Humane Rationalisierung?: Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert [1. Aufl.] 9783839427569

How do apathetic workers turn into interested co-workers? This volume rectifies our previous image of Taylorism and Ford

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Humane Rationalisierung?: Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert [1. Aufl.]
 9783839427569

Table of contents :
Inhalt
1. Einleitung
2. Fabrikansichten
3. „Schafft Lebensraum in der Fabrik!“
4. Rationalisierung bei Deutz
5. Menschenführung durch Soziale Betriebsarbeit?
6. Einblicke in die Fabrik
7. Kontinuität und Ausdifferenzierung
Verzeichnisse
PUBLIZIERTE QUELLEN
LITERATUR
Danksagung

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Karsten Uhl Humane Rationalisierung?

Histoire | Band 62

Karsten Uhl (PD Dr. phil.) lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Technischen Universität Darmstadt und forscht an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg zur Technik- und Sozialgeschichte.

Karsten Uhl

Humane Rationalisierung? Die Raumordnung der Fabrik im fordistischen Jahrhundert

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Arbeiterinnen an Einschlagmaschinen für Karamelle, Stollwerck, Köln, ca. 1922. Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Sign. 208-GN474. Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2756-5 PDF-ISBN 978-3-8394-2756-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1. Einleitung | 9

Rationalisierung und Humanisierung | 11 Periodisierung | 12 Machtausübung im industriellen Betrieb | 15 Raum, Macht und Geschlecht | 19 Eine Alltagsgeschichte der betrieblichen Herrschaft | 22 Aufbau | 24 2. Fabrikansichten. Industriefotografie und Arbeiterfotografie | 29

Vom „Mädchen“ zur „Mitarbeiterin“ | 29 Fotografien und die Geschichte der Fabrikarbeit | 34 Geordnete und effiziente Fabrikräume vor dem Ersten Weltkrieg | 40 Rationalisierung, Humanisierung und die Geschlechterordnung in der Weimarer Republik | 46 Pragmatische Akzeptanz der Industriearbeiterin im Nationalsozialismus | 57 Kontinuität und Differenzierungen in der Bundesrepublik | 70 Industriefotografie in der DDR: Gab es ein Bild der sozialistischen Rationalisierung? | 80 Arbeiterfotografie: Ein anderer Blick? | 86 3. „Schafft Lebensraum in der Fabrik!“: Funktionalität und Ästhetik in Architektur und Arbeitswissenschaften | 95

Bau und Gestaltung der rationellen Fabrik | 98 Architekten und Ingenieure | 102 Lebensraum Fabrik | 109 Betriebliche Sozialräume: Speiseräume | 115 Die Gestaltung der Sanitärräume: Disziplinierung und Humanisierung | 123 Schönheit der Arbeit | 128 Taylorismus, Fordismus und die Arbeitswissenschaften | 133 Entwicklung der Arbeitswissenschaften in Deutschland | 138 Die Arbeitswissenschaften und die Arbeiterinnen | 147 „Menschenökonomie“ und Führungsstile | 149 Die Entwicklung des Personalmanagements: Vom Humankapital zum Arbeitskraftunternehmer | 154

4. Rationalisierung bei Deutz: Die Humanisierung des Scientific Managements 1910-1970 | 163

„Deutscher Ingenieur! Lerne von Taylor, aber werde nie ein Taylorianer!“ | 166 „Geistige Rationalisierung“ als Desiderat bei Deutz während der zwanziger Jahre | 171 Die Amerikanisierungsdebatte der Weimarer Republik | 177 Selbstmanagement als Rationalisierungsmaßnahme? | 182 Die Lohnordnung als Führungsmittel | 208 Kontinuitäten und Brüche nach 1945 | 214 Disziplinierung und Selbstmanagement | 223 5. Menschenführung durch Soziale Betriebsarbeit? Betriebliche Sozialpolitik und Personalmanagement bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei | 227

Der Unternehmerpaternalismus und die betrieblichen „Wohlfahrtseinrichtungen“ der AKS | 231 Die Ordnung der Arbeit: zwischen Disziplinierung und Menschenführung | 241 Die Soziale Betriebsarbeiterin | 249 Rationalisierung, Humanisierung und Leistungssteigerung nach 1945 | 265 Die paternalistische Unternehmenskultur und die Entwicklung des Personalmanagements | 276 6. Einblicke in die Fabrik. Fotografien aus dem Archiv der Stollwerck AG | 279

Bilder aus der Süßwarenfabrik: Stollwerck und Sprengel | 281 Rationalisierung und Elektrifizierung | 292 Handarbeit in der rationellen Fabrik | 299 „Schönheit der Arbeit“ und Disziplinierung im „NS-Musterbetrieb“ Stollwerck | 304 Die Nachkriegszeit: Neutarierung des Verhältnisses zwischen Überwachung und Selbstverantwortung? | 315 Die „neue Fabrik“ und das Verschwinden der Arbeit? | 321 Freiräume und Disziplinarräume | 325 7. Kontinuität und Ausdifferenzierung: Ein Ausblick auf die fordistische Fabrik in der Nachkriegszeit | 329

Schönheit der Arbeit nach 1945 | 334 Die Führung des Mitarbeiters | 340 Selbstmanagement im industriellen Betrieb der Bundesrepublik: Kontinuität im Wandel | 344 Eigeninitiative in DDR-Betrieben und das Brigadewesen | 350



Frauen und Migranten: das Rationalisierungsproletariat in beiden deutschen Staaten | 357 Post-fordistische Arbeitsverhältnisse nach dem Strukturbruch von 1973/1974? | 360 Verzeichnisse | 365

Archivbestände | 365 Publizierte Quellen | 366 Literatur | 375 Danksagung | 399



1. Einleitung

Der 1972 zum ersten Mal erschienene Band Unsere Siemens-Welt erlebte mit mehreren Neuauflagen eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte für sein Genre. Es handelte sich nämlich, darauf verwies der Untertitel, um eine „Festschrift zum 125jährigen Bestehen“ des Unternehmens. Der Aufbau entsprach den Gepflogenheiten der Textgattung: Nach einem Überblick über die wirtschaftliche und technische Entwicklung der Firma folgte ein Einblick in die Gegenwart, der sowohl kurz auf die Führungskräfte als auch auf die Arbeiter/-innen einging. Die Manager würden in neuen Führungsmethoden geschult werden. Es gehe darum, „den autoritären Führungsstil zu überwinden, der immer mehr die Effektivität der modernen Industriebetriebe bedroht, weil er Arbeitsfreude und Leistungswillen der Mitarbeiter untergräbt“.1 Dieser Ansatz findet seine Entsprechung im Abschnitt über die Arbeiter/-innen. Vor allem um etwaigen Klagen der Arbeiterinnen entgegen zu wirken, sei das Unternehmen bemüht, „durch gute Beleuchtung und ausreichende Belüftung, durch musikalische Ablenkung und durch einen freundlichen, farbenfrohen Anstrich der Arbeitsräume die tägliche Arbeit wesentlich zu erleichtern.“2 Der Autor dieser „Festschrift“ war der Schriftsteller F.C. Delius, der keinesfalls im Auftrag von Siemens schrieb, sondern sogar vom Unternehmen – erfolglos – verklagt wurde.3 Die Nachahmung, die Delius in Anlehnung an Berthold Brechts „Kunst, in anderer Leute Köpfe zu denken,“ zum methodischen Prinzip des Textes erklärte, ist ihm außerordentlich gut gelungen.4 Von gezielten satirischen Überspitzungen abgesehen, ähneln Sprache wie Inhalt grundsätzlich den vielen Festschriften, die größere Unternehmen zu ihren Jubiläen veröffentlichten. Die zitierten

1

Delius: Siemens-Welt, 1974, S. 150.

2

Ebd., S. 169.

3

Lediglich zwei kurze Passagen mussten modifiziert werden, der angestrebte hohe Schadensersatz blieb Siemens verwehrt; zudem durfte das Buch in weiteren Auflagen erscheinen, vgl. ebd., S. 210ff. Auch der ostdeutsche Aufbau-Verlag veröffentlichte das Werk.

4

Ebd., S. 207.





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Passagen sprechen zwei der zentralen Problembereiche an, die sich dem Management im 20. Jahrhundert bei der Organisation der Fabrikarbeit stellten: die Art der Machtausübung und die Gestaltung des Fabrikraums. Beide Bereiche der Problematisierung richteten sich auf ein Ziel: Es ging darum, die Arbeiter/-innen – den menschlichen Faktor der Produktion – in gezielt ‚human‘ gestalteten Räumen arbeiten zu lassen und durch einen auf ihre psychologischen Befindlichkeiten Rücksicht nehmenden Führungsstil zu motivieren, damit die „Effektivität“ des Betriebes sicher gestellt blieb. Die Vorgesetzten konnten dies nicht hinreichend durch ein autoritäres Regime gewährleisten. Vielmehr stellte sich ein Problem, das Delius ebenfalls der zeitgenössischen Debatte entnahm und das nicht allein durch Disziplinierung zu lösen war, sondern andere Formen der betrieblichen Machtausübung erforderte: Wie konnte das „Verantwortungsbewußtsein[] bei den Arbeitern“ entwickelt werden?5 In dieser Arbeit werde ich untersuchen, inwieweit sich diese Problematisierungen als Signatur einer geschichtlichen Periode der Industriearbeit betrachten lassen, für die Rüdiger Hachtmann und Adelheid von Saldern die Bezeichnung „das fordistische Jahrhundert“ vorgeschlagen haben.6 Auf die schwierige Frage der genauen Periodisierung wird einzugehen sein. Seine Leitbildwirkung habe der Fordismus grundsätzlich ab Mitte der siebziger Jahre verloren;7 der Beginn des fordistischen Jahrhunderts lässt sich, wie zu zeigen sein wird, auf die Zeit unmittelbar vor Beginn des Ersten Weltkrieges datieren, als in Henry Fords Automobilfabrik in Detroit die Fließbandproduktion eingeführt wurde und die Diskussion um die Wissenschaftliche Betriebsführung (scientific management) des amerikanischen Ingenieurs Frederick Winslow Taylor immer weitere Kreise zu schlagen begann. Es ist das Ziel der vorliegenden Studie, den Alltag der betrieblichen Herrschaft in der Fabrik des fordistischen Jahrhunderts zu rekonstruieren. Ich werde untersuchen, in welchem Verhältnis verschiedene Formen der betrieblichen Machtausübung zueinander standen. Dabei gilt es, ein klar konturiertes Bild von der Arbeit im Fordismus zu gewinnen: Inwiefern ließen sich Maßnahmen der Disziplinierung und Überwachung mit Formen der Übertragung von Verantwortung an die Arbeiter/-innen kombinieren? Die zitierten Passagen aus F.C. Delius’ Dokumentarsatire, die dem zeitgenössischen Unternehmerduktus nachempfunden waren, dürfen nicht so verstanden werden, als markierten sie das Ende dieser fordistischen Periode. Vielmehr wird in dieser Abhandlung die These auszuführen sein, dass die Rationalisierung und die ‚Humanisierung‘ der Arbeit von Beginn des fordistischen Jahrhunderts an einem gemeinsamen Diskurs angehörten.

5

Ebd., S. 186.

6

Vgl. Hachtmann/von Saldern: Jahrhundert, 2009.

7

Vgl. ebd., Abs. 7.



E INLEITUNG

R ATIONALISIERUNG

UND

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H UMANISIERUNG

Die Rationalisierung war genauso wie ihr amerikanisches Pendant Effizienz (efficiency) weder ein neuer Begriff noch ein neues Konzept des 20. Jahrhunderts. Philipp Sarasin hat jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass erst mit den Studien Taylors und der europäischen Arbeitswissenschaften seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine „Rationalisierungskultur“ im eigentlichen Sinne entstanden ist.8 Erst nun setzte sich eine Vorstellung davon durch, dass es möglich sei, den Arbeitsprozess nach wissenschaftlichen Prinzipien zu organisieren: Zunächst galt es, den one best way einer Arbeitsausführung experimentell zu ermitteln und dann, die Arbeiter/-innen nach dieser Norm arbeiten zu lassen. Das Prinzip der besten Methode war dabei auf permanente Verbesserung angelegt; grundsätzlich ging Taylor davon aus, dass sich zukünftig weiterhin bessere Formen der Arbeitsausführung entwickeln ließen.9 Die Rationalisierungsdebatte, die in den zwanziger Jahren breite Ausmaße annahm, war stark von diesen beiden Namen, Taylor und Ford, geprägt. Mary Nolan hat in ihrer Studie zur Amerikanisierung der Industrie in der Weimarer Republik allerdings darauf hingewiesen, dass die praktischen Erfolge Fords auf die meisten deutschen Rezipienten attraktiver wirkten als der wissenschaftliche Ansatz Taylors.10 Unter „Humanisierung der Arbeit“ sollen zunächst alle Konzepte und betrieblichen Praktiken gefasst werden, die bei der Organisation der Arbeit oder der Gestaltung der Arbeitsräume auf Überlegungen eingingen, inwieweit die Arbeit(sumwelt) an den Menschen angepasst werden könne. Damit werden keinesfalls humanistische Intentionen der jeweiligen Arbeitswissenschaftler/-innen, Manager oder Ingenieure impliziert. Vielmehr soll von dieser weit gefassten Arbeitsdefinition ausgehend über die Quellenarbeit ein genaueres Bild davon ermittelt werden, was Humanisierung der Arbeit im fordistischen Jahrhundert bedeutete. In diesem Sinne hat auch Bruce Kaufman in seiner Geschichte der Entstehung des Personalmanagements in den USA die Effekte einer Humanisierung beschrieben: Während des Ersten Weltkriegs bildete sich eine neue Form des Personalmanagements heraus, die im Gegensatz zum alten Tagelöhnermodell (hired hands) die Arbeiter/-innen als Humankapital (human resources) betrachtete. An die Stelle der reinen Disziplinierung durch die Vorarbeiter trat nun ein langfristiges Interesse an den Beschäftigten; ihre Fähigkeiten und ihre Motivation gerieten in den Blick, die Unternehmen begriffen sie

8

Vgl. Sarasin: Rationalisierung, 1995, S. 83f.

9

Vgl. Taylor: Grundsätze, 1913, S. 126f.; vgl. Mehrtens: Schmidts Schaufel, 1999, S. 100.

10 Vgl. Nolan: Visions, 1994, S. 39. Vergleichbar mit der deutschen Rationalisierungsbewegung ging bereits zuvor in den USA von der Industrie eine efficiency craze mit Wirkung auf die amerikanische Gesellschaft aus, vgl. Alexander: Mantra, 2008, S. 2.

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nun als ein Potential, das durch gezielte Personalpolitik nutzbar gemacht werden sollte.11 Kaufman betont, dass ein solches Modell niemals von allen Unternehmen in allen Phasen angewandt wurde, dass also die Betrachtung der Beschäftigten als Tagelöhner nie vollständig verschwand.12 Analog dazu werde ich der Frage nachgehen, welche Arbeiter/-innen zu welcher Zeit und in welchen Unternehmen zum Objekt von Maßnahmen im Sinne einer Humanisierung der Arbeit wurden. Insbesondere der Vorgang der Differenzierung in verschiedene Gruppen von Beschäftigten wird in den Blick genommen werden. Dabei kommt, auf noch genauer auszuführende Weise, der Geschlechterdifferenz eine herausgehobene Bedeutung zu. Von besonderer Bedeutung ist das Verhältnis von Humanisierung und Rationalisierung: Welche Rolle nahm der Umgang mit dem Faktor Mensch innerhalb der betrieblichen Rationalisierung in wissenschaftlichen Konzepten und in der unternehmerischen Praxis ein? Es wird zu untersuchen sein, in welchem Verhältnis repressive Maßnahmen zu solchen standen, die auf die Motivation und Aktivierung der Beschäftigten zielten. Lassen sich innerhalb der als fordistisch beschriebenen Periode Brüche feststellen oder kann von einer kontinuierlichen Entwicklung gesprochen werden? Die Ergebnisse dieser Studie sollen es also ermöglichen, unter dem Aspekt der betrieblichen Machtausübung gängige Periodisierungen zu überprüfen. Der zeitliche Rahmen der Untersuchung muss folglich so gewählt sein, dass er grundlegende Entwicklungslinien umfasst.

P ERIODISIERUNG Jürgen Kocka hat jüngst konzipiert, welche zentralen Wandlungsprozesse des 19. Jahrhunderts eine Geschichte der Arbeit in der modernen Gesellschaft berücksichtigen muss. Diese Prozesse lassen sich somit als Basis der vorliegenden Studie verstehen. Zunächst setzte sich die schon länger als nebensächliches Phänomen in Europa existierende kapitalistische Erwerbsarbeit als vorherrschende Form der Arbeit durch. Damit einher ging, dass eine Trennung von Lebens- und Arbeitssphäre zur Normalität wurde; ein Großteil der Menschen arbeitete nun in Manufakturen, Fabriken, Büros oder im Bergbau, und nicht mehr im eigenen Haus. Erst dadurch erhielt die Arbeit eine eigene Zeit und einen eigenen Raum. Es ließ sich fortan leicht definieren, was Arbeit und was Nicht-Arbeit war. Gleichzeitig stieg mit dem Aufkommen der neuen Arbeitsverhältnisse die soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, während parallel Klasse zur zentralen gesellschaftlichen Kategorie wurde. Als letztes wichtiges Element des Wandels nennt Kocka die Herausbildung

11 Vgl. Kaufman: Hired Hands, 2010, S. 215ff. 12 Vgl. ebd., S. 21.



E INLEITUNG

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neuer gesetzlicher und staatlicher Instanzen zur Regulierung der Arbeit ab ca. 1880.13 Folglich bietet sich für eine Untersuchung der neuen Arbeitsverhältnisse ein Beginn in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts an, als auch in Deutschland der industrielle Großbetrieb entstand. 14 Eine solche Periodisierung empfiehlt Lutz Raphael für eine Sozialgeschichte eines langen 20. Jahrhunderts, die sich an der „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ orientiert. Im letzten Fünftel des 19. Jahrhunderts hätten alle „wesentlichen Basisprozesse“ ihren Ursprung genommen.15 Die Tendenzen der Verwissenschaftlichung zeigen sich im Bereich der Industriearbeit, wie bereits am Beispiel Taylors angesprochen, besonders deutlich. Der Fokus auf diese Prozesse der Verwissenschaftlichung ermöglicht es, wie Margit Szöllösi-Janze gezeigt hat, eine Wissenschafts- und Technikgeschichte als Teil der allgemeinen Geschichte zu schreiben.16 Ulrich Herberts Konzept der Hochmoderne bestätigt grundsätzlich die von Raphael vorgeschlagene Periodisierung. Herbert sieht in den Jahrzehnten um 1900 eine enorme Beschleunigung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Wandels. Neben der Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche waren u.a. die Hochindustrialisierung, Urbanisierung, Technologisierung und Rationalisierung sowie die Entstehung der Massengesellschaft und Massenkultur die wesentlichen Faktoren für diesen Wandel.17 Herbert betrachtet die frühen 1970er Jahre als das Ende der Hochmoderne, betont aber, die darauf folgende Zeit lasse sich keineswegs als postindustriell bezeichnen, weil immer noch gut ein Drittel der Beschäftigten Europas in der Industrie beschäftigt sind.18 Ähnlich hat auch der Soziologe Manuel Castells hervorgehoben, dass zwar in der Mitte der siebziger Jahre tayloristisch-fordistische Produktionsformen historisch überholt waren, obgleich weiterhin Millionen Menschen weltweit unter solchen Bedingungen arbeiteten.19 Der betriebliche Fordismus lässt sich nach der Definition von David Hounshell anhand der Neuerungen festmachen, auf deren Grundlage Massenproduktion und Massenkonsum möglich wurden: eine hochgradig mechanisierte Produktion unter

13 Vgl. Kocka: Work, 2010, S. 7f. 14 Vgl. Ruppert: Fabrik, 1983, S. 41. 15 Raphael: Verwissenschaftlichung, 1996, S. 186. 16 Szöllösi-Janze: Wissensgesellschaft, 2004, S. 310. 17 Vgl. Herbert: Europe, 2007, S. 10. 18 Vgl. ebd., S. 19. Die Jahre 1973/1974 mit der Ölkrise und dem Zusammenbruch des internationalen Bretton-Woods-Finanzsystems werden in der Regel als Umbruchjahre genannt, vgl. Hobsbawm: Zeitalter, 1995, S. 362; Doering-Manteuffel/Raphael: Boom, 2010. 19 Vgl. Castells: Rise, 2010, S. 165, 258.

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Einsatz des Fließbandes sowie eine Hochlohn- und Niedrigpreispolitik.20 Hachtmann und von Saldern betonen, dass unter Fordismus keine einheitliche Form verstanden werden darf, sondern eine Vielfalt von Produktionsformen, die von einfachen Fließfertigungsverfahren über die Fließbandproduktion bis hin zu teilautomatischen oder nahezu vollautomatischen Fabriken reiche.21 Das „fordistische Jahrhundert“ zeichnet sich über diese betrieblichen Verfahren hinausgehend durch die gesellschaftliche Strahlkraft der mit dem Taylorismus und Fordismus verbundenen Vorstellung einer wissenschaftlichen Organisation letztlich aller sozialen Belange und die Übertragbarkeit des Konzepts der Effizienz auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche aus. Gleichzeitig hat es aber auch in der fordistischen Periode immer auch nicht-fordistische Produktionsweisen gegeben.22 Von diesem Fordismusbegriff, der in der Folge zugrunde gelegt wird, ist Gramscis sehr einflussreicher marxistischer Fordismusbegriff zu unterscheiden. Antonio Gramsci betonte Spezifika des Fordismus (Rationalisierung, hohe Löhne, Sozialpolitik, Kontrolle bis ins Privatleben), historisierte diesen aber letztlich als nichts „originell Neues“, sondern „nur […] die jüngste Phase eines langwierigen Prozesses“, der die kapitalistische Industrialisierung kennzeichne.23 Ich werde also in dieser Studie die Phase in den Blick nehmen, die das fordistische Jahrhundert ausmachte, die Zeitspanne von ca. 1910 bis ca. 1975. Darüber hinausgehend soll zum einen die Phase des dynamischen gesellschaftlichen und technologischen Wandels am Ende des 19. Jahrhunderts mit in die Untersuchung einbezogen werden. Zum anderen werde ich die Periode nach 1975 bis zur Gegenwart mit dem fordistischen Jahrhundert vergleichen: Wenn auch die Hegemonie des fordistischen Modells in den siebziger Jahren endete, so ist doch fraglich, inwieweit der vermeintliche Post-Fordismus sich vollständig von diesem Modell gelöst hat. Die Soziologen Gerd-Günter Voß und Hans Pongratz gehen, obwohl sie die Existenz von Mischformen einräumen, grundsätzlich davon aus, dass sich der neue, post-fordistische Typ des „Arbeitskraftunternehmers“ deutlich von seinem Vorgän20 Vgl. Hounshell: American System, 1985, S. 11. 21 Vgl. Hachtmann/von Saldern: Gesellschaft, 2009, Abs. 13. 22 Vgl. Hachtmann/von Saldern: Jahrhundert, 2009, Abs. 4f, 7. 23 Gramsci: Amerikanismus, 1999, S. 2086; vgl. ebd., S. 2069. Zur Diskussion des Fordismusbegriffs in der Geschichtswissenschaft und zu einer körpergeschichtlichen Aneignung vgl. Bänziger: Körper, 2013. David Nye stellt jüngst in Frage, ob Gramscis Darstellung, die vom Beispiel der tarifgeschützten, nicht vollentwickelten Form der Massenproduktion bei Fiat inspirit gewesen sei, überhaupt als Analyse des Fordismus betrachtet werden könne und nicht vielmehr als eine Abhandlung zum „Fiatismus“ verstanden werden müsse, vgl. Nye: Assembly Line, 2013, S. 91. Allerdings kann Nyes Vorbehalten entgegnet werden, dass Gramsci sich sehr eingehend mit amerikanischen Entwicklungen beschäftigt hat.



E INLEITUNG

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ger, dem fordistischen „verberuflichten Arbeitnehmer“ unterscheide. Der postfordistische „Arbeitskraftunternehmer“ zeichne sich vor allem durch eine stark ausgeprägte Selbst-Kontrolle aus, die weitgehend ältere Formen der direkten und strukturellen Kontrolle ersetzt hätte. Im Ergebnis entstünden gewisse Freiräume bei der Arbeit, gleichzeitig nehme aber der Leistungsdruck zu.24 Es wird eine Aufgabe der vorliegenden Studie sein, ein branchenübergreifendes Bild der Arbeiter/-innen im fordistischen Jahrhundert zu zeichnen. Auf dieser Grundlage kann dann bewertet werden, inwieweit die überzeugende Gegenwartsanalyse von Voß und Pongratz in Bezug auf die historische Perspektive haltbar ist: Unterschied sich der „Arbeitskraftunternehmer“ wesentlich von seinem fordistischen Vorgänger? Untersuchungen zur Industriearbeit in dieser langen Periode vom Ende des 19. bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts sind Mangelware. Abgesehen von Studien zu einzelnen Unternehmen hat bisher nur der Sozialhistoriker Josef Mooser mit seiner Abhandlung zu Arbeiterleben in Deutschland 1900-1970 den großen zeitlichen Rahmen gewählt.25

M ACHTAUSÜBUNG

IM INDUSTRIELLEN

B ETRIEB

Robert Castel hat in seinen Metamorphosen der sozialen Fragen untersucht, wie am Ende des 19. Jahrhunderts die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass sich das Lohnabhängigkeitsverhältnis der Industrialisierungsphase zum fordistischen Lohnarbeitsverhältnis wandeln konnte. Eine wesentliche Voraussetzung für diesen Wandel war eine Beschäftigungspolitik der Unternehmen, die die Vielfalt der Arbeitsverhältnisse während der Industrialisierung abschaffte. Die hohe tägliche Fluktuation unter den Arbeitskräften wurde bekämpft: Tagelöhner, die häufiger den Montag blau machten, wurden fortan nicht mehr beschäftigt. Es gab nicht mehr unterschiedlich intensive Formen der Beschäftigung, sondern vermehrt nur noch die Option der Vollbeschäftigung oder der Nichtbeschäftigung.26 Eine erste Phase zur Einführung dieser neuen Politik war geprägt von einer Mischung von betrieblichen Sozialleistungen und einer Disziplinierung der Arbeiter/-innen. Ein Dasein als In-

24 Voß/Pongratz: Arbeitskraftunternehmer, 1998, S. 132, 134, 147, 150. Voß hat inzwischen leichte Modifikationen an dem Modell vorgenommen und geht davon aus, dass gegenwärtig Formen einer „subjektivierten Taylorisierung“ vorherrschten. Allerdings bleibt sein Konzept einer Dichotomie zwischen fordistisch-tayloristischer Fremdkontrolle und post-fordistischer Selbstorganisation treu, vgl. Matuschek/Kleemann/Voß: Subjektivierte Taylorisierung, 2008, S. 50. 25 Mooser: Arbeiterleben, 1984. Diese wichtige Studie hat ihre Schwerpunkte in der Sozialstruktur und nicht in der Erforschung betrieblicher Praktiken. 26 Vgl. Castel: Metamorphosen, 2000, S. 286f.

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dustriearbeiter versprach zum einen die Existenzsicherung, war aber zum anderen mit der permanenten Drohung der Entlassung verbunden, falls den disziplinarischen Ansprüchen nicht entsprochen wurde. Castel hat dies in einem fiktiven Gebot treffend zusammengefasst: „Passen Sie sich an das Vorbild des guten Arbeiters an, der pünktlich bei der Arbeit ist und ein diszipliniertes Verhalten an den Tag legt, oder Sie werden zu diesen aus der Industriegesellschaft ausgeschlossenen Elementen gehören!“27 Eine solche für den Unternehmerpaternalismus des 19. Jahrhunderts typische Mischung von „Repression und philanthropischer Milde“ blieb der Arbeitsorganisation äußerlich und in ihrer Wirkung begrenzt. In einer zweiten Phase wurde sie von einer technischen Organisation der Arbeit ergänzt: In der steigenden Mechanisierung gab die Maschine zunehmend den Rhythmus der Arbeit vor.28 In der vorliegenden Abhandlung werde ich an dieser Stelle ansetzen und nach ergänzenden Machtformen fragen, die nur zusammen mit der Disziplinierung wirken können, aber über deren Wirkungen hinausgehen. Beide Machtformen waren zudem eng mit dem technologischen Wandel verzahnt: Neue Technologien erforderten bzw. ermöglichten neue Formen der Machtausübung, die ihrerseits wiederum eine Grundlage für die Einführung neuer Technologien darstellten. Karl Lauschke und Thomas Welskopp haben in ihren Überlegungen zur „Mikropolitik im Unternehmen“ darauf hingewiesen, dass sich der betriebliche Alltag keinesfalls durch Zwang und Kontrolle von Unternehmerseite und Widerstand als Reaktion auf Seiten der Arbeiter/-innen adäquat beschreiben lässt. Darüber hinausgehend waren (und sind weiterhin) die aktive Mitarbeit und Eigeninitiative der Arbeiter/-innen notwendig und durchaus üblich, ohne dass freilich von ihnen eine Gefahr für die betrieblichen Herrschaftsverhältnisse ausging.29 Welskopp hat an anderer Stelle die Grenzen der betrieblichen Herrschaft betont: Ein vollständig auf Überwachung und Disziplin ausgerichtetes Regime führte in der Regel zu ineffizienter Arbeit. Folglich waren Freiräume für Arbeitsgruppen in der Produktion unumgänglich und letztlich auch effektiv.30 Solche Freiräume des Selbstmanagements der Arbeiter/-innen und ihre gezielte Gestaltung werde ich im Folgenden untersuchen. Dabei werde ich auf Michel Foucaults Instrumente der Machtanalyse zurückgreifen. Auch Foucault betrachtete die Fabrikdisziplin der Industrialisierungsphase mit ihren Hierarchien, Überwachungsmechanismen und der Einübung zeitlich genormter Arbeitsabläufe als eine wesentliche Grundlage der Arbeitsteilung in der industriellen Produktion.31 Ohne 27 Ebd., S. 289. 28 Vgl. ebd., S. 289. Zum Unternehmerpaternalismus vgl. Berghoff: Unternehmenskultur, 1997. 29 Vgl. Lauschke/Welskopp: Einführung, 1994, S. 12. 30 Welskopp: Klassenkonzept, 1994, S. 91. 31 Vgl. Foucault: Meshes, 2007, S. 157.



E INLEITUNG

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dass von einem Verschwinden der Disziplinarmacht im fordistischen Jahrhundert die Rede sein kann, gehe ich von der These aus, dass die Macht, gezielt die Handlungsfreiräume anderer Individuen zu gestalten, zunehmend wichtiger geworden ist. Foucault bezeichnete diese Form der Macht als Gouvernementalität oder Regierung.32 Das Konzept der Regierung beschreibt die Art und Weise, auf welche die Lenkung der Individuen durch andere mit ihrer Selbstführung verbunden wird. Es handelt sich also um subtile Formen der Verflechtung von Technologien des Zwangs mit Technologien des Selbst.33 Es ging darum, „die Handlungsmöglichkeiten“ anderer zu beeinflussen, das „mögliche Handlungsfeld anderer zu strukturieren“.34 Die Regierungsmacht zielte dabei auf eine Optimierung der Potentiale, auf eine „Vervollkommnung, Maximierung oder Intensivierung“ der von ihr geleiteten Prozesse.35 Angewandt auf eine Untersuchung der Fabrikarbeit legt ein derartiger Machtbegriff nahe, nicht ausschließlich nach Formen der Überwachung und Disziplinierung zu suchen, denen es darum ging, den Arbeitsprozess frei von Störungen durch die Arbeiter/-innen zu halten.36 Stattdessen sollten die Quellen zusätzlich danach befragt werden, ob nicht vielmehr auch gezielt Freiräume für die Beschäftigten gestaltet wurden, in denen sie ihre subjektiven Potentiale einbringen und optimieren konnten. Keinesfalls legte Foucault nahe, dass die Disziplinierung mit der verstärkten Bedeutung der Regierung verschwunden sei; sein Konzept sah im Gegenteil eine gegenseitige Ergänzung der Machtformen vor.37 Richard Coopey und Alan McKinlay haben mit Foucaultscher Machtanalytik in einem Aufsatz die Veränderung bei Ford in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts untersucht. Dabei kommen sie zu dem überraschenden Ergebnis, dass sich bei Ford erst in der Nachkriegszeit ein Disziplinarsystem im Foucaultschen Sinne herausge32 Da Foucault selbst von dem „häßlichen Wort ‚Gouvernementalität‘“ sprach, soll im Folgenden von „Regierung“ die Rede sein, vgl. Foucault: Sicherheit, 2006, S. 173. Eine hervorragende Einleitung in das Konzept der Regierung nach Foucault leistet: Lemke/Krasmann/Bröckling: Gouvernementalität, 2000. 33 Vgl. Foucault: Beginning, 1993, S. 203f. 34 Foucault: Subjekt, 2005, S. 256. 35 Foucault: Sicherheit, 2006, S. 162. 36 Ulrich Bröckling geht davon aus, dass das „Zeitalter der tayloristischen Produktionsweise“ ausschließlich von diesem Ansatz bestimmt worden sei und dass Formen der Subjektivierung der Arbeit erst später aufgekommen seien, vgl. Bröckling: Selbst, 2007, S. 224. Diese starre Chronologie gilt es in Frage zu stellen. 37 Foucault: Sicherheit, 2006, S. 161. Möhring weist darauf hin, dass – im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Missverständnis – Foucault mit dem Konzept der Gouvernementalität keinesfalls seine Ausführungen zur Disziplinierung zurückgenommen hat, vgl. Möhring: Regierung, 2006, Abs. 2.

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bildet habe. Auch das in der Zwischenkriegszeit weltweit berühmte Werk River Rouge sei trotz aller dort durchgeführten Arbeitsstudien von einem „System des Terrors“ geprägt worden. Die Ziele des Managements unterschieden sich somit deutlich von der betrieblichen Realität, in der Arbeitsstudien nicht zu einer Ansammlung und Auswertung von Wissen über die Beschäftigten genutzt wurden, sondern lediglich im Sinne einer fortgeführten Willkürherrschaft jederzeit Eingriffe in die jeweiligen Bereiche der Arbeiter ermöglichten.38 Die bereits angesprochene Vielfalt der Produktionsformen innerhalb des fordistischen Jahrhunderts führt zu dem paradoxen Ergebnis, dass das Unternehmen Ford selbst, von dem die Strahlkraft der frühen Neuerungen ausgegangen war, nicht in allen Zeitabschnitten den state of the art repräsentierte. Während bei Ford, wie von Coopey und McKinlay dargelegt, repressive Formen der Überwachung bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs überdauerten, wurden – wie in dieser Abhandlung zu zeigen sein wird – in der Zwischenkriegszeit sowohl in arbeitswissenschaftlichen Konzepten als auch in der betrieblichen Praxis verschiedener Unternehmen Führungsstile angewandt, die sich mit dem Foucaultschen Konzept der Regierung beschreiben lassen. In diesem Sinne schafften Betriebsleitungen – ergänzend zu begleitenden Maßnahmen der Disziplinierung und Überwachung – gezielt Freiräume zur Entfaltung der Selbstverantwortung der Arbeiter/-innen. In diesem Zusammenhang erscheint ein Anschluss an Alf Lüdtkes Überlegungen zum Fabrikalltag sinnvoll. Lüdtke hat den Begriff des Eigen-Sinns eingeführt, um Verhalten der Arbeiter/-innen zu beschreiben, das sich weder als Widerstand gegen noch als Anpassung an die betriebliche Ordnung begreifen lässt. Typische Erscheinungsformen eigen-sinnigen Verhaltens am Arbeitsplatz sind kurze Gespräche mit den Kollegen, Herumspazieren im Arbeitsraum oder Tagträumereien. Ein derartiges Verhalten lässt sich nach Lüdtke unabhängig von politischen Umbrüchen oder Rationalisierungsmaßnahmen zu allen Phasen in der Industriearbeit feststellen.39 Ohne direkt Anweisungen zu widersprechen, beharrten die Beschäftigten wider die rigide Bindung an Arbeitszeiten und den jeweils eigenen Arbeitsplatz auf ihrer eigenen Zeit und ihrem eigenen Raum.40 Es handelt sich dabei also um mehr als um den Ausdruck eines Eskapismus, vielmehr eröffnete der Eigen-Sinn den Arbeitern und Arbeiterinnen neue Handlungsräume. 41 Unabhängig von ihrem Status konnten sich sowohl unqualifizierte wie qualifizierte Arbeiter/-innen auf diese Weise „immer wieder physischen wie sozialen Raum für sich selbst“ sichern.42

38 Vgl. Coopey/McKinlay: Power, 2010, S. 114, 120. 39 Vgl. Lüdtke: Eigen-Sinn, 1993, S. 257, 378. 40 Vgl. Lüdtke: Ordnung, 1992, S. 222. 41 Vgl. Lüdtke: Organizational Order, 1985, S. 312 42 Lüdtke: Eigen-Sinn, 1993, S. 377.



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Lüdtkes Forschungen stellen vor allem klar, dass es niemals gelang, das Verhalten der Arbeiter/-innen vollständig zu disziplinieren. Im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Missverständnis ist die Vorstellung, dass die Disziplinierung niemals vollkommen aufgehen kann, auch in Foucaults Konzept der Disziplinarmacht impliziert.43 Ich werde im Folgenden Lüdtkes Ansatz insofern modifizieren, als ich nicht allein die – scheiternden oder gelingenden – Versuche des Managements, den Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen durch verstärkte Überwachung oder durch arbeitsorganisatorische Maßnahmen einzudämmen, rekonstruieren werde. Vor allem werde ich einen Perspektivwechsel vornehmen: Lüdtke hat aus Sicht der Arbeiter/innen überzeugend dargelegt, dass ihr Verhalten sich keinesfalls ausschließlich auf die Vorgaben der Fabrikordnung bezog, also nicht nur entweder aus angepasstem Verhalten oder Widerstand bestand, sondern darüber hinausgehend „eigen-sinnig“ war. Weniger überzeugend ist hingegen die Annahme, der Unternehmensleitung sei es ausschließlich – oft erfolglos – darum gegangen, solches Verhalten zu bekämpfen. Vielmehr soll unter Bezug auf Foucaults Konzept der Regierung gefragt werden, inwiefern es den Unternehmen gelang, solche unvermeidlichen Freiräume gezielt für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Konnte der Eigen-Sinn der Arbeiter/innen eine geduldete oder sogar geförderte Ressource des Produktionsprozesses werden?

R AUM , M ACHT

UND

G ESCHLECHT

Machtbeziehungen entfalten sich in erster Linie im Raum. Wie Foucault betonte, kam dem Raum „bei jeglicher Machtausübung fundamentale Bedeutung“ zu.44 Ich gehe mit Foucault davon aus, dass Machtdimension und Raumdimension miteinander verflochten sind. Zugrunde liegt Foucaults Ansatz einer doppelten Raumordnung: Die Räume sind in diesem Sinne gleichzeitig real und ideal.45 Zum einen wird die Anordnung von Menschen und Maschinen bestimmt, zum anderen werden parallel Klassifizierungen und Hierarchien erzeugt. Die Raumgestaltung lässt sich so als Schnittpunkt von Diskursen und Praktiken verstehen. Konkret hat Foucault die „Schaffung eines nutzbaren Raumes“ am Beispiel der Entstehung der Institution Gefängnis untersucht.46 Foucault merkt an, dass der Vorgang, jedem Individuum seinen Platz und jedem Platz ein Individuum zuzuordnen, in den Fabriken noch deutlich komplexer ablief. Hier habe man vor der Aufgabe gestanden, „die Auftei-

43 Vgl. McKinlay: Managing Foucault, 2006, S. 96f. 44 Foucault: Raum, 2005, S. 337. 45 Vgl. Foucault: Überwachen, 1994, S. 190. 46 Ebd., S. 184.

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lung der Körper, die räumliche Organisation des Produktionsapparates und die verschiedenen Tätigkeitsformen miteinander in Einklang zu bringen“.47 Die Platzierung der Individuen im Raum dient dabei nicht allein ihrer Überwachung, vielmehr bietet die richtige Platzierung der Individuen zudem die Möglichkeit ihrer maximalen Nutzbarmachung.48 Martina Löw hat die wichtige Rolle herausgearbeitet, die Atmosphären bei diesen Raumbildungsprozessen spielen. Atmosphären als die Außenwirkung der räumlichen Anordnung kommt vor allem die Bedeutung zu, die Machtverhältnisse bei der Platzierungspraxis zu verschleiern.49 Auf diesen Aspekt wird in Hinsicht auf das Ziel der Gestaltung von nicht nur rationellen, sondern auch freundlichen Arbeitsräumen zurückzukommen sein. Die Historikerin Lindy Biggs hat die räumliche Gestaltung der „rationellen Fabrik“ anhand von Entwürfen von Architekten und Ingenieuren des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sowie am Beispiel der Ford-Werke Highland Park und River Rouge untersucht. Die Vision der Fabrik als Maschine – bzw. sogar als der „master machine“ – war eine wesentliche Grundlage für die Rationalisierungsbewegung und die Massenproduktion seit dem frühen 20. Jahrhundert.50 Diesen Komplex werde ich vor allem anhand der architektonischen Debatte in Kapitel 3 untersuchen: Dabei lässt sich – vielleicht etwas überraschend – zeigen, dass es nicht allein darum ging, die Fabrik von einer reinen Hülle für die Produktion in eine Maschine zu verwandeln, die sämtlichen Produktionsanforderungen gerecht wird, sondern zudem darum, den Arbeitern und Arbeiterinnen, einen Raum zu schaffen, der seine Qualität als „Lebensraum“ bewahren würde. In Modifikation von Biggs’ These handelte es sich also nicht allein um die Herstellung der „rationellen Fabrik“, sondern um die Gestaltung einer gleichermaßen rationellen wie ‚humanen‘ Fabrik. Timo Luks beschäftigt sich in seiner überzeugenden Studie zum Betrieb als Ort der Moderne ebenfalls mit der Raumordnung der Fabrik. Das von ihm untersuchte „industriebetriebliche Ordnungsdenken“ setzt voraus, dass sich die „betriebssoziale“ Ordnung stets als räumliche Ordnung manifestierte.51 Allerdings verfolgt Luks eine grundsätzlich anders gelagerte Zielsetzung als diese Arbeit; implizit charakterisiert er sein Erkenntnisinteresse als ein kulturgeschichtliches. Es geht ihm darum, „wie Menschen in sozialökologisch-industrialistischer Manier als Teil des Betriebsraums problematisiert werden“, und nicht um „Subjekte im Betrieb, ihre Autonomie, Unterwerfung oder Widerspenstigkeit“. Luks interessiert nicht, wer „was, wie und warum“ macht, sondern, warum „sich Akteure und Tätigkeiten in welcher 47 Ebd., S. 185f. 48 Foucault: Incorporation, 2007, S. 148. Zu Foucaults Bedeutung bei der Generierung eines soziologischen Raumbegriffs vgl. Löw: Raumsoziologie, 2001, S. 147ff. 49 Vgl. ebd., S. 209, 216. 50 Vgl. Biggs: Factory, 1996, S. 37. 51 Vgl. Luks: Betrieb, 2010, S. 106.



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Weise beschreiben und behandeln“ ließen.52 Im Mittelpunkt steht bei Luks also die Geschichte der Repräsentation. Im Gegensatz dazu soll im Folgenden versucht werden, Machtbeziehungen, ihre praktischen Auswirkungen und ihre Veränderungen im industriellen Betrieb des 20. Jahrhunderts zu analysieren; dabei ist vorauszusetzen, dass sich diese Machtbeziehungen gleichermaßen in Diskursen wie Praktiken entfaltet haben. Zugespitzt formuliert geht es also um eine Verbindung von kultur- mit sozialgeschichtlichen Fragestellungen. Die Geschichte von Problematisierungen (Wie lassen sich Fabriken rationell und human gestalten?) soll in diesem Sinne lediglich der Ausgangspunkt sein, um die konkrete Ausformung und Veränderung von Machtrelationen in den Blick zu bekommen. Über diese Vermittlung, also die Berücksichtigung dessen, dass historische Subjekte immer Ergebnisse spezifischer Prozesse – gleichermaßen das Produkt von Diskursen wie von Praktiken – sind, kann es am Ende dann doch wieder um die Themen gehen, die Luks ausgeklammert hat: um die Subjekte und ihre Autonomie, Unterwerfung oder Widerspenstigkeit. Sowohl in Bezug auf die räumliche Dimension als auch bei der Ausgestaltung der Machtbeziehungen innerhalb des Betriebes wird zu zeigen sein, dass Vorstellungen über die Geschlechterdifferenz einen großen Einfluss auf die Debatten wie die Praktiken innerhalb der modernen Fabrik hatten. In der Nichtberücksichtigung der Kategorie Geschlecht besteht die größte Schwäche von Anson Rabinbachs wichtiger Studie über die Arbeitswissenschaften. Grundsätzlich ist in Frage zu stellen, ob die von Rabinbach für das 19. Jahrhundert eindrucksvoll in ihrer Wirkungsmächtigkeit dargestellte Metapher vom „Motor Mensch“ im fordistischen Jahrhundert noch das bestimmende Bild war.53 Im Einklang mit den bisherigen Ausführungen geht es mir darum zu zeigen, inwieweit an die Stelle dieser Metapher das Bild von ‚dem ganzen Menschen‘ trat, womit gleichzeitig auch die Geschlechtlichkeit dieses Menschen eine Rolle spielte. Bereits in den einführenden Zitaten aus F.C. Delius’ Unsere Siemens-Welt klingt an, dass das Geschlecht der Arbeiterinnen eine Rolle bei der Gestaltung der Arbeitsräume spielen konnte, weil das Management den Frauen eine größere Umweltabhängigkeit unterstellte. Grundsätzlich soll mit der Soziologin Brigitte Aulenbacher davon ausgegangen werden, dass die Rationalisierung prinzipiell der Kategorie Geschlecht gegenüber gleichgültig ist, während die konkreten historischen Ausformungen jeweils untersucht werden müssen.54 In Bezug auf die betriebliche Machtausübung wird ebenfalls verstärkt auf den Einfluss der Kategorie Geschlecht zu achten bzw. danach zu fragen sein, ob der Grad der Übertragung von Verantwor52 Ebd., S. 124. 53 Rabinbach geht davon aus, dass diese Metapher erst in den 1950er Jahren nachhaltig an Einfluss verlor, vgl. Rabinbach: Human Motor, 1992, S. 11. 54 Vgl. Aulenbacher: Rationalisierung und Geschlecht, 2005, S. 160f.

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tung und der Einräumung von Freiräumen mit dem Geschlecht der Beschäftigten zusammenhängt. Dabei wird auch auf die schwer zu entwirrende Gemengelage von Qualifikation und Geschlecht einzugehen sein. Es ist vermehrt darauf hingewiesen worden, dass die Kategorien Qualifikation und Facharbeit als vergeschlechtlichte soziale Kategorien zu verstehen sind.55 Wie Canning und Schwarzkopf für das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert konstatieren, galten gewisse Arbeiten allein deshalb als unqualifiziert, weil sie von Frauen ausgeübt wurden, während andere Tätigkeiten Frauen per se nicht offen standen, weil sie für männliche Facharbeiter vorgesehen waren.56

E INE A LLTAGSGESCHICHTE DER BETRIEBLICHEN H ERRSCHAFT Lüdtkes um den Begriff des Eigen-Sinns aufgebaute Geschichte des Fabrikalltags hat wichtige Forschungslücken geschlossen und zudem Anregungen für die kulturgeschichtliche Erweiterung etwa der Wirtschafts- oder der Technikgeschichte gegeben.57 Wie bereits ausgeführt, besteht ein Problem dieses Konzepts darin, dass es voraussetzt, die Unternehmen seien per se daran interessiert, diesen Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen zu bekämpfen oder zu zähmen. Auch Hartmut Berghoffs und Jakob Vogels Entwurf einer kulturgeschichtlichen Wirtschaftsgeschichte bleibt in dieser Dichotomie befangen. Berghoff und Vogel fassen Alltagsgeschichte als das „Wechselspiel“ zwischen der vom Staat oder Betrieb ausgehenden Kontrolle, einerseits und den „Interessen und Strategien der Arbeiter“ andererseits.58 Es erscheint mir als eine äußerst wichtige Ergänzung, an dieser Stelle der Frage nachzugehen, inwieweit die Unternehmen ihrerseits Strategien entwickelten, das eigen-sinnige Verhalten der Arbeiter/-innen einzubinden und nutzbar zu machen, um von den subjektiven Potentialen der Beschäftigten profitieren zu können. Der von mir vorgeschlagene Ansatz, die wechselnden Strategien der betrieblichen Herrschaft in den Blick zu nehmen, ermöglicht eine neue Perspektive auf den Fabrikalltag. Geschuldet ist dieser Perspektivwechsel allerdings zunächst der Not der schwierigen Quellenlage: Ego-Quellen der Arbeiter/-innen sind rar. Stattdessen werde ich verstärkt auf Unternehmensbestände zurückgreifen, anhand derer es

55 Vgl. de Groot/Schrover: Introduction, 1995, S. 5, 7; Zachmann: Männer, 1993, S. 74; Kassel: Geschlecht, 1993. 56 Canning: Languages, 1996, S. 223; ähnlich Schwarzkopf: Unpicking Gender, 2004, S. 74. 57 Vgl. Berghoff/Vogel: Wirtschaftsgeschichte, 2004; Hård: Kulturgeschichte, 2003. 58 Vgl. Berghoff/Vogel: Wirtschaftsgeschichte, 2004, S. 16.



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nachzuzeichnen gilt, auf welche Weise sich Manager und Ingenieure immer wieder auf neue Art mit dem Problem konfrontiert sahen, den Faktor Mensch effektiv und effizient in die Produktion einzuordnen. Die sich verändernden Formen der betrieblichen Machtausübung lassen sich dann wiederum als Spiegelung der Reaktionen der Arbeiter/-innen auf die Ordnung des Betriebslebens betrachten. Das vielfältige und sich wandelnde Handeln der Beschäftigten erzwang eine permanente Reflexion über Formen der betrieblichen Machtausübung und deren fortlaufende Modifikation. Lässt sich ein solches Vorgehen als Kulturgeschichte charakterisieren? Wenn es gelingt, die auch von Berghoff und Vogel konstatierte „Entmaterialisierung“ der neuen Kulturgeschichte zu vermeiden, erscheint diese Bezeichnung passend, da es mir darum geht, Praktiken zu analysieren, die einerseits auf der Basis eines vorhergehenden Wissens geschehen, und andererseits ihrerseits Wissen erzeugen.59 Insbesondere die noch genauer zu erläuternde Bildanalyse erlaubt einen Zugriff auf die Materialität der Arbeitsbedingungen, auf die räumliche Gestaltung der Produktion. Insgesamt besteht ein zentrales Anliegen darin, beide Ebenen einzufangen, die wissensgeschichtliche des Diskurses ebenso wie die mikrogeschichtliche der betrieblichen Praktiken. In diesem Sinn ist es mein Ziel, die Lücke zwischen Detail und Diskurs, die in der Regel nur getrennt voneinander untersucht werden, zu schließen.60 Foucaults Konzept einer Geschichte der Problematisierungen bietet das passende methodische Instrumentarium für eine derartige Zielsetzung. Ausgangspunkt einer solchen Geschichte ist die Frage, wann etwas zu einem Problem wird. Im Zentrum einer solchen Untersuchung stehen nicht unterschiedliche Lösungsansätze, sondern vielmehr die ihnen gemeinsame Problematisierung.61 Die spezifische Form der Problematisierung, also der Diskursivierung eines Problems, erzeugt mithin den Rahmen, innerhalb dessen überhaupt erst verschiedene Lösungsversuche entstehen können. Die Geschichte der Problematisierung verfolgt also zweierlei Zwecke: Zum einen gilt es, die „allgemeine Form einer Problematisierung“ zu identifizieren, die die verschiedenen Antworten ermöglicht hat. Zum anderen soll gezeigt werden, dass und auf welche Weise die „verschiedenen Lösungen zu einer spezifischen Problematisierungsform gehören.“62 Es geht also bei dieser Methode um mehr als 59 Berghoff/Vogel: Wirtschaftsgeschichte, 2004, S. 12f. In diesem Sinne folge ich Vogels Konzept einer Wissensgeschichte, das die Historizität wissenschaftlicher Methoden und wissenschaftlichen Wissens betont und neben der Produktion des Wissens seine Anwendungen, seinen Transfer und seine soziale Funktionalität untersucht, vgl. Vogel: Wissensgeschichte, 2004, S. 643, 650. 60 Vgl. Hård/Jamison: Framework, 1998, S. 5. 61 Vgl. Foucault: Polemik, 2005, S. 732. 62 Vgl. ebd., S. 733.

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um die Rekonstruktion eines Diskurses im engeren Sinne: Es handelt sich gleichzeitig um die Geschichte der Problematisierungen und der „Praktiken, von denen aus sie sich bilden“. Unter dem ersten Aspekt, von Foucault als „Archäologie“ und gemeinhin als Diskursanalyse bezeichnet, sollen die „Formen der Problematisierung selbst“ untersucht werden. Unter dem zweiten Aspekt, der „Genealogie“, geht es nach Foucault darum, zu analysieren, wie sich die Problematisierungen von den Praktiken ausgehend bilden und dabei von Veränderungen der Praktiken abhängig sind.63 In der vorliegenden Studie gilt es also nicht, die übliche Trennung in Managementschulen oder Denkstile nachzuzeichnen und darauf basierend unterschiedliche Ansätze der betrieblichen Machtausübung zu identifizieren.64 Stattdessen geht es mir darum, zu rekonstruieren, wie der Umgang mit dem Faktor Mensch in einer permanent weiter rationalisierten Fabrik als Problem gefasst wurde. Zum einen wird, in einem „archäologischen“ Teil, untersucht werden, wie im architektonischen, arbeits- und sozialwissenschaftlichen Diskurs diese ‚Humanisierung‘ der rationellen Fabrik als Wiedervereinigung von Lebensraum und Arbeitsraum problematisiert wurde. Im „genealogischen“ Teil werden dann betriebliche Praktiken in den Blick genommen, die jeweils zu spezifischen Problematisierungen führten, die wiederum verschiedene Führungsstile, Freiräume für die Arbeiter/-innen, Disziplinierungsmaßnahmen oder Formen der betrieblichen Sozialpolitik bedingten. Es geht also gleichermaßen um kultur- wie sozialgeschichtliche Fragen, um die Analyse von Diskursen wie von Praktiken.

A UFBAU Für ein solches Erkenntnisinteresse kann die immer noch vernachlässigte Quellengattung der Fotografie von großer Bedeutung sein. Bei aller notwendigen methodischen Umsicht, die fotografische Quellen verlangen und auf die in den jeweiligen Kapiteln einzugehen sein wird, bieten sie doch eine wichtige Möglichkeit zur Analyse der Auswirkungen der betrieblichen Machtausübung. Insbesondere die Untersuchung des langen historischen Zeitraums, also des Wandels innerhalb des for-

63 Vgl. Foucault: Gebrauch, 1986, S. 19. 64 Ruth Rosenbergers Studie zum Personalmanagement in der Bundesrepublik setzt eine Dichotomie zwischen einem technischen Denkstil der Rationalisierungsexperten und einem humanwissenschaftlichen Denkstil der neuen Personalexperten voraus, vgl. Rosenberger: Humankapital, 2008, S. 327. Mein Ziel ist es hingegen, die über unterschiedliche Ansätze hinausgehenden Gemeinsamkeiten bei der Problematisierung des „Faktors Mensch“ herauszuarbeiten.



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distischen Jahrhunderts, ermöglicht es mit Hilfe von Fotografien Veränderungen der Arbeitsorganisation und der räumlichen Gestaltung der Fabrik als Machtpraktiken zu analysieren. Die Entfaltung der Machtausübung im Raum kann auf eine Weise erfasst werden, die allein durch schriftliche Quellen nicht zu gewährleisten wäre. Wichtig ist allerdings die gegenseitige Ergänzung: Eine sinnvolle Interpretation von Fotografien ist nur möglich, wenn sie innerhalb des Diskurses analysiert werden, dessen prägender Teil sie gleichzeitig sind. Das bedeutet zum einen die Einbettung in den größeren Rahmen der Rationalisierungs- und Humanisierungsdebatten, zum anderen den Rückgriff auf schriftliche Quellen des gleichen Unternehmens. Die Zielsetzung, über verschiedene Branchen hinweg verbindende Formen einer ‚humanen‘ Rationalisierung zu identifizieren, ist mit der Gefahr unzulässiger Verallgemeinerungen branchen- oder unternehmensspezifischer Phänomene verbunden. Dieser Gefahr soll dadurch entgegengewirkt werden, dass verschiedene Branchen in den Blick genommen werden: In Fallstudien werden Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD), die Augsburger Kammgarn-Spinnerei und Stollwerck untersucht. Die Auswahl der Unternehmen ermöglicht den Vergleich zwischen Belegschaften, die sich stark voneinander in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse und den Grad der Qualifikation unterschieden. Das Maschinenbauunternehmen KHD war von einer männlichen Facharbeiterschaft dominiert, beim Textilbetrieb Augsburger Kammgarn-Spinnerei hatten die zumeist un- oder angelernten Arbeiterinnen ein knappes Übergewicht gegenüber den hauptsächlich als qualifiziert eingestuften männlichen Kollegen. Stollwerck schließlich steht beispielhaft für ein Unternehmen der Süßwarenbranche, in der überwiegend ungelernte Arbeiterinnen beschäftigt waren. Es wird jeweils herauszuarbeiten sein, in welchem Zusammenhang die Struktur der Beschäftigten mit der jeweiligen betrieblichen Ordnung stand: Wirkte sich das Qualifikations- und Geschlechterprofil eines Betriebes auf die Form der Machtausübung im Unternehmen aus? Hatte es Folgen für das Verhältnis, in dem disziplinierende zu subjektivierenden, also Freiräume gewährenden Maßnahmen des jeweiligen Unternehmens standen? Untersucht werden Industriebetriebe und wissenschaftliche Diskurse in Deutschland. Diese Beschränkung scheint notwendig, da die Forschung die Spezifizität der deutschen industriellen Entwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert betont. Diese Besonderheiten wurden bisher vor allem auf der Makroebene von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik sowie in Ansätzen auf der Mesoebene einzelner Betriebe untersucht.65 Die Mikroebene der Arbeitsbedingungen, die ich im Folgenden 65 Die historische Existenz eines „deutschen Kapitalismus“ wird allgemein konstatiert, strittig ist vor allem, inwieweit sich diese Besonderheiten durch die Amerikanisierung der Nachkriegszeit aufgelöst haben, vgl. Berghahn/Vitols (Hg.): Kapitalismus, 2006. Wengenroth bewertet die Spezifizität der deutschen Entwicklung deutlich kritischer als die

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untersuchen werde, spielt hingegen in dieser Forschungsrichtung kaum eine Rolle. Keinesfalls soll aber eine Geschichte des nationalen Tunnelblicks geschrieben werden. Die internationalen Austauschverhältnisse im Bereich der Architektur und Arbeitswissenschaften sind ebenso offenkundig wie die große Bedeutung des amerikanischen Leitbilds, das sich nicht zuletzt in den Personen Ford und Taylor verkörperte. Die – zeitgenössisch kontrovers diskutierte – Aneignung der zumeist amerikanischen Konzepte lässt sich dabei nicht allein im wissenschaftlichen Diskurs nachvollziehen. Am Beispiel KHD kann aufgezeigt werden, auf welche Weise über Jahrzehnte hinweg eine Unternehmenskultur von der Auseinandersetzung mit der sogenannten Amerikanisierung geprägt wurde. Es ging dabei um eine selektive Aneignung, die explizit auf (vermeintliche) deutsche kulturelle Besonderheiten abhob und damit die Modifikation des Vorbildes begründete. Um zunächst die Breite der Entwicklungen einfangen zu können, werden im folgenden Kapitel 2 branchenübergreifend Fotografien der Industriearbeit von den zwanziger Jahren bis in die siebziger und frühen achtziger Jahre untersucht, die in verschiedenen Medien publiziert wurden. Diese Fotos sind – das gilt auch für nicht veröffentlichte Betriebsfotografien – stets mit gewissen Repräsentationsabsichten entstanden; sie dürfen also nicht als Abbildung der Arbeitswirklichkeit missverstanden werden. Allerdings scheint diese Realität sogar bei den für Publikationen ausgewählten Fotografien durch: So erlauben, wie Ulrich Wengenroth gezeigt hat, häufig nur derartige Bilder Aussagen über Bedingungen in den Arbeitsräumen, die sich durch andere Quellen nicht rekonstruieren lassen.66 Außerdem lassen sich, wie auszuführen sein wird, selbst auf diesen Fotos Zeichen des Eigen-Sinns der Arbeiter/-innen finden, was sich als weiterer Beleg für Lüdtkes These verstehen lässt, dass der Eigen-Sinn niemals vollständig ausgeschaltet werden konnte. Im darauf folgenden Kapitel 3 gilt es, den wissenschaftlichen Diskurs um die Rationalisierung und Humanisierung der Industriearbeit nachzuzeichnen, um die grundsätzlichen Entwicklungslinien der Debatten, wie oben skizziert also die allgemeine Form der Problematisierung, herausarbeiten zu können. Keinesfalls geht es dabei um eine Einebnung der Unterschiede zwischen verschiedenen Ansätzen. Vielmehr soll gezeigt werden, wie auf der Basis einer gemeinsamen Problemstellung in unterschiedlichen Bereichen, wie der Fabrikarchitektur, der Gestaltung von Sozialräumen und der Festlegung gewisser Führungsstile, Vorschläge zur Lösung des Fabrikproblems unterbreitet wurden. Wie in den darauf folgenden Untersu-

Autoren und Autorinnen des genannten Sammelbandes und spricht von der Flucht in einen „selbstgebauten Käfig“, deren verheerenden Folgen erst durch die internationale Öffnung in der Nachkriegszeit habe langsam abgebaut werden können, vgl. Wengenroth: Flucht, 2002, S. 53f. 66 Vgl. Wengenroth: Fotografie, 1994, S. 102.



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chungen der einzelnen Unternehmen lässt sich auch hier die Bedeutung der Kategorie Geschlecht für allgemeine Entwicklungen nachweisen. Die letzte der drei Fallstudien wird am Beispiel Stollwercks erneut die Quellengattung Fotografie in den Mittelpunkt rücken (Kap. 6). Eine außergewöhnlich gute Quellenlage erlaubt es, die Veränderungen der Produktion in verschiedenen Phasen einzufangen. Dabei zeigt sich beispielsweise in verschiedenen Entwicklungsstufen der Arbeitsorganisation an Verpackungsfließbändern, inwieweit die jeweiligen Formen der betrieblichen Machtausübung – sei es durch die räumliche und technische Gestaltung, sei es durch den Standort der Aufsichtskräfte – Schwerpunkte auf die Disziplinierung der Arbeiterinnen setzten oder deren Eigen-Sinn als Ressource des Produktionsprozesses akzeptierten. Im abschließenden Kapitel wird ein Ausblick auf die fordistische Fabrik in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten gegeben, um herauszuarbeiten, inwieweit die Entwicklung von einer Kontinuität und in welchen Aspekten sie von einer Ausdifferenzierung charakterisiert war. Die in der gesamten Studie herausgearbeiteten Merkmale der fordistischen Fabrik lassen dann eine Bewertung der Periodisierungsfrage bezüglich eines Bruches zwischen Fordismus und Post-Fordismus zu. Die bisherigen Ausrufungen des Post-Fordismus leiden nämlich in der Regel unter einem Mangel: einem vor allem auf der Mikroebene unzureichendem Verständnis des Fordismus. Auf der Basis dieser Studie soll es ermöglicht werden, klarer auf die Arbeitsverhältnisse im Fordismus zu blicken und deutlicher benennen zu können, was neu am Post-Fordismus ist (und was nicht).



2. Fabrikansichten Industriefotografie und Arbeiterfotografie

V OM „M ÄDCHEN “

ZUR

„M ITARBEITERIN “

Die Werkszeitschrift der Enka Glanzstoff AG, die seit der Eingliederung in den Enka-Konzern den modern kleingeschriebenen Namen „informiert“ trug und nur noch in Klammern auf den ehemaligen Namen „Wir von Glanzstoff“ verwies, feierte in einer Ausgabe des Jahres 1974 die Gründung des Vorgängerunternehmens Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG 75 Jahre zuvor. Technische Entwicklungen, strategische Entscheidungen und der Wandel der Firmenstruktur machen auch in dieser Selbstdarstellung einer Unternehmensgeschichte den größten Teil des Heftes aus. Da „informiert“ den Untertitel „Zeitschrift für die Mitarbeiter“ trug, durfte ein längerer Abschnitt zum „Arbeitsplatz Glanzstoff“ nicht fehlen. Fotos aus der Frühzeit des Unternehmens wurden aktuelle Fotos gegenübergestellt, um die Erfolgsgeschichte der Industriearbeit bei Glanzstoff zu erzählen. Zwei direkt untereinander gesetzte Bilder von Arbeiterinnen bringen die große Erzählung vom fortschrittlichen Wandel der Fabrikarbeit auf den Punkt. Im Zentrum dieser Erzählung lassen sich drei Themen identifizieren: Geschlecht, Macht und Raum. Das erste Foto zeigt die Säuberei im Jahr 1910. Der Bildausschnitt fängt die Größe und Höhe der Halle ein; ungefähr die Hälfte des Fotos wird von Wand und Decke gefüllt. Die Kamera steht zwischen zwei Reihen von Arbeiterinnen, die auf dem Bild von hinten gezeigt werden. Die Reihen der Arbeiterinnen laufen auf einen Fluchtpunkt am Ende des Raumes zu, der zugleich etwa im Mittelpunkt des Bildes liegt. Links und rechts der beiden mittigen Reihen sitzen parallel zur jeweiligen Ausgangsreihe weitere Arbeiterinnen in „Reih’ und Glied“, wie es in der Bildunterschrift heißt. Etwas unterhalb des Mittelpunktes des Bildes und somit in etwa in der Mitte der Reihen steht – uns zugewandt, aber mit Blick auf die Arbeiterinnen – eine Vorarbeiterin.





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Abbildung 1: Vereinigte Glanzstoff-Fabriken AG, 1910. Säuberei.

Quelle: informiert (Wir von Glanzstoff). Zeitschrift für die Mitarbeiter der Enka Glanzstoff AG, 1974, H. 8/9, S. 24. RWWA, Sign. XIVe 13054.

Die Fotografie zeigt also zunächst einen sehr großen Arbeitsraum, der augenscheinlich perfekt an die Produktionsanforderungen angepasst worden ist. Seine Weite und vor allem seine Höhe fallen sofort ins Auge. Genauso wichtig ist das, was auf dem Bild nicht zu sehen ist: Es gibt keinerlei Anzeichen von Schmutz oder Unordnung. Die einzelnen Arbeitsplätze wirken identisch und in perfekter Reihung angeordnet. Alles, was zu sehen ist, ist geordnet und dient dem Produktionsprozess. Der ganze Raum und seine ganze Ausstattung scheinen Teil des Produktionsprozesses zu sein; es gibt nichts Überflüssiges und keine Verschwendung. Das war durchaus neu: In der Regel wurde die industrielle Produktion noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in Fabrikgebäuden untergebracht, die nicht auf die jeweiligen Arbeitsprozesse zugeschnitten waren.1 In der neuen zweckgestalteten Fabrik konnte nun das Ziel verfolgt werden, auch bei den Arbeitsprozessen keine Verschwendung mehr zuzulassen, keine unnötigen Bewegungen auszuführen und Zwischenlagerun-

1



Biggs: Rational Factory, 1996, S. 76.

F ABRIKANSICHTEN

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gen vorzunehmen; oder kurz gesagt: Effizienz zu steigern. Effizienz wurde dann in der Folge zum Kernbegriff der aufkommenden Rationalisierungsdebatte.2 Da die Arbeiterinnen nur von hinten zu sehen sind, zeigt das Bild letztlich nicht eine Menge von einzelnen, identifizierbaren Arbeiterinnen, sondern stattdessen einen großen, wohlgeordneten Arbeitsprozess, der vollständig rational geplant und umgesetzt zu sein scheint. Die Arbeiterinnen sind als anonyme, austauschbare Elemente nur Teil dieses Prozesses und dieser Ordnung. Einzig die Vorarbeiterin ist als Individuum zu identifizieren, fungiert auf dem Foto allerdings auch nur in ihrer Funktion. Sie ist zu weit entfernt, um individuelle Züge erkennen zu lassen. Sie stellt vielmehr den menschlichen Anteil der Machtordnung in der Fabrik dar: Grundsätzlich sorgt die Arbeitsorganisation von selbst für Ordnung; die klare Hierarchie, die die stehende Vorgesetzte gegenüber den sitzenden, für uns gesichtslosen Arbeiterinnen verkörpert, gibt darüber hinausgehend die Sicherheit, dass das Funktionieren dieser Ordnung überwacht wird. Die Vorarbeiterin im Zentrum des Bildes überwacht die Disziplin der Fabrik. Die Bildbeschriftung aus dem Jahr 1974 betont diese klaren Machtverhältnisse zwischen den „Mädchen“ und der strengen Vorarbeiterin: „In Reih’ und Glied sitzen die Mädchen auf dem Bild von 1910 in der Säuberei und prüfen unter der gestrengen Aufsicht der Vorarbeiterin die Garnstränge auf Qualität.“ Der eigentliche Text sieht Fotos wie dieses noch deutlicher als einen Beleg für eine „saubere, fast militärisch anmutende Ordentlichkeit sowohl der Mädchen wie der Arbeitsplätze“, die zu einem großen Teil dem strengen Regiment der Vorarbeiterinnen zu verdanken gewesen sei.3 Direkt unter dieses Bild ist in gleicher Größe ein zeitgenössisches Foto gesetzt worden, das einen großen Kontrast zeigt: Wir blicken aus naher Distanz auf zwei Arbeiterinnen, deren Oberkörper und Gesichter den Großteil des Bildes füllen. Im Zentrum des Bildes sitzt eine Frau frontal zur Kamera an einem Tisch. Ihre Augen konzentrieren sich auf die Tätigkeit ihrer Hände. Da auch die ihr zur Linken sitzende, etwas jüngere Kollegin die Augen und den Kopf auf deren Demonstration richtet, wird der Blick des Betrachters eindeutig auf die arbeitenden Hände gelenkt. Trotz der Nahansicht handelt es sich keinesfalls um ein Foto des Genres Portrait: Individuelle Züge werden nicht ausgearbeitet, wir sehen vielmehr zum einen den Typus der konzentrierten Facharbeiterin bei der Tätigkeit und zum anderen den Typus einer ebenso konzentrierten gelehrigen Betrachterin. Im Gegensatz zur älteren Fotografie spielt der Raumhintergrund keine Rolle, er verblasst gegenüber der Darstellung der beiden Frauen.

2

Zur Entwicklung des Konzepts der Effizienz, vgl. Alexander: Mantra, 2008.

3

informiert (Wir von Glanzstoff). Zeitschrift für die Mitarbeiter der Enka Glanzstoff AG, 1974, H. 8/9, S. 25. RWWA, Sign. XIVe 13054.

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Abbildung 2: Enka Glanzstoff AG, 1974. Bildbeschriftung: „Ihre Kolleginnen von 1974 haben sich einen großen Tätigkeitsbereich im Betrieb erobert …“.

Quelle: informiert (Wir von Glanzstoff). Zeitschrift für die Mitarbeiter der Enka Glanzstoff AG, 1974, H. 8/9, S. 24. RWWA, Sign. XIVe 13054.

Es liegt nahe, dass die Frau, die den Arbeitsschritt demonstriert, eine Vorarbeiterin ist. Die Zusammenstellung der beiden Fotos lenkt die Betrachter zusätzlich zu dieser Annahme. Deutlich wird dabei der Unterschied zur Vorarbeiterin von 1910 herausgearbeitet: Ein hierarchischer Unterschied wird nicht durch die Position im Bild hervorgehoben; 1974 sitzen beide nebeneinander, die Vorarbeiterin überwacht nicht, sondern führt die Arbeit vor. Es scheint also so, als unterschieden sich die beiden Frauen einzig durch den Grad ihrer Erfahrung. Die gelehrige junge Arbeiterin muss nicht überwacht werden, sie will sich vielmehr das Wissen der erfahrenen Kollegin aneignen. Neben der Fachfrau sitzt folglich eine kommende Facharbeiterin. Dem Arbeitsraum scheint auf den ersten Blick keine Rolle bei der Bildkomposition zugekommen zu sein. Dennoch arbeitet die Fotografie einen starken Raumeindruck heraus, der sich deutlich von dem des alten Fotos absetzt: Während 1910 der geordnete, rationalisierte Fabrikraum im Zentrum der fotografischen Inszenierung stand, zeigt das Bild von 1974 ganz im Einklang mit den Debatten und politischen



F ABRIKANSICHTEN

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Maßnahmen zur „Humanisierung der Arbeitslebens“4 einen Raum der humanisierten Arbeit. Die Atmosphäre des menschlichen Miteinanders und das Betriebsklima der kollegialen Zusammenarbeit bestimmten die Raumordnung in der Fabrik,5 während 1910 noch Hierarchien und Überwachung in ihrem Zentrum gestanden hatten. Damit im Einklang weist die Bildbeschriftung in der Werkzeitschrift darauf hin, dass sich im Gegensatz zu den „Mädchen“ von 1910 deren Kolleginnen von 1974 einen „großen Tätigkeitsbereich im Betrieb erobert“ hätten. An die Stelle einer überwachten, recht anspruchslosen und monotonen Arbeit in der Qualitätskontrolle zu Beginn des Jahrhunderts sei nun eine selbstverantwortete vielfältige Aufgabe getreten. Der flankierende Text räumt der speziellen Geschichte der Arbeiterinnen bei Glanzstoff den Platz einer Seite ein. Wie in der Textilbranche üblich, hatte Glanzstoff seit seiner Gründung einen hohen Frauenanteil unter den Beschäftigten.6 Einzelne Abteilungen, wie die Haspelei und die Säuberung, waren fast ausschließlich mit Frauen besetzt. Die Firmengeschichtsschreibung erklärt das auch 1974 noch mit vermeintlich natürlichen Geschlechterunterschieden: „Die Arbeit am feinen, empfindlichen Faden“ sei schlicht „keine Sache für grobe Männerhände“. Sie fordere hingegen die „Geschicklichkeit und das Feingefühl von Frauenfingern“.7 Die Geschichte der Frauenarbeit im 20. Jahrhundert wurde als Fortschrittsgeschichte erzählt: Zunächst seien Fabrikarbeiterinnen gesellschaftlich abgelehnt, dann nur geduldet worden, bis sie schließlich „anerkannte, unentbehrliche Mitarbeiterinnen“ geworden seien.8 Dieser Geschichtserzählung gelingt dabei das Kunststück, den Fortschritt zu feiern, ohne die Firmenvergangenheit zu kritisieren. Die zeitgenössischen gesetzlichen Regelungen der Mitbestimmung wurden durchaus begrüßt, gleichwohl wird der Unternehmerpaternalismus des frühen 20. Jahrhunderts in seinen Wirkungen als ähnlich sozial beschrieben, weil die Autorität „nicht engherzig“ gewesen sei: Gewinnbeteiligungen seien auch ohne formelle Vereinbarung gezahlt

4

Vgl. Seibring: Humanisierung, 2011; Sauer: Humanisierung, 2011.

5

Löw weist darauf hin, dass die Erzeugung von Atmosphären die Machtstrukturen der

6

1925 betrug der Frauenanteil unter den Beschäftigten der Textilindustrie 59 Prozent, vgl.

Raumordnung verschleiern, vgl. Löw: Raumsoziologie, 2001, S. 272. Bajohr: Hälfte, 1979, S. 189. 1970 lag er nahezu unverändert bei 58 Prozent, vgl. Mooser: Arbeiterleben, 1984, S. 34. Zur Anfangszeit von Glanzstoff liegen nur fragmentarische Statistiken vor: 1901 machten die Arbeiterinnen 40 Prozent der Belegschaft im Produktionsabschnitt der Kupferseideherstellung aus. 1928 waren im Stammwerk Oberbruch 54 Prozent der Beschäftigten Frauen, vgl. Wicht: Glanzstoff, 1992, S. 115. 7

informiert (Wir von Glanzstoff). Zeitschrift für die Mitarbeiter der Enka Glanzstoff AG,

8

Ebd., S. 25.

1974, H. 8/9, S. 24. RWWA, Sign. XIVe 13054.

34 | H UMANE R ATIONALISIERUNG ?

worden, dem Jugendschutz sei ohne gesetzliche Bestimmungen von einer mitfühlenden Werksleitung Genüge getan worden.9

F OTOGRAFIEN

UND DIE

G ESCHICHTE

DER

F ABRIKARBEIT

Die Geschichte der Industriearbeit im 20. Jahrhundert, wie sie in der Selbstdarstellung des Unternehmens Glanzstoff in der Werkzeitschrift von 1974 geschildert wird, ist – abgesehen von der Verklärung des Unternehmerpaternalismus – gar nicht so weit von gängigen Interpretationen der Geschichtswissenschaft entfernt.10 Die Ausweitung und die gesellschaftliche Anerkennung der Frauenerwerbstätigkeit, auch in Fabriken, wird in der Regel als ein wesentliches Element des gesellschaftlichen Wandels betrachtet; allerdings würde die bis ins 21. Jahrhundert fortdauernde Lohndiskriminierung in einem Text mit geschichtswissenschaftlichem Anspruch nicht übergangen werden.11 Das Thema des geänderten Umgangs mit den Beschäftigten wird ebenfalls recht ähnlich behandelt: Mit der „Entdeckung des Personalmanagements“ in der Nachkriegszeit habe eine neue Ordnung an den Arbeitsplatz Einzug gehalten.12 Die angesprochenen Bereiche – Geschlecht, Macht und Raum – zeugten unbestritten von einem Wandel der industriellen Arbeitswelt im 20. Jahrhundert. Allerdings stellt ein genauer und differenzierter Blick die Gewissheit vermeintlicher Epochenbrüche in Frage. Kurz gesagt besteht meine These darin, dass bereits für den Beginn des 20. Jahrhunderts Elemente, die als Neuerungen des späten 20. Jahrhunderts präsentiert wurden und in historischen und sozialwissenschaftlichen Studien noch heute als solche betrachtet werden, im Diskurs um die rationelle Fabrik

9

Ebd., S. 24.

10 So stellt auch der Historiker Wolfgang Wicht in seiner Geschichte des Unternehmens Glanzstoff die Entwicklung wie folgt dar: „Bewusstseinssoziologisch hat sich die Arbeiterschaft vom ‚Untertanen‘ zum Legitimationspartner im Unternehmen und in der Gesellschaft gewandelt.“, vgl. Wicht: Glanzstoff, 1992, S. 343. 11 Die geschlechtsspezifische Lohndifferenz weist vom Kaiserreich bis in die späten 1970er Jahre eine bemerkenswerte Kontinuität auf. In der Textilbranche lag der Frauenlohn in der gleichen Qualifikationsgruppe konstant bei Werten zwischen 80 und 85 Prozent des Lohns der männlichen Kollegen, vgl. Mooser: Arbeiterleben, 1984, S. 90f.; vgl. Hausen: Frauenerwerbstätigkeit, 1997, S. 27. 12 Rosenberger differenziert, dass die Etablierung eines „neue[n] Leitbilde[s] betrieblicher Sozialbeziehungen“ nicht zwangsläufig zu einem umgehenden Wandel der betrieblichen Sozialordnung geführt habe, sondern vielmehr, die Möglichkeit einer Liberalisierung geschaffen habe, vgl. Rosenberger: Experten, 2008, S. 419f.



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zu identifizieren sind. Der Wunsch nach der Rationalisierung der Arbeitsprozesse bezog bereits frühzeitig die menschliche Komponente ein. Selbstverständlich gab es wichtige Verlagerungen, aber keinesfalls lässt sich die Fabrik um 1910 als reiner Ort der erfolgreichen Disziplinierung beschreiben, und genauso wenig war die Fabrik um 1975 ein Ort der subjektivierten Arbeit und des reinen Selbstmanagements ohne externe Überwachung. Wenig überraschend war die Auswahl der beiden Fotos für die Werkzeitschrift eine gezielte. Sie waren geradezu perfekt geeignet, die Selbstdarstellung der Unternehmensgeschichte zu illustrieren. Wenn sich auch viele Fotos finden lassen, die dem ausgewählten Bild von 1910 ähneln,13 so sticht doch die vollständige Inszenierung der Ordnung ebenso hervor wie die gänzliche Ausblendung der Subjektivität der Arbeiterinnen. Da wir ausschließlich Hinterköpfe und Rücken sehen, verhärtet sich der Eindruck der anonymen Funktionserfüllerinnen. Genauso passgenau ist die Auswahl des zeitgenössischen Fotos: Ein Foto, das ebenfalls einen Werkraum mit einer großen Gruppe von Arbeiterinnen zeigt, hätte den Kontrast nicht so stark herausarbeiten können. Solche Fotografien wurden weiterhin geschossen und finden sich auch in den Firmenarchiven. Andererseits wurden Fotos von Facharbeitern in Nahaufnahme auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgenommen, nur waren dies in aller Regel Männer.14 Fotografien sollen im Folgenden als wichtige Quellen für die Geschichte der Fabrikarbeit ernst genommen werden. Es soll zunächst nicht darum gehen, die von den beiden Glanzstoff-Fotos erzählte Geschichte zu widerlegen, indem ihnen mit sozialhistorischen Argumenten widersprochen würde. Erst in den folgenden Kapiteln wird der Wandel der Fabrikarbeit während des 20. Jahrhunderts zu untersuchen sein. Zuerst ist es vielmehr mein Anliegen, zu zeigen, dass auch die Repräsentation von Industriearbeit in Selbstdarstellungen der Unternehmen differenziert verlief: Ordnung musste stets hergestellt werden, Spuren der Unordnung blitzten immer wieder auf; das Bild von der Frauenarbeit wiederum war häufig von internen Widersprüchen geprägt. In diesem Sinne können Fotografien als Quellen für die Kulturgeschichte der Fabrikarbeit dienen. Gleichzeitig soll diese vorgelagerte Analyse verhindern, dass sich diese Studie in den Fallstricken der Affirmation verfängt: Sehr leicht läuft auch eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung Gefahr, in einem ordnenden Blick etwaige Widersprüche innerhalb bildlicher Quellen einzuebnen. Nach dieser Reflektion wird zum Abschluss dieses Buches dann zu dieser Quel-

13 Vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 10f. Das „Bild einer idealen Ordnung“ sollte auf ähnliche Art und Weise auf vielen Fotografien vermittelt werden, ebd. S. 12. Auch in den USA vermittelten viele Industriefotos durch gleiches Vorgehen den Eindruck einer rationellen Ordnung in der Fabrik, vgl. Nye: Image Worlds, S. 104. 14 Vgl. Lüdtke: Gesichter, 1994, S. 87.

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lengattung zurückgekehrt werden, um daraus sozialhistorische Erkenntnisse zu gewinnen. Visuelle Quellen haben einen unbestreitbaren Platz in der Geschichtswissenschaft gefunden. Bildliche Quellen spielen zwar in dem meisten Abhandlungen gar keine (oder lediglich eine illustrative) Rolle, weiterhin unternehmen nur wenige Spezialstudien den Versuch, Fotografien und andere Bilder als Quellen ernst zu nehmen. Die methodische Reflektion über die Möglichkeiten einer Visual History hingegen ist im Zentrum des Faches angekommen. Vor allem Gerhard Paul kommt das Verdienst zu, diesen Ansatz auch in der deutschen Geschichtswissenschaft etabliert zu haben. Dabei konnte es nur der erste Schritt sein, Fotos nicht lediglich als Abbild der sozialen Wirklichkeit zu betrachten. Gleichwohl bilden Fotografien ab: Aus ihnen lassen sich Rückschlüsse über kollektive Denkweisen und Wahrnehmungsformen bestimmter Gruppen zu bestimmten Zeitpunkten gewinnen. Darüber hinausgehend sind Fotos als Bildakte zu verstehen, die „Sehweisen konditionieren, Wahrnehmungsmuster prägen“ und „historische Deutungsweisen transportieren“.15 Martina Heßler hat vor allem die Rolle der Bilder bei der Hervorbringung, Veränderung und Organisation von Wissen betont.16 Der Kunsthistoriker John Tagg hat zu diesem Bereich seit den 1970er Jahren gearbeitet. In Anlehnung an Foucaults Diskursanalyse hat er ein methodisches Instrumentarium entwickelt, auf das in der Folge bei der Analyse von Fotografien der Industriearbeit zurückgegriffen werden wird. Tagg begreift Fotos als diskursive Praktiken, ihre Bedeutung erlangen sie nur als Teil eines Diskurses. Keinesfalls sind sie aber als reines Abbild eines präexistenten Diskurses zu verstehen: Ihre Bedeutung wird zwar vom Diskurs geprägt, gleichzeitig sind sie konstitutiver Teil des Diskurses und prägen seine Bedeutung.17 Ganz im Sinne Foucaults ist die Wissensproduktion als ein Feld der Machtwirkungen zu verstehen: Die visuellen Repräsentationen können nur innerhalb dieses Machtkontextes hervorgebracht werden, üben aber auch ihrerseits Macht aus.18 Diese methodische Rahmung führt zu konkreten Fragen, die anschlussfähig an die klassische historische Quellenkritik sind. Wer stellt die Fotos zu welchem Zweck her? Wer wird abgebildet? Wie werden die Fotografien verwendet, wem gezeigt? Und speziell für die vorliegende Studie: Welche

15 Paul: Von der Historischen Bildkunde, 2007, S. 25. Paul lehnt sich an den BildaktBegriff des Kunsthistorikers Horst Bredekamp an, vgl. Bredekamp: Theorie, 2010. 16 Vgl. Heßler: Bilder, 2005, S. 283. Die kulturwissenschaftliche Methode der Visual Culture stellt sich ähnliche Fragen, etwa „wie Macht und Wissen historisch und gegenwärtig visualisiert werden“, vgl. Regener: Bilder, 2004, S. 26. 17 Vgl. Tagg: Burden, 1988, S. 119. 18 Vgl. ebd., S. 21.



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Auswirkungen hat die Repräsentation einer speziellen Wirklichkeit von industrieller Arbeit?19 Es wäre also ein Missverständnis der diskursanalytischen Methode, die Frage nach dem Autor der Fotografien fallen zu lassen. Allerdings lässt sich die Autorschaft nicht einem individuellen Fotografen zuschreiben; der Autor ist ein Komplex aus verschiedenen Akteuren.20 Im Falle der Industriefotografie benennt David Nye das Unternehmen selbst als Autor der Fotos; der Prozess der Bildproduktion durchlief verschiedene Akteure innerhalb einer bürokratischen Ordnung, die jeweils kaum kontrollierenden Einfluss auf das Erzeugnis nehmen konnten. Vielmehr bildeten sich anonyme Standards und Routinen für diesen Prozess heraus.21 Der Fotograf war jedenfalls stets von der Zustimmung des jeweiligen Meisters zu einem Arrangement abhängig.22 Beispielhaft für diese Abläufe war die langjährige Tätigkeit des Fotografen Albert Renger-Patzsch für ein Unternehmen der Textilindustrie in der Nachkriegszeit: Die Firmenleitung oder einzelne Ingenieure gaben die Motive vor. Die Bildgestaltung, der Kamerastandpunkt, der Blickwinkel und die Beleuchtung oblagen dann der Entscheidung des Fotografen.23 Wie bereits an dem ersten fotografischen Beispiel gezeigt wurde, soll auch gefragt werden, was auf den Fotos nicht gezeigt wird.24 In dem gezeigten Fall fehlten alle Spuren von Unordnung, Verschwendung und Schmutz. Derartige Fotografien locken mit einer Falle: Sehr leicht kann der Eindruck entstehen, die Kontrolle des Managements über den Produktionsprozess sei eine vollkommene gewesen.25 Im Folgenden soll hingegen analysiert werden, wie der Versuch unternommen wurde, Ordnung und Kontrolle zu repräsentieren, und an welchen Stellen die Ordnungsinszenierungen brüchig wurden. Wie Jens Jäger gezeigt hat, ist es bei der Bildanalyse unerlässlich, von einer „Ambivalenz auch scheinbar eindeutiger visueller Aussagen“ auszugehen. Analog zur Interpretation schriftlicher Quellen müssen auch Bilder gezielt gegen den Strich gelesen werden.26 Die Suche nach Details, die etwaig unbeabsichtigt fotografiert (und veröffentlicht) worden sind, kann dabei von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein.27

19 Vgl. ebd., S. 119. 20 Vgl. ebd., S. 149. 21 Vgl. Nye: Image Worlds, 1992, S. 48. 22 Vgl. Lüdtke: Gesichter, 1994, S. 81. 23 Vgl. Bieger-Thielemann: Albert Renger-Patzsch, 1995, S. 23. 24 David Gugerli hat angeregt, die fotografische „Produktion von Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten“ in den Blick zu nehmen, Gugerli: Soziotechnische Evidenzen, S. 138. 25 Vgl. Tagg: Burden, 1988, S. 7. 26 Vgl. Jäger: Photographie, 2000, S. 102f. 27 Vgl. Burke: Augenzeugenschaft, 2003, S. 216.

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Die in diesem Kapitel zu besprechenden Fotografien wurden unter der Hinsicht ausgewählt, einen Überblick über die Breite des Feldes zu geben. Die Bilder entstammen unterschiedlichen Branchen und decken die Entwicklung der Fotografie der Fabrikarbeit vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die frühen 1980er Jahre ab. Repräsentativität ist schwerlich zu beanspruchen, dennoch gewährleistet eine Auswahl verschiedener Publikationsformen – von der Postkarte, über Rationalisierungsbroschüren bis hin zu Firmenfestschriften – eine gewisse Generalisierbarkeit der Schlussfolgerungen. Ein besonderes Augenmerk liegt deshalb auf der Frage, inwieweit andere visuelle Repräsentationen der Fabrikarbeit möglich waren. Zum einen bietet sich dafür ein Systemvergleich der Industriefotografie in der Bundesrepublik mit derjenigen in der DDR an, zum anderen wird zu untersuchen sein, inwieweit die Arbeiterfotografie andere Ansichten der Fabrik zeigte. Die hier getroffene Motivauswahl konzentriert sich auf den industriellen Arbeitsplatz und die Arbeiter/-innen. Zum Bildprogramm der Industriefotografie gehörten darüber hinaus vor allem Außenaufnahmen der Fabriken und Fotografien von Produkten und Maschinen. Stefan Rahner betont, es sei den Unternehmen vor allem darum gegangen, Größe und Erfolg des Unternehmens darzustellen, eine fortschrittliche rationelle Arbeitsorganisation zu präsentieren und eine gleichzeitig fürsorgliche und kontrollierende Beziehung zu den Beschäftigten abzubilden. Dabei ging es, wie noch an den jeweiligen Beispielen verschiedener Publikationsformen zu besprechen sein wird, oft nicht in erster Linie um eine werbende Außendarstellung, sondern vielmehr um die Wirkung der Fotografie auf die eigene Belegschaft, um die Vermittlung eines Zusammengehörigkeitsgefühls.28 Naheliegenderweise bestimmte diese Funktion vor allem die Werkzeitschriften, die seit den 1920er Jahren die Beschäftigen nicht mehr paternalistisch zu belehren trachteten, sondern nun Wege suchten, die Loyalität zum Unternehmen und die individuelle Motivation der Arbeitenden zu stärken.29 David Nye hat die aktive Rolle der Industriefotografie in diesem Zusammenhang betont: Es wurden nicht bestehende soziale Beziehungen am Arbeitsplatz vergegenständlicht; vielmehr wurden neue, vom Unternehmen erstrebte Formen des Verhältnisses zur Arbeiterschaft visualisiert.30 Allerdings waren die Bilder nicht vollständig von dieser Intention determiniert. Reinhard Matz geht zu weit in der Einschätzung, die Fotoarchive der Unternehmen zeigten ausschließlich Bilder stolzer und selbstbewusster Arbeiter bei höchst konzentriert und zufrieden ausgeführten Tätigkeiten.31 Wenngleich der Blick auf die Arbeiterfotografie Matz’ Einschätzung bestätigen kann, dass die Abgebildeten offensichtlich ohne ex-

28 Vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 8. 29 Vgl. Alexander: Fabrikzeitung, 1997, S. 406. 30 Vgl. Nye: Image Worlds, 1992, S. 156. 31 Vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 55.



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ternen Druck freiwillig die gewünschte Gestik und Mimik einnahmen,32 sind eben auch auf offiziellen Fotografien Abweichungen von der Norm zu sehen. Die Namen der Fotografen wurden in der Industriefotografie in der Regel bis in die 1950er Jahre nicht angegeben. Daraus sollte nicht geschlossen werden, dass es sich um Angestellte des Unternehmens handelte; nur wenige Unternehmen unterhielten fotografische Abteilungen. Die Industriefotografen wurden oft direkt von den jeweiligen Firmen beauftragt, wobei eine solche Zusammenarbeit durchaus über mehrere Jahre zu Wiederholungsaufträgen führen konnte. Häufig war daneben der Fall, dass einzelne Fotografen sich die Exklusivrechte an Messen oder Industrieausstellungen gesichert hatten und infolgedessen auch das Fotografieren in den ausstellenden Unternehmen übernahmen. Mit der Etablierung der reich illustrierten Firmenfestschriften ab den 1920er Jahren spezialisierten sich einzelne Verlage auf dieses Genre, übernahmen die Herstellung der Festschrift und entsandten dazu Fotografen, mit denen sie fest zusammenarbeiteten.33 Die Auswahl der Motive wurde wie gesagt in der Regel vom Unternehmen vorgegeben, gleichwohl nahmen die Fotografen so viel Einfluss auf das Motiv wie möglich: Sie suchten die beste Perspektive, verschoben Gegenstände und polierten Oberflächen.34 Dabei bildete sich eine Ästhetik heraus, die von einer hohen Bildschärfe, einem weitgehenden Verzicht auf fotografische Effekte und einer Anlehnung an das Genre des Realismus geprägt war. Für werksfremde Betrachter erzeugte dieses Vorgehen die Wirkung, dass die unbekannten Objekte der modernen Fabrikwelt eben nicht neu und verstörend wie in der künstlerischen Fotografie, sondern vertraut erschienen.35 Technische Notwendigkeiten verstärkten den Eindruck, die Fotografien zeigten sehr große und helle Werkshallen. Um den Arbeitsraum als solchen kenntlich zu machen, um also Decke und drei Wände im Bild einzufangen, musste ein Weitwinkelobjektiv benutzt werden. Dadurch erschien der Raum größer als er war. Weiterhin war bis in die Nachkriegszeit eine Aufhellung der großen Hallen notwendig, um sie überhaupt fotografieren zu können; die Hallen waren deutlich dunkler, als sie auf den Fotos wirken.36 Außerdem benötigte der Fotograf in der Anfangszeit der Industriefotografie mehrere Hilfskräfte, um die Beleuchtung sicher zu stellen. Der Eindruck von Bewegungen musste inszeniert werden, erst in der Nachkriegszeit ermöglichte es der Elektronenblitz, Arbeitsprozesse zu fotografieren.37

32 Vgl. ebd., S. 59. 33 Vgl. Sachsse: Mensch, 1999, S. 85f. 34 Vgl. Nye: Image Worlds, 1992, S. 40f. 35 Vgl. ebd., S. 49. 36 Vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 20. 37 Vgl. Sachsse: Mensch, 1999, S. 86.

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G EORDNETE UND EFFIZIENTE F ABRIKRÄUME VOR DEM E RSTEN W ELTKRIEG Das Reichardt-Kakao-Werk aus Wandsbek bei Hamburg veröffentlichte ca. 1908 eine Serie von fünfzehn Bildpostkarten. Die Vervielfältigung der Fotografien benötigte zu diesem Zeitpunkt noch einen Zwischenschritt: Die Fotos wurden für den Druck in Holzschnitte umgesetzt.38 Die Ansichtskarten zeigen zunächst die Kakaobohnenplantage in der deutschen Kolonie Kamerun und dann das Wandsbeker Werk in verschiedenen Aspekten: von der Außenansicht, über die verschiedenen Abteilungen, bis hin zum Speisesaal und dem Schwimmbad für Arbeiterinnen.39 Bei dieser Form der Veröffentlichung einiger Fotos der Fabrikarbeit ist also durch das Medium Bildpostkarte die breite Öffentlichkeit angesprochen. Offensichtlich versprach sich das Unternehmen von der Präsentation der Fabrik eine positive Außenwirkung. Die neunte Karte der Serie zeigt eine Teilansicht der Druckerei und Kartonagenfabrik des Werkes, in dem die Verpackung hergestellt wurde. Die dargestellte Arbeitssituation muss wegen der technischen Voraussetzungen der Fotografie aufwendig inszeniert worden sein. Die lange Belichtungszeit machte ein längeres Verharren der fotografierten Personen in der eingenommenen, vermutlich genau vorgegebenen Position, Gestik und Mimik notwendig.40 Die Kameraperspektive zeigt von erhöhter Perspektive einen Diagonalschnitt durch den langgestreckten Raum von der Fensterseite aus. Wir blicken auf drei Reihen von Tiegeldruckpressen; in der Reihe am Fenster sind vier dieser Maschinen, Tiegelautomaten des Typs Victoria, im Bildausschnitt zu sehen, in den beiden parallel stehenden Reihen drei. Insgesamt sind dreißig Personen abgebildet, von denen diejenigen im Hintergrund und am rechten Bildrand keine Tätigkeit nachstellen, sondern nur das Bild mit Anwesenheit füllen. Die Abgebildeten mit erkennbaren Gesichtszügen blicken allesamt nicht in die Kamera, sie erwecken den Eindruck, sie gingen einer ausführenden oder kontrollierenden Tätigkeit nach. Dreizehn Frauen sind zu erkennen, die einen uniformen Umhang und eine Haube tragen. Sie stehen jeweils bei den Pressen, die mit einem Fußpedal betrieben wurden. Lediglich an der dritten Maschine der Fensterreihe stehen zwei Männer. Der eine scheint Werkzeug in den Händen zu führen, der andere blickt auf dessen Tätigkeit. Die am Rande des Raumabschnitts mit den Pressen stehenden Männer schauen augenscheinlich kontrollierend auf den Arbeitsbereich. Ein weiterer Mann am vorderen Bildrand und zwei Männer, die zwischen den Maschinenreihen gehen, nehmen nahezu identische Posen ein: Mit geneigtem Blick

38 Matz: Industriefotografie, 1987, S. 31. 39 Vgl. Kusser: Relationen, 2010, S. 61ff. 40 Vgl. Betz: Phantom, 2003, S. 8.



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sehen sie jeweils auf ein Papier, das sie in beiden Händen halten; es könnte sich um ein Schriftstück halten oder um ein Produkt der Druckpressen, ein Stück Verpackungskarton. Abbildung 3: Ansichtskarte des Reichardt-Kakao-Werks, Wandsbek, ca. 1908. Teilansicht der Druckerei und Kartonagenfabrik.

Quelle: Privatsammlung Uhl.

Die Arbeitsteilung ist eindeutig. Die fortgeschrittene Mechanisierung des Drucks führte dazu, dass diese zuvor als Facharbeit klassifizierte Tätigkeit nun von günstigeren Arbeitskräften, also Frauen, ausgeführt wurde, während Reparatur und Wartung besser bezahlten männlichen Facharbeitern oblagen.41 Die Postkarte erweckt den Eindruck höchster Betriebsamkeit und Konzentration. Der hohe Arbeitsraum wirkt hell, sauber und streng geordnet. Allerdings lässt sich die Raumordnung durchaus als eine inszenierte erkennen. Auch einem nichtanalytischen Blick könnte auffallen, dass der konzentrierte Blick der erwähnten drei Männer auf das Objekt in ihrer Hand sich dermaßen gleicht, dass es sich nur um eine gestellte Pose handeln kann. Überhaupt ist die Anzahl der Beschäftigten, die kontrollierenden Funktionen nachgehen, im Verhältnis zu den produktiven Arbeiterinnen auffallend hoch. Die

41 Vgl. Baron: Questions, 1989. Barbara Orland hat eine ähnliche Arbeitsteilung – Männer setzen Instand und kümmern sich um die Wartung, Frauen arbeiten an den Maschinen – für das Waschgewerbe untersucht, vgl. Orland: Männer, 1993, S. 113.

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Inszenierung einer modernen und geordneten industriellen Produktion läuft in diesem Beispiel Gefahr, durch eine gewisse Überdeterminiertheit brüchig zu werden: Zumindest Fabrikbeschäftigten konnte sich leicht erschließen, dass hier keinesfalls der Arbeitsalltag abgebildet wurde. Die Bildgestaltung wiederum ist typisch für den Kanon der Industriefotografie, der sich bereits um die Jahrhundertwende herausbildete. Gezeigt wurde in der Regel eine diagonale Raumübersicht mit tiefer Raumflucht bei heller und weicher Ausleuchtung. Das Bild wurde in der Regel aus zwei oder drei Metern Höhe von einer Leiter aus aufgenommen. Die Arbeitsplätze im Vordergrund wurden stets gründlich gesäubert, um einen aufgeräumten Eindruck zu erzeugen.42 Keinesfalls jedoch herrschte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Repräsentationen industrieller Arbeit branchenübergreifend generell ein Paradigma der Ordnung vor. In der Schwermetallbranche und im Maschinenbau konnten einerseits gar nicht die gleichen Sauberkeits- und Ordnungsstandards wie in der Nahrungsmittelindustrie herrschen, andererseits wird zu zeigen sein, dass sich dieses Ideal auch auf der Repräsentationsebene noch nicht vollständig durchgesetzt hatte. Ein Band der Schriftenreihe „Deutsche Industrie – deutsche Kultur“ aus dem Jahr 1912, der Raum für die Selbstrepräsentation der Gasmotorenfabrik Deutz zur Verfügung stellte, zeigt diese Zeit als eine Phase des Umbruchs zwischen verschiedenen Idealen. Das Ideal der planerischen Ordnung existierte bereits, aber auch das gegenläufige Ideal einer männlich-heroischen Bewältigung des industriellen Chaos entfaltete noch Wirkung. Dieser Befund deckt sich grundsätzlich mit den Ergebnissen der Soziologin Tanja Paulitz, die sich mit Konstruktionen von Männlichkeit und Technik um 1900 beschäftigt. Paulitz weist darauf hin, dass unterschiedliche Entwürfe von Männlichkeit parallel existierten. In den beiden wichtigsten Ausprägungen fungierte der Ingenieur entweder als der „rationale Maschinenwissenschaftler“ oder als der „geniale Maschinenkünstler“.43 Das Ordnungsideal aus der Selbstdarstellung von Deutz korrespondierte also mit dem Konzept des rationalen Wissenschaftlers, die Vorstellung der Bewältigung des Chaos stärker mit dem Bild eines KünstlerIngenieurs. Wie in Kapitel 4 ausführlich zu thematisieren sein wird, wurden bei Deutz bereits vor dem Ersten Weltkrieg weitreichende Rationalisierungsmaßnahmen ergriffen. Amerikanische Produktionsweisen dienten als Vorbild, das Scientific Management Taylors wurde bereits diskutiert. Diese Modernität wurde bewusst zur Schau gestellt. Im Zentrum des genannten Bandes stand ein reich illustrierter „Gang durch die Gasmotoren-Fabrik Deutz“. Einen tatsächlichen Gang durch die Fabrik bot Deutz seit einigen Jahren an, was von etwa 2000 Besuchern jährlich angenom-

42 Vgl. Sachsse: Mensch, 1999, S. 88. 43 Paulitz: Kämpfe, 2008, S. 268.



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men wurde.44 Die schriftliche Darstellung versuchte nicht, ein vollständig geglättetes Bild der Industriearbeit zu zeichnen. So wurde durchaus eingeräumt, dass die älteren Gebäude der Fabrikanlage, die um 1880 entstanden sind, „düster von aussen, wenig freundlich von innen“ wirkten. Zwar spielte eine solche Selbstkritik in Firmenselbstdarstellungen oft nur die Rolle, die Errungenschaften der Gegenwart besonders stark hervortreten zu lassen, hier jedoch war der Fall anders gelagert: Zum einen waren die wenig vorteilhaft beschriebenen Hallen noch im Betrieb, zum anderen wurde auch die Vergänglichkeit der gegenwärtigen Baustandards reflektiert; man könne sich nicht sicher sein, ob nicht auch die jüngsten Neubauten selbst in 35 Jahren ähnlich negativ bewertet werden würden.45 Der Text charakterisiert die stark mechanisierten Maschinenhallen als laute, anstrengende und zwangsläufig ungeordnete Räume. Besucher des Werks dürften dies in der Tat so empfunden haben, insbesondere die von der Decke hängenden Transmissionsriemen verhinderten auch auf den Fotografien den Eindruck einer perfekten horizontalen Ordnung der Produktion. Der Text versuchte gar nicht, die Notwendigkeiten der Arbeitsweise im Maschinenbau zu glätten; für Ordnung sollte und konnte vielmehr die große Idee des Ganzen sorgen: „Als ein Bild der Unruhe, der rastlosen Bewegung stellen sich uns die Werkstätten für mechanische Bearbeitung vor. An der Decke Scheibe an Scheibe in kreisendem Lauf. Am Boden die Werkzeugmaschinen in ruhelosem Gang. Dazwischen ein Gewirr straffgespannter, umlaufender Riemen. Das ist kein Bild geruhsamen Lebens. Doch wagen wir uns hinein in das Labyrinth der Gänge! Vielleicht finden wir doch in all der Zerrissenheit den einigenden Gedanken.“46



44 Vgl. Anonym: Gang, 1912, S. 39. 45 Vgl. ebd., S. 41. 46 Ebd., S. 42.

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Abbildung 4: Deutz AG. Halle für Bohrmaschinen der Fabrikation mittlerer Motoren.

Quelle: Anonym: Gang, 1912, S. 47.

Dieser „einigende[] Gedanke“ wird in der Folge präsentiert: die Serienfabrikation. Bereits das Foto zeigt etwas für den deutschen Maschinenbau noch nicht Übliches. Es gibt nämlich keine Einzelstücke, sondern nur identische Werkstücke in mehrfacher Ausführung. Der offensichtlich an interessierte Laien gerichtete Text gibt für die Serienfertigung eine allgemeinverständliche Definition: „die Fabrikation vieler Stücke mit denselben Werkzeugen und möglichst in ununterbrochener Folge.“47 Die Ordnung wird als eine Abstraktion präsentiert, für die es leider nicht möglich sei, in jeder Werkhalle die entsprechende Konkretion zu finden. Vielmehr sorge selbst die rationelle Produktion für den Eindruck der Unordnung bei Besuchern, wie es auch auf dem Foto sichtbar wird: „Angehäufte Maschinenteile oder kleine Transportwagen versperren gelegentlich den Weg und zwingen zum Ausweichen durch andere Gassen.“48 Der Produktionsgang selbst kann also der ästhetischen Auffassung von Ordnung nicht gerecht werden.

47 Ebd., S. 44. 48 Ebd., S. 45.



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Gleichwohl nennt und zeigt der Text immer wieder kontrastierend Orte der Ruhe; so sei das Magazin ein „Hort der Ruhe und Ordnung“.49 Daran schließt das Bild von der Maschinenschlosserei an. Das Foto zeigt freie Gänge zwischen den Maschinenreihen und erweckt den Eindruck großer Helligkeit. Der Text betont den Kontrast zur mechanischen Bearbeitung. Die Unordnung ist abwesend – und genau das wird betont; das Fehlende ist das Spektakuläre, Ordnung erscheint machbar: „Ein anderes Bild zeigen uns nun die weiten Hallen der Schlosserei. Das Gewirr der Riemen, die unaufhörliche Unruhe umlaufender Räder ist verschwunden. Ueber [sic] den ausgerichteten Maschinen wölbt sich in schlankem Bogen das leichte Trägerwerk des Daches. Helles Tageslicht, nur gelegentlich verdunkelt durch den vorübereilenden Schatten eines Laufkrans, dringt durch die Fenster der ‚Sheds‘ drunten zwischen den Maschinen ein stetes Kommen und Gehen der bekannten blauen Kittel. Das ist etwa das Bild einer modernen Maschinenschlosserei.“50 Abbildung 5: Deutz AG. Schlosserei für Motoren mittlerer Grösse.

Quelle: Anonym: Gang, 1912, S. 49.

Die Grenzen der Modernisierung werden dann aber gegen Ende des Rundgangs und des Textes erneut hervorgehoben. Die Werkstätte für Blechbearbeitung ließe sich ohne „Teufelslärm“, ohne „Höllenspektakel“ nicht denken. Der Besucher werde bestimmt versuchen, „so schnell wie möglich durch das nächste Tor ins Freie“ zu

49 Ebd. 50 Ebd., S. 48.

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kommen, den Arbeitern aber müsse folglich um so mehr Respekt zukommen. Die „durch Gewohnheit erstarkten Nerven der Schmiede“51 bleiben auch in der modernen Serienfabrikation ein zentraler und notwendiger Bestandteil der Produktion. Es stehe nämlich zu befürchten, dass sich nicht in allen Bereichen des Maschinenbaus „das Schöne mit dem Nützlichen“ vereinen lasse.52 Das Bild einer rationalisierten Produktion, das hier von der Gasmotoren-Fabrik Deutz selbst gezeichnet wird, integrierte zu diesem frühen Zeitpunkt das, was später keinen Platz mehr in der Repräsentation der rationellen Fabrik haben sollte: ungeordnet wirkende Aspekte fügten sich in den großen Plan einer rationellen Produktionsordnung ein. Lärm und Gefährdungen wurden als Teil der alltäglichen Arbeitsbedingungen benannt – ihr Verschweigen wäre auch unglaubwürdig gewesen. Keinesfalls wurde jedoch das vom Text erzeugte Bild der Gasmotorenfabrik von den Fotografien determiniert. Die „Unruhe“, der „ruhelose Gang“ der Maschinen und ihr Lärm waren auf den Fotos nicht sichtbar. Offensichtlich schloss das Bild der rationalisierten Produktion solche Elemente als notwendige Widrigkeiten ein; die Modernität der Fabrik zeigte sich insbesondere darin, auch mit ihnen fertig zu werden: individuell im Falle der Arbeiter, die diese Belastungen aushielten, und strukturell im Falle der Werksleitung, die sie in einen Plan, in ein großes Ganzes einpasste. Die Benennung der negativen Attribute zeigte also letztlich nur die Stärke des Unternehmens, seiner Arbeiter und Manager. Das Gesamtbild der Produktion bei Deutz wird als ein Hybrid aus dem alten Maschinenbau mit männlicher Kraft und Verwegenheit im Detail einerseits53 und einem durchgeplanten Herstellungsprozess im Generellen andererseits dargestellt. Die Vorstellung einer vollständigen Ordnung jedes einzelnen Arbeitsschrittes hatte sich hier noch nicht durchgesetzt.

R ATIONALISIERUNG , H UMANISIERUNG UND DIE G ESCHLECHTERORDNUNG IN DER W EIMARER R EPUBLIK Fünfzehn Jahre später war Rationalisierung in der Weimarer Republik zum weitverbreiteten Schlagwort geworden. Allerdings muss eher von einer Rationalisierungsdebatte, denn von einer Rationalisierungswelle gesprochen werden, da die Umsetzung von Rationalisierungsmaßnahmen in der deutschen Industrie noch die

51 Ebd., S. 59. 52 Ebd., S. 60. 53 Ähnlich, vermutlich noch stärker ausgeprägt, herrschte in der Schwerindustrie ein imaginiertes Bild von „Industriearbeit als Männerarbeit“ vor, vgl. Lüdtke: Gesichter, 1994, S. 82.



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Ausnahme blieb.54 Die Zahl der Fließ- und Bandarbeitsplätze kann für 1930 auf etwa 80.000 geschätzt werden, nur ein Prozent der Industriebetriebe hatte am Ende der 1920er Jahre Fließarbeitsplätze eingerichtet. Vor allem Unternehmen der Elektro- und Automobilbranche stellten auf Fließfertigung um.55 Die publizistische Werbung für die Rationalisierung war allerdings beträchtlich. Die wichtigste Rolle dabei spielte das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (RKW), das eine kaum zu überblickende Anzahl an Rationalisierungsbroschüren herausgab. Das RKW wurde 1921 auf Initiative des Reichswirtschaftsministeriums von Industriellen und Interessenverbänden wie dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) gegründet.56 Ab 1925 unterstützte das Wirtschaftsministerium das RKW mit beachtlichen Mitteln. Im Zusammenhang mit dem Bestreben, eine Reichstagsmehrheit für diese Förderung zu erzielen, kam es zu einer Ausweitung der Mitgliedschaft des RKW: Einige sozialdemokratische Gewerkschafter wurden aufgenommen, erlangten aber keinen größeren Einfluss.57 Die Broschüren des RKW und vergleichbare Publikationen zeigten häufig Fotos der Arbeitsplätze, womit Matz’ Einschätzung, erst ab den frühen 1930er Jahren hätten Fotos der Arbeitsplatzsituationen zugenommen, um einige Jahre korrigiert werden muss.58 Im Folgenden soll eine ähnlich gelagerte Publikation der Industrie- und Handelskammer Berlin in den Blick genommen werden, die bereits im Titel die „Bedeutung der Rationalisierung für das deutsche Wirtschaftsleben“ beschwor. Der Band bot praktische Beispiele für Rationalisierungsmaßnahmen und gab Einblicke in Berliner Unternehmen, die nicht namentlich genannt werden. Die drei im Folgenden zu besprechenden Fotografien sind allerdings in ihrer Herkunft zu identifizieren: Sie illustrieren den Beitrag Carl Köttgens über „Das fließende Band“ und stammen von Siemens-Schuckert, wo Köttgen Vorstandsvorsitzender war.59 Köttgen, eine der zentralen Figuren der deutschen Rationalisierungsbewegung und ab 1931 Vorsitzender des RKW, griff ebenfalls 1928 u.a. auf diese drei Fotos für einen Beitrag über „Die allgemeinen Grundlagen der Fließarbeit“ im Zentralblatt für Gewerbehygiene und Unfallverhütung zurück. Es handelte sich um die schriftliche Form eines Vortrages, den Köttgen vor den Mitgliedern des Ausschusses für gesundheitsmäßige Arbeitsgestaltung der Deutschen Gesellschaft für Gewerbehygiene im Juni 1926 gehalten hatte, als diese die Siemens-Schuckertwerke zur Besich-

54 Vgl. Shearer: Efficiency, 1995, S. 485. 55 Vgl. Hachtmann/von Saldern: Gesellschaft, 2009, Abs. 6. 56 Vgl. Shearer: Reichskuratorium, 1997, S. 579f. Bis 1925 hieß das RKW „Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit in Industrie und Handwerk“. 57 Vgl. ebd., S. 591f. 58 Vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 10. 59 Vgl. Köttgen: Band, 1928.

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tigung ihrer „instruktiven Fließfertigungsanlagen“ besucht hatten.60 Eine Abbildung zeigt die moderne Produktion bei der Herstellung eines modernen Konsumprodukts: ein Montageband bei der Staubsaugerfertigung. Seit 1926 wurden Staubsauger des Typs Protos im Elmo-Werk von Siemens-Schuckert am Band gefertigt.61 Der Montagetisch hatte drei Schienen, auf denen kleine Rollwagen mit dem Material fuhren: An der Fensterseite wurden die Motoren montiert, auf der gegenüberliegenden Seite die Staubsauger, in der Mitte wurden die fertig montierten Motoren ins Vorbereitungslager gebracht.62 Das Foto zeigt aus erhöhter Position das Montageband bis zur gegenüberliegenden Wand mit jeweils etwa einem Dutzend sitzender Arbeiterinnen auf jeder Seite. Die nicht einheitlich gekleideten Frauen arbeiten an Arbeitstischen, die jeweils vor den Montagebändern liegen; das jeweilige Werkstück wird dem Wagen entnommen, bearbeitet und zurückgelegt. Zur Linken sind teilweise geöffnete Fenster mit offenen Vorhängen und Blumen auf den Fensterbänken zu sehen. Zur Rechten blicken wir auf einen Gang, am Rand auf einige Hocker und Säulen, im Hintergrund sind die Schemen stehender Personen zu erahnen. Der einzige deutlich zu erkennende Mann steht am dritten Arbeitsplatz auf der rechten Seite des Montagebandes. Er montiert nicht; es lässt sich vermuten, dass er eine kontrollierende Aufgabe wahrnimmt. Offensichtlich war an diesem Band die Frauenarbeit zu dieser Zeit der Normalfall; Carl Erich Berck berichtete in seiner Abhandlung über die Fließarbeit ausschließlich von „Arbeiterinnen“ und „Mädchen“ an dem Montageband zur Zeit der Einrichtung im Jahr 1926.63

60 Vgl. Köttgen: Grundlagen, Abb. 3, 7, 8. Das Zitat stammt aus dem Vorwort des Heftes. 61 Vgl. Bönig: Einführung, 1993, S. 256ff. 62 Vgl. ebd., S. 258. 63 Berck: Fließarbeit, 1926, S. 52; vgl. Bönig: Einführung, 1993, S. 257. – Offensichtlich änderte sich die geschlechtliche Zusammenstellung der Arbeitenden an diesem Fließband: Ruppert zeigt ein Foto der Staubsaugermontage bei Siemens, dass ein identisches Montageband vermutlich von der anderen Raumseite aus abbildet. Hier arbeiten Frauen und Männer im ausgeglichenen Verhältnis nebeneinander in der Bandmontage. Dieses Foto ist auf ca. 1935 datiert, vgl. Ruppert: Fabrik, 1983, S. 294f.



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Abbildung 6: Montageband bei der Staubsaugerfertigung.

Quelle: IHK Berlin, Hg.: Bedeutung, 1928, S. 97.

Köttgen sah den besten Beweis für den Erfolg der Fließfertigung darin, dass „Frauen in großer Anzahl verwendet werden können“.64 Entsprechend häufig arbeiteten Frauen an den neuen Fließbändern. Daraus sollte aber nicht auf einen damit einhergehenden Wandel des Geschlechterverhältnisses in den Fabriken geschlossen werden. In Teilen der Forschung wurde lange Zeit vorausgesetzt, dass Rationalisierungsmaßnahmen und die Einführung von Fließ(band)arbeit eine „Zunahme der Frauenarbeit“ und eine ‚Verdrängung‘ von männlichen Facharbeitern zur Folge gehabt hätten.65 Die Historikerin Béatrice Ziegler behauptete noch jüngst, die Rationalisierung habe „zu schlechteren Löhnen“ und „in der Tendenz zu einer Feminisierung von Arbeitsplätzen“ geführt.66 Bereits 1973 hat Renate Bridenthal derartige Annahmen zurückgewiesen und festgestellt, dass weder ein signifikanter Anstieg der Frauenarbeit nach dem Ersten Weltkrieg noch eine Ersetzung männlicher Facharbeiter durch ungelernte weibliche Kräfte in der Fließfertigung stattfand. Eine Umschichtung trat lediglich insofern auf, als rationalisierte Betriebe, in denen Arbeiterinnen stark vertreten waren, häufig in den 1920er Jahren expandierten.67 Dorothea Schmidts und Heidrun Homburgs Forschungen zum Elektrokonzern SiemensSchuckert bestätigen dies: Das Verhältnis zwischen qualifizierter und unqualifizierter Arbeit sowie zwischen Arbeitern und Arbeiterinnen veränderte sich auch durch

64 Köttgen: Grundlagen, 1928, S. 12. 65 Stollberg: Rationalisierungsdebatte, 1981, S. 59; vgl. Wupper-Tewes: Rationalisierung, 1995, S. 252. 66 Ziegler: Arbeit, 2007, S. 117. 67 Bridenthal: Weimar Women, 1973, S. 149f., 157.

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die Einführung neuer Technologien kaum.68 Auch nach den Rationalisierungsneuerungen der 1920er Jahre hat sich das Zahlenverhältnis zwischen Arbeitern und Arbeiterinnen kaum gegenüber den Vorkriegsverhältnissen verändert: 1914 waren 71 Prozent der Arbeiterschaft bei Siemens männlich gewesen, 1928 waren es immer noch 67 Prozent.69 Jürgen Bönig hebt hervor, die Durchsetzung der Fließbandarbeit sei in der Praxis auch dadurch erleichtert worden, dass sich davon nicht die gewerkschaftlich organisierten männlichen Facharbeiter betroffen fühlten, weil es hauptsächlich den Bereich der unorganisierten, ungelernten Arbeiterinnen betraf.70 Fotos, die Frauen bei der Bandarbeit zeigten, sind in diesem Kontext zu verstehen: Zumeist waren Frauen bei dieser neuen unqualifizierten getakteten Tätigkeit zu sehen. Gleichzeitig präsentierten die Räume eine neue Qualität. Dieses Foto zeigt einen sehr sauberen und hellen Raum, die Arbeitsplätze sind geordnet, der Fluss der Werkstücke ist organisiert. Die geöffneten Vorhänge und die Blumen könnten als Momente einer Verschwendung betrachtet werden, da sie auf den ersten Blick nichts mit der Produktion zu tun zu haben scheinen. Allerdings fällt hier ein Aspekt auf, den es im folgenden Kapitel zu vertiefen gilt: Der Arbeitsraum wurde gezielt freundlich und ästhetisch eingerichtet; er sollte nicht nur wie ein zweckgerichteter Arbeitsraum wirken, sondern wie ein Lebensraum. Insbesondere im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Frauen wurde dieses Thema oft bemüht. Als Gegenstück zu dieser Darstellung einer Bandmontage fungierte eine andere Abbildung in der gleichen Publikation. Hier geht es um eine andere Form der Fließarbeit, nicht um die Montage am motorbetriebenen Band, sondern um das selbsttätige Weiterlaufen der Werkstücke auf einer schräg angelegten Rollenbahn unter Ausnutzung der Schwerkraft. Dem Foto ist keine Gewissheit über den Raum zu entnehmen: Zu sehen ist ein hoher heller Raum, im Hintergrund eine Wand mit zwei großen Fenstern; seitlich gibt es keine Begrenzung. Es dürfte sich um einen Ausschnitt aus einer großen Halle handeln, gleichzeitig erweckt das Foto aber den Eindruck einer kleinen Werkstatt. Das zentrale Objekt der Bildbeschriftung, die Rollenbahn, ist im Gegensatz zum Montageband im vorhergehenden Bild nur im Hintergrund zu sehen. Sie bildet das Verbindungsstück zwischen zwei Arbeitern, die beide von der Seite zu sehen sind. Der eine ist vorne rechts konzentriert bei der maschinellen Bearbeitung eines Werkstücks abgebildet, der andere hinten links, seine Gesichtszüge und seine genaue Tätigkeit sind nicht zu erkennen. Klar ist, dass er Werkstücke bearbeitet und auf die Rollbahn legt, von wo aus sie automatisch zu seinem Kollegen ‚fließen‘.

68 Schmidt: Ford, 1993, S. 233. 69 Vgl. Homburg: Rationalisierung, 1991, S. 534. 70 Vgl. Bönig: Einführung, 1993, S. 695



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Abbildung 7: Rollenbahn in der Fließarbeit.

Quelle: IHK Berlin, Hg.: Bedeutung, 1928, S. 94.

Die beiden Fotografien zeigen völlig unterschiedliche Formen der Fließarbeit, aber zugleich verschiedene Blicke auf sie. Auch im ersten Bild wäre es möglich gewesen, das Fenster als Hintergrund zu nehmen und den Bildausschnitt auf zwei Arbeiterinnen bei unterschiedlichen Tätigkeiten zu begrenzen. Dieses Motiv wäre aber nicht das gewesen, was gezeigt werden sollte. Im ersten Foto standen der Fluss, das Band und die Organisation der Masse im Zentrum, 71 die Arbeiterinnen übten gleichförmige Tätigkeiten am Rande des fließenden Prozesses aus. In der zweiten Fotografie hingegen lag der Fokus auf den Männern, die als handwerkliche Facharbeiter präsentiert werden. Die Rollenbahn stellte dabei die Verknüpfung zwischen zwei relativ autonomen Qualitätsarbeitern her, deren Qualifikation davon nicht bedroht wurde. Vielmehr untermauerten Abbildungen von Frauen an Fließbändern das Bild der männlichen Facharbeit, das auch in der Rationalisierung als unverzichtbarer Bestandteil der industriellen Produktion wirkte.72 Auf diese Weise versicherten Rationalisierungsbroschüren visuell, dass die Geschlechterordnung nicht bedroht sei. Keinesfalls wurden aber Bilder der gemeinsamen Arbeit von Männern und Frauen an einem Fließband, die es unbestreitbar in einigen Abteilungen gab, vollständig ausgeblendet. In der vorliegenden Broschüre gibt es dafür ein Beispiel. Auf

71 Luks weist darauf hin, dass das „reibungslose Fließen“ zu einem Ideal der Ordnung im Betrieb wurde, vgl. Luks: Betrieb, 2010, S. 227. 72 Vgl. Homburg: Rationalisierung, 1991, S. 653: Die Betriebe waren weiterhin auf die „Kompetenzen des qualifizierten, erfahrenen, hochmotivierten, belastbaren, eigenständig seine Arbeit angehenden und experimentierfähigen Facharbeiters angewiesen“.

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diesem motorisch angetriebenen Band wurden Gehäuse von Elektromotoren fertigmontiert. Aufgrund des großen Gewichts der Teile musste direkt auf dem Band montiert werden, weshalb die Arbeiter an die Geschwindigkeit des Fließbandes gebunden waren.73 Die Kameraperspektive schaut diagonal auf die linke Ecke eines hohen Raumes. Auf eine vollständige Inszenierung des Bildes wurde verzichtet: In der hinteren linken Raumecke betrachten zwei oder drei Personen die Szene, eine Leiter steht funktionslos daneben, auf einer weiteren Leiter sieht man die Beine einer Person. Von der vorderen linken Bildecke zur Mitte des rechten Bildrands läuft das Fließband parallel vor vier Säulen. An den ersten drei Arbeitsplätzen sitzen Frauen, deren Gesichter von der Seite zu sehen sind. Im weiteren Verlauf des Bandes stehen neun Männer. Die Montagetätigkeit ist nicht im Detail zu erkennen, die Aussage des Bildes besteht darin, die zu diesem Zeitpunkt noch seltene vollständige Bandmontage zu präsentieren. Abbildung 8: Fertigmontage von Elektromotoren.

Quelle: IHK Berlin, Hg.: Bedeutung, 1928, S. 98.

Der Eindruck einer Gleichheit zwischen Arbeitern und Arbeiterinnen entsteht dabei trotz des Nebeneinanders nicht. Die Frauen führen die ersten drei Arbeitsschritte aus, tragen im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen keine Handwerkerkittel und üben ihre Tätigkeit im Sitzen aus. Arbeitswissenschaftler und Gewerbeinspektoren forderten in den 1920er Jahren den Übergang zu sitzenden Tätigkeiten, aus

73 Vgl. Köttgen: Grundlagen, 1928, S. 8.



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gesundheitlichen Gründen „besonders für Frauen“.74 Die männlichen Arbeiter nehmen hingegen auch an diesem Band die Pose des stehenden Handwerkers innerhalb der rationalisierten Produktion ein. Die bisherigen Beispiele zeigen, dass die Industriefotografie nicht allein von Abbildungen monumentaler Maschinen bestimmt war. Wie bereits ausgeführt, wird in diesem Kapitel eine Auswahl von Fotos getroffen, die Arbeitssituationen behandeln. Solche Fotos wurden seit der verstärkten Rationalisierungsdiskussion in den 1920er Jahren vermehrt publiziert. Luks These, das typische Industriefoto zeige Maschinen in „überragenden Ausmaßen“, während die an ihnen arbeitenden Menschen erst auf dem zweiten Blick zu sehen seien,75 ist folglich zu differenzieren. Bis zum frühen 20. Jahrhundert waren solche Bilder dominant, im Zuge der Rationalisierungsdebatte und des technischen Wandels der Fotografie, der Aufnahmen der Arbeitssituationen vereinfachte, wurden zunehmend Arbeiter und Arbeiterinnen zum Objekt der Industriefotografie. Dabei geht es nicht mehr vordergründig darum, Arbeit als „Beherrschung der Technik“ zu bestimmen, wie es ebenfalls bis zu Beginn des Jahrhunderts üblich gewesen war.76 Auf Fotos der Fließbandarbeit war nun keine übergroße Maschine zu sehen; die Technik war vielmehr in der Arbeit selbst widergespiegelt: in der rationellen Anordnung der Arbeiter/-innen unter dem Gesichtspunkt des Produktionsflusses und in der fortgeschrittenen Zerlegung des Arbeitsprozesses in einzelne Tätigkeiten. Luks ist darin zuzustimmen, dass es den Unternehmen darum ging, nach innen und außen ein Bild der industriellen Arbeit zu zeichnen, das funktionelle Zusammenarbeit, klare Hierarchien, Fortschrittlichkeit und Humanität miteinander verknüpfte.77 Alf Lüdtke beschreibt die Industriefotografie als außerordentlich erfolgreich in ihrem Ziel, ein Bild zu entwerfen, das „nur die Vorstellung eines gleichmäßigen und wohlgeordneten Arbeitsflusses“ zulasse.78 Im Archiv der Hanomag seien fast nur Fotos zu finden, die „reibungslose Abläufe, zielstrebigen Einsatz und wohlgeordnete Kooperation von Vorgesetzten und Untergebenen“ zeigten.79 Abgesehen 74 von Bonin: Bedeutung, 1928, S. 38f.; Lipmann forderte allerdings für Frauen eine Abwechslung zwischen Sitzen und Stehen, vgl. Lipmann: Lehrbuch, 1932, S. 145. – Der Aspekt des Arbeitssitzes wurde zwischen 1929 und 1932 in der Wanderausstellung „Arbeitssitz und Arbeitstisch“ einem breiten Publikum präsentiert, vgl. Alexander: Efficiency, 2006. 75 Vgl. Luks: Betrieb, 2010, S. 244. 76 Vgl. ebd., S. 244f. Luks versäumt eine zeitliche Begrenzung dieser Repräsentationsart und suggeriert, sie sei Mitte des 20. Jahrhunderts weiterhin bestimmend. 77 Vgl. ebd., S. 244. 78 Lüdtke: Industriebilder, 1993, S. 404. 79 Ebd., S. 409. Zugrunde lagen Fotoalben aus dem Zeitraum zwischen 1910 und den 1950er Jahren.

