durchhärtung 96

E Echtvermahlung 11 Einbrennlack 89, 90, 104, 106, 109, 113 Eindringkoeffizient 60 Eisenglimmer 149 Eisenoxidpigment 148 elektrische Doppelschicht 16 Elektrophorese 174 elektrostatische Stabilisierung 16, 19 elektrosterische Stabilisierung 16 Elementarschicht 69 Entlüfter 59, 64 Entschäumer 59 Entschäumerflüssigkeit 60 Epoxidharz 29, 104, 107, 117, 147, 150 Essigsäure 174 Extinktion 150

F Farbstärke 13, 28 Feststoffteilchen, hydrophob 61 Fettsäure 42 Filmbildehilfsmittel 169 Filmbildung 165 Flockulation (Flockung) 14, 16, 19 Flockungsmittel 74 Floridatest 147 Flugzeugdecklack 155 Fluoreszenz 133 Fluortensid 128 Füllstoff 36

G Gasvolumetrie 129 Glanz 28 Glanzabfall 146 Glastemperatur 169 Glykole 87 Grenzflächenreaktion 44, 121 Grenzflächenspannung 15, 24

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H Haftfestigkeit 111 Haftprimer 115 Haftschicht, dünn 117 Haftung 122 Haftvermittler 111 HALS 154 Hammerschlageffekt 51, 62 Harnstoffadditiv 89 Härter, Amin 104 Härtung, oxidativ 94 Härtungszeit 159 Harzung 32 HASE 73 Hautverhinderungsmittel 97 Hectorit 69 HEUR 73, 75 High-Solid 91 HMMM-Harz 107, 109 Holz 144, 161 Holzschutzlasur 148 Hydroperoxid 94, 95 hydrophil 24 hydrophob 25 Hydroxyalkylphenylketon 160

I Ionomervernetzung 96 isoelektrischer Punkt 17, 35

K Kaliumhydroxid 172 Kapillardruck 166 Katalysator 101 kathodische Elektrotauchlacke (KTL) 173 Kettenabbruchreaktion 137, 155 Kettenspaltung 143 Kettenstart 136 Kieselsäure, pyrogen 37, 72, 86 Kinetik 16 Klarlack 109, 146, 147, 148, 150, 152, 155 Kohäsion 111 Kollophonium 33 kontrollierte Flockulation 23, 24, 49, 53 Konversionsschicht 111

Index Konversionsschicht, organisch 116 Kopfgruppe 25 Korrosion 44, 121 Korrosion, atmosphärisch 121 Korrosion, elektrochemisch 121, 135 Korrosionsinhibitor 123, 124 Korrosionsschutz 36, 111, 114, 122 Korrosionsschutzadditiv 123, 125 Korrosionsschutzpigment 123 Krater 55, 61 Kratzfestigkeit 39 Kreidung 139 Kugelschaum 59 Kupferphthalocyanin 33 Kupferpigment 128 Kupplungsreagenz 113

L Lagerstabilität 108 Lambert-Beer’sches Gesetz 150 Leafing-Effekt 41 Lecithin 28 Lewis-Base 23, 101 Lewis-Säure 23, 101 Lichtschutzadditiv 110, 151, 153 Lichtstreuung 167 Luftsauerstoff 94

M Mahlen 12 Makroschaum 57 Mannich-Base 105 Mehrmetallsikkativ 96 Melaminharz 107, 109, 147 Messingpigment 128 Metalleffektpigment 146 metallischer Effekt 42 Metallpigment 40, 42, 127 Metallseife 96, 97 Metastabilität 16, 121, 134, 165 Methylalkylpolysiloxan 51 Micellbildung 77 Mikroschaum 57 Mindestfilmbildungstemperatur (MFT) 168 Mineralöl-Entschäumer 61 Monoacylphosphinoxid 163 Montmorillonit 69

N Nachbehandlung 31 Nadelstiche 55 Nanopartikel 38, 70 nanoskalig 116 Naphthenat 28 Nasshaftung 114 Nebenwirkung 27 Netzmittel 18, 19, 24, 28, 33, 55, 77, 127 Netzmittel, reaktiv 29 Neutralisation , 108 Neutralisationsmittel 171 newtonsches Fließverhalten 65 nicht-newtonsches Fließverhalten 65 Non-Leafing-Effekt 42 Nutzungsdauer 132

O Oberflächenbehandlung 44 Oberflächenbelegung 32 Oberflächenhärtung 96 Oberflächenhydroxygruppe 70, 113 Oberflächenladung 35 Oberflächenspannung 24, 49, 52, 54, 56, 62 Ölsäure 43 Organoschichtsilicat 83, 85 Oxazolidon 116

P Peptisator 71 Perlglanzeffektpigment 147 Phasengrenzfläche 15, 24, 27, 165 Phenol, sterisch gehindert 98 Phosphoreszenz 133 Photoinitiator 159, 162 photokatalytischer Oxidationszyklus 141 Photooxidation 132, 134, 135, 140, 155 pH-Wert 173 Pigmententmischung 24, 49 Pigmentfarbmittelderivat 33 Pigmentierung 149 Pigmentoberfläche 33 Pigment-Volumen-Konzentration, kritisch (KPVK) 149 Polyanion 19 Polycarboxylate 20

