Human Factors in der Industrie : Ein Praxisratgeber: Wie Sie mit Impulsen aus der Luftfahrt Fehler und Nacharbeit vermeiden können [1. Aufl. 2019] 978-3-662-59758-3, 978-3-662-59759-0

Der Alltag in Industriebetrieben ist seit Jahren geprägt von stetig zunehmender Komplexität, Informations- und Dokumenta

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Human Factors in der Industrie : Ein Praxisratgeber: Wie Sie mit Impulsen aus der Luftfahrt Fehler und Nacharbeit vermeiden können [1. Aufl. 2019]
 978-3-662-59758-3, 978-3-662-59759-0

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XIII
Anforderungen an die Industrie der Zukunft (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 1-4
Wozu auf die Luftfahrt blicken? Eine Einführung (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 5-7
Industrielle Fertigung ist wie Fliegen … fast (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 9-19
Front Matter ....Pages 21-21
Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 23-37
Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 39-49
Crew Resource Management (CRM) (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 51-68
Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 69-80
Qualifikation und Training (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 81-90
Personalauswahl und Potenzialanalyse (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 91-97
Über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen können (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 99-104
Front Matter ....Pages 105-105
Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 107-123
Team Resource Management (Martin Hinsch, Jens Olthoff)....Pages 125-134
Back Matter ....Pages 135-139

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Martin Hinsch Jens Olthoff

Human Factors in der Industrie Ein Praxisratgeber: Wie Sie mit Impulsen aus der Luftfahrt Fehler und Nacharbeit vermeiden können

Human Factors in der Industrie

Martin Hinsch · Jens Olthoff

Human Factors in der Industrie Ein Praxisratgeber: Wie Sie mit Impulsen aus der Luftfahrt Fehler und Nacharbeit vermeiden können

Martin Hinsch AeroImpulse Hamburg, Deutschland

Jens Olthoff Hamburg, Deutschland

ISBN 978-3-662-59758-3 ISBN 978-3-662-59759-0  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Verantwortlich im Verlag: Michael Kottusch Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Am 15. Januar 2009 setzten kurz nach dem Start von US-Airways-Flug 1549 am ­Flughafen La Guardia in New York beide Triebwerke des Airbus A320 durch massiven Vogelschlag aus. Nach einem dreieinhalb-minütigen Segelflug landeten die Piloten das Flugzeug mit 150 Passagieren an Bord auf dem Hudson River, ohne dass auch nur ein Mensch zu Schaden kam. Vordergründig ist dieser glimpfliche Ausgang einer fliegerischen Meisterleistung der beiden Piloten zu verdanken. Blickt man aber hinter die Kulissen, wird deutlich, weshalb Crew und Technik in der Lage waren, ein solches Manöver zum Erfolg zu führen: Der beeindruckenden Notlandung vorausgegangen waren nämlich unermüdliche und nachdrückliche Anstrengungen der gesamten Luftfahrtbranche, betriebliche Komplexität zu reduzieren – durch Systematik, standardisierte Prozesse, Teamarbeit, kontinuierliches Training sowie ein Bewusstsein für Fehler und Verbesserungen. Kaum eine andere Branche strebt so sehr nach Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität: 99,999999 % aller Flüge erreichen heute ohne schwere Vorkommnisse sicher ihr Ziel. Anders sieht es in der Industrie aus. Hier passieren „Bruchlandungen“ sehr viel häufiger. Dennoch wird Prozessschwächen und Produktionsfehlern meist wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Anders als in der Luftfahrt sind sie in der Industrie in der Regel weniger spektakulär und sie lassen sich ehrlicherweise auch einfacher kaschieren. Teuer sind sie für Kunden und Betriebe dennoch. Dabei lassen sie sich relativ einfach vermeiden. Natürlich müssen Unternehmer dazu keinen Jet fliegen können. Würden Mitarbeiter und Führungskräfte in der Industrie aber nach den Standards arbeiten, die denen von Airlines vergleichbar sind, könnten sie deutlich erfolgreichere Prozessergebnisse erbringen. Umso erstaunlicher ist es, dass in vielen Industriebetrieben oft noch sehr hemdsärmelig, wenig systematisiert und ohne nachvollziehbare Fertigungsbedingungen gearbeitet wird. Die Luftfahrt hat in den zurückliegenden Jahrzehnten innovative betriebswirtschaftliche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt, um ihre Arbeit zu strukturieren und zu beherrschen. Die Erfahrungen, die sie dabei gemacht hat, können auch in der Industrie effizienzsteigernd genutzt werden. Dabei geht es nicht um eine einzelne neue Methode oder ein Tool, sondern um ein Bündel von Konzepten, um den heutigen Herausforderungen in der Industrie zu begegnen. Es geht nicht darum, die Konzepte aus der V

VI

Vorwort

Luftfahrt exakt zu übernehmen – es reicht völlig, sich die Rosinen herauszupicken. Der Ansatzpunkt liegt nicht primär darin, fachliche Anforderungen besser zu erfüllen, sondern in einer systematischeren Bewältigung der stetig zunehmenden Aufgabenkomplexität und Arbeitsteiligkeit. Deshalb müssen vor allem die prozessualen und die interpersonellen Kompetenzen stärker in den Vordergrund rücken. Dies ist also ein Buch für alle, die ihre betriebliche Arbeit nachhaltig effizienter und sicherer gestalten wollen: ob Führungskraft, Stabstelle, Fachexperte, Schichtleiter, ob Einsteiger oder Profi. Mit erfolgreichen, praxistauglichen Erkenntnissen aus der Luftfahrt soll dieser Ratgeber dazu beitragen, mehr Struktur und Systematik in den betrieblichen Alltag zu bringen. Mitarbeiter bei Mittelständlern und in Großbetrieben werden am meisten davon profitieren. Zahlreiche Projekte und Aufträge, bei denen wir Human Factors Management in Industriebetrieben in unterschiedlichen Umfängen eingeführt oder vorgestellt haben, führte bei uns zu dem Wunsch, unser Wissen in Form eines Ratgebers über die selbst erlebten Konzepte und Tools der Luftfahrt zu schreiben und deren Anwendungsmöglichkeiten für die Industrie aufzuzeigen. Unsere Handlungsvorschläge basieren auf zusammen fast 80 Jahren Erfahrung aus Entwicklung, praktischer Umsetzung, Beratung und Training der vorgestellten Methoden in der Luftfahrt und in der Industrie. Unser besonderer Dank gilt Herrn Dipl. Kfm. Marco Wunderlich, der im Hintergrund wesentlich zur Veröffentlichung des Buchs beigetragen hat. Ihnen wünschen wir viel Spaß und gute Impulse beim Lesen! Auf Ihr Feedback zu den Erfahrungen mit den Ideen dieses Buches freuen wir uns. Hamburg im Sommer 2019

Prof. Dr. Martin Hinsch Cpt. (rtd.) Jens Olthoff

Inhaltsverzeichnis

1

Anforderungen an die Industrie der Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

2

Wozu auf die Luftfahrt blicken? Eine Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

3

Industrielle Fertigung ist wie Fliegen … fast. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.1 Blaupause: Von anderen Branchen lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.2 Die Luftfahrt als Impulsgeber für die Industrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.2.1 Abstraktion vom Kernprozess der Flugdurchführung. . . . . . . . 11 3.2.2 Ist die Industrie tatsächlich mit dem Fliegen vergleichbar?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.2.3 Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 3.3 Wie die Luftfahrt das Hochleistungsmanagement entdeckte. . . . . . . . . . 14 3.3.1 Welche Maßnahmen haben die Airlines ergriffen? . . . . . . . . . . 16 3.3.2 Aus einzelkämpferischen Weltkriegspiloten wurden Teamplayer in Passagierjets. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3.4 Implikationen für die Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3.4.1 Chancen für die Industrie sind groß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

Teil I 4

Die erfolgreichen Methoden und Konzepte der Luftfahrt

Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors. . . . . . . 23 4.1 Was sind Human Factors und warum sollte man sie betrachten? . . . . . . 23 4.2 Die menschliche Leistungsfähigkeit und deren Grenzen. . . . . . . . . . . . . 26 4.2.1 Die Grenzen der Wahrnehmung und des Situationsbewusstseins. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.3 Human Factors im persönlichen Umfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4.3.1 Verantwortungsbewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 4.3.2 Arbeitsbelastung und Stress. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 4.3.3 Unterforderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.3.4 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

VII

VIII

Inhaltsverzeichnis

4.4

4.5

Human Factors im sozialen Umfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.4.1 Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 4.4.2 Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4.4.3 Teamwork. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.4.4 Druck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.4.5 Organisationskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Human Factors im physischen Arbeitsumfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

5

Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler. . . . . . . . . . . . . . 39 5.1 Mangel an Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5.2 Mangel an Teamwork. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 5.3 Druck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 5.4 Soziale Normen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 5.5 Fehlende Durchsetzungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5.6 Ablenkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5.7 Selbstgefälligkeit und Apathie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 5.8 Fehlendes Problembewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5.9 Erschöpfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 5.10 Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 5.11 Mangelndes Wissen und Können. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5.12 Ungenügende Ressourcen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

6

Crew Resource Management (CRM). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 6.1 Was ist CRM? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 6.2 Teamwork und Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6.2.1 Teamwork. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 6.2.2 Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 6.3 Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 6.3.1 Briefing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 6.3.2 Debriefing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 6.4 Situationsbewusstsein und Workload-Management. . . . . . . . . . . . . . . . . 66 6.4.1 Workload-Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

7

Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 7.1 Prozessorientierung im betrieblichen Alltag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 7.2 Umsetzung einer Prozessorientierung: Prozessdefinition. . . . . . . . . . . . 73 7.3 Umsetzung einer Prozessorientierung: Mitarbeiterqualifikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 7.4 Was bedeutet dies nun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

8

Qualifikation und Training . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 8.1 Ganzheitliches Training und Standardisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 8.1.1 Die drei Kernkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 8.1.2 Integriertes Training. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

Inhaltsverzeichnis

8.2

9

IX

8.1.3 Standardisierung der Mitarbeiterqualifikation. . . . . . . . . . . . . . 84 Einrichtung von Qualifikations- und Trainingsstrukturen. . . . . . . . . . . . 86 8.2.1 Aller Anfang ist schwer – die Entwicklung eines Qualifikations- und Trainingsprogramms . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 8.2.2 Fazit oder: Was bleibt?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Personalauswahl und Potenzialanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 9.1 Bestimmung von Qualifikationsanforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 9.1.1 Testaufbau und Testmodellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 9.2 Unterstützung von Experten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 9.3 Was bringt Personalauswahl konkret?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

10 Über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen können. . . . . . . . . . . . 99 10.1 Bereitschaft zu Fehlerreflexion und Fehlerbewusstsein. . . . . . . . . . . . . . 101 10.2 Straffreiheit für den Fehlerverursacher? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 10.3 Fehlerreflexion – aber wie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Teil II

Neue Wege zur Optimierung industrieller Wertschöpfung

11 Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 11.1 Zukunftsweisende Konzepte sind vorhanden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 11.2 Organisationsexzellenz in der Industrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 11.2.1 Profit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 11.2.2 Kundennutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 11.2.3 Organisationssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 11.2.4 Ethisches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 11.3 Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit. . . . . . . . . 111 11.3.1 Das Fundament industrieller Exzellenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 11.3.2 Pfeiler 1: Mitarbeiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 11.3.3 Pfeiler 2: Prozesse und Regeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 11.3.4 Pfeiler 3: Infrastruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 11.3.5 Pfeiler 4: Organisationsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 12 Team Resource Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 12.1 Dreiklang in der Industrie – ein ganzheitlicher Ansatz. . . . . . . . . . . . . . 125 12.1.1 Fach- und Kundenwissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 12.1.2 Prozesswissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 12.1.3 Interpersonelle Fähigkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 12.1.4 Fehlerkultur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 12.2 Betriebliche Implementierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 12.2.1 Treiber für Veränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 12.2.2 Budgets: Investitionspläne in Wettbewerbsvorteile wandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

X

Inhaltsverzeichnis

12.2.3 Stringente Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 12.2.4 Nachhaltigkeit sicherstellen mit Prozesscontrolling . . . . . . . . . 132 12.2.5 Kulturwandel: konsequente Neuausrichtung des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Nachwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

Über die Autoren

Prof. Dr. Martin Hinsch ist Experte für luftfahrttechnisches Qualitäts- und Prozessmanagement. Er ist Geschäftsführer einer Beratungsgesellschaft und berät Unternehmen im Bereich des Human Factors Managements. Prof. Hinsch lehrt Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Aviation-Management an der IUBH Internationale Hochschule in Hamburg. [email protected] Cpt. Jens Olthoff  flog fast 40 Jahre als Pilot der Deutschen Lufthansa die Flughäfen der Welt an. Er war Ausbildungskapitän für den Airbus A320/A340 und arbeitete überdies weltweit in verschiedenen Positionen des gehobenen Managements. So war er unter anderem Leiter der Lufthansa-Verkehrsfliegerschule und verantwortete damit die gesamte Pilotenausbildung im Lufthansa-Konzern. [email protected]

XI

Abbildungsverzeichnis

Abb. 3.1 Abb. 4.1 Abb. 5.1 Abb. 6.1 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 8.1 Abb. 8.2 Abb. 10.1 Abb. 11.1 Abb. 11.2 Abb. 11.3 Abb. 12.1 Abb. 12.2

Prozess einer Flugdurchführung vs. industrieller Wertschöpfungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Schweizer-Käse-Modell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Dirty Dozen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 Abflachung der Hierarchie im Cockpit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Beispielhafte Prozesslandkarte für einen Industriebetrieb. . . . . . . . . . . 72 Beispielhafte Visualisierung eines Kernprozesses. . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Beteiligte an der betrieblichen Prozessbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . 75 Die Kernelemente betrieblicher Personalqualifikation. . . . . . . . . . . . . . 83 Aufbau eines strukturierten Qualifikations- und Trainingssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Eisberg-Modell aus der Fehlerforschung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Industrielle Excellence aus Perspektive der Organisationentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Formen des Kundennutzens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Pilotencheckliste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Ganzheitliche Aufstellung in der Industrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Die Treiber von Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

XIII

1

Anforderungen an die Industrie der Zukunft

Wäre eine Führungskraft vor einem Vierteljahrhundert in Tiefschlaf gefallen und heute wieder aufgewacht, würde diese bei Rückkehr in den Job feststellen, dass sich zwar die Welt um sie herum, aber fast nichts an betrieblichen Führungsstilen geändert hat. Daraus ließe sich für diese der Schluss ziehen: „Führung wird wohl immer so bleiben. Wahrscheinlich hätte ich noch 25 Jahre schlafen können und wäre auch dann noch immer als Führungskraft ausreichend qualifiziert.“ Vordergründig ist dies auch nicht falsch. Mit dem Credo We do as we always did lässt es sich viele Jahre gut leben. Mittel- bis langfristig ergibt jedoch eine Notwendigkeit zur Weiterentwicklung zeitgemäßer Führungskompetenz aus zwei ganz unterschiedlichen Perspektiven: Einerseits haben sich die Kundenerwartungen gewandelt. Sie haben ihr Einkaufsverhalten erheblich verändert. Auf Dauer sind nicht mehr einfache Produktzulieferer, sondern mehr und mehr Problemlöser gefordert, bei denen das Produkt nur eines von mehreren Bestandteilen ausmacht. Andererseits werden in einer Arbeitswelt ständiger Optimierung auch Verbesserungen im Bereich des individuellen Bewusstseins, der Teamorientierung und des Führungsverhaltens erwartet. Dieses Bedürfnis wird zunehmend größer, da die klassischen betrieblichen Verbesserungsprogramme in der x-ten Wiederholung deutlich sinkende Grenznutzen aufweisen. Zudem nimmt die Prozess- und Aufgabenkomplexität im betrieblichen Alltag stetig zu. Dahin gehend sollte auch das betriebliche Führungsverhalten ausgerichtet werden. Dies gilt umso mehr, da die Ursachen von Fehlverhalten nur selten in mangelndem Fachwissen oder dessen unzureichender Umsetzung liegen. Vielmehr mangelt es den Akteuren in den komplexen Unternehmensstrukturen an systemischen Informationen. Überdies kann Führung nicht immer dort erfolgen, wo sie gerade gebraucht wird – obgleich ständig Entscheidungen getroffen werden müssen. Gepaart mit persönlichem Stress, zeitlichem Druck, sozialen Normen sowie Mangel an Teamwork oder Kommunikation stoßen © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_1

1

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1  Anforderungen an die Industrie der Zukunft

Mitarbeiter und Teams hier an die Grenzen ihres Leistungsvermögens. Diese Risiken gilt es durch bessere Teaminteraktion unter Kontrolle zur bringen. Teameffizienz In den vergangenen zehn Jahren wurden nahezu alle Teile der Wertschöpfungskette mehr oder weniger professionell mindestens einmal durch Optimierungsprogramme wie SixSigma, Wertstromanalysen oder Lean Production durchleuchtet und schlanker gestaltet. Gewiss sind die Potenziale noch nicht gänzlich ausgeschöpft, jedoch lassen sich höhere Grenzerträge an andere Stelle heben. In künftigen Veränderungsprozessen muss daher die teamorientierte Führung sowie Steuerung und Überwachung der Mitarbeiter im Team – vom Vertrieb, über die Entwicklung und Arbeitsplanung bis zur Fertigung und Auslieferung – eine treibende Rolle einnehmen. Mitarbeiter und deren Interaktionen im Team sind also konsequenter und vor allem systematischer zu managen. Bisher überwog der Irrglaube, dass es ausreichend sei, über die Erfahrung, also mehrheitlich über das Bauchgefühl der Führungskraft zu ­steuern. Der Nachholbedarf auf dem Feld der betrieblichen Führung ist enorm und es stellt sich die Frage, warum eine deutlich systematischere team- bzw. mitarbeiterorientierte Führung nicht schon längst flächendeckend in Angriff genommen wurde. Dabei stechen vor allem zwei Gründe hervor. Der erste Grund ist trivial: Es läuft auch so. Der Leidensdruck ist noch nicht groß genug. Die Unternehmensleitungen ahnen zwar, dass in der Führung und auch in der Potenzialhebung der Mitarbeiterqualitäten Optimierungspotenzial besteht. Aber solange das Umsatzwachstum zufriedenstellend ist und noch andere Quellen der Verbesserung ausgeschöpft werden, beklagt sich niemand. Zudem gilt es als aufwendig, Menschen zu verändern, zumal dann, wenn der Erfolg mindestens 6–12 Monate auf sich warten lässt und überdies im Umfang nur schwer zu prognostizieren ist. Außerdem fallen menschliche Fehler in den meisten Fällen nicht allzu sehr auf, weil das Wissen um Versagen meist in der Abteilung verbleibt. Zudem würden Veränderungen Kapazität binden und daher kurzfristig den reibungslosen Prozessablauf im betrieblichen Alltag gefährden. Der zweite Grund ist viel entscheidender: Es ist die Frage nach dem wie. Die meisten Führungskräfte wissen zu wenig darüber, in welche Qualifikationsmaßnahmen sich zu investieren lohnt. Dies gilt in besonderem Maße für Trainings zur Weiterentwicklung der interpersonellen Kompetenz. Der Markt ist überflutet von Team- und Führungskräfte-Seminaren, die alle trotz unterschiedlicher Ansatzpunkte ähnlich klingen. Überzeugende Erfolgsgarantien liefern die zahlreich angebotenen Trainings-Konzepte aber nicht. Dies ist anders bei dem im Folgenden vorgestellten Human Factors Management und dem in Kap. 6 beschriebenen Crew Resource Management (CRM), das wir für die Industrie in Kap. 12 zum Team Resource Management (TRM) weiterentwickelt haben. In diesem ursprünglich für Cockpit-Personal entwickelten Konzept verschmelzen Führung, Teamwork und Human Factors zu einem ganzheitlichen Managementansatz.

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Durch Anwendung des TRMs in Industriebetrieben eröffnen sich noch umfangreiche Optimierungspotenziale in der betrieblichen Wertschöpfung, die in der Luftfahrt seit den 1980er Jahren im flugbetrieblichen Alltag entfaltet werden. Dessen Ziel ist es, das Personal in die Lage zu versetzen, mit den Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit umzugehen. Die Mitarbeiter lernen, eine durchdachte, verabredete Team-Interaktion aufzubauen, um Informationen systematisch zu nutzen und zu teilen, Entscheidungen anzukündigen und ggf. zu beraten sowie die Konsequenzen des individuellen Handelns bewusst zu machen. Neue Kundenerwartungen Kunden haben in der Regel eine Auswahl von Lieferanten, die ihnen die gewünschten Produkte und Dienstleistungen zuliefern können. Dabei gibt es jedoch nur wenige Anbieter, denen es gelingt, den Wettbewerb durch Alleinstellungsmerkmale langfristig in Schach zu halten. Oft gilt, dass technische Alleinstellungsmerkmale von heute spätestens nach zwölf Monaten von jedem Konkurrenten in dessen Programm angeboten werden. Produktdifferenzierung verliert daher mehr und mehr an Bedeutung. Wahrgenommene Qualität hängt daher nicht mehr nur von Preis und technischer Leistung ab, sondern wird durch eine Gesamtperformance aus Produkteigenschaften, Problemlösungskompetenz und Service bestimmt. Dieser Paradigmenwechsel in der Kundennachfrage hat zur Folge, dass Vorsprung im Markt selten allein durch technisch wettbewerbsfähige Produkte und Services dauerhaft gehalten werden kann. Vorsprung durch Technik reicht in vielen Branchen allein nicht mehr aus. Der Vertrieb muss sich zukünftig im Team mit unterstützenden Abteilungen noch viel stärker in die individuellen Bedürfnisse seiner Kunden hineinversetzen und federführend komplexe Projekte anstoßen können. Im Betrieb der Zukunft müssen daher Bemühungen in den Fokus rücken, die Kundenbedürfnisse und nicht nur das nachgefragte Produkt tatsächlich zu verstehen und einen Mehrwert jenseits der Kernleistung zu schaffen. Es geht also weniger um Produkte und Dienstleistungen allein. Diese sind für den Kunden nur Mittel zum Zweck. Der Betrieb von morgen muss sich vielmehr auf die Identifikation der Pain-Points und die entsprechenden Lösungen fokussieren. Vertriebsabteilungen alleine können dies nicht leisten. Planerische Vorarbeiten in größeren Teams gewinnen bei systemintegrierter Produkt- und Serviceleistung an Bedeutung. Schließlich greift der Verkäufer mit seinen Lösungen nicht selten tief in die Kernprozesse seiner Kunden ein. Hierzu bedarf es eines gemeinsamen, aufeinander abgestimmten Vorgehens mit den zahlreichen Beteiligten im eigenen Engineering, der Arbeitsplanung, des Controllings und der Geschäftsführung einerseits sowie den Ansprechpartnern beim Kunden sowie auch bei den Zulieferern andererseits. Diese Entwicklung erfordert unweigerlich eine Neuausrichtung der Kundeninteraktion, wovon nicht alleine die Sales-Mitarbeiter betroffen sein werden. Der Blickwinkel richtet sich von der Produktpräsentation weg und hin zu Marktbeobachtung, Kundenanalyse

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und Entwicklung von Lösungskonzepten an denen Kollegen aus allen Abteilungen eingebunden sind. Dies stellt höhere Anforderungen an die Mitarbeiter sowie insbesondere an deren Führungskräfte. Reichte früher meist die Interaktion nur mit dem Fachverantwortlichen und ggf. dessen Führungsebene, sind heute deutlich abstimmungsintensivere Vorgänge zu meistern. Oftmals agieren daher auf Einkaufs- und auf Verkaufsseite Teams, die innerbetrieblich koordiniert und mit Informationen versorgt werden müssen. Damit steigen auch Anforderungen an Führungskräfte. Unternehmen kommen nicht umhin, systematische Qualifikations- und Trainingsmaßnahmen anzubieten, die darauf abzielen, ihre Führungskraft so zu qualifizieren, dass diese sowohl den fachlichen und stärker als heute auch den prozessualen und interpersonellen Stellenanforderungen gerecht werden. Zugleich ist es notwendig, dass Unternehmen die Auswahlverfahren für ihre Mitarbeiter und deren Führungskräfte verbessern, denn falsche Mitarbeiter bringen nicht die optimale Leistung. Eine gezielte Personalauswahl ist dabei nicht nur aus Kostengründen sinnvoll. Es kann niemanden verwundern, dass eine sorgfältige Mitarbeiterauswahl zur Reduktion von Risiken und Problemen beträgt und das Arbeitsklima fördert.

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Wozu auf die Luftfahrt blicken? Eine Einführung

Die Luftfahrt wird in der Öffentlichkeit als eine Branche wahrgenommen, die für ­ausgezeichnete Qualität und hohe Produktsicherheit steht. Dieses Ansehen ist jedoch nicht aus einem Zufall erwachsen, sondern im Wesentlichen das Ergebnis durchdachter Aufbau- und Ablaufstrukturen sowie einem hohen Qualitätsanspruch mit entsprechender Mitarbeiterqualifikation. Dieses Kapitel widmet sich diesen Methoden und Konzepten. Dazu richtet sich der Blickwinkel in Kap. 4 zunächst auf die menschliche Leistungsfähigkeit (Human Factors). Als wichtige Voraussetzung für eine effiziente, sichere und stabile Wertschöpfung berücksichtigt die Luftfahrtbranche die Human Factors seit langem systematisch in ihrem betrieblichen Alltag. Ursächlich dafür war die Erkenntnis, dass aufgrund wachsender Arbeitsteiligkeit sowie stetig zunehmender Prozess- und Aufgabenkomplexität immer auch die Gefahr des Fehlverhaltens steigt. Dabei entsteht das Problem, dass notwendige Informationen die Beteiligten punktuell nicht mehr erreichen oder dass diese aufgrund ihrer Menge und Komplexität nicht mehr verarbeitet bzw. verknüpft werden können. Kommen dazu die typischen menschlichen Fehler, wie persönlicher Stress, zeitlicher Druck, soziale Normen sowie ein Mangel an Teamwork hinzu, stoßen Mitarbeiter an die Grenzen ihres Leistungsvermögens. Fehler entstehen – Produkt und Kunde stehen nicht mehr im Vordergrund. Dem kann am ehesten begegnet werden, indem bei Mitarbeitern eine kontinuierliche Sensibilisierung für das Können und die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit geschaffen wird. Neben den Human Factors widmet sich der Text dazu in Kap. 5 dem Dirty Dozen Konzept, das von der kanadischen Luftfahrtbehörde entwickelt wurde. Dieses setzt sich mit den 12 häufigsten menschlichen Fehlern und deren Beherrschung auseinander. Aus der Erkenntnis der Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit wurde in den 1980er Jahren das Crew Resource Management (CRM) abgeleitet. Hierbei handelt es sich

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_2

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um Methoden und Tools, die das teamorientierte Arbeiten von Flugzeugbesatzungen in den Vordergrund stellen. Diese werden in Kap. 6 näher beleuchtet. Aus Luftfahrtunfällen und -vorkommnissen ist bekannt, dass Art und Umfang der Zusammenarbeit von Cockpit-Crews sowie deren Interaktion mit Bodendiensten wie Fluglotsen, Technik und Flugsteuerung großen Einfluss auf die Sicherheit, Qualität und Effizienz der Flugdurchführung haben. Die wichtigsten Pfeiler des CRM bilden dabei • Team- und Führungsverhalten, • Kommunikation, • Situationsbewusstsein und • Workload-Management. Akzeptierte Führung zeichnet sich dadurch aus, dass es gelingt, die Mitarbeiter „mitzunehmen“ und in komplexe Entscheidungsfindungen einzubinden, um jede zur Verfügung stehende Know-how Quelle zu berücksichtigen. Parallel sind Strukturen zu schaffen, in denen Mitarbeiter lernen, im und aus dem Team heraus ihr Verständnis und ihre Kompetenzen permanent zu erweitern. Hierzu ist stetige Kommunikation zwischen allen Beteiligten notwendig. Im betrieblichen Alltag beschränkt sich Kommunikation jedoch oft auf ein Minimum. Gerade gegenüber Außenstehenden oder anderen Teams dominiert allzu oft das Denken in Königreichen, Zugbrücken, Silos und Wagenburgen. Durch ein solches Verhalten nimmt die Leistungsfähigkeit des Unternehmens Schaden und die Fehleranfälligkeit nimmt deutlich zu. Ziel muss es daher sein, solche Muster von schlechter Führung und mangelnder Zusammenarbeit durch Training zu eliminieren. Allerdings nutzen Kenntnisse um die menschlichen Schwächen und ideale Teaminteraktion nur wenig, wenn die Mitarbeiter ihr Arbeitsumfeld nicht ausreichend kennen. Daher müssen für stabile und effiziente betriebliche Erfolge parallel die prozessualen Voraussetzungen geschaffen werden, die in Kap. 7 thematisiert werden. Das Problem ist nämlich, dass es den Mitarbeitern nur selten gelingt, ein volles Bild ihres Handlungsfelds oder gar der gesamten Betriebsstruktur zu erfassen. Der Grund ist einfach: Komplexität und Intransparenz führen dazu, den eigenen Arbeitsbereich als isolierten Schnappschuss wahrzunehmen. Schon an den ersten Schnittstellen endet der persönliche Horizont. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass die unzureichende Gestaltung und Steuerung der Betriebsabläufe eine der wesentlichen Ursachen für Systemschwächen und Minderqualitäten ist. Durch Festlegung einer sinnvollen Reihenfolge gemeinsamen Handelns sowie klare Definition von Rollen und Aufgaben lassen sich auf diese Weise Schnittstellenverluste, Stille-Post-Effekte, Redundanzen und Arbeitsfehler deutlich reduzieren. Erst durch klar definierte und visualisierte Prozessstrukturen (und deren Training) erkennt jeder die Bedeutung seines eigenen Beitrages über seine eigenen Bereichsgrenzen hinaus. Viele Luftfahrtunternehmen sind den Weg der strikten Prozessorientierung bereits vor 10–15 Jahren gegangen, da eine wachsende Zahl von Mitarbeitern der hohen Aufgaben- und Schnittstellenkomplexität nicht mehr folgen konnte, sodass die Anzahl

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prozessbedingter Fehler zunahm. Überdies gestaltete sich die systematische und umfassende Einarbeitung der Mitarbeiter als ein fast unmögliches Unterfangen, weil die Erklärung der Prozesse und Zusammenhänge zu schwierig wurde. Kap. 8 setzt sich im Anschluss mit systematischer Mitarbeiterqualifikation und deren Training auseinander. Dies ist wichtig, weil alle Prozesse, Vorgaben und Methoden wenig Nutzen stiften, wenn sich das Personal in der täglichen Arbeit nicht daran hält. In einem solchen Fall ist es jedoch falsch, die Schuld nur bei den Mitarbeitern zu suchen. Diese müssen nämlich zunächst mittels Training für ihre Aufgaben adäquat qualifiziert werden. Die Mitarbeiter müssen dazu nicht nur fachliche, sondern auch nicht fachbezogene Qualifikationsanforderungen erfüllen. Dies gilt nicht nur für die Mitarbeiter der operativen Ebene, sondern vor allem auch für Führungskräfte. Dennoch verfügen nur wenige Unternehmen über strukturierte Qualifikationssysteme mit transparenten Ausbildungs- oder Personalentwicklungspfaden. Das gleiche trifft auch für systematische Personalauswahlverfahren zu, die in Kap. 9 beleuchtet werden. Aber nur mit solchen Methoden können Entwicklungsfelder der Mitarbeiter zeitnah identifiziert und erweiterter Schulungsbedarf gezielt festgelegt werden. Die Vorteile einer durchdachten Mitarbeiterauswahl und -qualifizierung liegen auf der Hand: Systematische Personalqualifizierung trägt aus ökonomischer Perspektive zu einer Minimierung der Arbeitsfehler bei. Dadurch steigt die Prozesssicherheit – und die Fehlerkosten sinken! Ein letzter wichtiger Erfolgsfaktor, um langfristig stabile und effiziente Prozesse zu schaffen, ist die Etablierung einer Fehlerkultur. In vielen Unternehmen führt die systematische Fehlerreflexion noch immer ein Schattendasein. Im Vordergrund steht die nachträgliche Fehlerbeseitigung und weniger die zukünftige Vermeidung gleicher oder ähnlich gelagerter Vorkommnisse. Dieses Denken ist jedoch teuer. Es führt dazu, dass zwar Fehler und deren Symptome, nicht aber die Ursachen behoben werden. Das erneute Auftreten gleicher oder ähnlicher Fehler ist so nur eine Frage der Zeit. In der Luftfahrtbranche haben sich dagegen bereits seit Jahren eine ausprägte Fehlerkultur sowie zugehörige Tools und Methoden entwickelt, die darauf abzielen, Fehler und Vorkommnisse zu identifizieren und dauerhaft zu verhindern oder zu beherrschen. Zugleich soll mit diesen Instrumenten das Fehlerbewusstsein geschärft und Lerneffekte bei den Mitarbeitern erreicht werden. Fehler gelten hier vor allem als Erkenntnisgewinn. Der Fehler- und Verbesserungskultur widmet sich daher Kap. 10.

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Von den Champions einer Branche oder Berufsgruppe zu lernen, ist eine äußerst ­ökonomische Variante, um Herausforderungen anzugehen. Oft ist es nicht nötig, das Rad neu zu erfinden, sofern die grundsätzliche Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen gegeben ist.

3.1 Blaupause: Von anderen Branchen lernen Wie ist der Fall in der Industrie gelagert? Welche Anforderungen und Rahmenbedingungen muss eine Branche oder ein Berufsfeld erfüllen, damit diese für die Industrie nützlich wird? Es sollte eine Branche oder eine Berufsgruppe sein, in der • Überzeugungs- und Durchsetzungsfähigkeit gebraucht werden, • die Mitarbeiter hohe Verantwortung tragen, • eine hohe Komplexität zu beherrschen ist, • ein hoher Grad an Interaktion mit verschiedenen Fachgebieten/Abteilungen notwendig ist, • Entscheidungsfähigkeit innerhalb eines definierten Rahmens besteht,

Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. Wunderlich M, Olthoff JJ, Hinsch M (2014) Kann Ihr Vertriebsteam einen Airbus A320 auf dem Hudson landen? [Copyright © Uhlenbruch Verlag, Bad Soden 2014]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_3

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• unter Zeit- und Handlungsdruck gearbeitet wird, • eine hohe Situationsflexibilität erforderlich ist. Im Idealfall handelt es sich um einen Wirtschaftszweig, der über transparente Prozesse verfügt und individuelle, schwierige Zeitgenossen in ihrem Berufsalltag zu starker Teamorientierung und Prozessstandardisierung gelenkt hat.

3.2 Die Luftfahrt als Impulsgeber für die Industrie Die Luftfahrt ist genauso eine Branche. Sie funktioniert unter den genannten Bedingungen und kann dabei seit Jahrzehnten eine sehr hohe Erfolgsquote vorweisen. Kaum eine andere Branche setzt höhere Maßstäbe an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Qualität. Fluggesellschaften landen mehr als 99 % ihrer Flüge ohne nennenswerte Vorkommnisse sicher am Ziel. Unternehmen der Luftfahrtbranche werden daher vielfach als Hochleistungsorganisationen klassifiziert. Hochleistung bedeutet, dass im Rahmen der Wertschöpfung deutlich weniger Fehler auftreten, als dies statistisch zu erwarten wäre. Die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts liegt bei nur 1:100 Mio. Flügen – und das, obwohl sich Airlines in einem harten Wettbewerb behaupten müssen. Die extreme Leistungsfähigkeit der Branche wurde im Januar 2009 bei der Landung eines Airbus A320 auf dem Hudson River in New York deutlich. Die Landung auf dem Hudson River im Januar 2009 Am 15. Januar 2009 hob US Airways Flug 1549 mit 150 Passagieren vom New Yorker Flughafen LaGuardia ab. Der Airbus war noch keine drei Minuten in der Luft, als in 1000 m Höhe ein massiver Vogelschlag zum Ausfall beider Triebwerke führte. Nur 208 s später setzte Captain (Cpt.) Chesley Sullenberger das Flugzeug auf dem Hudson River auf. Diese Notwasserung wurde als sensationelle Leistung der Piloten gewürdigt und in den Medien als das „Wunder vom Hudson“ kommentiert. Cpt. Sullenberger lieferte eine nüchterne Erklärung für den Erfolg. Beeindruckend an dem Vorfall war für ihn, wie viel seine Industrie geleistet hat, um das Wunder vom Hudson möglich zu machen. Vor dem Hintergrund der enormen Komplexität seiner Branche äußerte Sullenberger Bewunderung darüber, in welchem Umfang es doch gelungen sei, Standards für Prozesse, Methoden und Trainings zu etablieren. „Wenn man sich inmitten einer ungewohnten oder stressigen Situation befindet, fällt man automatisch zurück in einstudierte Abläufe und trainierte Interaktionen mit seinem Team. Diese Struktur erlaubt es einem dann fast ohne nachzudenken, die naheliegenden Aufgaben zu erledigen, während man sich auf das konzentriert, was ungewohnt in der unmittelbaren Umgebung ist. Wir konnten die Programme abrufen.“ Cpt. Chesley Sullenberger

In seinem Fall wurde dies besonders deutlich: Die Piloten befanden sich in akuter Lebensgefahr. Trotzdem brach keine Hektik im Cockpit aus. Und das, obwohl in kürzester Zeit

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eine Vielzahl an Entscheidungen getroffen werden musste. Es stand dabei nicht weniger auf dem Spiel als ihr eigenes Leben, das ihrer 155 Passagiere sowie unzähliger Menschen im dicht besiedelten New York. Was tat die Cockpit-Crew? Sie griff zu den Checklisten für Notfälle und arbeitete diese nach Wichtigkeit ab. So liefen das Vorgehen und die Kommunikation in dieser Extremsituation hocheffektiv ab. In den wenigen Minuten bis zum Aufsetzen hatten die beiden Piloten keine Zeit, die Situation und jede Einzelhandlung zu besprechen. Der Erfolg ist umso bemerkenswerter, da sich Sullenberger und sein Co-Pilot erst drei Tage zuvor kennengelernt hatten. Die Prozesse zur Beherrschung von Notfallsituationen scheinen in der Luftfahrt so intensiv trainiert zu werden, dass sie in Fleisch und Blut übergehen. Arbeitet so Ihr Betrieb? Es ist nicht überraschend, dass solche Verhaltensmuster nur durch ein hohes Maß an Standardisierung und Training zu erreichen sind. Hierfür sind die zahlreichen vorgeschriebenen Check-Flüge im Simulator alleine nicht genug. Um derartige Erfolge zu erzielen, muss Training als Erlebnisfaktor in den Berufsalltag integriert sein.

3.2.1 Abstraktion vom Kernprozess der Flugdurchführung Beim Fliegen geht es darum, ein Ziel sicher und entsprechend dem Zeitplan zu erreichen. Der Standardprozess unterteilt sich dazu gemäß Abb. 3.1 in fünf Kernelemente: Zunächst bedarf es der Vorbereitung auf das vorgegebene Ziel und der Planung der Route. Dazu zählen z. B. die Programmierung der Bordcomputer sowie die Abstimmung der Wetterverhältnisse, der zugewiesenen Luftstraßen, der Beladung, der Kraftstoffmenge, usw. In weiteren Prozessschritten folgen der Start und der Reiseflug entsprechend den Vorbereitungen und den allgemeingültigen Standard Operating Procedures. Der Gesamtprozess endet mit der Landung und der Nachbereitung. Auch die Nachbereitung als letzter Prozessschritt ist wichtig, denn die Passagiere wollen ihr

Abb. 3.1   Prozess einer Flugdurchführung vs. industrieller Wertschöpfungsprozess

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Gepäck ausgehändigt bekommen und das Flugzeug soll für den nächsten Einsatz bereitgestellt werden. Nicht zuletzt lassen die Beteiligten den zurückliegenden Flug in einer Nachbesprechung (Debriefing) Revue passieren, um daraus für zukünftige Flüge zu lernen. Während jeder Prozessphase müssen alle Beteiligten mit ihren Partnern und Zulieferern an den Schnittstellen kommunizieren. Piloten interagieren also nicht nur untereinander, sondern auch mit der Kabinencrew, dem Catering, dem Pushback, den Cargo-Beladern, den Gate-Mitarbeitern sowie der Technik und dem Control-Center der Airline und schließlich auch den Fluglotsen. Vergleichbar wiederholt beobachtbare Verläufe finden sich auch in betrieblichen Prozessen. Auch wenn diese inhaltlich deutlich anders ablaufen, so gibt es auch bei den meisten industriellen Handlungen klare Prozessstrukturen, die es vor einer Standardisierung systematisch zu erfassen gilt. So lässt sich beispielsweise der industrielle Prozess in einem Fünf-Phasen-Schema abbilden (Abb. 3.1). 1. Vertrieb 2. Auftrags-/Projektplanung 3. Entwicklung + Beschaffung 4. Produktion 5. Endprüfung und Freigabe; nachlaufende Aktivitäten In der Vorbereitungsphase ist zunächst das Leistungspaket zu bestimmen, es sind also die Produktbedürfnisse zu ermitteln und eine passende Lösung auszuarbeiten. Sobald das Ziel feststeht, ist in einem zweiten Schritt der Weg zu planen und all das zu organisieren, was zur Zielerreichung notwendig ist. Der eigentliche „Flug“ startet erst in einem vierten Schritt mit der Herstellung (sowie ggf. mit einer vorgelagerten Entwicklung). Im Landeanflug erfolgt die Endkontrolle, der Abschluss der Dokumentation und der Versand. Nach der „Landung“ ist die Nachkalkulation und das Lessons Learnt durchzuführen. Unter Umständen erfolgen noch nachgelagerte Support-Aktivitäten beim Kunden.

3.2.2 Ist die Industrie tatsächlich mit dem Fliegen vergleichbar? „Beim Fliegen geht es doch um Menschenleben!“ Wenn von Menschenleben die Rede ist, lässt sich dies als Sinnbild für hohe Verantwortung sehen. Zahllose Mitarbeiter tragen in Betrieben eine hohe Verantwortung. Dabei geht es nicht nur um die üblichen „Verdächtigen“, sondern auch um Mitarbeiter auf Shopfloor-Ebene, die spezielle Prozesse (Schweißen, Kleben, Galvanisieren, Trovalisieren, etc.) oder kritische Teile bearbeiten. Oft fehlt operativem Personal aber ein angemessenes Bewusstsein für die Bedeutung ihrer individuellen Leistung für das Gesamtergebnis.

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„Piloten bezahlen ja auch mit ihrem eigenen Leben, wenn sie Fehler machen!“ Ja, deshalb müssen Piloten, die für Fehler schlimmstenfalls mit dem eigenen Leben bezahlen, durch klare Regeln, Training und Vorgaben geschützt werden. Wenn, wie im industriellen Alltag üblich, Fehler nicht klar analysiert werden und weit weniger dramatische Konsequenzen als in der Luftfahrt haben, dann ist das umso mehr ein Grund für mehr Systematik auf dem Weg besser zu werden. „Fliegen ist ein linearer Prozess von A nach B, in der Industrie können die Arbeitsergebnisse viele Ausgänge haben!“ In Industrie gibt es ebenfalls nur drei Möglichkeiten: 1) Landung am Liefertermintreu und entsprechend der definierten Produkt- und Leistungsanforderungen, 2) Landung irgendwo anders mit Verspätung oder Nacharbeit oder 3) Bruchlandung im Sinne eines Auftrags- oder Projektabbruchs. Der Luftverkehr ist, wie auch die Kundenakquise, stets ähnlich, aber nie gleich. Die Anzahl der zufälligen Variablen (Wetter, Ziele, Route, Verkehr, Technik, Verkehrsaufkommen am Boden oder in der Luft, Verspätungen, Passagiere) unterscheiden sich in der Vielzahl nicht wesentlich von den unbekannten Größen im betrieblichen Alltag. Die Komplexität einer Flugdurchführung wird, ebenso wie die eines erfolgreich geführten Fertigungsprozesses, oftmals unterschätzt. Wenn jeder Kunde und jede Anfrage spezifische Eigenarten aufweisen, so ändert dies nichts an der grundsätzlichen strukturellen prozessualen Herangehensweise, die dem der Piloten in ihren Grundmerkmalen nicht unähnlich ist. Ein tieferer Blick in den Prozessablauf zeigt noch weitere Parallelen: Volle Ergebnisverantwortung: Ab dem Start sind die Piloten weitestgehend auf sich selbst gestellt. Sie müssen Entscheidungen ohne Rücksprache treffen. Dies setzt eine Fähigkeit zur Situationswahrnehmung und zum schnellen Treffen von Entscheidungen voraus, wie sie ähnlich von Führungskräften, wie z. B. von Produktionsleitern oder seinen Führungskräften in der Fertigung erwartet wird. Komplexitätsbeherrschung: In der Luftfahrt wie auch in der Industrie hängt der Erfolg maßgeblich von der Fähigkeit zur Prozess- und Schnittstellenbeherrschung ab. Die große Herausforderung ist weniger die Erfüllung der einzelnen Aufgaben an sich, sondern das Zusammenfügen und -halten der vielen Einzelschritte. Informationsbewältigung: Eng verknüpft mit der Komplexitätsbeherrschung ist, sowohl während eines Flugs als auch während eines industriellen Wertschöpfungsprozesses, die Notwendigkeit zur strukturierten Informationsverarbeitung. Alle Informationen müssen überwacht, bewertet und gelenkt werden, d. h. bei den zuständigen Entscheidern zur richtigen Zeit und im notwendigen Umfang vorliegen. Die Informationsflut im Cockpit unterscheidet sich dabei nicht wesentlich von der im betrieblichen Alltag. Der einzige Unterschied ist, dass für die Herangehensweise zur Informationsbewältigung verschiedene Wege beschritten werden.