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von einzelnen Beschäftigten am Bildrand, die auf den Fotografen schauten, habe es keine Gespräche oder Neckereien zwischen den Kollegen/-innen gegeben.80 Alf Lüdtke kann also auf den Industriefotos keine Spuren des stets von ihm gesuchten Eigen-Sinns der Arbeiter/-innen finden.81 Lässt sich dieser Befund verallgemeinern? Gingen die Ordnungsinszenierungen der Unternehmen auf? War es überhaupt das generelle Ziel der Unternehmen, ein Bild der vollständig kontrollierten Arbeit zu entwerfen? Die Schriftenreihe Musterbetriebe deutscher Wirtschaft war jedenfalls ebenso wie die besprochene IHK-Broschüre gewillt, ein Bild der rationellen Produktion zu präsentieren. Ab 1928 erschienen in dieser Reihe Portraits besonders vorbildlicher Unternehmen der verschiedenen Branchen, anhand derer die „wiedererstandene[] Leistungsfähigkeit“ der deutschen Industrie gezeigt werden sollte. Es ging darum, die Erfolge der rationalisierenden Veränderungen seit Kriegsende, des „gewaltige[n] Umgestaltungsprozess[es] des letzten Jahrzehntes“ zu zeigen. Damit sollte belegt werden, dass die deutsche Industrie „wieder in der ersten Reihe der Weltwirtschaft“ stehe und dass es nicht mehr notwendig sei, amerikanischen Vorbildern nachzueifern.82 In diesen Bänden wurde neben technischen und organisatorischen Abläufen häufig sehr detailliert in Schrift und Bild der Produktionsprozess geschildert. Bis 1936 erschienen 36 Bände, ab 1937 wurde die Serie in Deutsche Großbetriebe umbenannt. 1940 erschien der fünfundvierzigste und vorerst letzte Band, bis die Reihe unter gleichem Namen als Neue Folge zwischen 1957 und 1963 vier weitere Bände veröffentlichte. Der neunzehnte Band stellte 1931 die Schokoladenherstellung am Beispiel der Saalfelder Schokoladenfabrik Mauxion vor, in dem Frauen drei Viertel der Belegschaft ausmachten, darunter sogar die Gesamtheit der Pralinenabteilung, während die Männer in den Maschinenräumen arbeiteten.83 Fließfertigung war in dieser Branche bereits frühzeitig eingeführt worden. Ein Foto zeigt die Pralinenpackerei am Band. Aus leicht erhöhter Position über dem Fließband aufgenommen, verfolgt das Bild das Fließband bis zur Wand im Hintergrund. Zehn Frauen sitzen an jeder Seite des Fließbandes, jeweils vor einem schmalen Packtisch. Der Text erläutert, dass die Arbeiterinnen im vom Band vorgegebenen Tempo jeweils ihre bestimmte Praline in die dafür bestimmte Stelle der Packung legen mussten.84 Der Raum wirkt hell, rechts neben dem Fließband sind zwei große, teilweise geöffnete Fenster zu sehen. Im Hintergrund stehen einige Arbeiterinnen, die vermutlich für Material80 Ebd., S. 404, 406. 81 Vgl. Lüdtke: Eigen-Sinn, 1993. 82 Diese Ausführungen finden sich im stets identischen Vorwort der Reihe, vgl. Schwädke: Schokoladenfabrik, 1931, S. 3. 83 Vgl. ebd., S. 23. 84 Vgl. ebd., S. 29.



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nachschub zu sorgen hatten. In der linken Bildhälfte ist eine Frau zu sehen, die eiligen Schritts mit einem Karton in Händen den Bildausschnitt verlässt. Offensichtlich war dies die bildliche Umsetzung des im Text erwähnten Transports der fertigen Ware: „Auf schnellsten Wege gelangt nun die Ware in die Expedition, um von dort in fabrikfrischem Zustand dem Handel zugeleitet zu werden.“85 Abbildung 9: Pralinenpackerei am laufenden Band.

Quelle: Schwädke: Schokoladenfabrik, 1931, o.P.

Die Arbeiterinnen tragen weiße Uniformen und weiße Hauben; der Eindruck penibler Sauberkeit war insbesondere in der Lebensmittelbranche von großer Bedeutung, der Text betont darüber hinausgehend den „freundlichen Eindruck“ dieser Kleidung. In diesem Zusammenhang wird unter dem Schlagwort „Arbeiterfürsorge“ auch das geschildert, was Fotos nicht zeigen können: die Auswirkungen der modernen Heizungs- und Lüftungsanlagen, die für „eine einwandfreie Temperatur und Atmosphäre in den Arbeitsräumen“ sorgten. Das sei gleichermaßen für Mensch und Ware von Vorteil.86 Das Bild der industriellen Produktion bei Mauxion ist also von einer Verknüpfung von Rationalisierung und Humanisierung der Arbeit geprägt: Die räumlichen Verhältnisse genügten in der Darstellung gleichermaßen einer effizienten Produktion und würdigen Arbeitsbedingungen. Beide Ziele schienen organisch miteinander verbunden zu sein. 85 Vgl. ebd. 86 Vgl. ebd., S. 47f.

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Dennoch kann das Foto nicht dem Anspruch genügen, eine perfekt geordnete Produktion zu präsentieren. Die im Text geschilderte „Handarbeit vieler hundert fleißiger Hände, von dem Auge der Abteilungs-Direktrice sicher geleitet“,87 erscheint in der konkreten Abbildung weit weniger als das Produkt vollständiger Kontrolle. Im Gegensatz zu vielen ähnlichen Fotos verzichtete diese Aufnahme darauf, die Abteilungsleiterin als Überwachungsinstanz ins Bild zu rücken.88 Grundsätzlich wird, von der uniformen Bekleidung gestärkt, der Eindruck einer gleichförmigen, vom Fließband determinierten, aufeinander abgestimmten Arbeit der Vielen innerhalb eines großen Plans gezeigt. Allerdings zeigen sich Grenzen der Kontrolle: Einige Arbeiterinnen sind offensichtlich nicht mit voller Konzentration bei der Arbeit. Die zweite Arbeiterin in der Fensterreihe blickt in die Kamera oder zu der vor ihr sitzenden Kollegin, die wiederum zu dieser schaut statt auf den vor ihr befindlichen Packtisch. Die dritte Arbeiterin in der gegenüber sitzenden Reihe scheint auf diese beiden Kolleginnen zu blicken, während die fünfte Kollegin in der gleichen Reihe der Frau hinterher schaut, die gerade die Ware in die Expedition trägt. Nach Lüdtke lässt sich ein solches Verhalten als Eigen-Sinn beschreiben. Es handelte sich nicht um Widerstand gegen die Vorgesetzten, sondern um den Versuch, Freiräume innerhalb des Arbeitsprozesses für sich selbst zu sichern. Typische Ausdrucksformen waren nach Lüdtkes Definition Gespräche unter Kollegen/-innen, Tagträumereien oder situatives „Abtauchen“.89 Gleichwohl ist es bemerkenswert, dass selbst bei der fotografischen Inszenierung der Ordnung solche Momente der Unordnung aufscheinen. Folglich sollte die Ordnung der Fabrik nicht voreilig als ein Ergebnis der arbeitsorganisatorischen und technischen Rationalisierungen des 20. Jahrhunderts vorausgesetzt werden. Die Publikation eines derartigen Fotos lässt, abgesehen von der unwahrscheinlichen Annahme einer beiläufigen Motivwahl und eines darauf folgenden schlampigen Lektorats, zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder ließ sich eigen-sinniges Verhalten trotz des Ideals einer vollständigen Kontrolle nicht vollständig verhindern, oder dieses eigen-sinnige Verhalten wurde durchaus gezielt geduldet, wenn es nicht gar als menschliches Element der rationellen Produktionsweise von der Unternehmensleitung erwünscht war. Der Frage, inwieweit der Eigen-Sinn der Arbeiterinnen durchaus konvergent zu den Zielen des Unternehmens sein konnte, wird im folgenden Kapitel nachzugehen sein.

87 Vgl. ebd., S. 29. 88 Aufsichtspersonen waren in den von Rahner untersuchten Fotos von Arbeitssälen fast immer im Bild, oft übernahmen die Kamera den überwachenden Blick des Aufsehers bzw. der Aufseherin, vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 10f. 89 Vgl. Lüdtke: Ordnung, 1992, S. 220, 223.



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P RAGMATISCHE A KZEPTANZ IM N ATIONALSOZIALISMUS

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DER I NDUSTRIEARBEITERIN

Visuelle Konventionen stehen nicht in direkter Abhängigkeit zu politischen Umbrüchen. Diese Feststellung mag banal erscheinen, hat doch Fernand Braudel bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert die unterschiedlichen Geschwindigkeiten des historischen Wandels herausgearbeitet. Mentalitäten sind zählebiger als wirtschaftliche Zyklen, deutlich rascher verläuft die politische Ereignisgeschichte.90 Dennoch haben Teile der älteren Forschung zur Industriefotografie im Nationalsozialismus einen Bruch zu den Praktiken der Weimarer Republik ausgemacht. Christoph Scholz sah Fotografien der Arbeit von „sozialdemagogische[n] Heroisierungen“ dominiert, der einzelne Arbeiter sei von seinen Kollegen und seinem Arbeitsplatz isoliert worden.91 Die visuelle Heroisierung einzelner, von der Arbeitssituation losgelöster Arbeiter, war zwar ein häufiges, propagandistisch eingesetztes Stilmittel, aber, wie noch zu zeigen sein wird, eben nur eines unter vielen; Fotos einer größeren Menge von Arbeitern und Arbeiterinnen in der Fließfertigung verschwanden keinesfalls. Außerdem behauptete Scholz, Frauenarbeit sei im Nationalsozialismus nicht mehr in der Industrie, sondern nur noch auf dem Bauernhof und im Haus abgebildet worden.92 In dieser Pauschalität sind diese Aussagen nicht haltbar: Bilder der industriellen Frauenarbeit wurden weiterhin aufgenommen und publiziert. So zeigte auch Band 38 der Musterbetriebe-Reihe, nun unter dem neuen Reihentitel Deutsche Großbetriebe, in der 1938 erschienenen Abhandlung über die Taschen- und Armbanduhrenproduktion bei der Thüringischen Gebrüder Thiel GmbH Fotografien von Arbeitern und Arbeiterinnen. Die Existenz von Arbeiterinnen in der Industrie wurde nicht ausgeblendet, vielmehr wurde die bisherige Strategie fortgeführt: Frauenarbeit wurde als unqualifizierte Arbeit eingestuft, die besser entlohnte Facharbeit blieb das Refugium der Männer. Darüber hinaus wurde die Erwerbstätigkeit bei Frauen auf bestimmte Lebensabschnitte begrenzt: „Für Kräfte, die sich zur Erziehung als Facharbeiter nicht eignen, bietet jedoch auch dieses Unternehmen hinreichende Arbeitsplätze in der Massenfertigung, insbesondere auch für weibliche Jungarbeiterinnen, bei denen nicht so sehr Wert auf fachliche Ausbildung gelegt werden kann, da sie ja doch späterhin ihrer eigentlichen Bestimmung als Hausfrau entgegen gehen.“93 Eine typische Arbeitssituation für Frauen bei Thiel präsentierte ein Foto, dass laut Bildbeschriftung „fleißige Hände“ beim Annähen der Lederbänder an die Armbanduhren zeigt.

90 Braudel: Histoire, 1958. 91 Scholz: Fotografie, 1985, S. 110. 92 Vgl. ebd., S. 127. 93 Bauer: Taschen- und Armbanduhren-Erzeugung, 1938, S. 55.

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Abbildung 10: „Fleißige Hände nähen die Lederbänder an die Armbanduhren“.

Quelle: Bauer: Taschen- und Armbanduhren-Erzeugung, 1938, Bild 17.

Das Bild zeigt einen begrenzten Ausschnitt der Fertigung. In Nahaufnahme wurden zwei Arbeiterinnen leicht schräg versetzt von vorne fotografiert. Die Arbeiterinnen sitzen nebeneinander an einem Arbeitstisch und nähen mit Nähmaschinen die Armbänder an die Uhren. Zwischen ihnen und vor der Nähmaschine der linken Arbeiterin liegt jeweils eine größere Menge fertiger Armbanduhren zur Bearbeitung. Dadurch wird der hohe Arbeitsrhythmus offensichtlich: In kurzer Zeit sammeln sich fertige Produkte auf dem Tisch, die Arbeit wird seriell und schnell ausgeführt. Die



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Tätigkeit der Frauen wurde als schnelle Abfolge sich rasch wiederholender leichter Handgriffe visualisiert. Die Kameraposition befand sich nur leicht über der Kopfhöhe der Frauen. Der Raum wurde nicht erfasst. Es lässt sich erahnen, dass die Arbeiterinnen vor einer Fensterfront sitzen; eine Fensterbank ist zu erkennen, die Fenster sind nicht im Bildausschnitt. Die unterschiedlich gekleideten Frauen neigen jeweils den Blick konzentriert auf die Nähmaschine. Im vorderen rechten Bildwinkel sind zwei Hände ohne den dazugehörigen Körper zu sehen, die eine fertiggestellte Armbanduhr in der Hand halten. Vermutlich handelt es sich um einen Kontrollvorgang. Im Text wird unabhängig von diesem Foto die Tätigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter mit deutlicher Hervorhebung der Geschlechterunterschiede beschrieben: Es seien die „geschickten und feinfühligen Hände der Thüringer Frauen und Mädchen“ einerseits und die „wohlgeschulten Hände hochwertiger Facharbeiter“ andererseits, die zusammen die Produktion trügen.94 Die vermeintlich natürliche Feinfühligkeit weiblicher Hände wurde den geschulten Händen ihrer männlichen Kollegen gegenüber gestellt. Diese Aussage wurde auch visuell untermauert. Ein weiteres Foto zeigt eine lange Reihe von uniform in weiße Kittel gekleideten Beschäftigten an einer Fensterfront sitzend. Nur die Köpfe der ersten vier sind so gut zu erkennen, um sie eindeutig als Männer zu identifizieren. Zentral ist der erste Mann der aus stehender Perspektive aus nächster Nähe aufgenommen wurde und zusammen mit seinem Arbeitsplatz die gesamte untere Hälfte des Bildes füllt. Er ist vom Ellenbogen aufwärts abgebildet, die weiteren Männer sind größtenteils voneinander verdeckt und in ihrer Tätigkeit nicht auszumachen. Sie haben allerdings das gleiche Werkzeug vor sich liegen wie der erste Mann. Dieser hat eine Lupe in die Augenhöhle geklemmt und das Werkstück zur Bearbeitung nah ans rechte Auge geführt. Sein Arbeitsplatz ist aufgeräumt, nur eine weiße Unterlage und einige feine Werkzeuge sind zu sehen. Jeder Arbeitsplatz ist, obwohl direkt am Fenster gelegen, mit einem schwenkbaren Leuchter ausgestattet.



94 Ebd., S. 50.

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Abbildung 11: „Nicht nur Frauenarbeit ist der Zusammenbau, auch der geschulte Facharbeiter muß mithelfen“.

Quelle: Bauer: Taschen- und Armbanduhren-Erzeugung, 1938, Bild 10.

Im Gegensatz zu der Tätigkeit der Näherinnen wird hier nicht die rasche Abfolge wiederkehrender Handgriffe visualisiert. Es ist keine Menge an zu bearbeitenden Serienfabrikaten zu sehen, stattdessen scheinen Ruhe und Sorgfalt notwendig zu sein. Im Text werden die Männer als Uhrmacher, „wie wir sie uns vorstellen“, beschrieben: „erfahrene Fachleute, die Lupe ins Auge geklemmt und den Tisch voll



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feiner Werkzeuge“.95 Es wurde wurde also bewusst der Anschluss an die kollektive Vorstellung von Qualitätsarbeit gesucht und betont, dass die moderne Serienfabrikation in diesem Detail weiterhin der Tradition der (männlichen) handwerklichen Facharbeit folge. Der ständige visuelle Rückgriff auf die Bewahrung handwerklicher Qualitätsarbeit innerhalb moderner Fabriken wird häufig in der Forschung als ein Element betrachtet, dem zwar im Nationalsozialismus eine besonders prominente Rolle zugekommen, das aber an sich seit dem Kaiserreich spezifisch für ein deutsches Bild der Arbeit, wenn nicht für ein Bild der deutschen Arbeit gewesen sei.96 Der Beobachtung kann grundsätzlich zugestimmt werden, allerdings handelte es sich nicht um ein deutsches Spezifikum. Die Betonung handwerklicher Qualitäten innerhalb der Fabrikarbeit spielte auch für die Industriefotografie in den USA eine große Rolle.97 Es ist davon auszugehen, dass der Rekurs auf diese traditionelle Vorstellung von Facharbeit international eine bedeutende Funktion bei der Akzeptanz der neuen, stark rationalisierten Arbeitsprozesse hatte. Die diskursive Einbindung konnte aber durchaus unterschiedlich erfolgen: So wurde mithilfe visueller Repräsentationen in Deutschland ab der Mitte des 19. Jahrhunderts der „zunehmend nationalistische Topos der ‚Deutschen Arbeit‘“ aufgebaut,98 während in den USA der 1920er Jahre die visuelle Rhetorik eines Handwerkerrepublikanismus eingesetzt wurde.99 Gleichzeitig gab es auch während des Nationalsozialismus visuelle Repräsentationen von Arbeit, die nicht auf den Topos der handwerklichen Qualitätsarbeit abhoben. In Branchen wie der Elektroindustrie, wo seit Mitte der zwanziger Jahre konsequent Fließbandfertigung eingeführt worden war, drängten sich Bilder der rationalisierten Arbeit auf. Es gab verschiedene Strategien, Qualität darzustellen: Häufig wurden in einer Veröffentlichung gleichermaßen Fotos des Fließfertigungsprozesses und der konzentrierten Facharbeit von Einzelnen gezeigt. Dieses Nebeneinander weist darauf hin, dass die Publizisten erwarteten, die Qualitätsarbeit in Rückgriff auf traditionelle Bildformeln besonders betonen zu müssen. In anderen Publikationen dominierten hingegen Bilder der großen Fließbandsäle; Fotos einer beeindruckend rationalisierten Produktion riefen, so mussten zumindest die in diesen Fällen verantwortlichen Autoren glauben, bei den Rezipienten automatisch die Vorstellung hoher Qualität hervor. Eine solche Repräsentation wurde für den 43. 95 Ebd., S. 22. 96 Vgl. Sachsse: Mensch, 1999, S. 90; Türk, Bilder, 2000, S. 289; Lüdtke, Industriebilder, 1993, S. 426f. 97 Vgl. Nye: Image Worlds, 1992, S. 91; Brown: Corporate Eye, 2005, S. 150; Marchand: Creating, 1998, S. 274. 98 Türk: Bilder, 2000, S. 289; vgl. allgemein zum Diskurs der Deutschen Arbeit, Campbell: Joy, 1989. 99 Vgl. Brown: Corporate Eye, 2005, S. 150.

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Band der Reihe Deutsche Großbetriebe gewählt, der die Radioherstellung bei Blaupunkt in Berlin vorstellte. Das Foto der Vormontageabteilung, wo die Einzelteile an Fließbändern zu Gruppenteilen zusammengebaut wurden, zeigt einen ungewöhnlichen Blick auf den Saal. Die Kamera stand deutlich erhöht, anstelle des für Raumaufnahmen üblichen Querformats erschien in der Publikation ein fast quadratisches Hochformat. Dadurch wird in erster Linie die bemerkenswerte Höhe des Saals betont, der vom Boden bis zur Decke, von der zahlreiche Lampen hängen, abgebildet ist. Seitenwände sind nicht im Bild, weit entfernt im Hintergrund scheint die gegenüberliegende Wand auf, was einen Hinweis auf die gewaltigen Ausmaße des Saals gibt. Ziel der Aufnahmen ist es nicht, den Fluss der Produktion an den Bändern zu betonen. Folglich fokussiert die Kamera nicht auf ein Band und dessen Verlauf. Stattdessen sind jeweils nur Ausschnitte von Fließbändern zu sehen, die parallel in nicht zu bestimmender Anzahl hintereinander liegen. An ihnen sitzen, mit dem Rücken, der Seite oder dem Gesicht der Kamera zugewandt, Arbeiter und Arbeiterinnen in individueller Kleidung. Das Foto erweckte den Eindruck eines hellen Raumes, der aufgrund der hohen Decke vermutlich gute Luftverhältnisse bot. Auf solche nach Maßgaben der Gesundheit und Ästhetik eingerichteten Arbeitsräume wurde seit den zwanziger Jahren oft in Firmenpublikationen hingewiesen. Im Nationalsozialismus gab es durch das Amt „Schönheit der Arbeit“ zusätzlichen politischen Druck, auf solche Momente zu achten.100 Der Text beschreibt die „riesige Halle“ als „lichtdurchflutet, hell und sauber – ein Werkraum nach dem Gesetz ‚Schönheit der Arbeit‘ gestaltet“.101



100 Vgl. Kapitel 3. 101 Hilpert: Rundfunk-Industrie, 1939, S. 22.



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Abbildung 12: „Vormontage-Abteilung. Die Einzelteile werden zu Gruppenteilen zusammengebaut“.

Quelle: Hilpert: Rundfunk-Industrie, 1939, S. 22.

An die Stelle der monumentalen Maschine aus Abbildungen der Schwerindustrie 102 trat hier der ebenso riesig wirkende rationelle Produktionsprozess. Der Bildausschnitt deutet erfolgreich die Ausmaße des Saals an. Ohne Fluchtpunkt betont das Foto nicht die Ordnung, die durch den Fluss der Produktion geschaffen wird, sondern die Betriebsamkeit, die den Saal erfüllt. Der Text macht deutlich, dass diese Inszenierung gewollt war. Groß war nur noch der Plan, die Ordnung der Fabrik, nicht mehr eine einzelne Maschine; die unzähligen „flinke[n] Hände“ arbeiteten mit „kleinen Maschinen und Werkzeugen“. Dementsprechend verschwand auch der Lärm der großen Maschinen, an ihre Stelle trat ein „lautes Summen, gleich wie in

102 In der frühen Fotografie der Schwerindustrie dominerte eine „monumentale Inszenierung der Technik“, Wengenroth: Fotografie, 1994, S. 89.

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einem Bienenstock“.103 Die Bienenstock-Metapher deckt sich mit dem Eindruck des Fotos. Einzelheiten der Tätigkeiten sind nicht zu erkennen, gleichzeitig ist durch den Kontext eines Elektrokonzerns, also eines Schrittmachers der Rationalisierung, gewiss, dass sie aufeinander abgestimmt sind. Eine vollständig kontrollierte Arbeiterschaft zeigt auch dieses Bild nicht. Deutlich ist zu erkennen, dass sich die Arbeiterin, die vor der ersten Säule sitzt, von ihrer Arbeit weggedreht hat und nun die Kamera beobachtet. Ein solches eigen-sinniges Abschweifen von der Tätigkeit scheint nicht generell eine Gefährdung des Bildes der rationellen Fabrik dargestellt zu haben. Einzelne Arbeiter/-innen konnten situativ in Freiräume abtauchen, ohne die Raumordnung der Fabrik zu beeinträchtigen. Der Produktionsprozess ist davon unberührt, die meisten Arbeiter/-innen sind in konzentrierten Posen zu sehen. Das Aufblitzen subjektiver Momente konnte durchaus in die Rationalisierungsordnung integriert werden. Eine gänzlich andere Ansicht eines Arbeitsaals präsentierte das im gleichen Band direkt folgende Foto von der Chassismontage. Die Aufnahme erfolgte aus ähnlicher Höhe wie im vorangegangenen Bild, das Bildformat ist dasselbe, die repräsentierte Raumordnung unterscheidet sich jedoch deutlich.104 Im Zentrum der Fotografie steht ein Montageband, das sich vom unteren Bildrand bis zur Wand am oberen Bildrand zieht und an dem zu beiden Seiten Arbeiterinnen sitzen. Parallel dazu ist links wie rechts jeweils ein weiteres Fließband zu sehen; in der rechten oberen Bildecke zeigt die rechte Wand die Begrenzung des Raums auf. Symmetrie und Ordnung bestimmen die Bildkomposition; der Fluchtpunkt lieg am oberen Bildrand. Hier herrscht eine klare Geschlechtertrennung vor, am Band sitzen ausschließlich Frauen, im Hintergrund sind einige Männer in weißen Kitteln zu sehen, die vermutlich einer Aufsichtstätigkeit nachgehen.



103 Hilpert: Rundfunk-Industrie, 1939, S. 23. 104 Mit Martina Löw wird angenommen, dass die Konstitution von Raum auf zwei Ebenen stattfindet. Neben dem Errichten des Raums und dem Positionieren von Menschen und Gegenständen, dem Spacing, kommt der Syntheseleistung große Bedeutung zu. Dabei geht es um die Wahrnehmung, Vorstellung und Erinnerung von Räumen, vgl. Löw: Raumsoziologie, 2001, S. 159.



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Abbildung 13: „Laufende Bänder, an denen der Zusammenbau der verschiedenen Gruppenteile erfolgt und in fließender Arbeit nach und nach das Gerätechassis entsteht“.

Quelle: Hilpert: Rundfunk-Industrie, 1939, S. 23.

Wir sehen hier also einen Arbeitssaal, der eine Raumordnung repräsentiert, die von Fluss und Kontrolle bestimmt ist. Beides zusammen, die verstörend wirkende Betriebsamkeit des Fotos aus der Vormontage und der geordnete Produktionsfluss dieses Fotos, ergeben das Bild der rationalisierten Arbeit. Ähnlich wie in der älteren Darstellung der Gasmotorenfabrik Deutz wurde bewusst auch eine Sichtweise der Fabrikarbeit ausgestellt, die zunächst den Eindruck der Unordnung und der hektischen Aktivität hervorruft. Im Kontext wurde dann deutlich durch Text und weitere Abbildungen das Moment der Ordnung hervorgerufen. Dadurch wurde ein Bild gezeichnet, dass von einem Stolz über die Organisation der schwer zu ordnenden Masse zeugt. Auf Dauer setzte sich aber das Bild der Ordnung und des Flusses durch; es dominierte in der Quantität die publizierten Bilder der Industriearbeit deutlich. Es lässt sich die These aufstellen, dass diese Bildkonvention erst herausgearbeitet werden musste: Zunächst waren die Unordnung und der erfolgreiche Kampf mit ihr noch Teil visueller Repräsentationen der Fabrikarbeit, später ver-

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drängten Bilder der Ordnung zunehmend alle Momente etwaiger Unordnung. Die Ordnung jedoch musste, um eine positive Wirkung zu entfalten, als eine humane Ordnung präsentiert werden. Die Visualisierung einer totalen Produktionsordnung, die alle menschlichen Belange dem Produktionsprozess unterordnet, wäre Gefahr gelaufen, dystopischen Entwürfen der Industriearbeit wie Fritz Langs Film Metropolis (1927) zu gleichen.105 Text und Bild versuchen folglich die Vorstellung zu verstärken, dass Rationalisierung und Humanisierung der Arbeit zusammen gingen. Der Raum wirkt erneut durch seine Höhe und Helligkeit als angenehmer Arbeitsort, die Frauen sitzen auf Hockern mit Rückenstütze, was als ergonomisch vorbildliche und noch keinesfalls übliche Arbeitsplatzgestaltung galt.106 Die Gänge zwischen den Reihen waren breit, ein Eindruck der gedrängten Fülle kommt trotz der großen Anzahl der Arbeiterinnen nicht auf. Der Text beschreibt zudem die Bewegung, die nicht auf dem Foto gesehen werden kann: Das Förderband würde die Teile „langsam“ zu den Arbeitsplätzen befördern. Die weitverbreitete Einschätzung, der Takt der Fließbänder führe zu Arbeitshetze, von der nicht zuletzt Chaplins 1936 entstandener Film Modern Times zeugt, wurde damit zurückgewiesen. Vielmehr diene das fließende Band der „Arbeitserleichterung“, da es jeweils – zur „Sekunde genau“ – das benötigte Teilstück zur jeweiligen Arbeiterin befördere. Die Rationalität der Produktion schließe, in Gestalt der Arbeitsvorbereitung, die „das Tempo des Förderbandes genau errechnet“ hätte, jegliche „Überlastung der Arbeitskraft“ aus.107 Körperliche Anstrengung spiele bei der Arbeit keine Rolle mehr, elektrische Lötkolben und Schraubendreher hätten die Tätigkeit so weit erleichtert, dass alles „fast wie im Spiel“ geschehe. Die Mechanisierung und Spezialisierung sei so weit gediehen wie möglich.108 Auch das Fabrikgebäude sei so gestaltet worden, dass es gleichermaßen den Betriebsbedürfnissen diene wie es auf die arbeitenden Menschen Rücksicht nehme: „Trägt doch der gute Arbeitsplatz mit allen seinen Vorbedingungen dazu bei, sorgfältige Arbeit in freudiger Stimmung zu leisten und bedingt wiederum die Qualität der Erzeugnisse.“109 In diesem Sinne war dann auch die humane Gestaltung der Fabrik ein Anliegen der Rationalisierung. Die Geschlechtertrennung war nicht stets so eindeutig wie in der Chassismontage. Ein Foto der Abteilung zur Prüfung der Drehkondensatoren bei Blaupunkt zeigt sechs deutlich identifizierbare Personen, drei Männer und drei Frauen, die an einer Arbeitsfläche sitzen. In der Mitte der Arbeitstische transportiert ein Fließband die 105 Anton Kaes betrachtet Langs Film als eine Auseinandersetzung mit den Herausforderungen durch den Fordismus, vgl. Kaes: Shell Shock Cinema, 2009, S. 177. 106 Vgl. Hilpert: Rundfunk-Industrie, 1939, S. 63. 107 Vgl. ebd., S. 46f. 108 Vgl. ebd., S. 48. 109 Vgl. ebd., S. 58.



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Drehkondensatoren. Männer wie Frauen repräsentieren den Typus des konzentrierten Kontrolleurs ohne geschlechtliche Differenzierung. In der Konzeption der Tätigkeit musste also nicht zwingend differenziert werden, gleichwohl bestand jenseits der Fragen der Repräsentation der materielle Unterschied der Einsortierung in verschiedene Lohngruppen fort. Unterschiedliche Aufgaben von Arbeitern und Arbeiterinnen lassen sich auf diesen Bild nicht erkennen. Es ist davon auszugehen, dass bei Blaupunkt die gleiche Praxis angewandt wurde wie bei Siemens. Dort wurden bei der Radioherstellung die Prüfarbeiten an Parallelplätzen ausgeführt, eine Zerlegung der Prüftätigkeit erschien nicht sinnvoll. Vielmehr ging es darum, die Prüfer/innen zur „Selbständigkeit und damit zur Einsparung von Prüfzeit“ zu erziehen. Mit Selbstverantwortung im gewissen Rahmen ausgestattet, könnten die Prüfer/-innen dann eher Fehler selbst beseitigen.110 Abbildung 14: „Ein Blick ins Drehkoprüffeld [= Drehkondensatoren-Prüffeld]“.

Quelle: Hilpert: Rundfunk-Industrie, 1939, S. 46.



110 Janzen: Bedeutung, 1935, S. 423. Auf die Bedeutung der Selbstverantwortung der Arbeiter/-innen im Rationalisierungsprozess wird in Kapitel 3 und 4 genauer einzugehen sein.

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Kurz darauf wurden Bilder von Fabrikarbeiterinnen häufiger. Im Krieg nahm die Erwerbstätigkeit von Frauen alternativlos auch in typischen Männerdomänen zu. Nationalsozialistische Publikationen versuchten bei Betrieben Werbung für den Einsatz von Arbeiterinnen zu machen. So gab der vom Vorsitzenden des RKW geleitete Reichsausschuss für Leistungssteigerung eine Broschüre über „Frauen im Industriebetrieb“ heraus, die im Untertitel versprach, Fragen von Einsatz, Schulung und Leistung zu behandeln. Die Abbildungen zeigen Arbeiterinnen u.a. im Maschinenbau in ähnlicher Inszenierung, die für männliche Arbeiter bereits etabliert war. So ist die Einrichterin für Drehautomaten in der klassischen Pose des Facharbeiters zu sehen: In Nahaufnahme sieht man eine Frau konzentriert bei ihrer Tätigkeit an der Maschine. Die Aufnahme fokussiert die Arbeiterin und die Maschine, der Hintergrund wird, wie bei solchen Motiven üblich, mit gezieltem Einsatz einer kleinen Schärfentiefe, also mithilfe eines lichtstarken Objektivs und einer längeren Brennweite, fast ausgeblendet.111



111 Vgl. Sachsse: Mensch, 1999, S. 90; Rahner sieht eine solche Art der Isolierung der Arbeitenden (und ihrer Maschine) von der Arbeitssituation als Merkmal der Nachkriegszeit an, vgl. Rahner, Glanzbilder, 1999, S. 11. – Die visuelle Repräsentation der zivilen Zwangsarbeit folgte teilweise dem gleichen Muster. Der Propagandaband Europa arbeitet in Deutschland zeigte ähnliche Abbildungen von Arbeiterinnen im Umgang mit Maschinen, etwa eine „Flamin bei Fräsarbeiten“ oder eine Holländerin, der ein Handbohrer „ein durchaus vertrautes Werkzeug“ ist, Didier: Europa, 1943, S. 39f. Eine gründliche Analyse der Bilder der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus bleibt ein Desiderat. Dabei gilt es vor allem Hachtmanns Hinweis aufzugreifen, dass die Übertragung unqualifizierter Arbeit an ausländische Zwangsarbeiter in der nationalsozialistischen Vision einer rassistischen Neuordnung der europäischen Industrie mit der Befreiung der deutschen Facharbeiter von solchen Tätigkeiten einher ging, vgl. Hactmann: Industriearbeit, 1989, S. 84.



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Abbildung 15: „Die Einrichterin für Drehautomaten“.

 Quelle: Pflaume: Frauen, 1941, Bild 17.

Das Bemühen, das Bild von der Geschlechterdifferenz zu bewahren, findet sich aber auch in dieser Broschüre, deren Hauptanliegen es doch war, die Eignung von Frauen für die Industriearbeit zu belegen. Eine ähnliche Aufnahme zeigt einen Arbeiter und eine Arbeiterin an einer Revolverdrehbank, beide tragen Arbeitskleidung, nur die Frau allerdings eine Mütze. Er steht im Zentrum des Bildes, ist vornübergebeugt dabei, seiner neuen Kollegin den Arbeitsvorgang an der Maschine zu zeigen. Sein Gesicht ist mit konzentrierter Mimik frontal zu sehen, seine Hände sind an der Maschine tätig. Die Arbeiterin steht links nah neben ihm und blickt ihm über die Schulter. Die Kamera zeigt ihr Gesicht von der Seite, der Kopf ist vorgebeugt, sie schaut gebannt der Vorführung des Kollegen zu. Ihre Hände können keine Funktion ausüben, die rechte faßt auf die Hüfte, die linke hält sich am Rand der Drehbank fest. In dieser Aufnahme wurde angedeutet, dass die Geschlechterdifferenz wegen der Notwendigkeit des Fraueneinsatzes in der Rüstungsproduktion keineswegs vor einer dauerhaften Veränderung stehen sollte: Das Anlernen scheint für Frauen möglich, dafür müssen sie aber dem Fachmann über die Schulter schauen.



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Abbildung 16: „Unterweisung an der Revolverbank“.

Quelle: Pflaume: Frauen, 1941, Abb. 31.

K ONTINUITÄT UND D IFFERENZIERUNGEN IN DER B UNDESREPUBLIK Formell war in der Industriefotografie der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik kein größerer Wandel festzustellen. Ein nüchterner dokumentarischer Stil blieb das häufigste Ausdrucksmittel.112 Rolf Sachsse spricht bei aller Kontinuität allerdings auch von einer „Amerikanisierung der werbenden Mittel“, die ihren Ausdruck in Farbfotos und einer verstärkten Inszenierung der Bilder gefunden habe.113 Im Gegensatz zu Werbebroschüren, die jedoch selten Aufnahmen der Arbeit enthielten, blieben die hier untersuchten Medien – Werkszeitschriften, Rationalisierungspublikationen und Firmenfestschriften – noch bis weit in die 1960er Jahre hinein von

112 Vgl. Bieger-Thielemann: Albert Renger-Patzsch, 1995, S. 97. 113 Sachsse: Mensch, 1999, S. 86.



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Schwarzweißfotografien dominiert. Der inszenatorische Charakter wiederum zeichnete die Industriefotografie von Beginn an aus; zumindest für Medien, die in erster Linie nicht auf die Öffentlichkeitsarbeit zielten, muss eine qualitative und quantitative Zunahme der Inszenierungen in Frage gestellt werden. Der technische Wandel, die Durchsetzung leistungsfähiger Elektronenblitzgeräte, ermöglichte das Fotografieren der laufenden Produktion.114 Dadurch waren Schnappschüsse ohne aufwändige Raumerhellung durch das Team des Fotografen bzw. der Fotografin und ohne genaue Positionierung der Abgebildeten möglich geworden. Rahner zieht auf der Basis seiner Kenntnis über einen umfangreichen Bestand Hamburger Industriefotografien die Schlussfolgerung, die Motive hätten sich nach 1945 gewandelt: Vermehrt seien nun einzelne Beschäftigte bei der Arbeit fotografiert worden, während Aufnahmen von Gruppen von Arbeitern und/oder Arbeiterinnen zurückgegangen seien. 115 Genaue quantitative Einschätzungen dieser Art sind aufgrund des kaum zu überschauenden Bestandes an Fotografien sehr schwierig. Festhalten lässt sich jedoch, dass Einzelaufnahmen bereits zuvor keine Seltenheit waren, während Aufnahmen mehrerer Beschäftigter auch nach 1945 keinesfalls randständig wurden. Die von Rahner beschriebene Tendenz mag grundsätzlich zutreffend sein, dennoch gab es immer noch eine große Anzahl von Gruppenfotografien. Wie zu zeigen sein wird, konnte gerade mithilfe der Zusammenstellung dieser verschiedenen Arten von Aufnahmen in einer Publikation ein Bild der zeitgenössischen industriellen Produktion entworfen werden, das Qualität, Rationalisierung und Geschlechterdifferenz zueinander in Beziehung setzte. Dies soll am Beispiel der Firmenschrift „Unsere AEG: Dargestellt für Freunde und Angehörige unseres Unternehmens“ erfolgen. Diese Schrift erschien 1953, unabhängig von einem etwaigen Jahrestag des Unternehmens. Gleichwohl entspricht sie weitgehend dem Standard der Firmenfestschriften, die sich ebenfalls in erster Linie an Geschäftspartner in Wirtschaft und Politik sowie die eigenen Beschäftigten richtete. Firmenfestschriften stellten somit ein der Selbstdarstellung des Unternehmens entsprechendes „Identifikationsangebot an Mitarbeiter, Kunden und behördliche Verhandlungspartner“ dar.116 Erst ab den 1960er Jahren näherte sich dieses Genre allmählich dem des Sachbuchs. Es setzte dann vermehrt auf farbige Illustrationen, verabschiedete sich vom traditionell üblichen Großformat, legte mehr Wert auf das Design des Bandes und wurde nach und nach zum Instrument der Öffentlichkeitsarbeit.117 Der Band „Unsere AEG“ zielte hingegen noch auf den kleinen Kreis der „Freunde“ und Beschäftigten. Ähnlich wie bei Jubiläumsschriften ging es laut Klappentext um eine „kleine Firmengeschichte“, die gleichzeitig den Stand der 114 Vgl. ebd., S. 86. 115 Vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 11. 116 Damm: Selbstrepräsentation, 2007, S. 46; vgl. Linder: Nur der Erwerb, 1991, S. 275. 117 Knabe: Firmenjubiläen, 2005, S. 233, 304.

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gegenwärtigen Entwicklung in den verschiedenen Werken des Konzerns darstellte. Das Vorwort betonte, dass der Wiederaufbau nach dem Krieg abgeschlossen war, weshalb nun der Status quo präsentiert werden könne.118 Zunächst soll ein Foto aus dem Oldenburger Werk, in dem Kleinmotoren und Haushaltsgeräte produziert wurden, besprochen werden, das einen einzelnen Arbeiter bei seiner Tätigkeit zeigt. Von schräg oben aufgenommen, zeigt das Foto einen Arbeiter, der vor einer Reihe von Kleinmotoren sitzt. Auch hier sind Arbeiter und Produkt durch gezielten Einsatz der Tiefenschärfe gegenüber dem Hintergrund nahezu freigestellt. Der Mann trägt eine Schürze über dem Hemd, die Ärmel sind hochgekrempelt. Sein Blick richtet sich auf die Tätigkeit seiner Hände, die einen der Motoren „sorgfältig“ prüfen, wie die Bildunterschrift versichert. Es gehörte zu den Konventionen derartiger Bildmotive, den Blick vom Arbeiter zum Produkt (oder zur Maschine) zu inszenieren.119 Abbildung 17: „Jeder Kleinstmotor wird sorgfältig geprüft“.

Quelle: Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, Hg.: Unsere AEG, 1953, S. 67.



118 Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (Hg.): Unsere AEG, 1953, S. III. 119 Vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 11.



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Während in der Weimarer Republik zumeist nur über die Rationalisierung geredet wurde, setzten sich in der Nachkriegszeit in der Bundesrepublik auf breiterer Ebene fordistische Produktionsweisen durch.120 In diesem Zusammenhang erfüllt dieses Foto eine besondere Funktion: Es versichert, dass der handwerkliche Qualitätsarbeiter auch in der rationalisierten Serienproduktion weiterhin von großer Bedeutung ist. Grundsätzlich ähnlich wie bei der Abbildung der Uhrmacher (vgl. Abb. 11) wird hier der Prüfvorgang als Facharbeit ins Bild gesetzt. Die Arbeiter beider Bilder gleichen einander in konzentrierter Mimik und fachmännischer Gestik, die Kameraperspektive ist ebenfalls ähnlich, allerdings unterscheidet sich der Arbeitsplatz deutlich. Der AEG-Arbeiter hat eine Reihe baugleicher Motoren vor sich; es handelt sich nicht mehr um die Inszenierung einer handwerklichen Tätigkeit im modernisierten Umfeld, nur die Qualität seiner Arbeit schließt an diese Tradition ikonographisch an. Das Bild ist geeignet, etwaige Bedenken aus zwei Richtungen auszuräumen. Zum einen wird betont, dass eine fortschreitende Rationalisierung keinesfalls einen Verlust an Produktqualität bedeute. Zum anderen zeugt das Foto davon, dass als qualifiziert eingestufte und besser bezahlte Tätigkeiten männlicher Facharbeiter ebenfalls nicht von Rationalisierungsmaßnahmen bedroht sind. Seine Wirkung entfaltet dieses Foto insbesondere im Kontrast zu anderen Abbildungen der gleichen Publikation. So zeigt ein Foto aus der Zählerfabrik Hameln eine Gruppe von Arbeiterinnen an einem Fließband. Die Kamera war über dem Arbeitstisch positioniert, das Fließband bildet im rechten Winkel zum unteren Bildrand die vertikale Bildachse bis zur Wand im oberen Bildviertel. Rechts und links am Tisch sitzen jeweils sieben individuell gekleidete Frauen, eine weitere Frau sitzt am Ende des Tisches der Kamera gegenüber. Auf dem Fließband liegen dicht an dicht die Schraubsicherungen des Typs „Elfa-Automat“, um zu den Arbeiterinnen gebracht zu werden. Auf dem Tisch vor den Arbeiterinnen befinden sich Teile in unterschiedlicher Anzahl und verschiedenes Werkzeug. Die Frauen sind leicht nach vorn gebeugt, die Unterarme und Hände der meisten liegen auf dem Tisch auf, jeweils beide Hände sind zum Zeitpunkt der Aufnahme an dem jeweiligen Werkstück. Alle Frauen richten den Blick konzentriert auf ihre Hände. Dadurch entsteht neben dem Fließband ein zweiter Blickfang für den Betrachter bzw. die Betrachterin des Fotos: die Hände oder vielmehr die Finger der Arbeiterinnen.



120 Hachtmann/von Saldern: Gesellschaft, 2009, Abs. 8.

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Abbildung 18: „Elfa-Automaten vom Fließband“. AEG-Zählerfabrik Hameln.

Quelle: Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, Hg.: Unsere AEG, 1953, S. 50.

Dieser Fokus auf die Finger wird noch dadurch verstärkt, dass rechts und links vorne jeweils nur eine Hand einer Arbeiterin zu sehen ist. Im Gegensatz zu dem männlichen Oldenburger Arbeiter, der mit geschultem Blick und geschulten Handgriffen die Motoren prüft und als Einzelner herausgehoben wurde, sehen wir hier eine Gruppe, die eine gleichförmige Art von Tätigkeiten auszuüben scheint. Während der Oldenburger Kollege mit dem ganzen Oberkörper, zumindest aber mit Armen und Schultern, im Einsatz ist, erscheint bei den Fließbandarbeiterinnen durch ihre Position am Arbeitsplatz der Körper weitgehend fixiert – bzw. entlastet – zu sein. Eine Assoziation mit einer handwerklichen qualifizierten Tätigkeit wird nicht nahegelegt; gezeigt wird weniger ein geschulter Einsatz von Körper und Händen, sondern vielmehr eine als natürlich vorausgesetzte – und deshalb als unqualifiziert eingestufte – Fingerfertigkeit der Frauen. Dadurch, dass ausschließlich junge Frauen



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abgebildet wurden, blieb auch das Bild der Frauenerwerbstätigkeit als einer Lebensphase erhalten, die dann durch die Mutterschaft beendet werden würde. Ein drittes Foto aus diesem Band weist darauf hin, dass eine Vielfalt von Bildaussagen innerhalb einer Firmenschrift möglich und auch üblich war. Dieses Foto zeigt die Bandmontage von Kleinschaltgeräten in der Schaltgerätefabrik Neumünster. In diesem Bild liegt der Fokus nicht auf einem einzelnen Arbeiter oder einer kleinen Gruppe von Arbeiterinnen am Fließband, sondern auf einem vermutlich großen Arbeitssaal. Aus deutlich erhöhter Perspektive wurde ein Ausschnitt des Saals diagonal aufgenommen, der etwa vierzig Arbeiter/-innen zeigt. Die räumlichen Maße sind nicht auszumachen; nur in der rechten Hälfte des oberen Bildrands ist die rechte Fensterfront zu sehen. Das Bild suggeriert jedoch einen großen Saal, von dem nur ein kleiner Ausschnitt gezeigt wird. Insbesondere der breite Gang zwischen den Fließbandarbeitsplätzen in der linken Bildhälfte und den Werkbänken neben der Fensterfront lässt vermuten, dass ausreichend Platz vorhanden ist. Abbildung 19: „Bandmontage von Kleinschaltgeräten“ AEG-Schaltgerätefabrik Neumünster.

Quelle: Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, Hg.: Unsere AEG, 1953, S. 63.

Die Bildbeschriftung bezieht sich allein auf die linke Hälfte des Fotos, die „Bandmontage von Kleinschaltgeräten“. Dort sitzen Männer wie Frauen, die Bandarbeit erscheint hier also durchaus als geschlechterindifferent. Ein Blick auf die rechte Seite zementiert allerdings wieder die Geschlechterdifferenz. Hier werden im Vordergrund stehend Teile mit Werkzeug bearbeitet. Vermutlich handelt es sich um Kontrolltätigkeiten, die nicht am Band erledigt werden konnten. Der Text verwies darauf, dass die Geräte bereits während der Produktion in „Laboratorien und Prüf-

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feldern“ Kontrollen unterzogen wurden.121 Jedenfalls wurden Tätigkeiten präsentiert, die als qualifiziert galten und auf diesem Foto ausschließlich von Männern ausgeübt wurden. Diese Verteilung war durchaus üblich, bemerkenswert ist allerdings die Komposition beider Bereiche auf einem Foto. Die Beunruhigung, die davon hätte ausgehen können, dass Männer neben Frauen am Fließband sitzen und anscheinend unterschiedslos die gleiche ungelernte Tätigkeit ausüben, wird durch die rechte Bildhälfte ausgeräumt: Die qualifizierten, quasi handwerklichen Tätigkeiten innerhalb der rationalisierten Produktion blieben ausschließlich Männern überlassen. Der Charakter des Fotos unterscheidet sich in einem weiteren Moment deutlich von den bisher diskutierten Aufnahmen. Das Bild erzeugt den Eindruck eines Schnappschusses, obgleich nicht völlig auszuschließen ist, dass auch diese Wirkung inszeniert sein könnte. Technisch waren solche Fotos nun möglich, die Säle waren hell, der Elektronikblitz ermöglichte die Aufnahme ohne ein großes Team, und die erhöhte Kamera lässt auf eine größere Entfernung des Fotografen schließen. Rechts an den Werkbänken sind unterschiedliche Tätigkeiten auszumachen, aber auch links am Fließband zeigt die Aufnahme keinesfalls das Bild monotoner Handgriffe, die sich an jedem Platz mehr oder minder gleichen. Durch die unterschiedlichen Positionen der Arbeiter/-innen am Band, durch unterschiedliche Kopfhaltungen und Handgriffe entsteht ein anderes Bild, als es das Foto aus Hameln zeigte. Die Montagearbeit wirkt hier durchaus vielfältig. Der Text hebt hervor, dass die „vielseitige Fertigung […] hohe Ansprüche an jeden Betriebsangehörigen“ stellte.122 Insgesamt ergänzten sich die drei unterschiedlichen Bilder in ihren Aussagen: Männliche Facharbeit spiele auch im fordistischen Betrieb eine wichtige Rolle, hingegen könne monotone Bandmontage in freundlichen Arbeitsräumen unter ergonomischen Bedingungen von jungen Frauen erledigt werden, deren Lebensplan keine Berufsqualifikation vorsehen sollte. Auf dem dritten Foto blieb die Facharbeit ein rein männlicher Bereich, während auch die wenige Meter weiter verrichtete geschlechterindifferente Bandarbeit als durchaus abwechslungsreich erschien. In anderen Fällen wurde ein Zusammenhang zwischen dem Geschlecht der Fließbandarbeiterinnen und gewissen Notwendigkeiten zur ästhetischen Gestaltung des Arbeitsraums gezogen. Ein Beispiel stammt aus der Reihe Stätten deutscher Arbeit, die ähnlich wie die Serie Musterbetriebe deutscher Wirtschaft zwischen der Weimarer Republik und den fünfziger Jahren mit beträchtlichem Erfolg erschienen ist. Der Aufbau unterschied sich allerdings von der anderen Reihe: Es gab nur einen Autor, Hans Tischert, der zwischen 1930 und 1959 fünfzehn Bände veröffentlichte. In jedem Band erschienen mehrere, zumeist illustrierte Abhandlungen zu Unternehmen, die auf etwa fünf bis zehn Seiten vorgestellt wurden. Insgesamt kam Ti121 Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (Hg.): Unsere AEG, 1953, S. 63. 122 Ebd.



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schert so auf eine Zahl von nahezu 500 Betrieben, über die er berichtete. Die Gesamtauflage betrug beachtliche 250.000 Exemplare. Wie es für Rationalisierungsabhandlungen seit den zwanziger Jahren üblich war, beteuerte auch Tischert im Nachwort des letzten Bandes, dass „trotz aller Rationalisierung und Mechanisierung“ stets der „Mensch an Werkbank und Maschine“ im „Mittelpunkt aller Betrachtungen“ gestanden habe.123 In diesem fünfzehnten Band wurden 1959 u.a. die Wäschefabriken Krawatten Bauer aus dem Ruhrgebiet vorgestellt. Ein Foto zeigt die „Hemden-Fertigung am Fließband“. Das Fließband verläuft von der Mitte des unteren Bildrand bis etwas rechts vom Zentrum des Fotos, zur Rechten wie zur Linken sitzen Arbeiterinnen an Nähmaschinen neben dem Fließband. Links sitzen die Frauen mit dem Gesicht zur Kamera, rechts sind die Rücken der Arbeiterinnen zu sehen. Über dem Fließband hängen durchgehend Leuchtstoffröhren, wodurch auf dem Foto der Fluchtpunkt stark hervorgehoben wird, da die Linien des Fließbandes und der Deckenbeleuchtung etwa in der Bildmitte aufeinander zulaufen. Der Raum ist lang und schmal, zur Linken wie zur Rechten ist neben den Arbeiterinnen die Fensterfront zu sehen. Auch die der Kamera gegenüberliegende Wand besteht zu großen Teilen aus Fenstern; der gesamte Raum wirkt außerordentlich hell. Das eigentliche Motiv ist tatsächlich der Raum, der gleichermaßen für Ordnung wie für angenehme Arbeitsbedingungen steht. Abbildung 20: „Hemden-Fertigung am Fließband“. Krawatten Bauer, Gelsenkirchen.

Quelle: Tischert: Stätten, Bd. 15, 1959, S. 99.

123 Tischert: Stätten, Bd. 15, 1959, S. 309.

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Die Frauen tragen Arbeitsuniformen, die Arbeiterinnen zur Linken zeigen einen gleichförmigen konzentrierten Blick auf ihre Hände, die Nähmaschine und den Stoff. Die Kamera ist in etwa auf Augenhöhe mit den Arbeiterinnen über dem Fließband positioniert. Das rechte Bilddrittel wird teilweise von den Spulen einer Nähmaschine eingenommen. Die ausgefeilte Bildkomposition erhält damit zusätzlich das Moment, dem subjektiven Blick einer Näherin zu gleichen. Daran schloss auch der begleitende Text an, der die Wirkung des Raumes auf die dort Tätigen ansprach und den Arbeitsraum als „ein zweites Zuhause“, also als einen Lebensraum, anpries. Die Gestaltung des Raumes sei insbesondere deshalb von besonderer Bedeutung, weil in dieser Branche vor allem Frauen arbeiteten, die stärker umweltabhängig seien. Die Schönheit der Räume gehe jedoch stets mit ihrer rationellen Gestaltung einher; Humanisierung und Rationalisierung wurden zusammengedacht: „Ein Gang durch den Betrieb zeigt, dass hier in jeder Hinsicht eine Synthese von Zweckmäßigkeit und Formschönheit, von Solidität und modernem Fortschritt gefunden worden ist. Die hellen, ansprechenden Arbeitsräume sind nach den neuesten Erfahrungen der Psychologie ausgestattet. Ohne störende Säulen und in anregenden Farben gehalten, vermitteln sie den Mitarbeitern das Gefühl, hier ein zweites Zuhause zu besitzen. Diese oft zu wenig beachtete Tatsache darf aber gerade in der Bekleidungsbranche nicht vernachlässigt werden, da sich hier der größte Teil des Mitarbeiterstammes aus Frauen zusammensetzt, die bekanntlich besonders stark auf äußere Eindrücke reagieren.“124

Im gleichen Band der Stätten deutscher Arbeit wurde ein „Ausschnitt aus der Schreibmaschinen-Montage“ der Torpedo-Werke AG Frankfurt gezeigt. Dieses Foto steht formal im deutlichen Kontrast zu der Hemdenfabrikation. Es ist aus deutlich erhöhter Perspektive aufgenommen, die Kamera befindet sich mehrere Meter über den Arbeitern; die Leuchtstoffröhren sind von oben fotografiert. Aus der Vogelperspektive wird in diesem Ausschnitt kein Raumausmaß sichtbar. Es ist ein hoher Raum, aber weder Wände noch Fenster sind zu sehen. Abgebildet sind etwa 30 Arbeiter/-innen, die an Arbeitsplätzen unabhängig von einem Transportband arbeiten. Im Zentrum des Bildes ist vor einem langen Tisch eine ebenso lange Reihe von Schreibmaschinenteilen auf einem Rollwagen zu sehen. Die jeweils benötigten Werkstücke kamen also auch hier nach dem Prinzip der Fließfertigung zu den Arbeiter/-innen, allerdings ohne Band.

124 Ebd., S. 98.



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Abbildung 21: „Ausschnitt aus der Schreibmaschinen-Montage“. Torpedo-Werke A.G. Frankfurt.

Quelle: Tischert: Stätten, Bd. 15, 1959, S. 45.

Das Verhalten der Arbeiter/-innen ist offensichtlich nicht inszeniert, die dritte Arbeiterin am zentralen Arbeitstisch scheint allerdings im Moment der Aufnahme gerade die Kamera entdeckt zu haben und blickt genau in diese Richtung. Das scheint nicht gegen die Publikation des Bildes gesprochen zu haben. Zudem scheint in dieser Aufnahme noch stärker als bei dem Foto aus der Schokoladenfabrik Mauxion (vgl. Abb. 9) der Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen auf. Der Mann und die Frau neben der in die Kamera blickenden Arbeiterin scheinen miteinander im Gespräch vertieft zu sein. Der Arbeiter in der Mitte des Arbeitstisches am rechten Bildrand lässt den Blick von seiner Arbeit nach links abschweifen. Solche Momente hielten Tischert offensichtlich keineswegs von der Veröffentlichung des Bildes ab. Es steht eher zu vermuten, dass darin wichtige Elemente lagen, um den Produktionsprozess menschlich erscheinen zu lassen. Diese menschliche Komponente wiederum bedeute gerade einen wesentlichen, ja notwendigen Aspekt einer rationellen Gestaltung der Produktion. Trotz der formellen Unterschiedlichkeit gleichen sich das Foto von Krawatten Bauer und dasjenige der Torpedo-Werke insofern, als der rationellen Fabrik auf verschiedene Art die Qualität eines Lebensraums, eines ‚zweiten Zuhauses‘ zugesprochen wurde. Gleichwohl wurde auch bei der Schreibmaschinenmontage die disziplinäre Seite der Fabrikordnung im Bild erfasst. Vorne links unten und am oberen Bildrand in der Mitte steht jeweils ein Mann, der offensichtlich die Funktion eines Meisters

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ausübt und jeweils gerade dabei ist, die Arbeit zu kontrollieren. Anders als auf Fotografien zu Beginn des Jahrhunderts üblich, stehen sie nicht abseits von den Arbeitern bzw. Arbeiterinnen in einer Aufsichtsfunktion, sondern nehmen ihre Aufgabe zwischen den Arbeiter/-innen eingereiht direkt am Werkstück wahr. Sie repräsentieren darüber hinaus den Fortbestand der vergeschlechtlichten Arbeitshierarchien. Während Arbeiter und Arbeiterinnen in der Montage offensichtlich die gleichen Tätigkeiten ausüben, sind die beiden Vorgesetzten im Bild Männer.

I NDUSTRIEFOTOGRAFIE IN DER DDR: G AB ES DER SOZIALISTISCHEN R ATIONALISIERUNG ?

EIN

B ILD

Der Soziologe Klaus Türk hält in seiner übergreifenden Untersuchung über Bilder der Arbeit fest, dass sich die Industriebilder, sowohl Kunstwerke als auch Fotografien, der Bundesrepublik und der DDR sehr ähnlich waren. Dies gelte für Portraits der „kleinen Helden der Arbeit“ wie für die grundsätzliche Fortschrittsgläubigkeit. Illustrationen aus der DDR wären in westlichen Firmenschriften keinesfalls aufgefallen.125 Türks Thesen decken sich mit dem bisherigen Ergebnis, dass sich die Ikonographie der Industriearbeit im 20. Jahrhundert allenfalls allmählich gewandelt hat. Auch in unterschiedlichen politischen Systemen glich sich zumindest in wichtigen Grundsätzen der Blick auf die Fabrikarbeit. Ebenso wenig wie sich in der DDR eine neue Fabrikarchitektur oder eine völlig neue Arbeitsorganisation entwickelte, gab es einen vollständigen Bruch der Fotografen und Fotografinnen mit bildlichen Konventionen. Es gilt zu fragen, inwieweit sich auch in Fotografien die Themen des Sozialistischen Realismus aus der bildenden Kunst widerspiegelten. Die Arbeitswelt der Bilder des Sozialistischen Realismus waren in der DDR wie in der Sowjetunion hauptsächlich von zwei Themen bestimmt: dem Portrait des Arbeiters, der nun Eigentümer war, und dem Gruppenbild der selbstbestimmten Arbeiterbrigade.126 Regine Schiermeyer legt in ihrer Studie zu den Betriebsfotogruppen in der DDR nahe, dass auch die Fotografie diesem Leitbild folgte. Bis in die späten siebziger Jahre hätten idealtypische Darstellungen von Arbeitern und Arbeiterinnen in den Betrieben der DDR überwogen, erst danach sei ein „deutlicher Trend vom Idealbild zum Abbild“ zu erkennen.127 Die Wortwahl erscheint hier unreflektiert, da der Begriff „Abbild“ die Vorstellung impliziert, es gäbe ein nicht-inszeniertes Betriebsfoto. Die grundsätzliche Entwicklungslinie weg von der Inszenierung idealtypischer Arbeiter hin

125 Türk: Bilder, 2000, S. 334f. 126 Vgl. Gillen: Gesellschaft, 2000, S. 104. 127 Schiermeyer: Gold, 2011, Abschnitt 13.



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zu der bildlichen Betonung individueller Züge erscheint aber durchaus stimmig. An ihren Quellen, prämierten Fotos der Betriebsfotogruppe der Stahl- und Walzwerke Riesa, kann Schiermeyer diese These überzeugend belegen. Allerdings scheint fraglich, inwieweit sich dieses Ergebnis für die Industriefotografie in der DDR insgesamt verallgemeinern lässt. Das bisherige Bildmaterial dieses Kapitels zeigt, dass es der Industriefotografie auch in der Bundesrepublik und in den anderen Staatsformen des 20. Jahrhunderts nicht um Portraits ging. Matz hat zu Recht betont, dass Menschen nie im Mittelpunkt der Industriefotografie standen und auch nicht ihr Thema waren. Von Beginn der Industriefotografie an wurden Menschen in der Fabrik fotografiert, im Zentrum standen jedoch stets die Unternehmen und nicht Individuen.128 Die Darstellung von Idealtypen bei Einzelaufnahmen von Arbeitern war ebenfalls kein Spezifikum der Betriebsfotografie in der DDR, wie bereits gezeigt wurde (vgl. Abb. 11, 17).129 Ein Foto aus der Festschrift der VEB Spinndüsenfabrik Gröbzig, die zum 75. Jubiläum des Vorgängerunternehmens im Jahr 1967 erschien, steht deutlich in der Kontinuität der fotografischen Tradition. Aus leicht erhöhter Position wurde in diagonaler Perspektive ein Arbeitsraum fotografiert. Das Bild zeigt einen langen Arbeitstisch, an dem zu jeder Seite etwa zehn Arbeiterinnen sitzen. Die Frauen tragen über individuellen Blusen uniforme weiße Kittelschürzen. Die Kamera erfasst die erste Reihe von schräg hinten, die gegenüber sitzenden Arbeiterinnen seitlich von vorne. Parallel hinter ihnen ist eine Wand zu sehen, an der sich fünf Fenster aneinander reihen, jeweils mit Vorhängen zwischen ihnen; unten den Fenstern befinden sich Heizkörper. Über die Höhe des Raums gibt das Bild keine Auskunft. Vor den Fenstern stehen einige Pflanzen, am linken Bildrand ist der Ausschnitt eines an der Wand hängenden Kalenders zu sehen. Der Raum wirkt hell und freundlich.

128 Vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 53, 63. 129 Mühlberg weist auf eine Fotoserie des Fotografen Yousuf Karsh bei Ford Kanada in den fünfziger Jahren hin, für die gezielt Arbeiter ausgesucht wurden, die von der Personalabteilung als charakterlich gut kategorisiert wurden, vgl. Mühlberg: Rekonstruktionsversuch, 2004, S. 154.

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Abbildung 22: Arbeiterinnen des VEB Spinndüsenfabrik Gröbzig.

Quelle: VEB Spinndüsenfabrik Gröbzig, Hg.: 75 Jahre, 1967, o.P.

Die eng nebeneinander sitzenden Arbeiterinnen nehmen alle grundsätzlich die gleiche Pose ein. Vor ihnen auf dem Tisch steht jeweils ein Arbeitsgerät, an dem ein Mikroskop angebracht ist. Die Augenpartie liegt auf dem Mikroskop auf, die Hände nehmen Einstellungen an dem Gerät vor. Ellenbogen oder der ganze Unterarm liegen dabei auf dem Arbeitstisch auf. Die Gesichter sind aufgrund der Tätigkeit nicht zu erkennen, der Eindruck einer gleichförmigen Konzentration aller Arbeiterinnen herrscht vor. Die Betonung der konzentrierten Qualitätsarbeit liegt nahe: In der Gröbziger Fabrik wurden winzige Düsen gefertigt, zum Teil nur Bruchteile von Millimetern groß, die in der Chemiefasererzeugung eingesetzt wurden. Die Arbeiterinnen dieses Fotos sitzen an Bohrmaschinen zur Herstellung derartiger Düsen. Bemerkenswert an dieser Aufnahme ist, dass nicht eine einzelne Arbeiterin bei die-



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ser feinmechanischen Tätigkeit zu sehen ist.130 Die Aussage des Bildes zielt folglich weniger auf die Qualität der einzelnen Tätigkeit denn auf ihre Serialität, die durch die technische Ausstattung, die Organisation der Arbeit und die räumlichen Bedingungen ermöglicht wird. Das Geschlecht der Beschäftigten scheint für die Aussage des Fotos keine Rolle zu spielen, allerdings ist die Anzahl der Pflanzen in dem Raum ein Hinweis darauf, dass hier gezielt ein Arbeitsraum für Frauen eingerichtet wurde.131 Außerdem lässt sich, obwohl Generalisierungen diesbezüglich nur vorsichtig zu tätigen sind, davon ausgehen, dass in einer Abteilung mit männlichen Arbeitern eine kleinere Gruppe für das Motiv gewählt worden wäre, um die Qualität der einzelnen Tätigkeit stärker zu betonen (vgl. Abb. 11).132 Facharbeit zeichnet sich ikonographisch auch dadurch aus, dass sie vereinzelt wird, als etwas Besonderes wirkt; serielle Tätigkeiten erwecken dagegen nicht den Eindruck, von einer besonderen Qualifikation zu zeugen, da sie von allen Abgebildeten gleichermaßen beherrscht werden. Die Gegenüberstellung des Fotos aus der Spinndüsenfabrik mit einer 16 Jahre später publizierten Abbildung soll Hinweise zur Beantwortung der von Schiermeyer aufgeworfenen Frage geben: Fand um 1980 ein Bruch der visuellen Repräsentation von Fabrikarbeit statt? Im Gegensatz zu Schiermeyer möchte ich mich nicht mit Einzeldarstellungen von Arbeitern bzw. Arbeiterinnen beschäftigen, sondern ein zweites Foto eines Arbeitssaals heranziehen. Es handelt sich um eine gänzlich andere Branche – Bekleidung –, die Aufnahme weist aber, abgesehen davon, dass sie farbig ist, einige Ähnlichkeiten zur Spinndüsenfabrik auf. Im VEB Strumpfkombinat wurden wiederum sitzende Arbeiterinnen vor einer Fensterfront aus leicht erhöhter Perspektive fotografiert. Der zusätzlich von Leuchtstoffröhren über den Arbeiterinnen erleuchtete Raum ist ebenfalls sehr hell, die Vorhänge sind sogar zugezogen. Wir blicken auf sechs Arbeiterinnen, die an kleinen Einzeltischen an der Fensterwand mit dem Gesicht zur Kamera sitzen. Erneut ist der Blick gleichförmig konzentriert auf das Arbeitsgerät gerichtet, beide Hände führen den Strumpf an der Maschine. Die Tätigkeit selbst ist im Detail nicht zu erkennen. Die Bildbeschriftung gibt einen Hinweis darauf, dass wir es mit einer stark arbeitsteiligen, recht monotonen Beschäftigung zu tun haben: Das Foto wurde in der Produktionsabteilung „Heften“ angefertigt; vermutlich heften die Frauen also die Strümpfe paarweise mit der Nähmaschine zusammen.

130 Bezeichnend sind drei weitere Fotografien in der Festschrift, die Bohrmaschinen bei der Benutzung zeigen. Die Arbeiterinnen sind dabei jeweils nur mit Teilen des Gesichts zu sehen, die Bildbeschriftung hebt allein auf das Gerät ab, nicht auf die Tätigkeit. 131 Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 3. 132 Vgl. Dölling: Bewußtsein, 1993, S. 35.

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Abbildung 23: „PA [Produktionsabteilung] 3.2 Gelenau: Heften. Im Bild u.a. die Kolleginnen Anneliese Klang und Marianne Thoß“.

Quelle: VEB Gelkida Gelenau, Hg.: 30 Jahre, 1983, S. 40.

Eine fotografische Herausarbeitung der Subjektivität der Arbeiterinnen ist nicht festzustellen. Gleichwohl zeigt das Foto nicht die kollektive Gleichförmigkeit der Spinndüsenfabrik. Der Wandel fand weniger in der Inszenierung des Bildes als vielmehr im Arbeitsraum selbst statt: Die Näherinnen waren individuell gekleidet und ihr Arbeitsplatz bestand aus einem eigenen kleinen Tisch, der deutlich mehr Abstand zu den Kolleginnen hatte (und auch deutlich mehr als bei Krawatten Bauer, einem Betrieb der gleichen Branche in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, vgl. Abb. 20). Darüber hinaus fällt die individuelle Gestaltung des eigenen Arbeitsplatzes ins Auge. Die zweite Näherin hat einen Wimpel über den Tisch gehängt. Der Wandabschnitt neben den Arbeiterinnen wurde jeweils unterschiedlich mit Fotos geschmückt. Es geht mir nicht darum, diese Details zu Freiräumen der subjektiven Selbstentfaltung zu überhöhen. Dennoch lässt sich festhalten, dass eine solche Gestaltung des Arbeitsraums in den fünfziger Jahren in beiden deutschen Staaten undenkbar gewesen wäre. Im Gegensatz dazu beruhte die in den Stätten deutscher Arbeit beschriebene vermeintlich vorbildliche psychologische und ästhetische Gestaltung bei Krawatten Bauer auf dem Prinzip der Einheitlichkeit: Die Arbeitsplätze



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dort waren austauschbar. Auffällig ist überdies im VEB Strumpfkombinat, dass die Bildbeschriftung zwei Arbeiterinnen beim Namen nennt, was durchgehend in dieser Festschrift der Fall ist. Diese beiden Bilder von Arbeiterinnen erlauben keine Antworten auf die Fragen, die Susanne Regener zu Recht von der Forschung zur Betriebsfotografie in der DDR erwartet: Wurden Arbeiterinnen bewusst als Gegenbild zu den Geschlechterverhältnissen in der Bundesrepublik fotografiert? Zeigen Arbeiterinnenfotos aus der DDR wirklich Zeichen einer erfolgreichen Gleichstellung der Frauen?133 In der Festschrift des VEB Strumpfkombinat fällt ein Foto bereits wegen seines Formats auf. Es zeigt eine Aufnahme von 1959, eine Wirkmaschine in der Kunstfaserabteilung im extremen Querformat. Die Wirkmaschine wurde auf Augenhöhe mit den beiden abgebildeten Personen in diagonaler Perspektive aufgenommen. Die Maschine erstreckt sich über die gesamte Breite des Bildes, dennoch ist sie nicht vollständig abgebildet. Vor einer Fensterfront am rechten Bildrand steht eine Arbeiterin, die die Bildbeschriftung als Aufstoßerin Anna Kroner benennt. In der Mitte des Bildes befindet sich ein Mann, der Strumpfwirker Paul Hofmann, nicht weit von der Position der Kamera entfernt. Beide stützen sich mit den Händen auf der Maschine ab, Hofmann ist nur von hinten zu sehen, Kroner in größerer Entfernung von der Seite. Abbildung 24: „Ein Bild aus dem Jahre 1959: Strumpfwirker Paul Hofmann und Aufstoßerin Anna Kroner arbeiten in der Dederon-Abteilung an der 45-gg-Cottonfußwirkmaschine.“

Quelle: VEB Gelkida Gelenau, Hg.: 30 Jahre, 1983, S. 9.

Die Größe der Maschine macht den Kern der Bildaussage aus. Unterschiede in den Tätigkeiten der Arbeitenden lassen sich aus diesem Foto nicht ableiten; sie stehen in ähnlicher Haltung an der Maschine. Gleichwohl steht der gesichtslose Arbeiter im Zentrum des Bildes, scheint den Blick auf die Kollegin gerichtet zu haben und gleichzeitig mit beiden Händen die Maschine zu kontrollieren. Die Arbeiterin steht verschwindend klein und wegen des starken Lichteinfalls etwas verschwommen am 133 Vgl. Regener: Bilder, 2004, S. 21.

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Rande des Bildes. Diese visuelle Aussage deckt sich mit den sozialen Gegebenheiten: Der Strumpfwirker war ein Facharbeiter, während die Aufstoßerin als Hilfsarbeiterin beschäftigt wurde. Die Frage der Kontinuität der Geschlechterhierarchien am Arbeitsplatz in der DDR wird im Kapitel 6 nachzugehen sein. Fotos wie dieses lassen gewiss keine allgemeingültigen Schlüsse zu, geben aber ein alltägliches Korrektivbild zu den populären Propagandaaufnahmen von Traktoristinnen134 in der direkten Nachkriegszeit.135

A RBEITERFOTOGRAFIE : E IN

ANDERER

B LICK ?

Bisher wurden Fotografien besprochen, die vom jeweiligen Unternehmen in Auftrag gegeben wurden bzw. im Falle der Schriftenreihen Musterbetriebe deutscher Wirtschaft und Stätten deutscher Arbeit mit dem Unternehmen abgestimmt waren. Ohne Genehmigung des Unternehmens durfte in den Fabriken nicht fotografiert werden, auf die Einhaltung dieses Verbots wurde streng geachtet.136 Dennoch gibt es einige Aufnahmen, die dem Genre der Arbeiterfotografie zugerechnet werden, die entweder heimlich von Arbeitern oder von hereingeschmuggelten bzw. unter falschen Angaben ins Werk gelangten Fotografen erstellt wurden. Teile der Forschung verbinden mit diesen Fotografien die Hoffnung, einen anderen Blick auf die Fabrikarbeit sehen zu können. Sah aber, wie Rudolf Stumberger behauptet, das „Auge des Arbeiters“ wirklich andere Dinge als „das Auge des Fabrikanten“?137 In den zwanziger Jahren wurden Fotoapparate handlicher sowie nach und nach erschwinglich für breitere Schichten der Bevölkerung. Die Kleinbildkamera Leica kostete zwar bei ihrer Einführung 1925 immerhin 500 Reichsmark, wofür ein Arbeiter oder eine Arbeiterin etwa zwei bis drei Monate arbeiten musste.138 1930 kostete die Box-Camera von Agfa nur noch einen Bruchteil dessen, was binnen weniger Jahren zu drei Millionen verkaufen Apparaten führte.139 Fotografieren war je134 In Illustrierten der fünfziger Jahre waren Fotos von Traktoristinnen und Frauen an der Werkbank weit verbreitet, vgl. Budde: Frauenbilder, 1997, S. 252f. 135 Ina Merkels hat in ihrer Untersuchung von Illustrierten, Plakaten und anderen öffentlichkeitswirksamen Bildern in der DDR der fünfziger Jahre ebenfalls festgestellt, dass bildliche Inszenierungen arbeitenden Frauen oft Qualitäten absprachen, die Männern zugesprochen wurden. Während männliche Tätigkeiten als Wertarbeit dargestellt wurde, betonten Fotografien von Frauen deren Fleiß, vgl. Merkel: Frau, 1990, S. 43; vgl. Budde: Heldinnen, 1999. 136 Vgl. Lüdtke: Industriebilder, 1993, S. 421. 137 Stumberger: Klassen-Bilder, 2007, S. 218. 138 Vgl. ebd., S. 132. 139 Vgl. Günter: Fotografie, S. 85.



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doch auch ohne eigene Kamera möglich. Am Ende der zwanziger Jahre fotografierten etwa 30.000 Arbeiter/-innen, die zum Teil in der Arbeiterfotografenbewegung organisiert waren. Das Motiv lag jedoch überwiegend im familiären Bereich, Fotografien aus den Fabriken blieben rar. Funktionäre der KPD gründeten 1926 die Vereinigung der Arbeiterfotografen Deutschlands (VdAFD), die später eine Mitgliederzahl von etwa 2.400 erreichte.140 Die Charakterisierung des Vereins ist umstritten: Die zentralen Posten waren von Parteimännern besetzt, weshalb Hesse von einer „KPD-Vorfeldorganisation“ spricht.141 Kerbs stimmt zwar der Einschätzung zu, die Vereinszentrale sei von der Partei gesteuert gewesen, verweist aber auf die „Eigendynamik“ der lokalen Arbeiterfotografengruppen. Deshalb sei es gerechtfertigt, die Vereinigung als „selbstständige[] Bewegung“ einzustufen; gleichwohl stimmte die Masse der Fotografen mit der Parteilinie überein.142 Als sozialdemokratische Antwort auf die kommunistische Arbeiterfotografenvereinigung wurde der Arbeiter-Lichtbild-Bund gegründet. Die Zeitschrift des Bundes erschien allerdings nur kurzzeitig, ihr Erscheinen wurde 1931 eingestellt. 143 Wesentlich erfolgreicher waren die bereits existierenden kommunistischen Periodika, mit denen diese Zeitschrift konkurrierte. Die Mitgliederzeitschrift Der ArbeiterFotograf erschien bereits vor dem Gründungstreffen der VdAFD, die Höchstauflage erreichte 7000 Exemplare. Von Beginn an lässt sich eine Lenkung durch die bereits etablierte Publikumszeitschrift Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) feststellen; beide Zeitschriften erschienen im Neuen Deutschen Verlag Willi Münzenbergs, der dem Zentralkomitee der KPD angehörte.144 Die AIZ ging 1925 aus Vorläufern hervor, die seit 1921 kommunistischen Bildjournalismus betrieben, und wurde schließlich mit einer Auflage von einer halben Million Exemplaren zur zweitgrößten Illustrierten der Weimarer Republik.145 Aufgrund der beschriebenen Schwierigkeiten zeigten auch diese Publikationen kaum Fotografien aus Fabriken. In wenigen Fällen gelang es jedoch, die Kontrollen der Unternehmen zu umgehen. Solche Aufnahmen wurden dann häufig, wie in den beiden hier vorzustellenden Beispielen, jeweils in beiden Zeitschriften publiziert. Eine Arbeiterfotografie im engeren Sinne war die Aufnahme, die der Dreher Theo Gaudig 1927 von sich selbst in der Nachtschicht an der Spindeldrehbank in der Gussstahlfabrik Krupp machte. Gaudig war in der Werkzeugabteilung des Weichenbaus beschäftigt und nahm heimlich zu einer Nachtschicht die Kamera mit, um sich per Selbstauslöser an der Bank zu fotografieren. Gaudig hatte das Foto nach 140 Vgl. Lüdtke: Industriebilder, 1993, S. 422. 141 Hesse: Blick, 2010, S. 54. 142 Kerbs: Botschaften, 2004, S. 54. 143 Vgl. Boström: Arbeiterfotografie, 1986, S. 367f. 144 Vgl. Büthe u.a.: Arbeiter-Fotograf, 1978, S. 39. 145 Vgl. Stumberger: Klassen-Bilder, 2007, S. 125f.

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eigener Darstellung angefertigt, um seiner Familie und seinen Freunden seine Arbeit zu zeigen. Redakteure der AIZ brachten ihn jedoch dazu, dass Foto veröffentlichen zu lassen. Es wurde in der hier abgebildeten Version 1928 in Der ArbeiterFotograf veröffentlicht und zierte in einem Ausschnitt, der auf Gaudig fokussiert war und den Arbeitsraum herausschnitt, das Titelbild der AIZ im Januar 1929. 146 Abbildung 25: Selbstporträt von Theo Gaudi an seinem Arbeitsplatz bei Krupp, Essen 1927.

Quelle: Archiv Ernst Schmidt/Fotoarchiv Ruhr Museum.

Das vollständige Foto zeigt Gaudig im Zentrum des Bildes hinter der Drehbank. Er ist bis zur Brust von der Drehbank verdeckt, sein Gesicht ist im Profil zu sehen. Über der Bank strahlt eine kleine Lampe auf die Arbeitssituation. Gaudig hat mit Blitz fotografiert, dennoch fällt im Gegensatz zu den professionellen Werksfotos die geringe Beleuchtung auf. Auf seiner rechten Wange und auf seiner Stirn zeichnen sich Schatten ab. Der Hintergrund des Raumes ist nicht deutlich zu erkennen; wenige Meter hinter Gaudig zeichnet sich eine Wand ab, an der man einige Kabel oder Werkzeuge erahnen kann. Dass er sich bei der Arbeit befindet, wird auch dadurch deutlich, dass sich unter der Drehbank Metallspäne angehäuft haben. Gaudigs Körper nimmt nur etwa ein Zwanzigstel der Bildfläche ein; weiterhin wird der Blick auf die hellen Flächen in seiner Umgebung gelenkt: die Lampe und der das Licht reflektierende Teil der Drehbank. Rechts neben der Drehbank sind die Rie-

146 Vgl. Lüdtke: Industriebilder, 1993, S. 423ff.



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men des Transmissionsantriebs zu erkennen, die schräg hinten zur Decke führen. Der größte Teil des Fotos zeugt von einem dunklen Arbeitsraum, in dem kein weiterer Mensch zu sehen ist. Alf Lüdtke hat die Hoffnungen zurückgewiesen, in der Amateur- oder Arbeiterfotografie seien uncodierte Bilder zu finden.147 Gerade am Beispiel Theo Gaudigs sieht Lüdtke den Beleg dafür, dass Vorstellungen von „Qualitätsarbeit“ gleichermaßen den Industriefotografen im Auftrag des Unternehmens wie den heimlichen Arbeiterfotografen bei der Bildproduktion angeleitet hätten. Zu sehen sei ein erfahrener Arbeiter, dessen Wertarbeit zu einer hohen Produktqualität führe. 148 Diese Gleichsetzung überzeugt in erster Linie in Bezug auf das Titelbild der AIZ, das nur den Ausschnitt des Fotos zeigt, der im Blitzlichtkegel ist und zudem darunter den Schriftzug „Wenn Dein starker Arm es will …“ gesetzt hat. Dieses Zitat aus dem Bundeslied des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins sollte auf die latente Macht der organisierten Arbeiterschaft verweisen. In diesem Sinne ist Lüdtke zuzustimmen: Der Held der Arbeiterklasse ähnelte tatsächlich dem „disziplinierte[n] und gefügige[n]“ Mitglieder der Werksgemeinschaft.149 Der größere Originalabzug jedoch, der in Der Arbeiter-Fotograf wiedergegeben wurde, unterscheidet sich stärker von den Bildern der Industriefotografie. Der Unterschied betrifft weniger den abgebildeten Arbeiter als den Arbeitsraum. Dieser wirkt dunkel und unfreundlich. Der Qualitätsarbeiter der Industriefotografie hingegen nimmt in Einzeldarstellungen stets einen größeren Teil des Bildraums ein, zumeist füllen Maschinen, Produkt und Arbeiter einen großen Teil des Bildes (vgl. Abb. 17). Insbesondere in der Frühphase der Industriefotografie waren auch Bilder üblich, in denen die Arbeiter neben den monumentalen Maschinen geradezu verschwanden. Bei Gaudigs Foto passiert etwas anderes: Der Raumeindruck ist ungeordnet, dunkel und vielfältig. Es gibt keine gut ausgeleuchteten Wunder der Technik zu sehen, weder durch Raumlinien im Foto sichtbar gemachter Arbeitsfluss, noch Zeichen eines angenehmen Arbeitsraums mit entsprechender Atmosphäre sind zu erkennen. Lüdtkes Gleichsetzung ist also nur dann zutreffend, wenn das Foto als

147 Vgl. Lüdtke: Kein Entkommen, 2004, S. 232f. 148 Vgl. Lüdtke: Industriebilder, 1993, S. 425. 149 Vgl. ebd., S. 426. Ähnliche Bilder von Arbeitern brachte die kritische sozialdokumentarische Fotografie in den USA hervor, deren bekanntester Protagonist Lewis W. Hine war. Während Hine in der Vorkriegszeit das Elend der Kinderarbeit fotografisch festhielt, zeigten seine Arbeitsfotografien der Zwischenkriegszeit nicht mehr soziale Opfer, sondern „gesellschaftliche[] Helden des Alltags“, vgl. Stumberger: Klassen-Bilder, 2007, S. 58. Brown betont, dass damit kein politischer Wandel des Fotografen einherging; er blieb liberal. Allerdings war der amerikanische Liberalismus in der Nachkriegszeit korporativistisch orientiert, vgl. Brown: Corporate Eye, 2005, S. 158.

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das Portrait eines Arbeiters betrachtet wird, was in der größeren Version des Fotos kaum möglich ist. Dennoch müssen – zumeist ältere – Positionen der Forschung zurückgewiesen werden, die betonen, die Arbeiterfotografen hätten im Gegensatz zur „bürgerlichen Fotografie“ den „werktätigen Menschen“ mit ihren Bildern in den Mittelpunkt rücken wollen.150 Sehr ähnlich charakterisierte auch der ehemalige kommunistische Arbeiterfotograf Erich Rinka die Tätigkeit seiner Gruppe: „Wir stellten den arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt unserer fotografischen Bemühungen.“151 Wie im nächsten Kapitel zu zeigen sein wird, war auch diese rhetorische Figur vom „Menschen im Mittelpunkt“ weit verbreitet unter Arbeitswissenschaftlern und Managern. Die Darstellung fotografierter Arbeiter/-innen konnte sich ebenfalls trotz der unterschiedlichen politischen Intentionen von Arbeiterfotografie und offizieller Betriebsfotografie im Sinne Lüdtkes gleichen. Kulturelle Repräsentationsformen waren offensichtlich dermaßen wirkungsmächtig, dass auch kritische Darstellungen nur den Typus des Arbeiters und keine Persönlichkeiten am Arbeitsplatz zeigten.152 Das hängt nicht nur mit bildgestalterischen Konventionen zusammen, sondern auch damit, dass die Arbeitenden ohne äußeren Zwang auf offiziellen Industriefotos eine Gestik und Mimik annahmen, die der gewünschten Pose des Qualitätsarbeiters entsprach.153 Hesses Annahme, die Arbeiterfotografie sei vor allem deshalb wertvoll, weil sie den Eigen-Sinn der Fotografierten zeigte, 154 setzt voraus, dass die Industriefotografie kein eigen-sinniges Verhalten zeigen könne. Dass dies sehr wohl der Fall sein konnte, wurde bereits anhand von Beispielen besprochen. Im Gegenteil lässt sich behaupten, dass eigen-sinniges Verhalten nur dort auftreten kann, wo Herrschaft ausgeübt wird. Arbeiterfotografie war jedoch nur in unbeobachteten Momenten möglich, in denen Instanzen der betrieblichen Herrschaft für einen gewissen Zeitraum abwesend waren. Den Quellenwert der Arbeiterfotografie möchte ich vielmehr in einer Motivauswahl sehen, die sich stark von derjenigen der offiziellen Industriefotografen unterscheidet und niemals in Unternehmenspublikationen veröffentlicht worden wäre. Dafür soll ein weiteres Foto herangezogen werden, das sowohl im ArbeiterFotograf wie in der AIZ veröffentlicht wurde. Es handelt sich um ein Bild einer Serie, die illegal bei Osram in Berlin fotografiert wurde. Der ehemalige Arbeiter Eugen Heilig, der inzwischen als Redakteur für die AIZ tätig war, wurde von einem Osram-Arbeiter heimlich mit ins Werk genommen.155 Das hier zu besprechende 150 Scholz: Fotografie, 1985, S. 170. 151 Zitiert nach Boström: Arbeiterfotografie, 1986, S. 359. 152 Vgl. Bieger-Thielemann: Albert Renger-Patzsch, 1995, S. 80. 153 Vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 53. 154 Hesse: Amateur, 2009, S. 21. 155 Vgl. Stumberger: Klassen-Bilder, 2007 S. 133; Heilig/Heilig (Hg.): Eugen Heilig, 1996.



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Bild zeigt die Presserei der Batteriefabrik, in der ausschließlich Frauen arbeiteten. Die Bildbeschriftung in der AIZ verweist darauf, dass die Arbeit „sehr schwer“ sei und dass das „gleichzeitige Anreißen zweier Hebel […] Unterleibskrankheiten“ verursache.156 Die Bildunterschrift im Arbeiter-Fotograf lautete schlicht „Akkord im Dreck“. Abbildung 26: „Akkord im Dreck“, 1930. Fotograf: Eugen Heilig.

Quelle: Galerie Arbeiterfotografie, Köln.

Aus Augenhöhe fotografiert sehen wir in Nahaufnahme eine Frau im Profil von der Hüfte aufwärts. Sie trägt eine weiße, schmutzig gewordene Bluse mit hochgeschobenen Ärmeln und ein Kopftuch. Ihre rechte Hand ist gestreckt oben am Hebel der Presse, die linke Hand arbeitet unten an der Presse; ihre Augen sind auf diese Tätigkeit gerichtet. Über der Frau leuchtet eine kleine Lampe, der Blitz leuchtet sie und ihre Presse gut sichtbar aus, der Rest des Raumes ist unklar zu erkennen. Hintereinander stehen drei weitere Pressen, deren Hebel in der gleichen Position sind. Hinter der Arbeiterin steht eine weitere Person in ähnlicher Position. Etwas undeutlich am linken Bildrand steht eine Frau, deren Kopftuch und Handrücken zu erkennen sind; der Hebel befindet sich gerade in der Position, die ihr Gesicht verdeckt. Nur die Gesichtszüge der ersten Arbeiterin sind zu sehen: Sie wirkt eher erschöpft denn müde. Der Text in der AIZ lässt die Leser/-innen wissen, dass die Frauen eine 156 Die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung, 1930, H. 25.

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Graphitmischung in Zylinderform um einen Kohlestift pressen. Es war also nicht eine etwaige neue Bildsprache des arbeitenden Menschen, die die Arbeiterfotografie entworfen hätte. Stattdessen veröffentlichten die Arbeiterfotografen Bilder, die sonst nicht zu sehen waren: Die Fabrik als Ort des Schmutzes und der Erschöpfung. Weder die Rationalität noch die Schönheit der Arbeit zeigen sich auf diesen Fotos. Nach der Zerschlagung durch den Nationalsozialismus gab es in der Bundesrepublik erst in den siebziger Jahren eine „Wiederentdeckung und sogar Wiederbelebung der Arbeiterfotografie“.157 Nun handelte es sich allerdings weder um Arbeiter wie Gaudig, noch um ehemalige Arbeiter, wie Heilig, sondern zumeist um Studierende, die eine „fotografische Parteinahme für den Arbeiter“ für sich geltend machten.158 Ein solches studentisches Projekt der Fachhochschule Bielefeld stellte seine Ergebnisse 1976 in einer Publikation vor. Die selbsternannten Arbeiterfotografen wurden in verschiedenen Betrieben Ostwestfalens, in denen sie unter der falschen Angabe der Ausbildung ihrer fotografisch-technischen Fähigkeiten fotografierten, durchaus mit Skepsis der Arbeiter/-innen konfrontiert. Eine Arbeiterin fragte direkt in einem schriftlichen Kommentar nach der Ausstellung der fotografischen Ergebnisse: „Warum wollt ihr ‚den Arbeiter‘ am Arbeitsplatz in der Öffentlichkeit, also denen vorweisen, die selber keine Arbeiter sind und es auch meist nicht sein wollen?“159 Ein Arbeiter eines anderen Werkes lehnte das Angebot ab, Abzüge der ihn zeigenden Fotos zu bekommen: Er habe kein Interesse an Fotos von seiner Arbeit, er bevorzuge zuhause Familienfotos.160 Gleichzeitig bekam eine Gruppe der „Arbeiterfotografen“ von unerwarteter Seite Beifall. Dem Betriebsleiter gefielen insbesondere die Härte der Arbeit, die Konzentration der Arbeiter und ein Foto lachender Arbeiter: „Spaß muß auch sein … wegen der anstrengenden Arbeit“.161 Auch diese mit kritischer Intention aufgenommen Fotos überschnitten sich also in Bezug auf die Repräsentation von Qualitätsarbeit (Härte, Konzentration) mit den Vorstellungen des Unternehmens. Gleichzeitig war selbst das vermeintlich eigen-sinnige oder abweichende Verhalten der lachenden Arbeiter etwas, was für den Betriebsleiter zum Konzept seiner Fabrik gehörte: Die rationelle Produktion benötigte sogar eine menschliche Atmosphäre („Spaß muß sein“), um zu funktionieren. Dennoch zeigten einige Fotos durchaus einen kritischen Blick auf die Produktion, der sich grundlegend von der Industriefotografie unterschied. In einer Büromaschinenfabrik fotografierten die Studenten Jochen Neuweg und Michael Rokahr eine Arbeiterin an einer halbautomatischen Bohrmaschine. Drei Fotos wurden zu ei157 Kerbs: Botschaften, 2004, S. 48. 158 Boström u.a.: Rationalisierung, 1976, S. 5. 159 Ebd., S. 45. 160 Ebd., S. 164. 161 Ebd., 1976, S. 131.



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ner Serie angeordnet. Unter einem großen Foto sind zwei kleine Fotos der gleichen Situation zu sehen, die wenige Momente später aufgenommen wurden, sowie ein erläuternder Text, der darauf hinwies, dass die Arbeit „stark belastend“ sei, weil sich dieselben Handgriffe im Takt weniger Sekunden wiederholten.162 Das Foto zeigt im Zentrum die Arbeiterin vor der Bohrmaschine. Ihre Augen sind auf ihre rechte Hand gerichtet, die gerade den Hebel der Bohrmaschine betätigt, während ihre linke Hand auf dem Hebel des gegenüberliegenden Schraubstocks liegt, der das zu bohrende Werkstück fixiert. Zwischen den beiden Geräten liegt eine Schachtel mit weiteren Werkstücken. Die beiden kleinen Fotos suggerieren uns, dass sie den vollständigen Arbeitsprozess zeigen: Zunächst greift die rechte Hand ein Werkstück aus der Schachtel, dann fixiert sie es im Schraubstock. Danach geht der Vorgang im großen Bild weiter. Abbildung 27: „Griechische Arbeiterin an einer halbautomatischen Bohrmaschine. Eine stark belastende Arbeit. Dieselben Handgriffe wiederholen sich alle paar Sekunden.“ Fotografen: Jochen Neuweg/Michael Rokahr.

Quelle: Boström u.a.: Rationalisierung, 1976, S. 18.

162 Ebd., S. 18.

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Diese Bildfolge zeigt die sonst nur aus Filmen wie Chaplins Modern Times bekannte Monotonie der rationalisierten Produktion. Die nach unten gerichteten Augen der Arbeiterin wirken geradezu geschlossen, was das Moment der Eintönigkeit noch stärker betont. Auch die Industriefotografie versuchte hin und wieder Bewegung zu zeigen. Dabei ging es aber in der Regel um den Fluss eines Produkts durch die verschiedenen Arbeitsstationen. Die Auswirkungen des Produktionsflusses auf die Arbeiter/-innen hingegen fanden in der offiziellen Fotografie keinen Platz. Das fotografische Bild der Fabrikarbeit war im 20. Jahrhundert insgesamt von einer starken Kontinuität geprägt. Die Wirkungsmächtigkeit der Repräsentationsmuster sorgte auch dafür, dass die Arbeiterfotografie kein Bild zeigen konnte, dass sich vollständig von der Industriefotografie im Auftrag der Unternehmen unterschieden hätte. Allerdings konnte die Arbeiterfotografie Motive einfangen, die sonst ungezeigt blieben: Während die Industriefotografie die Fabrik zumeist als „humanen Lebensort“ darstellte,163 lagen die Interessen der Arbeiterfotografen anders. Fabriken konnten düstere Räume sein, die Arbeit dreckig oder monoton. Der Mensch stand hingegen in beiden Formen der Fotografie im Mittelpunkt, sofern Arbeitssituationen gezeigt wurden. Es handelte sich jedoch stets um Menschen in einer Funktion: sei es als wichtiges Element des rationellen Produktionsprozesses oder als widerständiges und dabei stolzes Opfer der Produktionsverhältnisse. Dabei glichen sich vor allem die (Selbst-)Darstellungen der männlichen Facharbeiter. Hingegen zeigen einige Fotos in Firmenpublikationen bei genauerer Analyse ein anderes Bild von der Ordnung der Fabrik als in der Forschung wahrgenommen wird.164 Fluss, Disziplin und Ordnung bestimmen das Bild des Arbeitsplatzes nicht vollständig. Vielmehr scheinen durchaus innerhalb des Produktionsprozesses Freiräume auf, die gleichwohl für das Unternehmen nutzbar waren. In diesem Sinne konnte das eigen-sinnige Verhalten der Arbeiter/-innen – abschweifende Blicke, Gespräche und ähnliches – mit den Interessen des Unternehmens konvergieren. Folglich fanden solche Abbildungen auch ihren Weg in die Veröffentlichungen der Firmen. In den folgenden Kapiteln wird es darum gehen, sowohl arbeitswissenschaftliche Konzepte als auch betriebliche Praktiken zu untersuchen, an denen sich das Verhältnis von Disziplinierung und Freiräumen der Arbeiter/-innen aufzeigen lässt.

163 Matz: Industriefotografie, 1987, S. 71. 164 Matz hat vor allem die sozialdisziplinierende Wirkung der Industriefotos auf die Arbeiter selbst hervorgehoben, vgl. ebd., S. 111ff.





3. „Schafft Lebensraum in der Fabrik!“ Funktionalität und Ästhetik in Architektur und Arbeitswissenschaften

Die wissenschaftlichen Fabrikexperten des frühen 21. Jahrhunderts wähnen uns auf dem Weg in die „schlanke Fabrik“. So beschreibt Klaus Erlach vom FraunhoferInstitut für Produktionstechnik und Automatisierung in seiner 2007 erschienenen Studie Wertstromdesign – Der Weg zur schlanken Fabrik eine Methode zur Produktionsoptimierung, die sich explizit von den vermeintlichen Sachzwängen, wie sie in der Globalisierungsdebatte beschworen werden, absetzt. Dem alleinigen Streben nach immer neuen Wegen zur Lohnkostenersparnis setzt Erlach das Ziel der „Standortoptimierung“ entgegen; es geht ihm darum, den „Produktionsverantwortlichen eine geeignete Methode zur Überprüfung der Fabrikziele und zur Optimierung der Produktionsabläufe an die Hand zu geben“.1 Obwohl sich Erlach offenkundig auf hohem Niveau aktuellen Herausforderungen stellt, möchte ich im Folgenden die These aufstellen, dass vieles von dem, was auf dem „Weg zur schlanken Fabrik“ verhandelt wird, in einer Kontinuitätsbeziehung zu Debatten des frühen 20. Jahrhunderts steht. Selbstverständlich gab es zwischenzeitlich bedeutende Veränderungen der Problemstellung, es lässt sich gleichwohl argumentieren, dass der Modus der Problematisierung, im Foucaultschen Sinne also der Diskurs, grundsätzlich weiterhin der gleiche ist. Wie noch auszuführen sein wird, weist das Ziel einer „schlanken Fabrik“ unserer Zeit große Ähnlichkeiten zur Vorstellung von einer „rationellen Fabrik“ im „fordistischen Jahrhundert“2 auf. Die interdisziplinäre Ausrichtung des Diskurses um Fabrikgestaltung und Rationalisierung zu Zeiten Fords und Taylors – die Debatte war gleichermaßen von Architekten, Ingenieuren und Sozialwissenschaftlern geprägt – findet ihren Widerhall in der Person Erlachs, der Bauingenieur und promovierter Philosoph ist. Vor allem

1

Erlach: Wertstromdesign, 2007, S. VIIf.

2

Vgl. Hachtmann/von Saldern: Jahrhundert, 2009.





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aber werden die Forderungen nach Effizienz und Effektivität bei Erlach mit Überlegungen zur humanen Dimension des Raumes Fabrik verbunden: Die Fabrik sei nicht allein eine große Maschine, sondern ein „technomorph ausgestalteter und bewohnter Lebensraum des Menschen“, ein „Technotop“3. Letztlich sei eine Fabrik sogar „mehr ein Lebensort als ein Gebäude oder eine Produktionsstätte“. Folglich sei ein attraktives Arbeitsumfeld als ein „notwendiger Luxus“ anzusehen: „Nur so werden die Mitarbeiter ihre Leistungsbereitschaft voll ausleben wollen und können.“4 Der Bedeutung des Begriffs „Lebensraum Fabrik“ für den historischen Diskurs um die Gestaltung der Fabrik wird im Weiteren nachgegangen werden; dabei wird insbesondere die auch bei Erlach anzutreffende Verbindung von „humanen“ und „ökonomischen“ Überlegungen zu untersuchen sein. In der historischen Forschung dominiert eine Betrachtungsweise, die Rationalisierung und Humanisierung unterschiedlichen Perioden zuordnet. In diesem Sinne sieht beispielsweise Seibring die betriebliche Berücksichtigung des Faktors Mensch als eine Innovation der 1960er und vor allem der 1970er Jahre, die sich deutlich von den zuvor vorherrschenden Rationalisierungsmodellen des Taylorismus und Fordismus abgehoben habe.5 Ich möchte die zeitliche wie die inhaltliche Trennung dieser vermeintlich dichotomen Ansätze – Taylorismus/Fordismus einerseits und Humanisierung der Arbeit andererseits – in Frage stellen: Inwieweit liefen die vermeintlich getrennten Bemühungen zur fordistischen Rationalisierung und zur Humanisierung der Fabrik bereits zu Beginn des fordistischen Jahrhunderts weitgehend simultan und teilten gemeinsame Ziele? Die titelgebende Wertstrommethode war ursprünglich von Toyota entwickelt worden, konnte aber inzwischen auch außerhalb der Automobilbranche und auch in mittelständischen Unternehmen angewendet werden. In dieser Methode und in der Zielsetzung einer Verschlankung der Fabrik spiegeln sich zwei weitere bedeutende Termini des fordistischen Diskurses wider: Effektivität und Effizienz. Für die effiziente, „schlanke Produktion“ steht bei Erlach wie im arbeitswissenschaftlichen Diskurs um 1900 weiterhin der Wunsch nach „Vermeidung jeglicher Verschwendung“. 6 Die wertstromorientierte Produktion wiederum bezieht sich im zweiten Wortbestandteil explizit auf die Metapher des Produktionsflusses, die bereits in den 1920er Jahren, als die Fließfertigung aufkam, größte Bedeutung genoss, während der erste Wortteil auf die Wertschöpfung abhebt. Damit wiederum wird die „Absicht des Produzierens“, die „ausführliche Reflexion der Produktionsziele“, also die 3

Den Begriff „Technotop“ prägte der Techniksoziologe und -philosoph Günter Ropohl, vgl. Ropohl: Systemtheorie, 1979.

4

Erlach: Wertstromdesign, 2007, S. 7.

5

Vgl. Seibring: Humanisierung, 2011, S. 111f.

6

Erlach: Wertstromdesign, 2007, S. 2f.; zur Geschichte der Arbeitswissenschaften, vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 179; Sarasin: Rationalisierung, 1995, S. 115.



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„Erfüllung eines Kundenwunsches“ ins Zentrum der Überlegungen gerückt.7 Im Sinne der bekannten Kurzdefinition handelt es sich hier also um die Frage der Effektivität (Wird das Richtige gemacht?) in Ergänzung der Effizienz (Wird etwas auf die richtige Art und Weise ausgeführt?). Ich werde im Folgenden die These entfalten, dass die drei genannten Begriffe Lebensraum, Effizienz und Effektivität im Zentrum der Überlegungen zur Gestaltung der modernen Fabrik im zwanzigsten Jahrhundert standen. In der industriegeschichtlichen Forschung spielt der Begriff Lebensraum eine untergeordnete Rolle, lediglich Peter Hinrichs und Timo Luks gehen genauer auf die Nutzung des Terminus in Teilen der arbeitssoziologischen Literatur ein.8 Es wird zu zeigen sein, inwieweit dieser Begriff darüber hinaus zentral für das Verständnis der industriearchitektonischen und arbeitswissenschaftlichen Debatten in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts an sich sein kann. Dem Thema Effizienz hingegen kommt seit langem ein großes Interesse der historischen Forschung entgegen: Oft wird davon ausgegangen, dass das Ziel der Effizienz stets mit der Methode der Disziplinierung verknüpft gewesen sei, dass es also in erster Linie darum gegangen sei, den Wirkungsgrad des Arbeitseinsatzes durch eine Überwachung der Arbeitenden zu erhöhen.9 Es wird darzulegen sein, inwiefern Überwachung und Disziplinierung zwar von Bedeutung waren, eine Verkürzung auf diese Methoden der Machtausübung aber ausblendet, dass letztlich die Erzeugung nützlicher Individuen im Industriebetrieb des zwanzigsten Jahrhunderts zunehmend wichtiger als die Unterdrückung des Eigen-Sinns geworden ist. Die Frage der Effektivität wiederum wird von der Geschichtswissenschaft häufig vernachlässigt: Die Rationalisierungsbewegung wurde zwar nicht ohne Grund auf Englisch als efficiency movement bezeichnet, gleichwohl zeigt sich eine zunehmende Verschiebung des Gewichts weg von Fragen der reinen Effizienz der Arbeitsausführung (Arbeiterproblem); es ging nicht nur darum, den Wirkungsgrad der Arbeit immer weiter zu steigern. Vielmehr rückten ergänzend Fragen der Effektivität des Arbeitseinsatzes bzw. der Arbeiterkontrolle in den Fokus. Inwieweit konnte die Disziplin zur Selbstdisziplin werden? Und in einem nächsten Schritt: Inwiefern konnten etwaige subjektive Potentiale der Beschäftigten durch den Transfer von Verantwortung und die Gewährung von Freiräumen nutzbar gemacht werden? Reflektiert wurde also, von welcher Art der Führungsstil im Betrieb sein sollte. War die Art der Machtausübung in der Fabrik die richtige oder musste mehr delegiert werden (Vorgesetztenproblem)? Es ging also nicht mehr ausschließlich darum, wie die Arbeiter/-innen eine Tätigkeit auszuführen hatten (Taylors The one best way), sondern verstärkt zusätzlich darum, was sie machten: ob sie teilweise selbstständig 7

Erlach: Wertstromdesign, 2007, S. 8f., 4.

8

Hinrichs: Seele, 1981, S. 171-187; Luks: Betrieb, 2010, S. 20f, 81f., 116.

9

Vgl. z.B. Alexander: Mantra, 2008, S. 121ff.

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und eigenverantwortlich arbeiteten oder Befehle ausübten und extern kontrolliert wurden. Leitend für das Erkenntnisinteresse dieses Kapitels sind vor allem zwei Fragen: Ist vieles von dem, was von der historischen Forschung als fordistisch identifiziert wurde, insbesondere eine auf Disziplinierung und Überwachung fundierte Ordnung, nicht eher als prä-fordistisches Überbleibsel des alten Fabriksystems zu charakterisieren? Ist hingegen nicht einiges von dem, was in der aktuellen sozialwissenschaftlichen Debatte für Kennzeichen der post-fordistischen Subjektivierung gehalten wird, bereits in den Debatten und Praktiken zu Zeiten Fords und Taylor angelegt gewesen?

B AU

UND

G ESTALTUNG

DER RATIONELLEN

F ABRIK

Das Fabrikgebäude veränderte spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland seinen Charakter: Es war nicht mehr allein eine Hülle für die Produktion, die relativ wenige Bedingungen erfüllen musste, sondern begann ein elementarer Teil des technologischen Fertigungsprozesses zu werden. In der historischen Forschung haben sich bisher nur wenige Studien mit diesem Thema befasst. Dazu gehören in erster Linie die Monographien zweier amerikanischer Historikerinnen. Lindy Biggs und Betsy Hunter Bradley untersuchen jeweils den Einfluss der Industriearchitektur auf den Produktionsprozess in den USA im 19. und 20. Jahrhundert. Biggs sieht in den 1920er Jahren einen lang geführten Diskurs in der Realisierung der rational factory kulminieren. Die Fabrik sei selbst zu der wichtigsten Maschine (master machine) im Produktionsprozess geworden; die Ausgestaltung der Fabrikgebäude habe vollständig einem effizienten Produktionsablauf gedient, das von der Forschung oft in den Mittelpunkt gerückte Fließband sei nur eines von verschiedenen Elementen dieses Ablaufs gewesen.10 Durch diese Entwicklung war nun ein Unterschied zwischen amerikanischen und europäischen Fabriken auszumachen: Im 19. Jahrhundert hatten sich die Industriebauten auf beiden Kontinenten noch weitgehend geglichen, erst jetzt wurden die USA zum nachahmenswerten Vorbild der industriell-architektonischen Moderne.11 Ab den 1920er Jahren wurden in den USA nicht mehr allein die Maschinenaufstellung und der Produktionsablauf in die Gestaltung der Fabriken einbezogen. Vor das Problem gestellt, bessere und verlässlichere Arbeiter/-innen zu benötigen,12 wurde die betriebliche Sozialpolitik als ein Mittel entdeckt, die Produktivität zu

10 Vgl. Biggs: Factory, 1996, S. 121. 11 Vgl. Banham: Atlantis, 1989, S. 194; Jefferies: Politics, 1995, S. 232. 12 Vgl. Biggs: Factory, 1996, S. 75.



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steigern.13 Zu diesem Zweck wurden Sozialräume geschaffen, die Verbesserung von Licht-, Luft- und Klimabedingungen wurde auch unter Produktionskalkül zu einer wichtigen Aufgabe erhoben: „Industrial welfare explored the more human side of the human machine: what made ‚it‘ want to work harder.“14 Die Verschönerung der Fabriken sollte zusammen mit der Schaffung von Sozialräumen und einer Verbesserung der Arbeitsumwelt zu einer Hebung der Arbeitsmoral führen. 15 Inwieweit dieses Projekt des Managements realistisch war, gilt es später zu diskutieren. Vorerst bleibt festzuhalten, dass sowohl in den Fabrikdebatten wie in der praktischen Gestaltung der Fabriken in der klassischen Phase der Rationalisierungsbewegung neben das Ziel der Rationalisierung ein weiteres trat: die Humanisierung der Fabrik. Dabei ist zunächst von einer weiten Bedeutung des Begriffs auszugehen; keineswegs ging es allein um ein philanthropisches Ansinnen – obwohl philanthropische Anstöße von außen die Debatte vorantrieben –, sondern stets um die Verquickung von Rationalisierung und Humanisierung: Die zentrale Bedeutung des Faktors Mensch für eine weitgehende Umsetzung der Rationalisierungsziele wurde Management, Ingenieuren und Architekten rasch bewusst. Biggs Darstellung von der Durchsetzung der rational factory wird von weiteren Forschungen durchaus gestützt. Bradley schränkt allerdings die These von der rationellen Fabrik als master machine insofern ein, als sie einerseits die Kontinuität der Entwicklung in der Fabrikarchitektur seit dem 19. Jahrhundert betont und andererseits davor warnt, der Selbstinszenierung der Produktionsingenieure (industrial engineers) aufzusitzen: Für die Umsetzung der Konzepte in tatsächliche Architektur seien weniger geniale Pläne als vielmehr die neuen technologischen Möglichkeiten, vor allem der Ersatz von Riementransmissionen durch elektrischen Antrieb, entscheidend gewesen.16 Weiterhin muss festgehalten werden, dass sich Biggs hauptsächlich auf die Entwicklung des Fabrikbaus bei Ford stützt. Robert Lewis hat diesbezüglich empirische Korrekturen vorgebracht: Biggs rational factory war in der Praxis eher rar. Die Firmen hatten unterschiedliche Vorstellungen davon, was effizient, was notwendig und was möglich war; ein einziges einheitliches Modell der rationellen Fabrik lässt sich folglich nicht identifizieren.17 In der Unternehmenspraxis überwog letztlich die pragmatische Auswahl einiger Elemente der rationellen Fabrik, so weitgehend wie bei Ford wurde das Modell kaum umgesetzt.18 Wie noch zu auszuführen sein wird, fasste die Idee der rationellen (und humanen) Fabrik auch jenseits der USA schnell Fuß. Wie sah nun die Entwicklung der 13 Vgl. ebd., S. 72. 14 Ebd., S. 56. 15 Vgl. ebd., S. 97. 16 Vgl. Bradley: Works, 1999, S. 82f. 17 Vgl. Lewis: Workplace, 2001, S. 667. 18 Vgl. ebd., S. 684.

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Fabrikarchitektur in Deutschland aus? Welche Rolle spielten verschiedene Akteursgruppen: einerseits Ingenieure, anderseits Architekten? Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden die meisten Fabrikbauten in Deutschland von HandwerksmeisterArchitekten geplant und ausgeführt, erst dann nahmen zunächst Maschinenbauingenieure die zentrale Rolle bei industriellen Bauvorhaben ein. 19 Akademisch ausgebildete Architekten widmeten sich erst nach 1900 dem Industriebau; es wurde nach und nach üblich, dass sie die Bauleitung übernahmen. Die Arbeitsteilung mit dem Ingenieur blieb allerdings bestehen. Das erste Handbuch zur Industriearchitektur aus dem Fach erschien im Jahr 1923 (Wilhelm Franz: Fabrikbauten), zuvor hatten ausschließlich Ingenieure derartige Werke verfasst.20 Ebenso wie ihre Kollegen in den USA setzten sich nun auch die deutschen Architekten bei der Planung intensiv mit den Produktionsanforderungen der entstehenden Fabrik auseinander.21 In den USA wie in Deutschland begannen die Architekten erst im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts eine wichtige Rolle im Fabrikbau einzunehmen.22 Der Architekturhistoriker Miron Mislin erblickt im Kunstverständnis der Bauherren einen Grund dafür, dass die „Versachlichung der Fabrikbauten“ nur langsam voranschritt. Während die klassischen deutschen Unternehmer ein großes Interesse an historistischer Dekoration der Gebäude gezeigt hätten, sei mit dem verstärkten Auftreten „anonymer Aktiengesellschaften als Bauherrn“ der Weg zum „sachlichen Charakter der modernen Industriearchitektur“ freigemacht worden. Neben diesen Intentionen habe aber vor allem die steigende Mechanisierung der Produktion dazu geführt, dass der Fabrikbau stärker auf die Funktion hin ausgerichtet worden sei.23 Die Geschichte des Fabrikbaus in Deutschland ist bisher nur aus architekturhistorischer Perspektive geschrieben. Im Folgenden soll dargelegt werden, inwieweit Architekten mit Entwürfen der Ästhetisierung und Funktionalisierung des Fabrikbaus gezielt versuchten, auf die Umwelt der Arbeiter/-innen einzuwirken, und dies als einen Beitrag zur Überwindung der Klassengegensätze ansahen. Zur Erweiterung der internationalen Perspektive werden zunächst die Ergebnisse der Industriehistorikerin Joan Skinner für Großbritannien dargelegt. Auch im Vereinigten Königreich begann mit dem Ersten Weltkrieg die intensive Beschäftigung mit Fragen der Verschönerung von Fabriken.24 In der Zwischenkriegszeit entwickelte sich dann auf der Basis der Viktorianischen Grundüberzeugung, dass die Umwelt charakter19 Vgl. Mislin: Industriearchitektur, 2002, S. 213, 218; vgl. Ostermann: Fabrikbau, 2006, S. 39. 20 Vgl. Mislin: Industriearchitektur, 2002, S. 214, 218; vgl. Kreuzberger: Fabrikbauten, 1993, S. 65. 21 Vgl. Mislin: Industriearchitektur, 2002, S. 174. 22 Vgl. Bradley: Works, 1999, S. 24. 23 Vgl. Mislin: Industriearchitektur, 2002, S. 248f. 24 Vgl. Loader/Skinner: Management, 1991, S. 85.



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prägend sei, die Vorstellung, den Architekten käme eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung der Gesellschaft zu.25 Von großer Bedeutung für die britische Debatte war der Beitrag des Amerikaners Moritz Kahn, der in seiner klassischen Schrift The Design and Construction of Industrial Buildings (1917) ausführte, neben dem Werbeeffekt spreche auch die Wirkung auf die Arbeiter/-innen für eine ansprechende Gestaltung der Fabriken. Da die Arbeiterschaft nicht wie Maschinen behandelt werden könne, genüge es nicht, saubere und gesunde Verhältnisse zu gewährleisten. Darüber hinaus müsse die Arbeitsumwelt so gestaltet werden, dass es gelinge, die Einstellung der Arbeiter/innen zu ihrer Arbeit positiv zu beeinflussen. Interessant ist, dass in diesem Zusammenhang den Vorstellungen von der Geschlechterdifferenz eine wichtige Rolle als Katalysator der Entwicklung zukam. Die steigende Zahl der Industriearbeiterinnen erhöhte das Interesse des Managements an Verschönerungen und Verbesserungen der Arbeitsumwelt: In einigen britischen Betrieben wurden unter dieser Hinsicht Sozialräume eingerichtet, Arbeitsplätze vermeintlich schöner und ergonomischer gestaltet und sogar Vorarbeiterinnen eingesetzt.26 Im Ersten Weltkrieg veränderte sich (nicht nur) in Großbritannien die Vorstellung davon, wie eine ideale Fabrik zu gestalten und zu leiten sei, grundlegend.27 Die Erfordernisse der staatlichen Rüstungsfabriken hatten den Vorgang der Fabrikplanung bereits insofern revolutioniert, als nun stärkere Rücksicht auf die Produktionserfordernisse genommen wurde, weil die Architekten eng mit Ingenieuren zusammen arbeiteten.28 In großen Teilen der amerikanischen und britischen Fachdiskussion ging es um eine umfassende Gestaltung der betrieblichen Umwelt: nicht allein um Licht-, Luft- und Klimaverhältnisse, sondern darüber hinaus gleichzeitig um architektonische und psychologische Anforderungen, die eine Fabrik erfüllen sollte. Davon versprach sich das Management positive Auswirkungen auf die Arbeiterschaft.29 Hauptsächlich sollten die neuen Modellfabriken aber den Ansprüchen an eine gesteigerte Effizienz genügen. Die Architektur hatte die Aufgabe, dazu beizutragen, die Produktivität zu steigern und die Arbeiterschaft kontrollierbar zu machen. Die Verbesserungen der Arbeitsumwelt sollten gleichzeitig dazu dienen, aus den besten Beschäftigten eine Stammarbeiterschaft herauszubilden.30 Keinesfalls sollten bestehende Hierarchien in Frage gestellt werden: Unabhängig davon, inwieweit soziale und ästhetische Kriterien bei der Planung des Fabrikbaus eine Rolle

25 Vgl. Skinner: Form, 1997, S. 25. 26 Vgl. Loader/Skinner: Management, 1991, S. 85. 27 Vgl. ebd., 1991, S. 88. 28 Vgl. Skinner: Form, 1997, S. 28. 29 Vgl. Loader/Skinner: Management, 1991, S. 89. 30 Vgl. ebd., S. 101.

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spielten, wurde doch stets eine effektive und effiziente Überwachung der Produktionsstätten vorgesehen.31

A RCHITEKTEN

UND I NGENIEURE

Auch in Deutschland nahmen Architekten Anregungen aus dem Ingenieurswesen auf. Der Ingenieur schien sogar eine Leitbildfunktion für die Industriearchitektur zu haben. Ähnlich wie in den USA, wo sich die Produktionsingenieure zu den Experten für die Planung von Fabrikbauten stilisierten,32 kam ihnen in Deutschland diese Rolle bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhundert zu. Bemerkenswerterweise betonte 1930 im Rückblick sogar ein führender Vertreter der architektonischen Moderne, der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Werkbundes Hans Poelzig, dass „den Weg zur Lösung auch des Industriebaus erst der Ingenieur mit seiner Arbeitsart gewiesen hat“. Architekten seien lange Zeit an der Aufgabe des modernen Fabrikbaus gescheitert, weil sie von „einer irgendwie romantischen Einstellung“ geleitet worden seien und in erster Linie danach trachteten, „die Anlage des Ingenieurs mit formalistischen Zutaten zu verschönern“. Das Misstrauen der Ingenieure an der Zusammenarbeit mit Architekten sei deshalb grundsätzlich zu verstehen; allerdings habe sich deren Einstellung zwischenzeitlich grundlegend gewandelt: Das Leitbild des Ingenieurs habe sich durchgesetzt, der Architekt habe „ingenieursmäßig denken gelernt“. Anleitend sei für die industrielle Architektur nun das Ziel, unter Berücksichtigung der Produktionsanforderungen von vornherein die gesamte Anlage und darauf fußend alle Einzelheiten zu durchdenken und aus diesen Überlegungen eine „architektonische Einheit herzustellen“.33 Diese zeitgenössische, aber bereits retrospektive Darstellung der Entwicklung der modernen Industriearchitektur darf nicht den Eindruck entstehen lassen, dass sich die modernen Architekten ausschließlich in der Rolle der fachfernen Lehrlinge sahen. Vielmehr herrschte bereits frühzeitig die Stilisierung der eigenen Gruppe zu Ästhetikexperten vor, die ihrerseits missionarische und erzieherische Ansprüche hatten. So hielt der Architekt Franz Mannheimer in einem Beitrag über die „Fabrikenkunst“ für die von Friedrich Naumann herausgegebene Wochenschrift Die Hilfe, die zum Dunstkreis des Deutschen Werkbundes zählte, im Jahr 1910 fest, dass es – nicht zuletzt durch Peter Behrens’ Turbinenhalle für die AEG – gelungen sei, „das

31 Vgl. Skinner: Form, 1997, S. 32. 32 Vgl. Bradley: Works, 1999, S. 81. 33 Poelzig: Entwicklung, 1930, S. 34f. Bereits 1911 hatte Poelzig das Ziel formuliert, der Architekt müsse „den Ingenieur in der konsequenten Durchdenkung der Grundprinzipien sogar zu übertreffen suchen“, Poelzig: Fabrikbau, 1911, S. 102.



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Interesse für Schönheit in Kreise“ zu tragen, „die ihr bisher ganz fremd gegenüberstanden“. Nun könnten auch der „Ingenieur und der Werkmeister […] allmählich dazu erzogen“ werden, „von vornherein diese schöne Gestaltung“ für Maschinen und Apparate zu erstreben.34 Ein immer wieder anzutreffendes Motiv zur Stilisierung der jeweils eigenen Richtung der Industriearchitektur zu einer fortschrittlichen war die Negativfolie. Zumeist wurden die eigenen Vorstellungen von der Vergangenheit abgesetzt, allerdings konnten auch parallel existierende zeitgenössische Entwürfe oder Szenarien einer finsteren Zukunft zu dem Zweck, das jeweils Eigene positiv hervorzuheben, herangezogen werden. Wie noch zu zeigen sein wird, wurde die Gegenüberstellung von der ‚Fabrik: einst und jetzt‘ insbesondere vom nationalsozialistischen Amt Schönheit der Arbeit als Propagandamittel benutzt. Dieses Stilmittel funktionierte allerdings bereits in einer Phase, die nur kurze Zeit später selbst als Negativfolie herhalten musste. So tauchte dieser Topos schon in dem Fabrikbau-Handbuch des Wiener Ingenieurs Ludwig Utz (Moderne Fabrikanlagen, 1907) auf: „An die Stelle der hohen, engbrüstigen, finsteren und beschränkten Werkstätten früherer Zeiten treten die luftigen weiten Fabriken unserer Tage.“35 Der Architekt Adolf Behne wiederum, der in erster Linie als Architekturkritiker und nicht als ausführender Architekt tätig war, malte keine zwanzig Jahre später ein düsteres Bild vom gesamten Fabrikbau vor Behrens in Deutschland, womit er also auch auf die von Utz positiv beschriebenen Bauten zielte: Wie „überall“ seien die Fabriken in Deutschland „auf das roheste und billigste, ja mit beleidigender Missachtung aufgemauert“ worden. Jeglicher gestaltender Wille habe gefehlt, stattdessen seien historistische Verzierungen eingesetzt worden, wodurch die „Wirkung nur verlogener“ geworden sei. Die Fabrik sei an sich von „dunklen Höfen, engen Gängen, blinden Scheiben und niedrigen dunklen Räumen“ charakterisiert gewesen; letztlich habe sie eher einem „Gefängnis“ denn einer „Stätte produktiver Arbeit“ geglichen.36 Das Stilmittel des Vergleichs lässt sich hier klar in seiner Funktion erkennen, die Wichtigkeit von geforderten Neuerungen zu untermauern; in diesem Fall sollte also die produktivitätssteigernde Wirkung der funktionalistischen Ästhetik hervorgekehrt und geradezu als zwingende Notwendigkeit dargestellt werden. Rhetorisch noch effektvoller setzte Behnes berühmtester Werkbund-Mitstreiter Walter Gropius das Stilmittel der Negativfolie ein, indem er bereits in einem Vortrag im Hagener Folkwang-Museum im Jahr 1911 das Szenario einer zukünftigen „soziale[n] Katastrophe“ beschwor, die drohe, wenn der Arbeit nicht „Paläste errichtet“ würden. Gropius zielte mit dem Wort von den Palästen der Arbeit nicht auf kitschige Verzierungen, sondern auf eine funktionalistische Schönheit der Werk34 Mannheimer: Fabrikenkunst, 1910, S. 290. 35 Utz: Fabrikanlagen, 1907, S. 312. 36 Behne: Zweckbau, 1964, S. 28.

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räume ab, die den Fabrikarbeitern – bislang nur „Sklaven der modernen Industriearbeit“ – eine „Freude am Mitschaffen großer gemeinsamer Werte“ zurück gebe.37 An sich standen im Zentrum der Vorstellungen des Deutschen Werkbundes vom Fabrikbau Werte wie Qualität, Funktionalität und Hygiene.38 Diese Veränderungen in der Industriearchitektur fanden ihre zeitgenössische Entsprechung in neuen Vorstellungen von der Betriebsführung (Scientific Management), die stärker auf Ordnung und Planung abhoben.39 Mauro Guillén hat diesen Zusammenhang zwischen Taylorismus und der modernen Architektur ausführlich dargestellt. Insbesondere die allumfassende Idee der Ordnung fesselte die modernen Architekten an Frederick Taylors Scientific Management, weil ihnen dadurch die Gelegenheit gegeben wurde, sich selbst als technokratische Organisatoren des gesellschaftlichen Fortschritts zu inszenieren. Die Architekten griffen somit Taylors Überzeugung auf, sie könnten als neutrale Experten soziale und wirtschaftliche Probleme lösen und zwischen Arbeitern und Unternehmern vermitteln. Zugrunde lag ein Glaube an die Rationalität menschlichen Verhaltens und den technischen Fortschritt; gleichzeitig hielten sie es aber für notwendig, den Arbeitern und Arbeiterinnen eine neue Arbeitsideologie einzuimpfen.40 Teilweise gingen die modernen Industriearchitekten aber auch nur den Weg weiter, den ihre fachfremden Kollegen bereits zuvor eingeschlagen hatten. So lassen sich die drei Ziele, die der Ingenieur Ludwig Utz in seinem Fabrikbauhandbuch im Jahr 1907 für die weitere Entwicklung des Fabrikbaus aufstellte, deutlich den Bereichen Rationalisierung und Humanisierung der Industriearbeit zuordnen. Erstens müsse ein „ökonomischer, rationeller Betrieb ermöglicht“ werden, zweitens gelte es zu gewährleisten, dass Einrichtung und Arbeiter möglichst nicht von Unfällen geschädigt würden, und drittens müsse der betrieblichen Hygiene und der Einrichtung von „Wohlfahrtseinrichtungen“ gesteigerte Aufmerksamkeit gewidmet werden.41 Neben der Rationalisierung wurde also bereits zu diesem Zeitpunkt auf Arbeitsschutz und Gestaltung der Arbeitsumwelt, mithin jeweils auf den Faktor Mensch, Wert gelegt. Neu an der Bewegung der modernen Architektur war wiederum die spezifische Verbindung von Ästhetik und Produktivität, wie sie sich von Beginn an im Umfeld des Deutschen Werkbundes fand. Franz Mannheimers Aufsatz über die „Fabrikenkunst“ von 1910 gibt ein Beispiel dafür ab. Die „höhere Schönheit“ sei ein „vorzügliches Moment höherer Konkurrenzfähigkeit“, das gelte nicht allein für die Produkte, sondern genauso für die „Schönheit der Fabriken selbst“ und ihre gesamte Ge37 Gropius: Monumentale Kunst, 1988, S. 31. 38 Vgl. Jefferies: Politics, 1995, S. 185. 39 Vgl. ebd., S. 232. 40 Vgl. Guillén: Taylorized Beauty, 2009, S. 4, 138, 21. 41 Utz: Fabrikanlagen, 1907, S. 314.



