Hugo Botstiber und das Wiener Konzerthaus: Leben und Wirken eines Kulturmanagers vom Fin de Siècle bis zum Anschluss 9783205201946, 9783205796787

153 34 4MB

German Pages [260] Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Hugo Botstiber und das Wiener Konzerthaus: Leben und Wirken eines Kulturmanagers vom Fin de Siècle bis zum Anschluss
 9783205201946, 9783205796787

Citation preview

Robert Lackner

HUGO BOT­S TIBER UND DAS W IENER KONZERTH AUS Leben und Wirken eines Kulturmanagers vom Fin de Siècle bis zum Anschluss

2016 BÖHL AU VER L AG W IEN KÖLN W EIM A R

Gedruckt mit der Unterstützung durch  : Dietrich W. Bot­stiber Foundation Karl-Franzens-Universität Graz MA7, Kulturabteilung der Stadt Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung  : Luisa und Hugo Bot­stiber, ca. 1910, Privatsammlung Christina Stahl

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat  : Katharina Krones, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Balto Print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79678-7

Inhalt

Prolog: Der grosse Unbekannte  ��������������������   7 Kindheit und Jugendjahre . . . Herkunft. . . . . . . . . . . . . . Heranwachsen in Wien . . . . . . Das amerikanische Zwischenspiel . Studentenjahre. . . . . . . . . . . Aufbruch in die Moderne . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

  13  13  18  23  28  38

Lehrjahre.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs  : Die Genese des modernen Wiener Konzertwesens . Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzertverein. . . . . . Musikfreund und Staatsdiener. . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. 44 . 44 .  51 .  62

»Die Arbeit meines Lebens« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Die Errichtung des Konzerthauses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben . . . . . . . .  90 Das Konzerthaus und die Republik.. . . . . . . . . . Die Nachkriegsjahre  : Der Aufstieg des Konzertbüros . . . . Inflation und Aufschwung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Am Scheitelpunkt  : »The Nights of Splendor and Festivity« . Stagnation und Austerität . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

105 105 115 124 134

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren . . . . . . . . . . . Die Weltwirtschaftskrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Boxkämpfen und Parteitagen . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Abgesang der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gezeitenwechsel  : Das Konzerthaus und die Nationalsozialisten. .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

146 146 157 167 178

6

Inhalt

Vertreibung und Emigration. . Anschluss.. . . . . . . . . . . . . Die letzten Tage in Wien.. . . . . Exil. . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

185 185 192 199

Bildteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auf zu neuen Ufern  : Schicksal und Verbleib der Bot­stibers . Vom Verwalter zum Gestalter . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischen Idealismus und Pragmatismus. . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

225 225 229 233

Quellen- und Literaturverzeichnis . Publikationen von Hugo Bot­stiber.. . . . Primärquellen . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur.. . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

237 237 238 244

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Prolog: Der grosse Unbek annte

Ohne Zweifel war Bot­stiber einer der maßgeblichsten und fortschrittlichsten Anreger und Organisatoren des Wiener Musiklebens zwischen 1900 und 1938.1

Am 19. April 1935 gratulierte die österreichische Tageszeitung »Neue Freie Presse« einem »liebenswerten, bescheidenen und hochwertigen [Mann, der] seit Jahrzehnten zum eisernen Bestand des Wiener Musiklebens«2 zählte, zu seinem bevorstehenden 60. Geburtstag. Es handelte sich dabei weder um einen berühmten Komponisten noch um einen gefeierten Dirigenten oder einen herausragenden Musiker. Vielmehr agierte der Jubilar abseits der Bühne, wo er sich bemühte, die für das Konzertwesen notwendigen organisatorischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Mann, den die »Neue Freie Presse« für seine zahlreichen Errungenschaften während seiner langen Karriere lobte, war Hugo Bot­stiber, der seit 1913 als erster Generalsekretär der gleichnamigen Gesellschaft das Wiener Konzerthauses, eine der bedeutendsten musikalischen Institutionen und Spielstätten des Landes, leitete. Es war, so die Zeitung, vor allem sein Verdienst gewesen, dass dieses die Wirren des Ersten Weltkriegs, der Nachkriegsjahre und der Weltwirtschaftskrise, die das kulturelle Leben in Österreich in arge Bedrängnis gebracht hatten, überstanden hatte, ohne dabei wie zahlreiche andere künstlerische Unternehmungen Schiffbruch zu erleiden. Abgesehen von vagen Informationen zu seinem Lebenslauf ist über Bot­stiber wenig bekannt. Geboren 1875 in Wien, studierte er zunächst an der Universität seiner Heimatstadt Rechtswissenschaft sowie Musikwissenschaft. Danach war er für verschiedenen Schlüsselinstitutionen des Wiener Musiklebens tätig, darunter der Wiener Konzertverein, die Gesellschaft der Musikfreunde sowie die k. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst, ehe er 1913 zum Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft bestellt wurde. Im Zuge des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich 1938 war er gezwungen, aufgrund seiner jüdischen Wurzeln von seinem Amt zurückzutreten, und entschloss sich, das Land zu verlassen. Er ging wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach Großbritannien, wo er 1941 verstarb. 1 Friedrich C. Heller, Vorgeschichte, in: Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung (Wien 1983), 25. 2 Dr. Hugo Bot­stibers sechzigster Geburtstag, in  : Neue Freie Presse, 19. April 1935, 5.

8

Prolog: Der große Unbekannte

Rund 75 Jahre nach seinem Tod im Exil ist Bot­stiber hauptsächlich für seine Publikationen in Erinnerung geblieben, in erster Linie für seine Biographie zu Joseph Haydn3. Seine praktischen Tätigkeiten blieben bislang jedoch sowohl von der breiten Öffentlichkeit als auch von der Forschung größtenteils unbeachtet. Dass er ob der unterschiedlichen Funktionen, die er im Lauf seiner beinahe vier Jahrzehnte währenden Karriere ausübte, eine wichtige Rolle im Wiener Musikwesen gespielt haben muss, steht außer Frage, wie auch die eingangs zitierte Laudatio in der »Neuen Freien Presse« belegt. Es ist demnach anzunehmen, dass er zu den einflussreichsten Akteuren hinsichtlich der Organisation musikalischer Darbietungen in Wien zwischen 1900 und 1938 zählte. Obwohl sich aber in Studien zum Wiener Musikleben, vor allem in Biographien über Vertreter moderner Musik4, immer wieder Anspielungen auf ihn finden und von verschiedenen Autoren auch vage auf seine Leistungen hingewiesen wird5, ist sein Wirken bislang noch keiner detaillierten Analyse unterzogen worden. Zwar gibt es eine Reihe kurzer biographischer Artikel zu seiner Person in musikwissenschaftlichen Nachschlagewerken6, von denen einige von Zeitgenossen Bot­stibers aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen7, sowie in Studien zur Emigration österreichischer und deutscher Künstler und Gelehrter8. Diese fassen jedoch meist nur die einzelnen Stationen seiner Kar3 Hugo Bot­stiber, Joseph Haydn. Unter Benutzung der von C. F. Pohl hinterlassenen Materialien. Band 3 (Leipzig 1927). 4 Siehe unter anderem Ernst Hilmar, Zemlinsky und Schönberg, in  : Reinhard Gerlach, Otto Kolleritsch (Hgg.), Alexander Zemlinsky. Tradition im Umkreis der Wiener Moderne. Studien zur Wertungsforschung 7 (Graz 1976), 55  ; Antony Beaumont, Alexander Zemlinsky. Biographie (Wien 2005), 56f. 5 Cf. Egon Wellesz, Bot­stiber, Hugo, in  : Arthur Eaglefield Hull (Hg.), A Dictionary of Modern Music and Musicians (London und Toronto 1924), 54  ; Rudolf Klein, Bot­stiber, Hugo, in  : Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet durch Friedrich Blume. Personenteil 3 (Kassel et al. 2000), 506  ; Mosco Carner, Bot­stiber, Hugo, in  : Stanley Sadie (Hg.), The New Grove. Dictionary of Music and Musicians. Volume 4 (London und New York 2001), 79. 6 Siehe unter anderem Klein, Bot­stiber, 506  ; Carner, Bot­stiber, 79  ; Bot­stiber, Hugo, in  : Felix Czeike (Hg.), Historisches Lexikon Wien. Band 1 (Wien 1992), 434. 7 Siehe unter anderem Wellesz, Bot­stiber, 54  ; Wilhelm Fischer, Musikwissenschaft, in  : Guido Adler (Hg.), Handbuch der Musikgeschichte (Frankfurt/Main 1924), 1062  ; Bot­stiber, Hugo, in  : Hermann Abert (Hg.), Illustriertes Musik-Lexikon (Stuttgart 1927), 67  ; Bot­stiber, Hugo, in  : Stephen Taylor (Hg.), Who’s who in Central and East Europe 1933/34 (Zürich 1935), 121. 8 Siehe unter anderem Jutta Raab Hansen, NS-verfolgte Musiker in England. Spuren deutscher und österreichischer Flüchtlinge in der britischen Musikkultur. Musik im »Dritten Reich« und im Exil 1 (Hamburg 1996), 398f  ; Friedrich C. Heller, Einige grundsätzliche Überlegungen zur Emigration österreichischer Musikwissenschaft, in  : Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien und München 1988), 601  ; Walter Pass, Gerhard, Scheit, Wilhelm Svoboda, Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen

Prolog: Der große Unbekannte

riere zusammen und listen seine Publikationen auf. So existiert keine einzige ausführlichere wissenschaftliche Arbeit, die sich mit Bot­stiber oder seinen Tätigkeiten eingehend beschäftigt. Angesichts des allgemeinen Interesses an der Ergründung des kulturellen und vor allem musikalischen Erbes Österreichs, das eine bestimmende Rolle für die Fremdund Selbstwahrnehmung des Landes als Musiknation spielt, muss es aber ein zentrales Anliegen der Forschung sein, sich auch den organisatorischen und operativen Charakteristika des Musiklebens zu widmen. Während es eine Vielzahl an Literatur zu den bedeutenden Komponisten gibt, die die österreichische Musikgeschichte über die Jahrhunderte geprägt haben, wird denjenigen nur wenig Beachtung geschenkt, die die Voraussetzungen für die musikalischen Aufführungen schufen und den Künstlern ein Podium zur Verfügung stellten. Aus diesem Grund ist eine Auseinandersetzung mit Akteuren wie Bot­stiber von essentieller Bedeutung. Sie wirft Licht auf einen mehr als relevanten, bislang jedoch vernachlässigten Aspekt der österreichischen Kulturgeschichte. Um diese Lücke in der Forschung zumindest in Bezug auf Bot­stiber zu schließen, unternimmt die vorliegende Arbeit erstmals den Versuch, dessen Karriere zwischen 1900 und 1938 im Detail zu durchleuchten und vor allem seinen Einfluss auf das Wiener Musikleben sowie seine konkreten Leistungen für das Wiener Konzerthaus zu evaluieren. Eingebettet ist diese Analyse in eine umfassende biographische Studie, die Bot­stibers jüdische Herkunft und seine bewegte Familiengeschichte zwischen der zweiten Hälfte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ebenso einbezieht wie seine für sein späteres Schaffen als Konzertorganisator und Kulturmanager so bedeutsame Sozialisierung im Wien des Fin de Siècle. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht aber nicht nur Bot­stiber selbst, sondern auch seine langjährige Wirkungsstätte an der Lothringerstraße, da die Frühgeschichte des 1913 eröffneten Konzerthauses und seiner Betreibergesellschaft eng mit seinem Schicksal verknüpft ist. Insofern erscheint es umso erstaunlicher, dass der erste und am längsten dienende Generalsekretär auch in der dazu vorhandenen Literatur, einschließlich diverser Fest- und Jubiläumsschriften9, nicht oder nur marginal Musik von 1938 bis 1945. Antifaschistische Literatur und Exilliteratur – Studien und Texte 13 (Wien 1995), 240f. 9 Wiener Konzerthausgesellschaft, 1913–1953 (Wien 1953)  ; Ronny Dietrich, Paul M. Wlasits, 75 Jahre Wiener Konzerthausgesellschaft. 1913–1988. Festschrift (Wien 1988). Siehe in diesem Zusammenhang auch das fünfte Heft der »Österreichischen Musikzeitschrift« aus dem Jahr 2013, das dem einhundertjährigen Jubiläum des Konzerthauses gewidmet ist, vor allem Erwin Barta, Ein Spiegel gesellschaftlicher Prozesse. Das Wiener Konzerthaus im Wandel, in  : Österreichische Musikzeitschrift 68/5 (2013), 42–54.

9

10

Prolog: Der große Unbekannte

erwähnt wird10, auch wenn sich mehr als die Hälfte davon auf die Zeit nach 1945 konzentriert11. Ein möglicher Grund, wieso die Forschung Bot­stiber bislang so gut wie keine Beachtung geschenkt hat, ist der Umstand, dass es um die Quellenlage zu seiner Person nicht sonderlich gut bestellt ist. Zwar gibt es einen leicht zu lokalisierenden Teilnachlass in der Wienbibliothek im Rathaus. In diesem finden sich jedoch nur einige wenige Briefe, Notizen und persönliche Unterlagen aus seiner Schul- und Studienzeit. Um also ein einigermaßen vollständiges Bild von Bot­stiber zeichnen zu können, musste für diese Studie einer Fülle von Spuren nachgegangen und Material aus Ar10 Kurt Blaukopf, Wie das Konzerthaus wurde. Zur Geschichte des Konzertwesens in Wien am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts (1900–1918), in  : Österreichische Musikzeitschrift 18/5 (1963), 210–222  ; Rudolf Klein, Wie das Konzerthaus eine Mission erfüllte. Zur Entwicklung der Wiener Konzerthausgesellschaft von 1918 bis 1963, in  : Österreichische Musikzeitschrift 18/5 (1963), 223– 235  ; Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983)  ; Erwin Barta, Gundula Fässler, Die großen Konzertdirektionen im Wiener Konzerthaus 1913–1945. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 10 (Franfurt/Main et al. 2001)  ; Erwin Barta, Kunst, Kommerz und Politik. Das Wiener Konzerthaus 1938–1945, in  : Carmen Ottner (Hg.), Musik in Wien 1938–1945. Studien zu Franz Schmidt 15 (Wien 2006), 291–309. Siehe auch Ingrid Schörkhuber-Schablas, Die Pflege zeitgenössischer Musik im Wiener Konzerthaus in den Saisonen 1918/19 und 1919/20. Diplomarbeit, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Wien 2000)  ; Birgit Christine Kurtz, Neue Musik im Nationalsozialismus anhand von Konzerten im Wiener Konzerthaus. Diplomarbeit, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Wien 2001)  ; Philipp Stein, Studien zur Wiener Konzerthausgesellschaft und den Nationalsozialisten. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 2006)  ; Philipp Stein, Das Wiener Konzerthaus 1930–1945. Dissertation, Universität Wien (Wien 2013). 11 Erwin Barta, Das Wiener Konzerthaus zwischen 1945 und 1961. Eine vereinsgeschichtliche und musikwirtschaftliche Studie. Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 39 (Tutzing 2001)  ; Erwin Barta, Wiener Konzerthaus. Die Generalsanierung, 1998–2001 (Wien 2001)  ; Erwin Barta, Gundula Fässler, Reinhold Westphal, Kleine Phänomenologie der Unterhaltungsmusik  : Nachkriegszeit und fünfziger Jahre im Wiener Konzerthaus. Studie zum Forschungsprojekt »Die Fremdveranstaltungen im Wiener Konzerthaus 1945–1999. Eine Studie, basierend auf der EDV-gestützten Erfassung der Fremdprogramme im Archiv des Konzerthauses« (Wien 2002)  ; Erwin Barta, Reinhold Westphal, Hallo  ! Swing-Swing  ! Unterhaltungsmusik der vierziger und fünfziger Jahre im Wiener Konzerthaus. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 11 (Frankfurt/Main 2004). Siehe auch Sabine Hugot, Historische Betriebsanalyse der Wiener Konzerthausgesellschaft. Dissertation, Wirtschaftsuniversität Wien (Wien 1988)  ; Petra Gaich, Neue Musik im Wiener Konzerthaus in der Ära Seefehlner. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 1998)  ; Esther Kührer, Die Internationalen Musikfeste des Wiener Konzerthauses von 1947–1961. Diplomarbeit, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Wien 1998)  ; Gundula Scholl, Strategien, Problematik und Trends der Kulturöffentlichkeitsarbeit. Untersucht am Beispiel des Wiener Konzerthauses. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 1998)  ; Katharina Neumann, Neue Musik in Wien. Eine empirische Untersuchung am Beispiel des Wiener Konzerthausprogrammes zwischen 1961 und 2007. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 2011).

Prolog: Der große Unbekannte

chiven, Bibliotheken und Sammlungen in Österreich, Deutschland, Großbritannien, Israel sowie den Vereinigten Staaten zusammengetragen werden. Vor allem zwei Aspekte wirkten sich verkomplizierend auf die Forschungsarbeit aus. Zum einen hat Bot­stiber so gut wie keine persönlichen Aufzeichnungen hinterlassen, und sollte er jemals Tagebuch geführt haben, so ist es nicht erhalten oder konnte zumindest bislang nicht gefunden werden. Auch die an ihn adressierten oder von ihm verfassten Briefe, die in seinem Nachlass oder in anderen Sammlungen enthalten sind, sind nur Bruchstücke nicht vollständig erhaltener Korrespondenzen und lassen sich oftmals nur schwer einordnen. Eine wertvolle Informationsquelle hinsichtlich seines Familienlebens sind zwar die Memoiren seines Sohnes Dietrich12, die sich intensiv mit der Zeit in Wien vom Ersten Weltkrieg bis zum Anschluss beschäftigen. Dennoch bleiben auch bei Zuhilfenahme dieser und anderer Quellen, wie zum Beispiel die Biographien anderer mit ihm in Kontakt stehender Akteure des Wiener Musiklebens, noch Fragen offen, die sich aufgrund des Nichtvorhandenseins eines eindeutigen Belegs nicht definitiv oder unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts nur teilweise beantworten lassen. Das zweite, ebenso gravierende Problem ist die Tatsache, dass an seiner bedeutendsten Wirkungsstätte, dem Wiener Konzerthaus, nur wenige relevante Dokumente vorhanden sind. Der Grund dafür ist eine für die Forschung mehr als tragische Begebenheit aus den 1970er Jahren, als im Zuge einer feuerpolizeilichen Kontrolle die Entfernung der im Keller des Konzerthauses eingelagerten Archivalien angeordnet wurde und auf diesem Wege der Großteil der Materialien aus der Zeit von vor 1945 verschwand13. Lediglich die Protokolle der im Abstand von mehreren Wochen stattfindenden Direktionssitzungen ab dem Jahr 1917 sowie einige andere Aufzeichnungen sind erhalten. Es sind vor allem diese Sitzungsprotokolle, auf deren systematische Auswertung sich die Analyse von Bot­stibers Schaffen am Konzerthaus stützt. Weitere wichtige Informationen birgt diesbezüglich die online einsehbare Datenbank der Konzerthausgesellschaft14, in der alle Veranstaltungen seit 1913 mit Details zu den mitwirkenden Künstlern, dem Programm sowie den Organisatoren verzeichnet sind und aus der somit hervorgeht, welche Kompositionen in der Ära Bot­stiber am Konzerthaus aufgeführt wurden. Ebenso von Bedeutung sind darüber hinaus die gedruckten Jahresberichte der Konzerthausgesellschaft sowie der anderen Institutionen, 12 Dietrich Bot­stibers eigentlicher Vorname, den er im Zuge seiner Immigration in die Vereinigten Staaten 1938 änderte, lautet Wolf-Dietrich. 13 Cf. Barta, Fässler, Konzertdirektionen, 37. 14 Alle in dieser Studie zitierten Zahlen, Statistiken und Details zu den Veranstaltungen im Konzerthaus basieren auf der Online-Datenbank der Konzerthausgesellschaft, sofern nicht anders angegeben. Wiener Konzerthaus. Datenbank. Online  : http://konzerthaus.at [letzter Zugriff  : 14. Jänner 2014].

11

12

Prolog: Der große Unbekannte

für die Bot­stiber tätig war. Sie vermögen im Verbund mit Dokumenten aus dem Österreichischen Staatsarchiv, der Österreichischen Nationalbibliothek, dem Arnold Schönberg Center Wien und zahlreichen anderen Einrichtungen im In- und Ausland, die für sich allein genommen nur einzelne Mosaiksteine sind, Bot­stibers rund vier Jahrzehnte währende Karriere hinter dem Vorhang der Geschichte hervorzuholen. So kann, wenn auch nicht lückenlos, so doch im Detail, das Leben eines bislang beinahe Vergessenen skizziert werden, dessen Schaffen zweifellos einen wertvollen Beitrag zur österreichischen Kultur- und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts darstellt. Diese Biographie Hugo Bot­stibers wäre wohl nicht entstanden, hätte nicht eine Vielzahl von Personen und Institutionen meiner Arbeit ihre materielle wie ideelle Unterstützung zuteilwerden lassen  ; den wichtigsten sei an dieser Stelle gedankt. In erster Linie gilt mein Dank der Dietrich W. Bot­stiber Foundation und ihrem Administrator Terrance A. Kline sowie dem Direktor des Bot­stiber Institute for Austrian-American Studies, Siegfried Beer. Von größtem Nutzen waren die wissenschaftlichen Anregungen, Ratschläge und Hinweise von Eleonore Lappin-Eppel, Grete Klingenstein und Bot­stibers Urenkelin Christina Stahl, die mir dankenswerterweise auch einzigartiges Bildmaterial ihrer Familie überlassen hat. Dankbar bin ich weiters meinen Eltern Anna und Peter sowie meinen Freunden Maria und Oliver sowie Helene in Wien, Mildred und Bregt in Berlin sowie Philipp in Washington DC, die mich während meiner Archivreisen mit offenen Armen als zeitweiligen Untermieter empfingen. Trotz der Unterstützung durch all diese wunderbaren Menschen wäre ich aber ohne den Zuspruch und Beistand meiner Frau Ulrike nicht an mein Ziel gelangt. Ihr und unserer Tochter Sophie Rhea ist dieses Buch gewidmet. Robert Lackner Mai 2015

Kindheit und Jugendjahre

Herkunft Seine akademische Ausbildung sowie die bedeutenden Posten, die er im Laufe seiner Karriere bekleiden sollte, legen die Vermutung nahe, die Vorfahren Hugo Bot­stibers hätten dem alteingesessenen jüdischen Bürgertum Wiens angehört. Wider Erwarten kamen die Ahnen des ersten Generalsekretärs der Wiener Konzerthausgesellschaft allerdings nicht aus der Metropole des Habsburgerreiches, sondern aus der ungarischen Provinz. Sie stammten aus der kleinen, rund 35 Kilometer nördlich von Pressburg und 65 Kilometer nordöstlich von Wien am Ufer der March gelegenen Ortschaft Gayring oder Gajar15. Sein im Jahr 1849 geborener Vater Ignaz war der Abkömmling einer jüdischen Großfamilie, deren Name eigentlich »Bortstieber« lautete16, eine Abwandlung von »Badstüber«17, die sich erst später zu Bot­stiber wandeln sollte18.

15 Der heutige Name der Ortschaft lautet Gajary. Bis 1918 war sie Teil des Königreichs Ungarn und lag im Verwaltungsdistrikt von Malacka oder Malatzka. 16 Cf. Ignaz Botstieber, in  : Trauungsbuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1874, No. 718. 17 »Badstüber« ist eine veraltete Variante von »Bader« und verwandelte sich in die häufigen deutschen Nachnamen »Badstuber« und »Badstieber«. Die spezielle Version »Bortstieber« scheint jedoch eine Eigenheit aus dem Gayringer Raum zu sein, da sie nirgendwo sonst in Deutschland oder in ÖsterreichUngarn vorkommt. Interessanterweise spiegelt der Unterschied zwischen den Namen, der durch die Variation zwischen »a« und »o« in der ersten Silbe gekennzeichnet ist, offenbar die Religionszugehörigkeit der jeweiligen Person wider. Während »Bortstieber« und »Bot­stiber« rein jüdische Nachnamen zu sein scheinen, finden sich »Badstuber« und »Badstieber« nur bei Personen römisch-katholischen Glaubens. Cf. Wolfgang Fleischer, Die deutschen Personennamen. Geschichte, Bildung und Bedeutung (Berlin 1964), 143  ; Max Gottschald, Deutsche Namenkunde (Berlin und New York 2006), 97, 125. Siehe auch das Datenbank-Projekt »GenTeam«, das die Indices zu Geburts-, Heirats- und Sterbedaten römisch-katholischer, evangelischer und jüdischer Gemeinden in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Böhmen und Mähren enthält. Online  : http://www.genteam.at [letzter Zugriff  : 18. Dezember 2013]. 18 Wie die Geburts-, Heirats- und Sterbebücher des Archivs der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien zeigen, sind die Varianten quasi gleichzusetzen, da für die meisten Familienmitglieder sowohl »Bortstieber« als auch »Bot­stiber« verwendet wurde. Es ist daher anzunehmen, dass das »r« aus linguistischen oder orthographischen Gründen verschwand und die Ursache für die häufige Alternation zwischen »i« und »ie« nur ein einfacher Schreibfehler oder eine Ungenauigkeit beim Anfertigen von Urkunden und anderer Schriftstücke war. So variierte zum Beispiel Hugos Nachname in Zeitungsberichten selbst dann noch zwischen »Bot­stiber« und »Botstieber«, als er bereits ein bekannter und einflussreicher Akteur im Wiener Musikleben war.

14

Kindheit und Jugendjahre

Im Gegensatz zum späteren Werdegang seines Sohnes verfolgte Ignaz keine Laufbahn im kulturellen und schöngeistigen Bereich. Den wirtschaftlichen und sozialen Umständen seiner Herkunft geschuldet hatte seine Berufswahl einen bodenständigen und geschäftsorientierten Charakter. Wie sein Vater und die Mehrzahl seiner Brüder übte Ignaz den Beruf des Holzhändlers aus. Er verfügte dabei allerdings über kein ständiges Geschäftslokal, sondern ging seiner Tätigkeit, wie für die jüdische Bevölkerung der Habsburger-Monarchie vor allem während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts typisch19, zunächst als umherziehender Hausierer und Trödler nach. Bis zur Jahrhundertmitte hatte sich der Bewegungsradius der Bot­stibers im Großen und Ganzen höchstwahrscheinlich auf die ländlichen Gegenden des westlichen Ungarns beschränkt. Aufgrund der politischen Ereignisse der Jahre 1848 und 1867 sollte sich dies innerhalb der nachfolgenden Jahrzehnte jedoch ändern. Tatsächlich hatten wohl bereits vor 1848 einige Familienmitglieder einschließlich Ignaz’ Eltern Hermann und Auguste ihr Glück in Wien gesucht, getrieben von der Hoffnung auf bessere Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten. Dies belegt die Tatsache, dass Ignaz’ ältere Schwester Betty 1843 das Licht der Welt nicht in Gayring, sondern in der Habsburger-Metropole erblickte20. Der Aufenthalt der Familie in Wien war jedoch nicht von langer Dauer, denn bis spätestens 1845 war sie wieder nach Ungarn zurückgekehrt21, wohl aufgrund rechtlicher Bestimmungen. Denn nach ihrer Vertreibung aus Wien im 16. und 17. Jahrhundert war es Juden nicht gestattet, sich dauerhaft in der Reichs- und Residenzhauptstadt niederzulassen, abgesehen von einigen wenigen, sogenannten »tolerierten« Hofjuden.22 Im Zuge der Revolution von 1848 wurden die rechtlichen Hindernisse, die ihre Bewegungsfreiheit bis dahin eingeschränkt hatten, jedoch Schritt für Schritt abgebaut. Zwar sollte es noch weitere zwei Jahrzehnte dauern, bis die Juden mit dem Grundgesetz von 1867, zumindest am Papier, voll eman-

19 Cf. Albert Lichtblau, Als hätten wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie (Wien 1999), 62. 20 Laut den Geburts-, Heirats- und Sterbebüchern der Israelitischen Kultusgemeinde gab es bis in die vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts keine Bortstiebers oder Bot­stibers in Wien. Bis 1864 wurden insgesamt nur drei Kinder namens Bortstieber in der Hauptstadt geboren, darunter Ignaz’ Schwester Betty. Sie war auch die Erste mit diesem Namen, die in Wien zur Welt kam. Cf. Bortstieber, in  : Index zu den Geburtsbüchern der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, 1826–1864. 21 Die Rückkehr scheint von Dauer gewesen zu sein. Nicht nur Ignaz selbst, sondern auch seine Brüder Moriz und Adolf wurden 1845 beziehungsweise 1848 wieder in Gayring geboren. 22 In der Tat gelang es vielen Juden, ihren Aufenthalt in der Stadt zu verlängern, entweder durch juristische Schlupflöcher oder rechtliche Ausnahmebestimmungen. Zudem gab es auch eine Vielzahl illegaler Immigranten. Cf. Marsha L. Rozenblit, Jewish Immigrants in Vienna before the First World War, in  : Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 17/1 (2007), 37.

Herkunft

zipiert waren.23 Doch prinzipiell wurden ihnen bereits ab 1848 mehr Bürgerrechte zugesprochen, was ihre Mobilität beträchtlich förderte. Neben den politischen Reformen gab es einen anderen Aspekt, der sich signifikant auf die jüdischen Wanderbewegungen jener Epoche auswirkte. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die östlichen Teile des Habsburger-Reiches mit sich stetig verschlechternden sozialen Lebensbedingungen konfrontiert. Angesichts weitverbreiteter Armut und hoher Arbeitslosigkeit, vor allem unter der jüdischen Bevölkerung, waren viele jüdische Dorfbewohner gewillt, von den ihnen kürzlich zugestandenen Rechten in puncto Bewegungsfreiheit Gebrauch zu machen, von ihrer alten Heimat Abschied zu nehmen und sich auf die Suche nach einem besseren Leben in den urbanen Zentren zu begeben. Die Kombination aus katastrophalen wirtschaftlichen Bedingungen in den ländlichen Regionen und der Zuerkennung von mehr Bürgerrechten löste insofern eine große Emigrationswelle aus, die sich vor allem auf die beiden großen Metropolen Österreich-Ungarns konzentrierte, Wien und Budapest. Ergriffen von der allgemeinen Aufbruchsstimmung schlossen sich Ignaz und seine Brüder den Reihen derer an, die ihre Dörfer im Laufe der 1850er und 1860er Jahre verließen, und übersiedelten nach Wien24. Es ist mangels Quellen nicht eindeutig festzustellen, welche Motive der Entscheidung, Gayring den Rücken zu kehren, zugrunde lagen. Albert Lichtblau zufolge war einer der signifikantesten Gründe für die Emigration der Wunsch nach einer Verbesserung des persönlichen Status25. Ignaz war, wie sein späterer Werdegang noch zeigen wird, vermutlich einer jener jungen jüdischen Männer, die, wie William O. McCagg ausführt, in ihren Heimatdörfern mit ein wenig moderner deutschsprachiger Erziehung in Berührung gekommen waren und die zwar über große Ambitionen, aber über geringe bis keine finanzielle Mittel verfügten26. Der Umstand, dass Juden aus Westungarn vertrauter mit der deutschen Sprache und Kultur waren als etwa Juden aus Galizien27, sowie die relative geographische Nähe zu Wien erleichterte darüber hinaus die Entscheidung zur Abwanderung. In diesem Zusammenhang dürften womöglich auch die Pogrome eine Rolle gespielt haben, die sich in Ungarn im Zuge der Revolution von 1848 ereignet hatten. Der verbesserte rechtliche Status der Juden 23 Cf. Wolfdieter Bihl, Die Juden in der Habsburgermonarchie 1848–1918, in  : Studia Judaica Austriaca 8 (1980), 15–21. 24 Während vor den 1840er Jahren überhaupt keine Bot­stibers in Wien zu finden sind, scheint ab den 1870er Jahren eine Vielzahl von ihnen sowohl in den Aufzeichnungen der Israelitischen Kultusgemeinde als auch in den Wiener Adressbüchern auf. 25 Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört, 51. 26 Cf. William O. McCagg Jr., A History of Habsburg Jews, 1670–1918 (Bloomington et al. 1989), 155. 27 Cf. Robert S. Wistrich, The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph. The Littmann Library of Jewish Civilization (Oxford et al. 1989), 44.

15

16

Kindheit und Jugendjahre

führte zu stärker werdendem Antisemitismus unter der nicht-jüdischen Bevölkerung aufgrund von sozialem und wirtschaftlichem Neid. Vor allem jüdische Händler und Handwerker wurden als wachsende Bedrohung seitens ihrer nicht-jüdischen Mitbewerber wahrgenommen, die permanent Vorurteile gegen sie schürten.28 Neben wirtschaftlichen Optionen oder mehr Sicherheit besaßen die Metropolen des Habsburgerreiches gegenüber den ländlichen Gebieten zwei weitere faszinierende Vorteile, die vor allem auf jüngere jüdische Emigranten anziehend wirkten  ; sie boten Modernität und Anonymität.29 In ihren kleinen, von orthodoxen Traditionen dominierten Dörfern gelang es jungen Juden nur selten, der religiösen und moralischen Vormundschaft ihrer Rabbis zu entkommen. Die Anonymität des Urbanen schaffte für die Zuwanderer die nötigen Voraussetzungen, eine moderne und säkulare und damit eine mehr deutsche als jüdische Lebensweise anzunehmen. Es lässt sich nicht exakt feststellen, wann Ignaz den Entschluss fasste, die ungarische Provinz zu verlassen  ; er dürfte sich aber vermutlich in den späten 1860er Jahre oder den frühen 1870er Jahren in Wien angesiedelt haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach folgte er seinem Onkel Isak, der laut den Aufzeichnungen der Israelitischen Kultusgemeinde spätestens seit 1864 in der Reichs- und Residenzstadt lebte. Isak war ebenfalls als Holzhändler tätig und residierte zunächst im dritten Wiener Gemeindebezirk, übersiedelte dann aber um 1866 oder 1867 in die Leopoldstadt, den zweiten Bezirk.30 Dieser war das bevorzugte Wohngebiet für jüdische Immigranten und erfuhr aus diesem Grund ab der Jahrhundertmitte ein rasantes Wachstum. Vor 1848 waren insgesamt nur 179 jüdische Familien offiziell in Wien registriert31, die zum Großbürgertum gehörten und damit offiziell toleriert wurden. Nur 20 Jahre später, als der erste offizielle Zensus durchgeführt wurde, lebten mehr als 40.000 Juden innerhalb der Stadtgrenzen, wobei rund 25 Prozent aus Ungarn, vor allem aus Pressburg und Umgebung, stammten.32 28 Cf. Valeria Heuberger, Zwischen Wien und Budapest. Der Einfluß der deutschen Sprache und Kultur auf das Westungarische Judentum. In  : Wynfrid Kriegleder, Andrea Seidler (Hgg.), Deutsche Sprache und Kultur, Literatur und Presse in Westungarn / Burgenland. Presse und Geschichte – Neue Beiträge 11 (Bremen 2004), 56. 29 Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört, 51. 30 Als sein Sohn Julius 1864 geboren wurde, wohnte Isak in der Löwengasse im dritten Bezirk. 1867 lebte er hingegen in der Circusgasse im zweiten Bezirk. Cf. Julius Botstieber, in  : Geburtsbuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1864, No. 143  ; Adolph Lehmann’s Allgemeiner WohnungsAnzeiger (Wien 1865), 32. 31 Wie bereits erwähnt war die tatsächliche Zahl der Juden, die in der Stadt lebten, wesentlich höher, auch aufgrund von illegaler Immigration. Siehe auch Steven Beller, Wien und die Juden. 1867–1938. Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 23 (Wien et al. 1993), 182. 32 Zitiert in Wistrich, The Jews of Vienna, 43  ; McCagg, Habsburg Jews, 145.

Herkunft

Bis in die späten 1860er Jahre ist Isak der Einzige, der im Wiener Adressbuch, dem sogenannten »Allgemeinen Wohnungs-Anzeiger« von Adolph Lehmann33, unter dem Namen »Bot­stiber« zu finden ist. Er dürfte insofern als erste Anlaufstelle für seine später ankommenden Verwandten fungiert haben. Es ist ein typisches Merkmal nicht nur für jüdische Immigranten, sich auf Wohngegenden zu konzentrieren, in denen bereits Familienmitglieder ansässig sind, die den Neuankömmlingen helfen, sich einzugewöhnen, und die notwendige Erstorientierung bieten.34 Aus diesem Grund quartierten sich Ignaz und seine vier Brüder, die während der folgenden Jahre allesamt nach Wien kamen, zunächst so lange bei ihrem Onkel ein, bis ihre eigenen Geschäfte florierten und sie in der Lage waren, sich eine eigene Unterkunft zu leisten. Im Fall von Ignaz schien sich der Erfolg schnell eingestellt zu haben. Bereits 1874 wird er im »Allgemeinen Wohnungs-Anzeiger« als Hauptmieter eines Appartments im zweiten Bezirk geführt.35 Ignaz’ verbesserte finanzielle Situation war jedoch nicht nur das Resultat seines eigenen wirtschaftlichen Erfolgs, sondern ist wahrscheinlich auch auf seine Hochzeit mit der Tochter eines jüdischen Kaufmanns namens Moriz Bassel zurückzuführen. Wie sein neuer Schwiegersohn war Bassel ein Immigrant aus Ungarn und stammte ursprünglich aus Pressburg. Seine Entscheidung, nach Wien zu übersiedeln, war vermutlich den gewalttätigen Ereignissen geschuldet, die sich im März 1848 in seiner Heimatstadt ereignet hatten. Damals hatte eine wütende Menge das jüdische Ghetto gestürmt, was eine Massenflucht der bedrohten, misshandelten und ausgeplünderten Bewohner nach sich gezogen hatte.36 Wie der Großteil der Vertriebenen hatte sich auch Bassel dazu entschlossen, in der Reichs- und Residenzhauptstadt Zuflucht zu suchen. Er ließ sich in weiterer Folge in der Leopoldstadt nieder, wo er ein Juweliergeschäft eröffnete und wo seine Tochter Nina, Bot­stibers Mutter, 1852 geboren wurde.37 Der spätere Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft war insofern der Abkömmling jüdischer Einwanderer aus Ungarn, die ihre ursprüngliche Heimat auf33 Der »Allgemeine Wohnungs-Anzeiger«, der 1923 in »Wiener Adressbuch« umbenannt wurde, gibt neben der Adresse auch Auskunft über Beruf und sozialen Status der darin verzeichneten Personen, da, wie in einem Titelzusatz angemerkt ist, Gewerbegehilfen, Taglöhner und Dienstboten sowie ab 1892 auch Nicht-Selbständige nicht darin aufscheinen. 34 Cf. Marsha L. Rozenblit, The Jews of Vienna, 1867–1914. Assimilation and Identity. SUNY Series in Modern Jewish Literature and Culture 2 (Albany 1983), 75. 35 Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1874), 106. 36 Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört, 39. 37 Ninas ursprünglicher, auch im Geburtsregister eingetragener Vorname war eigentlich Anna. Wieso sie diesen änderte, ist unklar. Eventuell wurde sie als Kind Nina genannt, um eine Verwechslung mit ihrer Mutter zu vermeiden, die ebenfalls Anna hieß. Cf. Anna Bassel, in  : Geburtsbuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1852, No. 1210.

17

18

Kindheit und Jugendjahre

grund von wirtschaftlichen Nachteilen, sozialen Spannungen und Antisemitismus verlassen hatten. Sie waren vom Wunsch getrieben, für sich und ihre Kinder ein besseres Leben zu finden. Gemessen an Bot­stibers späterer Entwicklung, aber auch am sozialen Aufstieg anderer Familienmitglieder, reüssierten sie in weit größerem Ausmaß, als sie es wohl selbst erwartet hatten.

Her anwachsen in Wien Als Hugo Bot­stiber am 21. April 1875 in Wien geboren wurde, wohnten seine Eltern, die knapp ein Jahr zuvor geheiratet hatten38, nach wie vor in der Leopoldstadt. Sein Vater Ignaz war wie gehabt als hausierender Holzhändler tätig, wie es offenbar seit Generationen die Familientradition war. Er sollte in der sozialen Hierarchie jedoch schnell aufsteigen, zumal bereits die Vermählung mit Nina seinen Status nachhaltig verbessert hatte. Denn es ist anzunehmen, dass sein Schwiegervater über größere finanzielle Resourcen, und damit auch über eine größere Reputation, als seine Vorfahren aus Gayring verfügte, da der Beruf des Edelsteinhändlers verglichen mit dem des umherziehenden Holzhändlers nicht nur glanzvoller, sondern auch eindeutig profitabler war. Moriz Bassel residierte in der Lilienbrunngasse in einer der wohlhabendsten Gegenden des zweiten Bezirks. Das Viertel, das direkt am Donaukanal lag, war besonders beliebt bei wohlhabenden jüdischen Händlern und Börsenmaklern.39 Bis spätestens 1878 stellte Ignaz seine Aktivitäten als Hausierer endgültig ein, wohl auch, weil im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Vorhandensein geeigneter Räumlichkeiten immer mehr zur Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit wurde40. Er beteiligte sich daher am Unternehmen seines ältesten Bruders Jakob, der einer ebenfalls in der Leopoldstadt ansässigen und in der Holzverarbeitung sowie im Holzbau tätigen Gesellschaft vorstand41. Zusätzlich zu seinem Kerngeschäft in der Holzbranche verfolgte Ignaz weitere Projekte, die er wohl mit den Mitteln aus dem Nachlass seines Schwiegervaters finanzierte. Denn als Bassel

38 Cf. Ignaz Botstieber, in  : Trauungsbuch für die Israelitischen Kultusgemeinde Wien, 1874, No. 718. 39 Cf. Tina Walzer, Alles Millionäre und Hausierer  ! Eine sozialgeschichtliche Betrachtung der Wiener Juden im 19. Jahrhundert, in  : David. Jüdische Kulturzeitschrift 46 (2000). Online  : http://david.juden. at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 40 Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört, 63. 41 Darauf lässt schließen, dass Jakob im »Allgemeinen Wohnungs-Anzeiger« als Dampfsägendirektor und Holzbaudirektor bezeichnet wird. Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1872), 101.

Heranwachsen in Wien

1883 starb, waren seine Tochter Nina und ihr Ehemann seine einzigen Erben.42 So spezialisierte sich Ignaz ab 1887 auf die »Commissionslagerung von Sesselhölzern und Fournier-Sitzen« und war zwischen 1883 und 1885 auch als »Milchverschleißer«, also Milchverkäufer, tätig.43 Dass Ignaz während der 1880er Jahre, entweder durch seine Erbschaft oder aufgrund seines Erfolgs als Geschäftsmann, zumindest zu moderatem Wohlstand gekommen war, zeigt sich auch daran, dass er mit seiner Familie 1885 von der Leopoldstadt in den wohlhabenderen neunten Bezirk übersiedelte. Dort hatte sich zwischen Währingerstraße und Porzellangasse ein kleines jüdisches Viertel entwickelt, das besonders bei jungen jüdischen Unternehmern und sozialen Aufsteigern beliebt war.44 Ignaz’ Entscheidung, die Leopoldstadt zu verlassen, basierte wahrscheinlich nicht nur auf dem Wunsch, in einer angeseheneren Gegend zu wohnen, sondern auch auf dem Verlangen, seinem Sohn eine ausgezeichnete Ausbildung zu ermöglichen. So wurde der zehnjährige Hugo 1885 ins k. k. Staatsgymnasium im neunten Bezirk aufgenommen. Ignaz’ Bestreben, seinen Sohn auf eine vielversprechende Karriere vorzubereiten, war ein typisches Merkmal für die Einstellung jüdischer Immigranten. Die Entschlossenheit, mit der sie eine elitäre Ausbildung für ihre Kinder sicherzustellen versuchten, war einzigartig und spiegelt sowohl den traditionellen jüdischen Respekt vor Wissen und Gelehrsamkeit als auch ihr Verlangen nach erfolgreicher Akkulturation und beruflichem Aufstieg wider.45 Diese Feststellung wird statistisch auch von den Schülerzahlen in Wiens renommiertesten Gymnasien untermauert. Zwischen 1870 und 1910 waren 40 Prozent deren Schüler jüdisch, während der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung Wiens nur zwischen neun und zwölf Prozent betrug.46 Diese Zahlen deuten nicht darauf hin, dass Juden sich prinzipiell in einer besseren finanziellen Situation als die nicht-jüdischen Einwohner der Stadt befunden hätten. Letztere sahen sich aber mit sozialbedingten Barrieren innerhalb des Bildungssystems konfrontiert, von denen Juden nicht betroffen waren.47 Für jüdische Schüler bedeutete die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse oder unteren Mittelschicht nicht automa42 Moriz’ Frau Anna war kurz nach Ninas Geburt gestorben. Sein Sohn Max, der aus seiner zweiten Ehe mit Ida Samst hervorgegangen war, war 1859 verschieden. Cf. Max Bassel, in  : Geburtsbuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1858, No. 3899. 43 Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1887), 259  ; Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1883), 223. 44 Cf. Walzer, Millionäre und Hausierer. 45 Cf. Wistrich, The Jews of Vienna, 59. 46 Zitiert in Rupert Klieber, Jüdische, christliche, muslimische Lebenswelten der Donaumonarchie 1848–1918 (Wien 2010), 44. 47 Cf. Wistrich, The Jews of Vienna, 59.

19

20

Kindheit und Jugendjahre

tisch den Ausschluss von höherer Bildung. Aus diesem Grund waren sogar die Söhne jüdischer Ladenbesitzer, Händler oder Handwerker in der Lage, ein Gymnasium zu besuchen. Es gibt weder persönliche Aufzeichnungen noch sonstige Quellen, die Aufschluss darüber geben könnten, wie Bot­stiber seine Kindheit und Schulzeit in Wien erlebte. Aber angesichts der Verwandlung seines Vaters von einem Immigranten und hausierenden Holzhändler aus der ungarischen Provinz in einen Wiener Geschäftsmann der jüdischen Mittelschicht ist anzunehmen, dass er in einem säkularen und modernen und vor allem in einem von deutscher Sprache und Kultur geprägten Umfeld aufwuchs, in dem der Religion keine signifikante Rolle beigemessen wurde. Auch wenn er mit der jüdischen Orthodoxie vor allem während seiner frühen Kindheitstage in der Leopoldstadt, wo die traditionelle jüdische Gemeinde viel stärker sichtbar war als in anderen Teilen der Stadt, in Berührung gekommen sein dürfte, war diese Erfahrung aufgrund seines Umzugs in den neunten Bezirk wohl von kurzer Dauer. Insofern wurde Bot­stiber auf dieselbe Art und Weise erzogen wie nicht-jüdische Kinder des Wiener Bürgertums und kleidete, sprach und benahm sich auch wie diese. Seine Integration in die Wiener Gesellschaft, die auf der deutschen Sprache sowie auf der deutsch-österreichischen Kultur als ein Mittel der Akkulturation basierte48, ist vermutlich der Schlüssel zum Verständnis für seine spätere Hingabe zu klassischer Musik. Durch soziale Modernisierung, rechtliche Emanzipation sowie den Abfall von orthodoxen Werten und Moralvorstellungen hatten die meisten Juden ihre traditionelle Identität verloren und sahen sich daher veranlasst, ihre Rolle in der Gesellschaft neu zu definieren.49 In vielen Fällen füllte eine übersteigerte Hinwendung zu Kunst und Kultur, vor allem zur deutschen Hochkultur, diese Lücke, sobald die Bedeutung der Religion zu schwinden begann. Besonders Frauen aus dem jüdischen Bürgertum, die von jeder beruflichen Aktivität sowie von der traditionellen jüdischen Erziehung ausgeschlossen waren, konzentrierten sich auf die schönen Künste wie Musik, Malerei und Literatur und begeisterten auch ihre Kinder dafür, während viele junge Juden den kulturellen Sektor als den am besten geeigneten Betätigungsbereich sahen, um sich gesellschaftliche Anerkennung zu verschaffen.50 Aus diesem Grund erhielten sowohl die Söhne als auch die Töchter der jüdischen Mittelschicht eine erstklassige Ausbildung in Musik und engagierten sich in bürgerlichen Vereinen wie Amateurorchestern oder Chören.51 48 Cf. Leon Botstein, Judentum und Modernität. Essays zur Rolle der Juden in der deutschen und österreichischen Kultur 1848 bis 1938 (Wien et al. 1991), 41. 49 Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört, 86. 50 Cf. ibid. 51 Cf. Leon Botstein, Sozialgeschichte und die Politik des Ästhetischen. Juden und die Musik in Wien

Heranwachsen in Wien

Als Kind war Bot­stiber offenbar noch nicht empfänglich für diese Art der Ausbildung. Er musste die erste Klasse des Gymnasiums wiederholen und blieb bis zum Ende seiner Schullaufbahn ein höchstens durchschnittlicher Schüler mit mäßigem Erfolg, wie sein Maturazeugnis belegt52. Seine Noten in Deutsch und Latein, Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Leibeserziehung, Philosophie und Religion waren befriedigend, in Geschichte und Geografie sowie in Griechisch war seine Leistung nur genügend. Vor allem hinsichtlich der späteren Beziehung zu seinem Sohn erscheint dies geradezu ironisch. In seiner Autobiographie beschreibt Dietrich Bot­stiber seinen Vater als jemanden, der fortwährend nach »things of ancient beauty«53 Ausschau hielt. Im Gegensatz zu Dietrich, der bereits als Kind die Naturwissenschaften verehrte und eine Abneigung gegenüber den Geisteswissenschaften hegte, wurde Bot­stiber laut seinem Sohn nicht müde, die Bedeutung einer fundierten klassischen Ausbildung basierend auf Griechisch und Latein, der Philosophie sowie den schönen Künsten zu betonen. Diese Überzeugung stand gewiss in Verbindung mit der überbordenden Konzentration auf Kunst und Kultur als Religionsersatz. In dieser Hinsicht sollte er seine spätere Einstellung als Erwachsener also mit vielen Juden teilen, die im Kulturbereich tätig waren. Die deutsche Kultur wurde idealisiert und insofern auf eine beinahe religiöse Art und Weise verklärt.54 Bot­stiber maturierte aber nicht am k. k. Staatsgymnasium im neunten Bezirk, sondern am Leopoldstädter Communal-Real- und Obergymnasium im zweiten Bezirk55. Nach einem kurzen Aufenthalt im fünften Bezirk war Hugos Familie zurück in die Leopoldstadt übersiedelt, wo sie um 1890 in der Pazmanitengasse wohnte56. Vermutlich waren wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend für die Rückkehr, denn es gibt Hinweise darauf, dass Ignaz’ Geschäfte stagnierten und er wohl deshalb nicht mehr in der Lage war, sich die Wohnung im neunten Bezirk zu leisten57. Auf jeden Fall entschied er sich für das Viertel der Leopoldstadt, in dem die meisten seiner Verwandten lebten. Trotz des hohen Grads an Akkulturation schien sich Ignaz, wie viele andere 1870–1938, in  : Leon Botstein, Werner Hanak (Hgg.), Quasi una fantasia. Juden und die Musikstadt Wien (Wien 2003), 55. 52 Cf. Hugo Bot­stiber, Maturitäts-Zeugnis, 7. Juli 1893. Wienbibliothek. HIN 207608. 53 Dietrich W. Bot­stiber, Not on the Mayflower (Philadelphia 2007), 63. 54 Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört, 86. 55 Heute ist die Schule nach Siegmund Freud (1856–1939) benannt, der dort im Jahr 1873 maturiert hatte. Damals hatte sich das Gymnasium in der Taborstraße befunden. 1967 übersiedelte es an seinen jetzigen Standort in der Wohlmutgasse. Cf. Sigmund Freud-Gymnasium. Online  : http://www.freudgymnasium.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 56 Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1890), 289. 57 Die Tatsache, dass die gesamte Familie 1893 aus wirtschaftlichen Motiven in die USA immigrieren sollte, bestärkt diese Annahme.