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Kommunikation: Ein wesentliches Instrument zur Komplexitäts- und Informationsbewältigung ist die Kommunikation. Die notwendige Klaviatur der Kommunikation erstreckt sich sowohl für Piloten als auch für Mitarbeiter in der Industrie von eindeutigen Anweisungen über teamorientierte Abstimmung bis zum aufmerksamen Zuhören und Ratgebern. Dies erfordert die Fähigkeit, die Folgen von Kommunikation und Nicht-Kommunikation einzuschätzen. Führungskompetenz: Weder lassen sich Flüge alleine durchführen noch lassen sich auch nur kleine Projekte oder Aufträge ohne Unterstützung erfolgreich zu Ende bringen. Dazu bedarf es eines Zwangs zur Systematisierung und Nachvollziehbarkeit und damit letztlich zur Professionalisierung. Die Luftfahrt ist hier durch umfangreiche gesetzliche Vorgaben einem deutlich höheren Druck ausgesetzt als der Vertriebsbereich. Das sollte jedoch den Vertrieb nicht davon abhalten, effizienter zu werden. Trotz der vielen Gemeinsamkeiten sind beide Berufsbilder natürlich nicht frei von strukturellen Unterschieden. So sind Vorkommnisse in der Industrie weitaus weniger spektakulär als in der Luftfahrt und erhalten deshalb deutlich weniger Aufmerksamkeit. Der Druck zur Fehleranalyse und ständigen Verbesserung ist damit entsprechend geringer. Daher ergibt sich in der Industrie auch kein vergleichbarer Zwang zur Systematisierung, Nachvollziehbarkeit und damit letztlich zur Professionalisierung. Die Luftfahrt ist hier durch umfangreiche gesetzliche Vorgaben einem deutlich höheren Druck ausgesetzt. Das sollte betriebliche Führungskräfte jedoch nicht davon abhalten, ihre Prozesse effizienter zu gestalten. Im Ergebnis bleibt jedoch festzuhalten, dass auch an Führungskräfte in der Industrie – vergleichbar mit Piloten – ein hohes Anforderungsprofil gestellt wird.

3.2.3 Zwischenfazit Die Luftfahrtbranche im Allgemeinen und das Berufsbild des Piloten im Speziellen haben also tatsächlich strukturelle Ähnlichkeit mit dem Arbeiten im betrieblichen Alltag. Daher ist die Luftfahrt grundsätzlich dazu geeignet, als Impulsgeber für die Industrie zu fungieren. Diese Eignung wird dadurch verstärkt, dass die Luftfahrt in den 1970er und 80er Jahren vor ganz ähnlichen Herausforderungen stand wie moderne Industriebetriebe in westlichen Wettbewerbsmärkten heute, wie der nun folgende Abschnitt zeigt.

3.3 Wie die Luftfahrt das Hochleistungsmanagement entdeckte Bis in die 1970er Jahre hinein nahmen die technisch bedingten Unfälle in der Luftfahrt stetig ab. Dennoch verharrte die Zahl schwerer Vorkommnisse weiterhin auf einem inakzeptabel hohen Niveau. Die Unfälle verliefen dabei stets nach ähnlichen Mustern, was darauf hindeutete, dass die Technik nicht mehr der Hauptgrund für Flugzeugunfälle

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war. Zwar führten stets mehrere einzelne Faktoren, also die Verkettung unglücklicher Umstände, zum Desaster, auslösend aber waren oft menschlich verursachte Banalitäten: man hatte kaum noch Treibstoff, ein Funkspruch wurde nicht wahrgenommen, der Pilot flog zu schnell oder zu tief oder hatte keine Starterlaubnis. Dies war umso erstaunlicher, da in der Regel sehr erfahrene Piloten in die Unfälle involviert waren. Die Cockpitbesatzungen hatten also ein Problem mit Kommunikation, Teamwork, Selbstgefälligkeit, Selbstüberschätzung, Stress, sozialen Normen und ähnlichen Faktoren, also mit den sogenannten Human Factors. Flug 401 der Eastern Airlines Ein fabrikneues Flugzeug stürzte im Dezember 1972, ca. 30 km vom Airport Miami entfernt, in die Everglades. Die erfahrene dreiköpfige Cockpit-Crew hatte sich auf eine defekte Fahrwerksanzeige konzentriert und in der Dunkelheit nicht gemerkt, dass sie in ihrer Warteschleife an Höhe verloren. Der Fluglotse, der den Höhenverlust bemerkt hatte, kontaktierte die Crew mit: „Bei euch alles okay?“, sprach den Höhenverlust aber nicht konkret an. Als den Piloten ihr Fehlverhalten bewusst wurde, war es bereits zu spät, um das Flugzeug zu retten.

In dem hier geschilderten Beispiel kümmerte sich die gesamte Cockpitbesatzung um ein kritisches, aber nicht existenzielles Problem und vernachlässigte dabei ihre Hauptaufgabe: das Fliegen. Die goldene Regel des Fliegens wurde nicht eingehalten: Fly the Aircraft first! Nicht einmal das Nachfragen des Fluglotsen ließ die Piloten ihr Fehlverhalten bemerken. Der Lotse beging ebenfalls einen Fehler, da er das Problem nicht konkret ansprach („Achtung! Ihr verliert schnell an Höhe!“). Kommt Ihnen das bekannt vor? Haben Sie sich auch schon einmal nicht auf die eigentlichen Kundenbedürfnisse konzentriert, sondern sind in detaillierte, sekundäre Projektanforderungen abgedriftet? Haben Sie Probleme nicht konkret angesprochen, sodass sich ein sicher geglaubtes Handlungsergebnis nicht einstellte? Ursachenanalyse nach der 5W-Methode (5W = fünfmal „Warum“ fragen)

1. Warum ist das Flugzeug Flug AS 710 im Jahr 1973 abgestürzt? Weil der Treibstoff ausgegangen ist. 2. Warum ist der Treibstoff ausgegangen? Weil der Pilot angenommen hat, dass dieser gerade noch ausreichen würde. 3. Warum glaubte der Pilot, dass der Treibstoff gerade noch ausreichen würde? Weil er bisher immer gereicht hatte. 4. Warum war sich der Pilot seiner Leichtsinnigkeit nicht bewusst? Weil in Pilotentrainings nicht auf solche Risiken eingegangen wurde. 5. Warum gab es bisher keine darauf ausgerichteten Trainings? Weil das Bewusstsein für menschliche Fehler und deren Auswirkungen 1973 in der Luftfahrt noch nicht so ausgeprägt war wie heute.

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Aufgrund der häufig durch menschliche Fehler verursachten Flugzeugabstürze wurden in den 1970er Jahren Vorfälle, Unfälle oder Beinahe-Unfälle als Basis für eine konsequente Ursachenanalyse in großer Zahl, d. h. kumulativ, erfasst. Die darauffolgenden Untersuchungen kamen zu einem ebenso erstaunlichen wie eindeutigen Ergebnis: Die Piloten waren auf ihre Aufgaben nur unzureichend vorbereitet. Deren Tätigkeitsfeld hatte sich im Jahrzehnt zuvor infolge der anspruchsvolleren Technik (z. B. Jet-Zeitalter) und des rasant gestiegenen Flugverkehrs gewandelt. Anders als in den frühen Jahren der Luftfahrt standen nicht mehr das eigentliche Lenken und Manövrieren des Flugzeugs im Vordergrund, sondern die Systembeherrschung und die Abstimmung mit Bodendiensten und Technik. Die damit verbundene Komplexitätszunahme konnte durch autokratische Kapitäne mit Weltkriegserfahrung und deren „Assistenz“-Piloten nicht mehr beherrscht werden und verlangte eine Neuausrichtung in der Cockpit-Interaktion. Denn es kam immer wieder zu Situationen, in denen • die Crews unzureichend auf die Flugdurchführung vorbereitet waren und Aufgaben nicht klar verteilt waren, • die Aufmerksamkeit für kritische Situationen nicht gegeben und • die Kommunikation nicht eindeutig war. Die Airlines mussten damals realisieren, dass es nicht ausreicht, zwei fliegerisch hoch qualifizierte Piloten und einen Bordingenieur in ein Cockpit zu setzen. Vielfach wurde falsch oder gar nicht miteinander interagiert. Es macht eben einen erheblichen Ergebnisunterschied, ob jeder für sich oder alle in einem Team zusammenarbeiten. In der Personalauswahl sowie in Ausbildung und Training durfte der Fokus daher nicht mehr nur auf fliegerische Fähigkeiten gerichtet sein, sondern musste vor allem sogenannte Non-Technical Skills, also nichttechnische Kompetenzen wie beispielsweise Abstimmung, Teamarbeit und Kommunikation, umfassen.

3.3.1 Welche Maßnahmen haben die Airlines ergriffen? Aus diesen Erkenntnissen heraus wurden Anfang der 1980er Jahre weltweit Maßnahmen zur Beherrschung der wachsenden Aufgabenkomplexität von Piloten eingeführt. Dazu zählten das Human Factors Management, die Standard Operating Procedures (SOP), das Crew Resource Management (CRM), anonyme Fehlermeldesysteme sowie Verbesserungen bei der Pilotenauswahl und bei deren Training. Darüber hinaus wurde eine Abflachung der Hierarchie im Cockpit durchgesetzt. Der rangniedere Co-Pilot durfte nicht nur, sondern musste konsequent eingreifen, wenn er Arbeitsfehler bei seinem Kapitän bemerkte. Vorher hatten Co-Piloten aus Angst oder Respekt offensichtliche Fehler üblicherweise gar nicht oder nicht nachdrücklich angesprochen. Beim wichtigen Crew Resource Management setzte sich bereits wenige Jahre nach Einführung dieser Maßnahmen die Erkenntnis durch, dass die ursprünglich nur für

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Cockpitbesatzungen gedachten Methoden auf alle an der Flugdurchführung Beteiligten ausgedehnt werden sollten. Seit Mitte der 1980er Jahre werden daher auch die Kabinenbesatzungen, die Luftraumüberwachung sowie Technik und Bodendienste weltweit in das Human Factors Training integriert. Die Luftfahrt akzeptierte zudem, dass Menschen Fehler machen und dies auch zukünftig nicht grundsätzlich zu verhindern sein wird. Statt diese aber zu vertuschen, sollten sie aufgedeckt und thematisiert werden, um daraus zu lernen. Wesentlicher Erfolgsfaktor für die sinkende Zahl von Unfällen und Vorkommnissen in der Luftfahrt war vor allem eine anerkannte Fehlerkultur. Ziel all dieser Maßnahmen war und ist es, die Risiken in den Prozessen, in der Teaminteraktion und in der menschlichen Leistungsfähigkeit zu erkennen und für die Beteiligten in ihrem Arbeitsalltag sichtbar zu machen. Für den industriellen Alltag wird dies im zweiten Teil dieses Buches erläutert.

3.3.2 Aus einzelkämpferischen Weltkriegspiloten wurden Teamplayer in Passagierjets Insbesondere bei der Einführung des komplexen Crew Resource Managements gab es deutlichen Widerstand durch die Kapitäne, da diese ihre uneingeschränkte Macht einbüßten. Die neuen Methoden forderten ihnen überdies erhebliche Anpassungen des eigenen Verhaltens und ihres Selbstverständnisses ab. In den 1970er Jahren, als viele Kapitäne noch auf aktive Weltkriegserfahrung zurückblicken konnten, glich dies einer Revolution. Schließlich wurden diese Piloten zu einer Zeit ausgebildet, als es tatsächlich noch um das Fliegen als heldenhafte und glorifizierte Einzelleistung ging. Nach 30 Jahren im Beruf den Spiegel vorgehalten zu bekommen war dementsprechend hart. Plötzlich sahen sich diese Herren mit vier Kapitänsstreifen am Ärmel mit der Kritik konfrontiert, Fehler zu machen, zu dominant zu führen oder stark stressanfällig zu sein. „In meinen Anfangsjahren im Cockpit hörte ich von meinen Kapitänen nicht selten die Ansage: ‚Dort, wo du jetzt sitzt, lag früher meine Mütze!‘ Und dies entsprach exakt der Arbeitseinstellung dieser Piloten im Hinblick auf Teamwork.“ Cpt. Jens J. Olthoff

Dies erinnert sehr stark an einige selbstbewusste Charaktere, die uns auch in der Industrie, oft im Vertrieb, begegnen. Da es die Luftfahrt geschafft hat, mit diesen Zeitgenossen umzugehen, kann man diese auch hier als Beispiel hinzuziehen, um zu analysieren, wie solche Änderungen gegen große Egos und Einzelkämpfer durchzusetzen sind. Um die Zahl menschlich verursachter Vorkommnisse zu reduzieren, sind die Airlines unnachgiebig und konsequent vorgegangen. Bisher autoritär herrschende Cockpitfürsten mussten sich an den Wandel hin zu Teamarbeit und systematischer Kommunikation gewöhnen. Dazu waren Druck, Training und Überzeugung notwendig. Wenngleich viele „Problempiloten“ für ihre Aufgaben neu qualifiziert werden konnten, blieben einige anpassungsunfähige oder -unwillige Kapitäne dabei auf der Strecke. Die

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3  Industrielle Fertigung ist wie Fliegen … fast

strikte ­Sicherheitsorientierung (Safety first) erfordert Teamarbeit. Die Airlines mussten ihr gesamtes Handeln dieser Maxime unterordnen und die notwendigen Aktivitäten kompromisslos durchsetzen, auch mit dem Opfer harter Personalentscheidungen.

3.4 Implikationen für die Industrie Wie veranschaulicht, hat die Luftfahrt mit der Industrie mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Es bedarf aber eines zweiten Blicks, damit erkennbar wird, dass es nicht nur um die Erreichung festgelegter Ziele geht, sondern auch um den Weg dorthin. Der Weg, bis ein Auftrag oder ein Flug sicher abgeschlossen wird, ist komplex und aufwendig. Für einen Erfolg werden viele Spezialisten benötigt. Ob in 10.000 m Höhe, im Konferenzraum oder auf Shopfloor-Ebene, stets geht es um die Leistungsfähigkeit und Interaktion zwischen Menschen in einem anspruchsvollen Umfeld. Die Luftfahrtbranche hat gezeigt, wie eine hohe Komplexität beherrschbar wird. Sie liefert auch den Beweis, dass sich Organisationen nicht nur technologisch ändern, sondern auch in ihre Sozialstrukturen anpassen können. Dafür sind klare Umsetzungsmethoden, Zeit und eine starke Führung erforderlich. Die Herausforderungen, vor denen die Mehrzahl der Betriebe heute stehen, ähneln in dieser Hinsicht strukturell denen der Luftfahrt der 1970er und 1980er Jahre. Die Luftfahrtindustrie begann ihre Neuausrichtung auf Basis schonungsloser Fehleranalysen und Schwachstellenbeseitigung. Dazu bediente sich die Branche nicht primär gänzlich neuer Tools und Methoden, sondern sie wendete vorhandene Erkenntnisse (z. B. Marine-Kommunikation) und Ansätze der Wissenschaft (z. B. Human Factors) als neue Verfahren systematisch in der täglichen Praxis an. Im Lauf der letzten beiden Jahrzehnte hat die Luftfahrt ihre Instrumente, Verfahren und Methoden kontinuierlich weiterentwickelt und optimiert. Das war und ist zwingend notwendig, denn bei rasant steigendem Flugaufkommen und weltweitem Airline- und Flughafenwachstum nehmen die Komplexität der Aufgaben und die damit einhergehenden Gefahren stetig zu. Auffälliges Betriebsversagen wird der Markt kaum verzeihen. Eine Faustformel besagt, dass Fluggesellschaften ökonomisch nur einen Totalverlust pro Jahrzehnt vertragen, da es andernfalls zu signifikanter Kundenabwanderung kommt. Dass sich der Aufwand lohnt, zeigen die Erfolge in Branchen, die der Luftfahrt auf ihrem Weg bereits gefolgt sind, wie z. B. die Medizin. So hat beispielsweise ein Test der Weltgesundheitsorganisation WHO mit Checklisteverfahren ergeben, dass mit bei Anwendung von Checklisten 1/3 weniger Patienten zu Schaden kamen als ohne.

3.4.1 Chancen für die Industrie sind groß Industriebetriebe, die vor der Aufgabe stehen, ihre Prozessqualität und Teaminteraktion sowie schließlich ihre Erfolgsquote zu verbessern, finden in der Luftfahrt praxiserprobte

3.4  Implikationen für die Industrie

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Methoden und gebrauchsfertige Instrumente, die sich im laufenden Betrieb einführen lassen. Die Früchte hängen noch tief, daher ist ein hoher Basiseffekt zu erwarten. Wer die Errungenschaften der Luftfahrt konsequent nutzt, wird rasch deutliche Verbesserungen erzielen.

Teil I Die erfolgreichen Methoden und Konzepte der Luftfahrt

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Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors

4.1 Was sind Human Factors und warum sollte man sie betrachten? Irren ist menschlich und so lassen sich Fehler nicht grundsätzlich vermeiden. Besonders deutlich wurde dies am 27. März 1977. An diesem Tag kam es zum bisher schwersten Unglück in der Luftfahrtgeschichte, als auf Teneriffa bei dichtem Nebel ein startender Jumbo-Jet in einen gerade gelandeten raste. 583 Menschen starben, weil Menschen unter Zeitdruck standen sowie autokratisch und selbstgefällig agierten. Das Umfeld, geprägt durch unzureichende Technik, schlechtes Wetter und eine Überfüllung des Flughafens, trug ein Übriges zum Unglück bei. Das Teneriffa-Unglück Am 27. März 1977 kollidierte auf dem Flughafen von Teneriffa eine startende Boeing 747 der KLM mit einem noch auf der Startbahn befindlichen Pan Am Jumbo. Dieses Unglück, bei dem 583 Menschen ums Leben kamen, ist das bisher schwerste der Luftfahrtgeschichte. Bei dem Crash kamen exogene, technische und menschliche (Human Factors) Gründe zusammen. Ausschlaggebend war letztlich jedoch das Fehlverhalten des KLM-Kapitäns. • Der Flughafen Las Palmas auf Gran Canaria wurde Stunden zuvor aufgrund einer kleinen Bombenexplosion sicherheitshalber geschlossen. Betroffene Flüge wurden nach Teneriffa umgeleitet. Der dortige Flughafen war auf das Flugaufkommen nicht vorbereitet und daher schnell mit gelandeten Maschinen überfüllt. Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. Wunderlich M, Olthoff JJ, Hinsch M (2014) Kann Ihr Vertriebsteam einen Airbus A320 auf dem Hudson landen? [Copyright © Uhlenbruch Verlag, Bad Soden 2014]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_4

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4  Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors

• Kurz vor dem Unglück zog über dem Flughafen, der sich in den Bergen auf 650 m Höhe befindet, binnen kürzester Zeit dichter Nebel auf. • Da der KLM-Flug wegen der Überfüllung mit deutlicher Verspätung zum Start rollte, war die Crew unter Zeitdruck, weil ihnen Dienstzeitüberschreitungen drohten. Sie liefen also Gefahr, den Flug mit 248 Passagieren abbrechen und diesen am nächsten Tag erneut antreten zu müssen. • Der KLM-Jumbo hatte bereits eine Startfreigabe erhalten, die jedoch vom Tower wieder zurückgezogen wurde, nachdem die Pan Am Maschine funkte, dass sie sich noch auf der Startbahn befände. Bei der entscheidenden Anweisung kam es jedoch zu Überlagerungen im Funkverkehr, sodass nicht alle Informationen bei den Beteiligten ankamen. Eindeutig hörbar war jedoch die Anweisung am Ende der Funküberlagerungen an die KLM-Crew: „… bereithalten für den Start. Ich werde Sie rufen.“ • Diese Vorgabe missachtete der KLM-Kapitän und gab Schub. Auch als der Flugingenieur bereits während des Startvorgangs nochmals intervenierte und darauf hinwies, dass sich die Pan Am Maschine möglicherweise noch auf der Runway befand, wies der Kapitän diese Zweifel barsch zurück. • Wenige Sekunden später identifizierte die KLM-Crew die Positionslichter des Pan Am Jumbos im Nebel. Der verzweifelte Versuch, das Flugzeug noch hochzuziehen, endete im Oberdeck der Pan Am Maschine.

Solche tragischen Ereignisse kommen zum Glück nur selten vor. Sie bilden die sichtbare Spitze des Eisbergs menschlicher Fehler (Human Errors). Meistens endet Fehlverhalten glücklicherweise weitaus unspektakulärer und findet im betrieblichen Alltag jenseits der Öffentlichkeit statt. Diese kleineren Fehler kennt jeder von uns: ein Anbauteil falsch montiert, unklare Zeichnungen falsch interpretiert, Toleranz nicht beachtet, keine Berücksichtigung der Verarbeitungstemperaturen, eine verspätete Materialbestellung oder das falsche Fräsprogramm geladen. Solche Fehler kosten Geld. Zudem können sie die Produktkonformität oder durch Nacharbeit den Auslieferungstermin gefährden sowie die Reputation verschlechtern. Dies ist umso ärgerlicher, da die meisten Vorkommnisse leicht vermeidbar sind. Viele Fehler entstehen aufgrund einer stetig zunehmenden Prozess- und Aufgabenkomplexität bei gleichbleibender menschlicher Leistungsfähigkeit. Aufgrund der vielschichtigen sozialen Interaktionen und organisatorischen Strukturen im betrieblichen Alltag mangelt es den Beteiligten nicht selten an nützlichen Informationen. Überdies müssen auch die Schnittstellen zu Kunden, Lieferanten und Partnern berücksichtigt und koordiniert werden. In einem derart unübersichtlichen Umfeld kann Führung nicht immer dort erfolgen, wo sie gerade gebraucht wird, obgleich ständig Entscheidungen zu treffen sind. Überdies fehlen oft klare betriebliche Regeln und Anweisungen, eine lückenlose und nachvollziehbare Kundenkommunikation, Auftragsdokumentation oder eine angemessene IT-Unterstützung. Gepaart mit persönlichem Stress, sozialen Normen, einem engen Zeitplan sowie einem Mangel an Teamwork oder Kommunikation wird schnell die Grenze menschlicher Leistungsfähigkeit überschritten. Der Kunde und seine Anforderungen stehen dann nicht mehr im Vordergrund. Auch die besten Mitarbeiter stoßen hier an ihre Grenzen. Es entsteht eine günstige Ausgangslage für Fehler.

4.1  Was sind Human Factors und warum sollte man sie betrachten?

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Um es nicht soweit kommen zu lassen, bedarf es des Wissens um die menschlichen Faktoren (Human Factors). Hierbei handelt es sich um all jene Umstände und Gegebenheiten, die den Menschen in seinem Handeln alleine oder im Team beeinflussen. Die Human Factors umfassen charakterliche Fähigkeiten und Grenzen, wie Wahrnehmungsfähigkeit, Stressresistenz, Anpassungsbereitschaft, Teamfähigkeit oder Dominanzverhalten. Darüber hinaus nimmt auch das soziale Umfeld erheblichen Einfluss auf die Human Factors. Hierbei spielen vor allem Teamwork und die Herausforderungen in Verbindung mit Kommunikation und Dokumentation eine tragende Rolle. Nicht zuletzt entscheidet auch die physische Arbeitsumgebung, etwa die Arbeitsplatzgestaltung und die IT-Unterstützung, in welchem Umfang menschliche Fehler auftreten können. Die Disziplin, die sich der Beherrschung dieser Grenzen menschlicher Fähigkeiten widmet, ist das Human Factors Management, das bei Cockpitpersonal in leichter Abwandlung als Crew Resource Management (CRM) bezeichnet wird. Dessen Ziel ist es, dass die Mitarbeiter lernen, sich die Konsequenzen ihres Handelns bewusst zu machen und dementsprechend zu agieren. Das Personal soll befähigt werden, ein angemessenes Situations- und Fehlerbewusstsein zu entwickeln und eine durchdachte Teaminteraktion aufzubauen. Mitarbeiter sollen lernen, Informationen systematisch zu nutzen und zu teilen, sich ggf. zu beraten sowie Entscheidungen anzukündigen. In der zivilen Luftfahrt hat die strukturierte Auseinandersetzung mit Human Factors bereits in den frühen 1970er Jahren begonnen. Dennoch bedurfte es eines Unglücks vom Ausmaße des Teneriffa-Crashs, um aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen flächendeckend Konsequenzen zu ziehen. Heute sind periodisch zu wiederholende HumanFactors-Trainings weltweit gesetzlicher Standard in der Luftfahrt. Dies gilt nicht nur für Piloten und Kabinenpersonal, sondern auch für Fluglotsen, Entwicklungsingenieure sowie Herstellungs- und Instandhaltungspersonal. Die Luftfahrt kann somit auf eine über 30-jährige Praxiserfahrung auf dem Gebiet des Human Factors Management zurückblicken. In dieser Zeit wurden nicht nur die Methoden und Instrumente kontinuierlich verbessert. Es wurden auch Besonderheiten im Hinblick auf zielgruppen- und unternehmensspezifische Anforderungen identifiziert. Die Anwendung dieser Trainings- und Arbeitskonzepte trägt dazu bei, dass die Luftfahrt heute als Hochleistungsorganisation erfolgreich ist und als solche öffentlich wahrgenommen wird. Dieser Erfolg spiegelt sich übrigens auch in Zahlen wieder. Momentan kommen weltweit auf eine Million Flüge etwa drei schwere Unfälle. In Industrieländern ist die Quote nochmals deutlich geringer. Keine andere Branche kann niedrigere Fehlerquoten aufweisen. Was bedeutet dies nun für Industriebetriebe? Aus der Luftfahrt wissen wir, dass der Faktor Mensch bei 60–80 % aller schweren Vorkommnisse maßgeblich zur Fehlerentstehung beigetragen hat.1 Dabei können immer wieder ähnliche Fehlermuster und -ursachen

1vgl.

Federal Aviation Administration (FAA): Advisory Circular – Crew Resource Management Training. AC 120-51A. Washington 1993, S. 2.

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4  Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors

Abb. 4.1   Schweizer-Käse-Modell

f­estgestellt werden: ineffektive Kommunikation, schlechte Teaminteraktion, Druck, Stress, soziale Normen, mangelndes Problembewusstsein oder unzureichende Durchsetzungsfähigkeit. Ähnliche Erfahrungen haben übrigens auch Mediziner und Kernkraftwerkbetreiber bei Fehleruntersuchungen gemacht. Möchten Industriebetriebe an die Erfolge der Luftfahrt anknüpfen und Maßnahmen des Human Factors Managements implementieren, so muss sich der Blick auf eine systematische Personalqualifikation und der Führungskultur richten. Bei den Mitarbeitern sollte eine kontinuierliche Sensibilisierung für das eigene Können und die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit geschaffen werden. Dazu müssen die Human Factors in den Köpfen der Mitarbeiter verankert und akzeptierter Bestandteil des betrieblichen Alltags werden. Solche Maßnahmen leisten einen Beitrag dazu, Ihre Organisation erfolgreicher und fehlerresistenter zu gestalten. Sie können auf diese Weise Schutzmechanismen etablieren und so Vorkommnisse verhindern. Im Rahmen des Schweizer-Käse-Modells wird dieser Wirkungsmechanismus visualisiert (Abb. 4.1). Die Organisationsstruktur mit ihren unterschiedlichen Ebenen wird darin durch Käsescheiben dargestellt, während die Systemschwächen durch die Käselöcher symbolisiert sind. Mit den in diesem Buch vorgestellten Methoden und Tools können Sie die Mängel in Ihrem Betrieb reduzieren und somit die Löcher im Schweizer-Käse-Modell stopfen. Im Folgenden richtet sich unser Blickwinkel zunächst noch tiefer auf die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit. Danach widmen wir uns dem Konzept des Dirty Dozen, das uns die zwölf häufigsten menschlichen Fehlerquellen näherbringt.

4.2 Die menschliche Leistungsfähigkeit und deren Grenzen Wir alle wissen, dass die menschlichen Fähigkeiten und Grenzen sehr individuell sind. Sie werden von den Human Factors geprägt, zu denen Alter, Geschlecht, Verhalten, Wissen, charakterliche Eigenarten, Erfahrung, Arbeitsmoral und Sozialkompetenz zählen.

4.2  Die menschliche Leistungsfähigkeit und deren Grenzen

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Eine wichtige Rolle spielt auch das soziale Umfeld, welches sich auf Menschen in Gruppen bezieht. In diesem Kontext umfassen die Human Factors Teamwork, Kommunikation, Führung und Motivation sowie unternehmenskulturelle Faktoren. Zu den Human Factors des sozialen Umfelds zählen überdies Art, Umfang und Klarheit betrieblicher Regeln und Anweisungen sowie die Komplexität der Prozesse, die ein System aufrechterhalten.

4.2.1 Die Grenzen der Wahrnehmung und des Situationsbewusstseins Die Erwartung an Kollegen und Mitarbeiter ist es im Normalfall, dass diese stets fehlerfreie Arbeitsergebnisse liefern. Dabei wissen wir, dass keiner vor Fehlern gefeit ist. Zudem ist uns bekannt, dass Art und Umfang des Fehlerrisikos von den individuellen menschlichen Fähigkeiten und Leistungsgrenzen des Ausführenden abhängen. Fehlerquellen bilden dabei die Reizaufnahme, die Informationsverarbeitung und die Gedächtnisleistung. Um damit in Zusammenhang stehende Fehler zu minimieren, ist es notwendig, die zugrunde liegenden Mechanismen mindestens im Ansatz zu kennen und zu verstehen. Ausgangspunkt für unser Handeln bildet die Aufnahme von Reizen, welche über die Sinnesorgane wahrgenommen und über Nervenbahnen an das Gehirn weitergeleitet werden. Dort werden die Eindrücke verarbeitet und im Kurzzeit-/Arbeitsgedächtnis sowie im Langzeitgedächtnis gespeichert. Der Prozess der Informationsverarbeitung untergliedert sich dabei in drei Schritte: • Zunächst stellt das Gehirn über die Wahrnehmung fest, dass etwas passiert ist (z. B. Oberflächenbeschädigung am zugelieferten Teil). • In einem zweiten Schritt geht es darum, die aufgenommenen Informationen zu verstehen. Wieso ist etwas passiert? Entspricht das Geschehene dem Soll-Zustand? Wenn nicht, was kann die Ursache sein? (Ursache der Beschädigung, z. B. Transportschaden oder mangelnde Verarbeitung). • Zuletzt werden Vorhersagen getroffen: Wie entwickelt sich die Situation? Welche Folgen kann dies haben? (Die Vorhersage wäre, dass es sich um einen systematischen Fehler oder Einzelfall handeln kann.) Erst wenn das Gehirn diesen Prozess abgeschlossen hat, kommt es zur finalen Entscheidungsfindung. Diese wird dann mittels motorischer Zentren in Handlungen umgesetzt. Egal, wo nun Fehler oder Defizite im Gehirn auftreten, sie nehmen immer Einfluss auf den Output der darauffolgenden Schritte in der Gedächtnisleistung. Fehler ziehen sich also weiter fort.

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4  Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors

All diese Schritte laufen größtenteils unbewusst und sekundenschnell ab. Daher, und weil im Moment der Informationsverarbeitung auch neue, wichtige Reize eingehen können, kann es im Gehirn zu Prozessfehlern kommen. So kann es passieren, dass aufgenommene Informationen nicht oder fehlerhaft gespeichert werden. Ebenso ist es möglich, dass Daten aus dem Langzeitgedächtnis aufgrund fehlender Verknüpfung nicht abgerufen werden oder dass individuelle Wahrnehmungsschwächen vorliegen, welche eine Informationsverarbeitung maßgeblich stören. Überdies werden die Grenzen der Gedächtnisleistung auch durch Fitness, Erschöpfung, Motivation und Stress bestimmt. Um Wahrnehmungsfehler, Vergessen und anderen Einschränkungen entgegenzuwirken, kann es helfen, Checklisten zu benutzen, Notizen und Skizzen anzufertigen oder auf Prozess- oder Arbeitsanweisungen zurückzugreifen. Die wirksamste Präventionsmaßnahme bildet die Teamunterstützung. Überdies ist es vor wichtigen Entscheidungen sinnvoll, den Fokus nicht nur auf Informationen zu legen, die das eigene voreingenommene Denkgerüst stützen. Können auf den ersten Blick keine Kritikpunkte ausgemacht werden, so muss dies nicht unbedingt eine Bestätigung für die Richtigkeit des eigenen Handelns sein. Daher sollten alle vorliegenden Informationen und Daten immer kritisch hinterfragt werden.

4.3 Human Factors im persönlichen Umfeld Bei Human Factors im persönlichen Umfeld steht nicht die individuelle Gedächtnisleistung, sondern das Bewusstsein und die Belastbarkeit des Einzelnen im Vordergrund. Die wichtigsten Bestandteile sind: • Verantwortungsbewusstsein, • Arbeitsbelastung und Stress, • Unterforderung, • Motivation. Auf jeden dieser Faktoren lohnt es sich, einen gesonderten Blick zu werfen:

4.3.1 Verantwortungsbewusstsein Dem Einzelnen werden durch den Vorgesetzten oder eine Gruppe Aufgaben übertragen, die dieser zu erledigen hat und für die er die Verantwortung trägt. Das bedeutet, dass der Mitarbeiter seinen Job den Erwartungen des Vorgesetzten, des Teams oder auch des Kunden entsprechend erfüllen muss. Um die gestellte Aufgabe ausführen zu können, muss der Mitarbeiter zunächst den eigenen Verantwortungsbereich kennen und einhalten. Dies ist nicht immer ganz einfach, denn in vielen Betrieben wird das „Dürfen“

4.3  Human Factors im persönlichen Umfeld

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situationsbedingt ausgelegt. Es ergibt sich aus den schriftlichen Vorgaben (Arbeitsvertrag, Stellenbeschreibungen und Prozessanweisungen) und dem Gewohnheitsrecht, gepaart ­ mit der Erfahrung und dem gesunden Menschenverstand des Mitarbeiters. Zum Verantwortungsbewusstsein zählt aber nicht nur die Beantwortung der Frage, ob eine Aufgabe überhaupt ausgeführt werden darf. Jeder muss auch für sich oder andere bewerten können, ob man selbst oder ein Mitarbeiter über die erforderliche Qualifikation verfügt. Ist die Qualität zu niedrig, wird Kontrolle und Nacharbeit notwendig. Ist die Qualität zu hoch, kann es passieren, dass der Mitarbeiter zu viel Zeit benötigt und seine Arbeit somit zu teuer wird. Die Leistung entspricht in beiden Fällen nicht den Erwartungen; der Mitarbeiter wird seiner Verantwortung nicht angemessen gerecht. Um der Bedeutung der Verantwortung des Einzelnen für eine angemessene Qualitätserbringung Nachdruck zu verleihen, wird inzwischen nicht mehr nur in der Luftfahrt auf eine lückenlose Rückverfolgbarkeit Wert gelegt. Die Beantwortung der Frage, wer was wann gemacht hat, gehört heute auch zu den industriellen Standardanforderungen z. B. EN 13485, EN 9100, IATF 16949.

4.3.2 Arbeitsbelastung und Stress Stress ist ein durch negative Reize verursachter psychologischer oder physischer Belastungszustand. Ausgelöst wird Stress durch eine Kluft zwischen situativer Anforderung einerseits und dem eigenen Wissen und Können andererseits. Das Ausmaß von Stress hängt dabei weniger von der Bedrohlichkeit einer Situation ab als vielmehr von der persönlichen Wahrnehmung der Stressfaktoren. Das Problem am Stress ist, dass dieser die Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung massiv und unterbewusst reduziert und damit die Entscheidungsfähigkeit einschränkt. Die Betroffenen neigen zum „Tunnelblick“ und werden irritierbar. Es kommt zu einer abnehmenden Arbeitsqualität – die Gefahr für Human Errors steigt. Langfristiger Stress wirkt sich darüber hinaus auf die Gesundheit aus und kann z. B. zu Kopfschmerzen, Magenbeschwerden und Schlaflosigkeit führen. Stress kann kurzfristig (akut) auftreten oder sich zu einem dauerhaften Zustand (chronisch) entwickeln. Kurzzeitstress entsteht, wenn z. B. binnen kurzer Zeit ungewöhnliche viele Aufträge abzuarbeiten sind. Sobald die Kunden behandelt wurden, fällt auch der Stresspegel wieder ab. Langfristiger Stress lässt sich wegen der Problemkomplexität meist weniger leicht lösen. Hier können ein vergiftetes Arbeitsklima, eine permanente berufliche Überlastung oder Probleme im außerberuflichen Umfeld (z. B. Familienstreitigkeiten, Krankheit im näheren Umfeld, finanzielle Sorgen) ursächlich sein. Akuter und chronischer Stress können die Leistungsfähigkeit gleichermaßen einschränken. Diese Gefahr besteht insbesondere dann, wenn beide Stressarten zusammen auftreten. Die Arbeitsbelastung wird neben dem Arbeitsumfang bzw. dem Zeitrahmen durch ­folgende qualitative Faktoren bestimmt:

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4  Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors

• die körperlichen und geistigen Anforderungen der Aufgabe, • die begleitenden Anforderungen, wie dem geforderten Qualitätsanspruch, der Überwachungsintensität und dem Druck, • die Umgebungsbedingungen (Lärm, Staub, ergonomisch ungünstige Arbeitsausführungen, Großraumbüros, Hitze oder Arbeiten neben einer Baustelle), • die individuelle Erfahrung, Wahrnehmung und Belastungsgrenzen. Dazu zählen Wissen, Stressresistenz und emotionale Verfassung sowie die Fitness. All diese Faktoren bestimmen, inwieweit der Mitarbeiter die an ihn gestellten Erwartungen erfüllen kann. Überdies hängen die Arbeitsbelastung und der Stress stark von der Wahrnehmung, also vom „Können“ des Einzelnen ab. Wir alle wissen, dass verschiedene Menschen bei gleicher Aufgabenstellung und denselben Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich reagieren. Dort, wo Kollege Müller erst auf Betriebstemperatur kommt, kann Kollege Meyer längst überfordert sein. Damit Müller und Meyer zur Höchstleistung finden, müssen beide im Bereich ihres optimalen Stresspegels arbeiten. Bei Kollege Meyer, der schnell an seine Leistungsgrenzen gerät, kommt es darauf an, Überforderung und Erschöpfung zu vermeiden. Denn gerät dieser in eine Stresssituation, wird die ohnehin geringe Belastbarkeit nochmals durch seine stressbedingte Einschränkung der Gedächtnisleistung reduziert. Stress, Müdigkeit und Erschöpfung beeinträchtigen die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Überdies wirken sich diese Faktoren auf die Motivation und die allgemeine Einstellung zur Arbeit und zu den Kollegen aus. Dies soll jedoch kein Plädoyer gegen Stress sein. Wir müssen uns nämlich damit abfinden, dass sich Stress niemals gänzlich vermeiden lässt. Außerdem ist ein gewisses Maß an Stress sogar nützlich, um eine adäquate Leistung erbringen zu können.

4.3.3 Unterforderung Neben der Überforderung gehört bisweilen auch die Unterforderung in bestimmten Betrieben (insbesondere Großunternehmen) bzw. einzelnen Abteilungen zum Alltag. Sie liegt vor, wenn die Arbeit den Mitarbeiter intellektuell nicht fordert oder zu viel Zeit zur Aufgabenbewältigung zur Verfügung steht. Die Unterforderung stellt insofern ein Problem dar, weil die Aufmerksamkeit nachlässt und es daher zu einem gesteigerten Fehlerrisiko kommt. Dies gilt insbesondere für langweilige, monotone Routinetätigkeiten. Dauerhaft unterfordernde Tätigkeiten können bei Mitarbeitern leicht das Gefühl auslösen, dass ihnen keine angemessenen Jobs zugetraut werden. Unterforderung führt zu Langeweile und zu latenter Müdigkeit. Man erschöpft vom Bummeln. Anders als bei der Überlastung kann richtiges Teamwork hier nur temporär helfen. In Zeiten schwacher Auslastung können zwar liegengebliebene Arbeiten erledigt oder Prozessverbesserungen und Arbeitsvereinfachungen entwickelt und umgesetzt werden. Langfristig ist dies jedoch keine Lösung. Hier ist vor allem die Führungskraft gefordert, für eine der individuellen Belastungsfähigkeit angemessene Auslastung zu sorgen.

4.4  Human Factors im sozialen Umfeld

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4.3.4 Motivation Neben dem „Dürfen“ und dem „Können“ beeinflusst auch das „Wollen“ die Arbeitsergebnisse. Die Motivation ist ein wichtiger Human Factor, da Unzufriedenheit das Risiko menschlich bedingter Fehler deutlich erhöht. Außerdem verursachen demotivierte Mitarbeiter steigende Fehlzeiten und fluktuationsbedingte Kosten. Zwar hängt die Motivation wesentlich von der beruflichen Situation und der inneren Einstellung des einzelnen Mitarbeiters ab, aber auch die betriebliche Führung kann maßgeblich darauf Einfluss nehmen. Die höchste Motivation wird in solchen Organisationen gemessen, die ihre Mitarbeiter in besonderer Weise fordern, fördern und wertschätzen. Motivationssteigernde Maßnahmen sind neben einer befriedigenden Tätigkeit realistische Aufstiegs- bzw. Entwicklungschancen, Qualifizierungsmaßnahmen oder die Etablierung akzeptierter Verbesserungsprogramme. Hingegen besagen verschiedene Studien, dass finanzielle Anreize, die über eine marktübliche Entlohnung hinausgehen, nur kurzzeitige Zufriedenheit schaffen, da sich Mitarbeiter bereits innerhalb von drei bis sechs Monaten an diesen Motivationsschub gewöhnt haben. Demgegenüber ist die Unzufriedenheit in jenen Unternehmen am größten, die die Probleme und Änderungsbedürfnisse der Mitarbeiter nicht ernst nehmen. Demotivation zeigt sich auch in jenen Organisationen oder Abteilungen, die autokratisch geführt werden oder mittels enger Zeitrahmen oder zu geringer Budgets Druck auf die Mitarbeiter ausüben.

4.4 Human Factors im sozialen Umfeld Zu den Human Factors im sozialen Umfeld zählen primär der Umgang miteinander, die Kommunikation, das Verhalten und die Belastbarkeit des Einzelnen in seiner Rolle als Mitglied eines Teams. Die wichtigsten Bestandteile sind hier: • Kommunikation, • Teamwork, • Führung, • Druck, • Organisations- und insbesondere Fehlerkultur.

4.4.1 Kommunikation Kommunikation ist der Austausch von Informationen und Nachrichten zwischen einem Sender und einem oder mehreren Empfängern. Dabei wird im Normalfall nicht nur eine Sachbotschaft übermittelt, sondern auch die Motivation und ein Appell des Senders. Überdies wird mit der Kommunikation immer auch die Beziehungsebene angesprochen. Die Weitergabe all dieser Informationen und Botschaften findet nicht notwendigerweise

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verbal über Inhalt, Betonung und Lautstärke statt, sondern kann auch nonverbal mittels Gestik, Mimik oder Datenaustausch erfolgen. Kommunikation ist daher deutlich mehr als nur sprechen! Kommunikation ist eine der wichtigsten Aspekte für eine sichere und effiziente Durchführung betrieblicher Abläufe. Daher ist Kommunikation ein wichtiges Instrument zur Vermeidung von Human Factors bedingten Fehlern. Zugleich gilt mangelhafte Kommunikation als eine der Hauptursachen für Fehlverhalten. Sie kann zum Beispiel zu fehlerhaften Arbeitsergebnissen, Kosten, Zeitverlust, Frustration, Verzögerungen oder Konflikten zwischen den Mitarbeitern führen. Im Zuge der täglichen Kommunikation werden wir alle mit einer Flut wichtiger und noch mehr unwichtigen Informationen konfrontiert. Diese müssen aufgenommen, gefiltert und in Handlungen umgesetzt oder zwischengespeichert werden. Dabei, wie auch bei der Informationsweitergabe, können Fehler auftreten. Daran sind nicht unbedingt die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit schuld. Ursachen können auch die hohe Arbeitsteilung im eigenen Team, mit anderen Abteilungen, mit Kunden oder Lieferanten bzw. Unterauftragnehmern sein. In einem solchen Umfeld können gerade bei umfangreicheren Arbeiten oder Aufgaben Kommunikationsfehler entstehen. Gleiches gilt für die Abstimmung mit dem Kunden oder Vorgesetzten. Die Fehlerursache ist dabei üblicherweise nicht der Mangel an Informationen. Der Grund liegt eher an deren Nichtweitergabe, in einer missverständlichen oder unvollständigen Kommunikation oder Überinformation durch den Sender. Das Risiko liegt daher primär bei der nicht vollständigen oder nicht zeitgerechten Verfügbarkeit der Informationen beim Entscheidungsträger. Beachten Sie daher stets die drei Ks als Hauptprinzipien für jede Kommunikation: klar, korrekt, komplett. In den meisten Fällen mangelhafter Kommunikation wurde mindestens eines der drei Ks nicht beherzigt. Kommunikationspannen auf der Empfängerseite entstehen meist durch Fehlinterpretationen oder ein „Verhören“. Weitere typische Ursachen sind der Kommunikationsabriss in kritischen Situationen, das Fehlen einer gemeinsamen (Fach-)Sprache oder der mangelhafte Informationsaustausch zwischen unterschiedlichen Hierarchieebenen. Die Bedeutung der Kommunikation wird bei näherer Betrachtung von Flugunfalluntersuchungen ersichtlich: So haben bei mehr als zwei Dritteln aller Vorkommnisse Kommunikationsmängel eine wesentliche Rolle gespielt. Wenn Sie einen Blick in den Erfahrungsschatz Ihres Tätigkeitsfeldes werfen, werden Sie sicher auf einen ähnlichen Wert kommen!

4.4.2 Führung Zu den Human Factors im sozialen Umfeld zählt auch die „Führung“. Die betriebliche Wertschöpfung ist in einzelne Schritte und Tätigkeiten zu zerlegen und einzelnen Organisationseinheiten oder Personen zuweisen. Dabei ist es notwendig, die mit der Durchführung beauftragten Mitarbeiter und Kollegen zu koordinieren und zu überwachen.