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staltung. Das zeige sich darin, dass die Arbeiter „in hellen und weiten Räumen und vor wohlproportionierten Maschinen an Freudigkeit und Lebensfähigkeit und damit auch an Tüchtigkeit“ gewännen.42 Deutlich angelegt waren hier bereits die später in anderen Texten klarer ausformulierten Themen des Lebensraums Fabrik und der Arbeitsfreude, denen jeweils eine bedeutende Funktion in Bezug auf die Steigerung der Produktivität zugeschrieben wurde. Walter Gropius breitete sein Programm zur Industriearchitektur in einigen sich teilweise inhaltlich gleichenden Vorträgen und Aufsätzen aus den Jahren 1911 und 1912 aus. Gropius hob dabei insbesondere die einzigartige Eignung der Architekten als Ästhetikexperten hervor und begründete damit implizit den Anspruch des Architekten auf die Leitung des Fabrikbauprojektes gegenüber dem Ingenieur. Um die Arbeitsfreude zu erhalten, seien Sauberkeit sowie gute Licht- und Luftverhältnisse zunächst nur der erste notwendige Schritt, dem dringend ästhetische Bauentwürfe folgen müssten, denn auch „das ursprüngliche Schönheitsempfinden, das jeder noch so ungebildete Arbeiter besitzt, verlangt sein Recht“. Befriedigen könne dieses ästhetische Bewusstsein allerdings nur „ein Künstler“, also ein Architekt. Sei dies geschehen, steige die „Zufriedenheit des einzelnen Arbeiters“, der „Arbeitsgeist“ und „folglich die gesamte Leistungsfähigkeit des Betriebes“.43 Es ging dabei wohlweislich um eine funktionalistische Schönheit, also um „wohlproportionierte Räume“ und eine „klare innere Disposition“, die „den Fabrikationsgang sehr vereinfachen“ könne, gleichzeitig aber auch um die Abgrenzung von den herkömmlichen „öden, hässlichen Industriekasernen“. 44 Auffällig ist, dass in vielen zeitgenössischen Schriften von Architekten auf die Arbeiterpsyche eingegangen wurde. In der historischen Forschung werden solche Positionen hingegen häufig als anti- oder posttayloristisch eingestuft. Wenngleich also Taylor selbst psychologische Aspekte vernachlässigte, so waren sie doch seinen Anhängern und Anhängerinnen – hier tayloristisch inspirierten Architekten – oft wichtig. Der Ingenieur Robert Hauer vertrat 1922 in seinem Handbuch Der Fabrikbau nach neuzeitlichen Grundsätzen sehr ähnliche Positionen wie Gropius; es scheint, als sei der Erziehungsauftrag, den Franz Mannheimer für die Architekten formuliert hatte, zumindest teilweise erfolgreich umgesetzt worden: Dieses bauingenieurwissenschaftliche Handbuch teilte weitgehend die ästhetischen Vorstellungen der Architekten und insbesondere die Überzeugung, Ästhetik und Produktivität ständen in einem Zusammenhang. Hauer stimmte zum einen mit dem Ziel der Rationalisierungsbewegung überein: Beim Entwurf von Fabriken sei auf eine „möglichst wirtschaftliche Gestaltung des Betriebes“ zu achten, es gehe um die „Erreichung eines 42 Mannheimer: Fabrikenkunst, 1910, S. 289. 43 Gropius: Wanderausstellung, 1988, S. 27; sehr ähnlich: Gropius: Bau, 1912, S. 6; Gropius: Monumentale Kunst, 1988, S. 31. 44 Gropius: Bau, 1912, S. 6.

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reibungslosen Fabrikationsganges“ und die „Erzielung einer größtmöglichen Leistung mit geringsten Mitteln“, also um Effizienz. Zum anderen müssten aber auch „soziale und ästhetische Forderungen“ beim Fabrikbau berücksichtigt werden, die letzten Endes ebenfalls dem „Verlangen nach Wirtschaftlichkeit“ entgegen kämen. Über Arbeitsschutzmaßen hinausgehend sei das „körperliche und seelische Wohlbefinden der Arbeiter von nicht zu unterschätzender Bedeutung für ihre Leistungsfähigkeit“. Es müssten also Maßnahmen zur „Stärkung der Arbeitsfreude“ ergriffen werden, die dann wiederum zur Steigerung der „Arbeitsintensität“ beitrügen. Gleichermaßen müsste das Augenmerk der Einrichtung und Verbesserung von Sozial- und Sanitärräumen sowie der „ästhetische[n] Durchbildung der Fabrikgebäude“ an sich gelten. Obwohl „dem einfachen Arbeiter ein bewusstes Verständnis für ästhetische Wirkungen“ fehle, würde er gewiss eine grundsätzliche „Empfindung dafür haben […], ob seine Arbeitsstätte ansprechend und freundlich gestaltet ist“.45 Auf jeden Fall könne der „Aufenthalt in schönen Räumen auf die Leistungsfähigkeit der Arbeiter eine entschieden günstige Wirkung“ ausüben.46 Die wesentliche Aufgabe bestehe darin, „auch die Arbeiterschaft für den Gedanken der Produktionserhöhung zu gewinnen“. Der Erste Weltkrieg markierte hierbei einen entscheidenden Bruch, weil in dessen Folge das „Selbstbewusstsein“ der Arbeiter gestiegen sei. Um unter diesen geänderten Verhältnissen die „Arbeitsfreudigkeit“ und die „Liebe zur Arbeitsstätte“ zu heben, gelte es neben einer „ausreichende[n] Bezahlung“ die genannten räumlichen Verbesserungen umzusetzen.47 Im Laufe der 1920er Jahre etablierten sich also in Deutschland diese neuen Vorstellungen vom Fabrikbau im Expertendiskurs der Architekten und Ingenieure. Theoretisch trafen die rhetorischen Fragen, die Hans Poelzig 1930 in dem bereits erwähnten Aufsatz für das Beiheft des Zentralblatts für Gewerbehygiene und Unfallverhütung zum Thema Fabrikbau stellte, auf weitgehende Zustimmung innerhalb der Architektur, des Ingenieurwesens und der Arbeitswissenschaften: „Sind unsere Industriebauten nicht Arbeitsstätten der Menschen? Muß nicht unser aller Ziel sein, diese Arbeitsstätten zu Stätten freudiger Arbeit zu machen? Und müßte nicht die Architektur dieser Auffassung auch Ausdruck geben?“48 Der Tenor der Fachdebatten sollte jedoch nicht dazu verführen, vorschnell eine demokratisierte Praxis des modernen Fabrikbaus zu diagnostizieren. Die Architekturhistorikerin Karin Wilhelm führt eine solche Annahme in ihrer Abhandlung über Walter Gropius als Industriearchitekt am Beispiel der curtain wall aus. Diese gläserne Vorhangfassade, die ein wesentliches Charakteristikum der von Gropius und Adolf Meyer ab 1911 konstruierten Alfelder Schuhleistenfabrik Fagus 45 Hauer: Fabrikbau, 1922, S. 7f. 46 Ebd., S. 54. 47 Ebd., S. 51. 48 Poelzig: Entwicklung, 1930, S. 37f.



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war,49 verkörpere einen von Gropius gezielt erhobenen „sozialpolitische[n] Anspruch“: „In der Aufhebung eines abgeschlossenen Innen- von einem separiert gedachten Außenraum formuliert sich nämlich ein entschieden demokratisches Prinzip.“50 Matthew Jefferies hat gegen diese These überzeugend eingewendet, dass sie der Architektur zwar auf symbolischer Ebene gerecht würde, dass durch die neue Architektur jedoch in der konkreten Arbeitsrealität keineswegs Hierarchien am Arbeitsplatz in Frage gestellt worden seien. In erster Linie habe das Management von den verbesserten Sichtbeziehungen profitieren können, weil nun die Überwachung und Kontrolle der Arbeiter/-innen deutlich vereinfacht worden sei.51 Überhaupt kam beim Bau der Fabrik der Möglichkeit, die Arbeitenden zu kontrollieren, gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Die Architekturhistorikerin Gabriele Kreuzberger berichtet von den Klagen eines Zigarrenfabrikanten, die von der Gewerbeaufsicht auferlegte Brandmauer führe zu einem Verlust der Übersichtlichkeit.52 Ziel war stets eine Gebäudesituation, die möglichst nur eine Aufsichtskraft pro Werksaal nötig machte; am besten war dies durch große und helle Räume zu erreichen.53 Nebenbei wurde auf diese Weise auch den Ansprüchen der Gewerbehygiene Genüge geleistet, denn nach außen konnte der Bau von Fabriken, die von Tageslicht erhellt wurden, als Maßnahme allein zum Wohle der Arbeiter/-innen dargestellt werden.54 Letztlich lassen sich beide Ziele, Ausbau der Kontrollmöglichkeiten und ‚humane‘ Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Rationalisierungsidee zuordnen, da sie einem gemeinsamen Zweck dienten: der Steigerung der Produktivität. Ein Beispiel dafür, dass einige moderne Architekten in ihren Fabrikentwürfen durchaus versuchten, eine umfassende Kontrolle der Arbeiter/-innen baulich zu ermöglichen, zeigt die Gestaltung der Meisterstuben. In der zeitgenössischen Berichterstattung über Peter Behrens’ Turbinenhalle für die AEG in Berlin, einem Klassiker der industriellen Moderne, wurde positiv erwähnt, dass die gläsernen Meisterstuben einen ungetrübten Blick über die riesige Werkshalle gewährten.55 Der Ingenieur Carl Theodor Buff beschrieb ähnliche Meisterstuben in seinem Handbuch zum Werkstattbau (1923); die vorgeschlagenen Entwürfe hatten exemplarischen 49 Zu Fagus vgl. Jaeggi: Fagus, 2000. 50 Wilhelm: Walter Gropius, 1983, S. 63. 51 Jefferies: Politics, 1995, S. 194f. 52 Kreuzberger: Fabrikbauten, 1993, S. 416, Fn. 80; vgl. Biggs: Factory, 1996, S. 51: “To assure the highest possible productivity on the part of workers, some engineers stressed the importance of good visibility in the shop so that all workers remained in view all times.” 53 Kreuzberger: Fabrikbauten, 1993, S. 35. 54 Vgl. Jefferies: Politics, 1995, S. 241. 55 Vgl. Jefferies: Politics, 1995, S. 241f.

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Anspruch und wurden vermutlich häufig als Vorbild benutzt. Abbildungen zeigten die Vor- und Nachteile zweier Ausführungsmöglichkeiten (Abb. 28): Abbildung 28: Überwachung aus dem Meisterraum.

Quelle: Buff: Werkstattbau, 1923, S. 142.

Der zweite Vorschlag, eine gläserne, in die Werkstatt vorspringende Kabine, wurde dabei als Empfehlung genannt, weil er die gesamte Werkstatt dem überwachenden Blick Preis gab. Hingegen hatte der erste Vorschlag zwar seine Vorzüge darin, dass er – in die Wand eingebaut – Produktion und Transport überhaupt nicht beeinträchtigte, jedoch einen entscheidenden Nachteil: Der „Überblick über die Werkstatt“ war, wie die schraffierten Felder in der Abbildung zeigen, „stark beschränkt“.56 Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bevor die moderne Architektur sich der Fabriken annahm, gab es gläserne Meisterstuben, die der Überwachung dienten. So erwähnte Conrad Matschoß in seiner 1912 publizierten Festschrift zum fünfzigjährigen Bestehen der Maschinenfabrik R. Wolf, dass es in der 1905 errichteten Kesselschmiede in fünf Meter Höhe Räume für Meister und Werkvorsteher gab, deren Wände vollständig aus Glas waren, um die Überwachung der Werkstatt zu ermöglichen.57 Wenn auch Experimente mit panoptischen Fabriken im Sinne Jeremy Benthams zu Beginn des 19. Jahrhunderts daran scheiterten, dass ein Übermaß an Planung keine flexiblen Änderungen in Hinblick auf wechselnde Produktionsanforderungen zuließ,58 blieb die Kontrolle der Arbeiter/-innen ein wesentliches Ziel des Fabrikbaus. Wie bereits dargelegt wurde, gingen mit repressiven auch produktive Formen der Machtausübung einher. Es soll im Folgenden die These entwickelt werden, dass Überwachung und Kontrolle zwar nie vollständig an Bedeutung verloren, dass das Projekt der Rationalisierung und Humanisierung der Fabrik aber gleichwohl neue Schwerpunkte setzte. 56 Buff: Werkstattbau, 1923, S. 142. 57 Vgl. Matschoß: Maschinenfabrik, 1912, S. 109. 58 Darley: Factory, 2003, S. 54; Flexibilität für wandelnde Ansprüche der kommenden Jahrzehnte zu gewährleisten, war eine wichtige Aufgabe beim Fabrikbau; der Mangel an Flexibilität war letztlich die entscheidende Schwäche des kompromisslosen Konzepts der rationellen Fabrik in der Auslegung Fords, vgl. Biggs: Factory, 1996, S. 159f.



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L EBENSRAUM F ABRIK An die skizzierte Debatte um die Fabrikarchitektur, die von einem gesteigerten Interesse an der Arbeitsumwelt und der Gestaltung schöner Arbeitsplätze als Voraussetzung für Arbeitsfreude und somit letztlich als Mittel der Produktivitätssteigerung wie der Erhaltung des sozialen Friedens bestimmt war, schloss ab den 1920er Jahren der – später noch genauer zu skizzierende – arbeitswissenschaftliche Diskurs an. Die interdisziplinären Arbeitswissenschaften waren seit ihrer Etablierung von den beiden Zielen bestimmt, sowohl den Menschen an die Arbeit anzupassen als auch umgekehrt die Arbeit an den Menschen. Ersteres wurde als ein Aspekt der Rationalisierung, letzteres als ein Teil der Humanisierung der Arbeit verstanden. Dem ersten Zweck kam insbesondere in der tayloristischen Variante der Arbeitswissenschaften gewiss zunächst eine dominante Position zu. Allerdings wird diese Dominanz in der historischen Forschung häufig zu einer vollständigen Fixierung der Arbeitswissenschaften auf dieses Ziel überhöht. Es gilt im Folgenden zu zeigen, dass zum einen die Anpassung der Arbeit an den Menschen bereits zu einem frühen Zeitpunkt berücksichtigt wurde, und zum anderen, dass beide Ziele häufig untrennbar miteinander verknüpft waren. Insbesondere in der Betriebssoziologie wurde die Gestaltung der Arbeitsumwelt prominent behandelt. Dabei prägten zwei Publikationen aus dem Jahre 1922 den in diesem Zusammenhang zentralen Begriff vom „Lebensraum“ Fabrik, Willy Hellpachs Gruppenfabrikation und Eugen Rosenstocks Werkstattaussiedlung. Es lässt sich zeigen, dass sich dieser Terminus als bemerkenswert flexibel erwies und auch in Kontexte integriert wurde, die ideologisch nichts mit dem bekanntesten Gebrauch des Begriffs Lebensraum in (proto-)nationalsozialistischen Eroberungsplänen zu tun hatten.59 Hellpach, Vorstand des Instituts für Sozialpsychologie an der TH Karlsruhe, DDP-Politiker und badischer Kultusminister, hatte eine zentrale Frage: „Was ist das Fabrikproblem?“60 Die konkreten architektonischen Aufgaben, wie beispielsweise Ventilation und Lichteinfall zu regeln seien, erklärte er zunächst zu „Fabrikproblemchen“. Das „große Fabrikproblem“ hingegen sei „selber wieder Teil des Lebensraumproblems“.61 Diese „Werkraumfrage“ der räumlichen Anordnung

59 Woodruff Smith betont die ideologische Flexibilität des Begriffs Lebensraum, geht aber selbst bei der Erörterung seines Ursprungs aus den Schriften des Geographen Friedrich Ratzel wie die historische Forschung an sich nur auf die – gewiss wichtigste – Dimension, die imperialistische ein, vgl. Smith: Friedrich Ratzel, 1980, S. 68. 60 Lang/Hellpach: Gruppenfabrikation, 1922, S. 6. Zur politischen und wissenschaftlichen Biographie Hellpachs vgl. Kaune: Willy Hellpach, 2005; Pfanzer: Begründung, 1995. 61 Ebd., S. 8. Hellpach bezieht sich explizit auf das Lebensraum-Konzept Friedrich Ratzels, das er für einen der „eminent genialen Einfälle“ Ratzels hält, obwohl dieser letztlich kei-

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von Menschen, Maschinen und Material sei bis zu diesem Zeitpunkt weder von der „Fabriktheorie“ noch von der „Fabrikpraxis“ als Problem erkannt worden.62 Nur ein Teil des „Charakteristikum[s] des modernen Fabriksaals“ werde allgemein erfasst, nämlich der quantitative der „großen Menschenmasse“. Ebenso wichtig sei aber der meist übersehene qualitative Aspekt der „atomisierten Menschenmasse“: Zwischen den Arbeitenden bestehe „keine Arbeitsbeziehung“.63 Explizit stellte Hellpach an anderer Stelle klar, dass er keineswegs „zu diesen Romantikern gehöre“, die sich ein idealisiertes mittelalterliches Handwerk zurück wünschten. Vielmehr ginge es ihm darum, Wegen nachzuspüren, die moderne „zerstückelte Arbeit […] dennoch sinnvoll und sittlich mit dem ganzen Mensch wieder zu verknüpfen“.64 Die Lösung des Problems sah Hellpach in einer Konzentration auf die Institution der Lehre; Es ginge darum, die Arbeiter/-innen für den modernen Produktionsprozess zu erziehen.65 Als badischer Unterrichtsminister entwickelte Hellpach entsprechende Pläne für Fachschulen, die den Arbeitern und Arbeiterinnen neben der „praktischrationellen Arbeit“ den Gesamtzusammenhang des Arbeitsprozesses nahebringen sollten. Weiterhin sollte dort die gesamte „menschliche Persönlichkeit“ erzogen werden.66 Hellpach machte in seinen Anmerkungen zur Gruppenfabrikation deutlich, dass allein durch die Disziplinierung der Arbeitenden nicht alle Probleme der Produktion zu lösen seien. Vielmehr habe gerade eine straffe Fabrikordnung verknüpft mit den räumlichen Gegebenheiten ein spezifisches Problem hervorgerufen: „Der Saalarbeiter ist sachlich und menschlich atomisiert“. In diesem Befund verdichte sich „das moderne Fabrikproblem“. Der „Geselligkeitstrieb“ der Arbeiter/-innen werde unterdrückt; während ältere Formen der Arbeit die Arbeitenden „menschlich verbunden“ hätten, indem „Geplauder, Klatsch und Tratsch, Lied, Zuruf, Neckerei, Vor-

ne überzeugende Theorie geschweige denn eine „systematische Beweisführung“ daraus gebildet habe, sondern den Einfall „ziemlich unausgeschöpft liegen gelassen“ habe. Hellpach versuchte sich dennoch an einer „sozialgeschichtlichen“ Auslegung von Ratzels Diktum „Jede große geschichtliche Wirkung setzt Verständnis für die Bedeutung des Raumes und Kraft zu seiner Bewältigung voraus“, ebd., S. 8, 97; vgl. Ratzel: Lebensraum, 1901. 62 Lang/Hellpach: Gruppenfabrikation, 1922, S. 20. 63 Ebd., S. 22. 64 Hellpach: Erziehung, 1925, S. 55. Hinrichs’ Charakterisierung von Hellpachs Konzepten als „kulturpessimistisch“ erscheint folglich verkürzend, vgl. Hinrichs: Seele, 1981, S. 180. 65 Hellpach: Erziehung, 1925, S. 55, 61f. 66 Vgl. Witte: Taylor, 1924, S. 74.



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wurf, Scheltrede, Spott, Belehrung, Klage“ allgegenwärtig gewesen seien, habe der Fabriksaal diese Verbindung ausgelöscht.67 Das von Hellpach beschriebene und vermisste Arbeiterverhalten jenseits der reinen Ausrichtung auf den Produktionsprozess lässt sich mit dem Sozialhistoriker Alf Lüdtke als „Eigen-Sinn“ bezeichnen. Lüdtke geht es darum, die Vorstellung von einer umfassenden Kontrolle über die Arbeiter/-innen durch alltagsgeschichtliche Forschungen zu differenzieren. Das eigen-sinnige Verhalten diene der individuellen wie kollektiven Selbstvergewisserung der Arbeiter/-innen. Keineswegs sei dieses Verhalten jedoch dem Widerstand zuzurechnen, damit werde man dem Eigen-Sinn nicht gerecht. Dieser sei eben nicht wie der Widerstand allein eine Reaktion auf Disziplinierungsversuche,68 sondern sorge spontan und unabhängig davon dafür, dass die Arbeiter/-innen „immer wieder physischen und sozialen Raum für sich selbst“ okkupierten.69 Der Eigen-Sinn sei weder vom „Übergang zur Mehrmaschinenbedienung, […] noch durch Zeitkontrollen am Fabriktor oder am Arbeitsplatz, aber auch nicht durch politischen Terror im Faschismus ausgeschaltet“ worden: „Eigensinn blieb ein Element des Arbeiterverhaltens.“70 Auch von Rationalisierungsmaßnahmen seien diese „Alltagspraktiken“, wie etwa „Herumgehen, Sprechen, momentanes ‚Abtauchen‘ oder Tagträumen“ sowie „Neckereien“, weitgehend unbetroffen geblieben.71 Hellpachs Stellungnahme gibt – ebenso wie die weitere Diskussion der Lebensraumproblematik in den Arbeitswissenschaften – einen Hinweis darauf, dass es sinnvoll sein kann, Lüdtkes Konzept zu ergänzen. Wenn auch Lüdtke überzeugend dargelegt hat, dass eigen-sinniges Verhalten der Arbeiter/-innen nicht ohne weiteres zu unterdrücken bzw. zu disziplinieren war, so ist doch in Frage zu stellen, ob es den Arbeitern und Arbeiterinnen tatsächlich gelingen konnte, einen „Raum für sich selbst“ zu besetzen. Auch Experten und das Management hatten Interesse an der Besetzung dieser Räume, weil sie in Hellpachs Perspektive die konkrete Chance eröffneten, die spezielle Qualität des Lebensraums im modernen Arbeitsprozess zu erhalten bzw. wiederzugewinnen. Es ging nicht in erster Linie um den Versuch einer Disziplinierung von Eigen-Sinn, sondern vielmehr um die Gestaltung konvergenten Eigen-Sinns,72 also um die Nutzbarmachung proletarischer Alltagspraktiken für Zwecke der Produktivitätssteigerung. An dieser Stelle bietet sich dann wiederum die Rückkehr zu Foucault, speziell zu seinem Begriff der Regierung/ Gouver67 Lang/Hellpach: Gruppenfabrikation, 1922, S. 26. 68 Vgl. Lüdtke: Ordnung, 1992, S. 219ff. 69 Lüdtke: Eigen-Sinn, 1993, S. 377. 70 Ebd., S. 257. 71 Ebd., S. 378. 72 Ich danke Ulrich Wengenroth für eine anregende Diskussion im Rahmen seines Oberseminars, die u.a. den Begriff des konvergenten Eigensinns hervorgebracht hat.

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nementalité an („das mögliche Handlungsfeld anderer zu strukturieren“).73 Das Ziel, konvergenten Eigen-Sinn zu erzeugen, lässt sich als eine Ausprägung dieses Machttyps Regierung verstehen. Deutlich lässt sich diese Ausrichtung an Eugen Rosenstocks Werkstattaussiedlung – Untersuchungen über den Lebensraum des Industriearbeiters zeigen, das als zweiter Band nach der Gruppenfabrikation in der von Hellpach herausgegebenen Reihe „Sozialpsychologische Forschungen“ erschien. Der Rechtshistoriker und Soziologe Rosenstock folgte Hellpachs Problemstellung und konstatierte, „der Lebensraum des Arbeiters und sein Arbeitsraum“ fielen als „zwei getrennte, ja zwei entgegengesetzte Hälften auseinander“.74 Rosenstocks Ziel war es zu erörtern, „unter welchen Bedingungen sich das ändert“.75 Im Gegensatz zu Hellpach legte er die Motivation seines Ansinnens offen und stellte implizit klar, dass es nicht um philanthropische Zwecke ging: „Nur eines steht fest: der Arbeiter muss jetzt Kräfte seines Lebens in den ‚Betrieb‘ einströmen lassen, die er dem Unternehmer und dessen Fabrik grundsätzlich vorenthielt. Kräfte seines Lebens sagen wir, zum Unterschied von der bloßen Kraft seiner Arbeit von der nackten Arbeitskraft, die er bisher allein in den Arbeitsraum hineinzuliefern wünschte. Durch den Einstrom seiner Lebenskräfte muss also der Arbeitsraum zu einem Teil seines Lebensraumes werden.“

Der „erste Schritt“ zu dem Ziel, dass die Fabrik zum „Lebensraum des Arbeiters“ werde, liege darin, „die Dinge, um die es sich handelt, anders“ zu nennen. Der Arbeiter müsse fortan „Angehöriger eines Betriebes“ heißen; die Arbeitsordnung dürfe nicht weiterhin „eine einseitig an […] den Arbeiter gerichtete Ermahnung“ sein, sondern müsse zur zusammen ausgearbeiteten „Vereinbarung“ werden: „Dem Mitgliede eines Prozesses, dem Mitarbeiter an einer Aufgabe, dem Angehörigen eines Betriebes wandelt sich notwendig die Welt und der Raum seiner Arbeit.“ An sich sei entscheidend, dass sich „Dinge, Gefühle, Urteile“ wandelten.76 Sowohl Hellpach als auch Rosenstock trugen nicht allein zur wissenschaftlichen Debatte bei, sondern versuchten sich beim Stuttgarter Automobilhersteller Daimler auch an der praktischen Umsetzung der formulierten Ziele. Rosenstock war für die Realisierung der Werkszeitung hauptverantwortlich, was sich durchaus als ein Schritt zum angesprochenen Versuch, die Mentalitäten der Arbeiter/-innen zu än73 Foucault: Subjekt, 2005, S. 256. 74 Rosenstock: Werkstattaussiedlung, 1922, S. 6. Luks hält fest, dass Rosenstocks Diagnose „charakteristisch für industriebetriebliches Ordnungsdenken insgesamt“ gewesen ist, vgl. Luks: Betrieb, 2010, S. 21. 75 Rosenstock: Werkstattaussiedlung, 1922, S. 7. 76 Ebd., S. 7



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dern, verstehen lässt. Konkret diente es dem Ziel, dem befürchteten Linksruck der Arbeiterschaft durch die Herstellung und Steuerung einer unternehmensinternen Öffentlichkeit entgegenzuwirken. 77 Die „Werkstattaussiedlung“, die Rosenstocks Buch den Titel gab, bezweckte, die Spaltung von Arbeits- und Lebensraum durch die räumliche Ausgliederung einzelner Werkstätten aus dem Fabrikverbund zu überwinden. Diese Idee war ebenfalls als praktischer Vorschlag gedacht, blieb aber „imaginiert“.78 Die von Hellpach beschriebene Gruppenfabrikation wiederum wurde von seinem Mitverfasser, dem Ingenieur Richard Lang, bei Deutz eingeführt; Peter Hinrichs sieht darin eine „Frühform“ der in den 1970er Jahren „neuentdeckten sogenannten ‚teilautonomen Arbeitsgruppen‘“, allerdings wiesen schon Zeitgenossen Hellpachs darauf hin, dass diese Versuche in der Praxis wenig erfolgreich gewesen seien.79 Einige Jahre später zeigte sich der Betriebssoziologe Götz Briefs dennoch zuversichtlich und sah die Tendenz, dass sich die Fabrik wieder vom reinen „Zweckraum“ wegbewege und „lebensräumliche Elemente“ hinzugewinne. Briefs stellte in seiner letzten Publikation in Deutschland vor seiner Emigration in die USA 1934 fest, dass die „absolute Versachlichung des Betriebsraums“ vor allem deswegen kein Idealbild für die Betriebsleitungen sei, weil sie in dieser Form „nicht mehr ‚rationell‘“ sei.80 Die Rede vom Lebensraum Fabrik ging also durchaus mit Rationalisierungsüberlegungen einher. Konkret kritisierte Briefs die „Unfreundlichkeit mancher Arbeitsräume“, die dazu beitrügen, der Fabrik „das Lebensräumliche noch weiter zu entfernen“.81 Die konkrete Gestaltung der Fabrikräume und die Einrichtung von Sozialräumen verband auch die Soziologin Hildegard Jüngst mit ihrer Forderung nach Lebensraum in der Fabrik. Vor allem betonte Jüngst in ihrer Abhandlung über Die jugendliche Fabrikarbeiterin (1929), wie wichtig diese Aspekte für Frauen, insbesondere für junge Frauen seien. Die Trennung von Lebensraum und Arbeitsraum sei eine nicht zu widerrufende Tatsache der Moderne, es gehe einzig darum, „die Sphäre des Lebensraums auch in der Fabrik wirksam zu machen“.82 Neben besseren Luft- und Lichtverhältnissen forderte Jüngst die Einrichtung von Kantinen und Bibliotheken; alles sollte dem Zweck dienen, Lebensraum in der Fabrik zu schaffen: „Lebensraum und Arbeitsstätte sind wohl getrennt und werden nicht mehr zu vereinigen sein. Um aber die Sphäre des Lebensraumes auch in der Fabrik wirksam zu machen, muss sie so77 Vgl. Luks: Betrieb, 2010, S. 13f. 78 Vgl. ebd., S. 9. 79 Vgl. Hinrichs: Seele, 1981, S. 172, 187. 80 Briefs: Betriebsführung, 1934, S. 3. 81 Ebd., S. 25. 82 Jüngst: Fabrikarbeiterin, 1929, S. 112.

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Noch wichtiger sei freilich die Gelegenheit, in den Pausen Sport zu treiben. 84 Alles zusammen wiederum könne immer nur als „Vorbedingung“ dafür gelten, dass zukünftig die „Fabrikarbeit trotz Entseelung und Mechanisation mit frischer Kraft und fröhlichem Sinn geleistet werden“ könne. Grundsätzlich sollte es darum gehen, „der Arbeit selbst in gewissem Maße Seele einzuflößen“, indem eine persönliche Arbeitsbeziehung hergestellt werden sollte.85 Ebenfalls 1929 stellte Elisabeth Krüger, gleichfalls ausgehend vom Thema Frauenarbeit, im Zentralblatt für Gewerbehygiene und Unfallverhütung die Forderung auf, ein Gewerbearzt müsse bei der Planung einer Fabrik obligatorisch beteiligt werden, „weil die Möglichkeit der Hygiene mit dem Grundriss“ beginne: „Ein hygienisch eingerichteter Fabrikbau fördert die ganze Lebensatmosphäre und Leistungsfähigkeit der Arbeiterschaft und damit auch die Rentabilität eines Betriebes.“86 Es lässt sich die These aufstellen, dass die wissenschaftliche – wie auch betriebspraktische – Beschäftigung mit der zunehmenden industriellen Frauenarbeit als Katalysator eines wachsenden Interesses an einer ‚lebensgerechten‘ Gestaltung der Fabriken diente. 87

83 Ebd., S. 112. 84 Sport am Arbeitsplatz war um 1930 Gegenstand der arbeitswissenschaftlichen Diskussion; 1931 erschien ein Beiheft des Zentralblatts für Gewerbehygiene und Unfallverhütung zum Thema „Arbeit und Sport“. Zur Geschichte des Betriebssports aus sportwissenschaftlicher Perspektive vgl. Luh: Betriebssport, 1998. 85 Jüngst: Fabrikarbeiterin, 1929, S. 112, 116. 86 Krüger: Frauenarbeit, 1929, S. 17f. 87 Auch Laura Lee Downs betont, dass Arbeiterinnen und Vorstellungen von der Geschlechterdifferenz von großer Bedeutung für die Konstruktion der modernen rationellen Fabrik gewesen seien, zielt dabei allerdings vorwiegend auf Konzepte einer geschlechtsspezifischen Disziplinierung und Hierarchie, Vgl. Downs: Manufacturing Inequality, 1995, S. 10.



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B ETRIEBLICHE S OZIALRÄUME : S PEISERÄUME Konkret im Vordergrund einer solchen Vorstellung hygienischer und schöner Fabriken standen häufig Sozialräume, wobei vor allem Kantinen und Sanitäranlagen in der zeitgenössischen Arbeitswissenschaft und Architektur diskutiert wurden. Die historische Forschung hat sich bisher kaum mit diesem Thema beschäftigt.88 Die Geschichte des betrieblichen Kantinenwesens in Deutschland hat in erster Linie die Medizinhistorikerin Ulrike Thoms in einzelnen Aufsätzen behandelt. Thoms betrachtet die Entstehung der Kantinen im 19. Jahrhundert grundsätzlich als einen Teil der „zunehmenden sozialen Disziplinierung der Arbeitswelt“. Die Motivation zur Gründung von Kantinen sei aber vielfältig gewesen: Einige Unternehmer wollten zur Steigerung der Produktivität die „Leistungsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit“ ihrer Belegschaft stärken.89 Andere Fabrikanten verfolgten philanthropische Ziele und trachteten gleichzeitig danach, mit einer paternalistischen Unternehmensführung die Arbeiter stärker an den Betrieb zu binden. Ein weiteres wichtiges Motiv gründete in den Debatten um Arbeitssicherheit – ein zentraler Punkt bestand in der Ausgabe nichtalkoholischer Getränke, um den Unfälle verursachenden Alkoholkonsum zu bekämpfen – und Hygiene.90 Der Gesichtspunkt der Gesundheitsfürsorge war wiederum von dem ökonomischen Gedanken angeleitet, dass gesunde und gut ernährte Arbeiter besser arbeiteten, seltener krank seien, weniger Unfälle verursachten und sich stärker mit dem Unternehmen identifizierten.91 Nachdem die Arbeitswissenschaften den Einfluss psychologischer Momente auf die Produktivität thematisiert hatten, spielten solche Überlegungen auch für die Einrichtung von Kantinen eine Rolle. Zuvor hatten „kahle große Räume ohne jeden Schmuck“, gefüllt mit langen Sitzbänken, einen „Armeleutegeruch“ verbreitet. Ab den 1920er Jahren passten sich auch die Arbeiterkantinen stärker der Ausstattung von Angestelltenkasinos und einfachen Gaststätten an: Stühle und kleinere Tische samt Tischtuch, Porzellangeschirr und Blumenschmuck hielten Einzug.92 Als vordergründiges Ziel des betrieblichen Kantinenwesens betrachtet Thoms jedoch die Herstellung von Ordnung und Sauberkeit. Aufseher hätten als eine Art ‚Speiseraumpolizei‘ gewirkt. Die Arbeiter hätten solche Versuche zur Disziplinie-

88 Ausführlich zur Geschichte der Betriebskantinen, vgl. Uhl: Lebensraum, 2012; zur Geschichte der sanitären Anlagen im industriellen Betrieb, vgl. Uhl: Abort, 2011. 89 Thoms: Essen, 2004, S. 203. 90 Vgl. ebd.; Thoms: Physical Reproduction, 2009, S. 128. Zur Geschichte der Arbeitssicherheit, vgl. Weber: Arbeitssicherheit, 1988. 91 Vgl. Thoms: Essen, 2004, S. 208. 92 Vgl. ebd., S. 211. Auf dennoch fortbestehende Distinktionsmerkmale wird weiter unten eingegangen.

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rung abgelehnt, nur eine Minderheit nutzte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Kantinen.93 Entscheidend für die lang anhaltende geringe Akzeptanz der Kantinen bei den Arbeiter/-innen sei allerdings vor allem der Preis gewesen; bei niedrigen Preisen wurden Kantinen bereits im 19. Jahrhundert höher frequentiert.94 Die ablehnende Haltung gegen die Fabrikspeisung wich langsam zurück, nachdem die Arbeiterausschüsse, deren Einrichtung im Ersten Weltkrieg verpflichtend wurde, Einfluss auf die Betreuung der Kantinen genommen hatten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich Kantinen in Deutschland insofern etablieren, als dass sie am Ende der 1950er Jahre in der Bundesrepublik vermutlich 60 Prozent der Erwerbstätigen regelmäßig aufsuchten; in der DDR wurden Betriebskantinen ähnlich gut angenommen.95 Thoms gibt grundsätzlich ein differenziertes Bild der historischen Entwicklung des Kantinenwesens wieder, sieht aber seine Funktion vor allem in der Sozialdisziplinierung. Diese Zielsetzung kam den Kantinen gewiss auch zu; ein besonders deutliches Beispiel hierfür gibt die Praxis in der Chemischen Fabrik Griesheim im späten 19. Jahrhundert: In den viel frequentierten Speisesälen wurden die Namen vermeintlicher „Störenfriede“ unter den Arbeitenden an eine Tafel geschrieben, wobei die „Störenfriede“ offensichtlich nach einigen Monaten von dieser Maßnahme dermaßen eingeschüchtert gewesen sind, dass es gar keinen Anlass mehr gab, weitere Namen an die Tafel zu schreiben.96 Subtilere Verfahren zur Herstellung der betrieblichen Ordnung in der Mitte des 20. Jahrhunderts untersucht Timo Luks anhand des „Kantinenstreits“ zwischen Management und Arbeiter/-innen im Jahr 1953 bei Daimler. Verschiedene Szenarien der Kantinengestaltung und letztlich der Umstieg auf Selbstbedienung seien in erster Linie durch die Dominanz eines „Ordnungsdenkens“ bei der Betriebsleitung zu erklären. Treibende Kräfte seien neben dem Leitbild des fließenden Bandes – zunächst im Werk, nun in der Kantine – der Wille zur Kontrolle der Arbeitszeit und zur Disziplinierung des Verhaltens der Arbeiter/-innen gewesen.97 Im Einzelfall mag eine derartige Erklärung so überzeugend wie zutreffend sein, dabei gehen jedoch andere Aspekte unter. Im Folgenden soll deshalb gefragt werden, inwieweit neben das Ziel der Disziplinierung schon sehr früh die Idee trat, dass es unter dem Leitbild der Humanisierung der Fabrik möglich 93 Vgl. Thoms: Physical Reproduction, 2009, S. 134. 94 Vgl. Thoms: Essen, 2004, S. 213. 95 Vgl. ebd., S. 214f. In der DDR nahmen 1967 ca. 55 Prozent der Beschäftigten am Betriebsessen teil, vgl. Hübner: Betriebe, 2006, S. 753. Die spätere Konkurrenz durch Imbissbuden und Snacks führte dazu, dass 1991 in Deutschland nur noch ein Viertel derjenigen, die dazu die Möglichkeit besaßen, das Angebot der Kantinen nutzen, vgl. Thoms: Essen, 2004, S. 214f. 96 Vgl. Post: Bericht, [um 1883], S. 3. 97 Luks: Massengesellschaft, 2009, S. 43, 49.



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sei, bisher unausgeschöpfte individuelle Potentiale der Arbeiter/-innen nutzbar zu machen. In dieser Hinsicht bietet Jakob Tanners Studie Fabrikmahlzeit über die Ernährung in industriellen Betrieben der Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtige Anregungen. Tanner interessiert sich in erster Linie für die Geschichte der Ernährungswissenschaften, bietet aber auch konkrete Einblicke in die Entwicklung des Kantinenwesens. Eine entscheidende Rolle nimmt dabei der Schweizer Verband Volksdienst (SVV) ein. Er betreibt seit 1914 einen großen und im Laufe des 20. Jahrhunderts stark gewachsenen Anteil der Betriebskantinen in der Schweiz und erweiterte vor allem die Vorstellung von den Aufgaben der Kantine: Die Kantine war „nicht einfach eine ‚Tankstelle‘ für den ‚menschlichen Motor‘, sondern zuerst einmal temporärer Familienersatz“. Der Gedanke der Leistungssteigerung blieb der entscheidende Antrieb zum Betrieb von Kantinen, allerdings unter der Annahme, dass die reine Energiezufuhr zu diesem Ziel nicht hinreiche und dass „Arbeitsfreude“ hinzukommen müsse.98 Tanner sieht im Konzept und der Praxis der SVV-Kantinen zweierlei Einflüsse: Zum einen ging es im Sinne des Scientific Managements um Effizienz und Produktivität – davon war der Küchenbetrieb bestimmt –, zum anderen sollten die Speiseräume selbst als „Gegenmodell zur rationellen und fremdbestimmten Fabrikproduktion“, quasi als „weibliche“ Ergänzung der ‚männlichen‘ Rationalisierung, wirken. Tanners Interpretation, die Kantine sei als „Familienraum“, als „emotionale Tankstelle“ konzipiert worden,99 deckt sich weitgehend mit meiner Lesart der Debatten um den Lebensraum Fabrik. Letztlich wurden die Ziele, die die Unternehmer bei der Einrichtung der Kantinen gehegt hatten, weitgehend erfüllt: Tanners Fallstudien einzelner Unternehmen zeigen, „dass das Essen und Trinken einen katalytischen Effekt auf die sozialfriedliche Ausgestaltung der ‚industriellen Beziehungen‘ hatte“.100 Die von Thoms beschriebene freiwillige, durchaus auf den eigenen ökonomischen Vorteil bedachte Einrichtung von Kantinen und Speiseräumen durch Unternehmer darf nicht überdecken, dass diese Vorläufer in der Minderheit blieben. So wurde beim Konzern Krupp in Essen erst 1880, bei bereits 12.000 Arbeitern, ein gesonderter Speiseraum eingerichtet. 101 Durch die Gewerbeordnungsnovelle von 1891 konnten dann die zuständigen Polizeibehörden anordnen, dass „den Arbeitern zur Einnahme von Mahlzeiten außerhalb der Arbeitsräume angemessene, in der kalten Jahreszeit beheizte Räume unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden“.102 Es 98

Tanner: Fabrikmahlzeit, 1999, S. 314.

99

Ebd., S. 369.

100 Ebd., S. 460. 101 Vgl. Lüdtke: Arbeitsbeginn, S. 110. 102 § 120b Gewerbeordnung für das Deutsche Reich, abgedruckt bei Pannier: Gewerbeordnung, 1923, S. 139. Grundsätzlich änderte sich in den Betrieben wenig „an den Herr-

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entsprach dabei durchaus den Interessen der Fabrikanten, dass die Arbeiter nicht am Arbeitsplatz Essenspausen machten; wie Alf Lüdtke gezeigt hat, war es nicht das Interesse der Unternehmer, Pausen und die Nahrungsaufnahme zu unterdrücken, es ging ihnen vielmehr darum, sie zu regulieren, zeitlich wie räumlich.103 Der eigentliche Kantinenbetrieb blieb bis weit ins 20. Jahrhundert eine Ausnahme. Lange Zeit waren reine Speiseräume, in denen lediglich mitgebrachte Speisen aufgewärmt und gegessen werden konnten, für die Situation in der Mehrzahl der Betriebe bestimmend – sofern es überhaupt einen solchen Raum gab. So hieß es noch 1923 in Wilhelm Franz’ Handbuch zur Gestaltung von Fabrikbauten, dass denjenigen Arbeiter/-innen, die während der Mittagspause nicht die Fabrik verließen, Speiseräume mit „Speisewärmvorrichtungen“ zur Verfügung gestellt werden müssten; ein Küchenbetrieb wird nicht einmal als Alternative erwähnt.104 Zehn Jahre später setzten Heideck und Leppin in ihren Anmerkungen zur Planung und Ausführung von Fabrikanlagen zwar die Einrichtung einer „Werkspeisung“ grundsätzlich voraus, betonten aber, dass Arbeiter daran weniger Interesse zeigten als Angestellte; folglich gab es in vielen Betrieben auch „nur eine Beamtenspeisung“ und zusätzliche Arbeiterspeiseräume zum Verzehr mitgebrachter Speisen. Gleichwohl bestand weiterhin in einigen Betrieben die Praxis fort, dass mitgebrachte oder von Familienangehörigen gelieferte Mahlzeiten „an den Arbeitsplätzen eingenommen“ wurden.105 Eine Generation zuvor, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, galten betriebliche Sozialräume noch nicht als verpflichtend. Das mit ähnlicher Zielsetzung ebenfalls als Handbuch verfasste Werk des Ingenieurs Ludwig Utz über Moderne Fabrikanlagen von 1907 hielt die Einrichtung von Sozialräumen, die zeitgenössisch als „Wohlfahrtseinrichtungen“ bezeichnet wurden, trotz der Gewerbeordnungsnovelle nur dann für „notwendig, wenn die betr. Fabrik einsam liegt“,106 die Arbeiter/-innen also nicht in der Mittagspause nach Hause gehen konnten. Die allmähliche Etablierung der Speiseräume, die den Fabrikanten zumindest in einigen Fällen die Gelegenheit gab, im Konsens mit der Arbeitervertretung den Pausenaufenthalt in den Arbeitsräumen zu untersagen,107 brachte zwangsläufig die Fragen mit sich, wo sie innerhalb der Fabrikanlage liegen sollten und wie sie zu kontrollieren seien. Hauers Handbuch zur Gestaltung des Fabrikbaus (1922) berücksichtigte, dass in der Regel Angehörige den Arbeitern das Essen brachten. Die Speisesäle sollten deshalb „am besten von den übrigen Räumen etwas getrennt“ lieschafts- und Kooperationsbeziehungen des Werkstattpersonals“ durch die Gesetzesnovelle, vgl. Kocka: Unternehmensverwaltung, 1969, S. 215. 103 Lüdtke: Arbeitsbeginn, 1980, S. 104, 113. 104 Franz: Fabrikbauten, 1923, S. 125. 105 Vgl. Heideck/Leppin: Planung, 1933, S. 187. 106 Utz: Fabrikanlagen, 1907, S. 320. 107 Vgl. Freese: Fabrik, 1909, S. 103f.



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gen und einen „besonderen Eingang von der Straße aus“ erhalten, damit die Angehörigen die eigentlichen Fabrikräume nicht betraten.108 Der Milchhof Nürnberg, nach seiner Fertigstellung 1930 der größte Molkereibetrieb Europas, war so konzipiert, dass der Pförtner aus zwei Fenstern gleichermaßen den Transportverkehr als auch den Weg zur Kantine überwachen konnte.109 In der ersten Auflage von Ernst Neuferts Bauentwurfslehre, das bis heute in mehreren Sprachen eines der einflussreichsten Architekturhandbücher ist, folglich also die Konstruktion vieler Bauten beeinflusste, wurde 1936 festgehalten, dass sich der Speiseraum stets „in der Nähe des Werkseingangs“ und in solchen Fällen vor dem Fabriktor befinden sollte, „wenn Speisen von Angehörigen gebracht werden“; auf jeden Fall müsse alles, auch die Gartensitzplätze, so angeordnet sein, dass es „vom Werkspförtner übersehbar“ sei.110 Das Beispiel der räumlichen Abtrennung der Angehörigen vom Werksgelände lässt sich durchaus als Beleg einer chronologischen Ausweitung der Kontrolle verstehen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten Frauen und Kinder, die den Arbeitern das Essen brachten, noch mit ihnen zusammen am Arbeitsplatz essen. Später musste das Essen von den Angehörigen in die – wie beschrieben am Rande des Werksgeländes in Tornähe gelegenen – Speiseräume gebracht werden. Zu dieser räumlichen Beschränkung kam eine zeitliche hinzu: Die Angehörigen durften in einigen Fällen maximal eine Viertelstunde bleiben; eine gemeinsame Mahlzeit gestaltete sich nunmehr also schwierig.111 Alf Lüdtke sieht in der Einrichtung eines organisierten Essenstransportes bei Krupp in den 1890er Jahren eine Maßnahme, um den Kontakt zu den Familienmitgliedern während der Arbeitszeit zu beenden; die gleichwohl den Arbeiterfamilien Aufwand und Wege ersparte und deshalb ohne Widerstand durchgeführt werden konnte. 112 Dennoch lässt sich auch an den Speiseräumen aufzeigen, dass die Fabrikordnung der Moderne keinen gradlinigen Weg hin zur vollständigen Sozialdisziplinierung beschritt. Vielmehr nahm Friedrich Naumann keine Einzelposition ein, als er 1908 festhielt, Wohlfahrtseinrichtungen in Betrieben nützten so lange nichts, wie die Arbeiter und Angestellten nicht „selbst beratend“ mitwirkten; ansonsten wären solche Einrichtungen nur zusätzliche „Ketten“ der Arbeiter. Ziel müsse es sein, dass die Arbeiter „den Betrieb als ‚unser Betrieb‘ bezeichnen“ könnten.113 Es soll im Folgenden also einer Machtstrategie nachgegangen werden, die Alf Lüdtke für den Zweck der Durchsetzung von Zeitdisziplin als die „fortwährenden Anstrengungen 108 Hauer: Fabrikbau, 1922, S. 52 109 Vgl. Ostermann: Fabrikbau, 2006, S. 83 110 Neufert: Bauentwurfslehre, 1936, S. 191 111 Lüdtke: Arbeitsbeginn, 1980, S. 110. 112 Ebd., S. 112f. 113 Naumann: Gewerbekunst, 1964, S. 276f.

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der Werksleitungen, die Kontrolle als Selbstkontrolle der Arbeitenden zu organisieren“,114 beschrieben hat. Einen Ausgangspunkt für den Einzug flexibler Konzepte jenseits repressiver Machtmechanismen stellte der Arbeitsschutz dar. Wie bereits angesprochen spielten Überlegungen zur Arbeitssicherheit bei der Einrichtung betrieblicher Kantinen insofern eine Rolle, als diese der Bekämpfung des Alkoholkonsums bei der Arbeit dienen sollten. Bis in die frühe Bundesrepublik gehörte der Alkoholkonsum zum Habitus männlicher Fabrikarbeiter, nicht zuletzt in Abgrenzung zu Angestellten.115 Beispielsweise wurde erst 1956 bei der Dortmunder Werkzeugmaschinenfabrik Wagner & Co. – einvernehmlich von Geschäftsleitung und Betriebsrat – ein generelles Alkoholverbot beschlossen. Die Unternehmensleitung brachte das Thema zur Sprache, da „der Alkoholausschank in der Kantine zu Auswüchsen“ geführt hätte. Konsens wiederum herrschte darüber, dass – wie der Geschäftsführer Finkelnburg festhielt – „selbstverständlich nichts dagegen einzuwenden sei, wenn ein Arbeiter einmal eine Flasche Bier trinke“, nur einzelne „Disziplinlosigkeiten“ gelte es zu vermeiden, weshalb letztlich zum Mittel des Verbotes gegriffen werden müsse.116 Somit hielt sich sehr lange eine Mentalität, die der reformfreudige Fabrikant Heinrich Freese bereits vor dem Ersten Weltkrieg bemängelt hatte. Die meisten Arbeiter seien nicht von der Meinung abzubringen, dass „Bier als Stärkungsmittel für die körperlich Arbeitenden unentbehrlich sei“. Zusätzlich wurde auf die schlechte Trinkwasserqualität verwiesen und hervorgekehrt, dass in Folge des gesunden Bierkonsums sehr „wenig Schnaps getrunken“ werde.117 Freeses Kampf gegen den Alkoholkonsum bei den Arbeitern war bezeichnend für die Unternehmerposition ab dem späten 19. Jahrhundert, allerdings wurde zumindest in Einzelfällen noch in den 1870er Jahren selbst Branntwein als Bonus an einzelne Arbeitergruppen verteilt.118 Vielerorts gab es strikte Verbote, bei deren Überschreiten Entlassung drohte. In einigen Betrieben wurde hingegen just jene Position aufgegriffen, die Freese von seinen Arbeitern entgegen gehalten wurde: Es gab Bier oder Wein zur Bekämpfung des Konsums hochprozentigen Alkohols. Teilweise plädierten auch Gewerbeinspektoren zum Ausschank von Bier in der Kantine, um den Branntweinkonsum zu 114 Lüdtke: Arbeitsbeginn, 1980, S. 106. Den zentralen Hebel für diesen Zweck habe das Lohnsystem, der „Übergang vom Zeit- zum Stücklohn“ ausgemacht, ebd. 115 Vgl. Süß: Kumpel, 2003, S. 173. 116 Vgl. Wagner & Co.: Niederschrift über die außerordentliche Sitzung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat vom 4.6.1956. WWA, Sign. F3-151, Bl.1f. 117 Freese: Fabrik, 1909, S. 116f. Zum Sozialreformer Freese vgl. Gabbert: Heinrich Freese, 1970. 118 Lüdtke berichtet von Freigetränken bei Krupp. Ab einer gewissen Außentemperatur gab es kalten Kaffee für die Arbeiter, allerdings auch „guten, leichten (40%igen) Kornbranntwein“, vgl. Lüdtke: Arbeitsbeginn, 1980, S. 107.



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bekämpfen.119 Am häufigsten war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Strategie, alkoholfreie Getränke zu subventionierten Preisen oder unentgeltlich abzugeben und gleichzeitig Bier oder Wein in der Kantine zu verkaufen.120 Julius Post und Heinrich Albrecht zählten so auch die Basler Speiseanstalt der Schweizerischen Centralbahn zu den Musterstätten persönlicher Fürsorge von Arbeitgebern für ihre Geschäftsangehörigen (1893). Durch den Verkauf „guter Speisen und Getränke“ war es möglich geworden, „den Branntweingenuss nach und nach“ zu beseitigen. Zunächst wurden zur langsamen „Entwöhnung schwere italienische Weine verzapft“, später „gewöhnten“ sich die Arbeiter daran, das Essen mit kohlensäurehaltigem Wasser zu sich zu nehmen. Schließlich konnte ein Verbot des Branntweins durchgesetzt werden, die Arbeiter waren nicht mehr betrunken, die Unfallquote ging zurück.121 Eine Mischung aus Disziplinarordnung und einem Prämiensystem, das die Arbeiter zur Selbstkontrolle motivieren sollte, wählte die mechanische Weberei F. Brandts in Mönchengladbach 1884 zur Bekämpfung des Alkoholkonsums – auch außerhalb des Betriebes. Zunächst wurde in der Fabrikordnung während der Arbeitszeit betrunkenen Arbeitern mit sofortiger Entlassung gedroht; auch außerhalb des Betriebes war „wiederholte Trunkenheit“ Grund für eine „Verwarnung“ oder im wiederholten Falle für eine Kündigung.122 Das „Hauptkampfmittel gegen die Trunkenheit“ sah der Unternehmer Brandts aber in der Auszahlung einer Prämie von einer Mark an diejenigen Arbeiter, die jeweils während eines Monats keinen Branntwein, auch nicht privat, getrunken hatten.123 Die Kontrolle bestand allein darin, dass der jeweilige Arbeiter schriftlich bescheinigte, „keinen Branntwein, keine Liqueure, Magenbitter u.s.w. oder irgend ein anderes gebranntes Getränk“ zu sich genommen zu haben. Auf diese Weise sollte ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufgebaut werden: Der Fabrikant versicherte, der Aussage zu vertrauen, dem Arbeiter wurde zugesichert, dass nur „der Obermeister und drei Vertrauenspersonen“ außer dem Fabrikherrn erfuhren, wer einen Schein eingereicht hatte. Gleichwohl blieben die hierarchischen Verhältnisse erhalten; die betriebsinterne Bekanntmachung der neuen Regelung schloss mit der unverhohlenen Drohung, dass unwahre Angaben zur 119 Vgl. Ellerkamp: Industriearbeit, 1991, S. 138. 120 Vgl. Matschoß: Maschinenfabrik, 1912, S. 158. Diese Praxis war nicht allgegenwärtig, bei Humboldt beispielsweise gab es schon frühzeitig ein Alkoholverbot flankiert zum Verkauf von alkoholfreien Getränken zum Selbstkostenpreis, vgl. Anonym: Führer, 1919, S. 159. 121 Post/Albrecht: Musterstätten, 1893, Bd. 2, 2. Teil, S. 343. 122 Vgl. ebd., 2. Teil, S. 379f. Die entsprechenden Bestimmungen aus der Fabrikordnung finden sich bei Post und Albrecht wörtlich wiedergegeben. Zur vollständigen Fabrikordnung F. Brandts’, vgl. Stadtarchiv Mönchengladbach (Hg.): Fabrikordnung, 1974. 123 Mieck: Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen, 1904, S. 47.

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sofortigen Entlassung führten.124 Dem Versuch wurde zugestanden, erfolgreich gewesen zu sein: In der Fabrik selbst wurde kein Schnaps mehr getrunken, etwa ein Drittel der Arbeiter würden die Enthaltsamkeitsprämie in Empfang nehmen, ohne dass Unehrlichkeit aufgedeckt worden sei, was gleichermaßen für das „Ehrgefühl der Arbeiter“ spreche.125 Der Unternehmer Brandts beanspruchte also, wie es auch von dem Zeitgenossen Krupp bekannt ist,126 räumlich über die Fabrik hinausgehend über die Arbeiterschaft bzw. über ihr Freizeitverhalten verfügen zu können. Eine weitere Ausweitung dieser Strategie berichtete Paul Mieck 1904 in seiner Abhandlung zu betrieblichen Sozialräumen über die Aktiengesellschaft des Altenbergs. Deren vorbeugender Kampf gegen den Alkoholismus habe darin bestanden, Schenken und Wirtshäuser in Fabriknähe aufzukaufen und in Arbeiterwohnungen umzuwandeln. In Ergänzung drohte auch hier die Fabrikordnung mit der Entlassung betrunkener Arbeiter. Ein weiteres „vorbeugendes Mittel“ wiederum habe darin bestanden, den Arbeitern Wein zu Einkaufspreisen anzubieten, um den „giftigen Branntwein“ zu verdrängen. Diese Methode habe den „denkbar besten Erfolg“ bei den Arbeitern gezeitigt. Das zentrale vorbeugende Mittel allerdings bestand in der „Errichtung gesunder und freundlicher Arbeiterwohnungen, durch welche der Arbeiter veranlasst wird, sein gemütliches Heim der lärmerfüllten und übelriechenden Kneipe vorzuziehen“.127 Die Raumpolitik der Unternehmer wurde hier in zweierlei Hinsicht weiterentwickelt. Zum einen wurde beansprucht, auch über das (Trink-)Verhalten der Arbeiter in Privaträumen verfügen zu können, zum anderen sollte der Privatraum aktiv umgestaltet werden: Der Zeitvertreib in der proletarischen Kneipe sollte in das bürgerlichen Moralvorstellungen genügende Heim verlagert werden.128 Der Lebensraum der Arbeiter/-innen war also bereits am Ende des 19. Jahrhunderts ein umkämpftes Gebiet: Es galt Räume zuzuweisen, sie zu gestalten, den Zeitvertreib in ihnen zu beeinflussen und verschiedenen Räumen Werte zuzuschreiben. Bevor Betriebssoziologen in den 1920er Jahren das Lebensraum-Problem themati124 Vgl. Post/Albrecht: Musterstätten, 1893, Bd. 2, 2. Teil, S. 380f. 125 Vgl. ebd., 2. Teil, S. 381. Mieck nannte eine Quote von 25 Prozent der Arbeiter, die die Prämie in Anspruch genommen hätten, vgl. Mieck: Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen, 1904, S. 47. 126 Alfred Krupps Paternalismus, der auf „Kontroll- und Disziplinierungsmechanismen“ setzte, wurde von seinem Sohn Friedrich Alfred Krupp zu einer Form fortentwickelt, die der Unternehmenshistoriker Ralf Stremmel als „vertrauensbasierte Unternehmenskultur“ bezeichnet. Grundsätzlich hielt er am Paternalismus fest, verzichtete aber zunehmend auf die „Kontrolle der ganzen Person des Arbeiters […], weil sie sich als ineffizient bzw. undurchführbar erwiesen hatte“, Stremmel: Treue, 2006, S. 84, 87. 127 Mieck: Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen, 1904, S. 46. 128 Zur betrieblichen Wohnungspolitik, vgl. Hilger: Sozialpolitik, 1996, S. 173-202.



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sierten, hatten bereits Betriebspraktiker den Lebensraum der Arbeiter/-innen beeinflusst. In diesem Sinne war „Lebensraum“ kein fester Inhalt, dessen Qualität später von Betriebssoziologen in den rationalisierten Fabriken vermisst wurde; vielmehr musste der Lebensraum der Fabrikarbeiter/-innen jeweils historisch definiert und gestaltet werden. Interesse daran hatten neben den Arbeitenden selbst die Unternehmer und zunehmend die Experten in Wissenschaft und Praxis: Arbeitswissenschaftler, Ingenieure, Manager. Nicht zuletzt ging es dabei um klassenspezifische Werte und Verhaltensnormen.

D IE G ESTALTUNG DER S ANITÄRRÄUME : D ISZIPLINIERUNG UND H UMANISIERUNG Die bürgerlichen Architekten, Ingenieure und Unternehmer, die Konzepte zur Gestaltung der Fabriken entwarfen bzw. sie umsetzten, empfanden offenkundig häufig eine große Differenz zwischen sich und den Arbeitern. Dieses Bild von den Arbeiter/-innen als dem Anderen des Bürgertums wiederum war oft mit Misstrauen verbunden, wie an den Anmerkungen des Architekten Wilhelm Franz zu der Gestaltung sanitärer Anlagen in Fabriken zu sehen ist: „Wie bei allen Gegenständen und Einrichtungen, die dem freien Gebrauche des Arbeiters überlassen werden, ist auch hier sorgfältigste Anpassung an die sehr verschiedenen Lebensgewohnheiten (oft mangelnder Ordnungssinn und geringe Zuverlässigkeit) der Benutzer geboten.“129 Auf der Basis dieses Misstrauens entstanden grundsätzlich drei Strategien: a) Disziplinierung durch Überwachung und Sanktionierung, b) Ausweitung der Kontrolle durch architektonische Lösungen und c) Versuche zur Herstellung eines Vertrauensverhältnisses. Es war möglich, dass die drei Strategien gleichzeitig an einem Ort angewendet wurden. Allerdings spiegelt die genannte Reihenfolge schwerpunktmäßig eine historische Entwicklung wider, in der die reine Disziplinarmacht an Bedeutung verloren hat, während die Anerkennung der Individuen und das Ziel ihrer Nutzbarmachung zunehmend in den Mittelpunkt gerückt wurde. Die Disziplinierung und die Kontrolle erscheinen dabei aber als notwendige historische Bedingungen zum Eintritt in die nächste Phase der Gestaltung innerbetrieblicher Machtbeziehungen. Mitte des 19. Jahrhunderts war die übliche Unternehmerreaktion die Disziplinierung der Arbeiterschaft. Der Weg zum Abort bot den Beschäftigten die Möglichkeit zum Zusammentreffen mit Kollegen und zum Austausch. Bei Krupp war ein Mann in den 1850er Jahren ausschließlich dafür eingestellt worden, die Arbeiter

129 Franz: Fabrikbauten, 1923, S. 122.

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zurück zum Arbeitsplatz zu scheuchen, wenn sie eine zu lange Pause einlegten.130 Im 20. Jahrhundert ermöglichten dann vor allem bauliche Maßnahmen eine Ausdehnung der Kontrolle über die Pausenzeit der Arbeiter/-innen. Während in den frühen Fabriken die Aborte, in zudem nur geringer Zahl, meist außerhalb der Fabrikgebäude in hölzernen Schuppen untergebracht waren, kamen in der nächsten Generation industrieller Gebäude, die mit feuerfest ummauerten Treppenhäusern ausgestattet waren, die Aborte meistens ins Gebäudeinnere neben die Treppenhäuser. 131 Unter diesen veränderten Baubedingungen sah etwa Bauingenieur Hauer „besondere Sorgfalt“ bei der Planung der Aborte von Nöten. Es ging darum „kostbare Zeit“ zu sparen, weshalb die Aborte „von jedem Arbeitsplatz aus schnell erreichbar sein“ mussten. 132 Damit wurde das Problem der ‚Zeitverschwendung‘ von der objektiven Seite aus angegangen, während auch Hauer davon ausging, dass zusätzlich die subjektive Seite weiter Bestand habe, weil die Toiletten nämlich „auch überflüssigerweise“ aufgesucht würden.133 Der Quantitätsstandard, der während des gesamten 20. Jahrhunderts galt, hatte sich bereits um 1900 durchgesetzt. Auf 10 bis 15 Frauen und 20 bis 25 Männer – zusätzlich waren Pissoirs vorgesehen – wurde je eine Toilette veranschlagt.134 Nicht zuletzt Neuferts äußerst einflussreiche Bauentwurfslehre tradierte diese Relation über die verschiedenen Auflagen hinweg. Die Entwürfe sahen bereits in der ersten Auflage von 1936 vor, dass sich in jedem Stockwerk neben der Treppe – für die Geschlechter getrennte – sanitäre Anlagen befinden sollten.135 Die Version von 1970 nannte schließlich Maximalabstände der Toiletten von den Arbeitsplätzen: Der Abstand durfte 100 Meter bzw. 75 Meter bei Fließfertigung nicht überschreiten.136 Buff war in seinem Handbuch zum Werkstattbau 1923 noch stark vom Misstrauen gegen die Arbeiter/-innen erfüllt; eine zu geringe Anzahl von Aborten gebe „Grund oder Vorwand für unnötig langes Fortbleiben von den Arbeitsplätzen“, insbesondere wenn Zeitlohn gezahlt werde. Buff hielt es für nötig, eine ausreichende Anzahl an Sanitärräumen einzurichten, ging aber dennoch davon aus, dass Arbeiter sich „auch wohl zum Rauchen in die Aborträume“ zurückzögen. Trotz dieses Misstrauens sprach sich Buff gegen die „noch gelegentlich anzutreffende Einrichtung“ aus, die Toiletten mit halbhohen Türen auszustatten, da dies gegen die Würde der Belegschaft verstoße, „wenngleich in Betrieben mit geringwertiger Arbeiterschaft 130 Vgl. Lüdtke: Arbeitsbeginn, 1980, S. 105. 131 Vgl. Kreuzberger: Fabrikbauten,1993, S. 45. 132 Hauer: Fabrikbau, 1922, S. 26. 133 Ebd., S. 27. 134 Vgl. Buff: Werkstattbau, 1923, S. 75; ähnliches sah die Berliner Baupolizeiordnung von 1897 vor, vgl. Franz: Fabrikbauten, 1923, S. 126. 135 Vgl. Neufert: Bauentwurfslehre, 1936, S. 191. 136 Vgl. Neufert: Bauentwurfslehre, 1970, S. 305.



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mancherlei Gründe dafür sprechen mögen.“137 Die ‚unwürdige‘ Praxis selbst war offenbar auch zehn Jahre später noch nicht aus den Fabriken verbannt; Heideck und Leppin nannten in ihrem Handbuch zur Planung und Ausführung von Fabrikanlagen nüchtern die Möglichkeit, entweder halbhohe Toilettentüren zu installieren oder Gucklöcher einzuschneiden, falls eine „Kontrolle der Arbeiteraborte“ erwünscht sei.138 Während also Kontrollvorrichtungen explizit nur für die Toiletten der Arbeiter als Möglichkeit vorgesehen waren, sollten die „Angestellten-Abortanlagen“ nach Heideck und Leppin mit „aufklappbaren Sitz“ ausgestattet werden. 139 Solche Distinktionsmerkmale kennzeichneten nicht nur Anlage und Ausstattung der Sozialräume für Arbeiter und Angestellte. Auch für Meister wurden häufig gesonderte Toiletten eingerichtet. 140 Der in Utz’ Handbuch aufgeführte Speisesaalentwurf sah neben dem großen Speisesaal für die Arbeiter/-innen zusätzlich kleine Speiseräume für Meister und Vorarbeiter vor.141 Für „große Fabrikanlagen mit bedeutender Arbeiterzahl“ empfahl Utz den folgenden Kantinengrundriss (Abb. 29). Der Eingang führt in den Hauptspeisesaal (S), den eine Säulenreihe in zwei Hälften teilt; vermutlich zur Trennung der Arbeiter nach Geschlecht. Im rechten Seitentrakt finden sich mehrere kleinere separate Speiseräume (S, s) für Meister und Vorarbeiter, denen proportional deutlich mehr Raum zugestanden wurde als den Arbeiter/-innen. Der linke Gebäudetrakt war für Schlafzellen (z) vorgesehen, die von weiter entfernt wohnenden Arbeitern genutzt werden sollten:



137 Buff: Werkstattbau, 1923, S. 75. 138 Heideck/Leppin: Planung, 1933, S. 182. 139 Ebd., S. 183. 140 Vgl. Internes Rundschreiben Werkzeugmaschinenfabrik Wagner & Co. vom 2.10.1940. WWA, Sign. F 3-426, o.P. 141 Utz: Fabrikanlagen, 1907, S. 132.

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Abbildung 29: Grundrissentwurf einer Kantine für große Fabrikanlagen mit bedeutender Arbeiterzahl.

Quelle: Utz: Fabrikanlagen, 1907, S. 132.

Die Distinktion zwischen Arbeitern und Angestellten in der Kantine barg offensichtlich keinen Stoff für betriebliche Auseinandersetzungen. Zumeist spiegelte die Ausstattung der Angestelltenkantinen die Hierarchie wider: Verzierte Räume, kurze Tische mit Decken, Porzellan und Silberbesteck waren üblich. Dennoch gab es keine Proteste der Arbeiter gegen diese unterschiedliche Behandlung, da sie zum einen mit den günstigeren Preisen (für das schlechtere Angebot) zufrieden waren und die Trennung zum anderen mit sich brachte, dass sie ungestört von den Vorgesetzten essen konnten.142 Ähnlich bürgerlich eingerichtete Kantinen für die Arbeiter/-innen waren in Deutschland bis weit in die 1920er Jahre hinein äußerst selten. Der spätere Experte für betriebliche Wohlfahrtseinrichtungen im Ministerium für Handel und Gewerbe Julius Post berichtete 1883 davon, dass er bei seinen vielen Fabrikbesuchen allein bei der Mechanischen Weberei F. Brandts in Mönchengladbach einen

142 Vgl. Thoms: Physical Reproduction, 2009, S. 137, 141.



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Arbeiterspeisesaal besichtigt habe, der mit kurzen Einzeltischen und Stühlen sowie Porzellangeschirr ausgestattet war.143 An der Einrichtung von Bädern in den Fabriken lässt sich die Parallelität der verschiedenen Strategien aufzeigen: Disziplin und Kontrolle spielten eine Rolle, auch die Distinktion zwischen Angestellten, Meistern und Arbeitern; gleichzeitig war aber auch die Sorge um die Arbeiter und – begrenzt – die Bereitschaft, ihnen Entscheidungsfreiräume zuzubilligen, entscheidungsleitend. Noch in den 1920er Jahren schlug Buff vor, die Bäder in der Nähe eines Werkeinganges anzuordnen, damit auch Angehörige der Arbeiter sie nutzen konnten.144 Hier waren offensichtlich allgemeine hygienische Zielsetzungen wichtiger als das Ordnungsziel, Werksfremde fern zu halten. Der „Normalentwurf für ein Arbeiter-Brausebad“ von 1889 nach den Grundsätzen des Preisgerichts für den Preis des Deutschen Brauerbundes sah zumindest eine Regulierung des Warmwassers, was in Volksbadeanstalten üblich war, ausdrücklich nicht vor; das sei für die „Arbeiterbäder in den Fabriken überflüssig.“145 Auch in der Praxis wurde Kontrolle flexibel eingesetzt. In den Baderäumen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, die bereits 1872 eingerichtet wurden, gab es getrennte Zellen für Beamte/Meister, Arbeiter, Arbeiterinnen und jugendliche Arbeiter. Die Badezeit war jeweils auf dreißig Minuten begrenzt, eine gesonderte Aufsicht gab es zunächst nicht.146 Lediglich für die jugendlichen Arbeiter „musste zur Vermeidung groben Unfugs ein Fenster in die Türe gesetzt werden mit Vorhang an der äußeren Seite des Eingangs zur Kontrolle durch den Bademeister“.147 Freiräume konnten also gewährt werden, andererseits jederzeit gezielt Disziplinar- oder Kontrollmaßnahmen eingerichtet werden, ob nun wegen realer Vorkommnisse oder wegen eines allgemein vorherrschenden Verdachtsmomentes, in diesem Fall gegen Jugendliche. Grundsätzlich schwang aber bereits um 1900 im Diskurs um die Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen der Wille zur Humanisierung der Fabriken und der Arbeitsbeziehungen mit. So empfahl Mieck im gleichnamigen Handbuch zudem die Anlage von betrieblichen Parks und Gärten, weil sie den ungezwungenen Austausch von Unternehmern und Arbeitern in der Freizeit gestatteten. Dadurch könnten „oft nur scheinbar bestehende Gegensätze am leichtesten aus der Welt geschafft werden. Der Arbeiter will sich nicht lediglich als Mittel zum Zweck durch den Arbeitgeber betrachtet wissen, sondern als Selbstzweck; der Arbeitgeber sollte daher den Arbeiter nicht nur als Untergebenen, als Knecht, sondern auch als Mitarbeiter betrachten.“148 Dieses Mittel eines ‚humanen‘ Umgangs mit 143 Vgl. Post: Bericht, [um 1883], S. 6. 144 Vgl. Buff: Werkstattbau, 1923, S. 77. 145 Post/Albrecht: Musterstätten, 1893, Bd. 2, 2. Teil, S. 193. 146 Ebd., 2. Teil, S. 174ff. 147 Ebd., 2. Teil, S. 180. 148 Mieck: Arbeiter-Wohlfahrts-Einrichtungen, 1904, S. 49.

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den Arbeitern und Arbeiterinnen muss im Kontext immer als Ergänzung der Disziplinarordnung verstanden werden, keineswegs als ihre Aufhebung.

S CHÖNHEIT

DER

A RBEIT

Die Ästhetisierung der Fabriken und die Einrichtung von Sozialräumen standen im Zentrum der Tätigkeit des zunächst von Albert Speer geleiteten nationalsozialistischen Amtes „Schönheit der Arbeit“. Es war seit seiner Gründung Ende 1933 innerhalb der Deutschen Arbeitsfront (DAF) in der Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) platziert. Breit beworbene Kampagnen wie „Gutes Licht – gute Arbeit“ und „Saubere Menschen am sauberen Arbeitsplatz“ machten das Amt unter der Arbeiterschaft bekannt.149 Carola Sachse hat zurecht darauf hingewiesen, dass es dem Amt im Gegensatz zu weit verbreiteten überdauernden Vorstellungen um „mehr ging als um ‚Blumentopfromantik‘“, nämlich um Einfluss auf die betriebliche Sozialpolitik.150 Grundsätzlich lässt sich eine Kontinuität zu den beschriebenen Debatten und Praktiken des Kaiserreichs und der Weimarer Republik feststellen: Es ging weiterhin darum, ästhetische Vorstellungen mit betrieblicher Sozialpolitik zu verknüpfen und beides in den Dienst der Leistungssteigerung zu stellen. Im Sinne der hier entfalteten These wurde also auf diese Weise die Rationalisierung mit der Humanisierung der Arbeit verbunden. Das Amt „Schönheit der Arbeit“ stellte in einer seiner unzähligen Publikationen klar, dass die Idee von der Schönheit der Arbeit „nichts mit Romantik oder weichlichem Ästhetentum zu tun“ habe, sondern Teil der „harte[n] und kämpferische[n]“ nationalsozialistischen Weltanschauung sei.151 Das Ziel dabei war in der betrieblichen Sozialpolitik explizit eine Ersetzung des Wohlfahrtsgedankens durch die Idee der Arbeitsfreude.152 Martin Geyer hebt hervor, dass die Sozialpolitik im Nationalsozialismus an sich stärker von „produktionspolitische[m] Kalkül“ geprägt gewesen sei, als dies etwa in der Weimarer Republik der Fall gewesen sei.153 Dementsprechend war dem Taschenbuch Schönheit der Arbeit das Robert Ley zugeschriebene Motto vorangestellt: „Die beste Sozialpolitik ist zugleich die beste Wirtschaftspoli-

149 Zur Geschichte des Amtes „Schönheit der Arbeit“ vgl. Friemert: Produktionsästhetik, 1980; Rabinbach: Aesthetics, 1979. 150 Vgl. Sachse: Siemens, 1990, S. 245. 151 von Hübbenet: Schönheit, 1936, o. P. [S. 12]. 152 Vgl. von Hübbenet: Taschenbuch, 1938, S. 232. Zur Geschichte der Debatte um die Arbeitsfreude vgl. Campbell: Joy, 1989. 153 Geyer: Sicherheit, 1989, S. 393.



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tik“.154 Wiltraut Best formulierte diese Gedankenführung in ihrer 1935 angefertigten Dissertation über Die Überwindung nachteiliger Folgen der Rationalisierung durch das Amt Schönheit der Arbeit aus: Der Nationalsozialismus wolle „deshalb gesunde und schöne Arbeitsplätze“ schaffen, weil so die „richtige seelische Eingliederung des Menschen in den Arbeitsprozess“ gewährleistet sei und folglich „die soziale Frage“ gelöst werden könne.155 Alle Maßnahmen unter dem Schlagwort „Schönheit der Arbeit“ seien allerdings „ganz im Sinne der Rationalisierung“ – obwohl nun das Handeln sozialpolitisch motiviert sei, erfülle es immer noch gleichzeitig die Funktion, „die Ergiebigkeit der menschlichen Arbeit und damit die Rentabilität des Betriebes zu erhöhen“.156 Best griff implizit die Debatte der Weimarer Republik und insbesondere Eugen Rosenstocks Beitrag zum Lebensraum-Problem auf: Der Nationalsozialismus wolle „gesunde und schöne Arbeitsplätze schaffen“, damit die Menschen „nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich am Arbeitsprozess wieder teilnehmen können“; die Arbeit solle auf diese Weise „wieder zum Lebensinhalt des einzelnen“ werden. 157 Wie Rosenstock erkannte auch Best die steigende Bedeutung der Freizeit und sah darin ebenfalls keine Lösung des Problems der entfremdeten Arbeit, das sie explizit mit Marx erklärt.158 „Schönheit der Arbeit“ griff also weitgehend nur bestehende Debatten auf, die teilweise sogar in personeller Identität weitergeführt wurden: Einige Mitglieder des Deutschen Werkbundes, die sich vor 1933 durchaus als Gegner des Nationalsozialismus betrachtetet hatten, arbeiteten später im Amt „Schönheit der Arbeit“; so wurde Wilhelm Lotz, zuvor Schriftleiter der Werkbundzeitschrift form, zum Mitherausgeber der Zeitschrift Schönheit der Arbeit.159 Auch explizit wurde die Vorstellung von der Fabrik als Lebensraum im Nationalsozialismus und insbesondere vom Amt „Schönheit der Arbeit“ propagiert. So betonte Curt Piorkowski in einem 1938 erschienenen Beitrag in der Schriftenreihe Deutsche Großbetriebe, der „nationalsozialistische Betrieb“ sei „nicht nur eine Produktionsstätte, sondern der Lebensraum einer menschlichen Gemeinschaft“. Das von ihm untersuchte Werk habe „die Ziele des Amtes ‚Schönheit der Arbeit‘“ durch die Architektur des Betriebes, die Anlage von Grünflächen und „eine vorbildliche Ausgestaltung der Arbeits- und Gemeinschaftsräume“ verwirklicht.160 Auch nach 1933 war für den Diskurs um die Schönheit der Arbeit weiterhin ein Spannungsverhältnis zwischen Disziplinierung und Aktivierung der Arbeiter/-innen 154 von Hübbenet: Taschenbuch, 1938, S. 7. 155 Best: Überwindung, 1935, S. 18f. 156 Ebd., S. 56. 157 Ebd., S. 19. 158 Ebd., S. 14; vgl. Rosenstock: Werkstattaussiedlung, 1922, S. 6f. 159 Vgl. Campbell: Werkbund, 1978, S. 276; Friemert: Produktionsästhetik, 1980, S. 7. 160 Piorkowski: Zellwollerzeugung, 1938, S. 77.

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bezeichnend. Zu propagandistischen Zwecken wurde häufig letzteres betont, die reale nationalsozialistische Politik hingegen hatte bekanntlich die von der Arbeiterbewegung erkämpften Rechte zerschlagen und die Hierarchien am Arbeitsplatz gestärkt.161 Die Propaganda für Schönheit der Arbeit und Arbeitsfreude ging dabei weit über die Publikationen des Amtes hinaus. Ein weiterer Band der Reihe Deutsche Großbetriebe, der den thüringischen Uhrenhersteller Thiel vorstellte, nannte die von der Firmenleitung selbst gestellte Aufgabe, „Arbeitsbedingungen zu schaffen, die dem Begriff Arbeit bewusst und mit wohlüberlegten Mitteln die ihm ursächlich verknüpfte Strenge und Härte“ nehmen sollten. Ein wesentliches Mittel zu diesem Zweck habe in der „Schaffung des schönen Arbeitsplatzes für den Arbeiter“ bestanden. Damit sei die Grundlage dafür geschaffen worden, dass „der Mensch seine Arbeit nicht nur leistet, sondern sie auch freudig tun kann“.162 In einem nächsten Schritt sollte die am Arbeitsplatz erfahrene Hygiene von den Arbeitern und Arbeiterinnen internalisiert werden, sei es über den Umweg einer Kleiderordnung, die jeden Flecken auf dem weißen Mantel leicht erkennbar machte: „Die Thiel-Leute sind seit vielen Jahren zur Reinlichkeit nicht nur in der Haltung ihrer Werkstätten und Maschinen, sondern auch an sich selbst erzogen. Ein großer Teil der in der Uhrenfabrikation beschäftigten Gefolgschaft trägt während der Arbeit weiße Mäntel.“163 Auch die Möglichkeit für die einzelnen Arbeiter/-innen, ihren Arbeitsplatz mit Blumen zu schmücken und diese „selbst liebevoll“ zu pflegen, diente der Erzeugung konvergenten Eigen-Sinns. Die Auszeichnung des „schönsten Arbeitsplatz[es]“ war wiederum Ansporn für die Kollegen, „sich an diesem Arbeitsplatz ein Beispiel zu nehmen.“164 Die Propaganda des Amtes übertraf in ihren Ausmaßen die eigentlichen Maßnahmen bei weitem. So hält der Historiker Matthias Frese fest, dass selbst in den Anfangsjahren der nationalsozialistischen Herrschaft, als das Amt „Schönheit der Arbeit“ seine aktivste Phase hatte, sich die betrieblichen Veränderungen „auf einem niedrigen Niveau“ abspielten und sich nicht signifikant von der Entwicklung in der Weimarer Republik abhoben.165 Dagegen ist die Wirkung der Maßnahmen und der Propaganda auf die Arbeiter/-innen umstritten. Während Tim Mason von einem vollständigen Fehlschlag spricht,166 differenziert Frese eine solche Einschätzung 161 Vgl. Schneider: Hakenkreuz, 1999, S. 483. 162 Bauer: Taschen- und Armbanduhrenerzeugung, 1938, S. 50. 163 Ebd., S. 52. 164 Ebd. 165 Vgl. Frese: Betriebspolitik, 1991, S. 345. 166 Mason: Social Policy, 1993, S. 164. Mason hielt es nicht für plausibel, dass die von der Arbeiterbewegung geprägte Arbeiterschaft die Propaganda des Amtes geschluckt habe. Warum hätte es für von Arbeiterparteien und Gewerkschaften geschulte Arbeiter/-innen einsichtig sein sollen, dass eine bessere Belüftung der Werkräume und die Einrichtung



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auch aufgrund der schwierigen Quellenlage: Die Reaktionen seien in der hauptsächlichen Ausprägung wohl zwischen „Interesselosigkeit“ und „allmähliche[r] Akzeptanz“ einzuordnen.167 Da diese Frage empirisch kaum eindeutig zu klären ist, überzeugen vor allem die Überlegungen Alf Lüdtkes im Kontext seiner breiter angelegten Forschung zur Alltagsgeschichte der Arbeit. Lüdtke vertritt die These, dass bereits das Interesse der Nationalsozialisten an den Arbeitsbedingungen in den Fabriken eine große Wirkung auf die Arbeiterschaft gehabt habe. Allein die öffentliche Thematisierung schlechter Lichtverhältnisse, zu enger Arbeitsplätze, mangelhafter Waschgelegenheiten und fehlender Pausenräume habe, unabhängig von tatsächlichen Verbesserungen, eine positive Resonanz bei Arbeiterinnen und Arbeitern erzielt: In deren „Erfahrungszusammenhang bedeuteten die symbolischen Verweise reale Verbesserungen“, weil nun zum ersten Mal ihre alltäglichen Probleme von der Regierung politisch anerkannt worden seien.168 Dieser Diskurs über die Schönheit der Arbeit war Teil einer – im Krieg teilweise durch den Einsatz von Zwangsarbeitern brutal umgesetzten – nationalsozialistischen Vision, die Rüdiger Hachtmann 1989 in seiner Abhandlung zur Industriearbeit im Dritten Reich als Vorstellung eines „nach rassistischen Kriterien sozial strukturierten Europas“ charakterisiert hat, in dem „kein deutscher Arbeiter mehr unqualifizierte Arbeit machen“ müsse.169 Weiterhin wies die Debatte um die Schönheit der Arbeit eine starke Geschlechterkomponente auf. Beispielsweise betonte die arbeitswissenschaftliche Studie von Angela Meister über Die deutsche Industriearbeiterin aus dem Jahr 1939, dass im nationalsozialistischen Selbstverständnis Fabrikarbeitsplätze frauengerecht eingerichtet worden seien. Meister behauptete, dass an die Stelle der Arbeitsräume im kapitalistischen England des 19. Jahrhunderts – „niedrige, dunkle, nasse, schmutzige, von verbrauchter, übelriechender Luft angefüllte Löcher“ – im Nationalsozialismus „große, helle, saubere, luftige Arbeitsräume“ getreten seien. Dadurch und durch die persönliche Einrichtung des Arbeitsplatzes werde vor allem „einem psychischen und ästhetischen speziellen Bedürfnis der (in der Industrie arbeitenden) Frau“ entgegengekommen.170 Die Arbeitspsychologin Martha Moers, in anderen Punkten häufig im Widerspruch zu Meister, teilte diese Einschätzung zu den „Bedingungen, die wir heute als Schönheit der Arbeit bezeichnen,“ und gab dafür eine geschlechterpsychologische Begründung ab: „Helle, gut gelüftete, saubere und das ästhetische Gefühl ansprechende“ Räume kämen einer „tief verwurzelten Neigung von Sozialräumen im Betrieb nun wichtiger für eine Verbesserung ihrer Situation seien als die klassischen Forderungen wie Lohnerhöhung und Ausweitung der Arbeiterrechte? Vgl. ebd., S. 163. 167 Vgl. Frese: Betriebspolitik, 1991, S. 349f. 168 Lüdtke: Eigen-Sinn, 1993, S. 333. 169 Hachtmann: Industriearbeit, 1989, S. 84. 170 Meister: Industriearbeiterin, 1939, S. 57ff.

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der Frau“ entgegen, weil Frauen „sehr persönlich eingestellt“ und folglich stärker von der „Art und Weise, mit der man sie behandelt,“ abhängig seien.171 Die Propagandaschriften des Amtes gaben zumindest ein Bild von Fabriken wieder, in denen „auch die Frauen gern“ arbeiten würden: „Blumen am Fenster, lichte Arbeitsräume und Ordnung am Arbeitsplatz. Hier arbeiten auch die Frauen gern.“172 Auch die Einrichtung von Kindertagesstätten in Betrieben zählte das Amt zu den von ihm forcierten Maßnahmen, wodurch deutlich werde, „wie weit der Begriff ‚Schönheit der Arbeit‘“ gehe.173 Tilla Siegel hat darauf hingewiesen, dass die Einstellung der übergeordneten Organisation DAF zur Frauenfrage „höchst widerspruchsvoll“ gewesen sei. Während einerseits die „Betreuung der Frau“, etwa die Unterstützung erwerbstätiger Mütter durch die Einrichtung einer Kinderbetreuung, zu den Kriterien für die Auszeichnung zum Musterbetrieb zählte, habe andererseits noch 1934 das „Hauptgewicht der staatlichen und parteiamtlichen Bestrebungen auf der Ausschaltung von Frauen aus dem Arbeitsmarkt“ gelegen, was beispielsweise seinen Ausdruck in der Kampagne gegen das „Doppelverdienertum“ gefunden habe. Allerdings habe sich in der Praxis rasch gezeigt, dass Arbeitnehmerinnen für die Industrie „vielfach unentbehrlich“ gewesen seien.174 Dieser Einschätzung ist grundsätzlich beizupflichten, jedoch hat dass sich die beschriebene Ambivalenz nach 1934 insofern aufgelöst, als sich die Politik der DAF den Erfordernissen der Praxis – Einvernehmen mit der Industrie und Stärkung der Rüstungswirtschaft – angepasst hat. Folglich greift auch die Einschätzung Siegels zu kurz, die von der DAF geforderte „Einrichtung ‚frauengemäßer‘ Arbeitsplätze“ habe sich in einer Ausrichtung der Arbeitsplätze auf vermeintlich weibliche Eigenschaften wie „Monotoniefreudigkeit, technische[s] Desinteresse und Fingerfertigkeit“ erschöpft.175 Wie in diesem Abschnitt gezeigt wurde, war die Idee, eine Verschönerung des Arbeitsplatzes könne sozial befriedend und letztlich leistungssteigernd wirken, nicht originär nationalsozialistisch. Zum einen wurde international, in Europa wie in den USA, in den 1930er Jahren intensiv über die ästhetische Gestaltung von Fabriken diskutiert.176 Zum anderen gab es weitere Vorläufer in der patriarchalen Vor171 Moers: Fraueneinsatz, 1943, S. 30f. 172 Lotz: Schönheit, 1940, S. 23. 173 Schaller (Hg.): Arbeitsplätze, 1938, S. 40. Vgl. von Hübbenet: Taschenbuch, 1938, S. 186: „Jeder größere Betrieb sollte in der Lage sein, einen Kindergarten zu schaffen, in dem die Kinder, während die Mutter im Betrieb arbeitet, unter ständiger Aufsicht sind.“ Eine Umsetzung dieses Ziels bedeute „einen weiteren Schritt auf dem Wege zur Verwirklichung einer echten und tiefen Betriebsgemeinschaft“. 174 Siegel: Rationalisierung, 1988, S. 119. 175 Ebd., S. 121. 176 Vgl. Friemert: Produktionsästhetik, 1980, S. 9; Auch der zeitgenössische Arbeitswissenschaftler Ludwig Geck wies auf ein verbreitetes Interesse an „Schönheit der Arbeit“



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stellungswelt deutscher Großunternehmer am Ende des 19. Jahrhunderts, die in den Fabriken eine Atmosphäre des Vertrauens erzeugen wollten und dadurch auf eine Entproletarisierung ihrer Beschäftigten hofften177 und zudem darauf zielten, die Arbeiterbewegung zu neutralisieren.178 Außerdem wurde der gleiche Diskurs, teilweise explizit unter dem Schlagwort „Schönheit der Arbeit“, in beiden deutschen Nachkriegsstaaten fortgeschrieben, wie in Kapitel 6 auszuführen sein wird. Nachdem bisher der räumlichen Dimension des im 20. Jahrhundert in dieser Intensität neuen Interesses an dem arbeitenden Individuum nachgegangen worden ist, werden im Folgenden die Veränderungen der Machtbeziehungen in der Fabrik untersucht.

T AYLORISMUS , F ORDISMUS UND DIE A RBEITSWISSENSCHAFTEN Bereits in der Industriellen Revolution stellte sich der gezielte und strukturierte Umgang mit Arbeitskräften als ein grundsätzliches Problem kapitalistischer Unternehmen dar. Sidney Pollard stellte 1965 in seiner klassischen Studie zur „Genesis of Modern Management“ fest, dass „the rational and methodical management of labour“ sogar das zentrale Managementproblem in der Industriellen Revolution ausmachte.179 Zunächst musste das neue Konzept der industriellen Disziplin in der sich bildenden Arbeiterschaft verankert werden; in erster Linie ging es um die Gewöhnung an regelmäßige Arbeitszeiten, das Prinzip der Zeitökonomie und die Einhaltung der Fabrikordnung.180 E. P. Thompson beschrieb den Prozess der Internalisierung der Disziplin sehr ähnlich und stellte ihn in eine Entwicklungslinie, die ihren

in Großbritannien und den USA hin, vgl. Geck: Betriebsführung, 1935, S. 97; Geck: Schönheit, 1935. – Shelley Baranowski betont, dass auch Utopisten wie Saint Simon und Fourier und die britische Gartenstadtbewegung aus dem 19. Jahrhundert als Einflüsse gelten müssen, vgl. Baranowski: Strength, 2004, S. 79. 177 Vgl. Mason: Social Policy, 1993, S. 162; Rabinbach: Aesthetics, 1979, S. 197f. 178 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 76. 179 Pollard: Genesis, 1965, S. 160. Marcel van der Linden weist darauf hin, dass wichtige Innovationen des Personalmanagements jenseits der europäischen und nordamerikanischen Industrialisierung entstanden. So wurden Formen der Leistungskontrolle bei der Ausbeutung von Sklavenarbeit in den Plantagen der Kolonien entwickelt und selbst die Standardisierung von Arbeitsprozessen durch Tätigkeitsbeschreibungen entstammt der unfreien Arbeit in der britischen Kolonie Australien. An sich könne von einer „disciplinary revolution“ in der kolonialen Welt gesprochen werden, van der Linden: Origins, 2010: S. 516, vgl. ebd., S. 510, 513f. 180 Vgl. Pollard: Genesis, 1965, S. 183ff.

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Höhepunkt in den USA des 20. Jahrhunderts mit tayloristischen Zeit- und Bewegungsstudien und der fordistischen Produktionsweise gefunden habe.181 Diese basalen Formen des Managements der Arbeiterschaft blieben für das erste halbe Jahrhundert der Fabrikgeschichte bezeichnend. Daniel Nelson hat darauf hingewiesen, dass die Einführung der industriellen Disziplin vielleicht ein Bewusstsein für die Stechuhr geschaffen hat; sie hat jedoch nicht dazu geführt, dass die Arbeiter/-innen einverstanden mit den Anweisungen waren oder diese unterwürfig hinnahmen.182 Der Umgang des Managements mit den Arbeitern und Arbeiterinnen glich noch 1880 der Tradition des Handwerksbetriebes, erst am Ende des Ersten Weltkriegs traten in den USA die Kennzeichen des Fabriksystems im 20. Jahrhundert hervor.183 Bis dahin waren die Machtverhältnisse in den Betrieben von einer fast uneingeschränkten Herrschaft der Meister im Personalbereich charakterisiert, Nelson spricht von „the foreman’s empire“: Die Meister hatten die Befehlsgewalt über die Arbeiter und Arbeiterinnen, legten Methode und Taktung der Produktion fest und waren für Kosten und Qualität der Arbeit verantwortlich.184 Thomas Welskopp beschreibt ähnlich die Willkürherrschaft der Meister und Vorarbeiter in der deutschen Stahl- und Eisenindustrie und weist darauf hin, dass dieses Regime bis in die 1920er Jahre bestehen blieb.185 Zerstört wurde die Vorherrschaft der Meister in den USA vor allem durch ein gewachsenes Bewusstsein für die Soziale Frage und durch den Durchbruch des Systematic Management, speziell in der Auslegung Frederick W. Taylors unter dem Etikett Scientific Management.186 In Taylors Entwurf waren die Vorarbeiter nur noch als untergeordnete Teile eines Systems der Expertenherrschaft vorgesehen: Die Akkorde wurden durch Zeitstudien festgelegt, Experten in neu eingerichteten Planungsbüros koordinierten den Produktionsablauf, und die Befugnisse der Vorarbeiter sollten an einzelne Funktionsmeister aufgeteilt werden.187 Für die Bewertung des Taylorismus ist von entscheidender Bedeutung, wie die Epoche vor dem Scientific Management interpretiert wird: Zerstörte Taylor in Nelsons Sinne die Willkürherrschaft der Vorarbeiter, oder war das Ziel des Rationalisierungsangriffs in erster Linie die Autonomie der Arbeiter/-innen? Sanford Jacoby stimmt grundsätzlich mit Nelson darin überein, dass das Schicksal der Arbeiter/181 Thompson: Time, 1967, S. 89. 182 Vgl. Nelson: Frederick W. Taylor, 1980, S. 9. 183 Vgl. Nelson: Managers, 1995, S. 5, 10. 184 Vgl. ebd., S. 35, 37. 185 Vgl. Welskopp: Kontinuität, 1996, S. 223f. 186 Bis 1910 wurde noch nicht zwischen systematic und scientific management unterschieden; Taylor betrachtete seine Konzepte durchaus als Fortsetzung des systematic managements, vgl. Shenhav: Manufacturing Rationality, 2006, S. 116. 187 Vgl. Nelson: Managers, 1995, S. 49, 58.



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innen vor dem Ersten Weltkrieg vollständig von der persönlichen Beziehung zu den Meistern abhing. Zwar habe das Management die Herrschaft der Meister nach unten nicht beschnitten, wohl hätten allerdings die Facharbeiter selbst durch ihre Kenntnisse und informelle Regeln der Fabrikorganisation stets einen Teil ihrer Autonomie bewahren und damit die Herrschaft der Meister begrenzen können.188 Letztlich hätten aber dennoch gerade die Gewerkschaften, teilweise stärker als das Management selbst, die Bürokratisierung des Personalwesens unterstützt, um nicht weiter der Willkürherrschaft ausgesetzt zu sein.189 Einige sehr einflussreiche marxistische Studien der 1970er Jahre über die Entwicklung des Produktionsprozesses im 20. Jahrhundert setzten implizit ebenfalls eine weitgehende Autonomie der Arbeiter/-innen in den ‚prätayloristischen‘ Fabriken voraus. Anders als Jacoby sahen sie in den Maßnahmen des Scientific Management keinesfalls auch nur partiell die Interessen der Arbeiterschaft vertreten. Vielmehr hielt Harry Braverman, der bekannteste Vertreter der Labour Process Theory, fest, es sei im Taylorismus gar nicht in erster Linie um eine Steigerung der Effizienz, sondern um eine Ausdehnung der Kontrolle über den Arbeitsprozess und somit über die Arbeiter/-innen gegangen. Das Scientific Management hätte drei Kernziele gehabt: erstens Kenntnisse über den Arbeitsprozess zusammenzutragen und weiter auszuarbeiten, zweitens dieses Wissen den Arbeitern und Arbeiterinnen zu entreißen und drittens jeden einzelnen Schritt des Arbeitsprozesses zu kontrollieren.190 Richard Edwards hat bei grundsätzlicher Übereinstimmung mit Braverman ein dreistufiges Entwicklungsmodell der Kontrolle entwickelt. Die erste Stufe, die hierarchische Kontrolle, entspricht beispielsweise der bereits geschilderten Vorherrschaft der Vorarbeiter. Die zweite Stufe, die technische Kontrolle, zeichnete sich dadurch aus, dass „die Maschinerie selber […] den Arbeitsprozess und die Arbeitsgeschwindigkeit bestimmte“,191 lässt sich also fordistischen Praktiken zuordnen. Erst in der dritten Stufe, die Edwards als bürokratische Kontrolle bezeichnet, seien die Unternehmensziele von den Arbeitern und Arbeiterinnen internalisiert worden, weil nun positive Anreize gesetzt worden seien und Verantwortung an die Arbeiter/innen delegiert worden sei.192 Stephen Marglin wiederum verzichtete auf eine differenzierte Periodisierung, da es sich eher um unterschiedliche Strategien zur Erreichung eines Zieles gehandelt habe: Angefangen bei der Arbeitsteilung nach Adam Smith sei es im Kapitalismus nie um die Entwicklung einer jeweils technologisch überlegenen, also effizienten, Arbeitsorganisation gegangen. Vielmehr sei es stets

188 Vgl. Jacoby: Bureaucracy, 2004, S. 12, 17. 189 Vgl. ebd., S. 2f. 190 Vgl. Braverman: Arbeit, 1977, S. 73, 98. 191 Vgl. Edwards: Herrschaft, 1981, S. 28ff.; Zitat auf S. 30. 192 Vgl. ebd., S. 156-163.

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das erste Ziel des Managements gewesen, die Arbeiter/-innen ihrer Kontrolle über den Arbeitsprozess zu berauben.193 Ein Hauptproblem dieser in den 1970er und 1980er Jahren breit rezipierten marxistischen Abhandlungen liegt darin, dass ihre Geschichtserzählung des Kontrollverlustes und der Dequalifizierung der Fabrikarbeiterschaft zumindest implizit auf dem mythisierten Bild des Handwerker-Arbeiters im 19. Jahrhunderts basiert, dem in der fordistisch-tayloristischen Produktionsweise seine Autonomie genommen worden sei.194 Aus unternehmensgeschichtlicher Perspektive hat Welskopp zudem den berechtigten Einwand gebracht, dass die industriellen Beziehungen selten die erste Prioritätsstufe unter den Unternehmensentscheidungen einnahmen. Vielmehr wurden sie häufig in Abhängigkeit von vorrangigen betriebswirtschaftlichen Entscheidungen getroffen. Folglich ging es in der Praxis nicht um die absolute Kontrolle über den Arbeitsprozess; das Management zeigte sich bereits zufrieden, sofern es eine nach eigener Einschätzung ausreichende Kontrolle ausüben konnte.195 Insgesamt konzentrierte sich die Kritik an Bravermans These zur Dequalifizierung der Arbeit im fortgeschrittenen Kapitalismus auf folgende Punkte: Ihm wurde vorgeworfen, die ‚prätayloristische‘ Vergangenheit zu idealisieren, den Widerstand der Arbeiter/-innen zu ignorieren und den Einfluss des Taylorismus wie die Zielgerichtetheit des Managementhandelns zu überschätzen.196 Letztlich hat schon Jürgen Kocka einige Jahre vor der Erstveröffentlichung von Bravermans Thesen in seiner sozialgeschichtlichen Studie über Siemens festgehalten, dass bereits zu Beginn der 1890er Jahre – also deutlich bevor der Taylorismus in Deutschland Einfluss auf die Arbeitsorganisation gewann – die „Umwandlung vom Handwerker zum fremdbestimmten Lohn-Teilarbeiter“ weitgehend abgeschlossen war.197 Dennoch haben die Studien, die sich mit dem Kampf um die Kontrolle über den Arbeitsprozess beschäftigen, wichtige Anregungen für die Historiographie gegeben. Marglin hat etwa die zuvor die Industriegeschichte dominierende Sicht relativiert, vor allem neue effiziente Technologien hätten eine Rolle beim Aufstieg des Fabriksystems gespielt.198 Braverman wiederum hat mit einer sehr breiten Definition des Taylorismus eine der zentralen Fragen der aktuellen Forschung zur Geschichte des Managements des Produktionsfaktors Mensch geprägt: Welche Reichweite hatte das Scientific Management, wie lange dominierte es das Denken des Managements 193 Vgl. Marglin: Bosses, 1974, S. 62. 194 Vgl. Welskopp: Betrieb, 1996, S. 120. Nichtsdestotrotz schließen sich auch neuere Studien zum scientific management implizit der Interpretation der Labor Process Theory an, vgl. bspw. Bublitz: Einbürgerung, 1999, S. 133. 195 Welskopp: Class Structures, 1999, S. 98. 196 Vgl. Van den Eeckhout: Foremen, 2009, S. 6. 197 Kocka: Unternehmensverwaltung, 1969, S. 336. 198 Vgl. Berg: Origins, 1991, S. 173.



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und die Machtbeziehungen am Arbeitsplatz? Nach Bravermans Auffassung seien die wesentlichen Lehren Taylors „zum Fundament aller Arbeitsgestaltung geworden“. Keineswegs sei das Scientific Management von den nachfolgenden Schulen der Arbeitswissenschaften wie der Betriebspsychologie und der Schule der Human Relations verdrängt worden. Diese seien lediglich die „Wartungsmannschaft für die menschliche Maschinerie“ gewesen, während gleichzeitig die Produktion vom Taylorismus beherrscht worden sei.199 Bevor die Arbeitswissenschaften einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, gilt es, den in der Labor Process Theory zentralen Begriff der Kontrolle genauer zu analysieren. Edwards Stufenmodell erweist sich dabei durchaus als von heuristischem Wert, bedarf aber weiterer historischer Differenzierungen: Nicht allein die Form der Kontrollausübung wandelte sich im geschichtlichen Prozess, sondern auch das Ziel der Kontrolle. Grundsätzlich existierten aber auch parallel stets unterschiedliche Bedeutungen von Kontrolle. So weist der Managementtheoretiker Fredmund Malik darauf hin, dass heute noch ein enger Begriff von Kontrolle im deutschsprachigen Management vorherrscht: Ein „Vorgesetzter geht nachschauen, ob etwas so gelaufen ist, wie er es haben wollte“. Malik hingegen plädiert für eine Anlehnung an den englischen Begriff control, weil es um „regulieren, lenken, steuern“ gehen müsse; dieser Begriff trage im Gegensatz zum deutschen keine Konnotationen von Gewalt oder Herrschaft.200 Auch der Historiker Luks weist darauf hin, dass in der englischsprachigen Diskussion des 20. Jahrhunderts Kontrolle „nahezu alles“ bedeuten konnte. Die Produktionsingenieure beschrieben damit ihren gesamten Tätigkeitsbereich, „von der technischen Anpassung einzelner Maschinen, über die Entwürfe ganzer Produktionsabläufe bis hin zur Manipulation des ‚menschlichen Faktors‘“.201 Jürgen Kocka hingegen hat in seinem klassischen Aufsatz zum industriellen Management im Kaiserreich hervorgehoben, dass sich in dieser Zeit der Begriff der Kontrolle in der organisationswissenschaftlichen Literatur wandelte: Es ging nun nicht mehr vorrangig um die Kontrolle von „Ungehorsam und Unredlichkeit“, sondern verstärkt gegen „Unpünktlichkeit, Ungenauigkeit und ‚Fehler‘“.202 Die Beobachtungen Maliks weisen darauf hin, dass dieser Bruch in der Betriebspraxis nicht vollständig vollzogen wurde, sondern in erster Linie in der Managementliteratur festzustellen ist. Es wird bei der Diskussion der Forschung zu beachten sein, was jeweils konkret gemeint ist, wenn von einer Ausweitung der Kontrolle über die Arbeiter/-innen die 199 Braverman: Arbeit, 1977, S. 74f. 200 Vgl. Malik: Management, 2006, S. 212f. 201 Luks: Betrieb, 2010, S. 208. 202 Kocka: Management, 1969, S. 368. Der zeitgenössisch übliche Begriff der Organisation wiederum deckt sich weitgehend mit dem heutigen Terminus „Management“, vgl. ebd., S. 363.

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Rede ist. Häufig geht es dabei um Formen von Herrschaft oder Sozialdisziplinierung. Hingegen soll im Folgenden der Vermutung nachgegangen werden, dass es Teilen des Managements und der Arbeitswissenschaften im Sinne Maliks bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts um eine Machtform ging, die sich sehr gut mit Michel Foucaults Begriff Gouvernementalité beschreiben lässt: um ein Lenken und eine Nutzbarmachung subjektiver Handlungsspielräume, nicht um ihre Bekämpfung. Die Geschichte der Arbeitswissenschaften weist von Beginn an Elemente dieses späteren Diskurses auf, auch wenn zunächst der Wille zur Kontrolle der Arbeiter/innen und ihrer Bewegungen überwog.

E NTWICKLUNG DER A RBEITSWISSENSCHAFTEN IN D EUTSCHLAND Die deutsche Arbeitswissenschaft in ihrer ursprünglichen Ausprägung als Arbeitsphysiologie basierte auf Laborexperimenten und interessierte sich, anders als die etwas früher entstandene französische Arbeitswissenschaft, die sich auf das Handwerk konzentrierte, in erster Linie für die Industriearbeit, für die Anpassung der Körper an die Maschine. Die Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Arbeitsphysiologie 1913 markierte die rasche Institutionalisierung dieser neuen Disziplin. 203 Vor allem in Folge der Studien des Vereins für Socialpolitik zwischen 1908 und 1911 etablierte sich daneben in Deutschland eine Arbeitssoziologie, die im Gegensatz zum biologischen und psychologischen Reduktionismus der Arbeitsphysiologie den gesellschaftlichen Rahmen mitbetrachtete und an der Erstellung eines Sozialprofils der Arbeiterschaft interessiert war.204 Alfred Weber betonte im Vorwort der Reihe „Untersuchungen über Auslese und Anpassung der Arbeiter“, in der diese Studien erschienen, dass das Forschungsinteresse in zwei Richtungen gehe: Zum einen sei zu ermitteln, welche „intellektuellen und psychischen Qualitäten“ der Arbeiter/-innen von der Großindustrie benötigt würden, zum anderen gelte es zu untersuchen, inwieweit sich die „Persönlichkeit des Arbeiters selbst durch die Eigenart der modernen Fabrikorganisation“ verändere.205 Die Historikerin Heidrun Homburg hebt hervor, dass bereits der Volkswirt Gustav Schmoller, langjähriger Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, dessen Bedeutung für die Entwicklung der Arbeitssoziologie bereits besprochen wurde, eine Generation vor der Hochphase des Taylorismus und Fordismus deren Grundthesen vorweggenommen

203 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 189f., 193. 204 Vgl. ebd., S. 197f., 202. 205 Herkner/Schmoller/Weber: Vorwort, 1910, S. VII; ähnlich Max Weber, vgl. Weber: Methodische Einleitung, 1924, S. 37.



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habe: die utopische Vision eines allmächtigen Managements, dass über die richtige Führung des Faktors Mensch in der Produktion der Grundstein für eine harmonische Gesellschaftsordnung gelegt werden könne.206 Der Erfolg der empirischen Arbeitssoziologie markierte gleichzeitig die Entstehung eines Interesses an der Rationalisierung des menschlichen Faktors der Produktion; vor allem die Auswahl der Arbeiter/-innen und Ansätze zur Motivationssteigerung wurden in der Folge vom Management als wichtige Elemente der Produktivitätssteigerung erkannt.207 Der Hinweis der Wirtschaftshistorikerin Heike Knortz, dass in Deutschland der Begriff der Arbeitsproduktivität „einseitig“ den Faktor menschliche Arbeit in den Mittelpunkt rückte, während Technik und Kapital in ihrer Bedeutung unterschätzt wurden,208 bietet einen Erklärungsansatz für die spezielle Entwicklung der Arbeitswissenschaften in Deutschland an: Der Faktor Mensch stand umfassend im Zentrum der Rationalisierungsbemühungen. Das interdisziplinäre Feld der Arbeitswissenschaften wurde in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts in erster Linie von Gewerbehygienikern, Neurologen, Psychologen und Soziologen dominiert. Nach der Institutionalisierung der neuen Disziplin während des Ersten Weltkrieges bestimmten zwei Grundrichtungen die Arbeitswissenschaften: Der Entwurf von Einstellungstests und Berufsausbildungsmaßnahmen auf der einen Seite und die Industriepsychologie auf der anderen Seite.209 Die starke psychologische Ausrichtung zeigte sich etwa in der Definition der Disziplin in Otto Lipmanns Lehrbuch der Arbeitswissenschaft (1932): „Arbeitswissenschaft ist die Wissenschaft von den Bedingungen (Bestimmungsfaktoren) und den Symptomen der Leistungsbereitschaft“.210 Aufgabe des Faches sei es folglich, zu untersuchen, welche Auswirkungen physische wie soziale Arbeitsbedingungen „auf die Leistungsbereitschaft des arbeitenden Menschen“ hätten. Betriebliche und sozialpolitische Praktiker könnten dann auf dieser Grundlage die Arbeitsprozesse „an Körper und Geist“ der Arbeiter/-innen anpassen.211 Die deutschen Unternehmensleitungen waren mehrheitlich skeptisch gegenüber den Ergebnissen der Arbeitsphysiologie. Sie zweifelten an, ob es das Phänomen der Ermüdung, das im Zentrum der arbeitsphysiologischen Untersuchungen stand, überhaupt gab.212 Diese skeptische Haltung kann den Erfolg des Taylorismus in Deutschland erklären: Er stieß in eine Lücke. Grundsätzlich erwies sich der Taylorismus als anschlussfähig an die paternalistische Tradition der konservativen Eliten 206 Vgl. Homburg: Human Factor, 1991, S. 148f. 207 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 200, 202. 208 Vgl. Knortz: Entwicklung, 2010, S. 34. 209 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 203f. 210 Lipmann: Lehrbuch, 1932, S. 4. 211 Ebd., S. 18. 212 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 236.

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in Deutschland.213 Kocka hat allerdings darauf hingewiesen, dass der Taylorismus wie andere technokratische Bewegungen durchaus auch auf Misstrauen einiger Unternehmer stieß, die eben nicht bereit waren, ihre willkürlich entfaltete Herrschaft wissenschaftlich festgesetzten Regeln zu unterwerfen. 214 Grundsätzlich tendieren weite Teile der historischen Forschung dazu, die unterschiedlichen Interessen zwischen Management und Unternehmern stillschweigend zu übergehen.215 Ronald Shearer verortet das 1921 gegründet Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit (RKW) in der paternalistischen Tradition; Rationalisierungsmaßnahmen seien in Deutschland in korporatistischer Form eingeführt worden, es habe sich die spezifische Form eines organisierten Kapitalismus herausgebildet.216 Ein weiterer Schritt zur Modernisierung des „durch Technologie und Wirtschaftsexpansion obsolet gewordenen Industriepatriachalismus“ bedeutete die schon besprochene Ausdehnung der betrieblichen Sozialpolitik.217 Anson Rabinbach hält dem häufigen Einwand, Taylors Ideen seien vor 1914 kaum angewandt worden, entgegen, dass viele Veränderungen, für die sich Taylor einsetzte, bereits umgesetzt worden waren, bevor seine Ideen verbreitet wurden. Taylors zentrale Bedeutung liege also vielmehr darin, die einzelnen Veränderungen synthetisiert und dieses neue Konzept dann verbreitet zu haben; folglich war auch die eigentliche Debatte um den Taylorismus vielleicht bedeutender als die Frage, in welchem Ausmaß das System wirklich angewendet wurde. 218 Sein scientific management sei in diesem Sinne die erste „management-oriented industrial ideology“ gewesen. Besonders großen Anklang bei Industriellen und Ingenieuren fand das Versprechen einer wissenschaftlichen Lösung des Arbeiterproblems durch eine Verbindung von Produktivitätssteigerung und sozialem Frieden.219 Der Taylorismus

213 Vgl. ebd., S. 253. 214 Vgl. Kocka: Industrielles Management, 1969, S. 371f. 215 Auf diese Verkürzung weisen u. a. Trischler und Shenhav hin, vgl. Trischler: Führerideal, 1990, S. 73, Shenhav: Rationality, 2006, S. 198. 216 Vgl. Shearer: Reichskuratorium, 1997, S. 593f., 602. Detlev Peukert hat zurecht betont, dass dieser „Probelauf des Korporatismus“ letztlich scheitern musste, weil die „Verteilungsspielräume“ zu gering waren, vgl. Peukert: Weimarer Republik, 1987, S. 114. 217 Ebbinghaus: Arbeiter, 1984, S. 191f. 218 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 240; ähnlich Shearer: Efficiency, 1995, S. 485. Kocka hielt bereits 1969 fest, dass Taylors Konzepte implizit schon vor der großen Debatte um sein „System“ in ausgewählten Details und in der „Generaltendenz“ insbesondere in deutschen Großbetriebe umgesetzt wurden, vgl. Kocka: Management, 1969, S. 359; ähnlich Kocka: Management, 1999, S. 143. 219 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 240; ähnlich Kaufman: Human Factor, 2008, S. 118.



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versprach das Nullsummenspiel des Verteilungskampfes zu beenden:220 Durch die Produktivitätssteigerung sollte der zwischen Unternehmern und Beschäftigten zu verteilende Gewinn erhöht werden können. Die praktische Anwendung in den Unternehmen war in Deutschland wie in den USA von einem selektiven Zugriff des Managements auf die Konzepte Taylors wie der Arbeitswissenschaften geprägt.221 In Deutschland wurde der Taylorismus insbesondere in Betrieben rezipiert, in denen bereits eigene Überlegungen zur Umgestaltung der Arbeitsorganisationen seit längerem diskutiert wurden, wie bei Carl Zeiss in Jena.222 Taylors Konzepte regten das Management zu Lösungsversuchen des Arbeiterproblems an, es wurde also versucht, durch technologische, organisatorische und disziplinarische Maßnahmen die Produktivität zu steigern – in einer historischen Lesart unmittelbar, in der anderen mittelbar über den Ausbau der Kontrolle über die Arbeiterschaft. Allerdings setzte bereits parallel, wenn auch vorerst untergeordnet, die Beschäftigung mit einem anderen Problem ein: dem der Führungsstile. Der Soziologe Giuseppe Bonazzi macht dies schon bei Taylor fest: „Insgesamt kann man sagen, dass Taylor mit seinen Vorschlägen nicht nur eine Umwälzung der Arbeit, sondern vor allem eine Umwälzung der Führung vorsah.“223 Weitgehend wurden Taylors Leistungen auf dem Gebiet der Arbeitsorganisation in Deutschland anerkannt, gleichzeitig wurde aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive seine Vernachlässigung psychologischer Momente kritisiert.224 Durch die Reorganisation der Rüstungsproduktion im Ersten Weltkrieg wurde dann ein Kompromiss zwischen Arbeitswissenschaft und Taylorismus praktisch möglich.225 Insbesondere der psychotechnische Eignungstest etablierte sich während des Krieges im Umgang mit unqualifizierten Arbeitskräften, in der Mehrzahl Frauen.226 Im Weltkrieg war auch die Zusammenarbeit zwischen Management und Gewerkschaften eingeübt worden, die für die Rationalisierungsmaßnahmen in der Weimarer Republik erforderlich war.227 Der notwendig gewordene Umgang mit Arbeiterinnen erwies sich in diesem Sinne als Einfallstor für neue Methoden des Personalmanagements und neue Formen der industriellen Beziehungen. Im Gegensatz zur deutschen Arbeitswissenschaft, die davon ausging, dass Arbeitszufriedenheit und Produktivität unlösbar zusammenhingen, akzeptierte Taylor eine gewisse Unzufriedenheit der Fabrikarbeiter/-innen als unvermeidlich; vielmehr 220 Vgl. Maier: Taylorism, 1970, S. 31. 221 Vgl. Ebbinghaus: Arbeiter, 1984 S. 201. 222 Vgl. Kleinschmidt: Technik, 2006, S. 24. 223 Bonazzi: Geschichte, 2008, S. 25. 224 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 254. 225 Vgl. ebd., S. 258, 261; vgl. Ebbinghaus: Arbeiter, 1984, S. 197.l 226 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 275. 227 Vgl. Maier: Taylorism, 1970, S. 46.

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sollte den Arbeitern und Arbeiterinnen eine angemessene Kompensation durch höhere Löhne bewilligt werden.228 Gerade dieses Moment setzte Ford dann mit seiner Hochlohnpolitik konsequent um.229 Oft geht in der historischen Forschung unter, dass diese Praxis allerdings nur für eine Phase der Unternehmensgeschichte galt: 1914 verdienten die Ford-Arbeiter zwar fast das Doppelte des Durchschnittsverdienstes in der US-Automobilindustrie, 1925 lag der Ford-Lohn jedoch nur noch drei Prozent über dem Durchschnitt der Branche und 1934 dann sogar darunter.230 Voraussetzung von Fords berühmter Verdoppelung des Tageslohns für einen Teil der Arbeiterschaft auf fünf Dollar war zudem der relativ geringe Anteil der Lohnkosten an den Gesamtproduktionskosten.231 In Deutschland wurde die Hochlohnpolitik des Taylorismus und Fordismus allerdings kaum aufgegriffen. Während Ford über die politischen Flügel hinweg – wenn auch nicht einhellig – begeisterte Anhänger/-innen fand, so wurden doch nur unter Sozialdemokraten die hohen Löhne bei niedrigen Preisen als zentrales Moment des Fordismus betrachtet.232 Die Unternehmer klagten hingegen während der Weimarer Republik fast geschlossen über zu hohe Lohnkosten.233 Der einflussreiche Psychotechniker Hugo Münsterberg wiederum erklärte es zum wissenschaftlichen Grundprinzip, sich in der Frage der Lohnpolitik im Gegensatz zu Taylor einer Position zu enthalten: Der Psychotechniker lehre „den Industriellen lediglich, wie er mit psychologischen Hilfsmitteln vorgehen soll, um etwa tüchtige Arbeiter auszuwählen. Aber ob es richtig ist, tüchtige Arbeiter heranzuziehen oder statt dessen nur der Gesichtspunkt der Lohnhöhe maßgebend sein soll, das ist eine Frage, die der Psychologe nicht zu entscheiden hat“. Das Ziel müsse immer von den Unternehmern vorgegeben werden.234 Faktisch bedeutet die vermeintliche Enthaltung also immer eine Anpassung an die Wünsche der Auftraggeber, also der Industriellen. Nicht nur im Eintreten für hohe Löhne zeigte sich, trotz der formulierten Einschränkungen, eine große Nähe zwischen Fordismus und Taylorismus: Beide Systeme sahen eine Trennung von Planung (Experten) und Ausführung (Arbeiter/innen), eine Zerlegung qualifizierter Arbeit in einzelne Schritte, die von ungelernten Arbeitern und Arbeiterinnen ausgeführt werden konnten, und einen zunehmenden Einsatz von Maschinen vor. Die Historikerin Angelika Ebbinghaus sieht bei Ford und Taylor „gleiche Ziele“ vorherrschen; da sie in unterschiedlichen Branchen tätig waren, war allerdings ein unterschiedliches Vorgehen notwendig. Hauptsächlich 228 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 242. 229 Vgl. Ebbinghaus: Arbeiter, 1984, S. 140. 230 Vgl. Lewchuk: Men, 1995, S. 225. 231 Vgl. Nye: Assembly Line, 2013, S. 26. 232 Vgl. Nolan: Visions, 1994, S. 50ff. 233 Vgl. ebd., S. 163ff. 234 Münsterberg: Psychologie, 1919, S. 19.



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bestanden Differenzen „hinsichtlich der Bürokratisierung des Fabrikablaufs“, die bei Taylor ein zentrales Element war, bei Ford aber in den Hintergrund trat.235 David Hounshell wiederum erkennt ebenfalls große Überschneidungen beider Ansätze an, sieht aber analytisch dennoch einen fundamentalen Unterschied, da es Ford darum gegangen sei, Arbeiter durch Maschinen zu ersetzen, während die Tayloristen lediglich darauf zielten, einen gegebenen Produktionsprozess durch Zeit- und Bewegungsstudien sowie durch eine Umstellung auf Stücklohnsysteme effizienter zu gestalten.236 Wenn das Vorbild Ford im Laufe der 1920er Jahre in Deutschland eine größere Anziehungskraft auf Unternehmer ausübte als der Taylorismus, gründete das vor allem darin, dass sie es mit einem ökonomisch erfolgreichen Praxismodell zu tun hatten und nicht mit einem wissenschaftlichen System.237 Taylors Anhänger/-innen entwickelten die Wissenschaftliche Betriebsführung nach Taylors Tod im Jahr 1915 fort. Ebbinghaus sieht darin zurecht eine Entwicklung von einem „rigiden Modell der sozialen Kontrolle zu einem flexibleren der sozialen Integration“. Einverständnis und Freiwilligkeit wurden als Grundvoraussetzungen anerkannt, um gute Arbeit zu leisten.238 Auch zeitgenössische Feministinnen konnten durchaus emanzipatorische Potentiale im Taylorismus erkennen. So ging die amerikanische Sozialforscherin Mary van Kleek, die Direktorin des International Institute of Industrial Relations, 1925 in einem Vortrag davon aus, dass eine konsequente Umsetzung von Frederick Taylors Scientific Management eine fortgesetzte Ausbeutung von Arbeiterinnen unmöglich machen würde, weil patriarchale Traditionen durch das objektive Streben nach Effizienz ersetzt werden würden.239 Überhaupt gab es unter den Anhängern Taylors eine vertiefte Beschäftigung mit dem Faktor Mensch in der Produktion; den meisten Taylor-Schülern ging es um eine Humanisierung und Demokratisierung des Scientific Management, psychologische Erkenntnisse flossen verstärkt in ihre Modelle ein.240 Weil es Elton Mayo gelungen war, seinen in den 1930er Jahren entstandenen Human-Relations-Ansatz zur psychologischen Innovation innerhalb des Managementdenkens zu stilisieren, gal-

235 Vgl. Ebbinghaus: Arbeiter, 1984, S. 140. 236 Vgl. Hounshell: System, 1985, S. 252; ähnlich, aber noch stärker die Unterschiede betonend: Nye: Assembly Line, 2013, S. 33. 237 Vgl. Nolan: Visions, 1994, S. 39. Merkle hat darauf hingewiesen, dass in der Weimarer Republik der Taylorismus häufig mit einer „Entseelung“ der Arbeit gleichgesetzt wurde, während der Fordismus für die „gute“ Seite der Rationalisierung, die technische Vereinfachung des Arbeitsprozesses, stand, vgl. Merkle: Management, 1980, S. 193. 238 Ebbinghaus: Arbeiter, 1984, S. 112f. 239 Vgl. Walter-Busch: Faktor Mensch, 2006, S. 253; Oldenziel: Gender, 2000. 240 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 120.

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ten seine tayloristischen Vorgänger diesbezüglich lange Zeit als unbedeutend.241 Der Managementhistoriker Bruce Kaufman betont die Tatsache, dass sowohl der Begriff Human Relations als auch die damit verbundenen Ideen bereits vor Mayo existierten. Dieser trug somit weniger zur Geschichte der Arbeitswissenschaften und des Personalmanagements bei, als üblicherweise dargestellt wird.242 Hier soll vorgeschlagen werden, dass die wesentliche Neuerung, die der Human-Relations-Ansatz herbeigeführt hat, in der Tat weniger in wissenschaftlichen Erkenntnissen lag, als vielmehr in der Verschiebung des Augenmerks von der Arbeiterschaft auf das Management, oder in anderen Worten: Neben das Arbeiterproblem trat das Vorgesetztenproblem.243 Mayo und seine Schule interessierten sich verstärkt dafür, wie im Betrieb geführt wurde. Bonazzi sieht im Human-RelationsAnsatz den Anstoß zu einer Professionalisierung der mittleren Führungskräfte: „Statt sich auf Anweisungen zu beschränken, müssen sie zuhören und Ratschläge erteilen können, sensibel auf die nicht immer offensichtlichen Aspekte in der Gruppeninteraktion reagieren und Betriebspsychologen konsultieren, um in heiklen Situationen taktvoll handeln zu können.“244 Diese „Personalisierung der hierarchischen Verhältnisse im Betrieb“ sollte dazu führen, dass die Arbeiter/-innen ihre direkten Vorgesetzten als „Freunde und Ratgeber“ akzeptierten. Letztlich betrachtet Bonazzi den Human-Relations-Ansatz nicht als einen Weg zur Humanisierung der Arbeit, sondern – in impliziter Übereinstimmung mit Braverman – vielmehr als ein „Schmiermittel“, dessen Funktion es sei, „die tayloristische Maschine besser am Laufen zu halten“. 245 In Deutschland fand der Human-Relations-Ansatz vor 1945 keine mit den Debatten um Ford und Taylor vergleichbare Resonanz. Dennoch wurde zur Zeit der amerikanischen Diskussion um diesen Ansatz in den 1920er und 1930er Jahren eine – weiter unten genauer vorzustellende – vergleichbare Debatte um die Menschenführung im Betrieb geführt.246 Erneut gab es in diesem Kontext die bereits angesprochenen Distanzierungen deutscher Arbeitswissenschaftler/-innen bezüglich Taylors vermeintlicher Vernachlässigung des Faktors Mensch. Anson Rabinbach schließt sich dieser Differenzierung auch analytisch an. Trotz großer Überschneidungen beider Richtungen seien beide Schulen deutlich voneinander zu unterscheiden: Die Arbeitswissenschaft habe in größeren Zusammenhängen gedacht, dem 241 Vgl. Bruce: Henry S. Dennison, 2006, S. 177f., 193. Zu Mayo und dem Ansatz der Human Relations vgl. Walter-Busch: Auge, 1989. 242 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 359, Anm. 265. 243 Zur historischen Entwicklungstendenz vom Arbeiter- zum Vorgesetztenproblem, vgl. Uhl: Geschlechterordnung, 2010, S. 105ff. 244 Bonazzi: Geschichte, 2008, S. 60. 245 Ebd., 2008, S. 62. 246 Vgl. Trischler: Führerideal, 1990, S. 71.