21

22

Kindheit und Jugendjahre

Juden auch, noch immer auf das Familiennetzwerk als das effektivste Mittel der sozialen Integration zu verlassen58. Vor allem Ignaz’ Bruder Jakob, der in der nahe gelegenen Rueppgasse wohnte59, sollte eine wesentliche Rolle für die weitere Entwicklung den jungen Hugo spielen, wie noch zu sehen sein wird. Da Jakob beinahe 20 Jahre älter war als Ignaz, hatten seine Söhne während der 1860er Jahre noch in Gayring das Licht der Welt erblickt. Aber wie für andere junge Juden, die das provinzielle Kleinstadtleben hinter sich gelassen hatten, um in der Pracht der Metropole des Habsburger-Reiches ihr Glück zu versuchen60, boten sich ihnen in Wien viele Gelegenheiten zum beruflichen Aufstieg, die sie auf eindrucksvolle Art und Weise wahrnahmen. Der Schlüssel zum Erfolg war einmal mehr eine hervorragende Ausbildung. Wie bereits erwähnt, hatte Jakob erfolgreich sein eigenes Unternehmen gegründet und befand sich daher wohl in einer einigermaßen soliden finanziellen Position. Daher war er auch in der Lage, seine Söhne nicht nur auf ein Gymnasium, sondern sogar an die Universität zu schicken. Insofern waren die Beweggründe für Jakobs Entscheidung, nach Wien abzuwandern, nicht nur die Aussichten auf bessere ökonomische Rahmenbedingungen und Geschäftsmöglichkeiten, sondern auch die Option einer akademischen Ausbildung für seine Kinder. Eine solche wäre in der ungarischen Provinz nur schwer zu realisieren gewesen. Spätestens ab der Mitte der 1890er Jahre zeigte sich, dass sich die Übersiedlung ins Zentrum des Habsburgerreiches für Jakobs Söhne tatsächlich ausgezahlt hatte. Rudolf und Alois ordinierten als Ärzte61, Isidor war als Ingenieur tätig und Julius stand als hoher Beamter in Diensten einer Adelsfamilie62. Nur innerhalb einer Generation hatte sich Jakobs Zweig des Bot­stiber-Clans von Einwanderern aus der ungarischen Provinz zu respektierten Angehörigen des Wiener Bürgertums gewandelt. Von ihrem Erfolg zeugt nicht nur, dass sie sich Eigentumswohnungen und Häuser in den luxuriösesten Wohngegenden leisten konnten63, sondern auch, dass sie, entsprechend ihres neu erworbenen sozi­alen Status, in den »High-Life-Almanach«, einem Verzeichnis der vornehmen Gesellschaft der Reichs- und Residenzhauptstadt und der Kronländer, aufgenommen wurden64. 58 Cf. Wistrich, The Jews of Vienna, 55. 59 Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1886), 240. 60 Cf. McCagg, Habsburg Jews, 155. 61 Vor 1848 erfreute sich das Medizinstudium bei Juden besonderer Beliebtheit, da es die einzige Möglichkeit für sie war, eine akademische Karriere zu verfolgen. Aus diesem Grund waren beinahe ein Drittel aller Ärzte in Wien Juden. Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazugehört, 75. 62 Um 1890 wurde Julius zum Sekretär der fürstlichen Thurn- und Taxischen Generaldirektion ernannt. Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1890), 289. 63 Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1913), 118. 64 Cf. High-Life-Almanach. Adreßbuch der Gesellschaft Wiens und der österreichischen Kronländer (Wien 1913), 33.

Das amerikanische Zwischenspiel

Sehr wahrscheinlich machte der soziale Aufstieg von Jakobs Söhnen einen starken Eindruck auf Bot­stiber. Angesichts der räumlichen Nähe ihrer Wohnorte und der Bedeutung von verwandtschaftlichen Banden auch für assimilierte Juden war er wohl in engem Kontakt mit der Familie seines Onkels. Es ist anzunehmen, dass der Gymnasiast seine älteren Cousins bewundert haben dürfte, die bereits die Universität besuchten oder gerade in das Berufsleben eingestiegen waren und vielversprechende Karrieren vor sich hatten. Diese Begegnung mit einen modernen Umfeld voller Zukunftsperspektiven entfachte in ihm das Verlangen, einen ähnlichen Lebensstil zu erreichen. Aber als Bot­stiber im Juni 1893 letztendlich seine Matura bestand, musste er seinen Wunsch, seinen Cousins nachzueifern und ebenfalls ein Studium zu beginnen, um ein weiteres Jahr verschieben. Denn die nächste Station im Lebensweg des jungen Mannes war eine Reise, die ihn in ein weit entferntes und fremdes Land in Übersee führte.

Das a mer ik anische Zw ischenspiel Die großen urbanen Zentren der Habsburgermonarchie waren nicht die einzigen vielversprechenden Destinationen, nach denen sich Juden auf ihrer Suche nach Wohlstand und besseren Lebensumständen sehnten. Trotz der großen Distanz übten die stetig wachsenden jüdischen Viertel in den Städten der Vereinigten Staaten, allen voran die Lower East Side in New York, eine immer stärkere Anziehungskraft auf Emigrationswillige aus und zogen nicht nur abenteuerlustige junge Männer, sondern auch ganze Familien aus Mittel- und Osteuropa an.65 Auch Ignaz, der mittlerweile sein gesamtes Vermögen verloren hatte66, wurde immer empfänglicher für die Idee, in Übersee nach neuen Geschäftsmöglichkeiten zu suchen und in Amerika einen Neuanfang zu machen. Er wartete insofern nur darauf, bis sein Sohn seine Schulausbildung abschließen würde, und verließ Wien bereits einige Wochen vor dessen Matura am 7. Juli 1893. Offensichtlich um die nötigen Vorbereitungen für die Ankunft seiner Familie zu treffen, reiste Ignaz zunächst alleine über Rotterdam an Bord der »Veendam« nach New York, wo er am 17. Mai 1893 eintraf 67. Nina folgte zusammen mit dem mittler65 Cf. Lichtblau, Als hätten wir dazu gehört, 56ff. 66 Cf. Anna Freud-Bernays, Eine Wienerin in New York. Die Erinnerungen der Schwester Sigmund Freuds (Berlin 2006), 76. 67 Cf. Passenger List, Veendam, 17. Mai 1893 (Ankunft). Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1820–1897. NARA Microfilm Publication M237, Roll No. 609, No. 616.

23

24

Kindheit und Jugendjahre

weile 18-jährigen Hugo und dessen zwei Jahre jüngerer Schwester Ida am 31. Juli.68 Es ist nicht endgültig zu klären, ob es Verwandte oder Freunde gab, die sich bereits in den Vereinigten Staaten niedergelassen hatten, oder ob sie die Ersten aus ihrem Bekanntenkreis waren, die den Schritt ins Ungewisse wagten. Die Tatsache, dass Ignaz später zur ersten Anlaufstelle für andere Familienmitglieder wurde, die ebenfalls ihr Glück in Amerika suchten, spricht jedoch eher für die zweite Annahme. Nur zwei Tage nach der Ankunft seiner Familie reichte Ignaz seine sogenannte »Declaration of Intention« ein und suchte damit offiziell um die US-Staatsbürgerschaft an69. Dies zeigt auch, dass der Abschied aus Österreich endgültig war und er die Absicht hatte, sich dauerhaft in den Vereinigten Staaten niederzulassen. Die Familie wohnte zunächst nicht an der Lower East Side, die ähnlich wie die Leopoldstadt in Wien das bevorzugte Ansiedlungsgebiet für jüdische Neuankömmlinge war70, sondern bezog Quartier in der Bedford Avenue in Brooklyn71. Welcher konkreten Tätigkeit Ignaz nach seiner Ankunft nachging, lässt sich nicht feststellen, aber womöglich versuchte er, seine in Wien begonnene Karriere als Geschäftsmann fortzusetzen. In der Passagierliste der »Veendam« ist er jedenfalls noch als Händler gelistet. Woher er das Kapital für neue Unternehmungen in New York nahm, ist unklar. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass ihm seine neuen Bekanntschaften dabei unter die Arme griffen. Denn bereits im Dezember 1894 heirate seine erst 17-jährige Tochter Ida den um zehn Jahre älteren, in Zwittau in Mähren geborenen und ebenfalls emigrierten Albert Winternitz.72 Dieser war der Cousin von Valentin Winternitz, ebenfalls aus Zwittau und wie Albert von Beruf Kaufmann. Valentin Winternitz war 1887 eingewandert und fünf Jahre später eingebürgert worden73, ehe er 1895 eine Schwester Sigmund Freuds, Paula, heiratete. Bezeugt wurde die Eheschließung unter

68 In der Passagierliste der »Veendam« sind die drei unter dem Namen »Batstiber« verzeichnet. Cf. Passenger List, Veendam, 31. Juli 1893 (Ankunft). Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1820–1897. NARA Microfilm Publication M237, Roll No. 615, No. 309–311. 69 Cf. Ignaz Bot­stiber, Declaration of Intention, 2. August 1893, in  : Ignaz Bot­stiber, Petition for Naturalization, 21. Juli 1906. Petitions for Naturalization of the US District Court for the Eastern District of New York, 1865–1937. NARA Microfilm Publication M1879, Roll No. 99, Vol. 89, Page No.18. 70 Cf. Dietmar Pertsch, Scholem-alejchem, New York  ! Auf den Spuren jüdischer Einwanderer in New York (Hamburg 2009), 63ff. 71 Die Williamsburg Bridge, die heute Manhattan und Brooklyn verbindet, wurde erst im Jahr 1903 fertiggestellt. 72 Cf. Albert Winternitz, Certificate of Marriage, 23. Dezember 1894. Municipal Archives, New York City. Manhattan Marriage Certificates, 1894 16660–17388 1895 1-400 314, No. 16929. 73 Cf. Valentine Winternitz, Passport Application, 22. März 1893. Passport Applications, 1795–1905. NARA Microfilm Publication M1372, Roll No. 404, No. 260.

Das amerikanische Zwischenspiel

anderem von Ely Bernays74, einem jüdischen Unternehmer aus Deutschland, der zuvor zehn Jahre in Wien gewohnt hatte und der mit einer anderen Schwester Freuds, Anna, verheiratet war75. Das Paar war 1892 in Begleitung ihres Sohnes Edward, der später als Erfinder der Public Relations Bekanntheit erlangen sollte, in die USA gekommen. Wie sich dieser in seinen Memoiren erinnert, lebte seine Familie zunächst in Herbergen in Manhattan, bis der Vater es zu einem angesehenen Getreidehändler an der New Yorker Börse gebracht hatte und daher in der Lage war, sich um 1895 ein Haus in der 139. Straße in der Bronx leisten zu können76. Ähnlich wie Ignaz Bot­stiber war auch Ely Bernays zunächst alleine nach New York gereist und hatte dort alle nötigen Vorkehrungen getroffen, ehe er die Familie nachkommen ließ. So hatte er auch mögliche berufliche Optionen ausgelotet und fand letztlich eine Stelle an der Börse. Ignaz, der nicht nur dessen Schicksal als Einwanderer, sondern wohl auch seine Ambitionen teilte, dürfte diesem Beispiel gefolgt sein. Tatsächlich schien zwischen den beiden Familien aus einer bloßen Bekanntschaft bald eine Freundschaft entstanden zu sein77. Wie Anna Freud-Bernays in ihrer Autobiographie anmerkt, waren sie, ihr Ehemann sowie ihre Schwester Paula zu Idas Hochzeit mit Albert Winternitz eingeladen, die in einer kleinen Wohnung in der 72. Straße stattfand, wahrscheinlich das damalige Zuhause der Bot­stibers.78 Die Familien waren auch dadurch miteinander verbunden, dass sie sich zur selben Zeit, nämlich um die Mitte der 1890er Jahre, über Nachwuchs freuen konnten. Während die BernaysTöchter Hella und Martha 1893 und 1895 das Licht der Welt erblickten, schenkte Ida Bot­stiber ihrer Tochter Elsa im Jänner 1896 das Leben. Zwei Monate später kam letztendlich Beatrice, die Tochter von Valentin Winternitz und Paula Freud, die später in Wien Musik studieren sollte, auf die Welt.79 74 Cf. Valentin Winternitz, Certificate of Marriage, 16. Juni 1895. Municipal Archives, New York City. Manhattan Marriage Certificates, 1895 8900–10000 322. 75 Freud selbst war mit Bernays Schwester Martha verheiratet. 76 Cf. Edward L. Bernays, Biographie einer Idee. Die Hohe Schule der PR. Lebenserinnerungen (Düsseldorf und Wien 1967), 21f. 77 Vier Jahrzehnte später sollte Bot­stibers Sohn Dietrich Briefe der Bernays an seine Großeltern finden. Deren Inhalt beschreibt er als »cordial in nature, with a note of thanks for things not mentioned in detail«. Bot­stiber, Mayflower, 180. 78 Laut Anna fand das erste Zusammentreffen ihrer Schwester Paula mit ihrem späteren Ehemann Valentin Winternitz bei dieser Hochzeit statt. Cf. Freud-Bernays, Wienerin in New York, 76. 79 Der Arzt Ephraim Winternitz war sowohl bei Elsas als auch bei Beatrices Geburt anwesend. Er bezeugte auch die Eheschließung von Ida und Albert. Cf. Elsa Winternitz, Certificate and Record of Birth, 14. Jänner 1896. Municipal Archives, New York City. New York County, Manhattan Birth Certificates, 1896 1–2725 A327, No. 2289  ; Beatrice Winternitz, Certificate and Record of Birth, 19. März 1896. Municipal Archives, New York City. New York County, Manhattan Birth Certificates, 1896 11051–13634 A331, No. 12739.

25

26

Kindheit und Jugendjahre

Es hat also den Anschein, dass die Bot­stibers bald nach ihrer Ankunft mit einer Reihe von erfolgreichen Einwanderern verkehrten, wodurch ihnen die Eingewöhnungsphase in New York sicherlich erleichtert wurde. Um die Jahrhundertwende gründete Ignaz bereits sein eigenes Geschäft, wobei der ehemalige Holzhändler jedoch die Branche wechselte. Ab 1902 ist er in den New Yorker Adressbüchern als Inhaber eines »Novelties Shop« in der Lispenard Street nahe der Canal Street in Lower Manhattan zu finden und war als Importeur und Fabrikant von »fancy goods, notions and small wares« tätig.80 Ignaz betrieb dieses Geschäft zunächst aber nicht alleine, obwohl er sich bei späterer Gelegenheit als alleiniger Eigentümer bezeichnen sollte. Zumindest im Jahr 1903 hatte er einen Partner, wie der Firmenname »Bot­stiber & Hahn« belegt81. Darüber hinaus scheint aber auch seine Frau Nina zwischen 1905 und 1906 als Besitzerin auf.82 Der Grund dafür dürfte womöglich Ignaz’ neuerlicher Konkurs gewesen sein. Denn wie auch Anna Freud-Bernays in ihren Memoiren anmerkt, war es in Wirklichkeit Nina, die von den beiden Geschäftssinn besaß, und während Ignaz abermals scheiterte, wurde aus ihr eine erfolgreiche Unternehmerin.83 Trotz zwischenzeitlicher Misserfolge machten sich die Mühen der Emigration und des Neuanfangs in Übersee für Ignaz und Nina bezahlt. Der Umstand, dass sie bald in der Lage waren, mit ihrem Geschäft an eine bessere Adresse am Broadway zu übersiedeln, spricht dafür, dass ihr Unternehmen offenbar florierte. Darüber hinaus verlegten sie ihren Wohnsitz in eine vornehmere Gegend in Midtown Manhattan, in die auch die Bernays mittlerweile gezogen waren, und leisteten sich eine Haushaltshilfe.84 Als Ignaz, und daher auch seine Gattin, im Juli 1906 nach 13 Jahren in den Vereinigten Staaten endlich eingebürgert wurde85, begann Nina, sogar Hypothekendarlehen zu vergeben86, was zeigt, dass sie offenbar über beträchtliche finanzielle Mittel verfügte. Sie war auch 80 Cf. City Directory, New York City, 1902. Ancestry. Online  : www.ancestry.com [letzter Zugriff  : 24. April 2012]. 81 Cf. City Directory, New York City, 1903. Ancestry. Online  : www.ancestry.com [letzter Zugriff  : 24. April 2012]. 82 Cf. City Directories for New York (New York 1905), 1134  ; City Directories for New York (New York 1906), 770. 83 Dies entspricht auch Dietrich Bot­stibers späterer Einschätzung, wonach sein Großvater ohne seine Frau hilflos war. Cf. Freud-Bernays, Wienerin in New York, 76  ; Bot­stiber, Mayflower, 225. 84 Cf. New York State Census, 1905. FamilySearch. Online  : https  ://familysearch.org [letzter Zugriff  : 18. Dezember 2013]  ; 13th Census of the United States, 1910, New York. NARA Microfilm Publication T624, Roll No. 1027, New York (ED’s 703, 705-730, 1420, 1431, 1644) County. ED No. 725, 2B. 85 Im betreffenden Dokument ist Ignaz unter dem Namen »Botstein« gelistet. Cf. Ignaz Bot­stiber, Petition for Naturalization, 21. Juli 1906. Petitions for Naturalization of the US District Court for the Eastern District of New York, 1865–1937. NARA Microfilm Publication M1879, Roll No. 99, Vol. 89, 18. 86 Cf. Recorded Mortgages, in  : The New York Times, 9. August 1906, 12.

Das amerikanische Zwischenspiel

in einen von den Medien aufgegriffenen Zwischenfall involviert, als sie für einen Bekannten, der des schweren Diebstahls beschuldigt wurde, erst die Kaution in der Höhe von 1.000 US-Dollar stellte, diese dann aber wieder zurückzog.87 Bei dem Verdächtigen handelte es sich um einen durch die Börsenkrise von 1907 ruinierten Broker und den Bruder des österreichischen Impresarios Heinrich Conried, der von 1903 bis 1907 als Direktor die Geschicke der Metropolitan Opera in New York leitete. Die Nachrichten von Ignaz’ und Ninas wirtschaftlichem Erfolg und sozialem Aufstieg in Amerika erreichten offensichtlich auch Österreich und erregten die Aufmerksamkeit einiger Familienmitglieder, die ebenfalls gewillt waren, den Atlantik zu überqueren. Der erste Verwandte, der das Paar in Übersee aufsuchen sollte, war Berthold, der jüngste Sohn von Ignaz’ Bruder Jakob. 1898, im Alter von nur 17 Jahren, 1900 und 1908 reiste Berthold alleine nach New York, wo er bei seiner Tante und seinem Onkel wohnte.88 Der Zweck dieser Reisen ist unbekannt, aber da er jedes Mal nach Wien zurückkehrte, ist nicht davon auszugehen, dass er tatsächlich plante, sich dauerhaft in den Vereinigten Staaten niederzulassen. Paul, ein weiterer Neffe von Ignaz89, hegte andere Absichten. Dieser kam im März 1904 in New York an und quartierte sich ebenfalls bei Ignaz und Nina ein.90 1907 heiratete er eine österreichische Emigrantin und gründete mit ihr eine Familie in Chicago, wo er in weiterer Folge als Schneider arbeitete.91 Bot­stiber selbst erlebte weder den wirtschaftlichen Aufstieg seiner Eltern und die Ankunft seiner Verwandten aus Wien, noch teilte er ihre Begeisterung für Amerika oder gar ihr Verlangen, die US-Staatsbürgerschaft zu erhalten. Laut der Autobiographie seines Sohnes hatte er einige Jahre in New York zugebracht92  ; in Wirklichkeit war er aber noch vor dem Sommer 1894, nach weniger als zwölf Monaten, bereits wieder dauerhaft nach Österreich zurückgekehrt. Zwar sollte er in den kommenden Jahren zumindest zweimal nach New York reisen  ; einmal im Juni 1896, wohl um 87 Cf. Broker Conried in a Cell. Surrendered by Woman who signed his Bond on Grand Larceny Charge, in  : The New York Times, 3. März 1908. Online  : www.nytimes.com [letzter Zugriff  : 19. Dezember 2013]  ; Broker Conried gone is under Charges, in  : The New York Times, 16. März 1908. Online  : www.nytimes.com [letzter Zugriff  : 19. Dezember 2013]. 88 Cf. Passenger List, SS Graf Waldersee, 8. Jänner 1908 (Abfahrt). Ellis Island Foundation. Online  : http://www.ellisisland.org [letzter Zugriff  : 18. Dezember 2013]. 89 Paul war der Sohn von Ignaz’ Bruder Moriz. 90 Cf. Passenger List, SS Grosser Kurfürst, 20. Februar 1904 (Abfahrt). Ellis Island Foundation. Online  : http://www.ellisisland.org [letzter Zugriff  : 19. Dezember 2013]. 91 Von seinen drei Kindern überlebte nur Pauls 1910 geborener Sohn Ernest. Seine beiden 1908 und 1916 zur Welt gekommenen Töchter Esther und Lenora starben beide im Kindbett. Cf. 13th Census of the United States, 1910, Illinois. NARA Microfilm Publication T624, Roll No. 264, Cook (ED’s 914-955) County. ED No. 946, 12B. 92 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 57.

27

28

Kindheit und Jugendjahre

seine neugeborene Nichte Elsa zu sehen93, und fünf Jahre später erneut, um seine Eltern zu besuchen und bei dieser Gelegenheit auch musikwissenschaftliche Forschungen an der New York Public Library durchzuführen94. Im Mittelpunkt von Bot­stibers Plänen stand aber eindeutig Wien, nicht Amerika. An die Stelle seiner Eltern, die ihre Energie darauf verwendeten, sich in Übersee eine neue Existenz aufzubauen, traten insofern andere Verwandte, die dem ehrgeizigen jungen Mann unter die Arme griffen und den Weg in eine vielversprechende Zukunft wiesen. Studentenjahr e Die Gründe, aus denen Bot­stiber beschloss, nach Wien zurückzukehren, liegen im Dunklen. Einerseits mag es eine pragmatische Entscheidung gewesen sein. Da seine österreichische Matura an amerikanischen Universitäten nicht anerkannt wurde, war der einzige Weg, es seinen Cousins gleichzutun und eine akademische Laufbahn einzuschlagen, die Heimkehr nach Österreich. Zudem missfielen ihm womöglich das Leben in den Vereinigten Staaten im Allgemeinen sowie das Immigranten-Dasein in New York. Laut seinem Sohn sprach Bot­stiber niemals über seine Zeit als junger Mann in Übersee. Dietrich verweist in seinen Memoiren aber mehrfach auf die geringschätzige Haltung seines Vaters gegenüber den in seinen Augen kulturell minderwertigen Vereinigten Staaten95. Nachdem er wieder in Wien angekommen war, schrieb sich Bot­stiber im Frühsommer 1894 an der Universität Wien ein96. Anders, als seine zukünftige Karriere als Musikpublizist und -manager vielleicht erwarten ließe, wählte er jedoch kein kunstsinniges Fach, sondern entschied sich zunächst für ein Studium der Rechtswissenschaften. Dieser Schritt war womöglich ebenfalls pragmatischen Überlegungen geschuldet. Obwohl Juden sich in ihrer Freizeit in hohem Maße der Musik widmeten, erschien eine diesbezüglich professionelle Laufbahn als zu risikoreich und sogar unwürdig und wurde daher in vielen jüdischen Familien prinzipiell abgelehnt.97 Ein Abschluss in 93 In der Passagierliste wird er irrtümlicherweise bereits als »Dr. jur.« geführt. Cf. Passenger List, Augusta Victoria, 12. Juni 1896 (Ankunft). Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1820–1897. NARA Microfilm Publication M237, Roll No. 660, No. 154. 94 Cf. Hugo Bot­stiber, Musicalia in der New York Public Library, in  : Sammelbände der internationalen Musikgesellschaft 4 (1902/1903), 738. 95 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 46. 96 Laut seiner Studienunterlagen ersuchte Bot­stiber die Universitätsleitung um eine nachträgliche Inskription für das Sommersemester 1894, welche am 9. Juni vom Rektorat genehmigt wurde. Es ist also anzunehmen, dass er sich bis dahin noch in New York aufgehalten hatte. Cf. Hugo Bot­stiber, Meldungsbuch an der juridischen Fakultät. Wienbibliothek. HIN 207627.  97 Cf. Botstein, Sozialgeschichte, 55.

Studentenjahre

Rechtswissenschaften wurde hingegen als solide berufliche Ausgangsbasis erachtet. Insofern inskribierten viele Gymnasiasten an der juridischen Fakultät, wohl in einigen Fällen auch in Ermangelung einer vernünftigen Alternative. Eine Laufbahn als Rechtsanwalt versprach jedenfalls ein gesichertes Einkommen und eine komfortable Lebensweise und wirkte damit auf Bot­stiber eine besondere Anziehungskraft aus. Denn er war offenbar nicht daran interessiert, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten und ebenfalls als Kaufmann oder Händler tätig zu werden, zumal er bei seiner Ankunft in Wien vermutlich mittellos war. Da seine Eltern einen Neuanfang in Übersee wagten und gerade erst versuchten, in der New Yorker Geschäftswelt Fuß zu fassen, ist es eher unwahrscheinlich, dass ihr Sohn in Österreich substantielle finanzielle Unterstützung von ihnen erhielt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Bot­ stiber in dieser Zeit von seinen in Wien lebenden Verwandten abhängig war. Während seines Studiums wechselte er oftmals den Wohnsitz, was darauf hindeutet, dass er sich abwechselnd bei den Brüdern seines Vaters, vor allem bei Jakob, einquartierte. Auch seine Schwester Ida, die mit Ehemann und Tochter ebenfalls nach Wien zurückkehrte, fand zunächst Unterschlupft bei Jakob. Beiden scheint also von den in Wien zu Wohlstand gekommenen Onkeln und Cousins geholfen worden zu sein, was von einem großen Zusammenhalt innerhalb der Familie zeugt. So fungierten etwa Jakob und dessen Sohn Isidor als Zeugen bei der Geburt von Idas Töchtern Grete und Martha in den Jahren 1897 und 190098, während Ignaz wie bereits erwähnt den Söhnen seiner Brüder während ihrer Aufenthalte in New York Obdach gewähren sollte99. Im Vergleich mit seinen doch eher unspektakulären Leistungen im Gymnasium präsentierte sich Bot­stiber an der Universität als eifriger Student, der sein Studium zielstrebig vorantrieb. Im April 1896 bestand er mit der rechtshistorischen Staatsprüfung das erste der drei Hauptexamen. In Ergänzung zu den Fächern an der juridischen Fakultät belegte er zudem wirtschaftswissenschaftliche Kurse und besuchte Vorlesungen über Nationalökonomie oder Finanzwissenschaften bei Carl Menger und zu Volkswirtschaftspolitik bei Eugen Philippovich von Philippsberg.100 Zweifellos waren diese breitgefächerten Interessen und die dadurch absolvierte interdisziplinäre Ausbildung ein nicht zu unterschätzender Mehrwert in Bezug auf Bot­stibers spätere Rolle als Vermittler zwischen dem Künstlerischen, dem Administrativen und dem Ökonomischen, vor allem hinsichtlich der Frage zur Organisation und Finanzierung musikalischer Darbietungen.  98 Cf. Grete Winternitz, in  : Geburtsbuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1897, No. 613  ; Martha Winternitz, in  : Geburtsbuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1900, No. 1619.  99 Moriz war auch Ignaz’ Beistand bei dessen Heirat mit Nina, während Ignaz wiederum bei der Geburt von Moriz’ Sohn Paul als Zeuge anwesend war. Cf. Paul Bortstiber, in  : Geburtsbuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1878, No. 626. 100 Cf. Hugo Bot­stiber, Meldungsbuch an der juridischen Fakultät. Wienbibliothek. HIN 207627.

29

30

Kindheit und Jugendjahre

Neben den akademischen Inhalten seiner Ausbildung beschäftigte den angehenden Juristen während seiner Studienzeit aber auch ein gravierendes persönliches Anliegen. 1897 konvertierte Bot­stiber wie viele junge Juden seiner Generation zum Katholizismus und wurde am 25. November in der Pfarre St. Josef im zweiten Bezirk getauft.101 Abermals scheint hier sein Pragmatismus federführend gewesen zu sein. Für eine mögliche Karriere im öffentlichen Sektor hätte sein jüdischer Glaube ein nicht zu überwindendes Hindernis dargestellt. Trotz des zwischenzeitlichen Triumphs des Liberalismus und der damit verbundenen Reformen blieb Österreich vom Katholizismus dominiert, und die Habsburger waren bemüht, diesen Zustand aufrechtzuerhalten.102 Auch wenn die Verfassung von 1867 den Juden die Gleichstellung hinsichtlich ihrer Bürgerrechte zugesichert hatte, wurden ihnen hohe Positionen in der Verwaltung oder im diplomatischen Dienst nach wie vor vorenthalten. Abgesehen von dieser »inoffiziellen offiziellen Diskriminierung«, die unter der Oberfläche weiterhin existierte103, sah sich die jüdische Bevölkerung während des späten 19. Jahrhunderts mit einem wachsenden und immer offener zur Schau gestellten Antisemitismus konfrontiert. In der Tat fiel Bot­stibers Übertritt zum Katholizismus mit der Ernennung Karl Luegers zum Bürgermeister Wiens zusammen, der antisemitische Agitation als integralen Bestandteil in sein politisches Programm einfließen ließ104. Seine aggressive Hetze gegen Juden fand nicht nur Gefallen bei der unteren Mittelschicht, sondern auch bei Teilen des Bildungsbürgertums.105 Ähnlich der Situation, die während der Revolution von 1867 in Ungarn zutage getreten war, betrachteten nun Händler und Handwerker, die darum bemüht waren, ihren sozialen Status zu erhalten, ihre jüdischen Mitbewerber zunehmend mit Argwohn und wurden empfänglich für Luegers politische Botschaft. Lueger bediente sich seiner skrupellosen antisemitischen Parolen vor allem aus wahlstrategischem Kalkül, um Unterstützung in der Bevölkerung für seinen politischen Aufstieg zu gewinnen. Die konkretere Gefahr im Sinne eines tatsächlich völ101 Cf. Anna Staudacher, »… meldet den Austritt aus dem mosaischen Glauben«. 18000 Austritte aus dem Judentum in Wien, 1868–1914  : Namen – Quellen – Daten (Frankfurt/Main et al. 2009), 73  ; Taufregister der Pfarre Sankt Josef, Wien, 1897, Fol. 36. 102 Cf. Beller, Wien und die Juden, 206. 103 Cf. ibid. 207. 104 Kaiser Franz Joseph weigerte sich ursprünglich, Lueger aufgrund dessen antisemitischer Rhetorik zum Bürgermeister zu ernennen. Erst nachdem Lueger insgesamt vier Wahldurchgänge gewonnen hatte, gab er schließlich sein Einverständnis. Cf. Margaret Notley, Brahms as Liberal. Genre, Style, and Politics in Late Nineteenth-Century Vienna, in  : 19th Century Music 17/2 (1993), 111. 105 Cf. Jürgen Nautz, Politik und Lebenswelt in Wien um 1897, in  : Christian Glanz (Hg.), Wien 1897. Kulturgeschichtliches Profil eines Epochenjahres. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 8 (Frankfurt/Main et al. 1999), 30f.

Studentenjahre

kisch motivierten Antisemitismus ging vom Anführer der deutschnationalen Partei, Georg Ritter von Schönerer, aus, der die »Entfernung des jüdischen Einflusses [aus] allen Bereichen des öffentlichen Lebens« forderte106. Ein großer Teil seiner Anhänger bestand aus Studenten und Hochschulprofessoren, wobei vor allem die Universität Wien ein Zentrum antisemitischer Agitation durch großdeutsche Studentenverbindungen war107. In dieser für Juden angespannten Atmosphäre, in der er wahrscheinlich Zeuge und vielleicht auch selbst Opfer verbaler oder gar physischer Übergriffe wurde108, entschloss sich Bot­stiber daher zum finalen Schritt im Prozess der Assimilierung und konvertierte. Angesichts seiner von einem säkularen Umfeld geprägten Kindheit und Jugend und der darauf basierenden Annahme, dass seine Bindung zum Judentum eher lose war, erscheint diese Entscheidung durchaus nachvollziehbar. Später sollten seine Cousins seinem Beispiel folgen – also diejenigen Familienmitglieder, die wie er in einem von deutscher Kultur und Sprache geprägten Umfeld aufgewachsen waren, mittlerweile zum Bürgertum zählten und sich ohnehin nicht mehr als Juden fühlten. Alois und Julius erklärten ihren Austritt aus der Israelitischen Kultusgemeinde im Jahr 1900, Isidor und Rudolf 1902, und Berthold 1903.109 Ob Bot­stibers Entscheidung, im Sommersemester 1898 zusätzlich zu seinem Studium der Rechtswissenschaften als außerordentlicher Hörer Kurse in Musikwissenschaft zu belegen, in Verbindung mit seiner Konversion stand, ist zwar Spekulation, liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen. Denn in diesem Zusammenhang gewinnt die bereits angesprochene Frage nach Identität wieder an Relevanz. Viele getaufte Juden kamen sich im religiösen Sinn verloren vor, da sie sich weder dem Judentum noch dem Katholizismus zugehörig fühlten. Dies war umso mehr der Fall, wenn die Konversion aus pragmatischen Gründen erfolgt war. In solch einer Situation wurden Kunst und Kultur sowohl als romantisierter Ersatz für Religion als auch als Instrument zur Identitätsstiftung wichtiger denn je.110 Dies ist aber nur eine mögliche Erklärung dafür, warum sich Bot­stiber der Musik zuwandte. Vielleicht war seine Entscheidung auch purem Interesse geschuldet. Er war vielleicht aufgrund seiner humanistischen Ausbildung seit seiner Schulzeit von 106 Zitiert in Allan Janik, Stephen Toulmin, Wittgensteins Wien (München et al. 1989), 68f. 107 Cf. Wistrich, The Jews of Vienna, 59f. 108 Deutschnationale Studenten hinderten ihre jüdischen Kommilitonen etwa am Betreten der Universität oder beleidigten sie öffentlich in den Hörsälen. Cf. ibid. 60. 109 Abgesehen von Hugo waren die oben genannten Cousins und deren Schwester Isabella sowie die Gattinnen von Rudolf und Alois die einzigen von dutzenden Bot­stibers, die ihren mosaischen Glauben aufgaben. Die Trennlinie innerhalb des Clans zwischen den in der sozialen Hierarchie Aufgestiegenen – also Jakobs Kindern, deren Partnerinnen sowie Hugo – und den weiterhin zur Arbeiterklasse bzw. unteren Mittelschicht gehörenden Familienmitgliedern scheint insofern auch über die Religionszugehörigkeit ihren Ausdruck gefunden zu haben. Cf. Staudacher, Austritt, 73f. 110 Cf. Klieber, Lebenswelten, 45ff.

31

32

Kindheit und Jugendjahre

klassischer Musik fasziniert. Jedenfalls spielte er bereits als Jugendlicher recht passabel Klavier und hatte in New York Klavierstunden gegeben, um zum Familieneinkommen beizutragen111. Eventuell wollte er sich auch eine zusätzliche Qualifikation aneignen, um bessere Chancen auf eine Anstellung vorzufinden, oder das Jusstudium allein genügte ihm nicht mehr und er begann sich zu langweilen. Denn bis zum Ende des Wintersemesters 1897/1898 hatte er alle für den Abschluss seines Studiums erforderlichen Kurse absolviert und im März 1898 die zweite von drei Staatsprüfungen bestanden. Auch scheint es durchaus denkbar, dass der Umgang mit seinen Verwandten eine gewichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt hatte. Angesichts des Wohlstands und des sozialen Status, den Jakob und seine Söhne erreicht hatten, dürfte Bot­stiber wohl verstärkt mit der Wiener Hochkultur in Berührung gekommen sein, während er bei seinem Onkel wohnte und mit seinen Cousins verkehrte. Es ist sicherlich kein Zufall, dass etwa Alois ein ausgewiesener Kunstliebhaber war. Neben seiner Tätigkeit als Zahnarzt trat er als Schriftsteller in Erscheinung und beteiligte sich an verschiedenen musikalischen Unternehmungen112. So wurde er 1896 zum Obmann des Orchestervereins Polyhymnia gewählt und war seitdem mit dem bedeutendsten Vertreter der Zweiten Wiener Schule, Arnold Schönberg, bekannt. Möglicherweise diente also Alois, der auch an moderner Musik interessiert war113, als Vorbild für Bot­stiber und inspirierte seinen jüngeren Cousin, eine Ausbildung und später eine Karriere im kulturellen Bereich anzustreben. Was auch immer der Grund für seine Entscheidung war, Bot­stiber gehörte jedenfalls zur ersten Generation von Studenten am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien, das erst 1898 von Guido Adler als Musikhistorische Lehrmittelsammlung gegründet worden war. Adler war der Nachfolger Eduard Hanslicks114, der Musikgeschichte an der Universität Wien gelehrt hatte und zwischen 1860 und 1900 111 Cf. Freud-Bernays, Wienerin in New York, 76. 112 Alois Bot­stiber war der Autor von »Der Zauberkaftan«, einer Komödie in fünf Akten, und der Erzählung »Märchen aus 1001 Nacht«, die die Basis für die Oper »Licht des Tages« des steirischen Komponisten Ernst Josef Matheis bildete. Er war auch ein enger Freund des Dirigenten und Komponisten Felix Weingartner und trug zur Festschrift anlässlich dessen 70. Geburtstags bei. Cf. Alois Bot­stiber, Der Zauberkaftan. Komödie in fünf Akten. Wienbibliothek. B 107779  ; Claudia Maurer Zenck (Hg.), Ernst Krenek. Briefwechsel mit der Universal Edition (1921–1941) (Köln et al. 2010), 638  ; Alois Bot­stiber, Carmen hört zu, in  : Wilhelm Merian et al. (Hgg.), Festschrift für Dr. Felix Weingartner zu seinem siebzigsten Geburtstag (Basel 1933), 98–103. 113 Cf. Alois Bot­stiber, Brief an Arnold Schönberg, 2. März 1909. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 114 Hanslicks Lehrstuhl für die Geschichte und Aesthetik der Tonkunst, der 1861 beziehungsweise 1870 ins Leben gerufen worden war, war der erste seiner Art an der Universität Wien. Cf. Theophil Antonicek, Allgemeine Entwicklung und historische Musikwissenschaft, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Von der Revolution 1848 zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 330.

Studentenjahre

als die »am meisten gefürchtete Persönlichkeit im Wiener Musikleben«115 galt. Als einer der einflussreichsten Musikkritiker seiner Zeit war Hanslick ein scharfer Gegner jeder Form von emotionaler und programmatischer Musik und bevorzugte den Klassizismus und Ästhetizismus der Wiener Ringstraßen-Ära. Vor allem den Werken der Neudeutschen Schule von Franz Liszt und Richard Wagner sowie jenen von Anton Bruckner und Hugo Wolf begegnete er mit unverhohlener Ablehnung.116 Adler, der unter anderem bei Bruckner studiert hatte, unterschied sich diesbezüglich von seinem Vorgänger. Zwar teilte er Hanslicks Passion für die klassischen Schöpfungen der Wiener Schule von Haydn, Mozart und Beethoven und derjenigen Komponisten des 19. Jahrhunderts, die in ihrer Tradition standen. Er war jedoch auch empfänglich für musikalische Neuerungen und zählte zu den Bewunderern Wagners117. Sowohl Hanslick als auch Adler hatten übrigens Rechtswissenschaften studiert, ehe sie sich der Musikwissenschaft zuwandten  ; Bot­stibers akademischer Werdegang war mit Hinblick auf seine spätere Karriere im Musikwesen also keineswegs einzigartig. Bot­stibers Studium der Rechtswissenschaften geriet allerdings ab 1898 allmählich ins Hintertreffen. Im Juli fiel er bei seinem letzten Hauptexamen, der staatswissenschaftlichen Staatsprüfung, durch118, die er für den Abschluss seines Studiums benötigte. Darüber hinaus gibt es keine Anzeichen, dass er seine dreijährige Rechtspraxis, für die er per Bescheid vom 4. April 1898 dem k. k. Landesgericht Wien zugeteilt wurde und die die Grundvoraussetzung darstellte, um Rechtsanwalt werden zu können119, jemals absolvierte. Stattdessen widmete er sich neben seinem Studium der Musikwissenschaft auch einem praktischen Zugang zur Musik und schrieb sich im Herbst 1898 nach bestandener Aufnahmeprüfung als Student am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ein. 1812 von bürgerlichen Musikliebhabern gegründet, war der Hauptzweck dieser Gesellschaft die »Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen«120. Um dieses Ziel zu erreichen, veranstaltete sie nicht nur Konzerte, sondern hatte auch eine Bibliothek und das Konservatorium ins Leben gerufen, das sich zur wichtigsten Musikausbildungsstätte im Habsburgerreich entwickelt hatte. Bot­stiber entschied sich für Komposition als Hauptfach und wurde von Robert Fuchs, einem Bruckner-Schüler, unterrichtet. Als 115 William M. Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938 (Wien et al. 2006), 143. 116 Cf. ibid. 143f. 117 Cf. ibid. 144f. 118 Cf. Hugo Bot­stiber, Meldungsbuch an der juridischen Fakultät. Wienbibliothek. HIN 207627. 119 Cf. Hugo Bot­stiber, Zulassung zur Rechtspraxis, 4. April 1898. Wienbibliothek. HIN 207612. 120 Eusebius Mandyczewski, Zusatz-Band zur Geschichte der K.K. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Sammlungen und Statuten (Wien 1912), 197.

33

34

Kindheit und Jugendjahre

Nebenfächer wählte er Klavier und Chorgesang.121 Laut dem statistischen Bericht des Konservatoriums für das Studienjahr 1898/1899 wurde er nicht dem ersten, sondern dem zweiten Jahrgang der Chorschule zugeteilt. Er dürfte also ein talentierter Sänger gewesen sein und hatte möglicherweise bereits während seiner Schulzeit Gesangsunterricht erhalten oder war einem der zahlreichen bürgerlichen Gesangsvereine beigetreten. Bot­stibers Studium am Konservatorium wirft auch Licht auf seine finanzielle Situation während dieser Zeit. Um sich die musikalische Ausbildung leisten zu können, bewarb er sich um eine Befreiung von den Studiengebühren. Seine Mittellosigkeit wurde ihm vom Armen-Institut sowie vom sogenannten Armenrat Leopoldstadt bestätigt, wo er laut Ansuchen zu diesem Zeitpunkt wohnhaft war. Wie das Dokument anführt, erhielt er weder Unterstützung von seinen Eltern, noch hatte er irgendeine Art von Einkommen.122 Zwar sollte Bot­stiber Jahrzehnte später in einem selbst verfassten Lebenslauf angeben, dass er auch ein Stipendium der Stadt Wien erhalten hatte123, aber dieses reichte wohl kaum aus, um die gesamten Kosten für seine verschiedenen Studien abzudecken. Um also seiner finanziellen Notlage entgegenzuwirken und wohl auch um praktische Erfahrung zu sammeln und Kontakte zu knüpfen, nahm er neben seiner Ausbildung eine Stelle als Bibliotheksgehilfe bei der Gesellschaft der Musikfreunde an124, die er auf Empfehlung des Archivars der Gesellschaft, Eusebius Mandyczewski, bekam125. 121 Cf. Conservatorium für Musik und darstellende Kunst, Statistischer Bericht 1898–1899. 22. 122 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 211 ex 1898/99. GdM. 123 Cf. Fragebogen der Society for the Protection of Science and Learning, ausgefüllt von Hugo Bot­ sti­ber, eingegangen am 18. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 124 Laut Otto Biba war Bot­stiber zwischen 1898 und 1901 in der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde tätig. Im oben zitierten Fragebogen an die Society for the Protection of Science and Learning datierte Bot­stiber selbst den Beginn seiner Tätigkeit auf das Jahr 1897, verwechselte dabei aber möglicherweise die Jahreszahl oder bezog sich auf das Schuljahr oder die Saison 1897/1898. Laut Fragebogen zur Feststellung seiner Mittellosigkeit, den er im September 1898 für seinen Antrag auf Befreiung von den Studiengebühren ausfüllen musste, hatte er keinen anderen Beruf außer den des Studenten der Rechtswissenschaften und verfügte auch über kein Einkommen. Unabhängig von Bot­stibers tatsächlichem Dienstantritt dürfte seine offizielle Bezeichnung aber jedenfalls nicht »Amanuensis«, wie in mehreren der lexikographischen Einträgen zu seiner Person angeben, gelautet haben, da diese in der Chronik der Gesellschaft der Musikfreunde zum ersten Mal im Jahr 1904 auftaucht. Obwohl spätere Mitarbeiter, die die Position des Amanuensis oder auch des Bibliotheksadjunkten innehatten, namentlich genannt werden, wird Bot­stiber in der Chronik überhaupt nicht erwähnt. Cf. Richard von Perger, Robert Hirschfeld, Geschichte der K. K. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Wien 1912), 228f  ; Otto Biba, Alexander Zemlinsky. Bin ich kein Wiener  ? (Wien 1992), 26. 125 Cf. Dr. Hugo Bot­stibers sechzigster Geburtstag, in  : Neue Freie Presse, 19. April 1935, 5.

Studentenjahre

Trotz seiner Mehrfachbetätigung am Institut für Musikwissenschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde wiederholte Bot­stiber die staatswissenschaftliche Staatsprüfung im Juni 1899, die er dieses Mal bestand, und promovierte damit zum Doktor der Rechtswissenschaften126. Damit war er in der Lage, sich voll und ganz auf die Musik zu konzentrieren. Nach drei Semestern mit fünf Vorlesungen bei Heinrich Rietsch und Guido Adler schrieb er sich im Oktober 1899 als ordentlicher Hörer in Musikwissenschaft ein. Allerdings gab er zur selben Zeit seine Ausbildung am Konservatorium nach nur einem Jahr auf. Diese Entscheidung war eventuell der Begrenztheit seiner zeitlichen Ressourcen geschuldet, da er sich nicht beiden Studien in ausreichendem Ausmaße widmen konnte, während er auch noch für Mandyczewski tätig war. Jedenfalls dürfte der Grund für sein Ausscheiden aus dem Konservatorium nicht ein Mangel an musikalischem Können gewesen sein. Seine Lehrer waren mit seinen Leistungen sehr zufrieden, wie Bot­stibers Noten in Komposition und Klavier zeigen127. Im Studienjahr 1898/1899 lautete seine Gesamtbeurteilung lobenswert, und nach Einschätzung Fuchs’ hatte er durchaus Talent128. Möglicherweise war es aber der Schüler, der nicht zufrieden mit dem Lehrer war. Wie Bot­stiber später erklären sollte, gab er die Komposition nicht gänzlich auf, sondern nahm Privatstunden bei Mandyczewski und Alexander Zemlinsky129. Die dritte und wahrscheinlich am ehesten zutreffende Erklärung, warum er sein Studium am Konservatorium beendete, war Bot­stibers Interesse an Wissenschaft und Forschung. Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, dass er den wissenschaftlichen Zugang zur Musik der praktischen Ausbildung vorzog und sich bei Ersterem besser aufgehoben fühlte. Als ordentlicher Student der Musikwissenschaft belegte er eine Vielzahl von Lehrveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen, wie etwa bei Hermann Grädener zu Kontrapunkt, bei Adolph Stöhr zu Empfindungsanalyse, bei Jakob Minor zu Literatur oder bei Laurenz Müllner zu Philosophie und Logik130. In erster Linie besuchte er aber Vorlesungen bei Guido Adler, der einen nachhaltigen Eindruck auf seinen Schüler zu machen schien. Adler trug wesentlich dazu bei, die Musikwissenschaft in organisatorischer, programmatischer sowie methodischer Hinsicht als ebenbürtigen Partner der geisteswissenschaftlichen Disziplinen zu etab126 Cf. Hugo Bot­stiber, Meldungsbuch an der juridischen Fakultät. Wienbibliothek. HIN 207627. 127 Cf. Conservatorium für Musik und darstellende Kunst, Statistischer Bericht 1898–1899, 22. 128 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 211 ex 1898/99. GdM. 129 Cf. Fragebogen der Society for the Protection of Science and Learning, ausgefüllt von Hugo Bot­ stiber, eingegangen am 18. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 130 Cf. Hugo Bot­stiber, Meldungsbuch an der philosophischen Fakultät. Archiv der Universität Wien. PH RA 1360.

35

36

Kindheit und Jugendjahre

lieren.131 Besonders seine Überzeugung, die Musikwissenschaft habe eine Doppelaufgabe zu erfüllen, verdient Beachtung. Adlers Meinung zufolge sollte sich diese nicht bloß auf eine wissenschaftliche Perspektive beschränken, sondern auch einen praktischen Ansatz verfolgen, um »durch die Erkenntnis der Kunst für die Kunst zu wirken, das Kunstverständnis zu fördern und den Kunstgenuß zu veredeln«132. Von seinem Standpunkt aus gesehen war es für Musikologen unerlässlich, den Kontakt zum zeitgenössischen Kunstleben zu suchen133, da die Kenntnis der gegenwärtigen Musikpraxis Voraussetzung für die Interpretation der Vergangenheit war134. Wie Hanslick spielte Adler seinen Studenten für gewöhnlich praktische Beispiele am Klavier vor. Aber im Gegensatz zu seinem Vorgänger beschränkte er seine Darbietungen nicht auf klassische Werke aus dem 18. und 19. Jahrhundert, sondern ließ auch Kompositionen aus anderen Epochen einfließen.135 Darüber hinaus war er bestrebt, die Distanz zwischen Lehrer und Schüler zu eliminieren. In Ergänzung zu seinen Vorlesungen bot er daher Tutorien an, die bald zu einem integralen Bestandteil seiner Lehrtätigkeit wurden, wie er in seiner Autobiographie ausführt  : Ich war in den Übungen gleichsam ein Mitschüler und haranguierte die Hörer, an mich Fragen zu stellen […]. Wie dankbar sind die Hörer dafür  ! Sie sehen dann im Lehrer nicht den unfehlbaren Präzeptor, sondern den Lehr- und Lerngenossen. Nie hat sich einer meiner Schüler übernommen, im Gegenteil  : sie gewannen aufrichtige Zuneigung und bewahrten Anhänglichkeit für das ganze Leben. Es kamen Priester aus dem In- und Ausland, die […] mir später sagten  : »Es war die schönste Zeit meines Lebens, als wir unter Ihnen als Lehrvater arbeiteten und in Gemeinschaft mit den Kollegen lernten und forschten.«136

Im Rückblick dürfte Adler die Beziehung zu seinen Studenten wohl in gewissem Maße glorifiziert haben. Aber unabhängig vom pathetischen Wortlaut der oben zitierten Passage traf ihre Kernaussage wohl zu. Dies zeigt sich etwa dadurch, dass Bot­stiber auch noch lange nach seinem Studienabschluss den Kontakt zu Adler aufrechterhielt und mit ihm weiterhin zusammenarbeitete, wie noch zu sehen sein wird. Insofern scheint Adler eine Hauptquelle der Inspiration für Bot­stiber gewesen zu sein. Er übernahm von seinem Mentor dessen praxisbezogene Einstellung gegenüber der Musikwissenschaft, die künstlerische Offenheit und ein ganzheitliches Interesse an 131 132 133 134 135 136

Cf. Antonicek, Allgemeine Entwicklung, 331. Guido Adler, Wollen und Wirken. Aus dem Leben eines Musikhistorikers (Wien 1935), 34. Cf. ibid. 40. Cf. Johnston, Kultur- und Geistesgeschichte, 145. Cf. Adler, Wollen und Wirken, 34f. Ibid. 35.

Studentenjahre

Musik, das sich nicht nur auf die Vertreter der Wiener Schule und deren Nachfolger beschränkte, die das Wiener Konzertleben um die Jahrhundertwende dominierten137. Darüber hinaus dürfte Adler Bot­stiber auch in anderen Belangen beeinflusst haben, etwa bezüglich seiner Einstellung Frauen gegenüber. So befürwortete Adler die Zulassung von weiblichen Studierenden an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien und setzte sich damit für Gleichberechtigung ein138. Eine ähnliche Haltung vertrat auch Bot­stiber. Laut seinem Sohn Dietrich war er an der Rolle interessiert, die Frauen in anderen Ländern in Politik, Wirtschaft und Kunst spielten, und kritisierte oftmals den Umstand, dass sich die Männer seiner Zeit vorrangig mit ihren Söhnen und wenig mit ihren Töchtern beschäftigten.139 Im März 1901 bestand Bot­stiber sein Rigorosum in Musikwissenschaft in Kombination mit deutscher Philologie und erhielt sein Doktorat in Philosophie.140 Seine Promotion bedeutete jedoch nicht das Ende seiner wissenschaftlichen Karriere. Während der nachfolgenden Jahre und Jahrzehnte widmete er sich einer Vielzahl von Forschungs- und Publikationstätigkeiten141. Er kehrte auch an das Institut für Musikwissenschaft zurück, wo er zwischen 1904 und 1906 die Geschichte der Musikinstrumente unterrichtete142. Dennoch zielte er bereits bei seinem Studienabschluss wohl schon nicht mehr auf eine Karriere als Gelehrter oder Musikpublizist ab. Höchst ambitioniert und bestrebt, eine aktive Rolle im Musikwesen zu spielen, widmete er sich schnell neuen Projekten, die nicht nur das Gros seiner zeitlichen Verfügbarkeit beanspruchen, sondern auch eine nachhaltige Wirkung auf das Wiener Konzertleben entfalten sollten.

137 Es ist in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass sich viele Schüler Adlers, darunter Anton Webern, Egon Wellesz oder Erwin Stein, später im Kreis um Arnold Schönberg wiederfinden sollten. Cf. Hartmut Krones, Das 20. und 21. Jahrhundert, in  : Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher, Helmut Kretschmer (Hgg.), Wien Musikgeschichte. Von der Prähistorie bis zur Gegenwart. Geschichte der Stadt Wien 7 (Wien und Berlin 2011), 385. 138 Cf. Adler, Wollen und Wirken, 34. 139 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 85. 140 Cf. Hugo Bot­stiber, Rigorosum-Zeugnis, 16. März 1901. Wienbibliothek. HIN 207613. 141 Siehe Bot­stibers Publikationen im Quellen- und Literaturverzeichnis. 142 Cf. Andrea Harrandt, Die Lehrtätigkeit von Egon Wellesz am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien, in  : Maria Helfgott et al. (Hgg.), Wiener Musikgeschichte. Annäherungen – Analysen – Ausblicke. Festschrift für Hartmut Krones (Wien et al. 2009), 612  ; Theophil Antonicek, Anton Webern und die Musikwissenschaft, in  : Hartmut Krones (Hg.), Anton Webern. Persönlichkeit zwischen Kunst und Politik. Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis 2 (Wien et al. 1999), 19.