4.4  Human Factors im sozialen Umfeld

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Wie ist also gute Führung organisiert? Auf jeden Fall zielorientiert! Nach einer Zielformulierung geht es darum, den Mitarbeitern diese Ziele verständlich zu machen und zu verdeutlichen, wohin die Führungskraft sie „mitnehmen“ will. So bereiten sich Flugzeugbesatzungen auf jeden Flug durch Briefings vor, in denen der Flugverlauf in gemeinsamer Runde gedanklich vorweg genommen wird. Im betrieblichen Alltag (z. B. Projekt-Team, Fertigungsinsel-Team) kann es sich um ein Kick-off-Meeting handeln, in dem das Vorgehen für einen komplexeren Kundenauftrag, eine Angebotsanfrage oder ein geändertes Fertigungsverfahren besprochen wird. Dabei dürfen Sie nicht damit rechnen, dass alle Mitarbeiter die gleiche, vielleicht sehr rasche Auffassungsgabe wie Sie selbst haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn Sie die Zielgruppe nicht persönlich kennen. Hier sollten Sie eher mit dem Worst- als mit dem Best-Case rechnen. Gute, an den Human Factors ausgerichtete Führung zeichnet sich also dadurch aus, dass alle Mitarbeiter der Führungskraft gedanklich folgen können und zudem den Mut aufbringen, Fragen zu stellen und sachdienliche Bedenken anzumelden. In der täglichen Umsetzung bedeutet Führung auch, situationsgerecht delegieren zu können. Aus der Perspektive der menschlichen Leistungsgrenzen kommt es darauf an, die Arbeiten entsprechend den Fähigkeiten der Untergebenen optimal zu verteilen. Des Weiteren ist die Überwachung und Kontrolle eine wichtige Führungsaufgabe. Kommt es zu Schwierigkeiten oder zu Abweichungen vom Soll-Zustand, ist ggf. eine Neuordnung der Ressourcen vorzunehmen. Das Beispiel des Absturzes von Flug 401 in den Everglades aus Abschn. 3.3 zeigt, wie schnell eine Führungskraft unter Stress versagen kann. Führung kann zur Reduzierung menschlicher Fehler beitragen, wenn die Mitarbeiter in die Prozess- und Ablaufgestaltung einbezogen werden. In der Fliegerei finden zu diesem Zweck nach jedem Flug mit der gesamten Crew Debriefings statt. In diesen werden positive wie negative Ereignisse aus Cockpit oder Kabine nochmals Revue passiert, um so eine kontinuierliche Verbesserung zu erzielen. In Industriebetrieben haben zwar Briefings Verbreitung gefunden, Debriefings oder Lessons Learnt indes sind nur selten etablierter bzw. wirksamer Bestandteil betrieblicher Kommunikations- und Führungskultur.

4.4.3 Teamwork Gute Teamarbeit ist heutzutage unerlässlich. Aber was sind die Bestandteile von Teamwork und wie können diese die Gefahr von „Human Errors“ reduzieren? Hier stehen insbesondere die Kooperation und die Gruppenverantwortung im Fokus. Kooperation bedeutet vor allem gegenseitige Unterstützung. Jedes Mitglied bringt andere Stärken und Schwächen ins Team ein. Die Herausforderung liegt darin, jeden entsprechend der individuellen Fähigkeiten einzusetzen und so die schwachen Seiten auszugleichen. Dazu muss jedes Team eine offene, ehrliche und von Fairness geprägte Atmosphäre schaffen. Dafür ist es wichtig, dass Unstimmigkeiten behutsam von den Teamangehörigen gelöst werden. Durch eine von allen Beteiligten als angenehm

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4  Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors

­ ahrgenommene Kooperation entwickeln sich Zusammenhalt und gegenseitiger Resw pekt. In einem solchen Umfeld gelingt anerkanntermaßen die höchste Teamleistung. Aus diesem Grund bildet die Kooperation sowohl die Basis für jeden Teamerfolg als auch die Grundlage von Teamidentität. Die zweite Säule der Teamarbeit ist die gemeinsame Verantwortung. Sie umfasst das Bewusstsein jedes Einzelnen für die Erfüllung der Gesamtaufgabe. Der verbreitete Glaube, dass es sich bei der Teamverantwortung nur um die Summe aller Einzelverantwortungen handelt, ist dabei nicht ganz richtig. Zwar wird die Durchführung einer Aufgabe aufgrund der Teamverantwortung auf mehrere Schultern verteilt. Dabei muss aber von jedem Teammitglied beachtet werden, dass nicht die Erfüllung der individuellen Einzelverantwortung im Vordergrund steht, sondern die Erreichung des Gesamtziels. In der Industrie wäre dies z. B. eine erfolgreiche Projekt- oder Auftragsabschluss in der vorgesehenen Zeit. Der Vorteil der Teamverantwortung liegt darin, dass die Last und die Verantwortung der Gesamtaufgabe auf mehrere Schultern verteilt werden. Es besteht die Möglichkeit der gegenseitigen Motivation und Kontrolle. Das Erreichen des Ziels wird als gemeinsame Herausforderung aufgenommen. Die Vorteile können sich jedoch auch ins Gegenteil verkehren. Bei geteilter Gesamtverantwortung werden unter Umständen die Einzelverantwortung und Kompetenzzuordnung verwischt. Dies kann zu gesteigerter Risikobereitschaft und zu Trittbrettfahrerverhalten („Der andere wird’s schon machen“) führen.

4.4.4 Druck Ein häufiger Grund für Human Errors ist Druck. Auf tragisch eindrucksvolle Weise wurde dies am 10. April 2010 bei einem Flugzeugabsturz in Smolensk/Russland sichtbar, dem die halbe polnische Staatsführung zum Opfer fiel. Das Flugzeugunglück in Smolensk Anlässlich des 70. Jahrestages des Massakers von Katyn reiste ein beträchtlicher Teil der polnischen Staats- und Militärführung zu einer Gedenkveranstaltung in die Nähe der russischen Stadt Smolensk. Der Landeanflug fand bei dichtem Nebel statt. Die Landung misslang, als die Tupolew Tu-154 der polnischen Luftstreitkräfte Baumwipfel streifte und abstürzte. Bei dem Unglück kamen alle 96 Passagiere ums Leben, darunter der polnische Staatspräsident, der Zentralbankchef, zahlreiche Minister sowie hochrangige Militärs und Kirchenvertreter. Die Ursache war nicht primär der Nebel, obwohl dieser dazu führte, dass die russischen Fluglotsen von einer Landung abrieten, denn der Flughafen verfügte nicht über die für dieses Wetter notwendige Anflugtechnik. Der Hauptgrund des Unglücks war die mangelnde Berücksichtigung der Human Factors. So war es maßgeblich psychischer Druck, der den Kapitän dazu veranlasste, den riskanten Anflug zu versuchen: • Die Veranstaltung hatte hohe politische Bedeutung. Auf dem 36-jährigen Kapitän lag also die Last, über das Stattfinden der Gedenkfeier zu entscheiden.

4.4  Human Factors im sozialen Umfeld

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• Der Untersuchungsbericht weist darauf hin, dass der Kapitän auf einem früheren Flug als Co-Pilot fungierte, bei dem die Landung unter riskanten Bedingungen abgebrochen wurde, obgleich der verantwortliche Pilot damit eine direkte Anweisung des Präsidenten missachtete. Für dieses fliegerisch richtige Verhalten musste der damalige Kapitän erhebliche dienstliche Konsequenzen in Kauf nehmen. • Es wird stark angenommen, dass auch der Oberbefehlshaber der polnischen Luftwaffe kurz vor der Landung auf dem Notsitz im Cockpit Platz nahm. Allein seine Anwesenheit im Cockpit hätte die Piloten zusätzlich unter Druck gesetzt, den Landeanflug trotz des Nebels und der unzureichenden Anflugtechnik des Flughafens zu wagen. Im Übrigen standen auch die russischen Fluglotsen unter Druck. Aus den aufgezeichneten Gesprächen im Tower wurde deutlich, dass dort eine angespannte, fast chaotische Atmosphäre herrschte. Ursächlich war die Sorge der russischen Entscheidungsträger, nicht den Eindruck entstehen zu lassen, dass sie für das Scheitern des Präsidentenbesuchs verantwortlich wären.

Wie überall im betrieblichen Alltag werden auch in der Industrie Aufgaben häufig unter Druck ausgeführt. Druck kann positiv sein, weil er dazu beiträgt, Aufgaben fertigzustellen. Oft ist Druck jedoch belastend und verursacht beim Betroffenen Stress. Wird der Druck zu groß, steigt die Gefahr von Fehlern deutlich an. Das Problem ist für denjenigen, der Druck ausübt, dass es sich bei Ausübung von Druck um eine Gratwanderung handelt. Druck ist nicht per se schlecht – manchmal ist er sogar unerlässlich, um bestimmte Ziele zu erreichen. Druck kann sowohl durch den Vorgesetzten als auch durch das Team ausgeübt werden. Auch Zeitmangel oder die Wichtigkeit der Situation können Druck erzeugen und das Arbeitsergebnis erheblich beeinflussen. Druck kann aber auch durch einen selbst ausgelöst werden; schließlich will jeder die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, bestens erfüllen. Beim Gruppenzwang führt Druck dazu, dass die Zugehörigkeit zum Team durch die Kollegen zumindest temporär in Frage gestellt wird. Beim Druck durch Vorgesetzte schwebt die Angst vor Sanktionierungen mit. Um seine Wirkung zu entfalten, muss der Druck dabei nicht einmal offen zutage treten. Für die Betroffenen liegt die Kunst darin, die Grenze zwischen Druck und Anpassung zu kennen und einzuhalten. Unter Berücksichtigung dieser Faktoren überlegt sich jeder Einzelne situativ, ob er sich dem Druck widersetzt oder ihm nachgibt. Es ist stets die Frage zu beantworten, ob die Bedenken groß genug sind, sich gegen den oder die anderen zu stellen. Folgende Faktoren üben maßgeblichen Einfluss auf die Höhe des empfundenen Drucks aus: • Selbstwahrnehmung: Personen mit geringem Selbstbewusstsein geben Druck schneller nach. • Qualifikation: Der Neuling mit wenig Wissen, Können und Erfahrung neigt dazu, der Mehrheit zu folgen. • Beziehungsebene der Beteiligten: Der Druck zur Anpassung ist größer, wenn sich die Akteure gut kennen.

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4  Menschliche Grenzen kennen und beherrschen – Human Factors

• Kulturkreis: In vielen Ländern ist der Druck auf den Einzelnen höher, weil die Gemeinschaft mehr zählt als das Individuum. Ebenso zeigt sich in autoritären Organisationsstrukturen ein höherer Druck. • Geschlecht: Die Anpassungsbereitschaft von Frauen ist tendenziell höher als die von Männern.

4.4.5 Organisationskultur Organisationskultur ist die Summe von Einstellungen, Normen, Rollen sowie sozialen und technischen Praktiken, die in einer Organisation gelten. Die Kultur bildet somit das aufgabenunabhängige Fundament für die betriebliche Arbeitsweise und das Selbstverständnis Entscheidend ist dabei nicht primär das, was der Chef proklamiert, sondern das, was davon auf ausführender Arbeitsebene ankommt. Ein Beispiel für ein Flugzeugunglück, bei dem eine sicherheitsgefährdende Unternehmenskultur mitverantwortlich war, ist Crossair-Flug 3597 vom 24. November 2001 von Berlin-Tegel nach Zürich-Kloten. Crossair-Flug 3597 Am 24. November 2001 stürzte ein Jumbolino (Avro RJ100) der Schweizer Crossair beim Anflug auf den Flughafen Zürich-Kloten in der Nähe von Bassersdorf ab. Das Flugzeug unterschritt die Mindestflughöhe, streifte dadurch bei schlechter Sicht die Baumwipfel eines Berghangs und geriet außer Kontrolle. Bei dem Unglück starben 24 der 33 Insassen. Mehrere Human Errors waren die Ursache des Absturzes: Nach Unterschreiten der Mindestflughöhe reagierten beide Piloten nicht auf die Warnungen des Bordcomputers, obwohl sie auch keine Sicht auf den Flughafen oder die Anflugbefeuerung hatten. Die Entscheidung zum Go-Around traf der Kapitän erst, als es bereits zu spät war. Es wird heute davon ausgegangen, dass das Unglück durch die autoritäre Unternehmenskultur der Crossair stark begünstigt wurde. Der Untersuchungsbericht führt aus, dass das Crossair-Personal einem unverhältnismäßigen Druck ausgesetzt war, um die betrieblichen Expansionspläne zu ermöglichen. Kamen sie den Anweisungen der Geschäftsführung nicht nach, wurde ihnen mit der Kündigung gedroht. Hierdurch entstand eine Angstkultur, die dazu führte, dass Mitarbeiter bewusst Vorschriften missachteten. So wurden Crews wegen des Personalmangels dazu genötigt, länger zu fliegen, als die Vorschriften erlaubten. Auch wurde es vom damaligen Top-Management gutgeheißen, wenn die Mindestanflughöhe bei schlechtem Wetter unterschritten wurde, um dadurch eine Landung noch zu ermöglichen. Nicht zuletzt wurde auch die fliegerische Qualifikation des Kapitäns stark infrage gestellt. So hatte er mehrmals Prüfungen nicht bestanden und musste sich zudem bereits vor dem Unglück für einige gefährliche Vorkommnisse verantworten, darunter den Totalschaden einer Saab 340.

Aus Sicht der Human Factors ist es wichtig, wie in einem Unternehmen mit Risiken und Fehlern umgegangen wird. Entscheidend ist die Etablierung einer Kultur, die ein Bewusstsein für Gefährdungspotenziale schafft und Fehler nicht nur als Ärgernis, sondern auch als Erkenntnisgewinn betrachtet. Dies erfordert den Willen und die

4.5  Human Factors im physischen Arbeitsumfeld

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­ ereitschaft der Führungskräfte, Vorkommnisse kritisch aufzuarbeiten, zu kommunizieB ren und, wo nötig, auch Veränderungen durchzuführen. Jeder Betrieb, der eine solche Fehlerkultur nachhaltig etablieren möchte, steht dabei vor der Herausforderung, einen Wandel im Denken und Handeln der Beteiligten zu erreichen. Dies gelingt erfahrungsgemäß nicht von heute auf morgen. Erste Erfolge dürften sich frühestens nach sechs bis zwölf Monaten zeigen; Nachhaltigkeit stellt sich erst nach Jahren ein. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der betrieblichen Fehlerkultur findet in Kap. 10 statt.

4.5 Human Factors im physischen Arbeitsumfeld Neben den Grenzen der Gedächtnisleistung und der sozialen Arbeitsumgebung zählt auch das physische Arbeitsumfeld zu den Faktoren, die Einfluss auf die menschliche Leistungsfähigkeit nehmen. Das physische Arbeitsumfeld umfasst die Ressourcen, die erforderlich sind, um die Arbeit in gewünschter Qualität durchführen zu können. Hierzu zählen die Räumlichkeiten, Betriebsmittel, IT-Hardware und -Software, die verfügbare Personalkapazität sowie Geld und Zeit. Des Weiteren werden die Umgebungsbedingungen, wie Temperatur, Beleuchtung, Lärm und die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung dem physischen Arbeitsumfeld zugerechnet. Bei vielen Vorkommnissen tragen Faktoren des physischen Arbeitsumfeldes zur fehlerhaften Arbeitsausführung bei. In unseren Luftfahrtbeispielen wird dies eindrucksvoll bei den Mängeln in der Funktechnik des Teneriffa-Unglücks deutlich.

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Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler

Irren ist menschlich. Wir sind alle nur Menschen und machen Fehler. Das wird sich auch niemals ändern. Dennoch sollten wir uns nicht damit abfinden. Stattdessen sollten wir alle geeigneten Maßnahmen ergreifen, um die Fehlerquote zu minimieren. Dies ist für Ihr Unternehmen zunächst ein Kostenaspekt. Es ist aber auch eine Frage der Kundenorientierung und damit des langfristigen Unternehmenserfolgs! Nicht zuletzt reflektiert Fehlerbewusstsein auch die (Arbeits-)Moral und Ihren Anspruch an sich selbst. Häufig können in Unternehmen branchenunabhängig ähnliche Fehlermuster und -quellen ausgemacht werden. Die Ursachen sind oft jedermann bekannt, geraten aber in der täglichen Praxis in den gedanklichen Hintergrund. Dies sollte und muss nicht passieren. Hier hilft das Dirty-Dozen-Konzept (Abb. 5.1). Es ist eine Auflistung der zwölf häufigsten Gründe für menschliche Fehler. Gordon Dupont, ein Mitarbeiter der kanadischen Luftfahrtbehörde, wertete hierzu Ende der 1970er Jahre die häufigsten Fehler in der Luftfahrt aus und fasste diese zu einem Gedankengerüst zusammen. Gelänge es, diese zwölf Fehlerarten auszulöschen oder unter Kontrolle zu bringen, ließe sich ein sehr hoher Prozentsatz alltäglicher Fehler, Gefahren und Ineffizienzen vermeiden und Risiken reduzieren. Im Folgenden werden das Dirty Dozen und mögliche Präventionsmaßnahmen aufgezeigt. Viele Maßnahmen werden Ihnen bekannt vorkommen. Einige werden Sie möglicherweise als Binsenweisheiten abtun. Aber auch diese Maßnahmen müssen Sie

Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_5

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5  Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler

Abb. 5.1   Dirty Dozen

umsetzen, wenn Sie durch Human Factors bedingte Fehler reduzieren wollen. In der täglichen Praxis erfordert die Umsetzung gerade bei den Selbstverständlichkeiten harte Arbeit an sich selbst und am Team. Einige der zwölf häufigsten Fehler haben wir bereits im vorherigen Kapitel kennengelernt. Im Folgenden beschränken wir uns dann auf Maßnahmen zu deren Minimierung.

5.1 Mangel an Kommunikation Aus der Unfallforschung wissen wir, dass falsche, mangelhafte oder fehlende Kommunikation der häufigste Grund für Arbeitsfehler ist. In der Luftfahrt gilt der Asiana-Crash in San Francisco als gutes Beispiel. In Abschn. 4.4 haben wir die Gefahren falscher Kommunikation näher dargestellt. Folgende Maßnahmen helfen bei der Reduktion fehlerhafter Kommunikation: • Am wichtigsten ist es, sich der Ursachen und der Gefahren fehlgeleiteter Kommunikation bewusst zu werden. Dazu gehört auch das Wissen darum, wie Kommunikation funktioniert und was sich in den Köpfen von Sender und Empfänger abspielt. • Rechnen Sie nicht unbedingt damit, dass dem Empfänger die gleichen Informationen zur Verfügung stehen wie Ihnen selbst. Wenn Sie Ihr Gegenüber nicht oder nur wenig kennen, so berücksichtigen Sie, dass dieser nicht unbedingt die gleiche Gedächtnisleistung und Wahrnehmungsfähigkeit hat wie Sie. Gehen Sie auch nicht davon aus, dass Ihre Nachricht vom Empfänger verstanden wurde. Verlangen Sie gerade bei wichtigen Botschaften eine Rückmeldung. Erklären Sie detailliert und denken Sie an die drei Ks „korrekt“, „klar“ und „komplett“. • Stimmen Sie Ihr Vorgehen stets mit Ihren Teammitgliedern ab, um ein gemeinsames, in die gleiche Richtung laufendes Handeln sicherzustellen.

5.2  Mangel an Teamwork

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Asiana-Crash in San Francisco Am 6. Juli 2013 kam es bei der Landung von Asiana-Airlines-Flug 214 von Seoul nach San Francisco (SFO) zu einem schweren Unfall mit drei Toten und 181 Verletzten. Der Unfall geschah, da die Boeing B-777 zu früh aufsetzte und die wasserseitige Pistenkante streifte. Das Flugzeug war deutlich zu tief und zu langsam in den Endanflug gegangen. Ursächlich hierfür war menschliches Versagen der Cockpit-Crew, wobei ein wartungsbedingter Ausfall des Instrumentenlandesystems (ILS) am Flughafen SFO das Fehlverhalten begünstigte. Obgleich Kapitän Lee Kang Kuk über viel Erfahrung mit einer B-747 verfügte, war es für ihn sein erster Anflug auf SFO mit einer B-777. Der Kapitän verfügte also nur über sehr wenig Erfahrung auf diesem Muster. Er sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, den als anspruchsvoll geltenden SFO-Anflug nicht mittels ILS, sondern auf Sicht durchzuführen. Lee gab nach dem Unfall gegenüber der Untersuchungskommission an, sich vor der Landung unsicher gefühlt zu haben und dieses auch gegenüber seinem Trainingskapitän während der Flugvorbereitung zum Ausdruck gebracht zu haben. Ein anderer Pilot, mit dem Lee wenige Tage zuvor geflogen war, bewertete seine Leistung ebenfalls kritisch. Jedoch trifft nicht nur den Kapitän eine Schuld. Schließlich assistierte ihm bei der Landung sein B-777-Trainingskapitän. Und auch der Co-Pilot hielt sich im Cockpit auf. Beide sagten aus, die Situation kurz vor dem Unglück als kritisch eingeschätzt zu haben. Dennoch reagierten sie nicht angemessen. Alle drei Cockpitinsassen erkannten insofern die kritische Höhe und Geschwindigkeit. Sie gingen jedoch davon aus, dass das Flugzeug diese über die automatische Schubregelung selbst regulieren würde. Dabei bemerkten sie nicht, dass das System abgeschaltet war. Die Atmosphäre im Cockpit wurde von Experten zwar als konzentriert, aber unkommunikativ beschrieben. Sie hätten während der Landephase mehr kommunizieren und den Anflugverlauf wie allgemein üblich miteinander abstimmen müssen. Zu dieser Situation hat beigetragen, dass auch der Trainingskapitän das erste Mal in dieser Funktion tätig war. Zwar hatte er mehr Erfahrung auf der B-777 als der Kapitän, seine fliegerische Gesamterfahrung war aber insgesamt geringer. Daher ging der Trainingskapitän davon aus, dass sein Trainee im letzten Moment richtig handeln würde.

5.2 Mangel an Teamwork Wie wir bereits in Abschn. 4.4 gesehen haben, kann sich mangelndes Teamwork stark fehlerbegünstigend auswirken und gehört deshalb auch zu den „Dirty Dozen“. Um einer unzureichenden Zusammenarbeit entgegenzuwirken, können folgende Maßnahmen ergriffen werden: • Gute Teams zeichnen sich durch ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit aus. Misserfolge sollten thematisiert und nicht unter den Teppich gekehrt werden. Nur so lässt sich die Gefahr eines Wiederauftretens verringern. Führen Sie hierzu zum Beispiel strukturierte Debriefings nach wichtigen Projekten, Aufträgen oder Ereignissen durch. • Der Teamleiter muss dafür Sorge tragen, dass ein gemeinsames Zielverständnis entsteht und die Zielorientierung nicht aus den Augen gerät. Dabei ist sicherzustellen, dass jeder die Ziele versteht und seine Aufgabe für die Zielerreichung kennt und erfüllt.

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5  Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler

• Machen Sie jedem Teammitglied klar, dass es seinen Beitrag zum gemeinsamen Erfolg leisten muss. Wettbewerbsorientierung im Team ist gut und wichtig, aber dabei darf die Teamharmonie nicht auf der Strecke bleiben. Im Team muss ein partnerschaftlicher Umgang herrschen und alle sollten sich aufeinander verlassen können. • Verbessern Sie die Teamidentität. Hierzu hilft es klarzustellen, dass Erfolge bzw. Leistungen, die im Team zum erfolgreichen Abschluss gebracht wurden, immer auch gemeinsame Verdienste sind.

5.3 Druck Auch auf Druck sind wir bereits im vorherigen Kapitel eingegangen. Druck ist unser ständiger Begleiter. Daher sollten wir Methoden zur Hand haben, die die Folgen negativen Drucks unter Kontrolle halten. Hierzu eignen sich folgende Vorbeugungsmaßnahmen: • Wenn Sie merken, dass Druck Ihre Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, nehmen Sie kurz Abstand von Ihrer Tätigkeit (Time-out). Machen Sie eine kurze Pause, sammeln Sie sich, und wägen Sie die Sachlage nochmals pragmatisch ab. Bitten Sie ggf. einen Kollegen um Rat oder Unterstützung. • Wenn Sie Entscheidungen unter Druck fällen müssen, machen Sie sich zunächst die Folgen eines Fehlers klar. • Denken Sie daran, dass immer genug Zeit ist, es sorgfältig zu machen, denn Nacharbeit ist teurer. If you think Quality is expensive, try a error.

5.4 Soziale Normen Normen stelleninnerhalb einer Organisation oder Gemeinschaft allgemein anerkannte Verhaltensmuster dar. Normen sind akzeptierte, i. d. R. nicht schriftlich fixierte Regeln, mit denen Gruppen erwartete Vorgehensweisen des Einzelnen definieren. Normen sind also Verhaltenserwartungen. Insoweit tragen Normen dazu bei, das soziale Miteinander berechenbarer und damit einfacher zu gestalten. Jeder Betrieb verfügt über seine eigenen Normen. Sie sind wichtiger Bestandteil der Organisationskultur. So können Teams oder Abteilungen autokratisch geführt sein, mit der Folge, dass Widerspruch gegenüber dem Vorgesetzten die gemeinsame Beziehungsebene dauerhaft schädigen würde. Demgegenüber stehen Organisationen mit hoher Teamorientierung, bei denen kritische Äußerungen akzeptiert oder sogar ausdrücklich gewünscht werden. Die Vorteile sozialer Normen übersteigen eindeutig deren Risiken. Dennoch können Normen auch Fehler verursachen. Daher sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden, um die negativen Eigenschaften von Normen abzufedern:

5.6 Ablenkung

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• Werden Sie sich der Risiken schlechter Normen bewusst. Identifizieren Sie Vorkommnisse, die durch soziale Normen ausgelöst wurden oder werden könnten. • Versuchen Sie, die Auswirkungen schlechter Normen durch schriftlich fixierte Maßnahmen (z. B. Verfahrensanweisungen) zu eliminieren oder wenigstens abzufedern. • Thematisieren Sie schlechte Normen explizit in Schulungen, Lessons Learnt und Team-Meetings. Entwickeln Sie Lösungen (z. B. Prozessanweisungen oder Trainings).

5.5 Fehlende Durchsetzungsfähigkeit Es gibt Situationen, bei denen Durchsetzungsvermögen – auch in ungeordneten Hierarchieebenen – notwendig ist, um einen Kunden oder die eigene Organisation vor einem Schaden zu bewahren. So spielte fehlende Durchsetzungsfähigkeit der Cockpitbesatzung gegenüber ihrem Kapitän sowohl beim Teneriffa-Unglück als auch beim Crossair-Flug 3597 eine wichtige Rolle. Dazu bedarf es einer Durchsetzungsbereitschaft und -fähigkeit. Gerade von Führungskräften wird sowohl seitens der Geschäftsleitung als auch vonseiten der Mitarbeiter Durchsetzungsvermögen gefordert. Es ist eine wichtige Führungseigenschaft. Aber grundsätzlich muss jeder Mitarbeiter bei Missständen bereit und in der Lage sein, auf diese aufmerksam zu machen. Durchsetzungsfähigkeit ist grundsätzlich eine positive Eigenschaft. Gleichwohl ist die Grenze zur Rechthaberei und Pedanterie bisweilen fließend und sollte im Sinne der Teamharmonie nicht überschritten werden. Folgende Maßnahmen können das Durchsetzungsvermögen verbessern: • Formulieren Sie Ihre Zweifel oder Anmerkungen verständlich. Klare, korrekte und komplette Kommunikation ist wesentliche Voraussetzung dafür, dass Ihre Anregungen aufgegriffen werden. Seien Sie dabei stets höflich. • Wenn Sie berechtigt sind, aktiv Einfluss zu nehmen, reden Sie nicht nur, sondern handeln Sie auch. Dazu gehört auch die Verweigerung einer Tätigkeit oder Leistung, wenn diese nicht Ihrem Qualitätsanspruch gerecht wird. • Denken Sie immer daran, in kritischen Situationen eine eigene Aktennotiz anzulegen und/oder E-Mails aufzubewahren. Es stellt die langfristige Nachvollziehbarkeit sicher und kann Sie vor Rechtfertigungen bewahren.

5.6 Ablenkung Ablenkung ist ein unvermeidbarer Bestandteil unserer täglichen Arbeit. Ablenkung entsteht durch Telefonanrufe, eingehende E-Mails, einen Kollegen, einen Vorgesetzten, die Arbeitsbedingungen sowie private Freuden oder Sorgen. Ablenkung lässt sich niemals gänzlich ausschließen. Da bei Ablenkung geplante Tätigkeiten gar nicht, unvollständig

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5  Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler

oder nicht mit der gebotenen Konzentration fortgeführt werden, ist es wichtig, mit Ablenkung richtig umgehen zu können. Folgende Maßnahmen können dabei helfen: • Entwickeln Sie ein angemessenes Bewusstsein, dass Ablenkung ein Faktor der Dirty Dozen ist und eine Gefahr für Ihre Arbeit darstellt. • Um Fehler zu vermeiden, sollte eine Aufgabe beendet werden, bevor Sie sich der Ablenkung widmen. Ist dies nicht möglich, so empfiehlt es sich, nach Rückkehr zur unterbrochenen Aufgabe gedanklich ein bis zwei Schritte zurückzukehren, um sicherzustellen, dass nichts vergessen wurde. • Wenn es nicht möglich ist, die Arbeit vor der Unterbrechung fertigzustellen, kennzeichnen Sie die Stelle, an der Sie unterbrochen wurden. Ein gelber Klebezettel kann hierzu schon ausreichen. • Wenn Arbeiten unter übermäßiger Ablenkung durchgeführt wurden, empfiehlt es sich, diese nach Fertigstellung nochmals besonders zu prüfen. Idealerweise sollte ein Kollege zur Kontrolle des Arbeitsergebnisses herangezogen werden. • Checklisten mit Prüfpunkten helfen bei der vollständigen und richtigen Arbeitsdurchführung. • Weitere Fehler der Dirty Dozen begünstigen Ablenkung. Dies gilt insbesondere für Erschöpfung, Stress oder die nun folgende Selbstgefälligkeit und Apathie.

5.7 Selbstgefälligkeit und Apathie Der Mensch neigt dazu, Dinge des täglichen Lebens zu automatisieren. Wir schalten auf Autopilot, weil wir Tätigkeiten wie Zähneputzen, Autofahren und Kaffeekochen schon unzählige Male durchgeführt haben. Vergleichbare Beispiele kennen wir auch aus dem beruflichen Umfeld. So geben lösen Mitarbeiter täglich Bestellungen aus, legen Aufträge an, wählen Maschinenprogramme aus oder führen Messungen am Produkt durch. Bei diesen wiederholt durchgeführten Arbeiten besteht die Gefahr, dass wir apathisch oder selbstgefällig werden. Während apathisches Verhalten durch Monotonie oder Ablenkung entsteht, ist Selbstgefälligkeit ein Indiz für übersteigertes Selbstbewusstsein oder mangelnde Kenntnis der menschlichen Leistungsgrenzen. Der Betroffene denkt, ohne sich der Risiken bewusst zu sein: „Das kann ich im Schlaf, da mache ich nach der tausendsten Anästhesie keine Fehler mehr“. Meistens stimmt dies auch. Aber gerade in Verbindung mit Ablenkung, fehlender Aufmerksamkeit oder durch marginale Änderungen am standardisierten Verhalten können eben doch Fehler auftreten. Seien Sie sich stets der Gefahren von Apathie und Selbstgefälligkeit bewusst. Es kann sein, dass Sie damit nicht nur Ihrem Kunden unnötiges Leid oder Ihrem Unternehmen überflüssige Kosten ersparen, sondern auch Ihren eigenen Kopf retten. Mit folgenden Tipps können Sie Apathie und Selbstgefälligkeit vorbeugen:

5.8  Fehlendes Problembewusstsein

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• Achten Sie stets auf die typischen Risiken Ihres Jobs und seien Sie sich Ihrer Aufgabe nie zu sicher – auch bei der Durchführung vermeintlicher Routineaufgaben. Geben Sie also Acht, dass wirklich alle Bedingungen so sind, wie sie sein sollen. • Schärfen Sie Ihr Situationsbewusstsein und haben Sie stets die Human Factors im Hinterkopf. Dies kann mittels Briefings und Debriefings oder Human-Factors-Training geschehen. • Benutzen Sie, wo immer sinnvoll und möglich, Checklisten. Halten Sie sich auf Shopfloor-Ebene strikt an Arbeitskarten, Laufkarten bzw. Fertigsauftrage. Bei Abweichungen ist die Arbeitsplanung oder das Engineering zu konsultieren. Seien Sie dabei konsequent. Piloten arbeiten vor jedem Start und vor jeder Landung Checklisten ab, auch wenn sie zu zweit sind und diese Tätigkeiten schon tausend Mal durchgeführt haben. • Bitten Sie Kollegen oder andere Fachabteilungen bei wichtigen Aufgaben um Kontrolle.

5.8 Fehlendes Problembewusstsein Beim fehlendem Problembewusstsein unterschätzt der Verursacher die Auswirkungen seines Handelns. Die negativen Folgen werden – aus welchem Grund auch immer – nicht antizipiert. Fehlendes Problembewusstsein kann eine charakterliche Schwäche sein, es kann aber auch abhängig von anderen Bestandteilen des Dirty Dozen wie Ablenkung, Stress oder Selbstgefälligkeit entstehen. Fehlendes Problembewusstsein wird in diesen Fällen oft durch mangelnde Aufmerksamkeit ausgelöst. Der Mitarbeiter hat dann schlicht nicht aufgepasst. Beim fehlenden Problembewusstsein werden die negativen Folgen eigenen oder fremden Handelns – aus welchem Grund auch immer – nicht antizipiert. Dies kann die Folge charakterlicher Schwäche sein, es kann aber auch unter Einfluss anderer Bestandteile des Dirty Dozen wie Ablenkung, Stress oder Selbstgefälligkeit entstehen. Fehlendes Problembewusstsein wird in diesen Fällen oft durch mangelnde Aufmerksamkeit ausgelöst. Der Mitarbeiter hat dann nicht aufgepasst. Folgende Maßnahmen können helfen, das Problembewusstsein zu schärfen: • Entwickeln Sie bei sich oder bei den betroffenen Kollegen ein Problembewusstsein, indem Sie Risiken des Arbeitsumfelds thematisieren. Stellen Sie sicher, dass Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verstanden werden; • Antizipieren Sie die möglichen Entwicklungen in Ihren Prozessen. Rechnen Sie dabei nicht nur mit dem Wahrscheinlichen, sondern berücksichtigen Sie auch die Risiken. Alle Fehler, die Sie sich vorstellen können, passieren auch – und noch viele mehr! Wenn Sie beispielsweise neue Zuschlagssätze für das Kalkulationstool per Mail versenden, rechnen Sie damit, dass eine solche Admin-Mail nicht immer zeitnah gelesen

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5  Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler

oder sofort das zugehörige Update ausgeführt wird. Risikoverschärfend kann hier eine schlecht formulierte Betreffzeile sein; • Wenn Sie erkennen, dass Sie Probleme haben, eine Situation in ihrem gesamten Umfang einzuschätzen, bitten Sie Ihre Kollegen um Unterstützung. Ohnehin kann Teamwork jederzeit helfen, das Problembewusstsein zu schärfen.

5.9 Erschöpfung Jeder kennt Erschöpfung. Man kommt beispielsweise von einer anstrengenden Dienstreise direkt zurück ins Büro oder hat am Vorabend zu viel Alkohol getrunken, zu lange gefeiert und in Folge zu wenig geschlafen. Die darauf folgenden Bürostunden werden anstrengend, weil sich der Körper in einem Erschöpfungszustand befindet. Von Arbeitsbeginn an ist die Konzentrationsfähigkeit herabgesetzt. Nach dem Mittag droht obendrein das Suppenkoma. Zu der reduzierteren Aufmerksamkeit gesellen sich eine unübliche Vergesslichkeit und Gleichgültigkeit. Dinge, die unter normalen Umständen nicht den eigenen Qualitätsanspruch erfüllen, lässt man im erschöpften Zustand großzügig durchgehen. Nicht nur von dieser kurzfristigen Erschöpfung, ausgelöst durch ein einzelnes Ereignis, droht Gefahr. Erschöpfung kann auch chronisch sein, sodass die physischen und mentalen Fähigkeiten langfristig beeinträchtigt sind. Im schlimmsten Fall handelt es sich um Burnout. In einem Zustand der Erschöpfung begehen Mitarbeiter schneller Fehler. Akute Erschöpfung muss übrigens nicht zwangsläufig in einer Nachtschicht auftreten. Um die Gefahr von Erschöpfung zu reduzieren oder bestehende Erschöpfung unter Kontrolle zu halten, sollten folgende Maßnahmen ergriffen werden: • In einem ersten Schritt ist es notwendig, sich die Erschöpfung einzugestehen und sich deren Risiken bewusst zu machen. • Vermeiden Sie bei akuter Erschöpfung monotone Tätigkeiten. • Bei Erschöpfung ist es ratsam, eng mit Kollegen zusammenzuarbeiten und sie über den eigenen Zustand zu informieren. Dies setzt Vertrauen und gutes Teamwork voraus. • Stellen Sie einen ausgewogenen Lebensstil sicher. Dazu zählen sieben bis acht Stunden Schlaf pro Tag, ein angemessener Alkoholkonsum, ausgewogene Ernährung sowie – sehr wichtig – regelmäßige körperliche Betätigung.

5.10 Stress In Abschn. 4.3 wurde bereits auf die Grundlagen des Stresses eingegangen. Da Stress ebenfalls zu den Dirty Dozen zählt, ist es wichtig, Strategien zu dessen Beherrschung zu kennen. Folgende Maßnahmen können dabei helfen, Stress in den Griff zu bekommen:

5.11  Mangelndes Wissen und Können

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• Zunächst müssen Sie ein Bewusstsein für die Risiken von Stress entwickeln. Es geht darum, sich der wichtigsten Stressfaktoren und deren Wirkung auf die individuelle Leistungsfähigkeit und die Teaminteraktion bewusst zu werden. Auch hier kann Human-Factors-Training helfen. • Sorgen Sie für ein harmonisches Teamklima, weil dieses nicht nur eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche und sichere Arbeit ist, sondern auch das Stressniveau beeinflusst. Die Teamatmosphäre hat erheblichen Einfluss auf die Arbeitsleistung und die Entwicklung von Risikosituationen. • Wenn Sie stark gestresst sind, ist es oft hilfreich, die Arbeit kurz zu unterbrechen. Machen Sie eine Denkpause oder führen Sie eine Diskussion und reflektieren Sie die Aufgabe oder Stresssituation. Oft gewinnen Sie durch diese Unterbrechung sogar Zeit, weil ein wenig Abstand und eine übergeordnete Betrachtungsweise die Möglichkeit bieten, Prioritäten für Wichtiges und Unwichtiges neu zu setzen. • Fordern Sie in Stresssituationen Teamunterstützung an. Eine Kontrolle durch Kollegen kann die Gefahr von Fehlern reduzieren. • Trainieren Sie Stresssituationen. Wenn Sie wissen, wie Sie sich unter starkem Stress zu verhalten haben, geht Ihnen die Arbeit leichter von der Hand. Dies ist übrigens der Grund, weshalb Kabinencrews regelmäßig die Evakuierung des Flugzeugs oder Großunternehmen Notfallszenarien üben. • Hilfreich ist es ebenfalls, Entspannungstechniken anzuwenden.

5.11 Mangelndes Wissen und Können Mangelndes Wissen, Können und charakterliche Schwächen können ebenfalls Ursachen für menschliches Versagen sein. Der Asiana-Crash und der Crossair-Absturz sind hierfür gute Beispiele. Kein Mitarbeiter kann in einem Unternehmen das Prozesswissen oder Produktspektrum bis ins Detail in sich vereinen. Zum Wohle des Kunden ist es dann sinnvoll, sich mangelndes Wissen einzugestehen und Kollegen zurate zu ziehen. So gibt es im betrieblichen Alltag immer wieder Fälle, bei denen ein Facharbeiter mit seiner Erfahrung zwar den Fehler und das vordergründige Problem (Symptom) aber keine tieferen Ursachen identifizieren kann. Wird das Team hier nicht zurate gezogen, so kann der Sachverhalt nicht nachhaltig, sondern nur bis zum erneuten Fehler gelöst werden. Mangelndes Wissen darf eigentlich kein Grund für Human Errors sein, weil es im Normalfall kein Problem ist, sich fehlendes Wissen anzueignen. Hierfür helfen z. B. betriebliche Vorgaben, die Kollegen oder das Internet. Folgende Maßnahmen können fehlender Qualifikation vorbeugen: • In einem ersten Schritt ist es wichtig, sich Wissensdefizite einzugestehen und ihren Umfang klar einzugrenzen. Dazu ist es allerdings notwendig, ehrlich zu sich selber zu sein und eventuell vorhandenes übersteigertes Selbstbewusstsein abzulegen.

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5  Das Dirty Dozen – die 12 häufigsten menschlichen Fehler

• Greifen Sie auf die Unterstützung Ihrer Kollegen zurück. Meist helfen diese sehr gern. • Substanzielle Mängel im Bereich Wissen und Können sind nicht akzeptabel. Hier kann nur eine Weiterbildung helfen. Die Identifikation von Wissenslücken ist aber nicht nur Aufgabe der Betroffenen selbst; auch die Vorgesetzten stehen hier in der Pflicht.

5.12 Ungenügende Ressourcen Ungenügende Ressourcenwerden häufig als Ursache für Fehler identifiziert. In diesem Zuge kann es sich um unpassendes, veraltetes oder nicht instand gehaltene Messoder Betriebsmittel handeln. Auch ungeeignete Räumlichkeiten, veraltete Maschinen, unklare Dokumentation, zu wenig Personal und Zeitmangel sind Ausdruck mangelnder Ressourcen. Ungenügende Ressourcen an sich zählen dabei nicht zu den Human Factors, sondern das Unvermögen des Menschen, mit ihnen umzugehen. Insoweit werden unzureichende Ressourcen vor allem in Verbindung mit anderen Punkten der Dirty Dozen zum Problem. Wenn Sie beispielsweise vor einer wichtigen Kundenpräsentation merken, dass Sie aufgrund fehlender Zeit mit Ihrer Powerpoint-Präsentation nicht fertig werden, müssen Sie Ruhe bewahren. Hier müssen Sie Ihre Aufgaben dennoch korrekt und in angemessener Qualität fortsetzen, ohne durch den Zeitdruck in stressbedingte Panik oder Apathie zu verfallen. Wenn Ressourcenverfügbarkeit zum Problem wird, müssen Alternativlösungen gefunden werden. Hierbei helfen folgende Maßnahmen: • Rechnen Sie nicht damit, dass Ihnen Ressourcen stets in der benötigten Menge zur Verfügung stehen. Ressourcenknappheit ist Teil des betrieblichen Alltags. Zu hohe Erwartungen sind daher gefährlich. Schätzen Sie die Lage realistisch ein. • Handeln Sie, sobald die Arbeit aufgrund eines Ressourcenmangels nicht mehr in der gewünschten Qualität oder Zeit ausgeführt werden kann. Aber Vorsicht: Wenn Sie dies gegenüber Ihrem Vorgesetzten ansprechen, müssen Sie belastbare Argumente zur Hand haben. • Mit solider Planung lassen sich ressourcenbedingte Risiken reduzieren. Kalkulieren Sie typische Risiken ein und erarbeiten Sie eine persönliche Logistik für die Ressourcenbereitstellung. • Tragen Sie dafür Sorge, dass ungenügende Ressourcen nicht zu einem Dauerzustand in Ihrem Arbeitsumfeld werden. Jeder der genannten Dirty-Dozen-Bestandteile stellt einen Risikofaktor dar. Um Human Errors zu minimieren, ist es am wichtigsten, dass wir uns mit den menschlichen Fähigkeiten und Grenzen auseinandersetzen und uns der daraus resultierenden

5.12  Ungenügende Ressourcen

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­ efahrenpotenziale bewusst werden. Gerade in unübersichtlichen LeistungserbringungsG prozessen, die aus Konzernstrukturen oder einem komplexen Produkt entstehen, muss neben systemischen Schwächen immer auch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von menschlichen Fehlern gerechnet werden. Wir müssen die Schwächen menschlicher Natur verstehen, sie an uns selbst erkennen und minimieren. Arbeiten Sie daran!