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Taylorsystem sei es um das jeweilige Unternehmen bzw. um den einzelnen Arbeiter gegangen.247 Diese Interpretation verblüfft, da gerade das utopische Moment der Klärung der Arbeiterfrage durch technokratische Experten den Kern des tayloristischen Ansatzes ausmachte.248 Trotz der nicht zu leugnenden Unterschiede zwischen Scientific Management und der deutschen Arbeitswissenschaft wird hier Philipp Sarasins Auslegung gefolgt, dass von einem Diskurs mit grundlegenden Gemeinsamkeiten gesprochen werden kann; die Schlussfolgerungen konnten unterschiedlich sein, trotzdem lässt sich eine allgemeine Form der Problematisierung von Fabrikarbeit feststellen: In beiden Fällen lag das Hauptaugenmerk auf dem Arbeiterkörper, der Experte fungierte als Organisator des Arbeitsvorgangs und die Wissenschaft stellte sich als neutrale Mittlerin zwischen Arbeit und Kapital dar.249 Angelika Ebbinghaus hat weiterhin festgestellt, dass auch diejenigen deutschen Arbeitswissenschaftler, die Taylor die Wissenschaftlichkeit absprachen, den gleichen Fragestellungen und Absichten wie Taylor selbst nachgegangen sind.250 Grundsätzlich dominierte in Deutschland auch unter denjenigen Arbeitswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen, die positiv auf Taylor Bezug nahmen, eine Aneignung des Taylorismus, die den psychologischen Faktor stärker ins Zentrum rückte. So interpretierte der in den USA lehrende Industriepsychologe bzw. Psychotechniker Hugo Münsterberg Taylors „wissenschaftliche Betriebsleitung“ so, dass es in ihr keinesfalls darum ginge „durch bloße forcierte Ausnutzung der Arbeitenden“ eine Produktivitätssteigerung zu erreichen. Vielmehr gehöre „die Steigerung der individuellen Arbeitsfreude“ notwendigerweise zu den „indirekten Hilfsmitteln des revolutionierenden Verfahrens“.251 Es kann also festgehalten werden, dass unabhängig davon, wie Taylors System eingeschätzt wurde, viele seiner Grundprinzipien im deutschen arbeitswissenschaftlichen Diskurs aufgegriffen und dort psychologisiert oder humanisiert wurden. So war der arbeitswissenschaftliche Diskurs in Deutschland international führend in der Berücksichtigung psychologischer Faktoren, was sich vor allem in der Etablierung der Industriepsychologie und der Psychotechnik zeigte.252 Ebenso legte die deutsche Rationalisierungsbewegung der Zwischenkriegszeit jenseits aller politischen Unterschiede geschlossen Wert darauf, dass der ‚menschliche Faktor‘ der Produktion stärker berücksichtigt werde, etwa in Form von Ermüdungsforschung und Eignungstests. Auf diese Weise sollte eine „Fehlrationalisierung“ verhindert

247 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 242f. 248 Vgl. Guillén: Beauty, 2009, S. 4. 249 Vgl. Sarasin: Rationalisierung, 1995, S. 102. 250 Vgl. Ebbinghaus: Arbeiter, 1984 S. 64. 251 Münsterberg: Psychologie, 1919, S. 39. 252 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 129.

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werden.253 Die betriebliche Praxis war hingegen zumeist, wie Detlev Peukert festgehalten hat, von einer „Intensivierung der Arbeitsleistung“, einer „Ausschöpfung von Reserven“ und einer kontinuierlichen „Kontrolle des Arbeitsverhaltens“ geprägt, während eine stärkere Einbindung der Arbeiter zwar als „Vision“ eine bedeutende Rolle gespielt habe, aber eben nicht ohne weiteres im Arbeiter/-innenalltag zu erkennen war.254 Trotz starker Rezeption amerikanischer Vorbilder gab es also das Bewusstsein, einen spezifisch deutschen Weg der Rationalisierung zu beschreiten. Die Weimarer Debatte um die „menschliche Rationalisierung“, die im Deutschen Institut für technische Arbeitsschulung (DINTA, gegründet 1925) kulminierte, wurde von einigen Protagonisten zur Möglichkeit einer „deutschen Sonderform wirtschaftlicher Modernisierung“ erhoben.255 Konkret spricht allerdings einiges dafür, die Psychotechnik mit Petra Weber als eine der „mit dem Rationalisierungsdiskurs aufkommenden Modeerscheinungen“ zu charakterisieren: Zwar führten viele Konzerne die psychotechnischen Eignungsprüfungen ein, ließen aber in der Regel auch rasch, Siemens bereits im Jahr 1923, aufgrund enttäuschender Ergebnisse wieder davon ab.256 Trotz solcher gescheiterten Versuche lässt sich eine große Bedeutung der industriellen Psychotechnik in Deutschland konstatieren: Das Interesse an Versuchen zur Entwicklung wissenschaftlich fundierter Techniken im Umgang mit dem Faktor Mensch in der Fabrik war weit verbreitet. Sowohl die wissenschaftlichen Debatten als auch die Anwendungen in den Betrieben unterschieden sich beispielsweise deutlich von den Verhältnissen in Frankreich.257 Wie Markus Lupa im Zusammenhang mit dem Arbeiterschutz in der Weimarer Republik darlegt, musste eine Konzentration auf den Faktor Mensch keinesfalls zwangsläufig eine Verbesserung der Situation der Arbeiter/-innen bedeuten. Die einzelnen Probleme der rationalisierten Arbeit konnten dadurch auch individualisiert werden: Die monotone rationalisierte Arbeit wurde zum Zeichen einer Monotonieempfindlichkeit, die Arbeitsintensität zu einem Problem individueller Ermüdung und eine hohe Unfallhäufigkeit sollte durch Erziehung der Arbeiter/-innen verringert werden.258 Es gab aber keine einheitliche Tendenz in diese Richtung: Im Zentralblatt für Gewerbehygiene und Unfallverhütung lassen sich Beiträge finden, die die Arbeitsbedingungen kritisierten und eine gegebene „Monotonie der Fließar253 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1990, S. 277; vgl. Kleinschmidt: Technik, 2006, S. 42. 254 Vgl. Peukert: Weimarer Republik, 1987, S. 117. 255 Vgl. Nolan: Institut, 1993, S. 195. Das DINTA war teilweise bereits deutlicher Kritik von Zeitgenossen ausgesetzt. So kommentierte etwa Christian Schmitz: „Das neueste Mittel zur Durchführung des Werkspatriotismus ist der moderne Seelenfang des Herrn Oberingenieurs Arnold [, dem Gründer des DINTA].“, Schmitz: Welt, 1929, S. 182. 256 Weber: Sozialpartnerschaft, 2010, S. 677. 257 Vgl. ebd., S. 707. 258 Vgl. Lupa: Ethik, 1993, S. 72.



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beit“ als Bedrohung für die „Erhaltung der Arbeitsfreude und des Arbeitswillens“ betrachteten, ohne einzelne Arbeiter/-innen zu pathologisieren. 259 Grundsätzlich lassen sich Lupas Beobachtungen jedoch auch für einen Teil der Arbeitswissenschaften bestätigen. So hielt Otto Lipmann in seinem Lehrbuch der Arbeitswissenschaft (1932) fest, dass „die Monotonie nicht so sehr eine der Arbeitsgestaltung anhaftende Eigentümlichkeit“ sei, sondern dass vielmehr gewisse Menschen eine „Monotonie-Empfindlichkeit“ als Persönlichkeitseigenschaft aufwiesen.260 Es wurde also von einem normalen Arbeiter verlangt, Arbeitsbedingungen zu ertragen und nicht als monoton zu empfinden, während die Abweichenden zu einem Objekt einer Unterdisziplin der Arbeitswissenschaften wurden: der „Arbeitspsychopathologie, die sich mit der Frage befasst, inwiefern die Selbstbeanspruchung des Arbeiters defekt sein kann, wie solche Defekte zu erkennen und beheben sind“.261

D IE A RBEITSWISSENSCHAFTEN

UND DIE

A RBEITERINNEN

Arbeiterinnen spielten in den Arbeitswissenschaften mehr als nur eine marginale Rolle, auch wenn die Geschlechtlichkeit der Beobachteten nicht immer reflektiert wurde. So hält Wupper-Tewes in seiner Studie Rationalisierung als Normalisierung fest, dass in der Weimarer Republik vornehmlich Arbeiterinnen den Gegenstand von Feldforschungen und Experimenten zur Fließbandarbeit ausmachten. In diesen Studien sei „Fließbandarbeit nahezu synonym mit Frauenarbeit“ gewesen. WupperTewes vermutet, dass weniger Widerstand von unqualifizierten Arbeiterinnen erwartet worden sei als von „‚wertvollen deutschen Facharbeiter[n]‘“, die wiederum aus ideologischen Gründen gar nicht als „Versuchskaninchen“ hätten behandelt werden sollen.262 Karl Heinz Roth hat eine interessante Entwicklung herausgearbeitet: Während die Rationalisierungsexperten der Weimarer Republik in Reaktion auf den Bedarf der entstehenden Fließbandarbeitsplätze eine vermeintlich weibliche Eignung für diese Tätigkeit konstatiert hatten, kehrten die Mitarbeiter des nationalsozialistischen Arbeitswissenschaftlichen Instituts die Reihenfolge um. Nun wurde die Fließbandarbeit überhaupt erst zur „Vorbedingung eines ‚biologisch qualifizierten Arbeitseinsatzes der Frauen‘“ gemacht.263 Topoiartig wurde Frauen im Allgemeinen eine geringere Monotonieempfindlichkeit zugeschrieben. Diese Behauptung konnte sich bis in die 1970er Jahre in den

259 Streine: Fließarbeit, 1928, S. 21. 260 Lipmann: Lehrbuch, 1932, S. 194; ähnlich Münsterberg: Psychologie, 1919, S. 118. 261 Lipmann: Lehrbuch, 1932, S. 16. 262 Wupper-Tewes: Rationalisierung, 1995, S. 252. 263 Vgl. Roth: Intelligenz, 1993, S. 93.

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Arbeitswissenschaften halten, ohne dass jemals der Versuch unternommen werden musste, sie empirisch oder experimentell zu belegen.264 Bei der Bewertung der Fließbandarbeit an sich sollte die historische Forschung allerdings nicht vorschnell generell eine Zunahme der Sozialdisziplinierung voraussetzen, sondern jeweils im Einzelfall nachprüfen, welche Praktiken angewandt wurden. Die Fließbandarbeit als technologische und arbeitsorganisatorische Innovation konnte nämlich zu uneinheitlichen Praktiken führen. Dabei zeigte sich, dass die Arbeiter/-innen nicht in allen Fällen rigide dem neuen vorgegebenen Arbeitstempo ausgesetzt werden mussten; auch Fließbandfertigung konnte flexibel sein: Der Sozialhistoriker Jürgen Bönig weist darauf hin, dass bei der Einführung des Fließbandes in einem Betrieb das Arbeitstempo oft zunächst noch nicht vorgegeben wurde, sondern dass die Arbeiter bis zur Etablierung des Systems die Geschwindigkeit weiterhin selbst bestimmen konnten, also selbst festlegten, wann das Band weiterrückte.265 Die Vorstellung, dass der Toyotismus – bei Übernahme der tayloristischen Trennung von Planung durch Experten und Ausführung von Arbeitern und Arbeiterinnen – letztlich eine historische Innovation bedeutete, weil nun einzelnen Arbeitenden die Möglichkeit gegeben war, bei Bedarf das Band anzuhalten,266 muss dementsprechend zurückgewiesen werden: Es gab ähnliche Ansätze bereits in den 1920er Jahren in Deutschland wie in den USA.267 Andererseits konnte das Fließband auch zur Verfestigung der Arbeitsdisziplin und zur Unterbindung von Eigen-Sinn genutzt werden. Die Umstellung auf Fließfertigung bei Siemens führte zur Neuanordnung der Arbeitsplätze hintereinander, so dass die Arbeiterinnen, die zuvor nebeneinander gesessen hatten, nun nicht mehr

264 Vgl. Krell: Bild, 1984, S. 109; zur Geschichte einer vermeintlich weiblichen Monotonieresistenz, vgl. Uhl: Geschlechterordnung, 2010, S. 96-99. 265 Vgl. Bönig: Einführung, 1993, S. 694. 266 Buenstorf und Murmann charakterisieren so den Unterschied zwischen Taylorismus und Toyotismus, sehen aber gleichzeitig Ernst Abbe als einen Vorgänger für die Einbindung der Entscheidungskompetenzen der Arbeiter/-innen, vgl. Buenstorf/Murmann: Scientific Management, 2005, S. 574. 267 Kaufmann weist darauf hin, dass die amerikanischen Manager, die in den 1980er Jahren auf Japanreisen meinten, ein neues Modell zu besichtigen, letztlich – von einigen spezifisch japanischen Modifikationen abgesehen – nur eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit unternommen und somit das Modell des Human Resource Managements, wie es in den USA der 1920er Jahre vorherrschend war, wieder entdeckt hätten, vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 305; ähnlich Elis: Amerika, 2009. Gertraude Krell sieht im Toyotismus als einer Form der „Leistungsgemeinschaft“ auf der „Basis herzlicher, brüderlicher, vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Management“ sogar die Visionen Taylors direkt umgesetzt, Krell: Personalpolitik, 1994, S. 222.



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miteinander reden konnten.268 Bereits Taylor hatte Arbeiterinnen weit auseinander gesetzt, um deren Plaudereien zu verhindern.269 Allerdings entstünde ein Zerrbild, ginge man davon aus, vor der von Taylor oder Ford angeregten Rationalisierung habe in den Fabriken eine idyllische Gesprächsatmosphäre bestanden. So wies Marie Bernay im ersten Band der vom Verein für Sozialpolitik herausgegebenen Untersuchungen über Auslese und Anpassung der Arbeiter, der auf ihren inkognito im Jahr 1908 als Arbeiterin der Gladbacher Spinnerei und Weberei gewonnenen Einsichten in den Fabrikalltag beruhte, darauf hin, dass zum einen der Maschinenlärm „jede Unterhaltung unmöglich“ gemacht habe. Zum anderen betonte Bernay aber, dass diese „Isolierung des Arbeiters an seiner Maschine“ nicht nur negativ wahrgenommen worden sei, da sie ein „weitgehendes Ungestörtsein bei der Arbeit“ ermöglicht habe. Insbesondere Arbeiterinnen hätten so in ihrem kleinen Arbeitsbereich eine ungewohnte gewisse „‚Herrschaft‘“ entfalten können, die als eine „Annehmlichkeit des Fabriklebens“ empfunden worden sei; da die großen Maschinen lange Gänge bildeten, in der jeweils nur eine Arbeiterin stand, bildete sich sogar ein recht großer Freiraum für die einzelne Arbeiterin.270 – Die bereits dargestellte spätere Klage von Soziologen wie Hellpach über die „Atomisierung“ der Arbeiter/-innen in der Fabrik und den Verlust der Lebensraumqualität bei der Arbeit erfährt so auch eine sozialgeschichtliche Relativierung. Gleichwohl liegen zu wenige Stimmen von Arbeiter/-innen vor, um zu dieser Frage ein geschlossenes Bild entwickeln zu können. Letztlich zeigt sich aber, dass zum einen Eigen-Sinn unter verschiedenen Umständen möglich war und dass es zum anderen problematisch ist, die Arbeitsverhältnisse vor der Rationalisierung zu idealisieren.

„M ENSCHENÖKONOMIE “

UND

F ÜHRUNGSSTILE

Das Interesse am Faktor Mensch in der Produktion führte in den 1920er Jahren zur verstärkten Problematisierung der Machtbeziehungen am Arbeitsplatz, speziell des Verhältnisses zwischen Kontrolle und Selbstverantwortung der Arbeiter/-innen. Mary Nolan hat herausgearbeitet, in welcher Form in der Weimarer Republik eine breite von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Industriellen getragene Bewegung für die „menschliche Rationalisierung“ tätig war. 271 Einige Anhänger/-innen dieser

268 Vgl. Bönig: Einführung, 1993, S. 301. 269 Vgl. Sarasin: Rationalisierung, 1995, S. 88. 270 Bernays: Auslese, 1910, S. 186f. 271 Nolan: Visions, 1994, S. 180. Nolan beschäftigt sich insbesondere mit dem DINTA (Deutsches Institut für technische Arbeitsschulung), einem zentralen Bestandteil der Bewegung für die „menschliche Rationalisierung“.

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Bewegung hätten in der „menschlichen Rationalisierung den Schlüssel zu einer deutschen Sonderform wirtschaftlicher Modernisierung“ gesehen, um eine notwendige Eigenständigkeit gegenüber den amerikanischen Einflüssen des Taylorismus und Fordismus zu entwickeln.272 Andreas Killen betont in einem Aufsatz über die Psychotechnik der 1920er und 1930er Jahre, dass sich die Arbeitswissenschaften in Deutschland von dem Modell des „Motors Mensch“ verabschiedet hatten und sich nunmehr umfassender um die Persönlichkeit der Arbeiter/-innen bemühten.273 Ziel der deutschen Rationalisierungsbewegung war nicht in erster Linie ein stromlinienförmiger Arbeitsablauf, sondern vielmehr die Erzeugung eines neuen Typus von Arbeiter/-innen, von denen nun eine „self-rationalization“ erwartet wurde. Die Arbeitswissenschaften begriffen sich folglich gleichermaßen als Wissenschaft des Arbeitsplatzes wie des Subjekts.274 Die Einbeziehung der „Arbeitspersönlichkeit“ spielte dann auch in den nationalsozialistischen Überlegungen zur „echten Rationalisierung“ eine wesentliche Rolle. So hieß es im paradigmatischen Text Die echte Rationalisierung, der im ersten Jahrbuch des Arbeitswissenschaftlichen Instituts 1936 erschien, dass auf „das Hilfsmittel durchdachter, klarer Arbeitsanweisung“ zwar nicht vollständig verzichtet werden könne, dass aber „in deutschen gut geleiteten Betrieben […] der menschlichen Persönlichkeit auf andere Weise Rechnung getragen“ werden könne: durch „erhöhte Verantwortung, Wechsel der Beschäftigung, Einsatz bei verschiedenen Tätigkeiten usw.“275 Die Ausformung der Machtbeziehungen in der Fabrik wurde bereits in den Arbeitswissenschaften der Weimarer Republik problematisiert.276 So besprach beispielsweise Otto Lipmann 1932 in seinem Lehrbuch der Arbeitswissenschaft Maßnahmen „in Hinblick auf die Selbstbeanspruchung“, mit denen in der Praxis die „Arbeiter dadurch mit der Produktion“ verknüpft werden sollten, dass ihnen „ein

272 Nolan: Institut, 1993, S. 195. 273 Vgl. Killen: Psychotechnics, 2007, S. 60f. 274 Vgl. ebd., S. 70f. 275 Arbeitswissenschaftliches Institut der Deutschen Arbeitsfront: Rationalisierung, 1936, S. 209. Am Rande sei angemerkt, dass diese Ausführungen eine auffällige Nähe zu den nach 1950 im Umfeld der „Humanisierung der Arbeit“ entwickelten Konzepten des Jobenrichment und Jobenlargement aufweisen. 276 Ich lege hier den Machtbegriff Foucaults zugrunde; es geht also bei der Machtausübung darum, auf welche Weise „das mögliche Handlungsfeld der anderen“ strukturiert wird, vgl. Foucault: Subjekt, 2005, 258. Zur Diskussion stand die Frage, inwieweit den Arbeitern und Arbeiterinnen Selbstverantwortung übertragen werden sollte. Keineswegs wurde das Eigentum an Produktionsmitteln als die Grundlage jeder Machtausübung in den Fabriken, in den arbeitswissenschaftlichen Debatten in Frage gestellt.



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möglichst hohes Maß von Verantwortung an der Produktion übertragen wurde“.277 Obwohl sich Lipmann kritisch von Taylors Scientific Management distanzierte, lassen sich seine Ausführungen dennoch als Weiterentwicklung des Taylorismus verstehen: Als zentral sah auch Lipmann das tayloristische Prinzip an, „dass man die Regelung der Arbeitsmethode nicht nur der Tradition und der Laune des arbeitenden Individuums überlassen“ solle.278 Das Funktionsmeistersystem Taylors allerdings arte in „Zwang“ aus und schädige die „Selbstbeanspruchung“ der Arbeiter/innen.279 Lipmann forderte folglich, dass die „sach- und arbeitsökonomischen“ Überlegungen von „menschenökonomischen Gesichtspunkten“ ergänzt werden müssten: „Aus arbeitswissenschaftlichen Erwägungen heraus werden wir zu der Forderung geführt, dass dem Arbeiter die Gestaltung seiner Arbeit, die Wahl der Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden in möglichst hohem Grade überlassen bleiben soll“. Menschenökonomie bedeute dabei „die Erhaltung einer dauernden Leistungsfähigkeit des Arbeiters“.280 Die Arbeiter wurden folglich avant la lettre als Humankapital betrachtet. In diesem Sinne bedeutete Humanisierung also keineswegs eine Abkehr von tayloristischen Prinzipien,281 sondern vielmehr ihre Ausdifferenzierung. Der Kontrolle kam im Arbeitsprozess weiterhin großes Gewicht zu, für ihre Bewertung war aber nun entscheidend, wie sie auf die „freiwillige Selbstbeanspruchung des Arbeiters wirkte“. Vorzuziehen sei also zunächst die „Selbstkontrolle“, gefolgt von der „Kontrolle von Arbeitskollegen und Gewerkschaften“ und der automatischen Kontrolle. Unter diesem Gesichtspunkt sei die Kontrolle durch Vorgesetzte weniger förderlich, besonders problematisch sei aber die „geheime Kontrolle“ einzustufen.282 Arbeitswissenschaftliche Experimente hätten gezeigt, dass nicht die Arbeits-

277 Lipmann: Lehrbuch, 1932, S. 267. 278 Ebd., S. 189. 279 Ebd., S. 190. 280 Ebd., S. 191. 281 Bernet und Gugerli sehen einen großen Unterschied zwischen dem von der Humankapitaltheorie abgeleiteten Human Resource Management und der Personalpolitik des Scientific Management. Neu seien die „Maxime vom ‚Menschen im Mittelpunkt‘“ und die Förderung von „Aktivität, Beteiligung und Verantwortung“ jedes einzelnen Beschäftigten gewesen, vgl. Bernet/Gugerli: Resonanzen S. 442. Meine bisherigen Ausführungen und die kommenden Kapitel sprechen gegen eine solche Annahme; vielmehr sehe ich die Humankapitaltheorie als Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung der Beschäftigung mit dem menschlichen Faktor der Produktion. 282 Lipmann: Lehrbuch, 1932, S. 279.

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kontrolle an sich von den Arbeitern und Arbeiterinnen abgelehnt werde, sondern dass hingegen die „Aufsicht der Meister“ bedrückend wirke.283 Keineswegs wurden die Ziele der Disziplin und Kontrolle aufgegeben, allerdings wurde diskutiert, inwiefern das Überwiegen dieser Momente in der Praxis ein Problem darstelle. So ging es zunehmend darum, auf welche Weise diese repressiven Machtmechanismen durch neue produktivere Verfahren zu ergänzen seien, die die „Lust zur Arbeit und Freude an der Arbeit“ förderten. Dies betonte Günther Krenzler in seiner Dissertation über Arbeit und Arbeitsfreude 1927, gleichzeitig klarstellend, dass „Unterordnung und Überordnung“, also Hierarchien am Arbeitsplatz, natürlich auch weiterhin Bestand haben müssten. Gleichwohl müsse „eine geschickte Betriebspsychologie“ Rücksicht auf den „Produktionsfaktor Mensch“ nehmen, um das „Vertrauen der Arbeiter in die Betriebsleitung zu heben“. Das „einseitige“ Beharren vieler Führungskräfte darauf, der „Herr im Hause“ zu sein, habe hingegen „lange Zeit dazu beigetragen“, ein „Gefühl tiefen Mißtrauens“ unter den Beschäftigten hervorzurufen.284 Der Arbeitssoziologe Götz Briefs entwickelte ein Konzept der Betriebsdisziplin, in dessen Zentrum der Ansatz stand, „den freien Willen des Arbeiters für die Ausführung des Befehls einzuspannen“. Eine solche Disziplin wäre als „organisch“ zu bezeichnen und von einer rein „mechanischen Disziplin“ zu unterscheiden, die allein auf der Basis eines „Abhängigkeitsverhältnisses“ angelegt sei.285 Wichtig sei eine „Rücksichtnahme auf die innere Einstellung des Arbeiters“. Die richtige Führung sei dadurch charakterisiert, dass „aus einem Befehl ein Appell an die Mitarbeit des Arbeiters“ werde.286 Über das Ziel, die Arbeiter/-innen zum zumindest teilweise selbstständigen Mitarbeiten – oder in Lipmanns Terminologie zur Selbstbeanspruchung – zu bringen, rückten also bereits am Ende der Weimarer Republik verstärkt Reflexionen darüber ins Zentrum der arbeitswissenschaftlichen Debatten, wie veränderte Führungsstile zur Rationalisierung der Fabrikarbeit beitragen könnten. In Rohform wurden ähnliche Debatten bereits in Modellen industriellen Managements während des Kaiserreichs geführt. Dabei sollten „psychologisch orientierte, indirekte Leitungstechniken“ den direkten Befehl weitgehend verdrängen und zu einer Erhöhung der Loyalität und Leistungsbereitschaft der Belegschaft führen.287 Explizit 283 Ebd., S. 278f. Die Historikerin Petra Weber betont in ihrer vergleichenden Studie, dass sich diesbezüglich die Verhältnisse in Frankreich und Deutschland glichen: Das „schikanöse Überwachungssystem“ wurde von den Beschäftigten abgelehnt und von zeitgenössischen deutschen Arbeitssoziologen wie Hendrik de Man als „Hemmnis für die Arbeitsfreude“ eingeschätzt, vgl. Weber: Sozialpartnerschaft, 2010, S. 701. 284 Krenzler: Arbeit, 1927, S. 106. 285 Briefs: Betriebsführung, 1934, S. 83. 286 Ebd., S. 84. Hervorhebung i. O. 287 Vgl. Kocka: Management, 1969, S. 364f.



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kritisierte Briefs das „Taylorsystem“: Es habe zu einer „Entpersönlichung“ der Beziehungen am Arbeitsplatz geführt, indem die Meister durch Funktionsmeister ersetzt worden seien.288 Es ging Briefs dabei nicht darum, die alte Fabrikhierarchie mit ihrer starren Befehlsstruktur wiederherzustellen, sondern darum, einem vermeintlich überzogenen „Versachlichungsprozess“ entgegen zu wirken, und stattdessen zwischenmenschliche „Kontakte“ zu revitalisieren und die Autorität einer „persönlichen Anordnungsmacht“ wieder wirksam zu machen.289 Briefs ehemaliger Kollege am 1937 geschlossenen Institut für Betriebssoziologie und soziale Betriebslehre der TH Berlin, Ludwig Geck, ging den eingeschlagenen Weg in seiner Monographie zur Sozialen Betriebsführung weiter, die 1938 zuerst erschien und dann 1953 in einer im Kern kaum veränderten Neuauflage auch in der arbeitswissenschaftlichen Diskussion der Bundesrepublik weiterhin eine wichtige Rolle spielen sollte. Geck verstand die soziale Betriebsführung als „Personalführungsaufgabe“ und setzte noch stärker als Briefs auf eine Aktivierung der Subjektivität der Arbeitenden und formulierte Ziele, die dem ab 1955 von dem amerikanischen Managementtheoretiker Peter Drucker popularisierten Prinzip des management by objectives nahe kamen: Befehle gelte es, wann immer möglich, durch Anweisungen oder besser noch durch Aufträge zu ersetzen; den Beschäftigten müssten „mehr Handlungsfreiheit, mehr Initiative, mehr Selbstentfaltung, mehr schöpferische Betätigung“ eingeräumt werden.290 Unter Heranziehung von Michel Foucaults Theorie der doppelten Raumordnung lässt sich feststellen, dass auch die Ordnung des ‚Lebensraums Fabrik‘ neben der realen räumlichen Dimension eine ideale Macht-Dimension hatte, die von Konzepten der Personalführung definiert wurde. Gecks soziale Betriebsführung sollte dem Ziel einer „Verlebendigung des Betriebsorganismus“ dienen: „So wird die sachlich bedingte und die vom Menschen auferlegte Disziplin in gesteigerter Verantwortlichkeit zur Selbstdisziplin, die sich die Betriebsordnung innerlich zu eigen macht.“291 Die zentrale Überlegung bestünde darin, „den Faktor Mensch ‚richtig‘, d. h. ordnungsgemäß in das Betriebsganze“ einzuordnen.292 Die Betriebshierarchien und der Platz jedes Einzelnen in ihnen sollten klar festgelegt werden, es bestand aber die Notwendigkeit, die den Hierarchien zugrunde liegenden Machtbeziehungen neu zu ordnen, indem die Subjektivität der Arbeiter/-innen stärker eingebunden werden sollte: Der „Betriebsführer“ müsse „zum Menschen“ vordringen; eine solche „gute Personalpolitik“ dürfe jedoch keinesfalls als ein „weiches Nachgeben gegenüber unberechtigten Forderungen“ missverstanden werden, da sie immer auch 288 Briefs: Betriebsführung, 1934, S. 87. 289 Ebd., S. 87. 290 Geck: Betriebsführung, 1938, S. 60. 291 Ebd. Hervorhebungen i. O. 292 Ebd., S. 62. Hervorhebungen i. O.

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der Produktion diene; sie sei „ebenso ein Mittel der Wirtschafts- wie der Sozialpolitik“.293 Der Geschlechterdifferenz kam in den Konzepten zu den Machtbeziehungen im Betrieb besonderes Augenmerk zu. Lipmann und die einflussreiche Arbeitspsychologin Martha Moers suggerierten dabei jeweils, dass Frauen geeigneter seien als Männer, ihre Arbeitskraft selbstverantwortlich auszuschöpfen. Lipmann war der Meinung, dass „die Selbstbeanspruchung der Frauen eine bessere“ sei,294 Moers sprach 1941 von einer höheren „Selbstdisziplin“, die wiederum aus der „mütterlichen Einstellung“ heraus zu erklären sei.295 Während einerseits diese vermeintlich geschlechtsspezifischen Fähigkeiten weitere Möglichkeiten einer Neugestaltung der Machtmechanismen in der Fabrik in Richtung einer erhöhten Selbstverantwortung der Arbeiterinnen aufzeigten, wurde andererseits insbesondere im Zusammenhang mit dem „Arbeitseinsatz“ von Frauen in der Kriegsproduktion die Notwendigkeit von Anpassungen betrieblicher Abläufe an vermeintliche weibliche Bedürfnisse gesehen. So müssten Betriebe, die „die Arbeitskraft der Frau gebrauchen“ wollten, auf „ihre Psyche Rücksicht nehmen“ und für eine freundliche Aufnahme im Unternehmen sorgen.296 Frauen seien eben von der „Betriebsatmosphäre“ in einem besonders hohen Maße abhängig, weshalb neben Maßnahmen zur Verbesserung der Räumlichkeiten auch „ein frischer Betriebston“ in die Fabriken Einzug halten müsse.297 Moers zog dann aus ähnlichen Erwägungen die Schlussfolgerung, der Ingenieur dürfe sich nicht mehr allein als „Techniker und Organisator betätigen“, sondern er müsse „auch Sozialpolitiker und Psychologe sein und sich als solcher mit der Frage des Fraueneinsatzes in der Industrie auseinandersetzen“.298

D IE E NTWICKLUNG DES P ERSONALMANAGEMENTS : V OM H UMANKAPITAL ZUM A RBEITSKRAFTUNTERNEHMER Abschließend sollen in diesem Kapitel gewisse Periodisierungen in Frage gestellt werden, die einen klaren Bruch zwischen Rationalisierung und Humanisierung bzw. zwischen Fordismus und Post-Fordismus behaupten. So vertritt zum einen die His-

293 Ebd., S. 61, 69. 294 Lipmann: Lehrbuch, 1932, S. 342. 295 Moers: Frauenarbeit, 1941, S. 61. – Inwieweit in der Betriebspraxis dann gerade ein vermeintlicher Konnex zwischen Männlichkeit und Selbstverantwortung bestimmend war, vgl. Kapitel 4 am Beispiel von Klöckner-Humboldt-Deutz. 296 Siemerling: Ingenieurpädagogik, 1940, S. 93. 297 Bramesfeld: Bewährung, 1941, S. 398. 298 Moers: Frauenarbeit, 1941, S. 7; identisch in Moers: Fraueneinsatz, 1943, S. 9.



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torikerin Ruth Rosenberger die These, das Personalmanagement sei in Deutschland erst nach 1945 entstanden. Zum anderen gelten in der Soziologie Praktiken des enterprising self bzw. des Arbeitskraftunternehmers als originär post-fordistisch. Hier soll hingegen die Position vertreten werden, dass beide Entwicklungen ihre Anfänge bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts inmitten der Debatten um Taylor und Ford nahmen. Bevor in den folgenden Kapiteln am Beispiel einzelner Unternehmen diese Analyse en detail betrieben werden kann, wird nun zunächst dargelegt, inwieweit die bereits skizzierte Entwicklung der arbeitswissenschaftlichen Debatten für die vorgeschlagene Neufassung der Chronologie sprechen. Insbesondere gilt es Ruth Rosenbergers These von der Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik Deutschland in den Blick zu nehmen. Rosenbergers Studie weiß in ihrer detaillierten Analyse der Entwicklung des Personalmanagements in der Nachkriegszeit zu überzeugen. Gewiss richteten die meisten deutschen Unternehmen erst in der Nachkriegszeit spezielle Personalabteilungen ein; wird aber mit dieser Fokussierung auf die Institutionalisierung nicht ein wesentlicher Teil der Entstehungsgeschichte des Personalmanagements unterschlagen? Gab es nicht eine Geschichte des Personalmanagements vor der Einrichtung spezieller Personalabteilungen? Die von Rosenberger vertretene Periodisierung basiert vor allem darauf, dass sie die Konzepte von Rationalisierungsingenieuren einerseits und humanwissenschaftlichen Experten andererseits als dichotome „Denkstile“ betrachtet. Sie hätten „unterschiedliche Expertenkulturen“ gebildet und seien weitgehend voneinander abgeschottet gewesen. Folglich habe das „personalpolitische Feld“ erst in der Nachkriegszeit entstehen können, als die Rationalisierungsingenieure von sozialwissenschaftlichen und psychologischen Experten und Expertinnen von entscheidenden Positionen der betrieblichen Personalpolitik verdrängt worden seien.299 Einerseits haben Teile der Forschung herausgearbeitet, dass bereits in den 1920er Jahren eine Professionalisierung des Personalmanagements in Deutschland einsetzte,300 andererseits soll aber vor allem die von Rosenberger behauptete Dichotomie zwischen Ingenieuren und humanwissenschaftlichen Experten und Expertinnen in Frage gestellt werden. Mit Bruce Kaufmans Geschichte der Entstehung des Human Resource Managements in den USA lässt sich gerade zeigen, dass sich das Personalmanagement aus unterschiedlichen Einflüssen entwickelte, die alle darauf zielten, das Arbeiterproblem zu lösen. Die wichtigsten Anstöße kamen dabei vom Systematic und Scientific Management, der oft in ihrer Bedeutung unterschätzten Arbeitsschutzbewegung und der betrieblichen Sozialarbeit, also sowohl von Ingeni-

299 Vgl. Rosenberger: Experten, 2008, S. 327. 300 Vgl. Krell: Personalpolitik, 1994, S. 13; Homburg: Human Factor, 1991, S. 157; Fiedler: Sozialpolitik, 1996, S. 374.

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euren als auch von Sozialwissenschaftler/-innen bzw. Psychologen/-innen.301 Treibende Kraft bei der Umsetzung der neuen Konzepte war selbstverständlich weiterhin das Eigeninteresse der Unternehmer; im Unterschied zu älteren Formen der betrieblichen Personalpolitik stand aber jetzt nicht mehr das kurzfristige Interesse an der möglichst günstigen Beschäftigung von Tagelöhnern im Vordergrund, sondern die langfristige Planung mit der Belegschaft, deren Qualität als Humankapital erkannt wurde.302 Gleichwohl existierten beide Konzepte weiterhin nebeneinander: Es konnte für Unternehmen fallweise auch dann noch durchaus ‚rational‘ sein, die Belegschaft als Tagelöhner zu behandeln, als sich das moderne Personalmanagement bereits etabliert hatte.303 Obwohl sich die neuen Formen des Human Resource Managements auch in den USA in den 1920er Jahren nur in wenigen Unternehmen durchsetzen konnten – wobei dies allerdings gerade jene Großkonzerne waren, die im Fokus der Öffentlichkeit standen –304 und in Deutschland erst später vollständig umgesetzt wurden, soll doch Rosenbergers klarer Trennung von ‚Humanisierung‘ und Rationalisierungsbewegung widersprochen werden. Das Ziel der Humanisierung der Arbeit lässt sich – wie die Ergebnisse dieses Kapitels darlegen – eben nicht als „Kontrapunkt zur Dominanz des technischen und ökonomischen Denkens“ betrachten.305 Wie gezeigt waren in der Rationalisierungsbewegung der Weimarer Republik Überlegungen zur „menschlichen Rationalisierung“ eng mit dem Ziel der Effizienzsteigerung verbunden; schon zu diesem Zeitpunkt ging es darum, individuelle Potentiale in den Beschäftigten freizulegen und sie nutzbar zu machen. Rosenbergers These, erst nach 1945 habe die vermeintlich „neue Maxime[] vom ‚Menschen im Mittelpunkt‘ die Rationalisierungsbewegung arg in Bedrängnis“ gebracht,306 muss in dieser Zuspitzung zurückgewiesen werden. Schwerpunktverschiebungen haben gewiss stattgefunden, aber zumindest für die Rationalisierungsbewegung in Deutschland – wie auch für viele Schüler/-innen Taylors in den USA – war gerade die Konzentration auf den Faktor Mensch in der Produktion bestimmend, der eben nicht nur mechanistisch betrachtet, sondern durchaus psychologisch und soziologisch differenziert analysiert wurde.

301 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 301f. 302 Vgl. ebd., S. 285ff.; vgl. Kaufman: Hired Hands, 2010, S. 12ff., 215ff. 303 Vgl. ebd., S. 21. 304 Vgl. ebd., S. 216. 305 Vgl. Rosenberger: Experten, 2008, S. 162. 306 Ebd., S. 424. An anderer Stelle in derselben Studie widerspricht sich Rosenberger selbst und stellt klar, dass diese Maxime nicht neu war, sondern bereits zirkulierte, als sie im Nationalsozialismus von der Deutschen Arbeitsfront popularisiert wurde, vgl. ebd., S. 82.



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Rationalisierung und Humanisierung müssen also keineswegs als Gegensätze betrachtet werden, deren Hochphasen eindeutig verschiedenen historischen Zeitabschnitten zugeordnet werden können. Vielmehr lassen sie sich als Bestandteile eines Diskurses begreifen, in dem die Anpassung der Arbeit an den Menschen mit der Anpassung des Menschen an die Arbeit einher ging und in dem die Schaffung einer schönen Arbeitsumwelt und eines humanen Arbeitsklimas wesentlicher Bestandteil des Zieles der Effizienzsteigerung war. In diesem Sinne beleuchtet auch Trischlers grundsätzlich zutreffende Mutmaßung, dass der Faktor Mensch in den USA der Zwischenkriegszeit wegen einer „Furcht vor der drohenden Radikalisierung der Arbeiterschaft“ aufgewertet worden sei und dass in Folge dessen das Personalmanagement entstanden sei,307 den Vorgang eben nur von einer Seite. Einerseits war die Abwehr sozialer Unruhen eine Motivation (von Teilen) der Unternehmerschaft, dem Menschen in der Produktion gesteigerte Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Andererseits wurde aber zumindest von einigen Unternehmern, Arbeitswissenschaftlern und Ingenieuren von Beginn der Rationalisierungsdebatte an der rationale – und damit auch humane – Umgang mit dem Faktor Mensch als elementarer Bestandteil der Rationalisierung betrachtet. Die Ausübung von Kontrolle über die Arbeiter/-innen konnte auf verschiedene Weise vonstattengehen: Rigide Überwachungsmaßnahmen erschienen dabei durchaus verzichtbar, wenn sich die Produktionsziele durch ein Selbstmanagement der Beschäftigten effektiver erzielen ließen. Als Beschreibung einer historischen Tendenz ergibt Rosenbergers These, in der endgültigen Ablösung der betrieblichen Sozialpolitik der 1920er Jahre durch die betriebliche Personalpolitik der 1970er Jahre zeige sich ein „Wandel vom kollektiven Sozialen zum individualisierenden Personalen“, durchaus Sinn.308 Allerdings soll hier die Gegenthese aufgestellt – und in den folgenden Kapiteln anhand einzelner Unternehmen untermauert – werden, dass die betriebliche Sozialpolitik der 1920er Jahre bereits dezidiert dem Ziel nachging, das Kollektive durch das Individuelle zu ersetzen. Die Beharrlichkeit historischer Strukturen verhinderte zwar eine sofortige Wachablösung, die einzelnen Elemente lassen sich aber gleichwohl schon in der Weimarer Republik identifizieren. Wie bereits gezeigt wurde, kam beispielsweise nicht erst mit dem vermeintlich neuen „kooperativen Führungsstil“ der 1970er Jahre Kritik an einem alten Führungsstil auf, der auf „Kommandieren und Befehlen“ beruhte und nun durch Überzeugungsarbeit ersetzt werden sollte.309 Vielmehr kamen ähnliche Vorschläge bereits am Ende der Weimarer Republik aus dem einflussreichen Charlottenburger Institut für Betriebssoziologie und soziale Betriebslehre.

307 Vgl. Trischler: Führerideal, 1990, S. 56. 308 Rosenberger: Experten, 2008, S. 381. 309 Ebd., S. 419f.

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Eine ‚humanisierende‘ Aneignung des Taylorismus war bezeichnend für die arbeitswissenschaftliche Debatte in Deutschland, allerdings war eine Verbindung von Rationalisierung und Humanisierung kein deutsches Spezifikum. Im Social Engineering, das in weiten Teilen der modernen Industriegesellschaften eine wichtige Rolle spielte, entstand ein weiterer Versuch zur Lösung des Arbeiterproblems, der sich mit Kaufmann als „marriage of the mechanics of Taylor and the humanics of the welfare movement, industrial psychologists and social reformers“ beschreiben lässt.310 Der Begriff des Social Engineering geht auf William Tolmans gleichnamige Publikation von 1909 zurück. Tolman wollte die Arbeiter dazu bringen, sich selbst auf die Arbeitsanforderungen hin zu erziehen und zu organisieren.311 Den Sozialingenieuren ging es in der Folge keineswegs um die Errichtung von (informellen) Erziehungsdiktaturen oder um die reine Befolgung ihrer Anweisungen. Im Zentrum des Social Engineering stand vielmehr die permanente Erzeugung von Lernprozessen.312 Es ging also weniger um eine Form der Herrschaft über Menschen als vielmehr um die (Selbst-)Erzeugung nützlicher Individuen. Der Historiker Thomas Etzemüller hält es für das Kennzeichen des Social Engineering, dass das Ziel dieses neuen Ordnungsdenkens nicht mehr in erster Linie eine „Disziplinierung individueller Körper“, sondern die „Regulierung von Normalitätszonen“ war.313 Formen des Selbstmanagements wurden also bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts reflektiert. Wie dargelegt machten ähnliche Betrachtungen den Kern der Konzepte einflussreicher Arbeitswissenschaftler der 1920er und 1930er Jahre aus: Otto Lipmann wollte die „Selbstbeanspruchung“ der Arbeiter/-innen fördern, Götz Briefs wünschte sich „Appelle an die Mitarbeit“ anstelle von Befehlen und Ludwig Geck schlug eine Führung durch Auftragserteilung vor, um den Beschäftigten „mehr Handlungsfreiheit, mehr Initiative, mehr Selbstentfaltung“ zu ermöglichen (und gleichzeitig abzuverlangen). In der Nachkriegszeit wurden diese Forderungen dann – als alter Wein in neuen Schläuchen – zum Gemeingut. Spätestens seit Peter Druckers Management by Objectives (Führen durch Zielvereinbarung) von 1955 begann sich im Management die Vorstellung durchzusetzen, dass nur die Ziele vorgegeben werden müssten, während den Beschäftigten die „Art und Weise der Zielerreichung selbst“ überlassen werden könne.314 In der Folge kam es dann zum aktuellen Leitbild einer „planvollen Erweiterung autonomer Spielräume“ innerhalb der Betriebe.315 Von einer eigentlichen Autonomie kann freilich nicht die Rede sein: Es geht heute – trotz des inflationären Einsatzes des Begriffs „Autonomie“ in der Ma310 Kaufman: Human Factor, 2008, S. 143. 311 Vgl. Etzemüller: Social engineering, 2009, S. 11-39, hier S. 18. 312 Vgl. ebd., S. 21. 313 Ebd., S. 34. 314 Vgl. Göbel: Selbstorganisation, 2006, S. 239. 315 Vgl. ebd. S. 249.



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nagementliteratur – um einen effektiven Einsatz individueller Potentiale der Arbeitenden, der letztlich in tayloristischer Tradition einer Trennung von Ausführung und Planung von Experten vorbereitet werden muss: „Die autonome Selbstorganisation muss durch Fremdorganisation planvoll vorbereitet werden. Der wichtigste Schritt ist die Erhöhung der Autonomie der Mitarbeiter.“316 Die häufige Charakterisierung dieser Organisation als „humaner und demokratischer“317 bedarf also der vorgenommenen Differenzierung. Der Soziologe Gerd-Günter Voß weist überdies daraufhin, dass bereits unter tayloristischen Produktionsbedingungen Selbstorganisation und Kreativität der Arbeitenden notwendig waren.318 Heute werde versucht, tayloristische „rigide Fremdbestimmung mit selbstorganisierter und dadurch Subjektivität verstärkt nutzender Arbeit“ zu verbinden. Die „tayloristische Trennung von Planung und Ausführung und die rigide Überwachung der Arbeitsausführung“ bleibe dabei in dieser Form der „subjektivierten Taylorisierung“ bestehen. 319 Die Zeitdiagnose ist durchaus überzeugend, aber ergibt diese Dichotomie zwischen Subjektivierung und Taylorisierung historisch überhaupt Sinn? War nicht der Aspekt der Selbstorganisation bereits in der klassischen Phase der Rationalisierung noch wichtiger als es Voß zu Recht erkennt? Der Wirtschaftshistoriker Paul Robertson konstatiert, dass der Wille zur Dequalifizierung wesentlich seltener im Management vorkam als die historische Forschung annimmt. Dafür war schon allein der wirtschaftliche Gedanke ausschlaggebend, dass Facharbeiter die eigene Arbeit selbstständig einer Qualitätskontrolle unterziehen konnten und damit halfen, Kosten zu sparen.320 In den Betrieben, die das fordistische Modell mehr oder minder vollständig umgesetzt hatten, führte diese Form der Arbeitsorganisation dann am Ende der 1970er Jahre in die Sackgasse explodierender Kosten für Kontrollsysteme. Die geringe Motivation der Arbeitenden machte immer weiter um sich greifende Kontrollmaßnahmen notwendig: Es erwies sich als Problem, Eigenverantwortung weitgehend aus dem Tätigkeitsbereich der Arbeiter/-innen entfernt zu haben. Mit der Aneignung japanischer Produktionsmethoden wurde der Selbstverantwortung dann wieder größere Bedeutung eingeräumt.321 Dennoch herrscht in den Sozialwissenschaften die Position vor, dass wir es in der Gegenwart mit einer „historisch weitgehend neue[n] Grundform“ der Arbeitskraft, mit dem „verbetrieblichte[n] Arbeitskraftunternehmer des Post-Fordismus“ zu

316 Ebd., S. 255. 317 Ebd., S. 256. 318 Vgl. Matuschek/Kleemann/Voß: Subjektivierte Taylorisierung, 2008, S. 49. 319 Ebd., S. 50, 58. 320 Vgl. Robertson: Choice, 1992, S. 346. 321 Vgl. Tolliday: Ford, 1991, S. 101.

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tun hätten.322 Zwar räumen Gerd-Günter Voß und Hans Pongratz in ihrem einflussreichen Aufsatz zum Arbeitskraftunternehmer ein, dass historisch „vielfältige Mischformen und Differenzierungen“ vorgekommen sind. Sie vertreten aber letztlich eine Periodisierung, die eine Entwicklung vom „proletarisierten Lohnarbeiter der Frühindustrialisierung“, über den „verberuflichten Massenarbeitnehmer des Fordismus“ zum Arbeitskraftunternehmer des Post-Fordismus postuliert.323 Nun sei das „Prinzip der Selbstorganisation“ ins Zentrum gerückt worden, „Selbststeuerung und Selbstkontrolle“ hätten den „Abbau direkter Kontrollen und die Nutzung neuer Leistungspotentiale“ ermöglicht.324 Einige Jahre zuvor hat bereits der britische Soziologe Nikolas Rose das sehr ähnliche Konzept von der Regierung des unternehmerischen Selbst („governing the enterprising self“) mit Bezug auf Foucaults Begriff der Regierung (gouvernmentalité) entwickelt. Auch Rose spricht von einer neuen Machtform im Arbeitsleben, die davon charakterisiert sei, die Autonomie und Kreativität der Beschäftigten zu fördern und für Firmenzwecke zu kanalisieren: „to get the most out of their employees“.325 Der Analyse kann beigepflichtet werden, allerdings sprechen die bisherigen Betrachtungen dafür, die Entwicklung eines enterprising self bereits als Bestandteil des fordistischen/tayloristischen Projektes zu betrachten. Ganz im Sinne Foucaults überschneiden sich im Rationalisierungsdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts die Machtformen der Disziplin und der Regierung. Die Disziplinierung der Arbeiter/innen war dabei vor allem im 19. Jahrhundert das zentrale Ziel der Unternehmen, während es spätestens mit dem Aufkommen des scientific management verstärkt darum ging, jenseits der Disziplinierung einen Produktivitätsgewinn durch einen effizienten und effektiven Umgang mit den Arbeitskräften zu erzielen. Das vormalige Ziel, eine strikte Fabrikordnung umzusetzen, verlor im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung, weil es weitgehend erreicht war: Die Fluktuation der Arbeitskräfte wurde radikal gedrosselt, Pünktlichkeit und regelmäßiges Erscheinen mussten kaum noch mit Disziplinierungsmaßnahmen erkämpft werden. Die Einhaltung der Fabrikdisziplin zu erreichen, war nun nicht mehr das wesentliche Ziel des Managements. Es war normal geworden, vorauszusetzen, dass die Arbeiter/-innen freiwillig mehr Einsatz als vorgeschrieben in den Arbeitsprozess einbrachten. Wie insbesondere im nächsten Kapitel anhand des Unternehmens KlöcknerHumboldt-Deutz zu zeigen sein wird, wurden bereits in der betrieblichen Praxis in den 1920er und 1930er Jahren Führungsstile getestet, die verstärkt auf eine Selbstkontrolle der Arbeiter setzten. Die Entwicklung verlief allerdings keinesfalls linear. Zwar wurde in arbeitswissenschaftlichen und managementtheoretischen Texten 322 Voß/Pongratz: Arbeitskraftunternehmer, 1998, S. 148. 323 Ebd., S. 147f. 324 Ebd., S. 131, 134. 325 Vgl. Rose: Enterprising Self, 1992, S. 154.



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früh erkannt, dass Disziplin und Kontrolle nicht allein ausreichten, sozialhistorisch verlief dieser Wandel aber wechselhaft. Wirtschaftskrisen und Konjunkturlagen hatten einen Einfluss auf die Entwicklung, die folglich nicht linear im Sinne eines kontinuierlichen Rückgangs der Disziplin und einer parallelen Steigerung der Selbstverantwortung ablief.326

 

326 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 273f.



4. Rationalisierung bei Deutz Die Humanisierung des Scientific Managements 1910-1970

Der Reisende zeigte sich begeistert. Wie viele Zeitgenossen der Zwischenkriegszeit hatte er den Atlantik überquert, um auf der anderen Seite des Ozeans Innovationen im Betriebsleben kennenzulernen. Auch ihm ging es nicht in erster Linie um neue Maschinen, sondern um die Organisation der Arbeit in der Fabrik. Der besuchte Konzern hatte einen „sehr ungewöhnlichen Entwicklungspfad im Bereich der Personalführung“ eingeschlagen. Der Reisende würde nach der Rückkehr umgehend in der Heimat, am besten in einer Ingenieursfachzeitschrift, von diesen Innovationen berichten. Ähnlich lassen sich die Reiseerfahrungen vieler europäischer, nicht zuletzt deutscher, Ingenieure und Manager in die USA in den zwanziger und dreißiger Jahren beschreiben. Das Schlagwort der Amerikanisierung war bereits zeitgenössisch äußerst präsent; später wurde das Phänomen unter diesem Begriff in der Geschichtswissenschaft aufgegriffen und breit diskutiert. Seit einigen Jahren scheint dieses Feld so gründlich erforscht zu sein, dass es keine weiteren analytischen Erträge verspricht. Ich möchte vorschlagen, das vermeintlich abgegraste Feld von der abgelegenen, noch grünen Seite zu betreten. – In diesem Fall fand die beschriebene Reise nämlich in umgekehrter Richtung statt: Ein Amerikaner besuchte das Deutz-Werk in Köln. Mit Namen und Daten lässt sich die Geschichte wie folgt erzählen: Im August 1938 berichtete die amerikanische Ingenieurszeitschrift Machinery: Design – Construction – Operation von einer Reise ihres Herausgebers nach Köln. Erik Oberg besichtigte dort das Deutz-Werk und war offensichtlich sehr angetan von gewissen Neuerungen in der Mitarbeiterführung, in seinen Worten: „a most unusual development in personnel methods that has been inaugurated by this manufacturing company“.1 Was dem amerikanischen Ingenieur so bemerkenswert erschien, machte bereits der Titel des Beitrags deutlich: Es ging um die „Entwicklung von Verantwor1

Oberg: Responsibility, 1938, S. 850.





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tung und Selbstständigkeit“ unter den Arbeitern. Oberg sah einen „Plan“ am Werke, der dabei geholfen habe, sowohl die Fähigkeiten der einzelnen Arbeiter zu entwickeln als auch die Beziehungen zwischen Management und Arbeiterschaft zu verbessern. Das Unternehmen Humboldt-Deutz hatte in seinen Werken Arbeiter zu „Selbstkontrolleuren“ und „Selbstkalkulatoren“ ernannt. Für Oberg stellte diese Neuerung eine geeignete Maßnahme dar, den Arbeitern die Möglichkeit zu geben, Initiative und Zuverlässigkeit zu zeigen. Wenn es den Arbeitern gestattet sei, selbst die Qualität ihrer Arbeit zu überprüfen oder sogar darüber hinausgehend ihren eigenen Akkord festzulegen, würden sowohl die Firma als auch die Arbeiter davon profitieren. Obwohl sich in diesem Fall ein amerikanischer Ingenieur von einer Entwicklung in einem deutschen Betrieb beeindruckt zeigte, lässt sich doch die Entwicklung bei Humboldt-Deutz sinnvoll unter Verwendung des Begriffs Amerikanisierung verstehen: Zum einen wurden die beschriebenen Neuerungen unter dem Direktor Helmut Stein umgesetzt, der seinerseits in seinem Vorgehen sehr stark von zwei Amerikareisen mit Werksbesichtigungen beeinflusst worden war. Zum anderen gab es schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts bei Deutz eine intensive Auseinandersetzung mit amerikanischen Produktionsmethoden. Zur analytischen Nutzbarmachung des Amerikanisierungsbegriffs möchte ich vorschlagen, drei Termini in den Mittelpunkt zu rücken: Aneignung, Hybridisierung und Selbstbespiegelung. Zwar hat bereits Daniel Rodgers in seiner Studie Atlantic Crossings darauf hingewiesen, dass der Fordismus auch deshalb in Europa aufgegriffen wurde, weil er sich als äußerst flexibel erwies, gleichzeitig aber von einer „Invasion“ amerikanischer Ideen ins Europa der Zwischenkriegszeit gesprochen: „Fordism invaded Europe as a progressive idea“.2 Obwohl die Wucht des amerikanischen Einflusses auf die industrielle Entwicklung in Europa den Eindruck einer Invasion durchaus nahelegt, erscheint doch die Interpretation angemessener, die etwa Zeitlin vorgeschlagen hat: Letztlich herrschte eine Praxis der „selektiven Aneignung“ vor, außerdem wurden amerikanische Technologien und Managementmethoden in Europa stets modifiziert und hybridisiert.3 In Bezug auf die Weimarer Republik hat Mary Nolan in ähnlicher Weise vom Vorgang des „Germanizing Americanism“ gesprochen.4 Nolan hat sehr gründlich die Debatten der Zwi2

Rodgers: Atlantic Crossings, 1998, S. 375.

3

Vgl. Zeitlin: Introduction, 2000, S. 2, 5; auch Hård und Stippak schlagen Aneignung als zentralen Begriff für das Verständnis des internationalen Austausches neuer Technolgien vor, vgl. Hård/Stippak: Progressive Dreams, 2008, S. 124.

4

Nolan: Visions, 1994, S. 70; zum Nationalsozialismus, vgl. Gassert: Amerika, 1997, S. 27: „Alle als positiv empfundenen Aspekte technischer Modernität wurden systematisch ‚germanisiert‘, etwa eine ‚deutsche Rationalisierung‘ dem amerikanischen Rationalisierungskonzept gegenübergestellt.“



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schenkriegszeit analysiert; im Folgenden soll nun gezeigt werden, inwieweit sich der Versuch, amerikanische Innovationen mit vermeintlich deutschen kulturellen Besonderheiten zu verbinden, an den betrieblichen Praktiken bei Humboldt-Deutz aufzeigen lässt. In diesem Zusammenhang sind die Anmerkungen Doering-Manteuffels zur Amerikanisierung besonders hilfreich: Doering-Manteuffel hat hervorgehoben, dass die Amerikanismus-Debatte der Weimarer Republik um „die eigene deutsche Kultur“ kreiste; im Zentrum stand eine „Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen von Modernisierung der Gesellschaft des eigenen Landes“.5 Daran anschließend werde ich im Folgenden Debatten und Praktiken der Amerikanisierung als eine Form der Selbstbespiegelung begreifen: Erst die Auseinandersetzung mit dem (vermeintlichen) Amerikanismus ermöglichte das Hervorheben (vermeintlich) deutscher Besonderheiten. Darüber, dass sich ab dem Kaiserreich ein „deutscher Kapitalismus“ identifizieren lässt, der sich als Ausprägung der organisierten und koordinierten Kapitalismus-Variante im Modell der Varieties of Capitalism deutlich von den „liberal market economies“ unterscheidet und den Werner Abelshauser als eine post-liberale Avantgarde betrachtet, herrscht in der Forschung weitgehend Konsens.6 Kontrovers diskutiert werden vor allem Fragen der konkreten Ausbildung dieses Modells und seine Dauer: Im Gegensatz zu Abelshauser betont etwa Berghahn, dass in der Nachkriegszeit der amerikanische Einfluss so stark geworden sei, dass nicht mehr ohne weiteres von einem deutschen Kapitalismus gesprochen werden könne.7 Ich werde der Frage nachgehen, welche Folgen Veränderungen der Arbeitsorganisation für die Machtbeziehungen im Betrieb hatten. Die Rationalisierungsdebatte bei Deutz (bzw. Humboldt-Deutz ab 1930 und Klöckner-Humboldt-Deutz ab 1938) ist äußerst gut dokumentiert: Vor allem zahlreiche Denkschriften des jeweiligen Direktoriums, Jahresberichte und Berichte von USA-Reisen geben nicht nur Aufschluss über die eingeschlagenen Maßnahmen, sondern auch über die zugrunde liegenden Diskussionen und Erwägungen. Auf dieser Basis lässt sich für das 20. Jahrhundert eine Firmengeschichte der Problematisierung rekonstruieren: Auf welche Weise schien es der Firmenleitung möglich, sich erfolgreiche amerikanische Modelle unter Berücksichtigung hiesiger Besonderheiten für das eigene Unternehmen anzueignen? Wie konnte der Faktor Mensch in Ansätze zur Effizienzsteigerung integriert werden? Wie ließen sich also Rationalisierung und Humanisierung verbinden? Es ist das Ziel dieses Kapitels, konkrete Kontinuitäten und Brüche bei diesem Prozess von 1900 bis 1970 aufzuzeigen.

5

Doering-Manteuffel: Dimensionen, 1995, S. 9.

6

Vgl. Hall/Soskice (Hg.): Varieties, 2001; Abelshauser: Nation, 1984; Kocka: Einleitung,

7

Vgl. Berghahn: Kapitalismus-Modell, 2006, S. 41.

2006, S. 9, 11.

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Besonderes Augenmerk erhält die Frage, inwieweit die frühe Ausprägung eines Arbeiter-Selbstmanagements, über die Machinery berichtete, als ein hybrides Ergebnis dieser Problematisierungsgeschichte anzusehen ist. Obwohl das Interesse der nationalsozialistischen Propaganda, die Einrichtung der Arbeiter-Selbstkontrolle als eine Errungenschaft der eigenen Ideologie zu verkaufen, offensichtlich war, lässt sich aufzeigen, dass dieser neue Ansatz als Ergebnis einer längeren Entwicklung verstanden werden kann, die sich seit der Jahrhundertwende bei Deutz abzeichnete. Geprägt war dieser Prozess stets von einer Auseinandersetzung mit amerikanischen Innovationen. Die Amerikanisierung lässt sich sinnvoll in vier Phasen unterteilen: Zunächst fand vor dem Ersten Weltkrieg eine erste Diskussion über Taylors scientific management statt, in der Weimarer Republik wurden bei Deutz – wie in der deutschen Industrie an sich – Wege zur „geistigen“ oder „menschlichen“ Rationalisierung gesucht, im Nationalsozialismus herrschten dann die Schlagworte der Selbstverantwortung und Leistungsgemeinschaft vor. Für die Nachkriegszeit gilt es schließlich zu fragen, welche Traditionslinien fortbestanden bzw. wieder aufgegriffen wurden.

„D EUTSCHER I NGENIEUR ! L ERNE VON T AYLOR , ABER WERDE NIE EIN T AYLORIANER !“ Die Karriere des Schweizer Ingenieurs Fritz Wolfensberger, dem der Pionier der Unternehmensgeschichtsschreibung Conrad Matschoß große Verdienste für die frühe Modernisierung des Unternehmens zuschrieb, 8 weist auf eine entscheidende Veränderung bei Deutz im Jahr 1904 hin. Der Züricher Pfarrerssohn Wolfensberger trat nach einer Schlosserlehre bei der in der Hydrauliktechnik weltweit führenden Maschinenfabrik Escher-Wyss & Cie., einer darauf folgenden Ausbildung zum Maschinentechniker am Kantonalen Technikum in Winterthur und einer ersten Ingenieurstätigkeit bei einer Schiffbaufirma in Schottland im Jahr 1891 in das Konstruktionsbüro der Gasmotorenfabrik Deutz ein, wo er zunächst als Pauser und Zeichner arbeitete. Im Jahr darauf wurde er zum Assistenten des Werkstättenchefs befördert; in dieser Funktion war er für die „Verbesserung des Arbeitsganges in den Werkstätten, hauptsächlich hinsichtlich wirtschaftlicher Fertigung“ zuständig.9 Rückblickend hielt Wolfensberger fest, dass das Unternehmen „noch nicht reif“ gewesen sei für

8

Vgl. Matschoß: Geschichte, 1921, S. 129.

9

Nach dem Lebenslauf, den Fritz Wolfensbergers Sohn dem ehemaligen Arbeitgeber Deutz nach dem Ableben seines Vaters zukommen ließ, C. F. Wolfensberger: Einige Lebensdaten von Fritz Wolfensberger ehemals Betriebsdirektor der Gasmotorenfabrik Deutz. Manuskript, 24.6.1957. RWWA, Sign. 107-914.1, Bl. 1.



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die Umsetzung „fortschrittlicher Ideen im Werkstattbetriebe“, des „Ingenieurideal[s] der rationellen Arbeitsweise“: Sein Chef sei ein reiner Praktiker „konservativster Observanz“ gewesen, dessen Art der Werkstattleitung er „kritisch gegenüberstand“. Die Vorschläge „organisatorischer Maßnahmen“, die Wolfensberger dem Generaldirektor in Denkschriften unterbreitete, hätten dann wiederum von diesem konservativen Werkstattchef ausgeführt werden sollen. Um diese „unmögliche Situation“ zu beenden, verließ Wolfensberger Deutz im Jahr 1894. Retrospektiv konstatierte Wolfensberger, ihm habe die „richtige Sprache“ gefehlt, „um die Wirkung der rationellen Arbeitsweise auf den Geschäftsgewinn in Geldwert auszudrücken“.10 In den kommenden beiden Jahren wiederholten sich Wolfensbergers Erfahrungen geradezu bei der Schweizer Maschinenfabrik Oerlikon, weil auch hier „die interne Situation für die Durchführung vorgeschlagener Verbesserungen noch nicht reif war“.11 Die Karriere des gerade dreißig Jahre alt gewordenen Ingenieurs hätte somit bereits sehr früh gescheitert sein können, als er dann eine erneute Chance bei seinem Lehrherrn bekam. Das Unternehmen Escher-Wyss & Cie. suchte 1896 einen „Ingenieur für die Modernisierung des Werkstattbetriebes“ in einer neu errichteten Produktionsstätte und stellte ihn ein. Nach Wolfensbergers Aussage sei eigentlich ein Amerikaner gesucht worden; er habe allerdings ins Profil gepasst, weil seine „Ansichten über Betriebsführung sich mit den fortschrittlichen Tendenzen gedeckt hätten, die in amerikanischen Fachzeitschriften“ diskutiert wurden.12 Bei EscherWyss & Cie. stieg Wolfensberger bis zum Betriebsleiter auf, es kam aber letztlich zur Trennung im Jahr 1904, weil die Unternehmensleitung nicht bereit war, die Werksmodernisierung mit größerem Kapitalrisiko anzugehen.13 1904 schloss sich der Kreis und Wolfensberger kehrte nach Köln zurück. In der Gasmotorenfabrik war inzwischen in Wolfensbergers rückblickender Einschätzung ein „Wendepunkt“ erfolgt: Der alte Generaldirektor war gestorben, die alten Strukturen wurden zerschlagen. An die Stelle des vormaligen „autokratisch-patriarchalen Systems“ war nun eine „vielköpfige Leitung“ getreten. Die drei Obermeister in den Werkstätten wurden durch einen vierzehnköpfigen Stab ersetzt. Dieses Interregnum ersetzte aus Wolfensbergers Perspektive das „persönliche Regiment“ durch einen „großen, teuren Verwaltungsrat“ aus vielen „Ingenieuren, die nicht genug hand10 Fritz Wolfensberger: Vortrag über die Statistik im industriellen Unternehmen. Manuskript, ca. 1925. RWWA, Sign. 107-914.1, Bl. 12f. 11 C. F. Wolfensberger: Einige Lebensdaten von Fritz Wolfensberger ehemals Betriebsdirektor der Gasmotorenfabrik Deutz. Manuskript, 24.6.1957. RWWA, Sign. 107-914.1, Bl. 1. 12 Wolfensberger: Organisation, 1925, S. 21. 13 C. F. Wolfensberger: Einige Lebensdaten von Fritz Wolfensberger ehemals Betriebsdirektor der Gasmotorenfabrik Deutz. Manuskript, 24.6.1957. RWWA, Sign. 107-914.1, Bl. 1.

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werkliches Können“ besaßen. Dessen Scheitern erlaubte einen mutigen Neuanfang: Der Aufsichtsrat stattete den neuen Generaldirektor mit größeren Befugnissen aus und richtete als dessen rechte Hand ein neues „Zentralbureau“ ein, das „die bestehenden Unzulänglichkeiten aufdecken sollte“. In der drängenden Lage habe man sich an den ehemaligen Mitarbeiter und seine (vergeblichen) Neuerungsbemühungen erinnert: Wolfensberger wurde zum Vorsteher dieses Zentralbureaus.14 Der Generaldirektor vertrat vollständig Wolfensbergers Linie, ließ dessen Vorschläge zur Neuorganisation der Werkstätten umsetzen und ersetzte schließlich den Werkstättendirektor durch Wolfensberger.15 Nach einer Amerikareise mit dem Besuch verschiedener Fabriken im Jahre 1910 berichtete Betriebsdirektor Wolfensberger dem Aufsichtsrat, dass die Reise ihn in seinem Eindruck bestätigt hätte, „dass wir mit der Reorganisation der Arbeit auf dem rechten Weg sind“.16 Als Ursache des Vorsprungs des amerikanischen Maschinenbaus betrachtete Wolfensberger vor allem die dort sehr weit fortgeschrittene Spezialisierung. Während die Spezialisierung in den USA eine nahezu zwangsläufige Folge des größeren Marktes sei, habe sich Deutz bereits seit ein paar Jahren bemüht, diese Spezialisierung „künstlich zu schaffen“. Die Mechanisierung müsse weiter vorangehen: Der eingeschlagene Weg, „Hobelarbeit durch Fräsarbeit und Drehbänke durch Revolverbänke und Automaten zu ersetzen“, müsse weitergegangen werden.17 Allerdings schlug er vor, das Tempo der Veränderungen zu verschärfen und über Kreditaufnahme weitere Maschinen anzuschaffen.18 Das Deutz-Direktorium gab dem Aufsichtsrat in einer vertraulichen Mitteilung die Empfehlung, Wolfensbergers Vorschlägen zuzustimmen, gab aber eine zusätzliche Begründung für diese Meinung ab. Während Wolfensberger vor allem mit Hinblick auf technologische Notwendigkeiten und Fragen des Absatzmarktes argumentierte, fügte das Direktorium ergänzend Überlegungen zum menschlichen Faktor der Produktion hinzu: In Reaktion auf die gestiegene Zahl der Gewerkschaftsmitglieder unter der Arbeiterschaft und die damit in Zusammenhang stehende gesun14 Fritz Wolfensberger: Vortrag über Die Statistik im industriellen Unternehmen. Manuskript, ca 1925. RWWA, Sign. 107-914.1, Bl. 14f. 15 Ebd., Bl. 21f. 16 Berichte an den Aufsichtsrat zu der Sitzung am 8. Juli 1910. Bericht von Fr. Wolfensberger über die Amerikareise vom 3. April bis 15. Mai 1910, Bl. 17. RWWA, Sign. 107-IV4. 17 Ebd. Mit dem verstärkten Einsatz von Spezialmaschinen beschritt Deutz einen ähnlichen Weg wie Ford; das gemeinsame Ziel war die Standardisierung von Arbeitsprozessen, vgl. Hounshell: American System, 1985, S. 250. 18 Berichte an den Aufsichtsrat zu der Sitzung am 8. Juli 1910. Bericht von Fr. Wolfensberger über die Amerikareise vom 3. April bis 15. Mai 1910, Bl. 18. RWWA, Sign. 107-IV4.



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kene Bereitschaft zu Überstunden und Nachtarbeit bestehe nun die Notwendigkeit, „den Betrieb so zu verstärken, dass wir von dem guten Willen der Arbeiter mehr als jetzt unabhängig werden.“19 Neben technologischem und arbeitsorganisatorischem Wandel regte Wolfensberger 1910 auch Veränderungen der Arbeitsräume an. Dabei entspricht ein Teil seiner Forderungen weitgehend dem, was Lindy Biggs für die Planungen der rational factory beschrieben hat, die Wolfensbergers Zeitgenossen in den USA anstellten.20 Gleichzeitig waren Überlegungen, die gemeinhin als Maßnahmen zur ‚Humanisierung‘ der Fabrik verstanden werden, ein wesentlicher Bestandteil dieser Rationalisierungskonzepte. Wie Biggs gezeigt hat, fungierte die Fabrik als die master machine im Konzept der rationellen Produktion. In diesem Sinne forderte Wolfensberger vom Deutz-Vorstand – der Kontext in der Denkschrift und der Zeitpunkt lassen vermuten unter Einfluss seiner Amerikareise – das „Einordnen der einzelnen, jetzt zerstreuten Räume in einem großen Plan“.21 In einer weiteren Denkschrift an den Aufsichtsrat wenige Monate später hielt er fest, das Ziel einer „systematische[n] Umordnung“ der Werkstätten müsse darin bestehen, „die sämtlichen Arbeitsvorgänge der einzelnen Hauptbetriebe bis einschließlich Versand so zu vereinigen, dass rückläufige Bewegungen, unnütze Zwischentransporte und eine die Kontrolle und Verantwortung störende Beteiligung anderer Betriebe, soweit immer möglich, vermieden werden.“22 Im direkten Anschluss betonte Wolfensberger auch, dass eine „Besserung der sanitären Verhältnisse“ einiger Betriebe dringend notwendig sei, wodurch zu erwarten sei, dass „mittelbar die Arbeitsleistung gesteigert“ werde.23 Eine Maßnahme zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsschutzes wurde also explizit mit einer Steigerung der Produktivität verbunden. In der früheren Denkschrift, die an den Vorstand gerichtet war, schilderte Wolfensberger die sanitären Verhältnisse deutlich drastischer: Sie seien in der Gussputzerei „so elend“, dass es zunehmend schwieriger werde, Arbeiter für diese Abteilung zu finden. Die notwendige Einrichtung einer neuen Werkstatt mit Staubabsaugeanlage würde zum einen eine „sanitäre Besserstellung der Arbeiter“ bedeuten, zum anderen handele es sich auch um „eine wirtschaftlichere Einrichtung für das Unterneh-

19 Mitteilung der Direktion zu Punkt 7 der Tagesordnung für die Sitzung des Aufsichtsrats am 8. Juli 1910, betr. Verstärkung der Betriebsanlagen und -einrichtungen in Deutz, 1. Juli 1910 (vertraulich). RWWA, 107-VII/3-III, Bl. 22. 20 Vgl. Biggs: Rational Factory, 1996. 21 Denkschrift von Fritz Wolfensberger an den Vorstand der Gasmotoren-Fabrik Deutz, erstellt am 19. Juli 1910. RWWA, Sign. 107-VII/2-IX, Bl. 85. 22 Denkschrift von Fritz Wolfensberger an den Aufsichtsrat der Gasmotoren-Fabrik Deutz, o.D. [1911]. RWWA, Sign. 107-VII/2-X, Bl. 87. 23 Ebd.

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men“. 24 Die unterschiedlichen Formulierungen in Bezug auf dieselbe anvisierte bauliche Maßnahme – auf der einen Seite eine Offenlegung der katastrophalen Arbeitsbedingungen und der damit verbundenen Not, überhaupt Arbeiter zu finden, gegenüber dem Vorstand, auf der anderen Seite das Versprechen einer Produktivitätssteigerung gegenüber dem Aufsichtsrat – weisen darauf hin, dass Wolfensberger nun die „richtige Sprache“ zur Vermittlung des Wertes der Rationalisierungsmaßnahmen gefunden hat, die ihm bei seinem ersten Deutz-Engagement noch gefehlt hatte. Bald darauf zeigte Wolfensberger auch in anderer Hinsicht in (vermeintlicher) Abgrenzung zum Scientific Management ein verstärktes Interesse am Produktionsfaktor Mensch. In einem Vortrag, den er 1914 vor dem Kölner Bezirksverein der Deutschen Ingenieure über das Taylor-System hielt, machte er deutlich, dass von Taylor gelernt werden müsse, es aber dabei nicht ums Imitieren gehen könne: „Deutscher Ingenieur! Lerne von Taylor, aber werde nie ein Taylorianer!“ In einem Diskussionsbeitrag im Anschluss an den Vortrag führte Adolf Wallichs, der einige Schriften Taylors ins Deutsche übersetzt hatte, aus, dass Taylor selbst „kein Taylorianer“ gewesen sei. Wie Wallichs vertraten auch die meisten führenden TaylorAnhänger in Deutschland die Position, das System der wissenschaftlichen Betriebsführung solle gar nicht auf ein starres „Taylor-System“ festgelegt werden, sondern müsse jeweils den „betreffenden Verhältnissen“ angepasst werden. Wolfensberger selbst führte in seinem Vortrag weiter aus, dass man bei den deutschen Arbeitern „genug Intelligenz und Arbeitseifer“ finde, und folglich deshalb „mittelst der sokratischen Methode“ mehr bei ihnen zu erreichen sei „als mit Schulmeisterei“.25 Es findet sich hier also der – noch nicht weiter ausgeführte – Gedanke, dass es in Erweiterung des Scientific Management notwendig sei, auf die Individualität der Arbeiter einzugehen. Nach Ende seiner Tätigkeit in Köln veröffentlichte Wolfensberger 1925 seine Überlegungen zur „Organisation der Maschinenfabrik“. Neben der fortlaufenden Verbesserung von „Arbeitstechnik und Organisationstechnik“ machte für Wolfensberger der richtige Umgang mit „den beteiligten Menschen“ den Kern seines Systems „für Organisation und Leitung des Werkstättenbetriebes“ aus. Dabei brachte er konzeptuell die Kontrolle der Arbeiter und die Übertragung von Verantwortung an die Arbeiter zusammen; es gehe gleichermaßen um „Anregung, Aufklärung, Kontrolle, Verantwortlichmachung und Belohnung“.26

24 Denkschrift von Fritz Wolfensberger an den Vorstand der Gasmotoren-Fabrik Deutz, erstellt am 19. Juli 1910, RWWA, Sign. 107-VII/2-IX, Bl. 84. 25 Vortrag Fritz Wolfensbergers im Kölner Bezirksverein deutscher Ingenieure über das Taylor-System, Manuskript, 14.1.1914. RWWA, Sign. 107-II/5, Bl. 59. 26 Wolfensberger: Organisation, 1925, S. 28f.



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Ein großes Problem bestehe darin, dass das „gemeinsame Interesse von Unternehmer und Arbeiter an der Steigerung des Arbeitsertrages“ lange Zeit vom Management übersehen worden sei. Dabei sei es notwendig, „dass der Arbeiter an der erhöhten Leistung interessiert werde“, was sich in erster Linie dadurch erreichen ließe, dass der Zeitlohn durch den Stücklohn ersetzt werde.27 Ein ungelöstes psychologisches Kernproblem, auf das später in diesem Kapitel noch zurückzukommen sein wird, benannte Wolfensberger in diesem Zusammenhang: „Niemand lässt sich gern sein Arbeitstempo vorschreiben, zumal wenn er die Notwendigkeit nicht einsieht und keinen Vorteil dabei findet.“28 Ähnliche Fragen wurden von zeitgenössischen Arbeitswissenschaftlern und Arbeitswissenschaftlerinnen breit diskutiert. Im Sinne der Geschichte einer Problematisierung hat Wolfensberger dem Diskurs, wie amerikanische Methoden von der deutschen Industrie aufgegriffen werden könnten, bis zu seiner Rückkehr in die Schweiz im Kriegsjahr 1916 eine Richtung vorgegeben. Es ging nun in erster Linie darum, wie sich der Amerikanismus humanisieren ließe: Ingenieure und Manager suchten nach angemessenen Wegen, Taylors und Fords Ansätze den spezifischen Bedingungen in Deutschland anzupassen. Dabei wurden die grundsätzlich bewunderten amerikanischen Methoden dafür kritisiert, dass sie den menschlichen Faktor, insbesondere seine Psyche, unberücksichtigt ließen. Im Folgenden soll es darum gehen, inwieweit in der nächsten Managergeneration bei Deutz der technische Direktor Franz Schultz-Balluff die Problemstellung konkretisierte.

„G EISTIGE R ATIONALISIERUNG “ ALS D ESIDERAT WÄHREND DER ZWANZIGER J AHRE

BEI

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Leicht ließe sich die Bedeutung des technischen Direktors Schultz-Balluff für die Geschichte des Unternehmens Deutz vor allem darin erblicken, dass unter ihm im Sommer 1925 die Fließfertigung der kleineren und mittleren Motoren eingeführt wurde; eine frühe unternehmensgeschichtliche Abhandlung erkannte darin einen entscheidenden „Umschwung in der Produktion“: Vorausgegangen waren grundlegende Umstrukturierungen, wie eine „größtmögliche Vereinfachung der Typen“ und „sorgfältigste Zeitstudien“, die ganz offensichtlich von amerikanischen Vorbildern beeinflusst waren.29 Auch in einem Nachruf nach seinem Tod 1931 wurde als

27 Ebd., S. 38, 44f. 28 Ebd., S. 45. 29 Birkner: Motorenfabrik, 1929, S. 53. Auch der Unternehmenshistoriker Roman Köster betont, dass Schultz-Balluff, und nicht der sich später als großer Neuerer gerierende

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das zentrale Verdienst des zwischenzeitlich zum Vorstandsmitglied von HumboldtDeutz aufgestiegenen Schultz-Balluff die Einführung der Fließfertigung „in Anlehnung an amerikanische Methoden, aber in der schwierigeren Anwendung auf wechselnde Bauarten und Maschinengrößen“, genannt.30 – Es gilt zu zeigen, inwieweit Schultz-Balluff in Ergänzung dieser Maßnahmen zur Effizienzsteigerung Pläne zu einer anderen, einer „geistigen“ Rationalisierung verfolgte. Schultz-Balluff brachte die besten Voraussetzungen für die Aneignung amerikanischer Produktionsmethoden mit: Er war Amerikaner, wurde 1887 in Brooklyn geboren. Sein Ingenieurstudium absolvierte er allerdings im Heimatland seines Vaters, in München und Stuttgart. Seit 1911 war er ununterbrochen bei Deutz beschäftigt, zunächst als Konstrukteur, darauf als Versuchsingenieur und später als Leiter verschiedener Abteilungen. 1920 wurde er dann technischer Direktor der Motorenfabrik Deutz sowie – nach Bildung einer Interessengemeinschaft im Folgejahr – der Motorenfabrik Oberursel. Ebenfalls leitete Schultz-Balluff zentrale Abteilungen der Maschinenbauanstalt Humboldt, nachdem Deutz mit ihr im Jahr 1924 eine Interessengemeinschaft gegründet hatte, die dann 1930 zur Fusion der drei Fabriken als Humboldt-Deutzmotoren AG führte. Treibende Kraft hinter diesen Umstrukturierungen war Peter Klöckner, der seit 1906 im Aufsichtsrat saß und ihm seit 1924 vorstand.31 Wie viele zeitgenössische Manager und Ingenieure besuchte Schultz-Balluff 1923 die USA, um sich dort Rationalisierungsmaßnahmen bei mehreren Motorenherstellern zeigen zu lassen. Schultz-Balluff berichtete darüber in einem Beitrag für die Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure. Zurecht zieht der Historiker Roman Köster das Fazit, Schultz-Balluff habe den entscheidenden Nachteil der deutschen Produktion gegenüber derjenigen in den USA nicht in der Qualität der Erzeugnisse oder der Qualifikation der Arbeiter gesehen, sondern in einer mangelnden Rationalisierung des innerbetrieblichen Transports.32 In amerikanischen Fabriken fand Deutz’ technischer Direktor hingegen überzeugende Formen des Materialtransports vor. Die von Ford popularisierten Transportverfahren hätten sich vielerorts durchgesetzt.33 Die Begeisterung für diese logistischen Entwicklungen machte gewiss den Kern des Artikels wie auch der Überlegungen bei Deutz zu dieser Zeit aus. Im Gegensatz zu Köster sehe ich das Rationalisierungskonzept Schultz-Balluffs aber nicht als auf Helmut Stein, diese wesentlichen Änderungen durchsetzte, Vgl. Köster: Schauspielhaus Oberursel, 2004, S. 76. 30 Vgl. Nachruf auf Franz Schultz-Balluff, in: Westdeutsche Technische Blätter, 1.9.1931. 31 Vgl. ebd.; Aders: Firma. Teil 1, 1988, S. 91. 32 Vgl. Köster: Schauspielhaus Oberursel, 2004, S. 76. 33 Vgl. Schultz: Motorenindustrie, 1923, S. 381f. Wie für diesen Beitrag zeichnete SchultzBalluff häufig nur mit dem Namen „Franz Schultz“.



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diese Fragen beschränkt an. Gleichzeitig erscheinen mir ergänzende Erwägungen, die Schultz-Balluff am Ende des Aufsatzes ausführte, von großer Bedeutung zu sein. Die enorme „Verbilligung“ bei Ford führte er darauf zurück, dass sich dort „Ingenieur und Arbeiter zu einem Produktionsverfahren zusammengefunden“ hätten, mit dem die deutsche Industrie ohne grundlegende Veränderungen nur schwer konkurrieren könne. Diese „Tatsache“ zwinge „nicht nur den deutschen Betriebsmann, sondern auch den deutschen Arbeiter zum Nachdenken“. Denn eine notwendige Grundlage für die Produktionsleistungen in den USA sei vor allem „das Verständnis, das der amerikanische Arbeiter dem Streben nach Erhöhung der Leistung und Einschränkung der Kosten“ entgegen bringe: „Der Arbeiter ist noch mit Liebe und Ehrgeiz bei seiner Sache“. Allerdings lässt sich dieser Befund Schultz-Balluffs nicht allein auf die Klage eines Managers über schlechte Arbeiter reduzieren: Parallel forderte er auch „von unserer Seite“ – also von der Betriebsleitung – ein „Durchringen zu der Erkenntnis, dass der Arbeiter Mitarbeiter ist oder werden muss“.34 Wie genau dieser Vorgang stattfinden solle, führte der technische Direktor an dieser Stelle noch nicht aus. Es lässt sich dennoch konstatieren, dass bereits zu diesem Zeitpunkt der menschliche Faktor als ein zentrales Problem der Rationalisierung erkannt wurde. Schultz-Balluff ging also niemals davon aus, dass es möglich sei, Rationalisierungsmaßnahmen darauf zu verkürzen, lediglich den Menschen an die Arbeit anzupassen. Gleichwohl blieb die Beschäftigung mit dem menschlichen Faktor zunächst im Hintergrund. Dem von Schultz-Balluff hervorgehobenen Begriff „Mitarbeiter“ kam in den 1930er Jahren, wie weiter unten noch auszuführen sein wird, große Bedeutung in der Personalpolitik des Unternehmens zu. Vorerst setzte sich Schultz-Balluff mit Nachdruck bei Deutz für das klassische Rationalisierungsziel der Effizienzsteigerung ein. In einer internen Abhandlung über die „Fließende Fertigung der Kleinmotoren“ stellte er 1925 klar, dass es um einen hohen Wirkungsgrad und die Vermeidung von Arbeitszeitverschwendung durch Maschinenstillstand und unnötige Transportwege gehen müsse. Ziel sei eine effiziente Auslastung der Arbeitsmaschinen unter Vermeidung von Stillstand, ein verstärkter Einsatz von Spezialmaschinen, die Reduzierung des Materialtransports durch die Werkstatt, die Reduzierung des Zeitaufwandes für einzelne Arbeitsschritte und die „Verkettung der einzelnen Arbeiter miteinander“.35 Seit der Umstellung auf Fließfertigung laufe nun der Motor an den Arbeitern vorbei, deren Tätigkeit fortan auf wenige Handgriffe beschränkt war.36 Die Orientierung am Vorbild amerikanischer Produktionsweisen ist offensichtlich: „Bei der fließenden Fertigung macht der Arbeiter nur noch wenige Griffe, und sein Kollege setzt die Zusammen34 Schultz: Motorenindustrie, 1923, S. 383. Hervorhebung i. O. 35 Franz Schultz: Fließende Fertigung der Kleinmotoren, unveröff. Manuskript, 17.11.1925. RWWA, Sign. 107-VII/3-X, Bl. 60. 36 Vgl. ebd., Bl. 58.

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arbeit fort. […] Alle Werkzeuge sind so eingerichtet, dass sie für diese Spezialtätigkeit kaum zweckmäßiger gemacht werden können. Der Mann eignet sich in wenigen Stunden eine außerordentlich große Handfertigkeit an in den wenigen Griffen, die er durchzuführen hat.“37 Aufgrund dieser Bemerkungen verwundert es nicht, dass sich Schultz-Balluff bei einem erneuten Besuch der Motorenfabrik Fairbanks Morse in Beloit (Wisconsin) im Juli 1926 beeindruckt von der Konsequenz bei der Umsetzung des Fließfertigungsgedankens zeigte. Offensichtlich wurde ihm dabei bewusst, dass die eigenen Versuche zur Umstellung auf Fließproduktion noch lange nicht vollkommen waren. Auch die Herstellung von Zubehör- und Reserveteilen dürfte künftig nicht mehr aus dem Produktionsfluss ausgelagert werden: „Es scheint mir, dass gerade dieser Gedanke von uns eingehend durchgedacht und angewandt werden sollte, weil er der Schlüssel zu dem ungeheuren Erfolg der Amerikaner ist und weil er besonders für unsere kapitalarmen Verhältnisse ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Es scheint mir auch an der Zeit zu sein, dass wir die Arbeiten des Fertigmachens und des Verpackens der Motoren in den Fluss der Fabrikation miteinbeziehen [sic], da hier wahrscheinlich keine schlechtere Arbeit geleistet werden wird.“38

Gleichzeitig vermied Schultz-Balluff aber eine Glorifizierung der beobachteten Verhältnisse: Zum Teil würden die Arbeitsschritte in „allerprimitivste[r] Weise“ und oft mit „verhältnismäßig alten Maschinen“ ausgeführt werden; beeindruckend sei aber, wie „in der geschicktesten Weise mit den primitivsten Mitteln außerordentlich viel erreicht“ werde. Der Erfolg lag, wie Schultz-Balluffs Gastgeber sagte, im „lückenlosen Fluss“.39 Wenige Wochen nach seiner Rückkehr, im September 1926, zeigte SchultzBalluff in seinem Vortrag auf einer Kölner Fließarbeitstagung im Zusammenhang mit der Einführung der Fließbandfertigung bei Deutz ein vertieftes Interesse an dem Faktor Mensch. So sei eine Berücksichtigung der Situation der Arbeiter sehr wichtig, damit neue Methoden angenommen werden würden. Die – nach Schultz-Ballufs Aussage inzwischen überwundene – ablehnende Haltung weiter Teile der Arbeiterschaft gegenüber dem Fließband sei das Resultat eines Managementhandelns gewesen, das nur darauf abgezielt habe, „ob der Arbeiter nicht noch schneller arbeiten könne“. Hingegen sei es wichtig, „den Arbeiter nicht sich selbst zu überlassen, son-

37 Ebd., Bl. 59. 38 Auslandsreisen von Direktoren, darin: Direktor Schultz’ Reise nach Amerika, Aktennotiz zum Besuch am 25.Mai 1926 in Fairbanks Morse, Beloit, erstellt am 24. Juli 1926. RWWA, Sign. 107-III/6a, Bl. 9. 39 Ebd., Bl. 2, 4f.



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dern ihm die Arbeit so leicht als möglich zu machen“.40 Bei Deutz sei es gelungen, dass die Arbeiter, die sich „anfänglich etwas sträubten“, nun „willig“ mitarbeiten und „an der Arbeit stärkeren Anteil“ nehmen würden. Letztlich bedeute für die Arbeiter „die Arbeit am Band tatsächlich eine Hebung“, nämlich „im allgemeinen höhere Löhne“.41 Es ist durchaus fraglich, wie „willig“ die Arbeiter bei der neuen Fließbandarbeit waren; Schultz-Balluff mag die Situation harmonischer geschildert haben, als sie den Arbeitern erschien, oder durchaus selbst von der Einvernehmlichkeit überzeugt gewesen sein. Offensichtlich ist Deutz jedoch ein Beispiel für eine relativ reibungslose Einführung der Fließbandproduktion ohne größere Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Betriebsleitung.42 Interessanterweise versprach sich Schultz-Balluff, im Gegensatz zur zeitgenössischen Kritik, von der Fließbandarbeit eine stärkere Bindung der Arbeiter an das Unternehmen: „Der Arbeiter am Band findet eine völlig vorbereitete Arbeit vor, und er spürt die Durchgeistigung, die die Arbeit erfahren hat, ehe sie in seine Hände gelegt wird. Es kann nicht ausbleiben, dass er an der Arbeit stärkeren Anteil nimmt.“43 Diese Sichtweise erscheint recht eigenwillig, verdeutlicht aber, dass das Management das Problem der Entfremdung der Arbeiter vom Arbeitsprozess immerhin reflektierte. Im Vergleich zu der vorangegangenen schlechten Organisation des Arbeitsablaufs mag Schultz-Balluffs Behauptung nicht völlig unrealistisch gewesen sein: Die Arbeiter seien mit der neuen Arbeitsweise zufrieden, da nun das früher notwendig gewesene „Zusammensuchen von Werkzeugen oder Zeichnungen“, das oft zu Klagen geführt habe, nicht mehr vorkommen könne.44 Überhaupt dürfe der rein technische „Gedanke der Fließarbeit nicht überschätzt werden“; wichtig an ihm sei vor allem gewesen, dass er „die Geister in ‚Fluss‘ gebracht“ habe, dass inzwischen jeder Betrieb gezwungen sei, sich mit diesen neuen Gedanken auseinander zu setzen. Offensichtlich war aber Schultz-Balluff der Meinung, dass es in Deutschland im Gegensatz zu den Verhältnissen in den USA nicht allein um eine Effizienzsteigerung gehen könne. Das „wesentliche Mittel zur Hebung unserer

40 Redemanuskript Direktor Schultz’ von den Motorenwerken Deutz, Fließarbeitstagung in Köln, 24.09.1926. RWWA, Sign. 107-VII/3-XII, Bl. 69. 41 Ebd., Bl. 68. 42 Ähnliche Ergebnisse zeigt Bigazzis Untersuchung der etwa zeitgleichen Einführung des Fließbandes bei Fiat, vgl. Bigazzi: Managment Strategies, 1986, S. 89. Nye weist darauf hin, es könne nicht voreilig auf eine einhellige Ablehnung der Massenproduktion der Arbeiter geschlossen werden; die neuen Produktionsformen hatten durchaus Anhänger in Fabrikhallen, vgl. Nye: Assembly Line, 2013, S. 54. 43 Redemanuskript Direktor Schultz’ von den Motorenwerken Deutz, Fließarbeitstagung in Köln, 24.09.1926. RWWA, Sign. 107-VII/3-XII, Bl. 68. 44 Ebd.

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Industrie“ müsse vielmehr „die Qualität und die wissenschaftliche Durchdringung“ bleiben.45 Die Konzepte zur Rationalisierung kreisten also nicht allein um den Gedanken der Effizienzsteigerung, sondern zugleich immer auch um die Idee der Qualität. Damit einher ging ein starkes Interesse am Faktor Mensch in der Produktion, den Arbeitern. In einem werksinternen Vortrag zur „Rationalisierung in der Motorenindustrie“ im Jahr 1927 benannte Schultz-Balluff das Ziel einer „geistigen Rationalisierung“. Er sah in den Arbeitern „noch unerschlossene Möglichkeiten zur Leistungssteigerung“: „Gelingt es uns, das Interesse und die Interessen der Arbeiter für die Wirtschaft nutzbar zu machen, so werden wir noch größere und mehr Staunen erweckende Erfolge erleben, als sie die Rationalisierung der letzten Jahre gebracht hat.“46 Diese Erweiterung der Rationalisierung um die menschliche Komponente schloss neue Aufgaben des Managements ein. Die Unternehmensleitung müsse stärker auf eine Veränderung der industriellen Beziehungen hinarbeiten: „Unsere Aufgabe als Führer ist es, aufklärend und erzieherisch zu wirken und die Arbeiter davon zu überzeugen, dass Technik und Industrie keine Ausbeuter, sondern Mittel zu materiellem Glück und kulturellem Wohlstand gerade der ärmeren Volksteile sind. Diese geistige Rationalisierung harrt noch ihrer Bearbeitung.“47 Schultz-Balluff stand mit diesen Überlegungen bei Deutz nicht allein. Auch der Direktor der Gießerei Küster beschäftigte sich intensiv mit Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsbeziehungen und der selektiven Aneignung amerikanischer Methoden. In einem für werksinterne Zwecke verfassten unveröffentlichten Aufsatz mit dem Titel „Warum produzieren die Amerikaner so billig?“ forderte Küster ebenfalls 1927 zum einen eine rationale räumliche Anordnung in den Fabriken und eine damit einhergehende effiziente Gestaltung des Produktionsablaufs: Die in Deutschland traditionell vorherrschende Aneinanderreihung einzelner Maschinengattungen müsse dringend einer Maschinenaufstellung weichen, die unnötige Transportwege vermeide.48 Zum anderen seien aber vor allem die Arbeitsbeziehungen in den USA nachahmenswert: „Durch ein gutes Verhältnis der Leiter zu ihren Angestellten und Arbeitern und der persönlichen Anteilnahme an dem Geschick des einzelnen empfindet man eine gewisse Arbeitsgemeinschaft und ein Interesse an gutem Fortgang und Wohlergehen des Werkes.“49 In seiner Schlussfolgerung for-

45 Ebd., Bl. 71. 46 Franz Schultz: Rationalisierung in der Motorenindustrie. Interner Vortrag, 15.3.1927. RWWA, Sign. 107-VII/3-XV, Bl. 87. 47 Ebd.; Herv. i. O. 48 Gießerei-Direktor Küster, Warum fabrizieren die Amerikaner so billig?, unveröffentl. Manuskript, 10.12.1925. RWWA, Sign. 107-VII/3-XI, Bl. 63. 49 Ebd., Bl. 62.



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derte Küster geradezu eine Hybridisierung der deutschen kulturellen Tradition und der amerikanischen Produktionsmethode: „Der deutsche Ingenieur wie Arbeiter ist in den Staaten geachtet; man weiß seine Kenntnisse, Zuverlässigkeit und Werkarbeit zu schätzen. Wenn wir mit diesen Eigenschaften mehr denn je dahin streben uns zu typesieren [sic] und Massenfabrikation zu erreichen suchen, so wird sich Deutschland durch seine Fabrikate, weil es anerkannt Qualitätsarbeit ist, auch wieder hochbringen.“50

Auch Küster ging es also um eine Verbindung von Qualität und Effizienz. Während die Effizienzbemühungen sich vor allem in Bezug auf technologische Veränderungen, räumliche und prozessuale Optimierungen zeigten, wurde die Qualität am menschlichen Faktor festgemacht: zum einen an seiner vermeintlich tradierten Spezifität – ‚der deutsche Qualitätsarbeiter‘ –, zum anderen am richtigen Umgang mit ihm („unsere Aufgabe als Führer“).

D IE A MERIKANISIERUNGSDEBATTE DER W EIMARER R EPUBLIK Schultz-Balluff und Küster waren nur zwei Stimmen unter vielen; im vorangegangen Kapitel wurde darauf eingegangen, welche zentrale Rolle die Forderung nach einer „menschlichen Rationalisierung“ in der Debatte unter Arbeitswissenschaftlern und Ingenieuren in der Weimarer Republik spielte. Vor allem die Publikationen des 1925 gegründeten und fortan von dem Ingenieur Robert Karl Arnhold geleiteten Deutschen Instituts für technische Arbeitsschulung (DINTA) setzten sich für diese Richtung ein. Die Wege Arnholds und Schultz-Balluffs kreuzten sich mindestens einmal: Beiden wurde am 20. Juni 1931 die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Dresden verliehen. In der Begründung wurde bei beiden unter anderem auf ihre arbeitspädagogischen Bemühungen abgehoben. Schultz-Balluff wurde für die „Förderung des deutschen Motorenbaues und der Fürsorge für die IngenieurErziehung sowie der erfolgreichen Vertretung deutscher Technik gegenüber dem Auslande“ geehrt, Arnhold „für seine Verdienste um die Ausbildung und Erziehung des Arbeiternachwuchses für unsere Industrie und um den Ausbau des Fabrikschulungswesens“.51

50 Ebd., Bl. 66. 51 Zentralblatt der Bauverwaltung vereinigt mit Zeitschrift für Bauwesen, Jg. 51, 1931, Nr. 31, S. 463.

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Wie Nolan festgehalten hat, kennzeichnete die Anhänger einer „menschlichen Rationalisierung“ aus dem Umfeld des DINTA ein grundsätzlich positiver Bezug auf Taylor und Ford, wobei sie allerdings gleichzeitig die Notwendigkeit einer Modifikation dieser Ansätze hervorhoben. Ihnen ging es um eine Rationalisierung, die nicht zu einer Dequalifizierung der Facharbeiter führen, sondern die vermeintliche Besonderheit der „deutschen Qualitätsarbeit“ erhalten sollte.52 In der vom Historiker Peter Hinrichs zu Recht zu der „zentralen“ DINTA-Schrift erklärten Veröffentlichung des DINTA-Geschäftsführers Paul Osthold Der Kampf um die Seele unseres Arbeiters (1926)53 findet sich allerdings auch ein Verweis auf amerikanische Gegebenheiten der industriellen Beziehungen, die als nachahmenswert charakterisiert wurden. So müsse es das Ziel sein, den deutschen Arbeiter „so weit zu bringen, dass er in der gegenwärtigen Wirtschaftsform sich heimisch zu fühlen lernt, wie es sein amerikanischer Kollege tut“.54 Der „neue deutsche Arbeitertyp“ sollte ehrgeizig um den eigenen Aufstieg bemüht sein und zu einem „verantwortungsbewussten Mitarbeiter“ reifen.55 Diese Diskussion ging dabei weit über die engen Kreise der Ingenieure und Arbeitswissenschaftler hinaus: Osthold stellte seine Schrift als Fortsetzung der Überlegungen des Reichskanzlers Hans Luther zur „Einwirkung der modernen Großwirtschaft auf die Religion“ dar, die dieser im August 1925 auf der Stockholmer Weltkirchenkonferenz hatte vortragen lassen. Luther hatte recht allgemein eine doppelte „Vereinsamung“ des modernen Industriearbeiters beklagt: Zum einen sei der komplizierte Arbeitsprozess für den einzelnen Arbeiter kaum noch zu überblicken, was „die Grundlage seelischer Liebe zur Arbeit erschüttere“, zum anderen fehle aufgrund der zunehmenden „Entpersönlichung der Beziehungen“ die „innere Beziehung zum Arbeitgeber“.56 Osthold ging es dann, wie der Untertitel seiner Abhandlung klar machte, nicht nur um eine Fortführung dieser Gedanken, sondern vor allem um „Wege ihrer praktischen Durchführung“. Die virulente Debatte um die Amerikanisierung der Industrie in der Weimarer Republik war von klaren Fronten geprägt: Glühende Anhänger standen ebenso überzeugten Gegnern des „Amerikanismus“ gegenüber. Der Historiker HansLiudger Dienel hat jedoch betont, dass die Kontrahenten eine grundlegende Überzeugung teilten. Eine vollständige Übernahme amerikanischer Produktionsmetho-

52 Vgl. Nolan: Institut, 1993, S. 191. 53 Vgl. Hinrichs: Seele, 1981, S. 283. 54 Vgl. Osthold, Kampf, 1926, S. 7. 55 Vgl. ebd., S. 16, 23. 56 Deißmann: Weltkirchenkonferenz, 1926, S. 434.



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den wurde auch von den Befürwortern einer Amerikanisierung nicht angestrebt.57 Ihnen ging es vielmehr um eine selektive Aneignung. Dienels Fazit, die deutschen Ingenieure hätten die Synthese einer rationalisierten und gleichzeitig psychisch befriedigenden Produktion angestrebt, kann durchaus beigepflichtet werden. 58 Als Ideal fungierte also die Aneignung amerikanischer rationalisierter Fertigungsmethoden unter Berücksichtigung spezifisch deutscher Voraussetzungen, zu denen vor allem die Qualität und die Menschlichkeit der Arbeit gezählt wurden.59 In diesem Sinne führte die Amerikanisierungsdebatte zu dem Ziel einer Hybridisierung von Rationalisierung und Humanisierung. Überhaupt erscheint es mir sinnvoll, die Amerikanisierungsdebatte nicht zu stark auf die vordergründige Auseinandersetzung zwischen Anhängern wie Gegnern des amerikanischen Einflusses zu konzentrieren; die Debatte lässt sich vielmehr mit Gewinn als Selbstbespiegelung eines vermeintlich spezifisch deutschen Weges in der industriellen Moderne verstehen. Innerhalb einer kontroversen Diskussion über die Amerikanisierung der industriellen Produktion waren sich sowohl Befürworter als auch Gegner der Impulse von jenseits des Atlantiks implizit darüber einig, dass eine Humanisierung der Arbeit in den Fabriken für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zwingend geboten sei. Auf den Punkt brachte diese Haltung beispielsweise Fritz Söllheim in einer Publikation von 1922: „Nachdem Taylor uns gelehrt hat, wirtschaftlich zu denken, müssen wir nun lernen, menschlich zu wirtschaften.“60 Söllheim war ein Vertreter der Position, die den reinen Taylorismus für unvereinbar mit der deutschen „Kultureinstellung“ erklärte; das Taylorsystem müsse sich „den deutschen Verhältnissen anpassen“.61 Er plädierte also für eine selektive Aneignung, eine „vorsichtige, zielbewusste Anwendung Taylorscher Prinzipien“. 62 Söllheim betrachtete die Arbeiter/-innen als Humankapital avant la lettre:63 Er warnte vor einem kurzfristigen Effizienzdenken, das zu einem „Raubbau“ an den Menschen und einer „Menschenauspowerung“ führe, und richtete den Blick stattdessen auf die „Gesamtlebensleistung des Arbeiters und Volksge57 Vgl. Dienel: Vorbehalte, 1993, S. 19. Auch überzeugte Anhänger Fords und Taylors forderten eine Anpassung der amerikanischen Methoden an die deutschen Verhältnisse, vgl. Hård: German Regulation, 1998, S. 35. 58 Vgl. Dienel: Vorbehalte, 1993, S. 26. 59 Dieser Rückgriff auf die vermeintlich überlegende deutsche Kultur der Arbeit lässt sich mit Hård als Strategie zur Zähmung der technischen Moderne verstehen, vgl. Hård: German Regulation, 1998, S. 66. 60 Söllheim: Taylor-System, 1922, S. 229. 61 Ebd., S. 230. 62 Ebd., 1922, S. 232. 63 Zur Geschichte der Theorie des Humankapitals im Kalten Krieg, vgl. Bernet/Gugerli: Resonanzen, 2011.

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nossens“. 64 Söllheim forderte schließlich eine neue „Wirtschaftsgesinnung“, die „auch in der ärmsten Fabrikarbeiterin und im heruntergekommenen Arbeiter einen Menschen sieht“, der auch das Anrecht auf „Arbeitsfreude und Menschentum“ habe.65 Söllheim verkannte, dass sich in den USA der Zwischenkriegszeit sehr wohl ähnliche Gedanken und Praktiken durchsetzten. Wie der Management-Historiker Bruce Kaufman gezeigt hat, entstand um diese Zeit eine neue Schule des Personalmanagements, die die Arbeiter/-innen als human resources betrachtete.66 Einige deutsche Zeitgenossen Söllheims griffen diese Entwicklungen hingegen zumindest implizit auf. Es darf also nicht vorausgesetzt werden, dass nur technische Aspekte aus Amerika übernommen wurden. Einige Befürworter wie Gegner der „Amerikanisierung“ sahen gerade in Bezug auf die industriellen Beziehungen Nachahmenswertes in amerikanischen Fabriken. Diese Stimmen gehen häufig in der historischen Forschung ein wenig unter, während beispielsweise die 1924 publizierte Warnung der Arbeitswissenschaftlerin Irene Witte vor der „Entseelung“ der Arbeit oft zu einer allgemeinen Position erhoben wird. Wittes Dichotomie zwischen dem vermeintlich amerikanischen „Materialismus“ und der vermeintlich für Deutschland typischen „tiefere[n] Lebensauffassung“ wurde aber nicht von allen Teilnehmer/-innen der Rationalisierungs- und Amerikanisierungsdebatte geteilt.67 Selbst der vermutlich prominenteste Gegner der Amerikanisierung, der ehemalige US-Korrespondent des Hamburger Fremdenblattes Adolf Halfeld,68 räumte in seinem Buch Amerika und der Amerikanismus: Kritische Betrachtungen eines Deutschen und Europäers (1927), der „Bibel“ eines großen Teils der kulturellen Elite,69 gewisse Vorzüge des Arbeitslebens in den USA ein. Zwar vermisste Halfeld im amerikanischen „Moloch Betrieb“ den Gedanken der „Würde des Menschen“, doch gleichzeitig räumte er ein, dass in den Betrieben bessere Beziehungen zwischen Beschäftigten und Unternehmensführung herrschten als in Europa. In der Regel sei eine „Atmosphäre der Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens“ anzutreffen, die vielleicht häufig ein wenig oberflächlich, aber immer noch groß genug sei, „um europäische Bureautypen zu beschämen“.70 Auch Halfeld sprach wie Söllheim von einer „neuen Wirtschaftsgesinnung“, fand sie aber im Gegensatz zu Söllheim in den USA, wo keine „eigentliche Feindseligkeit“ zwischen Kapital und Arbeit bestehe.71 Letztlich beschrieb Halfeld diese „neue Wirtschaftsgesinnung“ in etwa so wie Sozi64 Söllheim: Taylor-System, 1922, S. 230, 238. 65 Ebd., 1922, S. 242. 66 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008. 67 Vgl. Witte: Taylor – Gilbreth – Ford, 1924, S. 10, 74. 68 Vgl. Schwabe: Deutscher Anti-Amerikanismus, 2003, S. 114. 69 Trommler: Aufstieg und Fall, 1986, S. 279 70 Halfeld: Amerika, 1927, S. 155, 148. 71 Ebd., S. 152f.



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alwissenschaftler der Gegenwart die vermeintlich originär postfordistische Erscheinung des Arbeitskraftunternehmers: „Jeder Amerikaner trägt ein Stück Unternehmer in seinem Herzen“.72 Ähnlich positiv bewertete der ehemalige Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände Fritz Tänzler die industriellen Beziehungen in den USA in seinen Betrachtungen Aus dem Arbeitsleben Amerikas von 1927. Im Unterschied zu Halfeld war Tänzlers Gesamtperspektive proamerikanisch. Auch Tänzler bewunderte die guten Beziehungen zwischen Arbeiterschaft und Unternehmern, denen der „vergiftende Ton des Klassenkampfes“ fehle. Dies sei vor allem den Bemühungen der amerikanischen Arbeitgeber zu verdanken, die den „gegenseitigen menschlichen Beziehungen im Betriebe die größte Bedeutung“ beimäßen. Die „positive Grundeinstellung“ der Arbeiter zum Unternehmer sei folglich wiederum „Ergebnis einer sorgfältigen Erziehungsarbeit“: „Der amerikanische Arbeiter wird zu wirtschaftlichem und wirtschaftsförderndem Denken erzogen“. 73 Tänzler räumte explizit ein, dass „es im Grunde ökonomische Erwägungen sind, die den Arbeitgeber zur besonderen Pflege dieser ‚human relations‘ veranlassen“, und forderte dazu auf, diese Ideen in Deutschland aufzugreifen.74 Insbesondere empfahl Tänzler den amerikanischen Individualismus als mögliches Antidot gegen die Gefahr des Kollektivismus, sprich des Sozialismus. Ein gut dosierter Individualismus würde der „Persönlichkeitsentwicklung“ dienen und es ermöglichen – dieser Gedanke sollte, wie noch zu zeigen ist, zur etwa gleichen Zeit bei Deutz eine große Rolle spielen –, die verloren gegangene „Selbstverantwortung“ der Arbeiter wieder zu aktivieren.75 Die gleiche Kopplung der Forderung nach besseren human relations und mehr Selbstverantwortung der Arbeiter findet sich in Wilhelm Müllers Abhandlung über Soziale und technische Wirtschaftsführung in Amerika, die 1926 erschien. So empfahl Müller von der „Behandlung des Menschen“ in amerikanischen Betrieben zu lernen und gleichzeitig die Arbeiter „zur Verantwortung“ zu erziehen. Es sei auf die „Mitarbeit“ der Beschäftigten zu setzen, von denen im Gegenzug dann „natürlich Verantwortungsfreudigkeit, Verständnis und Unterstützung zu verlangen“ sei. Der „Geist gegenseitigen Vertrauens“ biete dann wiederum „Schutz gegen eine zu weit getriebene und damit die Wirtschaft fesselnde Sozialpolitik und Arbeitsgesetzgebung“.76 Letztlich sollte also recht unverblümt das Mittel, in den Arbeitern „das Gefühl und die Überzeugung [zu] erwecken, dass sie gleichberechtigt mit allen ande-

72 Ebd.: Amerika, 1927, S. 157. Zum soziologischen Begriff des Arbeitskraftunternehmers vgl. wird noch einzugehen sein, vgl. Voß/Pongratz: Arbeitskraftunternehmer, 1998. 73 Tänzler: Arbeitsleben, 1927, S. 165f. 74 Ebd., S. 167. 75 Ebd., S. 168. 76 Müller: Wirtschaftsführung, 1926, S. 185.

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ren Menschen sind“ (oder kurz: „Schaffung einer Volksgemeinschaft“), dem Zwecke einer Stärkung der Unternehmerposition dienen.77 Auch ein sehr zurückhaltender Blick auf Das wirtschaftliche Amerika, der die Entwicklungen nicht für wiederhol- oder übertragbar hielt, konnte letztlich zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen. So machte der stellvertretende Vorsitzende des Reichskuratoriums für Wirtschaftlichkeit, der Siemens-Manager Carl Köttgen, in seinem Beitrag zur Amerikanisierungsdebatte 1925 klar, dass man bei aller Skepsis gegenüber den Neuerungen in der Arbeitsorganisation nicht allein nach einem Zurück zur „alten Disziplin“ rufen könne: „Vor dem Kriege hat stramme Disziplin unser Volk erzogen, und wir haben wirtschaftlich Großes geleistet. Wir wollen nicht wieder nach der alten Disziplin rufen, aber Disziplin ist notwendig. Disziplin setzt eine Autorität voraus, die gebietet. Geben wir uns selbst das Gebot und damit eine Selbstdisziplin: das Gebot der Arbeitsamkeit.“78 In dieser allgemeinen Form gibt Köttgen keine anwendbare Antwort auf das Problem. Sehr wohl wird aber deutlich, dass die entstandene Lücke ausgefüllt werden müsse: weniger durch externe Disziplin als vielmehr durch „Selbstdisziplin“. Konkrete Lösungsangebote blieben allerdings in dieser Phase hinter solchen Phrasen rar – der Diskurs um die Humanisierung des Scientific Management nahm aber zugleich klarere Konturen an. Die bis hierhin skizzierten Diskussionen bildeten den Kontext, in dem die eingangs erwähnten Einrichtungen der Selbstkontrolle und Selbstkalkulation bei Deutz analytisch zu betrachten sind. Sie lassen sich als eine Lösung des Problems ansehen, wie es möglich sein konnte, die Ideen des Scientific Management aufzugreifen und zugleich den Faktor Mensch in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Auch Direktor Helmut Stein, der diese neuen Methoden einführte, setzte sich intensiv mit den Entwicklungen in den USA auseinander.

S ELBSTMANAGEMENT ALS R ATIONALISIERUNGSMASSNAHME ? Helmut Stein, dessen Vater Carl ein Vorgänger Schultz-Balluffs als technischer Direktor bei Deutz gewesen war, nahm nach einem Ingenieurstudium an der TH Char-

77 Ebd., S. 184. 78 Köttgen: Amerika, 1925, S. 71. Köttgen forderte in erster Linie, „die Arbeitsintensität und die Arbeitsdauer in Deutschland zu steigern“, ebd., S. 46. Diese Gleichsetzung von Arbeitsintensität mit dem Faktor Arbeit, während Technik und Kapital vernachlässigt wurden, war bezeichnend für die in Deutschland geführte Debatte, vgl. Knortz: Entwicklung, 2010, S. 34.



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lottenburg 1925 eine Tätigkeit bei der nun zur Deutz AG gehörenden Motorenfabrik Oberursel auf, wo er bereits zwei Jahre später zum Betriebsdirektor befördert wurde.79 Auch Helmut Stein wurde von der Unternehmensleitung in die USA geschickt, um dort neue Entwicklungen in der Produktion kennenzulernen und „Brauchbares für unsere deutschen Verhältnisse zu erkunden und entsprechend zu verwerten“.80 Ende März 1929 unternahm Stein eine zweimonatige Reise, während der er die „etwa 20 ersten Betriebe des Landes“ besichtigte. Bei der Ankunft in New York wurde er von seinem Konzernkollegen Schultz-Balluff empfangen.81 Es ist davon auszugehen, dass die beiden Direktoren sich im direkten Gespräch über die Möglichkeiten der Aneignung amerikanischer Produktionsmethoden intensiv austauschten. Wie zu zeigen sein wird, ging es Stein später zentral darum, die von Schultz-Balluff nicht weiter ausgeführte Forderung, die Arbeiter müssten zu „Mitarbeitern“ werden, konzeptuell weiterzudenken und in die Praxis umzusetzen. In seinem für firmeninterne Zwecke erstellten Reisebericht ging Stein die Liste der besuchten Motorenhersteller durch, unter ihnen die üblichen Verdächtigen wie Fords River Rouge, verweilte aber länger bei einem Werk, das ihn besonders beeindruckt hatte: Die Fabrik der zum General Motors Konzern gehörenden Frigidaire Corporation in Dayton, Ohio. Es sei „der ordentlichste und sauberste Betrieb“, den er je gesehen habe. Beeindruckt zeigte sich Stein zunächst von der „wundervolle[n], übersichtliche[n] Fließfertigung“.82 Ausführlich schilderte er aber in seinem Reisebericht vor allem einige ihm bis dahin unbekannte Methoden der Personalführung. Diese Formen der „Menschenführung“ versprachen „große Erfolge“, wie Stein rückblickend festhielt.83 Was hatte Stein dermaßen beeindruckt? Am Schluss seiner Reise sah er nun nach eigener Einschätzung „das Werk der seltensten Unfälle, mit den bestaussehenden, bestgeschulten und fröhlichsten Arbeitern und Beamten“. Statt großen Kapitalaufwandes seien dafür die „eindruckvollsten Ideen“ des Leiters der Personal-, Wohlfahrts- und Sicherheitsabteilung Dr. Myers verantwortlich, vor allem sein Konzept der „6 Grundsätze“.84 Steins Bemerkung, Myers dringe „mit seiner begeisterten Zähigkeit“ bei General Motors durch, 79 Vgl. Rüther: Sozialpolitik, 1988, S. 87f. 80 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 14, 35. RWWA, Sign. 107-VII16c. 81 Vgl. Bericht des Herrn Direktor Stein über seine Amerika-Reise vom 23. März bis 22. Mai 1929, erstellt am 13.06.1929. RWWA, Sign. 107-III/6a, Bl. 1, 8. 82 Ebd., Bl. 6. 83 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 41. RWWA, Sign. 107-VII-16c. 84 Bericht des Herrn Direktor Stein über seine Amerika-Reise vom 23. März bis 22. Mai 1929, erstellt am 13.06.1929. RWWA, Sign. 107-III/6a, Bl. 8.

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lässt vermuten, dass die Methoden der Personalführung auch in dem amerikanischen Konzern nicht sofort auf Gegenliebe gestoßen waren. Die sechs Grundsätze fanden sich in der Broschüre You and Your Work, die jeder Neuling bei Frigidaire erhielt. Stein schloss sich Myers Position an, dass „die erste Stunde, die ein neuer Angestellter oder Arbeiter im Werk ist, die wichtigste sei zur Eroberung des guten Willens“. 85 Hier bot sich also eine Lösung des Problems an, das den DeutzVorstand bereits 1910 umgetrieben hatte: Wie war es möglich, „dass wir von dem guten Willen der Arbeiter mehr als jetzt unabhängig werden“?86 Zwei Jahrzehnte der intensiven Beschäftigung mit dem Faktor Mensch hatten dazu geführt, dass die Fragestellung, bei Beibehaltung des dahinterliegenden Zieles, verschoben worden war: Nun ging es darum, den guten Willen der Arbeiter zu erobern. Unabhängigkeit von etwaigen Schwankungen der Arbeitermotivation sollte dadurch erreicht werden, dass aktiv Maßnahmen zur Erzeugung permanenter (Selbst-)Motivation ergriffen wurden. Diese Verschiebung der Problemstellung lässt sich als ein entscheidender diskursiver Bruch verstehen. Bereits in diesen Praktiken der Zwischenkriegszeit deutete sich die „fundamentale Umwertung der Subjektivität der Arbeitenden“ an, die beispielsweise der Soziologe Ulrich Bröckling überzeugend für die Gegenwart beschreibt. Bröckling stellt fest, dass in aktuellen Arbeitsprozessen gezielt die Subjektivität der Arbeitenden aktiviert und für die Prozesse nutzbar gemacht wird. Die vormals widerständige Forderung nach „Arbeiterautonomie“ sei inzwischen unter anderen Vorzeichen zum „Rationalisierungsinstrument mutiert“.87 Es ist jedoch in Frage zu stellen, ob, wie Bröckling meint, die Arbeitersubjektivität tatsächlich unter tayloristischen Produktionsbedingungen allgemein als Störfaktor betrachtet wurde.88 Die Art der Personalführung bei Frigidaire und die noch darzustellenden Aneignungen dieser Methoden bei KlöcknerHumboldt-Deutz (KHD) weisen darauf hin, dass die Arbeitersubjektivität nicht nur – wie dargelegt – in der arbeitswissenschaftlichen Theorie, sondern auch in der betrieblichen Praxis der Zwischenkriegszeit als „eine sozialtechnologisch zu erschließende Ressource“ wahrgenommen wurde.89 In diesem Sinne stimme ich Bröcklings Fazit zu, dass „Kontingenzmanagement“ an die „Stelle bloßer Kontingenzbewältigung“ getreten sei,90 plädiere aber dafür, diese Entwicklungen nicht vorschnell der postfordistischen Epoche zuzusprechen, sondern vielmehr genau zu betrachten, 85 Ebd., Bl. 6. 86 Mitteilung der Direktion zu Punkt 7 der Tagesordnung für die Sitzung des Aufsichtsrats am 8. Juli 1910, betr. Verstärkung der Betriebsanlagen und -Einrichtungen in Deutz, 1. Juli 1910 (vertraulich). RWWA, Sign. 107-VII/3-III, Bl. 22. 87 Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. 224f. 88 Ebd. 89 Ebd., S. 224. 90 Ebd., S. 240.



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welche Praktiken und Diskurse bereits für die fordistische und tayloristische Epoche bezeichnend waren. Frigidaires Bemühungen um die neu in das Werk eintretenden Arbeiter lassen sich dieser neuen Form der Problematisierung zuschreiben. Allein der Akt der Überreichung der Broschüre und das freundliche Gespräch bei der Einstellung, begleitet von der Aufforderung, nach zwei Tagen von den ersten Eindrücken von der Arbeit zu berichten, hätten dazu beigetragen, „ohne Aufwand“ in den Arbeitern „die Freude an der Zusammenarbeit und das Interesse für ihre Arbeit und ihr Werk“ zu wecken.91 Inwieweit die Arbeiter tatsächlich von diesen Maßnahmen in der gewünschten Weise beeinflusst wurden, ist kaum zu klären. Es lässt sich jedoch festhalten, dass das Management diesem Ziel mit Nachdruck nachging. Die Arbeitersubjektivität stellte also nun eine wichtige Ressource dar und nicht mehr allein einen potentiell resistenten Willen, den es zu disziplinieren gelte. Die Grundsätze selbst enthielten nach Einschätzung Steins lediglich „Binsenwahrheiten“. Allerdings wurden sie „so geschickt und beharrlich wiederholt […], dass jeder danach handelt“. Den Arbeitern wurde vermittelt, dass die Einhaltung dieser Grundsätze für die Qualität und den Absatz des Produktes von entscheidender Bedeutung sei und somit letztlich auch die Grundlage ihrer Entlohnung darstelle.92 Die sechs Grundsätze lauteten (in Steins Übersetzung): „1.) Das Wichtigste ist: Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit! 2.) Folgt willig durchdachten Anweisungen! 3.) Habt Acht auf eigenes und Werkseigentum und spart Material und Werkzeuge! 4.) Haltet ehrlich die Werkzeit ein! 5.) Arbeitet jeden Tag und sagt eurem Meister, wenn ihr nicht arbeiten könnt! 6.) Arbeitet fröhlich Hand in Hand mit euren Mitarbeitern!“

Ebenso wie der Titel der Broschüre You and Your Work wurden auch fünf der sechs Grundsätze in den 1930er Jahren wörtlich von Humboldt-Deutz übernommen. Lediglich der fünfte Grundsatz wurde in der Broschüre Du und Dein Werk. Einige Grundsätze der erfolgreichen Gestaltung der Werksarbeit geändert, die an die Arbeiter verteilt wurde. Anstelle der Aufforderung zum regelmäßigen Erscheinen bei der Arbeit und zum Abmelden beim Meister in Fällen von Erkrankung stand bei Humboldt-Deutz als fünfter Grundsatz: „Gebt Eure Sorgen und Wünsche dem Werk bekannt!“ Erläuternd wurde dazu ausgeführt, „dass nur derjenige Arbeiter und Angestellte gute Arbeit leisten kann, der mit Herzen bei der Sache ist, der seine

91 Bericht des Herrn Direktor Stein über seine Amerika-Reise vom 23. März bis 22. Mai 1929, erstellt am 13.06.1929. RWWA, Sign. 107-III/6a, Bl. 7. 92 Ebd., Bl. 6.

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Persönlichkeit bei der Arbeit entfalten kann.“ Das Werk brauche „Deine Erfahrungen, Deine guten Ideen, Deine Vorschläge, Deine Mitarbeit“.93 Diese Änderung lässt sich als ein Hinweis darauf verstehen, dass es Stein darum ging, die in Frigidaire besichtigten neuen Methoden der Personalführung nicht nur zu übernehmen, sondern partiell sogar weiterzuentwickeln. Wichtiger als die Aufforderung zur Einhaltung der Arbeitsdisziplin (regelmäßiges Erscheinen, ordentliches Abmelden) war – zumindest in dieser Broschüre – die Beschäftigung mit der Arbeitersubjektivität, den „Sorgen und Wünschen“ der Arbeiter. Auf der bisher diskutierten Ebene handelt es sich allerdings zunächst um rhetorische oder propagandistische Maßnahmen, die – ohne weitere Belege – durchaus so interpretiert werden können, dass sie lediglich oberflächlich der Verbesserung der Betriebsatmosphäre dienen sollten, ohne mit neuen Praktiken der Machtausübung im Arbeitsprozess verknüpft zu sein. Auf die Frage, inwieweit tatsächlich die Betriebspraxis verändert wurde, wird weiter unten noch einzugehen sein. Zunächst muss aber klar gestellt werden, worauf Stein die Sorge um die Arbeiter bezog, die im fünften Grundsatz formuliert wurde: Sie war stets an Produktionsziele gebunden. Wie Stein selbst in der Zeitschrift für Organisation 1939 betonte, dürfe dieser fünfte Grundsatz nicht falsch verstanden werden: Es ginge nicht um die Anhörung „eigennütziger Begehren“: „Die Sorgen und Wünsche, die der Betriebsführer wissen will, und die er nach besten Kräften erfüllen möchte, das sind die Hemmungen, die der Arbeitsfreude und Leistungssteigerung im Wege stehen, Sorgen, die der einzelne aus eigener Kraft oft genug nicht abschütteln kann. Er bedarf dazu des starken Armes des Betriebsführers und dieser, wenn er seine Pflicht und Aufgabe als Menschenführer in rechter Weise auffasst, wird gern gewillt sein, ihm seine Hilfe zu leihen.“94

Allerdings wurde der fünfte Grundsatz während des Krieges offenbar geändert, wie ein Foto der Arbeiterannahme zeigt. Die Grundsätze waren direkt neben den Schalter an der Wand zu lesen. Der fünfte Grundsatz lautete nun: „Habt Vertrauen zu eurem Betriebsführer.“ Zum einen wurde weiterhin auf das Ziel, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, gepocht, zum anderen lässt sich aber auch bereits an dieser Maßnahme eine stärkere Betonung der Autorität während des Krieges erkennen. Genauer wird diese Entwicklung weiter unten zu diskutieren sein.