37

38

Kindheit und Jugendjahre

Aufbruch in die Moder ne Das Jahr 1897, als Bot­stiber seinen Austritt aus der Israelitischen Kultusgemeinde erklärte und zum Katholizismus konvertierte, stellt nicht nur eine persönliche Zensur im Leben des angehenden Juristen und Musikwissenschaftlers dar. Auch für den Aufbruch Wiens in die künstlerische Moderne markiert 1897 einen symbolischen Wendepunkt. Am 3. April starb mit Johannes Brahms einer der bedeutendsten Vertreter der Musik des 19. Jahrhunderts und die Ikone der konservativen Kreise in der Hauptstadt des Habsburgerreiches143, während nur einige Monate später Gustav Mahler, der den Übergang von der spätromantischen zur modernen Musik prägte144, zum Kapellmeister der Hopfoper ernannt wurde145. Es ist in Ermangelung persönlicher Aufzeichnung nur schwer auszumachen, wie Bot­stiber die Kontroverse zwischen den Bewahrern der Tradition und den Proponenten der Avantgarde, die den Ästhetizismus der Ringstraßen-Ära ablehnten und nach modernen künstlerischen Ausdrucksformen suchten146, im Wien des Fin de Siècle miterlebte. Dieser Frage muss aber nachgegangen werden, da Bot­stibers Sozialisierung in Wiens akademischen und künstlerischen Kreisen während dieser Jahre natürlich maßgeblichen Einfluss auf seine zukünftige Karriere nahm. Generell lässt sich wohl festhalten, dass er, wie viele junge Juden147, ein Verehrer der 143 Wie es der Zufall will, konstituierte sich exakt an Brahms’ Todestag die Vereinigung Bildender Künstler Österreichs, deren Mitglieder sich zuvor vom Wiener Künstlerhaus, der führenden Institution für bildnerische Kunst in Österreich, abgespalten hatten. Grund für diese »Secession« war das konservative Kunstverständnis des Künstlerhauses, das sich in erster Linie am Historismus orientierte. Unter ihrem Präsidenten Gustav Klimt wurde die neue Vereinigung zum Wegbereiter des Jugendstils in Österreich. Cf. Gernot Gruber, Nachmärz und Ringstraßenzeit, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Von der Revolution 1848 zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 64  ; Friedrich C. Heller, Die Zeit der Moderne, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Von der Revolution zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 101. 144 Cf. Krones, 20. und 21. Jahrhundert, 472f. 145 Wie Bot­stiber trat Mahler 1897 zum Katholizismus über, da er als Jude den Posten an der Hofoper nicht erhalten hätte. Cf. Michael Steinberg, Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1938 (Salzburg und München 1938), 180. 146 Cf. Werner Drobesch, Wiens Kunst- und Musikvereine um 1900. Tradition und Modernität als Topoi bürgerlicher Kulturverständnisse, in  : Cornelia Szabó-Knotik (Hg.), Wien – Triest um 1900. Zwei Städte – eine Kultur  ? Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 2 (Wien 1993), 63–66. 147 Wagners Antisemitismus, den er in seinem Aufsatz »Das Judenthum in der Musik« offen kundgetan hatte, vermochte die Begeisterung vieler Juden für seine Kompositionen nicht zu mindern. Cf. Werner Hanak-Lettner, Die Stadt der Immigranten. Über Wiener, Gustav Mahler und andere Zuwanderer aus Böhmen und Mähren, in  : Reinhold Kubik, Thomas Trabitsch (Hgg.), Gustav Mahler und Wien. »leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener« (Wien 2010), 28.

Aufbruch in die Moderne

Neudeutschen Schule war, woran vermutlich auch Guido Adler, ein enger Freund Mahlers148, seinen Anteil hatte. Er war daher für musikalische Innovationen empfänglicher als die konservativen Kreise in Wien149, die in erster Linie durch die Gesellschaft der Musikfreunde repräsentiert wurden. Fest steht jedenfalls, dass er bereits als Student Umgang mit zwei der wesentlichsten Vertreter moderner Musik in Wien pflegte. Es handelte sich dabei um Alexander Zemlinsky und Arnold Schönberg. Die Annahme, Bot­stiber wäre mit Zemlinsky seit dessen Studienzeit befreundet gewesen, wie vereinzelt in der Sekundärliteratur dargestellt, erscheint eher unwahrscheinlich. Zemlinsky beendete sein Studium 1892, als Bot­stiber noch das Gymnasium besuchte150  ; es dürfte also zunächst eher wenig Berührungspunkte zwischen dem noch jugendlichen Gymnasiasten und dem um vier Jahre älteren Absolventen des Konservatoriums gegeben haben. Der erste Kontakt der beiden kann daher wahrscheinlich auf das Jahr 1895 oder 1896 datiert werden und stand womöglich in Verbindung mit Bot­stibers Cousin Alois. 1895 gründete Zemlinsky den Musikalischen Verein Polyhymnia, ein aus einer Gruppe von Musikliebhabern bestehendes Amateurorchester, das er selbst dirigierte. Die Musiker probten in verschiedenen Hotels in der Leopoldstadt wie dem Rabl am Fleischmark und dem National in der Taborstraße und gaben ihr erstes öffentliches Konzert am 30. November 1895. Im darauffolgenden Jahr wurde Alois, der auch als Hauptsponsor des Projekts fungierte151, zum neuen Obmann gewählt152. Da der Zahnarzt und Musikliebhaber eines seiner Vorbilder war und er seine Nähe gesucht haben dürfte, begleitete Bot­stiber seinen 148 Cf. Thomas Leibnitz, Der gelehrte Freund. Gustav Mahler und Guido Adler, in  : Reinhold Kubik, Thomas Trabitsch (Hgg.), Gustav Mahler und Wien. »leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener« (Wien 2010), 110ff. 149 Bot­stiber bewunderte vor allem Franz Liszt, den er als »einen der bemerkenswertesten Neuerer und Schöpfer auf dem Gebiete der Musik« ansah. Programmentwurf von Hugo Bot­stiber für ein FranzLiszt-Musikfest 1936, dem Bericht über die Direktionssitzung der Konzerthausgesellschaft vom 5. September 1934 beigelegt. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien. Musikvereine, fl. 3397. 150 Laut Marc D. Moskovitz waren Bot­stiber und Zemlinsky seit Kindestagen miteinander befreundet. Eine frühe Bekanntschaft ist zwar nicht auszuschließen, tatsächlich dürfte Zemlinsky aber eher mit dem um drei Jahre älteren Alois in Kontakt gestanden haben. Die Familien der beiden lebten ab Mitte der 1880er Jahre in der Pillersdorfgasse beziehungsweise Rueppgasse und damit nur eine Straße voneinander entfernt. Bot­stiber wohnte zu dieser Zeit erst in einer anderen Gegend in der Leopoldstadt und später im neunten Bezirk und zog erst Anfang der 1890er Jahre in die nahegelegene Pazmanitengasse. Cf. Marc D. Moskovitz, Alexander Zemlinsky. A Lyric Symphony (Woodbridge 2010), 276. 151 Cf. Beaumont, Zemlinsky, 67. 152 In diesem Zusammenhang bezeichnen einige Autoren Alois irrtümlicherweise als Bot­stibers Vater. Cf. Beaumont, Zemlinsky, 67  ; Moskovitz, Zemlinsky, 28  ; Biba, Zemlinsky, 26.

39

40

Kindheit und Jugendjahre

Cousin wohl zu den Veranstaltungen der Polyhymnia. Beim Besuch der Proben und Konzerte des Vereins wurde er schließlich Zemlinsky vorgestellt153. Seine Begegnung mit Schönberg dürfte ähnlich verlaufen sein, denn dieser war ebenfalls Mitglied des Orchesters und dessen einziger Cellist154. Der Musikalische Verein Polyhymnia blieb eine eher kurze Episode in der österreichischen Musikgeschichte. Nach mehreren Konzerten, darunter die erste öffentliche Aufführung einer Schönberg-Komposition in Wien155, löste er sich bereits 1896 auf. Die Beziehung zwischen Zemlinsky, Schönberg und Bot­stiber überdauerte die Existenz des Orchesters jedoch und entwickelte sich im Lauf der nachfolgenden Jahre in ein freundschaftliches Verhältnis. So reisten Bot­stiber und Zemlinsky im August 1901 etwa gemeinsam nach Bayreuth, um eine Aufführung von Wagners »Parsifal« zu besuchen156, oder verbrachten ihren Sommerurlaub gemeinsam in Bad Ischl157. Schönberg wiederum malte ein Porträt von Bot­stiber, das er seinem Freund zum Geschenk machte158. Der Umgang der drei Männer miteinander blieb allerdings nicht auf Freizeitaktivitäten beschränkt, sondern schloss auch gemeinsame Tätigkeiten im musikalischen Bereich mit ein. In diesem Zusammenhang kann gemutmaßt werden, inwiefern Bot­ stibers Zusammentreffen mit Zemlinsky und Schönberg in den Jahren 1895 oder 1896 die Entscheidung des Studenten der Rechtswissenschaften, sich ab 1898 der Musik zuzuwenden, beeinflusste. Bereits vor Gründung der Polyhymnia war Zemlinsky dem Wiener Tonkünstler-Verein beigetreten. Bot­stiber und Schönberg folgten 153 Es gibt keinen Beleg, dass Bot­stiber sich selbst aktiv an der Polyhymnia beteiligte, da er kein anderes Instrument außer Klavier spielte. Laut Zemlinsky bestand das Orchester nur aus »ein paar Violinen, einer Bratsche, einem Cello und einem Contrabaß«. Zitiert in Hilmar, Zemlinsky und Schönberg, 55. 154 Laut seinen eigenen Erinnerungen traf Zemlinsky Schönberg zum ersten Mal bei den Proben der Polyhymnia, als dieser noch Bankangestellter war. Zitiert in Beaumont, Zemlinsky, 68f. 155 Am 2. März 1896 führte das Ensemble Schönbergs »Notturno für Streichorchester und Sologeige« auf. Cf. Hilmar, Zemlinsky und Schönberg, 56. 156 Cf. Beaumont, Zemlinsky, 143. 157 Im August 1910 weilte Zemlinsky in Bad Ischl und forderte Schönberg per Brief auf, ebenfalls zu kommen, da auch »Dr Zahnstieber« mittlerweile im Kurort eingetroffen war. Wie Horst Weber vermutet, ist »Zahnstieber« eine Anspielung auf »Zahnstiehrer«, Wienerisch für »Zahnstocher«, und bezieht sich auf Bot­stiber. Eventuell handelte es sich aber in Wirklichkeit um Alois, der von Beruf Zahnarzt, also ein »Zahnstiehrer«, war. Cf. Alexander Zemlinsky, Postkarte an Arnold Schönberg, 22. August 1910, in  : Horst Weber (Hg.), Alexander von Zemlinsky. Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker. Briefwechsel der Wiener Schule 1 (Darmstadt 1995), 59. 158 Das Porträt, das zwischen 1906 und 1910 entstand, befindet sich heute im Besitz von Bot­stibers Urenkelin Christina Stahl und ist derzeit im Arnold Schönberg Center Wien ausgestellt.

Aufbruch in die Moderne

seinem Beispiel und als 1899 dessen Präsident Eusebius Mandyczewski, Bot­stibers damaliger Vorgesetzter an der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde, von seinem Amt zurücktrat, wurden alle drei in den neuen Vereinsvorstand gewählt. Unter Mandyczewskis Nachfolger Richard Heuberger fungierten Zemlinsky und Bot­stiber als Vizepräsident beziehungsweise Schriftführer, während Schönberg dem Vorstand als Mitglied ohne besondere Funktion angehörte.159 Der Tonkünstler-Verein war 1885 von zwei Klavierlehrern des Konservatoriums, Julius Epstein und Anton Door, einem der Lehrer Zemlinskys, gegründet worden. Er entsprang einem informellen wöchentlichen Treffen von Musikern, das auch von Johannes Brahms regelmäßig besucht worden war. Als Gegenstück zum Wiener Akademischen Wagner-Verein ins Leben gerufen160, trafen sich seine Mitglieder in den Räumlichkeiten der Gesellschaft der Musikfreunde, die, ähnlich wie Eduard Hanslick, die Neudeutsche Schule ablehnte. Die Tätigkeit des Vereins umfasste neben der regelmäßigen Organisation von Konzerten und musikliterarischen Vorträgen auch das Ausschreiben von Kompositionspreisen, wobei diejenigen zeitgenössischen Künstler gefördert werden sollten, die sich an den traditionellen Kompositionsmustern orientierten.161 Zwar schafften es trotz dieser konservativen Haltung auch einige Werke Zemlinskys und Schönbergs in den Spielplan des Tonkünstler-Vereins, aber Schönbergs Streichsextett »Verklärte Nacht« wurde bereits als zu progressiv erachtet und eine Aufführung daher abgelehnt162. Insofern wurde der Graben zwischen Traditionalisten und Modernisten immer breiter. Ähnlich wie es bei der Abspaltung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs vom Künstlerhaus der Fall gewesen war, begann sich der Bruch immer deutlicher abzuzeichnen, da Zemlinsky und Schönberg dem Verein vorwarfen, von konservativen, unproduktiven und jedem musikalischen Fortschritt feindlich gesonnenen Theoretikern bestimmt zu werden163. Schließlich verließen beide den Tonkünstler-Verein und gründeten 1904 die Vereinigung Schaffender Tonkünstler mit Gustav Mahler als Ehrenpräsidenten, die sich der aktiven Förderung moderner Musik verschrieb. So wurden im Rahmen der von ihr veranstalteten 159 Cf. Ernst Hilmar, Arnold Schönberg. Gedenkausstellung 1974 (Wien 1974), 169f. 160 Wie sein Mentor Guido Adler war Bot­stiber ebenfalls Mitglied des Akademischen Wagner-Vereins. Cf. Wiener Akademischer Wagner-Verein, Jahresbericht 1903, 22. 161 Cf. Uwe Harten, Wiener Tonkünstler-Verein, in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Österreichisches Musiklexikon. Online  : http://www.musiklexikon.ac.at [letzter Zugriff  : 16. Dezember 2013]. 162 Diese Entscheidung wurde nicht vom Vereinsvorstand, sondern von einer Jury getroffen, wobei allerdings nicht bekannt ist, wer dieser angehörte. Cf. Reinhard Kapp, Schönbergs »Verein« und die Krise der musikalischen Öffentlichkeit, in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Fremdheit in der Moderne. Studien zur Moderne 3 (Wien 1999), 27. 163 Cf. ibid. 38.

41

42

Kindheit und Jugendjahre

Konzerte Werke von Mahler, Zemlinsky und Schönberg wie etwa die symphonische Dichtung »Pelleas und Melisande« aufgeführt.164 Letztendlich teilte die Vereinigung, der auch Anton Webern und Alban Berg beigetreten waren, aber das Schicksal der Polyhymnia, und sie wurde nach nur einer Saison aus Geldmangel aufgelöst. Wie jeder andere Konzertverein war sie von privaten Sponsoren abhängig, um ihre Tätigkeit aufrechterhalten zu können. Aber im Gegensatz zu ihrer Unterstützung für die Gesellschaft der Musikfreunde oder später auch den Konzertverein waren die bürgerlichen Mäzene nicht bereit, Schönberg oder Avantgarde-Musik im Allgemeinen zu fördern.165 Während ihren eigenen Neugründungen also keine lange Lebensdauer beschieden war166, wurden die modernen Komponisten von der Rezeption durch die bereits bestehenden Musikgesellschaften abhängig, die die bedeutendsten Konzertveranstalter waren. Da diese aber die konservativen Ideale des Bürgertums bedienten, war moderne Musik in den etablierten Konzertsälen Wiens praktisch nicht vertreten.167 Dort kam das traditionelle Repertoire zur Aufführung, zur Freude des Publikums sowie der Kritiker.168 Es gibt keinerlei Hinweise, dass Bot­stiber die Vereinigung Schaffender Tonkünstler unterstützt hätte oder ihr gar beigetreten wäre. Ein Grund dafür ist wohl der Umstand, dass er kein Komponist war, sondern zu den Theoretikern zählte. Darüber hinaus war er seit 1900 für den neu gegründeten Konzertverein tätig und war daher mit anderen Aufgaben beschäftigt. Dies heißt aber nicht, dass er keinen Anteil am künstlerischen Anliegen seiner Freunde nahm. Tatsächlich begann Bot­stiber, sich vor allem für Schönberg und sein Schaffen einzusetzen. Als »Verklärte Nacht«, das vom Tonkünstler-Verein abgelehnt worden war, am 18. März 1902 uraufgeführt wurde, verfasste Bot­stiber die einzige durchwegs positive Kritik, die in der »Neuen Musikalischen Presse« veröffentlicht wurde169. Zwei Jahre später war er dann involviert, als Schönberg ein Stipendium der Schwestern-Fröhlich-Stiftung erhielt, ehe er 1910 die 164 Cf. Kapp, Schönbergs »Verein«, 29. 165 Cf. Eleonore Reichl, Eva Steinmann, Strukturen des Bürgerlichen Musikmäzenatentums. Wien um 1900, in  : Cornelia Szabó-Knotik (Hg.), Wien – Triest um 1900. Zwei Städte – eine Kultur  ? Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 2 (Wien 1993), 143. 166 Auf musikalischer Ebene gab es keinen Verein, der mit dem Einfluss, den die Vereinigung Bildender Künstler Österreichs auf die Entwicklung der österreichischen Kunst ausübte, vergleichbar wäre. Cf. Drobesch, 71. 167 Cf. Christian Glanz, Musikleben und Publikumsstruktur im Wien der Jahrhundertwende, in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Fremdheit in der Moderne. Studien zur Moderne 3 (Wien 1999), 13. 168 Cf. Drobesch, Wiens Kunst- und Musikvereine, 71. 169 Cf. Alexander Zemlinsky, Brief an Arnold Schönberg, 27. März 1902, in  : Horst Weber (Hg.), Alexander von Zemlinsky. Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker. Briefwechsel der Wiener Schule 1 (Darmstadt 1995), 13f.

Aufbruch in die Moderne

Bewerbung seines Freundes für ein Staatsstipendium unterstützte, die jedoch abgelehnt wurde.170 Trotz dieser Bemühungen erntete er aber nicht nur Dank von Schönberg beziehungsweise von den Personen in dessen Umfeld. 1911 fasste etwa Alban Berg seine Meinung über Bot­stiber in einem Brief an Schönberg in klare Worte  : Sie glauben nicht, Herr Schönberg, wie widerlich mir der Mensch war. Der Eindruck eines frechen Trottels, den er schon damals auf mich gemacht hat, als ich einmal dazu kam, wie sie ihn malten, hat sich mir nach einer längeren Auseinandersetzung mit ihm über Sie nur noch verstärkt [und] bestätigt.171

Wie Schönberg auf die Kritik an seinem langjährigen Freund reagierte, lässt sich nicht beantworten, denn in seinen nachfolgenden Korrespondenzen mit Berg findet sich kein Verweis darauf. Doch ungeachtet eventuell vorhandenen persönlicher Empfindlichkeiten sollte die berufliche und private Verbindung zwischen Schönberg und seinen Anhängern auf der einen und Bot­stiber auf der anderen Seite noch über Jahre weiterbestehen – und Letzterer sollte sich dabei nicht nur als Advokat Schönbergs, sondern generell als Schlüsselfigur für die Förderung zeitgenössischer Kunst in Wien erweisen.

170 Cf. Hilmar, Schönberg, 170. 171 Alban Berg, Brief an Arnold Schönberg, 14. Oktober 1911, in  : Julia Brand, Christopher Hailey, Andreas Meyer (Hgg.), Briefwechsel Arnold Schönberg–Alban Berg. Teilband 1  : 1906–1917. Briefwechsel der Wiener Schule 3 (Mainz et al. 2007), 97.

43

Lehrjahre

Exkurs  : Die Genese des moder nen Wiener Konzert wesens Als Bot­stiber 1899 zum Doktor der Rechtswissenschaft promovierte, hatte er seine Ambitionen auf eine Karriere als Beamter im Verwaltungsdienst oder als Rechtsanwalt längst aufgegeben – sofern er solche jemals gehabt hatte. Denn der Umstand, dass er sich seit spätestens 1898 primär auf die Musikwissenschaft konzentrierte, lässt darauf schließen, dass er sich zu diesem Zeitpunkt bereits für eine Laufbahn im Musikwesen entschieden hatte. Wien um 1900 war ein vielversprechender Boden für solch ein Unterfangen, vor allem für eine Persönlichkeit mit Bot­stibers Ehrgeiz und Ausbildung. Denn die traditionellen Strukturen, die das musikalische Leben der Habsburger-Metropole über Jahrhunderte bestimmt hatten, hatten im 19. Jahrhundert einen gravierenden Veränderungsprozess durchlaufen. Entwicklungen wie die Professionalisierung oder die Popularisierung des Musikwesens wirkten sich nachhaltig sowohl auf die Aufführungs- als auch auf die Organisationsform von musikalischen Darbietungen aus. Daraus ergab sich ein Bedarf an professionellen Musik,- Konzertund Orchestermanagern mit spezifischen Fähigkeiten. Um also Bot­stibers Karriere analysieren zu können, bedarf es zunächst einer Klärung der Frage, wie das Wiener Musikleben im 19. Jahrhundert strukturiert war und in welche Richtung es sich am Fin de Siècle, als Bot­stibers Laufbahn seinen Anfang nahm, entwickelte. Ursprünglich war das Veranstalten von Konzerten seit dem Mittelalter Angelegenheit des Adels oder der Kirche. Als sich aber das Bürgertum als politische und soziale Kraft am Ende des 18. Jahrhunderts etablierte, begann es, auch am musikalischen Leben teilzunehmen. Beeinflusst durch Entwicklungen in Italien oder England wurden in vielen Städten bürgerliche Musikvereine oder -gesellschaften wie die Gesellschaft der Musikfreunde ins Leben gerufen172. Gemäß den aufgeklärten Idealen ihrer Gründer demokratisch organisiert, war ihr primäres Anliegen die Pflege oder, im zeitgenössischen Wortlaut, die »Emporbringung der Musik«. Um dieses Ziel zu erreichen, gründeten sie Musikschulen, um eine bessere musikalische Ausbildung zu gewährleisten und das künstlerische Niveau zu heben173. Obwohl sich ihre 172 Zwischen 1815 und 1821 wurden bürgerliche Musikvereine in Graz, St. Pölten, Klagenfurt, Innsbruck und Linz gegründet. Cf. Rudolf Flotzinger, Geschichte der Musik in Österreich (Graz et al. 1988), 124. 173 Nicht nur in Wien gingen aus diesen Musikschulen Konservatorien hervor, die sich später zu den heutigen Musikuniversitäten und -akademien entwickelten. Cf. ibid. 124.

Exkurs  : Die Genese des modernen Wiener Konzertwesens

Orchester, die sich aus Laienmusikern zusammensetzten174, einem breitgefächerten Repertoire verschrieben hatten, nahmen bei deren Darbietungen die Symphonien der Wiener Klassik eine zentrale Stellung ein175. In Ergänzung zu den Konzerten, die ausschließlich für ihre Mitglieder reserviert waren, veranstalteten die Gesellschaften darüber hinaus auch Darbietungen, denen Nicht-Mitglieder gegen Bezahlung beiwohnen konnten. Im Gegensatz zu anderen europäischen Musikzentren wie London und Paris fanden musikalische Aufführungen in Wien aber zumindest noch bis 1848 vor allem unter der Patronanz der kaiserlichen Familie, der Aristokratie sowie der Geistlichkeit statt. Die Etablierung eines ausgeprägten bürgerlichen Konzertlebens, das sich in der Öffentlichkeit abspielte, verzögerte sich aufgrund zweier Faktoren. Zum einen gab es ein relativ großzügiges Angebot an öffentlichen musikalischen Darbietungen durch die Kirche und die Hofoper, das auch dem Bürgertum offenstand.176 Zudem belief sich das potentielle bürgerliche Konzertpublikum um 1840 nur auf ungefähr 5.500 Personen. Die Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde sowie anderer Vereine wie der Tonkünstler-Societät, einer der ältesten Wiener Konzertinstitutionen177, waren in ihrer Zahl daher ausreichend, um die Nachfrage zunächst zu befriedigen178. Andererseits bevorzugte das österreichische Bürgertum das Musizieren in den eigenen vier Wänden. Abgesehen von ihrer traditionellen Bedeutung für die bürgerliche Gesellschaft gewann Hausmusik aufgrund der politischen Entwicklung um die Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung. Im Vormärz beobachteten die Behörden öffentliche Versammlungen oder formale Zusammenschlüsse jeder Art mit Argwohn und versuchten daher, diese zu unterbinden179. Aufgrund der strengen Restriktionen im Metternich’schen Polizeistaat war das Bürgertum noch nicht in der Lage, als Träger eines öffentlichen Konzertlebens aufzutreten und zog sich daher ins 174 Im 19. Jahrhundert war der Begriff »Dilettant« positiv besetzt. Im Gegensatz zu Berufsmusikern, die sich aus wirtschaftlichen Gründen mit Musik beschäftigten, stützte sich die Motivation von Dilettanten auf ihre Kunstverehrung und Hingabe zur Ästhetik. Sie wurden daher als die wahren Künstler betrachtet. Cf. Michaela Schlögl, 200 Jahre Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Wien et al. 2011), 73. 175 Cf. Gernot Gruber, Konzertprogramme. Zu ihrer Geschichte und Bedeutung, in  : Rainer Bischof (Hg.), Ein Jahrhundert Wiener Symphoniker (Wien 2000), 75. 176 Cf. Ernst Kobau, Wiener Symphoniker. Eine sozialgeschichtliche Studie (Wien et al. 1991), 15. 177 1771 von Florian Leopold Gassmann gegründet, kümmerte sich die Tonkünstler-Societät als eine Art Wohltätigkeitsorganisation um die Witwen und Waisen verstorbener Musiker. Cf. Schlögl, Gesellschaft der Musikfreunde, 64. 178 Cf. Kobau, Wiener Symphoniker, 15. 179 Cf. Leon Botstein, Listening through Reading. Musical Literacy and the Concert Audience, in  : 19th Century Music 16/2 (1992), 133.

45

46

Lehrjahre

Private zurück. Dies galt auch für die Gesellschaft der Musikfreunde, deren Gründung nicht nur ein Akt bürgerlichen Selbstbewusstseins war, sondern auch aus der Notwendigkeit resultierte, angesichts geringerer finanzieller Aufwendungen durch den Adel zum Erhalt des öffentlichen Konzertlebens beizutragen180. So kamen die Aktivitäten der bedeutendsten bürgerlichen Musikinstitution in Österreich während der 1830er und 1840er Jahre beinahe vollständig zum Erliegen181, während auch die Zahl der Vereinsneugründungen stagnierte. Mit der Revolution von 1848 und dem Aufstieg des Liberalismus löste das Bürgertum jedoch die Aristokratie endgültig als wichtigste Säule des Konzertlebens ab, womit sich die bürgerliche Beschäftigung mit Musik vom privaten in den öffentlichen Raum verschob. Die Zeit nach 1848 war von einem immensen Anstieg bei den Neugründungen bürgerlicher Musikvereine gekennzeichnet.182 Während dieser Jahre wurde das österreichische Musikwesen von dilettantischen Instrumentalensembles, Gesangsvereinen sowie Musikgesellschaften, die sich lediglich auf das Ausrichten und Finanzieren von Konzerten konzentrierten, belebt.183 Mit der Vielzahl an neuen Möglichkeiten, sich in solchen Vereinen zu engagieren, nahm auch die Zahl derer zu, die sich nun aktiv mit Musik beschäftigten. Das gesteigerte Interesse an musikalischen Aktivitäten erhöhte allerdings nicht automatisch das künstlerische Niveau der Darbietungen. Zwar hatte sich durch die Gründung von Einrichtungen wie den Konservatorien das musikalische Ausbildungsangebot verbessert und im Gegensatz zur Situation in den Jahren vor 1848 kamen sowohl die bereits existierenden als auch die neu ins Leben gerufenen Vereine unter die Ägide von Berufsmusikern.184 Aber das Musikwesen stützte sich weiterhin in großem Maße auf Dilettanten und der Umstand, dass Berufsmusiker in den Orchestern Wiens immer noch klar in der Minderheit waren, wirkte sich drastisch auf das Niveau 180 Die adligen Mäzene reduzierten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Ausgaben in puncto Musik, was die Auflösung zahlreicher privater Orchester nach sich zog. Um den musikalischen Stillstand zu vermeiden, mussten bürgerliche Sponsoren in die Bresche springen. Dies war aber nicht das einzige Motiv für die Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde. Wie Theophil Antonicek ausführt, lässt sich diese auch auf die äußere Bedrohung Österreichs durch das napoleonische Frankreich und die dadurch entstandene patriotische Bewegung zurückführen, was sich auch am ur­sprünglichen Namen »Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates« ablesen lässt. Cf. Kobau, Wiener Symphoniker, 15  ; Theophil Antonicek, Biedermeierzeit und Vormärz, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Vom Barock zum Vormärz. Musikgeschichte Österreichs 2 (Wien et al. 1995), 281f. 181 Cf. Gruber, Nachmärz und Ringstraßenzeit, 19. 182 Cf. Botstein, Listening through Reading, 133. 183 Cf. ibid. 133. 184 Cf. ibid. 134.

Exkurs  : Die Genese des modernen Wiener Konzertwesens

der Konzerte aus, die den zeitgenössischen Ansprüchen, auch in internationaler Hinsicht, nicht genügen konnten. Im Vergleich zu anderen europäischen Musikzentren wurde die Hauptstadt des Habsburgerreiches nahezu als provinziell und rückständig betrachtet  ; in den Aufführungen ihrer Dilettantenorchester und vor allem in denjenigen der Gesellschaft der Musikfreunde sahen viele Kritiker, allen voran Eduard Hanslick, eine künstlerische Bankrotterklärung.185 Einen Versuch, diesem offensichtlichen Defizit entgegenzuwirken, hatten bereits 1842 Mitglieder des Ensembles der Wiener Hofoper mit der Gründung eines ausschließlich aus Berufsmusikern bestehenden Orchester unternommen, das sich auf die Darbietung symphonischer Musik konzentrierte.186 Nach dem anfänglichen Erfolg dieser »Philharmonischen Konzerte«, die von Otto Nicolai dirigiert worden waren, stagnierte die Konzerttätigkeit von den späten 1840er bis in die Mitte der 1850er Jahre. Nichtsdestotrotz konnte das Orchester am Leben erhalten werden und entwickelte sich bis in die 1860er Jahre schlussendlich zum Aushängeschild des Wiener Konzertlebens.187 Durch die voranschreitende Trennung von Amateur- und Berufsmusikern in den Jahrzehnten nach 1848 wurde das Wiener Musikwesen schrittweise professionalisiert. Obwohl die Wiener Philharmoniker das einzige dauerhafte Berufsorchester seiner Art bis zur Jahrhundertwende blieben, stieg das Niveau der musikalischen Darbietungen fortlaufend an. Wie Eduard Hanslick in seiner 1869 erschienenen »Geschiche des Concertwesens in Wien« bemerkt, hatte sich die Zahl der großen und wertvollen Konzerte bis in die 1860er Jahre vervielfacht.188 Aber die Professionalisierung trug nicht nur zu einer gesteigerten künstlerischen Qualität bei, sie bewirkte auch die Kommerzialisierung der Musik. Was also mit den ersten Konzerten der Gesellschaft der Musikfreunde im frühen 19. Jahrhundert begonnen hatte – nämlich der Besuch von Konzerten gegen die Entrichtung einer Gebühr – fand während dieser Jahre seinen Abschluss. In Übereinstimmung mit der kapitalistischen Tradition des Bürgertums begann das Publikum, Musik als ein Produkt zu begreifen, für das es zu zahlen bereit war. Darüber hinaus wurden Darbietungen hinsichtlich ihrer Besetzung zunehmend spezifischer und wurden daher in unterschiedliche Kategorien wie Liederabende und Solisten- oder Kammermusikkonzerte unterteilt.189 185 Cf. Kobau, Wiener Symphoniker, 14. 186 Diese Initiative war die Geburtsstunde der Wiener Philharmoniker, die bis in die Gegenwart ihre Mitglieder aus den Reihen des Orchesters der Wiener Staatsoper rekrutieren. Cf. Flotzinger, Geschichte der Musik, 156f. 187 Cf. Gruber, Nachmärz und Ringstraßenzeit, 26. 188 Zitiert in Kobau, Symphoniker, 16. 189 Cf. Gruber, Programme, 76.

47

48

Lehrjahre

Die kulturelle Gewohnheit, musikalischen Darbietungen beizuwohnen, änderte aufgrund dieser Transformation entscheidend ihren Charakter. Es ging nicht mehr länger nur um den Musikgenuss an sich, sondern vielmehr um ein soziales Ritual, das sich durch das Aufkommen festgelegter Verhaltensregeln, die Einführung von unterschiedlichen Preiskategorien für Eintrittskarten und von Konzertabonnements, einen steigenden Wettbewerb zwischen den Künstlern sowie die endgültige Trennung zwischen Musizierenden und Zuhörern, also Produzenten und Konsumenten, auszeichnete.190 Für Leon Botstein führte vor allem Letzteres zu einer neuen Art des musikalischen Analphabetentums.191 Vor 1848 hatte sich das Publikum aus Personen zusammengesetzt, die, wenn auch nur im Privaten, selbst musizierten und daher über ein ausgeprägtes musikalisches Verständnis verfügten. Musik wurde aus ästhetischen Motiven konsumiert. Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Aufführungen zunehmend funktionalisiert und dienten primär einem außermusikalischen Zweck. Diese Entwicklung führte dazu, dass insgesamt zwar mehr Zuhörer Konzertveranstaltungen aufgrund des vergrößerten Angebots und der sozialen Verpflichtung besuchten, aber weniger Personen in der Lage waren, am musikalischen Geschehen tatsächlich teilzunehmen192. Das Verlangen, den eigenen sozialen Status zur Schau zu stellen, war zwar ein Hauptmotiv für den Besuch von Konzerten, es war jedoch nicht das einzige. Für die unteren Schichten der Gesellschaft, aus denen sich das stetig wachsende Massenpublikum des späten 19. Jahrhunderts rekrutierte, war Musik ein Mittel der Erholung oder der Zerstreuung.193 Für diese Gruppe zählte vor allem das Spektakel, weshalb um die Jahrhundertwende großangelegte Produktionen, oft mit Chören und Orchestern, zunehmend beliebter wurden. Zusätzlich wurde das Publikum immer öfter von trivialer Unterhaltungsmusik und vor allem der Operette, die auch außermusikalische Elemente beinhaltete, angezogen.194 Die Mehrheit der Zuhörer hatte demnach die Fähigkeit verloren, Musik um ihrer selbst willen zu genießen. Nichtsdestotrotz wuchs, als Wien sich während der Gründerzeit zur Weltstadt entwickelte und seine Einwohnerzahl zwischen 1840 und 1870 von 470.000 auf 900.000 verdoppelte, um dann 1916 mit zwei Millionen den Höchststand zu erreichen, der Hunger nach musikalischen Darbietungen. Tatsächlich herrschte auf der gesamten österreichischen Reichshälfte der Donaumonarchie eine enorme und beispiellose Nachfrage nach Konzerten  ; die dafür not190 191 192 193 194

Cf. Flotzinger, Geschichte der Musik, 157. Cf. Botstein, Listening through Reading, 143f. Cf. ibid. Cf. Glanz, Musikleben und Publikumsstruktur, 14. Cf. Botstein, Listening through Reading, 143.

Exkurs  : Die Genese des modernen Wiener Konzertwesens

wendigen Spielstätten fehlten jedoch. Aus diesem Grund wurden im ganzen Land neue Konzertsäle errichtet, die für unterschiedliche Formate wie etwa Orchester- oder Kammermusik genutzt werden konnten195. Das neue Musikvereinsgebäude der Gesellschaft der Musikfreunde öffnete 1870 seine Pforten  ; weitere Konzertsäle in Graz, Innsbruck und Linz folgten im Lauf der nächsten Jahre. Diese Gebäude, die den kulturellen Aufstieg des Bürgertums repräsentierten, dienten sowohl den aristokratischen als auch den bürgerlichen Eliten, die sich den Werken der Wiener Klassik verpflichtet fühlten. Im Gegensatz dazu besuchte die große Mehrheit des Wiener Publikums sogenannte volkstümliche Konzerte. Diese Darbietungen verfolgten weder eine ästhetische Mission noch stellten sie den Anspruch, die Kunst emporzubringen, wie es das Bestreben der Gesellschaft der Musikfreunde war. Vielmehr zielten sie auf pure Unterhaltung ab und lockten die Massen mit leichter Musik. Insofern war für sie nicht unbedingt das Vorhandensein eines Konzertsaals erforderlich. In öffentlichen Parkanlagen stattfindende Promenadenkonzerte boten den Zuhörern etwa die Gelegenheit, während eines Spaziergangs Volksliedern oder bekannten Melodien aus Operetten oder italienischen Opern zu lauschen  ; diejenigen, die sich ganz auf die Musik einlassen wollten, konnten in der Nähe des Orchesters verweilen.196 In diesem Zusammenhang spielten vor allem die Militärkapellen eine bedeutende Rolle. Bereits Eduard Hanslick verwies auf den demokratischen Charakter ihrer Darbietungen, die es Tausenden von Zuhörern ermöglichten, ein Konzert zu genießen, ohne dabei teure Eintrittskarten erwerben oder eine passende Garderobe tragen zu müssen.197 Während also die Nachfrage nach Musik augrund des Bevölkerungszuwachses beständig anstieg, nahm auch die Zahl der Musik- und Gesangsvereine weiter zu. Ihre Gründer und Mitglieder waren aber keine Berufsmusiker, die mit ihren Darbietungen Geld verdienen wollten, sondern gehörten dem Mittelstand und dabei vor allem dem Kleinbürgertum an. Ihre Motivation war einerseits musikalischem Interesse, andererseits aber auch dem Wunsch nach Geselligkeit geschuldet. Dies führte zu einer relativ facettenreichen musikalischen Landschaft. 1899 musizierten und sangen in Wien 16 Dilettantenorchester, 200 zivile und zehn militärische Blaskapellen sowie 180 Chöre198, wobei vor allem Letztere zunehmend beliebter wurden und bald eine 195 Auch Kammermusik wurde, entgegen der eigentlichen Bedeutung, aufgrund des wachsenden Publikums vermehrt in großen Konzertsälen zur Aufführung gebracht. Dieser offensichtliche Widerspruch war ein weiteres Merkmal der Kommerzialisierung des bürgerlichen Konzertlebens. Cf. Flotzinger, Geschichte der Musik, 157. 196 Cf. Kobau, Wiener Symphoniker, 20f. 197 Zitiert in ibid. 198 Cf. Friedrich C. Heller, Vorgeschichte, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 10.

49

50

Lehrjahre

dominierende Rolle einnahmen. Obwohl die Mehrzahl dieser Gesangsvereine von zweifelhafter Qualität war, so lieferten einzelne Chöre wie der Akademische GesangsVerein oder der Schubertbund doch wertvolle Beiträge zum Wiener Musikleben.199 Symphonische Musik wiederum spielte während dieser Jahre nur eine untergeordnete Rolle. Die Wiener Philharmoniker waren nach wie vor das einzig permanente Berufsorchester. Da sie faktisch mit dem Ensemble der Hofoper identisch waren, blieb die Anzahl ihrer Konzerte auf eine Handvoll von Aufführungen pro Saison beschränkt. Das Gros des symphonischen Angebots entfiel also nach wie vor auf die Dilettanten-Orchester, deren künstlerisches Niveau immer noch nicht ausreichte, um anspruchsvolle klassische Kompositionen zufriedenstellend zu interpretieren. Ihre mangelhaften Darbietungen waren hauptsächlich für das Desinteresse des Publikums an symphonischer Musik verantwortlich, wie zeitgenössische Kritiker beobachteten.200 Es ist insofern nicht verwunderlich, dass Chorwerke die Spielpläne des prominentesten Konzertveranstalter Wiens, der Gesellschaft der Musikfreunde, dominierten. Deren eigener Gesangsverein, der Singverein, übernahm die Mehrzahl ihrer sogenannten Gesellschaftskonzerte. Obwohl die Gesellschaft 1859 mit dem Orchesterverein auch ein eigenes Dilettantenorchester ins Leben gerufen hatte201, scheiterte die angestrebte Gründung eines professionellen Ensembles. Stattdessen wurde 1870 eine Übereinkunft mit den Wiener Philharmonikern getroffen, denen, als Gegenleistung für sechs Aufführungen im Rahmen der Gesellschaftskonzerte, das neue Musikvereinsgebäude für ihre Abonnementkonzerte zur Verfügung gestellt wurde. Als der Ruf nach einem zweiten unabhängigen und ständigen Berufsorchester, dessen Vorhandensein als essentiell für die Modernisierung des Wiener Konzertlebens betrachtet wurde, lauter wurde, unternahmen mehrere Initiativen wie etwa die Wiener Stadtcapelle den Versuch, dem unfreiwilligen Monopol der Wiener Philharmoniker ein Ende zu setzen202. Aber wie gewöhnlich war das primäre Hindernis für derartige Projekte, nämlich eine ausreichende Finanzierung sicherzustellen, beinahe unüberwindbar. Einmal mehr kam dabei den Militärkapellen, die auch Streichinstrumente 199 Cf. Gruber, Ringstraßenzeit, 24–26, 40. 200 Cf. Heller, Moderne, 104. 201 Die Mitglieder des Orchestervereins beteiligten sich ursprünglich gemeinsam mit Angehörigen der Hofoper an den Gesellschaftskonzerten, wurden aber sukzessive durch Berufsmusiker ersetzt. Im Gegensatz zum Singverein, der sich bald nach seiner Gründung 1858 im Wiener Musikleben etablieren konnte, blieb er in künstlerischer Hinsicht unbedeutend. Cf. Gruber, Programme, 79. 202 In diesem Zusammenhang muss bemerkt werden, dass diese Monopolstellung ohnehin nur für die Oberschicht Wiens von Bedeutung war, da auch das Bürgertum sich die Eintrittspreise für die Philharmonischen Konzerte kaum leisten konnte. Darüber hinaus waren persönliche Beziehungen notwendig, um überhaupt an Karten zu gelangen, die nur innerhalb einer gewissen gesellschaftlichen Schicht zirkulierten.

Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzertverein

in ihren Reihen hatten, eine besondere Rolle zu. Verglichen mit den Dilettantenvereinen erreichten sie aufgrund der professionellen Strukturen in ihren Regimentern ein relativ hohes künstlerisches Niveau. Als sie begannen, im Rahmen nicht-militärischer Anlässe aufzutreten, stellten sie eine ernstzunehmende Konkurrenz für die zivilen Berufsorchester dar. Da ihre Mitglieder ihren Lebensunterhalt mit ihrem Armeesold bestritten, waren die Militärkapellen in der Lage, Auftritte zu Konditionen zu absolvieren, die für zivile Musiker undenkbar waren203. Insofern wurde die Wiener Musiklandschaft am Fin de Siècle zwar Zeuge einer Reihe von ambitionierten Orches­tergründungen, aber keines dieser Ensembles vermochte sich bis 1900 ob der Konkurrenz und dem damit verbundenen Preiskampf zu behaupten.

Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzert ver ein 1899 unternahm der Kapellmeister Karl Stix trotz der offensichtlichen Hindernisse einen weiteren Versuch, ein zweites ständiges Berufsorchester in Wien zu etablieren. In Kooperation mit dem Wiener Musikerbund, der ersten Musikergewerkschaft der Stadt204, gründete er das Neue Philharmonische Orchester, mit dem er wöchentlich zwei Konzerte an verschiedenen Orten, hauptsächlich in Hotels und Restaurants, gab. Während die Kritiker die Darbietungen, in deren Rahmen sowohl klassische Musik als auch leichte, aber doch qualitativ hochwertige Unterhaltungsmusik zur Aufführung kam, durchaus begrüßten, blieb die Zahl der Zuhörer doch überschaubar und die Erträge aus dem Kartenverkauf konnten die Erhaltungskosten des Ensembles kaum decken. Aufgrund der fehlenden organisatorischen Infrastruktur und der beschränkten finanziellen Ressourcen war Stix nicht in der Lage, im großen Stil zu operieren, um ein ausreichend großes Publikum anzusprechen.205 Um die drohende Auflösung des Orchesters zu verhindern, wandte sich der Kapellmeister mit der Bitte um finanzielle Unterstützung an eine Gruppe vermögender Mäzene aus dem Großbürgertum, was im November 1899 letztendlich zur Gründung eines Comités von Musikfreunden führte. Wie Friedrich C. Heller bemerkt, liegen die genauen Abläufe aufgrund des Nichtvorhandenseins entsprechender Quellen im Dunklen206  ; die Annahme, Bot­stiber wäre daran beteiligt gewesen und hätte gar zu 203 Für eine detaillierte Beschreibung der sozialen Rahmenbedingungen von Berufsmusikern in Wien um die Jahrhundertwende siehe Kobau, Wiener Symphoniker, 24–35. 204 Gegründet 1872 von Josef Scheu, versuchte der Musikerbund, die Aktivität der zahlreichen Militärkapellen im zivilen Bereich einzuschränken. Cf. ibid. 205 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 5. 206 Cf. Heller, Vorgeschichte, 13.

51

52

Lehrjahre

den wesentlichen Initiatoren gezählt, scheint angesichts der Tatsache, dass er zum Zeitpunkt der Gründung gerade erst sein Studium der Rechtswissenschaften beendet hatte, während der Abschluss in Musikwissenschaft noch ausständig war, aber eher nicht zuzutreffen. Darüber hinaus war er 1899 weder im Besitz nennenswerter finanzieller Mittel, noch hatte er eine bedeutende Position inne, sondern verdingte sich als Bibliotheksgehilfe der Gesellschaft der Musikfreunde. Auch wenn es dafür keinen Beweis gibt, so liegt es daher durchaus im Bereich des Möglichen, dass es wiederum sein Cousin Alois als bekennender Musikliebhaber und Kunstmäzen war, der sich für das Projekt, aus dem der Wiener Konzertverein hervorgehen sollte, engagierte207. Die Bereitschaft des Komitees, Stix unter die Arme zu greifen und dessen finanziellen Engpass zu überbrücken, war nicht nur ein Akt gönnerhafter Großzügigkeit dem Kapellmeister gegenüber. Die Mäzene erachteten dessen Initiative als geeignete Gelegenheit, eine seit Langem im Raum schwebende Idee endlich in die Tat umzusetzen und anspruchsvolle symphonische Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dazu war allerdings von ihrem Standpunkt aus gesehen die Schaffung einer verlässlichen Institution unumgänglich, da nur eine solche potentielle Sponsoren überzeugen würde, die Gelder bereitzustellen, die für die Erhaltung eines zweiten Berufsorchesters erforderlich waren.208 Die Mitglieder des Komitees waren sich der wirtschaftlichen Risiken, die sein Vorhaben mit sich brachte, offensichtlich bewusst. Wie der erste Jahresbericht des Konzertvereins pathetisch hervorhebt, waren sie davon überzeugt, dass ein Scheitern ihres Plans weitere Versuche ähnlicher Natur in Zukunft wohl unmöglich gemacht hätte209. Nichtsdestotrotz hielten die Gründer an dem Konzept fest, das sich bereits für Stix als nicht unwesentliches Problem herausgestellt hatte, und verlegten sich hinsichtlich des Repertoires weiterhin auf qualitativ hochwertige Musik. Da es nicht auf den finanziellen Erfolg der Unternehmung ankam, sollten die Eintrittskarten möglichst billig und der künstlerische Wert möglichst hoch sein. Besonders am Anfang waren finanzielle Verluste daher akzeptabel und angesichts der ambitionierten Mission des Komitees mussten sie sogar erwartet werden.210 Die Konzerte waren derart konzipiert, dass sie eine Zielgruppe ansprechen sollten, der bis dahin der Zugang zu den Konzertsälen aus finanziellen oder sozialen Gründen verwehrt geblieben war. Ähnliche Versuche hatte es in der Vergangenheit bereits gegeben. 207 Auch wenn Alois selbst in keinen Unterlagen aufscheint, so trat doch seine Frau Laura dem Konzertverein bereits in dessen Gründungssaison 1900/1901 als unterstützendes Mitglied bei, wenn auch nur von kurzer Dauer. Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 56. 208 Cf. ibid. 5f. 209 Cf. ibid. 6. 210 Cf. ibid.

Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzertverein

Hanslick hatte bereits 1869 von einer Demokratisierung des Musiklebens gesprochen211, während in den späten 1880er Jahren Kammermusikensembles im Musikverein auftraten, deren Darbietungen für wenig Geld besucht werden konnten. Für gewöhnlich lag der Besuch solcher Konzerte weit außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der Mehrheit der Bevölkerung und blieb einem sehr kleinen und reichen Kreis vorbehalten.212 Zur selben Zeit initiierte der Volksbildungsverein Populärkonzerte, sogar in Kooperation mit dem Singverein. Diese und andere Initiativen stellten zwar einen ersten Schritt in Richtung einer breiteren Beteiligung der Bevölkerung dar, sie waren aber allesamt nur von kurzer Lebensdauer. Zudem waren sie allesamt bürgerlichen Ursprungs und dienten daher vordergründig der Verbreitung klassischer Musik unter dem Kleinbürgertum, während die Arbeiterklasse zunächst noch gänzlich ausgeschlossen blieb. Das Comité von Musikfreunden setzte dort an, wo die anderen Versuche geendet hatten. Die Popularisierung symphonischer Musik und demnach die Demokratisierung des Konzertlebens wurde zu ihrem primären Anliegen213. Dieses Ziel, so die Schlussfolgerung seiner Mitglieder, könne nur erreicht werden, wenn die Eintrittspreise so niedrig wie möglich gehalten werden und die Qualität sowohl der aufgeführten Werke als auch der Darbietung herausragend sei.214 Damit unterschied sich das Komitee klar von der Gesellschaft der Musikfreunde, die sich nach wie vor auf die ursprüngliche Mission der bürgerlichen Musikvereine – die Förderung und Kultivierung der Musik – konzentrierte und weiterhin das Großbürgertum als seine einzig wirkliche Klientel betrachtete. Das zweite Prinzip des Komitees stützte sich ebenfalls auf einen demokratischen Ansatz. Bezüglich des Repertoires sollte keine musikalische Richtung bevorzugt oder ausgeschlossen werden. Alle Stile waren gleichberechtigt zu behandeln, da rein das künstlerische Ergebnis von Bedeutung war. Dieser Grundsatz war auch dem Umstand geschuldet, dass das Komitee nicht nur diejenigen anzusprechen versuchte, die sich keine Konzertkarten leisten konnten, sondern auch diejenigen, die »vorwiegend heitere Programme bei gedeckten Tischen«215 bevorzugten. Aus diesem Grund verlegte es sich nicht nur auf die Organisation symphonischer Aufführungen im Musikverein, 211 Cf. Heller, Moderne, 101. 212 Cf. Notley, Brahms as Liberal, 118. 213 In diesem Zusammenhang verweisen Friedrich C. Heller und Ernst Kobau auf die Tatsache, dass das bloße Bereitstellen von Möglichkeiten, sich am Musikleben zu beteiligen und musikalische Angebote zu nutzen, nicht automatisch Integration mit sich bringt. Auch wurde diese Demokratisierung später kritisiert, da sie »von oben herab« erfolgte. Cf. Heller, Die Zeit der Moderne, 106  ; Kobau, Wiener Symphoniker, 17. 214 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 6. 215 Ibid.

53

54

Lehrjahre

sondern auch auf das Ausrichten von Populärkonzerten an wechselnden Orten. Verglichen mit dem Repertoire der Militärkapellen zeichneten sich diese durch ein gemischtes Programm, bestehend aus klassischer Musik und wertvoller Unterhaltungsmusik, aus, womit immer noch ein gewisser künstlerischer Wert gegeben sein sollte.216 Als ersten Schritt gewährte das Komitee Stix eine Summe von 20.000 Kronen, um den Konzertbetrieb des Neuen Philharmonischen Orchesters im Zeitraum vom 1. Dezember 1899 bis zum 31. März 1900 aufrechtzuerhalten. Als Gegenleistung unterstellte sich dieser der Aufsicht des Komitees und verpflichtete sich, dessen Prinzipien Folge zu leisten. Stix leitete fortan aber nur mehr die zweimal wöchentlich stattfindenden populären Orchesterdarbietungen. Für seine künstlerisch hochwertigeren Symphonie-Konzerte engagierte das Komitee Ferdinand Löwe, der in der Saison 1898/1899 als Wiener Hofopernkapellmeister fungiert hatte. Unter seiner Leitung fand zwischen 18. Jänner und 31. März 1900 ein symphonischer Zyklus im Großen Musikvereinssaal mit sechs Konzerten statt, der nur Abonnenten offenstand. Zusätzlich gab das Orchester im Februar und April zwei außerordentliche Konzerte, die auch für Nicht-Abonnenten zugänglich waren. Zur Aufführung gelangte ein vielseitiges Programm mit Symphonien von Haydn, Mozart und Beethoven, aber auch Werken von Liszt, Wagner und Bruckner.217 Dass das Konzept des Komitees aufzugehen schien, darauf weist zumindest der erste Jahresbericht des Konzertvereins hin. Auch wenn in diesem die Auslastung der Populärkonzerte noch als ausbaufähig bewertet wird218, so wird der große Erfolg der symphonischen Aufführungen doch besonders hervorgehoben.219 Demnach waren sowohl die Abonnements für den regulären Zyklus als auch die Karten für die zwei außerordentlichen Konzerte innerhalb weniger Tage ausverkauft und die Darbietungen wurden von Publikum und Kritikern gleichermaßen gefeiert. Das künstlerische Resultat befeuerte gewiss die Ambitionen des Komitees, wovon auch das bescheidene finanzielle Ergebnis nicht ablenken konnte. Wie erwartet reichten die Erträge von 23.886,90 Kronen bei Weitem nicht aus, um die Gesamtausgaben von 48.446,10 Kronen zu decken220. Die Differenz wurde mit Geldern beglichen, die das Komitee innerhalb der eigenen Reihen sammelte. 216 Cf. Aufruf des Wiener Concert-Vereines. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3391. 217 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 39f. 218 Die Erträge aus den Populärkonzerten beliefen sich nur auf rund 25 Prozent des Umsatzes der symphonischen Aufführungen. 219 Cf. ibid. 7f. 220 In Bezug auf die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung schlussfolgerte das Komitee im Nachhinein, dass es hinsichtlich des Ziels, die Musik einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, zu vorsichtig gewesen sei und daher die Preise im Vergleich zur gebotenen künstlerischen Qualität zu niedrig angesetzt habe. Für die nachfolgende Saison wurde daher eine moderate Erhöhung angedacht.

Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzertverein

Da die dreimonatige Testphase für das Komitee den Beweis erbracht hatte, dass ausreichend Interesse an symphonischer Musik in Wien gegeben war, entschloss es sich zu einer Fortführung des Projekts und machte sich an die Umsetzung seines Plans zur Schaffung einer permanenten Institution. Um die Aufmerksamkeit potentieller Förderer zu erregen, verkündete das Komitee seine Absicht, eine neue Musikgesellschaft ins Leben zu rufen und begann, in der Öffentlichkeit um Mitglieder zu werben. Dieser Verein, der hinsichtlich Organisations- und Rechtsform einer losen Runde von Privatpersonen vorzuziehen war, setzte sich aus verschiedenen Arten von Unterstützern zusammen. Während Stifter und Gründer eine einmalige Zahlung von 2.000 Kronen beziehungsweise 200 Kronen leisteten, betrug die Jahresgebühr für einfache unterstützende Mitglieder mindestens 10 Kronen.221 Als Gegenleistung für ihren Beitrag erhielten sie zwei unentgeltliche Karten für ein jährlich stattfindendes Mitgliederkonzert sowie das Vorkaufsrecht für je zwei Sitzplätze aller weiteren vom Verein veranstalteten Konzerte222. So groß der Andrang zu den symphonischen Konzerten des Neuen Philharmonischen Orchesters gewesen war, so groß fiel auch das Interesse am neuen Verein aus und überflügelte womöglich sogar die Erwartungen des Komitees. Als die Anträge auf Mitgliedschaft die Zahl der vorhandenen Sitzplätze im Musikverein, in dem die Vereinskonzerte auch weiterhin stattfinden sollten, übertraf, sah es sich gezwungen, die Aufnahme neuer Mitglieder vorübergehend auszusetzen, um das statuarisch zugesicherte Kartenvorkaufsrecht nicht zu verletzen. Diese Vorgehensweise sah sich jedoch bald interner Kritik ausgesetzt, da sie nicht der eigentlichen Zielsetzung des Komitees entsprach, nämlich der Popularisierung symphonischer Musik. Darüber hinaus hätte eine Beschränkung auf nur 600 Mitglieder einen herben Verlust bezüglich der Mitgliedsbeiträge bedeutet. Nachdem die Statuten nach intensiver Diskussion und ohne die Rechte der Mitglieder zu beschneiden den Realitäten angepasst worden waren223, konnte das Komitee stolz berichten, dass der neue Konzertverein, der nun elf Stifter, 221 Cf. Aufruf des Wiener Concert-Vereines. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3391. 222 Trotz ihres finanziellen Beitrags mussten auch Stifter und Gründer für jede Saison ihre Karten käuflich erwerben. In dieser Hinsicht scheint der Konzertverein von der Gesellschaft der Musikfreunde gelernt zu haben, deren Unterstützer das statuarische Recht besaßen, ihre Sitzplätze weiterzugeben. Obwohl sie von späteren Generationen nicht genutzt wurden, konnten diese Plätze nicht weiterverkauft werden, was um die Jahrhundertwende finanzielle Probleme nach sich zog. Cf. Perger, Hirschfeld, Gesellschaft der Musikfreunde, 239f. 223 Die Mitglieder verständigten sich darauf, dass, sollte das verfügbare Kartenkontingent für ein bestimmtes Konzert nicht ausreichend sein, dieses wiederholt werden müsse und dass der Vereinsvorstand über die Anzahl der zu veranstaltenden Zyklen entscheiden würde. Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 30f.

55

56

Lehrjahre

126 Gründer und 986 unterstützende Mitglieder umfasste, »mit einem Schlage eine der größten musikalischen Körperschaften Österreichs geworden«224 war. Die offizielle Gründung des Vereins erfolgte mit der konstituierenden Generalversammlung am 1. Mai 1900, zu der sich die Mitglieder im Brahms-Saal im Musikvereinsgebäude versammelten. Die Wahl der Örtlichkeit war nicht zufällig getroffen worden  ; die Gesellschaft der Musikfreunde hatte offen ihre Bereitschaft signalisiert, die neue Unternehmung zu unterstützen. Sie stellte nicht nur den großen Musikvereinssaal, auch den Goldenen Saal genannt, zu günstigeren Konditionen zur Verfügung, sondern auch ein Büro sowie Proberäume.225 Als Gegenleistung erklärte sich der Konzertverein – ähnlich wie 30 Jahre zuvor die Wiener Philharmoniker – dazu bereit, sein Orchester bei den Gesellschaftskonzerten der Musikfreunde auftreten zu lassen. Tatsächlich brachte diese Kooperation nicht nur den Pragmatismus der Vereinsgründer zum Ausdruck, bereits vorhandene Strukturen zu nutzen, sondern unterstrich auch ihre Entschlossenheit, ein effektives Netzwerk an Beziehungen zu anderen Schlüsselinstitutionen zu etablieren, um so schnell wie möglich ein anerkannter und ständiger Akteur im Wiener Musikleben zu werden226. Aus diesem Grund wurden zwei Delegierte der Gesellschaft der Musikfreunde in den Vereinsvorstand aufgenommen, in dem mit Karl Ritter von Wiener auch ein Repräsentant des k. k. Ministeriums für Kultus und Unterricht vertreten war227. Die Unterstützung seitens des Ministeriums manifestierte sich darüber hinaus in einer jährlichen Subvention von 2.000 Kronen, die sich im Lauf der kommenden Jahre erhöhen sollte. Dass Bot­stiber bereits vor der offiziellen Gründung in die Angelegenheiten des Komitees und damit in die Vorbereitungen zur Vereinsgründung involviert war, erscheint wie bereits angesprochen eher unwahrscheinlich. Fest steht aber, dass er mit der Saison 1900/1901 zum Sekretär der neuen Institution bestellt wurde. Die exakten 224 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 9. 225 Cf. ibid. 13. 226 Unter anderem kooperierte der Konzertverein mit mehreren Chorvereinigungen wie dem Akademischen Gesangsverein oder dem Schubertbund. Darüber hinaus konnte er sich die Unterstützung des Hofoperndirektors Gustav Mahler sichern, der seinen Musikern und Sängern die Teilnahme an Aufführungen des Vereins gestattete. Inwiefern das Verhältnis zwischen Mahler und dem Konzertdirektor des Konzertvereins, Ferdinand Löwe, diesbezüglich eine Rolle spielte, ist unklar. Löwe hatte in der Saison 1898/1899 als Mahlers Assistent an der Hofoper fungiert, sein Vertrag war aber nicht verlängert worden. Es existieren Spekulationen, dass dafür persönliche Animositäten zwischen den beiden verantwortlich waren. Cf. Reinhard Rauner, Ferdinand Löwe. Leben und Wirken. I. Teil 1863–1900. Ein Wiener Musiker zwischen Anton Bruckner und Gustav Mahler. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 3 (Frankfurt/Main et al. 1995), 167  ; Konzertverein, Jahresbericht 1902/1903, 9f. 227 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 49.

Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzertverein

Umstände seiner Verpflichtung durch den Vereinsvorstand liegen im Dunklen. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass erneut sein Cousin Alois seine Finger im Spiel hatte, dessen persönliche Kontakte vielleicht von Vorteil waren. Wahrscheinlicher ist aber, dass es bereits Bot­stibers eigene Bekanntschaften waren, die ihm zu seiner Ernennung verhalfen. Denn wie ein Blick auf die personelle Zusammensetzung des Konzertvereins zeigt, gab es mehrere Verbindungen zwischen dessen Führungsriege und dem jungen Juristen und Musikwissenschaftler, wobei besonders Eusebius Mandyczewski zu erwähnen ist. Bot­stibers Vorgesetzter an der Bibliothek der Gesellschaft der Musikfreunde dürfte, wenn auch nicht offiziell228, in Verbindung mit dem Comité von Musikfreunden gestanden haben, da er in der konstituierenden Mitgliederversammlung im Mai 1900 in den Vereinsvorstand gewählt wurde. Die Tatsache, dass er 115 von 115 abgegebenen Stimmen erhielt, unterstreicht das Vertrauen und den Respekt, die ihm die anderen Mitglieder entgegenbrachten229. Es ist also davon auszugehen, dass seiner Meinung aufgrund seiner Reputation als anerkannter Musikwissenschaftler auch hinsichtlich organisatorischer Fragen Beachtung geschenkt wurde. Als das Komitee beziehungsweise der Vereinsvorstand zum Schluss gekommen war, dass die Notwendigkeit zur Anstellung einer bezahlten Kraft gegeben war, um das tägliche Geschäft bewältigen zu können, dürfte Mandyczewski Bot­stiber für diese Position vorgeschlagen haben230, der seit rund zwei Jahren als sein Assistent tätig war und über dessen Qualitäten er wohl Bescheid wusste. Bot­stiber schien durchaus eine logische Wahl zu sein. Als Jurist brachte er Expertise in rechtlichen Belangen mit und war, da er sich im Jahr 1900 in der Endphase seines Studiums der Musikwissenschaft befand, auch in musikalischen Fragen bewandert. Darüber hinaus verfügte er über ein gewisses Maß an praktischer Erfahrung im musikalisch-administrativen Bereich, war er doch nicht nur als Bibliothekar und Archivar für die Gesellschaft der Musikfreunde tätig, sondern fungierte auch als Schriftführer im Vorstand des Tonkünstler-Vereins. In Bezug auf seine Studien ist 228 Im Aufruf zur Mitgliedersuche vom März 1900 scheint Mandyczewski zwar nicht als Mitglied des vorbereitenden Komitees auf, er hatte womöglich aber eine beratende Funktion inne. Cf. Aufruf des Wiener Concert-Vereines. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3391. 229 Abgesehen von den zwei Delegierten der Gesellschaft der Musikfreunde sowie des Vertreters des Unterrichtsministeriums wählte die Generalversammlung 18 Personen in den Vereinsvorstand. Nur vier davon erhielten wie Mandyczewski das Maximum an Stimmen. Es waren dies Jakob Thonet, Robert Steinhauser, Karl August von Artaria und Theodor Hämmerle. Arthur Faber, der 114 Stimmen erhalten hatte, wurde zum Präsidenten ernannt. Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 32, 49. 230 Bot­stiber war von Mandyczewski laut dem eingangs zitierten Artikel in der »Neuen Freien Presse« aus Anlass seines 60. Geburtstags bereits zur Anstellung bei der Gesellschaft der Musikfreunde verholfen worden. Cf. Dr. Hugo Bot­stibers sechzigster Geburtstag, in  : Neue Freie Presse, 19. April 1935, 5.

57

58

Lehrjahre

ergänzend zu bemerken, dass die Empfehlung, Bot­stiber zu engagieren, nicht nur von Mandyczewski gekommen sein mag, sondern auch von Bot­stibers Mentor Guido Adler. Denn dieser war seit seiner Schulzeit eng mit Karl August von Artaria, Eigentümer der gleichnamigen Kunst- und Musikalienhandlung und ebenfalls Vorstandsmitglied des Konzertvereins, befreundet231. Und letztendlich dürfte Bot­stiber seit seiner Zeit am Konservatorium auch mit Ferdinand Löwe zumindest ansatzweise bekannt gewesen sein, da dieser an der dortigen Chorschule unterrichtet hatte232. Der Sekretär war zunächst der einzige Angestellte der neuen Unternehmung. Sein Aufgabenbereich umfasste die gesamten administrativen Agenden des Vereins und dessen Orchesters wie die Verwaltung der Korrespondenz, der Abonnements und aller sonstigen Fragen bezüglich der Mitglieder, die Organisation von Proben und Konzerten oder das Reservierung der Spielstätten. Ob er bereits auch in die künstlerische Planung eingebunden war, wie Friedrich C. Heller anmerkt233, erscheint zu diesem frühen Zeitpunkt seiner Karriere doch unwahrscheinlich. Für die Symphonie-Konzerte lag die Verantwortung hinsichtlich der Programmgestaltung beim Konzertdirektor des Vereins, Ferdinand Löwe. Es ist nicht anzunehmen, dass der renommierte Dirigent die Vorschläge des Sekretärs, der am Anfang seiner Laufbahn stand, in Erwägung gezogen hätte. Auch ist fraglich, ob Bot­stiber, immerhin zehn Jahre jünger als Löwe, überhaupt schon bereit war, sich zu diesem Zeitpunkt mit künstlerischen Fragen zu beschäftigen. Da die Anstellung beim Konzertverein seine erste Vollzeitbeschäftigung darstellte, dürfte er bemüht gewesen sein, zunächst die ihm aufgetragenen administrativen Aufgaben mit größter Sorgfalt und zur Zufriedenheit des Vorstandes zu erledigen. Nichtsdestotrotz waren diese Lehrjahre eine wertvolle Erfahrung für Bot­stiber und boten ihm die Gelegenheit, das Tagesgeschäft eines Konzertveranstalters von Grund auf kennenzulernen und zahlreiche persönliche Kontakte zu wichtigen Akteuren des Wiener Kunstlebens und der Verwaltung zu knüpfen. Darüber hinaus fand sich Bot­stiber zum ersten Mal in einer finanziell soliden und unabhängigen Situation. Sein ursprünglicher Jahresverdienst belief sich auf rund 3.000 Kronen und war damit doppelt so hoch wie das Gehalt eines Grundschullehrers234. Im Vergleich dazu betrug die Entlohnung der Musiker für ein Engagement über die gesamte Konzertsaison ungefähr zwischen 800 und 1.000 Kronen.235 231 Cf. Adler, Wollen und Wirken, 4. 232 Cf. Perger, Hirschfeld, Gesellschaft der Musikfreunde, 217. 233 Cf. Heller, Vorgeschichte, 15f. 234 Die Bilanz für das erste Betriebsjahr weist für den Posten »Gehalte der Angestellten« einen Betrag von 3.176,84 Kronen aus. Da Bot­stiber der einzige Bedienstete des Konzertvereins in der Saison 1900/1901 war, ist davon auszugehen, dass sich sein Verdienst auf eben diese Summe belief. Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 23. 235 Bot­stiber befand sich hinsichtlich der sozialen Absicherung in einer weitaus komfortableren Situa-

Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzertverein

Bot­stibers erste konkrete Herausforderung war die Durchführung der ersten reguläre Saison des Konzertvereins, die im Oktober 1900 begann. Nachdem es dem Vorstand gelungen war, den Mitgliedern des früheren Neuen Philharmonischen Orchesters über die Sommermonate andere Engagements zu vermitteln, kamen die Musiker nach der Sommerpause als Konzertvereinsorchester wieder zusammen und nahmen das erste große Projekt in Angriff, nämlich die erste zyklische Aufführung aller Beethoven-Symphonien in Wien236. Diese war aber nur ein Teil der Konzertaktivität des Orchesters, die bis an ihr Limit ausgereizt wurde. Insgesamt fanden zwei Zyklen mit je sechs Symphonie-Konzerte, vier außerordentliche Konzerte, die auch Nicht-Abonnenten offenstanden, sowie zwei Mitgliederkonzerte statt. Zusätzlich gab das Orchester 49 populäre Konzerte, mittwochs im Volksgarten und sonntags im Musikverein. Aufgrund dieses dichten Spielplans musste die Idee eines dritten symphonischen Zyklus und eines zusätzlichen Populärkonzerts pro Woche wieder verworfen werden. Während die klassischen Komponisten von Beginn an die symphonischen Aufführungen dominierten, stieg ihr Anteil auch bei den populären Konzerten kontinuierlich an. Der Vereinsvorstand betrachtete diese Tendenz nicht als Hindernis für das erklärte Ziel, symphonische Musik einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen. Vielmehr vertrat er die Meinung, dass ein höheres künstlerisches Niveau das Publikum, das sich seiner Ansicht nach ohnehin nach mehr ernster Musik sehnte, nicht entmutigen, sondern viel mehr anziehen würde.237 Hatte das Programm der ersten Populärkonzerte also vor allem aus leichter Musik und nur einigen wenigen klassischen Kompositionen bestanden, so begann das Orchester bald, ganze Symphonien aufzuführen, ergänzt um qualitative Unterhaltungs- und Tanzmusik. Auch wenn die Entscheidung des Vorstands, sich auf ein anspruchsvolleres Repertoire zu verlegen, als Versuch anmutet, das Publikum zu erziehen und ihm seine eigenen ästhetisch-musikalischen Werte aufzuerlegen, so schien sie zumindest aus finanzieller Perspektive doch vernünftig gewesen zu sein. Die Zuhörerzahlen der Populärkonzerte stiegen an und die höhere Auslastung wirkte sich positiv auf die Vereinsfinanzen aus. Im Gegensatz zum Neuen Philharmonischen Orchester gelang dem Konzertverein in seiner ersten Saison beinahe, ausgeglichen zu bilanzieren, wobei tion als die Musiker des Vereinsorchesters. Während sein Vertrag eine Vollzeitanstellung und auch Anspruch auf Zahlungen aus einem Pensionsfonds vorsah, wurden die Musiker nur saisonal vom Herbst bis zum Frühjahr engagiert. Cf. Kobau, Wiener Symphoniker, 31. 236 An Beethovens »9. Symphonie« zum Abschluss des Zyklus waren mit dem Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde sowie dem Wiener Männergesang-Verein die beiden führenden Chöre der Stadt beteiligt. 237 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 11.

59

60

Lehrjahre

sich das Defizit auf den überschaubaren Betrag von 428,33 Kronen belief.238 Dieses durchaus positive Resultat kam auch aufgrund der Aktivität des Orchesters als Begleitensemble zustande. Im Gegensatz zu den Wiener Philharmonikern war sein Terminkalender nicht durch Opernproduktionen ausgebucht und es blieb daher trotz der Symphonie-Zyklen und populären Aufführungen noch Spielraum für kleinere Projekte. Konzertagenturen und Gesangsvereine waren zunehmend interessiert, das Konzertvereinsorchester als Begleitung für bekannte Solisten beziehungsweise für ihre eigenen Darbietungen zu engagieren. Trotz des zufriedenstellenden finanziellen Ergebnisses optierte der Vorstand für eine moderate Erhöhung der Kartenpreise sowohl für die Symphonie- als auch die Populärkonzerte. Obwohl sich die Mitglieder der Tatsache bewusst waren, dass eine solche Preissteigerung das primäre Vereinsziel der Popularisierung symphonischer Musik untergraben könnte, basierte die Entscheidung auf dem Bestreben, einerseits das musikalische Niveau weiter anzuheben und andererseits die sozialen Rahmenbedingungen für die Musiker zu verbessern. Während der Vorstand die Notwendigkeit geortet hatte, bei gewissen Instrumenten fähigere Musiker zu engagieren, sollten die Arbeitsbedingungen des Orchesters generell verbessert werden, wobei eine Lohnerhöhung sowie die Einrichtung eines Pensionsfonds im Vordergrund standen239. Zusätzlich versuchte der Konzertverein, das Engagement seiner Musiker auf die Sommermonate auszudehnen. Als Zwischenlösung konnte eine Übereinkunft mit Karl Komzák erreicht werden, der abwechselnd mit Stix seit Oktober 1900 die Populärkonzerte des Vereins leitete240. Dieser heuerte den Großteil der Musiker für sein Kurorchester an, das während des Sommers Promenadenkonzerte in Baden bei Wien gab. Nachdem sich der Konzertverein einen festen Platz im Wiener Musikleben erspielt hatte, blieb das Interesse an ihm nicht auf das Zentrum der Monarchie beschränkt. Auftritte in anderen Städten des Reiches waren die logische Konsequenz, was abgesehen von den zusätzlichen Erträgen auch die Möglichkeit bot, die Musiker über einen längeren Zeitraum zu beschäftigen. Während das Vereinsorchester während der Spielzeit 1901/1902 nur drei auswärtige Konzerte in Graz, Budapest und Triest gab, so 238 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 12. 239 Für eine detaillierte Illustration der sozialen Situation der Musiker siehe Kobau, Wiener Symphoniker, 24–27. 240 Nach der ersten Saison legten sowohl Stix als auch Komzák freiwillig ihre Position zurück, Letzterer offiziell aus Gesundheitsgründen. Die Rücktritte hingen aber möglicherweise mit den steigenden künstlerischen Ansprüchen des Vorstands zusammen. Stix und Komzák wurden durch Adolf Müller, Kapellmeister am Theater an der Wien, sowie den jungen Dirigenten Anton Barthlmé ersetzt. Als Müller kurz nach Saisonbeginn verstarb, folgte ihm Adolf Kirchl, der Dirigent des Schubertbunds, nach. Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1900/1901, 15  ; Konzertverein, Jahresbericht 1901/1902, 7.

Der erste Meilenstein  : Der Wiener Konzertverein

reiste es in der Saison 1903/1904 bereits nach Reichenberg, Prag, Linz, Graz, Laibach, Agram, Triest und Venedig.241 Auch die Organisation dieser Auftritte oblag Bot­stiber, dem – wohl um den ständig steigenden Verwaltungsaufwand bewältigen zu können – in der Saison 1901/1902 ein Kanzlist zur Seite gestellt worden war. Neben dem traditionellen klassischen Repertoire konzentrierte sich die künstlerische Ausrichtung des Konzertvereins auf die Neudeutsche Schule. Seine größere musikalische Aufgeschlossenheit, gemessen an der Gesellschaft der Musikfreunde, wurde in dieser Hinsicht durch die Verpflichtung von Ferdinand Löwe, einem BrucknerAnhänger, als Dirigent unterstrichen.242 Auch gelangten im Rahmen der Abonnementkonzerte, wenn auch nur gelegentlich, Werke von zeitgenössischen Komponisten zur Aufführung, darunter Alexander Zemlinsky und Franz Schreker, aber auch Edward Elgar und Paul Dukas.243 Bei den populären Orchesterkonzerten hielten Aufführungen Einzug, die jeweils einem bestimmten Komponisten gewidmet waren, wobei Beethoven und Wagner überproportional vertreten waren. Im Jänner 1902 fand weiters ein außerordentliches Konzert mit moderner Musik statt, in dessen Rahmen Werke zeitgenössischer Komponisten und junger Talente gespielt wurden, die bislang in den symphonischen Zyklen keine Beachtung gefunden hatten. Aufgrund des Mangels an Quellen lässt sich nicht sagen, wer diese Aufführung angeregt hatte – der Vorstand, Löwe oder gar Bot­stiber. Auf jeden Fall war sie die erste ihrer Art in Wien und »war von hervorragendem künstlerischen Erfolge begleitet«244, wie im Jahresbericht zur Saison 1901/1902 stolz angemerkt ist. Dennoch blieb das Konzert, das Werke von Franz Schmidt, Leone Sinigaglia und Siegmund von Hausegger beinhaltete, eher eine Randerscheinung denn ein fixer Bestandteil im Spielplan des Vereins. Es dauerte mehr als drei Jahre, ehe im Februar 1905 wieder ein sogenanntes Novitäten-Konzert mit Werken von Paul Juon, Max Schillings und Claude Debussy stattfand245. Insofern wurden die Ambitionen des Vorstands, keine Richtung zu negieren, zwar erkennbar, die Maxime der künstlerischen Demokratisierung, also die ausgeglichene Berücksichtigung sowohl traditionell klassischer als auch progressiver Musik, blieb eine Chimäre. Obwohl es einige Erstaufführungen gab, richtete sich das Repertoire doch größtenteils nach den konservativen Vorlieben des Publikums. Zudem war das öffentliche Konzertleben noch nicht in der Lage, sich selbst zu erhalten, und blieb daher auf die Patronanz wohlhabender Mäzene angewiesen246. Diese Abhängigkeit spiegelte sich 241 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1901/1902, 12  ; Konzertverein, Jahresbericht 1903/1904, 7. 242 Cf. Barta, Konzerthaus im Wandel, 42. 243 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1902/03, p. 25ff  ; Konzertverein, Jahresbericht 1903/04, 25ff. 244 Konzertverein, Jahresbericht 1901/1902, 5. 245 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1904/1905, 6. 246 Ab der Saison 1902/1903 gelang es dem Verein, kleine Überschüsse zu erwirtschaften. Dies war aber

61

62

Lehrjahre

auch im Spielplan wider, der nach den persönlichen Präferenzen der bürgerlichen Stifter und Gründer gestaltet wurde.247 So wenig wie eine ausgewogene Berücksichtigung moderner Musik kam auch die Teilhabe einer breiteren Öffentlichkeit an den symphonischen Zyklen, die den eigentlichen Kern der Aktivitäten des Konzertvereins darstellten, nicht oder nur unzureichend zustande. Angesichts des dichten Spielplans des Orchesters und des limitierten Platzangebots im Musikverein wurden auch die Konzerte des Konzertvereins nur von einer privilegierten Gruppe besucht. Dabei handelte es sich in erste Linie um dessen Mitglieder, deren Zahl bis 1906 nur gering anstieg. Aufgrund der Vereinsstatuten waren nur wenige Karten für Nicht-Mitglieder erhältlich, während eine interessierte Mehrheit nach wie vor ausgeschlossen blieb248. Eine generelle Öffnung des Konzertvereins gegenüber weiten Teilen der Bevölkerung sollte noch eine knappe Dekade auf sich warten lassen249. Bis es soweit war, wechselte Bot­stiber den Arbeitgeber.

Musikfr eund und Sta atsdiener Die Professionalisierung des Konzertlebens und die wachsende Nachfrage nach symphonischer Musik resultierten nicht nur in der Gründung neuer Musikvereine, sondern wirkten sich auch auf die bestehenden Institutionen aus, deren organisatorische Strukturen den sich verändernden Rahmenbedingungen nicht mehr genügten. Dies traf auch auf Wiens bedeutendsten Konzertveranstalter zu, die Gesellschaft der Munur durch die anhaltende finanzielle Unterstützung seiner Mitglieder möglich, da einnahmenseitig kein Zuwachs zu erwarten war, während die Erhaltungskosten für das Orchester ständig anstiegen. Als Konsequenz verständigten sich einige Mitglieder des Vorstands 1905 auf die Einrichtung eines Garantiefonds in der Höhe von 6.000 Kronen. Daneben erhöhten sich die jährlichen Subventionen des Unterrichtsministeriums zwischen 1900 und 1904 von 2.000 Kronen auf 8.000 Kronen. Cf. ibid. 8f. 247 Cf. Kobau, Wiener Symphoniker, 20. 248 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1902/1903, 5. 249 Eine erwähnenswerte Ausnahme stellten die von David Josef Bach 1905 initiierten Arbeiter-Symphoniekonzerte dar, in denen das Konzertvereinsorchester mitwirkte und die später im Konzerthaus stattfinden sollten. Bach, ein sozialdemokratischer Kulturpolitiker und enger Freund Schönbergs, war wie Bot­stiber einer der wesentlichen Anreger des Wiener Musiklebens bis zum Anschluss 1938 und setzte sich intensiv für moderne Kunst ein. Die persönliche Beziehung zwischen Bach und Bot­ stiber, sofern es eine solche gab, ist in Ermangelung entsprechender Quellen nicht zu ergründen. Zumindest besuchte Bot­stiber aber die Festaufführung anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums der Arbeiter-Symphoniekonzerte im Konzerthaus im September 1924. Cf. Tagebucheintrag von Heinrich Schenker, 27. September 1924. Schenker Documents Online. Online  : http://www.schenkerdocumentsonline.org [letzter Zugriff  : 29. November 2011]  ; Christian Glanz, David Josef Bach and Viennese Debates on Modern Music, in  : Austrian Studies 14 (2006), 186f.

Musikfreund und Staatsdiener

sikfreunde. Ihre ursprünglichen Statuten von 1814 sahen die Position eines Sekretärs oder Generalsekretärs vor, der als Geschäftsführer für die Administration zuständig war und eine Stimme im Vereinsvorstand, der Direktion, besaß. Die Erledigung des Tagesgeschäfts fiel in den Aufgabenbereich des Expedienten, dem ein Kanzleidiener zur Seite gestellt war, während sich der Kassier um die finanziellen Angelegenheiten kümmerte.250 Diese Hierarchie blieb im Großen und Ganzen bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts unverändert. Auf der jährlichen Generalversammlung am 8. Mai 1906 wies der Präsident der Gesellschaft, Adolf Koch Edler von Langentreu, auf die Notwendigkeit hin, einen zusätzlichen Sekretär einzustellen, um den Generalsekretär Ludwig Koch angesichts des stetig steigenden Arbeitsaufwands zu entlasten.251 Die Wahl zur Erfüllung dieser Aufgabe fiel auf Bot­stiber. Die Entscheidung, den Sekretär des Konzertvereins zu engagieren, war zweifellos seinem Ruf als exzellenter Administrator, den er sich in den letzten sechs Jahren erworben hatte, geschuldet. Wie Präsident Koch auf der Generalversammlung ausführte, war von Bot­stiber angesichts der von ihm erbrachten Leistungen für seinen früheren Arbeitgeber »auch für die Gesellschaft eine ersprießliche Wirkung zu erwarten«252. Allerdings muss nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass versucht worden war, ihn abzuwerben. Vielmehr geht aus einem Schreiben der Gesellschaft an Bot­stiber vom 29. März 1906 hervor, dass sie ihn auf dessen eigenes Ansuchen hin als Sekretär mit einem Jahresgehalt von 3.600 Kronen zuzüglich einer Quartiergeldzahlung von 1.440 Kronen – also einem Gesamtjahresverdienst von 5.040 Kronen – engagierte, wobei als Dienstantritt der 16. Mai 1906 festgelegt wurde.253 Von welcher Seite auch immer die Initiative ausgegangen sein mag, aus Bot­ stibers Perspektive dürfte der Wechsel zur etablierten Gesellschaft der Musikfreunde jedenfalls ein logischer Schritt gewesen sein, da er diese wohl als größere berufliche Herausforderung erachtete als den Konzertverein, der zu diesem Zeitpunkt noch über kein eigenes Konzertgebäude verfügte. Er blieb seinem alten Arbeitgeber dennoch verbunden, indem er dem Verein als unterstützendes Mitglied beitrat254. Die neue Anstellung bedeutete für Bot­stiber einen beträchtlichen Karriereschub. Nicht nur, dass sich sein Gehalt beinahe verdoppelte, er erhielt auch mehr Kompe250 Cf. Mandyczewski, Zusatz-Band, 205f. 251 Unter anderem installierte die Gesellschaft eine Konzertkassa im Musikvereinsgebäude. Cf. Perger, Hirschfeld, Gesellschaft der Musikfreunde, 240  ; Gesellschaft der Musikfreunde, Rechenschaftsbericht der Direktion 1905/1906, 76. 252 Ibid. 253 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Schreiben an Hugo Bot­stiber, 29. März 1906. Wienbibliothek. HIN 207615. 254 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1907/1908, 49.

63

64

Lehrjahre

tenzen und ein umfangreicheres Betätigungsfeld. Als er im Mai 1906 seinen Dienst antrat, wurde er umgehend zum Leiter der gesamten Administration der Gesellschaft, da Generalsekretär Koch aufgrund gesundheitlicher Probleme seine Position nur mehr in eingeschränktem Maße wahrnehmen konnte und er als dessen Stellvertreter fungierte255. Bot­stiber hatte allerdings ohnehin nie geplant, nur aus der zweiten Reihe der Gesellschaft zu agieren. Wie die Vertragsverhandlungen belegen, hatte ihn die Direktion im April 1906 davon in Kenntnis gesetzt, dass, sollte er sich im ersten Jahr seiner Anstellung bewähren und der amtierende Generalsekretär aus welchen Gründen auch immer ausscheiden, ihm dessen Nachfolge mit einem Jahresgehalt von 7.000 Kronen übertragen werde256. Diese Zusatzklausel war wohl dafür ausschlaggebend, dass Bot­stiber den Wechsel zur Gesellschaft überhaupt in Erwägung zog, da er damit nicht befürchten musste, der Vorstand könnte Kochs Posten anderweitig besetzen und er gegebenenfalls in der Hierarchie zurückfallen. Seine Leistungen erfüllten offensichtlich die Erwartungen der Direktion, denn als sich Koch im August 1907 auf eigenes Ansuchen hin in den Ruhestand versetzen ließ257, wurde Bot­stiber wie in der Abmachung vorgesehen zum Kanzleidirektor und damit zum offiziellen Geschäftsführer der Gesellschaft der Musikfreunde befördert258. Im Gegensatz zu seiner Tätigkeit für den Konzertverein hatte er sich damit aber nicht nur um die Organisation der Gesellschaftskonzerte, in Absprache mit dem Konzertdirektor der Gesellschaft, Franz Schalk, zu kümmern, sondern auch um die Verwaltung des Konservatoriums, das er einst selbst als Student besucht hatte. Während dessen Direktor für die pädagogischen und künstlerischen Belange verantwortlich war, übernahm Bot­stiber die administrativen Agenden und diente als Verbindung der Schulleitung zur Direktion der Gesellschaft, wobei er auch eine Stimme im Schulausschuss besaß.259 Gemäß seinem Aufgabenbereich fielen damit sämtliche vertraglichen Angelegenheiten der Lehrenden des Konservatoriums in seinen Zuständigkeitsbereich. Insofern wickelte er auch die Verpflichtung des italienischen Komponisten und Pianisten Ferruccio Busoni ab, dessen Gastspiel in Wien sich zu einem regelrechten Skandal auswachsen sollte. Diese kurze Episode, die sich mithilfe einer Reihe von Briefen der beteiligten Personen illustrieren lässt, gibt Aufschluss über Bot­stibers All255 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Rechenschaftsbericht der Direktion 1905/1906, 12. 256 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Schreiben an Hugo Bot­stiber, 17. April 1906. Wienbibliothek. HIN 207616. 257 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Rechenschaftsbericht der Direktion 1906/1907, 19. 258 Bot­stiber erhielt jedoch nicht den offiziellen Titel des Generalsekretärs, sondern blieb weiterhin Sekretär. Cf. Vertragsentwurf zwischen Hugo Bot­stiber und der Gesellschaft der Musikfreunde. 1906. Wienbibliothek. HIN 207617. 259 Cf. Mandyczewski, Zusatz-Band, 246.

Musikfreund und Staatsdiener

tagsgeschäft als administrativer Leiter der Gesellschaft der Musikfreunde und deren Konservatoriums. Bot­stiber trat mit Busoni erstmals im Oktober 1906 in Kontakt, als er sich über dessen prinzipielles Interesse erkundigte, die Nachfolge Emil von Sauers als Leiter der Klavier-Meisterklasse des Konservatoriums zu übernehmen, der seine Funktion im kommenden Jahr zurücklegen wollte.260 Der Künstler, der zu diesem Zeitpunkt in Berlin lebte, stand der Anfrage zunächst reserviert gegenüber261, konnte aber nach längeren Verhandlungen doch überzeugt werden, das Angebot anzunehmen und, auf eigenen Wunsch hin, zunächst für ein Probejahr nach Wien zu kommen. Als er im Jänner 1907 von der Zusage in Kenntnis gesetzt wurde, verlieh der offensichtlich erfreute Bot­stiber in einem Brief an Busoni seiner Hoffnung Ausdruck, dieser möge längerfristig in Wien tätig sein und seine Aktivitäten nicht nur auf das Konservatorium beschränken, sondern sich auch am Wiener Konzertleben beteiligen.262 Im darauffolgenden März übermittelte er bereits den Vertrag, der auf einer Vorlage des Übereinkommens zwischen der Gesellschaft und Busonis Vorgänger Sauer basierte, zur Unterzeichnung nach Berlin.263 Demzufolge sollte der Künstler, dem der Titel eines k. k. Professors verliehen wurde, ein Jahresgehalt von 14.000 Kronen erhalten und zwölf bis 16 Studenten in seiner Meisterklasse unterrichten. Weiters wurde ihm die Möglichkeit zugestanden, sich insgesamt für zwei Monaten beurlauben zu lassen, wobei er sich verpflichtete, den Urlaub nicht auf einmal, sondern über das Unterrichtsjahr verteilt zu konsumieren und die Schulleitung darüber zwischen zwei Wochen und drei Monaten im Voraus in Kenntnis zu setzen, abhängig von der geplanten Dauer der Abwesenheit. Noch bevor das Unterrichtsjahr 1907/1908 aber begonnen hatte, sah sich Bot­ stiber als administrativer Leiter des Konservatoriums mit den ersten Komplikationen konfrontiert. Mitte August teilte er Busoni mit, dass die Aufnahmeprüfung für die Klavier-Meisterklasse für den 24. September anberaumt sei und der Unterricht erst danach beginne.264 Der Pianist hatte allerdings für den Zeitraum vom 24. bis zum 28. September bereits Auftritte in London arrangiert und ersuchte den Sekretär um 260 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Ferruccio Busoni, 9. Oktober 1906. Staatsbibliothek Berlin. Musikalischer Nachlass von Ferruccio Busoni, B II, 5438. 261 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, 12. Oktober 1906. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 395. 262 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Ferruccio Busoni, 19. Jänner 1907. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/10. 263 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Ferruccio Busoni, 27. März 1907. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/10. 264 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Ferruccio Busoni, 16. August 1907. Staatsbibliothek Berlin. Musikalischer Nachlass von Ferruccio Busoni, B II, 5445.

65

66

Lehrjahre

sein Entgegenkommen.265 Wenig später informierte er Bot­stiber, dass er überhaupt bis 5. Oktober in der britischen Hauptstadt engagiert sei, gelobte aber, die bis dahin versäumten Unterrichtsstunden gewissenhaft nachzuholen266. Auch wenn ihm sein Vertrag in dieser Hinsicht ein gewisses Maß an Flexibilität zusicherte, so war Busoni offenbar von Anfang an nicht gewillt, sich mit voller Hingabe seiner Tätigkeit am Konservatorium oder dem Wiener Musikleben zu widmen. Bereits Mitte Oktober erklärte er Bot­stiber, er sei mit 15 Studierenden überlastet, und schlug für das schwächere Drittel die Einrichtung eines Vorbereitungskurses vor267, während er seine Gattin bat, sich für den nächsten Herbst nach einer Wohnung in Berlin umzusehen, da er bereits daran zweifelte, dass er seinen Einjahresvertrag verlängern würde268. Offensichtlich war er alles andere als angetan von der Habsburger-Metropole. Wie die Anhänger der Wiener Moderne beschwerte sich der Künstler über die Rückwärtsgewandtheit der Wiener, die »nicht davon lassen [konnten], Alles mit der Vergangenheit zu vergleichen«269  : Es gab in Italien einen mysteriösen Mann […]  ; dieser hatte eine geheime Erfindung, wodurch Menschenleichen in dem scheinbaren Zustande der vollsten Lebensfrische erhalten blieben. Die Farbe der Haut, der Lippen, und die vollkommene Biegsamkeit der Muskeln und Gelenke blieb im Tode bewahrt und wie er behauptete, auf Jahrhunderte hinaus (er konnte auch Blumen so conservieren). Mir scheint, die K. und K. Stadt ist eine solche Leiche, oder ich müsste mich sehr irren.270

Es gab nur eine Handvoll Personen in Wien, deren Gesellschaft Busoni wegen ihrer modernistischen Geisteshaltung schätzte. So hatte er sich mit Gustav Klimt angefreundet und verkehrte mit einem kleinen Kreis rund um seine Bekanntschaft Jella von Oppenheimer271, einer Kunstliebhaberin. Bot­stiber dürfte nicht zu dieser Gruppe 265 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, 19. August 1907. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 396. 266 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, 6. September 1907. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 397. 267 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, 19. Oktober 1907. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 398. 268 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Gerda Busoni, 16. Oktober 1907. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/10. 269 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Gerda Busoni, 3. Dezember 1907. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/10. 270 Ferruccio Busoni, Brief an Gerda Busoni, 16. Oktober 1907. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/10. 271 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Gerda Busoni, 3. Dezember 1907. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/10.

Musikfreund und Staatsdiener

gehört haben, zumindest erwähnt ihn Busoni nicht als deren Mitglied in den Briefen an seine Frau. Die beiden scheinen einen respektvollen Umgang miteinander gepflegt zu haben, der sich weitestgehend auf berufliche Angelegenheiten beschränkte, sich aber dennoch durch einen lockeren Tonfall auszeichnete272, wie unter anderem die von Busoni verwendete Grußformel »Geliebter Secretarius« zeigt273. Der Großteil ihrer Korrespondenz betraf gegenwärtige oder zukünftige Studierende  ; Busoni empfahl entweder junge Talente an Bot­stiber274, der angesichts seiner Position häufig mit solchen Anfragen konfrontiert wurde275, oder er beschwerte sich über das Niveau seiner Meisterklasse276. Busonis Zeit am Konservatorium neigte sich jedoch deutlich früher als von ihm selbst erwartet und von Bot­stiber erhofft dem Ende zu. Im Februar musste er einen Klavierabend krankheitsbedingt absagen und war daher auch nicht in der Lage, nach Wien zu kommen. Darüber hinaus ließ er Bot­stiber über seine Sekretärin mitteilen, dass er aufgrund von Konzert-Engagements in Frankreich, England und der Schweiz kaum in der Lage sein werde, seine Lehrtätigkeit in Wien zwischen Februar und April wahrzunehmen, und wollte die für diesen Zeitraum vorgesehenen Unterrichtsstunden daher auf Mai, Juni und Juli verschieben.277 Die Direktion, die Bot­stiber von der geplanten Abwesenheit Busonis in Kenntnis setzen musste, zeigte sich über alle Maßen verärgert. Sie betrachtete das permanente Hintanstellen seiner Lehrverpflichtung gegenüber seinen Konzertaktivitäten und die Vernachlässigung seiner Meisterklasse als gravierende Vertragsverletzung und löste sein Dienstverhältnis mit sofortiger Wirkung auf, ohne mit Busoni Rücksprache zu halten. Da die Angelegenheit umgehend publik wurde und von einigen Zeitungen aufgegriffen wurde, beschuldigte der Pianist das Konservatorium der Falschdarstellung. Von seinem Standpunkt aus war sich dessen Leitung von Anfang über seine umfangreiche Konzerttätigkeit im Klaren gewesen, wobei er auch die Tatasche unterstrich, er habe die Professur nur widerwillig angenommen und von sich aus auf ein Probejahr bestanden. Darüber hinaus 272 So berichtete Busoni Bot­stiber scherzhaft, dass seine Schülerinnen dachten, der Ausdruck »Fußnoten« beziehe sich auf Noten, bei denen das Fußpedal des Klaviers betätigt wird. Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, undatiert. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 400. 273 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, undatiert. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 399. 274 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, undatiert. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 402. 275 Auch Schönberg und Zemlinsky setzten sich bei Bot­stiber für Schönbergs jüngeren Bruder Heinrich, der am Konservatorium Gesang studieren wollte, ein. Cf. Arnold Schönberg, Brief an Hugo Bot­stiber, undatiert. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 276 Cf. Ferruccio Busoni, Brief an Hugo Bot­stiber, undatiert. Staatsbibliothek Berlin. 55 Ep 404. 277 Cf. Richard Specht, Die Affäre in der Meisterschule. An der Hand eines Briefmaterials von Ferruccio Busoni, in  : Wiener Zeitschrift für Musik 1/5 (1908), 74.

67

68

Lehrjahre

kritisierte er die Vorgehensweise der Gesellschaft sowie deren fehlende Bereitschaft, den Streit einvernehmlich beizulegen, und betrachtete die öffentliche Proklamation seines Nachfolgers als taktlos.278 Inmitten der öffentlichen Aufmerksamkeit, die die Angelegenheit für kurze Zeit auf sich zog, schlug Busoni vor, das Probejahr zu beenden und vor allem mit Rücksicht auf die Studierenden die versäumten Stunden nachzuholen. Als die Gesellschaft das Angebot zurückwies und an der fristlosen Kündigung festhielt, begannen diese, sich für ihren Lehrer einzusetzen. Nach gescheiterten Verhandlungen mit Bot­stiber und dem Schuldirektor, Wilhelm Bopp, der auch ein Entgegenkommen von Busoni verlangte, veröffentlichten sie eine an die Direktion gerichtete Petition in mehreren Wiener Zeitungen mit der Ankündigung, dass die gesamte Meisterklasse das Konservatorium verlassen werde, sollte Busoni nicht zurückkehren.279 Trotz eindringlichen Aufforderungen seiner Studierenden, für seine Wiedereinstellung zu kämpfen280, ließ der Pianist die Sache schlussendlich jedoch auf sich beruhen. Die einzige Möglichkeit, seinen Ruf zu retten, lag für Busoni im Angebot, seinen ehemaligen Schülerinnen und Schülern Privatunterricht zu geben.281 Die »Affäre in der Meisterklasse«, wie die »Wiener Zeitschrift für Musik« titelte, hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Deren Herausgeber Richard Specht zufolge entsprach die Art und Weise, wie die Gesellschaft die Angelegenheit regelte, nicht der Würde einer so altehrwürdigen Institution282. Bot­stiber dürfte die Meinung Spechts wohl geteilt haben. In einem Brief an Busoni vom 25. Februar 1908 zeigte er sich über die Situation bestürzt und machte deutlich, dass er den Standpunkt der Direktion nicht teilte.283 Es scheint also kein Zufall zu sein, dass es ausgerechnet die »Wiener Zeitschrift für Musik« war, die Busoni die Möglichkeit gab, unter der Verwendung von Auszügen aus der Originalkorrespondenz mit der Gesellschaft der Musikfreunde die Angelegenheit aus seiner Sichtweise darzustellen  ; die Zeitschrift erschien unter Bot­stibers Mitwirkung. Die »Affäre in der Meisterschule« dürfte, wenn sie auch nicht ausschlaggebend war, doch dazu beigetragen haben, dass auch er die Gesellschaft mit Jahresende verlassen sollte. Nach Aussage einer Schülerin sympathisierte Bot­stiber 278 Specht, Affäre, 75f. 279 Cf. Georgina Nelson, Postkarte an Ferruccio Busoni, 27. Februar 1908. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/11. 280 Cf. Georgina Nelson, Brief an Ferruccio Busoni, 3. März 1908. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/11. 281 Cf. Specht, Affäre, 77. 282 Cf. ibid 73. 283 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Ferruccio Busoni, 25. Februar 1908. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/11.

Musikfreund und Staatsdiener

mit Busoni284, und dessen Demission, die gegen seinen Willen und möglicherweise auch nicht in Absprache mit ihm erfolgt war, belastete sein Verhältnis zur Direktion. Bereits seit Oktober 1907 fanden Gespräche zwischen dem k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht und der Gesellschaft der Musikfreunde bezüglich einer Verstaatlichung des Konservatoriums statt. Zwar war der Gedanke, die wichtigste Musikausbildungsstätte des Landes unter staatliche Kontrolle zu bringen, schon seit Jahren im Raum gestanden  ; aber erst, als sich die Lehrerschaft des Konservatoriums Anfang 1907 direkt an das Ministerium wandte und dieselben Bedingungen hinsichtlich Anstellungsmodus, Gehalt sowie Alters-, Witwen- und Waisenversorgung forderte, wie sie Lehrer im Staatsdienst genossen, wurde dem Thema Verstaatlichung wieder Beachtung geschenkt.285 Zwischen Oktober 1907 und März 1908 erarbeitete ein von der Direktion eingesetztes Komitee in Zusammenarbeit mit dem Ministerium ein entsprechendes Übereinkommen, das alle finanziellen und rechtlichen Aspekte regelte. Nachdem sowohl die Generalversammlung der Gesellschaft als auch die Regierung dem Vorschlag zugestimmt hatte, wurde das Konservatorium mit 1. Jänner 1909 in die k.k Akademie für Musik und darstellende Kunst umgewandelt.286 Dieser Schritt bedeutete auch das Ende von Bot­stibers Tätigkeit für die Gesellschaft der Musikfreunde, die er offiziell am 31. Dezember 1908 verließ – wohl aus eigener Entscheidung. Denn es ist anzunehmen, dass er durchaus in seiner Funktion als Sekretär und Kanzleidirektor verbleiben hätte können, wäre ihm dies ein Anliegen gewesen. Seine Leistungen für die Gesellschaft waren mehr als zufriedenstellend, wie etwa die Generalversammlung im Jänner 1908 bewiesen hatte, auf der ihm mit Applaus für seinen Fleiß und seine Loyalität gedankt worden war287. Bot­stiber zog es jedoch vor, weiterhin für das Konservatorium beziehungsweise für die neue Akademie tätig zu sein und damit in den Staatsdienst überzutreten. Seine tatsächlichen Motive bleiben im Verborgenen, doch könnte wie erwähnt der Busoni-Vorfall eine Rolle gespielt haben. Ungeachtet dessen drückte die Direktion Bot­stiber, der zweieinhalb Jahre erfolgreich als Geschäftsführer der Gesellschaft gewirkt hatte, ihren Dank aus und lobte ihn für seinen Elan und seine organisatorischen Fähigkeiten288. So hatte etwa der Singverein in der Saison 1907/1908 auf seinen Vorschlag öffentliche Gene284 Cf. Georgina Nelson, Brief an Ferruccio Busoni, 1. März 1908. King’s College, Cambridge. Personal Papers of Edward Joseph Dent, GBR/0272/EJD/2/1/2/11. 285 Cf. Ernst Tittel, Die Wiener Musikhochschule. Vom Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde zur staatlichen Akademie für Musik und darstellende Kunst. Publikationen der Wiener Musikakademie 1 (Wien 1968), 49. 286 Cf. Perger, Hirschfeld, Gesellschaft der Musikfreunde, 246ff. 287 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Rechenschaftsbericht der Direktion 1907/1908, 112. 288 Cf. Perger, Hirschfeld, Gesellschaft der Musikfreunde, 247, 254f.

69

70

Lehrjahre

ralproben eingeführt289, die von da an abends abgehalten wurden und gegen Bezahlung besucht werden konnten290. Bot­stibers neue Anstellung brachte einige gravierende Änderungen hinsichtlich seines Aufgabenbereichs mit sich. Zwar war er nach wie vor für die administrativen Agenden der bedeutendsten Musikausbildungsstätte des Habsburgerreiches zuständig. Aber zum ersten Mal nach acht Jahren, seit seiner Ernennung zum Sekretär des Konzertvereins, war er nicht mehr für die Organisation und Durchführung von Konzerten verantwortlich. Seine Aktivitäten am Konservatorium konzentrierten sich in erster Linie auf die Aufrechterhaltung des Unterrichts. Der Großteil seiner Pflichten war von eher profaner und bürokratischer Natur, wie unter anderem die Korrespondenz mit Schönberg zu jener Zeit belegt. Als dieser im Unterrichtsjahr 1910/1911 einen Privatkurs an der Akademie abhielt, trat er mit einer Reihe von Anliegen an Bot­stiber heran  : Lieber Dr. Bot­stiber, drei ›amtliche‹ Angelegenheiten. Die erste  : Bitte dringendst, veranlasse, daß diejenigen Schüler meiner Kurse, die noch nicht bezahlt haben, auf dem kürzesten Weg gemahnt werden. – Ich kann ja sonst kein Geld beheben. Die zweite  : Bitte veranlasse doch, daß in den Annoncen der Ankündigungen der Akademie […] auch mein Kurs erwähnt wird. Und daß, wenn wieder einmal angekündigt wird  : An der Akademie werden heuer folgende Kurse abgehalten …, daß da meiner nicht wieder verschwiegen wird. Ich könnte ja doch noch Schüler für den Kurs brauchen […]. Die dritte  : Ich möchte gerne zu Reisen mit der Bahn die selbe Vergünstigung (Fahrpreisermäßigung) erhalten, die meine glücklicheren Herrn Kollegen an der Akademie genießen […]291

In Ermangelung einer tatsächlichen Herausforderung an der Akademie begann Bot­ stiber in zunehmendem Maße, sich verschiedenen Nebenbeschäftigungen, aber auch privaten Angelegenheiten zu widmen. In erster Linie rückte sein Familienleben in den Mittelpunkt. Am 1. März 1908 heiratete er die um neun Jahre jüngere Luisa Josefina Perl.292 Das Paar hatte sich 289 Zwischen 1906 und 1913 wirkte Bot­stiber aktiv im Singverein mit und war von 1907 bis 1909 auch Mitglied des Vereinsausschusses. Cf. Albrecht Claus, Geschichte des Singvereines der Gesellschaft der Musikfreunde 1858–1933 (Wien 1933), 124a, 144. 290 Auch wenn öffentliche Generalproben schon früher stattgefunden haben dürften, waren sie eher die Ausnahme und wurden erst ab der Spielzeit 1906/1907 zur Regel, als Bot­stiber zur Gesellschaft der Musikfreunde wechselte. Cf. August Böhm, Geschichte des Singvereines der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Festschrift zum fünfzigjährigen Singvereins-Jubiläum (Wien 1908), 153. 291 Arnold Schönberg, Brief an Hugo Bot­stiber, undatiert. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 292 Cf. Hugo Bot­stiber, in  : Trauungsbuch der Pfarre Sankt Augustin, 1909, Fol. 130.