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Crew Resource Management (CRM)

6.1 Was ist CRM? Seit Beginn der Luftfahrt analysieren Experten, wie es zu Unfällen kommen kann. Die Frage ist also nicht, warum so viele Unfälle passieren, sondern warum sie überhaupt geschehen. Sehr oft wurde festgestellt, dass ein Mensch einen Fehler begangen hat – dass die Ursache also in den Human Factors lag. Solch ein Versagen ist ein völlig normaler Vorgang, der immer passieren kann, wenn Menschen arbeiten, denn irren ist menschlich. Aufgrund der hohen Schadenpotenziale entsteht daraus gerade in der Luftfahrt die Frage, wie sich Arbeitsfehler vermeiden, oder mindestens minimieren, lassen. Bis zur Einführung des Crew Resource Managements (CRM) zeigte sich oft, dass Fehler im Cockpit hätten vermieden werden können, wenn das Team sich gegenseitig überprüft oder Informationen ausgetauscht und diskutiert hätte. Die Teambildung ist ein entscheidender Faktor zur Reduzierung von menschlichem Versagen. Wird nämlich in kritischen Situationen die Ressource Mensch verdoppelt, reduziert sich das Risiko schwerer Fehler um mehr als die Hälfte. 1 + 1 ist hier deutlich mehr als 2. Die enorme Bedeutung teamorientierten Arbeitens wurde erst in den 1970er Jahren im Zuge einer Systematisierung und Verwissenschaftlichung von Flugunfalluntersuchungen deutlich. Bis dahin war vom Einfluss und den Wirkungsmechanismen menschlicher Fehler und Teaminteraktionen wenig bekannt. Wenn doch, wurden diese Aspekte allzu oft ignoriert, weil sie den damaligen Airline- bzw. Cockpitkulturen Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. Wunderlich M, Olthoff JJ, Hinsch M (2014) Kann Ihr Vertriebsteam einen Airbus A320 auf dem Hudson landen? [Copyright © Uhlenbruch Verlag, Bad Soden 2014]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_6

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f­undamental widersprachen. Kapitäne waren damals unangefochtene Autoritäten. Dies galt auch dann, wenn sie entscheidungsschwach, nicht stressresistent oder sehr dominant und nicht kritikfähig waren. Darüber wurde hinweg gesehen, um Konflikte mit den Betroffenen zu vermeiden. Spätestens nach dem Teneriffa-Unglück von 1977 konnten die neuen Erkenntnisse jedoch nicht länger ignoriert werden und verlangten nach einer Umsetzung im fliegerischen Alltag. Dies wurde schließlich auch wesentlich durch die Gesetzgeber vorangetrieben, die Anfang der 1980er Jahre eine systematische Auseinandersetzung mit den Human Factors bei Fluggesellschaften auf der ganzen Welt verpflichtend einführten. Im Zuge der Einführung des CRMs wurden flächendeckende Human-Factors-Trainings durchgeführt sowie weitere Neuausrichtungen in den folgenden Bereichen vorgenommen, die heute die Kernelemente des CRM ausmachen: • Teamwork und Führung, • Kommunikation, • Situationsbewusstsein und Workload-Management. Der Erfolg gab der Luftfahrtbranche Recht! Mit dem CRM bekamen die Airlines ein Tool an die Hand, mit dem es ihnen gelang, ihre Unfallzahlen deutlich zu reduzieren. Das Crew Resource Management hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Fliegen heute so sicher ist. Qualität und Sicherheit von Fluggesellschaften in Zahlen

Allein die Fluggesellschaften Ryanair, Singapore Airlines und Qantas führen in Summe etwa 5000 Flüge pro Tag durch; das sind fast 2 Mio. Flüge pro Jahr. Dennoch liegt das letzte schwere Unglück einer dieser Gesellschaften lange zurück. Demgegenüber wird bei Industrieprodukten eine Fehlerrate von einem Prozent und in der Industrie von einem Promille akzeptiert. In absoluten Zahlen bedeutet dies aber, dass jährlich geschätzte 20.000 Menschen durch ärztliche Behandlungsfehler sterben. Bei derartigen Werten in der Luftfahrt würde dies zu fünf Abstürzen pro Tag und somit etwa 150 Totalverlusten pro Monat führen. Der Flugzeugbestand der drei o. g. Airlines wäre nach etwa sieben Monaten erschöpft.

6.2 Teamwork und Führung 6.2.1 Teamwork Sämtliche Aktivitäten eines Unternehmens geschehen heute im Team. Es gibt keine Sololeistungen im engeren Sinne. Denn auch Sololeistungen sind Teil einer Teamperformance zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels. Die hohe Arbeitsteilung und die

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­ otwendigkeit umfassenden Spezialwissens führen dazu, dass jeder vom Know-how N anderer abhängig ist und mit ihnen zusammenarbeiten müssen. Diese Erkenntnis ist das erste und deutlichste Argument dafür, dass Mitarbeiter teamfähig sein müssen. Gehören dem Team Mitarbeiter an, die nicht teamfähig sind, stören sie Teamzusammenarbeit und -ergebnis. Dies gilt übrigens auch für die Leitungskräfte, weil Führung immer auch Teamführung ist. Wo eine Kooperation teamfähiger Mitarbeiter notwendig ist, bedarf es auch einer Koordination durch ebensolche Führungskräfte. Teamwork und teamorientierte Führung gehören daher zusammen. Neben der Mitarbeiterqualifikation bedarf es Regeln und abgestimmter Strategien für eine erfolgreiche Teaminteraktion. Das kennen wir aus dem Sport. Fußball- oder Hockeymannschaften sind nicht allein erfolgreich, weil sie gute Spieler haben, sondern weil sie ein strukturiertes, an der Spielsituation ausgerichtetes Vorgehen haben. Dieses wird durch den Trainer vorgegeben und im Team gelebt. Für Sport und Arbeitswelt gilt daher gleichermaßen, dass eine unreglementierte Teaminteraktion niemals zu einem systematischen, also nachhaltigen, Erfolg führen wird. Daher sind von jedem Team, ob im Sport oder im beruflichen Alltag, allgemeine Regeln und spezifische Strategien zu definieren, an die sich jeder halten muss! In der Regel hilft bereits ein einfaches Regularium aus ungeschriebenen Normen sowie dokumentierten Vorgaben. Es kann sich dabei beispielsweise um eine formlose Anweisung handeln, die beschreibt, wie Meetings abzuhalten sind: Es wird nicht unterbrochen, Handys bleiben aus, Notebooks geschlossen, bei Standard-Meetings Abarbeitung einer fest definierten To-Do-Liste mit maximalen Antwortzeiten, etc. Einige Unternehmen hängen in ihren Besprechungsräumen solche Meeting-Regeln auf. Blödsinn? Nein, denn so können sich alle Teammitglieder immer wieder vergegenwärtigen, wie im Team Effizienz und Qualität aufrechterhalten werden. Neben den übergeordneten Regeln muss jeder im Team mit seiner spezifischen Rolle vertraut sein. Dazu gehört nicht nur, die Ansprüche an die eigene individuelle Arbeitsleistung zu kennen, sondern auch zu wissen, wie die Gesamtleistung des Teams optimiert wird. Letzteres können nur sehr wenige Menschen. Die wenigsten identifizieren sich mit dem Erfolg eines Teams; Menschen definieren sich mehr über sich selbst. Daher stellen sie ihr Wirken und ihre Einzelleistung über die des Teams, sodass die Teamleistung aus dem Fokus gerät. „Guck mal, ich war der derjenige, der auf diese Idee gekommen ist.“ Der Stichwortgeber, durch den die Idee erst geboren wurde, wird nicht mehr erwähnt. Das Problem dabei ist, dass Teams dadurch ihr Potenzial nicht ausschöpfen, weil der Stichwortgeber das nächste Mal lieber seinen Mund hält, als dem ungeliebten Egoisten zu einem nochmaligen Erfolg zu verhelfen. Wie verbessern wir die Teamleistung? Wenige Industriebetriebe verbessern die Teamleistung aktiv und systematisch. Der Grund liegt im Wesentlichen darin, dass es sich hier um schwer messbare Soft-Skills handelt. Viele halten jedwede Maßnahmen, bei denen es um die Psyche des Menschen

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im Großen und Ganzen geht, für sinnlos, weil sich sämtliche Aktivitäten einer kurzfristig messbaren Wirksamkeitskontrolle entziehen. So beschränken sich die Maßnahmen allzu oft auf jährliche Teamfeiern und Outdoor-Events. Weihnachtsfeiern und Klettern im Hochseilgarten haben sicher auch ihre Daseinsberechtigung. Um substanzielle Verbesserungen in der Teaminteraktion zu schaffen, müssen Maßnahmen jedoch an anderer Stelle ansetzen. Dazu ist klar zu definieren, wie im Team gearbeitet werden soll. Das Verständnis dafür, wie optimale Teamarbeit funktioniert, ist bei vielen Menschen nicht oder nur diffus vorhanden. Es werden in den Köpfen der Teammitglieder viele ähnliche Schlagworte auftauchen: gemeinsame Leistung – ein Produkt zu verkaufen – Identifikation, der Umgang mit anderen. Vage Gedanken reichen jedoch nicht aus, ein teambasiertes Ergebnis zu definieren, geschweige denn es zu erzeugen. Hierzu muss ein klares Teamverständnis mit klaren Spielregeln geschaffen werden. Betriebe müssen ihre Mitarbeiter dahin gehend trainieren. Zwei- bis dreitägige Workshops reichen dabei jedoch bestenfalls, um Grundlagenwissen zu vermitteln, kaum aber, um nachhaltige Verhaltensänderungen zu erzielen. Um substanzielle Erfolge in der Teamperformance zu erzielen, muss diese anfänglich in Simulationen, später fortlaufend im betrieblichen Alltag trainiert werden. Die Menschen müssen sich selber erkennen. Sie selbst müssen sehen, wie es um ihre Teamfähigkeit bestellt ist. Hierzu muss den Beteiligten ihre Außenwirkung verdeutlicht werden: äußerliche Gestik und Mimik, verbale Kommunikation, Teamumgang in Stressphasen, Regeleinhaltung, Führung. Hierzu sind in Simulationen solche Situationen zu trainieren, in denen typische Verhaltensmuster zum Vorschein kommen. Indem die Beteiligten im Nachgang mit ihrem Verhalten mittels Videoaufzeichnungen oder Debriefing konfrontiert werden, erkennen sie am ehesten, wie es um ihre Teamfähigkeit bestellt ist. Die Kritik der Beobachter fällt anfangs häufig nicht allzu schmeichelhaft aus: • • • • • • •

anderen ins Wort gefallen, andere persönlich oder deren Interesse nicht beachtet, zu starke Ich-Fixierung, fehlende Wahrnehmung für die Anforderungen oder Bedürfnisse der Teammitglieder, notwendige Intervention unterlassen, nicht auf den Punkt gekommen, nicht nachvollziehbar formuliert, zu leise gesprochen nicht direkt eine Person angesprochen.

Es sind also alltägliche Verhaltensweisen, durch die die Beteiligten nicht den nötigen Fokus darauf gelegt haben, eine teambasierte Gesamtleistung zu erzeugen. Ein Pyrrhus-Sieg im Cockpit-Team Ein junger Co-Pilot, der erst kürzlich die Pilotenschule verlassen hatte, flog mit einem Kapitän, der auch sein Ausbilder war, nach London. Die Chemie der beiden stimmte nicht. So saß der junge Co-Pilot nur da und versuchte, selbst möglichst alles richtig zu machen, während er gleichzeitig darauf wartete, dass dem Kapitän ein Fehler unterlief.

6.2  Teamwork und Führung

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Und siehe da, es passierte: Da der Flug verspätet war, flog der Kapitän mit 330 Knoten statt den erlaubten 250 Knoten in den Londoner Luftraum. Die Funkanfrage des Fluglotsen ließ nicht lange auf sich warten: „Flight 772 – what’s your speed?“ Der junge Pilot griff schnell wie niemals zuvor zum Mikrofon und antwortete: „330 [haha]“. Darauf stieß der Kapitän aus: „Oh, oh, ich glaube, wir sind zu schnell.“ Er drehte sich zur Seite zu seinem jungen Teamkollegen: „Sag mal, warum hast du mich nicht darauf hingewiesen, dass ich zu schnell fliege?“ Die große Schadenfreude des jungen Piloten war schlagartig vorbei, als ihm sein eigenes Fehlverhalten bewusst wurde. Er hatte das Ausbildungswissen, stets die Teamleistung in den Vordergrund zu stellen und somit den optimalen Output zu erzielen, aus sehr egoistischen Motiven missachtet.

Den Teammitgliedern die menschlichen Schwächen und Eigenarten auszutreiben, ist eine wesentliche Aufgabe des Teamtrainings. Die Königsdisziplin bildet indes die Erreichung eines holistischen Verhaltens, also die Fähigkeit zu einer ganzheitlichen Betrachtungsweise. Die Teammitglieder sollen in die Lage versetzt werden, die Gesamtheit des Systems mindestens so weit zu erkennen, dass sie die eigene Rolle im Team und die Rolle des Teams im Prozess identifizieren können. So erlangen die Mitarbeiter die Fähigkeit, Auswirkungen ihres Handelns zu bewerten, um vorausschauende Entscheidungen treffen zu können.

6.2.2 Führung Wenngleich jeder eine Meinung zu guter Führung hat, fällt es doch sehr schwer, einen gemeinsamen Best-Practice-Nenner zu finden. Einigkeit herrscht zumeist noch über die Aufgabe der Führung, Teams zu einer optimalen Leistung zu bringen. Auch die Kernelemente der Führung, die Richtungsorientierung und die Prozesskoordinierung, sind weitestgehend unstrittig. Doch bereits beim idealen Führungsstil scheiden sich die Gemüter. Dieser bewegt sich zwischen autokratischer Führung einerseits und strikter Teamorientierung andererseits. In Deutschland ist der Teamgedanke in Führungsstilen vergleichsweise stark ausgeprägt. Der autoritäre Führungsstil spricht hierzulande zunehmend gegen den Zeitgeist und lässt sich der jüngeren Generation kaum mehr verkaufen. Darüber hinaus zeigen auch wissenschaftliche Untersuchungen, dass teamorientierte Aufgabenerfüllung bessere Ergebnisse nach sich zieht als eine autokratisch gelenkte Leistungserbringung. Im betrieblichen Alltag ist teamorientierte Führung ein weites Feld, das nicht sehr klar definiert und daher oftmals stark ausbaufähig ist. In vielen, und gerade in großen Unternehmen, wird leistungsstarke Teamorientierung zwar gepredigt, aber nur selten überzeugend gelebt. Allzu oft dominieren hier interne Querelen, betriebspolitische Spielchen oder Egozentrik, in deren Verlauf einzelne Führungskräfte im Rahmen der Teamarbeit zu sehr auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Dabei stellt die Führung großer Teams mit mehreren Abteilungen und vielen hundert oder mehr Mitarbeitern eine besondere Herausforderung an die Teaminteraktion dar.

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Eine gute Führungskraft zeichnet sich durch drei ausgeprägte Kernkompetenzen aus: • Die Person muss über eine fachliche Expertise verfügen, die im Vergleich zu den direkten Untergebenen nicht wesentlich schlechter ist. Ansonsten droht die Gefahr, von diesen auf fachlicher Ebene nicht respektiert und diese Schwäche ausgenutzt zu werden. • Die Führungskraft benötigt ein solides Prozessverständnis und Know-how, um Verbesserungspotenziale identifizieren zu können, Verbesserungen anweisen zu können und Koordinations- und Steuerungsaufgaben angemessen ausüben zu können. • Vor allem braucht eine gute Führungskraft hohe soziale und interpersonelle Kompetenz, gepaart mit einer guten Portion Erfahrung in Entscheidungsfindungen. Die ihn umgebenden Teammitglieder werden den Leiter dann akzeptieren und mittragen, wenn sie ihm zutrauen, dass er möglicherweise bessere Lösungen finden kann als sie selbst. Um einer Teamorientierung hinreichend gerecht zu werden, muss die Führungskraft auch eine Bereitschaft und Fähigkeit zur Motivation und Schaffung einer guten Arbeitsatmosphäre mitbringen, vor allem durch eine offene Kommunikation. Entscheidungsfindung Jeden Tag treffen wir unzählige Entscheidungen, wobei die meisten davon aus dem Bauch bzw. aus der Erfahrung heraus getroffen werden. Das ist genau richtig so. Würden wir jedes Mal einen Planungsprozess starten, ob wir ein Angebot abgeben oder eine CNC-Programm laden sollten, dann wären wir am Abend noch nicht annähernd mit unseren Aufgaben fertig. Daneben gibt es jedoch auch Entscheidungen, die sehr wohl gut durchdacht werden müssen, weil sie bedeutende Auswirkungen haben. In diesen Fällen sollte die Entscheidungsvorbereitung im Team erfolgen. Gemeinsam werden also die Fakten, die Optionen und die Risiken zusammengetragen und bewertet, um eine fundierte und möglichst fehlerfreie Entscheidungsgrundlage zu schaffen. In dieser Phase haben die Beteiligten bei Unstimmigkeiten oder Unzulänglichkeiten zugleich eine Eingriffsmöglichkeit. Die Entscheidung selbst ist indes kein basisdemokratischer Vorgang, sondern Aufgabe des Teamleiters. Dieser trägt die gefundenen Ergebnisse der Teammitglieder zusammen und trifft darauf basierend seine Entscheidung. Somit bedeutet dieses Vorgehen auch nicht, dass jeder gleich ist und basisdemokratisch entschieden wird. Es ermöglicht aber, dass eine fundierte Entscheidungsgrundlage gebildet wird und sich alle Beteiligten in die Entscheidungsfindung einbringen und sie so mittragen können (Abb. 6.1). Viele Führungskräfte tun sich mit der Entscheidungsfindung äußerst schwer. Ursächlich ist zumeist Unsicherheit und/oder Stress. Solche Defizite können reduziert werden, indem auch die Entscheidungsfindung bestimmten Regeln unterworfen wird, in erster Linie, um dem Betroffenen einen roten Faden an die Hand zu geben. Dazu ist es empfehlenswert, einen Entscheidungsalgorithmus heranzuziehen, der Struktur und Sicherheit schafft. Das hört sich im ersten Blick kompliziert an, geht jedoch nach kurzem

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Abb. 6.1   Abflachung der Hierarchie im Cockpit

Üben sehr schnell. In der Luftfahrt wird als Algorithmus die sog. FORDEC-Leitschnur (s. Infobox) angewendet. Danach geht es darum, die Entscheidungsfindung einem Prozess aus sechs sequenziellen Schritten zu unterwerfen. Fordec-Leitschnur zur Entscheidungsfindung

F – Facts Fakten sammeln O – Options Optionen ableiten R – Risks Risiken und Vorteile identifizieren und bewerten D – Decision Entscheidung treffen E – Execution Umsetzung C – Check Umsetzungsüberwachung und Wirksamkeitskontrolle Dieses Vorgehen kann auch zur Revision bereits gefällter Entscheidungen herangezogen werden. Meist wird eine Abkehr von getroffenen Entscheidungen jedoch nicht durch mangelnde Kenntnis der Fakten begründet, sondern durch ein Eingeständnis der Führungskraft, einen Fehler begangen zu haben. Motivation und Arbeitsatmosphäre Wenn heute über Motivation gesprochen wird, dann meist über jene, die auf einzelne Mitarbeiter oder die anonyme Gesamtheit der Belegschaft abzielt. Ihnen wird dazu vermittelt, dass das, was geleistet wurde, eine Anerkennung durch den Vorgesetzten erfährt. Darüber hinausgehende Motivation und Wertschätzung findet im betrieblichen Alltag zwar statt, aber es ist im Fundus der Führungsinstrumente kaum systematisch verinnerlicht. Insoweit achten die meisten Führungskräfte zu wenig auf die Notwendigkeit der permanenten, fast penetranten Wiederholung von Bemerkungen, die den Mitarbeitern das Gefühl geben, ein wichtiger Teil des Teams zu sein. Dabei kosten Lob und ­Wertschätzung wenig, stiften aber hohen Nutzen.

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Noch seltener wird die Teamanerkennung praktiziert. Diese sollte jedoch eigentlich stärkere Aufmerksamkeit erfahren als das Lob einzelner, weil so immer wieder von Neuem auch seitens der Führung verdeutlicht wird, dass der Teamgedanke stets die höchste Priorität hat. Wenn das Team annähernd teamfähig ist, dann wird diese Anerkennung nicht nur als ein Lob für gemeinsames Handeln angesehen, sondern sie wird auch die Wichtigkeit der Teamorientierung verdeutlichen. Eine wesentliche Rolle für die Arbeitsatmosphäre spielt im Übrigen auch der (räumliche) Zugang zu den Führungskräften. Zugang zu direkten Kollegen der gleichen Hierarchiestufe oder zu Mitarbeitern anderer Bereiche der Arbeitsebene zu erhalten, ist gewöhnlich nicht schwer. Wichtig ist aber auch, dass sich die Führung von einer solchen Offenheit nicht ausnimmt. Ein großes Büro, geschlossene und undurchsichtige Türen, vielleicht sogar ein Vorzimmer sind Barrieren, die die Kommunikation auf ein Minimum beschränken und zugleich eine klare Botschaft an die Mitarbeiter senden. Das führt zu Distanz zwischen der Führung und den Mitarbeitern. In einem solchen Umfeld ist es fast unmöglich, eine Teamatmosphäre entstehen zu lassen. Die Führung muss eine offene Atmosphäre zu den Mitarbeitern etablieren, ohne jede Art von Kommunikationsbarrieren – egal ob im Cockpit oder in Produktionsbetrieben. Die Führung ist Teil des Teams und muss sich auch als solcher verstehen. Vorgesetzte müssen sich zu jedem Zeitpunkt ihrer Teamführungsaufgabe bewusst sein und diese auch aktiv wahrnehmen. Sie müssen ihre Führungsverantwortung zu jedem Zeitpunkt unter Beweis stellen. Ist Führungskompetenz erlernbar? Führungsfähigkeit ist nicht angeboren, wenngleich es Menschen gibt, die bedingt durch ihre Erfahrung, Wahrnehmung und ihr Selbstbewusstsein besser zur Teamführung geeignet sind als andere. Aber auch diese Menschen haben diese Fähigkeit mindestens teilweise erst erlernen müssen, ob es nun als Mannschaftssportführer, als Klassensprecher oder durch stellvertretende Führungsfunktionen war. Überdies sind auch langjährige Führungskräfte oft genug nicht frei von menschlichen Fehlern. Ein nicht unerheblicher Anteil der Altgedienten ist in ihre aktuellen Positionen gekommen, weil seinerzeit andere Kriterien als eine ausgeprägte Führungskompetenz den Ausschlag für die Stellenbesetzung gaben. Erfahrene wie auch angehende Führungskräfte kann man trainieren, damit sie ihrer Aufgabe optimal gerecht werden. Den Ausgangspunkt guter Führung bildet die Selbstsicherheit in der eigenen Rolle. Dazu hilft der Aufbau soliden Know-hows auf fachlicher und prozessualer Ebene. Ist dieses Wissen nicht vorhanden, entsteht Unsicherheit. Führung gestaltet sich dann schwierig, weil sich das unsichere Verhalten auf das Team übertragen kann oder das Team die Unsicherheit des Vorgesetzten ausnutzt. Um Schwächen im Bereich der fachlichen und prozessualen Kompetenz auszugleichen, ist vor allem Fleiß und Eigeninitiative der Betroffenen gefordert. Dieses Wissen lässt sich nämlich in der Regel selbst aneignen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein Grundwissen zumeist ­vorhanden ist.

6.3 Kommunikation

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Anders ist der Fall bei Defiziten auf dem Gebiet interpersoneller Kompetenz. Hier helfen in erster Linie Führungstrainings. Oft geht es in diesem Zuge darum, die Außenwirkung der Betroffenen zu verbessern, Entscheidungsschwäche zu überwinden und eigenen Stress nicht an das Team weiterzureichen. Wenn auch mit anderem Schwerpunkt, so ist das Vorgehen hierfür vergleichbar mit dem Teamtraining. Die Führungskraft muss in die Lage versetzt werden, die eigene Wirkung auf andere zu reflektieren. Dabei geht es allerdings nicht darum, sich zu verbiegen. Es kommt vielmehr darauf an, authentisch zu wirken und mit Kommunikation und Verhalten auf andere Menschen eine bestimmte Wirkung auszuüben. Dies darf natürlich nicht im autokratischen Sinn geschehen, sondern auf eine Weise, die Menschen dazu motiviert, gemeinsam im Team zu handeln. Grundsätzlich kann Führungskompetenz also erlernt werden. Dies setzt aber den Willen und die Bereitschaft der Betroffenen zur Selbstreflexion und Anpassung voraus.

6.3 Kommunikation Unfalluntersuchungen in der Luftfahrt zeigen immer wieder, dass die mangelnde Kommunikation der Beteiligten ein wesentlicher Faktor für die Entstehung von Vorfällen und Unglücken war. Aus unserer täglichen Erfahrung wissen wir, dass dies nicht nur für die Luftfahrt gilt. So sind Kommunikationsprobleme auch in der Industrie eine der Hauptursachen von ungewollten Vorkommnissen. Die Folgen schlechter Kommunikation sind umfangreich und umfassen die Fehlplanung oder fehlerhafte Bearbeitung von Teilen, somit Kosten und Zeitverlust sowie Frustration. Kommunikation ist also ein nicht zu unterschätzender Aspekt für die effiziente und fehlerfreie Durchführung der täglichen Arbeit. Im Zuge der Human Factors sind wir bereits auf die Kommunikation eingegangen, wollen nun aber noch deren Wirkungsweise und Funktion als Lerntool betrachten. Die Fehlerhäufung im Umfeld der Kommunikation liegt darin begründet, dass es sich bei ihr nicht nur um den nüchternen Austausch von Informationen handelt. Kommunikation dient zugleich der Systematisierung und Steuerung von Handlungen und Abläufen und stellt stets eine Interaktion von mindestens zwei Beteiligten dar. Die große Herausforderung liegt darin, dass es bei der Kommunikation nicht nur um das Senden und Empfangen von Informationen geht. Es kommt auch darauf an, dies zum richtigen Zeitpunkt und auf eine für den oder die Empfänger verständliche Weise zu tun. Um richtig zu kommunizieren, ist es daher unerlässlich, die Funktionsweise der Kommunikation zumindest in Grundzügen zu kennen. Dazu muss man wissen, dass es beim Sprechen oder Schreiben zu einer Verschlüsselung und beim Aufnehmen und Verstehen zu einer Entschlüsselung der gesendeten Informationen kommt. Bei der Kodierung kann es sich um Ironie, inhaltliche Schwerpunktlegung, Gestik, Mimik, Lautstärke, Wortwahl, Anrede oder Höflichkeitsbegriffe handeln. Durch diese Kommunikationskomplexität können Ver- bzw. Entschlüsselungsfehler eine Nachricht leicht verfälschen. Für gute Kommunikation gibt es daher einige wichtige und nun folgende Regeln.

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Das Gesprochene oder Geschriebene muss klar verständlich sein, so klar, dass der Sender annehmen darf, von dem oder den Empfängern richtig verstanden zu werden. Hierzu muss der Sender nicht nur eine verständliche Terminologie verwenden, sondern idealerweise auch die Erfahrung und Motivation des Empfängers kennen. Damit liegt die Herausforderung bei jeder Art der Kommunikation darin, dass diese nicht nur die eigentliche Informationsweitergabe beinhaltet, sondern immer auch auf den oder die Empfänger ausgerichtet sein muss. Somit enthält Kommunikation stets auch eine Beziehungsebene. Für das Senden schriftlicher Kommunikation – also Briefe und vor allem E-Mails – gelten noch einige gesonderte Regeln, die zwar bisweilen banal klingen, aber sehr wichtig sind: • Achten Sie auf die Rechtschreibung und formulieren Sie vollständige Sätze. Sie wissen selbst, dass allzu viele orthografische Fehler unnötig peinlich sind und kein gutes Bild auf Sie persönlich werfen. Lassen Sie daher längere, wichtige Mails oder Schreiben von einem Kollegen oder dem Sekretariat nicht nur inhaltlich, sondern auch auf Orthografie qualitätssichern. • Versenden Sie keine Mails, wenn Sie wütend sind. Schreiben Sie Ihre Mail, lassen Sie sie liegen und nehmen Sie sich diese am nächsten Tag wieder vor. Versenden Sie die Mail erst dann, wenn sich Ihr „Sturm“ wieder gelegt hat. Sie vertun sich i. d. R. nichts damit, könnten es aber bereuen, eine Mail zu schnell versendet zu haben. • Prüfen Sie die Empfänger und den vollen Text Ihrer Mails. Dies gilt vor allem für weitergeleitete Nachrichten – Sie wären nicht der erste, der keinen Blick auf die Mail-Historie wirft und so einem Kunden, Kollegen oder Vorgesetzten vertrauliche oder peinliche Nachrichten zuspielt. Machen Sie sich auch Gedanken um die Verteilung und überlegen Sie, ob es wirklich notwendig ist, alle Kollegen in Kopie zu nehmen. Damit tun Sie nicht nur den potenziellen Adressaten einen Gefallen. Beziehen Sie zu oft nur partiell Beteiligte in Ihren Mailverkehr ein, schenken diese Kollegen Ihren Mails unter Umständen wenig Beachtung, wenn es einmal wirklich dringend oder wichtig ist. • Kommen Sie in der Kunden- oder Projekt- bzw. Auftragsdokumentation ebenso wie in internen Emails auf den Punkt. Schreiben Sie Ihre Nachrichten verständlich in einer Chronologie. Machen Sie aber dabei lieber eine Angabe zu viel als zu wenig, weil Sie nicht immer davon ausgehen können, dass der Empfänger den gleichen Informationsstand oder Erfahrungshorizont hat wie Sie selbst. Das richtige Verhalten hängt beim Empfangen von Informationen davon ab, ob es sich um schriftliche oder mündliche Kommunikation handelt. Beim Gesprochenen kommt es vor allem darauf an, den Sender anzuschauen, um die Signale der Körpersprache aufzunehmen und so die Botschaft vollständig zu entschlüsseln. Seien Sie sich stets bewusst, dass Sie auch mit der eigenen Körperhaltung Signale an den Sender übermitteln. Einige Zeichen kennen Sie selbst: zusammengezogene Augenbrauen für Skepsis, verschränkte Arme für Distanz sowie Lächeln oder Sich-zum-Sender-Wenden für Offenheit. Seien Sie sich also auch als Empfänger in der Face-to-Face-Kommunikation, insbesondere auch in kritischen Situationen, stets der Außenwirkung ihres Verhaltens bewusst, um eine effiziente und atmosphärisch positive Kommunikation zu ermöglichen.

6.3 Kommunikation

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Nach dem Empfangen ist mindestens bei wichtigen Nachrichten eine Rückmeldung an den Sender zu geben. Dieses Schließen der Kommunikationsschleife kann schriftlich, verbal oder nonverbal (Gestik, Mimik) erfolgen. Kommunikation erscheint uns oft sehr einfach. Richtige, effiziente Kommunikation ist jedoch kein Kinderspiel. Um die Flut von Risiken und Fehltritten in der Kommunikation zu minimieren bzw. zu beherrschen, können Regeln erstellt und so eine punktuelle Formalisierung des Informationsaustauschs geschaffen werden. Typische Beispiele sind Meeting-Regeln, Zweitkontrollen, Textbausteine in der Kundendokumentation sowie Checklisten und Leitfäden. Vieles ist bereits erreicht, wenn Sie sich stets der drei Ks der Kommunikation bewusst sind: klar, korrekt, komplett.

6.3.1 Briefing Im Umfeld der Kommunikation gibt es zwei Tools, die zum wirksamen Lernen und zur Fehlervermeidung herangezogen werden können: das Briefing sowie insbesondere das Debriefing. Beide Methoden haben bei Flugzeugbesatzungen eine lange Tradition, da sie bereits seit mehr als 30 Jahren vor und nach jedem Flug im Cockpit sowie von der Kabinenbesatzung durchgeführt werden. Hiermit sollen anstehende Aufgaben vorbereitet bzw. die zurückliegenden Aktivitäten kritisch Revue passiert werden. Mithilfe des Briefings soll das beabsichtigte Handeln vor Durchführung überprüft und gedanklich vorweggenommen werden. So lässt sich feststellen, ob alle Beteiligten hinreichend auf ihre Aufgaben vorbereitet sind und ob alle eine einheitliche Erwartungshaltung haben. Dabei sollen die Teammitglieder einen Cross-Check durchführen, indem sie ihren Wissens- und Erfahrungsstand mit dem geplanten Vorgehen abgleichen. In diesem Zuge ist es wichtig, dass die Beteiligten dazu aufgefordert werden, darauf hinzuweisen, wenn das geplante Handeln gegen die betrieblichen Regeln verstößt oder widersprüchlich zur eigenen Erfahrung ist. Eine der Grundregeln des Briefings lautet, dass Teammitglieder intervenieren müssen, sobald ein betrieblich nicht konformes Vorgehen beabsichtigt ist. Eine solche Regel ist kein Nice-to-Have; die Teammitglieder sind zum Einspruch verpflichtet, andernfalls begehen sie selbst einen Arbeitsfehler. Nun mag der Laie denken, dass es sich sowohl im Cockpit als auch in der Industrie um Standardprozesse handelt. Wenn eine erfahrene Crew von Hamburg nach München fliegt, sind die Abläufe stets die gleichen und das Briefing daher von geringem Wert. Es ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass der x-te Flug von HAM nach MUC sehr viel Ähnlichkeit mit dem Vorherigen hat. Aber: 1. Nicht jeden Tag stehen ein Gewitter, starke Winde oder Einschränkungen am Flughafen (Verkehrsstau oder Baumaßnahmen) auf der Agenda, die dem beabsichtigten Ablauf besondere Aufmerksamkeit abverlangen. Auch wechseln die Crews und die Aufgabenverteilung.

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2. Das sich wiederholende Briefing dient der Konditionierung für die Aufgabe sowie für die Standardisierung und Einhaltung der bestehenden Regeln. Briefings tragen wesentlich dazu bei, dass ein abgestimmtes Vorgehen in Fleisch und Blut übergeht. 3. Briefings können auch zur Gedächtnisauffrischung allgemeiner Fragen der Flugabwicklung dienen („Erinnert sich eigentlich noch jeder daran, wo die Kinderschwimmwesten sind?“). Solche Erinnerungsfragen frischen das Wissen auf und helfen dabei, bestimmte Abläufe wachzuhalten. 4. Der Austausch mit einem Kollegen oder mit dem Team kann neue Perspektiven schaffen. Die Erfahrungen aus der Luftfahrt zeigen, dass Briefings häufig sehr gute Ideen liefern, auf die der Einzelne vielleicht nicht gekommen wäre, weil er unter Stress stand, eine falsche Sichtweise eingenommen hat oder sich schwer tut, Entscheidungen zu treffen. Das sind Erkenntnisse, die jeder auch aus seinem eigenen Leben kennt: Da kommt einer um die Ecke und sagt: „Mach das doch so und so“, und man selbst denkt: „Donnerwetter, warum bin ich da nicht darauf gekommen?“. Insoweit kann das Briefing dabei helfen, die Erfahrung, die Betrachtungsweisen und das Wissen der Teammitglieder im Vorfeld des Handelns systematisch einzufangen. Briefing-Inhalte in der Luftfahrt

Vor jedem Take-off sitzen der Kapitän und der Co-Pilot im Cockpit und bereden die Gesamtheit des anstehenden Flugs. Typischerweise werden folgende Fragen besprochen: • • • •

Wie ist das Wetter? Welche Route/in welchen Luftstraßen wird geflogen? Wie hoch fliegt man? Sind bestimmte Geschwindigkeiten oder Höhenrestriktionen einzuhalten? Gibt es Besonderheiten, z. B. beim An- und Abflug oder am Flughafen? Welches sind die Ausweichflughäfen?

Vergleichbare Abstimmungen finden bei der Kabinencrew statt. In einem kabinenspezifischen Briefing werden dabei folgende Aspekte thematisiert: • Wie/wann wird der Service durchgeführt (insbesondere bei interkontinentalen Flügen)? • Wer sitzt wo? • Wer hat welche Aufgaben? Wer macht wann Pausen? • Sind besondere Kunden oder Reisegruppen an Bord? Beispiel: 100 fußballbegeisterte Fans sind auf dem Rückweg von München nach Hamburg nach einem Bundesliga-Spiel. Da kann die Kabinencrew gebrieft werden, diese ein wenig im Auge zu behalten, damit die Begeisterung nicht allzu hohe Wogen schlägt. Unter Umständen ist die Crew darauf vorzubereiten, dass eine Ansage des Pursers kommt, dass leider der Alkohol auf diesem Flug ausgegangen ist.

6.3 Kommunikation

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Während typische Briefing-Inhalte von Flugzeugbesatzungen im grauen Kasten dargestellt sind, könnten für die Bearbeitung einer neuen Angebotsanfrage die folgenden Themen in einem Teambriefing systematisch abgestimmt werden: • • • • •

Was ist die grundsätzliche Story-Line? Wie viel Zeit haben wir? Was ist zu beachten? Wie weit ist der Kunde in seinem Kaufprozess? Gibt es Besonderheiten bei diesem Kunden? In welche bestehenden Systeme des Kunden muss ggf. eingegriffen werden? Gibt es schon eine Spezifikation der gesuchten Lösung?

Diese Fragen gemeinsam zu stellen, ist auch in Branchen außerhalb der Luftfahrt sehr nützlich, zumal dort die Prozesse meist deutlich weniger präzise formuliert sind. Durch die gemeinsame Beantwortung der Fragen trifft das Team eine (meist ungeschriebene) Vereinbarung, wie die anstehende Aufgabe zu lösen ist. So tragen Briefings maßgeblich dazu bei, dass die anstehende Aufgabe exakt beschrieben wird. Das gemeinsame Handeln im Team wird mit einer präzisen Aufgaben- und Verantwortungsübertragung an die einzelnen Mitglieder klar besprochen und jedem bewusst gemacht. Damit wird sichergestellt, dass alle Beteiligten dasselbe Ziel und die gleichen Vorstellungen haben. Mit dem Briefing soll also ein gemeinsames Verständnis zum Vorgehen erzielt werden. Es kann so hinterher keiner mehr sagen, dass er etwas nicht gewusst habe oder mit dem Vorgehen nicht einverstanden gewesen sei. Der zeitliche Umfang des Briefings richtet sich an den individuellen Gegebenheiten. Handelt es sich um ein Standardangebot, reichen für eine Abstimmung unter Umständen 3–5 min völlig aus. Im Falle einer komplexen Kundenanfrage oder einer neuen Vertriebsoffensive sind vielleicht anfänglich ein großes und abschnittsweise, mehrere kleine Briefings notwendig.

6.3.2 Debriefing Während das Briefing einem Projekt oder einer Aktivität vorgelagert wird, dient das Debriefing einer systematischen Rückbetrachtung. Im Debriefing setzen sich die Beteiligten kurz zusammen, um das gemeinsame Handeln Revue passieren zu lassen. Es folgt also nach Abschluss einer Arbeitseinheit, eine kurze Lessons Learnt Sitzung. Das Debriefing findet bei Cockpitbesatzungen nach einer Landung und dem Abstellen der Triebwerke an der Gate-Position statt. Den Betroffenen ist zu diesem Zeitpunkt die Arbeitslast abgefallen und sie blicken auf ihren fliegerischen Arbeitstag mit mehreren kurzen Flügen oder einem Langstreckenflug zurück. Die wesentlichen Highlights im Debriefing sind:

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6  Crew Resource Management (CRM)

• Gab es Aktivitäten, die nicht ganz richtig ausgeführt wurden oder solche, bei denen sich im Nachhinein sagen lässt, dass diese besser hätten ausgeführt werden können (z. B. wegen Nachlässigkeit oder weil Umwege gewählt wurden)? • Wurden Fehler gemacht, die während der Ausführung zunächst gar nicht wahrgenommen oder nur nebenbei festgestellt wurden (z. B. in der Kommunikation)? • Wo zeichnete sich das Handeln durch besondere Qualität aus? • Wo war das Team ungewöhnlich gut? Bei Beantwortung dieser Fragen und dem dabei stattfindenden Austausch von Wahrnehmungen der Beteiligten ist erstaunlich gut zu sehen, wie unterschiedlich Flüge oder Teamaktivitäten im Rückblick in Erinnerung bleiben. Dabei darf jedoch nicht mit Quantensprüngen gerechnet werden. Diese kommen in erfahrenen Debriefing-Teams mit stark standardisierten oder eingespielten Prozessen nur selten vor. Debriefings in einem solchen Umfeld können oftmals zäh sein und die Kritikpunkte meist nur Kleinigkeiten betreffen, aber dennoch werden stets neue Aspekte zur Erreichung eines Optimums identifiziert. Es geht also vor allem darum, die kleinen, kontinuierlichen Verbesserungspotenziale aufzudecken. Die Erfahrung aus dem Alltag der Flugzeugbesatzungen lehrt, dass es bei jedem Flug Dinge gibt, die die Beteiligten hätten besser machen können. Die zwei folgenden Fälle aus dem Pilotenalltag sollen beispielhaft zeigen, dass auch scheinbar nichtige Ereignisse Potenzial zur Verbesserung bieten. Sie sind es daher Wert, in einem Debriefing thematisiert zu werden. Mit stolzer Brust landet ein Kapitän nach zwölfstündigem Flug in Los Angeles; im Anschluss beenden die Piloten ihren Arbeitseinsatz nach Andocken an der Parkposition mit dem obligatorischen Debriefing. Dabei stellt der Co-Pilot fest, dass es ein toller Flug war, der gut geflogen wurde. Er merkt aber noch an, dass der Kapitän bereits beim Rollen am Boden in Frankfurt den Passagieren ausführlich den Flugverlauf erklärte, anstatt dies auf später zu verlegen, um beim Rollen den Bodenverkehr besser beobachten zu können. So wurde zum falschen Zeitpunkt der falsche Fokus gesetzt. Dem Kapitän war das zu diesem Zeitpunkt gar nicht aufgefallen, aber indem ihm dies viele Stunden später am Boden gesagt wird, muss er sich damit auseinandersetzen und feststellen, dass sein Kollege recht hat. Beim Endanflug auf München musste der Kapitän durchstarten, weil sich auf der Landebahn noch ein anderes Flugzeug befand. Im Debriefing informiert der Co-Pilot seinen Kollegen, dass das ein toller, sauberer Flug war, aber er fügt an: „Darf ich dir noch sagen, dass du vergessen hast, den Passagieren eine Erklärung anzubieten, warum wir das Gas nochmal reingeschoben haben und nicht gleich gelandet sind?“ Das ist eine Kleinigkeit, aber es hätte nahezu jeden der Passagiere interessiert – entweder aus Neugier oder aus Flugangst. Der Kapitän wäre so den Passagierbedürfnissen deutlich besser gerecht geworden.

Wenn ein Pilot im Debriefing mit solcher Kritik konfrontiert wird, so hört er dies natürlich nicht gerne, zumal er sich seines Fehlers rasch bewusst wird. Aber die Akzentuierung des Verbesserungspotenzials trägt maßgeblich dazu bei, dass es in den Köpfen der

6.3 Kommunikation

65

Beteiligten hängen bleibt, sodass ein Fehler oder Missgeschick tatsächlich nur einmal geschieht. Das Debriefing ist also ein Tool für lebendiges Lernen. Selbstverständlich lässt sich das Debriefing auch in der Industrie einsetzen und auch dort können damit wertvolle Erkenntnisse und Verbesserungspotenziale identifiziert werden. Selten geschieht dies bereits, gelegentlich werden Lessons Learnt zum Abschluss von Projekten oder großen Aufträgen durchgeführt – dann jedoch nur selten konsequent weiterverfolgt. Wichtig ist jedoch, dass das Debriefing ein fester Bestandteil der Prozesskette im betrieblichen Alltag wird. Folgende Beispiele illustrieren Verbesserungspotenziale, die in einem systematischen Debriefing zur Sprache kommen können. Zum Beispiel erklärt der Schichtleiter nach Abschluss eines größeren Kundenauftrags, dass sehr gute Ergebnisse im Bereich der Liefertermintreue und der Reklamationen erzielt wurden. Jedoch berichtet der Schichteiter in die Runde, dass dies nur aufgrund hoher Nacharbeit nur durch mehrere Zusatzschichten möglich war. Ursächlich waren veraltete Zeichnungsunterlagen, da Nutzung vorletzter und nicht der aktuellen Revision. Dabei, so der Schichtleiter weiter, hätten die bisherigen Erfahrungen von anderen Aufträgen gezeigt, dass eine Verzögerung bei der Aktualisierung der Fertigungsunterlagen im Produktionsbereich generell zur erhöhten Nacharbeit geführt hat. Überdies konnten die Produktionsmitarbeiter anhand der vorliegenden Arbeitspapiere nicht selbstständig erkennen, ob sie über die entsprechend aktuellen Unterlagen verfügen. Der Service-Mitarbeiter lobt den Verkäufer nach einem gemeinsamen Kundentermin im Debriefing zunächst für die elegante Einwandbehandlung. Er gibt dem Vertriebler jedoch auch die Empfehlung, dem Kunden bei der Preisdiskussion noch viel deutlicher die tatsächlichen Kosten aufzuzeigen. Denn insbesondere die angebotene Regelung zu den Ersatzteilen, die im Wartungsturnus kostenlos ausgetauscht werden, sind bares Geld für den Kunden wert. Das, so berichtet der Service-Mitarbeiter, wird für die meisten seiner Kunden erst anhand eines konkreten Beispiels deutlich. Dazu führt er dem Vertriebler den Fall eines Bestandskunden vor Augen, der sich überrascht zeigte, dass ihm seit dem Beginn der Kundenbeziehung vor 10 Jahren zum ersten Mal ein Ersatzteil kostenpflichtig ausgetauscht wurde und dies auch nur wegen unsachgemäßer Bedienung durch den Anwender.

Das Durchführen sowohl von Debriefings als auch von Briefings ist rasch zu erlernen. Es nimmt ein bis zwei Tage in Anspruch, bis jeder der Beteiligten das Vorgehen verinnerlicht hat. Danach findet der Feinschliff mit betrieblichen oder persönlichen Akzentuierungen statt. Dennoch sollten Betriebe ein standardisiertes, vielleicht sogar mit Checklisten dokumentiertes, Verfahren etablieren. Wenn eine Cockpitcrew ein Briefing durchführt, dann basiert dies auf sehr stark eingeübten Prozessen, die nie infrage gestellt werden. In a­nderen Branchen sind Abläufe vielfach deutlich weniger präzise formuliert und Erfahrungen mit Briefings und Debriefings kaum vorhanden. Um also den Nutzen dieser Tools ausschöpfen zu können, müssen die Mitarbeiter Hilfestellungen für eine wirksame Durchführung an die Hand bekommen. Gäbe es so klare Regeln nicht, bestünde im Übrigen auch die Gefahr, dass Briefings und Debriefings zu lange dauern und zu allgemeinen Diskussions- und Beschwerderunden mutieren.