93 Humboldt-Deutzmotoren A.G.: Du und Dein Werk. Einige Gedanken zur erfolgreichen Gestaltung der Werksarbeit, Köln o.J. [nach 1929; Anlage zur Denkschrift Stein 1937], S. 5, 15f. RWWA, Sign. 107-VII-9. 94 Stein: Leistungssteigerung, 1939, S. 167.



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Abbildung 30: Die Arbeiterannahme bei KHD. Wandtafel mit den „6 Grundsätzen“ des Unternehmens, ca. 1943.

Quelle: RWWA, Sign. 107-231.10, Foto 13290.

Die Amerikareise von 1929 führte also in der Folge zur hybridisierenden Aneignung gewisser Personalpraktiken. Stein stellte die Reise in seinem biographisch strukturierten unveröffentlichten Manuskript Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Maschinenfabrik, das er 1944/45 verfasst hat, in diesem Sinne dar: Angesichts „der ganz anderen Verhältnisse in Deutschland“ habe aus dem technischen Bereich kaum eine direkte Anleihe stattfinden können, da es zunächst darum gehen musste, in Oberursel die Grundlagen für die Serienfertigung aufzubauen. Allerdings konnte auf dem „Gebiet der Menschenführung“ einiges zwar nicht übernommen, wohl aber selektiv angeeignet und auf „deutsche Verhältnisse angewandt, der deutschen Wesensart angepasst“ werden. Die weitgehend wörtliche Übernahme der Frigidaire-Grundsätze legt nahe, diese Interpretation für eine ideologische zu nehmen. Tatsächlich lehnte sich Stein sehr stark an das amerikanische Vorbild an. Im Kontext seines Manuskriptes fehlte auch nicht an gleicher Stelle der Verweis darauf, dass seine zweite Amerikareise, die 1937 stattfand, weniger beeindruckend gewesen sei. Inzwischen sei „jedem deutschen Ingenieur die Studienreise durch sein eigenes Land zu empfehlen“. Das zumindest partiell vorbildliche Amerika wurde als ein inzwischen vergangenes Ideal repräsentiert, in den dreißiger Jahren seien die „Schattenseiten“, insbesondere der „Raffgeist“ und die

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„Kulturlosigkeit“ stärker hervorgetreten.95 Im Nationalsozialismus war diese ambivalente Haltung zum „Amerikanismus“ vorherrschend.96 Stein stellte folglich bereits seine erste Amerikareise im Jahr 1929 rückblickend als einen gegenseitigen Austausch dar. Er habe Fotografien und Unterlagen seines Werkes bei sich geführt, und der Kollege Myers bei Frigidaire hätte interessiert seinen Berichten aus der deutschen Betriebspraxis gelauscht. Vor allem hätte Myers ein Foto, das ein Schild mit der Aufschrift „Wir prüfen selbst“ in der Oberurseler Werkstatt zeigte, „offensichtlich beeindruckt“.97 Für diese Darstellung gibt es außer Steins Erzählung keine Belege, wohl aber hat, wie bereits dargelegt, die Einrichtung der Selbstkontrolle bei Humboldt-Deutz im Jahr 1938 die amerikanische Fachzeitschrift Machinery beeindruckt. Was genau wurde nun unter Selbstkontrolle verstanden, wer waren diese Selbstkontrolleure, an deren Arbeitsplatz „Wir prüfen selbst“ stand? Stein fasste dies in einer internen Denkschrift über die „Entwicklung und den Ausbau der Humboldt-Deutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937“ in folgende Worte: „Selbstkontrolleure sind Facharbeiter, die sich durch Zuverlässigkeit und Fehlerfreiheit der von ihnen abgelieferten Arbeiten auszeichnen. Sie werden als Beweis des in sie gesetzten Vertrauens von der Kontrolle durch die Betriebsführung befreit. Sie kontrollieren sich selbst. An ihrem Arbeitsplatz erhalten sie ein Ehrenzeichen mit der Aufschrift ‚Selbstkontrolleur‘.“98

In der nationalsozialistischen Publizistik und Presse wurde diese Einrichtung bei Humboldt-Deutz als Ausdruck der eigenen Ideologie gefeiert. Das SS-Blatt Das schwarze Korps feierte an diesem Beispiel „verwirklichte[n] Nationalsozialismus“ und eine „Überwindung des materialistischen Denkens“: „Hier ist der Nationalsozialismus zur Tat geworden.“99 Letztlich sei die Existenz von Arbeitern, denen die Prüfung ihrer Arbeit selbst übertragen werden könne, der Beweis dafür, dass „der deutsche Sozialismus der Leistung keine Phrase ist, sondern lebt und siegt“.100 NS95

Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 41, 16. RWWA, Sign. 107-VII16c.

96

Gassert betont, dass sich die Nationalsozialisten nach und nach von den amerikanischen Vorbildern distanzierten und versuchten, Leitbilder wie die Rationalisierung zu ‚germanisieren‘, vgl. Gassert: Amerika, 1997, S. 27.

97

Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 26. RWWA, Sign. 107-VII-16c.

98

Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der Humboldt-Deutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937. RWWA, Sign. 107-VII/9, Bl. 25.

99

Anonym: Das ist Sozialismus!, in: Das schwarze Korps, 5.1.1939.

100 Anonym: Laßt Bilder sprechen!, in: Das schwarze Korps, 2.2.1939.



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Wirtschaftstheoretiker entwarfen generell ein Konzept der „Volksgemeinschaft“ als Leistungsgemeinschaft, das im Resultat soziale Unterschiede durch Ausleseprozesse bei der Arbeit forderte. Die Übertragung von Verantwortung an die Arbeiter war Teil dieser propagierten Idee.101 In der Regel wurde für die Einrichtung der Selbstkontrolle beim Kölner Unternehmen die Chronologie übernommen, die Franz Horsten, der Direktor des Kölner Instituts für Arbeitspolitik, in seiner Abhandlung über die „nationalsozialistische Leistungsauslese“ aufgestellt hatte. Horsten reklamierte die Selbstprüfer bei Humboldt-Deutz als treffendes Exempel dieser Politik und datierte die Einführung dieser personalpolitischen Maßnahme auf das Jahr 1935.102 Für die Kölner Werke ist diese Datierung durchaus plausibel. Allerdings gab es eine Vorgeschichte des Selbstkontrolle in Oberursel: Helmut Stein behauptete in dem erwähnten unveröffentlichten Manuskript, er habe bereits 1926 in Oberursel die ersten Arbeiter zu Selbstprüfern ernannt. Das Foto der entsprechend ausgezeichneten Abteilung mit dem Schild „Wir prüfen selbst“ habe er dann 1929 bei Frigidaire dem Kollegen Myers gezeigt.103 Zur Einschätzung des Kontextes und der Bedeutung der Selbstkontrolle bei KHD ist es von großer Bedeutung, die Chronologie zu rekonstruieren. In welchem Zusammenhang, flankiert von welchen weiteren Maßnahmen und wann wurden die ersten Selbstprüfer ernannt? Gewiss ist, dass bereits in den zwanziger Jahren die ersten Selbstprüfer in Oberursel ernannt worden sind. In der Werkszeitung betonte Franz Schultz-Balluff im Januar 1930 wie wichtig, über die notwendige „Pflichterfüllung“ hinausgehend, die „Zusammenarbeit aller“ sei. Dazu zählten Verbesserungsvorschläge, aber auch die Selbstkontrolle, auf die stolz ein Schild im Werk hinwies.104



101 Ausführlich dazu, vgl. Uhl: Volksgemeinschaft, 2013, S. 301ff. 102 Horsten: Leistungsauslese, 1939, S. 102. 103 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 54. RWWA, Sign. 107-VII16c. 104

Franz Schultz: Zusammenarbeit!, in: Deutz Humboldt Oberursel Nachrichten, Januar 1930, Nr. 11, S. 1. RWWA, Sign. 107-VIII/5.

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Abbildung 31: Motorenfabrik Oberursel AG. Bearbeitung der Zylinderköpfe in einer Abteilung der Selbstkontrolleure, ca. 1926.

Quelle: Hessisches Wirtschaftsarchiv, digitales Bild, Sign. 1226.

Die Datierung Steins erscheint also durchaus plausibel. Seine Darstellung konstruierte einen direkten Zusammenhang zwischen Maßnahmen der technischen Rationalisierung und Personalführungsreformen wie der Übertragung von Verantwortung an die Arbeiter. Der Erfolg des 1925 eingeführten Fließbandes habe „das Eis“ zwischen Stein und der Belegschaft „gebrochen“, das Verhältnis habe sich in der Folge merklich gebessert. Ein Verständnis von der „Notwendigkeit einer allseitigen Zusammenarbeit“ habe sich durchgesetzt. In dieser Situation habe schließlich einer „der tüchtigsten Vorarbeiter“ gefragt, „ob er nicht die Kontrolle über die Güte und Maßhaltigkeit der Teile selbst durchführen könnte“. Er und seine Gruppe baten um die Befreiung von der „Fremdkontrolle“. Dem Wunsch des geschätzten Arbeiters, der bereits viele Verbesserungsvorschläge unterbreitet hatte, entsprach Stein gerne. Postwendend ließ er über den Arbeitsplätzen der Gruppe das Schild „Wir prüfen



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selbst“ aufhängen. Stein wertete diesen Vorgang aus der Perspektive des Jahres 1944 rückblickend als Maßnahme wider den Zeitgeist des „Klassenkampfes“.105 Die gewiss zu Publikationszwecken verfasste, nach dem Ende des Nationalsozialismus aber nie veröffentlichte Schrift enthält gewiss erzählerische Glättungen. Eine gewisse Glaubwürdigkeit erhält die Darstellung allerdings dadurch, dass der Autor Stein gerade nicht als der Urheber dieser Idee der Selbstkontrolle erscheint, sondern dass die Initiative von einem Arbeiter ausgegangen sein soll. Stein selbst räumte hingegen ein, er habe zunächst den „wertvolle[n] Gedanke[n], der in diesem Vorgang steckte, nämlich die freiwillige Übernahme von Verantwortung für seine Arbeit durch den Arbeiter selbst,“ nicht „in vollem Umfange“ erkannt.106 Über die Ausgangsmotivation und die Zielsetzungen der neuen Personalpolitik ließ sich die bereits erwähnte Denkschrift zur Entwicklung des Unternehmens aus. Aus Steins Schilderungen spricht ein Bewusstsein für die Grenzen der Disziplin: Offensichtlich funktionierte das System einer scharfen Kontrolle über den Arbeitsprozess nicht wie gewünscht. Nach seiner Arbeitsaufnahme habe er in Oberursel einen Zustand vorgefunden, in dem „von einer wirksamen Kontrolle über die wirklich geleistete Arbeit durch die Meister keine Rede“ hätte sein können.107 Sein Wechsel nach Köln – 1929 übernahm Stein die Leitung des Humboldt-Werkes Kalk, 1932 zusätzlich die Leitung des Werkes in Deutz – konfrontierte ihn erneut mit ähnlichen Problemen. Als Grundproblem betrachtete Stein einen ausgeprägten Kollektivgeist unter den Arbeitern: Da sie „sich als Masse fühlten“, hätten sie „kein Selbstvertrauen“ besessen und „keine Selbstverantwortung“ zeigen können. Folglich sei der „damaligen Werksführung zur Durchführung ihrer Aufgaben nur der Weg des Befehls, der scharfen Kontrolle“ übrig geblieben.108 Der Wirksamkeit der Kontrolle wiederum waren enge Grenzen gesetzt. Stein habe es erlebt, dass Arbeiter, die bereits kurz vor Betriebsschluss sich zum Aufbruch vorbereitet hätten, bei seinem unerwarteten Erscheinen in der Werkstatt vortäuschten zu arbeiten. In den USA hingegen habe er sehen können, wie in Phasen, in denen es kurzzeitig nichts zu tun gab, die Arbeiter sich selbstverständlich entspannten, ohne den Vorgesetzten gegenüber „eine Scheinbeschäftigung vorzutäuschen“. Stein erklärte es zu seinem Ziel, seine Arbeiter „von den Fesseln des Misstrauens“ zu befreien, damit sie eine „selbstverantwortliche und selbstbewusste Per-

105 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 54f. RWWA, Sign. 107-VII16c. 106 Ebd., S. 56. 107 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 22. RWWA 107-VII/9. 108 Ebd., Bl. 23.

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sönlichkeit“ entwickelten.109 Wie konnte es nun gelingen, „die Arbeiterschaft aus einer passiven, mehr oder weniger gleichgültigen Haltung und Einstellung gegenüber dem Werk herauszureißen und zum aktiven Einsatz des eigenen Ichs zu gewinnen“?110 In Oberursel hatte sich Stein noch – inspiriert von seiner Besichtigung bei Frigidaire – ausschließlich für Maßnahmen entschieden, die dem Diskurs um den Lebensraum Fabrik zuzuordnen sind: Es war um eine „Verschönerung des Werkes und der Werksumgebung“ (Einrichtung eines Schwimmbades und einer Fließkantine) und um ein „persönlicheres Verhältnis“ zu den Arbeitern gegangen. Damit hatten „Arbeitsfreude und Leistung“ gehoben werden sollen, was nach Steins Aussage auch gelungen war.111 Der „gleiche Weg“ war Steins Darstellung zufolge von ihm in Deutz „beschritten und weiter ausgebaut worden“. Der Ausbau stellte sich als eine Kombination der beschriebenen gestaltenden Formen der Machtausübung mit Formen der repressiven Macht dar. Die Arbeiter sollten weiterhin die Fabrik als eine „zweite Heimat“ empfinden, der Lebensraum-Diskurs blieb also bedeutsam. Die Grundlage dafür musste aber durch repressive Maßnahmen überhaupt erst ermöglicht werden: Es „musste zunächst einmal die Masse der Arbeiterschaft aufgespalten werden“.112 Eine Möglichkeit war die Erhebung einzelner Arbeiter zu Selbstprüfern, eine andere bestand in grundlegenden räumlichen Veränderungen. So nahm Stein, nachdem ihm im August 1932 die Leitung des Werkes Deutz übertragen wurde, zunächst eine fast vollständige Neuaufteilung der Belegschaft vor. Die Arbeiter hatten zum Teil seit Jahrzehnten am gleichen Platz gearbeitet und seien „mit 109 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 184. RWWA, Sign. 107-VII16c. 110 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 23. RWWA 107-VII/9 111 Ebd., Bl. 5. Abbildungen von Fließkantine und Schwimmband finden sich bereits in einem 1930 erschienenen Beitrag Steins in der Fachzeitschrift Der Werksleiter, Stein: Hand, 1930, S. 188f. 112 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 23. RWWA 107-VII/9. Der Historiker Martin Rüther hat sich mit den Maßnahmen Steins bei KHD beschäftigt und sich stark auf den Aspekt der Entsolidarisierung konzentriert. In seinem Aufsatz gibt er den zitierten Satz verfremdet als Untertitel wieder; es fehlt das Wort „zunächst“, außerdem wird aus dem Satz im Präteritum ein Aufruf: „Die Masse der Arbeiterschaft muss aufgespalten werden“. Rüther beschreibt durchaus richtig die sozialdisziplinierenden Ansätze Steins, übersieht aber die Möglichkeit, dass die Einrichtung der Selbstkontrolle mehr als nur Propaganda, nämlich eine sozialtechnologische Maßnahme sein könnte, vgl. Rüther: Sozialpolitik, 1988.



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ihren Bänken und Arbeitplätzen verwurzelt“ gewesen, weshalb sie allen Änderungen gegenüber misstrauisch gewesen seien. Stein hielt es für notwendig, diese Menschen zu „entwurzel[n]“, damit sie „bei der Lösung der Aufgabe einer umfassenden Leistungssteigerung“ mitgingen.113 Offenbar begannen diese Maßnahmen noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, allerdings betonte Stein, dass seine Bemühungen um die Erzeugung eines „neuen Betriebsgeistes und einer neuen Pflichtauffassung“ vom „Umbruch des Jahres 1933“ wesentlich „unterstützt und gefördert“ wurden. Erleichtert wurde die Erreichung seiner Ziele vor allem durch die Zerschlagung der Gewerkschaften und Betriebsräte, also durch die Befreiung des „Betriebsführers“ von der Notwendigkeit zu etwaigen Kompromissen mit der organisierten Arbeiterschaft, in Steins Worten: „durch das auf Grund des Gesetzes der Ordnung der nationalen Arbeit neugeformte betriebliche Gemeinschaftsleben“.114 Mit diesen Umstellungen gingen bauliche Maßnahmen einher, die den zeitgenössischen Vorstellungen entsprechend Ordnung und Schönheit betonten: „Überflüssige Winkel und Pfeiler wurden beseitigt“, zusätzliche Fenster und Glasdächer eingebaut. Das Ziel war die Gestaltung von „geräumigen, übersichtlichen, luftigen und lichtdurchfluteten Hallen“. Zudem sollte eine neue Farbgebung „einen besonders freundlichen und lebhaften Eindruck“ erzeugen. Das „allbekannte öde Schmutziggrau“ wurde durch „ein zartes Hellgelb mit grellroter Betonung der Unterzüge“ ersetzt.115 Neben der physischen Atmosphäre legte Stein auch großen Wert auf die soziale Betriebsatmosphäre. Überkommene und ineffektive Überbleibsel der autoritären Betriebsordnung seien abgeschafft worden. Der Umgang der Vorgesetzten mit den Arbeitern habe nun „in eine anständige, kameradschaftliche Form“ gebracht werden müssen. Beschimpfungen durch Meister seien nicht mehr geduldet worden.116 Auch dies waren Ergebnisse des Besuchs bei Frigidaire. Dort erlebte Stein einen „freundlichen Ton“, eine „überaus gute Stimmung im Betrieb“ und einen großen „Arbeitseifer“. Nach seiner Rückkehr in Deutschland habe auch er sich den „Aufgaben der Menschenführung“ gestellt und das Ziel gehabt, die Arbeiter „zu

113 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 16. RWWA, Sign. 107VII/9. 114 Ebd., Bl. 24. Helmut Stein wurde am 1.4.1940 in die NSDAP aufgenommen. Bereits 1937 hatte er einen Aufnahmeantrag gestellt, der aber zunächst wegen seiner von 1919 bis 1933 währenden Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge abgelehnt worden war, vgl. BA Berlin, Sign. PK, Stein, Helmut, geb. 19.8.1891. 115 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 17. RWWA, Sign. 107VII/9. 116 Ebd., Bl. 23f.

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wirklichen Mitarbeitern“ zu erziehen. 117 Die verschiedenen personalpolitischen Maßnahmen waren also miteinander verzahnt: Verbesserungen der Arbeitsräume gingen mit der angeordneten Umgruppierung der Arbeitsplätze einher. Erst auf der Basis der vorangegangenen Repressionen wurde dann das Ziel verkündet, die Arbeiter zu „Mitarbeitern“ zu erheben, was seinen treffendsten Ausdruck in der Einrichtung der Selbstprüfung fand. Martin Rüther beschreibt die von Stein betriebene „Sozialpolitik“ bei KHD ausschließlich als Mittel der „sozialen Disziplinierung“ und interpretiert die Einrichtung der Selbstkontrolle als Versuch, die „Belegschaft zu entsolidarisieren“.118 Ich möchte über den engen Rahmen des Interpretationsrasters Sozialdisziplinierung hinausgehen: Rüthers Interpretation greift gewiss einen wesentlichen Kern der Betriebspolitik auf. Ich denke aber, dass er Steins Vorhaben, die Arbeitersubjektivität produktiv einzusetzen, vorschnell als reine Phrasendrescherei abtut. Es spricht einiges dafür, insbesondere die umfangreiche, jahrelang geführte innerbetriebliche Dokumentation dieser Maßnahmen, dass es sich um Versuche handelte, neue Formen der Machtausübung im Betrieb zu installieren. Keineswegs sollte auf Disziplin und Kontrolle verzichtet werden. Das alte Ziel der autoritären Unternehmer im 19. Jahrhundert, durch ein harsches – hin und wieder paternalistisch ergänztes – Regiment die Betriebsordnung durchzusetzen, schien jedoch nicht mehr ambitioniert genug zu sein. Im Vorstand von Humboldt-Deutz wurde hingegen intensiv darüber diskutiert, wie es zu bewirken sei, „dass der Arbeiter den wirtschaftlichen Zwang zur Leistung freiwillig auf sich nimmt“.119 Der gedankliche Rahmen war dabei letztlich immer noch derjenige der Rationalisierung: Es ging um eine Effizienzsteigerung, um die Erhöhung des Wirkungsgrades. In diesem Sinne lässt sich die Beschäftigung mit der Arbeitersubjektivität als elementarer Bestandteil der Rationalisierung betrachten. Stein machte sich für „Selbstkontrolle“ und „Selbstverantwortung“ der Arbeiter stark, weil das „weit wirksamer als äußerliche Kontrollen und vielseitige Methoden der Leistungsüberwachung“ die Arbeiter veranlasse, „das Rechte zu tun und das Unrechte zu meiden“.120 Selbstverständlich ging es dem Deutz-Management nicht darum, autonom handelnde Arbeiter im Werk zu haben. Vielmehr sollten individuelle Potentiale für Firmenzwecke nutzbar gemacht werden: Die Arbeiter sollten zu Subjekten werden, die innerhalb eines vorgegebenen Rahmens selbstverantwortlich arbeiteten. In einer auf der Einrichtung der Selbstkontrolle aufbauenden Maßnahme wurde unter dem Schlagwort „Selbstkalkulation“ die Verantwortung über die Festlegung 117 Ebd., Bl. 21. 118 Rüther: Sozialpolitik, 1988, S. 82, 105. 119 Denkschrift der Humboldt-Deutzmotoren A.G. über die Weiterentwicklung im Geschäftsjahr 1937/38, Bl. 2. RWWA 107-VII/10. 120 Helmut Stein: Menschenleere Fabriken, in: Völkischer Beobachter, 27.02.1944, S. 5.



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des Akkordes an einzelne Arbeiter übertragen. Stein beschrieb die Selbstkalkulation in der Denkschrift von 1937 wie folgt: „Selbstkalkulatoren werden besonders hervorragende, dabei geistig regsame Facharbeiter, die auf Grund persönlicher Ehrenhaftigkeit ein besonderes Vertrauen rechtfertigen. Sie erhalten das Recht, ihre Arbeitszeiten selbst festzusetzen und demgemäß ihre Verdienste selbst zu bestimmen. Demgemäß werden sie von der Zeitvorgabe und jeglicher Bevormundung seitens der Vorkalkulation befreit. […] Sie sind also gewissermaßen Assistenten der Vorkalkulation im Betrieb, bleiben aber durch ihre handwerkliche Leistung, ihre Sachkenntnis und ihre hilfsbereite Kameradschaft gute Freunde ihrer Mitarbeiter, deren volles Vertrauen sie genießen und bei Meinungsverschiedenheiten über die Richtigkeit eines Akkords des öfteren in die Waagschale werfen.“121

Aussagen über den Realitätsgehalt von Steins Ausführungen sind schwierig; zur Einstellung der Arbeiter zur Selbstkalkulation wie Selbstprüfung gibt es nur wenige Quellen, die weiter unten noch zu diskutieren sein werden. Es lässt sich jedoch festhalten, dass Stein hier implizit eine mögliche Lösung für das von seinem Vorgänger Wolfensberger aufgestellte arbeitspsychologische Problem – „Niemand lässt sich gern sein Arbeitstempo vorschreiben“ – angeboten und praktisch erprobt hat. Da die Akzeptanz von arbeitsorganisatorischen Maßnahmen wie der Vorkalkulation schwer zu erreichen war, wurden ausgewählte Arbeiter teilweise mit dieser Aufgabe betraut. Auf diese Weise sollte eine Identifikation durch Einbindung erreicht werden. In Steins Darstellung sei dies durchaus erfolgreich gewesen: Selbstkontrolleure und Selbstkalkulatoren, resümierte Stein, seien „zu einem Vortrupp im Werk geworden, der die Leistungen der Übrigen im besten Sinne beeinflusst.“122 Insgesamt hielt der Sozialbericht des Deutz-Werkes für das Geschäftsjahr 1938/39 die Zahl von 400 Selbstprüfern und 150 Selbstkalkulatoren fest.123 121 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 25f. RWWA, Sign. 107VII/9. 122 Ebd., Bl. 26. 123 Sozialbericht von Dr. rer. pol Hartmann (Betriebsverwaltung), 1938/39, Bl. 3. RWWA, Sign. 107-VII/11. Im ebenfalls zum KHD-Konzern gehörenden Magirus-Werk in Ulm wurde die Zahl der Selbstkontrolleure im Jahr 1941 mit 178 angegeben, zusätzlich sei in einigen Werkstätten vollständig die Selbstkontrolle eingeführt worden, vgl. Bericht der Betriebsgemeinschaft der Klöckner-Humboldt-Deutz AG Werk Ulm zum Leistungskampf der deutschen Betriebe 1940-41, Bl. 82. RWWA, Sign. 107-VII/13a. Für alle KHD-Betriebe zusammen gibt Horsten für Ende 1938 die Zahl von 570 Selbstkontrolleuren an, vg. Horsten: Leistungsauslese, 1939, S. 104, Anm. 4. Stein nennt in seinem nach seinem Abschied aus Köln 1944/45 verfassten Manuskript die letzte Zahl von

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Abbildung 32: „Wir prüfen und kalkulieren selbst!“. Eine Abteilung bei HumboldtDeutz, die zu Selbstkontrolleuren und Selbstkalkulatoren erklärt wurden, ca. 1938.

Quelle: RWWA, Sign. 107/19-1, Bild 3.

Der Ausweitung der Selbstverantwortung waren aber bereits konzeptionell Grenzen gesetzt; auch in diesem Sinne „musste zunächst einmal die Masse der Arbeiterschaft aufgespalten werden“:124 In einem Aufsatz für die Zeitschrift für Organisation von 1939 unterschied Stein zwischen wertvollen und verlässlichen Arbeitern, die stolz darauf seien, ihre Leistung selbst zu überwachen und denen, die nie frei von gründlicher externer Überwachung würden arbeiten können.125 Keineswegs sollte also auf disziplinarische Maßnahmen verzichtet werden. Auch wurde der Akkord, den die Selbstkalkulatoren für sich festlegten, regelmäßig überprüft.126 Überhaupt 660 Selbstkontrolleuren und 200 Selbstkalkulatoren, vgl. Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 186. RWWA, Sign. 107-VII-16c. 124 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 23. RWWA 107-VII/9. 125 Stein: Leistungssteigerung, 1939, S. 170f. 126 Vgl. Bericht der Betriebsgemeinschaft der Klöckner-Humboldt-Deutz AG Werk Ulm zum Leistungskampf der deutschen Betriebe 1940-41. RWWA, Sign. 107-VII/13A, Bl. 83.



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war das System das Ergebnis von Trial and Error: Das Unternehmen musste laut des Ökonomens Franz Horsten 1935 einen Versuch abbrechen, Stücklohn durch Zeitlohn zu ersetzen. Nachdem die ersten Selbstkontrolleure ernannt worden waren, versuchte Deutz, eine ganze Abteilung per Zeitlohn zu bezahlen. Obwohl diese Abteilung wegen ihrer hohen Leistung ausgewählt worden war, musste nach einigen Wochen zum Stücklohn zurückgekehrt werden, weil die Produktivität deutlich nachließ.127 Gerade dieser gescheiterte Versuch ließe sich als ein deutlicher Beleg dafür ansehen, dass die Unternehmensleitung durchaus ernsthaft davon überzeugt war, dass sich durch Verantwortungsübertragung an die Arbeiter Produktionssteigerungen erzielen ließen. Allerdings ist Skepsis gegenüber der Quelle angebracht. Für Franz Horsten war dieses Beispiel ein entscheidender Baustein seiner Theorie der „nationalsozialistischen Leistungsauswahl“, was Zweifel an der durch andere Quellen nicht belegten Darstellung zulässt. Im Zentrum dieses Prinzips stand für Horsten die Annahme, dass die Auswahl immer persönlich und nicht kollektiv sein müsse. Nur so sei es möglich, an die individuelle Verantwortlichkeit zu appellieren. In diesem Sinne benannte Horsten die Einrichtung der Selbstkalkulatoren zu einem perfekten Beispiel für die „nationalsozialistische Leistungsauswahl“. Horsten bemühte sich dann auch, die Selbstkalkulation (wie auch die Selbstkontrolle) zu einer originär nationalsozialistischen Einrichtung zu erklären, die 1935 eingeführt worden sei.128 Der Bestand des Firmenarchivs ermöglicht keine exakte Festlegung, grundsätzlich ist die Datierung plausibel. Konzeptionell lässt sich dem Ursprung der Selbstkalkulation jedoch nachgehen. Nach der Denkschrift von 1937 habe Stein bereits in Oberursel 1929 in Ansprachen an die Belegschaft appelliert, „offensichtlich zu hohe Akkorde“ zur Korrektur zu melden und gleichzeitig versprochen, „offensichtlich zu niedrige Akkorde zu erhöhen“.129 Das Problem der Akkord-Festsetzung sollte also angegangen werden. Zu diesem Zeitpunkt setzte Stein allein darauf, Vertrauen aufzubauen; weder eine Institutionalisierung der Selbstkalkulation noch eine Selektion unter den Arbeitern in geeignete und nichtgeeignete fand statt. In seinem unveröffentlichten Manuskript von 1944/45 gibt Stein eine Darstellung des Ursprungs der Selbstkalkulation, in der er sich in seiner Lieblingspose als Mann der Praxis geriert, der selten im Büro sitzt, sondern sich regelmäßig unter den Arbeitern aufhält:

127 Horsten: Leistungsauslese, 1938, S. 105f. 128 Ebd. 129 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 22. RWWA, Sign. 107VII/9.

198 | H UMANE R ATIONALISIERUNG ? „Anlaß zur Einführung dieser Einrichtung boten wieder die Beobachtungen in der Praxis. Ich war oft genug Zeuge der harten Diskussionen über die richtige Zeitbemessung gewesen. Bei einem derartigen Streitfall stellte ich eines Tages einem Dreher, um dessen Akkord es sich handelte, die Frage, ob er denn die Zeit, die er so heftig kritisiere, selbst kalkulieren könnte. Der Dreher bejahte dies ohne weiteres; er wies darauf hin, daß er einen Abendkursus über Vorkalkulation mitgemacht hätte und im übrigen ein altgedienter Fachmann wäre, der ein Arbeitsstück schon richtig beurteilen könnte. Ich meinte daraufhin, daß ich ihm das Kalkulieren wohl kaum überlassen könnte, da er selbstverständlich teuerer kalkulieren würde als der Vorkalkulator. Das stritt indessen mein Dreher entschieden ab und behauptete, er würde im Gegenteil, wenn es darauf ankäme, auf Grund seiner Fachkenntnisse, in denen er sich von niemand übertreffen ließe, manche Teile billiger kalkulieren. Daraufhin ernannte ich ihn zum Selbstkalkulator.“130

Wichtiger als der Realitätsgehalt erscheint mir die in dieser Textpassage hervortretende Aussage zu sein: Brach liegende Potentiale unterforderter Facharbeiter warteten nur darauf, abgerufen zu werden; gleichzeitig ginge durch die Ermächtigung der Arbeiter zur Selbstverantwortung deren Frust über vermeintlich ungerechte betriebliche Regelungen zurück. Grundsätzlich ähnlich schilderte die Zeitung Der RuhrArbeiter die Genese der Selbstkalkulation, allerdings in einer abweichenden Version. Es habe „mit einem Streit zwischen einem Vorkalkulator und einigen Arbeitern“ begonnen. Auf deren Behauptung, sie könnten „besser kontrollieren als der Kalkulator“ habe der Betriebsdirektor mit dem Versuch geantwortet, sie kalkulieren zu lassen. Aus dem erfolgreichen Versuch sei dann eine „betriebstechnische Methode“ geworden.131 Nach der Einführung der Selbstkalkulation wurde die genaue Umsetzung noch ein wenig modifiziert. Dabei fällt auf, dass ein autoritärer drohender Tonfall zurücktrat und die Betonung der Selbstverantwortung dadurch gestärkt wurde. Gleichwohl wurde faktisch das Misstrauen gegenüber den Selbstkalkulatoren nicht aufgehoben: Nachprüfungen fanden weiterhin statt. Franz Horsten scheint die Entwicklungen bei KHD nicht nur beschrieben, sondern durchaus auch in seiner Funktion als enger Mitarbeiter des Reichstreuhänders der Arbeit für das Rheinland, Wilhelm Börger, beeinflusst zu haben. In der zweiten Auflage seiner Abhandlung über Die nationalsozialistische Leistungsauslese betonte Horsten, dass der Wortlaut der Auszeichnung, die an Selbstkontrolleure verliehen wurde, „nicht unsere volle Zustimmung finden konnte“. Im Sommer 1938 war aufgrund Horstens Kritik die be-

130 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 143. RWWA, Sign. 107-VII16c. 131 Anonym: Der Tatsachenbericht, in: Ruhr-Arbeiter, 3.1.1939.



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anstandete Formulierung geändert worden.132 Die ursprüngliche Version hatte noch eine explizite Drohung enthalten, die dann entfiel: „Eine Vernachlässigung Ihrer Pflicht würde uns zu unserem größten Bedauern zwingen, Ihnen das überreichte Ehrenzeichen wieder zu entziehen.“133 Stattdessen wurde in der neuen Fassung, in der zudem der „Betriebsführer“ im Singular sprach, während zuvor die unpersönliche Aktiengesellschaft die Urkunde ausgestellt hatte, der Vorbildcharakter der übertragenen Selbstverantwortung betont: „Dieses Vertrauen soll sich, worauf ich besonderen Wert lege, durch Ihr Vorbild auf die Werkstatt und die Mitarbeiter ausdehnen.“134 Auch die Urkunde für Selbstkalkulatoren wurde in diesem Zeitraum entsprechend verändert; vor allem wurden Sätze in disziplinierendem Tonfall gestrichen oder abgeschwächt. So wurde eine Passage entfernt, die auf die anhaltende Überwachung der Selbstkalkulatoren hingewiesen hatte (die Praxis der Kontrolle blieb gleichwohl bestehen): „Wir sind in der Lage, durch unsere Nachkalkulation die von Ihnen in die Arbeitszettel eingetragenen Zeiten zu kontrollieren. Sollten wir feststellen müssen, dass Sie Ihre Ernennung zum ‚Selbstkalkulator‘ zur eigenen Bereicherung benützen, so wären wir zu unserem größten Bedauern gezwungen, Ihnen diesen Titel wieder abzusprechen.“ Gleichzeitig wurde ein Nebensatz gestrichen, der in der ersten Version noch das Ziel eines ausreichenden Lohns der Arbeiter betont hatte. Ursprünglich war gefordert worden, die Zeiten so festzusetzen, „dass für das Werk die billigste Herstellung erzielt wird und für Sie selbst ein ausreichender Verdienst bleibt.“135 In der Neufassung war stattdessen von einer Festsetzung der Zeiten die Rede, „wie Sie es als Facharbeiter verantworten können“. Deutlich zurückhaltender fiel zudem der Verweis auf einen etwaigen Vertrauensbruch aus: „Sie werden mit mir darin übereinstimmen, dass ein Selbstkalkulator, der die ihm übertragene Vollmacht in eigennütziger Weise missbrauchen sollte, sich eines Vertrauensbruchs gegenüber seinen Arbeitskameraden und seinem Betriebsführer schuldig machen würde.“136 An diesen Änderungen lässt sich zum einen zeigen, dass für die neuen Formen des Personalmanagements zunächst noch die passende Sprache gefunden werden musste. Die Einrichtungen der Selbstkontrolle und Selbstkalkulation waren kein Abgesang auf Disziplin und Kontrolle. Es ging um eine effektive Kombination von Formen der Selbstverantwortung mit weiterhin aufrechterhaltenen Überwachungsmöglichkeiten durch das Management. Der alte Ton der Kontrollandrohung erschien dann aber offensichtlich Horsten und Stein als nicht vereinbar mit dem Ziel, 132 Horsten: Leistungsauslese, 2. Aufl., 1939, S. 103, Anm. 2. 133 Horsten: Leistungsauslese, 1938, S. 103. 134 Horsten: Leistungsauslese, 2. Aufl., 1939, S. 103. 135 Horsten: Leistungsauslese, 1938, S. 107. 136 Horsten: Leistungsauslese, 2. Aufl., 1939, S. 107.

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die Arbeiter dazu zu motivieren, freiwillig und uneigennützig einen Teil der vormals externen Kontrolle selbst zu übernehmen. Zum anderen erschien der Werksleitung die Aufforderung an die Selbstkontrolleure, auch an einen ausreichenden eigenen Verdienst zu denken, offenbar zu gefährlich. Veröffentlicht wurde jedoch, dass es keinen Fall von Vertrauensmissbrauch gegeben habe: So betonte Stein 1937 in der Zeitschrift für Organisation, dass keinem Selbstkalkulator sein „Ehrentitel“ wegen eines etwaigen Fehlverhaltens hätte entzogen werden müssen. Auch Horsten behauptete, bei den ersten 150 Selbstkalkulatoren bis Ende 1938 habe es keine Enttäuschungen gegeben. Unter den 300 Selbstkontrolleuren konnte Horsten nur zwei „Versager“ ausmachen, „die eigene Fehler nicht rechtzeitig gemeldet hatten“.137 Glaubwürdiger erscheint diesbezüglich die Anmerkung Steins in dem unveröffentlichten Manuskript von 1944. Er räumt ein, dass sowohl unter den Selbstprüfern wie unter den Selbstkalkulatoren „einige Versager“ ausgemacht wurden. Allerdings habe es sich nur um wenige Fälle gehandelt und zudem spreche „die Art, wie sie ausgemerzt wurden“, für sich.138 Der lakonische Kommentar lässt auf ein ausgebautes Denunziantenwesen unter den Selbstkalkulatoren schließen. Genossen diese Selbstkalkulatoren tatsächlich das „volle Vertrauen“ der Arbeiter, wie Stein in der Denkschrift seinen Kollegen in der Betriebsleitung versicherte?139 Eine zunächst mangelnde Akzeptanz der Selbstprüfer und -kontrolleure unter den Arbeitern räumten sowohl Stein als auch Horsten ein. Allerdings seien „anfängliche Bedenken und Vorurteile“ durch das vorbildliche Verhalten der Selbstkontrolleure ausgeräumt worden.140 Stein sah das Grundproblem für die Skepsis und Ablehnung in den „altüberlieferten Anschauungen der ‚Solidarität‘“ begründet, letztlich hätte aber das Können der ausgewählten Selbstkontrolleure und -prüfer „mitreißend[]“ auch auf jene gewirkt, „die nicht zu den Besten zählten“.141 Auch die Selbstprüfer selbst, ebenfalls „im marxistischen Geist der Solidarität“ erzogen, waren nicht nur „Anfeindungen“ ausgesetzt, sondern „genierten sich“ anfangs häufig vor ihren Kollegen und trugen „das Ehrenzeichen in der Tasche“.142 „Selbst Stein 137 Vgl. Stein: Arbeiter. Teil 1, 1937, S. 16; Horsten: Leistungsauslese, 2. Aufl., 1939, S. 104, 108. 138 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 145. RWWA, Sign. 107-VII16c. 139 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 26. RWWA 107-VII/9. 140 Horsten: Leistungsauslese, 2. Aufl., 1939, S. 104. 141 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 186. RWWA, Sign. 107-VII16c. 142 Ebd., S. 138.



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und Horsten gaben in ihrer Schilderung einer Erfolgsgeschichte der Selbstverantwortung also gewisse Schwierigkeiten bei der Einführung dieser neuen Maßnahmen zu; ob der Darstellung, dass die ablehnende Haltung der Arbeiterschaft letztlich überwunden werden konnte, Glauben geschenkt werden kann, bleibt zweifelhaft. Der Kölner Lokalhistoriker Gebhard Aders hat in den 1980er Jahren einen Deutz-Arbeiter zu der NS-Zeit bei KHD interviewt. Der Interviewte erinnerte sich, ab ungefähr 1937 mit Selbstkontrolleuren und Selbstkalkulatoren zu tun gehabt zu haben. Es habe „solche und solche“ gegeben: „Einige waren wirkliche Spitzenkönner, pünktlich und fleißig und trotzdem kollegial. Denen gönnten wir den Aufstieg und die Lohnzuschläge.“ Unter ihnen seien einige gewesen, die der anonyme Arbeiter genauso beschrieb, wie sein Betriebsdirektor das getan hatte: Sie „genierten sich für die Herausstellung“ und versteckten das Ehrenzeichen. Die meisten Selbstkontrolleure und -kalkulatoren seien aber „besonders stramme Nazis“ und „unangenehme Streber“ gewesen, „Kerls, die immer von ‚Volksgemeinschaft‘ redeten, sich aber nicht mehr dazu zählten“. Grundsätzlich spiegelt diese Erinnerung eines Arbeiters – negativ konnotiert – die Vorstellungen Steins: Die Selbstkontrolleure hätten durchaus auf die gesamte Belegschaft gewirkt; sie hätten „weniger sich selbst als vielmehr uns in jeder Hinsicht“ kontrolliert. Der befragte Arbeiter räumte bedauernd ein, dass hinter dem „großen Mundwerk“ dieser Männer in der Regel trotzdem gute Arbeit stand: Sie hätten stets die Akkordleistung geschafft und „mitunter“ bei der Betriebsprüfung – zum Unwillen der Arbeiter – eine „Erhöhung der Akkordnormen“ durchgesetzt.143 Während Beschwerden der Arbeiter beim jeweiligen Chef oder der DAF erfolglos gewesen seien, berichtete der befragte Arbeiter von einer erfolgreichen Methode, die Normen wieder auf das alte Maß heruntergesetzt zu bekommen: Die Gruppe musste lediglich den Akkord ein bis zwei Wochen lang regelmäßig verfehlen. Sofern sie die Beschimpfungen der Vorgesetzten und die Lohneinbußen aushielten, hätten sie dann ihr Ziel erreicht. Aders geht davon aus, dass ein solches widerständiges Verhalten Steins Entschluss forciert habe, vom Gruppenakkord zum individuellen Leistungslohn zu wechseln.144 Auf den entscheidenden Zusammenhang von Selbstverantwortung und Lohnsystem werde ich weiter unten noch eingehen. Auch Steins vorangegangene Maßnahmen, mit denen er den Arbeitsplatz verschönern und das Arbeitsklima verbessern wollte, stießen teilweise auf Ablehnung oder Spott. So berichtete er selbst in seinem unveröffentlichten Manuskript davon, sein in Oberursel erworbener Ruf habe seine neue Belegschaft in Köln-Kalk 1929 – er spricht von einer „überaus radikalen, kommunistisch stark durchsetzten Arbeiterschaft“ – zu Beginn ablehnend reagieren lassen. Seiner Erfolgsgeschichte, als Mann der Praxis, der oft zu „Hammer und Werkzeug“ griff, habe er letztlich das „Ver143 Aders: Firma. Teil 1, 1988, S. 97. 144 Ebd., S. 138.

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trauen“ der Arbeiter gewonnen, soll hier kein uneingeschränkter Glauben geschenkt werden. Interessanter als die Klärung dieser Frage erscheint mir der Hinweis, dass seine Begrüßungsrede zu den Arbeitern in Kalk, bei der er seine sechs Grundsätze vortrug, zu Spott in der kommunistischen Zeitung Sozialistische Republik führte. Nach dem sechsten Grundsatz („Arbeitet fröhlich Hand in Hand mit Euren Kameraden“) bekam Stein den Spitznamen „der fröhliche Mitarbeiter“.145 Es muss noch einmal betont werden, welche Thesen sich aus Steins Innovationen im Personalmanagement ableiten lassen: Keineswegs ist gewiss, wie die Maßnahmen unter den Arbeitern ankamen. Die recht lange Anwendung und der permanente Ausbau der Methoden lassen vermuten, dass die Betriebsleitung zumindest nicht völlig enttäuscht wurde, dass also ein Teil der Arbeiter vermutlich positiv reagiert hat. Andererseits gab es Reaktionen, die weit über Skepsis hinaus bis zum beißenden Spott gingen. Eine Selbstdarstellung des Unternehmens Humboldt-Deutz in dem vom stellvertretenden Gauleiter 1938 herausgegebenen Band Arbeitsplätze im Gau Köln-Aachen – einst und jetzt zitiert ein Arbeiter-Flugblatt aus der späten Weimarer Republik: „Direktor Stein, der überall schreit, die Herstellungskosten seien zu hoch, verplackt selber das Geld an allen blödsinnigen Projekten. So ließ er kürzlich sämtliche im Betrieb befindlichen Maschinen, wie Drehbänke, Bohrmaschinen usw. himmelblau anstreichen. Alle Maschinen waren in durchaus gutem Zustand.“ Dieses Zitat sollte nachweisen, dass es den Verfassern des Flugblattes allein um „Hetzen und Gegeneinandertreiben“ gegangen sei. Maßnahmen zur Verschönerung der Arbeitsplätze seien nur abgelehnt worden, weil „Kälte und Freudlosigkeit im Bereich der Fabrik“, die „rechte Atmosphäre“ für ihre marxistische Kritik geschaffen hätte.146 Gegen die Intention der Darstellung wird aber deutlich, dass es sehr wohl Arbeiter gab, die nicht nur der „Schönheit der Arbeit“ gleichgültig gegenüber standen, sondern diese Maßnahmen sogar für absurd hielten. „Schönheit der Arbeit“ und die Selbstverantwortung der Arbeiter wurden explizit aufeinander bezogen. In der Broschüre Arbeitsplätze im Gau Köln-Aachen wurde die „äußere Veränderung“, die dem Schlagwort „Schönheit der Arbeit“ zugeschrieben wurde, als Vorbedingung einer „vollständige[n] Wandlung“ im „Geiste der Betriebsgemeinschaft“ dargestellt: „Im Streben nach guter Leistung, nach Selbstverantwortung und Selbstkontrolle zeigte sich bald der heilsame und veredelnde Einfluss der neuen Auffassung von der Schönheit der Arbeit.“147 In der Denkschrift von 1937 führte Helmut Stein seine Überlegungen zu „Schönheit der 145 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 62ff. RWWA, Sign. 107-VII16c. 146 Schaller (Hg.): Arbeitsplätze, 1938, S. 17 147 Ebd.



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Arbeit“ als einem „ethische[n] Begriff“ aus. Die „äußerliche[n] Maßnahmen der Verschönerung“ müssten unbedingt von einer gewandelten Einstellung der Arbeiter begleitet werden, ansonsten blieben sie eine „unwesentliche Tünche“. Es gelte „Freude an der Arbeit“ zu ermöglichen, den „Leistungswillen“ zu stärken und eine „gute Zusammenarbeit“ zu gewährleisten.148 Dennoch seien die baulichen Veränderungen notwendig gewesen. Stein führte den üblichen, allerdings durchaus zutreffenden, Topos von den hässlichen Fabriken der Vergangenheit an: Die „dumpfen düsteren Hallen, die geschwärzten, unsauberen Wände, die Winkel und Ecken voller Schutt und Gerümpel“ hätten ebenso unter dem nationalsozialistischen Motto „Schönheit der Arbeit“ weichen müssen wie die „grauen, traurig stimmenden Aufenthalts- und Eßräume“ und die „dumpfen, unsauberen Aborte“. An Stelle dieser „wie ein Gefängnis anmutende[n] Gebäude“ seien von Tageslicht erleuchtete, „übersichtlich geordnet[e]“ Hallen getreten, deren Wände mit „frischen, den Augen wohltuenden Farben“ gestrichen worden seien.149 Allerdings befand die DAF die tatsächlich getätigten Maßnahmen sehr lange für nicht ausreichend: KHD wurde erst 1942 als NS-Musterbetrieb ausgezeichnet. Zuvor genügten insbesondere die Fabrikhallen und die Sozialanlagen im Werk Kalk, das seit 1929 von Stein geleitet wurde, den Anforderungen der DAF nicht.150 Bei der letztendlichen Verleihung der Goldenen Fahne des Musterbetriebes wurden dann immerhin die Selbstkontrolle und -kalkulation lobend hervorgehoben.151 In einem Aufsatz für die Zeitschrift für Organisation über „Leistungssteigerung und Leistungshemmung“ legte Stein sein Konzept dar: „Betriebsgestaltung und Menschenführung“ hingen untrennbar zusammen und öffneten den Weg zu „Leistungssteigerung und verbesserter Wirtschaftlichkeit“. Für Stein stellten die Bereiche Personalmanagement und Gestaltung der Arbeitsumwelt also wesentliche Elemente einer fortgesetzten Rationalisierung dar. Dabei sei die Betriebsgestaltung „zu einem großen Teil auch Menschenführung“.152 Ein Beispiel dafür gebe die Umgestaltung der Werkzeugausgabe: Die „hohen Gitter“ wurden entfernt; an die Stelle des Misstrauens, der Befürchtung, die Arbeiter könnten stehlen, die „die Fabrik in der Zeit des Klassenkampfes“ ausgezeichnet habe, seien „Offenheit und Vertrauen“ in Form

148 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 26. RWWA, Sign. 107VII/9. 149 Ebd., Bl. 27. 150 Vgl. Aders: Firma. Teil 1, 1988, S. 141f. 151 Vgl. Denkschrift der Klöckner-Humboldt-Deutz AG 1941/42. Bericht der Gefolgschaftsverwaltung, Bl. 14. RWWA, Sign. 107-VII/14. 152 Stein: Leistungssteigerung, 1939, S. 163.

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eines modernen Tresens als Kennzeichen der „nationalsozialistischen Fabrik“ getreten.153 Ob tatsächlich im größeren Umfang Vertrauen zu den Arbeitern aufgebaut werden konnte, lässt sich wie oben gezeigt durch die (wenigen) Quellen, die diesbezüglich vorliegen, durchaus in Frage stellen. Inwieweit Stein seine Maßnahmen als erfolgreich betrachten konnte, musste aber nicht unbedingt davon abhängen, ob es ihm gelang, eine Mehrheit der Arbeiter zu begeistern. Die Repressionen des NSRegimes gegen die Arbeiterbewegung ermöglichten ihm sowieso weitgehend freie Handlungsoptionen. Wenn es darüber hinaus gelungen war, einige hundert Selbstprüfer und -kalkulatoren zu ernennen und vermutlich zumindest einen Teil der restlichen Arbeiterschaft mit seinen Maßnahmen anzusprechen, war sein Ziel vermutlich weitgehend erreicht. Wenngleich wahrscheinlich weiterhin Desinteresse oder Ablehnung unter der Arbeiterschaft vorherrschend war, war es Stein wohl doch gelungen „eine Bresche“ für seine Bemühungen zu schlagen. So hatte er von Beginn an seine Ziele definiert: Es sollte darum gehen, die „guten und wertvollen Elemente“ für die Absichten der Betriebsleitung zu gewinnen, indem sie „Vertrauen gewannen und aus ihrer Zurückhaltung heraustraten“.154 Die Einsetzung von Selbstprüfern und -kalkulatoren kann in diesem Zusammenhang als Ausdruck einer Verschiebung der Perspektive betrachtet werden. Ideologisch verbrämt formulierte Stein diese „Wandlung“ in seinem unveröffentlichten Manuskript wie folgt: „Es ist die Entwicklung des Arbeiters zu einem ‚Arbeitnehmer‘, vom nur lose an seinen Arbeitsplatz gebundenen Tagelöhner zum anerkannten und vollwertigen Mitarbeiter in der nationalen Produktion.“ Die Bemerkung, der „echte deutsche Unternehmer“ begrüße diese Entwicklung, lässt sich als Hinweis darauf verstehen, dass Steins Anschauung in Unternehmerkreisen durchaus umstritten gewesen sein dürfte.155 Auch bezüglich dieser uneinheitlichen Strategie in der Unternehmerschaft ähnelt der beschriebene Wandel dem Aufkommen des modernen Personalmanagements in den USA, wie es Bruce Kaufman beschrieben hat. Idealtypisch entstand neben dem alten Modell, das die Arbeiter/-innen als Tagelöhner betrachtete, während des Ersten Weltkrieges ein neues Modell der Personalführung, das die Arbeiter/-innen als Humankapital ansah. Selbstverständlich ging es in beiden Ansätzen in erster Linie um die Interessen des Unternehmens, also vor allem um die Wahrung des Arbeitsfriedens, die Eindämmung der Macht der 153 Ebd., S. 163, 165. Ähnlich in: Anonym: Der Tatsachenbericht, in: Ruhr-Arbeiter, 3.1.1939 154 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 21. RWWA 107-VII/9. 155 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 182. RWWA, Sign. 107-VII16c.



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Gewerkschaften und eine Steigerung der Produktion. Das ältere Modell des Tagelöhners war bis 1915 quasi konkurrenzlos und zielte einzig darauf, bei möglichst geringen Lohnkosten einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen. Das neue Modell hingegen betrachtete die Arbeiter/-innen aber als nachhaltig nutzbare Ressource, was letztlich auch Vorteile für die Arbeiter/-innen selbst gezeitigt habe.156 Zeitgenössisch wurde diese Verschiebung, die sich anhand der Veränderungen bei KHD aufzeigen lässt, als ein wesentlicher Umbruch beschrieben. Ein Bericht in der Kölnischen Zeitung 1939 über die Maßnahmen Steins räumte ein, dass die „Problematik der Arbeit in den Fabriken“ bereits frühzeitig erkannt worden war und dass der „Arbeitsfaktor[] Mensch“ schon am Ende des 19. Jahrhunderts wissenschaftlich untersucht wurde. Allerdings sei es damals nicht um „den ganzen Menschen“, sondern nur um die bessere „Ausnutzung der Arbeitskraft“ gegangen.157 Wie bereits in Kapitel 3 gezeigt wurde, gab es im Gegensatz zu dieser Darstellung durchaus eine längere Geschichte der Beschäftigung mit dem „ganzen Menschen“ in der Fabrik. Der wesentliche Bruch bestand vielmehr darin, dass die „Ausnutzung der Arbeitskraft“ zwar weiterhin das zentrale Thema war, es allerdings nicht mehr vorrangig darum ging, den Wirkungsgrad der Arbeitsleistung zu erhöhen. Vielmehr sollten neue Wege des Zugriffs auf die Potentiale der Arbeitskräfte erschlossen werden. Es ging also nicht mehr zuvorderst um einen effizienten Einsatz der Arbeitskraft und die Vermeidung von Störungen und Energieverschwendung. Vielmehr bestand das neue Hauptziel darin, die Arbeitenden effektiv einzusetzen und die in ihnen vermuteten Potentiale vollständig auszunutzen. Die Arbeiter/-innen waren zum Humankapital geworden. Damit öffnete sich, wie Stein 1944 im Völkischen Beobachter schrieb, das „umfangreiche Gebiet der Gestaltung der betrieblichen Umwelt und der psychologischen Beeinflussung des arbeitenden Menschen“. Zu diesem Bereich zählte er neben der „Schönheit der Arbeit“ Aufgaben wie „Weckung der Arbeitsfreude“, „Beseitigung von Leistungshemmnissen“ und „Erziehung zur Mitarbeit“.158 Ein weiterer Bestandteil des neuen Denkens, das Arbeiter/-innen als Humankapital betrachtete, war ein verstärktes Augenmerk auf die Schulung der Vorgesetzten in Hinblick auf die „Menschenführung“. Schulungen von Meistern, Vorarbeitern und Kalkulatoren wurden bei KHD intensiviert, um die Erfüllung der genannten Aufgaben der Arbeitermotivation und -erziehung zu gewährleisten.159 156 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 285ff.; Kaufman: Hired Hands, 2010, S. 12ff. 157 Anonym: Mensch und Maschine. Der Zug zur Großmaschine, ein technisches und soziales Problem, in: Kölnische Zeitung, 12.2.1939, S. 8. 158 Helmut Stein: Menschenleere Fabriken, in: Völkischer Beobachter, 27.2.1944. 159 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 24. RWWA, Sign. 107VII/9; Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in

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Gleichzeitig lässt sich die Selbstkalkulation als ein Versuch interpretieren, tayloristische Ziele zu erreichen, ohne tayloristische Pfade im engeren Sinne zu beschreiten: Wie Frederick Taylor („the one best way“) ging es auch Helmut Stein darum, den „besten und billigsten Weg[], wie das Stück herzustellen ist“, zu suchen. Nur sollte der Arbeiter als Selbstkalkulator diesen Weg suchen und nicht der Ingenieur in der Arbeitsvorbereitung, wie es im Taylorschen Modell vorgesehen war. Die für das Scientific Management Taylors grundlegende Trennung von Planung und Ausführung wurde bei Stein wieder zusammengeführt: „Der Selbstkalkulator vereinigt in sich die Funktion der planenden, beaufsichtigenden und ausführenden Tätigkeit.“ Er sollte selbst nach Möglichkeiten suchen, wie seine Arbeit zu verbessern sei, und Vorrichtungen und Verfahren erfinden.160 Die Selbstprüfer und Selbstkalkulatoren bei KHD erhielten große Aufmerksamkeit der NS-Presse, die diese Einrichtungen als Ausdruck der nationalsozialistischen Ideologie feierte; Das schwarze Korps titelte „Das ist Sozialismus!“.161 Die DAF nahm die KHD-Ansätze insofern in die Managerfortbildung auf, als sie den Ulmer Betriebsdirektor der KHD Merker zu einem Vortrag über den „Arbeiter als Selbstgestalter des Betriebsgeschehens“ bei einem „Betriebsführerseminar“ einlud.162 Auch der inzwischen die DAF eingegliederte und in „Reichsauschuss für Arbeitsstudien“ umbenannte REFA thematisierte bei seiner Jahrestagung 1939 die Selbstkalkulatoren als „begrüßenswertes Mittel zur Förderung der Arbeitsfreudigkeit und Selbstverantwortung“.163 Formen der „Mitarbeit“ wurden am Beispiel des Vorschlagswesens auch bei anderen Betrieben gelobt,164 für eine Umsetzung des Prinzips der Selbstverantwortung konnte aber nur ein ähnliches Exempel genannt werden. Franz Horsten betonte, dass der „Gedanke der Eigenverantwortung“ im Zentrum einer Innovation der Globus Teppichfabrik im thüringischen Triptis stünde.165 25 ausgewählte Arbeiter gehörten einer neugebildeten „Wertarbeitsgemeinschaft“ an. Ähnlich wie die KHD-Selbstprüfer wurden sie von direkter und indirekter Koneiner Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 154. RWWA, Sign. 107VII-16c. 160 Stein: Arbeiter. Teil 1, 1937, S. 16. 161 Anonym: Das ist Sozialismus!, in: Das schwarze Korps, 5.1.1939. 162 Bericht der Betriebsgemeinschaft der Klöckner-Humboldt-Deutz AG Werk Ulm zum Leistungskampf der deutschen Betriebe 1940-41. RWWA, Sign. 107-VII/13A, Bl. 85. Der Vortrag fand am 29. Oktober 1940 auf dem zweiten Betriebsführerseminar der DAF-Gauwaltung Stuttgart, Abteilung für Berufserziehung und Betriebsführung, statt. 163 Denkschrift der Klöckner-Humboldt-Deutz AG, 1938-1939, Bl. 3. RWWA 107-VII/11. Der REFA war 1924 unter dem Namen Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung gegründet worden. 164 Vgl. für zahlreiche Beispiele, Kupke: Jeder, 1939. 165 Horsten: Leistungsgemeinschaft, 1941, S. 71.



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trolle befreit. Der einzelne Weber bekam das Recht, das fertige Produkt mit „Wertarbeitsmarken“ zu kennzeichnen, die er unterschrieb. Eine nachträgliche Fremdkontrolle der Qualität fand nicht statt. Auch von der Mengenkontrolle wurden die Angehörigen der Wertarbeitsgemeinschaft befreit: Der Arbeiter meldete die Anzahl der produzierten Stücke und der Reparaturstunden selbst der Lohnbuchhaltung.166 Einigen Stellen des Nationalsozialismus gingen diese Methoden, die im Betrieb eines NSDAP-Mitglieds eingeführt und in der Betriebsordnung im NS-Duktus gepriesen wurden, zu weit:167 So wies Kupke, dessen Band im Auftrage des Reichsausschusses für Leistungssteigerung erschienen ist, darauf hin, dass solche Neuerungen nur schrittweise und vorsichtig eingeführt werden könnten.168 Am Beispiel des Unternehmens aus der Textilbranche ist auffällig, dass trotz einer vermutlich überwiegend weiblichen Belegschaft „fürs erste nur männliche Arbeitskameraden“ in die Wertarbeitsgemeinschaft aufgenommen wurden. Horsten berichtete im Jahr 1941 davon, dass eine „Ausdehnung auf die weiblichen Gefolgschaftsmitglieder“ jedoch vorgesehen sei.169 Ob es dazu kam, ist ungewiss. Dem Schwarzen Korps jedenfalls galt die Selbstkontrolle als Beleg einer „wahren, männlichen Arbeitsleistung“.170 Während, wie in Kapitel 3 gezeigt, in den Arbeitswissenschaften durchaus die These einer bei Frauen stärker ausgeprägten Befähigung zur Selbstverantwortung vertreten wurde, scheinen in der Praxis die Beharrungskräfte der Geschlechterhierarchie ausschlaggebend gewesen zu sein: Bei KHD waren die Selbstkontrolle und -kalkulation offenbar ebenfalls sehr lange eine rein männliche Domäne. Allerdings gab es auch vor dem Krieg nur sehr wenige Arbeiterinnen: Unter knapp 10.000 Beschäftigen in den Kölner Werken waren im Juli 1939 nur 220 Arbeiterinnen. Die notwendige Anwerbung von Arbeiterinnen während des Krieges gestaltete sich schwierig, dennoch erhöhte sich die Zahl deutlich, im Juni 1941 waren es 723 Frauen, im August 1943 bei sinkender Gesamtbelegschaft 1025 Arbeite-

166 Kupke: Jeder, 1939, S. 70. Wengenroth weist darauf hin, dass der im Nationalsozialismus stark ideologisch aufgeladene Begriff der „Wertarbeit“ Arbeitsformen bezeichnete, die aufgrund eines fehlerhaften Umgangs mit Ressourcen zwangsläufig von erhöhtem Aufwand geprägt waren, vgl. Wengenroth: Flucht, 2002, S. 58. 167 In der Betriebsordnung hieß es: „Jeder soll sich frei machen von der unwürdigen Vorstellung, daß er dem Betrieb weiter nichts als seine Arbeitskraft zur Verfügung stelle und sich diese Arbeitskraft bezahlen lasse. Die Betriebsgemeinschaft kennt überhaupt keine ‚Arbeitskräfte‘, sie kennt nur wertvolle deutsche Menschen, von denen nichts käuflich zu haben ist.“, zit. n. Anonym: Auf dem richtigen Wege, in: Das schwarze Korps, 11.05.1939. 168 Vgl. Kupke: Jeder, 1939, S. 70. 169 Horsten: Leistungsgemeinschaft, 1941, S. 73. 170 Anonym: Das ist Sozialismus!, in: Das schwarze Korps, 5.1.1939.

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rinnen.171 Es ist davon auszugehen, dass nach einiger Zeit die ersten Arbeiterinnen in die Riege der Selbstkalkulatoren und -prüfer aufgenommen wurden. Firmenakten belegen dies nicht; im Jahr 1941 wurde noch für das Werk Ulm festgehalten, dass „nur durchaus vertrauenswürdige und charakterlich erprobte Männer“ zu Selbstprüfern berufen wurden.172 Allerdings sprach Stein in seinem kurz vor Kriegsende geschriebenen unveröffentlichten Manuskript auf der letzten Seite von „Werkskameraden und -kameradinnen“, die eine Auszeichnung als Selbstprüfer oder -kalkulator erhalten hätten.173

D IE L OHNORDNUNG

ALS

F ÜHRUNGSMITTEL

„Arbeiter bestimmen ihren Lohn selbst“ titelte Horsten propagandistisch in einem Aufsatz über die Selbstkalkulation.174 Soweit sollte diese Einrichtung selbstverständlich nicht führen. Stein selbst stellte in dem unveröffentlichten Manuskript von 1944/45 durchaus klar, dass es bei der Selbstkalkulation in erster Linie darum ging, Dysfunktionalitäten des Akkordlohns zu korrigieren. Bevor die Selbstkalkulatoren von der Vorkalkulation befreit wurden, hatte Stein aber zunächst einmal eine moderne Vorkalkulation bei Deutz aufbauen müssen. Als er die Leitung des Betriebes 1932 übernommen hatte, wurden die Akkorde noch uneinheitlich vom jeweiligen Meister geregelt.175 In den folgenden Jahren wurde die Vorkalkulation dann etabliert, wechselte aber mit der zunehmenden Serienfertigung ihre Funktion. Wichtiger als die Bestimmung des Akkordes wurde nun ihr Beitrag für die Fertigungsplanung, der sie die auf Arbeits- und Zeitstudien beruhenden Daten für die „technische Best-

171 Vgl. Aders: Firma. Teil 1, 1988, S. 104, 123; Rüther: Arbeiterschaft, 1990, S. 447. 172 Bericht der Betriebsgemeinschaft der Klöckner-Humboldt-Deutz AG Werk Ulm zum Leistungskampf der deutschen Betriebe 1940-41. RWWA 107-VII/13A, Bl. 81f. 173 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 186. RWWA, Sign. 107-VII16c. 174 Franz Horsten: Arbeiter bestimmen ihren Lohn selbst, in: Rundschau Deutscher Technik, 12. 1. 1939. 175 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 102. RWWA, Sign. 107-VII16c. Etwa 80 Prozent der Arbeiter wurden bei Humboldt-Deutz im Akkord beschäftigt, vgl. Rüther: Arbeiterschaft, 1990, S. 262.



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gestaltung“ lieferte.176 Die „außerordentliche Bedeutung der Selbstkalkulation“ lag gerade im Tempo der technischen Veränderungen begründet: Die Vorkalkulation konnte der permanenten Verbesserung der technischen Voraussetzungen nicht mit der Neuberechnung der Akkordnormen folgen. Folglich entstanden regelmäßig zu hohe Akkorde, was zum einen zu einem ungewollten Anstieg der Löhne und somit aus Steins Sicht zu einer „Störung der betrieblichen Lohnpolitik“ führen konnte, zum anderen und häufiger die Folge zeitigte, dass die Arbeiter ihre Arbeit „streckten“ und versuchten, „die hohen Zeiten zu verschleiern“.177 Aus Unternehmenssicht war diese Zurückhaltung der Leistung ein noch größeres Problem als zu hohe Löhne. Die Selbstkalkulatoren waren im Gegensatz zur Vorkalkulation dazu in der Lage, den Akkord regelmäßig neu zu vermessen und die neuen Normen der Vorkalkulation zu melden.178 Die Selbstkalkulatoren waren mithin eine notwendige Verstärkung der Vorkalkulation. Am Ende der Weimarer Republik hatte Stein als neuer Betriebsdirektor in Kalk sich bereits dem Akkordproblem179 gestellt und in erster Linie auf eine Mischung von Vertrauen und Repression gesetzt. Zunächst verkündete er auf einer Betriebsversammlung das Ende der „Akkordschere“, forderte also die Arbeiter auf, so viel zu leisten, wie möglich war und versicherte, dass dies keine Beschneidung der Verdienste zur Folge hätte. Die Einschränkung, dass „nur“ im Falle von „offensichtlich grobe[n] Fehler[n] in der Zeitvorgabe“ neue Normen festgesetzt werden würden, macht aber klar, dass sehr wohl das Mittel der Akkordschere eingesetzt wurde, allerdings zurückhaltender als in anderen Betrieben. Stein war offenbar ein Anhänger des Fordschen Prinzips der Hochlohnpolitik und handelte sich dadurch „manche Vorwürfe und Anfeindungen“ des Arbeitgeberverbandes ein, der hohe Löhne ablehnte.180 Schmiede und Schudlich haben in ihrer Studie zur Geschichte der Leistungsentlohnung darauf hingewiesen, dass Betriebe in Zeiten des Arbeitskräftemangels den Akkordlohn durchaus als Mittel der betrieblichen Lohnerhöhung einsetzten, indem der Kalkulator die neuen Zeiten nicht sonderlich gründlich aufnahm.181 Sekundiert wurde Steins Akkordpolitik in Kalk von Repressionen. Es soll176 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 104. RWWA, Sign. 107-VII16c. 177 Ebd., S. 140. 178 Vgl. ebd., S. 141. 179 Auch die DAF beschäftigte sich mit dem „Akkordproblem“, vgl. Hupfauer: Mensch, 1943, S. 50f. 180 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 68f. RWWA, Sign. 107-VII16c. 181 Vgl. Schmiede/Schudlich: Entwicklung, 1978, S. 48.

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te verhindert werden, dass Arbeiter Akkordzettel nach und nach einreichten, um die tatsächliche Leistung zu verschleiern und eine Neubemessung der Normen zu verhindern. Die Spinde wurden regelmäßig nach Akkordzetteln durchsucht, ältere Akkordzettel wurden nicht mehr angenommen.182 Die Einführung der Selbstkalkulation 1935 war also keineswegs ohne vorherige (und vermutlich auch weiterhin beibehaltene) repressive Maßnahmen denkbar. Trotzdem stand hinter der Selbstkalkulation ein utopisches Ziel, das die Leitung von Humboldt-Deutz in der Denkschrift von 1937/38 in der Frageform formulierte: „Wie können wir es bewirken, dass der Arbeiter den wirtschaftlichen Zwang zur Leistung freiwillig auf sich nimmt“? Für ideal wurde also eine vollständige Internalisierung der Zwänge erachtet, wodurch wiederum ein Verzicht auf externe Kontrolle möglich werden würde. In diesem Zusammenhang sei im Vorstand oft diskutiert worden, „ob wir den Akkord beseitigen und etwas anderes Gleichwertiges an seine Stelle setzen könnten“. Eine Umsetzungsmöglichkeit sei aber nicht gefunden worden, weshalb weiterhin der Akkord für „unentbehrlich“ erklärt werden müsse.183 Entscheidendes Grundprinzip aller personal- wie lohnpolitischen Maßnahmen Steins war die Differenzierung. Gleichmacherei galt als großes Übel. „Gleichmachen im Lohn“ sei ebenso „schädlich“ wie die „unterschiedslose[] Kontrolle und Überwachung“ aller Arbeiter.184 Diesem Prinzip folgten sowohl die Selbstkontrolle und -kalkulation als auch eine neue Lohnordnung, die zum 1. Juli 1941 bei KHD eingeführt wurde. Die neue Lohnordnung führte den Leistungslohn ein; nun kam „bei der Lohnbestimmung des Gefolgschaftsmitgliedes der Wertung von Haltung und Einsatz eine maßgebliche Rolle“ zuteil.185 Der Leistungslohn war ein Stundenlohn, der sich aus drei Bestandteilen zusammensetzte: dem vom Schwierigkeitsgrad bemessenen Grundlohn (Gruppenlohn), dem „Zuschlag für seine persönliche Arbeitsleistung“ und dem Zuschlag für den persönlichen „Einsatz in der Arbeit“ und die „charakterliche Haltung“.186 Rüther hat in dieser Lohnordnung den „eigentliche[n] Mittel182 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 69. RWWA, Sign. 107-VII16c. 183 Denkschrift der Humboldt-Deutzmotoren A.G. über die Weiterentwicklung im Geschäftsjahr 1937/38. Aufgaben der Menschenerziehung, Bl. 2. RWWA, Sign. 107VII/10. 184 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 134. RWWA, Sign. 107-VII16c. 185 Ebd. 186 Ebd., S. 167. Die drei Bestandteile wurden nach einem Punktesystem ermittelt, vgl. Denkschrift der Klöckner-Humboldt-Deutz AG 1940-41. RWWA 107-VII/13.



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punkt der ‚Menschenführung‘“ bei der KHD gesehen.187 Das Thema der Entlohnung kann in seiner Bedeutung gewiss nicht überschätzt werden, gleichwohl ist in Frage zu stellen, ob Rüthers Charakterisierung, über den Beschäftigten habe ständig das „Damoklesschwert ‚Lohnkürzung‘“ geschwebt, zutreffend ist.188 Meines Erachtens lässt sich der Leistungslohn nicht auf das Prinzip „einer ständigen Überwachung seiner Leistung und seines Verhaltens“ reduzieren, wie es Rüther vorgenommen hat.189 Die disziplinierende Funktion des Leistungslohnes soll nicht geleugnet werden, allerdings lohnt sich darüber hinaus ein Blick auf die aktivierenden Funktionen der neuen Entlohnungsform. Stein betrachtete den Lohn als „eines der wichtigsten Führungsmittel“, das „als gerecht empfunden werden“ müsse und „keine nivellierenden Tendenzen aufweisen“ dürfe.190 Ausgangspunkt für die Reform des Lohnsystem war die Überzeugung, dass der Akkord „nicht die ideale Form der Leistungsentlohnung“ sei.191 Es bestand die Notwendigkeit zur regelmäßigen Neubestimmung, was wiederum leicht zu „Enttäuschung und Verärgerung“ bei den Arbeitern führe und sich „hemmend auf den Willen zur Mitarbeit“ auswirke. Ein weit größeres Problem als die Höhe des Lohnes seien solche „Störungen des betrieblichen Arbeitsfriedens“. Überhaupt liege ein Grundproblem im „Wesen des Akkords“: Er appelliere „an die RaffInstinkte“.192 Die Einführung des Leistungslohns lässt sich als ein weiteres Moment der Hinwendung zu einem Personalmanagement betrachten, in dem Arbeiter/-innen als Humankapital wahrgenommen wurden. Leistungslöhner könnten „ohne Hast, ohne Unruhe, ohne Sorge um gelegentliche Minderleistung“ arbeiten, weil ihnen „ein von den Schwankungen des Akkordes unabhängiges gleichmäßiges Einkommen“ garantiert wurde. Keineswegs wurde dabei jedoch gänzlich auf das Instrument der Disziplinierung verzichtet: Wenn die Leistung eines Arbeiters dauerhaft sank, so wurde er fortan wiederum nach Akkordlohn bezahlt.193 Beide Entlohnungsformen existierten parallel, was die gewollte Differenzierung als wesentliches Prinzip des Betriebslebens aufrechterhielt. Wahre „Mitarbeiter“ sollten den Leistungslohn erhalten, während „negativ Eingestellte oder Gleichgültige“ weiterhin im Ak-

187 Rüther: Sozialpolitik, 1988, S. 107. 188 Ebd., S. 112. 189 Ebd., S. 110. 190 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 161f. RWWA, Sign. 107-VII16c. 191 Ebd., S. 170. 192 Ebd., S. 173. 193 Vgl. ebd., S. 174f.

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kord entlohnt wurden. Bei dieser Gruppe könne „auf die Peitsche des Akkordes“ nicht verzichtet werden, nur sie garantiere „zufriedenstellende Leistungen“.194 Eine weniger weitreichende Kombination aus einem Prämienlohnsystem mit einer partiellen Selbstverantwortung der Arbeiter wurde bereits 1921 bei Fiat in Italien eingeführt. Das System war weniger psychologisch avanciert als die späteren Versuche bei KHD; der Grundsatz bestand darin, dass den Arbeitern die notwendige fordistische Umgestaltung des Arbeitsprozesses und die Verteilung der Teilaufgaben übertragen wurden, weil sie durch das neue Lohnsystem ein Eigeninteresse an einer rationellen Gestaltung gehabt hätten. Die Gewerkschaften begrüßten diese Neuerungen als einen ersten Schritt hin zur Arbeiterkontrolle; letztlich gelang es aber Fiat, die Akkordzeiten und damit die Bonuszahlungen zu reduzieren, weil die Individualisierung der Arbeiterschaft zu einem gewissen Grad erfolgreich war und die kollektive Handlungsfähigkeit geschwächt wurde. Der Historiker Bigazzi hat darin ein Beispiel dafür gesehen, dass es möglich war, den Fordismus ohne größere Auseinandersetzungen einzuführen, wenn eine Managementstrategie angewendet wurde, die den Arbeitern Verantwortung übertrug.195 Im Herbst 1943 endete die Ära Stein bei KHD in Köln. Der Jahresbericht vermerkte, dass er „zur Lösung einer Sonderaufgabe nach Brünn“ zur Klöckner-Deutz Feinbau GmbH, die Einspritzpumpen für Flugzeugmotoren herstellte, geschickt worden war.196 Es ist Aders’ Meinung beizupflichten, dass Stein weggelobt wurde.197 Sein Nachfolger Heinrich Jakopp, seit 1939 Vorstandsmitglied, übernahm offiziell zunächst die Stellvertretung. Unverblümt räumte der Jahresbericht ein, dass Jakopp eine „ursprünglich schlechte Meinung“ vom Betrieb gehabt hätte, die sich nach dem ersten Jahr seiner Leitung aber gebessert habe. Diese implizite Kritik an Stein wurde erläutert: Offensichtlich bestand der Grund für die Ablösung in Problemen bei Fragen der „Menschenführung“. Steins Form der Personalführung sei auf „eine harte Probe gestellt“ worden, da „nur ein Teil unserer Gefolgschaftsmitglieder die Ideen unseres Pioniers der Arbeit, Herr Direktor Stein, richtig verstanden hat“. Die „alten menschlichen Schwächen“ der Arbeiter hätten überhandgenommen, weshalb es notwendig erschien, „wieder mehr mit der Faust als mit dem Herzen zu führen“. Die neue Vorstellung von „Menschenführung“ sollte dergestalt sein, dass Zustände wie bei den Bombenangriffen sich nicht wiederholten, als ein großer Teil der Belegschaft länger der Arbeit fernblieb. 198 Der Tonfall Stein gegenüber lässt sich als ein durchaus spöttischer interpretieren. Die sehr seltene Auszeichnung „Pi194 Ebd., S. 165. 195 Vgl. Bigazzi: Management Strategies, 1986, S. 87, 89. 196 Ilzhöfer: Jahresbericht KHD für das Geschäftsjahr 1943/44, Bl. 2. RWWA 107-VII/15. 197 Vgl. Aders: Firma. Teil 2, 1989, S. 155. 198 Ilzhöfer: Jahresbericht KHD für das Geschäftsjahr 1943/44, Bl. 1, 3. RWWA 107VII/15.



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onier der Arbeit“ hatte er tatsächlich im April 1944 von der DAF verliehen bekommen;199 es scheint aber so, als ob die Kollegen im Management eine gewisse Distanz zu Methoden der Personalführung aufbauten, die sie für praxisuntauglich hielten. Die ideologische Rückendeckung für Steins Konzepte war kurz vor dem offenkundigen Ende des „Dritten Reiches“ nicht mehr wirksam. Steins Ansatz, Arbeiter zur Selbstverantwortung zu motivieren, war vermutlich an verschiedenen Momenten gescheitert. Zum einen bestand die Belegschaft während des Krieges nicht mehr aus den jahrelang beschäftigten Facharbeitern der Vorkriegszeit, sondern wies nun eine starke Fluktuation auf. Von dienstverpflichteten Frauen und Zwangsarbeiter/-innen konnte schwerlich die gleiche Selbstmotivation erwartet werden wie von Facharbeitern.200 Zum anderen lässt sich die These aufstellen, dass die Reduzierung von Disziplin zugunsten der Übertragung von Verantwortung an die Arbeiter/-innen insofern von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt, als zumindest ein befriedigendes Privatleben, am besten aber umfangreiche Konsummöglichkeiten vorhanden sein müssen. Ansonsten dürfte sich die Frage, wofür man freiwillig besonders gut arbeiten will, schwer beantworten lassen. In der Endphase des Krieges waren also die notwendigen gesellschaftlichen Grundlagen für einen Erfolg von Steins betrieblichen Reformen nicht einmal mehr im Ansatz gegeben. Die nationalsozialistischen Konsumversprechen waren auch zuvor kaum eingelöst worden,201 nun brachen auch die Reste der privaten Glücksversprechungen und damit die Basis einer Selbstmotivation freier Lohnarbeiter/-innen zusammen. Eine Abkehr von der Pflege der Arbeiter/-innensubjektivität und eine verstärkte Rückwendung zu Disziplin, Kontrolle und Repression erscheinen so in ihrer internen Logik nachvollziehbar. Bereits 1941/42 nahmen bei KHD die Repressionen gegen „arbeitsunwillige Gefolgschaftsmitglieder“ zu. Eine neu gegründete Abteilung hatte die Aufgabe, häufig fehlende Arbeiter/-innen, „insbesondere Frauen, deren Arbeitsversäumnis das der Männer um ein Vielfaches zu übersteigen pflegt, zu besuchen, die Gründe des Fernbleibens zu erforschen und durch zweckmäßiges Eingreifen auf eine schnelle Wiederaufnahme der Arbeit hinzuwirken“. Bereits im ersten Jahr wurden 7000 „Hausbesuche“ unternommen und „2900 Bummelanten festgestellt“, die wieder zur Arbeitsaufnahme gedrängt wurden. In der Regel wurden weder Gerichte

199 Zur Auszeichnung als „Pionier der Arbeit“, vgl. Doehle: Auszeichnungen, 1943, S. 79f. 200 Die Betriebsdirektion hielt 1941 fest, dass die „Menschenbehandlung“ schwieriger geworden sei, seit der Anteil der Stammbelegschaft an der Gesamtheit der Beschäftigten kriegsbedingt zurückging, vgl. Rüther: Arbeiterschaft, 1990, S. 414f. Im August 1943 arbeiteten bei Humboldt-Deutz in Köln knapp 2000 „zivile Ausländer“, vgl. ebd., S. 332. Zur Zwangsarbeit bei KHD, vgl. Klindworth: Zwangsarbeit, 1997. 201 Vgl. König: Volkswagen, 2004.

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noch Gestapo eingeschaltet; zwar wurden hunderte Verwarnungen erteilt, aber nur 26 Anzeigen gestellt, die in zwei Fällen zu Gefängnisstrafen führten.202 Der Jahresbericht des ersten Nachkriegsjahres weist darauf hin, dass mit einer Rückkehr Steins in die Betriebsführung nach Köln gerechnet wurde. Allerdings hätte der neue Betriebsausschuss eine Wiederbeschäftigung ehemaliger Mitglieder der NSDAP abgelehnt. Dies habe sich „vor allem bei den Führungskräften sehr nachteilig für das Werk“ ausgewirkt. „Besonders hart“ habe es Stein getroffen, der dann „freiwillig“ aus dem Unternehmen ausgeschieden sei.203

K ONTINUITÄTEN

UND

B RÜCHE

NACH

1945

Auch nach dem Ausscheiden Steins gab es bei KHD keine gänzliche Abwendung von seinen personalpolitischen Methoden, deren grundsätzliche Zielsetzungen – wie in Kapitel 3 gezeigt – auch außerhalb des Unternehmens breit diskutiert wurden. Die formelle Einrichtung der Selbstkontrolle und Selbstkalkulation bestand nicht fort, hingegen wurde ein anderer wesentlicher Bestandteil des neuen Konzeptes vom „Mitarbeiter“, das Vorschlagswesen, in der Nachkriegszeit mit Nachdruck ausgebaut. In Deutschland hatten einige Betriebe wie Carl Zeiss bereits um 1900 den Arbeitern und Arbeiterinnen Prämien für Verbesserungsvorschläge gezahlt.204 Helmut Stein allerdings bezog sich explizit auf das amerikanische Vorbild: Bei seinem Besuch im Frigidaire-Werk im Mai 1929 beeindruckte ihn neben dem Besprochenen auch ein „Zeugnis, welches für gute Vorschläge überreicht“ wurde.205 Spätestens Ende 1929 wurden dann bereits in Oberursel Prämien für Verbesserungsvor-

202 Denkschrift der Klöckner-Humboldt-Deutz Akt.-Ges. 1941/42. Bericht der Gefolgschaftsverwaltung, Bl. 11. RWWA, Sign. 107-VII/14; zum Vorwurf und der gerichtlichen Verfolgung der Arbeitsbummelei während des Zweiten Weltkriegs, vgl. Löffelsender: Strafjustiz, 2012, S. 237-268. 203 Jahresdenkschrift der Klöckner-Humboldt-Deutz AG 1945/1946, Bl. 1. RWWA, Sign. 107-VII/17. 204 Vgl. Walter: Zeiss, 2000, S. 33. Die KHD-Werkszeitschrift nannte neben Carl Zeiss noch Krupp, Borsig und Bosch als Vorgänger, die bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts das Vorschlagswesen eingeführt hatten, vgl. Anonym: Die gute Idee, in: WerksRundschau der Klöckner-Humboldt-Deutz AG, Januar 1955, S. 22. RWWA, Sign. 107134.0. In den USA setzten sich sowohl Anhänger des Scientific Managements wie des Human-Relations-Ansatzes für employee suggestion systems ein, vgl. Adler: Interdependence, 2003, S. 367. 205 Bericht des Herrn Direktor Stein über seine Amerika-Reise vom 23. März bis 22. Mai 1929, erstellt am 13.06.1929. RWWA, Sign. 107-III/6A, Bl. 7.



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schläge gezahlt.206 In der dem Vorbild Frigidaires nacheifernden Broschüre Du und Dein Werk wurde in den dreißiger Jahren schließlich auch in den inzwischen von Stein geleiteten Kölner Humboldt-Deutz Werken für Verbesserungsvorschläge geworben; gerade die Unterbreitung von sinnvollen Vorschlägen erhöbe den Arbeiter zum „Mitarbeiter“.207 Eine Jahresdenkschrift berichtete weiterhin davon, dass nach einer „Neuregelung des Vorschlagswesens“ im Jahr 1937 die Zahl der Einreichungen und der gezahlten Prämien erheblich angestiegen war und sah darin einen Beitrag zur „Erziehung der Belegschaft zum Leistungsgedanken, zur Werksverbundenheit, der Weckung der Arbeitsfreude und der Mitwirkung der Gefolgschaftsangehörigen an den Fortschritten des Unternehmens“.208 In seinem unveröffentlichten Manuskript stellte Stein klar, dass der materielle Nutzen der Verbesserungsvorschläge häufig „nicht allzu groß“ war; hingegen sei der „ideelle Wert“ als Mittel der Menschenführung „unschätzbar“. Besonders wichtig sei es, herausragende Vorschläge im Betrieb namentlich zu würdigen und an Tafeln auszuhängen.209 In den fünfziger Jahren wurde der eingeschlagene Weg des Vorschlagswesens zunächst ohne größere Änderungen weiter gegangen. Der teilweise an das Pflichtgefühl der Arbeiter/-innen appellierende Ton weist darauf hin, dass das Personalmanagement noch zwischen den Polen Sozialdisziplinierung und Subjektivierung oszillierte. So titelte ein Aufsatz in der Werks-Rundschau von 1952 „Wir erwarten Verbesserungsvorschläge!“ Gleichzeitig kam neben der Hoffnung, ökonomische Einsparungen und eine verbesserte Unfallverhütung durch die prämierten Vorschläge zu erzielen, ein altes Problem aufs Tableau: Das Vorschlagswesen wurde explizit als Möglichkeit verstanden, die Interessen der Arbeiter/-innen mit den Interessen des Werkes in Übereinstimmung zu bringen. Es ging darum, die Belegschaft zu einer Entwicklung von Ideen zu motivieren, die „im Interesse des Werkes, aber nicht zuletzt auch im eigenen Interesse“ lägen.210 Drei Jahre später stellte die WerksRundschau das Verbesserungswesen in genau den begrifflichen Kontext, der den Hintergrund der Bemühungen Steins ausgemacht hatte: Es ging um einen „Aufruf 206 Franz Schultz: Zusammenarbeit!, in: Deutz Humboldt Oberursel Nachrichten, Januar 1930, Nr. 11, S. 1. RWWA, Sign. 107-VIII/5. 207 Humboldt-Deutzmotoren A.G., Du und Dein Werk. Einige Gedanken zur erfolgreichen Gestaltung der Werksarbeit, Köln o.J. [nach 1929; Anlage zur Denkschrift Stein 1937], S. 22. RWWA, Sign. 107-VII/9. 208 Denkschrift der Humboldt-Deutzmotoren A.G. über die Weiterentwicklung im Geschäftsjahr 1937/38. Aufgaben der Menschenerziehung, Bl. 1. RWWA 107-VII/10. 209 Helmut Stein: Fertigungs- und Führungsaufgaben der Gegenwart. Erfahrungen in einer Motorenfabrik, unveröffentl. Manuskript, 1944/1945, S. 147. RWWA, Sign. 107-VII16c. 210 Anonym: Wir erwarten Verbesserungsvorschläge!, in: Werks-Rundschau der KlöcknerHumboldt-Deutz AG Ulm, April 1952, S. 9. RWWA, Sign. 107-038.

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zur tätigen Mitarbeit“, also darum, den Arbeiter/-innen die „Möglichkeit“ zu zusätzlichen „freiwillige[n] Leistungen“ zu geben und ihre Selbstverantwortung zu fördern. Erneut scheint in dieser Zielsetzung der Arbeitskraftunternehmer avant la lettre durch: Das betriebliche Vorschlagswesen sollte dafür sorgen, „schöpferische[] und aufmerksame[] Mitarbeiter“ zu fördern, die „ihren Arbeitsauftrag so verantwortlich angehen, als ob sie in ihrem Bereich selbst Betriebsleiter wären“. Die prämierten Einreicher wurden wiederum in der Werkszeitung namentlich gewürdigt.211 Dazu passt die Einschätzung des Soziologen Giuseppe Bonazzi, im Vorschlagswesen sei eine „Art ‚demokratischer Taylorismus‘“ zu erkennen.212 Deutlich wurden im betrieblichen Vorschlagswesen Formen des Personalmanagements, die das frühe 20. Jahrhundert bestimmt hatten, mit Ansätzen verknüpft, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts dominant werden sollten. Zudem galt das Augenmerk des Managements nicht mehr allein den Arbeitern und Arbeiterinnen. Gleichzeitig wurde erkannt und kommuniziert, dass die Notwendigkeit zur Schulung der Vorgesetzten bestand. Das erhöhte Interesse an der „Mitarbeit“ der Arbeiter/-innen führte zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit für das Vorgesetztenproblem: Da mehr von den Beschäftigten verlangt wurde als lediglich disziplinierte Pflichterfüllung, stellten sie nunmehr nicht mehr den alleinigen Schwerpunkt des Fabrikproblems dar. Ebenso wichtig schien die Frage zu sein, inwieweit die Vorgesetzten dazu in der Lage waren, die Arbeiter/-innen adäquat zu motivieren bzw. zumindest die Demotivation zu unterlassen. In der WerksRundschau wurde 1953 der Fall eines „dynamischen“ Abteilungsleiters besprochen, der sich allerdings „schwer etwas sagen“ ließ. Nach einer zweiwöchigen Fortbildung habe er die gelernten Methoden angewandt und „seine Mitarbeiter in Rundtischgesprächen zu einer bisher in dieser Abteilung nicht gekannten Mitarbeit“ bewogen. Die Zahl der geeigneten Verbesserungsvorschläge sei gestiegen und die Rationalisierung habe beachtliche Fortschritte gemacht.213 Nicht die Sicherstellung der effizienten Arbeitsweise der Arbeiter/-innen war nunmehr die einzige Aufgabe der 211 Anonym: Die gute Idee, in: Werks-Rundschau der Klöckner-Humboldt-Deutz AG, Januar 1955, S. 22f. RWWA, Sign. 107-134.0. Ende der 1960er Jahre wurde dann den Einreichern besonders guter Vorschläge angeboten, ihr Foto in der Werks-Rundschau zu veröffentlichen, vgl. Vorschlagsfibel. Betriebliches Vorschlagswesen der KlöcknerHumboldt-Deutz AG, ca. 1967, S. 20. RWWA, 107-135.1. 212 Bonazzi: Geschichte, 2008, S. 24. Bonazzi sieht das Vorschlagswesen interessanterweise in der Tradition des „japanischen Modell[s]“, ebd. Dabei übersieht Bonazzi, dass das japanische Modell seinerseits stark von älteren amerikanischen und europäischen Vorbildern beeinflusst war, vgl. Kaufmann: Human Factor, 2008, S. 304; Elis: Amerika, 2009. 213 Karl Golücke, Belebung innerbetrieblichen rationellen Denkens, in: Werks-Rundschau 1953, Nr. 13, S. 6. RWWA, Sign. 107-134.0.



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Vorgesetzten. Daneben ging es verstärkt darum, Freiräume für die Mitarbeiter/innen zunächst zuzulassen und dann zu gestalten. 1967 wurde das betriebliche Vorschlagswesen bei KHD noch einmal in seiner Bedeutung gestärkt. In einer Betriebsvereinbarung zwischen Vorstand und Betriebsrat wurden für alle Werke verbindliche Richtlinien festgelegt, was zu einem starken Anstieg der eingegangen Vorschläge führte. Offensichtlich war vor der Vereinbarung die Bedeutung des Vorschlagswesens zwischenzeitlich stark zurückgegangen: Bereits die Zahl von 80 Vorschlägen vor Inkrafttreten der Vereinbarung im Jahr 1966/67 galt als beachtlich; im darauf folgenden Jahr vervielfachte sie sich auf 876. Im Unterschied zu den 1950er Jahren stand jetzt zumindest rhetorisch die Subjektivität der Arbeiter/-innen im Zentrum: Es ging um die „erhebliche Reserve“, die ihr „Ideenreichtum“ und ihr „Wille zur Mitarbeit“ darstellten. Es ging also um brachliegende individuelle Potentiale, „die wir in vollem Umfang nutzen wollen“ (selbstverständlich „zum Nutzen aller“), wie der zuständige Mitarbeiter des KHDVorschlagswesens ausführte. Das betriebliche Vorschlagswesen wurde somit weiterhin gleichermaßen als „Rationalisierungsmittel“ wie als „Führungsmittel“ betrachtet.214 Am Ende der 1970er Jahre konnten Vorschläge für die Arbeiter/-innen äußerst lukrativ sein: Als Höchstprämie wurden 20.000 DM ausgelobt.215 Neben diesen Neuerungen bzw. Schwerpunktverschiebungen stechen auch Kontinuitäten ins Auge. So führte die betriebliche Vorschlagsfibel aus, dass ein „typischer Verbesserungsvorschlag“ unter anderem darauf ziele, die „Sicherheit und Ordnung und die Sauberkeit in den Betrieben und Büros“ zu fördern.216 Dieses Dreiklang-Motto hatte Stein ebenfalls aus der Frigidaire-Broschüre You and your work übernommen, wo es den ersten Grundsatz ausmachte: „Das Wichtigste ist: Sauberkeit, Ordnung, Sicherheit!“217 Das gleiche wurde in den dreißiger Jahren auch bei Humboldt-Deutz als „erster und wichtigster betrieblicher Grundsatz“ den Beschäftigten „immer wieder eingeprägt“. Arbeiter, deren Befolgung dieses Prinzips der Werksleitung gefiel, wurden mit einem „blauen Arbeitsanzug prämiert“, an ihrem Arbeitsplatz wurde eine „Ehrenfahne mit der Inschrift ‚SOS‘“ aufgestellt.218 214 Rundschreiben an die Führungskräfte von Herrn Himmelreich (KHD-Vorschlagswesen): Das betriebliche Vorschlagswesen: ein Führungs- und Rationalisierungsmittel, ca. 1968, Bl. 1-3. RWWA, Sign. 107-135.1. 215 Vgl. Mitteilungen des Betriebsrates der Klöckner-Humboldt-Deutz AG Köln Nr. 6, 23. 5.1977, Bl. 1. RWWA 107-135.1. 216 Vorschlagsfibel. Betriebliches Vorschlagswesen der Klöckner-Humboldt-Deutz AG, ca. 1967. RWWA, Sign. 107-135.1, Bl. 8f. 217 Bericht des Herrn Direktor Stein über seine Amerika-Reise vom 23. März bis 22. Mai 1929, erstellt am 13.06.1929. RWWA, Sign. 107-III/6A, Bl. 6. 218 Helmut Stein: Denkschrift über die Entwicklung und den Ausbau der HumboldtDeutzmotoren A.-G. von 1929 bis 1937, Dezember 1937, Bl. 24f. RWWA 107-VII/9.

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Gegenüber der DAF machte das Ulmer KHD-Werk beim „Leistungskampf der deutschen Betriebe“ unter anderem mit der Selbstanpreisung dieses Mottos Werbung in eigener Sache – ohne auf den amerikanischen Ursprung einzugehen: Sofort würden einem Besucher der Fabrik „große auffällige Plakate“ mit der schwarz auf gelbem Grund gehaltenen Aufschrift „SOS“ auffallen. Die Omnipräsenz sollte die Belegschaft permanent an die Bedeutung des Grundsatzes erinnern.219 Das Amt „Schönheit der Arbeit“ der DAF wiederum übernahm das Motto und schlug es 1943 den Betrieben als Text für Hinweisschilder vor: „S.O.S.: Sicherheit – Ordnung – Sauberkeit!“220 Ironischerweise trug die DAF damit – vermutlich unwissentlich – deskriptiv betrachtet zur Amerikanisierung deutscher Betriebe bei. 35 Jahre später wiederum wurde bei Maßnahmen zum Ausbau des Vorschlagswesens bei KHD, die im Kontext der „Humanisierung der Arbeit“ standen, vermutlich ebenso unwissend auf ein Motto zurückgegriffen, das zum einen für die NS-Zeit, zum anderen aber auch für die Amerikanisierung der Weimarer Republik stand. Die Humanisierung der Arbeit in der Nachkriegszeit stellt also keineswegs einen Bruch zur vorausgegangen Rationalisierung dar. Die Kontinuitätslinien verweisen aber mehrdeutig auf verschiedene Aneignungen: Zunächst die Aneignung des amerikanischen Vorbilds durch Humboldt-Deutz, dann diejenige durch das Amt Schönheit der Arbeit im Zuge der Rüstungsproduktion im Krieg und schließlich die erneute Aneignung des firmenintern tradierten Mottos im Zuge einer „Humanisierung der Arbeit“. Während es vor 1945 um eine Internalisierung der Disziplin gegangen war, wurde später unter dem gleichen Schlagwort „SOS“ der Versuch unternommen, die Subjektivität der Arbeiter/-innen zu aktivieren. Diese sollten nun, über die Verinnerlichung der Disziplinarbestimmungen hinausgehend, selbst Vorschläge machen, wie Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit weiter gefördert werden könnten. Die Humanisierung der Arbeit in der Nachkriegszeit zeigte sich in diesem Kontext als eine Fortentwicklung von personalpolitischen Maßnahmen, die im Zuge der Rationalisierung der zwanziger und dreißiger Jahre erprobt worden waren.221 KHD schickte auch in der Nachkriegszeit das leitende Personal zu Studienreisen in die USA. Während in den 1920er Jahren die Fließbandproduktion und neue Me219 Bericht der Betriebsgemeinschaft der Klöckner-Humboldt-Deutz AG Werk Ulm zum Leistungskampf der deutschen Betriebe 1940-41. RWWA, Sign. 107-VII/13A, Bl. 37. 220 Vorschlagsliste des Amtes Schönheit der Arbeit: 146 Texte für Hinweisschilder, eingegangen bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei am 21.4.1943. BWA, Sign. F71-506. 221 Auch in anderen Betrieben wurde in der Nachkriegszeit auf das Schlagwort „SOS: Sauberkeit + Ordnung = Sicherheit“ zurückgegriffen. Weber zeigt in seiner Abhandlung zur Geschichte der Arbeitssicherheit die Abbildung eines solchen Hinweisschildes in der Lehrlingswerkstatt der Zeche Hibernia von 1955, geht aber nicht auf die Vorgeschichte des Mottos ein, vgl. Weber: Arbeitssicherheit, 1988, S. 187, Abb. 76.



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thoden des Personalmanagements begeistert aufgenommen worden waren, spiegeln Berichte zweier KHD-Reisen aus dem Jahr 1968, dass die amerikanische Industrie zwischenzeitlich ihre uneingeschränkte Vorreiterrolle verlor. Vorbildlich wirkten allerdings die amerikanischen Fortschritte hinsichtlich der Automatisierung der Technik: Die im Schlepperbau besichtigte „Fertigungssteuerung mittels Elektronik“ regte die Kölner Delegation dazu an, in ihrem Reisebericht vor allem verstärkte „Anstrengungen zum Aufbau einer funktionsfähigen elektronischen Datenverarbeitung“ dringend zu empfehlen. In der Fertigungstechnik und in der maschinellen Ausstattung sei hingegen keine „Überlegenheit der amerikanischen Konkurrenten“ zu erkennen.222 Auch die andere Reisegruppe, die drei Monate zuvor die Herstellung von Baumaschinen und Motoren in amerikanischen Fabriken besichtigt hatte, stellte in Abrede, dass eine „technische Lücke zu Europa“ per se bestehe. Die Grundlage des amerikanischen Vorsprungs sei vielmehr in der „Überlegenheit“ des „amerikanische[n] Management[s] mit seinen Arbeitsmethoden“ zu sehen. Die USFirmen seien besser in Organisation und Planung, blieben aber gleichzeitig „flexibel und aktiv“ in ihrer Struktur. Ein entscheidender Vorteil wurde in einer neuen Technik des Projektmanagements, der „Netzplantechnik“, gesehen.223 Die eigentliche Fertigung hingegen wurde nicht mehr als vorbildlich beschrieben. Der Bericht über die Bandproduktion bei Ford in Dearborn schätzte die Arbeitsbedingungen als so schlecht ein, dass sie nicht in deutsche Betriebe übertragen werden könnten. Es sei zu laut, zu eng und zu heiß gewesen. Die starke Zerlegung der Arbeitsschritte wurde hingegen auf eine Art kritisiert, die schon für die Rationalisierungskritiker und Amerikaskeptiker der zwanziger Jahre charakteristisch war: Die Reduzierung auf „wenige Handgriffe“ bringe eine Monotonie mit sich, die zusammen mit den übrigen Arbeitsbedingungen dazu führen würde, dass diese Arbeit „in deutschen Werken nicht akzeptiert werden“ würde. Bei Ford würde es nur funktionieren, weil die Arbeiter am Band „zum größten Teil Farbige“ seien.224 Hier schien implizit – offensichtlich konnte davon ausgegangen werden, dass alle Leser im Management das auch ohne Erläuterungen verstünden, – der Kern der Gegenüberstellung von Facharbeit und Bandarbeit durch. Wie bereits in Kapitel 3 ausgeführt wurde, bestand in der damaligen Vorstellung das Gegenstück des männlichen deutschen Facharbeiters in der unqualifizierten Bandarbeiterin, die vermeint222 Bericht über die Reise der Studiengruppe Schlepper- und Landtechnik nach den USA vom 9.9. bis 3.10.1968, eingegangen am 21.11.1968, Bl. 3/4, 3/9f. RWWA, Sign. 107382.2. 223 Gorsitza (Assistent der Geschäftsführung Deutz): Reisebericht USA, 14.6.-28.6.1968, verfasst am 8.7.1968, Bl. 5. RWWA, Sign. 107-382.3. 224 Jannes (Klöckner & Co., Abt. Baumaschinen): Reisebericht. Studienreise nach USA vom 14.6.-28.6.1968. Allgemeiner Situationsbericht, 14.7.1968, Bl. 10. RWWA, 107382.3.

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lich Monotonie besser ertragen konnte bzw. der zumindest monotone Tätigkeiten eher zugemutet werden konnten: Proteste oder gar Streiks standen von Arbeiterinnen weniger zu befürchten als von den häufig gewerkschaftlich organisierten männlichen Facharbeitern. In den rassistischen Visionen der Nationalsozialisten zeigte sich zudem eine Nähe von Rassismus und Sexismus: Die unqualifizierte Bandarbeit sollte allein von Frauen und ausländischen Zwangsarbeitern verrichtet werden, damit gleichzeitig die Qualitätsarbeit das Revier des deutschen Facharbeiters bleiben konnte.225 Diese tradierte Denkweise lag offensichtlich auch dem Reisebericht von 1968 zugrunde; inwieweit sich dieses Denken auch im Umgang mit den „Gastarbeiter/-innen“ der Nachkriegszeit zeigte, wird in Kapitel 6 anzusprechen sein. Wie wurde überhaupt die Rationalisierungsdebatte in der Nachkriegszeit bei KHD fortgeführt? Welche Überschneidungen bzw. Widersprüche gab es zwischen Rationalisierungsbestrebungen und dem Ansatz der human relations, der in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre stark rezipiert wurde?226 Zunächst zeigt sich, dass spezifische betriebliche Probleme zu spezifischen Lösungen führen konnten, auch ohne sich an größere theoretische Debatten anzuschließen. Obwohl die Einrichtung der Selbstkontrolle mit dem Ausscheiden Steins aus dem Unternehmen weggefallen war, wurde auf die Basis des Ansatzes erneut zurückgegriffen, wenngleich ohne ideologische Einordnung und propagandistische Ausschlachtung. Der Jahresbericht von 1946/47 hielt fest, dass das Prüfwesen nicht zu befriedigenden Ergebnissen führte. Die Abteilung für Fertigungsprüfung konnte nur „geringe Einflussnahme“ auf die Arbeitsausführung nehmen, was „zahlreiche Beanstandungen“ nach sich zog. Die Lösung war differenzierter als diejenige, die Stein vorgenommen hatte, aber auch in diesem Fall übernahm die Fertigung die „notwendigen Zwischenprüfungen durch ihre Einrichter, Vorarbeiter und Meister selbst“. Die Fertigung war also erneut „für die Güte ihrer Arbeit allein verantwortlich“ und übte „ihren ganzen Einfluss auf Arbeitsfortschritt und Arbeitsausführung selbstständig aus.“227 Im Unterschied zu Steins Ansatz der Selbstkontrolle wurde hier die traditionelle Hierarchie zwischen Arbeitern, Vorarbeitern und Meistern stärker beibehalten und in den Prozess der Prüfung integriert. Die schematische Trennung von Produktion und Kontrolle wurde allerdings als ineffektiv bewertet und aufgeweicht. KHD-Vorstandsmitglied Anton Steeger bezog sich in einigen Fachaufsätzen noch Mitte der 1950er Jahre explizit auf Taylor und trat mit Nachdruck für die Umsetzung des Gedankens der Fließarbeit ein. Wie dargelegt hatte bereits Direktor 225 Vgl. Hachtmann: Industriearbeit, 1989, S. 84. 226 Kleinschmidt: Blick, 2002, S. 177f.; ähnlich Hilger: Amerikanisierung, 2004, S. 25. Hilger und Kleinschmidt weisen zurecht darauf hin, dass diese vermeintlich neuen Formen des Personalmanagements durchaus an Ideen der Zwischenkriegszeit anschließen konnten. 227 KHD-Jahresbericht 1946/47, Bl. 12ff. RWWA, Sign. 107-129.1.3



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Wolfensberger zu Beginn des Jahrhunderts dafür gesorgt, dass die Produktion bei Deutz unter Berücksichtigung der Transportwege eingerichtet worden war, was von seinen Nachfolgern weiterentwickelt wurde. Steeger stellte nun fest, dass auch Jahrzehnte später in Deutschland immer noch die Praxis weit verbreitet war, „eine Fertigung organisch nach Fachabteilungen einzurichten“. Weil das amerikanische Vorbild aufgrund der in Deutschland geringeren Stückzahlen nicht eins zu eins nachgeahmt werden konnte, wurde für die Umstellung auf Fließfertigung „mit normalen Maschinen“ ein „überragendes Können“ vom Betriebsingenieur verlangt. Da Rationalisieren „keine Wissenschaft“ sei, müsse der Austausch praktischer Erfahrungen intensiviert werden.228 Auch der zentrale tayloristische Gedanke einer Trennung von Arbeitsvorbereitung und Arbeitsausführung sei in vielen deutschen Großbetrieben noch nicht umgesetzt worden, wie eine RKW-Untersuchung gezeigt habe.229 Die bisher wiedergegebene Entwicklung bei KHD und den Unternehmensvorgängern darf also keinesfalls für die gesamte deutsche Industrie unterstellt werden. Vielmehr gehörte KHD zu den besonders rationalisierungsfreundlichen Betrieben. Steeger verband, ähnlich wie Schultz-Balluff es bereits für die Fließbandproduktion getan hatte, mit der Einführung der Automatisierung die Hoffnung, dass sie eine „Aufwertung der Arbeitskraft“ bewirken würde. Letztlich würde die Automatisierung nicht zu einer Dequalifikation führen, sondern den Menschen „Schritt für Schritt die monotonen und geistlosen Verrichtungen abnehmen“.230 Über solche Sonntagsreden hinausgehend lassen sich aber auch Praktiken finden, die darauf hindeuten, dass bei KHD Rationalisierung und human relations zusammengedacht wurden. So betonte Steeger, dass der „reibungslose Ablauf einer Fließfertigung von der guten Zusammenarbeit aller wesentlich“ abhinge. Zur Förderung der Zusammenarbeit wurden „Arbeitsteams“ gebildet, bei denen die „menschliche Betreuung“ besonders berücksichtigt worden sei. Bei der Entlohnung galt weiterhin das Prinzip, das bereits Stein vertreten hatte, dass Differenzierungen je nach Schwierigkeit der Arbeit „selbstverständlich“ vorgenommen werden müssten.231 Gleichzeitig flossen bei KHD weiterhin die alten Themen Schönheit der Arbeit und Arbeitsfreude in die Betriebsgestaltung ein. Steeger versprach sich eine „Erhöhung der Arbeitsfreude“ davon, dass die Maschinen „nach farbdynamischen Richtlinien“ gespritzt wurden: im Grundkörper grün, die bewegten Teile elfenbeinfarbig und Teile, die „Gefahrenpunkte darstellen“ rot. Das so entstandene „bunte[] Bild“ wurde durch Färbungen von Rohren und Krananlagen und neue Arbeitskleidung für die Belegschaft vervollständigt. Damit wurde das „eintönige Grau der Maschinen“ 228 Steeger: Fließfertigung, 1953, S. 196f. 229 Vgl. Steeger: Betrachtungen, 1956. 230 Steeger: Automatisierung, 1956, S. 3, 9. 231 Steeger: Fließfertigung, 1953, S. 198.

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verdrängt; an die Stelle eines „grauen Alltags“ sollte somit symbolisch eine „frische[], der Natur abgelauschte[] Buntheit“ treten. Die Hoffnungen, die mit diesen Maßnahmen verbunden waren, glichen denen der Vorkriegszeit: Ohne finanzielle Aufwendungen sollte „viel Freude“ entstehen, Steeger versprach sich, dass die umgespritzten Maschinen „liebevoll und sorgsam“ gepflegt werden würden, was wiederum Geld einsparen sollte.232 Wie schon angesprochen ging mit solchen Maßnahmen ein neues Bild von der Rolle der Vorgesetzten einher, die in Ansätzen ebenfalls bereits in der Vorkriegszeit diskutiert und praktiziert worden war. 1950 wurde in der Werks-Rundschau klargestellt, dass der Vorgesetzte keinen „Kasernenton“ anschlagen dürfe. Während diese Forderung auch von Stein vertreten worden war, ging es aber zudem darum, an die Stelle der vor 1945 verlangen „Führereigenschaften“ nunmehr Empathie und Toleranz, also: „menschliche Qualitäten“, treten zu lassen. Es wurde nun von den Vorgesetzten verlangt, sich in die Situation der Arbeiter/-innen hineinzudenken.233 Ein paar Jahre später wurde ebenfalls in der Werkszeitschrift festgehalten, dass es „nicht nur“ um die Herstellung von Gehorsam ginge, sondern auch darum, an die „Einsicht“ der Arbeiter/-innen zu „appellieren“. Explizit wurde auf die human relations Bezug genommen; Ziel müsse sein, auf „Persönlichkeit“ und „Individualität“ der Beschäftigten einzugehen sowie ihre „Mitarbeit“ ernst zu nehmen.234 Diese Mitarbeit wurde in einem anderen Artikel der Werkszeitschrift offen als Methode bezeichnet, den möglichen „Widerstand“ der Arbeiter/-innen gegen etwaige Neuerungen leichter zu überwinden: Folglich sei es ratsam, den Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, sich auf Exkursionen und Fortbildungen über innovative Betriebsmethoden zu informieren, damit diese dann ohne Widerstand im eigenen Betrieb eingeführt werden könnten.235 Auch in den Arbeitsordnungen von 1954 und 1961 wurde das Verhältnis von Arbeitern und Arbeiterinnen zu Vorgesetzten deutlich anders definiert als dies noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Regel der Fall gewesen war: Es wurde kein Gehorsam gefordert, sondern explizit eingeräumt, dass der Vorgesetzte „sachliche Kritik“ an seinen Maßnahmen und Anweisungen akzeptieren müsse. Auch das Recht, sich über Vorgesetzte bei Personalverwaltung oder Betriebsrat zu beschweren, wurde verbrieft.236 232 Ebd., S. 198f. 233 Fritz Schneider: Der Mensch im Betrieb, in: Werks-Rundschau der KlöcknerHumboldt-Deutz AG Ulm, Oktober 1950, S. 18. RWWA, Sign. 107-038. 234 Broecker: Der Vorgesetzte, in: Werks-Rundschau der Klöckner-Humboldt-Deutz AG, 1957, Nr. 25, S. 13. RWWA, Sign. 107-134.0. 235 Karl Golücke: Belebung innerbetrieblichen rationellen Denkens, in: Werks-Rundschau 1953, Nr. 13, S. 5. RWWA, Sign. 107-134.0. 236 Arbeitsordnung der Klöckner-Humboldt-Deutz AG, 23.6.1961, S. 10. RWWA, 107131.1.



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Darüber hinaus bekam die betriebliche Sozialpolitik eine neue Stoßrichtung: Während direkt nach dem Krieg „möglichst viele kleine Werkswohnungen“ geschaffen worden waren, wurde 1957 eine Wende in der Sozialpolitik verkündet. Die Arbeiter/-innen wurden nicht mehr als „Wohlfahrtsempfänger“ angesehen; sie sollten nicht mehr Mieter in Werkswohnungen sein, sondern Arbeitgeberdarlehen erhalten, um sich Wohneigentum zu schaffen. Mit dem Einsatz der gleichen finanziellen Mittel sei so ein „weit höhere[r] Quantitäts- und Qualitätseffekt“ erzielt worden, da es gelungen sei, die „Eigeninitiative“ der Arbeiter/-innen zu fördern. Die betriebliche Sozialpolitik zielte nun auf die Subjektivität der Arbeiter/-innen. Die Vorstellung einer „echte[n] Sozialleistung“ bestand darin, den Arbeitenden „Hilfestellung und Anreiz zu geben zur Leistung aus eigener Kraft“. Damit sollte der „Selbstbehauptungswille[] unserer Mitarbeiter“ gestärkt werden, um eine sonst häufig anzutreffende Apathie zu bekämpfen. Es war eine neue Methode gefunden worden, um dem alten Ziel nachzugehen, das Kollektivbewusstsein der Arbeiter/-innen zu zerschlagen, oder – in den Worten des KHD-Managers Ingendaay – die Arbeiter/innen „aus dem Sog des Kollektivs“ zu retten. Es solle also der Rahmen dafür geschaffen werden, dass die Beschäftigten „zur eigenständigen Persönlichkeit gebildet“ werden würden.237 Ähnliche Zielsetzungen lassen sich für die staatliche Sozialpolitik im Neoliberalismus feststellen, wobei die Betriebe offensichtlich den Paradigmenwechsel von der Wohlfahrtspolitik zu aktivierenden ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ vorangetrieben haben.238

D ISZIPLINIERUNG

UND

S ELBSTMANAGEMENT

Es soll noch einmal festgehalten werden, dass mit dem Aufkommen und Erstarken dieser neuen Machtformen im Betrieb keinesfalls die Disziplinierung aus den Fabriken verschwand. Foucaults These, die Regierung sei der zentrale Machttyp der Moderne, gleichzeitig bestünde aber die Disziplinarmacht fort,239 lässt sich am Beispiel KHD nachvollziehen. So verlangte auch die Arbeitsordnung von 1980 – wie in der Regel Arbeitsordnungen bis heute –, dass sich die Arbeiter/-innen bei dem bzw. der Vorgesetzten abmeldeten, wenn sie ihren „Arbeitsplatz verlassen müssen“.

237 F. Ingendaay: Sozialleistungen oder Soziallasten?, in: Kölnische Rundschau, 6.9.1957, Nr. 207, S. 11. 238 Vgl. Fach: Staatskörperkultur, 2000, S. 110-130. 239 Vgl. Foucault: Sicherheit, 2006, S. 161 (Vorlesung vom 1.2.1978). Gleichzeitig gab Foucault die Gegenwartsanalyse einer „Disziplinargesellschaft in der Krise“; für die Zukunft erschien ihm die „Entwicklung einer Gesellschaft ohne Disziplin“ denkbar. Foucault: Disziplinargesellschaft, 2005, S. 672f.

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Gleichfalls hielt die Arbeitsordnung wie ihre Vorgängerinnen seit dem 19. Jahrhundert fest, dass Kontrolle durch den Werksschutz an Körper, Kleidung, Spind, Schreibtisch und Werkzeugkasten zugelassen werden müssten. Neu war vielmehr der feinfühlig formulierte Zusatz, man möge solche Maßnahmen nicht als gegen sich „persönlich gerichtet“ missverstehen.240 Die Maßgabe, die Vorgesetzten mögen sich in die Arbeiter/-innen hineinversetzen, wurde also zumindest in der Formulierung berücksichtigt, wobei die gesetzlich vorgeschriebene Mitarbeit des Betriebsrates an der Arbeitsordnung durchaus hilfreich gewesen sein wird. Auch in der Praxis wurde von der Disziplinarordnung Gebrauch gemacht: Eine Broschüre der linken Betriebsratsopposition beschwerte sich 1978 darüber, dass die „letzte ‚rote Betriebsrätin‘“ aufgrund eines nicht angemeldeten Verlassens des eigenen Arbeitsplatzes zwecks eines „Besuch[s] in der Nachbarhalle“ entlassen wurde. Darin sahen die Verfasser der Broschüre einen gegen eine unerwünschte Person gerichteten Willkürakt, weil es ein übliches Verhalten wäre, „Verwandte oder Bekannte“ auf „eine Zigarette oder Cola“ in einer anderen Halle zu besuchen. Die Personalabteilung hätte die willkommene Gelegenheit genutzt und der Querulantin gekündigt. Der Betriebsrat wiederum habe zugestimmt und sei auf diese Weise eine störende Kritikerin aus den eigenen Reihen losgeworden.241 Die Disziplinarordnung ließ also durchaus einen differenzierten Einsatz zu. Zum einen verschwand die Disziplinarmacht nicht im Laufe des 20. Jahrhunderts, zum anderen tauchten auch nicht erst ab den fünfziger Jahren neue Formen des Personalmanagements auf, die sich als Subjektivierung, Regierung oder konkret als Herstellung von Arbeitskraftunternehmern beschreiben lassen. Wie dieses Kapitel gezeigt hat, gingen bei Deutz bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Rationalisierungsbestrebungen mit einem verstärkten Interesse am Faktor Mensch einher. Seinen Ausdruck fand dieses Interesse jeweils zeitgenössisch in den Schlagwörtern Schönheit der Arbeit, Selbstverantwortung, human relations oder Humanisierung der Arbeit. Analytisch betrachtet eint sie eines: Der arbeitende Mensch wurde zunehmend als Humankapital betrachtet. Es gab ein langfristiges Interesse an den arbeitenden Individuen und dem Ausbau ihrer Fähigkeiten. Folglich ging es unter der Voraussetzung, dass die Einhaltung der dienstlichen Vorschriften ohnehin durch Disziplin und Kontrolle zu gewährleisten ist, verstärkt darum, die Arbeiter/-innen zur freiwilligen Mehrarbeit bzw. zur freiwilligen Sorge um die Qualität ihrer Arbeit zu bewegen. Das konnte auf verschiedenen Wegen erreicht werden: Die Arbeitsräume mussten ansprechend und zweckgemäß gestaltet sein, die Vorgesetzten mussten nicht nur überwachen, sondern auch fördern, motivieren und Eigeninitiative zulassen, und das Lohnsystem musste Differenzierungen zwischen den Beschäftigten vornehmen und Leistung lukrativ erscheinen lassen. In allen Phasen der Un240 Arbeitsordnung KHD, 1. Juli 1980, Kap. 2.4., 8.1.3. RWWA, Sign. 107-131.1. 241 Hülsberg (Hg.): Keiner Hilft Dir, 1978, S. 30.



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ternehmensgeschichte während des 20. Jahrhunderts entschieden sich die Manager für ein Vorgehen, das ideelle mit materiellen Momenten sowie Disziplin und Kontrolle mit Subjektivierungsstrategien verknüpfte: Die Arbeiter/-innen konnten nur dann zu nützlichen Individuen werden, wenn sie zuvor diszipliniert worden waren und gleichzeitig kontrolliert wurden. Über die Entwicklung bei KHD hinausgehend lassen sich Ansätze für unerwartet frühe Formen der Übertragung der Verantwortung auf Arbeiter finden. So hat der amerikanische Soziologe Michael Burawoy zwar aufgrund seiner Feldstudie als Arbeiter in der Motoren-Abteilung der amerikanischen Allied Company in den 1970er Jahren die These aufgestellt, erst in der Nachkriegszeit habe ein fundamentaler Wandel im Arbeitsprozess eingesetzt: Externe Kontrollen seien zurück gegangen, hingegen seien die Arbeiter zunehmend für die Kontrolle ihrer Arbeitsleistung selbst verantwortlich geworden.242 Etwas versteckt findet sich in einer Anmerkung Burawoys jedoch eine Relativierung dieser These. Es habe sich nämlich um einen graduellen Wandel gehandelt, bereits 1944/45 hätten die Arbeiter einen Teil der Arbeitskontrolle selbst erledigt.243 Somit lässt sich auch für die USA eine Geschichte des Selbstmanagements der Arbeiter vermuten, die bereits mit der Rationalisierungsbewegung vor 1945 verknüpft war und keinesfalls im Gegensatz zu den Zielen einer tayloristischen und fordistischen Rationalisierung stand. Die vorgebrachten Ergebnisse werfen die Frage auf, ob es sinnvoll ist, von neuen Arbeitsidentitäten im Postfordismus zu sprechen. Es zeigt sich zwar eine Entwicklung, in der die selbstverantwortliche Tätigkeit zunehmend von Arbeitern und Arbeiterinnen erwartet wurde. Die Problematisierung dieses Sachverhalts lässt sich aber seit der ersten Beschäftigung mit dem Taylorismus bei Deutz nachweisen. In diesem Sinne wohnte also bereits den taylorisierten Arbeitern im Fordismus der Arbeitskraftunternehmer inne: Es ging schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht allein um eine effiziente Zerlegung des Arbeitsprozesses und um eine Trennung von Planung und Ausführung. Der Frage, wie der Faktor Mensch effektiv in diesen Prozess eingebunden werden konnte, wurde parallel intensiv nachgegangen: Auf verschiedenen Wegen wurde erprobt, wie der Arbeiter zum Mitarbeiter werden konnte.



242 Vgl. Burawoy: Manufacturing Consent, 1979, S. 56. 243 Vgl. ebd., S. 226, Anm. 10.



5. Menschenführung durch Soziale Betriebsarbeit? Betriebliche Sozialpolitik und Personalmanagement bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei

Es war nicht leicht, eine geeignete Fachkraft zu finden. In Deutschland herrschte Vollbeschäftigung im Zeichen der nationalsozialistischen Aufrüstung. Besonders schwierig gestaltete sich für die Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS) die Suche nach einer Expertin für das Personalwesen. Die neue Stelle einer „Sozialen Betriebsarbeiterin“ sollte im Frühjahr 1939 besetzt werden. Der technische Direktor Hugo Weißbach, gleichzeitig Vorstandsmitglied der AKS, hatte sogar bei einer Fachfrau aus Leipzig um Hilfe ersucht. Aber auch diese Frau, als Werkspflegerin bei der Leipziger Wollkämmerei beschäftigt, hatte von „sämtlichen Berufskolleginnen“, die sie für diese Stelle ins Auge gefasst hatte, ausschließlich Absagen bekommen. Letztlich empfahl sie die Einstellung einer jungen Frau ohne längere Berufserfahrung, die die gleiche Ausbildung genossen hatte wie sie selbst; beide hatten nämlich die Westfälische Frauenschule für Volkspflege in Münster besucht. Die Direktorin der Schule legte eine Beschäftigung dieser unverheirateten jungen Frau, Edith Bomke, insbesondere deshalb nahe, weil diese als „Tochter eines Fabrikanten mit sozialen Verhältnissen innerhalb der Arbeiterschaft gut vertraut sei“.1 1934 war die Westfälische Wohlfahrtsschule wie alle Sozialen Frauenschulen der Weimarer Republik nach nationalsozialistischem Terminus zwangsweise umbenannt worden und trug danach die Volkspflege im Namen. Die katholische Trägerschaft der Schule blieb allerdings unangetastet;2 überhaupt kamen die nationalsozialistischen Pläne einer Neuregelung der Ausbildung von Sozialarbeiterinnen nicht über Entwürfe hinaus. Die für Münster geltende preußische Regelung ergänz1

Schreiben der Werkspflegerin der Leipziger Wollkämmerei an Direktor Weißbach,

2

Berger: Anna Zilken, 2003, Sp. 1594.

Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 9.2.1939. BWA, Sign. F 71-573, o. P.





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te lediglich die alte Prüfungsordnung um ideologische und vor allem rassehygienische Elemente.3 Letztlich waren die Sozialen Frauenschulen und ihre Absolventinnen den Nationalsozialisten „derart suspekt“, dass in der Regel Frauen ohne sozialpädagogische Ausbildung für die DAF-Ausbildung zur Sozialen Betriebsarbeiterin bevorzugt wurden.4 Am 1. Mai 1939 trat Edith Bomke ihre neue Stellung bei der AKS an. Einige Wochen später, nachdem sie zunächst in verschiedenen Abteilungen des Betriebes praktisch gearbeitet hatte, um sowohl die Tätigkeiten als auch die Arbeiterinnen kennenzulernen, hielt sie ihre Aufgaben als Soziale Betriebsarbeiterin in einer Aktennotiz fest: Sie sollte bei der „Fürsorge, Führung und Erziehung“ der Belegschaft mitwirken und vor allem als „Mittlerin zwischen Betriebsführung und Gefolgschaft“ fungieren. Ihre Fürsorgetätigkeit sollte in erster Linie den Arbeiterinnen gelten und gleichzeitig wirtschaftliche und gesundheitliche Betreuung sowohl innerhalb als auch außerhalb des Betriebes umfassen, wobei auch die Angehörigen zu betreuen waren. Besonderes Gewicht sollte der Unterstützung schwangerer Arbeiterinnen zukommen. Weiterhin sollte Bomke den Betriebsärzten bei der „gesundheitlichen Überwachung der Gefolgschaftsmitglieder“ zur Seite stehen. Dabei kam ihr die Aufgabe zu, individuelle Arbeitserleichterungen und Erholungsmaßnahmen einzuleiten. Für die Aufsicht über die sanitären Anlagen und die Kantine war sie ebenfalls zuständig.5 Diese Auflistung war wenig spezifisch: Sie übernahm das Konzept der DAF von der Sozialen Betriebsarbeit, das wiederum auf dem in der Weimarer Republik entstandenen, damals aber nicht sonderlich weit verbreiteten Bielefelder Modell aufbaute. In Erweiterung des herkömmlichen Konzepts der Fabrikpflege oder Werksfürsorge sollten die Sozialen Betriebsarbeiterinnen nicht nur als Familienfürsorgerinnen mit Betreuungsaufgaben eingesetzt werden, sondern stärker arbeitspädagogische Aufgaben übernehmen. Ziel sollte es sein, die Selbstmotivation und Eigeninitiative der Arbeiterinnen zu stärken.6 In dieser Aufgabenerweiterung in Richtung eines modernen Personalmanagements lassen sich Parallelen zur im vorangegangen Kapitel besprochenen Deutz’schen Einrichtung der Selbstkontrolle und Selbstkalkulation sehen, die ebenfalls in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre entstanden ist: Es sollte eine Position geschaffen werden, die mit der Tätigkeit der Arbeiter/-innen vertraut war und von der man sich folglich versprach, dass sie als 3

Vgl. Sachße/Tennstedt: Wohlfahrtsstaat, 1992, S. 194f. Vereinzelt waren rassenhygienische Ansätze jedoch bereits während der Weimarer Republik in einzelnen Wohlfahrtsschulen vertreten, vgl. Zeller: Sozialen Frauenschulen“, 1993, S. 133.

4

Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 229.

5

Aktennotiz der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke vom 10.07.1939. Aufgaben der

6

Vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 227.

Sozialen Betriebsarbeiterin. BWA, Sign. F 71-573, o. P.