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Index Polydimethylsiloxan 51, 61 Polyederschaum 59 Polyelektrolyt 74 Polyester-Harz, ungesättigt 159 Polyether 30 Polyisocyanat 99 Polyisocyanat, blockiert 104, 113 Polymer 18, 21, 127, 136, 159, 165 Polymer-Entschäumer 63 Polymertensid 21 Poly(meth)acrylsäure 117 Polyol 99 Polyphosphate 21 Polypropylenglykol 71 Polyurethan-Lack, 2K 99 Primärdispersion 165, 169 Primärteilchen 11, 38, 68 Pseudoplastizität 65 Pulverlack 63

R Radikalfänger 98, 154 Radikalkettenpolymerisation 159 Radikalkettenreaktion 136, 140 Reaktivverdünner 159 Redoxkatalysator 94, 95 Reinacrylat-Dispersion 165 Rheologieadditive, polymer 73 rheologisches Additiv 65, 73 rheologische Wirkung 72, 81, 87, 89 Rissbildung 143, 146, 147 Ruß 148

S Sauerstoffaufnahme 128 Sauerstoffkorrosion 121 Säure, blockiert 108 Säurekatalysator 155 Säurekatalysator, nicht-ionisch blockiert 110 Säurekatalyse 106 Säurezahl 173 Schaum 55 Schaumlamelle 56, 59 Scherrate 65 Schichtsilicat 68, 71, 83 Schmiermittel 41

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Schutzkolloid 17 Sikkativ 94, 95, 97 Silan 115 Silanhaftvermittler 36, 113, 114, 116 Silanolgruppe 52, 72, 86, 113 Siliciumdioxid 34 Silicon 50, 53 Silicon-Entschäumer 61 Silicon-Epoxidharz 117 Silicontensid 53 Slip-Additiv 51 Smektit 69 Sol-Gel 45 Sol-Gel-Übergang 66, 71 Spreitungskoeffizient 60, 62 Stabilisierung, elektrostatisch 70, 71, 72 Stearinsäure 43 sterische Stabilisierung 16, 18, 21 Stoke 58 Stoke’sches Gesetz 68 Strukturviskosität 65, 66, 81 Styrol 159 Styrol-Acrylat-Dispersion 165

T Talkum 36 TEA 172 Teilchengrößenverteilung 167 Tetranatriumpyrophosphat 71 Thermodynamik 15 Thermostabilität 101 Thixotropie 66 Titandioxid 34, 36, 139, 140, 149 Tonmineral 69 Topfzeit (Verarbeitungszeit) 99 Triethanolamin 36 Trocknung, physikalisch 166 Trübung 167

U Überbrückungsflockulation 23 Untergrundbenetzungsmittel 53 Unterkreidung 149 Unverträglichkeit 61 Urethanacrylat 162 UV-Absorber 151, 152, 153, 155

Index UV-Härtung 132, 159 UV-Initiator 159 UV-Licht 131, 133, 138, 142

V Verbund 44 Vergilbung 146 Verlauf 79, 85, 108 Verlaufsmittel 51 Vernetzung 95, 107, 137, 143 Vernetzungstemperatur 90 Versprödung 137, 143 Verträglichkeit 61 Viskositätsanomalie 173

W Wasserlack 160 Wasserstoffbrücke 74, 84, 87, 105 Wasserstoffbrückenbindung 142, 151 Wasserstoffentwicklung 128 Wasserstoffkorrosion 127 Weichmacher 169 Witterungsbeständigkeit 147

X Xanthan 82

Z Zinkpigment 128 Zinkstaubfarbe 39 Zweischicht-Effektlackierung 146, 152

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Dr. Markus Boos, Technischer Leiter Forschung und Entwicklung, Remmers GmbH, Löningen

ISBN 978-3-74860-011-4

Bodo Müller // Lackadditive kompakt erklärt

Additive sind für Lackformulierungen wie das berühmte Salz in der Suppe: Erst die korrekte Kombination und Dosierung der gewählten Hilfsstoffe erlaubt die zielgerichtete Formulierung marktgerechter Farben und Lacke. Von genau diesen Additiven handelt auch Bodo Müllers überarbeitete und aktualisierte zweite Auflage. Müllers Buch umfasst eine passgenaue Kombination und Dosierung anschaulicher Informationen: Es behandelt in elf Kapiteln alle relevanten Additive. Die Erklärung des anspruchsvollen und komplexen Themas erfolgt dabei ausführlich von verschiedenen Seiten. So werden zum einen der jeweils chemische Charakter der verschiedenen Additive beleuchtet und die daraus resultierenden Funktionalitäten anschaulich beschrieben. Zum anderen kommt der anwendungstechnische Aspekt des Themas nicht zu kurz, indem der sinnvolle Einsatz der zuvor beschriebenen Stoffe in Form von Richtrezepturen exemplarisch dargelegt wird. Weiterhin bleibt die Neuauflage – chemisches Grundwissen vorausgesetzt – mehr als nur ein leicht lesbares Lehrbuch. Durch seinen Inhalt und Aufbau wird es gleichzeitig jenen Lesern, die nur eine schnelle Übersicht zu einem spezifischen Additiv benötigen, als wertvolles Nachschlagewerk dienen. So ist dieses Buch nicht nur für Studierende und Lackentwickler unverzichtbar, die die Frage nach dem „Warum?“ treibt, sondern auch für diejenigen, die eher pragmatisch veranlagt sind und prägnante Anwendungshinweise für ihr tägliches Arbeiten mit Additiven erwarten.