66

6  Crew Resource Management (CRM)

6.4 Situationsbewusstsein und Workload-Management So wie Piloten jederzeit die Lage ihres Flugzeugs und alle Umgebungsfaktoren kennen müssen, braucht jeder Mitarbeiter in der industriellen Praxis ein Gespür dafür, in welchem Status sich seine Aufträge oder Projekte befinden und wo weitere Informationen von Kollegen, Abteilungen, Lieferanten oder Kunden ausstehen und wo es im weiteren Verlauf „haken“ könnte. Erforderlich ist also ein Situationsbewusstsein. Diese auch als Situational Awareness bezeichnete Eigenschaft fasst die Fähigkeit zu einer ganzheitlichen Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Entscheidungsfindung zusammen. Sie setzt voraus, dass ein Mitarbeiter jederzeit in der Lage ist, • die auf ihn einwirkenden Einflüsse vollständig zu erfassen. • die Bedeutung aller Einflüsse zu verstehen: Warum ist es so? Ist alles so, wie es sein muss? • aus den Erkenntnissen Handlungen abzuleiten: Wie entwickelt sich die Lage? Welche Auswirkungen lassen sich ableiten? Was war die Ursache? Notwendig ist somit eine „Context Sensitivity“, d. h. die Fähigkeit, gleichzeitig Situationen zu erfassen, ihre Komplexität zu durchschauen und entsprechende Schlussfolgerungen abzuleiten. In der Auftragsanbahnung und -abwicklung setzt dies eine hohe Kenntnis des Soll-Zustands sowie des Status quo bei den zuarbeitenden Stellen und beim Kunden voraus. Nur wenn es gelingt, in Ruhe und Sachlichkeit die Übersicht zu behalten, hinkt ein Industriebetrieb den Schritten seines Kunden nicht hinterher. Die Herausforderung bei der Situational Awareness besteht darin, dass sich Situationen oder Sachverhalte im betrieblichen Alltag als außerordentlich komplex darstellen. Sie setzen sich aus vielen Einzelfaktoren zusammen, die es wachsam wahrzunehmen gilt. Dabei ist zwar nicht auf jede dieser Einzelsituationen permanent Rücksicht zu nehmen, aber sie sind dennoch zu registrieren und im Auge zu behalten. Geschieht dies nicht, können Situationen entstehen, in denen es zu Überraschungen kommt und unvorbereitetes Reagieren notwendig wird. Ein solides Situationsbewusstsein erfordert daher. • dass unsere Antennen, die registrieren, was um uns herum passiert, permanent ­ausgefahren sind; • dass wir einen Zusatzspeicher nutzen, in dem wir wahrgenommene Ereignisse sichern und jederzeit abrufbar zur Verfügung haben. Hierbei muss sich der Blick sowohl auf die Mikroebene der Einzelfaktoren richten als auch auf den Kunden, seine aktuelle Auftragsabarbeitung oder gar der Zustand der gesamten Kundenbeziehung oder, also die Makroebene der Gesamtsituation.

6.4  Situationsbewusstsein und Workload-Management

• • • •

67

Entspricht das Produkt oder der Auftrag dem Soll-Zustand? Welches sind die nächsten Schritte? Wird der Zeit-, Arbeits- oder Projektplan eingehalten? Welche Chancen und Risiken wirken gegenwärtig auf den Projekt- oder Auftragserfolg?

Neben einer guten Wahrnehmungsfähigkeit und einer ebensolchen Auffassungsgabe hat Situational Awareness viel mit Erfahrung zu tun. So wird ein junger, unerfahrener Arbeitsplaner oder Projektleiter viele Dinge möglicherweise gar nicht wahrnehmen, weil er die Wichtigkeit nicht so einschätzt, wie dies ein erfahrener Kollege tun würde. Dennoch lässt sich Situationsbewusstsein teilweise erlernen. Hierfür bietet Human-Factors-Training einen soliden Einstieg. Sehr hilfreich ist überdies die regelmäßige Teilnahme an Briefings und Debriefings. Trotz Erfahrung, Veranlagung oder Training können Umstände auftreten, die das Situationsbewusstsein einschränken. Wichtige Informationen werden dann zwar vom Gehirn erfasst, aber nur eingeschränkt wahrgenommen oder nicht richtig verarbeitet. In der Folge können falsche Schlüsse gezogen und suboptimale Entscheidungen getroffen werden. Solche Situationen entstehen vor allem dann, wenn Menschen unter Druck oder Stress geraten. Auch Müdigkeit führt zur Einschränkung des Situationsbewusstseins. Meist fokussiert sich die Konzentration dann auf einzelne Entscheidungspunkte in einer Prozesskette. Die Fähigkeit für eine holistische Betrachtung sinkt und hindert den Betroffenen dabei, andere Dinge, die gleichzeitig um ihn herum passieren, wahrzunehmen. Dadurch kommt es zu einer falsch priorisierten Aufmerksamkeit. Es entsteht der berühmte Tunnelblick. Ein sehr gutes Beispiel dafür, welche verheerenden Folgen fehlendes Situationsbewusstsein in Stresssituationen haben kann, ist der Absturz von Flug 401 der Eastern Airlines in die Everglades (Abschn. 3.3). Die Piloten haben sich zu sehr auf das Problem mit der nicht funktionierenden Fahrwerksleuchte konzentriert und dabei vergessen, Kurs, Geschwindigkeit und Höhe zu überwachen. Es gilt also stets, auch dann den Überblick zu behalten, wenn einzelne Probleme scheinbar alles überlagern.

6.4.1 Workload-Management Eine wirksame Methode, Situationsbewusstsein zu schaffen oder aufrechtzuerhalten, bildet das Workload-Management. Bei diesem geht es um die Entzerrung von Arbeit, sodass die Arbeitsbelastung möglichst konstant gehalten wird. Eine Kontinuität ist wichtig, da Tätigkeiten am zuverlässigsten ausgeübt werden können, wenn die Arbeitsbelastung moderat ist und keinen plötzlichen Schwankungen unterliegt. Hohe Arbeitsbelastungen führen indes zu Stress und Erschöpfung, während eine niedrige Arbeitsbelastung Ermüdung und Unachtsamkeit zur Folge hat.

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6  Crew Resource Management (CRM)

Wenn von einer Entzerrung von Aufgaben die Rede ist, kann dies durch eine zeitliche oder personelle Nivellierung der Arbeitsbelastung erfolgen. So sind Tätigkeiten in auslastungsschwachen Zeiten systematisch vorzuziehen, damit in auslastungsstarken Zeiten mehr Kapazität für die wichtigen Dinge vorhanden ist. Im Zuge einer personellen Aufgabenentzerrung können sowohl Tätigkeiten als auch Bestandteile der Situational Awareness selbst delegiert werden. Das Situationsbewusstsein bleibt erhalten, weil Aufgaben von einem qualifizierten Kollegen oder Mitarbeiter übernommen werden. Im Cockpit wird dazu auf den Co-Piloten zurückgegriffen; im betrieblichen Alltag kann es sich um den Vorgesetzten oder einen Kollegen handeln. Im Übrigen kann auch jeder einzelne seine Arbeitslast durch Arbeitsablaufgestaltung und Training reduzieren. Dabei geht es einerseits um die schlanke Abwicklung aller Tätigkeiten und eine effiziente Aufgabenbewältigung. Zum anderen geht es um Training im Bereich der Standardisierung und der menschlichen Automatisierung, indem Mitarbeiter lernen, bei bestimmten Tätigkeiten auf „Autopilot“ zu schalten und so Kapazität für die Bewältigung des Situationsbewusstseins zu schaffen. Workload-Management mag für den einen oder anderen auch unter dem Titel gute Selbstorganisation bekannt sein und daher als Selbstverständlichkeit belächelt werden. Aber nicht jeder von uns kann sich gleich gut selbst organisieren. Überdies treten im beruflichen Alltag ständig Situationen auf, die deutlich machen, dass viele Mitarbeiter erhebliche Mühe haben, ihre Arbeit in der effizientesten Weise zu strukturieren und abzuarbeiten.

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Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung

Die stringente Anwendung definierter Prozesse hat sich neben dem Crew Resource Management als wirksamster Ansatzpunkt für die Flugsicherheit herausgestellt. Ähnliches gilt übrigens auch für die Industrie, denn dort stellt die mangelnde Prozessausrichtung von Unternehmen eine der bedeutendsten Quellen für strukturelle Minderqualität und Ineffizienzen dar. Strikte Prozessorientierung ist noch in zu vielen Betrieben ein Fremdwort! Stattdessen herrscht das Credo: „We do it, as we always did“.

7.1 Prozessorientierung im betrieblichen Alltag Der Druck des Marktes, verbunden mit der Dynamik in der Produktentwicklung, sei es bei Gütern oder bei Dienstleistungen, hat zur Folge, dass sich auch Unternehmen immer weniger Prozessineffizienzen leisten dürfen. Das gelingt allzu oft nur unzureichend. So passieren immer wieder auch bei Konzernen schwere Produktions- oder Entwicklungsfehler. Beispiele liefern etwa der Elchtest der Mercedes-A-Klasse, der 2012 eingeführte Apple-eigene Kartendienst und sogar in der Luftfahrt der Dreamliner, der nach Markteinführung wegen Batterieproblemen mehrere Monate am Boden bleiben musste oder die Haarrisse in den Tragflächen des A380. Bei derart folgenschweren Ereignissen fragt sich hinterher jeder, wie die Beteiligten

Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. Wunderlich M, Olthoff JJ, Hinsch M (2014) Kann Ihr Vertriebsteam einen Airbus A320 auf dem Hudson landen? [Copyright © Uhlenbruch Verlag, Bad Soden 2014]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_7

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7  Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung

hiervon keine Kenntnis nehmen konnten. Wie können also nicht ausgereifte Produkte oder Leistungen und seien es nur Dokumente (Angebote, Verträge), vom Zulieferer übernommen übergeben, unternehmensintern an die nächste Stelle weitergereicht oder gar an den Kunden ausgeliefert, werden? Wenngleich zwar jeder solche Vorfälle kennt, so gelangen diese jedoch nur selten an die Öffentlichkeit, schließlich lassen diese das betroffene Unternehmen in keinem guten Licht erscheinen. Allerdings braucht niemand zu glauben, dass das eigene Unternehmen vor solchen Pannen gefeit sei. Passieren kann Ähnliches bei fast jedem Projekt. Meist fallen solche Fehlentwicklungen jedoch früh auf und entwickeln so gar nicht erst eine besondere Dramatik. Entstehen sie doch so sind die Ursachen für solche Fehlentwicklungen interessanterweise selten fachlich-technischer Natur, sondern liegen tiefer und sind vor allem in Prozessschwächen begründet. Um derartige Vorfälle zu vermeiden, ist der Fokus daher auf die Organisation zu richten. Die Bewältigung der organisatorischen Komplexität bleibt aber auch mit IT-Unterstützung eine der wesentlichen Herausforderungen im Zuge industrieller Planungs- und Fertigungsabläufe. Der Alltag in den meisten Industriebetrieben ist heute durch eine hohe Komplexität der betrieblichen Wertschöpfungskette geprägt. Dies macht sich insbesondere bemerkbar durch: • anspruchsvolle Produkte oder nicht einfach zu durchschauende Dienstleistungen, • zahllose organisatorische Schnittstellen, bedingt durch hohe Arbeitsteiligkeit, sowie • aufwendigen Abstimmungsbedarf aufgrund einer Vielzahl von Abteilungen und Beteiligten. Erschwert wird moderne Wertschöpfung zusätzlich durch die personelle Interaktion zwischen unterschiedlichen Kulturkreisen in verschiedenen Zeitzonen. Überdies wird flexibles und situationsgerechtes Handeln nicht selten unter Zeit- und Handlungsdruck in der Entscheidungsfindung gefordert. Gerade Mitarbeiter in Großunternehmen sehen sich mit einer erheblichen Regelungsdichte in Form detaillierter Anweisungen zur Aufgabenerfüllung konfrontiert. Unter solchen Umständen optimale Arbeitsbedingungen zu schaffen, ist sowohl aus der Qualitätsperspektive als auch aus Effizienzgründen bedeutsam, da die unzureichende Gestaltung und Beherrschung betrieblicher Organisationsstrukturen eine der Hauptgründe für das Auftreten systematischer Fehler und Minderqualität ist. Dies gilt nicht nur für die Aufgabenerfüllung im eigenen Betrieb, sondern ebenso im Rahmen der Steuerung und Überwachung sämtlicher Lieferanten. Gründe dafür, weshalb klar und effizient strukturierte Prozesse nicht immer existieren, gibt es reichlich, z. B.: • isoliertes Abteilungs-, Standort- oder Kostenstellendenken, • das Denken in Berufsgruppen und Fachdisziplinen,

7.1  Prozessorientierung im betrieblichen Alltag

71

• mangelnde Standards bei Routinetätigkeiten sowie • ein elitäres Verständnis vom eigenen Job. Ganz gleich, um welche dieser Schwachstellen es sich handelt, sie können nur beseitigt oder zumindest beherrscht werden, wenn alle Abläufe und Verfahren nachvollziehbar festgelegt werden. Standards, Normen und Vorgaben sind einheitlich zu definieren und deren Einhaltung ist im betrieblicher Alltag sicherzustellen. Ein besonderes Augenmerk muss insbesondere auf die Beherrschung der unzähligen Schnittstellen gelegt werden. Nur so kann ein fließender, weitestgehend unterbrechungsfreier Prozessablauf geschaffen werden. Nicht zuletzt müssen Aufgaben und Verantwortlichkeiten eindeutig zugeordnet und den Mitarbeitern bekannt sein, schließlich muss das Personal auch danach handeln. Dies kann letztlich nur dann gelingen, wenn Unternehmen über ein angemessen leistungsfähiges Prozessmanagement verfügen und die zugehörige Vorgabedokumentation nutzen. Bei beiden handelt es sich um wichtige Elemente der Organisationssteuerung und -überwachung. Dennoch findet insbesondere die Vorgabedokumentation bei einem Großteil der Mitarbeiter nur wenig Wertschätzung und genießt das Image eines notwenigen Übels, bestehend aus viel Prosa bei niedriger, bestenfalls mäßiger Mitarbeiterakzeptanz. In der täglichen Praxis wird sie noch zu oft als Selbstzweck gesehen, meist aus Verpflichtung gegenüber Gesetzgeber, Kunden oder zur Erlangung notwendiger QM-Zertifizierungen. Kurz: Vorgabedokumentation wird zu wenig als akzeptiertes Instrument der Lenkungs- und Koordinationsunterstützung genutzt.1Der Fokus muss dazu vor allem auf die Beherrschung der Prozesse und die Systematisierung von Informationsstrukturen gelegt werden. Gemeint ist hier nicht, alle Prozesse aufzumalen oder alles auf einer Festplatte zu speichern und abrufbar zu machen. Wichtig ist es, Transparenz, also eine Standardisierung, Rückverfolgbarkeit und Nachvollziehbarkeit aller Schritte jedes Prozesses oder Auftrags zu schaffen – vom Vertrieb, über die Entwicklung und Beschaffung bis zur Arbeitsplanung und Fertigung einschließlich Berücksichtigung der Unterstützungsprozesse wie Betriebsmittelüberwachung und -instandhaltung, Lagerung und innerbetrieblicher Transport, Dokumentenlenkung oder kaufmännische Steuerung und Abrechnung (Abb. 7.1). Solche klaren Vorgaben und Regeln finden sich eher noch in Standardprozessen der Shopfloor-Ebene, existieren jedoch meist nur unzureichend auf der Arbeitsebene hoch qualifizierter Schreibtischtätigkeiten und noch seltener auf der Ebene ganzer Prozesse. Hier existieren nur selten strukturierte Arbeitsabläufe, Arbeitsmethodiken, Vorgaben sowie klare Verantwortlichkeiten und eindeutig definierte Schnittstellen. Der Grund liegt meist

1vgl.

Hinsch, M.: Die Leistungsfähigkeit prozessbasierter QM-Systeme in komplexen Organisationen am Beispiel der Lufthansa Technik AG. In: Hinsch, M. & Olthoff, J. (Hrsg.) Impulsgeber Luftfahrt – Industrial Leadership durch luftfahrtspezifische Aufbau- und Ablaufkonzepte 2013. Berlin/ Heidelberg. S. 115–130.

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7  Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung

Abb. 7.1   Beispielhafte Prozesslandkarte für einen Industriebetrieb

darin, dass nur wenige Betriebe den Weg finden, einen angemessenen Standardisierungsgrad zu schaffen, ohne dabei die notwendigen Freiräume für Flexibilität zu gefährden. Ein Beispiel ist der Angebotsprozess in den Unternehmen. Obgleich jedem klar ist, dass der gesamte Geschäftserfolg von der Leistungsfähigkeit dieses Prozesses abhängt, ist das Vorgehen zur Geschäftsanbahnung und zum Vertragsabschluss in vielen Unternehmen meist unzureichend geregelt. Dennoch kann es sein, dass selbst Standardprozesse hohe Abarbeitungs- oder Durchlaufzeiten aufweisen und im Verlauf fehlerträchtig werden. Ein mittleres Desaster bricht vollends aus, sobald ein nicht standardisierter Prozess geändert werden muss. So kann zum Beispiel bereits die Änderung eines Formblatts in einem Großunternehmen drei bis sechs Monate dauern. Plant ein großes Unternehmen gar mehrjährige Change-Management-Projekte, ist niemand mehr überrascht, wenn diese einen Großteil ihrer ursprünglich erhofften Wirkung niemals erzielen. Ein Grund dafür ist, dass in Organisationen eine umfassende Standardisierung mit eindeutig definierten Spielregeln fehlt. Um dem zu begegnen, müssen Prozesse geschaffen, dokumentiert und gelebt werden. Ausgangspunkt dafür bildet die Schaffung einer leicht verdaulichen Vorgabedokumentation (z. B. Prozessbeschreibungen oder Standard Operating Procedures [SOP]). Existieren keine klaren Vorgaben, so gibt es dennoch Prozesse, die aber nur implizit anerkannt und daher gerne situationsgerecht ausgelegt werden. Dies kann zwar Flexibilität schaffen. Meist dient diese Freiheit jedoch vor allem der individuellen Auslegung. Dabei gerät das Betriebsoptimum in den Hintergrund zugunsten eines „Management-by-easiest-Way“ oder eines „Management-by-best-Friends“. Die Abarbeitungspriorität wird dann zum Beispiel nicht über die Dringlichkeit oder den höchsten Nutzen definiert, sondern über die Nähe zum jeweiligen Entscheidungsträger.

7.2  Umsetzung einer Prozessorientierung: Prozessdefinition

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Gerade im Hinblick auf die Prozesse besteht diesbezüglich in den meisten größeren Betrieben erheblicher Handlungsbedarf. Ziel muss sein, dass bei allen Beteiligten immer und überall Klarheit über die Aufgaben sowie deren Zusammenhänge, Verantwortlichkeiten, Folgen und Termine besteht. Dazu gehört, dass die Schwerpunktlegung der nahen Zukunft stärker darin liegen muss, dass sich Betriebe von informellen Netzwerken wie dem berühmten „Flurfunk“ verabschieden und sich stärker zu strukturierten Wissensclustern entwickeln. Informelle Netzwerke sind gut und wichtig, aber das Beispiel zeigt auch, dass solche Strukturen jenseits bestehender Prozesse die Ablaufstabilität gefährden können. Implizite Regeln gilt es daher in vielen betrieblichen Prozessen stärker zu kontrollieren, zu systematisieren und zu kanalisieren. Dies gelingt am ehesten, wenn der Standardisierungsgrad erhöht wird, auch und insbesondere bei vermeintlich nicht standardisierbaren Tätigkeiten.

7.2 Umsetzung einer Prozessorientierung: Prozessdefinition Um die Effizienz der Prozesse zu steigern und dabei zugleich die Mitarbeiter „mitzunehmen“, muss eine leistungsfähige Methodik entwickelt werden. In einem ersten Schritt gilt dies für die Definition und Dokumentation der Prozesse und deren Schnittstellen. Klassische Vorgabedokumentation in Form von textlastigen Handbüchern und Verfahrensanweisungen sind dabei üblicherweise weder in der Lage, Akzeptanz zu schaffen, noch die betriebliche Vielschichtigkeit transparent und somit nachvollziehbar abzubilden. Kurz: Sie ist nicht aussagekräftig genug oder nicht aktuell, zu kompliziert und zu verschachtelt in der Handhabung. Die Folgen derart textüberfrachteter Verfahrensanweisungen sind häufig fehlende Transparenz und eine mangelnde Ausrichtung an den Bedürfnissen der modernen Organisationssteuerung. Die Chancen, dass ein solches Instrument von den Mitarbeitern angenommen wird und eine betriebliche Lenkungsfunktion wahrnehmen kann, sind daher gering. Hier helfen grafische Prozessbeschreibungen (Abb. 7.2). Diese, in der Luftfahrt als Standard Operating Procedures (SOPs) bezeichneten Vorgaben, sind standardisierte Regeln und Verfahren zur Beherrschung komplizierter organisatorischer Systeme. Vereinfacht gesprochen legen SOPs fest, wer was, wann, wie und womit auszuführen hat. Der Vorteil solcher Prozessanweisungen besteht in aller Regel darin, dass selbst komplexe Organisationsstrukturen mittels Visualisierung (z. B. Flow-Charts) transparent dargestellt werden können. Auf diese Weise fordern und fördern SOPs die stärkere Auseinandersetzung mit den betrieblichen Verfahren, Schnittstellen und Zuständigkeiten.

Abb. 7.2   Beispielhafte Visualisierung eines Kernprozesses

74 7  Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung

7.2  Umsetzung einer Prozessorientierung: Prozessdefinition

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Abb. 7.3   Beteiligte an der betrieblichen Prozessbeschreibung (Hinsch, M.: Die Leistungsfähigkeit prozessbasierter QM-Systeme in komplexen Organisationen am Beispiel der Lufthansa Technik AG. In: Hinsch, M. & Olthoff, J. (Hrsg.) Impulsgeber Luftfahrt – Industrial Leadership durch luftfahrtspezifische Aufbau- und Ablaufkonzepte 2013. Berlin/Heidelberg. S. 124.)

Indem die Organisation transparent gemacht wird, erkennt der Mitarbeiter seinen Platz innerhalb der für ihn relevanten Prozesse. Durch ihren klaren Anweisungscharakter wirken SOPs regulierend und stabilisierend, sodass diese bei der Beherrschung und Steuerung der betrieblichen Abläufe unterstützen und Prozesssicherheit schaffen. Wichtig ist, dass die Ausarbeitung der SOPs durch die betroffenen Mitarbeiter erfolgt, weil nur so eine individuelle auf die Bedürfnisse der Organisation oder der Abteilung ausgerichtete Lösung gefunden werden kann. Die Mitarbeiter tragen auf diese Weise selbst die Verantwortung, ihre Kernaktivitäten zu analysieren, Schwachstellen zu identifizieren, Verbesserungen anzustoßen sowie Rollen und Verantwortlichkeiten festzulegen. Die Beteiligten erarbeiten sich somit ihre zukünftigen SOPs weitestgehend selbst. Zugleich gelingt es durch eine aktive Einbeziehung der betroffenen Mitarbeiter am ehesten, allgemein akzeptierte Regeln einzuführen (Abb. 7.3). SOPs sind dabei umso hilfreicher für die Schaffung eines Bewusstseins für die betrieblichen Abläufe, je komplexer und arbeitsteiliger die Kern- und deren Unterstützungsprozesse sind. Denn gerade dort kann eine transparente Lösung zur Prozesssteuerung durch ein visuell verankertes Organisations- und Ablaufkonzept entwickelt werden, welches ganzheitlich Prozesse und Hierarchie abbildet. Das Argument einiger Mitarbeiter, dass SOPs für ihre Aufgaben nicht anwendbar seien, weil ihre Anwendung durch die Individualität ihrer Tätigkeiten verhindert wird – wie etwa im Vertrieb, in Stabsstellen oder in betrieblichen Führungsprozessen – darf nicht gelten.

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7  Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung

Denn gleiches trifft auch auf Piloten in deren Umgang mit Passagieren, dem Flugverhalten und der Flughafenorientierung zu. Hoch qualifizierte Mitarbeiter, wie Führungskräfte es sind, müssen wie übrigens auch Piloten in jeder Situation frei in ihren Entscheidungen sein und dies auch bleiben. Jedoch können SOPs beiden Berufsgruppen als hilfreiches Instrument dienen, den zufälligen Ereignissen in ihren jeweiligen Arbeitsprozessen Einhalt zu gebieten. Mit SOPs ist es auf einfachste Weise möglich, jedem Mitarbeiter seinen Platz innerhalb der für ihn relevanten Prozesse und Aufgaben deutlich zu machen, weil diese2 • die natürlichen Prozessabläufe visualisieren und so höhere Verständlichkeit für den Mitarbeiter schaffen. • eine sinnvolle Reihenfolge für ein gemeinsames Handeln festlegen und einem jeden Teammitglied klar definierte Aufgaben (inkl. Kommunikation) zuordnen. Auf diese Weise werden Abweichungen vom Normverhalten und damit Qualitätslücken in der täglichen Praxis rasch identifizierbar. • notwendige Absprachen im Vorfeld der Tätigkeit verringern und die rasche Teambildung auch von bisher unbekannten Interaktionspartnern ermöglichen. • die Auseinandersetzung mit den eigenen Prozessen fördern und dadurch die Identifizierung von Schwachstellen oder ungewollten Redundanzen erleichtern. • ehemals isolierte Dokumentationen durch Aneinanderreihung einzelner Prozessschritte aufgrund der Prozessflussorientierung auflösen. • sich aufgrund ihrer Übersichtlichkeit und klarer Strukturierung ideal als Tool zur Einarbeitung der Mitarbeiter und Instrument der betrieblichen Ausbildung eignen. Durch die Minimierung interner Reibungsverluste sowie durch verbesserte Prozessbeherrschung (Schnittstellenverluste, Stille-Post-Effekte, Redundanzen, Arbeitsfehler) können SOPs einen Beitrag zur Kostenreduzierung leisten. Aus juristischer Perspektive können SOPs wesentlich zur Enthaftung der Führungskräfte für Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter beitragen (Erfüllung der Organisations- und Aufsichtspflicht). Sie schaffen Rechtssicherheit. SOPs sind idealerweise nicht voneinander losgelöst festzulegen, sondern in einem integrierten Prozessmanagementsystem zusammenzufügen. Mehr noch als die Summe einzelner SOPs fordert und fördert eine derart ganzheitliche Lösung die Auseinandersetzung mit den betrieblichen Abläufen, Verantwortlichkeiten und Schnittstellen. Diese Stärken kann das Prozessmanagement jedoch nur dann umfassend entfalten, wenn es

2In

Anlehnung an Hinsch, M.: Die Leistungsfähigkeit prozessbasierter QM-Systeme in komplexen Organisationen am Beispiel der Lufthansa Technik AG. In: Hinsch, M. & Olthoff, J. (Hrsg.) Impulsgeber Luftfahrt – Industrial Leadership durch luftfahrtspezifische Aufbau- und Ablaufkonzepte 2013. Berlin/Heidelberg. S. 118 f.

7.3  Umsetzung einer Prozessorientierung: Mitarbeiterqualifikation

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durch die betriebliche IT hinreichend unterstützt wird. Gerade in größeren Organisationen geht es um den Einsatz aggregierter Darstellungen, denen es durch IT-unterstützte Prozessvisualisierung deutlich besser gelingt, jedem Mitarbeiter seinen Platz innerhalb des gesamten organisatorischen Prozessgebildes anschaulich aufzuzeigen. Die IT macht es leichter, wichtige von unwichtigen Informationen zu trennen, zugehörige Dokumente zu verlinken sowie die Verknüpfungen zu vor- und nachgelagerten Stellen abzubilden. Nur ein einfaches, verständliches und mühelos bedienbares Prozessmanagementtool findet eine angemessene Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Die reine Umformulierung bestehender Verfahrensanweisungen von der Prosa- in die Prozessform kann zwar ein erster Schritt sein; für die Etablierung eines akzeptierten Prozessmanagementsystems ist dies jedoch nicht ausreichend. Zwar lassen sich so die einzelnen Prozesse isoliert abbilden; erfahrungsgemäß können jedoch weder die Komplexität der Organisation noch die Wechselwirkungen zwischen den Abteilungen hinreichend transparent dargestellt werden. Der IT-Markt bietet zahlreiche Applikationen, die spezifisch auf die Bedürfnisse von Prozessmanagementsystemen ausgerichtet sind. Mit ihnen ist es möglich, den gesamten Organisationsablauf einschließlich aller angrenzenden, über- und untergeordneten Prozesse entlang der Wertschöpfungskette oder Projekts weitestgehend unterbrechungsfrei abzubilden. Die Komplexität der Wirklichkeit wird auf visualisierte Prozessmodelle reduziert und so nachvollziehbar gemacht. Der Mitarbeiter kann auf eine aufwendige Suche und den Abgleich von Verfahrensanweisungen verzichten und sich stattdessen am PC „durch seine Prozesse klicken“. Für den Nutzer bieten solche technischen Lösungen zudem den Vorteil einer erhöhten Aktualität sowie einer verbesserten Zugriffs- und Anwenderfreundlichkeit.3

7.3 Umsetzung einer Prozessorientierung: Mitarbeiterqualifikation Es gelingt den Mitarbeitern immer weniger, die betrieblichen Zusammenhänge und die eigenen Schnittstellen zu überblicken. Dennoch müssen sie ihre Aufgaben verstehen und umsetzen. Zwar können Mitarbeiter im Normalfall ihr eigenes Tätigkeitsumfeld noch gut benennen, aber bereits an den Schnittstellen vor- und nachgelagerter Stellen ist vielfach Schluss. Wissen oder Bedürfnisse werden wechselseitig nicht ausgetauscht. Prozessineffizienzen mit unklaren Verantwortlichkeiten sind die Folge. Dies führt dazu, dass Verantwortlichkeiten bereits im unmittelbaren Arbeitsumfeld hin- und hergeschoben werden. Noch viel größer ist das Problem bei der Zusammenarbeit zwischen Teams, Abteilungen, Standorten sowie insbesondere bei externen Zulieferern.

3vgl.

Zeisig, M.: Entwicklung eines Dokumentationskonzeptes zur Förderung des ganzheitlichen Qualitätsmanagements. Aachen 2004, S. 127.

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7  Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung

Aber auch wenn Betriebe bereits Maßnahmen zur Verbesserung der Prozesssteuerung unternommen haben, z. B. mit solide ausgearbeiteten und dokumentierten Flow-Charts, eventuell manifestiert durch ein ISO-9001-Zertifikat, ist dies noch kein Erfolgsgarant. Letztlich muss eine Organisation auch umfassendes Wissen und praktische Erfahrungen in der Prozessbeherrschung des betrieblichen Alltags vorweisen können. Die Vorgabedokumentation muss also umfassend und tief greifend in die tägliche Arbeit übertragen werden. Eine strikte Prozessorientierung zu erarbeiten und anschließend zugehörige Vorgaben zu veröffentlichen, reicht dazu bei Weitem nicht aus. Die Umsetzung dieser Vorgaben geschieht nicht von selbst, insbesondere da das Lesen von Verfahrensanweisungen und Prozessbeschreibungen nur wenigen Mitarbeitern Freude bereitet – egal wie transparent diese sind. Vor allem müssen sie hinterher von jedem Mitarbeiter angewendet werden. Das ist in aller Regel gleichbedeutend mit Veränderungen im eigenen Arbeitsalltag. „Im Zuge von Prozessaufnahmen habe ich erlebt, dass Abteilungen, obwohl sie täglich miteinander Informationen austauschten, erstmals gemeinsam über ihre Abläufe und ihre Anforderungen sprachen. Bis dato wurden die Daten ohne Kenntnis der Bedürfnisse des anderen hin und her gereicht.“ Dr. Martin Hinsch

Ziel muss es daher sein, für alle Beteiligten das Wie und Warum in der Prozesslinie darzulegen. Jeder Mitarbeiter sollte seinen Platz innerhalb der Prozesse kennen. Dazu gehören auch das Wissen und das Verständnis für Aktivitäten, die nicht das direkte, eigene Aufgabenfeld betreffen. Gewiss nicht in der gleichen Tiefe und demselben Detaillierungsgrad, aber jeder Mitarbeiter muss die wesentlichen betrieblichen Zusammenhänge sowie die eigenen Schnittstellen zu vor- und nachgelagerten Akteuren kennen. Nur so können sowohl Betriebe wie auch deren Mitarbeiter die Komplexität ihrer Organisation verstehen und beherrschen. Leider ist die Prozessebene üblicherweise nicht Bestandteil der betrieblichen Ausund Weiterbildung. Wer jedoch darauf baut, dass es ausreicht, den Mitarbeitern eine Vorgabedokumentation als „Brocken“ hinzuwerfen, in der Hoffnung, dass sich diese damit angemessen auseinandersetzen, wird im Normalfall enttäuscht. Sicher erlangt man im Rahmen der Ausbildung und des betrieblichen Alltags auch rudimentäre Prozess- und Organisationskenntnisse über den eigenen Tätigkeitsbereich hinaus. Dennoch fällt es vielen Mitarbeitern in komplexen Prozessen schwer, den eigenen Tätigkeitsbereich exakt zu benennen. Begünstigt wird dies durch eine vielfach unzureichend ausgeprägte Fähigkeit, in Prozessen zu denken. So hinterlässt die wachsende Komplexität und Unübersichtlichkeit der realen Prozesswelt ihre Spuren. Notwendig sind daher systematische Qualifikations- und Trainingsaktivitäten, um die Mitarbeiter an ihre Aufgaben und Tätigkeiten in einer Weise heranzuführen, dass sie diese nachhaltig wiederholt beobachtbar durchführen. Die Inhalte sind dazu initial sowie periodisch wiederkehrend zu schulen. Erfahrungsgemäß nehmen sich Mitarbeiter erst in einer Schulung die Zeit, sich intensiv mit den eigenen Aufgaben und Prozessen

7.4  Was bedeutet dies nun?

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auseinanderzusetzen. Zugleich unterstreicht die Geschäftsleitung mit Trainings, wie wichtig ihnen die Einhaltung der Regeln und Standards ist, und unterstützt so die Entstehung einer betrieblichen Prozessorientierung bis auf Mitarbeiterebene. Dies mag aufwendig sein, aber die prozessorientierte Personalqualifizierung trägt aus ökonomischer Perspektive zu einer Minimierung der Arbeitsfehler, und damit der Fehlerkosten, aufgrund unsachgemäßer Arbeitsdurchführung bei. Obwohl in Zeiten von Cost Cutting Kürzungen im Bereich Training und Ausbildung zunächst schnelle Erfolge zeigen, machen sich Investitionen in Form von Training zur Verbesserung von Qualität und Prozessen langfristig immer bezahlt. In der Luftfahrt gilt dazu der Leitsatz: „If you think quality training is expensive: try an accident!“ Davon unbenommen besteht jedoch bei der Implementierung von SOPs bei hoch qualifizierten Angestellten, stets das Risiko, dass die stringente und verbindliche Anwendung von SOPs mit der Berufsauffassung mancher Beteiligter kollidiert.4 Der kritische Erfolgsfaktor liegt somit in der Disziplin und im Willen der Mitarbeiter, sich an Vorgaben und Standards für die Arbeitsausführung zu halten. Dies ist wesentlich eine Kulturfrage, die gute Führungsarbeit und Zeit erfordert. Mit Brachialgewalt wird eine Änderung der inneren Einstellung nur bedingt gelingen. Hier kommt es darauf an, den Nutzen von SOPs für jeden Einzelnen klar zu kommunizieren und zudem deutlich zu machen, dass es sich bei Prozessqualität um ein von der Betriebsleitung getragenes Organisationsziel handelt, das ohne feste Regeln nicht erreichbar ist. Die Arbeit mittlerer Führungskräfte ist dabei von entscheidender Bedeutung, denn diese transportieren die Ziele der Geschäftsführung.

7.4 Was bedeutet dies nun? Große Betriebe sehen sich mehr und mehr mit der Herausforderung konfrontiert, die Komplexität ihrer Abläufe systematisch zu beherrschen. Die Mitarbeiter stoßen zunehmend an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, wenn es darum geht, die organisatorische Wertschöpfung in Gänze oder auch nur ihr erweitertes Arbeitsumfeld zu erfassen. Dem kann nur mit einer klaren Aufbau- und vor allem einer transparenten Ablauf-Organisation begegnet werden. Ziel muss es sein, die Standardisierung weiter voranzutreiben und eine konsequent systematische Prozessorientierung in den täglichen Abläufen zu schaffen. Dabei können prozessorientierte QM-Systeme wie von der ISO 9001, der branchenspezifischen IATF 16949 im Automobilbau, der EN 9100 für die Luftfahrtindustrie oder der DIN EN 13485 in der Medizingerätetechnik gefordert, eine solide Erleichterung sein, indem sie helfen, den Weg dorthin zu systematisieren.

4vgl.

Hinsch, M.; Olthoff, J.; Sommer, K.J.: Luftfahrtbetriebliche Safety-Management-Systeme als Modell für die industrielle Qualitätsverbesserung. In: Das Betrieb 04/2011, S. 347 ff.

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7  Prozesse als Basis replizierbarer Spitzenleistung

Die Steigerung von Effizienz und Qualität und die Verbesserung der Aufgabenerfüllung sind dabei kein Zauberwerk, sondern das wiederholbare Ergebnis systematisch geplanter und durchgeführter sowie strukturiert überwachter Prozesse. Die Implementierung und die langfristige Sicherstellung stabiler Prozesse ist zwar nicht frei von Kosten, von denen Training und eine Prozessmanagement-Software die größten Treiber sind, aber dennoch überwiegen letztendlich auch aus ökonomischer Perspektive die Vorteile eines strukturierten Prozessmanagements, denn ein solches System stärkt die Prozessstabilität und -transparenz. Dies führt in aller Regel zu einer reduzierten Fehlerrate, weniger Redundanzen und schlankeren Prozessen. Innerbetrieblich stellt die Schaffung einer angemessenen Mitarbeiterakzeptanz die wohl größte Herausforderung dar. Prozessoptimierungen sind für jeden einzelnen Mitarbeiter mit Arbeit verbunden, insbesondere weil Disziplin notwendig ist, sich an die Vorgaben und Standards zu halten. Daher besteht die Gefahr, dass gerade die stringente und verbindliche Anwendung von SOPs in der täglichen Praxis scheitert. Die Implementierung ist daher regelmäßig ein längerer Lernprozess, der nur durch gesunden Druck und Überzeugungsarbeit nachhaltig gelingen kann.

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Qualifikation und Training

8.1 Ganzheitliches Training und Standardisierung 8.1.1 Die drei Kernkompetenzen Um den Mitarbeitern eine Qualifikation zu vermitteln, die den Bedürfnissen von Unternehmen und Markt nachhaltig gerecht werden, sind systematische Qualifikations- und Trainingsaktivitäten notwendig. Diese müssen neben den fachlichen auch die nicht-fachlichen Anforderungen der jeweiligen Stelle gerecht werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für eine wirksame Personalqualifizierung. In der Pilotenausbildung kommen ausgefeilte Qualifikations- und Trainingssysteme zum Einsatz, die diese Anforderungen erfüllen. Es wird dazu bei Piloten nicht nur das Fliegen nach einheitlichen Standards trainiert, sondern es werden auch sogenannte „Non Technical Skills“ geschult. Dahinter steht der Gedanke, dass es nicht ausreichend ist, unter fliegerischen Aspekten ein begnadeter Pilot zu sein, wenn man nicht in der Lage ist, effizient und sicher im Team zu arbeiten, sich mitzuteilen oder mit Stress umzugehen. Eine ähnliche Maxime muss auch in deutschen Industriebetrieben systematische Verbreitung finden, denn für substanzielle Erfolge reichen überzeugendes Reden und

Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. Wunderlich M, Olthoff JJ, Hinsch M (2014) Kann Ihr Vertriebsteam einen Airbus A320 auf dem Hudson landen? [Copyright © Uhlenbruch Verlag, Bad Soden 2014]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_8

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8  Qualifikation und Training

e­ loquentes Auftreten nicht aus. Hilfreich ist dies natürlich schon; im modernen Betrieben stehen aber vielmehr die drei folgenden Kompetenzen im Fokus: • fachlich-technisches Wissen • Prozess-Know-how • interpersonelle Kompetenz Der primäre Blickwinkel der Personalqualifizierung richtet sich in fast allen Unternehmen ausschließlich auf die fachlich-technische Kompetenz. Da sich dieser Fokus auch schon bei der Personalauswahl beobachten lässt, ist das notwendige Fachwissen bereits beim Jobantritt meistens sehr gut ausgeprägt. Dies gilt zwar nicht immer bis ins Detail und nicht auf die spezifischen Unternehmensanforderungen, jedoch lassen sich solche Wissensdefizite in aller Regel mit wenigen Schulungen und Trainingsmaßnahmen beseitigen. Üblicherweise ist also der Trainingsaufwand im Bereich technischer Kompetenz vergleichsweise gering, um Mitarbeiter soweit zu qualifizieren, damit diese ihren Job angemessen ausführen können. Zu einer ganzheitlichen Qualifikation zählt neben dem Fachwissen die strukturierte Vermittlung von Prozess-Know-how. Dieser Qualifizierungsbaustein führt in vielen Betrieben ein Schattendasein, obgleich notwendig, um ein Verständnis für die organisatorischen Abläufe und Schnittstellen sowie die eigenen Rollen und Verantwortlichkeiten zu erlangen. Nicht nur neue Mitarbeiter können daher Mühe haben, ihre Tätigkeitsfelder und Zuständigkeiten zu erfassen. Dabei hilft systematisches Prozess-Know-how allen Mitarbeitern, ihren Platz in der Organisation zu finden, und begünstigt zugleich die Fähigkeit zur Identifizierung übergeordneter Verbesserungspotenziale. Das Problem bei der Vermittlung von Prozess-Know-how ist, dass viele Betriebe zwar (oft unbewusst) prozessorientiert aufgestellt sind, dabei aber ihren Organisationsaufbau und -ablauf nicht systematisch und unter Einbindung der Beteiligten dokumentiert haben. Dies gilt im Besonderen für Schnittstellen. Die Prozesse sind also in den seltensten Fällen beschrieben, nachlesbar und damit leicht erlernbar. Das führt dazu, dass Mitarbeiter, die neu in die Organisation kommen, etwa drei Monate bis ein Jahr benötigen, um ihre Rollen und Zuständigkeiten zu finden. Dies erfolgt dann im Zuge eines Learning-by-Doing, dessen Lernergebnisse nicht unbedingt mit den Wunschvorstellungen der Geschäftsführung übereinstimmen. Der Mitarbeiter führt seine Arbeit in einer Weise aus, wie es ihm von einem „alten Hasen“ beigebracht wurde, sehr wahrscheinlich mit allen Abkürzungen, Tricksereien und Fehlern. Es entstehen so „Stille-Post-Effekte“. Insoweit ist es notwendig, dass Unternehmen ihre Prozesse durch die Verantwortlichen und Beteiligten aufschreiben lassen und dass diese im Anschluss regelmäßig geschult werden. Je komplexer die Organisationsstruktur, desto dringender ist der Handlungsbedarf. Die dritte Säule der Personalqualifikation bildet die sogenannte interpersonelle Kompetenz. Sie umschreibt die Fähigkeit, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten, sowie die Eignung, eigene Schwächen zu beherrschen. Insoweit fallen unter die interpersonelle Kompetenz die Kommunikations-, Durchsetzungs- und Entscheidungsfähigkeit, die

8.1  Ganzheitliches Training und Standardisierung

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Kompetenz in den Bereichen Führung, Teamwork und Stressbewältigung ebenso wie die Selbstorganisation und das Situationsbewusstsein. Die Verbesserung der interpersonellen Mitarbeiter- und Führungskompetenz steht zwar weit oben auf der Wunschliste vieler Unternehmen, aber ein systematisches Vorgehen, dieses Ziel zu erreichen, existiert nur selten. Nur wenige Betriebe achten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter systematisch mit Hilfe von Assessment-Centern auf die interpersonelle Kompetenz. Noch seltener geschieht dies bei Beförderungen oder innerbetrieblichen Stellenneubesetzungen unterer und mittlerer Hierarchieebenen. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Training interpersoneller Fähigkeiten. Interpersonelle Kompetenz wird noch zu sehr dem individuellen Charakter zugeschrieben, den es zu akzeptieren gilt, weil sich die Menschen darin nun mal unterscheiden. Das dürfen sie jedoch nur bedingt. Denn auch bei den weichen interpersonellen Faktoren gibt es anerkannte Verhaltensmuster, die als angemessen oder effizient gelten, und solche, die nicht geduldet werden sollten oder wenig zielführend sind. Insoweit darf die interpersonelle Kompetenz im Zuge ganzheitlicher Qualifikationsbestrebungen nicht ausgeklammert werden.