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Mittlerin und nicht als Agentin der Unternehmensleitung verstanden werde. Bei allen noch zu erörternden Unterschieden zwischen den beiden Betrieben lässt sich doch eine gemeinsame Entwicklung im Personalmanagement feststellen: Die Disziplinierung der Beschäftigten wurde zunehmend durch Versuche der gezielten Nutzbarmachung subjektiver Potentiale der Arbeiter/-innen ergänzt oder sogar partiell von diesen ersetzt. Die Historikerin Carola Sachse hat zurecht festgehalten, dass die Konzeption der Betrieblichen Sozialarbeit sich nicht in Opposition zu den arbeitswissenschaftlich fundierten Rationalisierungsmaßnahmen betrachte. Vielmehr wurde die Betriebliche Sozialarbeit selbst als ein wichtiges ergänzendes Element der Rationalisierung begriffen. Es ging auch bei dieser Maßnahme um einen Ansatz, die nicht hinreichenden Formen äußerer Autorität am Arbeitsplatz durch einen neuen Führungsstil zu erweitern.7 Sachse ist allerdings davon ausgegangen, dass es sich trotz des neuen Stils in erster Linie um ein „Konzept der Disziplinierung“ gehandelt habe.8 Im Folgenden werde ich diese These in Frage stellen und untersuchen, inwieweit das Konzept über die reine Disziplinierung hinausging und wie die betriebliche Praxis bei der AKS sich zu diesem Konzept verhielt. Inwieweit die Einrichtung der Sozialen Betriebsarbeiterin während des Nationalsozialismus im allgemeinen und bei der AKS im Besonderen über die hergebrachte Form der Werksfürsorge hinausging, wird noch zu diskutieren sein. Ausgangspunkt der weiteren Erörterungen soll sein, ob sich bei der AKS als einem Industriebetrieb, in dem die weibliche Belegschaft im 20. Jahrhundert die Mehrheit ausmachte,9 Unterschiede in der Unternehmenspolitik hinsichtlich betrieblicher Sozialmaßnahmen und Personalführung im Vergleich zu KHD als einem ‚Männerbetrieb‘ feststellen lassen. Dabei werden zum einen Einrichtungen in den Blick genommen, die allein auf Arbeiterinnen zielten, zum anderen interne Diskussionen aufgegriffen, die explizit auf das Geschlecht der Belegschaft abhoben und damit einen speziellen Führungsstil verknüpften.10

7

Vgl. ebd., S. 225f.

8

Ebd., S. 235.

9

Der Sozialhistoriker Hetzer gibt für 1933 einen Frauenanteil von 58 Prozent bei den Beschäftigten der AKS an, vgl. Hetzer: Industriestadt, 1981, S. 15. Im Jahr 1908 machten die Arbeiterinnen in der gesamten Augsburger Textilbranche einen Anteil von 57 Prozent aus, vgl. Plößl: Augsburg, 1985, S. 47.

10 Cannings Studie zu Arbeiterinnen in der deutschen Textilbranche vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg zeigt ebenfalls die Wirkung auf, die von der Problematisierung der Frauenarbeit auf die Herausbildung einer neuen Ordnung der Fabrik ausging. Die spezifische Formen der Sanktionierung, der Schutzbestimmungen und der paternalistischen Wohlfahrtseinrichtungen seien nur im Kontext des Diskurses um die Frauenarbeit zu verstehen, vgl. Canning: Languages, 1996, S. 283f., 297.

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Die Soziale Betriebsarbeit soll – trotz der Kurzlebigkeit dieser Einrichtung – als ein Element einer größeren Entwicklung verstanden werden, die keinesfalls vom Nationalsozialismus hervorgebracht worden war und sich auch nicht auf ihre spezielle Spielart im Nationalsozialismus reduzieren lässt. In diesem Sinne soll die Geschichte der betrieblichen Sozialpolitik bei AKS vom späten 19. Jahrhundert bis in die Bundesrepublik als eine Geschichte der Entwicklung eines Modells des Personalmanagements begriffen werden, das die Arbeiter/-innen als Humankapital betrachtete und dabei Maßnahmen zur Aktivierung der Subjektivität mit Disziplinierungsmaßnahmen verknüpfte. Ein spezieller Umgang mit dem Faktor Mensch der Produktion erschien der Unternehmensführung in einigen Bereichen insbesondere deshalb erforderlich, weil es sich bei den Beschäftigten um Frauen handelte. Eine ähnliche katalytische Funktion der Kategorie Geschlecht für die Entwicklung der betrieblichen Personalpolitik zeigt Kaufman für die USA auf. Vor allem in der Textilbranche, die viele Frauen beschäftigte, wurde bereits im späten 19. Jahrhundert die Einrichtung betrieblicher Sozialräume als Notwendigkeit begriffen, während solche Maßnahmen in Betrieben mit vorwiegend männlicher Belegschaft noch eine seltene Ausnahme blieben.11 Wurde ein mechanistisches Verständnis der Rationalisierung unter Umständen in ‚Frauenbetrieben‘ rascher ad acta gelegt, weil das Bild von einem „Motor Mensch“, das auf männliche Arbeiter nicht selten angewendet wurde, aufgrund verbreiteter kultureller Vorstellungen von der Geschlechterdifferenz auf Arbeiterinnen nicht ohne weiteres übertragen werden konnte? Rabinbach geht davon aus, dass das von ihm für das 19. Jahrhundert überzeugend skizzierte Modell eines menschlichen Motors bis in die 1950er Jahre wirkungsmächtig gewesen und erst von der Automatisierungsdebatte verdrängt worden sei.12 Bis dahin habe der Körper des Arbeiters im Mittelpunkt arbeitswissenschaftlicher Betrachtungen gestanden, deren Ziel folglich darin bestanden habe, die Ermüdung des Körpers zu verhindern.13 Wie bereits in Kapitel 3 argumentiert, berücksichtigt Rabinbach nicht ausreichend die Entwicklung im frühen 20. Jahrhundert: Der Faktor Mensch in der Produktion und die Psyche der Arbeiter/-innen rückten verstärkt in das Interesse der wissenschaftlichen und betrieblichen Experten. Dabei spielte vor allem die Beschäftigung mit Arbeiterinnen eine wichtige Rolle. Wurden Arbeiterinnen in diesem Sinne deutlicher als „Menschen“ betrachtet – mitsamt einer stärken Umweltabhängigkeit – und nicht als eine Verlängerung der Technik, weshalb den Akteuren in der Unternehmensleitung differenziertere psychologische Führungsformen und eine ‚Humanisierung‘ der Arbeit für weibliche Arbeitskräfte als Notwendigkeit erschienen? Weiterhin wird zu fragen sein, wann die Strategie wechselte: vom Effizienz-Ideal eines von (mensch11 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008, S. 76. 12 Vgl. Rabinbach: Human Motor, 1992, S. 11. 13 Vgl. ebd., S. 10.



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lichen) Störungen freien Betriebes weg, hin zur Optimierung aller – menschlichen wie technischen – Potentiale. Die Aufgaben, die Edith Bomke für ihre Tätigkeit als Soziale Betriebsarbeiterin angab, werden im Folgenden auch für die Zeiträume in den Blick genommen werden, als diese Position noch nicht bzw. nicht mehr bestand. Wie wurden „Fürsorge, Führung und Erziehung“ der Arbeiterinnen jeweils konzipiert und umgesetzt? Welche Rolle für das Personalmanagement spielten betriebliche Wohlfahrtseinrichtungen, die bei der AKS bereits im 19. Jahrhundert überdurchschnittlich breit vorhanden waren? Mit Blick auf die Nachkriegszeit wiederum lässt sich fragen, inwieweit Problematisierungen, die dem Konzept und der Tätigkeit der Sozialen Betriebsarbeit zugrunde lagen, im sich etablierenden Personalmanagement der Bundesrepublik weiterhin bestimmend waren.

D ER U NTERNEHMERPATERNALISMUS UND DIE BETRIEBLICHEN „W OHLFAHRTSEINRICHTUNGEN “ DER

AKS

Die Augsburger Kammgarn-Spinnerei wurde 1836 als Großbetrieb gegründet. Zwischen 1865 und dem Beginn des Ersten Weltkriegs waren jahrzehntelang kontinuierlich mit nur leichten Schwankungen etwa 1000 Arbeiter/-innen beschäftigt.14 Aus zumeist australischer Schafwolle wurden über die Abteilungen Wollsortierung, Wäscherei, Kämmerei, Weberei und Zwirnerei Halbfabrikate von hoher Qualität, Ketten- und Schussgarne, hergestellt.15 Bereits der Firmengründer Friedrich Merz hatte die betriebliche Sozialpolitik forciert, 1848 eine Betriebskrankenkasse eingeführt und 1854 ein Wohnheim errichten lassen. Unter dem technischen Direktor Ernest Mehl, der von 1866 bis 1904 das Unternehmen prägte, entstand dann zwischen 1872 und 1880 eine für das 19. Jahrhundert bemerkenswerte Vielzahl von sozialen Einrichtungen: ein Fabrikbad, eine Arbeiterkolonie, eine Bibliothek, ein Speise-

14 Lediglich zu Beginn der 1890er Jahre und um 1910 gab es stärkere Ausschläge nach oben: Die Beschäftigtenzahlen näherten sich 1300 bzw. 1400, vgl. Grafik zur „wachsenden Zahl der beschäftigten Arbeiter“ in: Genzmer: Hundert Jahre, 1936, o. P. 15 Vgl. Mehl: Reich-Gottes-Arbeit, 2001, S. 102f. – Bis in die 1870er Jahre wurde vorwiegend deutsche, ungarische und russische Rohwolle in der AKS verwendet, danach wurde fast ausschließlich auf die billigere und für die „feinen Garne“ der AKS besonders gut geeignete australische Wolle zurückgegriffen, vgl. Schmidt: Augsburger KammgarnSpinnerei, 1923, S. 81, 98f. Erst 1965 wurden im „Rahmen einer konzeptionellen Bereinigung“ Wollsortierung, Wollwäscherei und Primärkämmerei stillgelegt und die Webereiabteilung geschlossen, vgl. Augsburger Kammgarn-Spinnerei AG (Hg.): Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 1986, S. 12.

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haus, eine Kinderbibliothek, ein Kindergottesdienst, ein Waschhaus und eine Krankenpflegestation; 1889 kam ein Mädchenwohnheim dazu.16 Wie der Kirchenhistoriker Christoph Mehl, ein Nachfahre des technischen Direktors, in seiner Dissertation, einer durchaus kritischen Biographie, festhält, lässt sich Ernest Mehl als ein „typischer Vertreter eines christlichen Patriarchalismus“ verstehen. Seine Ziele waren, in dem Wunsch, die Arbeiter/-innen an das Unternehmen zu binden, gleichzeitig wirtschaftlich und christlich-missionarisch.17 Mitwirkungen der Arbeiter an den Wohlfahrtseinrichtungen schloss Mehl im Gegensatz zu sozialreformerischen Zeitgenossen aus. In einer Auseinandersetzung um die von den Beschäftigten geforderte Arbeitszeitreduzierung auf elf Stunden erwies sich Mehl zudem im Jahr 1890 als so unnachgiebig, dass es bei der AKS zu einem Streik kam, während sich die anderen Augsburger Textilunternehmen rasch mit den Arbeitenden einigten. Aus diesem Zusammenhang sind auch kritische Stimmen aus der Arbeiterschaft über das „frömmelnde“ Wesen des technischen Direktors verbürgt.18 Unter dem Begriff „Unternehmerpaternalismus“ soll mit Berghoff allgemein und weit gefasst eine Form der Unternehmensführung verstanden werden, bei der das Unternehmen den Beschäftigten über den Arbeitsvertrag hinausgehende Leistungen zukommen ließ, die von Kontrollen des Privatlebens begleitet werden konnten.19 Ritter und Tenfelde haben betont, dass der Patriarchalismus im Betrieb zwar keine deutsche Besonderheit, wohl aber in Deutschland besonders stark ausgeprägt und langlebig war.20 Kocka hat bereits 1969 auf die Funktion der betrieblichen Wohlfahrtseinrichtungen innerhalb dieses Konzepts hingewiesen, auf die ich im Folgenden näher eingehen werde. Sie dienten gleichzeitig der Kontrolle der Arbeiter/-innen in ihrer ganzen Person, der Legitimation des Unternehmers und der Befriedung sozialer und politischer Proteste.21 Für das frühe 20. Jahrhundert lässt sich in veränderter Form weiterhin ein industrieller Patriarchalismus feststellen. Die persönliche Präsenz des Unternehmers spielte dabei eine geringere Rolle, die zusätzli-

16 Vgl. Mehl: Reich-Gottes-Arbeit, 2001, S. 105ff. 17 Ebd., S. 100, 11. 18 Ebd., S. 111, 113, 122. – Interessanterweise unterschlug Schmid diese Auseinandersetzungen in seiner staatswissenschaftlichen Dissertation von 1923 (oder er hatte keine Kenntnis davon). Schmid behauptete vielmehr, dass im Gegensatz zur Augsburger Baumwollindustrie, in der „des öfteren Streiks vorkamen“, bei der AKS „nie größere Störungen vorgekommen“ seien, Schmid: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 1923, S. 171. 19 Vgl. Berghoff: Unternehmenskultur, 1997, S. 167. Die Begriffe Paternalismus und Patriarchalismus werde ich – Berghoff folgend – synonym verwenden, vgl. ebd. 20 Vgl. Ritter/Tenfelde: Arbeiter, 1992, S. 424. 21 Vgl. Kocka: Management, 1969, S. 366.



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chen Sozialleistungen waren nun in der Regel institutionalisiert, weshalb Berghoff von einem „bürokratischen Paternalismus“ spricht.22 Die Unternehmenstradition der AKS war von einer fürsorglich-paternalistischen Disziplinierung geprägt. Im Gegensatz zu den zeitgenössischen Reformen, die etwa Heinrich Freese in seiner Fabrik durchführte und publik machte,23 gab es aber bei der AKS zu diesem Zeitpunkt keine Versuche, die Arbeiter/-innen über eine Stärkung ihrer Mitwirkungsrechte in den Arbeitsprozess einzubinden. Wie sahen nun die sogenannten Wohlfahrtseinrichtungen der AKS en detail aus? Die Bedeutung, die diesen Einrichtungen von der Firmenleitung beigemessen wurde, lässt sich daran erkennen, dass die einzelnen Sozialräume in einer Reihe dünner Broschüren vorgestellt wurden. Das Fabrikbad machte den ersten Band dieser „Pläne und Beschreibungen der Wohlfahrtseinrichtungen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei“ aus.24 Bereits in Kapitel 3 wurde angeführt, dass in diesem 1872 eingerichteten Fabrikbad grundsätzlich auf eine Überwachung der badenden Arbeiter/-innen verzichtet wurde. Eine Ausnahme bildete wie erwähnt die Kabine für „junge Leute“, in deren Tür ein Fenster war, durch das der Bademeister kontrollierende Blicke werfen konnte. Offensichtlich handelte es sich dabei um eine nachträgliche bauliche Maßnahme, da in der Broschüre per handschriftlichem Zusatz festgehalten wurde, dass ein Fenster in die Tür eingefasst werden „musste“, um „groben Unfug“ zu verhindern. Der Bademeister konnte dann von außen im Bedarfsfalle den Vorhang vor dem Fenster zur Seite schieben und einen kontrollierenden Blick ins Bad werfen.25 Der „grobe Unfug“ der Jugendlichen lässt sich allerdings auch in Zusammenhang mit der räumlichen Aufteilung des Bades betrachten. Von einem länglichen Korridor gingen verschiedene Zellen ab: Während den männlichen Arbeitern zwei Zellen mit je zwei Wannen zugedacht waren (Nr. 2 u. 3), standen den Arbeiterinnen vier Zellen mit je zwei Wannen zur Verfügung (Nr. 6-9), was deutlich das Verhältnis der Anzahl der Arbeiterinnen zu den Arbeitern bei der AKS widerspiegelt. Für die jugendlichen Arbeiter hingegen war eine Zelle vorgesehen, in der ein für fünf Personen konzipierter gemauerter Badebehälter stand (Nr. 5). Im Gegensatz zu den anderen Badenden konnte diese Gruppe nicht selbsttätig warmes und kaltes Wasser einlaufen lassen. Heizer und Kesselreiniger mussten, vermutlich aufgrund der bei ihrer Arbeit angefallenen größeren Verschmutzung von Kleidung, Haut und Haaren, ebenfalls in dieser Kabine baden.26 Während den Jugendlichen also keine Pri-

22 Berghoff: Unternehmenskultur, 1997, S. 191. 23 Vgl. Freese: Fabrik, 1909. 24 Vgl. Augsburger Kammgarn-Spinnerei (Hg.): Fabrikbad, 1887. 25 Vgl. ebd., S. 7; ähnlich Post/Albrecht: Musterstätten, Bd.2, 1893, T. 2, S. 180. 26 Vgl. Augsburger Kammgarn-Spinnerei (Hg.): Fabrikbad, 1887, S. 5f.

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vatsphäre zukam, standen der kleinen Gruppe der Meister und Beamten zwei Einzelbadezellen mit jeweils einer Wanne zur Verfügung.27 Abbildung 33: Fabrikbad der Augsburger Kammgarn-Spinnerei. Grundriss.

Quelle: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, Hg.: Fabrikbad, 1887, o.P.

Neben der gesonderten Überwachung der vermeintlich zum „Unfug“ neigenden Jugendlichen fällt die soziale Distinktion der Meister und Beamten auf, die wie bereits besprochen bis weit ins 20. Jahrhundert üblich war. Dabei wurde im Bad der AKS deutlich zwischen „höheren Angestellten und Obermeistern“ auf der einen Seite und einfachen Meistern auf der anderen Seite unterschieden: Die Kabine der Meister (Nr. 4) war genauso ausgestattet wie die Kabine für die Arbeiter/-innen, aber bei gleicher Raumgröße als Einzelkabine eingerichtet. Die Kabine für Obermeister und Beamte (Nr. 1) hingegen wies eine bessere Ausstattung auf, etwa zusätzliche Kleiderhaken, einen „Stiefelzieher“ und einen Spucknapf.28 Mit der Einrichtung des Fabrikbades verfolgte die Unternehmensleitung sozialdisziplinierende Absichten. Die Arbeiter/-innen sollten hygienische Werte verinnerlichen: Wie der Ministerialbeamte im Ministerium für Handel und Gewerbe und Leiter der Centralstelle für Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, Julius Post, in seiner Publikation über „Musterstätten persönlicher Fürsorge von Arbeitergebern für ihre Geschäftsangehörigen“ auf der Basis der Selbstauskunft der Firma berichtete, ging es der AKSLeitung nicht nur um eine Stärkung der Gesundheit ihrer Beschäftigten, sondern darüber hinaus um eine „Pflege des Sinnes für Reinlichkeit bei Arbeitern und Arbeiterinnen“.29 Die Broschüre der AKS hielt folglich fest, der Zweck der Einrichtung bestehe darin, den Beschäftigten „Gelegenheit und Veranlassung zu bieten“,

27 Vgl. Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, T. 2, S. 174. Die Kabinen 10 und 11 waren für Kranke vorgesehen und enthielten zusätzlich einen Schwitzkasten und ein Ruhebett, vgl. Augsburger Kammgarn-Spinnerei (Hg.): Fabrikbad, 1887, S. 5. 28 Vgl. Augsburger Kammgarn-Spinnerei (Hg.): Fabrikbad, 1887, S. 4f. 29 Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, T. 2, S. 174.



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alle acht Tage ein Bad zu nehmen. In der Umsetzung wiesen die Saalmeister ihre Arbeiter/-innen durch Übergabe einer Bademarke ins Bad.30 Am Ende des 19. Jahrhunderts machten von den 1000 Beschäftigten der AKS täglich im Schnitt 120 Personen von der Möglichkeit eines kostenlosen Bades Gebrauch.31 Wie die Kammgarn-Spinnerei der DAF 1937 meldete, bestand diese Tradition fort; für das neue Fabrikbad mit nun 33 Wannen wurde festgeschrieben, dass jedem und jeder Beschäftigten ohne Lohnabzug alle zwei Wochen ein Bad während der Arbeitszeit zustand.32 Bereits 1880 wurde, weil einige „Meister- und Arbeiterfrauen“ um die Erlaubnis zur Badbenutzung gebeten hatten, in der Arbeiterkolonie eine zusätzliche Wasch- und Badeanstalt eingerichtet, die den Angehörigen der Beschäftigten offen stand.33 Auch in diesem Fall war die Wohlfahrtsmaßnahme mit disziplinierenden Zwecken verknüpft: Durch die Bereitstellung einer Gelegenheit zum Wäsche waschen im gleichen Gebäude sollte einem befürchteten „Missbrauch des Waschens“ in den Wohnräumen entgegengewirkt werden. Die fünfzehn Waschküchen und vier Badekabinen in diesem Komplex wurden von den Beschäftigten und ihren Angehörigen rege in Anspruch genommen. Die Zeitdisziplin scheint hier nicht sehr streng gewesen zu sein. Zwar nannte die Badeordnung ebenso wie diejenige des Fabrikbades eine Badezeit von maximal einer halben Stunde, doch führte Post aus, dass es sich nur um eine „Richtschnur“ handle, da jedem der besondere Zeitaufwand eines Bades von Müttern mit ihren Kindern bewusst sei. 34 Die betriebliche Wohnungspolitik zeugt allgemein vom christlichen Patriarchalismus des Direktors Mehl und speziell – wie sich anhand des „Mädchenheims“ zeigen lässt – von dem Versuch, auf junge Arbeiterinnen geschlechterpolitisch einzuwirken. Anlass zur Bau der Arbeiterwohnungen gab der um 1870 in großem Maße herrschende Mangel an Arbeitskräften. Nach Schmids Dissertation von 1923 „liefen“ die Arbeiter dorthin, „wo sie Wohnungen bekamen“. Allein im Jahr 1875 erkundigten sich bei der AKS insgesamt 60 Familien nach Wohnungen, was die Betriebsleitung zu einer Forcierung des Wohnungsbaus angetrieben habe. Auf diese Weise sollte ein verlässlicher Stamm von Arbeitern und Arbeiterinnen an die AKS gebunden werden.35 Bereits die Hausordnung der ab 1873 in Vergrößerung des seit 1854 gegründeten „Kammgarn-Quartiers“ entstandenen Arbeiterkolonie verlangte

30 Vgl. Augsburger Kammgarn-Spinnerei (Hg.): Fabrikbad, 1887, S. 1, 6. 31 Vgl. Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, T. 2, S. 180. 32 Schreiben der Augsburger Kammgarn-Spinnerei an die DAF, Gauwaltung Schwaben, 1.12.1937. BWA, Sign. F 71-531, Bl. 2. 33 Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, T. 2, S. 180. 34 Ebd., T. 2, S. 194-197. 35 Schmid: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 1923, S. 93f.

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unabhängig vom Geschlecht der Bewohner/-innen nach „christlicher Zucht und Ordnung“.36 1889 wurde dann zusätzlich ein Mädchenwohnheim eingerichtet, in dem sich nach dem Kirchenhistoriker Christoph Mehl am stärksten die „christlichen Zielsetzungen“ des Direktor spiegelten. Neben dem täglichen gemeinsamen Abendgebet wurden die jungen Arbeiterinnen im Alter von 16 bis 20 Jahren, die eine geringe Miete zahlten, allgemein auf ein sittliches Leben und einen freundlichen Umgang miteinander verpflichtet. Das Vorgehen war wiederum paternalistisch; eine strenge Hausordnung wurde von Zuwendungen ergänzt, die bei Wohlverhalten versprochen wurden: in diesem Fall ein Beitrag zur Aussteuer.37 In dieser „freundliche[n], christliche[n] Heimstätte“ sollte die jungen Arbeiterinnen zu „tüchtigen Hausfrauen“ herangebildet werden.38 Es ging also um eine Hinführung der jungen Frauen zum Lebensziel Ehe und Familiengründung. Nur eines wurde, wie die Hausordnung des Heims im paternalistischen Geist festhielt, den Bewohnerinnen „nicht gewährt: die schrankenlose Freiheit, welche einer zügellosen Jugend besser zusagt als Gehorsam und Sitte“.39 Von einem – vermutlich nur kurzzeitig existierenden – Vorläufer des Mädchenheims berichtete Julius Post in einer Publikation, die 1889 erschien und vor Einrichtung des Mädchenheims verfasst worden war. Während die Bewohnerinnen des Mädchenheims die reguläre Arbeitszeit in der Fabrik leisteten, Abendunterricht erhielten und lediglich im Turnus jede siebte Woche den Hausdienst verrichteten,40 war die Vorläufereinrichtung noch für Halbtagsbeschäftigte ausgelegt gewesen. Diese „Fabriktöchterpension“, die in einer „geräumigen Arbeiterwohnung“ eingerichtet worden war, nahm bewährte junge Arbeiterinnen kostenfrei auf. Da die Einrichtung gleichzeitig als Waisenhaus der AKS diente, herrschte auch hier schon das Ziel vor, die jungen Frauen praktisch „in allem zu unterweisen, was zum Arbeiterhaushalt gehört, selbst in der Säuglings- und Kinderpflege“. Unterwiesen wurden die jungen Frauen von einer „für diesen Berufe ausgebildeten Arbeiterwitwe“.41 Auf dem begrenzten Raum des Mädchenheims und seines Vorläufers finden 36 Vgl. Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, T. 2, S. 277; Augsburger KammgarnSpinnerei (Hg.): Kolonie [ca. 1890], S. 6; vgl. Mehl: Reich-Gottes-Arbeit, 2001, S. 118. 37 Vgl. ebd., S. 119. 38 Die Fabrikordnung ist abgedruckt bei Schmid: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 1923, S. 155. 39 Wiedergegeben bei Schmid, ebd., S. 157; vgl. Graßmann: Entwickelung, 1894, S. 212f. Canning weist darauf hin, dass die Einrichtung von Mädchenheimen in der Textilindustrie als ein probates Mittel gegen moralische Gefahren angesehen wurde, vgl. Canning: Languages, 1996, S. 301. 40 Vgl. Schmid: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 1923, S. 156. 41 Julius Post: Musterstätten persönlicher Fürsorge von Arbeitgebern für ihre Geschäftsangehörigen, Bd. 1. Die Kinder und jugendlichen Arbeiter, Berlin 1889, S. 46.



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sich also bereits am Ende des 19. Jahrhunderts diejenigen der späteren Aufgaben der Sozialen Betriebsarbeiterin wieder, die sich auf die Werkspflege außerhalb des eigentlichen Arbeitsplatzes bezogen. Dem Zweck, einen Stamm von Arbeitern und Arbeiterinnen auszubilden, diente ebenfalls die Einrichtung zweier Bibliotheken, einer für Erwachsene und einer für Kinder. Drei Jahre nach Gründung der ersten Bibliothek wurde 1879 eine spezielle Kinderbibliothek eingerichtet, weil – wie Julius Post den Technischen Direktor Mehl wiedergibt – nur „ein verhältnismäßig kleiner Kreis unserer Arbeiter Geschmack am Lesen“ gefunden hatte. Ziel der Kinderbibliothek war es nun, den „Sinn für das Lesen“ bereits bei den Kindern zu wecken.42 Das Interesse an der Bindung einer Stammbelegschaft ging also über die aktuell Beschäftigten hinaus. In diesem Sinne lässt der patriarchalische Führungsstil – bei nicht zu leugnenden Differenzen – gewisse Überschneidungen zum Personalmanagement des 20. Jahrhunderts erkennen, in dem die Arbeiter/-innen als entwicklungsfähiges Humankapital betrachtet wurden.43 Aus der Perspektive des Unternehmerpaternalismus stammen auch die bereits mehrfach angeführten Berichte Julius Posts über „Musterstätten persönlicher Fürsorge von Arbeitgebern“. Insbesondere im Vorgehen des Direktors Mehl von der AKS sah Post ein gelungenes Beispiel für das „echte Patriarchenthum“. Aus Posts (und Mehls) Warte war Arbeitermitbestimmung, etwa in der Einrichtung von Arbeiterausschüssen, nur hinderlich beim Entstehen einer engen Beziehung zwischen Unternehmer und Beschäftigten. Ein Patriarch wie Mehl hingegen sei auch ohne Druck von einer organisierten Arbeiterschaft bereit, die Potentiale der Arbeiter/-innen, in seinen Worten: den „König“, der „auch im Arbeiter steckt“, zu würdigen.44 Für die Arbeiter/-innen, die nicht im Wohnheim oder der Kolonie lebten, war eine andere soziale Einrichtung des Unternehmens vorgesehen: das Speisehaus. Anhand der Gestaltung dieses Gebäudes lässt sich zeigen, dass eine gewisse Fortschrittlichkeit im 19. Jahrhundert in der späteren Konsequenz durchaus dazu führen konnte, dass Beharrungskräfte eine weitere Entwicklung im 20. Jahrhundert verzögerten. Die Augsburger Kammgarn-Spinnerei richtete im Vergleich zu anderen Unternehmen recht früh, im Jahr 1878, ein Speisehaus ein. Es handelte sich nicht um eine Kantine, es wurde also kein warmes Essen angeboten, allerdings konnten mitgebrachte Speisen zum Kochen oder Aufwärmen morgens abgegeben und mittags verzehrt werden. In erster Linie ging es jedoch mit diesem Gebäude darum, „fernwohnenden, einzeln stehenden Arbeitern und kinderlosen Ehepaaren einen ange42 Ebd., S. 158. 43 Auf die partielle Anschlussfähigkeit paternalistischer Traditionen an das entstehende Personalmanagement nach dem Ersten Weltkrieg weist auch Ruth Oldenziel hin, vgl. Oldenziel: Gender, 2000, S. 329. 44 Post: Musterstätten, Bd. 1, 1889, S. 18.

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nehmen Aufenthaltsort für die Mittagsstunde“ anzubieten. Der Speisesaal bot 348 Sitzplätze auf Holzbänken, zudem gab es außerhalb des Gebäudes zu drei Seiten Sitzbänke sowie einen Rasenplatz. Den Saal suchten am Ende des 19. Jahrhunderts täglich 300 Personen auf, die Außenbänke wurden ebenfalls rege benutzt. Eine „besondere Aufsicht“ sei aufgrund des allgemein guten Betragens nicht notwendig gewesen.45 Post gab in seiner Zusammenstellung von „Musterstätten“ betrieblicher Sozialeinrichtungen den Grundriss des AKS-Speisehauses als beispielhaft an: Abbildung 34: Speisehaus der Augsburger Kammgarn-Spinnerei. Grundriss

Quelle: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, Hg.: Speisehaus, [ca. 1897], o.P.46

Direkt über der Eingangstür wurden die Arbeiter von dem Schriftzug „Unser täglich Brod geb uns heute“ [sic] begrüßt,47 was die christlich-missionarischen Ziele des technischen Direktors Mehl widerspiegelte.48 Hinter dem Haupteingang (A) auf der linken Seite schlossen zunächst die beiden Küchen mit jeweils zwei Öfen (B, C) zum Kochen bzw. Aufwärmen der mitgebrachten Speisen an. Der Speisesaal war von den Küchen durch eine Glaswand und einen Serviertisch getrennt. Die vier „Wärterinnen“, bei denen zwischen halb sechs und sechs Uhr morgens die Speisen abgegeben werden mussten, gaben zwischen 12 Uhr und 12.10 Uhr die Speisen an die Arbeiter/-innen aus. Im Speisesaal waren in vier Reihen Tische und Bänke aufgestellt; an den Wänden jeweils 13 Tische pro Reihe mit je sechs Sitzplätzen, in der Mitte des Raumes zwölf Tische mit je acht Sitzplätzen. Die schlichte Einrichtung in

45 Vgl. Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, T. 2, S. 373, 378. 46 Der gleiche Grundriss findet sich in: ebd., Teil 2, S. 374. 47 Vgl. Skizze der Vorderansicht, ebd. 48 Vgl. Mehl: Reich-Gottes-Arbeit, 2001, S. 118.



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einem großen Saal war zu diesem Zeitpunkt, als die reine Existenz von solchen Räumen keinesfalls die Regel war, für Arbeiterspeisesäle durchaus üblich; sie unterschieden sich noch deutlich von den Angestelltenkasinos.49 Im Selbstverständnis der Unternehmensleitung wie auch für den Blick des Experten Julius Post war die Ausstattung des Speisesaals aber durchaus vorbildlich, wenn nicht gar „bequem“. Die Tische und Bänke ermöglichten es nämlich, dass „die Sitzenden, mit dem Kopf auf die untergelegten Arme gestützt, bequem ein Mittagsschläfchen halten“ könnten.50 Direktor Mehl habe sogar selbst seinen „Scharfsinn“ dafür eingesetzt, die Sitze „für ein bequemes Nachtischschläfchen einzurichten“.51 Zum Beleg führte Post eine Zeichnung der Sitzgarnitur an: Abbildung 35: Skizze der Tische und Bänke im Speisehaus der Augsburger Kammgarn-Spinnerei.

Quelle: Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, Teil 2, S. 375.

Über 40 Jahre später verwies die Festschrift zum hundertjährigen Bestehen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei 1936 voller Stolz auf die Sozialeinrichtungen des Betriebes, darunter auch auf das Speisehaus von 1878, und fügte Abbildungen bei.52 Im Bildteil wurde zu diesem Zweck jedoch, ohne Klarstellung, ein Foto verwendet, das im Fotoarchivbestand der AKS als „Neuer Speisesaal“ bezeichnet wurde und mit der Datierung Oktober 1927 versehen ist. 53 In der Tat zeigt das Foto einen anderen Speisesaal: Am Ende des Saales sind direkt eine Tür und zwei Fenster zu sehen, während im ersten Speisehaus, wie dem Grundriss und der Beschreibung in der AKS-Broschüre zu entnehmen ist, zu beiden Seiten Vorräume zwischen Speisesaal und Ausgang lagen; links die Küchen, rechts die Toiletten.

49 Vgl. Thoms: Essen, 2004, S. 211. 50 Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, Teil 2, S. 375. 51 Post: Musterstätten, Bd. 1, 1889, S. 8. 52 Vgl. Genzmer: Hundert Jahre, 1936, S. 104. 53 Vgl. ebd., o. P. [nach S. 98].

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Zwischenzeitlich hatten viele Fabriken Speisesäle oder Kantinen eingerichtet; in der Weimarer Republik war eine Annäherung zum Standard der Angestelltenkantinen nicht unüblich, häufig wurden Bänke durch Stühle ersetzt, Blumenschmuck und Tischtücher waren nicht mehr selten.54 Auch das nationalsozialistische Amt Schönheit der Arbeit empfahl später die Verwendung von Stühlen anstelle von Bänken. Der Vorteil von Stühlen wurde unter anderem darin gesehen, dass der jeweilige Nachbar nicht gestört werde.55 Auf keinen Fall dürften die Speisesäle den „Eindruck einer Massenabfertigungsanstalt machen“, vielmehr müssten sie „schön und gemütlich eingerichtet“ sein. Großen Betrieben empfahl das Amt die Einrichtung mehrerer kleiner Speiseräume anstelle eines großen.56 Der neue Speisesaal der AKS hingegen erinnerte stark an den alten: Abbildung 36: Neuer Speisesaal der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, Oktober 1927. Fotograf: J. Schedlbauer.

Quelle: Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg, Sign. F 273-34.

54 Vgl. Thoms: Essen, 2004, S. 211. 55 von Hübbenet: Taschenbuch, 1938, S. 150. 56 Ebd., S. 146.



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Der Saal erfüllte zwar die zeitgenössischen Ansprüche an gute Lichtverhältnisse, allerdings ähnelten die Tische und Bänke stark den Entwurfsskizzen von 1878; auch an diesen Tischen saßen acht Personen, auf jeder Seite vier auf einer Bank. Zudem saßen die Arbeiter/-innen Rücken an Rücken, teilten sich also die Lehne mit der Belegschaft des nächsten Tisches. Der „Eindruck einer Massenabfertigungsanstalt“ war schwer zu leugnen. Auf der Fotografie sind ca. 280 Personen abgebildet; da im vorderen Bildbereich eine Säule zu sehen ist, lässt sich vermuten, dass nur die Hälfte des Saales abgebildet ist und der Speisesaal doppelt so viele Plätze hatte. Ein Bericht der DAF an die AKS erwähnt eine spätere technische Neuerung im Raum: Das „große einstöckige Speisehaus“ wurde mit einer Rundfunkanlage ausgestattet,57 blieb aber offenbar baulich unverändert. Die Einrichtung des Speisesaales gibt also einen Hinweis darauf, dass die AKS zumindest in Bezug auf die betriebliche Sozialpolitik ein halbes Jahrhundert lang den Paternalismus der 1870er Jahre konservierte, während andere Unternehmen – wie Deutz – bereits Überlegungen und Versuche anstellten, die Subjektivität der Arbeitenden für Zwecke des Betriebes nutzbar zu machen. Wie sahen andere Bereiche des Betriebslebens aus? Blieben beispielsweise die Arbeitsordnungen weiterhin vom Herr-im-Hause-Geist erfüllt?

D IE O RDNUNG DER A RBEIT : ZWISCHEN UND M ENSCHENFÜHRUNG

D ISZIPLINIERUNG

Arbeitsordnungen wurden ab den 1880er Jahren zunehmend in deutschen Betrieben eingeführt; ihre Verbreitung und die damit einhergehende Vereinheitlichung und Objektivierung, sowohl des erwarteten Arbeiter- als auch des Vorgesetztenverhaltens, lässt sich als „Rationalisierung im Disziplinierungsprozess“ verstehen. In der Gewerbeordnung von 1891 wurde ihre Einführung verpflichtend.58 Wie der Sozialhistoriker Flohr festgehalten hat, waren in den frühen Arbeitsordnungen des 19. Jahrhunderts Drohungen und Strafen das dominierende Instrument, das zum Zweck einer „Verhaltensstandardisierung“ eingesetzt wurde. Nur vereinzelt lassen sich frühe Versuche feststellen, die Selbstdisziplin der Belegschaft zu fördern, indem Lohnanreize gesetzt oder der Gemeinschaftsgeist beschworen wurde. Grundsätzlich war der Ton der Arbeitsordnungen nicht „belehrend, sondern feststellend befehlend“;59 gefordert wurde fast immer „unbedingte[r] Gehorsam gegenüber den Vor-

57 Schreiben der Augsburger Kammgarn-Spinnerei an die DAF, Gauwaltung Schwaben, 1.12.1937. BWA, Sign. F 71-531, Bl. 2. 58 Vgl. Flohr: Arbeiter, 1981, S. 10, 81f. 59 Vgl. ebd., S. 74.

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gesetzten“.60 Die Beibehaltung dieser Disziplinarformeln in den Arbeitsordnungen bis zum Ersten Weltkrieg lässt sich als ein Beleg dafür betrachten, dass die Disziplinierung nicht durchgehend erfolgreich gewesen ist. Vielmehr stand sie weiterhin oben auf der Agenda der Unternehmen, weil sich das Verhalten der Arbeiter/innen offensichtlich trotz der jahrzehntelangen Bemühungen noch nicht im erwünschten Maß den Vorschriften angepasst hatte.61 In der Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte bei der AKS, wie selbst der ansonsten sehr unternehmerfreundliche Josef Schmid 1923 festhielt, eine „sehr strenge Arbeitsordnung“, die zum Teil den Einsatz „drakonische[r] Mittel“, also besonders hoher Geldstrafen im Bereich von Tages- oder Wochenlöhnen, erlaubte. Aus Schmids Warte war ein solches Vorgehen allerdings aufgrund einer mangelnden Arbeitsdisziplin geradezu notwendig gewesen.62 Letztlich zeigte sich in der Arbeitspolitik der AKS wie in der späteren Zustimmung des Staatswissenschaftlers Schmid die doppelte Strategie der patriarchalen Unternehmensführung: Eine ausgeweitete betriebliche Sozialpolitik ging mit der Umsetzung des Herr-im-HauseIdeals einher. Die Arbeitsordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei setzte im frühen 20. Jahrhundert weiterhin – bei Tilgung unverhältnismäßig hoher Strafandrohungen – auf strikte Disziplinierung.63 Die 1902 erlassene Arbeitsordnung verlangte wie ihre Vorgängerin von 1892, dass allen Vorgesetzten „unbedingt Gehorsam zu leisten“ sei; als Neuerung wurde gefordert, die „angewiesenen Arbeiten“ seien „willig zu verrichten“.64 Die Disziplinierung durch die Autorität der Vorgesetzten wurde nun also von der Zielsetzung einer Internalisierung der Disziplin begleitet. Erste Ansätze, die Subjektivität der Arbeiter/-innen stärker in das Konzept einer Ordnung des Betriebes zu integrieren, fanden sich zudem in dem Passus, der das Mitnehmen jeglichen Betriebseigentums untersagte: Bei grundsätzlicher Übernahme der älteren Formulierung führte die Ordnung von 1902 in Ergänzung der

60 Vgl. ebd., S. 64. 61 Vgl. Fridenson: Herrschaft, 1995, S. 84. 62 Schmid: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 1923, S. 169. 63 Bereits die Arbeitsordnung von 1892 sah Geldstrafen nur noch in Höhe von zehn bis fünfzig Prozent des Tageslohnes vor; bei Gewalttätigkeiten konnte die Strafe auch den vollen Tageslohn gleichen, vgl. Arbeits-Ordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei von 1892, S. 7, § 15. BWA, Sign. F 71/665. 64 Arbeits-Ordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei in Augsburg vom 1. März 1902, S. 4, § 6; vgl. Arbeits-Ordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei von 1892, S. 3, § 6. BWA, Sign. F71/665.



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Verbote und Androhung von Kontrollen aus, die Arbeiter hätten „mit den erhaltenen Materialien sparsam umzugehen“.65 Grundsätzlich handelte es sich zunächst nur um eine weitere Vorschrift, allerdings setzte diese eine bewusste Übernahme des unternehmerischen Konzepts der Sparsamkeit durch die Arbeiter/-innen voraus, die dann in einem gewissen Rahmen selbst erkennen und entscheiden mussten, was einen sparsamen Umgang ausmachte. Im Gegensatz zu der bereits besprochenen Sozialdisziplinierung, die mit der Einrichtung des Fabrikbads im späten 19. Jahrhundert einhergegangen war, ging es hier um mehr als die reine Internalisierung einer Norm. Während das Fabrikbad zu einer Verinnerlichung hygienischer Werte und Verhaltensweisen führen sollte, war in diesem Fall eine Disziplinierung nicht ausreichend: Das Prinzip des sparsamen Handelns erforderte auch nach seiner Akzeptanz durch die Arbeiter/-innen in jeweils konkreten Arbeitssituationen jeweils konkrete Entscheidungen. Die Subjektivität der Beschäftigten schien an dieser Stelle als eine unverzichtbare Ressource des Produktionsprozesses durch. Das Ziel des Unternehmens konnte also nicht mehr allein in einer vollständigen Disziplinierung der Arbeiter/-innen liegen; ergänzend mussten gezielt Freiräume für nützliche Handlungen geschaffen werden. Allerdings blieben derartige Momente eines neu ausgerichteten Personalmanagements zu dieser Zeit noch marginal, die Disziplin war das erste Ziel der Arbeitsordnung. Der Befehlston der älteren Bestimmungen findet sich in dieser Form nicht in der Arbeitsordnung von 1921 wieder, der nach dem Betriebsrätegesetz von 1920 bereits der Arbeiterrat zustimmen musste. Die Arbeitsordnung der AKS orientierte sich dabei stark an einer Arbeitsordnung, die von der Reichsarbeitsgemeinschaft für die Textilindustrie vorgeschlagen wurde.66 In Anschluss an die bereits erwähnte Ermahnung zur Sparsamkeit mit dem Material wurde in § 18 über die Aufgaben des Arbeiters – die männliche Form war auch in der Textilindustrie mit einem deutlichen Frauenüberschuss die allgemeine - festgehalten: „Er soll die ihm übertragenen Arbeiten gemäß den Weisungen des Arbeitgebers oder seines Beauftragten gewissenhaft und nach besten Kräften ausführen.“67 An der Hierarchie und ihrer nicht in Frage zu stellenden Gültigkeit änderte sich selbstredend nichts, die Rolle des jeweiligen Arbeiters bzw. der jeweiligen Arbeiterin allerdings bekam in der Formulierung ein etwas stärkeres Gewicht, da unterschiedliche subjektive Fähigkeiten („gewissenhaft und nach besten Kräften“) implizit anerkannt wurden. Ansätze zu einer

65 Arbeits-Ordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei in Augsburg vom 1. März 1902, S. 5, § 8; vgl. Arbeits-Ordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei von 1892, S. 4, § 8. BWA, Sign. F71/665. 66 Arbeitsordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei in Augsburg, vom 21. Januar 1921, S. 1. BWA, Sign. F71/665. 67 Ebd., S. 7.

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Aktivierung dieser subjektiven Potentiale finden sich allerdings in dieser Arbeitsordnung der Weimarer Republik nicht. Die erste Betriebsordnung, die 1934 nach dem nationalsozialistischen Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) erlassen wurde und nachträglich auf das Datum des Gesetzeserlasses (20.01.1934) datiert wurde, musste keine Rücksichten mehr auf den Betriebsrat nehmen, allerdings führte die staatliche Überprüfung zu einer gewissen Einheitlichkeit der Betriebsordnungen.68 Die Betriebsordnung der AKS entsprach dementsprechend weitgehend einem Schema, das von den bayerischen Zweigen der Reichsbetriebsgemeinschaft für die Textilindustrie und der DAF ausgearbeitet worden war.69 Die Rhetorik der Betriebsgemeinschaft findet sich bereits im ersten Paragraphen: „Führer und Gefolgschaft des Betriebes bilden zusammen eine Betriebsgemeinschaft.“70 Das Konzept der Betriebsgemeinschaft war keine neue Idee der Nationalsozialisten und des AOG;71 wie bereits in den vorangegangen Kapiteln angesprochen, waren ähnliche Überlegungen in der Weimarer Republik äußerst virulent, am prominentesten vermutlich vom DINTA vertreten. Der Historiker Michael Schneider sieht in dem Gemeinschaftsgedanken zurecht einen Versuch, „die Probleme der persönlichen Menschenführung zu lösen“.72 Zumindest auf dem Papier führte die Idee der Betriebsgemeinschaft zu einem anderen Aufbau der Betriebsordnung: Zunächst kamen die allgemeinen disziplinarischen Bestimmungen wieder an den Beginn der Ordnung, wie es im Kaiserreich üblich gewesen war, während die Arbeitsordnung der Weimarer Republik Bestimmungen zur Arbeitszeit und zum Lohn an den Beginn des Textes setzte. Die Paragraphen 2 bis 4 der Betriebsordnung von 1934 führten dann allerdings zum einen an dieser Stelle keine negativen Verbote, sondern positive Pflichten aus. Zum anderen wurden diese nicht allein den Beschäftigten abverlangt, sondern gleichermaßen dem „Führer des Betriebes“. Die allgemein gefassten Pflichten hatten den Charakter einer Anordnung, sie gingen also über die reinen Verbote – die es freilich weiterhin in der Betriebsordnung gab – hinaus, und appellierten an die Einübung einer gewissen Identität als Arbeiter/-in bzw. als Unternehmer. Unter „gemeinsame Pflichten“ wurde die vage Idee der Betriebsgemeinschaft beschrieben, die nämlich gleicher-

68 Vgl. Schneider: Hakenkreuz, 1999, S. 500. 69 Vgl. Schema einer Betriebsordnung für die Betriebe der südbayerischen Textilindustrie, der AKS übersendet am 4.9.1934. BWA, Sign. F 71/759. 70 Betriebsordnung der Firma Augsburger Kammgarn Spinnerei in Augsburg, erlassen am 20. Januar 1934, S. 3, § 1. BWA, Sign. F71/669. Eine ähnliche Floskel findet sich in Anlehnung an § 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit in allen Betriebsordnungen während des Nationalsozialismus, vgl. Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 45. 71 Vgl. Schneider: Hakenkreuz, 1999, S. 497. 72 Vgl. ebd., S. 571.



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maßen eine disziplinierte Tätigkeit als auch einen kameradschaftlichen Umgang der Beschäftigten miteinander voraussetzte.73 Selbstverständlich wurde die Autorität des Betriebsleiters weder in der Praxis noch im Wortlaut der Betriebsordnung in Frage gestellt. Die Arbeiter/-innen hatten den „Anordnungen des Führers des Betriebes und denen seiner Beauftragten gewissenhaft nachzukommen“. Auch in dieser Version einer Fabrikordnung wurde also die Internalisierung der Disziplin durch eine gewissenhafte Ausführung der Anweisungen erwartet. Ein ergänzender Absatz zur Einhaltung des Arbeitsfriedens stellte in sprachlicher Denunziation der zerschlagenen gewerkschaftlichen Interessenvertretung klar, dass etwaige Kritik an der Betriebsführung nicht geduldet werden würde: Von den Beschäftigten wurde verlangt, sich „von Quertreibereien, Missgunst, Nörgeleien und Verleumdungen fernzuhalten“,74 was offensichtlich auf die illegalisierte Interessenpolitik der Arbeiterbewegung zielte. Zwar wurden nun auch erstmals gewisse Pflichten des Betriebsleiters festgeschrieben, wobei die Verpflichtung auf vorbildliche Arbeitsleistung, das abstrakte Wohl der Betriebsgemeinschaft und die Ausbildung des betrieblichen Nachwuchses wohl bereits im Selbstverständnis eines Geschäftsführers verankert waren. Die Anordnung, mit dem Vertrauensrat zusammenzuarbeiten,75 dürfte – nach der Zerschlagung der Arbeiterbewegung – aus Unternehmerperspektive kaum als problematisch angesehen worden sein. Wie Michael Schneider ausführt, betrachteten die Arbeiter/-innen die Vertrauensräte häufig als „Lakaien des Unternehmers“.76 Eine weiter unten noch zu berichtende Episode bei der AKS zeichnet ein ähnliches Bild von der Beziehung zwischen Arbeiter/-innen und Vertrauensräten. In diesem Paragraphen wurde allerdings auch festgeschrieben, dass der Betriebsleiter für „gesunde Arbeitsstätten, brauchbare Maschinen und Geräte und möglichst einwandfreie gesundheitliche Einrichtungen“ zu sorgen habe.77 Es ging also um die Ziele des Amtes Schönheit der Arbeit, die aber gleichwohl einem ökonomischen Interesse dienten: allerdings eher einem langfristigen volkswirtschaftlichen als einem kurzfristigen betriebswirtschaftlichen. Aufgrund der skizzierten Unternehmenspolitik der AKS seit dem späten 19. Jahrhundert lässt sich annehmen, dass diese Verpflichtung in der Betriebsordnung in die73 Betriebsordnung der Firma Augsburger Kammgarn Spinnerei in Augsburg, erlassen am 20. Januar 1934, S. 3, § 2. BWA, Sign. F71/669. 74 Ebd., S. 4, § 4, Abs. 2 u. 5. 75 Ebd., S. 3f., § 3. 76 Schneider: Hakenkreuz, 1999, S. 507. Allerdings seien die Vertrauensräte nicht immer so zurückhaltend aufgetreten, wie die Unternehmer es erhofften; sie hätten in vielen Betrieben gewisse Zugeständnisse in Fragen der betrieblichen Sozialpolitik ausgehandelt, vgl. ebd. 77 Betriebsordnung der Firma Augsburger Kammgarn Spinnerei in Augsburg, erlassen am 20. Januar 1934, S. 3, § 3. BWA, Sign. F71/669.

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sem Fall keine grundlegende Änderung der Schwerpunktsetzungen notwendig machte: Die Firmenleitung hatte eine hygienische Einrichtung der Arbeits- und Sozialräume bereits als einen wichtigen Aspekt ihres Rationalisierungskonzepts verstanden. Erstmals bei der AKS erwähnte die Betriebsordnung von 1934 das betriebliche Vorschlagswesen: „§ 7. Vorschläge für Verbesserung der Arbeitsweise, der betrieblichen Einrichtungen und der Unfallverhütung sind erwünscht und werden in Falle ihrer Durchführung besonders belohnt.“78 Neben die ausgiebige Festlegung von Pflichten, Verboten und Verhaltensnormen trat also zum ersten Mal ein kurzer Passus, der explizit der Aktivierung der Arbeiter/-innen diente. Anders als es Schneider für die Betriebsordnungen während des Nationalsozialismus beschreibt, fehlten bei der AKS drastische Bußgeldandrohungen in Höhe eines Tageslohnes bei schlechter Arbeitsleistung. Schneider sieht in solchen disziplinarrechtlichen Bestimmungen die „eigentliche Bedeutung“ der Betriebsordnung, die nun mit Bußgeldandrohungen über die Einhaltung der „äußere[n] Disziplin“ hinausging und zusätzlich verstärkt auf die Qualität der Arbeit und die Leistungsbereitschaft schaute. Eine derartige Praxis schien weit verbreitet zu sein, weshalb sich DAF in mehreren Fällen gegen diese Form der „Betriebsführer-Justiz“ richtete.79 Bei der AKS hingegen drohte selbst die nachträgliche Verschärfung der Strafordnung im März 1939 eine Buße in Höhe eines halben Tagesverdienstes nur bei „unentschuldigtem Fernbleiben von der Arbeit“ an. Anlass für die Ergänzung war, wie es in der Einleitung des Nachtrags selbst heißt, ein „häufiges unentschuldigtes Fernbleiben“.80 Die äußere Disziplin stellte also, trotz aller ergänzenden Bemühungen um die Aktivierung der Arbeiter/innen, weiterhin ein virulentes Problem dar. Vorausgegangen war bei der AKS ein kollektives Disziplinarproblem, das mindestens einmal offen zu Tage getreten ist. Ab Herbst 1936 hatte die Textilbranche mit dem Problem zu kämpfen, dass der freie Inlandshandel mit Baumwolle nicht mehr stattfinden konnte, da er von den Rohstoff-Überwachungsstellen unterbunden wurde. Die Folge war eine dauerhafte Kurzarbeit, die zu einem verschärften Problem für die Beschäftigten wurde, als das Reichswirtschaftsministerium die Streichung der Kurzarbeiterzulagen verlangte.81 In dieser Situation kam es 1937 bei einer Lohnauszahlung in der Kammgarn-Spinnerei zu „großen Tumulten“ von denen 78 Ebd., S. 5. 79 Schneider: Hakenkreuz, 1999, S. 502. 80 Bekanntmachung vom 7.3.1939, in: Betriebsordnung der Firma Augsburger Kammgarn Spinnerei in Augsburg, erlassen am 20. Januar 1934, o. P., § 45a. BWA, Sign. F71/669. 81 Vgl. Hetzer: Industriestadt, 1981, S. 136. Die Arbeitsämter wurden angewiesen, die Kurzarbeiterzulage für die Textilindustrie zu streichen, damit es erleichtert wurde, Arbeitskräfte in die rüstungswichtige Metallindustrie zu verschieben, vgl. Höschle: Textilindustrie, 2004, S. 59.



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die Deutschland-Berichte der Exil-SPD (Sopade) berichteten: An der Lohnkasse kam es zu wüsten Beschimpfungen ob der kaum zum Leben ausreichenden Auszahlung. Dem herbeigerufenen Vertrauensrat gelang es nicht, die Arbeiter/-innen zu beschwichtigen, stattdessen wurde er als „Unternehmerknecht“ und „Betrugsrat“ beschimpft. Auch der dann zur Hilfe geholte Betriebsdirektor konnte die Lage nicht beruhigen, ihm wurden schließlich die Lohnzettel vor die Füße geworfen. Der Direktor stellte klar, dass die Kurzarbeit nicht dem Unternehmen anzulasten sei, sondern „ganz andere Ursachen“ habe. Erst nach „wiederholten Ermahnungen“ gelang es ihm dann schließlich, die Fortführung der Lohnauszahlung zu gewährleisten. Der Zorn der Arbeiter/-innen blieb aber bestehen. Ein Aushang des Vertrauensrates, der in Reaktion auf die Vorkommnisse Unterstützung durch das Winterhilfswerk zusagte, konnte die Arbeiter ebenfalls nicht beschwichtigen. Laut dem Sopade-Bericht ging es ihnen nicht um „Almosen“, sondern um die Möglichkeit, vom eigenen Lohn leben zu können.82 Im Herbst 1937 besserte sich diese Situation durch stark sinkende Rohbaumwollpreise auf dem Weltmarkt; die Kurzarbeit konnte beendet werden. Aber auch in der Folge standen die Textilunternehmer vor dem Problem, die Arbeiter/-innen angemessen zu motivieren. Im Sommer 1938 wanderten viele Textilarbeiter/-innen wegen der dort herrschenden übertariflichen Bezahlung in die Rüstungsindustrie ab. Die AKS wollte die Löhne erhöhen, um die Arbeiter/-innen zu halten, der auf Stabilität der Lohnhöhe bedachte Treuhänder der Arbeit untersagte jedoch diese Maßnahme.83 In diesem Kontext lässt sich das im Nachtrag der Betriebsordnung angesprochene Ansteigen des Fernbleibens von der Arbeit einordnen. Da eine Motivationssteigerung durch höhere Löhne nicht genehmigt wurde, blieb das Instrument der Disziplinarstrafe durch Bußgelder. Eine gewisse Unzufriedenheit mit der nationalsozialistischen Betriebspolitik machte die Leitung der AKS mit einer Antwort auf ein Schreiben des Amtes Schönheit der Arbeit während des Krieges 1941 deutlich. Geradezu spöttisch bedankte sich Direktor Weißbach für die Zusendung eines „Wegweisers ‚Schönheit der Arbeit‘“: „Von den darin aufgezeigten Möglichkeiten werden wir gelegentlich gerne Gebrauch machen. Zurzeit ist ja das Bauen und Reparieren fast unmöglich gemacht.“84 Die „Menschenführung“ im Betrieb, die in Publikationen der DAF gerne als zentrales Moment der Betriebsführung beschrieben wurde, gestaltete sich also in der Praxis äußerst schwierig. Direkte Hinweise darauf, inwieweit die Funktion der Führungskräfte und verschiedene Führungsstile in der AKS reflektiert wurden, las82 Vgl. Behnken (Hg.): Deutschland-Berichte, 1980, S. 1676f. Ein Hinweis auf diesen Berichtet findet sich bei Hetzer: Industriestadt, 1981, S. 136. 83 Vgl. Ebd., S. 136f. 84 Schreiben der Augsburger Kammgarn-Spinnerei (Wch/M) an die Deutsche Arbeitsfront, NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ vom 16.08.1941, o. P. BWA, Sign. F 71-531.

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sen sich nicht finden. Allerdings belegt ein Schreiben der DAF, dass es bei der AKS Experten für „Menschenführung“ gab. Der Betriebsobmann der KammgarnSpinnerei, das NSDAP-Mitglied Steuerer, wurde nämlich im Juni 1940 für eine Sitzung des Fachamtes Textil der DAF freigestellt, wo er ein „höchst interessantes Problem“, nämlich das der „Menschenführung durch die Meister in den Betrieben“ erörterte.85 Die geschlechtliche Dimension der Menschenführung wurde durchaus erkannt. Zwar waren auch in Abteilungen, in denen ausschließlich Frauen arbeiteten, vermutlich die meisten Aufseher und Vorgesetzte Männer. Einen typischen Eindruck gibt insofern eine Fotografie der Wollsortierung bei der AKS aus dem Jahr 1929: Frauen sortieren, Männer beaufsichtigen sie. Abbildung 37: Wollsortierung bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, September 1929.

Quelle: Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg, Sign. F 273-38.

Allerdings lässt sich dieser Befund zumindest für die AKS nicht verallgemeinern.86 Schmid berichtete 1923 in einem Abschnitt über die Lohnentwicklung und die ver85 Schreiben der Deutschen Arbeitsfront, Fachamt Textil, an die Betriebsführung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei vom 29.06.1940, o. P. BWA, Sign. F 71-558. 86 Die Historikerin Elisabeth Plößl setzt anhand der Aufnahme generell voraus, dass Männer die Arbeiterinnen in dieser Zeit beaufsichtigten, vgl. Plößl: Augsburg, 1985, S. 59.



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schiedenen Lohnkategorien bei der AKS davon, dass bereits 1886 weibliche Aufsichtskräfte in den Spinnsälen beschäftigt gewesen waren. In der Lohnhöhe indes lagen diese Aufseherinnen zwar über den Arbeiterinnen in der Spinnerei, aber ein Drittel unter dem Lohn eines männlichen Facharbeiters und sogar knapp unter dem Lohn eines männlichen Hilfsarbeiters.87 Wie Zachmann herausgearbeitet hat, wurde die Geschlechterhierarchie in der Textilbranche im 19. Jahrhundert dadurch gesichert, dass Männern Tätigkeiten zugeteilt wurden, die mit technischen Kompetenzen oder schwerer körperlicher Arbeit verbunden wurden. Mit der Ausübung dieser Tätigkeiten gingen nämlich Weisungsbefugnisse gegenüber den Arbeiterinnen einher.88 Es ist zudem davon auszugehen, dass Aufseherinnen insgesamt nur eine Minderheit selbst unter den unteren Führungskräften ausmachten. Gleichwohl gab es vor der Einrichtung der Sozialen Betriebsarbeiterin Erfahrungen mit Frauen im Personalwesen der AKS. In der Zwirnerei war beispielsweise Mitte der 1930er Jahre eine Vorarbeiterin beschäftigt, deren Aufgabe es war, den Meister zu unterstützen und die Spulerinnen und das Hilfspersonal zu überwachen sowie die Maschinen und deren Bedienung zu beaufsichtigen. Die Beiläufigkeit mit der von der Vorarbeiterin und dem Meister die Rede war, lässt vermuten, dass diese Positionen dem jeweiligen Geschlecht zugeordnet waren.89 Wie noch auszuführen sein wird, war diese Praxis in der Nachkriegszeit dann fest etabliert.

D IE S OZIALE B ETRIEBSARBEITERIN Die Geschichte der betrieblichen Sozialarbeit folgt in der Regel der Erzählung, die die Wirtschaftswissenschaftlerin und liberale Sozialpolitikerin Frieda Wunderlich (DDP) in ihrer Abhandlung über die Fabrikpflege 1926 eingeführt hatte.90 Demnach beginnt die Geschichte der Fabrikpflege damit, dass der evangelische Diakonieverein seit dem Jahr 1900 in Gummersbach ein Arbeiterinnenwohnheim der Spinnerei Krahwinkel, Schnabel & Co. betrieb und von einer Diakonieschwester leiten ließ, die gleichzeitig Arbeitserfahrungen in einer Fabrik vorweisen konnte. Der Schwer-

87 Vgl. Schmid: Augsburger Kammgarn-Spinnerei, 1923, S. 164. 88 Vgl. Zachmann: Männer, 1993, S. 89. 89 Vgl. Anweisung für den Meister der Zwirnerei. Disposition und Verarbeitung der Garne, 27.01.1934, S. 2. BWA, Sign. F 71-768. 90 Vgl. Stoll: Betriebliche Sozialarbeit, 2001, S. 26; Cordemann: Werkfürsorge, 1955, S. 46. Zur Person Wunderlichs, vgl. Wobbe: Wunderlich, 1998. – Sachse schlägt Wunderlich fälschlicherweise der SPD zu, vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 209; Sachse: Siemens, 1990, S. 32.

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punkt der Tätigkeit lag dabei eindeutig auf der Heimerziehung, nach Wunderlich war die Leistungssteigerung in dieser Einrichtung nur aus pädagogischer Hinsicht von Interesse.91 Vier Jahre später ging der katholische Orden der Schwestern des Heiligen Joseph in Trier einer ähnlichen Zielsetzung nach: Sie bildeten Fabrikpflegerinnen aus, die zunächst einen vierwöchigen Kurs besuchen mussten, worauf eine einjährige Lehrzeit in einer Fabrik folgte. Nach dieser Ausbildung sollten die Frauen eine Position einnehmen, in der sie gleichzeitig als Fürsorgerinnen und als Meisterinnen tätig waren. Die Idee, technische und soziale Aufgaben zu verbinden, konnte aber kaum umgesetzt werden. Nur in einer Tabakfabrik wurde die „Beaufsichtigung und sittliche Beeinflussung der Arbeiterinnen“ mit der „Leitung und Prüfung der Arbeit“ in den Händen einer derart ausgebildeten Frau zusammengelegt. In der Regel scheiterte das Vorhaben in Betrieben, in denen sowohl Männer als auch Frauen arbeiteten, am Widerstand der Männer gegen die Einsetzung einer weiblichen Vorgesetzten. Weiterhin gingen die Betriebsleitungen davon aus, dass die disziplinarische Rolle einer Vorgesetzten es unmöglich mache, das Vertrauen der Arbeiterinnen zu wecken.92 In diesem Sinne wurden zunächst ausschließlich Fabrikpflegerinnen beschäftigt; bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs waren dies nach Wunderlichs Angaben allerdings auch nur etwa 20 Frauen in Deutschland, zumeist bei Großunternehmen wie AEG, Siemens oder Krupp. Ihre Aufgaben bestanden vor allem in der Betreuung der Sozialräume, der Durchführung von Hauswirtschafts- und Handarbeitskursen sowie der Krankenpflege.93 Diese geringe Zahl lässt sich allerdings aufgrund einer Studie der Historikerin Susanne Hilger zur rheinisch-westfälischen Stahlindustrie anzweifeln. Hilger weist ältere Annahmen zurück, dass vor Kriegsausbruch kaum Fabrikpflegerinnen beschäftigt worden seien, und belegt, dass mehrere Unternehmen dieser Branche in dieser Region bereits vor 1914 „Fürsorgeschwestern“ beschäftigten, die im Sozial- oder Gesundheitswesen ausgebildet waren und sich um Arbeiter/-innen und deren Familien kümmerten. Trotz der abweichenden Berufsbezeichnung stimmten die Aufgaben einer Fürsorgeschwester beispielsweise bei der GHH mit denjenigen einer Fabrikpflegerin weitgehend überein.94 Es ist zu vermuten, dass Hilgers Befunde auch in anderen Wirtschaftszweigen und in anderen Teilen Deutschland bestätigt werden könnten. In der Tradierung Wunderlichs fand auch das bereits 1889 gegründete Mädchenheim der AKS keinen Platz, obwohl wie bereits beschrieben Teile der späteren Funktionen der Fabrikpflegerinnen von der Leiterin des Heimes übernommen wurden, nämlich das allgemeine Ziel einer sittlichen Erziehung und das spezielle Ziel 91 Vgl. Wunderlich: Fabrikpflege, 1926, S. 1; Cordemann: Werkfürsorge, 1955, S. 46. 92 Wunderlich: Fabrikpflege, 1926, S. 1f. 93 Vgl. ebd., S. 3; Stoll: Betriebliche Sozialarbeit, S. 26. 94 Vgl. Hilger: Sozialpolitik, 1996, S. 222, 225.



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der Ausbildung zur Haushaltsführung. Auch die Motorenfabrik Deutz hatte bereits 1890 eine Fürsorgeschwester beschäftigt; der Unternehmenshistoriograph Goldbeck vermutete, dass Deutz damit als erster Betrieb eine derartige Betreuung der Arbeit vornahm. Beim Kölner Unternehmen war ebenso wie bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei der soziale Protestantismus eines Direktors die treibende Kraft hinter dieser Betriebspolitik. 95 In erster Linie lag die Aufgabe dieser Frau, einer Schwester des Roten Kreuzes, bei Deutz auf der „häusliche[n] Krankenpflege“. Sie stattete den „Armen und Kranken“ regelmäßige Besuche ab, verteilte Unterstützungen, teilweise in Geld, hauptsächlich in Naturalien, und kümmerte sich um die Wöchnerinnen.96 Sehr avanciert war ein nie umgesetztes Projekt des Sozialsekretärs Friedrich Schomerus bei Nordwolle. Schomerus entwarf in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts Pläne zu einer Akademie, in der Sozialarbeiterinnen ausgebildet werden sollten, deren Aufgabe in der Fabrik es gewesen wäre, den Arbeiterinnen als Beraterin zur Verfügung zu stehen und die gleichzeitig als Bindeglied zwischen Produktionsbeschäftigten und Betriebsführung dienen sollten.97 Größere Verbreitung fand die Fabrikpflege aber erst im Ersten Weltkrieg, als die Rüstungsproduktion stockte. Den neuen Rüstungsarbeiterinnen, die die eingezogenen Männer ersetzten, wurde mangelnde Arbeitsdisziplin und -leistung vorgeworfen. Ab 1917 wurden staatliche Rüstungsbetriebe, die Frauen beschäftigten, vom Rüstungsministerium gedrängt, Fabrikpflegerinnen einzustellen; auch private Unternehmen mussten, wollten sie nicht Gefahr laufen, Rüstungsaufträge zu verlieren, Fabrikpflegerinnen beschäftigen. In Kursen von ein bis zwei Monaten wurden diese Sozialarbeiterinnen von den Frauenreferaten der Kriegsamtsstellen ausgebildet, wobei oft eine Kooperation mit den zu dieser Zeit vermehrt entstehenden Sozialen Frauenschulen gesucht wurde.98 Im Sommer 1918 wurden dann insgesamt 789 Fabrikpflegerinnen beschäftigt, die teilweise mehrere Betriebe betreuten und zusammen für über 730.000 Arbeiterinnen, also für mehr als ein Drittel der Industriearbeiterinnen, zuständig waren.99 In dieser Phase zeigten sich bereits die wesentlichen Probleme und Chancen, die mit dieser Einrichtung verbunden wurden. Anfangs waren sowohl Unternehmer als auch Arbeiter/-innen skeptisch gegenüber den Fabrikpflegerinnen eingestellt. Von Unternehmensseite wurde nach der staatlich forcierten Einstellung der Fabrikpflegerinnen während des Krieges zunächst befürchtet, es könnten Einmischungen in die Betriebspraxis erfolgen. Umfragen der Kriegsamtsstellen ergaben dann aber grundsätzlich positive Rückmeldungen von den Betriebsleitungen; nicht nur in „so95 Goldbeck: Kraft, 1964, S. 140. 96 Post/Albrecht: Musterstätten, Bd. 2, 1893, T. 1, S. 148, Anm. 24. 97 Vgl. Rosenberger: Experten, 2008, S. 46. 98 Vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 214f.; Sachse: Siemens, 1990, S. 38. 99 Vgl. Wunderlich: Fabrikpflege, 1926, S. 6; Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 215.

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zialer und ethischer Hinsicht“, sondern auch in Hinblick auf ökonomische Belange wurde die Maßnahme als Erfolg bewertet: Die „Arbeitswilligkeit, -fähigkeit und -stetigkeit“ der Arbeiterinnen sei gesteigert worden.100 In diesem Sinne zeigte sich schon in der Frühphase des neuen Modells der Ansatz zu einer modernen Personalpolitik, die insbesondere während des Nationalsozialismus wieder aufgenommen werden sollte. 101 Die anfängliche Abneigung der Arbeiter/-innen wiederum galt dem Fürsorgekonzept an sich: Die Skepsis zielte auf eine bürgerliche Frau, die vom Unternehmen bezahlt wurde, und nicht aus eigener Erfahrung mit den alltäglichen Sorgen der Arbeiterinnen vertraut war. So kamen die Forderungen auf, es seien für die Positionen ehemalige Arbeiterinnen auszuwählen, die zudem nicht vom Unternehmen einzustellen seien.102 Auch diese Forderungen wurden, wie noch auszuführen sein wird, im Konzept der Sozialen Betriebsarbeiterin wieder aufgegriffen. Praktisch gelang das Ziel, „Fühlung“ mit den Arbeiterinnen aufzunehmen, kaum; in den Pausen konnten die Fabrikpflegerinnen die Distanz zu den Arbeiterinnen nicht überwinden, für Hausbesuche fehlte in der Regel die Zeit.103 Während sich also Ansätze zu einem modernen Personalmanagement, das sich auch mit den subjektiven Potentialen der Arbeiterinnen beschäftigte, nicht ohne weiteres umsetzen ließen, war den repressiven Anteilen der Personalführung mehr Erfolg beschieden. So berichtete Wunderlich von einer Fabrik, in deren Kantine die Lehrlinge um hohe Geldsummen Karten spielten. Nachdem sich auch die Fabrikpflegerin regelmäßig in diesen Räumen aufhielt, verschwand diese „Unsitte“.104 Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurden die meisten Fabrikpflegerinnen entlassen. Die Historikerin Carola Sachse nimmt für die Weimarer Republik eine Zahl von nur noch 100 bis 150 Frauen an, die in der betrieblichen Sozialarbeit tätig waren. In erster Linie waren diese Frauen in Großbetrieben der Chemie, Elektro- oder Schwerindustrie beschäftigt und kümmerten sich vorwiegend um Fragen der Familienfürsorge und kaum um Regelungen am Arbeitsplatz. Allerdings geht Sachse fehl in der Annahme, diese Frauen seien grundsätzlich Absolventinnen der nun etablierten Sozialen Frauenschulen gewesen.105 In der Mitte der 1920er Jahre war von den überhaupt nur knapp 90 Fabrikpflegerinnen, die eine zeitgenössische Studie erfasste, lediglich ein Drittel auf diesen Sozialen Frauenschulen ausgebildet 100 Wunderlich: Fabrikpflege, 1926, S. 7. 101 Herf hat mit seinem Konzept eines „reaktionären Modernismus“ erläutert, wie im Nationalsozialismus die technologische Moderne zumindest partiell begrüßt werden konnte, ohne dass damit ein Bekenntnis zu den politischen Werten der Aufklärung verbunden gewesen wäre, vgl. Herf: Reactionary Modernism, 2003, S. 155. 102

Wunderlich: Fabrikpflege, 1926, S. 7ff.

103

Ebd., S. 11.

104

Ebd., S. 13.

105

Vgl. Sachse: Siemens, 1990, S. 41; Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 218.



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worden. Beim Großteil der Frauen handelte es sich, wie schon eine Generation zuvor, um Krankenschwestern, die auch im Betriebsalltag hauptsächlich krankenpflegerischen Aufgaben nachkamen, zumeist also die Unfallstation betreuten.106 Betriebspolitische Erwägungen spielten hingegen bei der zeitgenössischen Entwicklung der betrieblichen Sozialarbeit in den USA, Frankreich und Großbritannien eine wesentlich größere Rolle. Die Historikerin Laura Lee Downs bewertet die im Ersten Weltkrieg eingeführte Arbeit der Fabrikpflegerinnen in Frankreich und Großbritannien als eine geschlechtsspezifische Form des industriellen Personalmanagements. Speziell auf Arbeiterinnen gemünzte Methoden sollten zum allgemeinen Ziel einer gesteigerten Effizienz und erhöhten Disziplinierung beitragen. In Frankreich beschnitten die surintendantes d’usine sogar partiell die Macht der Meister und Vorarbeiter, indem sie Arbeiterinnen auf andere Arbeitsplätze versetzen konnten. Dies lässt sich als Managementstrategie zur Verwissenschaftlichung der Betriebspraxis und zur Begrenzung der Willkürherrschaft der Meister verstehen.107 Frieda Wunderlich forderte bereits 1926, dass sich auch in der deutschen Fabrikpflege der Gedanke durchsetzen müsse, „die Arbeiterwohlfahrt in direkten Zusammenhang mit der Arbeit zu bringen“. Die Fabrikpflege müsse aus der Tradition des Patriarchalismus heraustreten und Teil einer „neuen Betriebspolitik“ werden. Besondere Bedeutung käme dabei der Arbeitsplatzgestaltung zu; in Großbritannien wirkte die Fabrikpflegerin bereits für die praktische Umsetzung arbeitswissenschaftlicher Forderungen nach einer Verbesserung der Luft- und Lichtverhältnisse in den Fabriken, in Deutschland fehlte diese „Verbindung von Wissenschaft und Praxis“ noch.108 Das Bielefelder Modell der Sozialen Betriebsarbeit stieß am Ende der Weimarer Republik in diese Lücke und nahm zudem Teile der Kritik an der Fabrikpflege in das neue Konzept auf. Die Nähe zur internationalen Entwicklung wurde dabei insbesondere nach der Übernahme des Modells (und des Begriffes) im Nationalsozialismus nicht thematisiert; es hätte nicht in die gewollte Selbstdarstellung gepasst, den vermeintlich spezifisch deutschen Weg einer sozialen Betreuung am industriellen Arbeitsplatz womöglich als einen Aspekt der Amerikanisierung zu begreifen.109 106

Vgl. Wunderlich: Fabrikpflege, 1926, S. 17. So war auch bei Opel in der Zwischenkriegszeit eine „Fabrikschwester“ tätig, vgl. Neugebauer: Frauen, 1999, S. 189.

107 Vgl. Downs: Manufacturing Inequality, 1995, S. 13, 158, 183. 108

Ebd., S. 30, 34f. Downs weist allerdings darauf hin, dass die Fabrikpflegerinnen in Großbritannien nach Ende des Ersten Weltkriegs nur noch eine geringe Rolle spielten bzw. dass die betriebliche Sozialarbeit nun in der Dienstleistungsbranche und in der Lebensmittelindustrie zu einem wichtigen Faktor wurde, vgl. Down: Manufacturing Inequality, 1995, S. 153.

109

In der Weimarer Republik wurde vereinzelt durchaus auf die Fabrikpflege als eines der Momente hingewiesen, die als ein fortschrittlicher und nachahmenswerter Aspekt des

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Entwickelt wurde das Modell von den gewerkschaftlich organisierten Sozialarbeiterinnen Ilse Ganzert und Lotte Jahn; praktisch erprobt wurde es nach seiner Entstehung bei Oetker vor 1933 aber nur bei einem halben Dutzend westfälischer Textilunternehmen. Während die Familienfürsorge der zeitgenössischen Fabrikpflegerinnen hauptsächlich auf Arbeiterfamilien zielte, die sich bürgerlichen Werten anschlossen und aufstiegsorientiert waren, ging es bei der Sozialen Betriebsarbeit auch um die Beschäftigung mit Arbeiterinnen, die gerade nicht problemlos waren, sondern eine spezielle Betreuung oder Motivation zu benötigen schienen. Das Bielefelder Konzept griff arbeitswissenschaftliche Ansätze auf und ging deutlich über das Ziel einer Disziplinierung hinaus. Die Arbeiterinnen sollten ihre Lethargie ablegen können, Initiative entwickeln und Minderwertigkeitsgefühle verlieren.110 Die Zielsetzungen hinter diesen praktischen Versuchen weisen also eine gewisse Nähe zu den im vorangegangen Kapitel besprochenen Einrichtungen der Selbstkontrolle und Selbstkalkulation bei Klöckner-Humboldt-Deutz auf; die grundsätzliche Form der Problematisierung der Industriearbeit ähnelte sich sehr, zum Versuch einer Lösung wurden aber unterschiedliche Wege eingeschlagen. In einem glichen sich die beiden Versuche: Sie gingen davon aus, dass die Arbeiter/-innen Anregungen bzw. Anweisungen aus den eigenen Kreisen offener gegenüberstehen würden, als wenn diese ihnen von Angestellten erteilt werden würden. So hoffte die KHD darauf, dass die Arbeiter mit den Akkordfestlegungen eines Kollegen aus der Produktion, des Selbstkalkulators, einverstanden seien und sie als gerecht empfänden, weil derjenige, der den Akkord festgelegt hatte, über tatsächliche Arbeitserfahrung unter diesem Akkord verfügte. Auf ähnliche Weise sollte die Soziale Betriebsarbeiterin als Arbeiterin, als Kollegin gesehen werden. Zu diesem Zweck sah das Konzept der Sozialen Betriebsarbeit von Beginn an vor, dass die zukünftige Soziale Betriebsarbeiterin vor jeder sozialpädagogischen Aktivität zunächst in der Produktion tätig sein müsse. So hielt Ganzert bereits 1929 fest, die Soziale Betriebsarbeiterin beginne „in dem Betrieb, in dem sie eine sozialpädagogische Arbeit aufbauen soll, als Arbeiterin und arbeitet in den verschiedenen Abteilungen der Betriebe mit“. Außerdem wurden Bedenken aus der Arbeiterschaft aufgegriffen, die bereits im Ersten Weltkrieg virulent gewesen waren: Die Soziale Betriebsarbeiterin sollte nicht Angestellte des Unternehmens, sondern des Ausschusses für Soziale Betriebsarbeit sein.111 Beide Maßnahmen sollten also verhindern, dass die Soziale Betriebsarbeiterin von Beginn an als eine bürgerliche Frau wahrgenommen wurde, die im Dienste der Betriebsleitung stehe und sich nicht mit den amerikanischen Arbeitslebens angesehen wurden, vgl. Müller: Wirtschaftsführung, 1926, S. 116. 110 111

Vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 222-227; Sachse: Siemens, 1990, S. 78. Ilse Ganzert, Soziale Betriebsarbeit, in: Die Frau, 36. Jg., 1929, S. 341-348, hier S. 343f.



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Arbeitssorgen der Arbeiterinnen auskenne. Auch der Geruch der patriarchalen Fürsorge sollte der Position genommen werden; das Konzept verstand sich als Erneuerung der „industriellen Wohlfahrtsarbeit“, das nun unter dem „Prinzip der Selbsthilfe“ stehen sollte.112 Vor 1933 kam es wie gesagt kaum zu einer Umsetzung des Konzepts der Sozialen Betriebsarbeit. Direkt nach der Zerschlagung der Gewerkschaften 1933 nahm dann die ehemalige Gewerkschafterin Ganzert Kontakt zur Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink auf. Die Soziale Betriebsarbeit passte ins nationalsozialistische Konzept und Ganzert wurde Sachbearbeiterin in der neu gegründeten „Zentralstelle der sozialen Betriebsarbeit“ im Frauenamt der DAF, das ebenfalls von Scholtz-Klink geleitet wurde. Im Herbst 1934 präsentierte die Zentralstelle ein Modell, das es allen Betrieben mit mehr als 250 weiblichen Beschäftigten vorschreiben sollte, eine Soziale Betriebsarbeiterin einzustellen, während die Möglichkeit bestehen sollte, die Einstellung von an den Sozialen Frauenschulen ausgebildeten Werksfürsorgerinnen zu unterbinden. Die Sozialen Betriebsarbeiterinnen waren dann zunächst auch Beschäftigte des Frauenamtes der DAF, das wiederum mit den Betrieben Verträge abschloss. Bis Ende 1935 wurden auf diese Weise 40 Soziale Betriebsarbeiterinnen von verschiedenen Unternehmen beschäftigt, während zeitgleich weiterhin etwa 380 Werksfürsorgerinnen in den Betrieben tätig waren. Die Wirtschaft wehrte sich gegen diese Versuche der DAF, in die Betriebspolitik einzugreifen; in einem Abkommen zwischen der Reichsgruppe Industrie, dem Frauenamt und der Reichswirtschaftskammer wurde im Dezember 1935 festgelegt, dass die Sozialen Betriebsarbeiterinnen künftig vom Betrieb ausgewählt und angestellt werden sollten, während das Frauenamt für die Schulung der Werksfürsorgerinnen zuständig sein sollte.113 Bezüglich der Anzahl der Sozialen Betriebsarbeiterinnen gibt es zwei Unsicherheiten: Zum einen beruhen alle Zahlen auf NS-Publikationen, zum anderen vermengen auch zeitgenössische Quellen oft die Sozialen Betriebsarbeiterinnen mit den Werksfürsorgerinnen.114 Fest steht, dass auch in diesem Fall der Krieg zu einem starken Anstieg der Sozialarbeiterinnen in den Betrieben führte. Die Historikerin Sachse nennt für beide Berufsgruppen zusammen die Zahl von 1000 im Jahr 1938, für 1943 geht sie von der von Scholtz-Klink genannten Zahl von 3000 aus.115 Die angegebene Anzahl der Sozialen Betriebsarbeiterinnen allein ist dermaßen niedrig, 112

Ebd., S. 348.

113

Vgl. Sachse: Siemens, 1990, S. 78ff.

114 Auch eine ausgewiesene Expertin für die Industriearbeit im Nationalsozialismus wie die Soziologin Tilla Siegel kommt aufgrund der verwirrenden Quellenaussagen zu dem irrigen Schluss, die Werksfürsorgerinnen seien von der DAF als „Soziale Betriebsarbeiterinnen“ bezeichnet worden, vgl. Siegel: Rationalisierung, 1988, S. 120f. 115 Vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 235.

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dass den NS-Statistiken durchaus Glauben zu schenken ist: Propagandistische Erfolge waren von Zahlen dieser Höhe kaum zu erwarten. 1934 gab es kaum mehr Soziale Betriebsarbeiterinnen als am Ende der Weimarer Republik, die Zahl wurde mit acht angegeben. Ende 1935 habe es bereits 65 Frauen in diesem Beruf gegeben, im folgenden Jahr habe sich die Zahl verdoppelt. Im April 1937 seien dann 157 Soziale Betriebsarbeiterinnen in den Unternehmen tätig gewesen, 121 Anwärterinnen seien bereit gewesen, bald in eine entsprechende Anstellung zu gelangen. Gleichzeitig gab es weiterhin eine größere Anzahl von Werkspflegerinnen.116 Selbst 1940 wurde noch freimütig eingeräumt, dass die Zahl der Sozialen Betriebsarbeiterinnen, obwohl sie in den vorangegangenen Monaten stark angestiegen sei, im Verhältnis zu den Betrieben mit weiblicher Belegschaft, die keine solche Stelle besetzt hätten, „noch klein“ sei.117 Aufgrund dieser Zahlen ist offensichtlich, dass die Zahl von 972 Sozialen Betriebsarbeiterinnen, die die DAF-Propagandabroschüre Leistungskampf der deutschen Betriebe 1938/1939 angab, die Werkspflegerinnen mit einschloss. Es ist durchaus möglich, dass die Zahlen nicht gezielt geschönt wurden, sondern dass selbst das zuständige Amt für soziale Selbstverantwortung nicht mit der Terminologie des benachbarten Frauenamtes vertraut war. Die unklare Trennung der beiden Berufsgruppen Werkspflegerinnen und Soziale Betriebsarbeiterinnen gilt es noch zu erörtern. Die Bebilderung der genannten Broschüre gibt zumindest Auskunft darüber, dass trotz aller Bemühungen des Frauenamtes, einen Neubeginn in der betrieblichen Sozialarbeit zu markieren, sich gewisse Traditionen als langlebig erwiesen. Die Bildbeschreibung erklärte die Soziale Betriebsarbeiterin zum besten „Ratgeber und Helfer“ der beschäftigten Frauen.118 Das Foto zeigt das Büro der Sozialen Betriebsarbeiterin, sie trägt einen weißen Kittel und hält die Hand einer Arbeiterin, die ihr offensichtlich ihre Sorgen erzählt; eine weitere Arbeiterin sitzt daneben. Sowohl Kleidung als auch Tätigkeit stehen in der krankenpflegerischen und fürsorgerischen Tradition des Berufs. Diese Aufgabe hätte auch von einer Werkspflegerin übernommen werden können.

116 Vgl. I. R.: Aus der Arbeit des Frauenamtes der DAF, in: Arbeitertum, 5.7.1937. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-6073, Bl. 41.; R. N.: Die Entwicklung der sozialen Betriebsarbeit, in: Mitteilungsblatt der DAF, Nr. 12, 1937. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-7045, Bl. 67. 117 Herta Schulze: Wie wünschen wir uns die Betriebsfrauenwalterin?, in: Die werktätige Frau, Folge 4/5, April/Mai 1940. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-6154, Bl. 13. 118 Hupfauer/Denckler: Leistungskampf, [1939], o. P.



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Abbildung 38: „972 Betriebe bestellen neue soziale Betriebsarbeiterinnen. Diese sind den im Betriebe schaffenden Frauen bester Ratgeber und Helfer.“

Quelle: Hupfauer/Denckler: Leistungskampf [1939], o.P.

Innerhalb des Frauenamtes war die Unterscheidung noch deutlich: Die Abteilung „Sozialarbeit im Betrieb“ teilte sich in die Unterabteilungen „Soziale Betriebsarbeit“ und „Werkpflegerin“. Die erste war unter Abteilungsleiterin Ilse Ganzert für Betriebe mit weiblichen Beschäftigten zuständig, letztere für die Betriebs- und Familienfürsorge in Unternehmen mit ausschließlich männlicher Belegschaft.119 Das Frauenamt selbst definierte den Unterschied wie folgt: Die Soziale Betriebsarbeiterin hatte in erster Linie „arbeitspädagogische Aufgaben“ zu erfüllen und wurde im Betrieb selbst eingesetzt, während die Werkspflegerin sich um „familienfürsorgerische Aufgaben“ kümmerte, vorwiegend also außerhalb des Betriebs tätig war und nur noch in Unternehmen mit „männlicher Belegschaft und in Zechen“ einzusetzen war.120 Allerdings sollte auch die fürsorgerische Tätigkeit eine neue Ausrichtung erhalten und jetzt ebenfalls der „Erziehung zur Selbsthilfe“ dienen.121 In der Praxis 119 Vgl. Geck: Betriebsführung, 1938, S. 66; ähnlich Erwin Gerlach: Die soziale Betriebsarbeiterin, in: Völkischer Beobachter, 27.01.1938. 120 Anonym: Soziale Betriebsarbeiterin und Werkpflegerin, in: Kurzberichte für die Frau, 27.04.1936. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-7045, Bl. 104. 121 Ilse Reicke, Die Soziale Betriebsarbeiterin, in: Die Frau, Nr. 9, Juni 1937. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-7045, Bl. 79. – Das Ziel der „Selbsthilfe“ hatte bereits in der Weimarer Republik zum Programm der Sozialpolitik gehört, rückte nun jedoch in den Mittel-

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blieb, wie Carola Sachse festhält, auch in Branchen mit großem Arbeiterinnenanteil die Familienfürsorge die Hauptaufgabe der Sozialarbeiterinnen im Betrieb, unabhängig davon, unter welcher Bezeichnung sie tätig waren.122 Selbst in offiziellen Pressediensten wurde die Terminologie nicht immer eingehalten. So hieß es in einer Meldung von 1940, die Soziale Betriebsarbeiterin werde „auch in Betrieben mit rein männlicher Belegschaft eingesetzt“. Allerdings wurde auch hier trotz dieser begrifflichen Vereinheitlichung darauf Wert gelegt, dass es in solchen Unternehmen im Gegensatz zur arbeitspädagogischen Tätigkeit in ‚Frauenbetrieben‘ in erster Linie um die „Aufgabe der Familienfürsorge“ gehe.123 Im Konzept der Sozialen Betriebsarbeit war also grundsätzlich ein Unterschied in der Behandlung von Arbeitern und Arbeiterinnen angelegt. Für die Arbeiterinnen schien eine Betreuung am Arbeitsplatz selbst unabdingbar zu sein: „Gerade in Betrieben mit vorwiegend weiblicher Gefolgschaft ist jedoch eine soziale Betreuung am Arbeitsplatz selbst notwendig.“124 Auch nach dem Abkommen mit der Industrie im Dezember 1935 stellte die DAF die Soziale Betriebsarbeiterin zumindest partiell als Interessenvertreterin der Arbeiterschaft und als „Beauftragte“ des Frauenamtes dar. Die Betriebsfürsorgerin wurde als Relikt eines patriarchalen Kapitalismus dargestellt, sie sei ein „Requisit aus den Tagen der Wohltätigkeitsbälle“, die im Krankenraum saß und Verbände anlegte. Die neue Soziale Betriebsarbeiterin hingegen sei am Arbeitsplatz selbst tätig, um gegebenenfalls Änderungen einzufordern. In diesem Sinne wurde in einem Zeitungsartikel einem vermutlich fiktiven Meister das Wort in den Mund gelegt, diese Frau sei „schlimmer als ein Ingenieur“, weil sie Änderungen an einer Maschine zur Arbeitserleichterung verlangte. Als besondere Stärke der Sozialen Betriebsarbeiterin (SB) stellte der Artikel folglich gerade die Berechtigung ihrer Forderungen heraus: „Aber die SB kennt die Arbeit und weiß um Arbeitsschäden, hat sie doch selbst an diesen Maschinen als Arbeiterin gesessen.“125 Die Tätigkeit wurde als ein „mopunkt. In den preußischen Richtlinien für die Lehrpläne an Wohlfahrtsschulen aus dem Jahr 1930 hatte der Akzent noch auf der „Befähigung des Hilfsbedürftigen zur Selbsthilfe“ gelegen, die materielle Bedürftigkeit war also anerkannt worden. Nach 1933 hingegen wurden soziale Notlagen häufig in erster Linie als Erziehungsproblem behandelt, vgl. Zeller: Frauenschulen, 1993, S. 127. 122 Vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 268. 123 Die soziale Betreuung der berufstätigen Frau (Verlag der Pressekorrespondenzen, 13.11.1940). BA Berlin, Sign. NS 5/VI-6154, Bl. 8. 124 Pi.: Soziale Betriebsarbeit als Frauenberuf, in: Die Nahrungsmittelarbeit. Fachliches Schulungsblatt der Deutschen Arbeitsfront, Nr. 7, 5.7.1938. BA Berlin, Sign. NS 5/VI6843, Bl. 7. 125 rk.: SB erobert die Betriebe!, in: Württembergische Landeszeitung, 22.1.1938. BA, Sign. NS 5/VI-7045, Bl. 37.



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derne[r] Frauenberuf“ dargestellt, der „nichts mit Wohlfahrt im alten Sinne zu tun“ habe.126 Die Soziale Betriebsarbeiterin wurde häufig in Pressepublikationen faktenwidrig und dem Abkommen mit der Industrie widersprechend zur „Beauftragte[n] des Frauenamtes der DAF“ stilisiert und mithin zu einer Figur, die die vermeintliche Betriebsgemeinschaft verkörperte, weil sie für keine Seite des alten Arbeitskampfes Partei ergriff, sondern „sich der Gefolgschaft und dem Betriebsführer gegenüber gleichermaßen verpflichtet“ fühle.127 Folglich beanspruchte die DAF, ihre vermeintlichen „Beauftragten“ nach „politischen und psychologischen Gesichtspunkten“ auszuwählen und an die Betriebe zu vermitteln.128 Die bereits eingangs dieses Kapitels geschilderte Einstellung der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei wiederum gibt ein völlig anderes Bild von der Besetzung dieser Position als die DAFPropaganda. Inwieweit entsprach die Tätigkeit Bomkes dem Bild der SB? Lässt sich tatsächlich ein neues Aufgabenprofil erkennen, das sich deutlich von dem einer Werkspflegerin unterschied? Inwieweit ging die Tätigkeit der Sozialen Betriebsarbeiterin, wie es Ganzert in der Zeitschrift des Frauenamtes „Die Frau am Werk“ 1936 angekündigt hatte, darüber hinaus, „nur in der Krankenstube“ zu wirken oder für die Einrichtung der Betriebskantine zuständig zu sein?129 Das geschilderte Problem bei der Besetzung der Stelle war ein allgemeines, die DAF räumte im Juli 1938 selbst in einem Fachperiodikum ein, dass an solchen Kräften „großer Mangel“ herrschte. Abhilfe wurde durch „großzügige Schulung“ durch das Frauenamt versprochen.130 Das Frauenamt pochte darauf, dass zwar die 126 Anonym: Ein neuer Beruf für Frauen: Soziale Betriebsarbeiterinnen!, in: Mitteldeutsche Nationalzeitung, 28.07.1938. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-6843, Bl. 5. 127 Ilse Reicke: Die Soziale Betriebsarbeiterin, in: Die Frau, Nr. 9, Juni 1937. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-7045, Bl. 79.; ähnlich: Jahrestreffen der Sozialen Betriebsarbeiterinnen (N. S. K., Nr. 146, 28.06.1937). BA Berlin, Sign. NS 5/VI-7045, Bl. 71. – Sachse hält fest, dass die Reichsgruppe Industrie anfängliche Versuche bald aufgab, dieser Darstellung der DAF zu widersprechen; in der NS-Presseöffentlichkeit setzte sich somit das Bild der SB als Beauftragte der DAF durch, vgl. Sachse: Siemens, 1990, S. 80. 128 Anonym: Vermittlung der sozialen Betriebsarbeiterinnen für das Frauenamt der Deutschen Arbeitsfront, in: Monatshefe für NS-Sozialpolitik, Nr. 21, 10.11.1937. BA Berlin, NS 5/VI-6078, Bl. 3; ähnlich: W. Kohlstock: Eine soziale Betriebsarbeiterin hat große Aufgaben, in: Thüringer Gauzeitung, 20.11.1937. 129 Vgl. Ilse Ganzert: Die soziale Betriebsarbeiterin, in: Die Frau am Werk, Januar 1936. BA Berlin, NS 5/I-322, Bl. 23ff., hier Bl. 25. 130 Pi.: Soziale Betriebsarbeit als Frauenberuf, in: Die Nahrungsmittelarbeit. Fachliches Schulungsblatt der Deutschen Arbeitsfront, Nr. 7, 5.7.1938. BA Berlin, Sign. NS 5/VI6843, Bl. 7

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Einigung mit der Reichsgruppe Industrie 1935 ergeben hätte, dass die jeweilige Betriebsleitung eine Sozialarbeiterin auswählen könne, dass aber das zuständige Gaufrauenamt „geeignete Vorschläge für die Einstellung“ mache. 131 AKS-Direktor Weißbach hingegen suchte über persönliche Kontakte zu der Werkspflegerin eines anderen Textilbetriebs eine Fachkraft und ließ die DAF bei der Suche außen vor. Wie der bereits dargelegte Briefwechsel zwischen Weißbach und der Werkspflegerin der Leipziger Wollkämmerei festhielt, kamen in diesem Fall nur Absolventinnen einer Sozialen Frauenschule in die engere Wahl. Diese Ausbildung zur Sozialarbeiterin war zwar weiterhin legitim, die DAF stellte aber klar, dass sie einen anderen Weg bevorzugte. So hieß es in einem Artikel im Völkischen Beobachter, der „schönste Weg“ sei es, wenn „eine aus dem Betrieb selbst hervorgegangene Arbeiterin (oder auch die Vertrauensfrau) mit fürsorglicher Befähigung und Führereigenschaften die Vorschulung“ durchliefe und dann eingestellt werde.132 Diese bevorzugte Laufbahn sollte eine fünfjährige Erfahrung als Fabrikarbeiterin beinhalten, verschiedene Kurse bzw. Praktika als Samariterin, im Krankenhaus und bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und nach Möglichkeit die Tätigkeit als Vertrauensfrau der DAF im Betrieb. Zudem sollte die Soziale Betriebsarbeiterin eine „einheitliche weltanschauliche und arbeitspädagogische Ausrichtung durch das Frauenamt“ erhalten und diese verinnerlicht haben. Die vor 1933 etablierte Ausbildung an einer Sozialen Frauenschule hingegen genügte der DAF „allein für die Durchführung der weltanschaulichen und arbeitspädagogischen Aufgaben im Betrieb nicht“; Schulungen wurden deshalb für notwendig erklärt.133 Carola Sachse betrachtet diese Vorlieben der DAF als Teil eines Konzeptes zur „Disziplinierung der weiblichen Arbeitskräfte durch Frauen aus ihren eigenen Reihen“.134 Diese Einschätzung ist überzeugend, allerdings wird zu fragen sein, ob es beim Prinzip der Personalführung durch (ehemalige) Arbeiterinnen ausschließlich um Fragen der Disziplinierung ging oder ob nicht zudem auch andere Formen der Machtausübung eine Rolle spielten. Zunächst lässt sich festhalten, dass die AKS mit der Ablehnung des von der DAF präferierten Modells keineswegs allein stand. Viele Unternehmer befürchteten, die Soziale Betriebsarbeiterin könne die Funktion einer Sozialkommissarin der DAF im Betrieb übernehmen und suchten folglich für 131 Bekanntmachung: Neugestaltung der Sozialarbeit im Betrieb. Eine wichtige Vereinbarung zwischen Frauenamt und Reichsgruppe Industrie, erstellt im Februar 1936. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-6073, Bl. 77. 132 Erwin Gerlach: Die soziale Betriebsarbeiterin, in: Völkischer Beobachter, 27.01.1938. 133 Bekanntmachung: Neugestaltung der Sozialarbeit im Betrieb. Eine wichtige Vereinbarung zwischen Frauenamt und Reichsgruppe Industrie, erstellt im Februar 1936. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-6073, Bl. 77. 134 Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 235.



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diese Position Frauen ohne zu große DAF-Nähe aus. Insbesondere großen Industriekonzernen gelang es, den Einfluss der DAF zurückzuweisen und Sozialarbeiterinnen einzustellen, die keine Ausbildungen oder Schulungen bei der Arbeitsfront durchlaufen hatten.135 Ähnlich verlief es wie gesagt auch bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei: Die Soziale Betriebsarbeiterin wurde, anders als von der DAF vorgesehen, nicht auf Vorschlag des Gaufrauenamtes ausgewählt; zudem entsprach das Profil der dann eingestellten Edith Bomke dem einer Werkspflegerin. Sie hatte eine Fachschule besucht und als Fabrikantentochter einen nicht zu leugnenden bürgerlichen Familienhintergrund. Gleichwohl durchlief sie den für Soziale Betriebsarbeiterinnen vorgesehenen Einstiegsweg in die Position und arbeitete – vermutlich in den ersten zehn Wochen – in der Produktion. Die Bekanntmachung, die Bomke danach für die „Frauen und Mädchen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei“ ans Schwarze Brett des Betriebes schlagen ließ, benannte sie zwar als Soziale Betriebsarbeiterin, die Beschreibung ihrer Funktionen ging allerdings nicht über die einer Werksfürsorgerin hinaus: „Ich will Ihnen Berater und Helfer in gesundheitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht in- und außerhalb des Betriebes sein.“ Die Schwangerenfürsorge gab sie als ihre besondere Aufgabe an. Ebenfalls in der Tradition der Werksfürsorge lag die Einrichtung einer morgendlichen Sprechstunde im Untersuchungszimmer des Betriebsarztes.136 Diese Vorstellung entsprach also gewiss nicht dem bereits angesprochenen programmatischen Entwurf, den Ilse Ganzert 1936 in der Zeitschrift des Frauenamtes „Die Frau am Werk“ veröffentlicht hatte. Ganzert, die ja bereits vor 1933 das Bielefelder Modell mitentwickelt hatte, war bemüht, gerade das Neue an der Sozialen Betriebsarbeit im Unterschied zur Werksfürsorge zu betonen: Die Tätigkeit der Sozialen Betriebsarbeiterin sollte über die gesundheitliche Fürsorge und die Betreuung der Sozialräume hinausgehen, sie sollte zur „Erfüllerin einer wahrhaft sozialistischen Aufgabe“ werden, „die sie als rechte Frau und gute Kameradin zu erfüllen“ habe.137 In diesem Sinne sollte die Soziale Betriebsarbeit zwei Bereiche abdecken: eine „möglichst würdige Gestaltung der Arbeit“ und die „Mitarbeit an der Erziehung aller werktätigen Frauen des Betriebes zu einer lebendigen Werksgemeinschaft“.138

135 Vgl. ebd., S. 231, 236. 136 Bekanntmachung der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke an die Frauen und Mädchen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei vom 13.07.1939. BWA, Sign. F 71-573, o. P. 137 Vgl. Ilse Ganzert: Die soziale Betriebsarbeiterin, in: Die Frau am Werk, Januar 1936. BA Berlin, NS 5/I-322, Bl. 23ff., hier Bl. 25 138 Vgl. ebd. BA Berlin, NS 5/I-322, Bl. 23ff., hier Bl. 23f.

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Bomkes erster Tätigkeitsbericht vom März 1940 stellte bereits in der Überschrift die Schwerpunktsetzung bei der AKS klar: Es war der „Bericht über die gesundheitsfürsorgerische Arbeit der Sozialen Betriebsarbeiterin“. Deutlich positionierte sich Bomke innerhalb der Armenfürsorge und Krankenpflege. Ihrer Verantwortung oblag die „gesundheitliche Überwachung“ und die „wirtschaftliche Betreuung“ aller Beschäftigten. Über die Kontrolle der Sanitär- und Sozialräume hinausgehend listete sie zwar die „Arbeitsplatzgestaltung“ mit auf, machte dabei aber keine weiteren Angaben über etwaige Umsetzungen in diesem Bereich.139 Der einzige ins Detail gehende Jahresbericht Bomkes für das Jahr 1942 lässt sich als Beleg dafür verstehen, dass die Soziale Betriebsarbeit bei der AKS dem Paradigma der Pflege und Fürsorge verhaftet blieb. Unter den fünf aufgelisteten Bereichen fielen mit der Fürsorge (Unterstützungsleistungen für bedürftige Arbeiter/-innen), der Gesundheitsüberwachung (Lungendurchleuchtung zwecks Tuberkulosebekämpfung) und der Betreuung zweier sozialer Einrichtungen (Kantine und Bücherei) vier unter die klassischen Aufgaben der Werkspflegerin. Allein der vierte Punkt des Berichts, die Arbeit mit der Werkfrauengruppe, hatte insofern eine nationalsozialistische Färbung, als damit ein Versuch zur Erziehung der Arbeiterinnen zu der von Ganzert angesprochen Werksgemeinschaft verbunden war. Allerdings war die Werkfrauengruppe offenbar nicht sehr aktiv. Bomke berichtete lediglich davon, dass die Gruppe Weihnachtsgeschenke für die Kinder des Werkskindergartens bastelte.140 Es lässt sich vermuten, dass die Tätigkeit der Werkfrauengruppe bei der AKS nicht dem Umfang entsprach, den sich die DAF davon versprach. In einem Rundschreiben von 1936 wurde festgehalten, dass die Aufgabe dieser Gruppen im „Aufbau einer kulturellen und Feierabendgestaltung im Betrieb“ liegen solle. Dazu zählte die DAF Tätigkeiten wie Tanzen, Singen und Basteln. Verantwortlich waren für die Frauengruppen die Vertrauensfrau der DAF oder die Soziale Betriebsarbeiterin.141 Im Falle der AKS blieb die DAF also auch in dieser Einrichtung ohne direkten personellen Einfluss. In der Zeitschrift des Frauenamtes wurde festgehalten, dass die banal anmutenden kulturellen Aktivitäten der Werkfrauengruppen „nicht Selbstzweck“ seien, sondern „vielmehr dem Wachsen und der Festigung der Betriebsgemeinschaft“ dienten.142 In diesem Sinne sollte die Soziale Betriebsarbeiterin junge Frauen zwischen 21 und 35 Jahren für die Gruppe auswählen und dabei auf „politische Zuverlässigkeit, vorbildliche äußere Haltung und einwandfreie berufli139 Edith Bomke: Bericht über die gesundheitsfürsorgerische Arbeit der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke vom 5.03.1940. BWA, Sign. F 71-573, o. P. 140 Bericht der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke für 1942, verfasst am 24.02.1943. BWA, Sign. F 71-573, o. P. 141 Rundschreiben der DAF, Nr. 8, 23.07.1936. BA Berlin, Sign. NS 5/VI-6077, Bl. 20. 142 Anonym, Die Arbeit der Werkfrauengruppen, in: Die Frau am Werk, Juni 1937. BA Berlin, Sign. NS 5/I-322, Bl. 27.



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che Leistung“ achten. Als vorbildlich skizzierte die Zeitschrift die Werkfrauengruppe eines Großbetriebes, die sich wöchentlich zum Üben traf und einmal im Monat für die Belegschaft „kleine Sing-Sprechspiele“ aufführte.143 Ähnliche regelmäßige Aktivitäten der Werkfrauengruppe sind für die AKS nicht belegt; es ist zu vermuteten, dass Bomkes kurzer Eintrag in ihrem Jahresbericht für 1942 die tatsächliche geringe Tätigkeit der Gruppe widerspiegelt, da ähnliche Berichte in der Regel Standardsätze mit den gewünschten politischen Floskeln enthielten.144 Mit dem zweiten Bereich, der nach der Auffassung Ganzerts und der DAF die Soziale Betriebsarbeiterin auszeichnen und von der alten Institution der Werkspflege absetzen sollte, der „möglichst würdigen Gestaltung der Arbeit“, war Edith Bomke bei der AKS durchaus beschäftigt. In erster Linie war sie allerdings für die Fabrikräume abseits der Werkhallen zuständig. Inwieweit sich die „Sorge um gesunde Arbeits- und Aufenthaltsräume“, die Bomke in ihrem Tätigkeitsbericht für sich selbst reklamierte, faktisch zeigte, bleibt unklar. Zumindest führte sie Buch über die Ausleihen in der Bibliothek, konnte deren Nutzerzahl von 1941 zu 1942 leicht erhöhen und die Versorgung einer deutlich höheren Zahl an täglichen Kantinengästen als in der Vorkriegszeit gewährleisten. Auch die Belegschaft der nahe gelegenen Ballonfabrik aß in der AKS-Kantine, wo 1942 täglich 730 Essen ausgegeben wurden. Offensichtlich stand Bomke Beschwerden offen gegenüber: Nach Kritik an der Qualität des Mittagessens wurde die Kantinenführung im Juli 1942 ausgewechselt.145 Die Aufgabe einer vertrauensvollen Werkspflegerin erfüllte Bomke also offensichtlich, was auch ein Schreiben der Betriebsleitung an den Augsburger Regierungspräsidenten von 1940 so schilderte. Bomke sei durch ihre anfängliche Arbeit in der Produktion in „engere Fühlung“ mit den Arbeiterinnen gekommen, habe „Anerkennung“ von der Belegschaft erhalten. Dieses gute Verhältnis spiegle sich darin wieder, dass ihre Beratungsstunden stets gut besucht seien. 146 Inwieweit Bomke im Bericht über ihre Tätigkeit die „Arbeitsplatzgestaltung“ unter Umständen nur mit aufgezählt hat, um den Ansprüchen der DAF an das Profil einer Sozialen Betriebsarbeiterin gerecht zu werden, lässt sich aufgrund des dünnen Quellenmaterials nicht klären. Da keine Eingaben Bomkes in dieser Sache vorliegen, ist allerdings zu vermuten, dass dieser Bereich nicht zu ihrer Kerntätigkeit gehörte. 143 Ilse Buresch-Riebe: Werksfrauengruppen in den Betrieben, in: Die Frau am Werk, Juni 1936. BA Berlin, Sign. NS 5/I-322, Bl. 28f. 144 Grundsätzlich verlangte die DAF halbjährliche Tätigkeitsberichte von den Sozialen Betriebsarbeiterinnen, vgl. Sachse: Siemens, 1990, S. 81. 145 Bericht der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke für 1942, verfasst am 24.02.1943. BWA, Sign. F 71-573, o. P. 146 Vgl. Schreiben der AKS an den Regierungspräsidenten betreffend Prüfung und Anerkennung von Wohlfahrtspflegerinnen, 20.4.1940. BWA, Sign. F 71/573, o. P.

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Grundsätzlich kamen solche Eingriffe in die Gestaltung der Produktion, wie sie das DAF-Konzept der Sozialen Betriebsarbeit vorsah, durchaus in der Betriebspraxis vor. Auch in der Nachkriegszeit nahmen die Werksfürsorgerinnen durchaus Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsräume. So gab Margarete Cordemann, die bereits im Ersten Weltkrieg in einer Kriegsamtsstelle für die Koordination der Fabrikpflege zuständig gewesen war, das Beispiel einer Zusammenarbeit von Werksfürsorgerinnen mit den Architekten: Die „Erfahrungen“ der Frauen konnten zu sinnvollen Vorschlägen führen, wie einer Einrichtung zum Abstellen der Kaffeekannen an den Maschinen einer Spinnerei.147 Bomke schien sich bei der AKS hingegen verstärkt um die „gesundheitliche Betreuung jedes Einzelnen“ auch jenseits des Arbeitsplatzes gekümmert zu haben. Die „Wohnungsfürsorge“ machte – wie bei den Werksfürsorgerinnen der Weimarer Republik –148 mithin einen Kern ihrer Tätigkeit aus: „Ich führe planmäßige Besuche der Werkwohnungen durch, um bei zu behebenden Misständen [sic] Vorschläge zu machen. Für die neuzubesetzenden Wohnungen nehme ich Wünsche entgegen und prüfe durch Hausbesuche die Wohnungsverhältnisse.“149 Die Fürsorgemaßnahme der Hausbesuche hatte eine deutlich sozialdisziplinierende Komponente: Es sollte Wissen über die Beschäftigen und ihre Familien gewonnen, etwaige Probleme sollten gelöst oder etwaiges Fehlverhalten sanktioniert werden. Besonders deutlich wurde diese Ausrichtung der Hausbesuche im Schreiben der Unternehmensleitung an den Regierungspräsidenten: Die Soziale Betriebsarbeiterin Bomke würde „fleißig Hausbesuche“ durchführen, „um sich über die wirtschaftlichen, häuslichen und familiären Verhältnisse der Betreuten zu informieren und bei eventuellen Miss- oder Notständen Abhilfe schaffen zu können“.150 Die materielle Unterstützung in der Not machte also zusammen mit der Bekämpfung von „Missständen“ das Konzept der Fürsorge aus. Da Bomke Unterstützung in Form von Geld, Lebensmitteln oder Kantinenmahlzeiten leisten konnte, 151 mussten die Bedürftigen die Soziale Betriebsarbeiterin zu Hause zu empfangen, ihr Einblick in ihre Wohn- und Lebensverhältnisse gewähren und waren letztlich von Bomkes Einschätzung abhängig, ob sie der Norm genügten.152 147 Vgl. Cordemann: Werkfürsorge, 1955, S. 22f. 148 Vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 218. 149 Edith Bomke: Bericht über die gesundheitsfürsorgerische Arbeit der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke vom 5.03.1940. BWA, Sign. F 71-573, o. P. 150 Vgl. Schreiben der AKS an den Regierungspräsidenten betreffend Prüfung und Anerkennung von Wohlfahrtspflegerinnen, 20.04.1940. BWA, Sign. F 71/573, o. P. 151 Bericht der Sozialen Betriebsarbeiterin Edith Bomke für 1942, verfasst am 24.2.1943. BWA, Sign. F 71-573, o. P. 152 Auch in der Weimarer Zeit war es bereits wichtig gewesen, der Werksfürsorgerin ein gepflegtes Heim und wohlerzogene Kinder zu präsentierten. So gab es beispielsweise



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Die Soziale Betriebsarbeiterin firmierte bei der Augsburger KammgarnSpinnerei letztlich also als Werksfürsorgerin in patriarchaler Tradition, aber unter neuem Namen. Patriarchale Praktiken wie Hausbesuche im Dienste der „Wohnungsfürsorge“ waren allerdings kaum zukunftsfähig: In der direkten Nachkriegszeit beschäftigte sich etwa der Ausschuss für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie in einer Publikation mit der betrieblichen Sozialarbeit. Hausbesuche der Fürsorgerinnen galten zwar prinzipiell als eine Methode, eine „enge Verbindung mit den Belegschaftsmitgliedern und ihren Familien“ herzustellen, allerdings dürften sie „niemals den Anschein einer Kontrolle erwecken“.153 Grundsätzlich verlor die betriebliche Sozialpolitik in Deutschland in der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit an Bedeutung, während vermehrt Personalabteilungen in den Betrieben entstanden.154 Der Aktenbestand der AKS weist keine weiteren Nachweise für eine etwaige Tätigkeit einer Werksfürsorgerin in der Nachkriegszeit aus. Der bundesweite Trend war ähnlich: Mitte der 1950er Jahre hielt eine Expertin fest, dass die Zahl der Werksfürsorgerinnen in der Bundesrepublik mit ca. 1000 bis 1200 „beschämend niedrig“ sei,155 dreißig Jahre später gab es einen neuen Begriff für die Tätigkeit (betriebliche Sozialarbeiter), aber nur noch 500 Personen in diesem Beruf.156

R ATIONALISIERUNG , H UMANISIERUNG L EISTUNGSSTEIGERUNG NACH 1945

UND

Fragen der Personalführung kreisten bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei auch nach 1945 weiter um das Problem des Umganges mit dem Faktor Mensch. Nicht zuletzt ging es weiterhin darum, inwieweit die Beschäftigung von Arbeiterinnen besondere Formen der Disziplinierung bzw. Motivation nach sich ziehen müsse. Ab 1948 wurde in den Westzonen die Beschäftigung mit den innerbetrieblichen Ar-

bei den Vereinigten Stahlwerken ein Punktesystem für Unterstützungsleistungen, in das Bonus- bzw. Maluspunkte nach der Heimvisite durch die Werksfürsorgerin einfließen konnten, vgl. Sachse: Hausarbeit, 1982, S. 221. 153 Ausschuss für Sozialwirtschaft der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie (Hg.): Betriebliche Sozialarbeit, 1951, S. 9. 154 Rosenberger sieht in den siebziger Jahren ein Ende der Vorherrschaft einer kollektiven betrieblichen Sozialpolitik, die nun von einer individualisierenden Personalpolitik abgelöst wurde, vgl. Rosenberger: Experten, 2008, S. 380f; Stoll: Betriebliche Sozialarbeit, 2001, S. 30. 155 Vgl. Spiecker: Aufgaben, 1956, S. 214. 156 Vgl. Riedrich: Werksfürsorge, 1976, S. 46.

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beitsbeziehungen insbesondere von dem amerikanischen Programm Training Within Industry (TWI) forciert. Das TWI-Programm spielte eine große Rolle bei der Rationalisierung der amerikanischen Kriegswirtschaft und dann bei den amerikanischen Plänen zum wirtschaftlichen Wiederaufbau in Europa. In den westlichen Besatzungszonen bot der TWI-Dienst Kurse für Betriebsvorgesetzte ab 1948 an. Die Augsburger Kammgarn-Spinnerei war Mitglied des Vereins zur Förderung der Wirtschaftlichkeit, einer Nachfolgeorganisation des RKW, die wiederum nach der Neugründung des RKW unter dem Titel Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft 1950 in diesem aufging. Dieser Verein organisierte die TWILehrgänge und lud auch die AKS dazu ein, Mitarbeiter zu entsenden.157 An sich trugen Rationalisierungsmaßnahmen in der Nachkriegszeit weiterhin das Potential zu politischen und betrieblichen Auseinandersetzungen. So verteilte die KPD-Kreisleitung ein Flugblatt („An alle Augsburger Textilarbeiter!“) im Oktober 1952 auch auf der Straße vor dem Pförtnerhaus der AKS. Das Flugblatt wetterte gegen Rationalisierungsmaßnahmen in der Augsburger Textilindustrie und setzte dabei Rationalisierung mit „Mehrleistung des einzelnen Arbeiters“ gleich. Eine erhöhte Mechanisierung führe zunächst zu „geringere[m] Lohn für die von den Maschinen verdrängten Arbeiter“, die zudem künftig mit der vollständigen Verdrängung und folglich mit „der Gefahr der Entlassung rechnen“ müssten. Im Sinne der KPD-Überzeugungen dienten die Einsparungen durch die Rationalisierung gleichermaßen der „Stärkung der Unternehmer und der Wiederaufrüstung des Bonner Separatstaates“. Obwohl sich das Flugblatt offensichtlich in erster Linie nicht gegen die AKS, sondern gegen die Textilbetriebe des Dierig-Konzerns richtete, dem vorgeworfen wurde, „Frauen zu gesetzwidriger Nachtarbeit heranzuziehen“,158 stellten sich bei der Kammgarn-Spinnerei nervöse Reaktionen ein. Vier Monate nach Verteilung des KPD-Flugblatts gab es eine Unterredung zwischen dem Technischen Direktor der AKS Weißbach und dem Betriebsratsmitglied Hinterhuber. Hinterhuber hatte ein eigenes Flugblatt verfasst und wollte dies „in Gegenwirkung auf kommunistische Propaganda“ im Betrieb verteilen. Weißbach wies ihn darauf hin, dass es von der Betriebsordnung untersagt sei, politische Flugblätter zu verbreiten. Hinterhubers Plan war nun, diese 150 Blätter mithilfe seiner „Kollegen vom Betriebsrat“ auf den Maschinen im Betrieb abzulegen. Nach Rücksprache mit dem Hausjustiziar stimmte Direktor Weißbach grundsätzlich zu, bat den Betriebsrat Hinterhuber aber darum, „die Verteilung der Mitteilung möglichst unauffällig zu machen, am besten außerhalb des Betriebes, damit uns von anderer

157 Vgl. Mitteilung Nr. 2 des Vereins zur Förderung der Wirtschaftlichkeit: TWI-Kurse für Betriebsvorgesetzte, Dezember 1950. BWA, Sign. F 71-654, o. P. 158 Flugblatt der KPD Kreisleitung Augsburg, verteilt am 10.10.1952. BWA, Sign. F 71598, o. P.



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Seite nicht vorgeworfen werden kann, dass wir die Betriebsordnung durchbrochen haben“.159 Zum einen zeigt sich die Fortwirkung der paternalistischen Strukturen bei der AKS, die eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmensspitze und Betriebsrat gegen radikale Teile der Arbeiterbewegung mit sich brachte. Zum anderen bestand offensichtlich weiterhin die Furcht, die Arbeiter/-innen könnten sich von Rationalisierungsmaßnahmen angegriffen fühlen. Auf die Agenda musste also, wollte man nicht bei bloßer Gegenpropaganda wie in diesem Fall stehen bleiben, eine Form der Rationalisierung gesetzt werden, die stärker auf den „menschlichen Faktor“ der Produktion einging. Ab den späten 1950er Jahren sind Überlegungen, Diskussionen und Maßnahmen in dieser Richtung bei der AKS überliefert. Die Augsburger Kammgarn-Spinnerei gehörte der „Erfahrungsaustauschgruppe ‚Personal- und Sozialwesen‘“ innerhalb der „Rationalisierungsgruppe Schwaben“ des RKW an und entsandte Delegierte zu mehreren Arbeitstagungen. Dabei wurde teilweise explizit und zentral auf Fragen der Geschlechterdifferenz eingegangen, beispielsweise im November 1957 bei einer Arbeitstagung zum Thema „Frau im Industriebetrieb“.160 Eine weitere Tagung der RKW-Erfahrungsaustauschgruppe im Januar 1959 behandelte den Umgang mit Beschwerden im Betrieb und hob dabei besonders auf vermeintlich bestehende Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Beschäftigten ab. Ein den Betrieben in Vorbereitung auf das Treffen angebotener Bericht der RKW-Abteilung „Mensch und Arbeit“ zu diesem Thema, den AKS-Direktor König anforderte,161 betonte, dass es für eine moderne Personalführung von großer Bedeutung sei, eine Betriebsatmosphäre zu schaffen, die das Vorbringen von Beschwerden angstfrei ermögliche. Die „mancherorts“ unter den Vorgesetzten noch vorherrschende Position, Beschwerden seien nur in wenigen Ausnahmefällen angebracht und ansonsten „unerwünscht“, sollte nach Auffassung des RKW eigentlich „vergangenen Zeiten“ angehören und inzwischen überwunden sein.162 Nun sei es allerdings angebracht, dem Begriff Beschwerde „eine positive 159 Aktennotiz des Technischen Direktor Hugo Weißbach über eine Unterredung mit Herrn Hinterhuber, 13.02.1953. BWA, Sign. F 71-598, o. P. Hinterhubers Flugblatt liegt im Archivbestand der AKS nicht vor. 160 Vgl. Schreiben des Geschäftsführers der Rationalisierungsgruppe Schwaben (RKW) Schneider an Direktor König von der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, betr. Erfahrungsaustauschgruppe „Personal- und Sozialwesen“, 15.11.1957. BWA, Sign. F 71/760, o. P. 161 Vgl. Schreiben Direktor König (AKS) an die Rationalisierungsgruppe Schwaben, 5.01.1959. BWA, Sign. F 71/703, o. P. 162 Vgl. Kristian Ledig (RKW-Abteilung Mensch und Arbeit): Bericht über Behandlung und Regelung von betrieblichen Beschwerden, 16.8.1958, S. 4. BWA, Sign. F 71/703, o. P.

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Note“ beizumessen; die Möglichkeit, Beschwerden vorzubringen, sei ein wichtiger Bestandteil einer Unternehmenskultur der Mitarbeit und erleichtere die Aktivierung der Arbeitenden: „Unterlassene Beschwerden sind also auch gleichzusetzen mit unterlassener aktiver Beteiligung am Betriebsganzen, mit Passivität.“163 Insbesondere Frauen hätten oft „Furcht“, Beschwerden gegen eine ungerechte Behandlung durch Vorarbeiter oder Meister zu erheben; Beschwerden über allgemeine betriebliche Missstände unterließen Arbeiterinnen oft, weil sie annähmen, dass „sich nichts ändern“ ließe. Das RKW sah darin das Problem, dass „echte Missstände“ so gar nicht bekannt werden würden. Die Ursache sei das oft geringe Selbstbewusstsein der Frauen, als Lösung wurden „Einzel- oder Gruppengespräche“ zum Abbau der Hemmungen vorgeschlagen. Weiterhin sollte in den Betrieben gezielt die Position von „weiblichen Vertrauensleuten“ geschaffen werden, um den Arbeiterinnen die Angst vor der Beschwerdeführung zu nehmen. Hilfreich sei weiterhin die bereits in einigen Unternehmen erfolgte Einrichtung von „Kommissionen für Fragen der betrieblichen Ordnung“, die paritätisch von Betriebsrat und -leitung zu besetzen seien.164 Die ‚Humanisierung‘ der Personalführung, die auf eine Aktivierung subjektiver Potentiale der Arbeitenden zielte, wurde also in diesem Fall deutlich von Erwägungen forciert, die eine besondere Form des Umgangs mit weiblichen Beschäftigten für notwendig erachteten. Der schriftliche Bericht eines AKS-Mitarbeiters über die Diskussion bei dieser Arbeitstagung zeugte allerdings von einer gewissen Distanz der betrieblichen Praktiker gegenüber den Vorstellungen der Rationalisierungsexperten von einer modernen Personalführung: So wurde die Frage aufgeworfen, ob es nicht sinnvoll sei, „eine gewisse“ Furcht bestehen zu lassen. Der geladene Experte der Universität München, der Wirtschaftswissenschaftler Eduard Gaugler, entgegnete, dass ein Anstieg der Beschwerden in Kauf genommen werden müsse, wolle man ein gutes Arbeitsklima gewährleisten.165 Es ist also anzunehmen, dass in der betrieblichen Praxis zumindest partiell Beharrungskräfte wirkten, die eine Umsetzung der ‚fortschrittlichen‘ Positionen der Experten verzögerten. Zu dieser Zeit war die Leitung der Kammgarn-Spinnerei bereits um eine „Verbesserung der rationellen Gestaltung des betrieblichen Geschehens“ bemüht. Zu diesem Zweck beauftragte die AKS eine Unternehmensberatung, das Kaufbeurener „Fachberatungsbüro für betriebliche Leistungsgestaltung“, mit einer Untersuchung

163 Vgl. ebd., S. 12. 164 Vgl. ebd., S. 12f., 20, 27. 165 Vgl. Bericht über die RKW-Erfahrungsaustauschgruppe Personal- und Sozialwesen am 14.1.1959, verfasst am 19.1.1959. BWA, Sign. F 71/703, o. P.



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des Betriebes, die im November und Dezember 1958 durchgeführt wurde.166 Das Fachberatungsbüro, das in der Textilbranche vielfältige Erfahrungen vorweisen konnte, lieferte dann einen Bericht, in dem konkrete Vorschläge zu Änderungen in der Arbeitsorganisation, den verschiedenen Lohnverfahren und der Personalführung unterbreitet wurden. Die Vorstellung von Rationalisierung war also umfassend; es ging um Verbesserungen „in technologischer, arbeitstechnischer, betriebswirtschaftlicher, sozialpsychologischer sowie in organisatorischer Hinsicht“.167 Der Bericht gibt ein detailliertes Bild des (kritisierten) Ist-Zustandes; es ist allerdings nicht in allen Fällen anhand des Archivbestandes zu überprüfen, inwieweit und wann die einzelnen Vorschläge des Beratungsbüros umgesetzt wurden. Verschiedene betriebliche Auseinandersetzungen über die Einhaltung der Zeitdisziplin zu Beginn der 1960er Jahre, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird, weisen darauf hin, dass die umfassenden Vorschläge des Beratungsbüros bezüglich einer Umstellung auf Leistungslohn nicht vollständig realisiert wurden. Sehr klar ist das Bild, das der Bericht vom Geschlechterverhältnis unter den Beschäftigungsstufen gibt: Während ausschließlich Männer die Position eines Meisters oder Obermeisters einnahmen, benutzt der Bericht sowohl für die Fach- und Hilfsarbeiterinnen wie für die Vorarbeiterinnen durchgehend die weibliche Form.168 Die Beziehungen zwischen den einzelnen Hierarchiestufen gilt es noch auszuführen. Zunächst muss festgehalten werden, dass es eine Vereinfachung darstellte, die Rationalisierungsmaßnahmen des Beratungsbüros dem Ziel einer Dequalifizierung der Beschäftigten zuzuordnen. Vielmehr herrschte das Ideal einer Differenzierung der Qualifikation vor:169 Ziel war eine forcierte „Arbeitsteilung“, bei der die relativ gut bezahlten Spinnerinnen sich auf ihre Haupttätigkeit konzentrieren sollten. Zum Zeitpunkt der Untersuchung bestand noch ein großer Teil der Arbeitszeit der Spinnerinnen aus Putz- und Abzieharbeiten; diese sollten künftig konsequenter als bisher üblich von günstigeren Hilfskräften, etwa in Abziehkolonnen, übernommen werden, während die Facharbeiterinnen sich auf ihre Haupttätigkeit spezialisieren sollten.170 Eine Ausweitung des Hilfskraftpersonals ging also mit einer fortgesetzten Spezialisierung der Spinnerinnen einher. 166 Fachberatungsbüro für betriebliche Leistungsgestaltung (Kaufbeuren), Bericht über die Analyse in der Ringspinnerei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei A.G. Augsburg, 2.2.1959, S. 1. BWA, Sign. F71/994. 167 Ebd., S. 121. 168 Ebd., S. 30, 41, 50. 169 Zur im Fordismus üblichen Praxis der „Polarisierung der Qualifikationen“ vgl. Hachtmann/von Saldern: Fließband, 2009, Abschnitt 5. 170 Vgl. Fachberatungsbüro für betriebliche Leistungsgestaltung (Kaufbeuren), Bericht über die Analyse in der Ringspinnerei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei A.G. Augsburg, 2.02.1959, S. 19, 22, 49f. BWA, Sign. F71/994.