Musikfreund und Staatsdiener

vermutlich aus beruflichen Gründen kennengelernt, da Luisa als professionell ausgebildete Altistin ebenfalls in der Musikbranche tätig war. Aber im Gegensatz zu ihrem Ehemann, der von jüdischen Immigranten aus der ungarischen Provinz abstammte und aus eher bescheidenen Verhältnissen kam, entstammte sie einer wohlhabenden, katholischen Familie. Ihr Vater Rudolf Perl war als k. k. Hofspediteur ein erfolgreicher Unternehmer, der mehrere Geschäftsstellen und Lagerhallen besaß und zum wohlhabenden Bürgertum zählte293. Insofern wirkte sich die Heirat auch auf Bot­stibers Lebensstil und soziale Stellung aus. Er war nun definitiv Mitglied der vornehmen Gesellschaft Wiens und wurde, wie seine Cousins, in den »High-Life Almanach« aufgenommen294. Auch seine finanzielle Lage dürfte sich verbessert haben, wurde er doch im Jahr seiner Heirat wie sein Schwiegervater und sein Cousin Julius ClearingMitglied des k. k. Post-Sparkassen-Amts. Darüber hinaus konnte er es sich leisten, von der Isbarygasse im Westen Wiens, wo er gemeinsam in einem Haus mit Julius und Isidor gewohnt hatte295, in ein neues Apartment in der Jacquingasse im dritten Bezirk zu ziehen. Nahe dem Schloss Belvedere und in Gehweite des Stadtzentrums gelegen, stellte sich dieses jedoch nur als Übergangslösung heraus. Bereits 1913 erfolgte die Übersiedlung nach Grinzing, damals ein beinahe noch ländliches Gebiet am nordwestlichen Stadtrand Wiens. Dort bezog Bot­stiber mit seiner Frau und seinen 1910 und 1912 geborenen Kindern Eva und Dietrich eine Villa in der Kaasgrabengasse, die Teil einer luxuriösen Kolonie von Einfamilienhäusern des Architekten Josef Hoffmann war296. In der Nachbarschaft wohnte eine Reihe prominenter Vertreter des kulturellen und intellektuellen Lebens Wiens, wie Alexander Zemlinsky, Elias Canetti, Egon Wellesz und Emil Hertzka297, der Direktor des Musikverlags Universal Edition298. Da Bot­stiber sich eine solche Residenz von seinem Gehalt kaum leisten 293 Cf. Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger (Wien 1909), 864. 294 Cf. High-Life-Almanach. Adreßbuch der Gesellschaft Wiens und der österreichischen Kronländer (Wien 1913), 33. 295 Sowohl Bot­stiber als auch seine Cousins Julius und Isidor übersiedelten im Jahr 1905 in die Isbarygasse. Sie erbten möglicherweise das Haus ihres Onkels Ludwig Bot­stiber, eines Arztes, der dort gelebt hatte und im selben Jahr verstorben war. Ludwig, der noch in Gayring geboren worden war und dessen ursprünglicher Vorname »Lazar« gelautet hatte, hatte den Freimaurern angehört. Möglicherweise dürften seine Kontakte den Karrieren seiner Neffen dienlich gewesen sein. Cf. Ludwig Bortstieber, in  : Sterbebuch für die Israelitische Kultusgemeinde Wien, 1905, No. 569. 296 Cf. Eduard F. Sekler, Josef Hoffmann. Das architektonische Werk (Salzburg und Wien 1982), 140ff. 297 Cf. Beaumont, Zemlinsky, 580. 298 Egon Wellesz zufolge hatte Emil Hertzka den Bau der Kolonie angeregt, um für Musiker Wohnmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, und war später mit dem Vorschlag, sich dort niederzulassen, auch an Bekannte herangetreten. Cf. Egon Wellesz, Emmy Wellesz, Egon Wellesz. Leben und Werk (Wien und Hamburg 1981), 102f.

71

72

Lehrjahre

konnte, war es wohl sein Schwiegervater, der für die Baukosten teilweise oder zur Gänze aufkam. Diese Annahme stützt sich auch auf die Tatsache, dass die Hälfte des Hauses und der Liegenschaft seiner Gattin Luisa gehörte299. Neben Familiengründung und Umzug setzte Bot­stiber auch seine akademische Laufbahn fort, wenn auch auf seltsam anmutende Art und Weise. Im Oktober 1909 immatrikulierte er im Alter von 34 Jahren an der medizinischen Fakultät der Universität Wien. Seine Beweggründe für diesen Schritt lassen sich nicht eruieren. Abgesehen von der Suche nach einer neuen Herausforderung könnte die bevorstehende Geburt seiner Tochter im Jänner 1910 eine Rolle gespielt haben. Der Ausflug in die Medizin blieb jedenfalls eine kurze Episode in Bot­stibers Leben. Nach dem ersten Semester mit fünf Lehrveranstaltungen gab er sein Studium wieder auf.300 Daneben widmete sich Bot­stiber während dieser Zeit jedoch auch wieder verstärkt seinen musikwissenschaftlichen Interessen. Von besonderer Bedeutung war dabei die Organisation eines Kongresses der Internationalen Musikgesellschaft. Gegründet vom deutschen Musikologen Oskar Fleischer mit der Intention, den grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Austausch zu fördern, war sie die erste international operierende musikwissenschaftliche Institution ihrer Art.301 Ihre Wiener Sektion war 1899 von Guido Adler gegründet worden und stand seit 1905 unter der Leitung des Musikhistorikers Erwin Luntz. Noch als Student hatte Bot­stiber begonnen, Artikel in den Sammelbänden der Gesellschaft zu publizieren und Vorträge im Rahmen der Gesellschaftsabende zu halten302, bevor er 1905 als ordentliches Mitglied in die Wiener Sektion aufgenommen worden war und später auch als deren stellvertretender Vorsitzender fungierte303. Als die Wiener Sektion auserwählt wurde, im Mai 1909 den dritten Kongress der Gesellschaft zu organisieren, der Joseph Haydn anlässlich dessen 100. Sterbejahres gewidmet war, beteiligte sich Bot­stiber aktiv an den Vorbereitungen. Einerseits war 299 Cf. Notariats-Akt, Schenkungsvertrag, 20. Oktober 1938. Privatsammlung von Christina Stahl. 300 Cf. Hugo Bot­stiber, Meldungsbuch an der medizinischen Fakultät. Wienbibliothek. HIN 207628. 301 Cf. Gabriele Eder, Internationale Musikgesellschaft (IMG), in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Österreichisches Musiklexikon. Online  : http://www.musiklexikon.ac.at [letzter Zugriff  : 16. Dezember 2013]. 302 Hugo Bot­stiber, Eine unbekannte musikalische Sammlung, in  : Sammelbänder der Internationalen Musikgesellschaft 1 (1899/1900), 325–330  ; Hugo Bot­stiber, Musicalia in der New York Public Library, in  : Sammelbände der internationalen Musikgesellschaft 4 (1902/1903), 738–750  ; Hugo Bot­stiber, Ein Beitrag zu J. K. Kerll’s Biographie, in  : Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 7 (1905/1906), 634–636. 303 Cf. Mitteilungen der »Internationalen Musikgesellschaft«. Neue Mitglieder, in  : Zeitschrift der Internationalen Musik-Gesellschaft 8/2 (1906/1907), 77  ; Egon Wellesz, Bericht über die Tätigkeit der Landessektion Österreich-Ungarn, in  : Zeitschrift der Internationalen Musik-Gesellschaft 13/6 (1911/1912), 187–189.

Musikfreund und Staatsdiener

er Mitglied des allgemeinen Kongresskomitees, das unter der Leitung Guido Adlers stand und sich aus einer Reihe von Gelehrten und Künstlern zusammensetzte.304 Darüber hinaus fungierte er als erster Schriftführer sowohl des Exekutivkomitees, womit er in die allgemeine Planung des Kongresses involviert war, als auch des Konzertkomitees, dem unter anderem auch Gustav Mahler, Eusebius Mandyczewski, Ferdinand Löwe und Alexander Zemlinsky angehörten. Letzteres hatte die Aufgabe, den Spielplan für das Haydn-Gedenken zu erstellen, und war in zwei Subkomitees unterteilt, die sich um die historischen Konzerte und Opernaufführungen beziehungsweise um populäre Veranstaltungen kümmerten. Auch hier war Bot­stiber vertreten, während sich seine Gattin Luisa im Damenkomitee engagierte. Dass Bot­stiber in einem derart hohen Ausmaß in die Ausrichtung des Kongresses eingebunden war, war nicht nur seinen organisatorischen Fähigkeiten geschuldet. Da er bereits seit Jahren zu Haydn forschte und, gemeinsam mit Karl August von Artaria, im Lauf der Zentenarfeierlichkeiten ein Buch über das Verhältnis des Komponisten zum Verlagshaus Artaria herausgab305, galt er als einer der führenden Experten. Er wurde daher vom Exekutivkomitee auch beauftragt, gemeinsam mit Mandyczewski und Luntz das Programmbuch zu verfassen306. Bot­stibers Einsatz für die Internationale Musikgesellschaft beschränkte sich jedoch nicht nur auf den Haydn-Kongress. Im Februar 1910 übernahm er den Vorsitz der Wiener Sektion und vertrat diese gemeinsam mit Guido Adler, Egon Wellesz und Elsa Bienenfeld auf dem fünften und letzten Kongress der Gesellschaft, der 1914 knapp vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs in Paris stattfand.307 Die Internationale Musikgesellschaft, die sich in Folge der Kriegswirren bald auflösen sollte, war nicht die einzige musikwissenschaftliche Vereinigung, in der sich Bot­stiber engagierte. Er gehörte auch der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich an. Deren Zweck war es, die bedeutendsten Werke österreichischer Komponisten zu editieren und herauszugeben, um sie zu bewahren und sie der Wissenschaft, aber auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu ma304 Cf. Wiener Kongreßausschuß, III. Kongreß der Internationalen Musik-Gesellschaft. Wien, 25. bis 29. Mai 1909 (Wien und Leipzig 1909), 15–17. 305 Franz Artaria, Hugo Bot­stiber (Hgg.), Joseph Haydn und das Verlagshaus Artaria. Nach den Briefen des Meisters an das Haus Artaria & Compagnie dargestellt und anlässlich der Zentenarfeier (Wien 1909). 306 Cf. Kongreßausschuß, III. Kongreß, 36. 307 Cf. Egon Wellesz, Mitteilungen der »Internationalen Musikgesellschaft«. Ortsgruppen. Wien, in  : Zeitschrift der Internationalen Musik-Gesellschaft 11/7 (1909/1910), 233  ; Johannes Wolf, Der fünfte Kongreß der IMG vom 1.–14. Juni, in  : Zeitschrift der Internationalen Musik-Gesellschaft 15/10–11 (1913–1914), 262.

73

74

Lehrjahre

chen.308 Abermals ausgehend von einer Initiative Guido Adlers war die Gesellschaft 1893 ins Leben gerufen worden. Zu den Gründungsvätern zählten Eduard Hanslick, Johannes Brahms und Karl August von Artaria, der in den Räumlichkeiten seines Verlagshauses ein Büro zur Verfügung gestellt hatte.309 Während Adler von Beginn an für die Publikationen der Gesellschaft verantwortlich war, wurde Bot­stiber im November 1901 aufgenommen, nachdem er sein Studium der Musikwissenschaft abgeschlossen hatte.310 Er wurde zum sogenannten wirkenden Mitglied ernannt311, veröffentlichte drei Bände in den »Denkmälern der Tonkunst«312, der Schriftenreihe der Gesellschaft, und diente im Jahr 1912 sogar als deren Sekretär, wobei er die Feierlichkeiten anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums mitorganisierte313. Neben seinen Aktivitäten für die oben genannten Institutionen widmete sich Bot­ stiber in diesen Jahren aber auch einer Reihe von Buchprojekten. Von 1904 bis 1911 gab er das jährlich erscheinende »Musikbuch aus Österreich« heraus, das gemäß Untertitel die »Musikpflege in Österreich und den bedeutendsten Musikstädten des Auslandes« zum Inhalt hatte314, und schrieb mehrerer kurze Einführungen zu verschiedenen Komponisten für die deutsche Reihe »Der Musikführer«315. Daneben arbeitete er an einem Buch zur Geschichte der Ouvertüre, das 1913 vom renommierten deut308 Cf. Guido Adler, Zur Vorgeschichte der »Denkmäler der Tonkunst in Österreich«, in  : Studien zur Musikwissenschaft 5 (1918), 9ff. 309 Cf. Elisabeth Theresia Fritz, Denkmalpflege und Musikwissenschaft. Einhundert Jahre Gesellschaft zur Herausgabe der Tonkunst in Österreich (1893–1993). Wiener Veröffentlichungen zur Musikwissenschaft 33 (Tutzing 1995), 55. 310 Cf. Hugo Bot­stiber, Ernennungsurkunde, Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich, 19. November 1901. Wienbibliothek. HIN 207614. 311 1931 wurde Bot­stiber irrtümlich erneut zum wirkenden Mitglied ernannt, wofür er sich in einem ironisch anmutenden Brief an die Gesellschaft bedankte. Cf. Fritz, Denkmalpflege, 135. 312 Hugo Bot­stiber, Max Seiffert (Hgg.), Johann Pachelbel, 94 Kompositionen. Fugen über das Magnificat für Orgel oder Klavier. Denkmäler der Tonkunst in Österreich 17 (Wien 1901)  ; Hugo Bot­stiber (Hg.), Wiener Klavier- und Orgelwerke aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Allessandro Poglietti, Ferdinand Tobias Richter, Georg Reutter d. Ältere. Denkmäler der Tonkunst in Österreich 27 (Wien 1906)  ; Hugo Bot­stiber (Hg.), Josef Strauss. Drei Walzer. Denkmäler der Tonkunst in Österreich 74 (Wien 1931). 313 Cf. Fritz, Denkmalpflege, 110. 314 Hugo Bot­stiber (Hg.), Musikbuch aus Österreich. Ein Jahrbuch der Musikpflege in Österreich und den bedeutendsten Musikstädten des Auslandes (Wien 1904–1911). 315 Hugo Bot­stiber, Robert Schumann. Musik zu Byrons Manfred. Musikführer 217/18 (Leipzig 1901)  ; Hugo Bot­stiber, Anton Dvořák. Zweite Symphonie d-Moll op. 70. Musikführer 272 (Leipzig 1902)  ; Hugo Bot­stiber, Ludwig van Beethoven. Christus am Oelberge. Musikführer 277 (Leipzig 1903)  ; Hugo Bot­stiber, Anton Bruckner. Der 50. Psalm für Sopran-Solo, Chor und Orchester. Musikführer 352 (Berlin 1907)  ; Hugo Bot­stiber, Robert Schumann’s Symphonien u. A. Meisterführer 13 (Berlin 1911).

Musikfreund und Staatsdiener

schen Verlag Breitkopf & Härtel veröffentlicht werden sollte316. Angesichts seiner Reputation als Forscher und seiner bisherigen Arbeiten zum Komponisten, darunter ein Aufsatz in der Musikzeitschrift »Der Merker«317, beauftragte ihn Breitkopf & Härtel im September 1912 mit der Fortsetzung der zwei Teile umfassenden, aber unvollendeten Haydn-Biographie des deutschen Musikwissenschaftlers Carl Ferdinand Pohl, Vorgänger von Eusebius Mandyczewski am Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde. Dem Vertrag zufolge sollte Bot­stiber Pohls gesamtes Material von Mandyczewski erhalten und den dritten Band innerhalb von drei Jahren fertigstellen.318 Bis zum Erscheinen des Buches sollte es allerdings bis 1927 dauern. Der Grund für diese eklatante Verzögerung war nicht das nachlassende Interesse des Autors an Haydn. Aber nachdem sich Bot­stiber zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung bereits wieder den Gründern des Konzertvereins angeschlossen hatte und mit ihnen gemeinsam an einem neuen Vorhaben arbeitete, das das Wiener Konzertleben abermals nachhaltig verändern sollte, war es um seine zeitliche Verfügbarkeit knapp bestellt. Um sich der nächsten und zweifelsfrei bedeutendsten Phase seiner Karriere zu widmen, gab er nicht nur seinen Posten an der Akademie für Musik und darstellende Kunst auf, sondern stellte auch seine musikologischen Ambitionen einstweilen hintan.

316 Hugo Bot­stiber, Geschichte der Ouvertüre und der freien Orchesterformen. Kleine Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen 9 (Leipzig 1913). 317 Hugo Bot­stiber, Zur Entstehung der schottischen Lieder von Josef Haydn, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 1/19 (1910), 769–779. 318 Cf. Vertrag zwischen Hugo Bot­stiber und Breitkopf & Härtel, 4. September 1912. Wienbibliothek. HIN 207619.

75

»Die Arbeit meines Lebens«

Die Er r ichtung des Konzerth auses Wie bereits im vorherigen Kapitel angesprochen, hatte die Nachfrage nach Musik in Wien um die Jahrhundertwende rapide zugenommen. Mit der Gründung des Konzertvereins hatte die Stadt ein zweites ständiges Berufsorchester gewonnen, das dazu beitrug, den stetig wachsenden Hunger nach symphonischen Darbietungen zu befriedigen. Es fehlte jedoch ein zweites brauchbares Veranstaltungsgebäude, denn der Musikverein der Gesellschaft der Musikfreunde wurde mittlerweile bis an die Grenzen seiner Kapazität ausgereizt. Darüber hinaus war er in erster Linie für Konzerte konzipiert worden und eignete sich daher nur bedingt für andere Arten von Veranstaltungen, wobei die Durchführung solcher von der Gesellschaft ohnehin weder beabsichtigt wurde noch gebilligt worden wäre. Bereits in den 1890er Jahren hatte es daher konkrete Pläne zur Errichtung eines Mehrzweckgebäudes für groß angelegte Veranstaltungen in Wien gegeben. So war zum Beispiel für das Deutsche Sängerbundfest im August 1890 eine vorübergehende Festhalle für 20.000 Besucher errichtet worden. Drei Jahre später wurde der Sängerhausverein ins Leben gerufen, der den Bau einer permanenten Spielstätte für derartige Anlässe verfolgte. In Kooperation mit dem Eislaufverein und Wiener Bicycleclub, die beide eine neue Heimstätte benötigten, wurde der Architekt Ludwig Baumann mit der Planung eines geeigneten Gebäudes, das sowohl für sportliche als auch musikalische Zwecke geeignet sein sollte, beauftragt. Aber aufgrund der divergierenden Interessen der beteiligten Parteien sowie finanzieller Probleme gingen der Eislaufverein und der Bicycleclub bald eigene Wege und zogen sich aus dem Projekt zurück. Der Sängerhausverein sah sich daher gezwungen, die ursprünglich geplante Struktur des Mehrzweckbaus zu überarbeiten, seine Funktion auf ein reines Sängerhaus zu reduzieren und die Ausmaße zu redimensionieren. Da aber die Frage nach der Finanzierung nach wie vor ungelöst blieb, wurde Baumanns Entwurf für die nächsten zehn Jahre ad acta gelegt319. Die Gründer des Konzertvereins verfolgten ähnliche Pläne. Tatsächlich hatten sie erfolgreich die Etablierung eines zweiten Berufsorchesters zuwege gebracht. Das 319 Für einen detaillierten Überblick über die früheren Versuche des Sängerhausvereins siehe Susanna Novak, Die Baugeschichte des Konzerthauses, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 28–32.

Die Errichtung des Konzerthauses

Vorhandensein eines zufriedenstellenden Konzertgebäudes wurde jedoch als ebenso unerlässlich zur Erfüllung der Vereinsmission erachtet wie das Veranstalten von symphonischen Aufführungen  : Schon seit Jahren hegen wir den sehnlichen Wunsch nach einem Heim, nach einem neuen, allen modernen Anforderungen entsprechenden Konzerthause. Wir sind der Ansicht, daß ein solches nicht nur für die Entwicklung des Konzert-Vereines erforderlich ist, sondern daß Wien neue Konzertsäle dringend benötigt, weil die vorhandenen den alljährlich wachsenden Bedürfnissen nicht mehr genügen.320

Eine potentielle Möglichkeit zur Realisierung dieses Anliegens ergab sich, als der Sängerhausverein seine ursprünglichen Bestrebungen aus den 1890er Jahren wieder aufnahm und einen redimensionierten Entwurf Baumanns 1906, offenbar mit der Absicht, mögliche Partner oder Sponsoren zu finden, in einer Wiener Bauzeitung veröffentlichte321. Tatsächlich erschien eine Zusammenarbeit zwischen Konzertverein und Sängerhausverein für beide Parteien durchaus als erstrebenswert. Für den Konzertverein war es zweifellos eine günstige Gelegenheit, da der Sängerhausverein nicht nur über einen Architektenentwurf verfügte, sondern mit dem k. k. Ministerium für Inneres auch bereits eine Abmachung über ein geeignetes Bauareal im dritten Bezirk an der Lothringerstraße zwischen Schwarzenbergplatz, Heumarkt und Stadtpark getroffen hatte. Für den Sängerhausverein wiederum stellte der Konzertverein einen starken Partner dar, da dieser innerhalb nur weniger Jahre zu einer angesehenen Institution im Wiener Kulturleben geworden war und mittlerweile mehr als 1.000 Mitglieder, vorwiegend aus dem Bürgertum und der Oberschicht, zählte. Letztere waren von besonderer Relevanz, da das Bauvorhaben großteils durch die Zeichnung von Anteilscheinen finanziert werden sollte. Gespräche zwischen Vertretern der beiden Vereine resultierten 1907 in einer Evaluierung der gegenwärtigen Situation, im Zuge derer zwei Gründe ausgemacht wurden, warum die Errichtung eines Sängerhauses bislang gescheitert war.322 In erster Linie wurde der Finanzierungsmodus kritisiert, den der Sängerhausverein ursprünglich mit dem Innenministerium als Gegenleistung für den günstigen Grundstückpreis von 100 Kronen pro Quadratmeter vereinbart hatte. Dieser Übereinkunft zufolge sollte der Großteil der Gewinne aus dem Betrieb der Spielstätte nicht dem Sängerhausver320 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1909/1910, 12. 321 Cf. Novak, Baugeschichte, 32. 322 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, eingegangen am 4. Februar 1908. AVA. MdI STEF A 117 14b.

77

78

»Die Arbeit meines Lebens«

ein zugutekommen, sondern dem Wiener Stadterweiterungsfonds überantwortet und für gemeinnützige Zwecke verwendet werden.323 Dies wurde nicht nur als veritables Hindernis für den Sängerhausverein gesehen, der zwar das finanzielle Risiko der Unternehmung tragen, jedoch nicht von den Erlösen profitieren sollte  ; auch potentielle Investoren könnten so nur schwer angelockt werden, da nur eine geringe und daher unattraktive Verzinsung zu erwartet sei. Aufgrund dieser Konditionen, so schlussfolgerten die Vertreter der beiden Vereine, sei es bisher nicht gelungen, die benötigten finanziellen Mittel zu lukrieren.324 Darüber hinaus wurde ein Sängerhaus an sich als zu speziell und insofern auch als ungeeignet erachtet, um die Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit zu gewinnen. Dessen Zielgruppe war im Gegensatz zur stetig wachsenden Zahl der Anhänger symphonischer Musik schlichtweg zu klein. Aus diesem Grund erklärte sich der Sängerhausverein einverstanden, Baumanns Pläne erneut zu modifizieren. Er einigte sich mit dem Konzertverein darauf, anstelle des Sängerhauses fortan gemeinsam die Errichtung eines multifunktionalen Konzerthauses anzustreben, das sich sowohl für Chor- als auch für Orchesterdarbietungen eignen und dem Musikverein hinsichtlich moderner Einrichtung, Bequemlichkeit und Sicherheit überlegen sein sollte325. Um das Projekt zu realisieren, wurde in weiterer Folge ein Aktionskomitee ins Leben gerufen, das aus Mitgliedern der beiden Vereinsvorstände bestand. Dieses Komitee wandte sich am 4. Februar 1908 mit einem Brief, in dem es sein Vorhaben mit der Bitte um offizielle Unterstützung darlegte, an das Innenministerium. Zudem erklärte es seine Absicht, ein Konsortium zu gründen, das die Errichtung des anvisierten Gebäudes im Namen der beiden Vereine abwickeln würde.326 Die Grundvoraussetzung für die Implementierung des Projekts war jedoch die Abänderung der bereits getroffenen Vereinbarungen zwischen dem Ministerium und dem Sängerhausverein. Das Komitee forderte für das Konsortium zwar weiterhin das Recht, das Bauareal zum Quadratmeterpreis von 100 Kronen zu erwerben, die Gewinne sollten jedoch allein den beiden Vereinen zur Verfügung stehen. Zur Finanzierung der Baukosten sah der dem Ministerium übermittelte Plan die Ausgabe von Anleihen mit fixem Zinssatz sowie die Aufnahme einer Hypothek vor. 323 Cf. k. k. Ministerium des Inneren, Schreiben an den Sängerhausverein, 19. Jänner 1902. AVA. MdI STEF A 117 14b. 324 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, eingegangen am 4. Februar 1908. AVA. MdI STEF A 117 14b. 325 Cf. ibid. 326 Die im Brief enthaltenen sehr konkreten Ausführungen weisen darauf hin, dass es während der vorangegangenen Monate bereits intensive Verhandlungen zwischen den Funktionären der beiden Vereine gegeben haben muss. Cf. ibid.

Die Errichtung des Konzerthauses

Mittlerweile war aber auch ein weiterer potentieller Partner für das Projekt identifiziert worden. Wie bereits erwähnt fanden seit 1907 Gespräche zwischen der Gesellschaft der Musikfreunde und dem Unterrichtsministerium bezüglich einer möglichen Verstaatlichung des Konservatoriums statt. Als diese Verhandlungen konkreter wurden, trafen die beiden Parteien eine Übereinkunft, wonach die neue Akademie für Musik und darstellende Kunst bis spätestens Ende 1911 die bisher genutzten Räumlichkeiten im Musikverein verlassen musste327  ; das Ministerium sah sich also gezwungen, nach einem neuen Schulgebäude Ausschau zu halten. Das Aktionskomitee der Konzertvereins und des Sängerhausvereins war über diese Verhandlungen offenbar bestens informiert. Denn bereits vor seinem Schreiben an das Innenministerium vom 4. Februar 1908 hatte es das Unterrichtsministerium kontaktiert und das geplante Konzerthaus gegen die Zahlung einer jährlichen Subvention als potentielle neue Heimstätte der Akademie angeboten328. Vom Standpunkt des Komitees aus gesehen war eine verbindlich zugesagte, regelmäßige Förderung nicht nur für die Gewährung einer Hypothek günstig, da damit allfällige Zinsen abgedeckt werden konnten  ; eine staatliche Beteiligung am Projekt unterstrich vor allem dessen nachhaltigen Charakter und würde sich daher positiv auf die Investitionsbereitschaft potentieller Interessenten auswirken.329 Für das Ministerium wiederum stellte der Vorschlag eine kostengünstige und effektive Lösung zur Unterbringung der Akademie dar. Dementsprechend war es auch bestrebt, die Gelegenheit zu nutzen. In einem Schreiben an den Innenminister, Richard Freiherr von Bienerth, brachte Unterrichtsminister Gustav Marchet daher seine Unterstützung für das Projekt eindringlich zum Ausdruck und plädierte ebenfalls für eine Abänderung der Finanzierungsmodalitäten.330 Der offensichtliche Bedarf Wiens an einem zweiten Veranstaltungsort, das durchdachte Konzept sowie die Vorsprache Marchets machten das Innenministerium empfänglich für die Forderungen des Aktionskomitees. Am 11. März 1908 setzte es die Vertreter des Konzertvereins und des Sängerhausvereins darüber in Kenntnis, dass deren angestrebtes Konsortium berechtigt sei, das Bauareal für eine Gesamtsumme von 660.000 Kronen bis zum 1. Oktober des Jahres zu erwerben.331 Das Konsor327 Cf. von Perger, Hirschfeld, Gesellschaft der Musikfreunde, 249f. 328 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, eingegangen am 4. Februar 1908. AVA. MdI STEF A 117 14b. 329 Cf. ibid. 330 Cf. Gustav Marchet, Schreiben an Richard Freiherr von Bienerth, eingegangen am 15. Februar 1908. AVA. MdI STEF A 117 14b. 331 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, 1. Oktober 1908. AVA. MdI STEF A 117 14b.

79

80

»Die Arbeit meines Lebens«

tium nahm bald darauf unter dem Namen »Konzerthausgesellschaft« zumindest auf dem Papier Gestalt an, nachdem die k. k. Statthalterei dessen Statuten im November 1908 zur Kenntnis genommen hatte332. Allerdings kam das Projekt nicht in Gang, obwohl es auch einen Fortschritt bei der Finanzierung gab. Grund dafür war eine offensichtliche Meinungsverschiedenheit zwischen den Ministerien. Bevor das Komitee bereit war, Anteilsscheine auszugeben, verlangte es von der Regierung eine vorläufige schriftliche Vereinbarung über die ausgehandelten Modalitäten zur Unterbringung der Akademie im neuen Konzerthaus und der als Gegenleistung zu zahlenden Subvention. Während das Unterrichtsministerium dem Projekt nach wie vor wohlwollend gegenüberstand, ließ das Finanzministerium zunächst auf seine Zustimmung warten.333 In Ermangelung eines offiziellen Dokuments und der nötigen finanziellen Mittel war das Komitee demnach nicht in der Lage, das Bauareal bis zum vereinbarten Termin zu erwerben. Das Ministerium musste daher wiederholt um eine Fristverlängerung ersucht werden, gewährte diese aber ohne weitere Auflagen. Zu Beginn des Jahres 1910 erhielt das Projekt neuen Auftrieb, als sich die Ministerien auf eine gemeinsame Linie verständigen konnten, was aber eine beträchtliche Modifikation des Finanzierungsschemas zur Folge hatte. Sowohl das Unterrichtsministerium als auch das Finanzministerium hatten den ursprünglichen Plan, Räumlichkeiten im neuen Konzerthaus gegen die Zahlung einer Subvention zu nutzen, verworfen. Stattdessen drängten sie darauf, diejenigen Gebäudeteile, in denen die Akademie untergebracht sein würde, zu erwerben. Für das Aktionskomitee stellten die geänderten Absichten seiner Partner kein großes Hindernis für das Projekt dar, zumal sie dem Zusammenbringen der erforderlichen finanziellen Mittel eher dienlich waren. Wie in der Übereinkunft zwischen dem Komitee, dem Finanzministerium und dem Unterrichtsministerium festgehalten wurde, erklärte sich Letzteres dazu bereit, sich an der Errichtung zu beteiligen und als Gegenleistung für das Eigentumsrecht an den jeweiligen Gebäudeteilen eine Summe von zwei Millionen Kronen zur Verfügung zu stellen.334 Diese Abmachung bedeutete für den Konzertverein und den Sängerhausverein eine erhebliche Verringerung des eigenen finanziellen Aufwands, der sich damit auf eine geschätzte Summe von 2,2 Millionen Kronen belief. Dies erhöhte wiederum massiv die Chancen, die für das Projekt benötigte Summe aufzubringen. Am 12. Mai 1910, mehr als zwei Jahre nach den ersten Verhandlungen, konnte das 332 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, eingegangen am 16. Oktober 1909. AVA. MdI STEF A 117 14b. 333 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, 19. Februar 1909. AVA. MdI STEF A 117 14b. 334 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, 12. Mai 1910. AVA. MdI STEF A 117 14b.

Die Errichtung des Konzerthauses

Komitee dem Innenministerium mitteilen, dass es nun endlich in der Lage sei, die noch ausstehende Kaufoption wahrzunehmen und das Bauareal an der Lothringerstraße zu erwerben335. Nur zwei Wochen später fiel der Startschuss zur tatsächlichen Implementierungsphase. Mit der konstituierenden Generalversammlung der Konzerthausgesellschaft am 24. Mai 1910 wurde das Trägerkonsortium des Projekts formal-rechtlich ins Leben gerufen. Innerhalb von nur 40 Minuten wurde einstimmig ein Vorstand gewählt, dem der Obmann des Komitees, Karl August von Artaria, als Präsident vorstand und der sich aus Delegierten der beiden Gründervereine sowie aus Vertretern der zukünftigen Anteilseigner zusammensetzte.336 Eine der ersten Aufgaben der frisch gekürten Direktion war die offizielle Bestellung der ausführenden Architekten, da der mit anderen Aufträgen ausgelastete Baumann das Projekt abgab337. Es beauftragte daher mit Ferdinand Fellner und Hermann Helmer zwei bekannte Spezialisten338, die über eine lange Erfahrung in der Errichtung von Konzertgebäuden und Theatern verfügten und unter anderem das Volkstheater in Wien sowie die Opernhäuser in Zürich und Graz entworfen hatten. Angesichts der geänderten Anforderungen, die der Wunsch nach einem Mehrzweckgebäude sowie die Eingliederung der Akademie für Musik und darstellende Kunst mit sich brachten, mussten Baumanns Pläne für ein Sängerhaus grundlegend überarbeitet werden. Im April 1911 veröffentlichte die Konzerthausgesellschaft eine Broschüre mit dem Titel »Das neue Konzerthaus in Wien«, um über das Projekt zu informieren und um öffentliche Unterstützung zu werben.339 Den darin enthaltenen Entwürfen zufolge sollte die Akademie einen separierten Teil des Gebäudes beziehen, der unter der Verwaltung des Unterrichtsministeriums stehen würde. Es waren Unterrichtsräumlichkeiten für bis zu 1.000 Studierende mit Bibliotheken, Büros und Übungssälen für die verschiedenen Studienzweige, von Kammermusik bis zur Opernund Schauspielschule, sowie ein größerer Konzertsaal mit einem Fassungsvermögen von 600 Personen vorgesehen. 335 Cf. Aktionskomitee, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, 12. Mai 1910. AVA. MdI STEF A 117 14b. 336 Zweifellos war der Konzertverein der Senior-Partner der Unternehmung, was nicht nur die Ernennung Artarias zum Präsidenten belegt. Er war berechtigt, 25 Mitglieder für die Teilnahme an der Generalversammlung zu nominieren, während der Sängerhausverein nur über neun Delegierte verfügte. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht des vorbereitenden Komitees bzw. der Direktion 1908–1911, 23–25  ; Wiener Konzerthausgesellschaft, Gesellschaftsstatuten (Wien 1913), 6. 337 Cf. Dietrich, Wlasits, 75 Jahre, 10. 338 Ursprünglich war eine Kooperation der drei Architekten geplant gewesen, die zumindest in der Anfangsphase des Projekts noch zusammenarbeiteten. Cf. Konzerthausgesellschaft, Sitzungsprotokoll des vorbereitenden Komitees, 26. November 1909. KHG. 339 Cf. Wiener Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus in Wien (Wien 1911), 8ff.

81

82

»Die Arbeit meines Lebens«

Der Teil im Besitz der Konzerthausgesellschaft umfasste drei Konzertsäle, die in Größe und Zweck variierten. Während der große Saal mit einer Kapazität von mindestens 2.000 Personen für Orchester- und Choraufführungen intendiert war, war der mittlere Saal mit 850 Sitzplätzen für Kammermusik und symphonische Darbietungen in kleinerer Besetzung vorgesehen. Der kleine Saal, der die Atmosphäre eines intimen Musiksalons vermitteln sollte, war für Lieder- und Kammermusikabende bestimmt und besaß ein Fassungsvermögen von 550 Sitzplätzen. Dem multifunktionalen Charakter des Gebäudes Rechnung tragend war geplant, alle Räumlichkeiten zu einem zusammenhängenden Veranstaltungsort mit einer Gesamtkapazität von 5.000 bis 6.000 Personen kombinieren zu können. Das Konzerthaus war insofern nicht nur für musikalische Darbietungen geeignet, sondern auch für gesellschaftliche Anlässe wie Bälle.340 Der überarbeitete Entwurf resultierte in einem Anstieg der geschätzten Baukosten von 4,2 Millionen Kronen auf 4,8 Millionen Kronen. Der Anteil der Konzerthausgesellschaft, der sich nun auf 2,8 Millionen Kronen belief, sollte mit einer geringen Hypothek sowie mit Teilschuldverschreibungen mit einer maximalen Verzinsung von vier Prozent pro Jahr gedeckt werden.341 Als zusätzlichen Anreiz erhielten Investoren oder Spender das Vorkaufsrecht für Konzertkarten, wobei sie entweder Anspruch auf mehrere Sitzplätze oder gar eine Loge hatten, abhängig von der Höhe der finanziellen Unterstützung. Ähnlich den Modellen der Gesellschaft der Musikfreunde oder des Konzertvereins führte die Konzerthausgesellschaft unterschiedliche Kategorien ein. Neben den Gründern, also dem Konzertverein und dem Sängerhausverein, gab es Stifter, die einmalig mindestens 2.000 Kronen spenden mussten. Mitglieder wiederum hatten Teilschuldverschreibungen in der Höhe von mindestens 50.000 Kronen, Teilnehmer in der Höhe von mindestens 1.000 Kronen zu erwerben.342 Der Plan sah weiters vor, die Verzinsung und die Amortisierung der Teilschuldverschreibungen sowie der Hypothek durch die Erlöse aus den Saalvermietungen sowie durch die Pacht der im Gebäude untergebrachten Gastronomiebetriebe und Geschäfte abzudecken. Angesichts der großen Nachfrage, die in Wien nach großen Veranstaltungsorten herrschte, rechnete die Direktion sogar mit Überschüssen. Diese sollten laut Statuten zu 50 Prozent an den Konzertverein und zu je 25 Prozent an den Sängerhausverein sowie den Stadterweiterungsfonds fließen. 340 Gemäß den Statuten der Konzerthausgesellschaft sollten bei der Vermietung der Säle primär »deutsche Vereine und Unternehmungen« berücksichtigt werden. Politische Veranstaltungen, die dem »deutschen Charakter der Stadt Wien« zuwider liefen, durften nicht stattfinden. Cf. Konzerthausgesellschaft, Gesellschaftsstatuten, 3. 341 Cf. Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus, 12ff. 342 Cf. Konzerthausgesellschaft, Gesellschaftsstatuten, 4f.

Die Errichtung des Konzerthauses

Schon bei Veröffentlichung der neuen Entwürfe im April 1911 waren mehr als 500.000 Kronen an Teilschuldverschreibungen gesammelt worden, wobei die Geldgeber entweder aus den Reihen des Konzertvereins kamen oder Musikliebhaber waren, die ihm nahestanden.343 Als die Direktion der Konzerthausgesellschaft mit ihrer Werbebroschüre weitere potentielle Investoren ansprechen wollte, fand sie jedoch nicht nur Unterstützung, sondern sah sich auch bald scharfer Kritik ausgesetzt. Ludwig Koessler, der Präsident der Urania, Wiens größter Institution im Bereich der Erwachsenenbildung, wies ihr Finanzierungsmodell in einem Schreiben an die Regierung sowie an die Konzerthausgesellschaft selbst als unhaltbar zurück und stellte den prognostizierten finanziellen Erfolg des Projekts in Abrede.344 Das Gebäude von Koesslers Urania am Donaukanal, das erst im Jahr 1910 fertiggestellt worden war, war ebenfalls durch eine Kombination aus öffentlichen Geldern und Anleihen mit einer Verzinsung von vier Prozent finanziert worden und diente daher als Vorlage für das Konzerthaus. Im Gegensatz zu dessen enormen Ausmaßen hatten sich die Errichtungskosten der Urania aber insgesamt nur auf 1,1 Millionen Kronen belaufen. Aufgrund von Spenden in der Höhe von 700.000 Kronen war nur rund ein Drittel der Bausumme über Schuldverschreibungen lukriert worden, was in einer Zinslast von nur 16.000 Kronen resultierte und damit nur 6,4 Prozent der jährlichen Ausgaben von 250.000 Kronen betrug. Das Konzerthaus musste im Vergleich dazu Anleihen im Ausmaße von 2,8 Millionen Kronen oder 85 Prozent der benötigten Baukosten ausgeben345. Damit belief sich die jährliche Zinslast auf 120.000 Kronen, was 40 Prozent der kalkulierten Einnahmen von 300.000 Kronen entsprach. Angesichts eines solchen Missverhältnisses war die gesamte Unternehmung aus Koesslers Sicht von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Er zweifelte daher daran, dass die Errichtung des Konzerthauses überhaupt realisiert werden könnte, da das hohe finanzielle Risiko potentielle Investoren abschrecken würde. Allerdings war dies nicht Koesslers einziger Kritikpunkt. Seiner Analyse zufolge war die Einschätzung der Direktion hinsichtlich der zu erwartenden Umsätze des Unternehmens wenig realistisch. Um Einnahmen generieren zu können, war die Kon343 Cf. Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus, 14. 344 Cf. Ludwig Koessler, Schreiben an die Regierung, 10. Mai 1911. HHStA. SB Nl Marchet 18-3  ; Ludwig Koessler, Schreiben an August Schenker-Angerer, 28. Juni 1911. HHStA. SB Nl Marchet 18-3. 345 Der finanzielle Aufwand zur Errichtung des Trakts für die Akademie für Musik und darstellende Kunst belief sich nur auf 1,5 Millionen Kronen. Der Beitrag des Unterrichtsministeriums in der Höhe von zwei Millionen Kronen beinhaltete also eine Förderung von 500.000 Kronen. Von den restlichen 3,3 Millionen Kronen, die zum Bau des anderen Teils des Gebäudes erforderlich waren, musste die Konzerthausgesellschaft 2,8 Millionen Kronen oder 85 Prozent ihrer Gesamtkosten über Anleihen finanzieren.

83

84

»Die Arbeit meines Lebens«

zerthausgesellschaft auf die Vermietung ihrer Säle angewiesen. Da aber das Konzerthaus das Angebot erweitern und damit die Nachfrage wieder sinken lassen würde, müssten die von der Direktion relativ hoch angesetzten Mieten dem sich eingependelten Preisniveau angepasst werden. Die tatsächlichen Erlöse aus der Saalvermietung würden, so Koessler, also weit geringer ausfallen als von der Konzerthausgesellschaft erwartet. Darüber hinaus ortete er auch bei den Betriebskosten und der Organisationsstruktur Unstimmigkeiten  : Wie ich aus Ihren diesbezüglichen Aeusserungen entnehme, rechnen Sie damit, daß die eigentliche verantwortliche Arbeit von der aus Amateuren bestehenden Direktion geleistet werden soll, der nur ein untergeordnetes Personal von Sekretären etc. beizugeben wäre. Eine solche Organisation würde aber, wie vielfache Erfahrungen beweisen, auf die Dauer nicht standhalten und auch überhaupt nicht vorteilhaft sein. Der Betrieb eines wenn auch gemeinnützigen, so doch streng geschäftlich zu führenden Millionenunternehmens erfordert nach meiner festgegründeten Ueberzeugung vielmehr eine verantwortliche, wohl organisierte Beamtendirektion, deren Kosten samt allen Unterbeamten sich bei den heutigen Verhältnissen keinesfalls unter K 100.000.- belaufen können.346

Tatsächlich hatte die Konzerthausgesellschaft nur jährlich 33.600 Kronen zur Deckung der Löhne der zum Betrieb des Konzerthauses benötigten Belegschaft kalkuliert. Diese Summe war gemäß seiner Analyse jedoch bei Weitem nicht ausreichend, womit Koessler die prognostizierte Rentabilität der Unternehmung im Allgemeinen infrage stellte. Die Führungsriege der Konzerthausgesellschaft schenkte der detaillierten Kritik wenig Beachtung. In einer äußerst knappen Antwort orteten Artaria und August Schenker-Angerer, ein Industriemagnat und Mitglied der Direktion, Eifersucht als Motiv für Koesslers Kritik und zeigten sich darüber enttäuscht.347 Zudem wiesen sie darauf hin, dass der angegebene Zinssatz von vier Prozent lediglich eine variable Dividende darstelle, die nur dann zum Tragen käme, wenn die wirtschaftlichen Umstände eine Auszahlung erlaubten348. Aber auch wenn Artaria und Schenker-Angerer ihrer Überzeugung weiterhin Ausdruck verliehen, dass die maximale Verzinsung auch tatsächlich erreicht werden würde, teilten die Investoren offensichtlich Koesslers Bedenken. Von Mai bis September 1911 stieg der Erlös aus den ausgebenen Anleihen 346 Ludwig Koessler, Schreiben an August Schenker-Angerer, 28. Juni 1911. HHStA. SB Nl Marchet 18-3. 347 Cf. Karl August Artaria und August Schenker-Angerer, Schreiben an Ludwig Koessler, 8. Juli 1911. HHStA. SB Nl Marchet 18-3. 348 Cf. Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus, 12.

Die Errichtung des Konzerthauses

von 900.000 Kronen auf nur rund 1,2 Millionen Kronen349. Während es gelang, eine Hypothek in der Höhe von einer Million Kronen sicherzustellen, fehlten am Ende des ersten Geschäftsjahres am 30. September 1911 noch immer mehr als 600.000 Kronen. Auch wenn das Projekt auf Schiene blieb, wurde die Finanzgebarung während der kommenden Jahrzehnte zu einer permanenten Belastung für die Konzerthausgesellschaft und vor allem für ihren Generalsekretär. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob und in welchem Ausmaß dieser bereits in die Planungsphase eingebunden war. Als das Aktionskomitee mit den ersten Vorbereitungen im Jahr 1907 begann, war Bot­stiber als Sekretär und Kanzleidirektor für die Gesellschaft der Musikfreunde tätig und offenbar weit davon entfernt, am Projekt beteiligt zu sein. Es war vielmehr Karl Ritter von Wiener, der Delegierte des Unterrichtsministeriums im Vorstand des Konzertvereins, der zwischen dem Aktionskomitee und den staatlichen Stellen vermittelte und dem in der Sekundärliteratur aus diesem Grund eine herausragende Rolle bei der Errichtung des Konzerthauses zugeschrieben wird.350 Wiener gehörte aber auch der Direktion der Gesellschaft der Musikfreunde sowie dem Schulausschuss des Konservatoriums an. 1909 wurde er der erste Präsident der neuen Akademie für Musik und darstellende Kunst und setzte sich von Anfang an für ihre Unterbringung im Konzerthaus wie auch für dessen Erbauung im Allgemeinen ein351. Da er auch in die Direktion der Konzerthausgesellschaft aufgenommen wurde, stand er praktisch mit allen am Projekt beteiligten Parteien in Verbindung. Dies galt bei genauerer Betrachtung aber auch für Bot­stiber. Als gegenwärtiger beziehungsweise designierter administrativer Leiter des Konservatoriums und der Akademie für Musik und darstellende Kunst war ihm sicherlich an einer nachhaltigen Lösung für die zukünftige Heimstätte seines Arbeitgebers gelegen. Darüber hinaus war er dem Konzertverein auch nach seinem Wechsel zur Gesellschaft der Musikfreunde als ordentliches Mitglied verbunden geblieben und stand vor allem zu Karl August von Artaria, der 1909 bei seiner Hochzeit als Trauzeuge fungierte352, in einem offensichtlichen Naheverhältnis. Da er aufgrund seiner Tätigkeiten für den Konzertverein und die Gesellschaft der Musikfreunde mit den spezifischen baulichen und organisatorischen Erfordernissen eines Konzertsaals und einer Musikschule wohl vertraut war, überrascht es also nicht, dass der Kreis um Artaria bald seinen Rat suchte. Bot­stiber konnte zwar »mit Rücksicht auf seine noch innehabende Stellung nicht in 349 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht des vorbereitenden Komitees bzw. der Direktion 1908–1911, 9. 350 Cf. Heller, Vorgeschichte, 21. 351 Cf. ibid. 352 Cf. Hugo Bot­stiber, in  : Trauungsbuch der Pfarre Sankt Augustin, 1909, No. 14.

85

86

»Die Arbeit meines Lebens«

das Aktionskomitee gewählt werden«353, wurde aber ab November 1908 fallweise als Experte zu Sitzungen hinzugezogen. Der Grund für diese abwartende Haltung war offensichtlich der Wunsch, die Gesellschaft der Musikfreunde nicht zu verstimmen und erst die Übergangsphase vom Konservatorium zur staatlichen Akademie für Musik und darstellende Kunst abzuwarten. Öffentlich gemacht wurde Bot­stibers Partizipation am Konzerthaus-Projekt spätestens im Mai 1910. Auf der konstituierenden Generalversammlung, der er als Delegierter des Konzertvereins beiwohnte, übernahm er seine gewohnte Rolle als Schriftführer.354 Als die Unternehmung in weiterer Folge an Fahrt aufnahm und öffentliche Unterstützung zur Sicherstellung der Finanzierung benötigte, trat er wie eine Vielzahl bekannter Persönlichkeiten aus dem politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben Wiens – darunter Guido Adler, Ferdinand Löwe, Gustav Mahler und Alexander Zemlinsky – dem Aktionskomitee bei355. Dessen Mitglieder brachten sich nun nicht mehr aktiv in die operative Planung ein, die mittlerweile dem Vorstand der Konzerthausgesellschaft oblag, sondern stellten vielmehr nur ihren Namen für die PublicityBroschüre der Direktion vom April 1911 zur Verfügung. Bot­stiber leistete neben dieser ideellen Unterstützung aber auch einen handfesten Beitrag während der Bauphase. Wohl aufgrund einer gewissen Rivalität mit der Gesellschaft der Musikfreunde war der Konzertverein bestrebt, ein Gebäude zu errichten, das wie bereits erwähnt dem Musikverein an Ausstattung, Komfort und Sicherheit überlegen sein sollte. Bot­stiber, der die Räumlichkeiten seines ehemaligen Arbeitgebers in- und auswendig kannte und der über knapp zehn Jahre konkrete Erfahrung als Konzertorganisator verfügte, war diesbezüglich der ideale Berater für die Umsetzung des Projekts. Aus diesem Grund hatte ihn das Aktionskomitee bereits im Oktober 1909 zum Baureferenten und Leiter der administrativen Angelegenheiten bestellt, wofür er ein monatliches Salär von 400 Kronen erhielt.356 Er war damit für den Fortgang der Bauarbeiten seitens der Konzerthausgesellschaft verantwortlich, beriet die Architekten in musikspezifischen Belangen und führte bis zum April 1910 auch die Finanzgebarung357. Diese bedeutende Funktion, die Bot­stiber damit 353 Konzerthausgesellschaft, Sitzungsprotokoll des vorbereitenden Komitees, 21. November 1908. KHG. 354 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht des vorbereitenden Komitees bzw. der Direktion 1908–1911, 23. 355 Cf. Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus, 21–28. 356 Cf. Konzerthausgesellschaft, Sitzungsprotokoll des vorbereitenden Komitees, 19. Oktober 1909. KHG. 357 Es ist durchaus möglich, dass die von Koessler kritisierte Rentabilitätsberechnung auf einem Entwurf Bot­stibers basierte. Dieser hatte gemeinsam mit Artaria bereits im Herbst 1909 eine solche Kalkulation aufgestellt, die von einem Mitglied des Aktionskomitees zwar als optimistisch, aber

Die Errichtung des Konzerthauses

wahrnahm, führte später dazu, dass eine Musikzeitschrift anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Konzerthauses im Jahr 1923 sogar behaupten sollte, er selbst habe das Bauprogramm bis ins kleinste Detail entworfen358, was aber gewiss eine Übertreibung darstellt. Nachdem die Konzerthausgesellschaft das Einverständnis aller beteiligten Behörden einschließlich der Gemeinde Wien, deren Bürgermeister Josef Neumayer der Direktion nach einer Statutenänderung als Vertreter der Stadt beigetreten war359, erhalten hatte, begannen die Bauarbeiten mit dem Spatenstich am 9. Dezember 1911. Um einen schnellen und reibungslosen Fortschritt zu gewährleisten, wurden ein Bau- und ein Orgelkomitee sowie eine Fachkommission für technisch-künstlerische Fragen installiert, denen auch Bot­stiber angehörte. Seine Bedeutung für das gesamte Projekt wurde vom Präsidenten der Konzerthausgesellschaft auf der zweiten ordentlichen Generalversammlung am 15. Mai 1912 in aller Öffentlichkeit hervorgehoben. In seiner Ansprache drückte Artaria dem Baureferenten seinen Dank und seine Anerkennung aus und lobte ihn für seinen Fleiß und seinen unermüdlichen Einsatz.360 Seine Hingabe für das Konzerthaus wirkte sich jedoch massiv auf seine eigentliche Hauptanstellung an der Akademie für Musik und darstellende Kunst aus. Dem Bericht des Schuljahres 1912/1913 zufolge war Bot­stiber seit Mai 1912 erkrankt361, was vermuten lässt, dass er sich ab diesem Zeitpunkt durchgehend im Krankenstand befand oder sein Amt zumindest nur zeitweise ausüben konnte. Zwar ist es durchaus denkbar, dass ihm die Doppelbelastung dermaßen zusetzte, dass seine Gesundheit in Mitleidenschaft gezogen wurde und er tatsächlich arbeitsunfähig war, was aber im krassen Widerspruch zu seinem oben erwähnten Einsatz für das Bauprojekt steht. Wahrscheinlicher ist daher, dass Bot­stiber eine Auszeit von seiner Tätigkeit an der Akademie benötigte, um sicherstellen zu können, dass sowohl die Bauarbeiten als auch die Vorbereitungen zur Aufnahme des operativen Geschäfts der Konzerthausgesellschaft ohne gröbere Probleme und Verzögerungen voranschritten. Denn allen beteiligten Parteien war mittlerweile klar, dass Bot­stibers Verbundenheit mit dem Konzerthaus nicht mit dessen baulicher Fertigstellung enden würde, da sich die Direktion, bewusst oder unbewusst, zumindest einen von Ludwig Koesslers Ratschlägen zu Herzen nahm. Sie hatte sich entschlossen, für die Erledigung der administrativen Agenden der Konzerthausgesellschaft einen verlässlichen und erfahrenen Geschäftsnoch akzeptabel erachtet wurde. Cf. Konzerthausgesellschaft, Sitzungsprotokoll des vorbereitenden Komitees, 26. November 1909 und 13. April 1910. KHG. 358 Cf. Zehn Jahre Konzerthaus, in  : Komödie. Wochenrevue für Bühne und Film 4/47 (1923), 16. 359 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht des vorbereitenden Komitees bzw. der Direktion 1908–1911, 6. 360 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1911/12, 26. 361 Cf. Akademie für Musik und Darstellende Kunst, Jahresbericht 1912/1913, 25.