8.1.2 Integriertes Training Prozess-Know-how, Fachwissen und interpersonelle Kompetenz sind drei verschiedene Qualifikationsfelder und damit auch grundsätzlich drei Trainingsbereiche. Wesentlich ist nun, diese einzelnen Qualifikationen nicht isoliert zu trainieren und davon auszugehen, dass die Mitarbeiter von alleine in der Lage sind, diese Bausteine im Arbeitsalltag zusammenzufügen. Davon ist nämlich in der Realität zu oft nicht auszugehen (Abb. 8.1). Es geht also darum, die zunächst singulär erworbenen Qualifikationen in einem Simulationsprozess, der die Wirklichkeit widerspiegelt, integriert zu trainieren. Die Erfahrungen der Luftfahrt zeigen, dass es diese Integration von fachlichem und interpersonellem Training bei zugleich prozessorientierter Ausrichtung ist, die den wesentlichen

Abb. 8.1   Die Kernelemente betrieblicher Personalqualifikation

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8  Qualifikation und Training

Garanten für den Trainingserfolg darstellt. Durch ein integriertes Training wird sichergestellt, dass Teams ihre Aufgaben nach höchsten, weil ganzheitlichen, Maßstäben beherrschen. Integriertes Training findet seine Vollendung, wenn es nicht nur in einigen Trainingsveranstaltungen stattfindet, sondern in den betrieblichen Alltag integriert wird. Die Mitarbeiter führen ihre Aufgaben in den täglichen Arbeitsprozessen unter begleitender Beobachtung aus. Feedback wird in gemeinsamen Debriefings oder Einzelassessments gegeben. Durch solches Coaching erhalten die Beteiligten die praxisorientierteste Form der Rückmeldung. Sie erfahren, wie sie im betrieblichen Alltag ihre Aufgaben bewältigt und auf andere gewirkt haben, und vor allem, ob ihnen die Zusammenführung der Trainingsinhalte gelungen ist. Training gestaltet sich so zu einem permanenten Erlebnisfaktor im Berufsleben, der es attraktiv macht. Training wird zu einem ständigen Lernen. Mit einer solchen Lernmethode wird es am ehesten gelingen, einem Trainee die Befähigung zu vermitteln, bestimmte Aufgaben – wiederholt beobachtbar – fehlerfrei zu erledigen. In der Wissenschaft wird für dieses Vorgehen bisweilen der Begriff des Action Learning verwendet, was bedeutet, dass in die Arbeitsprozesse ein permanentes Training eingebaut wird. In der Luftfahrt hat sich mit diesem Vorgehen eine von Unternehmensleitung und Mitarbeitern akzeptierte und didaktisch erfolgreiche Trainingssystematik entwickelt.

8.1.3 Standardisierung der Mitarbeiterqualifikation In Unternehmen treffen Mitarbeiter mit sehr unterschiedlichem Wissensstand und Kompetenzen aufeinander. Der eine kommt gerade von der Hochschule, ein anderer arbeitete zuvor als Arbeitsplaner am anderen Ende der Republik und ein Dritter arbeitete zuletzt als Facharbeiter in einem Betrieb in Osteuropa. Wenn diese Menschen sich nun in einem gemeinsamen Umfeld zusammenfinden und miteinander arbeiten, muss das Unternehmen dafür sorgen, dass sich das fachliche, aber auch das prozessuale und interpersonelle Kompetenzniveau auf einem etwa gleichen Level befindet. Piloten beispielsweise werden so trainiert, dass sie ihre Arbeit, wo immer möglich, identisch ausführen. Dem steht nicht entgegen, dass Piloten im alltäglichen Flugbetrieb dennoch Herr ihrer Entscheidungen sein sollen. Jedoch basieren ihre Entscheidungsmuster auf der gleichen, in den Unternehmen und der Branche jahrzehntelang erprobten, Grundlage. So sollte das Vorgehen auch in Industriebetrieben gestaltet sein. Mitarbeiter müssen ein gleiches Verständnis davon haben, was ihr Unternehmen, die Produkte, aber auch das Verhältnis zu Kunden, zu Lieferanten und untereinander ausmacht. Insoweit müssen Teams und ihre Mitglieder dahin gehend standardisiert werden. Folgende Fragestellungen sollten in diesem Zuge thematisiert werden: • Wie geht man im Unternehmen miteinander um? Wie wird geführt? • Welche Regeln gibt es im Hinblick auf die Kundenkommunikation? • Wie soll der Kunde den Verkäufer als Repräsentant des Unternehmens wahrnehmen?

8.1  Ganzheitliches Training und Standardisierung

• • • •

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Wie wird in unseren Teams gearbeitet? Wie wird Feedback gegeben? Wie wird mit Fehlern umgegangen, welche Rolle spielt das Qualitätsmanagement? Wie sind die Prozesse ausgestaltet? Wo sind sie standardisiert, wo nicht? Wo spielt die IT welche Rolle?

Diese Fragen werden in Unternehmen jedoch nur selten gestellt. Vielmehr herrscht der Glaube vor, es reiche aus, neue Mitarbeiter den betrieblichen Alltag ein Jahr beobachten zu lassen, um die wesentlichen Handlungsweisen sowie geschriebene und ungeschriebene Regeln zu verinnerlichen. Das ist zu optimistisch, weil hier von einer einheitlichen Auffassungsgabe und Wahrnehmungsfähigkeit der Betroffenen ausgegangen wird. Menschen sind aber sehr verschieden! Sinnvoll ist daher ein vier- bis achttägiger Kurs, der auch in mehrere Einheiten aufgeteilt sein kann. In diesem werden dann nicht nur fachliche und prozessuale Organisationsspezifika sowie interpersonelle Aspekte vermittelt, sondern zugleich die zukünftige Basis dafür gelegt, was die eigene Organisation ausmacht. Neben der Fehlervermeidung kann ein solches Vorgehen sicherstellen, dass Mitarbeiter darauf sensibilisiert werden, die Aktivitäten von Teammitgliedern gedanklich vorwegzunehmen, um so bei Fehlverhalten eines Kollegen frühzeitig intervenieren zu können. Training beim Pilotenverleih

Wenn Piloten zwischen europäischen Fluggesellschaften ausgeliehen werden, schreibt der Gesetzgeber für die Betroffenen sogenannte Company-Difference-Kurse vor. Verleiht also Airline X einen A320-Kapitän an Fluggesellschaft Y, ist ein mehrtägiger Kurs zu absolvieren. Da mag der Laie fragen, wozu das nötig sei, denn die Piloten fliegen bei ihrer Airline X einen A320 und sollen den gleichen Flugzeugtyp auch bei Y steuern. Dass es schon gut gehen wird, dort ins Cockpit zu steigen, Triebwerke anzuschalten, Schub zu geben und zu landen wie bei der Fluggesellschaft X – darauf mögen sich weder der Gesetzgeber noch die Airlines verlassen. Dies hat zwei Gründe: Einerseits kann sich die Flugzeugkonfiguration bei den Fluggesellschaften unterscheiden, andererseits variieren die Flight Procedures und die Cockpitkommunikation. Insoweit werden in solchen Company-Difference-Kursen Abweichungen in der Technik sowie Unterschiede in den Cockpit Procedures geschult. Bei letzteren kann es sich um administrative Prozesse, Kommunikationsregeln, Anflug- oder Abflugverfahren oder sonstige Dienstvorschriften handeln. Ein ähnliches Vorgehen muss auch in anderen Branchen systematisch zur Anwendung kommen. Die Einstellung „Der war doch schon beim Maschinenbauer Mustermann im Vertrieb, da wird er das bei uns auch hinkriegen“ ist falsch. Der Aufbau von Kompetenz bedarf auf fachlicher, interpersoneller und prozessualer Ebene eines geplanten und überwachten Vorgehens.

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8  Qualifikation und Training

8.2 Einrichtung von Qualifikations- und Trainingsstrukturen An erster Stelle für den Aufbau eines Qualifikations- und Trainingssystems steht ein Bekenntnis der Geschäftsleitung zu höchster Personalqualifikation, für deren Umsetzung die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden. Danach zeichnet sich gutes Training durch ein durchdachtes Konzept aus, das sinnvoll in einzelne Bausteine und Lerninhalte heruntergebrochen ist und dabei die wirklichen Trainingsanforderungen und -ziele abdeckt. Es muss also ein strukturiertes Trainings- und Qualifikationssystem existieren, das vorgibt, wie Qualifikation in den verschiedenen Abteilungen und Positionen auszusehen hat. Das Ziel ist die Definition eindeutiger Qualifikationsmaßstäbe und die Schaffung eines einheitlichen, vergleichbaren und nachweisbaren Qualifikationsniveaus. Dieses System muss geeignet sein, dem einzelnen Mitarbeiter fachliche ebenso wie nicht fachbezogene Qualifikationsanforderungen zu vermitteln, damit dieser die ihm zugewiesenen Aufgaben optimal ausführen kann. Dies gilt für die Mitarbeiter der Arbeitsebene und insbesondere auch für industrielle Leitungskräfte. Die Vorteile eines solchen Vorgehens liegen auf der Hand: Systematische Personalqualifizierung lohnt sich aus ökonomischer Perspektive, weil sie zu einer Minimierung der Arbeitsfehler beiträgt. Dadurch steigt nicht nur die Prozesssicherheit – auch die Fehlerkosten sinken! Aus juristischer Perspektive kann eine systematische Personalqualifikation – genau wie klar definierte Prozesse – zur Enthaftung der Führungskräfte für Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter beitragen (Erfüllung der Organisations- und Aufsichtspflicht). Nun verfügen nur wenige Betriebe über strukturierte Qualifikationssysteme mit transparenten Ausbildungs- oder Personalentwicklungspfaden. Überhaupt sind viele Elemente einer ganzheitlichen Qualifikation in der Industrie nur schwach verbreitet, insbesondere im Bereich prozessualer und interpersoneller Kompetenz. Die Organisation wird aber ihrer Verantwortung für Kundenzufriedenheit einerseits sowie für die Aufrechterhaltung betrieblicher Wettbewerbsfähigkeit andererseits nur dann umfassend gerecht, wenn sie die Mitarbeiter soweit qualifiziert, dass diese ihre Aufgabe angemessen und vollumfänglich übernehmen können.

8.2.1 Aller Anfang ist schwer – die Entwicklung eines Qualifikations- und Trainingsprogramms Am Anfang jedweden Handelns steht die Erkenntnis, dass Qualifizierungsbedarf besteht. Erst dann lohnen sich Fragen zur Umsetzung: Wie wird das Ziel einer optimalen Qualifikation erreicht? Was ist also optimale Qualifikation? Welche Elemente müssen mit welcher Methodik geschult werden und wie werden die Trainingsinhalte bestimmt? Ausgangspunkt und Basis einer systematischen Personalqualifikation bildet dann ein Qualifikations- und Trainingsprogramm, das sich aus folgenden Kernelementen zusammensetzt (Abb. 8.2):

8.2  Einrichtung von Qualifikations- und Trainingsstrukturen

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Abb. 8.2   Aufbau eines strukturierten Qualifikations- und Trainingssystems (ähnlich Hinsch, M; Olthoff; J.: Elemente des Hochleistungsmanagements. Hamburg 2012, S. 8.)

• einem Trainingskonzept, • Trainingsbausteinen und • Trainingsinhalten. Das Trainingskonzept bildet das Gerüst des gesamten Qualifikations- und Trainingssystems. In diesem sind in erster Linie die Zielgruppen und die Trainingsziele definiert. Da in diesem Schritt die Bestimmung der Zielgruppen im Vordergrund steht, muss in der Organisation aufgeschrieben werden, welche Mitarbeiter zu qualifizieren sind – Führungskräfte, Fachkräfte wie Planer oder Ingenieure, administrative Mitarbeiter oder die Shopfloor-Ebene. Diese Unterteilung ist dann weiter herunterzubrechen (z. B. nach Aufgabengebieten oder Abteilung), weil Training sehr zielgruppengerecht durchgeführt werden sollte. Neben Zielen und Zielgruppen beinhaltet das Qualifikationskonzept eine Beschreibung des grundlegenden Aufbaus und der Struktur der Trainingsorganisation, die Bestimmung der wesentlichen Akteure und Verantwortlichen sowie eine grobe inhaltliche Festlegung. Das Konzept soll ein gemeinsames Commitment zu den Kernelementen des Qualifikations- und Trainingsprogramms sicherstellen. Das Trainingskonzept kann meist ohne externe Hilfe erstellt werden. Aufbauend auf den Vorgaben des Qualifikationskonzepts sind in einem zweiten Schritt die für eine Qualifizierung notwendigen Trainingsbausteine festzulegen. Dazu muss bestimmt werden, welche Qualifikationen die zur Zielgruppe gehörenden Mitarbeiter (bzw. Stellen) in sich tragen müssen. Kurz: Welche Anforderungen stellt der Prozess an die involvierten Mitarbeiter? Sind diese identifiziert, müssen sie mit der gegenwärtigen Mitarbeiterqualifikation abgeglichen werden. Bei diesem Abgleich zeigt sich allzu oft, dass die Mitarbeiter nicht vollumfänglich befähigt sind, ihre Aufgaben auszuführen.

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8  Qualifikation und Training

Noch viel öfter wird an dieser Stelle zudem deutlich, dass eine eindeutige Aussage zu Prozessanforderungen oder Qualifikationsbedarf äußerst schwer fällt. Denn einerseits sind die Prozesse vielfach nicht hinreichend definiert und andererseits sind die Stellenanforderungen nur ungenau festgelegt. Dieser Mangel stellt eine Kausalbeziehung dar, denn unzureichende Prozessbeschreibungen führen in aller Regel dazu, dass auch die Qualifikationen der Mitarbeiter nicht präzise genug beschrieben werden können. Der Prozess ist also die Basis für die Definition einer Qualifikation. Insoweit muss sichergestellt sein, dass die Prozesse präzise genug festgelegt sind, damit die darunter liegenden Aufgaben und Verantwortungen klar erkennbar werden. Aus diesen lassen sich schließlich die spezifischen Qualifikationsanforderungen ablesen. Aus dem Abgleich zwischen Mitarbeiterqualifikation und Prozessanforderungen ergibt sich der Trainingsbedarf. Auf dieser Basis erfolgt die Erstellung von Training-­ Manuals für die jeweiligen Berufsgruppen oder Stellen. Hierbei handelt es sich zugleich um eine Art Ausbildungsplan. Dafür sind folgende Maßnahmen zu bestimmen: • die (theoretische) Grundausbildung (fachspezifisches Training oder Schulungen zu organisatorischen Vorgaben und Regeln), • ein On-the-Job-Training (praktische Erfahrung), • integriertes Training, • ergänzende Qualifikationsmaßnahmen (z. B. Herstellerschulungen oder Human Factors), • Wiederholungs-/Refresher-Training. Für die Erstellung zielgruppenorientierter Training-Manuale wird zunächst der Basistrainingsbedarf festgelegt, welcher auf alle Mitarbeiter oder zumindest auf einen größeren Kreis abzielt. Es folgen dann bereichs-, team-, oder stellenspezifische Verästelungen wie Prozesstrainings oder Geräteschulungen. Am Ende der Konzeptphase steht ein vorgezeichneter Ausbildungsplan für Theorie und Praxis, der jedem Trainee vorab deutlich macht, wann welche Trainingsaktivitäten zu durchlaufen und welche Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abschluss der einzelnen Qualifikationsmaßnahmen zu erfüllen sind. Zudem ist hier definiert, in welchem Umfang nach Abschluss der Qualifikation periodisch nachzuschulen ist oder Trainingsinhalte aufgefrischt werden müssen. Der dritte und letzte Schritt im Aufbau eines Qualifikations- und Trainingssystems ist die präzise Festlegung von Trainingsinhalten einschließlich zugehöriger Dokumentation. In diesem Zuge sind auch die Lernmethoden festzulegen: Vorträge, Gruppen- oder Videoübungen, e-Learning und Simulationen. Den größten Aufwand erfordert in diesem Schritt die Erstellung des Lehrmaterials. Dabei kann es sich um Papier oder PowerPoint-Dateien handeln oder auch um die deutlich aufwendiger zu produzierenden webbasierten Trainingsmethoden oder Videomaterial. Nicht zuletzt sind in diesem Schritt Erfolgskontrollen festzulegen, die notwendig sind, um die Wirksamkeit der Trainingsmaßnahmen sowie etwaige Entwicklungsfelder der Mitarbeiter identifizieren zu können.

8.2  Einrichtung von Qualifikations- und Trainingsstrukturen

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Die Frage der Make-or-buy-Entscheidung hängt wesentlich von den Trainingsinhalten ab. Dort, wo ein Fremdbezug möglich und sinnvoll sein kann, muss jede Organisation für sich das richtige Vorgehen finden. Wie so oft, gibt es auch hier kein Richtig oder Falsch. Werden die Trainingsleistungen aber eingekauft, ist stets zu beachten, dass hinreichend auf organisationsspezifische Belange Rücksicht genommen wird. Häufig weisen externe Spezialisten, insbesondere solche, die primär auf einzelne Trainingsgebiete spezialisiert sind, nicht nur wenig Kompetenz im Bereich der Organisationskultur auf, sondern haben auch Defizite im Bereich der Prozessorientierung und der Auftrags- oder Projektabarbeitung. Die Frage, wer geeignete Trainingsanbieter sind, lässt sich insofern schwer beantworten. Es ist ratsam, Betriebe zu befragen, die systematische Qualifikations- und Trainingssysteme bereits erfolgreich aufgebaut haben. Spätestens im Zuge der Erstellung von Trainingsinhalten muss sich der Blickwinkel auch auf die Auswahl und Ausbildung der innerbetrieblichen Trainer und Coaches richten. In einem durchdachten Qualifikations- und Trainingsprogramm kommt diesen nämlich erhebliche Bedeutung zu. Da es nicht nur um Fachtrainings geht, fungieren die Trainer nicht nur als Wissens-, sondern auch als Akzeptanzmultiplikator und tragen somit maßgeblich zum Erfolg der Trainingsziele bei. Überdies entscheiden die Kompetenz, innere Einstellung und das Ansehen der Trainer maßgeblich darüber, ob und in welchem Umfang es gelingt, eine Standardisierung in der eigenen Organisation zu erreichen. Vor diesem Hintergrund muss das Ausbildungspersonal mit besonderem Augenmerk ausgewählt und auf seine Aufgabe vorbereitet werden. Insoweit ist es zudem förderlich, wenn es sich bei den Trainern nicht nur um fachlich versierte, sondern auch um betrieblich anerkannte Persönlichkeiten handelt. Life Long Learning ist ein Grundpfeiler unternehmerischen Erfolgs. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Branche sich der Blick richtet. ob Luftfahrt, Versicherungswesen, Logistik und Handel oder Industrie. Die jeweiligen Marktentwicklungen mit ihren spezifischen Anforderungen an Produkte, Kundenbedürfnisse oder Lieferantenverhalten sind so rasant, dass es sich kein Unternehmen leisten kann, im Status quo zu verharren. Dies gilt übrigens nicht allein für Produkte, sondern trifft genauso auf die Prozesse und die Unternehmenssteuerung zu. Fehlende Anpassungsbereitschaft bestraft der Markt zügig. Diese Schnelllebigkeit mag man verfluchen; ändern lässt sie sich nicht. Für die Mitarbeiterqualifikation ergeben sich hieraus zwei Implikationen: 1. Jeder Mitarbeiter muss die Bereitschaft haben, sich ständig weiterzubilden. Lebenslanges Lernen ist ein Teil seines Aufgabenspektrums. 2. Betriebe müssen Qualifikationsmaßnahmen anbieten und für die Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter ein systematisches Vorgehen vorhalten. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen an diesem Thema also gleichermaßen arbeiten. Dabei kann es nicht allein um die Vermittlung und Indoktrination von Fachwissen gehen. Ziel des Life Long Learnings ist eine Befähigung zu einer sicheren und zeitgemäßen Jobausübung.

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8  Qualifikation und Training

Um den Mitarbeitern eine Qualifikation zu vermitteln, die den Bedürfnissen von Unternehmen und Markt nachhaltig gerecht werden, sind systematische Qualifikations- und Trainingsaktivitäten notwendig. Diese müssen neben den fachlichen auch die nicht-fachlichen Anforderungen der jeweiligen Stelle gerecht werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für eine wirksame Personalqualifizierung.

8.2.2 Fazit oder: Was bleibt? Training ist eine fortwährende, nicht endende Aufgabe; ein immer wiederkehrendes Momentum in der Qualifikation. Es gibt nicht ein fixes Trainingskonzept, das für die nächsten 20 Jahre ausreichend wäre. Training erreicht nur dann inhaltlich ein Optimum, wenn es den rasanten Marktentwicklungen ständig angepasst wird. Didaktisch ist der Idealzustand der Personalqualifizierung erreicht, wenn das tägliche Tun gleichzeitig auch ein tägliches Lernen ist. Es bedarf einiger Übung, aber dies lässt sich sehr wohl etablieren. Die wichtigsten Instrumente des alltäglichen Lernens bilden dabei das Briefing und das Debriefing, also die strukturierte Aufgabenvor- und -nachbereitung. Die Erfolge systematischer Qualifikations- und Trainingsmaßnahmen stehen und fallen jedoch mit der Bereitschaft der Organisationsleitung zur aktiven Unterstützung. Die betriebliche Führung muss deutlich und klar den hohen Stellenwert von Training und Qualifikation kommunizieren. Den Mitarbeitern sollte dabei auch deutlich gemacht werden, dass Training kein Selbstzweck ist, sondern dass dies aus Sicht der Geschäftsführung zu mehr Qualität und Effizienz beitragen soll. In diesem Zuge kann die Geschäftsleitung auch kommunizieren, dass sie Qualifikation und Weiterbildung nicht nur in der Verantwortung der Organisation sieht, sondern auch von den Mitarbeitern die (Investitions-)Bereitschaft zum lebenslangen Lernen erwartet. Zur Unterstützung der Geschäftsleitung zählen aber vor allem auch die Fähigkeit und der Wille, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen. Allzu oft ist Training mit dem Stigma verbunden, dass es viel Geld kostet, ohne einen erkennbar quantifizierbaren Nutzen zu stiften. Da zählt es meist wenig, dass sich Investitionen in systematische Qualifikationsmaßnahmen mittel- bis langfristig immer bezahlt machen. Für substanzielle und nachhaltige Trainingserfolge muss allerdings eher in Jahren als in Quartalen gerechnet werden. Hier ist Geduld seitens der Organisationsleitung erforderlich, denn die Betroffenen müssen nicht nur ihr Verhalten dauerhaft ändern, sondern nicht selten ihre gesamte Denkweise umstellen. Letztlich gilt: Nur wenn die Geschäftsleitung eine solche Qualifikationskultur fördert und einfordert, werden diese Trainings nachhaltig flächendeckenden Erfolg zeigen können.

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Personalauswahl und Potenzialanalyse

In der Luftfahrt wird seit mehr als fünfzig Jahren mit Erfolg eine berufsgruppenspezifische Personalauswahl praktiziert. Vom Eintritt in das Unternehmen, also dem Beginn der Pilotenausbildung, bis hin zur Beförderung zum Kapitän nach zehn bis fünfzehn Jahren sind beispielsweise bei der Lufthansa noch 97 % der Kandidaten an Bord. Das ist kein Zufall, denn große Fluggesellschaften greifen bei der Auswahl ihrer zukünftigen Piloten auf Verfahren zurück, die den besonderen Anforderungen dieser Berufsgruppe Rechnung tragen. Durch systematische Sicherstellung einer hohen Passgenauigkeit zwischen zukünftigem Personal einerseits sowie Stellenanforderungen und Unternehmenskultur andererseits, gelingt es den Airlines schon seit Jahrzehnten, Probleme und Risiken zu minimieren. Menschen besitzen verschiedene Begabungen, die bei ihnen sehr unterschiedlich ausgeprägt sind. Solche Veranlagungen führen dazu, dass Menschen für bestimmte Tätigkeiten eine Affinität entwickeln. Sie machen manche Dinge lieber als andere. Jeder weiß aus seiner eigenen Erfahrung, dass man sich lieber um Dinge und Themen kümmert, zu denen eine hohe Affinität besteht – hier entwickelt man sich am ehesten zum Profi. Unternehmen müssen daher herausfinden, wo die individuellen Begabungen ihrer Bewerber liegen, um einen geeigneten Kandidaten auszuwählen und entsprechend seiner Stärken einzusetzen. Personalauswahlverfahren und Potenzialanalysen dienen dazu, diese persönlich starken Veranlagungen, aber auch etwaige Schwächen, zu identifizieren. Jedoch findet Personalauswahl in vielen Industriebetrieben primär über Lebensläufe und das persönliche Gespräch statt. Die Einschätzung geschieht auf Basis zurückliegender Leistungen. Im Vordergrund stehen überdies fachliche Stellenanforderungen. Prozessuale und Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. Wunderlich M, Olthoff JJ, Hinsch M (2014) Kann Ihr Vertriebsteam einen Airbus A320 auf dem Hudson landen? [Copyright © Uhlenbruch Verlag, Bad Soden 2014]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_9

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9  Personalauswahl und Potenzialanalyse

interpersonelle Kompetenzen der Bewerber werden nur selten systematisch ermittelt. Daher erfolgt deren Bewertung allzu oft aus dem Bauch heraus. So verwundert es nicht, dass gemäß einer Studie von Intersearch Executive Consultants nicht fehlendes fachliches Wissen, sondern unzureichende Führungsqualitäten, mangelnde soziale Kompetenz und ungenügende Anpassungsfähigkeit die häufigsten Gründe für ungeplante Neubesetzungen sind.1 Aus diesem Grund bauen insbesondere größere Unternehmen bei der Einstellung neuer Mitarbeiter auf Assessment-Center, mit deren Hilfe sie systematisch auch auf nicht-fachliche Veranlagungen und Fähigkeiten ihrer Bewerber achten. So setzen 90 % der DAX-Unternehmen Verfahren ein, bei denen mittels Tests, Rollenübungen, Interviews, Fallstudien sowie Gruppenübungen die kognitiven Fähigkeiten der Persönlichkeit untersucht werden. Im Vordergrund stehen dabei laut einer Untersuchung vor allem die Feststellung der Kommunikations-, Durchsetzungs- und Analysefähigkeit. Bei Auswahlverfahren für Führungspositionen findet sich zudem auch das Thema Leadership auf der Agenda.2 Wenngleich die großen Konzerne mit großer Mehrheit systematische Auswahl- und Potenzialanalysen durchführen, tun dies insgesamt nicht einmal die Hälfte aller Unternehmen in Deutschland. Einer Studie zufolge verlassen sich 43 % aller Unternehmen ausschließlich auf Interviews bzw. persönliche Gespräche. Der Erfolg spezifischer Personalauswahlverfahren bei der Lufthansa

Die Lufthansa hat vor mehr als 50 Jahren damit begonnen, ihre Piloten nach einem präzisen Anforderungskatalog auszuwählen und hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Hierzu greift die Lufthansa auf ein Personalauswahlverfahren zurück, welches in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) durchgeführt wird. Die Prognosezuverlässigkeit lag bei diesen berufsgruppenspezifischen Eignungsverfahren in den letzten 20 Jahren bei rund 97 %. Das bedeutet, dass vom Eintritt in das Unternehmen, also dem Beginn der Pilotenausbildung, bis hin zur Beförderung zum Kapitän nach zehn bis fünfzehn Jahren nur etwa 3 % der Kandidaten bei der Lufthansa ausscheiden. Diese 3 % scheitern, obgleich sie den Eingangstest bestanden haben und daraufhin fälschlicherweise ausgewählt wurden. Die Gründe für das spätere Scheitern liegen dabei meist in Defiziten im Bereich interpersoneller Kompetenzen. Es sind also Menschen, die zum Beispiel nicht entscheidungsfreudig sind oder trotz Trainings nicht kommunizieren können. Darunter sind aber auch von außerordentlicher Kreativität geprägte Menschen – eine Eigenschaft, die für den Pilotenberuf gar nicht gewünscht ist. Bei der Lufthansa geht man davon aus, dass durch die qualifizierte Pilotenauswahl die Anzahl von Problemfällen um ca. 80 % reduziert wurde.

1vgl.

Intersearch Executive Consultants: HR-Herausforderungen im Mittelstand – Ergebnis einer Unternehmensbefragung. Hamburg 2013. 2vgl. Obermann, C: Assessment Center: Entwicklung, Durchführung, Trends. Wiesbaden 2013.

9.1  Bestimmung von Qualifikationsanforderungen

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9.1 Bestimmung von Qualifikationsanforderungen Am Beginn eines Auswahlverfahrens ist es notwendig, möglichst präzise zu beschreiben, welche Eigenschaften eine Person mitbringen muss, um die zu besetzende Funktion auszuüben. Es ist also eine Anforderungsanalyse durchzuführen. Hierzu muss der Vorgesetzte ggf. zusammen mit seiner Personalabteilung definieren, welche fachliche Qualifikation von dem zukünftigen Stelleninhaber erwartet wird. Darüber hinaus ist gemeinsam mit dem (externen) Auswahlspezialisten festzulegen, mit welchen weiteren Eigenschaften und Kompetenzen der ideale Kandidat ausgestattet sein muss, damit dieser die Anforderungen erfüllt, um die Tätigkeit dauerhaft auszuüben. Es geht hierbei nicht nur um die Beschreibung von handwerklichen und geistigen Anforderungen, die für den konkreten Arbeitsplatz notwendig sind. Der Blick richtet sich auch auf die erforderliche prozessuale Kompetenz sowie Veranlagungen bzw. Fähigkeiten auf der interpersonellen Ebene. Nicht zuletzt müssen die Auswahlbeteiligten bestimmen, welche weiteren nicht stellen-, aber unternehmensspezifischen Anforderungen eine Rolle bei der Personalselektion spielen. Typische Beispiele bilden die Arbeitsatmosphäre und Organisations- und Führungskultur sowie Organisationsstruktur und -größe. So wird es ein Entwicklungsleiter, der mit vielen Freiheiten in einem kleinen Betrieb mit einem jungen, teamorientierten Chef gearbeitet hat, in der Abteilung eines Konzerns mit einem autokratischen Vorgesetzten alter Schule und entsprechend konservativer Betriebskultur möglicherweise schwer haben, sich zu etablieren oder gar wohl zu fühlen. Die richtigen Mitarbeiter zu finden, wird wesentlich durch die Sorgfalt und Präzision bei der Anforderungsanalyse bestimmt. Aus Abschn. 8.3 wissen wir, dass sich aus den Prozessen die wichtigsten Anforderungen an die Personalqualifikation für jede einzelne Stelle ableiten lassen. Sind diese nicht hinreichend dokumentiert, ist es ratsam, vor der Personalauswahl ein Trainingskonzept aufzustellen, da das Anforderungsspektrum an eine Stelle am ehesten deutlich wird, wenn bekannt ist, wie der Stelleninhaber zu qualifizieren ist. Oftmals gibt es jedoch, ob nun mit oder ohne systematische Personalauswahlverfahren, keine ausreichend präzise Beschreibung der Eigenschaften und Kompetenzen, die von einem Stelleninhaber erwartet werden. Das nährt die Vermutung, dass sich die Verantwortlichen selbst nicht immer genau über die Anforderungen im Klaren sind. In den meisten Fällen tritt die Führungskraft an die Personalabteilung heran und lässt es bei einer Bedarfsmeldung bewenden: „Müller hat gekündigt, wir brauchen einen neuen Schichtleiter für die Zerspanung. Schalten Sie mal eine Anzeige“, oder: „Ich habe eine weitere Stelle für die Galvanik genehmigt bekommen, organisieren Sie doch mal Galvanik-Facharbeiter“. Die Personalabteilung wird dann meist auf Basis oberflächlicher Stellenbeschreibungen, wie wir sie aus den entsprechenden Internetportalen kennen, aktiv. Je amateurhafter aber die Bestimmung der Anforderungen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass nicht geeignete Kandidaten ausgewählt werden. Bei unpräzisen Stellenanforderungen ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine Unternehmen Opfer der Gauß’schen Normalverteilung oder eines schlimmeren Zufalls wird. Insoweit erfolgt mit Festlegung der Stellenanforderung zugleich die Definition des betrieblichen Qualitätsniveaus.

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9  Personalauswahl und Potenzialanalyse

9.1.1 Testaufbau und Testmodellierung Nach Festlegung präziser Qualifikationsanforderungen lässt sich mit geeigneten Testverfahren herausfinden, ob die Kandidaten bereits über die geforderte Qualifikation verfügen oder ob sie zumindest die Veranlagung dazu besitzen und sie mittels Training erlangen können. Durch das Auswahlverfahren sollen also auch verborgene Kompetenzen identifiziert werden. Dabei sollte es keineswegs ausreichend sein, jene Menschen zu finden, die die definierten Anforderungen gerade eben erfüllen. Es sollen die Kandidaten ermittelt werden, die im Umfeld der betroffenen Stelle aufblühen werden. Diese Präzision erreichen die meisten Betriebe im Rahmen ihrer Personalauswahl jedoch gar nicht, sodass berufsgruppenspezifische Auswahlverfahren ein echter Gewinn wären. Was den Testaufbau anbelangt, so muss dieser derart ausgestaltet sein, dass bei den Kandidaten überprüft werden kann, inwieweit diese die definierten Anforderungen erfüllen. Vergleichbare, wenn auch komplexere Methoden werden in Auswahlverfahren angewendet, um z. B. folgende verborgene oder bereits beherrschte Kompetenzen eines angehenden Produktionsleiters zu ermitteln: • Koordination/Steuerung, • Kommunikation, • Team- oder Führungsfähigkeit, • Zuverlässigkeit/Regelverhalten, • Belastbarkeit und emotionale Stabilität, • Entscheidungsfähigkeit. Ein einfaches Beispiel kann die grundsätzliche Test-Herangehensweise illustrieren: Ein Bergführer braucht einen guten Orientierungssinn. Es gibt Menschen, die sich dreimal drehen und nicht mehr wissen, wo sie sind. Mit diesem simplen Test lässt sich in diesem Fall bereits Orientierungsfähigkeit prüfen. Die typischen Methoden zur Identifizierung der entsprechenden Veranlagungen und Kompetenzen bilden, neben dem klassischen Assessment Center mit einzel- und gruppenorientierter Aufgabenbearbeitung, Arbeitsproben sowie teilstrukturierte, situative Interviews. Die Ergebnisqualität wird dabei durch die drei Kriterien Objektivität, Zuverlässigkeit und Validität bestimmt.3 Unter Objektivität wird dabei die Fähigkeit beschrieben, gleiche Testergebnisse unabhängig vom Beobachter und den Umgebungsbedingungen zu generieren. Die Testzuverlässigkeit beschreibt die Genauigkeit der Testergebnisse. Die Testmethode ist also so auszugestalten, dass diese stets zu den gleichen Ergebnissen führt. Dies bedingt in der Regel einen bestimmten Testumfang, also eine

3vgl.

Amelang, M. & Zielinski, W.: Psychologische Diagnostik und Intervention. 3. Auflage. Heidelberg 2002.

9.3  Was bringt Personalauswahl konkret?

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Mindestlänge, sowie eine Homogenität im Ablauf. Nicht zuletzt muss die Testmethodik valide sein. Das Auswahlverfahren muss sich also dazu eignen, die gesuchten Veranlagungen und Kompetenzen zu identifizieren.

9.2 Unterstützung von Experten Es hat sich sehr bewährt, für die Auswahl von Personal externe Spezialisten zu beschäftigen. Die meisten Unternehmen, auch Konzerne, verfügen nämlich nicht über das notwendige Know-how, um hoch spezialisierte Auswahlverfahren zu entwickeln und durchzuführen. Untersuchungen bestätigen dies und zeigen sogar, dass der Trend zu einem verstärkten Outsourcing seit Jahren andauert.4 Bei solchen Fremdvergaben ist es wichtig, dass nicht nur der Bewertungsvorgang ausgelagert wird. Auch die letztliche Entscheidung über die Auswahl von Kandidaten sollte maßgeblich durch den Externen, jedoch unter Beteiligung eines qualifizierten eigenen Mitarbeiters (z. B. ein Vertreter aus der Personalabteilung oder ein erfahrener Fachmitarbeiter) betrieben werden. Auf diese Weise kann die Entscheidung am ehesten unabhängig von unternehmenspolitischen Strömungen, sondern allein auf Basis von Kompetenz und Veranlagungen getroffen werden. Kandidaten sind geeignet oder sie sind nicht geeignet. Treffen betriebliche Führungskräfte ihre Entscheidung am Ende gegen die Empfehlung des externen Spezialisten, so sollte dies nur in objektiv eindeutig begründet nachvollziehbaren Fällen zulässig sein. Denn letztlich kann ein solches Vorgehen dazu führen, dass die teuer eingekaufte systematische Personalauswahl zunichte gemacht wird, wenn schlussendlich doch wieder aus dem Bauch heraus entschieden wird. Bei der Auswahl eines externen Spezialisten sollten sich die Entscheidungsträger im Übrigen der Risiken klassischer Headhunter bewusst sein. Abgesehen von oft fehlender Eignung erhalten diese ihre letzte Vergütungsrate in der Regel nach der überstandenen Probezeit des Kandidaten. Ihnen geht es daher primär um einen vom Kunden (d. h. vom beauftragenden Betrieb) akzeptierten Kandidaten, nicht aber um die Auswahl des am besten geeigneten Bewerbers.

9.3 Was bringt Personalauswahl konkret? In erster Linie profitieren mittlere und große Industriebetriebe von einer systematischen Personalauswahl, weil diese die Wahrscheinlichkeit signifikant erhöht, die richtigen Kandidaten auszuwählen. Da nach einer Einstellung Kosten für die Ausbildung und Einarbeitung sowie vor allem auch für das zukünftige Gehalt, anfallen, wären die Folgekosten einer falschen Entscheidung ungleich höher als die Kosten der Personalauswahl. In verschiedenen

4vgl.

Obermann, C.: Assessment Center: Entwicklung, Durchführung, Trends. Wiesbaden 2013.

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9  Personalauswahl und Potenzialanalyse

Studien wurde das Kosten-Nutzen-Verhältnis psychologischer Eignungsverfahren untersucht. In einer Querschnittsanalyse über mehrere US-Industrien wurde eine Kostenersparnis von bis zu 27.000 US$ pro Jahr und Mitarbeiter ermittelt. In einer anderen Studie, die sich auf die Einstellung von Führungskräften fokussierte, wurde ein Wert von etwa 100.000 EUR pro Jahr und Mitarbeiter ermittelt.5 Einen eindrucksvollen Vergleich schildert Oubaid.6 Er berichtet von einer europäischen Airline, die fertig ausgebildete Piloten sowohl mit als auch ohne systematische Auswahlverfahren eingestellt hat. Von den Piloten, die ohne strukturierte Eignungsdiagnostik ausgewählt wurden, entließ die Fluggesellschaft etwa ein Drittel während der ersten zwölf Monate. Ein weiteres Drittel benötigte erhebliche Zusatztrainings. Dagegen zeigte sich die Vergleichsgruppe mit systematischer Personalauswahl weitestgehend unauffällig. Der Prozentsatz problembehafteter Piloten befand sich hier nur im einstelligen Prozentbereich! Vor dem Hintergrund dieser Untersuchungen und Erfahrungen überrascht es, dass hoch professionelle Auswahlsysteme für ausgewählte Berufe nicht viel stärker verbreitet sind. Vermutlich dominiert hier jene Argumentation, wie sie uns bereits aus dem Bereich Qualifikation und Training bekannt ist. Die Fehlerreduzierung lässt sich nicht eindeutig quantifizieren und noch weniger die Effizienzgewinne, die durch eine richtige Auswahl entstehen. Erfolge können eben nicht in Euro und Cent berechnet werden. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Im Rückblick lässt sich nie einwandfrei entkräften, dass die Organisation nicht auch ohne professionelle Unterstützung letztlich den vom Spezialisten empfohlenen Bewerber ausgewählt hätte. Vor diesem Hintergrund fällt es natürlich schwer, die Entscheider von der Notwendigkeit systematischer Personalauswahlverfahren zu überzeugen. Die Unternehmensleitung muss dann nämlich nicht nur höhere Investitionen in die Auswahl seiner Mitarbeiter und Führungskräfte tätigen, sondern vor allem auch die persönliche Entscheidungsbefugnis über die Einstellung neuer Mitarbeiter weitestgehend abgeben. Dies ist schwer vorstellbar, auch wenn ein solches Vorgehen für einen Betrieb und letztlich für die Kunden von großem Nutzen wäre. Übrigens profitiert nicht nur die Organisation von einer systematischen Personalauswahl. Auch derjenige, der sich einer Auswahlprüfung stellt, kann sich bei einem Bestehen des Tests sicher sein, dass er ein geeigneter Mitarbeiter für den entsprechenden

5vgl.

Boudreau, J. W.: Utility Analysis in Human Resource Management Decisions. In: Dunnette, M.D. & Hough, L. M. (Hrsg.) Handbook of industrial and organizational psychology, Bd. 2. 2. Aufl. 1991 sowie Amelang, M. & Zielinski, W.: Psychologische Diagnostik und Intervention. 3. Aufl. Heidelberg 2002. 6Zu einer detaillierten Darstellung des Auswahlverfahrens von Cockpitpersonal bei der Lufthansa vgl. Ouibaid, V.: Maßgeschneiderte Verfahren psychologischer Eignungsdiagnostik am Beispiel der Pilotenauswahl. In: Hinsch, M. & Olthoff, J. (Hrsg.) Impulsgeber Luftfahrt – Industrial Leadership durch luftfahrtbetriebliche Aufbau- und Ablaufkonzepte. Berlin/Heidelberg 2013, S. 191–216.

9.3  Was bringt Personalauswahl konkret?

97

Job ist. Der angestrebte Job und dessen spezifisches Umfeld entsprechen den eigenen Veranlagungen und Stärken. Auch nach einem längeren Zeitraum ist nicht damit zu rechnen, dass dieser Job für den Bewerber Anforderungen oder Ecken und Kanten umfasst, die dessen Wesensmerkmalen überhaupt nicht entsprechen und zu einer Aufgabe der Tätigkeit führen könnten.

Über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen können

10

Jeder kennt die Gespräche mit Kollegen, während derer sich der Blick weg vom ­Tagesgeschäft hin zum allgemeinen betrieblichen Miteinander wendet. Im Zuge solcher Diskussionen kommt es oft zur Feststellung, dass an der grundsätzlichen Herangehensweise oder den organisatorischen Abläufen irgendetwas nicht stimmt. So gelagert war der Fall bei einem großen Betrieb eingebunden in Konzernstrukturen. Angeregt durch eine Human-Factors-Vortragsreihe entwickelte sich im Nachgang ein breiter Diskurs über die innerbetriebliche Kommunikation. Dabei stellten die Beteiligten fest, dass diese praktisch nicht vorhanden sei und dass dies bisher niemandem wirklich aufgefallen war. So hat beispielsweise der Vertrieb bei einer Angebotserstellung nicht mit dem Einkauf oder der Fertigungsplanung über Lieferzeiten gesprochen. Das Controlling und die Personalabteilungen haben Zahlen, Daten und Fakten geliefert, ohne jedoch zu fragen, welche Informationen die Fachabteilungen benötigen. Gewachsene Strukturen wurden hingenommen, aber nie auf ihre Aktualität und Angemessenheit geprüft. Schließlich funktionierte die Zusammenarbeit wie gewohnt, wenn auch ineffizient. Dies hatte natürlich zur Folge, dass sehr viel Geld verbrannt wurde. Kennen Sie das? Das Problem liegt meist darin, dass Fehler nicht behoben werden, weil sich keiner an das Thema herantraut. Denn auch wenn Ineffizienzen einem Einzelnen auffallen, hat dies nicht unbedingt deren Behebung zur Folge. Denn Schweigen ist hier allzu oft karrierefördernder. Durch das Infrage stellen eingefahrener Organisationsstrukturen kann ein

Teile dieses Kapitels wurden ursprünglich veröffentlicht in: Hinsch M, Hogan B, Olthoff JJ (2016) Erfolgsfaktoren Effizienz und Sicherheit: Was die Medizin von der Luftfahrt lernen kann. [Copyright © Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2016]. All Rights Reserved. Wunderlich M, Olthoff JJ, Hinsch M (2014) Kann Ihr Vertriebsteam einen Airbus A320 auf dem Hudson landen? [Copyright © Uhlenbruch Verlag, Bad Soden 2014]. All Rights Reserved. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_10

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10  Über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen können

Abb. 10.1   Eisberg-Modell aus der Fehlerforschung

engagierter Mitarbeiter oder eine Führungskraft i. d. R. viel verlieren, aber wenig gewinnen. Daher bedarf es einer übergeordneten Bereitschaft in der Organisation, auch über solche Sachverhalte zu reden, die nicht optimal laufen, um sie für die Zukunft zu verhindern. Es bedarf also einer offenen Fehlerkultur. Ausgangspunkt hierfür bildet der ernsthafte Wille, diese Fehler zu vermeiden. Eine saubere Planung und klare Prozessstrukturen können die Wahrscheinlichkeit für Fehler zwar reduzieren, aber niemals auf null senken. Denn neben menschlichen Aussetzern werden trotz organisatorischer Regeln und Normen immer auch Schlupflöcher für systemische Schwächen erhalten bleiben. So stehen Unzulänglichkeiten und Fehler immer wieder auf der Tagesordnung. Oft sind es stets die gleichen Fehler, die geschehen, und dennoch passiert wenig. Warum? Weil eine systematische Fehlerreflexion in vielen Industriebetrieben ein Schattendasein führt. Im Vordergrund steht die nachträgliche Fehlerbeseitigung und weniger die zukünftige Vermeidung gleicher oder ähnlich gelagerter Vorkommnisse. Um dies zu ändern, bedarf es der Etablierung einer Organisationskultur, die ein Bewusstsein für Risiken und Fehler fordert und fördert und die dafür Sorge trägt, dass die Mitarbeiter in die Lage versetzt werden, Fehler anzusprechen und mit ihnen angemessen umzugehen. Die Bedeutung, sich auch mit weniger offenkundigen und schweren Fehlern und Systemschwächen auseinanderzusetzen, wird durch das sogenannte Eisberg-Modell veranschaulicht (Abb. 10.1). Wie bei einem Eisberg liegt auch in einer Organisation nur ein kleiner Teil der Gefahren über der sichtbaren Oberfläche. Der größte, nicht sichtbare Teil des Eisbergs symbolisiert die Vielzahl der geringeren organisatorischen und menschlichen Schwachstellen, die im industriellen Alltag auftreten. So kommen auf einen schweren und zehn leichte Unfälle über der Wasseroberfläche rund 30 nur für den Insider erkennbare Zwischenfälle sowie etwa 600 von den Beteiligten oftmals gar nicht wahrgenommene unsichere Handlungen unter dem Wasser. Die meisten dieser Fehler stellen für sich alleine keine Gefahr für Produkt oder Kundenbeziehungen dar, können aber erheblichen Mehraufwand von Kosten und Zeit nach sich ziehen. Zudem haben durch die Verkettung unglücklicher Umstände gelegentlich auch kleinere Fehler und Schwächen schwere Folgen für die Kundenbeziehung. Insoweit muss es das Ziel sein, die Fehler und Schwachstellen unter der Wasseroberfläche zu reduzieren, um die schwerwiegenden Ereignisse über dem Wasserspiegel zu minimieren.