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Auch im Hinblick auf die betriebliche Ausbildungspraxis sollte nach Einschätzung des Beratungsbüros gesteigerter Wert auf Qualifizierung gelegt werden. Die Anlernphase sollte als Ausbildungszeit organisiert werden, damit das „Selbstbewusstsein“ der „Anlernmädchen“ gehoben werden würde, die ansonsten „Komplexe gegenüber Lehrlingen aus anderen Industriesparten“ hätten. Der handfeste Hintergrund dieser Überlegungen war offensichtlich ein einsetzender Arbeitskräftemangel; oft fand eine Abwanderung von Arbeitsanfängerinnen zu Betrieben mit Lehrlingsabteilungen statt. Folglich schlug das Beratungsbüro vor, einen Ausbildungssaal einzurichten, in dem „die Mädchen durch eine geeignete Ausbilderin“ betreut werden sollten. Eine Differenzierung innerhalb der Gruppe der Anlernmädchen war dabei durchaus einkalkuliert: Da dieser Ausbildungssaal nur eine begrenzte Kapazität haben konnte, solle eine Auswahl der „Besten“ erfolgen, „was einen gewissen Ehrgeiz entfacht, der, in gesunde Bahnen gelenkt, eine positive Rivalität erzeugen kann“.171 Faktisch wurde eine „Anlernecke“ eingerichtet; die Idee einer Konkurrenz der Besten ließ sich allerdings nur bedingt einlösen: In einer Abteilungsleiterbesprechung von 1964 wurde festgehalten, dass eine angelernte Spinnerin für diese Tätigkeit „nicht geeignet“ sei. Gleichwohl wurde sie – nicht zuletzt aufgrund Personalmangels in fast allen Abteilungen – im Betrieb gehalten, allerdings in die Kämmerei versetzt.172 Im Plan des Ausbildungssaals zeigte sich die Vorstellung von einer rationellen Personalführung: Die Qualifizierung und das „Selbstbewusstsein“ der Arbeiterinnen sollten gestärkt werden, weil diese Aktivierung subjektiver Potentiale eine leistungsfördernde Mentalität des Ehrgeizes versprach. Das Ziel der Neuausrichtung des Personalmanagements an sich sollte in der „Erziehung auch des letzten Betriebsangehörigen zu kostengerechtem Denken“ liegen.173 Ähnlich wie bei den Versuchen der KHD, die im letzten Kapitel besprochen wurden, spielten die Schlagworte von der aktiven Mitarbeit, der Übernahme von Verantwortung und der Besserung der Betriebsatmosphäre eine große Rolle in diesen Überlegungen. In diesem Sinne wurde es für notwendig erklärt, eine offene Informationspolitik zu betreiben und die Beschäftigten „keinesfalls vor vollendete Tatsachen“ zu stellen. Sofern die Arbeitenden über ihren Bereich umfassend informiert seien und „aktiv mitarbeiten“ könnten, erhöhe sich automatisch ihre „Arbeitslust und Verantwortungsfreude“.174 171 Vgl. Ebd., S. 69. 172 Vgl. Protokoll der Abteilungsleiterbesprechung der Produktion am 9.1.1964, verfasst am 14.1.1964, Bl. 2. Zum Personalmangel in den Abteilungen, vgl. ebd., Bl. 1. BWA, Sign. F 71/458, o. P. 173 Vgl. Fachberatungsbüro für betriebliche Leistungsgestaltung (Kaufbeuren), Bericht über die Analyse in der Ringspinnerei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei A.G. Augsburg, 2.2.1959, S. 26. BWA, Sign. F71/994. 174 Vgl. ebd., S. 27.



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In der Teamarbeit wiederum fand sich ein Moment, das sich deutlich von den Maßnahmen bei KHD in den 1920ern und 1930ern unterschied. Es ging nicht um die völlige Zerschlagung kollektiver Strukturen und eine Vereinzelung der Arbeitenden, vielmehr erstrebte das Beratungsbüro die Nutzbarmachung eines neu ausgerichteten Kollektivismus. Ziel war „eine gewisse Abkehr vom Individualismus in Richtung zur Gemeinschaftsarbeit“. Den Beschäftigten sollte permanent vermittelt werden, wie wichtig jede/r Einzelne „für ein einwandfreies Funktionieren der betrieblichen Maschinerie“ sei. In diesem Zusammenhang kam dann der guten Betriebsatmosphäre die Bedeutung zu, eine „gute Zusammenarbeit“ überhaupt erst zu ermöglichen.175 Keineswegs ging es aber darum, den Arbeiterinnen weitgehende Verantwortung zu übertragen. Vielmehr beherrschte den Bericht des Beratungsbüros ein Bild der Spinnerin, das ihre „ständige Überwachung und Kontrolle durch die Führungskräfte“ notwendig erscheinen ließ. Die Spinnerin selbst sei überhaupt nicht in der Lage, die Bedeutung möglichst seltener Partiewechsel an ihrer Ringspinnmaschine zu ermessen, da „ihr die mathematischen Zusammenhänge naturgemäß nicht geläufig sind und daher auch entsprechende Maßstäbe fehlen“. Folglich bestand die Neuerung in der Personalführung hinsichtlich der Spinnerinnen vor allem darin, dass empfohlen wurde, ihnen die Zusammenhänge „in möglichst einfacher Form“ zu erklären.176 In erster Linie war es Aufgabe der Vorarbeiterinnen, die „Ausführung der Arbeit an Ort und Stelle zu überwachen“, während die Meister „den Einsatz als solchen“ bestimmten und dem Obermeister die Schulung und Unterweisung des Personals oblag. Ergänzend hatte der Obermeister häufige „Kontrollen und AbteilungsRundgänge“ vorzunehmen.177 Die Meister waren für die Berichterstattung aus den Abteilungen zuständig, die dann wiederum dem Obermeister die für „eine Leistungserfassung und Leistungskontrolle notwendigen Daten“ lieferte.178 Im Detail leitete die Vorarbeiterin die Arbeiterinnen an, korrigierte gegebenenfalls eine falsche Arbeitsausführung und forderte die Einhaltung von „Sauberkeit und Ordnung“. Ihre Aufgabe diente insofern der konkreten Steigerung der Effizienz, als sie die „Ausfall- und Stillstandszeiten ihrer Gruppe auf ein Minimum“ beschränken sollte.179 Das Ziel einer verbesserten Betriebsatmosphäre bedeutete also nicht den Verzicht auf Disziplinierung. Allerdings war diese gekoppelt an eine bedingte Information der Arbeiterinnen und die Erzeugung einer Klasse von Facharbeiterinnen mit 175 Vgl. ebd., S. 27, 29. 176 Vgl. ebd., S. 41. 177 Vgl. ebd., S. 31, 33. 178 Vgl. ebd., S. 37. 179 Vgl. ebd., S. 38.

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einer gewissen Qualifikation und – so wurde gehofft – dem Arbeitsethos der Facharbeiter. Es ist ferner zu vermuten, dass die Zuständigkeit der Vorarbeiterinnen für die direkte Überwachung der Arbeiterinnen durchaus geeignet war, atmosphärische Missstände, wie sie in den 1920er Jahren häufig herrschten, zu beseitigen. So geben die in dem Band „Mein Arbeitstag – mein Wochenende“ gesammelten Berichte von Textilarbeiterinnen aus dem Jahr 1928 oft die Unzufriedenheit der Arbeiterinnen mit der Herrschaft der Meister wieder. Eine Arbeiterin betonte beispielhaft, dass der strenge Meister kaum dulde, dass „man mit einer Kollegin spricht“. Er wolle die Arbeiterinnen „ganz unter die Herrschaft der Maschine bringen“.180 Die direkte Unterstellung unter eine ehemalige Kollegin, die nun als Vorarbeiterin für die Überwachung des Arbeitsvorgangs verantwortlich war, lässt ein besseres Verhältnis vermuten. Der Kern der neuen Personalpolitik sollte in der Folge allerdings von der Einführung neuer Lohnsysteme bestimmt werden. Die Erziehung zum „leistungsgerechten und kostengerechten Denken“ war nach Ansicht des „Fachberatungsbüros für betriebliche Leistungsgestaltung“ nur auf dem Wege der Leistungsentlohnung zu erreichen: „Für unternehmerische Sorgen und Nöte hat der Arbeiter im Betrieb meist nicht das nötige Verständnis. […] Allein über die Lohngestaltung ist ein direkter Kontakt mit der allgemeinen Denkweise des im Betrieb arbeitenden Personals möglich. Hier ist der Arbeiter ansprechbar und hat in der Regel ein instinktiv gesundes Empfinden dafür, ob die Bewertung und damit die Bezahlung seiner Leistung gerecht oder ungerecht ist. […] Für den Fortschritt im Betrieb ist es ausschlaggebend wichtig, das leistungsgerechte und kostengerechte Denken unter allen Umständen schon beim Arbeiter auszubilden.“181 Für den Weg dorthin wurden drei mögliche Leistungslohnsysteme genannt: Einzelakkord, Gruppenakkord und Prämienzahlung. Das „psychologisch Wertvolle“ am Einzelakkord sei, dass die Spinnerin verstehe, „dass einzig und allein ihre persönliche Leistung honoriert“ werde. Diese Form der Entlohnung müsse folglich als gerecht empfunden werden. Dabei übersah das Büro allerdings, dass die Höhe des Akkords in der Betriebspraxis durchaus ein stetiger Streitpunkt sein konnte, da dieser sehr wohl als ungerecht empfunden werden konnte. Allerdings führte in diesem System in der Tat jede Leistungssteigerung zu einem „Mehrverdienst“. Folglich lerne die Arbeiterin „leistungsgerecht zu denken, was sich auf den ganzen Arbeitsablauf vorteilhaft“ auswirke: Sie versuche von selbst, die Arbeitsintensität zu steigern.182 Verbunden wurde dieses System mit ei180 Vgl. Deutscher Textilarbeiterverband (Hg.): Mein Arbeitstag, 1928, S. 60. (Bericht J. B. aus N. b. E.) 181 Fachberatungsbüro für betriebliche Leistungsgestaltung (Kaufbeuren), Bericht über die Analyse in der Ringspinnerei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei A.G. Augsburg, 2.02.1959, S. 71. BWA, Sign. F71/994. 182 Ebd., S. 73.



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ner Veröffentlichung der Leistungsdaten sowie einer Prämienbeteiligung der Meister und Vorarbeiterinnen an etwaigen Produktivitätssteigerungen. Einerseits sollten der Verdienst möglichst häufig berechnet und die Spinnerinnen selbst regelmäßig über ihre Daten informiert werden, weil bereits diese Motivation „sehr leistungsfördernd“ sein könne. Andererseits sollte gezielt die Konkurrenz zu den anderen Arbeiterinnen hergestellt werden, indem die Leistungskarten an den Stirnseiten der Maschinen befestigt werden sollten, um „den Arbeiterinnen einen Vergleich mit den Ergebnissen der anderen Gruppen zu ermöglichen und einen Leistungsanreiz zu geben“.183 Anspruchsvoller für die Personalführung war das Modell des Gruppenakkords, der zunächst in einem Saal getestet werden sollte. Hierbei sollten gezielt „sozialpsychologische Momente“ berücksichtigt werden. Von einer höheren Zufriedenheit der Beschäftigten bei der Gruppenarbeit wurde eine Steigerung der Arbeitsleistung erwartet.184 Wichtig war dabei die weitgehende Übertragung von Verantwortung an die Mitglieder der Gruppe. Die Durchführung der Arbeit sollte „so weit als nur möglich der Gruppeninitiative“ überlassen werden. Dadurch bilde sich „ein leistungssteigerndes Verhältnis zur Arbeitsaufgabe“. Diese Form der Arbeit verschob die Problemstellung. Die Arbeiterinnen standen nicht mehr allein im Fokus der Problematisierung, vielmehr wurde jetzt eine richtige Menschenführung von den Vorgesetzten erwartet: Von der „geschickten Führung durch das Aufsichtspersonal“ hing der „Erfolg einer Gruppenarbeit“ wesentlich ab.185 Während die Gruppenarbeit für besonders gute oder „extrem schlechte“ Arbeiter/-innen ausgeschlossen wurde, weil eine gewisse Nivellierung innerhalb der Gruppe notwendig war,186 hob das dritte Modell, die Prämienzahlung, wieder stärker auf die Individualität ab. Allerdings waren organisatorische Voraussetzungen wie „ein abgestimmtes betriebliches Berichtwesen“ notwendig, ein sofortiges Erproben war also kaum möglich. Auch bei dem Modell der Prämienzahlung ging es mithin um die Erziehung der Arbeiter/-innen zum „leistungsgerechten Denken“ bzw. im Falle der Auszahlung einer Qualitätsprämie darum, die „Erziehung zur Qualitätsarbeit zu unterstützen“.187 Der ‚menschliche Faktor‘ der Produktion rückte also in der Nachkriegszeit verstärkt in den Fokus innerhalb der Rationalisierungsbemühungen der Augsburger Kammgarn-Spinnerei. Bezeichnend ist allerdings, dass es dabei weniger um eine Aktivierung subjektiver Potentiale oder um die Übertragung von Verantwortung an die Arbeitenden ging. Stattdessen war es zunächst das Ziel, eine Internalisierung 183 Ebd., S. 83ff. 184 Ebd., S. 87. 185 Ebd., S. 90f. 186 Ebd., S. 89. 187 Ebd., S. 93, 95.

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gewisser Normen und Verhaltensweisen zu erreichen. Eine Ausweitung von Freiräumen für die Arbeiter/-innen war damit kaum verbunden. Im Sinne Foucaults lässt sich keine Vorrangstellung der gouvernementalen Machtausübung feststellen, vielmehr blieb die Disziplinierung der Arbeitenden weiterhin das Hauptziel. Allerdings ging es dabei nun stärker darum, durch verschiedene Neuerungen wie Gruppenarbeit oder Leistungsentlohnung die externe Überwachung partiell verzichtbar zu machen bzw. sie durch Formen der Selbstdisziplinierung zu ergänzen. Mit dem Problem der Zeitdisziplin wiederum beschäftigten sich die Vorgesetzten in den 1960er Jahren noch auf ähnliche Weise, wie sie es bereits vierzig Jahre zuvor getan hatten. Offensichtlich war es eine übliche Praxis, den Arbeitsplatz vor Schichtende zu verlassen. Schon die Arbeitsordnung der AKS von 1921 hielt fest, dass dies auch zum Zwecke des Waschens nicht gestattet sei.188 In anderen Textilbetrieben der Weimarer Zeit wurden den Beschäftigten teilweise ein paar Minuten für die durch die schmutzige Tätigkeit notwendige Reinigung zugebilligt, die faktische Einhaltung dieser Regelung war dann allerdings der Willkür der Meister überlassen.189 Ähnlich umkämpft war der tatsächliche Beginn der Mittagspause. Der 1930 veröffentlichte Sammelband „Mein Arbeitstag – mein Wochenende“ gab den Bericht einer Textilarbeiterin wieder, die erwähnte, sie müsse bereits zehn Minuten vor der Mittagspause die Maschine abstellen und sich waschen, um überhaupt den einige Minuten entfernt liegenden Speisesaal rechtzeitig erreichen zu können. 190 Ähnliche Verhältnisse sind aufgrund der bereits besprochenen engen Zeitplanung für die Mittagspause der AKS anzunehmen. Auch noch am Anfang der 1960er Jahre wurde bei einer Abteilungsleiterbesprechung lamentiert, dass die Kantine bereits von einigen Beschäftigten fünf Minuten vor Beginn der Pause besucht werden würde. Das Ende der Schicht war ebenso umkämpft. Die Unternehmensleistung setzte die „genaue Einhaltung der Arbeitszeit“ diesbezüglich mit Hilfe einer technischen Lösung durch: Die Garderoben wurden erst eine Minute vor Arbeitsschluss geöffnet.191 Bei der Nachtschicht hingegen ging es um den pünktlichen Arbeitsbeginn; auch hierbei wurde keine Lösung durch Überzeugungsarbeit gesucht: Nach 23 Uhr wurden die Arbeiter/-innen einfach nicht mehr eingelassen.192 In diesem Bereich kann sogar von einer Ausdeh188 Arbeitsordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei in Augsburg, vom 21. Januar 1921, Bl. 4, § 9. BWA, Sign. F71/665. 189 Deutscher Textilarbeiterverband (Hg.): Mein Arbeitstag, 1928, S. 84. (Bericht M. W. aus S.) 190 Ebd., S. 202 (Bericht E. K. aus L.) 191 Vgl. Bericht über die Abteilungsleiter-Besprechungen am 11. und 18.12.1962, verfasst am 21.12.1961, Bl. 2. BWA, Sign. F71/458, o. P. 192 Vgl. Protokoll der Abteilungsleiter-Besprechungen am 18.02.1963, verfasst am 4.03.1963, Bl. 2. BWA, Sign. F71/458, o. P.



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nung der (technischen) Überwachung gesprochen werden: Offenbar wurden 1963 für alle Abteilungen Zeitstempeluhren angeschafft, im Oktober wurde die Fabrikbetreuung von den Abteilungsleitern aufgefordert, die in einigen Abteilungen noch ausstehende Montage dieser Stempeluhren vorzunehmen.193 Die Betriebsordnung von 1970 hielt dann eindeutig fest, dass immer bei Betreten und Verlassen des Betriebes die „Kontrolleinrichtungen (Stempeluhr, Auslaßschein)“ zu betätigen seien; Umkleiden und Waschen musste weiterhin außerhalb der Arbeitszeit erfolgen.194 Gleichwohl wurde das Problem des ‚Faktors Mensch‘ nun deutlich von zwei Seiten betrachtet. Interne Kurse zur „Menschenführung“ wurden regelmäßig durchgeführt, von allen Meistern wurde verlangt, sich mit der schriftlichen Fassung eines Referats zum Thema auseinanderzusetzen.195 Offensichtlich bestand bei den Meistern durchaus ein Interesse an dem Thema; das „positive Echo“ eines „Lehrganges in Menschenführung“ unter den Teilnehmern (es ist davon auszugehen, dass die Vorarbeiterinnen nicht teilnahmen, also nur männliche Vorgesetzte geschult wurden) führte zu seiner Wiederholung.196 In der Betriebsordnung von 1970 wurde der neue Führungsstil dann festgeschrieben: „Die Vorgesetzten sind zu einer ruhigen und gerechten Behandlung der Arbeitnehmer verpflichtet und sollen etwa notwendigen Tadel nur in sachlicher, nicht verletzender Form aussprechen.“ 197 Wenn auch die Arbeitenden als Objekte nun mit einem gewissen Respekt behandelt werden mussten, der durchaus dem Ziel einer guten Betriebsatmosphäre als Grundlage guter Arbeitsleistung dienen sollte, wurde ihre Rolle als Subjekte kaum explizit reflektiert. Die Initiative der Arbeiter/-innen wurde in der Betriebsordnung weiterhin nur im Abschnitt zum betrieblichen Vorschlagswesen angesprochen. Vorschläge zur „Verbesserung von Arbeitsmethoden, Maschinen und Produktionsverfahren“ konnten nun bei einem neu eingesetzten Ausschuss eingereicht werden.198 Über das tatsächliche Ausmaß des Vorschlagswesens bei der AKS liegen keine Daten vor; der sehr kurze Abschnitt in der Betriebsordnung lässt vermuten, dass die Unternehmensleitung ihre Prioritäten in anderen Bereichen setzte.

193 Vgl. Protokoll der Abteilungsleiter-Besprechung am 21.10.1963, verfasst am 24.10.1963, Bl. 2. BWA, Sign. F71/458, o. P. 194 Vgl. Betriebsordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, in Kraft getreten am 1.1.1970, Bl. 3f., § 12, Abs. 1; § 15, Abs. 1. BWA, Sign. F 71/816. 195 Vgl. BWA, Sign. F71/458, o. P. Protokoll der Abteilungsleiter-Besprechung am 21.10.1963, verfasst am 24.10.1963, Bl. 4. 196 Protokoll der Abteilungsleiter-Besprechung am 9.1.1964, verfasst am 14.1.1964, Bl. 2. BWA, Sign. F71/458, o. P. 197 Vgl. Betriebsordnung der Augsburger Kammgarn-Spinnerei, in Kraft getreten am 1.1.1970, Bl. 2, § 9, Abs. 1. BWA, Sign. F 71/816. 198 Ebd., Bl. 6, § 20.

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D IE

PATERNALISTISCHE

DIE

E NTWICKLUNG

DES

U NTERNEHMENSKULTUR UND P ERSONALMANAGEMENTS

Die Entwicklung der betrieblichen Sozialpolitik und des Personalmanagements bei der Augsburger Kammgarn-Spinnerei von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des „fordistischen Jahrhunderts“ um 1970 war stark von der betrieblichen Wohlfahrtspolitik unter paternalistischen Vorzeichen geprägt, die in dem Unternehmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wesentlich umfangreicher betrieben wurde, als dies zeitgenössisch üblich war. Die Persistenz dieser paternalistischen Tradition führte insbesondere dazu, dass bei der AKS im 20. Jahrhundert – anders als bei dem im vorangegangen Kapitel besprochenen Unternehmen KHD – Formen der Sozialdisziplinierung bei der betrieblichen Machtausübung weiterhin tonangebend blieben. Der Unternehmerpaternalismus bewies sich dabei als durchaus wandlungsfähig, ohne seinen Kern aufgeben zu müssen: Das Interesse am Erhalt eines langfristigen Stammes von Arbeitskräften überschnitt sich weitgehend mit den Zielsetzungen eines modernen Personalmanagements, das die Beschäftigten als Humankapital betrachtete. Gleichzeitig lag der paternalistischen Tradition allerdings wenig daran, diesen Beschäftigten mehr Handlungsfreiheit und Verantwortung zu übertragen; die Vorstellung, die Arbeitenden seien letztlich doch zu einem gewissen Grade zu bevormunden bzw. gründlich zu beaufsichtigen, zeigte starke Beharrungskräfte. Gleichzeitig waren aber innerhalb des bei der AKS bereits eingeschlagenen Pfades die Forderungen der Personalexperten, ein neuer respektvoller Führungsstil sollte gepflegt werden, leichter umzusetzen, da ein gutes Miteinander im Selbstverständnis der Unternehmenskultur der AKS fest verankert war. Der Historiker Hartmut Berghoff empfiehlt bei der Untersuchung einer „paternalistischen Unternehmenskultur“ zu fragen, ob sie von den Unternehmern gesteuert werden konnte bzw. inwieweit sie das „Denken und Handeln von Arbeitern und Unternehmern“ prägte.199 Die Ergebnisse dieses Kapitels legen die Interpretation nahe, dass der einmal eingeschlagene paternalistische Pfad bei der AKS strukturell das Denken und Handeln der nachfolgenden Managergenerationen bestimmte. Diese Strukturen waren einerseits materiell: Die vielfältigen Sozialeinrichtungen des Unternehmens hatten eine bauliche Substanz, die frühzeitig gegründete Arbeitersiedlung sorgte für die Bindung eines Stammes von Arbeitskräften. Andererseits waren diese Strukturen auch ideell und bestimmten die Vorstellungen davon, wie „Menschenführung“ im Betrieb zu organisieren sei. Mit einer gewissen Vorsicht lässt sich vermuten, dass diese paternalistische Unternehmenskultur bis in die Mitte

199 Berghoff: Unternehmenskultur, 1997, S. 179; zum Begriff der Unternehmenskultur, vgl. Brinkmann: Unternehmenskultur, 2002; Welskopp: Unternehmenskulturen, 2004.



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des 20. Jahrhundert effizient war und dann im Sinne Berghoffs umschlug und „kontraproduktiv“ wurde. 200 Das Ideal der reibungslosen Eingliederung des ‚menschlichen Faktors‘ in die maschinellen Abläufe ließ sich innerhalb dieser Unternehmenskultur gewährleisten; das später aufgekommene Ziel einer Optimierung aller, auch der menschlichen Potentiale im Produktionsablauf, benötigte jedoch einen anderen Rahmen. Es griffe zu kurz, wollte man die Entwicklung bei der Augsburger KammgarnSpinnerei in erster Linie aus dem Umstand erklären, dass dort überwiegend Frauen beschäftigt waren. Die paternalistische Unternehmenskultur entstand in einer Phase, in der noch überwiegend Männer bei der AKS arbeiteten. Allerdings kann in einem gewissen Umfang der spätere Anstieg der Frauenbeschäftigung erklären, warum personalpolitische Experimente, anders als bei KHD, weitgehend ausblieben. Das Management stellte durchaus Überlegungen an, inwieweit das überwiegend weibliche Personal die Umstellung auf einen besonderen Führungsstil notwendig machte. Sehr früh wurden bereits die Posten der unmittelbaren Vorgesetzten in der Produktion ausschließlich mit Frauen, den Vorarbeiterinnen, besetzt. Auch Reflektionen über den Umgang der Vorgesetzten mit den Arbeitern und Arbeiterinnen wurden vom Gedanken angetrieben, dass Frauen eine angenehme Betriebsatmosphäre für gute Leistungen benötigten. Die Übertragung von größeren Verantwortungsbereichen auf die Arbeiterinnen mit dem Ziel, etwaige subjektive Potentiale der Arbeiterinnen freizusetzen, unterblieben jedoch bei der AKS. Der Vergleich mit Klöckner-Humboldt-Deutz legt die Annahme nahe, dass derartige Experimente stark vom Glauben des Managements an die Fähigkeiten des männlichen deutschen Facharbeiters abhängig waren. Dieser diskursiven Wechselwirkung von Qualifizierung, Geschlecht und Ethnizität gilt es auch in den folgenden beiden Kapiteln nachzugehen: zunächst am Beispiel der Stollwerck AG in Köln, daran anschließend anhand eines Vergleichs der Entwicklung in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten.



200 Berghoff: Unternehmenskultur, 1997, S. 179.



6. Einblicke in die Fabrik Fotografien aus dem Archiv der Stollwerck AG

Der Bestand der Industriefotografie wurde zu Recht als „repräsentationslastig“ beschrieben.1 Das gilt nicht nur für veröffentlichte Fotos wie diejenigen, die im ersten Kapitel besprochen wurden. So gut wie alle Aufnahmen, die im Auftrage von Unternehmen entstanden oder von ihnen gesammelt wurden (und anschließend in die Unternehmensarchive gelangt sind), sind als Ausdruck des Wunsches nach Selbstrepräsentation der Firmen zu betrachten.2 Dennoch besteht bei derartigen Fotografien, wie bei allen Quellen mit tradierender Absicht, die Chance, ihnen weitere Informationen zu entnehmen.3 Dazu können sie gegen den Strich gelesen werden, indem Details in den Mittelpunkt gerückt werden, denen nicht das Interesse der Fotografen galt; sie können zusammen mit einer Serie ähnlicher Fotografien synchron oder vor allem auf den Wandel hin diachron analysiert werden; und nicht zuletzt ergeben sie häufig erst dann Erhellendes, wenn sie im Kontext schriftlicher Unternehmensquellen untersucht werden. Es ist anhand von Fotos möglich, Aufschluss über die Arbeitsbedingungen in einer Fabrik zu gewinnen, der sich nicht aus schriftlichen Quellen gewinnen lässt. Für die technischen und vor allem die räumlichen Bedingungen des Arbeitens sind Fotos häufig die einzige Quelle.4 Kann der Quellenwert von Industriefotos – ergänzend zum zur Zeit überwiegenden kulturhistorischen Interesse an Fotografien – wie Clemens konstatiert, in der visuellen „Entdeckung historischer Arbeitsbedingungen

1

Föhl: Innenleben, 1994, S. 180.

2

Vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 8.

3

Vgl. Hannig: Fotografien, 1994, S. 272f. Hannig betrachtet Industriefotos in erster Linie als Überrest im Sinne ihres Quellenwertes für kulturelle Muster, die ihnen zugrunde lagen.

4

Vgl. Jäger: Photographie, 2000, S. 73, 101.





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und Sozialgefüge, Betriebsräume und -situationen“ liegen?5 Zumindest erscheint ein erneuter Blick auf diese Quellengattung als sinnvoll, um die bisherigen Ergebnisse der vorliegenden Abhandlung noch einmal auf anderer Grundlage zu bewerten. Die abgebildeten Arbeitssituationen sind auch bei unveröffentlichten Fotos stets inszeniert, in den frühen Aufnahmen häufig bis in die Posen aller Abgebildeten, auch später jedoch weiterhin in Bezug auf den Bildausschnitt und die Perspektive. Wenn die Fotos also beispielsweise danach befragt werden, was sie über die jeweilige Form der betrieblichen Machtausübung sagen können, sind sie zum Teil von der Selbstdarstellung des Unternehmens geprägt. So sind in frühen Fotos häufig besonders viele Aufseher/-innen abgebildet, um die funktionierende Kontrolle herauszustellen.6 Gleichwohl können auch solche Fotos zusätzlich etwas über die Arbeitsbedingungen jenseits der fotografischen Situation sagen: In welcher räumlichen Anordnung befanden sich die Arbeiter/-innen zueinander und zu den Vorgesetzten? Inwieweit führten Veränderungen der Arbeitsorganisation und des Arbeitsprozesses dazu, den Arbeitenden größere Freiräume zu ermöglichen (oder schrumpften diese gar)? Wie veränderten sich (geschlechtliche) Hierarchien am Arbeitsplatz? Wengenroth zeigt am Beispiel von Aufnahmen der Krupp AG, auf welche Art und Weise Fotografien zur Gewinnung von Erkenntnissen für eine Geschichte der Arbeit und Technik nutzbar sind. Sie können einerseits kulturhistorisch untersucht werden, etwa auf Inszenierungen von Technik und Arbeit hin, andererseits lassen sie sich auch mit sozialhistorischem Interesse auswerten. Als sozialhistorische Quelle nutzt Wengenroth Fotografien, um beispielsweise zu zeigen, wie sich unterschiedliche Antriebe einer Maschine auf die Architektur der Fabrikhalle und damit unmittelbar auf die Luft- und Lichtverhältnisse für die Arbeiter auswirkten. Weiterhin geben Fotos unter Umständen Hinweise darauf, dass die Mechanisierung der Arbeit nicht in allen Bereichen umgehend erfolgte, nur weil jeweils die technischen Möglichkeiten dazu gegeben waren; teilweise gibt es Belege einer überraschend langen Persistenz manueller Tätigkeiten.7



5

Clemens: Betriebsgeschehen, 2004, S. 181. – Zur überwiegend kulturhistorischen Ausrichtung der neueren historischen Forschung im Umgang mit fotografischen Quellen vgl. Jäger: Photographie, 2000, S. 69.

6

Vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 10.

7

Wengenroth: Fotografie, 1994, S. 101f.



E INBLICKE IN DIE F ABRIK

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B ILDER AUS DER S ÜSSWARENFABRIK : S TOLLWERCK UND S PRENGEL Im Folgenden werde ich den angesprochenen Fragestellungen anhand des umfangreichen Fotobestandes der Stollwerck AG nachgehen. Stollwerck beschäftigte bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Werksfotografen.8 Matz hat darauf hingewiesen, dass Bilder von Arbeitssituationen in der Industriefotografie erst um 1930 eine größere Rolle spielten. Gleichwohl gab es Vorreiter wie Krupp, wo Fotos der Arbeit bereits um die Jahrhundertwende angefertigt wurden.9 Die frühesten vergleichbaren Fotos von Stollwerck sind zu Beginn der zwanziger Jahre entstanden. Ältere Fotos aus der Zeit um 1900 zeigen, sofern sie überhaupt Arbeiter/-innen abbilden, ausschließlich Gruppenfotos, auf denen die Belegschaft vor dem Gebäude aufgereiht posiert.10 In demselben Archivbestand befinden sich darüber hinaus Fotografien der Hannoverschen Schokoladenfabrik Sprengel, die seit 1979 zum Stollwerck-Konzern gehörte.11 Der Fokus dieses Kapitels liegt auf der Entwicklung bei Stollwerck, die Bilder von Sprengel sollen aus zweierlei Gründen vergleichend in die Analyse einbezogen werden: Zum einen gibt es von Sprengel einige frühe Fotos von Arbeitsräumen, die bereits 1901 entstanden sind,12 was einen seltenen Blick auf die Fabrikarbeit dieser Zeit ermöglicht. Zum anderen gibt der Vergleich zwischen beiden Unternehmen Hinweise darauf, welche der beobachteten Phänomene eine betriebsübergreifende Entwicklung anzeigen, und welche unter Umständen für eine spezifische Kultur des jeweiligen Unternehmens stehen. In Anlehnung an Welskopp soll somit versucht werden, den „Modebegriff“ Unternehmenskultur dadurch für eine geschichtswissenschaftliche Fragestellung nutzbar zu machen, dass den Machtbeziehungen innerhalb des Betriebes verstärktes Augenmerk gilt.13 Unter einer spezifischen Unternehmenskultur soll in diesem Zusammenhang nicht eine gezielt eingesetzte Strategie der Unternehmensleitung ver-

8

Pohle listete die verschiedenen Beschäftigungskategorien des Jahres 1903 auf, vgl. Pohle:

9

Vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 36.

Probleme, 1905, S. 79. 10 In einer Collage von 1894 wurden die verschiedenen Gruppenfotos der Abteilungen vor eine Gesamtansicht der Fabrik montiert, vgl. Schiffer: Kleinbetrieb, 2008, S. 115. Derartige Belegschaftsfotos waren um die Jahrhundertwende üblich für die Industriefotografie, vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 31. 11 Stollwerck erwarb Sprengel 1979 vom amerikanischen Konzern NABISCO, der seit 1972 die Mehrheit an dem Unternehmen hielt, vgl. Bardelle: 150 Jahre, 2002, S. 307. 12 Vermutlich wurden die Fotos zum fünfzigsten Firmenjubiläum erstellt; dieses Firmenjubliäum wurde jedenfalls öffentlich mit einigem Aufwand gefeiert, vgl. ebd., S. 295. 13 Vgl. Welskopp: Unternehmenskulturen, 2004, S. 268, 270.

282 | H UMANE R ATIONALISIERUNG ?

standen werden, sondern eine Menge von betrieblichen Praktiken, die auf spezifische tradierte Vorstellungen zurückgreifen.14 Konkret gilt es zu untersuchen, inwiefern die Fotos Hinweise auf unterschiedliche Gewichtungen bei der betrieblichen Machtausübung geben: Lag das Hauptinteresse auf der Überwachung der Arbeiter/innen? Welche Rolle spielte der Versuch, deren Selbstdisziplin zu forcieren? In welchem Umfang wurden den Arbeitern und Arbeiterinnen Freiräume eingeräumt und Verantwortung übertragen? Der Stollwerck-Fotobestand des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs ermöglicht es also, anhand der beiden Unternehmen einzelne Produktionsbereiche der Schokoladenindustrie und deren Entwicklung ab der Jahrhundertwende in den Blick zu nehmen. Die Geschichte des Unternehmens Stollwerck reicht bis weit ins 19. Jahrhundert zurück, beginnend mit der 1839 in Köln gegründeten Firma Franz Stollwercks, die zunächst vor allem Zuckerwaren und Hustenbonbons herstellte. Bis zum Anfang der 1860er Jahre hatte das Unternehmen, das die Produktpalette um Schokolade, Marzipan und Printen erweitert hatte, im Manufakturbetrieb etwa zwanzig bis dreißig Beschäftigte.15 1866 wurde dann die erste mit einer Dampfmaschine ausgestattete Fabrik eröffnet, die Belegschaft wurde von nun fünfzig binnen weiterer zehn Jahre auf 150 Arbeitskräfte vergrößert. Währenddessen eröffneten die ältesten Söhne Franz Stollwercks mit der neu gegründeten OHG Gebrüder Stollwerck eine weitere Schokoladenfabrik in Köln, die 220 Arbeiter/-innen beschäftigte und nach dem Tod des Vaters im Jahr 1876 mit dessen Betrieb zusammengelegt wurde. Die Zahl der Beschäftigten des Gesamtunternehmens stieg bis 1880 auf 450 und zehn Jahre später auf 1500.16 Angelika Epple hält in ihrer Abhandlung über die Entwicklung Stollwercks zu einem globalen Unternehmen fest, dass sich die einstige Mürbeteigbäckerei bereits bis Mitte der 1880er Jahre zu „einer der modernsten Schokoladenfabriken“ entwickelt hatte.17 Im Jahr 1900 wurde im Kölner Betrieb

14 Welskopp versteht unter Unternehmenskultur das „Ensemble aller Praktiken einer ökonomischen Institution, bei denen die Beteiligten – Management und abhängig Beschäftigte – auf diejenigen Bedeutungsmuster und Sinninhalte handlungsleitend rekurrieren, die für den Typ dieser Institution oder diese speziell spezifisch sind.“, vgl. ebd., 2004, S. 272. 15 Vgl. Fincke: 50 Jahre, 1934, S. 10; Epple: Unternehmen, 2010, S. 63. 16 Vgl. Kuske: 100 Jahre, S. 136. Detaillierte Informationen finden sich in dem im Gegensatz zur Firmenfestschrift des gleichen Autors nicht veröffentlichen Manuskript einer „ausführliche[n] Firmengeschichte“, vgl. Bruno Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, zusammengestellt 1939/40, mit Archivergänzungen von Direktor G. Laute vom 21. Januar 1941, vom 29. Oktober 1942, vom 5. Januar 1944, unveröffentl. Manuskript. RWWA, Sign. 208-09, Bl. 574; Pohle gab für die Kölner Fabrik für 1890 eine Zahl von durchschnittlich 1055 Arbeiter/-innen an, vgl. Pohle: Probleme, 1905, S. 12. 17 Epple: Unternehmen, 2010, S. 73.



E INBLICKE IN DIE F ABRIK

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knapp sechsmal so viel produziert wie fünfzehn Jahre zuvor.18 Um das Kapital für notwendige Erweiterungen zu beschaffen, wurde das Unternehmen 1902 als erste deutsche Firma aus der Süßwarenbranche in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Der Vorstand bestand allerdings weiterhin ausschließlich aus Familienmitgliedern.19 In der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg wuchs Stollwerck dann rasant zu einem multinationalen Unternehmen; es wurde zum größten Betrieb der europäischen Schokoladenbranche.20 Ein Mangel an weiblichen Arbeitskräften führte zunächst zur Gründung von Zweigfabriken in Berlin und Österreich. Zudem motivierten Schutzzölle Stollwerck zu einer Gründung von Fabriken in London und den USA.21 Von den 220 Beschäftigten der Firma Gebrüder Stollwerck im Jahr 1875 waren die Hälfte Frauen, die im Sprachgebrauch des Unternehmens unabhängig von ihrem Alter als „Mädchen“ bezeichnet wurden. Die andere Hälfte setzte sich aus fünfzig Konditoren und sechzig Handwerkern sowie „Beigehilfen“, angelernten Arbeitern, die Maschinen bedienten, zusammen.22 Ein solches Geschlechterverhältnis war in der von Klein- und Mittelbetrieben bestimmten Schokoladen- und Kakaobranche in Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts üblich, beim stetig wachsenden Unternehmen Stollwerck stieg jedoch ab den späten 1880er Jahren der Anteil der Arbeiterinnen rasant an.23 Der Grund dafür lag naheliegender Weise darin, dass es sich um billige Arbeitskräfte handelte.24 Zeitgenössisch und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein wurde häufig der Geschlechtscharakter der Arbeiterinnen als Begründung für eine vermeintliche Affinität zu dieser schlecht bezahlten Tätigkeit angegeben. So erklärte es Kuske in seiner Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum des Unternehmens für „ganz natürlich“, dass „die Frau, als Hauptverbraucherin von Süßwaren“ sich für deren Produktion interessierte. Hinzu käme „die feinere Hand18 Vgl. Schiffer: Kleinbetrieb, 2008, S. 129. 19 Vgl. ebd., S. 130f. Im Aufsichtsrat waren neben Familienangehörigen die an der AGGründung beteiligten Banken vertreten, vgl. ebd., S. 131. Eine ähnliche Struktur einer starken Familiendominanz innerhalb der Form einer AG wiesen die kurze Zeit später zur Aktiengesellschaft umgewandelten Schokoladenunternehmen Sarotti und Hartwig & Vogel auf, vgl. Ellerbrock: Geschichte, 1993, S. 315. 20 Die Kapitalbasis des Unternehmens bewegte sich mit 16 Millionen Mark in der Größenordnung von Hoesch oder der MAN, vgl. ebd., S. 315. 21 Vgl. Epple: Unternehmen, 2010, S. 279f., 284; Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 100-114. 22 Vgl. Bruno Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, zusammengestellt 1939/40, mit Archivergänzungen von Direktor G. Laute vom 21. Januar 1941, vom 29. Oktober 1942, vom 5. Januar 1944, unveröffentl. Manuskript. RWWA, Sign. 208-09, Bl. 574. 23 Vgl. Epple: Unternehmen, 2010, S. 287; Pohle: Probleme, 1905, S. 77f. Auch in der Schweiz stieg der Anteil der Arbeiterinnen in der Schokoladenbranche in dieser Zeit, vgl. Rossfeld: Schokolade, 2007, 100. 24 Vgl. Epple: Unternehmen, 2010, S. 62.

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fertigkeit der Frau und ihr Sinn für Form und Ausstattung.“25 Die Verschiebung von männlicher zu weiblicher Arbeitskraft ging jedenfalls mit dem Prozess des Wandels eines handwerklichen Betriebes zu einem industriellen Unternehmen einher. Vor allem zeigt sich dieses Verhältnis in seiner Deutlichkeit, wenn nur der Hauptbetrieb der Süßwarenfabrikation betrachtet wird. In den Nebenbetrieben – Maschinenfabrik, Druckerei, Sägewerk und Schreinerei, Kartonnagefabrik, Klempnerei – waren ausschließlich Männer beschäftigt. Im Hauptbetrieb hingegen lag der Frauenanteil ab Mitte der 1880er Jahre stets bei über 70 Prozent. 26 Bruno Kuskes Festschrift von 1939 soll im Folgenden durch dieses Kapitel führen. Die Schrift des Kölner Professors für Wirtschaftsgeschichte enthielt, wie es für das Genre der Festschrift üblich war, viele Illustrationen. Den Abschluss des Buches bildeten fünfzehn ganzseitige Abbildungen aus dem Kölner Werk; die ersten vierzehn zeigten verschiedene Produktionsprozesse, die letzte die Grünanlagen der Fabrik. Allerdings enthält der Band keine Fotografien, sondern ausschließlich Stiche und Zeichnungen. Türk hält fest, dass es eine in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitete Praxis war, für Festschriften künstlerische Bilder anfertigen zu lassen. Zwar zeigte auch die Fotografie stets einen inszenierten Blick auf die Fabrik, jedoch eröffneten künstlerische Bilder noch stärker die Möglichkeit einer Konstruktion des gewünschten Selbstbildes. In der Regel wurden solche Bilder ergänzend zur Fotografie in einem Band veröffentlicht.27 Dass die Festschrift 100 Jahre Stollwerckgeschichte vollständig auf Fotografien verzichtete, macht einen Vergleich mit etwaigen Fotografien aus dem Unternehmensarchiv reizvoll. In der Tat existieren verschiedene Aufnahmen, die den gleichen Arbeitsprozess zeigen wie die Zeichnungen. Die gezielten Stilisierungen, Modifizierungen und vor allem das selektive Aussparen einzelner Momente sollen dabei in den Blick genommen werden. Da die fünfzehn „Abbildungen aus dem Kölner Werk“ allesamt den Stand des Jahres 1939 zeigen, kann dieser Vergleich jedoch nur für den entsprechenden Zeitraum erfolgen. Die Frühzeit Stollwercks wurde allerdings auf einem Stich gezeigt, der das „Office“ um 1880 darstellt. Zu sehen ist der Pralinenpackraum mit Arbeiterinnen aus einer vermutlich fiktiven, deutlich erhöhten Perspektive. In erster Linie sticht die Höhe und Größe des Raumes hervor. In der Mitte befindet sich eine Reihe von Säulen, links daneben ein breiter Gang. Auf jeder Seite befinden sich im Abstand von etwa zwei Metern Fenster, die bis zur Decke reichen. Vor ihnen steht jeweils ein Arbeitstisch, an dem etwa acht Arbeiterinnen sitzen. Bis zum Ende des Raumes sind auf jeder Seite etwa ein Dutzend solcher Tische zu erahnen.



25 Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 135. 26 Vgl. Pohle: Probleme, 1905, S. 77. 27 Vgl. Türk: Konstruktionen, 2002, S. 39.



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Abbildung 39: „Im ‚Office‘ um 1880“. Stich eines anonymen Künstlers.

Quelle: Kuske: 100 Jahre, S. 137. RWWA, Sign. 208-GN510.

Die Arbeiterinnen sitzen auf Schemeln am Tisch, zumeist vier auf jeder Seite, jeweils einer anderen Arbeiterin gegenüber. Auf den Tischen füllen sie Kartons unterschiedlicher Größe, einzelne Arbeiterinnen tragen einen Karton über den Gang oder holen neue Kartons aus den hohen Regalen, die zwischen den Fenstern stehen. Die meisten Frauen tragen dunkle Kleider, alle jedoch über dem Kleid eine weiße Schürze. Der Raum wirkt hell und gut gelüftet, die Arbeit scheint nicht anstrengend zu sein. Dieses Bild der Arbeit entspricht der Kurzformel, auf die Epple die Selbstrepräsentation Stollwercks bringt. Es sei das Bild einer „leichten Arbeit in luftigen Räumen“ gezeichnet worden, die der vermeintlich natürlichen Fingerfertigkeit der Frauen entgegen käme.28 Der Raum wirkt in einer sehr geordneten Form betriebsam, die Tätigkeit seriell, aber aufgrund der kleinen Tischgruppen nicht massenförmig oder anonym. Interessant ist zudem etwas, das nicht abgebildet wurde: Es sind wie auf allen Abbildungen dieser Firmenfestschrift keine Aufsichtskräfte zu sehen. Die Ordnung scheint keine Disziplinierung zu benötigen. Eine der ältesten Fotografien Sprengels zeigt einen ähnlichen Arbeitsvorgang in der Tafelwickelei um 1901. Aus dieser Zeit liegen etwa 25 Sprengel-Fotos vor, die Einblicke in Arbeitsräume zeigen.29 Allerdings ist dieses die einzige Aufnahme, die einen Eindruck von der Arbeitssituation gibt. Die übrigen Aufnahmen folgten dem am Ende des 19. Jahrhunderts gängigen Muster, die Belegschaft einer Abteilung zu

28 Epple: Unternehmen, 2010, S. 112. 29 Vgl. RWWA, Sign. 208-F4230 bis F4248 und 208-F8172 bis 8210; unter diesen Signaturen befinden sich einige Dubletten.

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einer „starren Gruppe“ zu arrangieren.30 Auf diesem Foto der Tafelwickelei sind, obwohl selbstverständlich auch diese Aufnahme inszeniert war, die Arbeiterinnen an ihren Arbeitsplätzen zu sehen.31 Das Foto hatte nicht die Zielsetzung, durch die Größe des Raumes und die Menge der Arbeiter/-innen zu beeindrucken: Zu erkennen sind 23 Personen aus einem begrenzten Raumausschnitt. Die Kamera hat aus leicht erhöhter Position in diagonaler Perspektive drei Arbeitstische aufgenommen. Der Fotograf stand dabei unmittelbar vor dem ersten Tisch. Wie auf dem Stollwerck-Stich sitzen auf jeder Seite des Tisches vier Arbeiterinnen auf Hockern; vor der Wand hinter dem letzten Tisch stehen ebenfalls wie auf dem Stich deckenhohe, mit Kartons gefüllte Regale. Damit enden die Gemeinsamkeiten. Auch wenn sich keine sicheren Aussagen zu den Ausmaßen des Raumes bei Sprengel treffen lassen, wirkt er doch ungleich kleiner und dunkler als derjenige bei Stollwerck. Etwa zwei bis drei Meter links von den Tischen ist eine Wand zu erkennen. Fenster sind nicht zu sehen, wohl aber mehrere elektrische Glühlampen mit Lampenschirm, die von der Decke hängen; drei von ihnen sind in Betrieb. Die Arbeitstische auf dem Foto sind deutlich stärker gefüllt als diejenigen des Stiches. Vor den Frauen am vorderen Tisch liegen fertig gepackte Tafeln in der Papierverpackung. Auf den hinteren beiden Tischen ist glänzendes Stanniolpapier zu erkennen, das als erste Schicht um die Schokolade gewickelt wurde.



30 Vgl. Matz: Industriefotografie, 1987, S. 31. 31 Auf einem anderen Foto des gleichen Raums sind die meisten Arbeiterinnen stehend und in die Kamera blickend angeordnet, vgl. RWWA, Sign. 208-F8198 (identisch mit 208F4237).



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Abbildung 40: Arbeiterinnen in der Tafelwickelei bei Sprengel, Hannover, um 1901.

Quelle: RWWA, Sign. 208-F8069.

Auffällig ist ein störendes Moment, das sich durch das Motiv zieht. Neben den Stromkabeln der Lampen führen über jeden Tisch Rohre von der Decke, die jeweils drei mit Hähnen gesicherte Anschlussstellen für Schläuche bieten. Am ersten und am zweiten Tisch sind vier solcher Schläuche zu sehen, die zu den Arbeitsplätzen führen. Es ist anzunehmen, dass es sich um pneumatische Leitungen handelte. Folglich wurden dann, wenige Jahre vor der Automatisierung der Verpackungstechnik, hier bereits pneumatische Zylinder zum Verschluss der Verpackungen eingesetzt.32 Während die Anordnung der Technik also ein Bild der Unruhe evoziert, führte die Platzierung der Menschen zu einem Bildmotiv, das Ordnung und Hierarchie repräsentierte. Zwischen den beiden vorderen Tischen stehen in der linken Bildhälfte eine ältere Frau in weißer Bluse und ein Mann mit Stehkragen. Die Frau richtet den Blick ins Bildzentrum, als beaufsichtige sie den Raum. Die Bildbeschriftung des zweiten Fotos dieses Arbeitsraums gibt an, dass es sich um die Abteilungsleiterin 32 Das ist auf dem anderen Foto besser zu erkennen, vgl. RWWA, Sign. 208-F8198. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts hatte die Mechanisierung der Schokoladenverpackung begonnen. Das französische Unternehmen Sapal stellte dann ab 1906 Verpackungsmaschinen für die Schokoladenindustrie her, vgl. Rossfeld: Schokolade, 2007, S. 94, 98.

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und ihren Nachfolger handelt.33 Außerdem sind zwei weitere Männer im Bildhintergrund zu erkennen. Es war dem Unternehmen also wichtig, die gründliche Überwachung der Arbeiterinnen auf dem Foto festzuhalten. Eine Fotografie bildet selbstverständlich nicht den Arbeitsalltag ohne Verfremdung ab; solche Aufnahmen waren gründlich inszeniert. Gleichwohl war der Arbeitsalltag in einer Schokoladenfabrik zu dieser Zeit von Disziplinierung geprägt, wie die Personalstatistik Stollwercks zeigt. Eine hohe Anwesenheit von Aufsichtspersonal war zu dieser Zeit bei Stollwerck üblich: Im März 1903 kamen im Kölner Hauptbetrieb auf 685 Arbeiterinnen immerhin 50 Aufseherinnen.34 Darüber hinaus erwähnt die Fabrikordnung von 1892 zusätzlich die Rolle von Arbeitsraumvorstehern, Meistern und „Fabrik-Inspectoren“35. Diesen Fabrik-Inspectoren kam eine Art Oberaufsicht zu, sie waren direkt den Fabrikbesitzern unterstellt, sollten die „Thätigkeit, Ordnung und Reinlichkeit in allen Räumen der Fabrik“ überwachen und konnten sofortige Entlassungen durchführen. Die Arbeitsraumvorsteher und Meister sollten konkret „überflüssige[n] Wortwechsel“ unterbinden, der vor allem dann zu befürchten stünde, „wenn Mädchen in demselben Raum arbeiten“.36 Selbst Pfeifen und Singen war während der Arbeitszeit und der Pausen verboten.37 Die herrschende Form der Machtausübung war also zumindest der Intention nach die Disziplinierung. Zu den Verboten und der Überwachung kam um die Jahrhundertwende durch die partielle Einführung des Akkordlohns zusätzlich ein materielles und individualisierendes Moment der Disziplinierung zur Leistungssteigerung hinzu. Zu dieser Zeit wurden im Hauptbetrieb ausschließlich die Arbeiterinnen auf Akkord umgestellt, während die männlichen Konditoren und Gehilfen weiterhin im Zeitlohn beschäftigt wurden.38 Neben dem besonderen Augenmerk auf etwaige Gespräche unter den Arbeiterinnen traf sie also noch zusätzlich ein weiteres Moment der externen Disziplinierung. Außerdem gab es bei Stollwerck bereits frühzei33 Vgl. RWWA, Sign. 208-F8198. 34 Es handelte sich um vier Vorsteherinnen, 19 Aufseherinnen und 27 Hilfsaufseherinnen, vgl. Pohle: Probleme, 1905, S. 78. 35 Die bei Stollwerck angestellten „Fabrik-Inspectoren“ sind nicht mit den Beamten der Gewerbeaufsicht mit dem Titel „Fabrikinspektoren“ zu verwechseln, vgl. Karl: Fabrikinspektoren, 1993. 36 Fabrik-Ordnung für die Beschäftigten der Chokoladen-pp. Fabriken der Gebrüder Stollwerck, 1892, S. 8, § 18. RWWA, Sign. 208-294/7. 37 Ebd., S. 9, § 21. 38 Vgl. Pohle: Probleme, 1905, S. 83. Ein für die Arbeiterinnen positiver Nebeneffekt bestand darin, dass sich durch das Akkordsystem der Abstand zum Lohn eines Konditors deutlich verringerte. Allerdings war die Differenz immer noch äußerst erheblich: Arbeiterinnen verdienten 1903 im Hauptbetrieb 1,56 Mark am Tag, Konditoren etwa 7 Mark, vgl. ebd., S. 90f.



E INBLICKE IN DIE F ABRIK

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tig Versuche zur Internalisierung der Disziplin. Kuske betonte, die „Mädchen“ seien von Beginn an bei Stollwerck durch die Arbeit zu „Verantwortungsfreudigkeit, Ordnungsliebe, Pünktlichkeit und vor allem Sauberkeit erzogen“ worden. 39 Die Firma stellte den Frauen weiße Berufskleidung, um sie durch die dann leicht zu erkennende Verschmutzung zu „bestmöglicher Körperpflege zu veranlassen“.40 Auf allen Fotos seit Beginn der 1920er Jahre wurde diese Kleiderordnung eingehalten. Bei Sprengel hingegen gab es keine Kleiderpolitik in dieser Konsequenz. Zwar waren die Arbeiterinnen in der Schokoladen- und Pralinenabteilung, die 1921 in einem Fotoalbum abgebildet wurden, einheitlich weiß gekleidet,41 doch das war keine durchgängige Praxis. Die Kleidungsvielfalt mit oft dunklen Farben, wie auf dem besprochenen Foto, zeigt sich selbst noch auf einigen Fotos der Nachkriegszeit.42 Erst seit den 1960er Jahren dominierten weiße Uniformen alle Fotos von Sprengel.43 Stollwercks erzieherischer Anspruch wurde zumindest in dieser Sache von der Unternehmensleitung bei Sprengel lange Zeit nicht geteilt: Eine Kontrolle und Überwachung der Arbeit fand statt, ein darüber hinausgehender erzieherischer Wille, der die ganze Person, und nicht nur die Arbeitskraft, getroffen hätte, manifestierte sich zunächst nicht durchgehend in der Kleiderordnung.44 Im zweiten Nachkriegsjahrzehnt setzte sich dann allerdings auch in der Hannoverschen Schokoladenfabrik dieser Ansatz durch. Die folgende Abbildung von Stollwerck zeigt vergleichbar mit dem Stich (Abb. 39) einen Packraum; in diesem wurden keine Pralinen, sondern kleine Schokoladenfiguren verpackt. Wiederum sitzen sich an einem Tisch jeweils vier Arbeiterinnen auf jeder Seite gegenüber. Sie sind einheitlich in weiße kurzärmlige Kittel gekleidet, tragen Hauben und sitzen auf Schemeln. Bis zum Ende des Raumes sind sieben Tischreihen zu erkennen, es ist aber nicht klar, ob weitere Tische im Rücken des Fotografen stehen. Zwei Säulenreihen im rechten Bildabschnitt deuten an, dass die Arbeitstische lediglich ein Drittel des Raumes ausfüllen; der Grundriss der Fabrik

39 Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 135f. 40 Ebd. 41 Vgl. Fotoalbum „Sprengel. Die Fabrikation von Schokolade, Kakao und Pralinen“, 1921. RWWA, Sign. 208-0126, Bild 13, 16 u. 17. 42 Vgl. RWWA, Sign. 208-F7615; F7620. 43 Vgl. RWWA, Sign. 208-F7934; F7938. 44 Beim Uhrenhersteller Thiel wurde mit weißen Uniformen ebenfalls das Ziel verfolgt, die Belegschaft zur „Reinlichkeit nicht nur in der Haltung ihrer Werkstätten und Maschinen, sondern auch an sich selbst“ zu erziehen, vgl. Bauer: Taschen- und ArmbanduhrenErzeugung, 1938, S. 52.

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bestätigt diese Einschätzung.45 Im restlichen Raum des Bildausschnitts sind nur wenige Arbeiterinnen zu sehen; weite Flächen dienen offensichtlich als Lager der benötigten Verpackungsmaterialien bzw. als Zwischenlager der verpackten Ware. Der Raum befindet sich im Dachgeschoss, was an der Dachschräge in der linken oberen Bildecke zu erkennen ist. Der Grundriss zeigt den Figuren-Packraum im dritten Obergeschoss.46 Die grell erhellten Fensterpartien links und rechts im Foto weisen darauf hin, dass es einen großen Helligkeitsunterschied zum Rauminneren gegeben hat. Es gab kein Oberlicht, aber Glühlampen jeweils über den Tischen. Abbildung 41: Arbeiterinnen im Figuren-Packraum bei Stollwerck, Köln, ca. 1925.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN511.

Einige Arbeiterinnen haben für die Aufnahme eine stehende Position eingenommen, aber drei stehende Personen heben sich von ihnen ab: Sie tragen keine Hauben und statt der Kittel langärmlige Jacken, offensichtlich üben sie eine Aufsichtsfunktion aus. Links neben dem dritten Tisch steht eine Frau, links am fünften Tisch ein Mann und zur rechten Seite desselben Tisches eine weitere Person, die sich offen45 Vgl. Grundrisse der Fabrik an der Zwirnerstraße, 20.3.1930. RWWA, Sign. 208-507-1, Bl. VI. 46 Vgl. Ebd.



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bar während der Belichtungszeit des Fotos bewegt hat und deshalb verschwommen ist. Im Vergleich zu der Tafelwickelei bei Sprengel (Abb. 40), die etwa ein Vierteljahrhundert zuvor aufgenommen wurde, gibt es hier deutlich weniger Aufsichtspersonen im Verhältnis zu den Arbeiterinnen. Fotos von Stollwerck zur Jahrhundertwende liegen nicht vor, der in der Fabrikordnung von 1892 erklärte Anspruch, Gespräche, Pfeifen und Singen seien bei der Arbeit nicht zu dulden, lässt jedoch vermuten, dass die Personalstruktur in einem derartigen Raum ähnlich aussah. Wenn auch der inszenierte Charakter der fotografierten Arbeitssituation zu berücksichtigen ist, so hat sich doch zumindest das Selbstverständnis des Unternehmens gewandelt, das hier in den zwanziger Jahren repräsentiert wurde. Die Tätigkeit wurde weiterhin gründlich beaufsichtigt, ein völliges Unterbinden von Gesprächen zwischen den Arbeiterinnen wäre aber in diesem Raum kaum möglich gewesen. Im Gegensatz zu Abbildung 40, wo die Arbeiterinnen den Blick streng auf die Arbeit gerichtet haben, haben hier die Arbeiterinnen des ersten Tisches Augenkontakt zueinander. Auch die Arbeitsordnung sah seit 1919 keine Regelungen mehr vor, die Gespräche bei der Arbeit verboten hätten. Ein solcher Wandel im Betriebsalltag bei Stollwerck fand seine Entsprechung im Rationalisierungsdiskurs der zwanziger Jahre. So hob etwa der Betriebsingenieur Berck hervor, dass es dem Arbeiter in der fließenden Fertigung gehe wie einer strickenden Frau: Gedankliches Abschweifen oder Unterhaltungen mit anderen Personen störten die Arbeit keineswegs, sondern verhinderten gerade, dass die Tätigkeit stumpfsinnig mache.47 In diesem Sinne war eine Arbeitsweise gefunden worden, in der nun der Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen mit den Interessen des Unternehmens konvergierte: Plaudern, Pfeifen oder Singen musste nicht mehr unterbunden werden. Ergänzend zu dieser Ermöglichung nützlicher Freiräume wurde die Hygiene nun nicht mehr ausschließlich extern überwacht. Vielmehr kam zum einen die „Erziehung“ zum Einsatz, von der Kuske sprach: Die weiße Kleidung machte Schmutz sofort sichtbar. Ein regelmäßiges Wechseln und Reinigen der Kleidung wurde somit zum Selbstzwang.48 So sollten die Arbeiterinnen „schon äußerlich ei-

47 Vgl. Berck: Fließarbeit, 1926, S. 53. 48 Gleichwohl verlangte die Arbeitsordnung auch während der Weimarer Republik weiterhin, dass die Arbeitskleidung „stets in sauberem Zustande zu erhalten“ sei, vgl. Arbeitsordnung der Gebrüder Stollwerck A.-G., 1919/1926, S. 4, § 10 und S. 8, § 10. RWWA, Sign. 208-496/7. – Eine exakte Regelung wie in der Fabrikordnung von 1892 fehlte jedoch; dort wurde den Beschäftigten genau vorgeschrieben, in jeder Woche zweimal die Schürze zu wechseln, vgl. Fabrik-Ordnung für die Beschäftigten der Chokoladen-pp. Fabriken der Gebrüder Stollwerck, 1892, S. 7, § 16. RWWA, Sign. 208-294/7.

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nen besten Eindruck“ machen, während die hohen Ansprüche einer Qualitätsproduktion sie gleichzeitig automatisch zu Präzision und Sorgfalt „nötigte“. 49 Damit verbunden wurde zum anderen bereits zur Jahrhundertwende die Perspektive eines beruflichen Aufstiegs: Bewährte Arbeiterinnen konnten bei Stollwerck nach vier bis fünf Jahren Vorarbeiterinnen und später dann Aufseherinnen werden. Außerdem wurden solche „qualifizierten Frauen“ aus dem Kölner Werk nach der Eröffnung der Zweigwerke dazu eingesetzt, dort – vor allem in der österreichischen Fabrik – den „oft erst ganz neu zu bildenden Stamm von Arbeiterinnen“ anzulernen und zu „beinfluss[en]“.50 Andererseits waren bis zur Einführung der gesetzlichen Kündigungsfrist in der Weimarer Republik51 Arbeiterinnen besonders stark von Saisonarbeit betroffen. Eine Kündigung war täglich möglich, die Fabrikordnung von 1892 hielt fest, dass keine allgemeine Kündigungsfrist bestand.52

R ATIONALISIERUNG

UND

E LEKTRIFIZIERUNG

Nicht alle Arbeiterinnen in der Schokoladenfabrik führten jedoch eine saubere Tätigkeit in luftigen Räumen aus. Die folgende Abbildung, die aus dem im Jahr 1921 entstandenen Fotoalbum „Sprengel. Die Fabrikation von Schokolade, Kakao und Pralinen“ stammt, zeigt zwei kurze Transportbänder, an denen jeweils zwei Arbeiterinnen stehen. Vor den Fließbändern stehen acht mit Kakaobohnen gefüllte Holzfässer, am Ende des Fließbandes füllt ein in der weißen Jacke eines Meisters gekleideter älterer Mann ein weiteres Fass mit Bohnen, die vom Fließband in einen Auffangbehälter transportiert wurden. An der Wand hinter den Arbeiterinnen sind Säcke zu sehen, in denen weitere Bohnen zu vermuten sind. Die Transportbänder werden von der Kakaoverlesemaschine mit Bohnen befüllt, die von oben durch ein breites Rohr aus dem Nebenraum zugeführt werden.53

49 Vgl. Bruno Kuske: Ausführliche Firmengeschichte, zusammengestellt 1939/40, mit Archivergänzungen von Direktor G. Laute vom 21. Januar 1941, vom 29. Oktober 1942, vom 5. Januar 1944, unveröffentl. Manuskript. RWWA, Sign. 208-09, Bl. 577. 50 Vgl. ebd., Bl. 576. 51 Vgl. Arbeitsordnung der Gebrüder Stollwerck A.-G., 1919/1926, S. 1, § 2. RWWA, Sign. 208-496/7. 52 Vgl. Pohle: Probleme, 1905, S. 82. Vgl. Fabrik-Ordnung für die Beschäftigten der Chokoladen-pp. Fabriken der Gebrüder Stollwerck, 1892, S. 2, § 3. RWWA, Sign. 208-294/7. 53 Eine Werbeanzeige der Firma J.M. Lehmann für eine ähnliche Maschine ist bei Rieß abgebildet. Der Werbetext pries die vollautomatische Maschine an, in der Praxis wurde aber aus Qualitätssicherungsgründen nicht auf menschliche Kontrolle verzichtet: „Diese Maschine arbeitet vollständig automatisch. Sie entfernt aus den Bohnen Steine, Strünke,



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Abbildung 42: Kakaoverlesemaschine, Sprengel, Hannover, 1921.

Quelle: RWWA, Sign. 208-0126 Bild 2.

Die Arbeiterinnen sind mit beiden Händen auf dem Fließband damit beschäftigt, die Bohnen zu verlesen; der Blick ist konzentriert nach unten gesenkt. Der gedruckte Text des Fotoalbums betonte den „gründlichen Sortier- und Reinigungsprozeß“.54 Die Arbeiterinnen tragen im Gegensatz zu dem Mann dunkle Kleidung und Hauben. Die Tätigkeit des Meisters besteht also weniger darin, die Bohnen in ein Fass umzufüllen, sondern vielmehr darin, einen kontrollierenden Blick auf das Zwischenprodukt zu werfen. Insofern präsentiert diese Darstellung ein Bild der rationalisierten Qualitätsproduktion: Fleißige Hände verrichten eine einfache Tätigkeit am Fließband, der geübte Blick des Fachmanns kontrolliert anschließend das Ergebnis. Die Maschine und die Transportbänder wurden mit Riementransmission betrieben; Riemen führen zur Decke und zu den Bändern, an der Decke ist eine Transmissionswelle zu erkennen. Die Elektrizität wurde zu dieser Zeit bei Sprengel durch

Sackbänder, Holzstücke, Eisenteile, taube Bohnen usw., sodaß ein Auslesen dieser Beimischungen von Hand nicht erforderlich ist.“, Rieß: Produktionsgeschichte, 2002, S. 35. 54 Vgl. Fotoalbum B. Sprengel & Co. Hannover „Die Fabrikation von Schokolade, Kakao und Pralinen“, 1921: „In unserer Fabrik werden Rohkakaos von nur ausgewählt guten bis zu den allerfeinsten Sorten verarbeitet. Die rohen Bohnen unterliegen zunächst einem gründlichen Sortier- und Reinigungsprozeß. Unser Bild zeigt eine Reinigungs- und Verlese-Maschine.“, RWWA, Sign. 208-0126, Bild 2.

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mehrere Dieselmotoren mit angeschlossener Dynamomaschine erzeugt.55 Es handelt sich um eine frühe Form des Fließbands, an dem eine einfache Tätigkeit ausgeübt wurde. Eine weitergehende Zerstückelung des Arbeitsprozesses, wie sie zuerst bei Ford und dann ab Mitte der 1920er Jahre in der Fließfertigung der deutschen Automobil- und Elektrobranche eingeführt wurde, spielte hier noch keine Rolle. Es gab in der Lebensmittelindustrie allerdings schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts erste Nutzungen von Fließförderbändern, das erste wurde in Deutschland bei Bahlsen ab 1905 eingesetzt.56 Die folgende Fotografie zeigt einen frühen Fließbandeinsatz bei Stollwerck. Zu sehen sind nebeneinander drei Fließbänder, die jeweils auf eine PralinenÜberziehmaschine zulaufen. Vor der Maschine sitzen jeweils sechs Arbeiterinnen, drei auf jeder Seite, auf Hockern am Band und reihen die Pralinenkörper so auf, dass sie jeweils komplett von der Maschine mit Schokolade überzogen werden können. Das Fließband führt hinter den Maschinen weiter, der genaue Lauf ist auf dieser Aufnahme nicht zu erkennen,57 allerdings erfasst die Kamera zwei weitere Arbeiterinnen und einen Meister. Weiteres Aufsichtspersonal ist nicht zu sehen. Die Maschinen werden über eine Riementransmission betrieben, der Sicherungskasten am linken Bildrand weist aber darauf hin, dass es sich bereits um einen elektrischen Antrieb, allerdings noch um die Übergangsphase des Gruppenantriebs, handelte. Vor der Einführung des elektrischen Einzelantriebes erfolgte häufig eine solche Phase des elektrischen Gruppenantriebs, bei der vorhandene Transmissionen oft weiterhin genutzt wurden.58 Auf Fotografien lässt sich diese Antriebsart nicht von der älteren Technik, der von Dampfmaschinen betriebenen Riementransmission, unterscheiden.59 Der erste Elektromotor wurde bei Stollwerck zwar bereits 1886 installiert,60 aber noch im Jahr 1900 erzeugten Dampfmaschinen bei Stollwerck in der Summe eine Leistung von 1650 PS, während die elektrische Motorleistung bei insgesamt nur etwa 50 PS lag. Im Jahr 1922 war dann der Wechsel vollzogen: Die Ge55 Vgl. ebd., S. 18. 56 Vgl. Hachtmann/von Saldern: Gesellschaft, 2009, Abschnitt 1. 57 Zwei Fotos aus dem Sprengel-Fotoalbum von 1921 zeigen den gleichen Produktionsablauf mit einer sehr ähnlichen Überziehmaschine: Auch hier ordnen Arbeiterinnen die Pralinen auf einem Transportband an, das dann durch die Überziehmaschine führt. Im Anschluss kontrollieren weitere Arbeiterinnen am Band diesen Prozess. Das Band läuft danach durch eine Trennwand in den Nebenraum direkt in eine Kühlanlage. Nach diesem schnellen Kühlprozess werden die Pralinen von weiteren acht am Band sitzenden Arbeiterinnen umgehend verpackt, vgl. RWWA, Sign. 208-0126, Bild 16 u. 17. – Weiter unten wird zu zeigen sein, dass der Ablauf bei Stollwerck weitgehend identisch war. 58 Vgl. Dittmann: Geschichte, 1998, S. 50; vgl. Spur: Produktionstechnik, 1979, S. 141. 59 Vgl. Vahrenkamp: Taylor, 2010, S. 33f. 60 Vgl. Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 55.



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samtleistung der Elektromotoren lag bei 3350 PS, Dampfmaschinen wurden nicht mehr benutzt.61 Abbildung 43: Arbeiterinnen an den PralinenÜberziehmaschinen, Stollwerck, Köln, ca. 1922.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN530.

Gegen Ende der Weimarer Republik wurde der Wechsel zum elektrischen Einzelantrieb in der deutschen Industrie üblich.62 Da weitere Stollwerck-Fotos ähnliche Maschinen in den zwanziger Jahren zeigen, die bereits mit Einzelantrieb ausgestattet waren, lässt sich die Aufnahmezeit wiederum auf die frühe Weimarer Republik taxieren.63 Dieser Raum macht einen hellen Eindruck, zwei hohe Fenster sind zu sehen. Die einheitlich gekleideten Arbeiterinnen sitzen auf Hockern, die nicht über Rückenlehnen verfügen; die Sitzgelegenheiten sind nicht vollständig vereinheitlicht, es handelt sich um zwei verschiedene Sorten Hocker. Zu dieser Zeit war es aufgrund der benötigten langen Belichtungszeit noch erforderlich, das Fließband für die Aufnahme anzuhalten. Die Pralinen sind folglich gestochen scharf, einige Arbeiterinnen hingegen haben sich offensichtlich bewegt, was zu Unschärfen führte. Die Arbeiterinnen sitzen eng, nahezu gedrängt nebeneinander. Der Meister im Hin61 Vgl. Fincke: 50 Jahre, 1934, S. 11. 62 Vgl. Dittmann: Geschichte, 1998, S. 125. 63 Bei Sprengel zeigt ein Foto aus dem Album von 1921 eine ähnliche Pralinenüberziehmaschine, ebenfalls noch von Riementransmission betrieben, vgl. RWWA, Sign. 208-0126 Bild 16.

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tergrund nimmt eine Position in dem Raum ein, die weniger dazu geeignet ist, die Arbeiterinnen im Vordergrund als vielmehr die Qualität des Pralinenüberzugs zu kontrollieren. Das Bild repräsentiert dennoch die Kontrolle des Unternehmens über den Arbeitsprozess, die nun vom Takt des Fließbandes und der Präzision der Maschine vorgegeben und nicht mehr ausschließlich vom Aufsichtspersonal ausgeübt wird. Die Firmenfestschrift von 1939 zeigt eine Weiterentwicklung dieses Produktionsabschnittes. Auf der Zeichnung sind ähnliche Überziehmaschinen zu sehen, die nun allerdings mit einem Einzelantrieb ausgestattet sind und von der Decke mit Elektrizität versorgt werden. Die Bildbeschriftung erweckt, obwohl Arbeiterinnen am Fließband abgebildet sind, den Eindruck, es handle sich um einen vollständig automatischen Produktionsprozess: „Viele Pralinensorten werden ganz maschinell hergestellt. Die rechts aus einer Maschine kommenden Pralinenkörper laufen hier durch die Überziehmaschine und gelangen links durch Kühlschränke zum Einschlag- und Packraum.“64 Abbildung 44: „Pralinen-Überziehmaschinen“. Zeichnung von Otto Lehmann.

Quelle: Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 159. 64 Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 159.



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Die Zeichnung selbst zeigt einen Arbeitsraum, der gleichermaßen rationaler als auch humaner im Vergleich zu ähnlichen Räumen auf Fotografien wirkt. Die Platzierung von Menschen und Maschinen entspricht einem symmetrischen Ordnungsprinzip, es gibt keine störenden Elemente: Mensch und Maschine sind vollständig den Erfordernissen des Arbeitsprozesses angepasst. Gleichzeitig entsprechen aber auch die Arbeitsbedingungen den Vorstellungen von einer ‚menschlichen‘ Arbeit. Im Gegensatz zu Abbildung 43 ziehen sich hier keine Riemen durch das Bild. Während auf dem Foto Tabletts auf dem Fußboden stehen, sind sie auf der Zeichnung ordentlich auf einem Tisch abgestellt. Die Arbeiterinnen sitzen hier auf einheitlichen Sitzgelegenheiten statt auf verschiedenartigen Hockern. Zudem entsprechen diese Stühle mit einer Rückenlehne den ergonomischen Anforderungen der Arbeitswissenschaft.65 Überhaupt ist der Arbeitsplatz des künstlerischen Bildes weiträumiger; nur drei Arbeiterinnen sitzen vor der Maschine am Fließband, im Vergleich zu sechs Frauen auf dem Foto. Während auf dem Foto einzelne Frauen zwischen einer Säule im Rücken und dem Fließband nach vorne eingeengt werden, gibt es auf der Zeichnung keine Säulen im Raum. Eine Überwachung durch Aufsichtskräfte findet auf diesem Bild nicht statt. Die Repräsentation einer rationalisierten Produktion scheint nicht mehr in allen Fällen darauf angewiesen zu sein, das disziplinierende hierarchische Moment der Personalstruktur einbeziehen zu müssen. Eine Fotografie aus den zwanziger Jahren zeigt eine ähnliche Maschine mit Einzelantrieb. Es handelt sich jedoch um einen anderen Typ, am Fließband stehen nur zwei Arbeiterinnen. Die Pralinenkörper werden automatisch von einer Vorrichtung auf das Band gerüttelt und von einer Schienenauflage auf dem Fließband in der vorgesehenen Reihung gehalten. Die Aufgabe der Arbeiterinnen ist nun weniger manuell denn visuell: Die Hände sind auf dem Rand des Fließbandes abgestützt, die Augen fixieren das Fließband, um etwaige Fehler ausgleichen zu können. Die Arbeiterinnen werden nicht von einer Aufsichtskraft kontrolliert, sondern kontrollieren nun selbst den teilautomatischen Arbeitsprozess. Das Fließband führt die nun mit dunkler Kuvertüre überzogenen Pralinen nach Verlassen der Maschine weiter in den Nebenraum, wo die in der Festschrift erwähnten Kühlschränke zu erkennen sind. Am linken Bildrand ist eine weitere Überziehmaschine zu sehen, die dem Typ auf Abbildung 43 ähnelt (allerdings mit Einzelantrieb). Dort sitzen wie gehabt Arbeiterinnen auf Hockern, was zeigt, dass auch zu dieser Zeit an einigen Maschinen weiterhin manuell gereiht werden musste.

 



65 Vgl. Alexander: Mantra, 2008, S. 101ff.

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Abbildung 45: Pralinen-Überziehmaschine, Stollwerck, Köln ca. 1925.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN531.

Wie auf allen Fotos bis in die Nachkriegszeit gibt es keine Stühle mit Rückenlehnen. Auf den Zeichnungen der Festschrift sind durchgehend solche Stühle abgebildet; die Richtigkeit der arbeitswissenschaftlichen Forderungen nach guten Sitzgelegenheiten wurde also anerkannt, was in die Selbstdarstellung des Unternehmens einfloss. Die Kosten für die Umsetzung wurden hingegen lange gescheut. Das Protokoll einer Vertrauensratssitzung im Dezember 1937 hielt zwar fest, dass die Ausstattung der Arbeitsplätze für Arbeiterinnen mit Rückenlehnen „in Aussicht genommen“ sei,66 eine Umsetzung ließ jedoch lange auf sich warten: Die neue Norm fand Eingang in die Selbstrepräsentation des Unternehmens in den Bildern der Festschrift, nicht aber in die Arbeitsräume der Fabrik. Die Arbeiterinnen saßen also weiterhin auf Hockern.



66 Protokoll über die Sitzung des Vertrauensrates vom 2.12.1937, Bl. 3. RWWA, Sign. 208255/5.



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H ANDARBEIT

IN DER RATIONELLEN

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F ABRIK

Obwohl bereits um die Jahrhundertwende bei Stollwerck Pralinen von „Tunkmaschinen“ mit Kuvertüre überzogen wurden, blieb die Handarbeit auch in diesem Bereich erhalten. Nur die „billigeren Sorten“ wurden maschinell hergestellt, während die „kunstvolleren Formen nur durch die menschliche Hand erzeugt“ werden konnten. Der Pralinenkern musste in der flüssigen Schokolade auf eine spezielle Art gewendet werden, um dem Überzug die gewünschte Form zu geben.67 Auch Ende der 1930er Jahre wurde noch auf ähnliche Weise im Handüberziehraum gearbeitet. Die Pralinenkörper der „feineren“ Sorten wurden in die Kuvertüre getaucht und mit „reizvollen Dekors“ versehen:68 Abbildung 46: „Im ‚Handüberziehraum‘“. Zeichnung von Otto Lehmann

Quelle: Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 158.

67 Pohle: Probleme, 1905, S. 86. 68 Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 158.

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Auch dieser Raum wurde in der Festschrift von 1939 wie die bisher vorgestellten Arbeitsräume präsentiert: Zu sehen ist ein großer Raum ohne Säulen, dessen Fensterfront unterstützt von Deckenlampen gute Sichtverhältnisse garantiert. Aufseher/innen gibt es erneut nicht, die Arbeiterinnen sitzen auf bequemen Stühlen an einem geräumigen Arbeitsplatz. Jeweils zwei Viererreihen von Arbeiterinnen sitzen sich an breiten Tischen gegenüber, allerdings ohne Augenkontakt zum Gegenüber: Das Gesichtsfeld wird vollständig von einem Temperierschrank blockiert, auf dem weitere Schalen mit Kuvertüre stehen. Die fiktive Perspektive des Künstlers ermöglichte einen Blick auf die Arbeit, den die Fotografie nicht bieten konnte. Im Vordergrund ist eine Arbeiterin detailliert bei ihrer Tätigkeit dargestellt. Der Schrank vor ihr befindet sich ebenso außerhalb des Bildraums wie ihre Tischnachbarinnen zur Linken und zur Rechten. Somit erscheint ihr Arbeitsplatz großzügig bemessen und angenehm zu sein. Zwei Fotografien desselben Raums vermitteln hingegen einen anderen Eindruck. Zu sehen sind die Arbeitsplätze an der Fensterfront. Hier sitzen jedoch nicht vier, sondern sechs Arbeiterinnen in einer Reihe, mithin ungleich gedrängter zueinander. Während die Arbeiterin auf der Zeichnung den linken Unterarm bequem auf dem Tisch ablegt, war eine solche Armhaltung am realen Arbeitsplatz nicht möglich, ohne die Arbeitsfläche der nächsten Kollegin zu blockieren. Der Raum war vollständig nach den Ansprüchen des zu verarbeitenden Produkts ausgerichtet, die einzelnen nummerierten Arbeitsplätze waren platzsparend eingerichtet. Gespräche waren im Grunde nur mit der direkten Nachbarin möglich. Solche Unterhaltungen zu unterbinden war vermutlich Aufgabe der Aufseherin, die an einer Säule lehnt. Da sie keine Haube trägt, sollte sie gewiss dem Produkt nicht zu nahe kommen. Sie erfüllte also keine Aufgabe der Qualitätssicherung, sondern eine der reinen Disziplinierung.





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Abbildung 47: Handüberziehraum mit Arbeiterinnen, Stollwerck, Köln, ca. 1925.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN512.

Die notwendige Helligkeit bot der Raum gewiss. Die hohen Fenster boten sogar die Möglichkeit zur Abdunkelung durch Jalousien, um Blendungen zu verhindern. Zusätzlich waren über jedem Arbeitstisch vier Glühlampen angebracht. Eine zweite Fotografie, die vermutlich die Fortsetzung desselben Raumes ab dem linken Bildrand zeigt, deutet zudem an, dass auch an solchen Arbeitsplätzen kein vollständiges Unterdrücken des Eigen-Sinns möglich war. Die zwei Frauen, die mit dem Rücken zur Kamera in der Mitte des Bildes zu sehen sind (Arbeitsplatz Nr. 87 und 88), richten im Gegensatz zu den Kolleginnen im Vordergrund und auf dem anderen Foto den Blick nicht konzentriert nach unten auf die Arbeit ihrer Hände. Stattdessen scheinen sie miteinander im Gespräch zu sein. Die weiteren Kolleginnen im Bildhintergrund blicken deutlich in die Kamera.



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Abbildung 48: Handüberziehraum mit Arbeiterinnen, Stollwerck, Köln, ca. 1939.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN1355.

Eine genaue Datierung der beiden Fotos fällt schwer. Klar ist, dass der Handüberziehraum zum Zeitpunkt der Erstellung der Firmenfestschrift 1939 noch in dieser Form existierte. Es ist wahrscheinlich, dass in den zwanziger Jahren auf ähnliche Art und Weise gearbeitet wurde. Die Temperierautomaten in der linken Bildhälfte, in denen die Glasur dünnflüssig gehalten wurde,69 wurden von einem Gruppenantrieb mit Hilfe eines Riemens gesteuert, was für eine Datierung in die frühe Weimarer Zeit spricht. Der technologische Wandel wirkte sich also sehr unterschiedlich in den verschiedenen Abteilungen Stollwercks aus. Während in einigen Bereichen zur Zeit der Weimarer Republik neue Maschinen und die Fließbandproduktion eingeführt wurden, blieben die Arbeitsbedingungen in anderen Abteilungen über mehrere Jahrzehnte nahezu unverändert. Wie bereits ausgeführt war bereits am Ende des 19. Jahrhunderts die Zahl der männlichen Konditoren bei Stollwerck stark zurück gegangen, als nach und nach

69 Vgl. Aufschrift auf dem linken Schrank: „Glasur I. Dünnflüssig“, vgl. RWWA, Sign. 208-GN1355.



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größere Teile der Produktion industriell ausgeführt werden konnten.70 In der Mitte der 1930er Jahre waren weiterhin etwa zwei Drittel aller Beschäftigten im Kölner Betrieb Frauen, Männer waren hauptsächlich in der Verwaltung und an den Maschinen tätig.71 Eine Ausnahme in den eigentlichen Kernabteilungen der Schokoladen- und Pralinenherstellung bildete die nun kleine Gruppe der Konditoren. Deren Tätigkeit gibt einen anschaulichen Beleg für die Geschlechterhierarchien am Arbeitsplatz bei Stollwerck. Das folgende Foto zeigt einen Arbeitsraum, in dem etwa 18 Arbeiterinnen und drei Männer arbeiten. Auf dem Foto ist die Herstellung von Saisonwaren zu sehen; zwei Männer sind jeweils mit der Gestaltung eines großen Weihnachtsmannes beschäftigt, der dritte steht am Arbeitstisch vor drei großen Schokoladenosterhasen. Abbildung 49: Figurenformraum, Stollwerck, Köln, ca. 1939.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN1352.

70 Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 135. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde die Zahl der Konditoren bei Stollwerck etwa halbiert, vgl. Pohle: Probleme, 1905, S. 75. 71 Vgl. Anonym: Ein Musterbetrieb erhielt die goldene Fahne. Vorbildlich in Aufbau, Ordnung und Betriebsgemeinschaft, in: Westdeutscher Beobachter, Ausgabe Köln, 31.5.1937.

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Diese im Kontext der Gesamtproduktion kunsthandwerklich anmutenden Tätigkeiten bleiben ausschließlich den Männern überlassen. In diesem Sinne stellte der Beruf des Konditors ein Refugium des handwerklichen Fachwissens in einem inzwischen industrialisierten Betrieb dar. Der Habitus des individuellen Fachmannes, der sich von den mit seriellen Tätigkeiten beschäftigten uniformierten Arbeiterinnen abhob, wurde auch dadurch gewahrt, dass allein die beiden Konditoren keine Kopfbedeckung trugen. Der Konditor am linken Bildrand verfeinert den vermutlich in seiner Grundform maschinell hergestellten Körper des Weihnachtsmannes. Im Bildzentrum ist der zweite Konditor offensichtlich dabei, der bereits verschiedenfarbig überzogenen Figur den Feinschliff zu verpassen. Ihm gegenüber steht ein junger Mann, vermutlich ein Lehrling, der im Gegensatz zu den beiden älteren Konditoren eine Kopfbedeckung trägt. Die Arbeiterinnen in diesem Raum sind entweder damit beschäftigt, Tabletts von einem Arbeitsschritt zum nächsten zu transportieren oder kleinere Arbeitsschritte auszuführen. Im Zentrum der Bildinszenierung stehen jedoch die Männer und die Figuren. Die Anordnung im Arbeitsraum deckt sich mit dieser Repräsentation: Die Zubringertätigkeiten der Frauen laufen auf die Finalisierung durch die geübten Hände der Konditoren hinaus. Diese Organisation der Arbeit und die Anwesenheit hierarchisch übergeordneter Fachkräfte machte offensichtlich die zusätzliche Überwachung des Arbeitsprozesses durch eine Aufseherin unnötig.

„S CHÖNHEIT DER A RBEIT “ UND D ISZIPLINIERUNG IM „NS-M USTERBETRIEB “ S TOLLWERCK Stollwerck, dessen Vorstand seit 1932 keine Familienmitglieder mehr angehörten,72 war im Nationalsozialismus ein Vorzeigebetrieb. Das Kölner Werk wurde bereits beim ersten „Leistungswettkampf der Deutschen Betriebe“ und als erstes Unternehmen im Gau Köln-Aachen im Jahr 1937 mit der „Goldenen Fahne“ als „NSMusterbetrieb“ ausgezeichnet. Diese Auszeichnung wurde jährlich bis 1944 erneuert.73 Die Geschäftsleitung wies bei einem Aufruf an die Belegschaft zum zweiten Leistungswettkampf 1937/1938 darauf hin, wie vielfältig die Kriterien waren, die

72 In Folge der Weltwirtschaftskrise übernahm die Deutsche Bank die Leitung des Unternehmens; die Aktien wurden breit gestreut, vgl. Epple: Unternehmen, 2010, S. 10; Schiffer: Kleinbetrieb, 2008, S. 110. Bis Ende der zwanziger Jahre hatte Stollwerck weiterhin zufriedenstellende Gewinne gemacht, die Weltwirtschaftskrise führte dann allerdings zu drastischen Einbrüchen, die die beschriebene Umstrukturierung zur Folge hatten, vgl. ebd., S. 134. 73 Vgl. NS-Auszeichnungen der Gebrüder Stollwerck AG. RWWA, Sign. 208-320/6.



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das „Amt für soziale Selbstverantwortung“ der DAF für die Auszeichnung zugrunde legte. Es komme nicht darauf an, „wer die schönsten und modernsten Fabrikund Aufenthaltsräume“ habe. Vielmehr stehe man vor der Aufgabe, den bestehenden Gebäudekomplex mit möglichst viel „Sauberkeit, Ordnungsliebe und Schönheitssinn“ zu verbessern.74 Hinter diesen Phrasen lässt sich die Erleichterung darüber erkennen, von der DAF nicht zu größeren Investitionen genötigt worden zu sein, weil es genüge, ein wenig im Betrieb aufzuräumen. Gleichwohl wurde Stollwerck in NS-Publikationen insbesondere für eine neue betriebliche Sozialeinrichtung gelobt, die durchaus mit Kosten verbunden war und ebenfalls als eine Maßnahme zum Programm „Schönheit der Arbeit“ verstanden wurde: die Errichtung einer Kindertagesstätte.75 Zu den Maßnahmen des Betriebes, die auf eine Erneuerung der Auszeichnung zielten, gehörte eine Neuausrichtung der betrieblichen Kontrollausübung. Ansatzweise vergleichbar mit den in Kapitel 4 beschriebenen Versuchen bei HumboldtDeutz zur Einführung von Selbstkontrolle und Selbstkalkulation, ging es auch Stollwerck darum, einen Bereich der Kontrolle aus der „eigene[n] Hand“ in die „Selbstverwaltung der Gefolgschaft zu legen“.76 Allerdings handelte es sich hierbei um Vorgänge, die außerhalb des Produktionsprozesses lagen: die Kontrolle beim Verlassen der Fabrik. Die Geschäftsleitung tat in dem Aufruf ihr Bedauern darüber kund, dass „leider auf die Ausgangskontrolle nicht verzichtet werden“ könne, weil die Süßwaren insbesondere für die jugendlichen Beschäftigten eine zu große Verführungskraft zum unerlaubten Entwenden besäßen. Allerdings werde die Kontrolle nun nicht mehr durch das Aufsichtspersonal, sondern durch vom Betriebsobmann und der Geschäftsleitung ausgewählte Beschäftigte erfolgen.77 Dieser Versuch scheiterte jedoch noch deutlich schneller als die Experimente mit der Selbstkontrolle beim benachbarten Maschinenbauunternehmen. Im August 1939 führten die „Erfahrungen“ der letzten Monate – also offensichtlich von den ehrenamtlichen Kontrolleuren geduldete Diebstähle – dazu, dass der alte Status quo einer Kontrolle durch Betriebsaufseher/-innen wieder hergestellt wurde.78 Dennoch waren beide Versuche trotz aller konkreten Unterschiede von einer gemeinsamen 74 Aufruf der Geschäftsleitung zum „Leistungswettkampf der Deutschen Betriebe“. Anhang zum Protokoll über die Sitzung des Vertrauensrates am 3.8.1937, o.P. RWWA, Sign. 208-255/5. 75 Vgl. Schaller (Hg.): Arbeitsplätze, [1938], S. 40. 76 Aufruf der Geschäftsleitung zum „Leistungswettkampf der Deutschen Betriebe“. Anhang zum Protokoll über die Sitzung des Vertrauensrates am 3.8.1937, Bl. 4. RWWA, Sign. 208-255/5. 77 Ebd. 78 Protokoll über die Sitzung des Vertrauensrates vom 25.8.1939, Bl. 1. RWWA, Sign. 208255/6.

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Problematisierung geprägt, die sich auch in den zeitgenössischen Arbeitswissenschaften wiederfand (vgl. Kap. 3): Es ging in so unterschiedlichen Branchen wie Maschinenbau und Süßwarenproduktion gleichermaßen darum, Formen der externen Überwachung partiell durch die Selbstdisziplin der Beschäftigten zu ersetzen. Diese Fokussierung auf das arbeitende Subjekt schuf begrenzte Freiräume, die unterschiedliche Ausmaße einnahmen: Die Fließbandarbeiterinnen bei Stollwerck wurden in einem Bereich von Beaufsichtigung befreit, während die männlichen Facharbeiter bei Humboldt-Deutz eine frühe Form des Selbstmanagements ausüben konnten. In beiden Fällen jedoch wurde bei ‚Fehlverhalten‘ oder unbefriedigenden Ergebnissen zur alten Disziplinarordnung zurückgekehrt. Grundsätzlich wurde in den Publikationen des Amtes Schönheit der Arbeit proklamiert, in den Fabriken des nationalsozialistischen Deutschlands wäre es möglich, Überwachungsmechanismen zu reduzieren. Nicht immer waren damit weitgehende Versuche zur Nutzbarmachung der Arbeitersubjektivität verbunden, wie es anhand des Beispiels Humboldt-Deutz gezeigt wurde. In der Regel ging es vielmehr darum, die externe Disziplinierung durch eine internalisierte Form der Selbstdisziplin weitgehend zu ersetzen. So berichtete das ehemalige Werkbund-Mitglied Wilhelm Lotz in der nationalsozialistischen Propagandaschrift Schönheit der Arbeit in Deutschland 1940 von einer für die industriellen Arbeitsbedingungen in Deutschland vermeintlich überholten Form der betrieblichen Disziplinierung. In „einem größeren Betrieb des Auslandes“ arbeiteten Frauen, die mit Kontrollund Sortierarbeiten beschäftigt waren, in durch Trennwände in der Höhe des Oberkörpers „abgeteilten Nischen“. Diese Entscheidung sei von der Betriebsleitung – wenn auch „ungern“ – getroffen worden, weil man die Erfahrung gemacht habe, dass „die Frauen bei offener Anordnung der Arbeitsplätze sich gegenseitig durch Schwatzen und Herumblicken störten, so dass die Aufmerksamkeit zu sehr von der Arbeit abgelenkt wurde“.79 Lotz betonte, dass in Deutschland hingegen solche Arbeiten „überall am offenen Arbeitsplatz, etwa am laufenden Band“ erledigt würden. Während Lotz die zugrunde liegende Begründung für die Separierung der Arbeiterinnen voneinander, die Annahme einer vermeintlich natürlichen weiblichen Geschwätzigkeit, offenbar grundsätzlich teilte, lehnte er doch die Übertragung auf deutsche Fabriken ab. Als Erklärung diente der rassistische Diskurs: Das betreffende Werk befinde sich in einer Gegend ohne jede „Tradition für industrielle Arbeit“, die Arbeiter seien „wie Wildpferde, die man allmählich durch Generationen hindurch an Art und Gang der Arbeit gewöhnen“ müsse. Die „deutschen Arbeitskameraden“ wüssten hingegen „vom ererbten Volkscharakter her und durch Tradition und Erziehung den Wert und Zweck der Arbeit richtig einzuschätzen“.80

79 Lotz: Schönheit, 1940, S. 26f. 80 Ebd., S. 27.



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Die neue Fließbandanlage des „NS-Musterbetriebs“ Stollwerck ähnelte allerdings sehr stark der Beschreibung des ausländischen Werks. Die Arbeiterinnen gingen in durch Trennwände abgeteilten Nischen einer Sortiertätigkeit nach. Die Bildbeschriftung in der Firmenfestschrift von 1939 erläuterte den Arbeitsvorgang wie folgt: „Die Arbeiterinnen entnehmen den vorbeirollenden Behältern die verschiedenartigsten Pralinen und legen sie nach einem genau festgelegten Mischverhältnis in die Packungen“.81 Ein weiteres Fließband lief auf Schulterhöhe über diesem Vorgang; die Arbeiterinnen konnten die gefüllten Packungen dort ablegen, damit sie zur endgültigen Verpackung transportiert wurden. Abbildung 50: „Pralinen-Packbänder“. Zeichnung von Otto Lehmann.

Quelle: Kuske, 100 Jahre, 1939, S. 161.

Eigen-sinniges „Schwatzen und Herumblicken“ wurde von dieser Art der Arbeitsplatzgestaltung also weitgehend unterbunden. Es ist zu vermuten, dass es vor allem um eine Disziplinierung des Blickes ging. Wie bereits ausgeführt gab es durchaus

81 Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 161.

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weitverbreitete arbeitswissenschaftliche Positionen, die Gespräche zwischen Arbeitern oder Arbeiterinnen am Fließband nicht als störend, sondern unter Umständen sogar als langfristig leistungserhaltend betrachteten. Bei dieser speziellen Tätigkeit ging es nun um den Erhalt eines konzentrierten, auf das Band fokussierten Blickes der Arbeiterinnen, damit die richtigen Pralinen aus den Behältern genommen wurden. Ein Abschweifen des Blickes durch ein Gespräch mit der Sitznachbarin sollte also verhindert werden. Es ist anzunehmen, dass bei der Gestaltung dieser Fließbandanlage das Geschlecht der Arbeiterinnen und die Annahme einer natürlichen Geschwätzigkeit der Frauen eine Rolle spielte. Zugespitzt gesagt: Während den männlichen Facharbeitern im Kölner Maschinenbauunternehmen Humboldt-Deutz in einem begrenzten Bereich Selbstverantwortung übertragen wurde, wurden die Bandarbeiterinnen in der nur wenige Kilometer entfernten Schokoladenfabrik von baulichen und disziplinarischen Maßnahmen kontrolliert. Sie übten eine Tätigkeit aus, die auch gar nicht davon profitieren konnte, dass die Arbeiterinnen ihre Subjektivität einbrachten. Die Subjektivität stellte in diesem Fall kein Potential dar, sondern einen Störfaktor, den es auszuschalten galt. Hier wurde der Eigen-Sinn der Arbeiterinnen bekämpft, weil es in dieser Form der Arbeitsteilung und –organisation nicht möglich war, ihn für Produktionsziele einzubinden und somit für das Unternehmen nutzbar zu machen. Gleichwohl trat durch die Gestaltung des Arbeitsplatzes ein anderes Problem auf: Die Aufseherin konnte unerlaubtes „Naschen“ aufgrund der Trennwände nicht mehr so leicht erkennen, wie es an einem freien Fließband der Fall gewesen wäre. Die Arbeitsordnungen problematisierten ein solches Verhalten der Arbeiter/-innen seit 1892. Zunächst wurde sogar Entlassung in wiederholten Fällen angedroht,82 während ab 1919 zunächst eine strenge Rüge ausgesprochen werden sollte, und nur in mehrfach wiederholten Fällen Geldstrafen oder Entlassung Anwendung finden sollten.83 Die Betriebsordnung sah in diesem Bereich eine Hauptaufgabe der Raumaufsichten, die über die reine Sanktion hinausgehend erzieherisch einwirken sollten.84 Die Fließbandanlage wurde in der Form, die in der Festschrift präsentiert worden war, noch in den 1950er Jahren benutzt. Die folgende Fotografie zeigt diesen Arbeitsraum mit einer Aufseherin. Für sie gab es in diesem Raum keinen pan-

82 Vgl. Fabrik-Ordnung für die Beschäftigten der Chokoladen-pp. Fabriken der Gebrüder Stollwerck, 1892, S. 10, § 24. RWWA, Sign. 208-294/7. 83 Vgl. Arbeitsordnung der Gebrüder Stollwerck A.-G., 1919/1926, S. 5, § 16. RWWA, Sign. 208-496/7; Betriebsordnung der Firma Gebrüder Stollwerck Akt.-Ges., 1934, S. 10, §32. RWWA, Sign. 208-294/7. 84 Betriebs-Ordnung der Firma Gebrüder Stollwerck Akt.-Ges., Köln, 1.10.1938, S. 13, § 52. RWWA, Sign. 208-294/7. Gleichzeitig blieben in „hartnäckigen Fällen“ strenge Maßnahmen durch die Betriebsleitung vorgesehen, ebd.



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optischen Blick: Aus einer bestimmten Position waren jeweils nur wenige Arbeitsplätze einsehbar. Abbildung 51: Pralinenpackbänder, Stollwerck, Köln, ca. 1955.

Quelle: RWWA, Sign. 208-F1515.

Die jeweilige Anordnung der Arbeiterinnen an dem Fließband lässt sich als Ausdruck des Wunsches nach einer rationellen Ordnung verstehen, die anhand der Trial-and-Error-Methode hervorgebracht und weiterentwickelt wurde. Von dieser Entwicklung zeugt ein Vorläuferstadium des Pralinenpackens am Band. Fotos eines anderen Arbeitsraums bei Stollwerck zeigen, vermutlich in der Mitte der zwanziger Jahre, drei kurze Fließbänder, an denen maximal zwölf Arbeiterinnen – sechs an jeder Seite – stehend Kartons packten. Das Fließband wurde für die Aufnahme angehalten, die Arbeiterinnen hielten eine angewiesene Position. Die Anordnung der Arbeiterinnen unterscheidet sich stark von der am zuvor besprochenen Fließband. Sie stehen hintereinander seitlich zum Band, vor ihnen befindet sich jeweils ein brusthohes Regal zur Ablage der Kartons. Eine Hand greift zum Fließband, der Oberkörper und der Blick sind dabei nur leicht zum Band gewendet.



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Abbildung 52: Pralinenpackbänder, Stollwerck, Köln, ca. 1925.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN473.

Dieser Arbeitsraum macht einen unfertigen, experimentellen Eindruck: Zwei Fließbänder sind direkt an der Fensterfront aufgestellt, dieses Band liegt hinter den Säulen. Eine künstliche Beleuchtung war nur unzulänglich durch die nackten Glühlampen an der Decke möglich, die im Gegensatz zur späteren Fließbandanlage nicht direkt über den Arbeitsplätzen hingen. Die Produktion floss hier scheinbar nur wenige Meter in eine Richtung, während die andere Anlage einen kreisförmigen Fluss ermöglichte und zudem die fertiggepackten Pakete ebenfalls per Band zum nächsten Arbeitsplatz transportierte. Von einer vollständigen Fließfertigung konnte also noch nicht die Rede sein. Allerdings zeigt dieses Foto die Fortsetzung des Raumes mit den drei Überziehmaschinen (Abb. 45): Durch die Trennwand kommen die warm überzogenen Pralinen zunächst in die Kühlschänke, um dann weiter im Verlauf des Transportbandes zur Verpackung zu gelangen. Die aufgereihte Anordnung der Arbeiterinnen auf diesem Foto dürfte eine disziplinarische Intention gehabt haben; Gespräche waren an diesem Arbeitsplatz erschwert. Der Blick war einzig auf die Pralinen, den Karton und den Rücken einer Kollegin gerichtet. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass auch unter diesen Bedingungen Gespräche niemals vollständig ausblieben. Die spätere Gestaltung des Pralinenpackbandes lässt sich als Versuch begreifen, einerseits die Arbeitsplätze ergonomisch neu anzuordnen, andererseits durch die Trennwände zwischen den Arbeitsplätzen aber den disziplinarischen Vorteil der alten Anordnung zu bewahren. Die Gestaltung der Arbeitsplätze war also keinesfalls vom technologischen Wandel determiniert: Die spezifische Form des Umgangs mit



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neuen Technologien wurde nicht in allen Fällen ausschließlich vom Gesichtspunkt einer Optimierung des Arbeitsprozesses bestimmt. Die Platzierung der Arbeiterinnen zum Fließband und die räumliche Gestaltung der Arbeitsplätze weisen immer auch auf die jeweils vorherrschende Form der betrieblichen Machtausübung hin. Bei beiden beschriebenen Pralinenpackbändern bestand das Prinzip der Ordnung des Arbeitsraums darin, die eng nebeneinander arbeitenden Frauen voneinander zu separieren und so zu disziplinieren, dass Ablenkungen vom Arbeitsprozess ausblieben. In anderen Abteilungen Stollwercks führte der Prozess der Mechanisierung und Teilautomatisierung zu anderen räumlichen und disziplinarischen Konstellationen. Die Firmenfestschrift von 1939 feierte die Tafel-Einschlagmaschinen als Beleg einer erfolgreichen Automatisierung: „Hochleistungs-Automaten umhüllen und verschließen die Tafeln“.85 Gleichwohl wurden jeweils zwei Arbeiterinnen benötigt, um zum einen die Einschlagmaschine zu bedienen und zum anderen die eingeschlagenen Tafeln in Kartons zu verpacken. Diese Arbeit wurde seriell ausgeführt; solche Arbeitsstationen mit zwei Arbeiterinnen standen hintereinander an einer langen Fensterfront. Am Fenster lief ein Transportband, auf das die gefüllten Kartons gestellt wurden. Abbildung 53: „Tafel-Einschlagmaschinen“ Zeichnung von Otto Lehmann.

Quelle: Kuske, 100 Jahre, 1939, S. 157.

85 Kuske: 100 Jahre, 1939, S. 157.

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Ein Foto aus der gleichen Zeit zeigt den nämlichen Raum, unterschlägt aber im Gegensatz zu der Abbildung in der Festschrift nicht ein hygienisches Problem: An der Decke hängen etliche Fliegenfänger, offensichtlich gab es in dieser Abteilung ein Problem mit Insekten. Eine Aufseherin überwachte den Raum, bauliche Maßnahmen zur Separierung der Arbeiterinnen gab es hier nicht. Dazu bestand bei diesem Produktionsabschnitt auch keine Notwendigkeit. Zum einen waren die Arbeitsplätze so angeordnet, dass die beiden Arbeiterinnen einer Einheit bei ihrer Haupttätigkeit seitlich zueinander standen und dabei in verschiedene Richtungen blickten. Zum anderen gab es einen Punkt im Raum, wo sich beide Arbeitsschritte überschnitten: An der Maschine, beim Einlegen bzw. beim Entnehmen der Tafeln. Ein kurzer Wortwechsel bei fortgeführter Tätigkeit konnte durchaus geduldet werden. Im Einklang mit dem zeitgenössischen arbeitswissenschaftlichen Diskurs konnte darin sogar eine Möglichkeit bestehen, die Eintönigkeit der Arbeit und damit die Ermüdung der Arbeiterinnen zu bekämpfen. Abbildung 54: Tafel-Einschlagmaschinen, Stollwerck, Köln, ca. 1939.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN1357.





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Im Vergleich zu älteren, manuellen Formen der Verpackung – gleichermaßen zur Tafelwickelei bei Sprengel zur Jahrhundertwende (Abb. 40) und zum FigurenPackraum bei Stollwerck aus den zwanziger Jahren (Abb. 41) – fallen abgesehen von der Teilautomatisierung vor allem zwei Unterschiede ins Auge: Die relative Vereinzelung der Arbeiterinnen, deren Kolleginnen vier bzw. zwei Jahrzehnte zuvor noch dichtgedrängt an Arbeitstischen saßen, und die fortgesetzte Abnahme des Aufsichtspersonals. Der Raum mit den Einschlagmaschinen war nun – gleichermaßen im Unterschied zu den alten Packräumen wie auch zu den zeitgenössischen Pralinenpackbändern – außerordentlich gut von einer zentralen Position im Raum einzusehen. Grundsätzlich konnte also in einem solchem Raum das Aufsichtspersonal auf eine Person reduziert werden. Auch bei diesem Arbeitsprozess war es keinesfalls die Technik, also nicht die Art der Maschine und die Organisation der Arbeit, die den Umfang und die Form der Disziplinierung bestimmte. Die folgende Abbildung zeigt Arbeiterinnen knapp zwanzig Jahre zuvor bei einer ähnlichen Tätigkeit. Hier handelt es sich um Einschlagmaschinen für Karamelle, die als Gruppe über eine Riementransmission von einem Elektromotor angetrieben wurden. Eine Arbeiterin sitzt jeweils zum Fenster gewandt an einer Einschlagmaschine. In ihrem Rücken werden die Karamelle an einem Tisch weiterverpackt; an den Tischen im Hintergrund sitzt jeweils eine weitere Arbeiterin, die aufgrund ihrer Sitzposition keinen Augenkontakt zu der Maschinenarbeiterin hat: Diese Platzierung schloss Ablenkungen vom Arbeitsprozess durch die jeweilige Kollegin weitgehend aus. An den ersten vier Tischen verlangte eine kleinteilige Art der Verpackung offenbar, dass zwei Arbeiterinnen, die sich gegenüber saßen, diese Tätigkeit ausübten, damit der Takt gehalten werden konnte. Diese Gestaltung des Arbeitsprozesses führte zu einer unmittelbaren Nähe der Disziplinarinstanz: Die Aufseherin stand an einem Pult, das direkt an den vierten Arbeitstisch anschloss.



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Abbildung 55: Arbeiterinnen an Einschlagmaschinen für Karamelle, Stollwerck, Köln, ca. 1922.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN474.

Auf diese Weise befand sich die Aufseherin in Sicht- und Hörweite der ‚problematischen‘ Arbeitsplätze, konnte gleichzeitig aber auch die weiter hinten gelegenen Arbeitsplätze überschauen, bei denen die Anordnung der Arbeiterinnen selbst bereits eine weitgehende Einhaltung der Disziplin erwarten ließ. Auf späteren Fotos lässt sich eine derart offensive Platzierung der Überwachungsinstanz nicht mehr finden.86 Gleichwohl war, wie bereits argumentiert wurde, die Disziplinierung keinesfalls aus dem Betrieb verschwunden. Die Disziplin wurde teilweise durch bauliche oder arbeitsplatzgestalterische Maßnahmen quasi institutionalisiert. Dabei spielte der technologische Wandel dann doch eine wichtige, mittelbare Rolle: Während die Riementransmission die Maschinenanordnung zu einem gewissen Grad vorgab,

86 Ein ähnliche Phänomen beschreiben Coopey und McKinlay für Fords Werk River Rouge in der Zwischenkriegszeit. Die Vorarbeiter standen mitten im Arbeitsbereich an Pulten zur Überwachung der Arbeiter. Coopey und McKinlay bewerten diese Form der Überwachung als ein „Terrorsystem“, das sich als ineffizient erwiesen habe und in der Nachkriegszeit durch subtilere Formen der Disziplinierung ersetzt worden sei, vgl. Coopey/McKinlay: Power, 2010, 111.



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ermöglichte das Aufkommen des Einzelantriebs eine freiere Gestaltung. Dabei wurde nicht nur produktionstechnischen Gesichtspunkten Folge geleistet, 87 sondern ebenso disziplinarischen. Außerdem bedeutete das Gewähren von Freiräumen für Gespräche bei der Arbeit keinesfalls zwangsläufig einen Verzicht auf Machtausübung: Eine spezielle Gestaltung des Arbeitsprozesses konnte ein solches Verhalten in manchen Abteilungen durchaus tolerieren bzw. sogar fördern. Eine strikte Form der Einhaltung der Disziplinarordnung zeigt sich auf nahezu allen Fotos aus den zwanziger und dreißiger Jahren: Zwar erwähnte als erste Arbeitsordnung die Betriebsordnung von 1938, die Kopfhauben seien so zu tragen, dass „das Haar dadurch vollständig verdeckt ist“, 88 offensichtlich galt diese Anordnung allerdings schon zuvor. Jedenfalls bedecken die Arbeiterinnen auf allen Fotos bei Stollwerck seit den frühen zwanziger Jahren die Haare mit streng ins Gesicht gezogenen Hauben.89 Es lässt sich zwar nicht mit Gewissheit aus den Fotos ableiten, dass diese Regelung im Arbeitsalltag genau eingehalten und überwacht wurde. Allerdings sprechen die Aufnahmen dafür, dass das vollständige Verdecken der Haare für die Selbstrepräsentation des Unternehmens von großer Bedeutung war. Abbildung 51 aus der Nachkriegszeit zeigt hingegen eine größere Toleranz bei der Auslegung dieser Vorschrift; das lockere Tragen der Kopfbedeckung wurde schließlich in den sechziger Jahren zu einer Selbstverständlichkeit auf solchen Fotos.

D IE N ACHKRIEGSZEIT : N EUTARIERUNG DES V ERHÄLTNISSES ZWISCHEN Ü BERWACHUNG UND S ELBSTVERANTWORTUNG ? Die Feststellung, dass bei Stollwerck in der Nachkriegszeit zunächst mit der gleichen Technik weitergearbeitet wurde, überrascht nicht. Ähnlich wie die Pralinenpackbänder (Abb. 51) entsprachen auch die Pralinenüberziehmaschinen in den fünfziger Jahren dem Stand, den die Festschrift von 1939 abgebildet hat. Allerdings gilt auch für Stollwerck der Befund, den Rahner für die Industriefotografie an sich

87 Vgl. Dittmann: Geschichte, 1998, S. 39. 88 Betriebs-Ordnung der Firma Gebrüder Stollwerck Akt.-Ges., Köln, 1.10.1938, S. 11, § 48. RWWA, Sign. 208-294/7. Bereits ein Jahr zuvor rief die Geschäftsleitung zum „saubere[n] und vorschriftsmäßige[n] Tragen der Hauben und Mützen“ auf, vgl. Aufruf der Geschäftsleitung zum „Leistungswettkampf der Deutschen Betriebe“. Anhang zum Protokoll über die Sitzung des Vertrauensrates am 3.8.1937, o.P. RWWA, Sign. 208-255/5. 89 Dagegen wurden bei Sprengel bis Anfang der zwanziger Jahre keine Hauben getragen, vgl. Fotoalbum Sprengel 1921. RWWA, Sign. 208-0126.

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getroffen hat: In den fünfziger und sechziger Jahren wurden weniger ganze Arbeitsräume und -gruppen, sondern verstärkt arbeitende Individuen fotografiert. 90 Gleichwohl verschwand diese Art der Fotografie nicht vollständig. Das folgende Foto zeigt vermutlich den gleichen Raum wie die Zeichnung der Festschrift (Abb. 44): Der Fußboden zeigt auf beiden Abbildungen ein Schachbrettmuster, im Hintergrund liegt auf dem Foto wie auf der Zeichnung durch eine Glaswand getrennt der in der Bildbeschriftung beschriebene Kühlraum. Der Arbeitsplatz der Arbeiterinnen ist allerdings weniger geräumig als auf der Zeichnung; hier sitzen sich zwei Frauen am Fließband gegenüber. Abbildung 56: Pralinenüberziehmaschinen, Stollwerck, Köln, ca. 1955.

Quelle: RWWA, Sign. 208-F1514.

Ergonomische Verbesserungen gegenüber dem Stand der zwanziger und dreißiger Jahre sind nicht auszumachen: Die Arbeiterinnen saßen weiterhin auf Hockern ohne Rückenlehne, hatten hier allerdings eine Fußbank zur Verfügung. Kleine Unterschiede zu vergleichbaren älteren Fotos fallen dennoch auf: Der Meister im Hintergrund steht mit dem Rücken zur Kamera, weil er sich gerade um eine Maschine kümmert. Daraus lassen sich keine verallgemeinernden Schlüsse über etwaig geänderte Funktionen ableiten. Jedoch hat sich die Repräsentation des Meisters geändert: Auf älteren Abbildungen nahmen Meister und Vorarbeiterinnen so gut wie immer eine überwachende oder kontrollierende Pose ein. Hier gilt sein Blick erst-

90 Vgl. Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 11.



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mals nicht den Arbeiterinnen. Auffällig ist auch auf dieser Fotografie der beschriebene Wandel beim Tragen der Hauben, die nun nicht mehr bis ins Gesicht gezogen sind, sondern einen Teil der Haare offen lassen. Aus diesem Wandel lässt sich ableiten, dass dem Tragen der Kopfbedeckung nun tatsächlich in erster Linie eine hygienische Aufgabe zukam, während zuvor damit ein disziplinarischer Eingriff in die Körperlichkeit der Arbeiterinnen verbunden war: Bereits durch das lockere Tragen einer Haube ließ sich verhindern, dass Haare auf die Ware fielen; die strengere Vorschrift lässt sich zumindest teilweise als disziplinarischer Selbstzweck verstehen. Die Arbeiterinnen sollten zu unbedingtem Hygienebewusstsein erzogen werden. Die wirtschaftliche Entwicklung Stollwercks in den fünfziger Jahren sah auf den ersten Blick positiv aus: Wie in der Süßwarenbranche überhaupt, stieg der Umsatz permanent; die Gewinne ermöglichten eine hohe Dividendenausschüttung. Gleichzeitig allerdings verlor Stollwerck in Relation zu den Konkurrenten: Während der Marktanteil 1950 im bundesdeutschen Süßwarenbereich bei 8,5 Prozent gelegen hatte, betrug er 1962 nur noch 4,5 Prozent.91 Im Verlauf der 1960er Jahre spiegelte sich dieser Verfall dann auch in fallenden Umsatzzahlen und ausbleibenden Gewinnen. Die Abwicklung des Unternehmens wurde schließlich 1971 nur durch den Einstieg des Investors Hans Imhoff vermieden.92 Am Ende der fünfziger Jahre stand Stollwerck bei noch steigenden Umsätzen vor einem bereits aus der Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts vertrauten Problem: einem Mangel an Arbeiterinnen. Seit 1957 warb Stollwerck gezielt Arbeitskräfte aus ländlichen Gebieten im weiteren Umfeld Kölns bis hin zur Eifel an und übernahm deren täglichen Transport mit werkseigenen Bussen.93 Aber auch dieses Arbeitskräftereservoir war begrenzt. Im Gegensatz zur Jahrhundertwende lag die Lösung dieses Mal allerdings nicht in einer Verlagerung der Produktion ins Ausland, sondern in der Arbeitsmigration nach Deutschland. Der Bedarf des Niedriglohnbereichs konnte durch deutsche Arbeiterinnen allein nicht mehr gedeckt werden. Neben der Textilindustrie war davon vor allem die Nahrungs- und Genussmittelindustrie betroffen.94 Problemlos war die Integration der im Ausland angeworbenen Arbeiterinnen nicht in allen Fällen. Einerseits war Stollwerck teilweise mit der Auswahl der Arbeitskräfte durch die staatlichen Stellen unzufrieden, was in einigen Fällen zur Auflösung des Arbeitsvertrags führte.95 Andererseits waren auch nicht alle ausländi91 Vgl. Kronenberg: Werbestrategien, 2008, S. 168. 92 Vgl. ebd., S. 183. 93 Vgl. Mattes: „Gastarbeiterinnen“, 2005, S. 216. 94 Vgl. ebd., S. 11, 319. 95 Vgl. ebd., 2005, S. 81. Andererseits beendeten in der ersten Anwerbungsphase auch etwa die Hälfte der zu diesem Zeitpunkt etwa hundert Italienerinnen das Vertragsverhältnis und kehrten – wie der Geschäftsbericht der Stollwerck AG 1962 mutmaßte – aus „Heimweh“ zurück, vgl. Muntermann: Arbeitnehmer, 2001, S. 142.

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schen Arbeiterinnen mit den Arbeitsbedingungen zufrieden. Von 100 spanischen Arbeiterinnen streikten drei Viertel im Frühjahr 1961, um sich gegen die von ihnen als ungerecht empfundene Praxis zu wehren, dass bei gleichen Leistungen ältere Beschäftigte besser entlohnt wurden. 96 Solche Auseinandersetzungen blieben in dieser Schärfe aber eine Ausnahme.97 Im folgenden Jahr entsandte sogar das Presseund Informationsamt der Bundesregierung einen Fotografen zu Stollwerck, um die erfolgreiche Beschäftigung von italienischen Arbeiterinnen im Bild festzuhalten. Das Foto zeigte die Arbeitsmigrantinnen am Fließband beim Verpacken von Schokolade. Abbildung 57: „Köln. Schokoladenfabrik Stollwerck GmbH, Gastarbeiterinnen aus Italien beim Einpacken von Schokoladen in Schachteln.“

Quelle: Rolf Unterberg, 4.6.1962. Bundesarchiv, B 145 Bild-F013093-0001.

96 Der Streik endete nach einigen Tagen ohne Ergebnis: Die Entlohnungspraxis blieb bestehen, das Unternehmen nahm aber auch keine Entlassungen vor, vgl. Mattes: „Gastarbeiterinnen“, 2005, S. 109. 97 Der Geschäftsbericht der Stollwerck AG von 1961/1962 lobte den Fleiß, den Arbeitswillen und die Bereitschaft zu Überstunden der ausländischen Arbeiterinnen. Gleichzeitig wurde konstatiert, dass die Vorgesetzten ein gewisses Verständnis für die „Mentalität dieser südländischen Arbeiterinnen“ aufbringen müssten, vgl. Muntermann: Arbeitnehmer, 2001, S. 147.



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Während in der bestreikten Abteilung ausschließlich Spanierinnen arbeiteten, waren hier nur Italienerinnen tätig. Eine solche Praxis, die Fließbänder mit Arbeiterinnen einer Nationalität zu besetzen, war zu dieser Zeit in der deutschen Industrie üblich.98 Das Foto zeigt einen funktionierenden Produktionsprozess, der sich auch für die Arbeiterinnen freundlich und leicht gestaltet; inzwischen waren die Arbeitsräume bei Stollwerck mit Stühlen samt Rückenlehnen ausgestattet. Die meisten Arbeiterinnen konzentrieren sich auf ihre Tätigkeit, die dritte und vierte Frau von links finden aber dabei Zeit, zu lächeln bzw. in die Kamera zu schauen. Es ist davon auszugehen, dass der professionelle Pressefotograf der Bundesregierung sowohl Bildausschnitt als auch die Anordnung der Arbeiterinnen mit Bedacht gewählt hat. Das fällt vor allem dann auf, wenn mit diesem amtlichen Bild ein Foto des gleichen Raumes aus dem Archivbestand verglichen wird. Abbildung 58: Italienische „Gastarbeiterinnen“ im Schokoladenpackraum, Stollwerck, Köln, 1962.

Quelle: RWWA, Sign. 208-F3351.

98 Vgl. Mattes:„Gastarbeiterinnen“, 2005, S. 297; ähnlich Motte: Freiwilligkeit, 1999, S. 167.

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Das Foto zeigt dasselbe Band mit größtenteils denselben Arbeiterinnen. Vermutlich wurde es am selben Tag, sogar mehr oder weniger zeitgleich aufgenommen: Die Kartons auf dem Arbeitstisch am rechten Bildrand scheinen identisch gestapelt zu sein. Auffällig ist zum einen der unterschiedliche Bildausschnitt: Auf dem zweiten Foto wirkt der Arbeitsraum durch den größeren Ausschnitt merklich unfertiger; die Trennwand im Hintergrund ist deutlich breiter zu sehen, es fällt stark auf, dass der Raum nur provisorisch unterteilt ist. Auf dem ersten Bild hingegen wirkt im Vergleich das Aufbrechen der Sitzreihe am Fließband merkwürdig: Jede vierte Arbeiterin steht. Es lässt sich vermuten, dass der Pressefotograf eine solche Inszenierung veranlasst hat, um das Motiv lebendig zu gestalten. Während die sitzenden Arbeiterinnen sich auf beiden Fotos in der gleichen Reihenfolge befinden, fehlen die stehenden auf dem zweiten Bild. Die Anwesenheit der Stehenden dürfte also keine Funktion für einen Arbeitsprozess, sondern lediglich für die Bildgestaltung gehabt haben. Das zweite Foto hingegen zeigt weniger Eingriffe des (unbekannten) Fotografen. Die Arbeiterinnen auf diesem Foto agieren im Gegensatz zu dem Pressebild nicht für oder mit der Kamera, sondern miteinander: Die vierte und fünfte sowie die sechste und siebte Arbeiterin am Band scheinen sich miteinander zu unterhalten. Die Existenz des Fotos zeigt, dass aus Sicht des Fotografen ein solcher Eindruck des Arbeitsprozesses durchaus akzeptabel war. Abgesehen davon, dass die Gespräche offenbar die Arbeit nicht störten, gab es darüber hinaus keine disziplinarischen Prinzipien der Firma, Gespräche bei der Arbeit aus der Selbstrepräsentation zu verbannen: Sie wurden nicht von Aufseherinnen unterbunden, und die Aufnahme fand ihren Weg in den Unternehmensfotobestand. Einen ähnlichen Umgang mit dem eigen-sinnigen Verhalten ausländischer Arbeiterinnen hat Monika Mattes in der Hannoverschen Keksfabrik Bahlsen zur gleichen Zeit festgestellt. Die spanischen Arbeiterinnen bei Bahlsen sorgten durch Gesang und Plaudereien dafür, die Monotonie des Verpackens am Fließband aufzubrechen, was in der Folge auf die gesamte Fabrikatmosphäre positiv abfärbte. Auch die Werkzeitung äußerte sich voller Lob über den von Gesang begleiteten Arbeitsschwung.99 Dieses eigen-sinnige Verhalten bildete also eine große Schnittmenge mit den Produktivitätszielen des Unternehmens. Ein solches Verhaltens, das ein halbes Jahrhundert zuvor in der gültigen Fabrikordnung Stollwercks noch streng untersagt war, musste nun – zumindest in gewissen Produktionsbereichen – nicht mehr unterbunden werden. Gleichwohl verschwanden Verbote nicht aus der Fabrik. Über dem Band hing – auf beiden Fotos gut lesbar – ein handbeschriebenes Schild, das auf Italienisch mahnte: „Steigen Sie

99 Vgl. Mattes: „Gastarbeiterinnen“, 2005, S. 298.



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nicht auf das Fließband.“100 Die sichtbare Disziplinierung auf diesem Foto richtet sich also auf eine Bestimmung des Arbeitsschutzes und nicht auf die Überwachung des Arbeitsprozesses.101 Die Funktion der Aufseherin wurde allerdings nicht abgeschafft, in den meisten Fällen wurde eine der Arbeiterinnen die Bandaufsicht übertragen. Das war zugleich die einzige Aufstiegsmöglichkeit für die „Gastarbeiterinnen“ innerhalb eines Betriebes.102 Gleichzeitig wurde dadurch aber auch auf die Kontrolle durch eine deutsche Aufseherin verzichtet, die schon allein wegen der sprachlichen Differenzen in erster Linie als Disziplinarinstanz empfunden worden wäre.

D IE „ NEUE F ABRIK “ UND DAS V ERSCHWINDEN DER A RBEIT ? Mit zunehmenden Automatisierungsprozessen stand die Industriefotografie vor einem Motivproblem: Die Arbeit verlor ihren Schauwert und ihre Spezifizität; Steuerzentralen sahen in den verschiedenen Branchen letztlich gleich aus.103 Von Stollwerck liegt kein derartiges Foto im Firmenbestand vor, von Sprengel gibt es aber ein Bild aus den späten sechziger Jahren, das „das Gehirn der neuen Fabrik“ zeigt. Im Juni 1967 wurde eine vollautomatische Fertigungsstraße für Tafelschokoladen in einem neuen Werk eröffnet.104 Die Bildbeschriftung betonte stolz den Stand der Automatisierung: „Ein einziger Mann überwacht auf Leuchtschaltbildern den Fertigungsablauf. Die vollautomatische Steuerung beginnt bei der Beschickung der Vorratsbunker und endet im Fertigwarenlager. Das Steuerungssystem ist elektronisch und der gesamt Programmablauf wird durch Lochkarten vorgegeben.“ Wie auf den frühen Industriefotografien des 19. Jahrhunderts drängt hier die Technik den Men-

100 „Non si puó salire sulla cintura movibile.“ Die Formulierung „cintura movibile“ ist sehr ungewöhnlich; sie entspricht in etwa einer wörtlichen Übersetzung von Fließband bzw. conveyor belt. Die gängigen Termini wären catena di montaggio oder nastro transportatore. Es lässt sich vermuten, dass die Arbeiterin, die das Schild beschriftete, den offiziellen Begriff für Fließband nicht kannte. 101 Der Geschäftsbericht von 1964 – zu diesem Zeitpunkt machten Ausländerinnen 40 Prozent der weiblichen Belegschaft bei Stollwerck aus – sah allerdings in diesem hohen Ausländeranteil eine Ursache für disziplinarische Probleme und eine Verschlechterung der Arbeitsatmosphäre. Jedoch wurden diese Probleme allein an den griechischen und türkischen Arbeiterinnen festgemacht, vgl. Muntermann: Arbeitnehmer, 2001, S. 147. 102 Vgl. Mattes: „Gastarbeiterinnen“, 2005, S. 297. 103 Rahner: Glanzbilder, 1999, S. 12; ähnlich Sachsse: Mensch, 1999, S. 86. 104 Vgl. Bardelle: 150 Jahre, 2002, S. 305.