87

88

»Die Arbeit meines Lebens«

führer zu engagieren, und Bot­stibers Qualifikationen entsprachen voll und ganz dem Anforderungsprofil für diese Position. Insofern befand er sich ab Mai 1912 womöglich nicht im Krankenstand, sondern hatte sich freiwillig und unbezahlt beurlauben lassen, um sich ganz seinem künftigen Arbeitgeber widmen zu können, während die im Jahresbericht erwähnte Krankheit mit Wissen und Billigung der Akademie aus kosmetischen Gründen erfunden worden war. Als sich die Bauarbeiten um die Mitte des Jahres 1913 ihrem Ende näherten, stand es Bot­stiber frei, eine neue Anstellung anzunehmen, da das Unterrichtsministerium ihn mit Mai desselben Jahres auf eigenen Wunsch hin in den dauerhaften Ruhestand versetzte362. In weiterer Folge wurde er der Öffentlichkeit als Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft vorgestellt, der fortan für ihr operatives Geschäft zuständig war363. Auch wenn nicht bekannt ist, ob überhaupt weitere Kandidaten für diese Position im Gespräch waren, sprachen drei verschiedene Aspekte eindeutig für Bot­stiber. In erster Linie erfolgte seine Verpflichtung aufgrund seiner ausgeprägten organisatorischen Fähigkeiten im musikalischen Bereich, die er während der vergangenen 13 Jahre bereits beim Konzertverein, der Gesellschaft der Musikfreunde sowie der Akademie für Musik und darstellende Kunst erfolgreich unter Beweis gestellt hatte. Weiters spielte auch sein Einsatz als Baureferent eine bedeutende Rolle, da er in dieser Funktion doch in großem Maße für die tatsächliche Errichtung verantwortlich zeichnete, wie Egon Wellesz im Musiklexikon »A Dictionary of Modern Music and Musicians« von 1924 festhält364. Letztendlich war es aber die enge Beziehungen zu den führenden Persönlichkeiten der Direktion, allen voran zu Karl August von Artaria, die auch im Falle des Vorhandenseins eines ebenso qualifizierten Mitbewerbers vermutlich den Ausschlag zu seinen Gunsten gegeben hätte. Nach nur 22 Monaten Bauzeit konnte das neue Konzertgebäude zum planmäßigen Zeitpunkt fertiggestellt werden, auch weil es der Direktion gelungen war, die noch benötigten Gelder bis zum Ende des Betriebsjahres 1912/1913 durch den Verkauf der restlichen ausgegebenen Anleihen in der Höhe von 800.000 Kronen aufzutreiben365. Die Eröffnung des Konzerthauses fand am 19. Oktober 1913 statt, als Kaiser Franz Joseph, Protektor der Konzerthausgesellschaft, in einer von Bot­stiber mitorganisierten Zeremonie den Schlussstein legte und das Konzertvereinsorchester, die Wiener Singakademie und der Schubertbund unter der Leitung von Ferdinand Löwe die Kaiserhymne sowie das »Halleluja« aus Georg Friedrich Händels »Messias« zur Aufführung 362 Cf. Akademie für Musik und Darstellende Kunst, Jahresbericht 1912/1913, 25. 363 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1912/13, 7. 364 Bot­stibers Zeitgenosse und Nachbar Wellesz beschreibt dessen Leistung mit folgenden Worten  : »The foundation and erection of the Wiener Konzerthaus is due to his efforts.« Wellesz, Bot­stiber, 54. 365 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1912/13, 6.

Die Errichtung des Konzerthauses

brachten.366 Es ist anzunehmen, dass die Eröffnungsfeier einen äußerst emotionalen Moment für den Generalsekretär darstellte. Sie zog nicht nur einen Schlussstrich unter fünf Jahre Vorbereitungen, Planung und Bauarbeiten, sondern symbolisierte auch den Auftakt zu seiner neuen Tätigkeit als Geschäftsführer der Konzerthausgesellschaft und damit auch der neuen Spielstätte. Präsident Artaria stellte ihn sogar dem Kaiser vor und betonte, dass es Bot­stiber gewesen war, der die Last des Projekts zu tragen gehabt und der sich um die Errichtung des Konzerthauses besonders verdient gemacht hatte.367 Diesem Lob entgegnete der Generalsekretär laut Medienberichten mit den Worten  : »Ich habe die Arbeit meines Lebens in dieses Werk gesetzt.«368 Das fertiggestellte Konzerthaus entsprach größtenteils dem Entwurf, den die Direktion 1911 veröffentlicht hatte. Der Große Saal erreichte die geplante Kapazität von ungefähr 2.000 Sitzplätzen und war für eine multifunktionelle Nutzung konzipiert. Er verfügte über ein versenkbares, für 100 Musiker und bis zu 800 Sänger geeignetes Podium sowie über eine große und moderne Konzertorgel. Ein besonderes Merkmal, das die technische Ausgefeiltheit der neuen Spielstätte unterstrich, war ein Raum über der Bühne, in dem ein Chor mit bis zu 200 Sängern für spezielle Klangeffekte versteckt platziert werden konnte. Im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen fiel der mittlere Saal, nun Mozart-Saal genannt, etwas größer aus und bot knapp 900 Personen Platz, während der kleine Saal, der Schubert-Saal, mit 400 Sitzplätzen doch erheblich kleiner war als ursprünglich beabsichtigt.369 Das Anliegen der Konzerthausgesellschaft, das Angebot am neuen Veranstaltungsort möglichst breit zu streuen, spiegelt sich in vielen baulichen Details des Gebäudes wider.370 Wie am Ende der Urkunde, die bei der Schlusssteinlegung im Rahmen der Eröffnungszeremonie eingemauert wurde, festgehalten wurde, sollte das Konzerthaus nicht nur der Pflege edler Musik dienen, sondern auch eine »Stätte […] froher Wiener Geselligkeit [und] eine Sammelpunkt musikalischer künstlerischer Bestrebungen«371 366 Cf. Wiener Tagesbericht. Die Schlußsteinlegung des Wiener Konzerthauses, in  : Wiener Montagblatt, 20. Oktober 1913, 2. 367 Cf. Julius Korngold, Die feierliche Einweihung des neuen Konzerthauses, in  : Neue Freie Presse, 20. Oktober 1913, 6. 368 Auch Karl Kraus’ Satirezeitschrift »Die Fackel« widmete sich der Eröffnung des Konzerthauses. Für Kraus war die seiner Ansicht nach pathetische Wortwahl Bot­stibers eher dazu geeignet, eine wahrhaft epische Leistung wie die »Einigung der österreichischen Nationen zu einem Staat« zu kommentieren als die bloße Errichtung eines Konzertgebäudes. Cf. Karl Kraus, Gegen Schlußsteinlegungen bin ich auch, in  : Die Fackel 15/387–388 (1913), 4f. 369 Cf. Novak, Baugeschichte, 36. 370 Cf. ibid. 371 Urkunde zur Schlusssteinlegung des Wiener Konzerthauses, 19. Oktober 1913. Wienbibliothek. E 166252.

89

90

»Die Arbeit meines Lebens«

sein. Aus diesem Grund und auch aufgrund finanzieller Überlegungen beherbergte es mehrere Geschäfte und Gastronomiebetriebe, darunter einen Blumenverkaufsstand und eine Musikhandlung sowie eine amerikanische Bar und ein französisches Bistro. Darüber hinaus nutzten andere Vereine wie der Wiener Schubertbund, die Singakademie, die im Februar 1913 in den Konzertverein eingegliedert worden war, oder der Tonkünstlerverein Räumlichkeiten im Konzerthaus für Proben oder administrative Zwecke.372 Eben dieser multifunktionelle Charakter des Gebäudes brachte jedoch auch negative Aspekte mit sich, etwa eine nicht harmonierende äußere und innere Raumstrukturierung, die durch die vielfachen Planänderungen verursacht worden war, oder eine unzulängliche Akustik.373 Teilweise waren die Missstände aber auch dem schnellen Baufortschritt geschuldet. 1914 gaben die Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer an, dass das Konzerthaus zum Zeitpunkt seiner Eröffnung noch nicht in allen Details fertiggestellt gewesen sei.374 Die Direktion und Bot­stiber waren damals jedoch bestrebt gewesen, die Errichtung zum Beginn der Saison 1913/1914 abzuschließen. Eine spätere Eröffnung hätte die Aufnahme des Konzertbetriebs wohl um ein weiteres Jahr verschoben, was Einnahmenseinbußen nach sich gezogen hätte  ; kleinere Unzulänglichkeiten wurden daher toleriert. Der Kaiser für seinen Teil störte sich jedenfalls nicht an ihnen und zeichnete die führenden Personen der Unternehmung, darunter Artaria, Fellner und Bot­stiber, aus. Letzterem wurde im Jänner 1914 das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens verliehen. Auch wenn dies eine ruhmreiche Anerkennung seiner Leistungen und einen persönlichen Triumph für den Generalsekretär bedeutete, sollten ihm die wahren Herausforderungen erst noch bevorstehen.

Beginn und Ende einer Är a  : Festkonzerte und Schützengr äben Die erste Saison des neuen Wiener Konzerthauses begann im Anschluss an die Eröffnungszeremonie mit vier aufeinanderfolgenden Festkonzerten zwischen 19. und 22. Oktober 1913. Um alle drei Säle mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften der Öffentlichkeit zu präsentieren, hatte Bot­stiber in Absprache mit der Direktion und dem künstlerischen Leiter des Konzertvereins ein vielseitiges Programm arrangiert375. 372 Cf. Heller, Vorgeschichte, 23. 373 Cf. Novak, Baugeschichte, 38, 43. 374 Cf. ibid. 43. 375 Zu Bot­stibers Aufgaben als Generalsekretär zählten auch die Planung und Organisation der eigenen Konzerte der Gesellschaft, wobei der beabsichtigte Spielplan vom sogenannten Hauskomitee, das die Direktion mit der ersten Spielzeit ins Leben gerufen hatte, begutachtet wurde. Diesem Kontroll-

Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben

Ferdinand Löwe dirigierte zwei symphonische Darbietungen des Konzertvereinsorchesters unter Mitwirkung der Singakademie, des Schubertbunds und einer Reihe von Solisten im Großen Saal sowie ein Konzert in kleiner Orchesterbesetzung im Mozart-Saal. Zudem fand ein Liederabend im Schubert-Saal statt.376 Neben Werken der Wiener Klassik lag der künstlerische Schwerpunkt auf Musik des 19. Jahrhunderts mit Kompositionen von Franz Schubert, Johannes Brahms, Hugo Wolf, Anton Bruckner und Richard Wagner377. Allerdings spiegelte das erste Konzert die ursprüngliche Mission des Konzertvereins wie auch Bot­stibers persönliches künstlerisches Anliegen wider, alle Kunstrichtungen gleichermaßen zu berücksichtigen. Dessen Repertoire bestand aus Werken von Bach, Beethoven und Richard Strauss und damit aus Beiträgen dreier Epochen – Barock, Wiener Klassik und Gegenwart. Die Einleitung von Strauss, das »Festliche Präludium für Orchester und Orgel«, war überhaupt eine Uraufführung, die von der Konzerthausgesellschaft für die Eröffnung in Auftrag gegeben worden war. Die Reaktionen auf die Wahl des Eröffnungsstücks fielen nicht uneingeschränkt positiv aus. Julius Korngolds Kritik in der »Neuen Freien Presse« zufolge war die Komposition zu klanggewaltig gewesen, um sich mit der Akustik vertraut zu machen, und die Stimmung der Orgel hatte nicht vollständig mit der des Orchesters harmoniert.378 Dennoch war Korngolds generelles Fazit zum neuen Konzerthaus positiv. Er lobte Charakter und Atmosphäre des großen und mittleren Saales und hob die architektonische und ornamentale Raffinesse hervor.379 Die »Allgemeine Musik-Zeitung« hingegen kritisierte den überladenen Stil des Innenraums sowie die exzessive Verwendung von Verzierungen und betrachtete neben anderen Aspekten vor allem die elektrischen Lampen in Kerzenform als geschmacklos.380 organ gehörten neben dem Generalsekretär selbst und dem Präsidenten vier weitere Mitglieder der Direktion an. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1913/14, 7. 376 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1912/13, 24f. 377 Das Zitat »Ehrt eure deutschen Meister / Dann bannt ihr gute Geister« aus Wagners Oper »Die Meistersinger von Nürnberg«, das die Direktion an der Fassade des Konzerthauses über dem Haupteingang anbringen ließ, spiegelt deren Begeisterung für den Komponisten wider und verweist wie die Statuten der Konzerthausgesellschaft auf die ursprüngliche deutschnationale Gesinnung der Gründerväter, die jedoch wenig Einfluss auf die Gestaltung des generellen Spielplans nahm. Cf. Barta, Konzerthaus im Wandel, 43. 378 Cf. Julius Korngold, Die feierliche Einweihung des neuen Konzerthauses, in  : Neue Freie Presse, 20. Oktober 1913, 6. 379 Zitiert in Dietrich, Wlasits, 75 Jahre, 14. 380 Für den äußerst negativen Ton des Artikels war vermutlich der Umstand mitverantwortlich, dass die Konzerthausgesellschaft eine Woche vor der Eröffnung zwar eine Führung für Journalisten durch das Gebäude angeboten, den auswärtigen Medienvertretern aber keine Karten für die ohnehin nicht ausverkauften Festkonzerte zur Verfügung gestellt hatte. Nach Ansicht der »Allgemeinen Musik-

91

92

»Die Arbeit meines Lebens«

Beide Meinungen illustrieren, wie zwiespältig die Bewertung des Gebäudes durch die Öffentlichkeit ausfiel. In diesem Zusammenhang ist auch das Urteil Alban Bergs bemerkenswert. In einem Brief an Arnold Schönberg rund einen Monat nach der Eröffnung brachte er seine Abneigung dem Konzerthaus gegenüber zum Ausdruck, das ihm als hässlich, albern und unpraktisch erschien  : Diese ganze Concerthausgeschichte ist nämlich bis jetzt ein großer Hereinfall. Die Säle werden theils nicht benutzt, weil in Wien keine so große Nachfrage ist, theils stehn sie infolge der durchwegs minderwertigen Concerte immer halbleer. Die Zeitungen schimpfen über schlechte Ventilation, Akustik etc. etc. also Botstieber u. Consorten scheinen völlig gebrochen […].381

Zweifelos war auch Bergs Darstellung übertrieben, da seine Meinung vermutlich von seiner eher schwierigen persönlichen Beziehung zu Bot­stiber, den er ja vor einigen Jahren als »frechen Trottel« bezeichnet hatte, beeinflusst wurde. Andererseits dürfte der Umstand, dass das Konzerthaus zum Zeitpunkt seiner Eröffnung nicht in allen Details fertiggestellt und auch noch nicht eingehend erprobt worden war, einige kleinere Unzulänglichkeiten während der ersten Monate erklären. Es mussten daher im Laufe der Saison Verbesserungs- und Ergänzungsarbeiten durchgeführt werden, die jedoch laut Bericht der Direktion ohne Beeinträchtigung des Spielplans und ohne das Publikum zu stören vollendet werden konnten.382 Im Gegensatz zu Bergs Behauptung erfüllte die Nachfrage nach dem neuen Veranstaltungsgebäude die Erwartungen der Direktion und die Buchungslage der Konzertsäle gestaltete sich zufriedenstellend. Wie angestrebt zeichnete sich die erste Saison durch eine breite Palette an verschiedenartigen Konzerten und Veranstaltungen wie Vorträgen, Lesungen und Bällen aus. Die Gesellschaft organisierte sogar einen Konzerthausball, dessen Reinerlös von rund 10.000 Kronen einem Unterstützungsfonds für bedürftige Musiker zugutekam.383 Einnahmenseitig konnte ein positives Ergebnis erreicht werden, da die Umsätze der ersten Saison mit 522.156,63 Kronen insgesamt sogar höher ausfielen als ursprünglich angenommen. Auf der anderen Seite erforderte Zeitung« war diese Knauserigkeit einer derart teuren und aufwendigen Unternehmung wie dem Konzerthaus unwürdig. Zitiert in ibid. 13f. 381 Alban Berg, Brief an Arnold Schönberg, 26. November 1913, in  : Julia Brand, Christopher Hailey, Andreas Meyer (Hgg.), Briefwechsel Arnold Schönberg–Alban Berg. Teilband 1  : 1906–1917. Briefwechsel der Wiener Schule 3 (Mainz et al. 2007), 450. 382 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1913/14, 5. 383 Bot­stiber gehörte dem Komitee an, das den Fonds verwaltete. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1913/14, 6.

Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben

der Betrieb der Spielstätte jedoch auch mehr Investitionen und Personal als geplant und resultierte daher in höheren Ausgaben. Zudem waren die finalen Baukosten von rund 5,4 Millionen Kronen um zehn Prozent höher als kalkuliert, während ein Kursverlust bei der Hypothek samt Zinsen, Gebühren und Provisionen eine zusätzliche Belastung von 180.000 Kronen nach sich zog.384 Angesichts dieser Umstände sah sich die Gesellschaft außerstande, ihren Investoren abgesehen von der vorgesehenen Amortisation auch Zinsen auszubezahlen.385 Ein Blick auf die Bilanz zeigt, dass sich die Erlöse aus der Vermietung der Konzertsäle nur auf rund 30 Prozent der Gesamtumsätze der Gesellschaft beliefen.386 Weitere 30 Prozent wurden über das Konzertbüro erwirtschaftet, der hausinternen Konzertagentur, die dem Generalsekretär unterstand und von diesem auch persönlich geleitet wurde. Das Konzertbüro diente als Mittel, um die in den Statuten dargelegte Mission der Gesellschaft zu erfüllen. Diese beschränkte sich nicht bloß auf die Errichtung und den Betrieb des Konzerthauses sowie auf die Vermietung von Räumlichkeiten, sondern schloss auch eine aktive und gestaltende Rolle mit ein. Um dieser nachzukommen, war die Konzerthausgesellschaft verpflichtet, eigene Veranstaltungen von künstlerischer, wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und anderer Art durchzuführen.387 Über das Konzertbüro konnte die Gesellschaft Dienstleistungen wie die Organisation von Konzerten und ähnlichem auch externen Auftraggebern gegen Entgelt zur Verfügung stellen und auf diese Weise Einnahmen generieren. Das Verhältnis zwischen Konzerthausgesellschaft und Konzertbüro verdient allerdings eine nähere Untersuchung. Rein oberflächlich betrachtet scheint es, als ob Erstere nur für diejenigen Veranstaltungen verantwortlich war, die auch tatsächlich in ihrem Namen stattfanden, während sich Letzteres auf das Arrangement von extern in Auftrag gegebenen Darbietungen beschränkte. Diese Differenzierung ist jedoch nicht immer zutreffend, da das Konzertbüro auch als Vertreter der Gesellschaft agieren konnte.388 So konnte durchaus das Konzertbüro als offizieller Veranstalter in der Öffentlichkeit auftreten, während die eigentliche Initiative aber von der Gesellschaft selbst ausgegangen war. Insofern ist es schwierig, generell festzustellen, wer eine vom 384 Die Architekten hatten die geplanten Kosten zwar eingehalten, aber der Direktion war es nicht gelungen, einen Pächter für die Restaurationsbetriebe zu finden, der deren Einrichtung auf eigene Rechnung finanziert hätte, womit eine zusätzliche Investition von 300.000 Kronen nötig geworden war. Cf. Direktion der Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das k. k. Ministerium des Inneren, eingegangen am 2. Mai 1914. AVA. MdI STEF A 117 14b. 385 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1913/14, 9f. 386 Cf. ibid. 19. 387 Cf. Konzerthausgesellschaft, Gesellschaftsstatuten, 3f. 388 Cf. Erwin Barta, Gundula Fäßler, Die großen Konzertdirektionen im Wiener Konzerthaus 1913– 1945. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 10 (Franfurt/Main et al.), 43f.

93

94

»Die Arbeit meines Lebens«

Konzertbüro arrangierte Veranstaltung tatsächlich angeregt hatte. In diesem Zusammenhang stellen die sogenannten Lichtbildkonzerte ein illustratives Beispiel dar, deren steigende Beliebtheit am Beginn des 20. Jahrhunderts aus dem wachsenden Interesse an optischen Medien resultierte389. Mit einer Kombination aus Akustischem und Visuellem porträtierten diese polyästhetischen Aufführungen das Leben eines Komponisten nicht nur anhand seiner Werke, sondern auch durch Bilder, Lesungen oder Tanzeinlagen. In der Saison 1912/1913 hatte unter Mitwirkung des Orchesters des Konzertvereins eine Reihe mit Lichtbildkonzerten in der Urania stattgefunden.390 Angesichts der großen öffentlichen Aufmerksamkeit daran ist davon auszugehen, dass Bot­stiber bemüht war, diese Art der Darbietung auch im Konzerthaus anzubieten. Denn wie in den nachfolgenden Kapiteln noch zu sehen sein wird, zeigte sich der Generalsekretär an neuen Technologien stets interessiert. Es scheint daher kein Zufall zu sein, dass auch das Konzertbüro zwischen Jänner und März 1914 fünf Lichtbildkonzerte zu Schubert, Mozart, Haydn, Beethoven und Brahms arrangierte. Ein weiteres Beispiel mit Bezug auf die polyästhetischen Tendenzen war die Vorführung von Albrecht Dürers Passions-Darstellungen auf Lichtbildern, begleitet von Orgelchorälen von Johann Sebastian Bach. Organisiert vom Konzertbüro und daher unter der Federführung des Generalsekretärs fanden in der Osterwoche 1914 zehn solcher Aufführungen im Konzerthaus statt. Die duale Funktion der hauseigenen Konzertagentur war pragmatischen Überlegungen geschuldet. Wie erwähnt sah sich die Konzerthausgesellschaft aufgrund gestiegener Betriebsausgaben und höherer Baukosten von Anfang an mit einer angespannten Budgetsituation konfrontiert. Mit Rücksichtnahme auf die allgemeine öffentliche Meinung und die Stimmung der Anteilseigner, und vor allem auch angesichts der Kritik von Skeptikern wie Koessler, waren Bot­stiber und die Direktion bestrebt, ein ausgeglichenes Budget vorzulegen und Verluste aus eigenen künstlerischen und möglicherweise riskanten Veranstaltungen zu vermeiden. Das Konzertbüro stellte, ebenso wie der Konzertverein, daher eine brauchbare Möglichkeit dar, diejenigen Veranstaltungen auszugliedern, die im Stande waren, ein schiefes Licht auf die Gesellschaft zu werfen.391 Die Absicht, mögliche Risiken zu vermeiden, stand auch mit der Ablehnung des Gesuchs Arnold Schönbergs in Verbindung, bereits in der ersten Saison im Konzerthaus auftreten zu dürfen. Bereits um die Mitte des Jahres 1913 hatte der Komponist 389 Cf. Peter Revers, Die Geschichte des Konzerthauses 1913–1919, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 54. 390 Cf. Wilhelm Petrasch, Die Wiener Urania. Von den Wurzeln der Erwachsenenbildung zum lebenslangen Lernen (Wien et al. 2007), 70. 391 Cf. Barta, Fäßler, Konzertdirektionen, 44.

Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben

mit Alban Berg das Vorhaben besprochen, ein Konzert ausschließlich mit MahlerWerken im Konzerthaus zu organisieren, bei dem er plante, das Orchester des Konzertvereins zu dirigieren.392 Allerdings war Bot­stiber, den sie als Schlüsselfigur zur Realisierung ihrer Idee identifiziert hatten, aufgrund der Vorbereitungen für die Eröffnungsfeierlichkeiten zu beschäftigt, um sich ihrer Sache anzunehmen. Später ließ der Generalsekretär seinen Freund wissen, dass der gewünschte Auftritt aus administrativen Gründen derzeit nicht möglich sei393, bevor er dem Vorhaben mit dem Hinweis, dass der Konzertverein laut Statuten keine Gastdirigenten einladen dürfe, eine endgültige Absage erteilte. Laut dem Direktor der Universal Edition394, Emil Hertzka, den Berg ebenfalls um Unterstützung ersucht hatte, gab es aber einen anderen Grund. Ein Konzert ausschließlich mit Mahler-Werken erschien der Konzerthausgesellschaft als zu großes finanzielles Risiko, das sie angesichts ihrer angespannten wirtschaftlichen Situation und der von Berg in seinem Brief erwähnten Unzulänglichkeiten der neuen Spielstätte nicht eingehen wollte.395 Während also das intendierte Mahler-Konzert nicht realisiert werden konnte, spielten auch Schönbergs eigene Kompositionen aus ähnlichen Gründen nur eine marginale Rolle im Konzerthaus. In der Saison 1913/1914 kamen nur in einem einzigen Konzert zwei seiner Werke zur Aufführung. Dieses war aber weder von der Konzerthausgesellschaft noch vom Konzertbüro organisiert worden, sondern von der Konzertdirektion Gutmann, einer privaten Konzertagentur im Besitz von Hugo Knepler. Solche Firmen, die die Konzertsäle für ihre Darbietungen mieteten, waren für mehr als die Hälfte der 452 Veranstaltungen im Konzerthaus in dessen erster Saison verantwortlich und stellten damit die Haupteinnahmequelle der Betreibergesellschaft dar. In der Spielzeit 1913/1914 arrangierte das Konzertbüro 108 Darbietungen, während 96 Konzerte im Namen der Konzerthausgesellschaft stattgefunden hatten. Im Vergleich dazu organisierte allein Knepler im selben Zeitraum 179 Veranstaltungen. Jedoch bedeutete dies nicht, dass Bot­stiber in die künstlerische Planung und Aktivitäten der privaten Konzertdirektionen nicht eingebunden war und keinen Einfluss 392 Cf. Alban Berg, Briefe an Arnold Schönberg, 2. August, 3. Oktober und 21. Oktober 1913, in  : Julia Brand, Christopher Hailey, Andreas Meyer (Hgg.), Briefwechsel Arnold Schönberg–Alban Berg. Teilband 1  : 1906–1917. Briefwechsel der Wiener Schule 3 (Mainz et al. 2007), 433, 440, 443. 393 Cf. Alban Berg, Brief an Arnold Schönberg, 31. Oktober 1913, in  : Julia Brand, Christopher Hailey, Andreas Meyer (Hgg.), Briefwechsel Arnold Schönberg–Alban Berg. Teilband 1  : 1906–1917. Briefwechsel der Wiener Schule 3 (Mainz et al. 2007), 444f. 394 Die Universal Edition war der Konzerthausgesellschaft als Mitglied beigetreten und hatte damit Teilschuldverschreibungen im Wert von mindestens 50.000 Kronen übernommen. 395 Cf. Alban Berg, Brief an Arnold Schönberg, 26. November 1913, in  : Julia Brand, Christopher Hailey, Andreas Meyer (Hgg.), Briefwechsel Arnold Schönberg–Alban Berg. Teilband 1  : 1906–1917. Briefwechsel der Wiener Schule 3 (Mainz et al. 2007), 450.

95

96

»Die Arbeit meines Lebens«

auf die Gestaltung des Gesamtspielplans seiner Wirkungsstätte nahm. Wie zum Beispiel Knepler in der Saison 1914/15 der Gesellschaft der Musikfreunde gegenüber zugab, waren mehrere seiner Konzerte im Konzerthaus nicht seine Idee gewesen  ; die Anregung dazu war von der Konzerthausgesellschaft gekommen, die ihn lediglich mit dem Arrangement beauftragte hatte.396 Ähnlich wie das Konzertbüro stellten also auch die privaten Agenturen eine Möglichkeit für Bot­stiber dar, seine künstlerische Vision zu verwirklichen, ohne selbst offiziell das Risiko zu tragen. Durch Unternehmer wie Knepler konnte er Veranstaltungen auslagern, deren finanzieller Ausgang zweifelhaft war oder die sich nicht mit der Reputation der Gesellschaft vereinbaren ließen397. Die Wiener Modernisten fanden allerdings, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, auch weiterhin keine Aufnahme in den Spielplan. Das Skandalkonzert vom 31. März 1913, als im Musikverein Tumulte zwischen Anhängern und Gegnern moderner Musik ausgebrochen waren, während das Konzertvereinsorchester Werke von Schönberg, Webern, Zemlinsky und Berg gespielt hatte398, ließ die Direktion offenbar davor zurückschrecken, Kompositionen, die als zu progressiv erachtet wurden, aufzuführen. Das Programm der 96 Konzerte, die im Namen der Konzerthausgesellschaft in der ersten Saison durchgeführt wurden, konzentrierte sich demnach auf ein eher traditionelles Repertoire. Da vor allem Darbietungen mit Werken der Wiener Klassik nach wie vor als Garant für gute Kritiken und ausverkaufte Säle galten, organisierte Bot­ stiber einen Zyklus mit Kammermusik von Beethoven, mit einem sowohl in finanzieller als auch künstlerischer Hinsicht zufriedenstellenden Resultat399. Der Großteil der eigenen Konzerte der Gesellschaft entfiel jedoch auf die Aufführungen des Konzertvereins, dessen Orchester neben kleineren Projekten und Engagements zwei symphonische Zyklen im Großen Saal übernahm und jeweils mittwochs und sonntags populäre Konzerte im Volksgarten sowie im Konzerthaus gab. In der Öffentlichkeit trat die Konzerthausgesellschaft als Organisator dieser Darbietungen auf. Es war aber vielmehr der Konzertverein selbst, der nach wie vor für sie 396 Zitiert in Barta, Fäßler, Konzertdirektionen, 43. 397 Als Beispiel kann eine Vorführung in rhythmischer Gymnastik nach der Methode des Schweizer Komponisten Émile Jacques-Dalcroze im Konzerthaus während der Saison 1917/1918 dienen. Obwohl diese offiziell von der privaten Konzertdirektion Hugo Heller veranstaltet wurde, war möglicherweise Bot­stiber der eigentliche Initiator, da er bereits eine positive Analyse dieser spezifischen Methode in der Musikzeitschrift »Der Merker« verfasst hatte. Cf. Hugo Bot­stiber, Rhythmische Gymnastik, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 1/4 (1909), 135– 139. 398 Das von Schönberg dirigierte Konzert musste noch vor der Aufführung des letzten Stücks, Mahlers »Kindertotenlieder«, wegen einer Schlägerei im Publikum abgebrochen werden. Cf. Großer Skandal im Musikvereinssaal. Ein abgebrochenes Konzert, in  : Reichspost, 1. April 1913, 7. 399 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1913/14, 6.

Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben

verantwortlich zeichnete, da er zumindest vom rechtlichen Standpunkt aus gesehen auch nach der Gründung der Konzerthausgesellschaft und der Übersiedelung vom Musikverein in das Konzerthaus eine eigenständige Körperschaft blieb und weiterhin operativ tätig war400. Obwohl der Großteil seiner Konzerte im neuen Gebäude an der Lothringerstraße stattfand, gab es auch Darbietungen, die nicht im Zusammenhang mit der Konzerthausgesellschaft standen. So trat das Konzertvereinsorchester unter anderem weiterhin bei den Gesellschaftskonzerten der Gesellschaft der Musikfreunde im Musikverein auf. Ähnlich wie das Verhältnis zwischen der Konzerthausgesellschaft und dem Konzertbüro erscheint auch die Beziehung zwischen der Gesellschaft und dem Konzertverein daher ambivalent. Beide Institutionen waren im Grunde rechtlich unabhängige Körperschaften mit separaten Budgets und Statuten sowie eigenen Leitungsgremien und Mitarbeitern. Nichtsdestotrotz waren sie jedoch durch den Umstand, dass beide im Konzerthaus angesiedelt waren, sowie durch Personalunion eng miteinander verknüpft  ; der Vorstand des Konzertvereins unter Jakob Thonet und die Direktion der Konzerthausgesellschaft unter Karl August von Artaria waren beinahe identisch, während der Sekretär des Konzertvereins, Julius Kaudela, auch in die administrativen Agenden der Konzerthausgesellschaft eingebunden war401. Insofern kann angenommen werden, dass auch Bot­stiber sich zum Teil mit den Angelegenheiten des Konzertvereins befasste, auch wenn er formal gesehen diesbezüglich keine Kompetenzen besaß. Denn offiziell war er lediglich ein unterstützendes Mitglied des Konzertvereins und nahm aus statuarischen Gründen nach wie vor als dessen Delegierter an den Generalversammlung der Konzerthausgesellschaft teil. Denkbar ist aber, dass er sich in jene Bereiche organisatorisch einschaltete, die unmittelbar seinen Aufgabenbereich betrafen, und sich an der Planung des Programms, das das Vereinsorchester im Konzerthaus im Rahmen der Zyklen und außerordentlichen Konzerte spielte402, beteiligte, wie eine Aussage von Alban Berg impliziert403. Bedingt durch die enge Verknüpfung mit dem Konzertverein wirkten sich die Ermordung von Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gattin Sophie am 28. Juni 1914 und der anschließende Ausbruch des ersten Weltkriegs in zweifacher Hinsicht auf die Konzerthausgesellschaft aus. Bereits nach den Ereignissen von Sarajevo wurde eine 400 Cf. Konzerverein, Jahresbericht 1914/1915, 5. 401 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1912/13, 7. 402 Generell war nach wie vor der Konzertdirektor des Konzertvereins, Ferdinand Löwe, für die Programmgestaltung verantwortlich. 403 Cf. Alban Berg, Brief an Alma Mahler-Werfel, 7. Oktober 1913, in  : Martina Steiger (Hg.), »Immer wieder werden mich thätige Geister verlocken«. Alma Mahler-Werfels Briefe an Alban Berg und seine Frau (Wien 2008), 32.

97

98

»Die Arbeit meines Lebens«

Reihe von Veranstaltungen, die während der Sommermonate im Konzerthaus hätten stattfinden sollen, abgesagt, was in wirtschaftlicher Hinsicht einen nicht unbeträchtlichen Entgang von Einnahmen zur Folge hatte.404 Auch wurden alle Reservierungen für die Saison 1914/1915 storniert. Vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet lief die Gesellschaft zudem Gefahr, ihr hauseigenes Ensemble zu verlieren, da der Konzertverein von den sich ändernden Verhältnissen in Europa massiv betroffen war und sich speziell sein Orchester bald existentiellen Problemen gegenübersah. Bereits im Dezember 1911 hatte der Vorstand des Konzertvereins das Unterrichtsministerium über dessen prekäre finanzielle Lage in Kenntnis gesetzt und um eine Erhöhung der jährlichen Subvention von 22.000 Kronen auf 40.000 Kronen ab 1913 sowie um eine Extraförderung für das Jahr 1912 von 10.000 Kronen gebeten, um der Forderung der Musiker nach höheren Gagen nachkommen zu können.405 Beide Ansuchen waren vom Ministerium jedoch abgelehnt worden, das die jährliche Förderung 1913 lediglich um 1.000 Kronen anhob. 1914 musste das Orchester in weiterer Folge ein Gastspiel im deutschen Kurort Bad Kissingen absagen, das es normalerweise in den Sommermonaten absolvierte, da der Veranstalter den Vertrag am 3. August storniert hatte. Als die Jahressubvention von 23.000 Kronen aufgrund von Kriegsvorbereitungen nicht zur Auszahlung kam, wandte sich der Vorstand am 22. August erneut an das Ministerium. Präsident Thonet unterstrich die Tatsache, dass der Verein sich außerstande sah, ohne öffentliche Unterstützung den Konzertbetrieb aufrechtzuerhalten.406 Die Summe von 9.500 Kronen, die das Ministerium danach überwies407, vermochte nur kurzfristig für Entlastung zu sorgen. Um den Konzertverein zu unterstützen und das Konzerthaus noch vor Beginn der Saison zu beleben, veranstaltete die Konzerthausgesellschaft bereits im September eine Reihe mit neun volkstümlichen Orchesterkonzerten, die jedoch in einem, wenn auch nur geringen finanziellen Verlust resultierte.408 Als das Ensemble danach nicht mehr in der Lage war, aufgrund der Einberufung zahlreicher Musiker zum Kriegsdienst aufzutreten, sah es sich gezwungen, temporär mit dem Tonkünstler-Orchester zu fusionieren409, das sich denselben Problemen gegenübersah. Diese interimistische 404 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1913/14, 8. 405 Cf. Vorstand des Konzertvereins, Schreiben an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht, 18. Dezember 1911. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3392. 406 Cf. Vorstand des Konzertvereins, Schreiben an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht, 22. August 1914. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3393. 407 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1914/1915, 8f. 408 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1913/14, 8. 409 Das Tonkünstler-Orchester ist nicht mit dem Tonkünstler-Verein zu verwechseln, dem Bot­stiber in den 1890er Jahren angehört hatte. Vom Dirigenten Oskar Nedbal 1907 gegründet, bezog sich sein Name auf die im vorherigen Kapitel erwähnte Tonkünstler-Societät.

Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben

Kooperation beschränkte sich auf die symphonischen Zyklen im Konzerthaus, die vom Orchester auch während des Krieges fortgesetzt wurden, sowie auf Produktionen, die eine größere Besetzung erforderten. Die Populärkonzerte konnten nach wie vor vom Konzertverein allein auch mit einer geringeren Anzahl an Musikern bewältigt werden.410 Diese Zusammenarbeit war jedoch der erste Schritt in Richtung einer permanenten Verschmelzung der beiden Ensembles, deren Ergebnis die Gründung der Wiener Symphoniker im Jahr 1933 und die damit verbundene finale Abspaltung des Orchesters vom Konzertverein sein sollte. Die Konzerthausgesellschaft für ihren Teil versuchte, ihre Konzertaktivitäten mit dem Beginn der zweiten regulären Spielzeit wieder in Gang zu bringen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Gemessen am selben Zeitraum des Vorjahres reduzierte sich die Zahl der Veranstaltungen zwischen Oktober und Dezember 1914 beinahe um die Hälfte. Insgesamt verringerte sich die Zahl von 461 Darbietungen in der Saison 1913/1914 auf nur 209 Veranstaltungen in der Saison 1914/1915. Die Gesellschaft organisierte dabei nur 114 Veranstaltungen, von denen wiederum 39 das Konzertbüro durchführte. Ein großer Anteil entfiel auf Veranstaltungen für die Kriegswohlfahrt411, für die die Säle kostenlos oder nur gegen einen geringen Kostenersatz zur Verfügung gestellt wurden. Den daraus resultierenden Entgang an Einnahmen betrachtete die Direktion als ihren Beitrag zur Kriegsfürsorge412, der das Budget der Gesellschaft nicht unwesentlich belastete. Die Kombination aus einer geringeren Anzahl von im Konzerthaus stattfindenden Veranstaltungen, weniger Pacht aus den Restaurants sowie Geschäften und ein genereller Rückgang der Mietpreise zog einen Gesamtverlust von 142.000 Kronen nach sich.413 Trotz der angespannten finanziellen Situation beschränkte sich die Konzerthausgesellschaft nicht nur auf das Bereitstellen von Räumlichkeiten, sondern engagierte sich auch aktiv für die Kriegswohlfahrt. So organisierte das Konzertbüro sogenannte »Zigarrenkonzerte«, bei denen die Eintrittskarten durch die Spende einer gewissen Anzahl von Zigarren oder Zigaretten für die Soldaten im Lazarett oder an der Front erworben werden konnten, während das Damenkomitee der Gesellschaft Speisungen für Verwundete im Konzerthaus ausrichtete. Die Direktion wiederum rief ein Komitee zur Gründung eines Unterstützungsfonds für Musiker, die durch den Krieg in eine Notlage geraten waren, ins Leben. Bestehend aus einer Reihe prominenter 410 Cf. Konzertverein, Jahresbericht 1914/1915, 5. 411 Auch Bot­stibers Gattin Luisa beteiligte sich an mehreren dieser Konzerte und absolvierte zwischen 1914 und 1916 insgesamt elf Auftritte im Konzerthaus, die entweder von privaten Agenturen, dem Konzertbüro oder der Konzerthausgesellschaft selbst organisiert wurden. 412 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1914/15, 5. 413 Cf. ibid. 10.

99

100

»Die Arbeit meines Lebens«

Vertreter des Wiener Musiklebens gelang es diesem, durch das Sammeln von Spenden und die Organisation von Veranstaltungen bis zum Ende der Saison 1914/1915 die Summe von mehr als 41.000 Kronen zusammenzubringen. Bot­stiber gehörte dabei dem sechsköpfigen Ausschuss an, der für die Verteilung der Hilfsgelder zuständig war.414 Abgesehen von wirtschaftlichen und organisatorischen Aspekten nahm der Krieg aber auch Einfluss auf die künstlerische Ebene. Die traditionellen deutschen und österreichischen Komponisten hatten das in Wien gespielte Repertoire von jeher dominiert. Aufgrund des Konflikts stieg ihr Anteil nochmals drastisch an, als es zu einer zunehmenden Funktionalisierung der Musik kam. Die Werke von Beethoven, Mozart und Brahms repräsentierten nicht nur die weit zurückreichende musikalische Tradition Österreichs und Deutschlands und betonten daher ihre kulturelle Überlegenheit dem Feind gegenüber, sondern dienten auch der Förderung einer patriotischen Geisteshaltung im Sinne einer subtilen politischen Indoktrination.415 Als logische Konsequenz verschwanden französische, russische oder britische Komponisten so gut wie vollständig aus dem Programm. Während etwa in der Saison 1913/1914 noch in 20 Konzerten Musik von Claude Debussy zu hören war, findet sich ab Kriegsbeginn bis 1917 kein einziges seiner Werke im Spielplan des Konzerthauses. Mit Debussy hatte moderne Musik französischen Ursprungs zumindest bis 1914 eine gewisse Rolle im Konzerthaus gespielt. Moderne Musik aus Österreich war hingegen schon vor Kriegsausbruch eine Randerscheinung gewesen und blieb es auch danach. Zwar fanden während der Kriegsjahre mehrere Uraufführungen von Werken lebender österreichischer Komponisten statt  ; diese hatten jedoch primär einen patriotischen Charakter und folgten traditionellen Kompositionsmustern416, womit sie nicht als Beitrag zur Moderne einzuordnen sind. Obwohl es in dieser Hinsicht mehrere Ausnahmen wie die Erstaufführung von Vierteltonmusik oder Konzerte mit zeitgenössischer Kammermusik gab417, ließ eine größere Einbindung moderner Kompositionen in den allgemeinen Spielplan des Konzerthauses bis nach Kriegsende auf sich warten. Abgesehen von den schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen war dies auch durch den Umstand bedingt, dass Bot­stiber als die treibende Kraft der Konzerthausgesellschaft nicht mehr länger seiner regulären Tätigkeit nachging. Im Juni 1915 414 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1914/15, 7f. 415 Cf. Revers, Geschichte des Konzerthauses, 57. 416 Cf. ibid. 57f. 417 In diesem Zusammenhang muss vor allem auf das von Arnold Rosé 1882 gegründet Rosé-Quartett verwiesen werden, das sich neben dem traditionellen Repertoire vor allem auf die Ur- und Erstaufführung zeitgenössischer Kompositionen konzentrierte. Cf. Obituary of Arnold Rosé, in  : The Musical Times 87/1243 (1946), 286.

Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben

meldete er sich freiwillig zum Militär. Für die folgenden zweieinhalb Jahre war nicht die Musik, sondern der Kriegsdienst sein Hauptgeschäft. Die politischen und ökonomischen Umstände der Jahre zwischen 1914 und 1918 beeinflussten also nicht nur den Spielplan und die Finanzen der Konzerthausgesellschaft. Die Direktion beschwerte sich bald über die negativen Auswirkungen, die der Krieg auf den Veranstaltungsort selbst sowie die dort arbeitenden Personen hatte. Die Tatsache, dass sich der Großteil der Belegschaft, und insbesondere der Generalsekretär, im Kriegsdienst befanden, beeinträchtigte die Aufrechterhaltung des Tagesgeschäfts massiv. Neben Bot­stiber waren mittlerweile auch der Hausinspektor, der Hauptkassier, der Maschinist, die Elektriker, der Saalmeister, der Portier sowie alle Saalarbeiter beim Militär.418 Die enge Verbindung zwischen Konzertverein und Konzerthausgesellschaft, die in dieser Situation mehr als deutlich zutage trat, trug dazu bei, zumindest einen Teil der durch den Mangel an erfahrenen Arbeitskräften entstandenen Probleme zu meistern. Während Bot­stibers Abwesenheit wurden seine Agenden vom Sekretär des Konzertvereins, Julius Kaudela, übernommen.419 Die Umstände von Bot­stibers Rekrutierung verdienen eine nähere Betrachtung. Als Geschäftsführer der Konzerthausgesellschaft hatte er eine relativ bedeutende Position im heimischen Musikleben inne und war mittlerweile ein bekanntes Mitglied der Wiener Gesellschaft. Darüber hinaus hatte er im April 1915 bereits seinen 40. Geburtstag gefeiert. Angesichts seines beruflichen wie sozialen Hintergrunds und seines Alters sowie der Tatsache, dass er über keine militärische Erfahrung verfügte, scheint es unwahrscheinlich, dass er überhaupt eingezogen worden wäre. Am 20. Juni, nur zwei Monate nach seinem Geburtstag sowie einen Monat, nachdem Italien dem Habsburgerreich am 23. Mai den Krieg erklärt hatte, meldete sich Bot­stiber jedoch freiwillig auf Kriegsdauer zum Dienst in der Armee420. Die Motivation für diesen Schritt liegt abermals aufgrund eines Mangels an persönlichen Quellen im Dunkeln. Da Bot­stiber im Grunde ein Intellektueller und ein Bewunderer der schönen Künste war, ist nicht davon auszugehen, dass er aus voller Begeisterung in den Krieg zog, anstatt weiterhin für das Konzerthaus Sorge zu tragen, das er als die Arbeit seines Lebens betrachtete. Andererseits war der Dienst in der Armee ein sichtbarer Beweis für Patriotismus und Loyalität gegenüber Staat und Kaiser. Aus diesem Grund zogen vor allem Juden, die bestrebt waren, ihren Mut und ihren Einsatz für das Vaterland unter Beweis zu stellen, um antisemitischen Ressentiments wie der ihnen oftmals unterstell-

418 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1916/17, 27. 419 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1914/15, 9. 420 Cf. Hauptgrundbuchblatt Hugo Bot­stiber. KA. GBBL Wien 1875, Bo-Bra KA/I Box 480.

101

102

»Die Arbeit meines Lebens«

ten Feigheit entgegenzutreten, voll Begeisterung und Leidenschaft in den Krieg.421 Für einen zum Katholizismus konvertierten Juden wie Bot­stiber, der als junger Mann darauf aus gewesen war, seine jüdische Vergangenheit hinter sich zu lassen und in der sozialen Hierarchie aufzusteigen, war es daher umso wichtiger, seine Treue gegenüber der Monarchie, die er zutiefst bewunderte422, zu demonstrieren. Insofern wollte Bot­stiber, der laut seiner Armee-Personalakte 1,70 Meter groß war und neben seiner Muttersprache über ausgezeichnete Kenntnisse in Französisch, Englisch und Italienisch verfügte, offensichtlich nicht nur den Schein wahren, indem er nach einer sicheren Stelle in der Verwaltung oder einer ihm inhaltlich vertrauteren Funktion bei einer der Militärmusikkapellen Ausschau hielt. Vielmehr war er gewillt, an tatsächlichen Kampfhandlungen teilzunehmen, und wurde daher am 22. Juni 1915 dem Festungs-Artilleriebataillon Nr. 8 zugeteilt423. Dieses war erst 1913 aufgestellt worden und bestand ausschließlich aus mobilen Belagerungskompanien. Es gehörte zum 3. Armeekorps und der Festungs-Artilleriebrigade Nr. 4, deren Hauptquartier sich in Graz befand, und war in Friedenszeiten in einer Garnison an der österreichischen Küste in der Nähe zur italienischen Grenze stationiert.424 Da Bot­stiber allerdings der Ersatzkompanie, die im Dezember 1914 mit dem Verwendungsort Wien aufgestellt worden war425, angehörte, erhielt er seine Grundausbildung vermutlich in der Hauptstadt. Als Kadett und Offiziersanwärter gehörte er zunächst zu den Mannschaftsdienstgraden und begann seine militärische Laufbahn als Kanonier, ehe er zwischen Oktober und Dezember 1915 zum Vormeister, danach zum Korporal und letztlich zum Zugsführer befördert wurde. Das Jahr 1915 hielt noch keine Kampfhandlungen für Bot­stiber bereit und endete sogar mit einer Feierlichkeit an seiner zivilen Wirkungsstätte. Möglicherweise auf Vorschlag des Generalsekretärs nutzte sein Bataillon am 2. Dezember einen der Säle des Konzerthauses für ein Festmahl zur Feier des 67. Jahrestages der Thronbesteigung des Kaisers426. Nur einen Monat später wurde seine Einheit mit dem Festungs-Artilleriebataillon Nr. 10 zum Festungs-Artillerieregiment Nr. 7 vereinigt, das zunächst weiterhin zur Festungs-Artilleriebrigade Nr. 4 gehörte, später als mobiles Artillerie421 Marsha L. Rozenblit, Reconstructing a National Identity, The Jews of Habsburg Austria during World War I (Oxford et al. 2001), 40. 422 Seinem Sohn Dietrich zufolge war Bot­stiber ein glühender Anhänger der Monarchie und sollte sich während der Ersten Republik nach ihre Restauration sehnen. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 132. 423 Cf. Hauptgrundbuchblatt Hugo Bot­stiber. KA. GBBL Wien 1875, Bo-Bra KA/I Box 480. 424 Cf. Erwin A. Grestenberger, Die k. u. k. Festungsartillerie 1867–1918 (Gnas 2008), 29. 425 Cf. M. Christian Ortner, Die österreichisch-ungarische Artillerie von 1867–1918. Technik, Organisation und Kampfverfahren (Wien 2007), 388. 426 Cf. Broschüre aus dem Teilnachlass von Hugo Bot­stiber. Wienbibliothek. B 213414.

Beginn und Ende einer Ära  : Festkonzerte und Schützengräben

regiment aber an verschiedenen Kriegsschauplätzen eingesetzt wurde427. Diese Umgruppierung stellte vermutlich den Startschuss zu Bot­stibers aktivem Einsatz dar. Der genaue Zeitpunkt seiner Verlegung an die Front ist nicht bekannt, da von seiner Einheit kein Kriegstagebuch erhältlich ist, das die Rekonstruktion aller Einsatzorte erlauben würde. Nachdem er aber der 1. Ersatzkompanie des Regiments zugeteilt und am 1. März 1916 zum Feuerwerker befördert worden war, wurde er im darauffolgenden Juni zur 3. Feldkompanie transferiert, die mit schweren Haubitzen bewaffnet war428, und nach Tirol verlegt. Ab Sommer 1916 diente Bot­stiber in der Armeegruppe von Erzherzog Eugen429, dem Oberbefehlshaber der Südwestfront. Es ist anzunehmen, dass er vermutlich in der Region Trient in Südtirol stationiert war, um den dortigen Abschnitt zu verstärken und die Gegenangriffe, die die Italiener als Reaktion auf die österreichischungarische Offensive vom Mai 1916 unternahmen, abzuwehren. Auch eine Aussage seines Sohns Dietrich deutet darauf hin. Wie sich dieser in seinen Memoiren erinnert, verbrachte er den Sommer 1916 mit seiner Mutter und seiner Schwester auf einem Bauernhof in der Nähe von Bozen und damit nur rund 50 Kilometer nördlich von Trient. Wie ihm seine Mutter erzählt hatte, war der Grund für diesen Urlaub einzig und allen der Umstand, dass sein Vater in der Nähe war und ihnen kurze Besuche abstatten konnte.430 Während seiner Dienstzeit in Südtirol wurde Bot­stiber am 1. September 1916 nicht nur zum Fähnrich ernannt, sondern erhielt von Feldmarschall Erzherzog Eugen Anfang Dezember desselben Jahres auch die »belobende Anerkennung […] für vorzügliche Dienstleistung vor dem Feinde«431, ehe er drei Monate später mit seiner Beförderung zum Leutnant am 1. Februar 1917 letztlich in den Offiziersrang erhoben wurde. Wie lange er sich an der Südwestfront aufhielt, lässt sich nicht feststellen, er dürfte sich jedoch nach seiner letzten Beförderung seinem Sohn zufolge kurz auf Heimaturlaub in Wien befunden haben432. Spätestens im Frühjahr 1917 wurde er dann weiter östlich stationiert, wo er die österreichisch-ungarischen Truppen am Isonzo verstärkte und an der zehnten und elften Isonzo-Schlacht vom 12. Mai bis zum 5. Juni und vom 17. August bis zum 12. September 1917 teilnahm433. Für seinen Einsatz in der elften Schlacht wurde Bot­stiber erneut ausgezeichnet und erhielt mit der Militärverdienst427 Cf. Grestenberger, Festungsartillerie, 34. 428 Cf. Ortner, Artillerie, 399. 429 Cf. Hauptgrundbuchblatt Hugo Bot­stiber. KA. GBBL Wien 1875, Bo-Bra KA/I Box 480. 430 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 20–25. 431 Hauptgrundbuchblatt Hugo Bot­stiber. KA. GBBL Wien 1875, Bo-Bra KA/I Box 480. 432 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 32. 433 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1916/1917, 6.