10.2  Straffreiheit für den Fehlerverursacher?

101

10.1 Bereitschaft zu Fehlerreflexion und Fehlerbewusstsein „Fehler? Passieren bei uns nicht! Größere schon gar nicht!“ Fehler passieren. Immer. Überall. Dafür sorgen systemische Schwachstellen in den Prozessen und die menschlichen Faktoren des Dirty Dozen. Daher muss die Geschäftsleitung zunächst anerkennen, dass Unzulänglichkeiten und Fehler zu ihrem betrieblichen Alltag gehören. Dazu gehört die Bereitschaft, ernsthaft Fehler zu reflektieren und diese zum Erkenntnisgewinn zu nutzen. Nur so kann das Ziel erreicht werden, die Ursachen für Fehler und Schwachstellen zu ergründen, um deren Wiederauftreten zukünftig zu verhindern. Ein einmaliges Statement wie: „Das machen wir jetzt mal“, wird keinen Kulturwandel herbeiführen, denn damit überzeugt man keinen Mitarbeiter. Es wird nur gelingen, eine gesamtbetriebliche Fehlerkultur zu etablieren, wenn das Personal ein entsprechendes Bewusstsein entwickelt und eine Bereitschaft zur Fehlerreflexion im Denken und Handeln verankert. Es gelingt am ehesten, eine Fehlerkultur zu etablieren, wenn über Vorkommnisse und Fehler gesprochen und deren Entstehung thematisiert wird. Die Bereitschaft und das Bewusstsein für eine aktive Fehlerauseinandersetzung sind der wesentliche Motor für die Veränderung und die ständige Anpassung. Insoweit müssen Mitarbeiter eine Vorstellung davon bekommen, wie Fehler in der Arbeitsausführung, in der Dokumentation, in den Abläufen und Kommunikationsstrukturen sowie bei Betriebsmitteln oder durch die Arbeitsumgebung entstehen. Da rund drei Viertel der Fehler durch menschliche Faktoren entstehen, gerät hier vor allem das Wissen um die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit, also die Human Factors, in den Fokus. In diesem Zuge müssen die Mitarbeiter auch dafür sensibilisiert werden, dass Kollegen unterschiedliche Wahrnehmungen und Auffassungsgaben haben. Dies klingt zunächst selbstverständlich; allzu oft sind jedoch unterschiedliche kognitive Fähigkeiten oder die Bereitschaft, diese zu akzeptieren, Ursache für Missverständnisse und Fehleinschätzungen.

10.2 Straffreiheit für den Fehlerverursacher? Bei alledem ist es wichtig, dass die Fehlerkultur durch eine Non-Punitivität gekennzeichnet ist. Das bedeutet, dass jeder einzelne Mitarbeiter anonym oder persönlich die Möglichkeit hat, sich zu eigenen Fehlern zu bekennen in dem Wissen, straffrei auszugehen. Dies mag für den Vorgesetzten bisweilen hart an der Grenze des Erträglichen sein, auch wenn allzu grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz von der Straffreiheit ausgeschlossen werden können. Aber die Non-Punitivität ist ein wichtiger Baustein der Fehlerkultur, denn sonst wäre die Bereitschaft der Mitarbeiter, offen mit Fehlern umzugehen, nicht gegeben. Im Gegenteil, Fehler würden vertuscht. Die für das Unternehmen eigentlich interessanten Fehler würden dann „unter der Decke“ bleiben und die wert-

102

10  Über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen können

vollen Informationen zu Vorkommnissen oder Verbesserungs-potenzialen werden so nicht thematisiert. Das hat übrigens Gültigkeit für alle Branchen. „Vor einigen Jahren traf ich einen Trainingskapitän bei einer Konferenz in Dubai, als dieser mich zur Seite zog: ‚Du, ich muss mal mit dir reden. Stell dir vor, da hat mir ein Kapitän ein paar Fälle gebeichtet, bei denen auf A340ern aus ganz interessanten Gründen falsche Take-off-Weights eingegeben wurden!‘ Auf die Frage, wie er reagiert habe, sagte er: ‚Ja, den Kapitän habe ich zum Co-Piloten degradiert und den Co-Piloten habe ich rausgeschmissen.‘“ Cpt. Jens Olthoff

Es ist also ein enormer Gewinn für das Unternehmen, wenn Mitarbeiter Vorkommnisse melden und sich mit ihren Vorgesetzten abstimmen können, wie es zu vermeiden ist, dass anderen Mitarbeitern die gleichen Fehler erneut passieren. Die Luftfahrt hat für diese non-punitive Fehlerkultur jedoch Jahre gebraucht, denn dafür muss zunächst Vertrauen in die Straffreiheit entstehen. Fehler straffrei zu melden ist nämlich ein Vertrauensbeweis, den der Einzelne dem Unternehmen gewährt.

10.3 Fehlerreflexion – aber wie? Ausgangspunkt aller Aktivitäten zur Fehlervermeidung bildet ein Bekenntnis der Geschäftsleitung und der weiteren Führungskräfte, sich zukünftig ernsthaft mit Fehlern auseinandersetzen zu wollen. Dazu müssen sich die Entscheider im Klaren sein, dass dies auch für sie selbst mit Aufwand verbunden ist und die Bereitschaft zu Kritik und Selbstkritik erfordert. Dies ist eine Herausforderung für die innere Einstellung. Dennoch kann eine neue Einstellung der Geschäftsleitung für einen Kulturwandel nur der Anfang sein, schließlich ist dieser auch auf die ausführenden Mitarbeiter zu übertragen. Dazu muss die betriebliche Führung die Bereitschaft entwickeln, Fehler zu reflektieren und darüber offen zu sprechen. Nur wenn nämlich die Chefs hierzu bereit sind, werden ihnen auch die Mitarbeiter folgen. Erst wenn allen Entscheidungsträgern die notwendigen eigenen Verhaltensänderungen bewusst sind, können die Mitarbeiter mitgenommen werden. Der Erfolg des dazu notwendigen Veränderungsprozesses hin zu einer an Human Factors orientierten Fehlerkultur basiert auf drei Säulen: • Schaffung eines grundlegenden Problembewusstseins für menschliche Fehler im Allgemeinen sowie für die betrieblichen Fehlerquellen und Gefahrenpotenziale im Speziellen. Hierfür eignen sich Human-Factors-Trainings sehr gut • Institutionalisierte Aufarbeitung und innerbetriebliche Bekanntmachung von Vorkommnissen und Fehlern, um deren Wiederauftreten systematisch zu verhindern • Kontinuierliche Sensibilisierung für ein fehlerkritisches Verhalten durch die Hierarchie. Für ein Gelingen kommt dabei den Führungskräften, insbesondere denen der obersten sowie der untersten Ebene, erhebliche Bedeutung zu. Eine Neuausrichtung

10.3  Fehlerreflexion – aber wie?

103

der Organisationskultur steht und fällt mit der Akzeptanz sowie dem Um- und Durchsetzungswillen des leitenden Personals. Um Fehler zu vermeiden, müssen Instrumente dort ansetzen, wo Fehler am ehesten entstehen: beim Menschen. Wie wir bereits gelernt haben, dürfen dabei nicht nur die fachlich-technischen Fertigkeiten geschult werden. Das Augenmerk von Qualifizierungsmaßnahmen muss sich genauso auf „Non-Technical Skills“ richten. Dahinter steht der Gedanke, dass es nicht genügt, ein unter fliegerischen Aspekten begnadeter Pilot zu sein. Dieser muss ebenso die Gabe besitzen, zu kommunizieren, Situationen richtig einzuschätzen, unter Stress angemessen zu reagieren und Entscheidungen zu treffen. Die systematische Auseinandersetzung mit den Folgen von und dem Umgang mit Stress, Druck, Ermüdung, sozialen Normen und Selbstgefälligkeit ist daher heute fest in der Grundausbildung und in den Wiederholungstrainings der gesamten Luftfahrtbranche verankert. Human-Factors-Trainings zum Verständnis für die Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit sind seit Anfang der 1980er Jahre gesetzlich verpflichtend und haben maßgeblich zur Reduktion menschlich bedingter Flugunfälle beigetragen. Nach gleichem Muster lassen sich auch Leistungen von Mitarbeitern in der Industrie optimieren, indem eine Sensibilisierung für betriebliche Risiken bzw. Fehlerquellen in den Prozessen und Produkten geschaffen wird. Die Mitarbeiter werden in den Trainings zum vorausschauenden Handeln angeregt, damit sie sich der Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst werden. Dies geschieht anhand praktischer Vorkommnisse, die verdeutlichen, wie Fehler entstehen, wie schnell die Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit erreicht werden können und welche Folgen eigenes Handeln auslösen kann. In der Luftfahrt werden dazu typische Ursachen- und Fehlerketten anhand bekannter Flugunfälle aufgearbeitet und auf Situationen im eigenen Umfeld übertragen. Auch das Challenger-Unglück oder die Love-Parade-Tragödie sind oft in Trainings herangezogene Beispiele für die Verkettung ungünstiger Umstände, die zu einer Katastrophe geführt haben.1 Nach solchen Trainings muss es dann gelingen, das Wissen um die Human Factors im Alltag zu nutzen und anzuwenden. Dabei hat es sich bewährt, Vorkommnisse in Teambesprechungen, Debriefings oder über betriebliche Medien zu thematisieren und Lösungswege zu erläutern. Neben Trainings und laufender Auseinandersetzung mit Fehlern sind (anonyme) Reporting- und Analysesysteme ein sinnvolles Tool zur Fehlerreduktion.2 Mit einem sol-

1Diese

Beispiele beschreibt auch Klingels, F.: Human Factors Trainings – Konzeptionierung, Einführung und kontinuierliche Mitarbeitereinbindung in der betrieblichen Praxis. In: Hinsch, M. & Olthoff, J. (Hrsg.) Impulsgeber Luftfahrt – Industrial Leadership durch luftfahrtbetriebliche Aufbau- und Ablaufkonzepte. Berlin/Heidelberg 2013, S. 219–248. 2vgl. Hinsch, M.: Anonyme Fehlerreports und -analysesysteme – Nachhaltige Qualitätsverbesserung in der Luftfahrtbranche. In: Industriemanagement, Bd. 27, Nr. 4, Aug. 2011, S. 69–72.

104

10  Über Fehler und Verbesserungspotenziale sprechen können

chen Instrument sollen Fehler und Risiken im betrieblichen Alltag als Erkenntnisgewinn aufgegriffen und analysiert sowie Verbesserungsmaßnahmen angewiesen und überwacht werden. Es ist ein Tool zur ständigen und systematischen Verbesserung, denn es • werden geschehene Vorkommnisse berichtet und aufgearbeitet, um die Wiederholungsgefahr zu vermeiden (reaktiver Ansatz), • werden potenzielle Qualitäts- und Sicherheitsgefahren präventiv erkannt und frühzeitig gesteuert, um ein Auftreten zu verhindern (proaktiver Ansatz), • wird sichergestellt, dass Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Prozessleistung durchgeführt werden. Solche Reporting-Tools sind deshalb attraktiv, weil auf das Wissen der eigenen Mitarbeiter zurückgegriffen wird. Die Beschäftigten kennen ihre Abläufe besser als jeder externe Berater oder Auditor und sie sind durchaus in der Lage, betriebliche Systemschwächen zu erkennen. Oft sind die ausführenden Mitarbeiter jedoch nicht in der Position, Verbesserungen selbst umzusetzen. Hier spielt das Reporting- und Analysesystem seine Stärken aus, denn die Fehlermeldungen und Verbesserungsvorschläge werden in einem Fachgremium von Mitarbeitern der ausführenden Ebene bewertet. Wenn sinnvoll, werden Maßnahmen durch dieses Team von den betroffenen Abteilungen eingefordert und deren Umsetzung überwacht. Ein solches Reporting- und Analysesystem kann jedoch nur dann funktionieren, wenn den Mitarbeitern der Meldeprozess bekannt ist. Auch werden sie dieses nur dann akzeptieren, wenn ihnen Ziele und Funktionsweise bekannt sind und sie sicher sein können, bei Meldungen straffrei zu bleiben. Außerdem müssen die Meldenden davon ausgehen, dass ihre Meldungen ernsthaft bearbeitet werden und zu einer Situationsverbesserung führen.3 Zu allen Maßnahmen ist anzumerken, dass deren Anwendung und deren Erfolgsaussichten maßgeblich von der Organisationsgröße abhängen. Auf eine Faustformel gebracht gilt, dass diese in größeren Unternehmen eine bessere Wirkung entfalten. In kleinen Unternehmen entscheidet nämlich in der Regel der Inhaber/Geschäftsführer mit seinem Verhalten über Art und Umfang des Fehlerumgangs.

3vgl.

ebenda.

Teil II Neue Wege zur Optimierung industrieller Wertschöpfung

Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

11

11.1 Zukunftsweisende Konzepte sind vorhanden In den vorherigen Kapiteln wurde beschrieben, wie es der Luftfahrt in den letzten 30 Jahren gelungen ist, gestiegene Anforderungen an ihre Wertschöpfung erfolgreich umzusetzen und dieses Niveau langfristig aufrecht zu erhalten. Dazu wurden die Prozesse neu ausgerichtet, die Standardisierung vorangetrieben und das Verhalten der Akteure an die Bedürfnisse einer zukunftsorientierten Leistungserbringung angepasst. So wurde schließlich ein Kulturwandel vollzogen. Die Industrie steht heute, wenn auch mit anderen Aufgaben und Tätigkeiten, vor ganz ähnlichen Herausforderungen wie einstmals die Luftfahrt: • nicht mehr von einzelnen beherrschbare Komplexität in der Wertschöpfung, • zunehmender Einsatz technischer Hilfsmittel (Digitalisierung) sowie • Einstellung und Qualifizierung von Mitarbeitern, die diesen Anforderungen zunächst nicht gerecht werden (Fachkräftemangel). Die Blaupausen zur Steigerung der Erfolge in der Industrie sind also verfügbar und können genutzt werden. Dabei ist aber keineswegs eine 1:1 Übertragung nötig. Rosinen-Picken reicht. Das Ziel ist klar: Es geht um ein systematisches, replizierbares und rückverfolgbares Agieren zur Beherrschung menschlicher und organisatorischer Komplexität, um fehlerfreie Verarbeitung der täglichen Datenflut sowie um eine wirksame Teaminteraktion. Dass eine punktuelle Übertragbarkeit von Luftfahrt-Konzepten sinnvoll ist, zeigen übrigens auch umfassende Erfahrungen aus anderen Branchen, z. B. der Medizin. Die Maßnahmen sind dabei keine komplexe Raketenwissenschaft; sie wirken jedoch als Raketentreibstoff für den betrieblichen Alltag.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_11

107

108

11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

Man stellt sich natürlich rasch die Frage, ob denn auch die 99,999 %ige Erfolgsquote, wie sie die Luftfahrt erzielt, für die Industrie bei marktüblichen Preisen realistisch bzw. erstrebenswert ist. Die Antwort ist eindeutig: Nein! Dies ist auch kaum möglich, denn in der Industrie verfolgen die Beteiligten unterschiedliche Partikularinteressen, die niemals vollständig miteinander vereinbart werden können. Demgegenüber wollen in der Luftfahrt alle Beteiligten im Cockpit und am Boden jeden Flug sicher durchführen. Die Sicherheit des Flugverkehrs schweißt die Branche bei allem Wettbewerb zusammen. Dennoch ist es dringend geboten, dass sich die Industrie bei der Herangehensweise zur Erreichung einer hohen Prozessstabilität methodisch verbessert. Da Airlines jeden Flug sicher landen müssen, schenken sie Fehlern und ihrer Vermeidung höchste Aufmerksamkeit. Dies muss auch das alltägliche Ziel jeder Industriebetrieb sein. Doch was genau sind Fehler im betrieblichen Alltag? Als Fehler werden nicht gewollte Ereignisse verstanden, die die Kundenzufriedenheit verschlechtern und/oder die betrieblichen Wertschöpfungsprozesse behindern oder verlangsamen. Auch ungeplante betriebliche Entwicklungen, die zu wirtschaftlichen Schäden führen, ohne dabei dem Kunden zu schaden, gelten als Fehler. Ursächlich für Ineffizienzen, Mängel bzw. Fehler liegen oft offensichtlich in den Prozessen, z. B. aufgrund der sieben Arten der Verschwendung1: • Bewegung im Sinne der Verschwendung umfasst zum Beispiel das Hinlangen zu unnötig weit entfernt angeordneten Werkzeuge und Arbeitsmittel aufgrund verbesserungsfähiger Arbeitsplatzergonomie. Bei verschwenderischer Bewegung in großen Maßstäben kann es sich z. B. handeln um den Gang zur Materiallager, um den Weg für das Holen von Dokumenten oder Betriebsmittel. Ursächlich sind hier unzureichend strukturierte Arbeitsabläufe. • Transport ist eine nicht wertschöpfende Tätigkeit und so gilt es, diese zu minimieren, unabhängig ob es sich um externe oder innerbetriebliche Produkte-, Halbzeugnisse-, Material-, Betriebsmittel- oder Dokumententransporte handelt. • Warten: Wartezeiten kosten Geld, ohne dass ein Mehrwert geschaffen wird. Wiederholte Wartezeiten deuten auf Prozessineffizienzen bzw. Planungsdefizite hin, die oftmals vergleichsweise leicht zu beseitigen wären. • Bestände nehmen Platz in Anspruch, binden Kapital und verdecken Schwächen im Prozessablauf, indem diese durch Sicherheitsbestände ausgeglichen werden. • Überproduktion: In diesem Fall wird zwar ein Mehrwert geschaffen, den aber niemand abzunehmen oder zu bezahlen bereit ist (z. B. unnötige Materialauslagerung oder -bereitstellung, Verschnitt). • Over-Engineering (falsche Technologie/Prozesse) liegt vor, wenn Prozesse bzw. Projekte oder Aufträge komplexer ausgeführt werden, als dies geboten wäre. Beispiele

1Die

sieben Arten der Verschwendung (jap.: Muda) entstammen dem Konzept des Lean Managements basierend auf dem Toyota Production System.

11.2  Organisationsexzellenz in der Industrie

109

für Over-Engineering sind gelebte Bürokratie oder aufwendige Kontrollmessungen in der Endprüfung, die für die Kundenanforderungen bzw. die Funktionsfähigkeit des Bauteils irrelevant sind. • Fehler/Nacharbeit aufgrund mangelnder Qualität ist ebenfalls Verschwendung, da Tätigkeiten wiederholt oder korrigiert werden müssen. Jede vermiedene Verschwendung ist dabei ein Gewinn. Die Vermeidung von Fehlern, vielleicht auch unter Eingeständnis einer Fehlentscheidung, spart Leid, Ressourcen, Zeit und Geld.

11.2 Organisationsexzellenz in der Industrie Um von industrieller Exzellenz zu sprechen, muss es Betrieben gelingen, Kunden langfristig an sich zu binden und dabei die geplanten Ergebnisse zu erzielen. Der Gewinn kann insofern nur die Spitze und das Resultat von industrieller Excellence sein. Im Fokus steht die Nachhaltigkeit, die sich nur dann einstellt, wenn die betriebliche Wertschöpfung stets den Kundennutzen im Mittelpunkt stellt. Alle Prozesse müssen daher strukturiert geplant, gesteuert und überwacht werden. Ziel muss es sein, betriebliche Exzellenz nicht von einzelnen Personen oder gar deren Tagesform abhängig zu machen, sondern diese standardmäßig durch leistungsfähige Prozesse sicher zu stellen. Abb. 11.1 verdeutlicht dazu die Bestandteile industrieller Hochleistung auf Basis einer betrieblichen Excellence-Pyramide.

Abb. 11.1   Industrielle Excellence aus Perspektive der Organisationentwicklung

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11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

11.2.1 Profit Das oberste Unternehmensziel ist in aller Regel die Gewinnmaximierung. Um dieses Ziel zu erreichen, lag der Schwerpunkt vieler Unternehmen in der Vergangenheit sehr stark auf Cost-Cutting. Da sich hier nur noch wenig Potenzial für weitere Verbesserungen bietet, ist es nun an der Zeit, sich intensiv um die Umsatz und Produktivität zu kümmern. Wachstum kommt nicht aus Kosteneinsparung. Insoweit sind neue Ansätze notwendig. So bedarf es ganzheitlicher Konzepte für das Prädikat industrieller Exzellenz: • eine klare tragfähige Strategie für die mittel- bis langfristige Gesamtausrichtung des Betriebs, • kontinuierlich systematische Verbesserung im Hinblick auf interne Methoden- und Prozesskompetenz, • klare Fokussierung der Personalqualifikation auf interpersonelle Kompetenz neben den fachlichen Fähigkeiten, • konsequente Ausrichtung der Organisation am Nutzen des Kunden und damit vor allem auch auf dessen industrielle Sicherheit, • optimale Ausstattung und Nutzung der betrieblichen Ressourcen.

11.2.2 Kundennutzen Die zweite Ebene der betrieblichen Excellence-Pyramide beschreibt die Fähigkeit, Kundennutzen zu schaffen und zu kommunizieren. In einem wettbewerbsintensiven Marktumfeld mit hoher Sättigung wird die Erfüllung des Grundnutzens in angemessener Qualität durch die Nachfrager als selbstverständlich hingenommen. Substanzielle betriebliche Erfolge können nur von dem erzielt werden, der mehr bietet als die Konkurrenz. Insoweit ist stets die Frage zu stellen, welchen Zusatznutzen das eigene Unternehmen neben dem Grundnutzen des Kernprodukts oder der Basis-Dienstleistung bieten kann.

11.2.3 Organisationssteuerung Die dritte Ebene umfasst die Lenkung der betrieblichen Prozesse. Auf dieser Ebene ist festgelegt, wie und mit welchen Ressourcen erfolgreiche Abläufe etabliert werden. Einer erfolgreichen Organisationsleitung muss es dazu gelingen, • leistungsfähige, stark standardisierte Abläufe einzuführen und aufrechtzuerhalten, die sowohl die Produkt- und Kundenanforderungen berücksichtigen als auch hohe Fertigungseffizienz sicherstellen,

11.3  Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit

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• die Kompetenz der Mitarbeiter festzustellen und zu überwachen sowie diese, wo nötig, zu qualifizieren, • Teamorientierung konsequent zu etablieren und über alle Hierarchien konsequent anzuwenden, • eine bedarfsgerechte Infrastruktur bereitzustellen, • eine Organisationskultur zu schaffen, die an den Human Factors ausgerichtet ist und der menschlichen Leistungsfähigkeit gerecht wird. Entsprechend dem Vorgehen in der Luftfahrt werden also technisch-fachliche, prozessuale und personelle Anforderungen an die industrielle Leistungserbringung unterschieden. Die effektive Orchestrierung dieser Komponenten bietet in vielen Betrieben noch erhebliches Potenzial, um die Prozesse zu stabilisieren. Hier besteht Handlungsbedarf, weil es so am ehesten gelingen wird, die industrielle Leistungserbringung sicherer und effizienter zu machen. Um jedoch keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Bestandteile der untersten Pyramidenebene sind nur Mittel zum Zweck. Diese Elemente sind also lediglich Voraussetzung für die Erreichung ökonomischer Ziele und exzellente industrielle Leistungserbringung.

11.2.4 Ethisches Verhalten Nicht zuletzt kann betriebliche Exzellenz nur mittels ethisch akzeptierten Vorgehens erreicht werden. Hierbei geht es nicht um ein Luxus-Problem, sondern um eine wesentliche Voraussetzung für langfristig erfolgreiche Marktpräsenz. Dies umschließt dann nicht nur den Absatz- sondern auch den Faktormarkt, also die Mitarbeiter und Zulieferer. Langfristige Kundenzufriedenheit und Mitarbeiterbindung lässt sich nur dann erzielen, wenn dauerhaft die Erwartungen der Betroffenen erfüllt werden. Sobald Kunden die Produkte während der Nutzung regelmäßig reklamieren oder Mitarbeiter häufig ihren Arbeitsplatz wechseln oder gar vor Gericht ziehen, ist dies nicht exzellent, auch wenn ein guter Deckungsbeitrag erzielt wird. Dieser wird nämlich nicht von Dauer sein.

11.3 Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit In der Luftfahrt lautet die goldene Pilotenregel: „Fly the Aircraft first!“ Auf den Laien mag dieses Credo befremdlich wirken, da dies doch eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Aus den Erkenntnissen der Unfallforschung ist jedoch bekannt, dass es immer wieder zu Unfällen und Vorkommnissen kommt, bei denen Piloten diese goldene Regel nicht beachten. Die Gefahr ist dann besonders groß, wenn Faktoren des Dirty Dozen auf die Betroffenen einwirken – also alltägliche Umstände wie Stress, Druck, Ermüdung und Selbstgefälligkeit.

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11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

Wir sind alle nur Menschen. Insoweit darf kein Mitarbeiter davon ausgehen, selbst davor gefeit zu sein, Fehler zu begehen. Die Frage stellt sich daher, welches die goldene industrielle Regel den betrieblichen Alltag prägen sollte, um die Risiken eigener Fehlbarkeit zu reduzieren? Eine Annäherung an diese Antwort muss über eine zweite Frage erfolgen: Welches sind die Basiskriterien für die Bestimmung der Kundenzufriedenheit. Im Allgemeinen sind dies die Qualitätsparameter Produktkonformität (OTQ) und Liefertermintreue (OTD).2 „If you think quality is expensive, try an incident“ eignet sich insoweit (sinngemäß) als oberstes KVP-Credo zur Minimierung eigener Fehler. Diese simple Regel, so selbstverständlich wie „Fly the Aircraft first!“, zeigt im betrieblichen Alltagstest jedoch Schwächen im Bereich der sauberen und konsequenten Umsetzung. In der betrieblichen Praxis wird zwar meist eine hohe OTD und OTQ erreicht – jedoch vielfach durch Feuerwehrmanagement im Bereich der Nacharbeit und bei der Endkontrolle. Ein striktes Bewusstsein für Qualität und für konsequentes Handeln darf jedoch nicht nur auf die Mitarbeiter von QM und QS begrenzt sein. Im Alltag steht dem Plädoyer einer konsequenten Ausrichtung an der Kundenzufriedenheit im Sinne der OTD und OTQ der Umstand entgegen, dass jeder Entscheider in der Kundenorganisation eigene Zufriedenheitsdefinitionen hat. Oft stimmen nicht einmal die Erwartungen der verschiedenen Beteiligten im Kaufprozess eines Kunden überein. Ein IT-Leiter, der für die Systemintegration zuständig ist, hat eine andere Zufriedenheitswahrnehmung als der anwendende Produktionsbereich oder die Finanzabteilung, die den Blick auf die Amortisation richtet. Es besteht aber im betrieblichen Alltag nicht nur eine Schwierigkeit in der Identifikation, sondern schließlich auch in der vollständigen Erfüllung der Kundenanforderungen. Dies gilt umso mehr, da Liefertermintreue und Produktkonformität allein auf Dauer keinen Begeisterungsnutzen auslösen. Kunden suchen schließlich nicht einfach Lieferanten, sie suchen Problemlöser. Wie lässt sich daher eine konsequente Ausrichtung auf die Kundenzufriedenheit in der täglichen Praxis realisieren? Nutzen lässt sich dort verkaufen, wo der Kunde vor einer für ihn wichtigen und nicht selbst lösbaren Herausforderung steht. Für den Betrieb geht es also darum, das Problem und das erwartete Nutzenbündel des Kunden zu identifizieren und dem eigenen Produkt gegenüber zu stellen. Erst auf dieser Basis kann der verkaufbare Leistungsumfang bestimmt werden. Insoweit ist der Ansatz nur mit besserer Qualität im Sinne von OTD und OTQ Nutzen zu stiften, zu eng gefasst. Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten Nutzen zu schaffen. Dazu benennt Bill Stinnett in seinem Buch „Think like your Customer“ verschiedene Attribute des Nutzens (vgl. Abb. 11.2). Verwenden Sie seine Auflistung der Nutzenbestandteile als Checkliste um keine Chance zu übersehen:

2OTQ = On

target quality, OTD = On time delivery.

11.3  Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit

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Abb. 11.2   Formen des Kundennutzens (Wunderlich, M.: Verkauf ist wie fliegen. In: Kauf mich! – Kommunikation. Gottschling, S. (Hrsg.) Augsburg 2014. S. 65 ff.)

• Monetärer Kundennutzen: Kunden haben einen ganz konkreten und in Euro ausrechenbaren Nutzen. Dies drückt sich z. B. in niedrigeren Betriebs- oder Wartungskosten aus. • Zeitlicher Kundennutzen: Der Kunde erlangt durch das Produkt einen zeitlichen Vorteil. Ein typisches Beispiel sind im Wettbewerb stehende Verkehrsmittel (Bahn vs. Flugzeug). • Qualitativer Kundennutzen: Das Produkt verfügt über bessere Leistungsmerkmale (z. B. bieten die Akkus des neuen Handys 24 statt 12 h Gesprächszeit). • Compliance Nutzen: Das Produkt erfüllt gesetzliche oder selbst gesetzte Anforderungen für den Geschäftsbetrieb (z. B. CE-Kennzeichen, Bio-Herstellung oder geprüfte Herstellung in Fabriken ohne Kinderarbeit). • Sicherheitsnutzen: Das Produkt weist eine außergewöhnliche Zuverlässigkeit und geringe Fehler- oder Ausfallwahrscheinlichkeit auf (z. B. Software-Stabilität). • Zugangsnutzen: Der Service bietet Zugang zu Gruppen/Daten/Entscheidern, die man ohne die Lösung nicht oder nur mit viel Zeitaufwand zu erreichen wäre (z. B. Kunde ermöglicht Zugang zu Netzwerken).

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11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

• Image-Nutzen: Die Auswahl eines bestimmten Lieferanten trägt dazu bei, das Ansehen des Unternehmens gegenüber dem Kunden zu verbessern (nachhaltige Produktion oder Made in Germany). • Komplexitätsnutzen: Mit dem Produkt oder der Dienstleistung gelingt eine Vereinfachung oder Reduzierung von (Prozess-)Komplexität (z. B. prozesslenkende Software-Lösungen, Flottenmanagement). • Emotionaler Kundennutzen: Eine Leistung erfüllt Bedürfnisse nach Anerkennung, Status, Macht oder Harmonie. Im Retailgeschäft werden diese Bedürfnisse gezielt angesprochen. Im B-2-B Markt spielen diese eine geringere Rolle; Beispiele wie Dienstwagen, die Größe von Büros oder die Verleihung von Vielfliegerstatus zeigen jedoch, dass diese auch dort wirken können. Prüfen Sie diese Einzelnutzen. Gehen Sie die einzelnen Attribute durch. Verlassen Sie sich dabei nicht allein auf Ihre eigenen Annahmen, sondern überprüfen Sie diese im Team und vor allem mit dem Kunden. Beachten Sie dabei, dass Nutzen durch das Schaffen von Werten wie auch durch das Eliminieren von Risiken erzeugt werden kann. Den Kundennutzen einer Risikominimierung unterschätzen viele Verkäufer. Natürlich erwarten die meisten Kunden die Erfüllung mehrerer Nutzenattribute. Je umfangreicher Sie dabei dem erwarteten Kundennutzen gerecht werden, desto besser. Seien Sie sich aber bewusst, dass Sie wahrscheinlich nicht alle anfänglichen Erwartungen des Kunden gänzlich erfüllen können. Priorisieren Sie daher und konzentrieren Sie sich auf die wesentlichen Nutzen-Aspekte. Wichtig dabei ist, die möglichen Nutzen so konkret wie möglich zu definieren. Die identifizierten Einzelnutzen bilden schließlich die Basis für das darauf folgende Angebot. Die Produktattraktivität für den Kunden ergibt sich dann aus dem gesamten Nutzenbündel. Mit dieser Analyse erhalten Sie ein Bild vom Ziel des Kunden und von dem, was er tatsächlich kauft. Nur selten ist es Ihr Produkt, so faszinierend es auch sein mag. Ihr Produkt und dessen Features sind lediglich das Transportmittel, mit dem der Kunde ökonomisch und zuverlässig sein Ziel erreichen will. Auch hier zeigt sich die Parallele zur Luftfahrt, denn niemand ein Passagier fliegt nur um des Fliegens willen. Man reist zu einem Geschäftstermin, zu Freunden und zur Familie, in den Urlaub oder einfach nur zum Einkauf. Airlines bringen Sie an Ihr Ziel, möglichst schnell, preiswert und vor allem sicher. Machen Sie es stattdessen wie Piloten: erklären Sie nicht die Funktionsweise des Airbus, sondern sprechen Sie überwiegend vom blauen Himmel am Ziel und geben Sie dem Kunden das Gefühl, dass er dort durch Sie ankommt. Der Kunde ist König, aber der Lieferant ist nicht der Hofnarr! Die Schaffung von Kundennutzen wie auch die Kundenorientierung haben aber ihre Grenzen. Denn einerseits sind nicht alle Wünsche des Kunden erfüllbar und anderseits gehören unrealistische Preisvorstellungen des Kunden zum Alltag. Dies wird begünstigt

11.3  Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit

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durch den Umstand, dass Kunden entweder nicht wissen, was sie wollen; nicht wissen, was (nicht) möglich ist; oder völlig falsche Erwartungen haben. Ein strikter Kundenfokus unterliegt also der Einschränkung, nur dort tätig zu werden, wo auch tatsächlich Nutzen für beide Seiten geschaffen werden kann. Die eigenen Bemühungen müssen letztlich finanziell angemessen entlohnt werden – unmittelbar oder strategisch mittelbar. Bei allem Bemühen betrieblicher Exzellenz und Kundennutzen, darf das wichtigste betriebliche Ziel – margenstarker Umsatz – nie aus den Augen verloren werden. Der Kunde darf also König sein, solange der Verkäufer nicht sein Hofnarr ist. Langfristiger Erfolg mit Wachstumspotenzialen ist nur in partnerschaftlichen KundenLieferanten-Beziehungen erreichbar. Idealerweise ist Ihr Betrieb Hoflieferant und zeichnet sich bei Auftragsvorbereitung und -abwicklung durch Interaktion auf Augenhöhe mit dem König aus. Industrielle erfolgreiche Hoflieferanten sind nämlich keine Discounter, sondern liefern Problemlösungen mit wertvollen Waren zu einem angemessenen Preis.

11.3.1 Das Fundament industrieller Exzellenz Kundennutzen sowie Umsatz und Profit können nur dann erfolgreich generiert werden, wenn der Betrieb als Organisation auf einem festen Fundament steht. Die wichtigsten Elemente bilden dazu entsprechend (Abb. 11.1): • die Mitarbeiter mit ihrer Qualifikation und ihren Fähigkeiten, einschließlich der Human Factors, • die betrieblichen Prozesse und Regeln, • die Infrastruktur und Arbeitsumgebung sowie • eine systematische Organisationsentwicklung.

11.3.2 Pfeiler 1: Mitarbeiter Die Mitarbeiter sind die wichtigste Ressource eines Betriebs. Wenngleich diese Aussage meist als abgedroschene Phrase wahrgenommen wird, so ist dennoch richtig. In wissensbasierten Wettbewerbsmärkten entscheiden betriebliche Teams über den langfristigen Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens. Die Fähigkeit, im Betrieb die richtigen Entscheidungen zu treffen, sei es bei der strategischen Planung, operativ bei der Endkontrolle oder der Bearbeitung von Reklamation muss jedoch von den Führungskräften oft erst erlernt werden. Wie wir in Kap. 8 gelernt haben, reichen fachliche Qualifikationsmaßnahmen nicht aus. Das Personal muss ebenso nichtfachbezogene Qualifikationsanforderungen erfüllen, um die ihnen zugewiesenen Aufgaben ausführen

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11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

zu können. Dies gilt für die Mitarbeiter auf der operativen Ebene, aber gerade auch für Führungskräfte. Trotz dessen verfügen erstaunlicherweise nur wenige Industriebetriebe über strukturierte Qualifikationssysteme mit transparenten Ausbildungs- oder Personalentwicklungspfaden. Personalauswahl Industriebetriebe können dem Problem ungeeigneten oder nicht ausreichend qualifizierten industriellen Personals präventiv nur durch eine systematische Personalauswahl begegnen. Dazu wurde in Kap. 9 dargelegt, dass diese im betrieblichen Alltag kaum stattfindet oder dass sich der Blickwinkel dabei zu sehr auf die fachliche Qualifikation richtet. Doch auf diese kommt es gar nicht so sehr an, weil diese im notwendigen Umfang üblicherweise vorhanden ist. Etwaige Defizite lassen sich in aller Regel rasch vermitteln. Viel entscheidender sind vorhandene und verborgene charakterliche Eigenschaften und Kompetenzen. Die Mehrzahl der Betriebe lässt sich dennoch mehr von fachlichen Erfolgen beeindrucken und übersieht dabei, dass erstaunlich viele unscheinbare Bewerber zu erfolgreichen Materialplanern, Projektleitern oder Produktionsingenieuren werden und sich scheinbar perfekte Kandidaten als Fehlgriffe erweisen können. Daher sollte bei der Einstellung von Mitarbeitern neben eignungspsychologischen Untersuchungen, grundsätzlich abgeklärt werden, worauf der bisherige Erfolg von Bewerbern basierte. Denn vergangenes Lob alleine sagt noch nicht viel aus. Erfolge müssen auf der neuen Stelle und im neuen Unternehmen replizierbar sein. Nicht selten bringen Mitarbeiter in einem anderen Umfeld nicht gleiche Leistung. Die Ursache für den Leistungsabfall kann dann darin begründet liegen, dass von dem Mitarbeiter in der neuen Organisation andere Fähigkeiten und Kompetenzen abgefordert werden als bei dessen vorherigen Arbeitgeber. Die Anforderungen an den Mitarbeiter unterscheiden sich je nach Produktportfolio, Aufgabenkomplexität und Unternehmenskultur. So etwa, wenn diese beispielsweise von großen Organisationen in kleinere Unternehmen wechseln. An bisherige Erfolge können sie nicht anknüpfen, weil vielleicht das Aufgabenspektrum breiter ist und sich der Mitarbeiter entgegen seinem individuellen Charakter viel stärker selbst organisieren muss. Ist die Unternehmenskultur leistungsorientierter als beim bisherigen Arbeitgeber, kann dies ebenso den eigenen Fähigkeiten zuwiderlaufen. Werden also im neuen Betrieb bzw. auf der neuen Stelle andere Kompetenzen eingefordert als die, die den bisherigen Erfolg ermöglicht haben, werden solche Mitarbeiter die an sie gestellten Erwartungen kaum erfüllen. Alle Bemühungen den idealen Bewerber auszuwählen, steht im betrieblichen Alltag jedoch die Realität des Fachkräftemangels gegenüber. Unternehmen müssen nehmen, was der Markt hergibt, ohne wirkliche Auswahloptionen. Große Fehler begehen Unternehmen regelmäßig bei der Besetzung ihrer Führungskräfte. Natürlich sollte eine Führungskraft die Aufgaben im eigenen Team aus eigener Erfahrung kennen; es kommt aber nicht darauf an, die beste Fachkraft im Team zur Teamleitung zu ernennen. Expertentätigkeiten und Führung erfordern unterschiedliche Qualitäten. Dies wird oft vergessen. Gefragt sind Führungspersönlichkeiten mit Management- und Coaching-Kompetenz. Personen, die bewiesen haben, andere zu unterstützen und anzuleiten, bei ihrer Arbeit strategisch vorzugehen und effektiv mit Kunden zu arbeiten.

11.3  Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit

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Training Während Personalauswahl ein präventives Instrument ist, handelt es sich bei Trainings um reaktive Maßnahmen. Für bereits eingestelltes Personal helfen bei unzureichender Qualifikation insofern nur Schulungen. Viele Mitarbeiter werden, wenn überhaupt, in mehr oder weniger aufeinander abgestimmten Qualifikationsmaßnahmen zu Beginn ihrer Berufs- oder Unternehmenslaufbahn geschult. Auf solche oft unzureichende, weil punktuell ausgerichtete, Grundausbildungen folgen dann lange Zeiträume zwischen weiteren Ergänzungs- und Aufbautrainings. Trainiert werden dabei neben neuen IT-Tools oder Maschinen zumeist neue Fertigungsverfahren. Fachliche Fähigkeiten alleine reichen, wie im zweiten Teil des Buchs beschrieben, für eine zeitgemäße Personalqualifizierung jedoch nicht mehr aus. Mitarbeiter, die nur ihre Tätigkeitsabläufe und Verfahren herunterbeten, werden der modernen Arbeits- und Produktwelt nicht mehr gerecht. Jeder kennt durchaus fachlich versierter Kollegen, die bewusst oder unbewusst in kaum Weise mitdenken, weil sie glauben, über ihr unmittelbares Tätigkeitsspektrum hinaus zu schauen, wäre nicht ihr Job. Erstaunlicherweise sind systematische Qualifikationsaktivitäten in den meisten Betrieben dennoch ausschließlich auf fachliche Fähigkeiten ausgerichtet. Gerade große Organisationen sowie komplexe Projekte oder Aufträge erfordern deutlich mehr als nur solide Fachkenntnisse. Kunden haben zunehmend die Erwartung, neben dem Produkt auch Lösungen angeboten zu bekommen. Die daraus entstehende Komplexität bedingt es, dass die Beteiligten auf Unterstützung untereinander zurückgreifen müssen. Notwendig ist die Zusammenarbeit in abteilungsübergreifenden Teams. Da also die Schnittstellenaufgaben erheblich zunehmen, steigen die Anforderungen an die prozessualen und interpersonellen Fähigkeiten wie Teaminteraktion und Führungsfähigkeiten einerseits sowie an die Prozesskenntnis andererseits. Die Mitarbeiterqualifizierung muss sich diesen Entwicklungen anpassen. Trainings müssen stärker darauf ausgerichtet sein, nicht-fachliche Qualifikationsdefizite abzubauen. Notwendig sind dazu sogenannte integrierte Trainings, die in Unterkapitel 8.2 beschrieben wurden. Das typische Training, in dem Sozial- oder Führungskompetenz vermittelt wird, ist meist als einmaliges, einfaches, ein- bis dreitägiges Event zur Wissensvermittlung aufgesetzt. Wenngleich dies eine gute Grundlage sein kann, so muss dem mehr folgen. Durch Seminare und Workshops kann bestenfalls ein Strohfeuer entzündet, kaum aber eine nachhaltige Verhaltensänderung ausgelöst werden. So zeigen Untersuchungen, dass Lernerfolge bereits nach 30 Tagen zu 90 % wieder erlöschen. Substanzielle Trainingserfolge lassen sich insofern nur dann erreichen, wenn den Qualifikationsmaßnahmen die kontinuierlich kontrollierte Anwendung des Erlernten unter realen Bedingungen nachfolgt. Hier bieten sich am ehesten Lessons Learnt Meetings oder auch kurze Debriefings an, die bei Cockpit-Besatzungen zum Alltag gehören. Sie sind im Nachgang zu nicht-fachlichen Grundlagentrainings eine effektive und preiswerte Methode für nachhaltige Kompetenzvermittlung. Darüber hinaus begünstigen sie die Schaffung einer betrieblichen Fehlerkultur.