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schen an den Bildrand. Allerdings tritt an seine Stelle nicht eine Form der monumentalen Technik. Die Schaltwände sind selbst zweidimensional und unscheinbar – das Bildzentrum bleibt leer. Abbildung 59: „Das Gehirn der neuen Fabrik“, Sprengel, Hannover, vermutlich 1967.

Quelle: RWWA, Sign. 208-F7944.

Foto und Bildbeschriftung rekurrieren auf tradierte Männlichkeitsvorstellungen („Ein einziger Mann überwacht …“). Das Bild wie auch die Tätigkeit selbst konnten allerdings nichts zur Verfestigung des Geschlechtermodells beitragen: Die Kontrolle der Steuerungsautomatik ließ sich nicht als Ausdruck männlicher Facharbeit inszenieren; der gewünschte Ablauf war „vorgegeben“. Die Anwesenheit des überwachenden Blickes war zwar notwendig, der Beschäftigte musste aber lediglich bei Störungen eingreifen. Folglich zeigt das Foto den Mann bei unspektakulären schriftlichen Notizen. Obgleich in einer solchen Position so gut wie nie Frauen zu finden waren, konnte es nicht gelingen, eine bildliche Begründung für diese faktische Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz zu geben. In der nach und nach automatisierten Fabrik wurden Geschlechterhierarchien und Lohndifferenzen zwar beibehalten, das Doing-Gender wurde aber in vielen Bereichen wegen der Unanschaulichkeit der Tätigkeit schwierig: Selbst fotografische Inszenierungen vermeintlicher Geschlechterunterschiede am Arbeitsplatz ließen sich nicht mehr ohne Weiteres realisieren. Versuche, der unscheinbar gewordenen Arbeit wieder einen Schauwert zu geben, wurden gleichwohl weiterhin unternommen. Das folgende Bild stammt aus ei-



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ner Fotoserie über Ausbildungsberufe bei Stollwerck und wurde vermutlich am Ende der siebziger Jahre angefertigt. Zu sehen ist ein Beschäftigter in der Abteilung für die Versandkartonherstellung. Der Mann steht vor der Steuerungseinheit einer Inline-Maschine des schwedischen Herstellers EMBA.105 Dieser Inliner stellte automatisch aus den Pappbögen fertige Verpackungen her. An der Maschine selbst konnte also keine menschliche Arbeit fotografiert werden. Abbildung 60: Bedienungszentrale der Inline-Maschine zur Versandkartonherstellung bei Stollwerck, Köln, ca. 1977.

Quelle: RWWA, Sign. 208-F5847.

105 Es handelt sich um den Inliner (Flexo-Folder-Gluer) EMBA FFG 240, der seit 1968 hergestellt wurde. Dieses Modell entstammt vermutlich einem Baujahr aus der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, vgl. www.emba.com/about.htm, 9.4.2012.

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Die Kleidung des Mannes – Zweireiher und Krawatte – lässt vermuten, dass es sich um einen Angestellten handelt, der sich einen Blaumann übergeworfen hat. Er hält Schraubenschlüssel in der Hand: einen in der rechten und zwei in der linken Hand. Funktional war dies gewiss nicht: Die nicht benötigten Schraubenschlüssel wären in der Manteltasche besser aufgehoben gewesen. Zudem gab es am dargestellten Schaltapparat gar keinen Einsatz für Schraubenschlüssel dieser Größe. Offensichtlich handelt es sich um einen wenig überzeugenden Versuch, die NichtAusstellbarkeit moderner Arbeitsprozesse im Rückgriff auf älteres Bildrepertoire zu überwinden: Die Pose des Mannes schließt an – ebenso gestellte – Bilder der männlichen Facharbeit aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts an. Der neue Kontext der Automatisierung verhinderte jedoch, dass diese Inszenierung aufgehen konnte: Der Herstellungsprozess der Kartons lief automatisch, die Steuerung war einfach und benötigte nicht den Einsatz eines Werkzeugs. Der Stollwerck-Beschäftigte nahm die Pose der Herren über die Maschine ein, letztlich konnte aber diese Art der Inszenierung nur scheitern. Ein genauer Blick auf das Foto zeigt zudem, dass offensichtlich keine Fachkenntnisse zur Bedienung benötigt wurden: Handschriftlich wurde über dem oberen Steuerungshebel jeweils an beiden Apparaten die Richtung angegeben: links „zurück“, rechts „vor“. – Die Bedienung war demzufolge keine Facharbeit. In den zwanziger Jahren funktionierten ähnliche Darstellungen noch. Stollwercks Kartonagenfabrik bestand aus einzelnen Maschinen, an denen jeweils Handwerker und Hilfsarbeiterinnen tätig waren. Die Frauen trugen dabei – ohne hygienischen Grund, also vermutlich in erster Linie zur Disziplinierung – die bei Stollwerck übliche weiße Uniform mit Haube. Auf dem folgenden Foto ist ein Anzugträger an der Maschine zu sehen, der ähnlich wie sein Kollege ein halbes Jahrhundert später, vermutlich nur zu Zwecken der Bildgestaltung dort zu sehen ist: Sein eigentlicher Arbeitsplatz dürfte außerhalb der Werkstätten gewesen sein. Gleichwohl geht auf dieser Abbildung die Inszenierung von Qualifikation, Hierarchie und Geschlecht auf. Zu sehen sind hierarchisch gestaffelt vier verschiedene Qualifikationsgruppen: Arbeiterinnen, im Hintergrund der Maschine eine einfache Tätigkeit an der Maschine ausübend; eine Aufseherin (ohne Haube) in der linken Bildhälfte; ein Handwerker bei der Bedienung einer Maschine; und schließlich der Anzugträger, vermutlich ein Ingenieur, der mit einem Werkzeug ein Problem an der Maschine zu lösen scheint.





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Abbildung 61: Kartonagenfabrik, Stollwerck, Köln, ca. 1925.

Quelle: RWWA, Sign. 208-GN1361.

Diese für die zwanziger Jahre typische Inszenierung der Rationalisierung zeigt zum einen die ungelernten Arbeiterinnen als typische Gruppe des Rationalisierungsproletariats und ihre einzige Aufstiegsmöglichkeit, die Aufsichtsfunktion. Zum anderen versichert das Foto, dass die Position des männlichen Facharbeiters nicht durch die zunehmende Mechanisierung und Rationalisierung gefährdet ist. An der Spitze der Hierarchie steht aber der männliche Akademiker, der hier als Herr der Maschine (und vermutlich ihr Schöpfer – die werkseigene Maschinenfabrik stellte die meisten der benötigten Maschinen her) präsentiert wird. Ein einfacher Anschluss an diese Art der Repräsentation konnte in einer automatisierten Abteilung der 1970er Jahre nicht gelingen, da sich die technischen Voraussetzungen stark gewandelt hatten.

F REIRÄUME

UND

D ISZIPLINARRÄUME

Die fortschreitende Rationalisierung und der Übergang zur Automatisierung führten partiell zu einem Unbrauchbarwerden überkommener Geschlechterbilder der Arbeit. Das bedeutete weniger, dass eine Nivellierung der geschlechtlichen Hierar-

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chien (und der Lohndifferenzen) auch tatsächlich eintrat.106 Vielmehr machte der technologische Wandel überkommene Muster der Repräsentation von Qualitätsarbeit und Geschlecht unbrauchbar. Veränderungen im Produktionsprozess konnten zu neuen Formen der Machtausübung führen, die sich an der Gestaltung der Arbeitsräume ablesen lassen. Dabei wirkte der technische Wandel jedoch nicht deterministisch auf neue Machttechnologien: Der eingeschlagene Weg des Unternehmens bezüglich der Disziplinarordnung und der Vorstellungen von der Geschlechterdifferenz gab stets einen gewissen Rahmen für den Grad des Wandels ab. So konnte in diesem Kapitel gezeigt werden, dass abhängig vom jeweiligen Produktionsprozess in unterschiedlichen Abteilungen Stollwercks zur gleichen Zeit verschiedene Strategien der Machtausübung angewendet wurden. Stets handelte es sich um eine Kombination aus Disziplinierung und der geregelten Zubilligung von Freiräumen. Das jeweilige Verhältnis zwischen beiden Formen, etwa ein Überwiegen der Disziplin, wurde jeweils nach vermeintlichen oder tatsächlichen Produktionserfordernissen gewählt. In solchen Fällen wurde beispielsweise festgelegt, bei welchen Tätigkeiten Gespräche zwischen den Arbeiterinnen erlaubt wurden und in welchen Fällen strikte Konzentration auf den Arbeitsprozess verlangt wurde. Tendenziell zeichnete sich dabei eine Zunahme der gezielt zugestandenen Freiräume ab. In solchen Fällen kam es vor, dass beispielsweise Gesang und Plaudereien nicht nur toleriert, sondern sogar durch die Gestaltung der Arbeitsplätze und die Anordnung der Arbeiterinnen forciert wurden. Der Eigen-Sinn der Arbeiterinnen konvergierte also partiell mit den Interessen des Unternehmens. Vorausgegangen war diesem schwankenden Mischungsverhältnis zwischen beiden Machttypen ein Bruch zu Beginn des Jahrhunderts. Die Fabrikordnung, die bis 1919 gültig war, sah eine strenge Disziplinarordnung vor; Fotos aus der frühen Schokoladenfabrik zeigen eine klare Überwachung des jeweiligen Arbeitsraums durch Meister und Aufseherinnen. Dabei gab es aber nur in seltenen Fällen eine Raumgestaltung die einen panoptischen Überwachungsblick der jeweiligen Aufsichtskraft ermöglichte. Die technische Gestaltung des Arbeitsprozesses war offensichtlich in der Regel wichtiger als der disziplinarische Gedanke. Keinesfalls wurde jedoch die Disziplinierung im Verlauf des 20. Jahrhunderts völlig fallen gelassen. Mittelbar hat dies mit dem Geschlecht der Arbeiterinnen zu tun: Einerseits gab es Vorstellungen von geschlechtsspezifischen Problemen der Arbeiterinnen („Geschwätzigkeit“), die zu einer disziplinierenden Arbeitsplatzgestaltung führen konnten. Andererseits bedingte die Geschlechterstruktur des Arbeitsmarktes, also die Eingruppierung der Frauen in den Niedriglohnsektor als un106 Auch gesetzliche Maßnahmen konnten lange Zeit nichts am Fortbestand der tariflichen Einordnung von Frauen in Leichtlohngruppen und am „System der konsequenten geschlechtsspezifischen Segregierung von Arbeiten“ ändern, Hausen: Frauenerwerbstätigkeit, 1997, S. 27.



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gelernte Arbeiterinnen, dass ihre Subjektivität kein verwertbares Potential für das Unternehmen darstellte. Im Gegensatz zu den männlichen Facharbeitern bei Humboldt-Deutz gab es keine Bemühungen, durch die Übertragung von Verantwortung an die Arbeiterinnen deren Nutzen zu optimieren. Die spezifische Arbeitsteilung ließ es hingegen sinnvoll erscheinen, sie als mögliche Störfaktoren des Produktionsprozesses zu betrachten. Diese Störungen konnten durch Disziplinierungen, aber auch durch das gezielte Einräumen von Freiheiten unterbunden werden: Der Arbeitsprozess wurde auf eine Art gestaltet, etwa am modernen Fließband, die eigensinnige Plaudereien und leichte Ablenkungen eingeplant hatte. Im Vergleich mit dem Fotobestand Sprengels lässt sich aufgrund eines auffälligen Unterschiedes eine spezifische Unternehmenskultur Stollwercks vermuten: Die frühe Einführung weißer Uniformen stand für eine Disziplinarordnung, die über die reine Einhaltung von hygienischen Bestimmungen beim Arbeitsprozess hinausging. Die Arbeiterinnen sollten erzogen werden, sie sollten die Hygienestandards als ihre eigenen, persönlichen übernehmen. Ähnliche Strategien wurden, teilweise ebenfalls über die Kleiderordnung, auch bei anderen Unternehmen wie Sprengel eingesetzt, allerdings erst in der Nachkriegszeit. Die Studie Epples gibt zudem Hinweise darauf, dass hierin ein Teil einer umfassenden Unternehmensstrategie im Umgang mit den Beschäftigten zu sehen ist. Epple beschreibt für die zwanziger Jahre den Führungsstil Stollwercks in Bezug auf das Management als eine „Subjektivierungsform“, die darin bestand, die „Werte des Unternehmens in die verantwortlichen Personen hinein“ zu legen. Bedingt wurde eine solche Selbstführung auch von den Verkäuferinnen in den Filialen des Unternehmens verlangt.107 Bei den Arbeiterinnen zeigte sich diese Subjektivierung nicht in einer Übertragung von Verantwortung: Auch die Arbeiterinnen sollten ihre Persönlichkeit einbringen, allerdings ging es bei ihnen um eine Internalisierung von Disziplin, nicht um eine etwaige Steigerung ihrer Selbstverantwortung im Arbeitsprozess.

107 Vgl. Epple: Unternehmen, 2010, S. 312, 319.



7. Kontinuität und Ausdifferenzierung Ein Ausblick auf die fordistische Fabrik in der Nachkriegszeit

Zu Beginn der Weimarer Republik ging der Vorstand des Gussstahlwerks Witten das Problem der Arbeitermotivation auf eine Weise an, die sich zu dieser Zeit weitgehend durchgesetzt hatte. Es wurde diskutiert, inwieweit Anreize durch ein Leistungslohnsystem und zusätzlich eine allgemeine Verbesserung der Situation der Arbeiter dem Ziel einer Produktivitätssteigerung dienlich sein könnten. Der Bankier Simon Alfred von Oppenheim zeigte sich als Aufsichtsrat des Unternehmens im Februar 1920 in einem Schreiben an den Generaldirektor Hackländer ablehnend gegenüber einem solchen Vorgehen: „Ich selbst stehe dem Gedanken, dass es möglich ist, die grossen Arbeiterschichten durch Aufbesserung ihrer Lebenshaltung bezw. durch ein Prämiensystem zu einer Steigerung der Arbeitsleistung zu bewegen, skeptisch gegenüber, denn ich fürchte, dass letzten Endes nur eine Zwangsverpflichtung zur Arbeit den Arbeiter zu einer Vermehrung der Arbeitsschaffung bewegen wird.“1 Der 56-jährige Aufsichtsrat von Oppenheim, ein konservativer „Repräsentant der wilhelminischen Epoche“, vertrat eine traditionelle Position, die in die Minderheit geraten war.2 Keineswegs wurde im 20. Jahrhundert auf die Disziplinierung von Industriearbeitern verzichtet, es hatte sich aber die Auffassung durchgesetzt, dass zusätzlich anders auf den Faktor Mensch eingegangen werden müsse. Materiellen Anreizen durch das Lohnsystem kam dabei eine große Rolle zu. Gleichzeitig war erkannt worden, dass die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter Auswirkungen auf ihre Leistung hatten. In diesem Sinne stellt das Schreiben von Op1

Schreiben Simon Alfred von Oppenheims an Direktor Hackländer, 10. Februar 1920. WWA, Sign. F81-257, o.P.

2

Zitat zur Charakterisierung von Oppenheims bei Stürmer/Teichmann/Treue: Wägen, 1994, S. 312. Das Bankhaus Sal. Oppenheim investierte stark in die Schwerindustrie, weil hier das Gewicht der Privatbank größer war als in anderen, von den Großbanken dominierten Branchen. Bei diesen großen Investitionen war eine Absicherung durch Eingriffe in den Geschäftsbereich der Unternehmen üblich, vgl. ebd., S. 295.





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penheims das Aufflackern des alten Disziplinardiskurses dar, der eigentlich schon überholt war. Von Oppenheim räumte selbst die Möglichkeit ein, dass er sich mit seiner Auffassung irren könnte.3 Ich möchte keinesfalls die teilweise großen Unterschiede zwischen verschiedenen Branchen bei einer Identifizierung von Entwicklungslinien in der Arbeitsorganisation und im Personalmanagement einebnen.4 Da jedoch in der Stahlindustrie zum Teil noch im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine besonders autoritäre Ausprägung des Disziplinarsystem üblich war, deutet der Wandel in dieser Branche auf eine allgemeine Tendenz hin. Tenfelde und Ritter beschrieben die strenge Disziplinarordnung in der Montanindustrie im frühen Kaiserreich als durchaus „notwendig“ aus der Sicht der Unternehmen: Während Handwerksgesellen sich leicht den Arbeitsverhältnissen im industriellen Maschinenbau anpassten und folglich die Disziplinierung als ein „Übermaß an Zwang“ verstanden, hatten frisch in die Stadt gezogene Landarbeiter in der Montanindustrie mit dem Schock der neuen Arbeitswelt zu kämpfen. In diesem Fall erschien eine „scharfe Disziplinierung“ aus der Perspektive der Unternehmen als ein Mittel, um die Anpassung der Arbeiter an die neuen Arbeitsbedingungen zu erzwingen.5 Kleinschmidt und Welskopp kommen in ihren Studien zum Wandel in der Stahlindustrie zu dem Ergebnis, dass die vormals vom militärischen Ton geprägte Willkürherrschaft der Meister nach dem Ersten Weltkrieg „überflüssig“ wurde.6 Der technische Wandel, also die sich durchsetzende Vollmechanisierung, berührte gleichzeitig die Arbeitsorganisation in Form des „Antreibesystems“, das wesentlich auf der Teilmechanisierung der Arbeit basierte und nun hinfällig wurde.7 Bereits in den 1870er und 1880er Jahren wurden in der Stahlindustrie Leistungslohnsysteme eingeführt, die sich am Ende des Jahrhunderts durchsetzten. Krupp verband damit vergrößerte Freiräume der Arbeiter bei der Produktion und die Etablierung betrieblicher Wohlfahrtseinrichtungen. Kleinschmidt sieht in den Leistungslohnsystemen ein Mittel zur Gewährleistung eines weitreichenden Wandels: Die Arbeiter waren nicht mehr in erster Linie der Fremddisziplinierung unterworfen, stattdessen kam nun der Selbstdisziplinierung die entscheidende Rolle zu. Die Arbeiter internalisierten das Leistungsdenken und erkannten die betrieblichen Hierarchien grundsätzlich an.8 3

Vgl. Schreiben des Freiherrn Simon Alfred von Oppenheims an Direktor Hackländer, 10.

4

Lüdtke hat darauf hingewiesen, dass die Rationalisierung in verschiedenen Branchen auf

Februar 1920. WWA, Sign. F81-257, o.P. unterschiedliche Art und zeitversetzt stattfand, vgl. Lüdtke: Qualitätsarbeit, 1986, S. 164. 5

Ritter/Tenfelde: Arbeiter, 1992, S. 404.

6

Kleinschmidt: Rationalisierung, 1993, S. 178; vgl. Welskopp: Kontinuität, 1996, S. 223f.

7

Vgl. Welskopp: Arbeit, 1994, S. 430.

8

Vgl. Kleinschmidt: Rationalisierung, 1993, S. 80, 82f.



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Von Oppenheim schrieb seinen Brief in einer historischen Situation, in der dieser Wandel noch umkehrbar schien. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs mit der einhergehenden schlechten Versorgungslage verloren die Leistungslohnsysteme nach und nach ihre Wirkung und wurden schließlich 1918 abgeschafft.9 Von Oppenheims daran anschließendem Ansinnen, die Wiedereinführung des Leistungslohns im Gussstahlwerk durch sein Schreiben vom Februar 1920 zu verhindern, war jedoch kein Erfolg beschieden. Vielmehr wurden in der gesamten Eisen- und Stahlindustrie die Leistungslöhne mit dem Ziel wieder eingeführt, gleichermaßen zu Leistungssteigerungen und Disziplinierungen zu führen. Nach Kleinschmidts Einschätzung war dieses Vorgehen äußerst erfolgreich.10 Welskopp hebt den konsensualen Charakter des neuen „sozialen Betriebssystems“ hervor, das sich zwischen 1910 und 1925 schubartig in der Stahlbranche durchgesetzt hatte und bis in die 1970er in den wesentlichen Zügen unverändert blieb. Letztlich hätten Arbeiter wie Unternehmen ein Interesse an einer Steigerung der Produktion gehabt. Neben dem Leistungslohn, der den Arbeitern hohe Akkordlöhne und dem Unternehmen eine gesteigerte Produktivität sicherte, gehörte zu diesem neuen System die Ablösung der von den Meistern beherrschten Kolonnen von Hilfsarbeitern durch kleine Arbeitsgruppen qualifizierter Arbeiter („crews“), denen eine gewisse Autonomie eingeräumt wurde.11 Auf der Ebene der industriellen Beziehungen und der Unternehmensstrategien haben Welskopp und Kleinschmidt für die Stahlindustrie einen Befund aufgestellt, der sich mit den Ergebnissen dieser Arbeit auf der Mikroebene der Arbeitsplatzgestaltung deckt: Ab dem zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts hatte ein grundlegender Wandel in der Organisation der industriellen Arbeit eingesetzt, der die Entwicklung bis in die 1970er Jahre bestimmte. Arbeiter/-innen wurden, einhergehend mit neuen technischen Formen der Arbeit, nicht mehr allein als ein zu disziplinierender Widerpart definiert, vielmehr stellten sie eine Ressource dar, den menschlichen Faktor der Produktion. Unter diesem Gesichtspunkt rückte die Frage ihrer Motivation verstärkt in den Blickpunkt des Interesses. Neben Lohnanreizen boten sich zu diesem Zweck die räumliche Gestaltung der Fabrik und die soziale Gestaltung der Betriebsatmosphäre mittels neuer Führungsstile an. Statt Versuche zu unternehmen, den Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen zu brechen, ging es nun um das Projekt, konvergenten Eigen-Sinn zu gestalten. Der Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen wurde zum einen als unvermeidbar akzeptiert, zum anderen als nutzbare Ressource erkannt. In diesem Sinne kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass es – 9

Vgl. ebd., S. 83.

10 Vgl. ebd., S. 178. 11 Vgl. Welskopp: Kontinuität, 1996, S. 238, 265; Welskopp: Arbeit, 1994, S. 479f. Die beschriebene Entwicklung betraf gleichermaßen die deutsche wie die amerikanische Eisenund Stahlindustrie, vgl. ebd.

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nach ersten Versuchen seit den 1920er Jahren (vgl. v.a. Kap. 4) – in der Nachkriegszeit um mehr ging als um die von Kleinschmidt skizzierte Selbstdisziplinierung der Arbeitenden. Das Selbst der Arbeiter/-innen stellte vielmehr ein Potential dar, das diese aktiv und kreativ in den Produktionsprozess einbringen sollten. Ein Beispiel für eine Ausformung dieses Denkens geben die „Allgemeinen Führungsrichtlinien der Gebrüder Stollwerck AG“ von 1971. Wie im vorangegangen Kapitel ausgeführt, war die Süßwarenproduktion bei Stollwerck von unqualifizierter Fließbandarbeit bestimmt. Dennoch weist bereits das Vorwort der Richtlinien auf das Ziel einer „systematische[n] Entfaltung des Leistungspotentials des Mitarbeiters“ hin.12 Diese Auffassung vom Mitarbeiter war also nicht auf Branchen wie den Maschinenbau mit ihren zumeist männlichen Facharbeitern beschränkt (vgl. KHD, Kap. 4); auch der Stollwerck-Fließbandarbeiterin wohnte aus Sicht des Unternehmens ein entwicklungsfähiges Potential inne. Zwar darf von der Rhetorik dieser Richtlinie nicht unmittelbar auf die Realität am Arbeitsplatz geschlossen werden, gleichwohl wurden auf diese Art die Vorgesetzten des Betriebes über „die verbindlichen Prinzipien der Führung“, über die „Grundsätze des Führungsstils“ unterrichtet. Die Unterrichteten wurden aufgefordert, diese Prinzipien „täglich durch Führung und Zusammenarbeit lebendig“ zu erhalten, wodurch die Richtlinien gleichzeitig einem Test unterzogen würden, damit gegebenenfalls ihre Verbesserung angeregt werden könne.13 „Mitarbeiter“ zeichneten sich nach der Definition der Führungsrichtlinien durch die Bereitschaft und Fähigkeit aus, „beim Mitdenken und Mithandeln im Dienste der Firma Initiative zu entwickeln und selbstständig und verantwortungsbewußt die übertragenen Aufgaben zu erfüllen“. 14 Über die Mitarbeiterschaft hinausgehend wurde allerdings geradezu ein Mit-Unternehmertum gefordert.15 Während das Konzept des Mitarbeiters zunächst nur voraussetzte, dass die Arbeiter von einer gewissen Interessenidentität mit dem Unternehmen überzeugt waren, ging es hier in einem darauf aufbauenden Schritt darum, „unternehmerisches“ Denken und Handeln in den Mitarbeitern freizusetzen; gleichzeitig wurde es von ihnen erwartet. Dementsprechend wandelte sich das Anforderungsprofil an die Vorgesetzten, von denen 12 Allgemeine Führungsrichtlinien der Gebrüder Stollwerck AG, wirksam ab dem 15.8. 1971, o.P. RWWA, Sign. 208-492-7. 13 Ebd. 14 Ebd., S. 3. 15 Hier ist keine Form der faktischen Beteiligung der Beschäftigten an dem Unternehmen durch Anteilscheine gemeint, wie sie bspw. der Textilunternehmer Gerd Spindler unter dem Namen „Mitunternehmer“ in den fünfziger Jahren einführte. Die zugrunde liegende Idee war aber die gleiche: Es ging um die Mobilisierung der Leistungspotentiale der Beschäftigten, vgl. Hilger: Amerikanisierung, 2004, S. 25; Krell: Personalpolitik, 1994, S. 177.



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nun eine Führung verlangt wurde, die eine Entfaltung der Mitarbeiterpotentiale ermöglichte: „Jeder Vorgesetzte hat seine Mitarbeiter so zu führen, dass Initiative und unternehmerisches Verhalten gefördert und dem Unternehmen nutzbar gemacht werden.“16 Gegenstand der Problematisierung waren also nicht mehr allein die Arbeiter/-innen, sondern zudem die Vorgesetzten und ihre Führungsstile. Darüber hinaus scheint in dieser Passage eine Vorstellung von den Beschäftigten als „Arbeitskraftunternehmer“ auf, die – wie bereits in Kapitel 3 besprochen – von den Soziologen Voß und Pongratz als ein Kennzeichen des Post-Fordismus betrachtet wird.17 Es wird im Folgenden darum gehen, die in den bisherigen Kapiteln aufgestellten Thesen mit der Entwicklung in der Nachkriegszeit in Verbindung zu setzen. Es wurde gezeigt, wie bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts Ansätze zur Rationalisierung und Humanisierung der Arbeit miteinander verknüpft wurden. Gestützt auf die drei Fallbeispiele (KHD, AKS und Stollwerck) kann davon ausgegangen werden, dass in der Nachkriegszeit kein starker Bruch mit den vorangegangenen Personalpraktiken stattfand, wie ihn etwa Rosenberger konstatiert.18 Vielmehr lässt sich eine weitgehende Kontinuität in der Entwicklung beobachten. Das bedeutet keinesfalls, dass ein Wandel der industriellen Arbeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgestritten wird. Allerdings bewegte sich die Art der Problematisierung von Fabrikarbeit in einem Rahmen, der sich bereits um 1910 herausgebildet hatte: Im Zentrum stand weiterhin die Frage, wie der menschliche Faktor effektiv in die Produktion eingebracht werden konnte. Als zentrale Hebel in dieser Hinsicht wirkten die Gestaltung der Arbeitsräume und der Machtausübung. Fortgesetzt zeigte sich in diesen Bereichen ein steigendes Interesse an der Subjektivität der Arbeiter/-innen, die es nicht in erster Linie zu disziplinieren galt. Stattdessen stand nach weitgehend erfolgreicher Internalisierung der notwendigen industriellen Arbeitsdisziplin vermehrt das Ziel im Vordergrund, den Beschäftigten Freiräume zu gewähren, damit sie ihre subjektiven Potentiale in den Arbeitsprozess einbringen konnten. Die behauptete Kontinuität der Entwicklung lässt sich vor allem anhand eines Vergleichs der beiden deutschen Nachkriegsstaaten auf die Probe stellen. Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser hat die These aufgestellt, dass Bundesrepublik und DDR zumindest in der Automobilbranche zwei Spielarten des Fordismus verkörperten. 19 Meine Annahme einer kontinuierlichen Entwicklung muss also durch systemübergreifende Ähnlichkeiten bei der jeweiligen Gestaltung der indust16 Allgemeine Führungsrichtlinien der Gebrüder Stollwerck AG, wirksam ab dem 15.8.1971, S. 4. RWWA, Sign. 208-492-7. 17 Vgl. Voss/Pongratz: Arbeitskraftunternehmer, 1998. 18 Vgl. Rosenberger: Experten, 2008. 19 Vgl. Abelshauser: Wirtschaftsgeschichte, 2004, S. 370-378; vgl. Abelshauser: Two Kinds, 1995; ähnlich bezeichnet der Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Busch die DDR als staatssozialistische Variante des Fordismus, vgl. Busch: DDR, 2009.

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riellen Arbeit überprüft werden. Das kann in diesem Rahmen nicht umfassend über eigene Forschungsarbeit gewährleistet werden, die sich hauptsächlich auf die Debatten in den Arbeitswissenschaften beschränkt. Vielmehr ist es mein Ziel, die versprengten Forschungsergebnisse, die jeweils zu einzelnen Betrieben oder Branchen der DDR bzw. der Bundesrepublik vorliegen, zusammenführend auszuwerten. Bereits Jarausch hat gefordert, Forschungen zur Geschichte der DDR müssten diachron und synchron vergleichend angelegt sein, also gleichermaßen den Vergleich zur Bundesrepublik wie zur Weimarer Republik und zum Nationalsozialismus suchen, um Spezifika des politischen Systems von gemeinsamen deutschen Traditionen unterscheiden zu können.20 Im Folgenden soll es darum gehen, Ansatzpunkte für weitergehende Forschungen zur Frage der Arbeitsregime in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten aufzuzeigen. Eine wesentliche Frage ist diejenige nach der Periodisierung. DoeringManteuffel und Raphael sehen mit dem Ende des Bretton-Woods-Systems und der Ölkrise von 1973/74 einen „Strukturbruch“ einhergehen, der sich in der Herausbildung des „digitalen Finanzmarkt-Kapitalismus“ manifestierte.21 Diese vieldiskutierte These berührt direkt das hier besprochene Thema, da einer der verschiedenen Wandlungsprozesse, die nach Doering-Manteuffel und Raphael zum Strukturbruch führten, der „Abschied vom fordistischen Fabriksystem“ gewesen sei.22 Hachtmann hat eine solche Verabschiedung des Fordismus für voreilig erklärt.23 Eine Positionierung zur Frage der Periodisierung gebietet zunächst eine empirische Klärung dessen, was das fordistische Fabriksystem ausmacht. In diesem Sinne könnte eine Zuordnung des Leitbilds des „unternehmerischen Selbst“ in der Phase nach dem vermeintlichen Strukturbruch, die auch Doering-Manteuffel und Raphael vornehmen, in Frage gestellt werden.24 War das „unternehmerische Selbst“ nicht vielmehr Teil des tayloristischen bzw. fordistischen Projekts der Rationalisierung und Humanisierung der Arbeit, die um 1910 einsetzte?

S CHÖNHEIT

DER

A RBEIT

NACH

1945

Zunächst soll aber dargestellt werden, inwiefern die Debatten, die in den Arbeitswissenschaften und in Rationalisierungsbroschüren nach 1945 geführt wurden, an die Diskussionen anschlossen, die in Kapitel 3 untersucht wurden. Ein zentrales Merkmal der Kontinuität des Diskurses von der Schönheit der Arbeit in der Bun20 Vgl. Jarausch: Care, 1999, S. 64. 21 Doering-Manteuffel/Raphael: Boom, 2010, S. 8, 13. 22 Ebd., S. 59. 23 Vgl. Hachtmann: Gewerkschaften, 2011, S. 183. 24 Vgl. Doering-Manteuffel/Raphael: Boom, 2010, S. 9.



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desrepublik war die Selbstwahrnehmung, dass in Deutschland unter gänzlich anderen Bedingungen produziert werde als im „Manchester-Unternehmertum“. Unter den tatsächlichen oder anzustrebenden Produktionsbedingungen in Deutschland sei somit die Grundlage „für die Führung des Klassenkampfes“ aufgehoben. Diese ideologische Kontinuität lässt sich anhand Hans Tischerts Abhandlung über die Lindner GmbH dokumentieren, die 1954 in der Schriftenreihe Stätten deutscher Arbeit erschien. Offensichtlich stand in diesem Denken „der Begriff von der Schönheit der Arbeit“ nicht für nationalsozialistische Ideologie, sondern generell für einen dritten, deutschen Weg jenseits von Sozialismus und Manchester-Kapitalismus, war also auch mit dem neuen Modell der Sozialen Marktwirtschaft zu verbinden: „Schon in seinen Lehrjahren, die der Firmengründer in einer düsteren Arbeitsstätte verbringen musste, wuchs in ihm die Vorstellung eines mustergültigen Betriebes, den er einmal leiten wollte. Und wenn man heute durch die weiten, hohen Hallen und durch die geräumigen Büros gegangen ist, erkennt man, dass dem Schöpfer dieses Werkes der Begriff von der Schönheit der Arbeit keine leere Phrase gewesen ist. Hell flutet das Tageslicht durch die 7500 qm Glasflächen in die Hallen. […] In diesem Werk sucht man vergeblich nach einer Erinnerung an jenes Manchester-Unternehmertum, das in der Vergangenheit für die Führung des Klassenkampfes so reichlich Stoff geliefert hat. In diesem Unternehmen kann der Mensch immer Individuum bleiben, sofern er den Wert des unternehmerischen Wollens zu erkennen und zu schätzen vermag.“25

Hier erscheint die Individualität der Arbeiter/-innen als integraler Bestandteil der „Schönheit der Arbeit“. Diese musste dabei aber von einer Gestalt sein, die mit den unternehmerischen Zielen kongruent war. Es ging also weiterhin um die Hervorbringung von Individualität bzw. um die Gestaltung konvergenten Eigen-Sinns. Auch die Geschlechterkomponente blieb in dem Diskurs erhalten. In der Bundesrepublik wurde weiterhin allgemein vorausgesetzt, Frauen seien stärker von Umwelteinflüssen abhängig als Männer. Auf dieser Annahme basierend postulierte beispielsweise die Gesellschaft für arbeitswissenschaftliche Forschung 1956 in ihren Empfehlungen zur Frauenarbeit, dass sich eine „Verbesserung der Arbeitsumwelt“ bei Frauen noch stärker auf den „Leistungswillen“ auswirke als bei Männern.26 Auch Helga Läge betonte in ihrer 1962 publizierten Studie zur Industriefähigkeit der Frau, das Arbeitsmilieu sei „an den Menschen und besonders an die weiblichen Mitarbeiter anzupassen“. Dabei galt es, nicht nur die Luft- und Lärmverhältnisse zu verbessern, sondern auch „eine der weiblichen Psyche Rechnung tragende Raumgestaltung“ mit einer „ansprechende[n] Form- und Farbgebung“ um-

25 Tischert: Stätten, Bd. 9, 1954, S. 36-39. 26 Anonym: 3. Arbeitswissenschaftlicher Kongress, 1956, S. 74.

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zusetzen.27 Grundsätzlich lässt sich noch um 1960 in der Bundesrepublik eine weitgehende Kontinuität der Debatten um die Schaffung von Lebensraum in der Fabrik und Schönheit der Arbeit feststellen. In der Reihe Stätten deutscher Arbeit wurde am Beispiel einer Gelsenkirchener Textilfabrik betont, wie wichtig es sei, dass die „hellen, ansprechenden Arbeitsräume“ nach den „neuesten Erfahrungen der Psychologie“ ausgestattet und in „anregenden Farben gehalten“ seien, damit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen das Gefühl gegeben werden könne, „hier ein zweites Zuhause zu besitzen“. In der Praxis werde auf eine solche Gestaltung immer noch zu wenig Wert gelegt, dabei sei diese gerade in der Textilbranche relevant, da hier vor allem Frauen tätig seien, „die bekanntlich besonders stark auf äußere Eindrücke reagieren“.28 Wie anderen Umwelteinflüssen kam auch der Farbgestaltung des Betriebes im Zusammenhang mit der Frauenarbeit ein erhöhtes Augenmerk zu. Der Arbeitsmediziner Paul Hülsmann sah in seiner Abhandlung über Die berufstätige Frau (1962) durch die „direkte farbige Ansprache von Stimmung, Gemüt und Arbeitswillen“ die Möglichkeit gegeben, die „Arbeitsfreude“ zu heben und im Ergebnis „unerwartete Produktionssteigerungen“ zu erzielen.29 Der Farbanstrich von Decken und Wänden wirke in dreierlei Hinsicht, „als Stimmungsfaktor, als Mittel zum Ausgleich bestimmter Empfindungsbelastungen“ und „als Mittel zur Unfallverhütung“.30 Der Gesichtspunkt der Arbeitssicherheit durch farbliche Kenntlichmachung von potentiellen Gefahren fand in der Praxis wie in der Literatur die stärkste Aufmerksamkeit. Gleichwohl dominierte jahrzehntelang die auch von Hülsmann empfohlene Farbgebung von Fabrikhallen „in lichtem Grün“, das „beruhigend“ wirke.31 Vermutlich war die einflussreiche Farblehre Goethes der Ausgangspunkt, für die – internationale – Dominanz der Farbe Grün im Industriebau.32 Im einflussreichen Taschenbuch Mensch und Arbeit für Führungskräfte im Betrieb (1966) wurde gleichermaßen die spezifische Bedeutung der Farbgebung für Frauen als auch die allgemeine Wirkung auf beide Geschlechter betont:33 auf die „Stimmung“ des Individuums, auf das „rasche Erkennen bestimmter Zusammenhänge“ sowie auf „Ordnung und Sicherheit“.34 Die Farbgebung wurde häufig als Bestandteil des „Arbeitsklimas“ betrachtet, das in der Nachkriegszeit auf ähnliche Weise diskutiert wurde, wie in den 1920er 27 Läge: Industriefähigkeit, 1962, 91f. 28 Tischert: Stätten, Bd. 15, 1959, S. 98. 29 Hülsmann: Frau, 1962, S. 93. 30 Ebd., S. 91f. 31 Ebd., S. 92. 32 Loader/Skinner: Management, 1991, S. 90. 33 Vgl. Institut Mensch und Arbeit: Taschenbuch, 1966, S. 21, 95ff. 34 Institut Mensch und Arbeit: Taschenbuch, 1966, S. 98.



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Jahren der „Lebensraum Fabrik“ thematisiert worden war. Kroeber-Kenneth verstand in seiner Industriellen Frauenkunde von 1954 unter einer „bewusste[n] Pflege des Arbeitsklimas“ unter anderem die gezielte „Farbgebung der Räume“, eine „ansprechende Arbeitskleidung“ und „zeitweilige Schallplattenmusik“. Die Arbeitsplätze wiederum sollten so angeordnet werden, dass „sie Unterhaltungsmöglichkeiten zulassen“.35 Wie bei Hellpach dreißig Jahre zuvor ging es auch hier darum, den Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen nicht zu unterdrücken, sondern als nutzbares Element der Leistungsfähigkeit zu erkennen und für diesen Zweck einzusetzen. Auch die Vorstellung einer Dichotomie zwischen Zweckraum und Lebensraum überdauerte. In dem Sammelband Die Wirtschaft braucht die Frau (1956) hob ein Beitrag hervor, die Arbeiterinnen führten an ihrem Arbeitsplatz „einen täglichen Kampf gegen die Versachlichung“ und versuchten, die „Atmosphäre des Unpersönlichen“ durch Blumen oder Bilder aufzuhellen. Letztlich würden davon auch die männlichen Kollegen profitieren und auch „dankbar“ reagieren; im Ergebnis führe dies zu gesteigerter „Arbeitswilligkeit und Arbeitsfreude“.36 In der DDR wurden ähnliche Debatten geführt, allerdings fanden sich in Arbeitswissenschaften wie Betriebspraxis Stimmen, die Kritik daran äußerten, durch atmosphärische Verbesserungen seien materielle Probleme zu lösen und die Qualitätsund Quantitätsstandards der Produktion zu wahren. So stellte der Arbeitsdirektor des VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld auf einem wissenschaftlichen Kolloquium über die Probleme der berufstätigen Frau 1956 fest, dass sich die Überforderung der Arbeiterinnen „weder durch fröhliche Musik am Arbeitsplatz noch durch Schaffung besonderer Beleuchtungsverhältnisse“ lösen ließe. Vielmehr bräuchten die Frauen Unterstützung bei der Hausarbeit, die sie neben der Fabrikarbeit zu leisten hatten.37 Aber auch wissenschaftliche Experten wandten ein, dass es etwa bei der Farbgestaltung im Betrieb in erster Linie darum ginge, „das Sehen zu erleichtern“; für die „sozialen Bedingungen am Arbeitsplatz“ sei sie hingegen von „höchst untergeordneter Bedeutung“: „[…] ‚Wohlbefinden‘ am Arbeitsplatz zu schaffen, ist eine Aufgabe, die keinesfalls mit dem Farbtopf zu lösen ist.“38 Gleichwohl dominierte auch in den Arbeitswissenschaften der DDR die Auffassung, die in dem offiziellen Lehrbrief zu Arbeitsstudium, Arbeitsgestaltung, Arbeitsnormung popularisiert wurde, dass nämlich in „farbig gut gestalteten Arbeitsräumen […] freudiger gearbeitet“ werde, was sich wiederum „auf Leistung, Ermü-

35 Kroeber-Keneth: Industrielle Frauenkunde, 1954, S. 909. 36 Schwieder-Meierkord: Betrieb, 1956, S. 220f. 37 Gerats: Frauenarbeit, 1957, S. 66. 38 Wendrich: Probleme, 1964, S. 469, 472; ähnlich: Baumgärtel: Raumgestaltung, 1969, S. 41.

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dung, Krankenstand, Sauberhalten der Arbeitsmittel, Fluktuation usw.“ auswirke.39 In einflussreichen arbeitswissenschaftlichen Publikationen und Informationsblättern der 1960er Jahre wurde vorausgesetzt, dass die farbliche Gestaltung der Arbeitsräume von wichtiger psychologischer Bedeutung sei. Eine gute Farbgestaltung wirke schlicht beruhigend und befreiend.40 Ziel einer „ästhetischen und zweckmäßigen Farbgestaltung“ müsse es sein, die „Stimmung des Menschen“ zu heben. In der Folge würden sich „Arbeitsfreude, Wohlbefinden, Leistungsbereitschaft, Ordnung und Sauberkeit“ einstellen. Zu berücksichtigen seien dabei Geschlechterunterschiede: Frauen würden „oft wärmere Farben“ und Männer „oft kältere Farben“ bevorzugen.41 Im Handbuch Ökonomik der Arbeit wurde 1967 festgehalten, dass die Schaffung ästhetischer Arbeitsbedingungen zum „Wohlbefinden der arbeitenden Menschen“ beitrage sowie die „Arbeitsproduktivität, […] Arbeitsdisziplin und Arbeitsfreude“ steigere.42 Die „Sorge um den werktätigen Menschen“, bereits 1950 vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) als Programm verabschiedet, wurde in betrieblichen Publikationen wie Festschriften gebetsmühlenartig hervorgehoben. Christoph Kleßmann weist in seiner Abhandlung über Arbeiter in der DDR darauf hin, dass mit dieser Proklamation eine permanente betriebliche Sozialpolitik verknüpft war, die – wie es auf dem Kongress des FDGB von 1950 hieß – auf eine „Ausgestaltung der volkseigenen Betriebe zu wirklich würdigen Arbeitsstätten des werktätigen Volkes“ abzielte. 43 Die projektierten sozialen Einrichtungen waren wiederum zu einem wesentlichen Teil auf Frauen abgestimmt, die verstärkt ins Erwerbsleben integriert werden sollten. 44 Faktisch dominierte aber vielerorts der Mangel an finanziellen Mitteln. Lärm und schlecht temperierte Arbeitsräume kennzeichneten die Arbeitsbedingungen in vielen Fabriken während der gesamten Existenz der DDR.45 In einem 1960 im arbeitswissenschaftlichen Zentralorgan Arbeitsökonomik und Arbeitsschutz46 erschienenen Beitrag wurde die Bedeutung der „Erfüllung der arbeitshygienischen Normative“ insbesondere darin gesehen, dass dies für Frauen ge-

39 Vorwerk: Arbeitsstudium, [1967], S. 20. 40 Vgl. Trognitz u.a.: Arbeitsgestaltung, 1967, S. 493. 41 Wokurka: Grundsätze, 1968, S. 5. 42 Trognitz u.a.: Arbeitsgestaltung, 1967, S. 487. 43 Zit. n. Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 723. 44 Vgl. ebd. 45 Vgl. Madarász: Working, 2006, S. 26f.; vgl. Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 729. 46 Die Zeitschrift erschien von 1957 bis 1990 unter verschiedenen Namen: bis 1965 wie genannt, dann nur noch als Arbeitsökonomik, ab 1968 bis zum Ende der DDR als Sozialistische Arbeitswissenschaft.



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radezu die Voraussetzung für die Aufnahme einer Beschäftigung bedeute.47 Ein Jahr darauf wurde in der gleichen Zeitschrift darauf hingewiesen, dass eine „den physiologischen und psychologischen Besonderheiten der Frau Rechnung tragende Gestaltung ihres Arbeitsplatzes“ zum einen notwendig sei, um noch nicht berufstätige Frauen für die Fabrikarbeit gewinnen zu können, zum anderen, um die Leistungsfähigkeit von Frauen zu steigern.48 Ein weiterer Beitrag desselben Bandes hob hervor, dass die technologische Entwicklung auch weiterhin von einer entsprechenden Gestaltung des Arbeitsplatzes begleitetet werden müsse, die u. a. die Farbgestaltung zur „Hebung der Arbeitsfreude“ berücksichtige und die Arbeitsplätze an „die Bedingungen des arbeitenden Menschen, vor allem aber der arbeitenden Frau“ anpasse.49 Die Abhandlung Probleme der Frauenarbeit von 1963 postulierte den Zusammenhang, dass erst „das Bild der alten staubgeschwängerten, mitunter Höllenlärm verursachenden Betriebsabteilungen des Maschinenbaus“ verschwinden musste, bevor Frauen vermehrt Arbeit in dieser Branche aufgenommen hätten.50 In den Debatten um die Gestaltung der Fabriken wie auch in den tatsächlichen Veränderungen, die im 20. Jahrhundert umgesetzt wurden, zeigt sich ein gesteigertes Interesse am Faktor Mensch in der Produktion. Die Beschäftigung mit der Frauenarbeit zeitigte in diesem Zusammenhang eine katalytische Wirkung für die ‚Humanisierung‘ des industriellen Arbeitsplatzes; dabei ging es dann wiederum um Arbeiter wie Arbeiterinnen. Bezeichnend war vor allem die Einrichtung von betrieblichen Sozialräumen. So verwies die Festschrift zum zwanzigsten Jubiläum des Stahl- und Walzwerkes Riesa 1965 stolz auf „die vielen neuen Sozialgebäude und sanitären betrieblichen Einrichtungen“. Sie zeigten in erster Linie eines: „Unaufhörlich spürt der arbeitende Mensch die Fürsorge des Werkes um sein Wohlergehen.“51 In wissenschaftlichen und betriebspraktischen Schriften wurde klargestellt, dass dieses „Wohlergehen“ auch in Volkseigenen Betrieben stets mit ökonomischen Interessen verknüpft war, was in dieser Firmenfestschrift wohlweislich verschwiegen wurde. Offen ausgesprochen wurde hingegen eine Beobachtung, die für die Entwicklung der industriellen Betriebe an sich, gleichermaßen im Kapitalismus wie im Sozialismus, bezeichnend war: das ‚unaufhörliche‘ Interesse am menschlichen Faktor in der Produktion.

47 Brandt: Bedeutung, 1960, S. 165. 48 Höhl/Richter: Gesichtspunkte, 1961, S. 529. 49 Wagener: Mensch, 1961, S. 525. 50 Ulbricht u. a.: Probleme, 1963, S. 34. 51 Kempke: Wir, [1965], S. 102f.

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D IE F ÜHRUNG

DES

M ITARBEITERS

Auch die arbeitswissenschaftliche Diskussion um Führungsstile im industriellen Betrieb schloss an die Debatten aus der Weimarer Republik und der Zeit des Nationalsozialismus an. Die Frage der Betriebsatmosphäre spielte nun eine zunehmend große Rolle. In den frühen 1950er Jahren wurde in der Bundesrepublik der HumanRelations-Ansatz erstmals breit diskutiert, die Diskussion verebbte aber im Laufe des Jahrzehnts. 52 Beispielsweise beim Unternehmen Glanzstoff wurden in der Nachkriegszeit nicht nur technische und wirtschaftliche Neuerungen aus den USA thematisiert, sondern auch der Umgang mit den Beschäftigten. Insbesondere ging es darum, deren Entscheidungsfindungskompetenz, Verantwortungsbewusstsein und Vertrauen zur Betriebsleitung zu stärken.53 Ins Zentrum der arbeitswissenschaftlichen Diskussion rückte durch die verstärkte Beschäftigung mit dem Faktor Mensch in der Produktion dann zunehmend die bereits in den 1930er Jahren angesprochene Frage neuer Aufgaben für die Führungskräfte neben das bekannte „Arbeiterproblem“ (vgl. Kap. 3). Während es beim Arbeiterproblem darum ging, durch technologische, organisatorische und disziplinarische Maßnahmen, die auf die Arbeiter/-innen zielten, die Produktivität zu steigern, gerieten nun vermehrt die Führungskräfte und ihre Methoden der Mitarbeiterführung in den Fokus. In den USA war bereits im Ersten Weltkrieg erstmals in breiterem Umfang die mangelnde Qualität des Vorgesetztenpersonals problematisiert worden,54 das arbeitswissenschaftliche Kerninteresse galt aber weiterhin überwiegend den Arbeitern und Arbeiterinnen; in der Praxis zielten die Eignungstests von Betriebspsychologen hingegen seit den 1930er Jahren zunehmend auf die Auswahl und Schulung von Führungskräften der mittleren und unteren Ebene.55 Beim 3. Arbeitswissenschaftlichem Kongress in der Bundesrepublik im Jahr 1956 war explizit von dem „Vorgesetztenproblem“ die Rede, dem „bei Frauenarbeit besondere Aufmerksamkeit“ zukomme, weil Frauen stärker als ihre männlichen Kollegen „auf Umgangston und Behandlung“ im Betrieb reagierten.56 Konsens war in der Beschäftigung mit der Humanisierung der Arbeit ab den 1950er Jahren, dass ein „positives inneres Verhältnis des arbeitenden Menschen auch zu ra-

52 Vgl. Kleinschmidt: Company, 1998, S. 184. Die Human-Relations-Schule wurde zwar erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland rezipiert, Luks weist aber zu Recht darauf hin, dass ein ähnliches Denken sich bereits nach dem Ersten Weltkrieg etablierte, vgl. Luks: Betrieb, 2010, S. 149. 53 Vgl. Kleinschmidt: Company, 1998, S. 185. 54 Vgl. Trischler: Führerideal, 1996, S. 55. 55 Vgl. Platz/Raphael/Rosenberger: Betriebspsychologie, 2002, S. 295. 56 Anonym: 3. Arbeitswissenschaftlicher Kongress, 1956, S. 74.



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tionalisierter Arbeit“ nur über eine Ausweitung von „Mitwissen, Mitdenken, Mitwirken und Mitverantworten“ zu erreichen sei.57 Umstritten war lediglich, ob diese Ziele in Ergänzung zur Rationalisierung stünden58 oder als „Gegenbewegung zu dieser“ zu verstehen seien.59 Fast immer wurde aber die Einführung „neue[r] Verhaltensweisen und Führungsformen“ für „unerläßlich“ gehalten, weil die „Leistungen, die heute notwendig sind, kaum noch durch Druck und Zwang erreicht werden“ könnten.60 Als Grundproblem wurde also Folgendes betrachtet: „Immer weniger ist die Arbeitsdisziplin durch Druck und Drohung oder Versprechungen und Lohnerhöhungen aufrecht zu erhalten.“ Der Arbeitsmediziner Hülsmann betonte in diesem Zusammenhang 1962, dass Frauen „noch mehr als Männer den echten oder vermeintlichen Eindruck haben“ müssten, am „Gesamtdasein ihres Betriebes und der zugehörigen menschlichen Gesellschaft teilzuhaben“. Nur dann seien sie psychisch und emotional vollständig am Arbeitsprozess beteiligt.61 Hülsmann deutete dabei also an, dass sich für die Lösung des Problems neben einer „echten“ Ausweitung der Mitverantwortung auch die Manipulation der Werktätigen durch Scheinmaßnahmen anbiete. Dem Problem selbst allerdings wurde insbesondere durch die Ausweitung der Frauenerwerbsarbeit zunehmende Aufmerksamkeit zuteil.62 So betonte Annemarie Spiecker 1956, dass Männer „den betrieblichen Verhältnissen gegenüber unempfindlicher“ seien als Frauen und folglich „nicht immer die geschickte feinfingrige Führung, die gegenüber Frauen unbedingt notwendig“ sei, benötigten.63 Allerdings richtete sich letztlich der Blick auf Arbeiter wie Arbeiterinnen: Spiecker sah zwar die Bedeutung emotionaler Faktoren am Arbeitsplatz für Arbei57 Hische: Arbeits- und Betriebspsychologie, 1958, S. 53. 58 Vgl. ebd. 59 Vetter: Mensch, 1958, S. 22: „Die Aufgabe der Humanisierung des Miteinanderseins im Betrieb aber klar abzuheben von der Forderung der Arbeitsrationalisierung und sie ausdrücklich als Gegenbewegung zu dieser zu verstehen scheint mir ein Gebot der Stunde zu sein.“ Der Psychologe Vetter war bereits während des Nationalsozialismus mit der „Menschenführung“ im Betrieb (IG Farben, Ludwigshafen) betraut, vor 1940 arbeitete er im Deutschen Institut für psychologische Forschung und Psychotherapie, vgl. Platz/Raphael/ Rosenberger: Betriebspsychologie, 2002, S. 304. 60 Institut Mensch und Arbeit: Taschenbuch, 1966, 210. 61 Hülsmann: Frau, 1962, S. 119. 62 Zwar blieb der Anteil der Frauen an der Gesamtheit aller Erwerbstätigen im Deutschen Reich seit 1925 und in der Bundesrepublik mit ca. 36 Prozent recht konstant, allerdings nahm zum einen die Gesamtzahl der Erwerbstätigen zu, zum anderen erhöhte sich insbesondere die Zahl der Fabrikarbeiterinnen, da Familienbetriebe an Bedeutung verloren. Vgl. Hausen: Frauenerwerbstätigkeit, 1997, S. 31. 63 Spiecker: Aufgaben, 1956, S. 213.

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terinnen als besonders hoch an, räumte aber gleichzeitig ein, dass der Grundbefund „schon für den männlichen Arbeiter“ zutreffe.64 Ähnlich hieß es bei Läge 1962, dass „soziale Betriebsgestaltung und rechte Menschenführung“ Aufgaben seien, „die sich gerade in Frauenbetrieben mit besonderer Wichtigkeit“ stellten.65 Es lässt sich also die These formulieren, dass die arbeitswissenschaftliche Beschäftigung mit Fabrikarbeiterinnen verstärktes Interesse auf das – auch unabhängig von der Geschlechterdifferenz formulierte – Problem der Humanisierung der Arbeit lenkte. Zudem kam dem Wissen über die Geschlechterdifferenz die Rolle zu, gewisse Lösungen des Problems in Form neuer Führungsstile nahe zu legen, die dann letztlich Männer- wie Frauenarbeit betrafen. Der Befund im Taschenbuch Mensch und Arbeit von 1966 lautete, dass die „wachsende Mechanisierung“ von „den Arbeitenden ein anderes Verhalten als früher“ abverlange, nämlich „Mitdenken, Verantwortung, usw.“, was funktioniere, weil das „Personal diszipliniert und an die Arbeit gewöhnt“ sei. Deswegen sei der Aufseher „mit der technischen Entwicklung weitgehend verschwunden“, lediglich bei der „Frauenarbeit an Bändern“ existiere er in Form der „Vorarbeiterin“ weiter.66 Eine erfolgreiche Disziplinierung wurde also explizit als Vorbedingung einer darauf aufbauenden Übertragung von Verantwortung an die Beschäftigten genannt. Der technische Wandel verlangte dann Arbeitsformen, die den Beschäftigten zumeist größere Freiräume zubilligten, von ihnen aber zugleich das Einbringen ihrer Persönlichkeit in Form eines verantwortungsvollen Mitdenkens verlangten. Jenseits dieser neuen Form der Arbeit blieben jedoch – etwa an den Fließbändern – die traditionellen Tätigkeiten unter Beaufsichtigung parallel bestehen. Das Taschenbuch Mensch und Arbeit vertrat die Meinung, dass sich Männer nicht für die Fließbandarbeit eigneten, da sie „im allgemeinen mitdenken“ wollten. Frauen dagegen wurde immer noch zugeschrieben, für monotone Arbeiten besonders geeignet zu sein. So überdauerten für viele Fließbandarbeiterinnen die alten Formen der Machtausübung, obwohl gerade die langjährige arbeitswissenschaftliche Beschäftigung mit der Frauenarbeit einen Abbau von betrieblichen Kontrollinstanzen zugunsten einer Ausweitung von Eigenverantwortung der Arbeitenden nahe gelegt hätte. Zunächst lässt sich dies vermutlich dadurch erklären, dass die Ausweitung von Disziplin und Kontrolle weitgehend den Erfordernissen der Fließbandarbeit entsprochen hat. Der überdurchschnittlich hohe Frauenanteil bei dieser 64 Ebd., S. 212. 65 Läge: Industriefähigkeit, 1962, S. 92. 66 Institut Mensch und Arbeit: Taschenbuch, 1966, S. 206f. 67 Ebd., S. 314f. 68 Renate Bridenthal hat bereits 1973 in einem sehr einflussreichen Aufsatz über Arbeiterinnen in der Weimarer Republik klargestellt, dass das weit verbreitete zeitgenössische Bild von einer mit dem Einsetzen der Rationalisierung vermeintlich allgemeinen Zunah-



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Arbeit wiederum passt in das Bild, das Karin Hausen von den Geschlechterhierarchien in Arbeitsverhältnissen zeichnet: Diese Hierarchien seien gemeinsam von männlichen Arbeitgeber- wie Arbeitnehmervertretern stabilisiert worden, wobei sie seit der Weimarer Republik von Arbeitswissenschaftlern unterstützt worden seien. In der DDR galten alle „vorgeblich humanitären Anliegen“ der „human-relationsBewegung“ im Kapitalismus als reine Mittel zur „Manipulation der Menschen“; das einzige „Interesse der Monopolkapitalisten“ liege in der „Profitproduktion“.70 Elli Schöttl führte in ihrer Dissertation von 1967 über Die Bedeutung der Arbeitsfreude in der materiellen Produktion beim umfassenden Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik aus, dass hingegen im Sozialismus der DDR „objektiv“ bereits die „Bedingungen für Arbeitsfreude gegeben“ seien. Die „gesellschaftliche Notwendigkeit zu arbeiten“ müsse zwar noch „mit dem Mittel des Zwanges“ durchgesetzt werden, allerdings sei dieser Zwang „nur noch Erziehungsfaktor“, der den Arbeitenden dabei helfe, subjektiv „Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein“ zu entwickeln, womit wiederum die subjektive Voraussetzung für die Arbeitsfreude entstehe. Eine allgemeine Diskussion über Machtbeziehungen, Führungsstile und Hierarchien im Betrieb konnte in den Arbeitswissenschaften der DDR also nicht stattfinden, ohne dass die objektive Existenz der Bedingungen für Arbeitsfreude in Frage gestellt worden wäre. Kritische Stellungnahmen zu Führungsfehlern, also eine Thematisierung des „Vorgesetztenproblems“ analog zur Diskussion in der Bundesrepublik, fanden sich jedoch in Studien zu einzelnen Betrieben: Regina Kluge konstatierte in einem Referat vor der Arbeitsgruppe „Die Rolle der Frau in der Industrie“ im Jahr 1965 „unwissenschaftliche[] Leitungsmethoden“, bei einem von ihr untersuchten Betrieb, die dafür verantwortlich seien, dass die „Vorzüge der sozialistischen Produktionsverhältnisse“ nicht wirksam würden. Die Leitung unterließe es, „die positive Einstellung der Frauen zur neuen Technik und ihre Qualifizierungsbe-

me der Frauenarbeit auf Kosten männlicher Facharbeiter nicht zutreffend ist. In erster Linie seien Arbeiterinnen dadurch stärker wahrgenommen worden, dass insbesondere die Branchen expandierten, die bereits vor der Einführung der Fließfertigung verstärkt Frauen – als günstige angelernte Arbeitskräfte – beschäftigt hatten und nun weitere Frauen einstellten, die zuvor in der Landwirtschaft tätig gewesen waren. Vgl. Bridenthal: Weimar Women, 1973, S. 157f. 69 Vgl. Hausen: Frauenerwerbstätigkeit, 1997, S. 27. 70 Vgl. Schöttl: Bedeutung, 1967, S. 3; ähnlich: Thiemann: Subjekt-Objekt-Dialektik, 1967, S. 505. 71 Schöttl: Bedeutung, 1967, S. 35. 72 Ebd., S. 14f.

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reitschaft, ihr Verantwortungsgefühl und ihre Betriebsverbundenheit“ zu fördern. Ganz im Gegenteil würden nun in der Belegschaft „Desinteresse, mangelnder Mut zur Kritik, wenig entwickelte Mitverantwortung“ und „wenig entwickeltes perspektivisches Denken“ vorherrschen.  Die grundlegenden Ziele der Arbeitswissenschaften in der DDR, Steigerung der Selbstverantwortung und Entwicklung einer Betriebsverbundenheit, glichen also durchaus denen der Wissenschaftler/-innen in der Bundesrepublik. Das zeigt sich auch in der Untersuchung des Zentralen Forschungsinstituts für Arbeit zur „wirksamen Stimulierung hoher Leistungen und sozialistischer Arbeitsdisziplin im VEB Reifenwerk Riesa“. Dort wurde betont, dass die „gezielte Einwirkung auf die Persönlichkeit der Werktätigen“ ein „untrennbarer Bestandteil der Tätigkeit eines jeden Leiters“ sein müsse. Gleichzeitig wurde aber das praktische Problem benannt, dass vielen Meistern „Kenntnisse auf dem Gebiet der Menschenführung und Stimulierung“ fehlen würden. Der Geschlechterdifferenz kam in diesem Themenkomplex in der DDR keine gesteigerte Aufmerksamkeit zu. Grundsätzlich hieß es, dass die Arbeits- und Produktionsbedingungen so zu gestalten seien, dass „keine physiologisch und psychologisch begründeten Hemmnisse der gleichberechtigten Mitarbeit der Frau“ entgegenstünden. In der Praxis allerdings, darauf weisen etwa die Forschungsergebnisse der Alltagshistorikerinnen Clemens, Schüle und Ansorg hin, wurde in der DDR die Geschlechterhierarchie am Arbeitsplatz nicht in Frage gestellt.

S ELBSTMANAGEMENT IM INDUSTRIELLEN B ETRIEB B UNDESREPUBLIK : K ONTINUITÄT IM W ANDEL

DER

Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser hat auf Besonderheiten des Produktionsregimes hingewiesen, das sich in Folge der Gründerkrise und der Großen Depression am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland herausgebildet hatte. Abelshauser bezeichnet dieses System als eine „korporative Marktwirtschaft“, die sich deutlich von der „liberalen Marktwirtschaft“ abgehoben habe.78 Da zu wenig Kapi-

73 Kluges Vortrag wurde protokolliert, vgl. Kuhrig: Arbeitsgruppen, 1966, S. 23. 74 Ebd., S. 27f. 75 Zentrales Forschungsinstitut für Arbeit beim Staatssekretariat für Arbeit und Löhne (Hg.): Empfehlungen, 1975, S. 9, 4. 76 Ulbricht u. a.: Probleme, 1963, S. 29. 77 Vgl. Clemens: Tuchbude, 1998, S. 109; Schüle: Spinne, 2001, S. 339; Ansorg: Fortschritt, 1997, S. 94. 78 Vgl. Abelshauser: Umbruch, 2001, S. 507. Hall und Soskice unterscheiden auch für die Gegenwart zwischen „liberal market economies“ wie den USA und „coordinated market



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tal für technische Innovationen und zusätzlich eine zu geringe Nachfrage für eine fordistische Massenproduktion vorhanden waren, stand unter Einsatz etablierter Technologien die Herstellung von diversifizierten Qualitätsprodukten im Mittelpunkt. Das System sei auf Langfristigkeit ausgelegt gewesen, weshalb neben Kooperationen mit anderen Unternehmen der jeweiligen Branche und einer engen Kundenbindung vor allem die Bildung einer qualifizierten Stammbelegschaft als Spezifika dieses „deutschen sozialen Systems der Produktion“ hervorstachen. 79 Auch Plumpe betont, dass sich die Spielart dieses „ganz eigenen Kapitalismus“ grundsätzlich bis in die 1980er Jahre gehalten habe, erst mit der verschärften Globalisierung der jüngsten Vergangenheit sei „das liberale 19. Jahrhundert zurückgekehrt“.80 Berghahn hält trotz kritischer Einwände Abelshausers Modell für eine adäquate Beschreibung, wendet aber ein, dass es seit den 1950er und 1960er Jahren zu einer „graduellen Amerikanisierung des deutschen Industriekapitalismus“ gekommen sei.81 Dieser Einwand lässt sich durchaus mit Abelshausers Ansatz verbinden, da dieser am Beispiel VWs die Modifizierung des amerikanischen Vorbilds hervorgehoben hat. Es handele sich insofern um eine „typisch deutsche Version des Fordismus“, da trotz Massenproduktion eines Fahrzeugtyps die industriellen Beziehungen weitgehend nach dem Modell der diversifizierten Qualitätsproduktion durch eine besondere Nähe zwischen Unternehmen und Arbeitervertretung gekennzeichnet gewesen seien.82 Folglich konstatiert Abelshauser, das „deutsche soziale System der Produktion“ sei von einer „Kontinuität im Wandel“ geprägt gewesen. Es habe zwar Veränderungen gegeben, im Ganzen habe aber das System den einmal „eingeschlagenen Pfad“ nicht verlassen.83 Diese Untersuchungen helfen, die Ergebnisse der vorliegenden Studie einzuordnen. Im speziellen Produktionsregime, das in Deutschland vorherrschend war, kam dem Faktor Mensch besondere Aufmerksamkeit zu. Das schloss keinesfalls aus, dass vielfältige Aneignungen amerikanischer Managementmethoden vorgeeconomies“ wie Deutschland. Die zweite Variante zeichne u.a. immer noch aus, dass einer hochqualifizierten Arbeiterschaft beträchtliche Autonomie über den Arbeitsprozess zugebilligt werden würde, vgl. Hall/Soskice: Introduction, 2001, S. 24. 79 Vgl. Abelshauser: Umbruch, 2001, S. 520. 80 Plumpe: Kapitalismus, 2005, S. 6, 22. 81 Berghahn: Kapitalismus-Modell, 2006, S. 41. Mary Nolan betont, dass die Aneignung amerikanischer Einflüsse sehr unterschiedlich in verschiedenen Bereichen ausfiel: Während beispielsweise Marketing und Konsum stark amerikanisiert wurden, wurde bei den industriellen Beziehungen und der Unternehmensführung deutsche Traditionen fortgeführt, vgl. Nolan: Varieties, 2006, S. 103. 82 Abelshauser: Kulturkampf, 2003, S. 130. 83 Abelshauser: Umbruch, 2001, S. 505.

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nommen wurden. Dennoch lässt sich auch in diesem Bereich von einer Kontinuität im Wandel sprechen: Die Fabrik sollte zum Lebensraum werden, indem sowohl ihre architektonische und ästhetische Gestaltung als auch die Ausformung der Betriebsatmosphäre gleichermaßen human und rational erfolgen sollte. Wesentlich für diesen Pfad war, dass der Eigen-Sinn der Arbeiter/-innen zunehmend als Bestandteil des Produktionsprozesses akzeptiert wurde. Dabei waren allerdings unterschiedliche Ausprägungen möglich: Am einen Ende stand ein Produktionsablauf, der eigen-sinniges Verhalten einplante und deshalb nicht gestört wurde, am anderen Ende eine Produktion, die gezielt auf die aktive Einbringung der Subjektivität und ihrer Potentiale setzte. Innerhalb der grundsätzlich gleichen Problematisierung gab es also die eine Sichtweise, die zunächst den Produktionsprozess optimierte und dann die arbeitenden Subjekte so integrieren wollte, dass sie dieses Optimum nicht durch Störungen verringerten. Hingegen begriff die progressive Variante dieses Denkens die Subjektivität der Arbeiter/-innen als wesentlichen Faktor einer prinzipiell immer weiter verbesserbaren Produktionsordnung. In diesem Sinne lässt sich eine Anregung Radkaus modifizieren und aufgreifen. Abelshauser folgend betont Radkau, dass die in Deutschland vorherrschende „flexible Mechanisierung“ allein aus technischen Gründen den „gewissenhaften Facharbeiter“ und dessen Identifikation mit seiner Arbeit und dem Betrieb erforderte. Diese Bindung an die Facharbeiter sorgte wiederum dafür, dass diese eine gewisse Unabhängigkeit bei der Arbeit und Mitspracherechte eingeräumt bekamen.84 Radkau sieht davon in erster Linie die Meister profitieren, was vom späten 19. bis zum späten 20. Jahrhundert dazu geführt habe, dass am amerikanischen Ideal orientierte Ingenieure über diese Form der „Meisterherrschaft“ geschimpft hätten.85 Wie am Beispiel Humboldt-Deutz gezeigt wurde, konnten deutsche Ingenieure gerade im Austausch mit amerikanischen Managementmethoden eine Lösung des Problems finden, die dem System selbst entnommen war: Die Übertragung von Verantwortung an Selbstkontrolleure und Selbstkalkulatoren stellte aus dieser Perspektive auch eine Beendigung der Meisterherrschaft dar. Diese Ablösung erfolgte nicht von oben, wie es der Taylorismus mit der Übertragung weitreichender Kompetenzen an die Arbeitsvorbereitung bereits geleistet hatte, sondern nun zusätzlich von unten, indem sich auch einfache Facharbeiter als ihr eigener „kleiner Meister“ fühlen konnten.86 Gleichzeitig wurde die gröbste Ausdrucksform der Meisterherrschaft, die 84 Vgl. Radkau: Säkulum, 2010, S. 292f. 85 Vgl. ebd., S. 293. 86 Die SS-Zeitschrift Das schwarze Korps zitierte einen „Selbstkontrolleur“ von HumboldtDeutz: „Jetzt bin ich hier ein kleiner Meister!“, Anonym: Die Freiheit der Leistungsauslese, in: Das schwarze Korps, 31.1.1939. RWWA, Sign. 107-VII/13a. Die Zuverlässigkeit des Zitates ist aufgrund der ideologischen Ausrichtung des Artikels durchaus anzuzweifeln, allerdings entspricht diese Selbstdarstellung eines Selbstkontrolleurs durchaus den



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durchaus üblichen Schimpftiraden von Meistern gegen die Arbeiter, von der Betriebsleitung „streng verboten“. 87 In der Nachkriegszeit verlor die Position des Meisters weiter ihren einstigen Stellenwert, wie Dietmar Süß am Beispiel der bayerischen Montanindustrie aufgezeigt hat. Die Meister mussten einen großen Teil ihrer Entscheidungsbefugnisse an die Arbeitsgruppen und an Arbeiter abgeben, die nun selbst verantwortungsvolle Aufgaben übernahmen; die hierarchische Kluft zwischen Meistern und Arbeitern hatte sich verringert.88 Wie bereits in Kapitel 3 gezeigt, wurden auch die Merkmale sozialer Distinktion in den betrieblichen Sozialräumen weiter abgebaut: Spezielle Meisterräume in den Kantinen und gesonderte sanitäre Anlagen verschwanden. Radkau hat Forschungen über die menschliche Dimension des deutschen Produktionsregimes zu einem Desiderat erklärt. Es sei zu untersuchen, inwiefern die Realisierung des Ideals des deutschen Produktionssystems eine „Frage des vorherrschenden Menschentyps“ sei.89 Ich erachte es für produktiver, die Fragerichtung zu wenden: Inwiefern hingen gewisse Subjektivierungsformen von diesem spezifischen Produktionssystem ab? Zwar war die Entstehung des Systems überhaupt nur in einer von Facharbeitern dominierten industriellen Arbeitskultur denkbar, die weitere Entwicklung des Produktionsregimes führte dann aber zu einer neuen spezifischen Gestalt eines – zunächst vorwiegend männlichen – Arbeiters im partiellen Selbstmanagement. Das Konzept des (teilweise) selbstverantwortlichen Mitarbeiters entstand gleichermaßen in arbeitswissenschaftlichen und soziologischen Debatten wie in der Betriebspraxis seit den 1920er Jahren. Es gewann in der Nachkriegszeit an Einfluss und wurde ausdifferenziert, stellte aber keine Neuerung dar. Auf dieser Argumentation aufbauend muss Rosenbergers Behauptung von der „Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik“ widersprochen werden.90 Ihre Beschreibung des Institutionalisierungsprozesses der Personalabteilungen in der Nachkriegszeit samt den Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Schulen schließt eine Forschungslücke, wenn auch die Periodisierung nicht in Kap. 4 ausgeführten Äußerungen eines später interviewten Zeitzeugen, der den Selbstkontrolleuren distanziert gegenüber stand. Unabhängig von der Authentizität des Zitats macht dessen Inhalt deutlich, dass es im Nationalsozialismus politische Rückendeckung für Maßnahmen zur Erzeugung „kleiner Meister“ am Arbeitsplatz gab. 87 Vgl. Helmut Stein: Denkschrift über Entwicklung und Ausbau der HumboldtDeutzmotoren AG von 1929 bis 1937, Dezember 1939, Bl. 23. RWWA, Sign. 107-VII/9. 88 Vgl. Süß: Kumpel, 2003, S. 167. 89 Vgl. Radkau: Säkulum, 2010, S. 309. 90 Auch Luks wendet zu Recht gegen Rosenberger ein, die Institutionalisierung der Personalabteilungen sei zwar in der Tat zumeist erst in der Nachkriegszeit erfolgt, die grundsätzliche Problematisierung reiche aber in die zwanziger Jahre zurück, vgl. Luks: Betrieb, 2010, S. 53.

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überzeugt. Beispielsweise kann die Einschätzung, die vom Bayer-Personalchef Fritz Jacobi 1963 formulierten Ziele der betrieblichen Personalpolitik seien „geradezu revolutionär“, nicht geteilt werden. Vielmehr hatten sowohl wissenschaftliche Experten und Expertinnen als auch Manager in den Betrieben seit den 1920er Jahren in ähnlicher Form vom „selbstverantwortliche[n] Mitarbeiter“ gesprochen.91 Auch die Broschüre, die Bayer in der Nachkriegszeit an die Beschäftigten verteilte, um ihnen das Selbstverständnis des Unternehmens näher zu bringen und über ihre eigenen Rechte und Pflichten aufzuklären, kann nicht mit Rosenberger als Zeichen einer „neuen Personalpolitik“ verstanden werden.92 Sie erinnert stark an die Broschüre, die Deutz-Direktor Helmut Stein 1929 bei Frigidaire im Rahmen seiner USA-Reise kennenlernte und dann nahezu wörtlich für seinen Betrieb übernahm. Aus ihren Quellen heraus erscheinen Rosenbergers Schlussfolgerungen logisch: Um 1970 herum sei in den Betrieben der „Übergang von Konfrontation zur Kooperation“ erfolgt, an die Stelle des „Kommandieren[s] und Befehlen[s]“ sei das „Überzeugen“ getreten.93 Dieser Eindruck kann durchaus entstehen, weil der Prozess – wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde – zwar deutlich früher eingesetzt hatte, aber auch in der Nachkriegszeit noch nicht abgeschlossen war. Obwohl bereits in der Weimarer Republik sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis erkannt worden war, dass der Befehl als Führungsmittel der Überzeugung unterlegen ist, verschwand er keinesfalls vollständig aus dem Arbeitsleben. Eine historische Perspektive, die wie Rosenberger mit politischen Zäsuren einsetzt, kann also leicht dazu führen, den Beginn der Debatte und die Kontinuitäten über 1933 und 1945 hinweg zu übersehen. Zur Aufweichung von Hierarchien führten geänderte Führungsstile, wie Rosenberger überzeugend einwendet, zudem keinesfalls automatisch: Häufig blieben die Gespräche der Vorgesetzten mit den Mitarbeitern auch unter dem Leitbild des Überzeugens eine Einbahnstraßenkommunikation.94 Bis in die Gegenwart können auch Instrumente einer modernen Personalführung, wie Mitarbeitergespräche von Vorgesetzten, gezielt dazu benutzt werden, Druck auszuüben.95 Zum einen waren also Formen des Selbstmanagements bereits in den 1920ern Jahren bekannt, zum anderen verschwand auch in der Nachkriegszeit keinesfalls das disziplinarische Element vollständig aus dem Personalmanagement.

91 Vgl. Rosenberger: Experten, 2008, S. 354. 92 Vgl. ebd., S. 267. 93 Vgl. ebd., S. 420. 94 Vgl. Rosenberger: Demokratisierung, 2004, S. 351. 95 Das zeigt Müskes volkskundliche Untersuchung eines Hamburger Versandhandelsunternehmens, die der Zeit vom Ende der 1960er Jahre bis in die Gegenwart nachgeht, vgl. Müske: Arbeitsalltag, 2010, S. 45.



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Dennoch fanden selbstverständlich grundlegende Veränderungen in der Nachkriegszeit statt. Wie Josef Mooser in seiner wichtigen sozialhistorischen Studie über Arbeiterleben in Deutschland gezeigt hat, bedeutete die fortgesetzte Rationalisierung zwar nicht, wie oft befürchtet, das Ende des qualifizierten Facharbeiters an sich, wohl aber verschwand der Typus des handwerklichen Facharbeiters. An seine Stelle trat der „polyvalente Facharbeiter“, der in seiner Vielseitigkeit „eher den Beruf als die Stelle“ wechselte, während sein Vorgänger in der Regel seinen Beruf einen Leben lang ausübte, wenn auch in unterschiedlichen Betrieben.96 Diese neue Vielseitigkeit kann sowohl die parallel erfolgende quantitative als auch die qualitative Zunahme der Selbstverantwortung am Arbeitsplatz erklären. Zudem gab es eine materielle Basis der Individualisierung, die auch außerhalb des Arbeitsplatzes erfolgte. Im Jahr 1970 hatte der bundesdeutsche Durchschnittsarbeiter nach Abzug von Wohnung, Ernährung und Kleidung 40 Prozent seines Einkommens zur freien Verfügung, während es 1950 nur 25 Prozent waren (und 1910 lediglich 10 bis 20 Prozent).97 Unter solchen sozialen Verhältnissen ließen sich die schon länger flottierenden Konzepte vom Selbstmanagement der Arbeiter/-innen verstärkt umsetzen. Wie auch Meskill in seiner Studie zur deutschen Arbeitsverwaltung darlegt, hatte das Interesse am Faktor Mensch zwei Pole: Bis zum Beginn der 1920er Jahre erschien der menschliche Faktor als potentielle Störquelle, deren ungewollte Einflüsse es zu verhindern galt. Seit Mitte der zwanziger Jahre überwog dann ein Blick auf die Facharbeiter, der sie als ein auszuschöpfendes Potential betrachtete, das für die Vorstellung von der deutschen Qualitätsarbeit von zentraler Bedeutung war.98 Da die Arbeitsverwaltung sich vor allem mit männlichen Facharbeitern beschäftigte, lässt sich hier eine klare Chronologie festmachen. Im Falle der Fabrikarbeit differenziert sich, wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt, das Bild. Grundsätzlich gibt es große Schnittmengen mit den von Meskill beschriebenen Entwicklungen, allerdings kam bei der Industriearbeit den Faktoren Branche, Qualität und Geschlecht eine wichtige Rolle dahingehend zu, inwieweit es beim Einsatz der Arbeitskräfte in erster Linie um die Vermeidung von Störungen oder um die permanente Entwicklung eines prinzipiell unbegrenzten Potentials ging. Folglich erfasst Luks in seiner Studie über Ordnungsdenken im industriellen Betrieb nur eine Seite des Phänomens, wenn er das Ziel der betrieblichen Ordnung darin sieht, dass sie „frei von Störungen sein sollte“.99 Das ist richtig, erfasst aber 96 Vgl. Mooser: Arbeiterleben, 1984, S. 64f. 97 Vgl. Meskill: Workforce, 2010, S. 229. 98 Vgl. ebd., S. 129. Ähnlich verlief die Entwicklung der frühen schweizerischen Berufsberatung, die ebenfalls die Persönlichkeit als „ökonomisch verwertbare Ressource“ entdeckte, Saxer: Persönlichkeit, 2011, S. 370. 99 Luks: Betrieb, 2010, S. 218.

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nur den disziplinarischen Aspekt. Darüber hinausgehend musste die Ordnung dergestalt produktiv sein, als sie produktive Subjekte hervorbringen sollte. Die Grenzen der Disziplinargesellschaft wurden also nicht, wie Luks konstatiert, erst in den neunziger Jahren sichtbar. Die von ihm richtig bezeichneten Kennzeichen ihrer Begrenztheit – Individualisierung und Eigenverantwortung – entfalteten ihre Wirkung bereits seit den zwanziger Jahren.100 Wie der Sozialwissenschaftler Moldaschl festhielt, versprach der Taylorismus beides, Rationalisierung und Humanisierung. Allerdings hätten weder der Taylorismus noch die Human-Relations-Schule oder spätere Ansätze dieses Versprechen eingelöst.101 Humanistische Wünsche konnten damit gewiss nicht erfüllt werden, in einem funktionalen Sinn jedoch rückte der Mensch in den Mittelpunkt der Produktion, nämlich als eine steigerungsfähige Ressource. Dieser Prozess begann nicht erst in der Nachkriegszeit, wie Bernet und Gugerli argumentieren. Sie fassen das Human Resource Management (HRM) überzeugend als ein Zusammengehen der Parole vom „Menschen im Mittelpunkt“ mit einer „ökonomischen Verwertungslogik“ auf.102 Allerdings lässt sich das HRM keinesfalls als Konkretisierung der theoretischen Überlegungen von Gary Becker und anderen Wirtschaftswissenschaftlern zum Humankapital in der Nachkriegszeit verstehen.103 Vielmehr entstand – wie auch Kaufman überzeugend dargelegt hat – das moderne HRM bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.104

E IGENINITIATIVE IN DDR-B ETRIEBEN UND DAS B RIGADEWESEN Unter völlig anderen politischen Voraussetzungen standen industrielle Betriebe in der DDR vor einem ähnlichen Problem. Renate Hürtgen sieht sogar die „ganze Anstrengung“ des Staates auf diesen Bereich gerichtet: Das zentrale Ziel sei die Hervorbringung eines Typus von Arbeitern und Arbeiterinnen gewesen, der sich aktiv in den Arbeitsprozess einbrächte und mitdächte, sich also zumindest in Bezug auf seine Arbeitsbereitschaft, „wie ein ‚echter‘ Eigentümer“ verhielte.105 Von den Arbeitenden in den „volkseigenen Betrieben“ wurde somit unter anderen Vorzeichen letztlich auch unternehmerisches Denken und Handeln verlangt. Hürtgen weist allerdings darauf hin, dass diese Versuche schnell zu Enttäuschung auf beiden Seiten

100 Vgl. ebd., S. 277. 101 Vgl. Moldaschl: Subjektivierung, 2002, S. 41. 102 Vgl. Bernet/Gugerli: Resonanzen, 2011, S. 442. 103 Vgl. ebd., S. 441. 104 Vgl. Kaufman: Human Factor, 2008. 105 Hürtgen: Entwicklung, 2001, S. 23.



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führten. Im betrieblichen Alltag der DDR waren die organisatorischen Voraussetzungen zur Mitarbeit in der Regel gar nicht gegeben, die Anstrengungen liefen ins Leere, die eigenen Arbeitsbedingungen konnten dadurch nicht verbessert werden. 106 Verschiedene Bemühungen in diese Richtung wurden gleichwohl angestellt und waren zum Teil durchaus wirkungsvoll in der Motivationssteigerung. So wurden am Ende der fünfziger Jahre in einigen Betrieben regelmäßige Produktionsberatungen abgehalten, bei denen den Arbeitern und Arbeiterinnen die Gelegenheit gegeben wurde, sich über betriebliche Entwicklungen zu informieren und zu diesen Stellung zu beziehen. Mit diesem Vorgehen sollte die Apathie der Arbeiter/-innen abgebaut und ihr Verantwortungsgefühl entwickelt werden.107 Port betrachtet dies als eine „Antwort der DDR“ auf die betriebliche Mitbestimmung in der Bundesrepublik.108 Die Problematisierung war also die gleiche, die Lösungsansätze unterschieden sich jedoch. Das grundsätzliche Problem stellte sich allerdings bereits in der Zwischenkriegszeit: Wie werden aus apathischen Arbeitern interessierte Mitarbeiter? Der Versuch, dieses Problem über Leistungsanreize anzugehen, war ein naheliegender Weg. In der DDR wurde dieser Ansatz gegen Ende der sechziger Jahre aufgegriffen, indem die betriebliche Sozialpolitik stärker mit der Wirtschaftspolitik verknüpft werden sollte, um die weit verbreitete Versorgungsmentalität der Arbeiter/-innen zu bekämpfen und die Bereitschaft zur Mitverantwortung zu stärken. Hübner betont allerdings in seiner Untersuchung der betrieblichen Sozialpolitik in der DDR, dass diese in Vorbereitung des VII. Parteitags der SED von 1967 ausgearbeiteten Positionen durchaus umstritten waren. Führende Arbeitswissenschaftler/innen sahen dagegen die Hauptaufgabe der betrieblichen Sozialpolitik in der sozialen Sicherung, nicht im Leistungsanreiz.109 Die Leistungsorientierung war Teil des Neuen Ökonomischen Systems, das seit 1963 versuchte, die Eigeninitiative der Arbeiter/-innen und eine stärkere Selbstverwaltung der Betriebe zu fördern. Letztlich konnte sich das Leistungsmoment nur sehr bedingt durchsetzen, die wichtigste Aufgabe der betrieblichen Sozialpolitik blieb die soziale Befriedung.110 Kopstein hat derartige Entwicklungen in der DDR damit erklärt, dass von der Staatsgründung an ein stillschweigender Gesellschaftsvertrag gültig gewesen sei, der die Stabilität des Systems gewährleistete, indem das egalitäre Lohnsystem nicht angetastet worden sei. Der – nach dem Aufstand im Juni 1953 verstärkte – Zwang zur Rücksicht auf die Arbeiter/-innen verhinderte somit die Etablierung von Leis-

106 Ebd., S. 24. 107 Port: Stabilität, 2010, S. 180. 108 Ebd., S. 181. 109 Hübner: Betriebe, 2006, S. 731. 110 Vgl. Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 732; Hübner: Betriebe, 2006, S. 731.

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tungslohnsystemen.111 Auf betrieblicher Ebene lag dem vor allem die Sorge zugrunde, qualifizierte Facharbeiter/-innen, die kaum zu ersetzen waren, könnten den Betrieb verlassen. Deshalb duldeten Meister und Abteilungsleiter häufig disziplinarische Verstöße und verhinderten Normenerhöhungen.112 Facharbeiter machten den Kern des ideologischen Selbstverständnisses des Systems aus und waren auch quantitativ von weit größerer Bedeutung als die vergleichbare Beschäftigtengruppe in der Bundesrepublik.113 Der Facharbeiteranteil lag in der DDR in den meisten Branchen um 90 Prozent (Bundesrepublik: durchschnittlich 42 Prozent) und betrug selbst in der Nahrungsmittelbranche 75 Prozent (Bundesrepublik: 25 Prozent).114 Es kann Kleßmanns Resümee zugestimmt werden, dass die Facharbeiter in der DDR „ideologisch unverzichtbar“ waren, wodurch letztlich die ökonomisch notwendige Modifizierung des Lohnsystems verhindert wurde.115 Jarauschs Rede von der „Fürsorgediktatur“ verweist zwar auf ein wesentliches Strukturelement der DDR, führt aber leicht zu dem Missverständnis, die Fürsorge sei das Kernanliegen des Staates gewesen.116 Das Hauptziel der Politik war jedoch nicht die soziale Wohlfahrt, sondern die Sicherung der Macht der Partei.117 Die Sozialpolitik stellte ein wichtiges Mittel zur Erreichung dieses Zieles dar. Da Versuche, die Sozialpolitik stärker mit Leistungsanreizen zu durchsetzen, also auf ökonomische Belange hin auszurichten, mehrfach scheiterten, dominierte der Fürsorgeaspekt letztlich allein aus machtpragmatischen Motiven. Während die grundsätzlichen Formen, in denen in beiden deutschen Nachkriegsstaaten der menschliche Faktor des Industriebetriebs problematisiert wurde, einander glichen, verhinderten politische Faktoren in der DDR eine Lösung über die Leistungsorientierung. In der DDR waren die Mittel der Leitung zur betrieblichen Herrschaft deutlich beschränkter als im Kapitalismus.118 Elementare Disziplinierungshebel über den Arbeitsmarkt fehlten: Es konnte nicht mit Entlassung und Arbeitslosigkeit gedroht werden.119 Erst auf dieser Basis einer gesellschaftlichen Disziplinierung hätten im Arbeitsprozess teilautonome Freiräume für die Arbeiter/innen einen auf Eigeninitiative beruhenden Leistungsanstieg verheißen können. Die Wege, die in der Bundesrepublik (und ansatzweise in der Weimarer Republik) ein111 Vgl. Kopstein: Politics, 1997, S. 39. 112 Vgl. Fink: Stahl- und Walzwerk, 2012, S. 523; Port: Stabilität, 2010, S. 231. 113 Vgl. Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 23. 114 Vgl. Kopstein: Politics, 1997, S. 167. 115 Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 23. 116 Vgl. Jarausch: Care, 1999, S. 59f. Bouvier kommt zu dem ähnlichen Ergebnis, die DDR sei als „Versorgungsdiktatur“ zu charakterisieren, Bouvier: Sozialpolitik, 2007, S. 161. 117 Hübner: Stagnation, 1999, S. 297. 118 Vgl. Friedreich: Autos, 2008, S. 292. 119 Vgl. Madarász: Working, 2006, S. 22.



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geschlagen wurden, um ein Selbstmanagement von Arbeitern und Arbeiterinnen für den Produktionsprozess nutzbar zu machen, standen also in der DDR nicht zur Verfügung. Allerdings wurde im Sozialismus ein anderes Modell entwickelt, das ebenfalls die Eigeninitiative der Arbeiter/-innen zu fördern versprach: das Brigadewesen. Am Ende der achtziger Jahre waren etwa 5,5 Millionen Arbeiter/-innen und Angestellte, also etwa drei Viertel aller Beschäftigten, in Brigaden organisiert. Die Brigaden, die synonym als „Kollektiv“ bezeichnet wurden, stellten eine Unterstruktur innerhalb eines Meisterbereichs dar. Viele Beschäftigte waren bereits mit ähnlichen Strukturen in kapitalistischen Betrieben, den Arbeitskolonnen, vertraut. Die spezielle Form der Brigade lehnte sich allerdings an die sowjetische Arbeitspraxis an.120 Die große Bedeutung der Brigaden für den Arbeitsalltag muss berücksichtigt werden, um Niethammers Behauptung, an der Werkbank habe „die größte Freiheit in der DDR“ geherrscht, einordnen zu können.121 Reichel hat gegen Niethammer eingewendet, dass Industriearbeiter/-innen zwar in der Tat gewisse Freiräume genossen, da Krankfeiern, Arbeitsbummelei und sogar unentschuldigtes Fernbleiben in der Regel aufgrund der zurückhaltenden Personalpolitik der Betriebsleitungen folgenlos blieben, gleichzeitig aber auf die „weitgehende ‚Durchherrschung‘“ der Betriebe in der DDR hingewiesen.122 Seit den siebziger Jahren wurden nämlich auch niedrige Vorgesetztenpositionen in den Betrieben regelmäßig gezielt mit Parteimitgliedern besetzt.123 Wie Vietzke in seiner Studie über das Verhältnis von Arbeiter/-innen und Funktionären bzw. Funktionärinnen in Betrieben vor und nach dem Mauerbau zeigt, übten die Brigaden ihre Herrschaft so „geschmeidig“ aus, dass bei ehemaligen Beschäftigten heute die Erinnerung an die Brigaden als „herrschaftsfreie Räume“ überwiegt.124 Insofern deckt sich Niethammers These mit den Erinnerungen der Arbeiter/-innen, wobei gleichermaßen eine Form der Herrschaft ausgeblendet wird, weil sie weitgehend ohne Konfrontationen auskam und zumeist auf Repressionen verzichtete.125 Nachdem bereits in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Jugendbrigaden gegründet worden waren, wurden 1950 in der DDR Produktionsbrigaden eingeführt, die dem Wettbewerb der Brigaden untereinander sowie der individuellen Förderung von Eigeninitiative und Selbstdisziplin dienen sollten. Bereits am Ende 120 Vgl. Reichel: Brigadebewegung, 2011, S. 9, 24. 121 Niethammer: SED, 1997, S. 327. 122 Reichel: Arbeitsgesellschaft, 2001, S. 102f., 110. 123 Ebd., S. 92. An anderer Stelle weist Reichel auf lokale Unterschiede hin: In einigen Betrieben wurde von den Meistern die Parteiangehörigkeit verlangt, von den Brigadieren hingegen nicht, vgl. Reichel: Brigadebewegung, 2011, S. 321. 124 Vietzke: Konfrontation, 2008, S. 253. 125 Vgl. ebd.

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des Jahres gab es knapp 100.000 solcher Brigaden.126 Teilweise beteiligten sich Arbeiter/-innen aktiv an der Bildung von Brigaden. Mit gewachsenem Selbstbewusstsein gegenüber Meistern und Vorarbeitern sahen sie darin die Gelegenheit, größere Autonomie am Arbeitsplatz zu gewinnen.127 Die politische Führung hatte diese Gefährdung der Meisterposition durch die aufkommenden Brigaden nicht bedacht und stärkte in den folgenden Monaten wieder die Stellung der Meister, die die SED benötigte, um ihre Autorität in den Betrieben zu sichern. Das Meistergesetz von 1952 sicherte die alte Position der Meister und nahm den Brigaden einen Teil ihrer kurzzeitigen Macht.128 Die Betriebsleitung hatte nun die Möglichkeit, die Brigaden jederzeit aus technologischen Gründen, die sich leicht fingieren ließen, aufzulösen.129 Bereits in der Anfangsphase der Brigadebildung offenbarte sich also ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Zielen: der Steigerung der Eigeninitiative der Arbeiter/-innen einerseits und der weiteren Gewährleistung ihrer Disziplinierung andererseits. Zudem erfüllten sich nicht die Hoffnungen der Betriebsleitungen, die Brigadiere als beste Arbeiter ihrer Brigade würden die Brigaden zu einer Leistungssteigerung antreiben. Auch Brigadiere und Brigadierinnen waren wie ihre Arbeiter/-innen an einer hohen Normerfüllung interessiert, was zur weitverbreiteten Praxis der Normmanipulation führte.130 Außerdem gab es große lokale Unterschiede: Einzelne Betriebe wie Carl Zeiss Jena wurden weiterhin von einer autoritären Herrschaft der Meister geprägt.131 Wie Hürtgen in ihrer Studie über Industrieangestellte in der DDR dargestellt hat, wandelten sich allerdings in der DDR wie parallel in der Bundesrepublik die Aufgaben des Meisters nach und nach. Wichtiger als die technischen Fertigkeiten wurden seine Fähigkeiten als „Menschenführer“.132 Die jüngere Forschung hält fest, dass die organisatorischen Grundstrukturen sich auch in den VEBs weiterhin am Leitbild des Taylorismus/Fordismus orientierten. Auf dieser Basis wurde auch das Modell einer „sozialistischen Rationalisierung“ entwickelt.133 Hübner hat daran ein wesentliches Kennzeichen des Arbeitslebens in der DDR festgemacht: Zwar hatten sich die Eigentumsverhältnisse an den Produktionsmitteln radikal gewandelt, doch im technischen und technologischen Bereich sowie in Personalführungsfragen herrschte eine weitgehende Kontinuität.

126 Vgl. Fulbrook: Leben, 2008, S. 244. 127 Vgl. Rösler: Brigadier, 1994, S. 262. 128 Vgl. ebd., S. 269-272. 129 Vgl. Rösler: Rolle, 1999, S. 433. 130 Vgl. Rösler: Brigadier, 1994, S. 267. 131 Vgl. ebd., S. 273. 132 Vgl. Hürtgen: VEB, 2009, S. 149ff. 133 Vgl. Vietzke: Konfrontation, 2008, S. 29f.; Hürtgen: VEB, 2009, S. 31; Klenke: Kampfauftrag, 2008, S. 12, 121.



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Dieser Widerspruch wurde niemals aufgelöst. 134 Kleßmann hat hinsichtlich der Kontinuitäten die Ähnlichkeit der frühen Brigaden mit den Kolonnen in kapitalistischen Betrieben unterstrichen. Erst die „sozialistischen Brigaden“, die ab 1959 gebildet wurden, erfassten stärker das Privatleben der Arbeiter/-innen.135 In der Endphase der DDR erfüllten die Brigaden für die in ihnen Organisierten eine wichtige Rolle als gesellschaftliche Netzwerke und „Ersatzvereine“.136 Impulse innerhalb der SED, die Selbstverwaltung der Brigaden zu stärken, scheiterten allerdings 1960 an einem Machtwort Ulbrichts. Die Entwicklung der Brigaden stagnierte zunächst, ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wuchsen sie dann quantitativ stark an, ohne jedoch erneut die Machtfrage im Betrieb zu stellen.137 Brigadiere wurden nun stets von der Betriebsleitung bestimmt, Wahlen fanden nicht mehr statt, und die hierarchischen Konflikte zwischen Meistern und Brigadieren waren grundsätzlich geklärt.138 Letztlich konnte aber auch mit den Brigaden weder die gewünschte Leistungssteigerung, noch eine erhöhte Eigeninitiative oder ein verstärkter Wettbewerb zwischen den einzelnen Brigaden erzeugt werden. Zwar ähnelten die Problematisierungen wie die Intentionen der politischen und betrieblichen Leitungen den Fragestellungen, die in der Bundesrepublik auf der Agenda standen, und auch jenen, die bereits in Deutschland vor 1945 diskutiert worden waren. Die spezifischen Voraussetzungen in der DDR rückten jedoch vor allem eines in den Mittelpunkt: den Wunsch, die eigene Stammarbeiterschaft zu erhalten.139 Das entsprach weitgehend den Zielen der Sozialpolitik in paternalistischen Betrieben des Kaiserreichs (vgl. Kap. 5) und weniger den Bestrebungen, Sozialpolitik ökonomisch einzusetzen und das Leistungsmoment zu stärken.140 Die spezifische Struktur sozialistischer Betriebe – die Teilung der betrieblichen Macht auf drei Säulen: die staatliche Leitung der Betriebsdirektion, die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) und die Betriebsparteileitung (BPL) – verstärkte diese Tendenzen durch einen „permanenten Konflikt“ um die Entscheidungsgewalt.141 Wie Fink am Beispiel des Stahl- und Walzwerk

134 Vgl. Hübner: Stagnation, 1999, S. 301. Der Wirtschaftswissenschaftler Busch stellt den Sachverhalt ähnlich dar: „Die DDR entwickelte sich somit als ein planwirtschaftlich organisiertes Gesellschaftssystem auf der Grundlage einer fordistischen Ökonomie.“, Busch: DDR, 2009, S. 38. 135 Vgl. Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 469; Alheit/Haak: Autonomie, 2004, S. 113. 136 Vgl. Soldt: Beispiel, 1998, S. 105. 137 Vgl. Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 471; Reichel: Brigadebewegung, 2011, S. 220. 138 Vgl. ebd., S. 319. 139 Vgl. Port: Stabilität, 2010, S. 231; Fink: Stahl- und Walzwerk, 2012, S. 523. 140 Vgl. Hübner: Betriebe, 2006, S. 738. 141 Vgl. Friedreich: Autos, 2010, 287.

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Riesa nachweist, wurden in vielen Fällen von der Werksleitung ausgesprochene Disziplinarstrafen von der BGL und der BPL außer Kraft gesetzt.142 Obschon die Brigaden die in sie gesteckten Hoffnungen einer ökonomischen Belebung kaum erfüllen konnten, waren sie insofern ein Erfolg, als sie auf nahezu allgemeine Akzeptanz unter den Arbeitern und Arbeiterinnen stießen. Sie verringerten das innerbetriebliche Konfliktpotential und stellten das zentrale Kommunikationszentrum der Belegschaften dar.143 In diesem Sinne können sie als ein Lösungsansatz des Lebensraumproblems betrachtet werden, das zuerst in den zwanziger Jahren diskutiert worden war (vgl. Kap. 3). Ähnlich wie im Ansatz der Gruppenfabrikation, die der Sozialpsychologe Hellpach und der Ingenieur Lang zusammen in der Weimarer Republik entwickelten, stellte diese Form einen Versuch dar, dem Problem der Vereinzelung der Arbeiter in der Fabrik beizukommen. Es ging darum, eine spezifische Organisation der industriellen Produktion zu gewährleisten, damit in der Fabrik nicht nur gearbeitet, sondern auch ‚gelebt‘ wurde.144 Es lässt sich durchaus vermuten, dass das Brigadewesen insofern erfolgreich war, als die Arbeiter/-innen die Brigade tatsächlich als Teil ihres Lebens empfanden.145 Zur Ausbildung individueller Selbstverantwortung als ökonomisch verwertbare Ressource kam es jedoch kaum. Vermutlich war dies unter den gegebenen gesellschaftlichen und politisch-ökonomischen Verhältnissen nur in sehr begrenztem Umfang möglich. Klenkes Untersuchung der mikroelektronischen Branche in der DDR stellt den Unterschied zwischen den sozialistischen Brigaden und der kapitalistischen Teamarbeit heraus. Während bei der Teamarbeit im Westen der Selbstverantwortung der Teammitglieder eine zentrale Bedeutung zukam, wurde die externe Kontrolle der Arbeit in den Brigaden nie in größerem Umfang reduziert.146 Die Disziplinierung blieb im Arbeitsleben der DDR, obwohl sie immer von einer gewissen Rücksichtnahme auf die Facharbeiter/-innen geprägt war, wichtiger als die Selbstlenkung der Arbeiter/-innen. Unter der Zielsetzung einer von den Arbei142 Vgl. Fink: Stahl- und Walzwerk, 2012, S. 501, 507. 143 Vgl. Kleßmann: Arbeiter, 2007, S. 228, 476. 144 Auf diese Art fassten Lang und Hellpach das „Fabrikproblem“ als „Lebensraumproblem“, vgl. Lang/Hellpach: Gruppenfabrikation, 1922, S. 8f., 26. 145 Die Brigaden trugen somit wesentlich dazu bei, den Arbeitsplatz zum Ort der „Vergesellschaftung“ zu machen, vgl. Soldt: Beispiel, 1998, S. 106. Die meisten ehemaligen Brigadeangehörigen erinnern sich zumeist positiv an die Brigaden als eine „alltägliche, ganz selbstverständliche, weitgehend unpolitische“ Institution, vgl. Reichel: Brigadebewegung, 2011, S. 330. 146 Vgl. Klenke: Kampfauftrag, 2008, S. 134ff. Auch in der kapitalistischen Teamarbeit lief der Prozess allerdings nicht widerspruchsfrei ab; zum Teil eroberten sich Meister ihre Befugnisse zurück. Die Tendenz stärkte aber die Selbstverantwortung der Arbeiter/innen, vgl. ebd., S. 134.



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tenden selbst forcierten Leistungssteigerung stellte diese betriebliche Disziplinierung nur einen unzulänglichen Ersatz für die fehlende gesellschaftliche Disziplinierung durch einen kapitalistischen Arbeitsmarkt mit drohender Entlassung und Arbeitslosigkeit dar. Die Voraussetzungen für die betriebswirtschaftliche Nutzbarmachung eines Selbstmanagements der Arbeiter/-innen waren in der DDR nicht gegeben.

F RAUEN UND M IGRANTEN : DAS R ATIONALISIERUNGSPROLETARIAT IN BEIDEN DEUTSCHEN S TAATEN Die vorangegangene Darstellung verlangt nach einer Differenzierung. Wie bereits in den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit ausgeführt wurde, war es niemals Ziel der Unternehmen, der gesamten Belegschaft größere Freiräume in der Hoffnung zukommen zu lassen, dies wirke sich leistungssteigernd aus. Zwar wurde teilweise auch bei der als unqualifiziert eingestuften Fließbandarbeit die externe Beaufsichtigung zurückgenommen, eine Übertragung von Verantwortung an die Arbeiter/innen erfolgte aber nicht, weil diese Tätigkeiten so organisiert waren, dass sie kaum Spielraum für eigene Entscheidungen ließen. Hingegen boten sich beispielsweise im Maschinenbau, wo männliche Facharbeiter, wie am Beispiel KHD gezeigt wurde, die Kerngruppe der Beschäftigten ausmachten, aufgrund der Unverzichtbarkeit qualifizierter Tätigkeiten Experimente mit dem Selbstmanagement der Arbeiter an. Ähnliche Differenzierungen müssen für die Situation in der DDR vorgenommen werden. Ansorg hat auf der Basis ihrer Untersuchungen zur Textilindustrie die Verallgemeinerung der These von der „Macht der Arbeiterschaft“ in der DDR kritisiert. In einem Betrieb, in dem hauptsächlich Frauen ohne industrielle Arbeitserfahrungen beschäftigt waren, stellte sich die Lage völlig anders dar als in den der Thesenbildung zugrundeliegenden Branchen, die von gut ausgebildeten männlichen Facharbeitern dominiert waren.147 Beispielsweise verfügten die Arbeiterinnen nicht über die notwendige Erfahrung, um bei schlechten Arbeitsbedingungen von der Betriebsleitung Verbesserungen verlangen und diese in Aushandlungsprozessen durchsetzen zu können.148 In erster Linie waren männliche Facharbeiter eine unverzichtbare Ressource, weshalb sie, wie in den vorhergehenden Abschnitten beschrieben, einen Einfluss auf die Festsetzung von Normen und Prämien geltend machen und mit einer gewissen Toleranz gegenüber disziplinarischen Verstößen rechnen konnten.

147 Ansorg: Situation, 2001, S. 112f. 148 Ebd., S. 117f.

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Auch in der DDR erreichten Arbeiterinnen trotz des offiziellen Bekenntnisses zur Emanzipation deutlich seltener als ihre männlichen Kollegen den Facharbeiterstatus.149 Neben dem objektiven Kriterium des Arbeitskräftemangels, den grundsätzlich auch qualifizierte Arbeiterinnen für ihre Zwecke ausnutzen konnten, musste, wie Ansorg betont, das subjektive Moment des Wissens um die eigene Machtposition und der Vertrautheit mit kollektiver Interessenvertretung gegeben sein. Es ist jedoch zu vermuten, dass insbesondere in der späten DDR vermehrt auch von – nun erfahrenen und schwer ersetzbaren – Arbeiterinnen die Gelegenheit zur informellen Interessenvertretung genutzt wurde. Die geschlechtliche Struktur der Industriearbeiterschaft ähnelte sich also in beiden deutschen Nachkriegsstaaten: Frauen machten in den Worten Hachtmanns und von Salderns eine Hauptgruppe des „fordistischen Rationalisierungsproletariats“ aus. Dessen zweite Kerngruppe bildeten in der Bundesrepublik ab den sechziger Jahren Migranten.150 Nach dem Mauerbau 1961 stoppte die Übersiedlung ostdeutscher Arbeitskräfte; die entstehende Lücke im Niedriglohnsektor wurde mit der Anwerbung von „Gastarbeitern“ geschlossen.151 Im Jahr 1970 nahmen Frauen und Ausländer etwa 60 Prozent der ungelernten Positionen in der bundesdeutschen Industrie ein. Die Hälfte der deutschen Arbeiterinnen übte eine ungelernte Tätigkeit aus, aber nur 20 Prozent der Männer.152 Hachtmann und von Saldern heben folglich hervor, dass die Rationalisierung also nicht generell, wie oft befürchtet worden war, zu einer Dequalifikation führte, sondern vielmehr zu einer „Polarisierung der Qualifikation“, von der die männlichen deutschen Arbeiter unter zwei Gesichtspunkten profitierten.153 Zum einen sank der Anteil der unqualifizierten Arbeiter seit Mitte der zwanziger Jahre von einem Drittel auf ein Fünftel, während der Anteil der Frauen an den Unqualifizierten unverändert bei ca. 50 Prozent blieb.154 Zum anderen 149 Vgl. Zachmann: Mobilisierung, 2004, S. 263f. Auch Schüle und Clemens heben aufgrund Ihrer Forschungen zu Textilunternehmen in der DDR den Fortbestand patriarchaler Strukturen hervor. Insbesondere blieben die technischen Arbeitsplätze – Einrichten, Warten und Reparieren der Maschinen – weiterhin Männerdomäne, vgl. Schüle: Spinne, 2001, S. 339; Clemens: Tuchbude, 1998, S. 106, 109. Im Automobilbetrieb Sachsenring, in dem Frauen am Ende der achtziger Jahre fast 30 Prozent der Belegschaft ausmachten, wurden die Arbeiterinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen bei Prämienzahlungen und Lohngruppeneinstufungen benachteiligt. Auf diese Weise konnte der politische Wille zur Gleichberechtigung auf Betriebsebene unterlaufen werden, vgl. Friedreich: Autos, 2008, S. 266, 269. 150 Hachtmann/von Saldern: Gesellschaft, 2009, Abs. 4. 151 Herbert: Geschichte, 2001, S. 208; Hachtmann/von Saldern: Gesellschaft, 2009, Abs. 5. 152 Ebd., Abs. 3. 153 Ebd., Abs. 5. 154 Ebd., Abs. 3.



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stiegen die Facharbeiter vor allem in den sechziger Jahren weiter auf: Etwa 2,3 Millionen Deutsche wechselten zwischen 1960 und 1970 von Arbeiter- in Angestelltenpositionen.155 Dieser Aufstieg wurde allerdings vor allem von der Unterschichtung durch das ausländische Subproletariat ermöglicht.156 Die ausländischen Arbeitskräfte wurden nur in seltenen Fällen als Facharbeiter eingestuft; dreizehn Prozent der männlichen ausländischen Fabrikarbeitskräfte nahmen 1968 in der Bundesrepublik eine qualifizierte Position ein. Bei den ausländischen Frauen waren es sogar nur zwei Prozent.157 Auch nach jahrelanger Bandarbeit erfolgte nur äußerst selten ein Aufstieg. Bei VW wurde beispielsweise erst 1978, siebzehn Jahre nach der Anwerbung der ersten italienischen „Gastarbeiter“, ein Italiener zum Vorarbeiter befördert.158 Im Kontext der vorliegenden Abhandlung lässt sich schlussfolgern, dass erst das vorwiegend weibliche und ausländische „Rationalisierungsproletariat“ die Freiräume des Selbstmanagements für die qualifizierten männlichen bundesdeutschen Arbeiter ermöglichte, weil diese durch die Unterschichtung nun überwiegend in Bereichen tätig waren, die solche teilautonomen Arbeitsformen überhaupt zuließen. Der Zuzug von Arbeitsmigrantinnen und -migranten hatte, neben dem sozialen Aufstieg der männlichen deutschen Arbeiter, auch kulturelle Folgen im Sinne einer Veränderung der bürgerlichen Wahrnehmung und Vorstellung von der Arbeiterschaft. In gewisser Hinsicht verloren die Fabrikexperten das Misstrauen gegen die Arbeiterschaft, das sie noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehegt hatten. So hatte Wilhelm Franz 1923 in seinem Handbuch zur Gestaltung von Fabrikbauten empfohlen, bei der Einrichtung von Waschbecken zu berücksichtigen, dass alle Gegenstände, „die dem freien Gebrauche des Arbeiters überlassen werden“, einer Gefährdung ausgesetzt seien, weil es den Arbeitern an Ordnungssinn und Zuverlässigkeit mangele.159 Zur gleichen Frage, der Gestaltung der sanitären Anlagen im industriellen Betrieb, führte das Taschenbuch Mensch und Arbeit 1966 aus, die Beschäftigung von Ausländern bringe „einige Probleme“ mit sich, weil sie nicht mit „europäischen sanitären Einrichtungen“ vertraut seien und „mitunter übertragbare Parasiten“ mitbrächten.160 Durch diese Unterschichtung in der Repräsentation verlor die deutsche Arbeiterschaft die ihr vormals zugeschriebene Fremdheit und Bedroh-

155 Herbert: Geschichte, 2001, S. 213. 156 Ebd., S. 214. 1973 gab es ca. 2,6 Millionen ausländische Arbeitskräfte in der Bundesrepublik, vgl. ebd., S. 224. 157 Mattes: Gastarbeiterinnen, 2005, S. 202. 158 Vgl. Hunn: Geschichte, 2005, S. 215f. 159 Franz: Fabrikbauten, 1923, S. 122. 160 Institut Mensch und Arbeit: Taschenbuch, 1966, S. 185.

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lichkeit.161 Auch hierin lässt sich ein weiteres Moment sehen, warum Manager und wissenschaftliche Experten dieser Gruppe nun vermehrt zutrauten, selbstverantwortlich zu arbeiten. In der DDR spielte die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte quantitativ nur eine geringe Rolle. Selbst nach einem starken Anstieg in den achtziger Jahren lebten 1989 nur etwa 94.000 „ausländische Vertragsarbeiter“ in der DDR, die 1,4 Prozent aller Beschäftigten in der Industrie ausmachten. Am Ende der siebziger Jahre waren es sogar nur knapp 21.000.162 Allerdings kam es zu lokalen Konzentrationen, weshalb beispielsweise in der Leipziger Baumwollspinnerei ein Viertel der Beschäftigten Ausländer waren.163 Strukturell ähnelten die Verhältnisse – in deutlich geringerer Quantität – denen in der Bundesrepublik: Vertragsarbeiter halfen der DDR bei sektionalem Arbeitskräftemangel, die Vertragsarbeiter/-innen übernahmen in der Regel gering qualifizierte, unattraktive Arbeit.164 Friedreich zeigt, wie im Automobilwerk Sachsenring vietnamesische Vertragsarbeiter mit der gleichen Begründung wie Arbeiterinnen von den zentralen Produktionsabteilungen ferngehalten wurden: Sie seien körperlich zu schwach. Damit wurde die Dominanz der deutschen männlichen Arbeiter in diesen besser bezahlten Kernbereichen erhalten, während die Vietnamesen der schlechter bezahlten Endmontage zugeteilt wurden.165

P OST - FORDISTISCHE A RBEITSVERHÄLTNISSE NACH DEM S TRUKTURBRUCH VON 1973/1974? Gängige soziologische Charakterisierungen gegenwärtiger Arbeitsverhältnisse heben grundsätzlich auf deren Neuartigkeit, auf den fundamentalen Unterschied zur Arbeit im Fordismus ab. Wie die Studien von Voß und Pongratz über den „Arbeitskraftunternehmer“ (vgl. Kap. 3) kann auch die Abhandlung der Wirtschaftswissenschaftlerin Ève Chiapello und des Soziologen Luc Boltanski über den „neuen Geist des Kapitalismus“ als Gegenwartsanalyse überzeugen. Problematisch ist allerdings die Darstellung des Taylorismus bzw. Fordismus, die oft zerrbildartig gerät. Dieses Zerrbild bietet dann überhaupt erst die argumentative Grundlage dafür, einen gro-

161 Vollständig verschwand dieses Moment jedoch nicht aus der Arbeitswelt, vgl. Uhl: Abort, 2011, S. 70f. 162 Vgl. Gruner-Domi: Beschäftigung, 1999, S. 224, 234. 163 Zweigel: Kontrolle, 2011, S. 5. Im Automobilwerk Sachsenring betrug der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte in der Produktion 1989 knapp 17 Prozent, vgl. Friedreich: Autos, 2008, S. 274. 164 Vgl. Gruner-Domi: Beschäftigung, 1999, S. 215, 232f. 165 Vgl. Friedreich: Autos, 2008, S. 279.



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ßen Bruch zwischen fordistischen und „post-fordistischen“ Produktionsweisen zu verkünden. In der Analyse legen Boltanski und Chiapello überzeugend dar, dass aktuelle Arbeitsverhältnisse, die sich durch eine erhöhte Selbstständigkeit und Eigeninitiative der Beschäftigten auszeichnen, insofern von einer „Verschärfung des Ausbeutungsniveaus“ gekennzeichnet sind, als sie auf eine „Nutzbarmachung menschlicher Kapazitäten“ zielen. Genau dieses menschliche Potential habe hingegen der „Taylorismus, der die Menschen als Maschinen behandelte“ weder aufrufen können noch wollen.166 Dieses mechanistische Bild des Taylorismus wird allenfalls den Schriften Frederick W. Taylors selbst gerecht, eignet sich aber nicht zur Beschreibung der unter dem Leitbild des Taylorismus und Fordismus veränderten Arbeitsverhältnisse im 20. Jahrhundert. Meine in dieser Abhandlung vertretene These lautet hingegen, dass die Rationalisierungsbewegung des frühen 20. Jahrhunderts einer Fokussierung auf den Faktor Mensch den Weg geebnet hat. Unmittelbare Folge dieses neuen Blicks waren Versuche, über die menschliche Arbeitskraft hinaus alle menschlichen Potentiale der Arbeiter/-innen für den Produktionsprozess nutzbar zu machen. Diese Ansätze wurden im Verlauf des 20. Jahrhunderts häufiger und umfassender; an sich rechtfertigen sie aber nicht die These von einem Bruch gegenüber dem Taylorismus. Vielmehr sind sie Teil desselben Diskurses. In der Geschichtswissenschaft finden diese soziologischen Forschungsergebnisse ihre Entsprechung. Doering-Manteuffel und Raphael vertreten die These von einem „Strukturbruch“ um 1973/1974, zu dessen zentralen Komponenten sie das Leitbild des „unternehmerischen Selbst“ zählen.167 Das Bild der Industrie sei in dieser neuen Periode „nach dem Boom“ von nahezu menschenleeren Werkhallen bestimmt worden, an die Stelle des klassischen Industriearbeiters sei ein besser und differenzierter ausgebildeter Arbeitnehmer getreten.168 Dieser „polyvalente Facharbeiter“ lässt sich vielmehr mit Mooser als Produkt des Booms zwischen 1950 und 1970 denn als ein Vertreter einer neuen Periode verstehen.169 Außerdem lässt sich selbst die Idee „menschenleerer Fabriken“ durchaus als Element des fordistischen Diskurses begreifen. So weist Hachtmann darauf hin, dass die fordistische Produktionsweise dynamisch ist und in der Tendenz zur Automatisierung drängt.170 166 Boltanski/Chiapello: Geist, 2003, S. 301. 167 Doering-Manteuffel/Raphael: Boom, 2010, S. 9. Doering-Manteuffels und Raphaels Periodisierung schließt grundsätzlich an Ulrich Herberts These der „Hochmoderne“ an, die zum Beginn der 1970er Jahre endete, vgl. Herbert: Europe, 2007, S. 19. 168 Doering-Manteuffel/Raphael: Boom, 2010, S. 54. 169 Vgl. Mooser: Arbeiterleben, 1984, S. 64. 170 Vgl. Hachtmann: Gewerkschaften, 2011, S. 197. Auch der in der vorliegenden Studie oft angeführte KHD-Direktor Helmut Stein brachte in einem Aufsatz aus dem Jahr 1944 seine Vorstellung von „Selbstkontrolle“ und „Selbstverantwortung“ im Betrieb mit der

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Aus unternehmensgeschichtlicher Perspektive ist bereits eingewandt worden, dass der Charakter einer Zäsur kaum an den Jahren 1973/1974 festzumachen ist, dass vielmehr die siebziger Jahre an sich als „Epochenschwelle“ zu verstehen seien.171 Mit Raphael selbst lässt sich argumentieren, dass unterschiedliche Fragestellungen und Handlungsfelder zu unterschiedlichen Zäsuren führen.172 In diesem Sinne ist der Strukturbruch für den Bereich der Industriearbeit in Frage zu stellen; vieles deutet eher auf einen forcierten Wandel in der bereits eingeschlagenen Richtung hin. Die Vorstellung eines Bruchs wird auch in geschichtswissenschaftlichen Studien zu einem großen Teil dadurch erzeugt, dass ein Zerrbild des Fordismus entworfen wird. So kann Seibring in ihrer Abhandlung über die Humanisierung der Arbeit in den siebziger Jahren kaum Produktionsformen identifizieren, die dem von ihr erwarteten Bild des Fordismus entsprechen. Dies erklärt sie damit, dass sich „die Auswüchse der fordistisch-tayloristischen Produktion“ in der Bundesrepublik in Grenzen gehalten hätten.173 Eine solche Vorstellung verkennt, dass grundsätzlich weltweit, wie auch in den USA selbst, hybride Versionen des Fordismus bestimmend waren.174 In der deutschen Ausprägung des Fordismus spielte, wie in den vorangegangen Kapiteln gezeigt wurde, der Faktor Mensch von Beginn an, also bereits in den zwanziger Jahren, eine wichtige Rolle.175 Außerdem verschwinden auch in der Gegenwart keinesfalls Fließbandarbeit und Taylorismus aus der industriellen Produktion. Dieser Eindruck entsteht, wie Hachtmann hervorgehoben hat, vor allem aus einer Eurozentriertheit des Blickes, die Produktionsformen in weiten Teilen der Welt und selbst in den ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas ausblendet. Auch in Deutschland überdauern vergleichbare Produktionsformen bis heute, allerdings nicht in den Großbetrieben, auf die sich zumeist die zeithistorische Forschung konzentriert, sondern in kleineren Zulieferbetrieben. 176 Zusammenfassend lässt sich die Nutzbarmachung subjektiver Potentiale der Arbeiter/-innen als ein Moment fassen, das nicht die fordistische Produktionsweise ablöst, sondern vielmehr mit ihr verbunden entstanden ist. Der Soziologe Moldaschl argumentiert allerdings, die Tatsache, dass die Arbeiter/-innen stets Subjektives in die Arbeit eingebracht hätten, sei zunächst banal. Der Begriff „Subjektivierung“ wäre nur sinnvoll im Zusammenhang mit der Ersetzung tayloristischer und fordistiVision der „Vollautomatisierung“ und der „menschenleeren Fabrik“ zusammen, vgl. Helmut Stein: Menschenleere Fabriken, in: Völkischer Beobachter, 27.2.1944. 171 Reitmayer/Rosenberger: Unternehmen, 2008, S. 12f. 172 Vgl. Raphael: Ordnungsmuster, 2008, S. 91. 173 Seibring: Humanisierung, 2011, S. 111. 174 Vgl. Tolliday: American Model, 2000. 175 Seibrings These, es handele sich um ein neues Phänomen der sechziger und vor allem siebziger Jahre ist also zurückzuweisen, vgl. Seibring: Humanisierung, 2011, S. 112. 176 Vgl. Hachtmann: Gewerkschaften, 2011, S. 208.



K ONTINUITÄT UND A USDIFFERENZIERUNG

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scher Praktiken. Deren Ziel sei es gewesen, den Produktionsprozess unabhängig von der Subjektivität der Arbeiter/-innen zu machen.177 Die Gegenwart zeichne sich hingegen dadurch aus, dass neben das tayloristische Modell ein neues Leitbild gestellt worden sei, das die subjektiven Potentiale für die Produktion einspanne und die aktive Beteiligung und Selbstkontrolle der Arbeiter/-innen ermögliche.178 Ähnlich geht Bröckling von einer grundsätzlichen „Umwertung der Subjektivität der Arbeitenden“ aus. Im Taylorismus sei sie als auszuschaltender Störfaktor begriffen worden, nun werde sie als ein Potential zur Optimierung der Produktionsprozesse begriffen.179 Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung stellen eine solche Dichotomie in Frage. Die Subjektivität der Arbeitenden war seit der Fokussierung auf den menschlichen Faktor der Produktion zu Beginn des 20. Jahrhunderts stets beides: Störgröße und Potential. Abhängig vom jeweils vorherrschenden Produktionsprozess überwog entweder das eine oder das andere Moment. Die Tendenz geht allerdings gewiss zu einer Nutzbarmachung subjektiver Potentiale. Die Gemeinsamkeit beider Ansätze liegt in der Konzentration auf den menschlichen Faktor, im gewissen Sinne also in einer Humanisierung der Vorstellung von einer Optimierung der Produktion. Die rationelle Gestaltung der Fabrik umfasste beides: Die Ausschaltung von subjektiven Störungen und die prinzipiell unbegrenzte Nutzbarmachung subjektiver Potentiale.

177 Vgl. Moldaschl: Subjektivierung, 2002, S. 28. 178 Vgl. ebd., S. 29. 179 Bröckling: Selbst, 2007, S. 224.



Verzeichnisse

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Danksagung

Bei dieser Arbeit handelt es sich um die geringfügig überarbeitete Version meiner Habilitationsschrift, die im Juni 2012 an der Technischen Universität Darmstadt eingereicht wurde. Ohne die Anschubfinanzierung durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Forschungsschwerpunkt „Fokus Geschlechterdifferenzen“) und die Projektförderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hätte diese Studie nicht entstehen können. Die DFG hat zudem die vorliegende Publikation durch einen Druckkostenzuschuss gefördert. Ebenso unverzichtbar war die Unterstützung durch Prof. Dr. Mikael Hård und Prof. Dr. Martina Löw, die mein Forschungsvorhaben von Beginn an ideell gefördert, intellektuell bereichert und auch durch die Hilfe bei der Einwerbung von Drittmitteln materiell ermöglicht haben. Neben ihnen danke ich Prof. Dr. Mary Nolan und Prof. Dr. Ulrich Wengenroth dafür, dass sie diese Habilitationsschrift begutachtet haben. Allen Gutachten entnahm ich wichtige Anregungen, die in die vorliegende Publikation eingeflossen sind. Ohne die freundliche Unterstützung der Mitarbeiter/-innen der besuchten Archive wäre die Archivrecherche freudloser und unergiebiger verlaufen. Für eine äußerst angenehme und ertragreiche Zusammenarbeit danke ich: Dr. Christian Hillen, Joachim Bergmann und Manfred Greitens vom Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchiv, Dr. Richard Winkler und Harald Müller vom Bayerischen Wirtschaftsarchiv, Dr. Karl Borromäus Murr und Dr. Michaela Breil vom Textil- und Industriemuseum (tim) in Augsburg, Gabriele Unverferth und Klaus Pradler vom Westfälischen Wirtschaftsarchiv und den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Bundesarchivs in Berlin. Einige Kollegen und Freunde nahmen die Mühen auf sich, einzelne Kapitel dieser Arbeit mit kritischem Blick zu lesen. Für wichtige Anregungen danke ich PD Dr. Noyan Dinçkal, Dr. Detlev Mares, Dr. Michael Löffelsender und Christian Zumbrägel. Dr. Ana Honnacker, Ronja Rückheim und Alexander Zerbe haben das gesamte Manuskript mit außerordentlicher Sorgfalt gelesen und zu vielen Verbesserungen beigetragen. Über lange Jahre konnte ich mich bei meiner Forschungsarbeit





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bis hin zur Erstellung der Druckvorlage auf die zuverlässige Unterstützung durch die studentische Hilfskraft Nadja Schmitt verlassen. Ihnen allen gilt mein Dank. Insbesondere gilt dies für Ronja Rückheim, ohne deren Unterstützung in allen Lebensbereichen keine Forschungsergebnisse denkbar gewesen wären.