103

104

»Die Arbeit meines Lebens«

medaille am Bande des Militärverdienstkreuzes und den Schwertern »die allerhöchste bzw. lobende Anerkennung […] für tapferes Verhalten vor dem Feinde«434. Der Gebirgskrieg gegen die Italiener blieb Bot­stibers einzige militärische Erfahrung im Feld, da sich seine Zeit im aktiven Kampfeinsatz ihrem Ende näherte. Spätestens ab Winter 1917 widmete er sich wieder den musikalischen Agenden der Konzerthausgesellschaft, als er sich zwischenzeitlich auf Erholungsurlaub in Wien befand. So wohnte er laut Protokoll den Direktionssitzungen am 11. Dezember 1917 und am 29. Jänner 1918 bei.435 Die Reorganisation der Artillerie und die darauffolgende Umbenennung seiner Einheit in »Schweres Artillerie-Regiment Nr. 7« im April 1918 waren die letzten Eposiden in seiner Laufbahn als Kanonier436. Im Frühjahr oder Sommer wurde er zurück nach Wien verlegt, wo er zuletzt im Militärkommando tätig war. Aufgrund seiner permanenten Anwesenheit in der Hauptstadt war er bereits zu diesem Zeitpunkt in der Lage, seine Tätigkeit für die Konzerthausgesellschaft wieder aufzunehmen437, obwohl er erst im November offiziell aus dem Militärdienst ausscheiden sollte. Es findet sich kein Hinweis darauf, was Bot­stiber in Tirol und am Isonzo erlebte, von welchen Grausamkeiten er Zeuge wurde oder wie sich die Kampfhandlungen auf seine Psyche auswirkten. Aber auch wenn seine Stimmung bei den kurzen Heimaturlauben bei seiner Familie eher ernst war, so schien er seinem Sohn zufolge doch zumindest gesund und in guter Verfassung zu sein und keinerlei Beschwerden zu haben.438 Diese Einschätzung wurde zwar von einem Kind getroffen, das seinen Vater nur alle paar Monate zu Gesicht bekam, und war wohl durch starke Emotionen beeinflusst. Nichtsdestotrotz kann sie aber auch als ein Beleg für Bot­stibers mentale Stärke gedeutet werden. Diese sollte er in Zukunft auch in anderen Situationen unter Beweis stellen. Denn psychische Belastbarkeit war zweifellos eine der Grundvoraussetzungen für die Bewältigung der vor ihm liegenden Aufgabe, das Konzerthaus und seine Betreibergesellschaft durch eine neue Weltordnung zu navigieren.

434 Obwohl Bot­stibers Personalakte die Auszeichnungen von 1916 und 1917 erwähnt, sind die dazugehörigen Dokumente im österreichischen Kriegsarchiv nicht auffindbar. 435 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 11. Dezember 1917 und 29. Jänner 1918. KHG. 436 Cf. Ortner, Artillerie, 417. 437 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1917/1918, 4. 438 Cf. Manuskript der Memoiren Dietrich W. Bot­stibers, 54. Dietrich W. Bot­stiber Foundation.

Das Konzerthaus und die Republik

Die Nachkr iegsjahr e  : Der Aufstieg des Konzertbüros Nach dem Zusammenbruch der Monarchie veränderten die sich im Wandel befindlichen politischen Umstände sowie die katastrophale wirtschaftliche Situation die Rahmenbedingungen des Wiener Konzertlebens grundlegend. Tatsächlich hatten der Krieg und seine Folgen ganz allgemein verheerende Auswirkungen auf das kulturelle Leben, denn der Rumpfstaat, der die Nachfolge des Habsburgerreiches im Herbst 1918 antrat, sah sich mit dringlicheren Anliegen konfrontiert, als sich um den Erhalt seiner künstlerischen Institutionen zu kümmern. Die primäre Aufgabe war das Gewährleisten der Nahrungs- und Energieversorgung, nicht die Förderung von Kunst und Kultur. Es gab einen Mangel an Kohle und Lebensmitteln, da die bisherigen Fördergebiete nicht mehr innerhalb der Staatsgrenzen lagen und die Erträge aus dem unterentwickelten Landwirtschaftssektor unzureichend waren. Wien war von der Unterversorgung besonders schlimm betroffen. Die Einwohner der ehemaligen Habsburger-Metropole, die der Kälte und Krankheiten wie Tuberkulose oder der Spanischen Grippe ausgesetzt waren, lebten nach Kriegsende nur von 1.271 Kalorien pro Tag439. Angesichts dermaßen verzweifelter Lebensbedingungen liegt die Vermutung nahe, das Konzerthaus wäre zunächst geschlossen geblieben oder für nicht-musikalische, dringlichere Zwecke benutzt worden. Wider Erwarten kam das Konzertleben jedoch nicht zum Erliegen. Vielmehr wuchsen die kulturellen Bedürfnisse der Wiener Bevölkerung kontinuierlich trotz, oder vielleicht gerade wegen, der existentiellen Bedrohung440. Aufgrund dieses Phänomens hatte die Zahl der Veranstaltungen im Konzerthaus bereits während des Kriegs wieder zugenommen wobei sich dieser Trend auch in der Nachkriegszeit fortsetzen sollte. Nach dem massiven Einbruch durch den Kriegsausbruch in der Saison 1914/1915 war die Konzertaktivität, auch durch die Vielzahl an Wohltätigkeitsveranstaltungen, langsam wiederbelebt worden. In der Spielzeit 1916/1917 fanden bereits wieder 352 Veranstaltungen statt, obwohl die Behörden am 10. Februar 1917 eine zwischenzeitliche Schließung aller Konzertsäle der

439 Cf. Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Wien 2005), 346. 440 Cf. Revers, Geschichte des Konzerthauses, 56.

106

Das Konzerthaus und die Republik

Stadt aufgrund eines Kohleengpasses angeordnet hatten441. In der darauffolgenden Saison erhöhte sich die Zahl der Darbietungen sprunghaft auf 537. Dies bedeutete nicht nur ein Plus von 80 Veranstaltungen gegenüber der ersten Spielzeit, sondern führte auch dazu, dass die Konzerthausgesellschaft im Gegensatz zu den Verlusten der vorangegangenen Jahre in der Lage war, einen Überschuss zu erwirtschaften442, da auch die Vermietungen wieder zunahmen und damit die Einkünfte stiegen. Da die Kurve sowohl bei den Veranstaltungen als auch der Vermietungen während der Nachkriegszeit konstant nach oben zeigte, konnte die Gesellschaft zwischen 1918 und 1921 trotz des ökonomisch problematischen Zustands, in dem sich das Land befand, auch weiterhin relativ ausgeglichene Bilanzen verzeichnen. So wurde der Betrieb in der Saison 1918/1919 zwar erneut durch die politischen Ereignisse der Republiksgründung, der Grippe-Epidemie und erneuter Sparvorgaben bei der Energieversorgung eingeschränkt, während die Gesellschaft zudem mit einer Steigerung bei den Löhnen sowie den Preisen für Strom und Heizung konfrontiert wurde. Dennoch konnte sie am Ende der Saison einen Gewinn von 173.491,95 Kronen verzeichnen.443 Die Zahl der Konzerte, die von der Gesellschaft selbst veranstaltet wurden, blieb jedoch nach wie vor gering. Vor allem das Konzertbüro hatte seine Tätigkeit, wohl auch durch die Abwesenheit Bot­stibers, in den Spielzeiten 1915/1916 und 1916/1917 beinahe eingestellt, weshalb die Direktion noch während des Kriegs erklärt hatte, sich unter Berücksichtigung der Personalsituation verstärkt dessen Ausbau widmen zu wollen, um »dem Musikleben Wiens neue Anregungen und Impulse geben zu können«444. Zwar kam es bereits in der nachfolgenden Saison wieder zu einem Anstieg der eigenen Veranstaltungen. Diese wurden aber vor allem im Auftrag Dritter arrangiert, womit das eigene künstlerische Unterfangen der Gesellschaft, abgesehen von den symphonischen Zyklen des Konzertvereins, auf eine Handvoll Konzerte beschränkt blieb.445 Dies änderte sich erst, als Bot­stiber von der Front zurückgekehrt war und sein Amt im Sommer 1918 wieder übernahm, was seine Rolle als treibende 441 Nach Verhandlungen mit den Behörden konnte die Direktion eine Lockerung erwirken, wonach das Konzerthaus nach einer dreiwöchigen Dauersperre zumindest von Samstag bis Montag öffnen durfte. Obwohl dies nach wie vor eine massive Beeinträchtigung des Spielplans darstellte, konnten auf diese Weise zumindest einige der bereits längerfristig getroffenen Vereinbarungen mit Künstlern und Ensembles eingehalten werden. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1916/1917, 3f. 442 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1917/1918, 6. 443 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1918/1919, 11f. 444 Dieses von der Direktion formulierte Ziel weist eindeutig darauf hin, dass das Konzertbüro nicht nur als Dienstleister für externe Kunden gedacht war, sondern auch einen eigenen künstlerischen Auftrag verfolgen sollte. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1916/1917, 5. 445 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1917/1918, 4f.

Die Nachkriegsjahre  : Der Aufstieg des Konzertbüros

Kraft für die Konzerthausgesellschaft im Allgemeinen und das Konzertbüro im Speziellen unterstreicht. Nur innerhalb einer Saison verdreifachte sich die Zahl der von Letzterem organisierten Veranstaltungen von 57 auf 189. Dieser Höhenflug hielt bis 1921 an, als das Konzertbüro im Jahr mehr als 200 Darbietungen organisierte. Es lässt sich schwer sagen, wie Bot­stiber die Ereignisse der Jahre 1918 und 1919 erlebte. Als überzeugter Anhänger des Kaisers missfiel ihm der Untergang der Monarchie aber höchstwahrscheinlich, da die Gründung der Ersten Republik auch eine signifikante Zäsur in seinem persönlichen Lebensweg und seiner beruflichen Laufbahn darstellte. Aufgewachsen als assimilierter Jude und als Konvertit in der gesellschaftlichen Hierarchie aufgestiegen, verdankte er seinen beruflichen Erfolg den sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen der Monarchie, innerhalb derer die Mäzene des Großbürgertums die Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde, des Konzertvereins und der Konzerthausgesellschaft ermöglicht hatten. Nun aber war der Kaiser, der Bot­stiber persönlich ausgezeichnet hatte und für den er in den Krieg gezogen war, tot. Sein Nachfolger musste abdanken und ins Exil gehen. Damit veränderten sich die gesamten Strukturen des Staates, und damit auch diejenigen des Konzertlebens. Aufgrund des Übergangs von der Monarchie zur Republik fand das Mäzenatentum des Adels und des Großbürgertums ein Ende. An seine Stelle trat ein System öffentlicher Subventionen, dessen Ausmaß verständlicherweise nicht an das Niveau der privaten Zuwendungen der Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg heranreichen konnte.446 Im Konzerthaus wurde dieser Wandel bereits im November 1918 manifest, als die Direktion einstimmig zu dem Schluss kam, dass das Protektorat des Kaisers über die Gesellschaft erloschen sei und das kaiserliche Mobiliar aus der Hofloge entfernt werden solle, die damit für andere Zwecke zur Verfügung stand447. Kein halbes Jahr später, am 29. März 1919, starb der erste Präsident der Konzerthausgesellschaft und Bot­stibers Hauptförderer, Karl August von Artaria. Obwohl ihm mit Robert Steinhauser ein anderer Gründervater der Gesellschaft nachfolgte448, ist Artarias Ableben doch als ein symbolischer Wendepunkt innerhalb der Gesellschaft zu sehen, der die politischen Umbrüche und damit das Ende einer durch die kulturelle Schirmherrschaft des Großbürgertums geprägten Ära widerspiegelte. In dieses Bild fügte sich der Umstand nahtlos ein, dass sich auch Karl Ritter von Wiener aus seinen Funktionen zurückzog, während der seit Mai 1919 amtierende sozialdemokratische 446 Cf. Brigitte Ott, Die Kulturpolitik der Stadt Wien 1919–1934. Dissertation, Universität Wien (Wien 1968), 6ff. 447 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 29. November 1918. KHG. 448 Vermutlich zählte auch Steinhauser zu Bot­stibers Fürsprechern, da sich die beiden ebenfalls seit rund 20 Jahren kannten. Er war seit dessen Gründung im Vorstand des Konzertvereins und fungierte seit 1911 als Vizepräsident der Konzerthausgesellschaft.

107

108

Das Konzerthaus und die Republik

Finanzstadtrat Hugo Breitner der Direktion als neuer Vertreter der Gemeinde Wien beitrat.449 Aber auch wenn Bot­stiber mit Artaria und Wiener zwei einflussreiche Förderer verloren hatte und er der politischen Entwicklung vermutlich skeptisch gegenüberstand, sollte er von diesem Paradigmenwechsel profitieren. Während der Anfangsphase des Konzertvereins und der Konzerthausgesellschaft vor dem Krieg hatten die Gründer und Mäzene ihre eigenen künstlerischen Vorstellungen zu verwirklichen versucht, da sie die gesamte Unternehmung zum größten Teil auch finanziert hatten. Bot­stibers Meinung war daher nur zu einem gewissen Grad von Gewicht gewesen, da in erster Linie von ihm erwartet worden war, die Anweisungen der Direktion auszuführen. Als die finanziellen Zuwendungen der Gründer und damit ihr Einfluss zurückgingen, gewann der Generalsekretär mehr Handlungsspielraum, vor allem in Hinsicht auf die Planung der von der Gesellschaft selbst zu veranstaltenden Konzerte. Dass Bot­ stibers Basisgehalt im Jänner 1919 von 9.000 Kronen auf 12.000 Kronen signifikant erhöht wurde und ihm die Direktion darüber hinaus eine jährliche Extrazahlung von mindestens 2.000 Kronen sowie eine Teuerungszulage von 6.000 Kronen zubilligte450, unterstreicht seine steigende Bedeutung. Ab der Saison 1918/1919 begann der Spielplan des Konzerthauses demnach auch, in verstärktem Ausmaß Bot­stibers Handschrift zu tragen. Zwar entfiel die Mehrzahl der offiziell von der Konzerthausgesellschaft veranstalteten Darbietungen noch immer auf die symphonischen Zyklen des Konzertvereins, der seine Kooperation mit dem Tonkünstler-Orchester aufgrund wirtschaftlicher Erfordernisse auch nach dem Krieg fortsetzte, wobei das fusionierte Ensemble seit 1918 als »Wiener Sinfonie-Orchester« auftrat451. Diese machten jedoch nur mehr rund 30 Prozent der gesamten Konzertaktivität der Gesellschaft aus. Für die restlichen 70 Prozent war mittlerweile das Konzertbüro verantwortlich, wobei der Generalsekretär eigene Projekte in zunehmendem Maß forcierte und deren Konzeption übernahm. So regte er etwa ein Bruckner-Fest mit drei symphonischen und einem kammermusikalischen Konzert an452, bei denen vom 23. bis zum 27. April 1919 unter anderem das Wiener SinfonieOrchester und die Singakademie unter Ferdinand Löwe, der Schubertbund und das Konzerthausquartett mitwirkten453. Ein weiterer wichtiger Aspekt von Bot­stibers Tätigkeit war der Umstand, dass sich der Anteil moderner Musik im Konzerthaus markant erhöhte. Im Allgemeinen blieb 449 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1918/1919, 10f. 450 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 17. Jänner 1919. KHG. 451 Cf. Kobau, Symphoniker, 37ff. 452 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 18. März 1919. KHG. 453 Der Kammermusikabend wurde, wohl aufgrund des großen Erfolgs, am 28. April 1919 wiederholt.

Die Nachkriegsjahre  : Der Aufstieg des Konzertbüros

das Repertoire, das in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in Wiens Konzertsälen und vor allem im Musikverein gespielt wurde, weiterhin von traditionellen Komponisten und vor allem von der Wiener Klassik dominiert454. Das Konzerthaus unter Bot­stibers Leitung entwickelte sich aber langsam zu einem Zentrum für zeitgenössische Kunst. Konzerte der auf moderne Musik ausgerichteten und in der Universal Edition erscheinenden Monatszeitschrift »Musikblätter des Anbruch« hatten bereits in der Saison 1917/1918 stattgefunden und wurden in der Spielzeit 1918/1919 fortgesetzt. Daneben organisierte das Konzertbüro sogenannte Tanz-Konzerte, in deren Rahmen auch Werke zeitgenössischer österreichischer und deutscher Komponisten wie Franz Schreker, Max Reger, Ernst Kanitz, Wilhelm Grosz oder Erich Maria Korngold zur Aufführung gelangten455. Von besonderer Relevanz hinsichtlich der Förderung moderner Musik war aber die Wiederbelebung seiner Beziehung zu Arnold Schönberg, zu dem Bot­stiber während der Kriegsjahre wohl keinen Kontakt gehabt haben dürfte. Wie bereits angesprochen hatte der Komponist bislang nur eine marginale Rolle im Konzerthaus gespielt. Seine Musik war in den ersten fünf Saisonen in nur fünf Konzerten zu hören gewesen, die aber allesamt nicht die Konzerthausgesellschaft organisiert hatte. Am 14. Jänner 1919 legte Bot­stiber daher in einem förmlich gehaltenen Schreiben an Schönberg seine Absicht dar, am 24. Februar ein ihm gewidmetes Konzert über das Konzertbüro zu veranstalten. Als Programm hatte der Generalsekretär die »Kammersymphonie Nr. 1« sowie eine Reihe von Liedern vorgesehen und ersuchte seinen Freund um Genehmigung des Projekts, wobei er ihm anbot, das Konzert selbst zu leiten und auch alle Proben zu überwachen.456 Da eine Reaktion auf sich warten ließ, kontaktierte Bot­stiber Schönberg nur eine Woche später erneut, bat um rasche Antwort und kündigte ein weiteres Vorhaben an. Bot­stiber plante nun für kommenden Mai und ebenfalls unter Leitung des Komponisten eine Aufführung von Schönbergs Kantate »Gurrelieder«457, 454 Cf. Rudolf Flotzinger, Von der Ersten zur Zweiten Republik, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Von der Revolution 1848 zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 198f. 455 Die Reihe bestand aus fünf Konzerten, die jeweils unter einem anderen Motto wie »modern« oder »grotesk« standen. 456 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Arnold Schönberg, 14. Jänner 1919. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 10. Oktober 2013]. 457 Die Uraufführung der »Gurrelieder« erfolgte am 23. Februar 1913 im Musikverein und war ein großer Erfolg für Schönberg, da das spätromantische Werk auch bei den konservativen Kreisen des Wiener Konzertpublikums Anklang fand. Nur fünf Wochen darauf fand jedoch das vom Komponisten dirigierte Skandalkonzert statt, das abgebrochen werden musste. Dessen Programm enthielt auch die »Kammersymphonie Nr. 1«. Cf. Martin Eybl, Vom lokalen Ereignis zum »größten Skandal der Musikgeschichte«. Schönberg dirigiert Uraufführungen im März 1913, in  : Österreichische Musikzeitschrift 68/2 (2013), 9.

109

110

Das Konzerthaus und die Republik

sofern es dem Konzertbüro möglich sein würde, die dafür benötigte Chor- und Orchesterbesetzung zu arrangieren.458 Nun reagierte Schönberg endlich, allerdings dürfte seine Replik eher negativ ausgefallen sein, wie aus einem weiteren, in persönlicherem Ton verfassten Brief von Bot­stiber an den Komponisten ersichtlich wird459. Letzterer hatte seinen Unmut über einen Zwischenfall vom Sommer 1918 geäußert460, wobei Bot­stiber zwar sein Verständnis für die Beschwerden und die Vorwürfe seines Freundes zum Ausdruck brachte, jedoch gleichzeitig jede Schuld von sich und dem Konzerthaus wies. Er betonte den Umstand, dass er erst seit Kurzem wieder in seinem Zivilberuf tätig sei und sich der Sache Schönbergs daher auch erst zum jetzigen Zeitpunkt annehmen könne, wobei er dem Komponisten versicherte, alles daran zu setzen, um das ihm geschehene Unrecht wieder gutzumachen.461 Dass dies tatsächlich Bot­stibers Absicht war, zeigt sich auch an seinen ambitionierten Plänen. Denn zusätzlich zur Kammersymphonie und den angesprochenen Vokalwerken plante er auch ein Konzert mit Schönbergs »Orchesterliedern« sowie der symphonischen Dichtung »Pelleas und Melisande«462, das er aus Zeitgründen aber auf den Herbst 1919 verlegen wollte. Bot­stibers Worte zeigten offenbar Wirkung, denn Schönberg akzeptierte die Einladung des Konzertbüros, obwohl der Generalsekretär für den Fall, dass dieser es abgelehnt hätte, seine eigenen Werke in der Öffentlichkeit zu dirigieren, auch Alexander Zemlinsky als möglichen Ersatz ins Spiel gebracht hatte. So aber übernahm Schönberg selbst die Leitung des ihm gewidmeten Kammermusikabends im Mozart-Saal, der nun für 26. März 1919 fixiert wurde. Zwei Wochen vor der geplanten Aufführung fand die erste Probe für die Kammersymphonie im Konzerthaus statt, die jedoch erneut für Misstöne zwischen Bot­stiber und Schönberg sorgte. Letzterer beschwerte 458 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Arnold Schönberg, 21. Jänner 1919. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 459 Schönbergs Antwortschreiben an Bot­stiber, das zwischen 22. und 26. Jänner 1919 erfolgt sein muss, ist nicht erhalten. 460 Womöglich bezog sich Schönbergs Unmut auf die zehn öffentlichen Proben der Kammersymphonie, die 1918 stattgefunden hatten. Cf. Theater- und Kunstnachrichten, in  : Neue Freie Presse, 5. März 1919, 12. 461 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Arnold Schönberg, 27. Jänner 1919. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 462 Die Uraufführung von »Pelleas und Melisande« hatte am 25. Jänner 1905 im Musikverein stattgefunden. Wie ein Brief von Zemlinsky an den in Berlin weilenden Schönberg vermuten lässt, dürfte sich aber auch Bot­stiber unter Umständen dafür interessiert haben, der Zemlinsky bereits im Frühjahr 1903 gebeten hatte, mit ihm über die Komposition zu sprechen. Cf. Alexander Zemlinsky, Brief an Arnold Schönberg, Poststempel vom 21. Mai 1903. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 12. März 2015].

Die Nachkriegsjahre  : Der Aufstieg des Konzertbüros

sich über das Nichtvorhandensein der von ihm geforderten erweiterten Besetzung sowie über die von einem Künstleragenten bereitgestellten Musiker, die weder seinen künstlerischen Ansprüchen genügten noch über ausreichend Zeit für Proben verfügten463. Am 13. März machte der offensichtlich verärgerte Komponist in einem Brief an Bot­stiber seinem Ärger über die aus seiner Sicht unprofessionellen und chaotischen Zustände bei der Konzerthausgesellschaft Luft  : Lieber Dr. Bot­stiber, der Verlauf der gestrigen 1. Probe hat mich neuerdings empfindlich darüber belehrt, dass Geschäfte nicht bloß freundschaftlich behandelt werden können  ; und das umsoweniger, je mehr Gewicht man gerade auf die Erhaltung der Freundschaftlichkeit legt. Deshalb halte ich es für meine Pflicht, Dir heute klar und eindeutig die Bedingungen zu nennen, unter welchen ich das Zustandekommen der von Dir mir vorgeschlagenen Konzerte für möglich halte, und unter welchen einzig und allein sie für mich annehmbar sind. Ich bitte Dich nun (und da ich gewiß bin, daß Dir mein Interesse nahegeht, darf ich es tun)  : nimm jedes Wort, das ich hier sage, ernst und wörtlich. Du weißt, daß ich nicht auf meinen Vorteil sehe, aber du weißt auch, daß ich in künstlerischen Dingen nicht nur unerbittlich bin, sondern, daß mir sogar die Fähigkeit abgeht, davon auch nur das Geringste nachzulassen.464

Aus Schönbergs Sicht musste der Kammermusikabend entweder abgesagt oder verschoben werden, wobei er beide Varianten als nicht unproblematisch erachtete. Denn während er bei einem späteren Aufführungszeitpunkt die Vorbereitungen für die für Mai geplanten »Gurrelieder« gefährdet sah und daher nur eine Verschiebung von höchstens acht Tagen akzeptieren wollte, hätte eine Absage seiner Meinung nach sofort zu erfolgen, da das Publikum ansonsten spekulieren könnte, das Konzert würde mangels Interesse nicht stattfinden. Die einzige Möglichkeit, die Darbietung wie geplant abzuhalten, sah Schönberg in der umgehenden Verpflichtung der Wiener Philharmoniker, wobei er in diesem Fall aber die Anwesenheit eines Orchesterwarts zur Gewährleistung eines geordneten Probenablaufs sowie die Bereitstellung des MozartSaals für mindestens vier bis fünf Proben verlangte. Außerdem forderte er, dass weder seine Mitwirkung als Dirigent auf dem Ankündigungsplakat noch das genaue Programm in den Zeitungen angeführt werden sollte, obwohl das Konzertbüro diese Details bereits Anfang März veröffentlicht hatte465. 463 Schönberg verlangte acht erste Geigen, sechs zweite Geigen, sechs Bratschen und sechs Celli. 464 Arnold Schönberg, Brief an Hugo Bot­stiber, 13. März 1919. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 465 Cf. Theater- und Kunstnachrichten, in  : Neue Freie Presse, 5. März 1919, 12.

111

112

Das Konzerthaus und die Republik

Der Generalsekretär zeigte Verständnis für das Anliegen seines Freundes, die künstlerische Qualität unter allen Umständen sicherzustellen, um Kritikern keine Angriffsfläche zu bieten. Er teilte auch den Unmut über das Unvermögen und die Unverlässlichkeit des Agenten und die misslungene Probe.466 Nichtsdestotrotz hielt er es zum momentanen Zeitpunkt trotz seiner Bemühungen für unmöglich, ein qualitativ befriedigendes Orchester zusammenzubringen und die gewünschte Anzahl von Proben zu organisieren. Als Konsequenz schlug Bot­stiber daher eine Redimensionierung des Projekts vor, wobei er an ein auf den 1. April verschobenes Konzert mit dem ursprünglich angedachten Repertoire, aber erweitert um das Streichsextett »Verklärte Nacht« dachte, gespielt in einfacher Besetzung vom Konzerthausquartett. Dafür plante er, das für Herbst anvisierte symphonische Konzert mit »Pelleas und Melisande« sowie »Verklärte Nacht« in Orchesterbesetzung bereits im April oder Mai im Großen Saal des Konzerthauses stattfinden zu lassen und dafür das Konzertvereinsorchester zu verpflichten. Die Gründe für Bot­stibers Vorschlag waren strategischer Natur. Wie er Schönberg versicherte, lagen ihm die ins Auge gefassten Konzerte am Herzen und er wollte von seinem Plan auch nicht abweichen, um dem Komponisten zu der ihm gebührenden Wirkung zu verhelfen. Allerdings betonte er die Notwendigkeit, die vorhandenen administrativen und künstlerischen Hindernisse Schritt für Schritt zu überwinden, und ersuchte daher um Schönbergs Entgegenkommen. Seiner Meinung nach ging es »in erster Linie darum, mit einem Konzert den Anfang zu machen, dann [würden] sich die anderen schon von selbst ergeben«467. Trotz Bot­stibers neuem Konzept fand der Kammermusikabend allerdings dann doch wie geplant am 26. März statt468, vermutlich auch deswegen, weil eine Absage des bereits angekündigten Konzerts unter der Leitung des Komponisten sowohl für Schönberg als auch für das Konzertbüro einen Gesichtsverlust bedeutet hätte. Die Beibehaltung des ursprünglichen Plans stellte sich 466 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Arnold Schönberg, 17. März 1919. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 467 Ibid. 468 Die Datenbank der Konzerthausgesellschaft, die sich auf die Auswertung der Programmhefte und Ankündigungsplakate zu der im Konzerthaus stattgefundenen Veranstaltungen stützt, zeigt, dass der Kammermusikabend in der ursprünglich geplanten Version umgesetzt wurde. Dass Schönberg in der Datenbank nicht als Dirigent des Konzerts genannt wird, belegt, dass Bot­stiber die Forderung des Komponisten, seine Mitwirkung auf dem Ankündigungsplakat zu verschweigen, erfüllte. Ob der Generalsekretär auch die Musiker, mit denen Schönberg nach der ersten Probe unzufrieden gewesen war, austauschte und an deren Stelle Mitglieder der Wiener Philharmoniker engagierte, geht aus der Datenbank nicht hervor, da in der Rubrik »Interpreten« nur der Vermerk »Ein Kammerorchester« angeführt ist. Bei den Solisten wurde aber zumindest die von Bot­stiber ursprünglich vorgeschlagene Sopranistin durch eine andere Künstlerin ersetzt.

Die Nachkriegsjahre  : Der Aufstieg des Konzertbüros

jedenfalls als die richtige Entscheidung heraus. Die Darbietung war ausverkauft und wurde am 1. April sogar wiederholt.469 Aufgrund dieses Erfolgs organisierte das Konzertbüro am 3. Juni 1919 einen weiteren Schönberg-Kammermusikabend, diesmal mit »Verklärte Nacht« sowie dem »Streichquartett Nr. 2«. Bot­stiber gelang es also, seinem Freund, nachdem er mehr als fünf Jahren von der Konzerthausgesellschaft vollständig ignoriert worden war, zumindest drei Konzerte mit Kammermusik im Konzerthaus zu widmen. Der Versuch, Schönbergs Chor- und Orchestermusik zur Aufführung zu bringen, scheiterte jedoch. Bot­stiber sah sich im Lauf des Frühjahrs 1919 gezwungen, »Pelleas und Melisande« erneut auf den kommenden Herbst zu verschieben. Dies galt auch für die »Gurrelieder«, obwohl das Konzertbüro diese für Mai angekündigt hatte470. Grund dafür war offenbar der große organisatorische Aufwand, den die Komposition erforderte, wie Bot­stiber Schönberg bereits im Jänner 1919 mitgeteilt hatte, und auch der Komponist war der Meinung, dass sich die Produktion nur bei mindestens dreimaliger Aufführung finanziell rechnen würde471. Da mittlerweile auch Franz Schalk, der Konzertdirektor der Gesellschaft der Musikfreunde, an einer Aufführung der »Gurrelieder« interessiert war, verständigte sich der Generalsekretär mit seinem ehemaligen Arbeitgeber darauf, dass ein entsprechendes Konzert erst unter der Leitung Schönbergs im September 1919 im Konzerthaus und dann unter der Leitung Schalks im Februar 1920 im Musikverein stattfinden sollte.472 Jedoch bezweifelte Schönberg, der Bot­stiber bereits im März auf eine schriftliche Fixierung des Projekts gedrängt hatte, das Zustandekommen einer Aufführung im September, nachdem auch Ende April 1919 noch keine Künstler engagiert und auch sonst keinerlei Vorbereitungen getroffen worden waren473, wie er der Universal Edition mitteilte. Als Bot­stiber sich danach im Juni mit der Bitte an seinen Freund wandte, die genaue Besetzung festzusetzen und mit den Leitern der zur Mitwirkung vorge-

469 Cf. Theater- und Kunstnachrichten, in  : Neue Freie Presse, 28. März 1919, 10. 470 Cf. Theater- und Kunstnachrichten, in  : Neue Freie Presse, 5. März 1919, 12. 471 Cf. Arnold Schönberg, Brief an die Universal Edition, 30. April 1919, in  : Erwin Stein (Hg.), Arnold Schönberg. Letters (Berkeley und Los Angeles 1987), 64f. 472 Schönberg befürchtete, eine künstlerisch nicht zufriedenstellende Aufführung der »Gurrelieder« könnte seinem Ruf schaden und seinen Gegnern im konservativen Wiener Konzertpublikum Munition liefern. Aus diesem Grund stimmte er eine Aufführung durch Schalk nur unter zwei Bedingungen zu. Zum einen durfte dieser die »Gurrelieder« erst dirigieren, nachdem eine Aufführung unter der Leitung Schönbergs in Wien stattgefunden hatte. Zum anderen musste er sich dazu verpflichten, eine vom Komponisten vorgegebene Anzahl von Proben abzuhalten, sofern er nicht auf die Sänger und Musiker der vorangegangenen Schönberg-Aufführung zurückgreifen sollte. Cf. ibid. 473 Cf. ibid.

113

114

Das Konzerthaus und die Republik

sehenen Chöre die Probeneinteilung zu besprechen474, hatte dieser den Glauben an das Projekt bereits verloren. Schönberg sollte mit seiner Vorahnung recht behalten. Erst im Juni 1920 wurden die »Gurrelieder« und »Pelleas und Melisande« wieder in Wien aufgeführt, jedoch weder im Konzerthaus noch im Musikverein, sondern in der Staatsoper als Teil des von David Josef Bach organisierten Festivals »Meisteraufführungen Wiener Musik«. Eine Aufführung beider Kompositionen im Konzerthaus sollte noch bis 1923 beziehungsweise 1925 auf sich warten lassen. Bis dahin verschwand Schönberg trotz des Erfolgs der Kammermusikabende beinahe wieder komplett aus dem Spielplan der Konzerthausgesellschaft, mit Ausnahme von zwei Liederabenden 1921, bei denen je zwei seiner Werke zu hören waren. Er musste sich daher in weiterer Folge auf die Rezeption durch private Konzertagenturen sowie auf den Verein für musikalische Privataufführungen, den er 1918 gegründet hatte, konzentrieren, Letzterer veranstaltete bis 1924 rund 50 Konzerte im Konzerthaus und förderte eine Reihe moderner Komponisten, darunter Alexander Zemlinsky, Ferruccio Busoni, Alban Berg, Claude Debussy oder Anton Webern475. Es waren allerdings nicht die administrativen Hürden, die Bot­stiber daran hinderten, seine Pläne Schönberg betreffend in die Tat umzusetzen. Wie aus einer näheren Betrachtung der internen Abläufe der Konzerthausgesellschaft geschlossen werden kann, war dafür wohl eher der Widerstand der Direktion verantwortlich. Bereits in deren Sitzung am 18. März 1919 hatte Bot­stibers Bericht über die momentanen und geplanten Aktivitäten des Konzertbüros zu einer Debatte über dessen Ziele und allgemeine künstlerische Ausrichtung geführt.476 Auch wenn keine Namen im Protokoll genannt werden, so spricht der Zeitpunkt doch dafür, dass Schönberg beziehungsweise Bot­stibers Pläne zur Förderung zeitgenössischer Musik Gegenstand der Diskussion gewesen sind. Denn nur knapp eine Woche vor der Sitzung hatte die erste Probe für die Kammersymphonie stattgefunden, während sich der Generalsekretär auch schon an die Vorbereitungen für die »Gurrelieder« gemacht hatte. Angesichts Bot­ stibers gesteigerter künstlerisch-gestalterischen Dynamik, die er seit seiner Rückkehr aus dem Krieg an den Tag legte, war die Direktion, die nicht geschlossenen hinter seinen Plänen stand, offenbar bestrebt, seine Kompetenzen einzuschränken, vor allem 474 Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Arnold Schönberg, 10. Juni 1919. Arnold Schönberg Center. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 475 Schönbergs Absicht war es nicht, den Komponisten ein Forum zur Verfügung zu stellen, sondern dem Publikum die Möglichkeit zu bieten, sich mit moderner Musik zu befassen. Bereits 1921 stellte der Verein seine Tätigkeit aufgrund finanzieller Probleme wieder ein, wurde aber erst 1930 offiziell aufgelöst. Cf. Kapp, Schönbergs »Verein«, 52. 476 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 18. März 1919. KHG.

Inflation und Aufschwung

nachdem sein Hauptförderer, Karl August von Artaria, Ende März 1919 gestorben war. Es ist gewiss kein Zufall, dass die Direktion knapp sechs Wochen nach Artarias Ableben einen Antrag von Felix Stransky, eines der beiden Vizepräsidenten der Gesellschaft, annahm, wonach das Hauskomitee auch die Aktivitäten des Konzertbüros überwachen sollte  ; von diesem Augenblick an hatte der Generalsekretär das Komitee bei »wichtigeren Angelegenheiten« zu konsultieren.477 Obwohl diese Angelegenheiten im Protokoll nicht näher spezifiziert werden, ist davon aufzugehen, dass damit auch die künstlerische Planung gemeint war. In dieser Hinsicht scheiterte die Aufführung der »Gurrelieder« nicht wegen des großen administrativen Aufwands, den die Komposition erforderte, oder Schönbergs enormen künstlerischen Ansprüchen478, sondern wegen des Widerwillens des konservativen Flügels der Direktion, zeitgenössische Musik in einem größeren Ausmaße zu fördern oder dem Generalsekretär zuviel Einfluss zuzugestehen. Ob primär finanzielle Überlegungen dafür verantwortlich waren oder auch eine generelle Abneigung gegenüber Schönberg eine Rolle spielte, lässt sich aufgrund eines Mangels an Quellen nicht beurteilen. Schönberg sollte später seinem Ärger über die Vorstandsmitglieder der Konzerthausgesellschaft sowie der Gesellschaft der Musikfreunde Luft machen, die er aufgrund ihrer Ablehnung von Avantgarde-Musik als ignorant und inkompetent betrachtete479. Aber trotz des Widerstands innerhalb der eigenen Reihen war Bot­stiber weit davon entfernt, klein beizugeben.

Infl ation und Aufschw ung Seine Unterstützungskampagne für Arnold Schönberg und moderne Musik im Allgemeinen war nicht die einzige Aufgabe, der sich Bot­stiber in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg zu widmen hatte. Tatsächlich standen nicht künstlerische, sondern ökonomische Überlegungen im Mittelpunkt. Denn in erster Linie musste der Generalsekretär das wirtschaftliche Überleben der Konzerthausgesellschaft sicherstellen, 477 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 9. Mai 1919. KHG. 478 Laut Hartmut Krones kam die 1919 geplante Aufführung der »Gurrelieder« im Konzerthaus nicht zustande, weil Bot­stiber die von Schönberg in seinem Schreiben vom 13. März 1919 dargelegten künstlerischen Forderungen nicht erfüllen konnte. Diese bezogen sich jedoch nicht auf die »Gurrelieder«, sondern wie zuvor erwähnt auf den Kammermusikabend am 26. März 1919. Cf. Hartmut Krones, Die Komponisten der »Wiener Schule« und die Wiener Philharmoniker, in  : Otto Biba, Wolfgang Schuster (Hgg.), Klang und Komponist. Ein Symposion der Wiener Philharmoniker (Wien 1992), 202f. 479 Cf. Arnold Schönberg, Typoskript, 24. Mai 1923. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http:// www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 30. Oktober 2013].

115

116

Das Konzerthaus und die Republik

und zwar in Zeiten, in denen nicht gerade die günstigsten Bedingungen zur Förderung kultureller Prosperität herrschten. Inmitten dieser unsicheren und instabilen Situation erlitten die Gesellschaft und Bot­stiber in der Saison 1919/1920 einen weiteren persönlichen Verlust. Präsident Robert Steinhauser verstarb am 9. Juni 1920 nach nur einem Jahr im Amt. Ihm folgte der Juwelier Theodor Köchert, bislang Vizepräsident und ebenfalls einer der Gründerväter des Konzertvereins, nach. Vom operativen Standpunkt aus gesehen gab es für Bot­stiber jedoch gute Nachrichten. Er war in der Lage, den finanziellen Problemen, die sich nachteilig auf das Konzertleben auswirkten, einigermaßen beizukommen, und konnte sogar kleine Überschüsse erwirtschaften, wofür primär zwei Gründe verantwortlich waren. Die positive wirtschaftliche Entwicklung war zunächst der konstant steigenden Zahl von Fremdveranstaltungen am Konzerthaus geschuldet, die aus einer durchdachten Vermietungs- und Veranstaltungspolitik resultierte. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Verhältnis zwischen der Konzerthausgesellschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde zu betrachten. Denn trotz des einvernehmlichen Umgangs miteinander bestand naturgemäß ein gewisser Grad an Rivalität zwischen den beiden Institutionen. Der Musikverein hatte sein Monopol als primärer Veranstaltungsort der Stadt verloren, während die noch junge Konzerthausgesellschaft ihre Stellung im Wiener Musikleben zu festigen bestrebt war und insofern auch versuchte, sich gegen die alterwürdige Gesellschaft der Musikfreunde, die dieses seit Jahrzehnten dominierte, zu behaupten. Konflikte waren insofern vorprogrammiert. Bereits 1916 hatte zum Beispiel Hugo Heller den Unmut der Gesellschaft der Musikfreunde auf sich gezogen, da er ihrer Meinung nach mehr Konzerte mit bekannten Künstlern im Konzerthaus als im Musikverein arrangiert hatte480. Um etwaigen Benachteiligungen vorzubeugen, waren daher beide Gesellschaften an einer gleichmäßigen Verteilung publikumswirksamer Konzerte sowie an einer ausgeglichenen Gestaltung der Spielpläne der zwei Veranstaltungsorte interessiert und hatten bereits früh damit begonnen, diesbezügliche Vereinbarungen zu treffen481. Darüber hinaus hatten sie sich auf eine koordinierte Vermietungspolitik hinsichtlich der Konzertsäle geeinigt, um ihre eigene Position gegenüber privaten Konzertorganisatoren wie Knepler, die naturgemäß versuchten, bessere Tarife auszuhandeln, zu stärken. Einer solchen Übereinkunft aus dem Jahr 1916 zufolge belief sich die Miete für den Großen Saal im Konzerthaus auf 850 Kronen, während sein etwas kleineres Pendant im Musikverein, der Goldene Saal, mit 750 Kronen zu Buche schlug. Keiner der beiden Gesellschaften war es gestattet, kommerziellen Konzertveranstaltern einen wie auch immer gearteten 480 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 97 ex 1916/17. GdM. 481 Cf. Barta, Fäßler, Konzertdirektionen, 37.

Inflation und Aufschwung

Preisnachlass zu gewähren. Abgesehen von einer Reihe von Wohltätigkeitsinitiativen und Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz war nur den beiden Hauptkunden, den Konzertdirektionen von Hugo Knepler und Hugo Heller, ein kleiner Mengenrabatt eingeräumt worden.482 Auf diese Weise versuchten die beiden Vermieter, die privaten Konzertveranstalter davon abzuhalten, sie gegeneinander auszuspielen. Es ist anzunehmen, dass diese Vereinbarungen zumindest seit dem Jahr 1916 regelmäßig während der Vorbereitungen für die kommende Saison erneuert wurden. So einigten sich die beiden Gesellschaft im April 1919 und im Februar 1922 auf ein aufeinander abgestimmtes Preisschema für die Vermietung ihrer Konzertsäle483, wobei die Rabatte für Heller und Knepler gestrichen wurden. In dieser Hinsicht beschloss die Direktion der Konzerthausgesellschaft auch, die kleineren Konzertveranstalter stärker zu berücksichtigen und dafür das Kontingent der größeren Agenturen zu kürzen.484 Die Kooperation der beiden Spielstätten beschränkte sich aber nicht nur auf die Mietpreise. Im Jänner 1920 gaben Bot­stiber und Carl Lafite, der Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde, in einer gemeinsamen Mitteilung die Einführung eines Regiezuschlags in der Höhe von einer Krone auf alle Konzertkarten unabhängig von der Kategorie bekannt, um die durch steigende Energiepreise und andere Ausgaben verursachten Mehrkosten zumindest teilweise decken zu können.485 Aber trotz der Kooperation und der Intention, gegenüber den privaten Konzertveranstaltern und anderen Interessensvertretern wie der Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger geschlossen aufzutreten486, blieben Spannungen zwischen den Betreibern von Wiens bedeutendsten Spielstätten nicht aus. So versuchten die privaten Konzertagenturen, unter dem Vorwand pädagogischer oder wohltätiger Absichten günstigere Vertragsbedingungen zu erreichen. Hugo Heller hatte die Gesellschaft der Musikfreunde bereits 1916 um spezielle Konditionen für eine besondere, nicht-kommerzielle Konzertreihe gebeten.487 Diese hatte dabei den Vorschlag Hellers, die Darbietungen gemeinsam zu veranstalten und den bescheidenen Erlös zu teilen, bereitwillig angenommen. Um die Übereinkunft mit der Konzerthausgesellschaft nicht zu verletzen, war die Gesellschaft der Musikfreunde offiziell 482 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 11 ex 1916/17. GdM. 483 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 30 ex 1919/20. GdM  ; Mitteilung der Konzerthausgesellschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde, 14. Februar 1922. Wienbibliothek. Archivbox ZPH 500. 484 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 20. April 1920. KHG. 485 Cf. Mitteilung der Konzerthausgesellschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde, 12. Jänner 1920. Wienbibliothek. Archivbox ZPH 500. 486 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Oktober 1929. KHG. 487 Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 13 ex 1916/17. GdM.

117

118

Das Konzerthaus und die Republik

als Veranstalter aufgetreten, während Hellers Konzertdirektion das eigentliche Risiko getragen hatte. Allerdings blieben solche heimlichen Absprachen nicht immer vom Mitbewerber unbemerkt und belasteten das Verhältnis zwischen den beiden Spielstätten. Als die Konzerthausgesellschaft in Erfahrung brachte, dass die Gesellschaft der Musikfreunde damit begonnen hatte, Preisnachlässe in großem Umfang zu gewähren, kündigte Bot­stiber zum Beginn der Saison 1932/1933 die vereinbarte Kooperation auf, die erst 1949 wieder erneuert werden sollte.488 Die akkordierte Preispolitik und die Absprachen über die Programmgestaltung waren jedoch nur ein Aspekt, der Bot­stibers Arbeit am Konzerthaus kennzeichnete. Der zweite Grund, aus dem es ihm gelang, positiv zu bilanzieren, war sein Geschäftssinn und sein kaufmännisches Geschick. Während er verschiedene musikalische Richtungen in den Spielplan aufnahm und dadurch ein größeres Publikum ansprechen konnte, dachte der Generalsekretär auch über gesellschaftliche Veranstaltungen nach, die dem Zeitgeist entsprachen und die geeignet waren, die noch während der Monar­ chie formulierte Mission des Konzerthauses als bürgerlichen Treffpunkt zu betonen. Als unmittelbares Resultat seiner Bestrebungen kehrten Bälle und Tanzveranstaltungen an die Spielstätte zurück. So schlug Bot­stiber zum Beispiel als Unterstützung für ein Komitee, das die Errichtung eines Denkmals für den »Walzerkönig« Johann Strauss beabsichtigte, die Organisation eines Themenballs zu dessen Oper »Die Fledermaus« vor, der auch die sofortige Zustimmung der Direktion fand und letztlich einen soliden finanziellen Erfolg mit sich brachte.489 Auch wenn der Generalsekretär seine ambitionierten Pläne bezüglich Schönberg nicht in die Tat hatte umsetzen können, so gelang es ihm doch, die Aktivitäten des Konzertbüros mit einem moderateren, aber dennoch künstlerisch wertvollen Spielplan, der von der Direktion gutgeheißen wurde, zu forcieren. Wie der jährliche Bericht der Gesellschaft für die Saison 1920/1921 darlegt, erweiterte sich der Betrieb des Konzertbüros beträchtlich und konnte sowohl in künstlerischer wie auch in finanzieller Hinsicht ansehnliche Erfolge verbuchen.490 Mit 214 Veranstaltungen erreichte es auch seinen quantitativen Höhepunkt in der Zwischenkriegszeit. Die Ecksteine von Bot­stibers künstlerischem Programm während dieser Periode waren ein Hugo-Wolf-Fest im März 1920, ein Mahler-Zyklus im September und Oktober 1920 sowie acht im Mai und Juni 488 Bot­stibers Kündigungsschreiben im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde ist der Entwurf eines weiteren Übereinkommens, datiert auf den Juni 1934, beigefügt. Allerdings lässt sich mangels Quellen nicht sagen, ob es jemals in Kraft trat. Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 20 ex 1932/33. GdM  ; Barta, Fäßler, Konzertdirektionen, 39. 489 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 27. November 1920 und 17. Jänner 1921. KHG. 490 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1920/1921, 5f.

Inflation und Aufschwung

1921 stattfindende Aufführungen des »König Ödipus« in einer Fassung von Hugo von Hofmannsthal, die »Gelegenheit gaben, [den] großen Saal in ganz eigenartiger Verwendung zu zeigen«491. In der Saison 1921/1922 brachte das Wiener Sinfonie-Orchester in vom Konzertbüro organisierten Darbietungen Bachs »Matthäus-Passion« und wie bereits in den vorangegangenen zwei Spielzeiten Mahlers sinfonischen Liederzyklus »Das Lied von der Erde« zur Aufführung492. Daneben fand ein dreitägiges Max-Reger-Fest in Kooperation mit der Gesellschaft der Musikfreunde statt493, während auch Musik von Arnold Schönberg nach rund zweijähriger Abwesenheit im Rahmen zweier bereits angesprochener Liederabende im April und Oktober 1921 zurückkehrte494. Trotz Bot­stibers Bemühungen wurde allerdings eine nachhaltige Entwicklung der Konzerthausgesellschaft durch die Hyperinflation der Nachkriegsjahre nicht nur behindert, sondern praktisch unmöglich gemacht. Diese erreichte ihren Höhepunkt im Sommer 1922, als sich die Preise für Konsumgüter innerhalb eines Monats verdoppelten495, was sich auch in den Saalmieten niederschlug. Wie die Verhandlungen zwischen der Konzerthausgesellschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde zeigen, beliefen sich die Preise für die beiden großen Säle bereits im Februar 1922 auf 144.000 Kronen beziehungsweise 135.000 Kronen496, verglichen mit 850 Kronen und 750 Kronen im Jahr 1916. Während dieses Zeitraums musste die Konzerthausgesellschaft nicht nur mit steigenden Gehältern und Betriebskosten zurechtkommen, sondern auch mit einer sinkenden Nachfrage nach ihren Sälen. Im Herbst und Winter fielen sowohl die Zahl der Vermietungen als auch das finanzielle Ergebnis des Konzertbüros noch zufriedenstellend aus. Präsident Köchert dankte Bot­stiber in diesem Zusammenhang auf der Generalversammlung am 25. April 1922 für seinen Einsatz als Leiter des Konzertbüros und sprach ihm seine Anerkennung für seine Tätigkeit für die Gesellschaft aus.497 491 Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1920/1921, 6. 492 »Das Lied von der Erde« war im Konzerthaus erstmals in der Saison 1918/1919 vom Wiener Tonkünstlerorchester unter Alexander Zemlinsky aufgeführt worden. 493 Als Bot­stiber in der Direktionssitzung am 16. Jänner 1922 über die Aktivitäten des Konzertbüros, das von Oktober bis Dezember 1921 insgesamt 72 Veranstaltungen organisiert hatte, berichtete, hob er das Reger-Fest sowie die Bach- und Mahler-Konzerte als besonders künstlerisch interessant hervor. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Jänner 1922. KHG. 494 Das Konzert im Oktober 1921, das unter dem Titel »Moderner Liederabend« stattfand, enthielt nicht nur Kompositionen von Schönberg, sondern auch von Mahler, Reger, Debussy, Erich J. Wolff und anderen. 495 Cf. Sandgruber, Wirtschaftsgeschichte, 355. 496 Cf. Memorandum der Konzerthausgesellschaft und der Gesellschaft der Musikfreunde, 14. Februar 1922. Wienbibliothek. Archivbox ZPH 500. 497 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1921/1922, 5, 21.