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11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

11.3.3 Pfeiler 2: Prozesse und Regeln Die unzureichende Beherrschung komplexer Organisationsstrukturen ist einer der Hauptgründe für Defizite bei Effizienz und Qualität. Im Rahmen des täglichen Betriebsgeschehens wird gerade bei Audits offensichtlich, dass viele Mitarbeiter mit den formalen und prozessualen Anforderungen an ihr unmittelbares Arbeitsumfeld nicht hinreichend Schritt halten. So fällt es einem immer größeren Teil der Belegschaft angesichts einer wachsenden Unübersichtlichkeit der realen Prozesswelt zunehmend schwerer, den eigenen Verantwortungs- und Tätigkeitsbereich exakt zu benennen und die betrieblichen Zusammenhänge, insbesondere der vor- und nachgelagerten Stellen zu verstehen. In einem Umfeld indem schon altgediente Mitarbeiter kaum Schritt halten, fällt es neuen oftmals noch schwerer, sodass sich die Einweisung neuer Mitarbeiter entsprechend aufwendig gestaltet. Aufgrund der enormen Dokumentations- und Quellenvielfalt bietet auch die QM-Dokumentation wenig Abhilfe. Hier existiert in vielen Unternehmen eine Parallelwelt in Papier mit entsprechend geringer Mitarbeiterakzeptanz. Ein solches Umfeld bringt selbst das Qualitätsmanagement an Grenzen, denn es steht vor einem ähnlich gelagerten Problem. Denn es muss die gewachsene Regelungsdichte mit einem stetig steigenden Aufwand für die Aufrechterhaltung und entsprechender Einhaltungsüberwachung der gesetzlichen und normativen Forderungen administrieren. Einige Unternehmen setzen daher konsequent auf stringent gelebte und dokumentierte Prozesse (SOP), um zu definieren, wer in der betrieblichen Leistungserbringung was, wann, wie und womit auszuführen hat. SOPs fördern die Prozesssicherheit, weil sie regulierend und stabilisierend auf den Betriebsablauf wirken. Zugleich werden Abweichungen vom Normverhalten deutlich. Um Prozesse jedoch als systematischen und replizierbaren Ablauf zu etablieren, bedarf es zunächst einer genauen Kenntnis des Soll-Ablaufs. Erst in einem Folgeschritt kann ein klares Prozessverständnis geschult werden. Ein daraus entstehendes Prozesssystem, das auch als Vorgabedokumentation fungiert, erleichtert die Auseinandersetzung der Mitarbeiter mit ihren individuellen Prozessen und Rollen, durch • • • • •

prozessbasierte Visualisierung der Wertschöpfung, eine einheitliche, klare Prozesssprache, ein rollenbasiertes Informationskonzept, prozessschrittnahe Dokumentation, eine workflow-basierte Feedbackfunktion zur Mitteilung von Fehlern, Verbesserungspotenzialen, missverständlichen Formulierung, • die Einbindung der Mitarbeiter bei der Erstellung der Inhalte. Checklisten schaffen Qualität und Stabilität Ein weiteres wichtiges Instrument, um die Prozessstabilität und Regelkonformität zu gewährleisten, sind Checklisten. Diese stellen ein wirkungsvolles Instrument der Quali-

11.3  Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit

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tätssicherung dar. Es gibt keinen Berufspiloten, der sein Flugzeug ohne Checklisten fliegt. Auch nach Jahrzehnten im Beruf und tausenden Flügen greifen Piloten auf sie zurück. Immer. In der Luftfahrt werden Checklisten nämlich nicht als Eingrenzung verstanden, sondern als nützliches Tool, um Komplexität zu reduzieren und Stress vorzubeugen. Ihre Anwendung reduziert den Steuerungs- und Koordinationsaufwand und schafft so Kapazität für andere Aufgaben. „Selbst bei meinem letzten Flug nach 38 Jahren als Pilot der Lufthansa habe ich die Checklisten durchgearbeitet und zwar genau wie der Pilotenneuling am ersten Arbeitstag, der direkt von der Fliegerschule kommt. Hätte ich das auch ohne Checklisten geschafft? Aber sicher!“ Cpt. Jens Olthoff

Arbeiten Sie daher auch in ihrem Betrieb regelmäßig wiederkehrende Vorgänge mit Checklisten ab, zum Beispiel für die Erstellung von Angeboten, die Durchführung von Regelterminen, die Planung eines Subcontractings oder für die Verifizierung technischer Dokumente. Dabei darf es keine Rolle spielen, wie viele Jahre Sie bereits erfolgreich im Job sind. Mit Checklisten sollte gearbeitet werden auch oder gerade weil Sie die Tätigkeiten bereits unzählige Male ausgeführt haben. Vor allem bei routinierten Prozessen kann auch der Profi Details übersehen, insbesondere dann, wenn Prozessschritte nicht sequenziell, sondern parallel abzuarbeiten sind. Denken Sie an die Gefahren des Dirty Dozens, vor denen auch der erfahrene Mitarbeiter nicht gefeit ist (Abb. 11.3). Ohne eine stets systematische Vorbereitung werden Sie früher oder später in einem Kundentermin feststellen, dass Informationen oder Dokumente fehlen. Üblicherweise wird es Ihnen gelingen, solche Situationen zu überspielen und das Meeting noch zu retten. Kommen jedoch weitere Faktoren wie Stress, Beschwerden über Produktausfälle, Zeitdruck oder Ablenkung hinzu, laufen Sie Gefahr, bleibenden Schaden beim Kunden oder der Marge zu hinterlassen. Checklisten können dies verhindern. Sie gewährleisten eine gute Vorbereitung und geben Sicherheit für die anstehende Aufgabe. So könnte eine Checkliste für die Terminvorbereitung eines Kundenbesuchs beispielsweise folgende Punkte beinhalten: 1. Prüfung letzter Einträge im CRM-System (ggf. auch vom Kundenservice) 2. Prüfung, ob Terminbestätigung erfolgte 3. Kurzer Check der Rubrik „Aktuelles“ auf der Kundenwebseite 4. Sind Informationen, die Kollegen zuliefern sollten, vorhanden? 5. Themen, die besprochen werden sollen (z. B. Marktentwicklungen, aktuelle Kundenfragestellungen zu deren Kunden, Neuigkeiten aus dem eigenen Produktmanagement oder von den Servicetechnikern, neue Projekte, Entwicklungen, Personalien in der Kundenorganisation) 6. Konkreter nächster Handlungsschritt, den Sie oder der Kunde machen sollen, definiert?

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11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

Abb. 11.3   Pilotencheckliste

Checklisten sind in dem zugehörigen Prozess einzubetten, weil der Prozess das führende Element im Organisationsablauf ist. Die Inhalte der Checklisten werden also stark durch den Prozess vorgegeben. Für die Erstellung der meisten Checklisten muss daher die zugehörige Prozessbeschreibung existieren. Liegen diese im Betrieb nicht ausreichend vor, so sollte jeder Verantwortliche seine wichtigsten Prozessschritte für sich dokumentiert haben, um daraus Checklisten abzuleiten. Die Checklisten-Erstellung lässt

11.3  Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit

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sich relativ einfach bewerkstelligen, indem Sie Ihre Tätigkeiten über mehrere Tage notieren und anschließend in einer ruhigen Minute ordnen und einen idealen Weg skizzieren. Unter Umständen können Sie einen großen Teil der Arbeit an Ihre Assistenz oder einen Praktikanten auslagern. Der skizzierte Prozess lässt sich dann als Grundlage für eine Checkliste nutzen. Berücksichtigen Sie dabei insbesondere Prozessmeilensteine, also Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um Aufgabenschritte zu starten oder abzuschließen, z. B. Dokumente, Gremienentscheidungen, Unterschriften und Budgetfreigaben. Auch für Aufgaben einzelner Prozessschritte lassen sich Checklisten nutzen. Mit diesen können Sie Informationen systematisch abfragen und dokumentieren, die Auskunft darüber geben, ob bzw. dass die Aufgaben korrekt und vollständig abgearbeitet wurden:

11.3.4 Pfeiler 3: Infrastruktur Prozesseffizienz und -stabilität wird ebenfalls durch die Infrastruktur beeinflusst. Büros, Werkstätten, Produktionshallen und Teststände sowie Betriebsmittel wie Maschinen, Geräte, Messmittel, Werkzeuge und Arbeitsmittel sowie Lager- und Transportsysteme sind üblicherweise zwar nicht das Kernproblem betrieblicher Leistungserbringung, bieten aber dennoch Potenzial zur Steigerung von Prozesseffizienz und -stabilität. Einen essenziellen Bestandteil der Infrastruktur bildet nicht zuletzt eine zeitgemäße IT-Hardware und Software einschließlich Datensicherungssysteme und leistungsfähiger Datenanbindung. Jedoch gibt es noch immer Betriebe, die ihre IT unterschätzen, indem sie • die Potenziale der IT und der Digitalisierung – anders als ihre Wettbewerber und Kunden – nicht erkennen oder heben. • keine angemessenen Sicherungssysteme vorhalten, obgleich das betriebliche Vermögen nicht primär in Sachanlagen gebunden, sondern in Form von Daten in der EDV hinterlegt ist. Ein wichtiger Baustein für beherrschte Bedingungen in der Leistungserbringung bildet zudem die Arbeitsumgebung, die oft mehr noch als die Infrastruktur ursächlich für Ineffizienzen und Minderqualität ist. Ordnung und Sauberkeit (siehe auch 5S), die Arbeitsplatzergonomie sowie Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Ventilation oder Lärm sind Voraussetzungen für schnelle und anforderungsgerechte Arbeitsausführung. Deren Nichtbeachtung führt auch bei gut qualifizierten Mitarbeitern zu menschlichen Fehlern.

11.3.5 Pfeiler 4: Organisationsentwicklung Untersuchungen zeigen, dass Mitarbeitererfolge nicht allein durch Einzelleistungen bestimmt werden. So haben Jensen und Pfaff ermittelt, dass Mitarbeitermanagement (Führung) für bis zu 70 % der Mitarbeiterperformance verantwortlich ist. Verwundern mag höchstens die Höhe dieses Werts, nicht aber der Umstand selbst. Die Konsequenz

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11  Spitzenleistung durch Exzellenz in der Industrie

daraus kann nur bedeuten, dass ein Betrieb sicherstellt, dass Abteilungen oder Teams aktiv geführt und nicht nur administriert werden. Betriebliche Führung darf also nicht darauf begrenzt sein, möglichst geeignete Mitarbeiter einzustellen, diese von Zeit zu Zeit an die positiven Kennzahlen der abgelaufenen Periode zu erinnern, zu mehr Leistung anzuspornen und einmal im Jahr ein Mitarbeitergespräch zu führen. Führung ist bei diesem Vorgehen weitestgehend auf die Auftragsabarbeitung beschränkt und lässt systematische Maßnahmen zur Erreichung der Mitarbeiterbedürfnisse außer Acht. Auch jährliche Ergebnisbeteiligungen werden das Problem nicht nachhaltig lösen. Finanzielle Instrumente können keine Führungsfunktion übernehmen. Dies gilt umso mehr, weil Geld ohnehin nur bis zu einem gewissen Grad als Anreizmechanismus wirkt. Die Unfähigkeit vieler Unternehmen, aus diesem Muster auszubrechen, hat ihren Grund: Viele Chefs haben keine Vorstellung, keine Vision, keine Blaupause, wie eine leistungsfähige Organisationssteuerung und -führung aussehen kann. Oft fallen diese Defizite nicht auf oder sie bleiben folgenlos, denn Zielvereinbarungsgespräche, Mitarbeiterentwicklungsgespräche und ähnliche Führungstools werden in Industriebetrieben zwar grundsätzlich eingesetzt, sie sind aber in den meisten Fachabteilungen ausbaufähig. Dennoch kommen Führungskräfte nicht umhin, wirkungsvolle Führungsinstrumente zum Einsatz zu bringen, die Transparenz schaffen, klare Ablaufregeln durchsetzen und dem Mitarbeiter so nicht nur Ziele, sondern auch Wege zu deren Erreichen vorgeben. Die Anwendung zukunftsorientierter Methoden der Organisationssteuerung setzt natürlich voraus, dass diese hinreichend bekannt sind. Viele Leitungskräfte tun sich damit jedoch mangels (Umsetzungs-)Kenntnis schwer. Dies fängt bereits bei den Zielvorgaben, der Zielorientierung und der Zielverfolgung an. Denn um den Fortschritt der eigenen Organisationsentwicklung systematisch bestimmen zu können, muss die Unternehmensleitung regelmäßig strategische Arbeit leisten, indem sie betriebliche Ziele festlegt. Idealerweise sollte die Zielformulierung Hinweise auf die Mittel und Wege der Umsetzung enthalten, um so den Abstraktionsgrad zu reduzieren. Die Mitarbeiter müssen die Ziele verstehen und es muss ihnen deutlich werden, wohin sie das Management „mitnehmen“ will. Umsatzziele alleine sind dazu nicht ausreichend. So sind beispielsweise auch individuelle Ablauf- und Verhaltensziele vorzugeben und klare Erwartungen zu formulieren. Um die Bedeutung und den Umsetzungswillen der Ziele zu unterstreichen, sollten diese intensiv kommuniziert werden – sowohl individuell als auch aggregiert – und es sollte kontinuierlich über den Fortschritt der Zielerreichung berichtet werden. Neben einer konsequenten Zielausrichtung zählt die Prozessdefinition, Prozesseinhaltung und Prozessstandardisierung zu jenen Aufgaben, die von industriellen Führungskräften mit mehr Nachdruck voranzutreiben sind. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Prozesse so ausgerichtet sind, dass sich mit ihnen die betrieblichen Ziele erreichen lassen. Ein zu großer Teil von Leistungseinbußen ist immer noch darauf zurückzuführen,

11.3  Die Bedeutung von Kundennutzen und Kundenzufriedenheit

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dass es den Mitarbeitern nur selten gelingt, ein volles Bild ihres Handlungsfelds oder gar der gesamten Unternehmensstruktur zu erfassen. Sie nehmen ihren eigenen Arbeitsbereich zu sehr als isolierten Schnappschuss auf. Schon an den ersten Schnittstellen endet der persönliche Horizont. Beschwerden übrigens, dass neue Prozesse nicht gelebt werden und Trainingswissen nicht angewendet wird, greifen oft zu kurz. Zunächst ist nämlich die Frage zu stellen, inwieweit die Leitung selbst hinter den Veränderungen steht und für diese wirbt. Zudem ist die Frage zu stellen, ob die Mitarbeiter hinreichend in ihre Prozesse eingewiesen werden. Zugleich müssen die Einweisungen den Bedürfnissen und Schwächen der Mitarbeiter gerecht werden, weil Prozesse nur dann nachhaltig gelebt werden können. Gute Leitungskräfte unternehmen somit alles, damit die Prozessvorgaben konsequent verstanden und umgesetzt werden. Ziel muss es sein, industrielle Exzellenz standardmäßig durch leistungsfähige Prozesse sicherzustellen – soweit es geht unabhängig von der Leistung Einzelner. Ist die Performance nicht ausreichend, muss sich die Führung auch die Frage stellen, ob die Prozesseinhaltung mit Nachdruck eingefordert wird. Hier spielen neben einer aktiven Wirksamkeitskontrolle auch die Führungs- und die Organisationskultur eine wichtige Rolle. Weitere Problemquellen ergeben sich zudem aus Abteilungsdenken, mangelnden Standards bei Routinetätigkeiten sowie aus Selbstgefälligkeit oder Gleichgültigkeit. Die damit verbundenen Risiken können nur beseitigt oder zumindest beherrscht werden, wenn alle Abläufe und Verfahren nachvollziehbar festgelegt wurden, wenn Aufgaben und Verantwortlichkeiten eindeutig zugeordnet werden, den Mitarbeitern bekannt sind und wenn diese danach handeln. Der Erfolg von Maßnahmen zur Verbesserung der Effizienz und Prozessorientierung steht und fällt mit der Akzeptanz und dem Durchsetzungswillen des leitenden Personals: Sie müssen die Neuausrichtung der Organisationsstrukturen nicht nur vollumfänglich unterstützen, sondern täglich vorleben. Die Etablierung einer neuen Organisationskultur ist dabei nicht von heute auf morgen zu erreichen. Hierzu muss eine kontinuierliche Sensibilisierung für eine systematische Prozessorientierung geschaffen werden. Dies gelingt am ehesten durch Reflexion. Mitarbeiter müssen ein Problembewusstsein nicht nur für die eigenen Schwierigkeiten, sondern für die Herausforderungen in der gesamten Prozesskette entwickeln, insbesondere für die Fehlerquellen und die Risiken.

Team Resource Management

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Unternehmenslenker die ihre Führungsaufgaben konsequent erfüllen und leben, gehören in der Regel bereits zu den Spitzenreitern im Hinblick auf industrielle Exzellenz. Dazu reichen klare Ziele, Prozesse und qualifiziertes Personal jedoch nicht aus. Einen wesentlichen Ansatzpunkt für Verbesserungen in der Industrie bildet vor allem die Einbeziehung des Faktors Mensch. Nur wenn auch die menschlichen Eigenarten und Fehler konsequent angegangen und aufgearbeitet werden, ist der Weg frei für nachhaltige industrielle Exzellenz. Hierzu bedarf es in den meisten Betrieben einer Neuausrichtung der Team- und Führungsinstrumente. Die Luftfahrt hat dazu sehr erfolgreich das Crew Resource Management (CRM) eingeführt. Analog können betriebliche Ressourcen über ein Team Resource Management optimiert werden, um menschlichen Fehlern vorzubeugen. Schließlich gehören die zentralen CRM-Bestandteile Teamwork, Führung, Entscheidungsfindung, Kommunikation, Situationsbewusstsein und Workload-Management auch in der Industrie zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren. Eine systematisch geplante Herangehensweise zur Anwendung und Weiterentwicklung einer oder mehrerer dieser Instrumente und Methoden fehlt jedoch in den meisten industriell geprägten Unternehmen.

12.1 Dreiklang in der Industrie – ein ganzheitlicher Ansatz Im industriellen Alltag stehen Mitarbeiter oft vor der Notwendigkeit vom Standardvorgehen abzuweichen, um Kundenanforderungen gerecht zu werden oder um komplizierte Zulieferer zur Änderung einer bereits ausgelösten Bestellung zu bewegen. In der betrieblichen Praxis sehen sich Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen mit organisatorischer Komplexität, einer Vielzahl von Schnittstellen und umfassenden interpersonellen Interaktionen konfrontiert. Hinzu kommt ein ständig zunehmender Dokumentations© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0_12

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12  Team Resource Management

Abb. 12.1   Ganzheitliche Aufstellung in der Industrie

aufwand. Unter diesen Bedingungen entstehen oftmals Situationen mit Zeit- und Handlungsdruck, nicht selten bei Entscheidungsfindung unter Unsicherheit. Ein solches Umfeld bildet die optimale Konstellation für falsche Entscheidungen und Handlungen. Um das Risiko von Fehlverhalten und Verschwendung wertvoller Zeit zu minimieren, kann ein Team Resource Management wirkungsvolle und zugleich leistungssteigernde Vorbeugungsmaßnahmen liefern. Hier sind Teamwork, Kommunikation, Gruppennormen und Führung gefragt. Zur Erreichung industrieller Exzellenz ist es unverzichtbar, diese Soft-Skills mit dem fachlichen und dem prozessualen Know-how der Abteilung oder des Teams zu paaren (Abb. 12.1). Eine gesunde Ausbalancierung dieser drei Faktoren führt im Ergebnis zu mehr und sichererem Schaffen in der gleichen Zeit. Wo liegen jedoch die Schwächen in der betrieblichen Umsetzung dieses ganzheitlichen Ansatzes?

12.1.1 Fach- und Kundenwissen Über zu geringes fachliches Produktwissen äußern Kunden fast nie Unmut. Im Gegenteil, Kunden fühlen sich nicht verstanden und beklagen die einseitige Aufzählung von Produktdetails und Features. Dies ist wenig verwunderlich, schließlich wird ProduktKnow-how in den meisten Unternehmen ausreichend geschult. Was jedoch fehlt, ist allzu oft ein Verständnis für den Gesamtkontext einer Wertschöpfung und dem eigenen Beitrag einschließlich den Auswirkungen eigenen Handelns auf das Gesamtergebnis. Für mehr Kundennähe wäre es auch wichtig zu wissen, was die Mitarbeiter für wen fertigen und wie die Produkte bei diesem genutzt werden. Oft ist dies – gerade auf Shopfloor-Ebene – nicht bekannt. Ziel muss es sein, das betriebliche Wissen um das Wettbewerbsumfeld der Kundenorganisation breit aufzustellen. Kunden sehen sich schließlich selbst einer intensiven Konkurrenzsituation gegenüber. Für deren Beherrschung brauchen sie Lösungen. Nicht nur Vertriebsabteilungen benötigen also jenseits des Produktwissens ein sehr gutes Verständnis des Kunden. Eine solide Analyse des Kundenumfelds sollte auf den fünf Wettbewerbsfaktoren Kunden, Zulieferer, Wettbewerber, alternative Produkte und potenzielle Neueinsteiger beruhen. In diesem Zuge sind z. B. folgende Fragen zu beantworten:

12.1  Dreiklang in der Industrie – ein ganzheitlicher Ansatz

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• Wer sind die Kunden unseres Kunden und was zeichnet deren Nachfrageverhalten aus? • Was ist der Wertbeitrag unseres eigenen Produkts zur Wettbewerbsfähigkeit für den Kunden? • Was zeichnet das Wettbewerbsumfeld des Kunden aus? Wer sind die stärksten Wettbewerber? • Sehen sich Kunden neuen Wettbewerbern oder Technologien ausgesetzt? Neben diesen noch recht einfach zu ermittelnden Daten zur Unternehmensstruktur, zu Absatzmärkten, Umsatzzahlen, Produktpaletten und Organigramme, müssen vor allem auch die Einschätzungen der handelnden Personen und Entscheider eingefangen werden. Es geht darum, deren Herausforderungen, Motivation, Strategien sowie Sorgen und Nöte zu verstehen. Nur so werden Sie selbst systematisch erkennen, wie Sie sich in diesem Umfeld mit Ihrer Leistung zu positionieren haben. Die tieferen Beweggründe für das Kaufverhalten der Kunden werden nur selten ausreichend systematisch analysiert. In vielen Unternehmen ist nicht einmal das Bewusstsein vorhanden, wie wichtig eine solche Kunden-Intelligence ist. So ist es nur eingeschränkt möglich, aus den eigenen Produkten den konkreten Nutzen für potenzielle Kunden abzuleiten. Um einen Vergleich mit der Luftfahrt heranzuziehen: Mit fliegerischen Fähigkeiten der 1960er Jahre wird versucht, einen modernen Airbus zu fliegen.

12.1.2 Prozesswissen Prozesswissen besteht aus der Kenntnis der Abläufe im eigenen Unternehmen einerseits sowie der Auftragsabwicklung in der Lieferkette andererseits. Die Probleme fangen dabei meist schon im Einflussbereich der eigenen Organisation an. Denn die entsprechenden Prozesse sind zu oft gar nicht oder nicht hinreichend detailliert vorgegeben oder die Abteilungsleitung achtet nicht konsequent auf deren Einhaltung. In diesen Fällen kann es kein einheitliches Vorgehen in der Auftragsabarbeitung geben. An die grobe Linie halten sich die Beteiligten zwar im Normalfall; jedoch steckt der Teufel bekanntermaßen im Detail. Standardisierung und Formalisierung der Wertschöpfung sind daher notwendig, um Abweichungen vom Normverhalten sofort sichtbar zu machen und so das Fehlerrisiko zu minimieren. Prozesse sollen den Mitarbeiter bei den alltäglichen Standardaufgaben unterstützen. Sie ersetzen aber nicht die technischen Produktvorgaben und auch nicht den gesunden Menschenverstand. Prozesse verschaffen dem Mitarbeiter Kapazität für das Besondere, da für den geregelten Ablauf von Standardaktivitäten gesorgt ist, z. B. durch kurzfristigen Ausfall eines Kollegen, falsche oder verspätete Materiallieferung sowie Fehler oder Unklarheiten in einer Zeichnung. Ein einheitliches Vorgehen mit Standards vereinfacht es zudem, Aufgaben vom teuren, höher qualifizierten Mitarbeitern auf Assistenzen, Hilfskräfte oder in nachgelagerte Bereiche überzuleiten. Hierdurch kann unter

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Umständen überdies die Motivation gesteigert und idealerweise auch die Fehlerrate reduziert werden. Für eine Standardisierung müssen Aufgaben, Verantwortlichkeiten sowie ggf. Terminoder Zeitvorgaben auch für einzelne Prozessschritte, also auf unterster Tätigkeitsebene, festgelegt sein. Hierfür kommt oft auch ein erweiterter IT-Einsatz infrage. Dabei ist genau zu prüfen, ob IT-Systeme die Prozesse bestimmen sollten. Sie sind ein unterstützendes Hilfsmittel, sodass auch bei umfassender IT-Nutzung vor allem die Prozessanforderungen führend sein müssen.

12.1.3 Interpersonelle Fähigkeiten Die systematische Anwendung interpersoneller Fähigkeiten wird im betrieblichen Alltag meist sträflich vernachlässigt. Allzu oft arbeiten die Abteilungen nebeneinander auf die Auftragsabarbeitung hin, anstatt abgestimmt im Team zu agieren. Für jeden deutlich wird dieses Verhalten in Team-Trainings, wenn bei Simulationen von realen Situationen wesentliche Informationen unter den Teilnehmern regelmäßig nicht ausgetauscht werden. Ob im Training oder im betrieblichen Alltag – es ist oft keine bewusste Zurückhaltung im Spiel. Die Ursache liegt neben unklaren Prozessen vor allem in wenig vorausschauender Kommunikation und fehlendem Bewusstsein für die Bedeutung von Informationen im Teamumfeld. Jedem sind die folgenden Ausflüchte bekannt: • • • •

Das ist doch eine Basisinformation, ich dachte das wäre längst bekannt. War das wirklich so wichtig? Das wurde doch im Meeting so geäußert, als wir alle dabei waren. Der Kunde hat dies nicht explizit gesagt, aber mir war klar, was er meinte, auch wenn er es nicht genau so ausdrückte. • Die Information hatte ich doch weitergeleitet. • Das habe ich CRM-System erfasst, es hat nur sonst keiner gelesen. • Oh, das hatte ich vergessen, in die Runde zu geben. Die Zauberworte lauten hier Abstimmung und Teamwork. Alle Akteure des Wertschöpfungsprozesses müssen ihre Informationen aktiv und systematisch austauschen wollen und können. In einer Diskussion zu den Bedürfnissen eines Kunden darf daher nicht nur der extrovertierte, wortgewaltige Verkäufer zu Wort kommen, sondern auch der in seiner eigenen Welt lebende Software-Entwickler, die sehr zahlenverliebte Controllerin, der allzu technisch orientierte Produktionsingenieur oder der stets ausschweifende Arbeitsplaner. Gute Projektmeetings zeichnen sich dadurch aus, dass z. B. auch der schweigsame Servicetechniker, der viele Vor-Ort-Einblicke beim Kunden hat, sein Wissen einbringen kann oder dass der viel zu spät kommende Produktmanager mit seinen Marktkenntnissen noch zu Wort kommt. Während also Vielredner eher zu bremsen sind, müssen andere Teammitglieder oft explizit aufgefordert werden, ihr Wissen zu teilen.

12.1  Dreiklang in der Industrie – ein ganzheitlicher Ansatz

129

Wie in Unterkapitel 6.3 dargelegt, helfen hier klare Kommunikationsregeln für eine effektive Meeting-Gestaltung. Mindestens ebenso viel Wert ist eine gute Meeting-Führung. Stellen Sie sicher, dass diese Aufgaben ein Kollege mit ausgleichendem, aber sehr zielorientiertem Moderationsstil übernimmt. Auch wenn der Produktions- oder Projektleiter letztendlich die Verantwortung trägt und die Entscheidung zu fällen hat, so unterstützt ihn das Team bei der Faktensammlung, der Ableitung von Optionen sowie der Bewertung von Chancen und Risiken. Die Teameinbindung ist nicht nur für die Meinungsbildung wichtig, sondern auch deshalb, weil dem Entscheider über den gesamten Wertschöpfungsprozess nicht immer alle entscheidungsrelevanten Details bekannt oder präsent sind. Gehen Sie in ihren wöchentlichen Abstimmungsmeetings übrigens nicht nur auf die noch laufenden Aufträge oder Projekte ein.

12.1.4 Fehlerkultur Für die erfolgreiche Implementierung eines Team Resource Managements ist zudem parallel die Etablierung einer Fehlerkultur notwendig. Im betrieblichen Alltag werden Fehler gern übersehen, ignoriert oder allzu schnell behoben. Dies hat zwar den Vorteil, dass sich der Blick rasch wieder auf die eigentlichen Aufgaben und die Kunden richtet. Jedoch werden so die tieferen Ursachen, Häufungen oder Ähnlichkeiten im Fehlermuster außer Acht gelassen. In einem solchen Umfeld ist es kaum möglich, nachhaltige Verbesserungen oder Lerneffekte zu erzielen. Die Führung muss Fehler daher durch systematische Ursachenanalysen aktiv angehen. Daraus muss sie Korrekturmaßnahmen ableiten, umsetzen und in ihrer Wirksamkeit überwachen. So lässt sich beispielsweise eine Fehleranalyse im Hinblick auf fehlerhaft produzierte entsprechend der 5W-Methode durchführen. Viele Unternehmen nutzen dieses Tool bereits, bleiben dabei aber meist halbherzig an der Oberfläche, nämlich bei den Fehlersymptomen, ohne zu den tieferen Ursachen vorzudringen. Besprechen Sie – zwecks Lessons Learnt – in regelmäßigen Meetings auch die Gründe, warum abgeschlossene Aufträge nicht optimal endeten oder weshalb bestimmte vorherige Verkaufsgelegenheiten nicht gewonnen wurden. Analysieren Sie dabei nüchtern und ohne Schuldzuweisungen. Ursachenanalyse nach der 5W-Methode (5W = „5x warum“ fragen) Im Auffangbecken der CNC Maschine sind in den vergangenen Tagen mehr als 50 zerkratze Teile aufgelaufen 1. Warum sind die Teile verkratzt? Der Schieber im Auffangbecken schob nicht im Takt der einfallenden Teile, sodass die Teile vom Förderband auf bereits im Becken befindliche Teile fielen. 2. Warum fielen Teile auf bereits im Becken befindliche Teile? Bei der Einspielung des CNC Programms muss der Schieber vom Maschinenbediener separat aktiviert und verknüpft werden. Dies wurde versäumt.

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3. Warum hat es der Maschinenbediener versäumt, den Schieber zu aktivieren? a) Im entsprechenden Zeitraum gab es immer wieder Probleme beim Rüsten einer anderen Maschine, die gepaart mit der Mehrmaschinenbedienung Ablenkung und erhöhten Stress beim verantwortlichen Mitarbeiter (Human Factors) ausgelöst haben. b) Das Problem trat bereits früher auf, existiert auch ein Non-Conformity Report – jedoch war eine Ermahnung der Mitarbeiter als Maßnahme nicht langfristig wirksam 4. Warum hat die Maßnahme nicht langfristig gegriffen. Der Betrieb legt den Fokus auf Symptomanalysen, jedoch nicht auf systematische Fehleranalysen und innerbetriebliche Kommunikation 5. Warum führt der Betrieb keine angemessenen Ursachenanalysen durch? a) Das QM Personal ist nicht hinreichend für Fehleranalysen qualifiziert (Hinterfragen, 5 Why, Ishikawa) b) Kapazitätsengpässe im Qualitätsmanagement

12.2 Betriebliche Implementierung Große Veränderungen erfolgen nicht notwendigerweise allein deshalb, weil sie ökonomisch sinnvoll oder möglich sind. Zwingende Voraussetzung für umfassende Reformen sind schwerer ökonomischer Druck, rechtliche Vorgaben oder der unbedingte Veränderungswille einzelner einflussreicher Leitungskräfte. Dies verwundert nicht, schließlich erfordern umfangreiche betriebliche Änderungen finanzielle Mittel, Zeit und eine konsequente Umsetzungsverfolgung. Der Luftfahrt sind fundamentale Reformen in der Team- und Mitarbeiterführung gelungen, wenn auch nicht über Nacht. Bedingt durch schwere Unfälle hat die Luftfahrt sowohl aus existenziellen wirtschaftlichen Eigeninteressen als auch aufgrund gesetzlicher Regelungen substanzielle Organisationsänderungen vorgenommen. Airlines haben ihre Prozesse neu ausgerichtet und einen Kulturwandel vollzogen. Die Mitarbeiter wurden auf diesem Weg konsequent durch integriertes Training mitgenommen. „Rückblickend bin ich beeindruckt, dass uns dieser Wandel – der von vielen als nicht lösbare Aufgabe angesehen wurde – so nachhaltig, erfolgreich und mit professioneller Überzeugung gelungen ist.“ Cpt. Jens Olthoff

12.2.1 Treiber für Veränderungen Nachhaltige und spürbare betriebliche Veränderungsprozesse werden selten ohne Anlass initiiert. In der Industrie ist weder mit gesetzlichen Regeln für ein industrielles Human Factors Management zu rechnen, noch steht zu erwarten, dass die Kritik von Unternehmensleitung oder Eigentümern an Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit ansetzen wird, wenn es darum geht, Effizienz oder Ergebnis zu steigern. Die betrieblichen Top-Entscheider werden sich auch zukünftig mit allgemeinen Aussagen zur Unternehmensentwicklung zufrieden geben und nicht nach neuen Konzepten der

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Organisationssteuerung fragen. Auch Kunde werden in den seltensten Fällen substanzielle Maßnahmen zur Fehlerreduzierung und Effizienzsteigerung fordern, wie wir Sie hier vorgestellt haben. Insofern bedarf es eines anderen großen Gewichts, um das betriebliches Leistungsniveau auf ein höheres Niveau zu heben. Es braucht daher Enthusiasten in den Führungsetagen, die sich betrieblicher Veränderungen annehmen und sie konsequent verfolgen. Der Wandel kann also am ehesten von Persönlichkeiten im Management getrieben werden. Wie stark der Einfluss von einzelnen Personen dabei ist, zeigen bekannte Beispiele: das Streben nach intuitiver Bedienerfreundlichkeit bei Apple ist stark von Steve Jobs geprägt worden und der Qualitätsfokus bei VW durch Ferdinand Piech.

12.2.2 Budgets: Investitionspläne in Wettbewerbsvorteile wandeln Maßnahmen zur Erzielung besserer Prozessergebnisse erfordern für ihre Umsetzung zunächst mehr Geld. Hierfür müssen die intern notwendigen Budgets akquiriert werden. Der Ressourcen anfordernde Mitarbeiter muss Nutzen schaffen und diesen in der Sprache der Entscheider kommunizieren. Wenn Sie Veränderungen in Ihrer Organisation verkaufen müssen, wissen Sie, dass Floskeln wie: „Wir müssen die Prozesse verbessern“, Sie nicht weiterbringen. Damit kann schließlich niemand etwas anfangen. Führungskräfte sind kostenstellenverantwortlich und wollen idealerweise quantifizierbare Kostenreduktionen. So gelingt es, die volle Aufmerksamkeit des Managements zu erhalten. Ist eine Quantifizierung nur schwer darstellbar, müssen Sie zumindest den Nutzen möglichst klar herausstellen. Werden Sie bei der Umsetzungsplanung konkret: Nennen Sie Termine, Verantwortlichkeiten und Maßnahmen sowie Argumente, warum die Maßnahme erfolgreich sein wird. Bringen Sie (Rechen-)Beispiele aus der Vergangenheit und zeigen Sie anhand dieser nachvollziehbar auf, welchen Nutzen die avisierte Maßnahme in Form von Verbesserungen in der Sicherheit, von Kosten- und Zeitersparnissen oder von Umsatzwachstum gebracht hat. Zeigen Sie die tatsächlichen Kosten von Fehlern auf. Gehen Sie bei Ihren Ausführungen übrigens nicht davon aus, dass alle Entscheidungsträger mit ihrem Arbeitsbzw. Aufgabenumfeld vertraut sind. Daher müssen Sie ggf. auch Hintergründe erläutern und Maßnahmen begründen. Je einfacher und nachvollziehbarer Ihre Ausführung desto besser. Scheuen Sie sich nicht vor Formulierungen auf (erweitertem) Grundschulniveau.

12.2.3 Stringente Umsetzung Natürlich reicht es nicht aus, Änderungen nur zu predigen. Appelle wie: „Sie müssen doch“, oder: „Wir sollten“, bleiben wirkungslos. Diese haben nämlich eher das Gewicht einer Feder (Abb. 12.2). Dies gilt umso mehr, wenn die Betroffenen keinen monetären

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Abb. 12.2   Die Treiber von Veränderungen

oder arbeitserleichternden Nutzen aus den Maßnahmen ziehen. In diesem Fall lässt sich ein Wandel in der Organisation und eine Neuausrichtung der Organisationskultur nur dann bis in den betrieblichen Alltag tragen, wenn die Änderungen mit Nachdruck in diesen hineinreichen und zur Routine werden. Erleichtert wird die Umsetzung von Veränderungsmaßnahmen, wenn deren Erreichung in den Mitarbeiterzielen bzw. -vorgaben Berücksichtigung findet. Hierzu sollten alle drei Ebenen unseres ganzheitlichen Ansatzes berücksichtigt werden: die fachlichen, prozessualen und interpersonellen Leistungen. Die wichtigsten betrieblichen Erfolgstreiber müssen dazu stets präsent sein und bleiben: • Identifizierung der Pain-Points des Kunden und nicht nur der formulierten Kundenanforderungen, um als Problemlöser präsent zu sein und nicht bloß als einer von vielen Lieferanten, • Konsequente Umsetzung der definierten Prozessschritte in Auftragsakquise und -abarbeitung, • Art und Umfang der Teamorientierung (hierzu ist die 360 Grad Bewertung ein hilfreiches Instrument), • Sicherstellung und Aufrechterhaltung hoher Personalqualifikation, inkl. eines Bewusstseins für Qualität, die Wichtigkeit der Einhaltung betrieblicher Prozesse und die eigene Rolle innerhalb der gesamten betrieblichen Wertschöpfung.

12.2.4 Nachhaltigkeit sicherstellen mit Prozesscontrolling Es ist unerlässlich, zu erkennen, ob und wie die ergriffenen Aktivitäten wirken und wo nachjustiert werden muss. Hier leistet eine Messung der Erfolge Abhilfe. Insofern kommt dem Prozesscontrolling eine wichtige Bedeutung zu. Das häufigste Problem im betrieblichen Alltag ist jedoch, das aussagekräftige Prozesskennzahlen nur selten konsequent erhoben und Maßnahmen bei Abweichungen von Sollwerten abgeleitet werden. Der Plan-Do-Check-Act Kreislauf (PDCA) ist in den meisten Betrieben also nicht

12.2  Betriebliche Implementierung

133

wirksam eingerichtet. Entweder mangelt es an der grundsätzlichen Erhebung der richtigen Key Performance Indikatoren (KPIs) oder Prozesskennzahlen werden nicht oft genug erhoben oder sie weisen zu große Ungenauigkeiten auf. Hinzu kommt, dass bei Abweichungen von Zielwerten keine angemessenen Maßnahmen angewiesen oder nachhaltig verfolgt werden. Solange aber der PDCA-Zyklus nicht wirksam ist und solange sich die betriebliche Führung bzw. Steuerung mehr an finanziellen Kennzahlen und nicht an der Prozessleistung ausrichtet, wird sich auf Dauer keine nennenswerte Verbesserung einstellen. Controlling darf sich also nicht nur auf finanzwirtschaftliche Messgrößen beziehen. Wichtig ist vor allem auch die qualitätsorientierte Überwachung der Prozessleistung mit objektiv messbaren Kriterien. Ob Geschäftsführung, Entwicklungs- oder Produktionsleiter, ob Schicht- oder Teamleiter, jeder muss sich die Frage stellen, wann das eigene Team eine gute Leistung vollbringt. Es geht also um die Frage, wann die betrieblichen Prozesse als erfolgreich bezeichnet werden können, z. B. wenn • die Präzision in der Meilensteinplanung des Entwicklungsengineerings im Korridor von plus/minus x Prozent gewesen ist. • die Liefertermintreue und die Produktkonformität größer Wert X ist. • die monatlichen Lauf- bzw. Rüstzeiten der CNC-Maschinen innerhalb der definierten Soll-Werte liegen. • die Nacharbeit oder der Ausschuss kleiner x Prozent gewesen ist. Für derartige qualitätsorientierte Prozesskennzahlen gilt es, Zielgrößen zu bestimmen, die dann unterjährig, i. d. R. mindestens monatlich erhoben und verfolgt werden. An deren Erreichung sollte sich dann auch die Vergütung der entsprechenden Führungskräfte ausrichten.

12.2.5 Kulturwandel: konsequente Neuausrichtung des Betriebs Die innerbetriebliche Schaffung einer angemessenen Mitarbeiterakzeptanz der neuen betrieblichen Ausrichtung stellt die wohl größte Herausforderung dar. Industrielle Exzellenz ist kein Zauberwerk, sondern das Ergebnis von Disziplin und Transparenz durch systematisch geplante und durchgeführte sowie strukturiert überwachte Prozesse. Daher besteht die Gefahr, dass gerade die stringente und verbindliche Anwendung von SOPs in der täglichen Praxis am Umsetzungswillen eines manchen Beteiligten zu scheitern droht. Hinzu kommt, dass viele Mitarbeiter auch mit ihrem gegenwärtigen Vorgehen auf eine Serie von guten Ergebnissen zurückblicken können und auch aktuell durchaus (noch) erfolgreich in ihrem Job aktiv sein können. Daher ist die Neuausrichtung der Organisationskultur regelmäßig ein längerer Lernprozess, der nur durch Überzeugungsarbeit, Vorgaben und Incentives nachhaltig gelingen kann.

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Mit den vorgestellten Maßnahmen aus der Luftfahrt kann das Fundament zu einer leistungsfähigeren industriellen Wertschöpfung geschaffen werden. Doch letztlich muss es auch gelingen, den hinter diesen Instrumenten stehenden Leitgedanken in der Organisationskultur zu verankern und zum integralen Bestandteil des betrieblichen Alltags zu machen. Der Erfolg einer neuen Unternehmenskultur steht und fällt daher mit der Akzeptanz und dem Durchsetzungswillen des leitenden Personals: Sie müssen die betrieblichen Änderungsmaßnahmen und die Neuausrichtung der Kultur vollumfänglich unterstützen und auch vorleben. Führungskräften und Mitarbeitern wird es nur auf diesem Wege gelingen, das Denken in Einzelaufträgen, Arbeitskarten und Bestellungen zugunsten eines Denkens in Prozessen und mitarbeiterspezifischen Wertbeiträgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Kunden in die DNA der eigenen Organisation zu ersetzen.

Nachwort

Wir hoffen, dass Sie beim Lesen dieses Buches mehrfach innegehalten und gedacht haben: „Das ist ja genauso wie in meinem Umfeld!“. Das würde wenig verwundern, denn unsere Beispiele dokumentieren menschliches Verhalten – und das ist branchenunabhängig anzutreffen, bei Vertrieblern, Ingenieuren, Planern und Facharbeitern ebenso wie bei Piloten, Ärzten oder Steuerberatern. Die hier vorgestellten Methoden und Konzepte führen zu mehr Struktur und Systematik in der Industrie. Wie in vielen anderen Lebensbereichen sind dazu aktives Handeln, die Nutzung der Tools sowie in Teilen auch Training notwendig. Insbesondere interpersonelle Fähigkeiten erlernen wir nicht allein durch Lesen. Wir empfehlen daher auch zusätzliche Workshops. Wenn Sie diesen Weg in Begleitung gehen möchten, unterstützen wir Sie gern. Unabhängig davon freuen wir uns über Rezensionen und Ihr ganz persönliches Feedback, ob und wie Sie seit der Lektüre dieses Buchs noch besser arbeiten. Sie erreichen uns über die Website www.aeroimpulse.de oder per E-Mail (Prof. Dr. Martin Hinsch: [email protected]).

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0

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Stichwortverzeichnis

A Ablenkung, 43 Anforderungsanalyse, 93 Apathie, 44 Arbeitsatmosphäre, 58 Arbeitsbelastung, 29, 67 Arbeitsumgebung, 37 Assessment-Center, 83, 92 Aufmerksamkeit, 29, 30, 45

B Briefing, 33, 61, 67, 90

C Checklisten, 28, 45, 65, 118 Crew Resource Management (CRM), 16, 17, 25, 51, 125, 126

D Debriefing, 41, 54, 61, 63, 67, 84, 90 Dirty Dozen, 39, 101, 111, 119 Ablenkung, 43 Druck, 42 fehlende Durchsetzungsfähigkeit, 43 Mangel an Kommunikation, 40 Mangel an Ressourcen, 48 Mangel an Teamwork, 41 Mangel an Wissen, 47 Selbstgefälligkeit, 44 soziale Normen, 42 Stress, 46

Druck, 34, 42 Durchsetzungsvermögen, 43

E Eisberg-Modell, 100 Entscheidungsfindung, 56 Ermüdung, 67 Exzellenz industrielle, 125

F Fehlerbewusstsein, 101 Fehlerkultur, 17, 36, 99, 101, 129 Fehlerreflexion, 100–102 Flugzeugunglück Florida – Everglades, 15, 67 San Francisco – Asiana, 41 Smolensk, 34 Teneriffa, 23 Zürich-Kloten, 36 Fly the Aircraft first, 111 FORDEC-Modell, 57 Führung, 32, 55, 57, 82, 92 Führungsstil, 55

G Gedächtnisleistung, 27, 29, 40 Gruppenverantwortung, 34 Gruppenzwang, 35

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Hinsch und J. Olthoff, Human Factors in der Industrie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-59759-0

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Stichwortverzeichnis

H Human Errors, 24 Human Factors, 15, 23, 25, 28, 40, 51, 82, 101, 103

Prozessbeherrschung, 71, 75, 77 Prozesscontrolling, 132 Prozessmanagement, 16, 70, 72, 73, 119, 122 Prozessorientierung, 56, 69, 73, 78, 79, 89, 123

I industrielle Exzellence, 125 Informationsverarbeitung, 27 integriertes Training, 83, 88

Q Qualifikation, 29 Qualifikationsanforderung, 86, 93 Qualifikationssystem, 86 Qualität, 79, 90

K Kommunikation, 15, 31, 40, 54, 59, 82 drei Ks, 32, 40, 61 mündliche, 59 schriftliche, 60 Kompetenz fachliche, 58, 82, 91 interpersonelle, 56, 82, 92 prozessuale, 58, 78, 82, 92 Kooperation, 33

M Monotonie, 44 Motivation, 31, 57

N Non-Punitivität, 101 Non-Technical Skills, 16, 103 Normen soziale, 42

O Organisationsbeherrschung, 70 Organisationskultur, 42, 100, 102, 123, 132

P Personalauswahl, 91, 116 externe Unterstützung, 95 Luftfahrt, 91 Testverfahren, 94 Verfahren, 91

R Ressourcenmangel, 48

S Selbstgefälligkeit, 44 Situationsbewusstsein, 40, 45, 66, 68, 82, 85 soziale Normen, 42 Standard Operating Procedures (SOP) s. Prozessmanagement Standardisierung, 122, 128 Prozesse, 72 Stress, 29, 46, 119

T Team Resource Management, 125 Teamfähigkeit, 54 Teamverständnis, 54 Teamwork, 33, 41, 52, 82 Trainerausbildung, 89 Training Bausteine, 87 Inhalte, 88 integriertes, 83, 88 Konzept, 87 Maßnahmen, 88 Tunnelblick, 29, 67

U Unterforderung, 30 Unternehmenskultur, 36

Stichwortverzeichnis V Verantwortungsbewusstsein, 28 Verbesserungspotenzial, 64 Vorgabedokumentation, 71–73, 76, 78

139 W Wahrnehmungsfähigkeit s. Situationsbewusstsein Wissensmangel, 47 Workload-Management, 67