119

120

Das Konzerthaus und die Republik

Im Frühjahr stagnierten die Vermietungen jedoch und kamen während der Sommermonate beinahe vollständig zum Erliegen, was einen kleinen Verlust von 56.327,54 Kronen und damit die erste negative Bilanz seit dem Ende des Ersten Weltkriegs nach sich zog. Dabei stellten sich die langfristig abgeschlossenen Verträge mit den privaten Konzertdirektionen als Hauptproblem der Gesellschaft dar, das es Bot­stiber unmöglich machte, den düsteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entsprechend zu agieren. Impresarios wie Knepler und Heller profitierten von der Situation, da die Kosten für die anzumietenden Konzertsäle oder die Künstlerhonorare durch die Inflation niedriger waren als ursprünglich kalkuliert, während sie die Preise für die Konzertkarten kurzfristig an die aktuellen Umstände anpassen und so finanzielle Einbußen vermeiden konnten. Für die Konzerthausgesellschaft traf diese Flexibilität nicht zu. Deren Direktion beschwerte sich vielmehr darüber, dass die Ausgaben beinahe täglich stiegen, während die bestehenden Verträge eingehalten werden mussten.498 Nichtsdestotrotz brachte die Geldentwertung auch einen Vorteil für die Gesellschaft mit sich. Seit ihrer Gründung wurde ihre Bilanz durch die 2.000 Teilschuldverschreibungen im Gesamtwert von zwei Millionen Kronen belastet, die sie ausgegeben hatte, um die benötigten Mittel zur Errichtung des Konzerthauses aufzubringen. Bis Kriegsende waren aber nur Schuldverschreibungen in der Höhe von 13.000 Kronen zurückgekauft worden, wobei einige Investoren ihre Anteile zum Wohl der Gesellschaft gespendet hatten499. Aufgrund der galoppierenden Inflation verloren diese aber ihren Wert, womit als Konsequenz auch die Bauschulden der Gesellschaft langsam verschwanden. Während in der Saison 1918/1919 Rückkäufe im Ausmaß von 14.000 Kronen getätigt wurden, betrug das Volumen in der Spielzeit 1921/1922 bereits 420.000 Kronen. Nach dem Höhepunkt der Inflation im Sommer und Herbst 1922 entschloss sich die Direktion, die gesamte zu diesem Zeitpunkt noch ausstehende Summe von eineinhalb Millionen Kronen zurückzukaufen. Angesichts der Tatsache, dass die Teilschuldverschreibungen beinahe wertlos geworden waren, verzichtete der Großteil der Investoren aber auf eine Auszahlung und retournierte sie als Spende an die Gesellschaft, wobei die Ansprüche auf Stammsitze und Kartenvorkaufsrechte allerdings weiterhin gewahrt blieben500. Darüber hinaus bot die Geldentwertung auch 498 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1921/1922, 6. 499 Die zurückzukaufenden Teilschuldverschreibungen wurden nach und nach ausgelost. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1914/1915, 10. 500 Überhaupt dürften die Teilschuldverschreibungen eher als Unterstützung des Konzerthausprojekts durch Musikliebhaber zu sehen sein und nicht als eine tatsächlich ernst gemeinte Investition. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1922/1923, 7f  ; Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 14. Mai 1923. KHG.

Inflation und Aufschwung

eine günstige Möglichkeit, die auf dem Konzerthaus lastende Hypothek zu verringern, wovon die Direktion Gebrauch machte und im Lauf des Jahres 1922 500.000 Kronen zurückzahlte501. Aber auch wenn die Bauschuld beseitigt worden war, so blieb die finanzielle Situation der Gesellschaft doch angespannt. Bot­stiber und der Direktion war aus diesem Grund daran gelegen, dass die privaten Konzertveranstalter die bestehenden Verträge einhielten. Diese sahen auch die Zahlung eine Pönale für den Fall vor, dass ein Konzert abgesagt werden musste oder nicht wie vereinbart stattfinden konnte. Für den Großen Saal hatte sich dieses Bußgeld im Jahr 1919 auf 1.000 Kronen belaufen.502 Als einige von Hugo Heller und Hugo Knepler arrangierte Veranstaltungen in der Saison 1918/1919 abgesagt wurden, sah sich Bot­stiber gezwungen, mit den Impresarios, die sich weigerten, die Pönale zu zahlen, zu verhandeln. Obwohl beide wichtige Kunden für die Gesellschaft waren503, war die Direktion nicht gewillt, auf ihre Ansprüche zu verzichten, bot aber immerhin eine Alternative an. Sie bestimmte, dass das Bußgeld jedenfalls zu bezahlen sei, aber, sollten die betreffenden Konzerte zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden, auf die Saalmiete gutgeschrieben werde.504 Dass die Gesellschaft und vor allem Bot­stiber bereit waren, das ihnen zustehende Geld unter allen Umständen einzutreiben und notfalls Sanktionen zu verhängen, zeigt ein Vorfall mit Karl Kraus, der seit 1914 rund 40 Lesungen im Konzerthaus abgehalten hatte. Als er sich jedoch 1921 weigerte, die ihm in Rechnung gestellte Saalmiete von 400 Kronen zu bezahlen, trat Bot­stiber angesichts seines Verhaltens dafür ein, ihm die Säle in Zukunft nicht mehr zur Verfügung zu stellen.505 Ob die rigorose Forderung des Generalsekretärs auch mit einer eventuell vorhandenen persönlichen Abneigung gegenüber Kraus aufgrund dessen ironischer Bemerkungen anlässlich der Konzerthauseröffnung 1913 zu tun hatte, lässt sich nicht klären. Jedenfalls schloss sich die Direktion Bot­stibers Meinung an und vermietete für mehr als ein Jahr keine Säle an Kraus, der vom März 1921 bis zum Juni 1922 aus dem Konzerthaus ausgesperrt blieb. Mit Entschlossenheit navigierte Bot­stiber die Konzerthausgesellschaft durch eine kritische Periode, ohne dabei Schiffbruch zu erleiden. Dass dies keine leicht zu bewäl501 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Jänner 1922. KHG. 502 Dies galt auch für den Goldenen Saal im Musikverein, da diese Pönalen auch Teil der Preisabsprachen zwischen der Gesellschaft der Musikfreunde und der Konzerthausgesellschaft waren. Cf. Gesellschaft der Musikfreunde, Gesellschaftsakten, 30 ex 1919/20. GdM. 503 Sowohl die Bedeutung als auch der Einfluss der großen Konzertagenturen wird durch den Umstand deutlich, dass die Konzerthausgesellschaft bereit war, ihre Präferenzen bei der Erstellung des generellen Spielplans des Konzerthauses zu berücksichtigen. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 20. April 1925. KHG. 504 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 29. November 1918. KHG. 505 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 5. April 1921. KHG.

121

122

Das Konzerthaus und die Republik

tigende Aufgabe für kulturelle Institutionen war, wird am Beispiel des Konzertvereins deutlich. Am Höhepunkt der Inflation 1922 war dieser trotz der Bereitschaft der Konzerthausgesellschaft, mit einem Darlehen auszuhelfen506, nicht mehr in der Lage, sein Orchester finanziell zu erhalten. Die Konsequenz war die endgültige Trennung von Verein und Ensemble, das mit dem Tonkünstler-Orchester fusionierte, woraus das neue, bereits angesprochene Wiener Sinfonie-Orchester unter Martin Spörr entstand, das sich 1933 in Wiener Symphoniker umbenennen sollte. Aufgrund dieser Entwicklung war auch die institutionelle Bindung zwischen dem Konzerthaus und seinem hauseigenen Ensemble nach beinahe zehn Jahren gekappt. Zwar blieb das Wiener Sinfonie-Orchester das am häufigsten in der Spielstätte an der Lothringerstraße auftretende Ensemble und übernahm auch weiterhin die symphonischen Zyklen der Konzerthausgesellschaft. Es war aber mittlerweile eine eigenständige Körperschaft, die ab 1924 immer stärker unter den Einfluss der Radio Verkehrs AG oder Ravag, der ersten österreichischen Rundfunkgesellschaft, geraten sollte. Der Konzertverein wiederum wurde als Konzertveranstalter am Leben erhalten und arrangierte weiterhin den Großteil der symphonischen Darbietungen im Konzerthaus, für die er vielfach das Wiener Sinfonie-Orchester engagierte. Warum er allerdings nicht einfach aufgelöst wurde, erscheint vor allem angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse jener Zeit und der eigenen finanziellen Lage der Konzerthausgesellschaft durchaus rätselhaft, da er durch die Abkopplung des Orchesters im Grunde seine Existenzberechtigung verloren hatte. Sein Vorstand war darüber hinaus beinahe identisch mit der Direktion der Konzerthausgesellschaft, und da diese mit dem Konzertbüro auch eine eigene Konzertagentur besaß, war augenscheinlich kein Anlass gegeben, eine weitere Einrichtung mit ähnlicher Funktion zu betreiben. Andererseits hielt der Konzertverein doch die komfortable Möglichkeit für die Konzerthausgesellschaft bereit, künstlerische und buchhalterische Problemfälle auszulagern. Zudem war er laut Statuten noch immer eine der beiden Gründerinstitutionen der Gesellschaft und konnte daher auch aus rechtlichen Gründen nicht ohne Weiteres liquidiert werden507. Es dürften allerdings vor allem sentimentale Motive gewesen sein, die für die Erhaltung der obsolet gewordenen Einrichtung verantwortlich waren. Als Präsident Köchert die Notwendigkeit, dem Konzertverein mit einem weiteren Darlehen unter die Arme zu greifen, ansprach, verwies er in pathetischem Tonfall auf die entscheidende Rolle, die dieser bei der Errichtung des Konzerthauses gespielt 506 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Jänner 1922. KHG. 507 Wie Felix Stransky wiederholt darlegte, erforderte die Auflösung des Konzertvereins eine Änderung der Statuten der Konzerthausgesellschaft, die von der Gemeinde Wien abgesegnet werden musste. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 11. Oktober 1927. KHG.

Inflation und Aufschwung

hatte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.508 Dasselbe Pathos lässt sich auch beim fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des Konzertvereins in der Saison 1924/1925 feststellen, als die Direktion der Konzerthausgesellschaft in ihrem Jahresbericht noch immer dessen ehrenvollen Platz im Musikleben Wiens und der gesamten Welt betonte509. Tatsächlich jedoch spiegelte diese Aussage nur die glorreiche Vergangenheit wider, als der Konzertverein das einzige Berufsorchester der Stadt neben den Wiener Philharmonikern unterhalten hatte510. Aus all diesen Gründen überlebte der Konzertverein, obwohl er seiner eigentlichen Legitimation verlustig gegangen war. Um ihn finanziell zu entlasten und seine Existenz zu sichern, beschloss die Direktion der Konzerthausgesellschaft weitere Hilfsmaßnahmen und intensivierte die interinstitutionelle Kooperation511. Sogar der Gedanke einer formellen Fusion stand im Raum, die letztlich mit der Saison 1930/1931 realisiert werden sollte, als angesichts der Auflösung des Sängerhausvereins, der zweiten Gründerinstitution der Gesellschaft, eine Änderung der Statuten als unvermeidbar und zwingend notwendig erachtet wurde512. Der Abgesang des Konzertvereins wurde dadurch aber nur verlängert und sollte insgesamt 16 Jahre dauern, ehe er 1938 doch noch aufgelöst wurde. Bot­stiber berührte das Schicksal der redundant gewordenen Institution jedoch wenig. Im Gegensatz zu Köchert und der Direktion gibt es wenig Anzeichen dafür, dass er sich in ihre Rettung eingebracht hätte. Stattdessen konzentrierte sich der Generalsekretär auf seine eigene Karriere. Denn während die goldenen Jahre des Konzertvereins längst vorüber waren, lag der Höhepunkt seiner Laufbahn noch vor ihm.

508 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 20. April 1925. KHG. 509 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1924/1925, 7. 510 Noch 1920 lobte der Musikwissenschaftler Heinrich Knödt die künstlerische Qualität des Konzertvereins, der »bisher seine künstlerische Berechtigung vollständig erwiesen« hatte. Mit der Abspaltung des Vereinsorchesters ging diese »Berechtigung« auf das neue Wiener Sinfonie-Orchester über. Der totale Verzicht auf Feierlichkeiten anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums ist in diesem Zusammenhang bezeichnend für die schwindende Bedeutung des Konzertvereins. Die oben zitierte Aussage der Direktion der Konzerthausgesellschaft ist daher primär als nostalgische Selbstbeweihräucherung zu werten. Cf. Heinrich Knödt, Wiener Konzertleben in der Gegenwart, in  : Melos. Zeitschrift für Musik 1/11 (1920), 258. 511 Ab der Saison 1926/1927 enthielten die jährlichen Direktionsberichte der Konzerthausgesellschaft auch eine detaillierte Darstellung der Aktivitäten des Konzertvereins. 512 Auch der Sängerhausverein hatte mittlerweile seinen Existenzgrund verloren und wurde in der Saison 1928/1929 aufgelöst. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 20. April 1925, 31. Oktober 1925, 26. März 1926 und 10. Mai 1929. KHG.

123

124

Das Konzerthaus und die Republik

A m Scheitelpunkt  : »The Nights of Splendor and Festivit y« Für die noch junge österreichische Republik war das Jahr 1922 von besonderer Bedeutung. Als Reaktion auf die Hyperinflation der unmittelbaren Nachkriegszeit und um den Zusammenbruch des Staates zu verhindern, gelang es der Bundesregierung unter Bundeskanzler Ignaz Seipel, mit der Unterzeichnung der Genfer Protokolle am 4. Oktober eine Anleihe vom Völkerbund in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen sicherzustellen. Diese internationale Sanierungshilfe führte letztlich zu einer langsamen Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation und 1925 zur Einführung des Schillings als neue österreichische Währung.513 Für Bot­stiber war das Jahr 1922 jedoch in anderer Hinsicht signifikant. Es war der Beginn einer Zeit, die sein Sohn Dietrich in seinen Memoiren mit »the nights of splendor and festivity« umschreibt, als rauschende Feste mit Tanz und Musik im Anwesen des Generalsekretärs in der Kaasgrabengasse stattfanden und berühmte Künstler Privatvorführungen für seine Familie und Gäste gaben514. Dieses glamouröse Leben war ein unmittelbares Resultat von Bot­stibers Leistungen für die Konzerthausgesellschaft und seines Aufstiegs zu einer der einflussreichsten Figuren des Wiener Musiklebens. Wie in diesem Kapitel zu sehen sein wird, waren die 1920er Jahre im Konzerthaus von einer lebhaften kulturellen Entwicklung geprägt, mit zahlreichen Uraufführungen oder Wiener Erstaufführungen sowie einem steigenden Anteil moderner Musik und Avantgarde-Darbietungen515. Prinzipiell waren dafür zwei Gründe verantwortlich. In erster Linie boten die momentane monetäre Stabilität und der langsame Wirtschaftsaufschwung ohne Zweifel günstigere Bedingungen für künstlerische Unternehmungen, zumindest für einen kurzen Zeitraum. Darüber hinaus fiel diese Phase der bescheidenen wirtschaftlichen Erholung mit einer einschneidenden Veränderung hinsichtlich der künstlerischen Leitung der Konzerthausgesellschaft zusammen. Denn nicht nur der Konzertverein hatte aufgrund der Abspaltung seines Orchesters an Bedeutung eingebüßt, auch der Einfluss dessen Konzertdirektors Ferdinand Löwe, über mehr als zwei Jahrzehnte die bestimmende Instanz in künstlerischen Fragen, schwand aufgrund seines sich verschlechternden Gesundheitszustands. Der Dirigent, der seine Funktion bald zurücklegen sollte, gab insofern sukzessive Kompetenzen an Bot­stiber ab. 513 Cf. Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (Wien 1994), 282f. 514 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 133. 515 Cf. Peter Revers, Geschichte des Konzerthauses während der Ersten Republik, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 73ff.

Am Scheitelpunkt  : »The Nights of Splendor and Festivity«

Die Rolle des Generalsekretär für die Konzerthausgesellschaft veränderte sich daher ab der Saison 1922/1923 grundlegend, da er sich von nun an stärker in die Programmgestaltung der eigenen Konzerte sowie des generellen Spielplans einbrachte als jemals zuvor. Auf den ersten Blick schien gerade das Gegenteil der Fall zu sein, da die Aktivität des Konzertbüros zurückging. Im Gegensatz zum Höchstwert in der Saison 1920/1921 mit 214 Veranstaltungen organisierte es in der Spielzeit 1922/1923 nur 90 Darbietungen. Jedoch nahm die Zahl der Veranstaltungen, die nun direkt im Namen der Konzerthausgesellschaft stattfanden, massiv zu. Der geringere künstlerische Output des Konzertbüros war insofern nur das Resultat einer organisatorischen Modifikation, die aus zwei Gründen erfolgte. Einerseits war das Auslagern von Veranstaltungen auf das Konzertbüro nicht mehr so bedeutsam für ein ausgeglichenes Budget wie während der Jahre vor der Inflation, als die Bauschulden eine enorme Belastung für die Gesellschaftsfinanzen dargestellt hatten. Nachdem sich die Konzerthausgesellschaft dieser Last entledigt hatte, konnte sie ihre Rolle als Konzertveranstalter stärker wahrnehmen, ohne dabei auf Suborganisationen angewiesen zu sein.516 Darüber hinaus war offensichtlich Bot­stiber selbst entschlossener, ab 1922 seine eigenen künstlerischen Ziele nicht mehr nur über das Konzertbüro, sondern auch im Namen der Gesellschaft zu verfolgen, was wohl an seinem Kompetenzzuwachs sowie an den sich langsam verbessernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen lag, die ihm mehr Handlungsspielraum gaben. Wie er bereits in einer Direktionssitzung im November 1922 bemerkte, waren die Aussichten für die Saison 1922/1923 durchaus günstig, und er hoffte, sogar einen kleinen Gewinn zu erwirtschaften, um die für gewöhnlich umsatzschwachen Sommermonate überbrücken zu können.517 Die Annahme, dass Bot­stiber gewillt war, sich in künstlerischer Hinsicht nicht mehr nur auf das Konzertbüro zu beschränken, wird auch durch eine Äußerung Präsident Köcherts auf der Generalsversammlung im März 1923 bestätigt, der im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren nicht mehr nur die administrative Tätigkeit des Generalsekretärs lobte, sondern auch sein eifriges Bemühen um die künstlerische Entfaltung der gesamten Gesellschaft betonte518. Die originär von der Konzerthausgesellschaft ausgehende künstlerische Aktivität erhöhte sich im Vergleich mit der vorangegangenen Spielzeit um rund 20 Prozent und belief sich auf 63 Veranstaltungen in der Saison 1922/1923, einschließlich der nach wie vor vom Konzertverein arrangierten symphonischen Zyklen und einem gemeinsam mit der Gesellschaft der Musikfreunde organisierten Schubert-Fest. Eine 516 Cf. Barta, Fäßler, Konzertdirektionen, 44f. 517 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. November 1922. KHG. 518 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1922/1923, 22.

125

126

Das Konzerthaus und die Republik

Besonderheit war Bot­stibers Idee, szenische Produktionen in den Spielplan zu integrieren. Den Auftakt dazu bildete die Oper »Orfeo ed Euridice« von Christoph Willibald Gluck, bei der der Generalsekretär auch selbst Regie führte. Ursprünglich waren nur drei Aufführungen geplant, die im Jänner 1923 stattfanden, aber angesichts des großen künstlerischen Erfolgs wurde die Inszenierung an vier weiteren Abenden im darauffolgenden April wiederholt. Während Präsident Köchert Bot­stibers Verdienst um das Zustandekommen des Projekts hervorhob519, lobte der Jahresbericht die »Eigenart der Inszenierung und die wohlvorbereitete Ausführung des musikalischen Teils«520. Die »Neue Freie Presse« teilte diese Einschätzung und zollte dem Generalsekretär als »gutem Geist« der Konzerthausgesellschaft Tribut für sein »sicheres Gefühl für Stil und Szene«521. Darüber hinaus intensivierte die Gesellschaft, wohl als Reaktion auf den Verlust des Konzertvereinsorchesters, ihre Beziehung mit der seit 1913 im Konzerthaus ansässigen Wiener Singakademie. Bereits im Frühjahr 1922 war vereinbart worden, dass diese in der Saison 1922/1923 drei Chorkonzerte am Konzerthaus unter der organisatorischen und künstlerischen Ägide der Gesellschaft aufführen sollte. Der Plan von Köchert und Bot­stiber sah vor, diesen Chorzyklus im Falle einer erfolgreichen Umsetzung zu institutionalisieren und damit zu einem fixen Bestandteil im Spielplan der Gesellschaft zu machen.522 Als musikalischer Leiter engagierten sie den dänischen Komponisten und Dirigenten Paul von Klenau, der bereits mit dem Wiener SinfonieOrchester gearbeitet und das Eröffnungskonzert des Schubert-Fests dirigiert hatte. Mit dem um acht Jahre jüngeren Klenau, der wie er selbst moderner Musik gegenüber aufgeschlossen war523, gewann Bot­stiber einen produktiven Partner für seine künstlerischen Ambitionen, mit dem er offenbar auf bessere Art und Weise interagieren konnte als mit Löwe524. Ihre Zusammenarbeit blieb nicht nur auf die Chorkonzerte, in deren Rahmen Haydns »Schöpfung«, Hector Berlioz’ »La Damnation de Faust« und Bachs »Matthäus-Passion« zur Aufführung gelangten, beschränkt. Klenau war auch in Bot­stibers szenische Produktionen involviert, bei denen er abermals das Wiener Sinfonie-Orchester dirigierte. Da beide Projekte ein mehr als zufriedenstellen519 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 24. Februar 1923. KHG. 520 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1922/1923, 6. 521 Cf. Theater- und Kunstnachrichten, in  : Neue Freie Presse, 18. Jänner 1923, 8. 522 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. November 1922. KHG. 523 Wie Bot­stiber sympathisierte Klenau mit Schönberg, dessen »geniale geistige Vitalität« er etwa in einem Beitrag über atonale Musik im »Anbruch« hervorhob. Cf. Paul von Klenau, Tonal – A-Tonal, in  : Musikblätter des Anbruch 6/7–8 (1924), 309f. 524 Wie Dietrich Bot­stiber in seiner Biographie bemerkt, war Klenau ein häufiger Gast in der Familienvilla in Grinzing. Löwe erwähnt er dagegen kein einziges Mal. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 87.

Am Scheitelpunkt  : »The Nights of Splendor and Festivity«

des künstlerisches Resultat verzeichnen konnten, stimmte die euphorische Direktion zu, den Chorzyklus in der kommenden Saison fortzusetzen, und erteilte Bot­stiber die Erlaubnis für eine weitere Opernproduktion. Auf Antrag von Vizepräsident Felix Stransky wurde beschlossen, Darbietungen, die wie Bot­stibers Inszenierung von »Orfeo ed Euridice« das künstlerische Ansehen des Konzerthauses und seiner Betreibergesellschaft förderten, auch in Zukunft zu veranstalten und diese selbst dann durchzuführen, wenn kein Gewinn erwartet werden konnte.525 Gegen Ende der ersten Saison nach der Hyperinflation gestaltete sich die finanzielle Lage trotz der oben angesprochenen künstlerischen Wagnisse als äußerst zufriedenstellend und der Gesellschaft gelang es, wie Bot­stiber im November 1922 vorausgesagt hatte, einen bescheidenen Gewinn zu erzielen. Von dieser positiven Entwicklung in seinen Aktivitäten bestärkt, bereitete der Generalsekretär den Spielplan für die kommende Saison vor. In diesem Zusammenhang hatte er die Direktion bereits im Februar 1923 an das bevorstehende zehnjährige Jubiläum des Konzerthauses im kommenden Oktober erinnert und vorgeschlagen, zu diesem Anlass eine Reihe von Festveranstaltungen zu organisieren. Im Mai 1923 präsentierte Bot­stiber schlussendlich seine Ideen für die gesamte Saison. Zusätzlich zu den üblichen symphonischen und kammermusikalischen Darbietungen sah sein Entwurf eine szenische Produktion, ähnlich wie »Orfeo ed Euridice«, sowie einen Zyklus mit vier Chorkonzerten der Singakademie unter Klenaus Leitung vor. Neben Werken von Beethoven, Liszt und Bach schlug er dafür Schönbergs »Gurrelieder« vor526, an deren Realisierung er vier Jahre zuvor gescheitert war. Dieses Mal gab es, zumindest laut dem Protokoll der entsprechenden Sitzung, keinen Widerstand seitens der Direktion. Der erste Höhepunkt in der Saison 1923/1924 war demnach das zehnjährige Jubiläum des Konzerthauses am 19. Oktober 1923, das mit einer Wiederholung des Eröffnungskonzerts von 1913 begangen wurde527. Die Gesellschaft hatte ursprünglich an Ferdinand Löwe als Dirigenten gedacht, aber aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustands musste er durch Paul von Klenau ersetzt werden. Kurz danach widmete sich Bot­stiber einem anderen ambitionierten Projekt, das er in seinem im Mai präsentierten Programmentwurf nicht angeführt hatte und das im scharfen Kontrast zu den beim Jubiläumskonzert dargebotenen Werken stand. Der Generalsekretär organisierte ein Festival für moderne Musik im Konzerthaus mit Werken von ausschließlich zeitgenössischen Komponisten, das er – so lässt zumindest eine Kor525 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 24. Februar 1923. KHG. 526 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 14. Mai 1923. KHG. 527 Sowohl die Idee, das Programm des Eröffnungskonzerts zu wiederholen, als auch das Konzert an sich riefen ein positives Medienecho hervor. Cf. Josef Reitler, Chronik-Feuilleton. Musik, in  : Neue Freie Presse, 30. Oktober 1923, 5.

127

128

Das Konzerthaus und die Republik

respondenz mit Schönberg vermuten – eigentlich bereits für 1920 geplant hatte528. Im Rahmen dieser »Modernen Musikwoche« fanden vier Kammermusikkonzerte mit Kompositionen unter anderem von Egon Wellesz, Paul Hindemith und Béla Bartók, der auch selber mitwirkte, statt. Darüber hinaus verfolgte Bot­stiber erneut auch einen polyästhetischen Ansatz und arrangierte zwei moderne Tanzdarbietungen, die auf »Der Mensch und seine Sehnsucht« von Darius Milhaud und »Der holzgeschnitzte Prinz« von Bartók basierten. Den Schlusspunkt des Festivals markierten am 2. November Schönbergs »Gurrelieder«, die bereits einen Tag zuvor im Konzerthaus aufgeführt worden waren. Bot­stiber wollte sicherstellen, dass sich der organisatorische und finanzielle Aufwand auszahlte, und integrierte die Kantate aus pragmatischen Gründen sowohl in die »Moderne Musikwoche« als auch in den Chorzyklus. Wohl um die Durchführung des Projekts zu erleichtern, hatte Schönberg selbst eine Reduktion für ein kleineres Orchester und normale Chorbesetzung veranlasst529. Die Reaktionen auf die »Musikwoche« fielen unterschiedlich aus. Unterstützer moderner Musik wie der Musikwissenschaftler Paul Amadeus Pisk, Mitherausgeber der »Musikblätter des Anbruch« und Vorstandsmitglied von Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen, äußerten sich wohlwollend über Bot­stibers Bemühungen um zeitgenössische Kunst530. Rudolf Stephan Hoffmann, einer der produktivsten Autoren der »Musikblätter des Anbruch«, sah das Festival als wertvollen Beitrag zum zehnjährigen Jubiläum des Konzerthauses, in dem »im Gegensatz zur Gesellschaft der Musikfreunde auch neue Musik […] immer Unterkunft fand«531. Erwin Schäffer wiederum bewertete in der »Wiener Zeitung« vor allem die Tanzaufführungen als bedeutsame Erstaufführungen für Wien und verwies auf deren stimulierenden Effekt für das städtische Theater- und Musikleben, da das Genre der musikalischen Pantomime, das sich etwa in Deutschland, Frankreich oder der Schweiz bereits reger Pflege erfreue, in Wien noch gänzlich unbekannt sei.532 Auch für Bot­stiber selbst war das Festival ein Erfolg, vor allem hinsichtlich der Förderung moderner Musik. Denn auch wenn er in der Direktionssitzung am 7. November 1923 zugeben musste, dass es »einen Fehlbetrag ergeben und auch gewissen Widerspruch hervorgerufen«533 hatte, 528 Cf. Arnold Schönberg, Brief an Hugo Bot­stiber, 13. März 1919. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 529 Cf. Das Programm des Wiener Modernen Musikfestes, in  : Monatsblätter des Anbruch 5/9 (1923), 265. 530 Cf. Paul Amadeus Pisk, Wiener Musikleben der Gegenwart, in  : Melos – Zeitschrift für Musik 4/1 (1924), 28f. 531 Rudolf Stephan Hoffmann, Zehn Jahre Konzerthaus, in  : Monatsblätter des Anbruch 5/9 (1923), 264. 532 Cf. Erwin Schäffer, Hellerauer Ballettabend, in  : Wiener Zeitung 31. Oktober 1923, 1. 533 Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. November 1923. KHG.

Am Scheitelpunkt  : »The Nights of Splendor and Festivity«

so hatte es seiner Ansicht nach doch zumindest die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erregt. Der Widerspruch, auf den sich Bot­stiber bezog, lässt sich anhand der Kritik von Julius Korngold in der »Neuen Freien Presse« verdeutlichen. Unter anderem prangerte Korngold die Kammermusikkonzerte wegen ihrer »Schönberghaften Atonalität« an und hob das generell geringe Interesse des Publikums an den Aufführungen hervor. Für den Musikkritiker, der einige der Kompositionen gar als »Clownerie« bezeichnete, hatten die Konzerte einmal mehr bewiesen, dass moderne Musik »in Wien kaum eine Gruppe, keineswegs eine Partei hinter sich«534 hatte. Diese Meinung teilte auch Vizepräsident Felix Stransky, der die durch das Festival verursachte finanzielle Belastung betonte. Offenbar betrachtete er die »Moderne Musikwoche« als wenig geeignet, um die Reputation der Gesellschaft zu fördern. Dies hätte laut dem von ihm eingebrachten und im Februar 1923 beschlossenen Antrag ein finanzielles Risiko durchaus gerechtfertigt. So aber sprach er sich gegen das erneute Abhalten von Veranstaltungen dieser Art aus, da er befürchtete, die Gesellschaft könnte dadurch allzu sehr mit moderner Musik identifiziert werden, was die konservativen Kreise des Konzertpublikums abschrecken würde. Darum äußerte er den Wunsch, Bot­stibers Kompetenzen einzuschränken und in Zukunft ähnlich markante Veranstaltungen im Vorfeld durch die Direktion absegnen zu lassen535. Diese Forderung ähnelte Stranskys Vorschlag aus dem Jahr 1919, demzufolge das Hauskomitee auch die Aktivitäten des Konzertbüros überwachen sollte536. Im Gegensatz zur »Modernen Musikwoche« traf der Rest des von Bot­stiber erstellten Saisonprogramms offensichtlich den Geschmack der Direktion. Als der Generalsekretär jedoch im Februar 1924 um Erlaubnis bat, eine Festwoche anlässlich des 100. Jahrestages der Uraufführung von Beethovens »9. Symphonie« am 7. Mai auszurichten, wurde seine Idee abgelehnt und ihm stattdessen nur ein einziges Konzert

534 Julius Korngold, Musik, in  : Neue Freie Presse, 3. November 1923, 3. 535 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. November 1923. KHG. 536 In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass Bot­stiber im Februar 1923 von sich aus die Direktion um Anweisung bat, für welche Art von Vorträgen er die Konzertsäle zur Verfügung stellen durfte. Anlass für den Wunsch nach einer Vermietungsrichtlinie war ein Vortrag über sexuell-pathologische Verbrechen des deutschen Arztes und Sexologen Magnus Hirschfeld am 4. Februar 1923. Damals hatten nationalsozialistische Demonstranten die Veranstaltungen gestört und die Zuhörer brutal attackiert. Die Direktion wies Bot­stiber daher an, die größte Vorsicht bei der Vermietung der Säle walten zu lassen und Vorträge mit politischem, sexuellem oder erotischem Inhalt abzuweisen. Cf. Sturmszenen im Konzerthaussaale. Gewaltsame Störung eines Vortrages des Sexualforschers Dr. Magnus Hirschfeld, in  : Neue Freie Presse, 5. Februar 1923, 7  ; Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 24. Februar 1923. KHG.

129

130

Das Konzerthaus und die Republik

zugestanden.537 Diese Entscheidung basierte aber nicht auf künstlerischen, sondern vielmehr auf finanziellen Überlegungen. Das Konzert selbst stellte sich als Erfolg heraus, ebenso wie Bot­stibers zweite szenische Produktion, »Acis und Galathea« von Georg Friedrich Händel, bei der er abermals Regie führte. Zudem fielen auch die vier Chorkonzerte sowie die Zusammenarbeit mit Paul von Klenau dermaßen zufriedenstellend aus, dass die Konzerthausgesellschaft bestrebt war, die Beziehung zur Singakademie zu intensivieren und den Chorzyklus zu einer permanenten Einrichtung zu machen. Zudem engagierte die Direktion Klenau, der um einen fixen Vertrag mit der Gesellschaft gebeten hatte, als ihren neuen Konzertdirektor.538 In welchem Ausmaß sich Klenaus Ernennung auf Bot­stibers Rolle für die künstlerischen Agenden der Gesellschaft auswirkte, lässt sich nur teilweise abschätzen. Tatsächlich war es nun der Konzertdirektor, der der Direktion das beabsichtigte Programm für die Chorkonzerte der kommenden Saison im Mai 1924 präsentierte. Aber da die beiden Männer eng zusammenarbeiteten, wie verschiedene Beispiele zeigen539, ist davon auszugehen, dass Bot­stiber weiterhin an den künstlerischen Planungen beteiligt war und den Entwurf gemeinsam mit Klenau vorbereitete. Nichtsdestotrotz hallte das Echo der »Modernen Musikwoche« in Bezug auf die Programmgestaltung noch immer nach. Zwar akzeptierte die Direktion Klenaus Entwurf, der neben Bach, Händel und Berlioz mit Frederick Delius zumindest einen zeitgenössischen Komponisten beinhaltete. Aber als der Dirigent eine weitere szenische Produktion vorschlug, fiel die Antwort zögerlich aus. So war die Vorraussetzung für die Zustimmung der Direktion die Auswahl eines »Meisterwerks«, das einerseits als »der Aufführung würdig« eingestuft werden musste und andererseits kein Defizit mit sich bringen durfte.540 Angesichts dieser Reserviertheit gegenüber jeglichen künstlerischen Abenteuern ist es bemerkenswert, dass es Klenau gelang, seine eigenen Werke in den Spielplan der Gesellschaft einfließen zu lassen, wobei er sich der Rivalität zwischen dieser und den privaten Konzertveranstaltern bediente. Als der Dirigent die Direktion über Hugo Hellers Vorschlag in Kenntnis setzte, drei symphonische Konzerte mit ausschließlich seinen Kompositionen zu organisieren, bestand diese offenbar 537 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 13. Februar 1924. KHG. 538 Gemäß der Vereinbarung sollte Klenau die Chorkonzerte und eventuell auch andere Veranstaltungen der Konzerthausgesellschaft im Ausmaß von bis zu zwölf Aufführungen im Jahr dirigieren. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 15. Jänner 1924. KHG. 539 Im Rahmen der Vorbereitungen für das Jubiläumskonzert von Beethovens »9. Symphonie« am 7. Mai 1923 besuchten Bot­stiber und Klenau gemeinsam den Musikwissenschaftler Heinrich Schenker, der sie in historischer Aufführungspraxis beriet, und diskutierten ihre Ideen mit ihm. Cf. Tagebucheintrag von Heinrich Schenker, 30. April 1924. Schenker Documents Online. Online  : http://www. schenkerdocumentsonline.org [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 540 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 13. Mai 1924. KHG.

Am Scheitelpunkt  : »The Nights of Splendor and Festivity«

aus Eifersucht darauf, die Darbietungen im Namen der Konzerthausgesellschaft unter Mitwirkung der Wiener Philharmoniker stattfinden zu lassen.541 Eine mögliche Zusammenarbeit mit Heller wurde zwar als Option gesehen, sollte aber höchstens auf finanzielle und administrative Aspekte wie den Kartenverkauf beschränkt bleiben. Mit Klenau als die offizielle Galionsfigur der Gesellschaft in künstlerischen Fragen wurde Bot­stiber wieder aus der zweiten Reihe heraus tätig. Dies bedeutet aber nicht, dass er seine Mission, die künstlerische Entfaltung seines Arbeitgebers zu fördern, vernachlässigte. So gelang es ihm im Februar 1925 endlich, Schönbergs symphonische Dichtung »Pelleas und Melisande« zu realisieren, deren Aufführung er bereits für die Saison 1919/1920 angedacht hatte. Dieses Mal war sein Partner in künstlerischer Hinsicht aber nicht Klenau, sondern der niederländische Dirigent Dirk Fock, der seit Oktober 1924 regelmäßig mit dem Wiener Sinfonie-Orchester zusammenarbeitete. Jedoch gab es in der Saison 1924/1925 mehrere Ereignisse, die die Arbeit des Generalsekretärs gravierend erschwerten. Ein aufsehenerregender Vorfall ereignete sich im Februar 1925, als Bot­stiber öffentlich beschuldigt wurde, die Konzertagentur EGIS bei der Vergabe der Konzertsäle zu bevorzugen. Laut mehreren Zeitungsberichten hatte EGIS aufgrund der Tatsache, dass der Generalsekretär eine enge Verbindung zu ihr unterhielt, ein Monopol auf das Konzerthaus. Diese Behauptung war nicht vollständig aus der Luft gegriffen, da Bot­stiber seit seiner Rückkehr aus dem Krieg neben seiner regulären Anstellung tatsächlich auch anderen Geschäften nachging. Bereits im März 1919 hatte er die Konzerthausgesellschaft mit der Bitte um Erlaubnis von seiner Absicht unterrichtet, sich an einem Druckerei- und Verlagsunternehmen zu beteiligen und unter Umständen auch in dessen Aufsichtsrat tätig zu werden. Die Direktion, zu diesem Zeitpunkt unter der Führung von Karl August von Artaria, hatte dem Generalsekretär die von ihm gewünschte Genehmigung ohne weitere Diskussionen erteilt.542 Als 1923 die Konzertagenturen Gutmann, Ika und Symphonia, die die Säle des Konzerthauses häufig gemietet hatten, sowie das auf Theater spezialisierte Verlagshaus Eirich zu einer neuen Aktiengesellschaft namens EGIS fusionierten, zeigte Bot­stiber abermals Interesse, dieser als Verwaltungsrat beizutreten und in der Geschäftsführung der Verlagssparte tätig zu werden.543 Um ihr Einverständnis zu erlangen, erklärte er der Direktion gegenüber, dass sein zusätzliches Betätigungsfeld keinerlei Einfluss auf seine Pflichten für die Konzerthausgesellschaft nehmen werde. Da sich das neue Unternehmen auch um ein Geschäftslokal im Kon541 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 13. Mai 1924. KHG. 542 Um welches Unternehmen es sich konkret gehandelt hatte, geht aus dem entsprechenden Sitzungsprotokoll nicht hervor. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 18. März 1919. KHG. 543 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. November 1923. KHG.

131

132

Das Konzerthaus und die Republik

zerthaus bewarb, engagierte der Generalsekretär einen unabhängigen Sachverständigen zur Evaluierung dessen Mietwerts, wobei die EGIS-Vertreter in weiterer Folge den ihnen genannten Mietzins ohne weitere Verhandlungen akzeptierten. Auf diese Weise versuchte Bot­stiber, Objektivität zu demonstrieren. Im Gegensatz zum März 1919 war die Direktion jedoch dieses Mal über die Ambitionen ihres Generalsekretärs beunruhigt. Erst nach eingehender Beratung wurde der Bitte Bot­stibers entsprochen, aber auch ausdrücklich festgehalten, dass er EGIS nicht als offizieller Vertreter der Konzerthausgesellschaft, sondern nur als Privatperson beitreten werde. Darüber hinaus stellte die Direktion klar, dass sie den Generalsekretär auffordern werde, sich für einen Arbeitgeber zu entscheiden, sollte sich durch seine Doppelfunktion ein schwerwiegender Kompetenzkonflikt ergeben.544 Die angebliche Bevorzugung der EGIS bei der Vergabe der Konzerthaussäle war ein solcher Kompetenzkonflikt, der im Februar 1925 von der Presse aufgegriffen wurde. Als sogar der Wiener Gemeinderat der Angelegenheit Beachtung schenkte, forderte die sichtlich nervöse Direktion Bot­stiber auf, seine Aktivitäten für EGIS im Detail offenzulegen545. Nach seinem Bericht in der Direktionssitzung am 3. Februar, an die sich eine Aussprache anschloss, kamen deren Mitglieder zum Urteil, dass die Vorwürfe komplett haltlos waren, und einigten sich auf eine Richtigstellung durch Präsident Köchert auf der am 6. Februar stattfindenden Generalversammlung  : Das Präsidium der Wiener Konzerthausgesellschaft sieht sich veranlaßt, verschiedenen in der Öffentlichkeit verbreiteten unrichtigen Darstellungen auf das nachdrücklichste entgegenzutreten und festzustellen, daß es bei der Vergebung von Sälen des Wiener Konzerthauses weder für eine bestimmte Gruppe von Unternehmungen noch für einzelne derselben ein Monopol oder Vorzugsrecht gibt, wie aus den seitens des Büros genau geführten Statistiken hervorgeht. Die Säle des Konzerthauses werden an jeden Interessenten vermietet, der genügende Sicherheit in künstlerischer und finanzieller Hinsicht bietet und sich entsprechend geraume Zeit vorher im Büro der Konzerthausgesellschaft meldet. […] Die Betätigung des Generalsekretärs der Konzerthausgesellschaft, Dr. Hugo Bot­stiber, bei einem anderen Unternehmen, und zwar in einem Zweige desselben, welcher nicht mit dem Konzertwesen im Zusammenhang steht, ist mit ausdrücklicher, auf Grund eines Sitzungsbeschlusses erteilter Genehmigung der Direktion erfolgt und hat bisher zu irgend welchen Beschwerden nicht den geringsten Anlaß gegeben. Übrigens steht seine Tätigkeit in der Konzerthausgesell544 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. November 1923. KHG. 545 Bot­stibers Bericht war ursprünglich dem Direktionssitzungsprotokoll vom 3. Februar beigefügt, ist jedoch nicht mehr auffindbar. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 3. Februar 1925. KHG.

Am Scheitelpunkt  : »The Nights of Splendor and Festivity«

schaft unter steter Kontrolle der Direktion und des Präsidiums, welche die einwandfreie, in ihrem Sinne erfolgte Führung der Agenden des Konzerthauses jederzeit festzustellen in der Lage ist.546

Mit Köcherts Erklärung wurde die Angelegenheit letztendlich bereinigt. Bot­stiber konnte sich allerdings nur für wenige Wochen wieder seinem Alltagsgeschäft widmen. Im April 1925 erlitt er einen Schlaganfall und konnte weder sprechen noch seinen linken Arm und sein linkes Bein bewegen. Auch wenn er sich während der nachfolgenden Monate wieder weitgehend erholte, hinterließ der Vorfall Spuren547. Laut seinem Sohn Dietrich konnte er weder Klavier spielen noch längere Strecken zu Fuß bewältigen und vor allem das Treppensteigen stellte eine große Belastung dar. Ob es einen Zusammenhang zwischen den Anschuldigungen gegen ihn, die gewiss eine mentale Belastung darstellten, und seinem Gesundheitszustand gab, lässt sich nicht feststellen. Daran, dass Letzterer während seiner Genesung sogar in den Medien thematisiert wurde und ihm zahlreiche Besucher ihre Aufwartung machten548, merkte Dietrich aber jedenfalls nach eigener Aussage erst, was für ein wichtiger Mann sein Vater war.549 Für die Konzerthausgesellschaft, die am 6. Jänner 1925 bereits den Tod Ferdinand Löwes, ihres langjährigen Konzertdirektors, hatte hinnehmen müssen, stellte Bot­ stibers Erkrankung einen weiteren dramatischen Schlag dar. Für den Rest der Saison wurde er wie während seines Militärdienstes im ersten Weltkrieg durch Julius Kaudela ersetzt550. Bot­stibers Abwesenheit fiel mit einer Verschlechterung der finanziellen Lage der Gesellschaft zusammen. Das Geschäftsjahr konnte zwar abermals mit einem, 546 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1924/1925, 24f. 547 Bot­stiber musste sein Tätigkeitsfeld aufgrund seines Gesundheitszustands wohl zumindest temporär reduzieren und von gewissen Aktivitäten Abstand nehmen. So lässt sich eventuell erklären, warum er nicht länger als Regisseur in Erscheinung trat, obwohl die Konzerthausgesellschaft weitere szenische Aufführungen veranstaltete wie etwa »Hercules« von Georg Friedrich Händel in der Saison 1926/1927. 548 Neben Kollegen wie Paul von Klenau oder Vertreter von Institutionen wie der Singakademie oder dem Schubertbund, die Bot­stiber als ihren »eifrigsten Förderer« bezeichneten, übermittelte auch Alban Berg dem Generalsekretär mit der Bemerkung, er habe »für die ersten fünfzig Jahre […] bei Gott schon genug gearbeitet und geleistet«, seine Wünsche für eine baldige Genesung. Cf. Wiener Singakademie und Wiener Schubertbund, Schreiben an Hugo Bot­stiber, 30. April 1925. Wienbibliothek. HIN 207626  ; Alban Berg, Brief an Hugo Bot­stiber, 5. Mai 1925. Wienbibliothek. HIN 207583  ; Paul von Klenau, Brief an Luisa Bot­stiber, undatiert. Wienbibliothek. HIN 207586. 549 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 72. 550 Bot­stiber dürfte sich auch während seiner Erholungsphase nicht gänzlich von seinen Tätigkeiten am Konzerthaus zurückgezogen haben, wie ein Brief von Paul von Klenau andeutet. Bereits Ende Mai wurde er von diesem bezüglich der Vorbereitungen für die kommende Saison kontaktiert. Cf. Paul von Klenau, Brief an Hugo Bot­stiber, 25. Mai 1925. Wienbibliothek. HIN 207587.

133

134

Das Konzerthaus und die Republik

wenn auch geringen, Gewinn abgeschlossen werden, doch bei der Haupteinnahmequelle kam es zu einem massiven Einbruch. Die Zahl der Vermietungen ging von 919 in der Saison 1923/1924, dem bisherigen Bestwert, auf nur 688 zurück. Die Direktion kam daher zu dem Schluss, dass, sollte sich dieser Trend fortsetzen, in Zukunft höchstwahrscheinlich mit Verlusten zu rechnen sei.551 Unglücklicherweise sollte sie mit dieser Annahme recht behalten.

Stagnation und Auster ität Angesichts der finanziellen Entwicklung verfolgte die Konzerthausgesellschaft bei der Programmgestaltung in zunehmendem Maß einen profitorientierten Ansatz. Als Paul von Klenau im April 1925 der Direktion seinen Vorschlag für die Chorkonzerte der nächsten Saison mit Werken von Bach, Händel und Beethoven präsentierte, fiel deren Reaktion entsprechend wohlwollend und enthusiastisch aus552, da die barocken und vor allem die klassischen Meister nach wie vor das konservative Konzertpublikum ansprachen und ausverkaufte Konzertsäle erwarten ließen. Angesichts stagnierender Vermietungen hatte Vizepräsident Stransky seinen eigenen Vorschlag, finanzielle Verluste bei künstlerisch wertvollen Produktionen in Kauf zu nehmen, längst über Bord geworfen. Die Gesellschaft sollte seiner Meinung nach von Veranstaltungen Abstand nehmen, die sich unter Umständen als finanzielle Belastung herausstellen könnten. Von Bot­stiber, der zu Beginn der Saison von seiner unfreiwilligen Ruhepause zurückkehrt war, wurde insofern verlangt, für jedes Konzert eine präzise Kalkulation zu erstellen und diese der Direktion vorzulegen. Diese Kalkulationen dienten Letzterer als Entscheidungsbasis, ob eine bestimmte Veranstaltung durchgeführt werden solle oder nicht. Als etwa im Februar 1926 die Frage im Raum stand, ob die »Große Messe mit Te Deum« von Julius Bittner, die im Rahmen des Chorzyklus uraufgeführt worden war, wiederholt werden solle, gab die Direktion nur unter der Voraussetzung ihre Zustimmung, dass die von Bot­stiber kalkulierten Ausgaben von 4.200 Schilling eingehalten würden553. Der signifikante Rückgang bei den Vermietungen und die daraus resultierende angespannte finanzielle Lage war eine Folge des durch Spekulationen verursachten Börsenkrachs von 1924 und dem anschließenden Bankensterben, dem in Wien 30 von 66 Aktienbanken zum Opfer fielen554. Aber trotz der steigenden Arbeitslosigkeit 551 552 553 554

Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1924/1925, 9. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 20. April 1925. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 17. Februar 1926. KHG. Cf. Hanisch, Gesellschaftsgeschichte, 283.

Stagnation und Austerität

aufgrund der anhaltenden Krise im Finanzsektor kam es ab 1925 zu einer bescheidenen wirtschaftlichen Erholung. Dafür verantwortlich war zum Teil das »Goldene Zeitalter« des österreichischen Fremdenverkehrs555, als zwischen den Jahren 1924 und 1928 die Zahl ausländischer Touristen massiv anstieg. Während sich die westlichen Landesteile zu Hochburgen des Wintersports entwickelten, konzentrierte sich Wien auf seine Selbstinszenierung als »Stadt der Musik«, die bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen hatte556. Um den musikalischen Charakter der Hauptstadt zu betonen und Musikliebhaber und Kulturtouristen in großem Umfang anzulocken, wurde eine Reihe spezieller Veranstaltungen auf die Beine gestellt, deren Wurzeln auf die unmittelbare Nachkriegszeit und Bot­stibers ehemaligen Mentor Guido Adler zurückgingen. In einem Artikel in der »Neuen Freien Presse« vom 26. März 1920 hatte dieser vorgeschlagen, das reiche musikalische Erbe des Landes zur Stimulierung der Wirtschaft zu nutzen. Er dachte dabei an die Organisation von sogenannten Musikfesten557 und hatte sich diesbezüglich bereits 1919 an die Gemeinde Wien gewandt, die dem Vorschlag wohlwollend gegenüberstand. Das Resultat von Adlers Bemühungen waren die von David Josef Bach im Mai und Juni 1920 veranstalteten Meisteraufführungen Wiener Musik, an denen auch Bot­ stiber als Mitglied des erweiterten Organisationskomitees mitwirkte558. Ihnen folgten im September und Oktober 1924 das Musik- und Theaterfest der Stadt Wien, das ebenfalls auf eine Idee Adlers zurückging und abermals von Bach organisiert wurde, sowie ab 1927 die Wiener Festwochen nach. Letztere wurden jeweils im Juni vom städtischen Fremdenverkehrsbüro ausgerichtet und umfassten nicht nur eine breite Palette von Darbietungen mit verschiedenen Musikrichtungen, sondern auch Sportveranstaltungen559. Als eine der bedeutendsten Konzertinstitutionen Wiens war die Konzerthausgesellschaft selbstredend bestrebt, sich an diesen Festivals zu beteiligen, für die zum Teil auch die Räumlichkeiten des Konzerthauses genutzt wurden560. Aus diesem Grund war zumindest temporär wieder eine höhere Nachfrage nach den Sälen der Gesellschaft gegeben. Obwohl die Buchungsquote auch weiterhin weit unter dem 555 Cf. Sandgruber, Wirtschaftsgeschichte, 376. 556 Für eine detaillierte Studie zum Topos von Wien als Musikstadt siehe Martina Nußbaumer, Musikstadt Wien. Die Konstruktion eines Images. Edition Parabasen 6 (Freiburg/Breisgau et al. 2007). 557 Cf. Guido Adler, Wiener Musikfeste, in  : Neue Freie Presse, 26. März 1920, 1–3. 558 Cf. Gabriele Eder, Wiener Musikfeste. Zwischen 1918 und 1938. Ein Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung. Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte 6 (Wien und Salzburg 1991), 43. 559 Cf. Eder, Musikfeste, 353f. 560 Im Rahmen des Musik- und Theaterfests von 1924 wurde sogar eine avantgardistische Raumbühne im Mozart-Saal installiert. Cf. Dietrich, Wlasits, 75 Jahre, 29.

135

136

Das Konzerthaus und die Republik

Spitzenwert der Saison 1923/1924 mit 919 Vermietungen blieb und in der Spielzeit 1925/1926 ihren historischen Tiefststand mit 577 Vermietungen erreichte, stabilisierte sie sich zumindest während der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und pendelte sich bei rund 600 Vermietungen pro Jahr ein. Nichtsdestotrotz sah die Direktion die Notwendigkeit gegeben, eine neue Strategie zu verfolgen, um der drohenden Verschlechterung der finanziellen Lage entgegenzuwirken. Denn vor allem in der Saison 1925/1926 schwebte diese wie ein Damoklesschwert über der Konzerthausgesellschaft, als angesichts des oben erwähnten massiven Einbruchs bei den Vermietungen erstmals seit vier Jahren wieder mit einem operativen Verlust zu rechnen war. Als Bot­stiber und Klenau daher im Juni 1926 der Direktion ihren Entwurf für die Chorkonzerte für die kommende Saison präsentierten, äußerte sich diese zwar wohlwollend über die Werkauswahl und genehmigte sie auch, beauftragte den Generalsekretär aber zugleich, ein finanzielles Präliminare für die beabsichtigten Darbietungen nachzureichen.561 Diese Vorgehensweise wurde letztendlich zur Regel. Die Direktion wies Bot­stiber an, Programmvorschläge in Zukunft nur in Verbindung mit einem Kostenvoranschlag vorzulegen, deren Bewertung in erster Linie Finanzreferent Stransky oblag.562 Darüber hinaus wurden rigorose Einsparungsmaßnahmen beschlossen. Diese konzentrierten sich naturgemäß auf das künstlerische Programm, das von der Direktion zunehmend als finanzielle Belastung gesehen wurde. Wie im Jahresbericht für die Saison 1926/1927 bekannt gegeben wurde, reichten die Erlöse aus den Kartenverkäufen längst nicht aus, um die Kosten für die eigenen Konzerte zu decken. Aufgrund des Rückgangs an Vermietungen auf der einen und dem Anstieg bei Betriebs-, Personal- und Materialkosten sowie Steuern und Abgaben auf der anderen Seite war die Gesellschaft nicht mehr länger in der Lage, dieses Defizit auf Dauer zu verkraften.563 Als Konsequenz kündigte die Direktion eine Reduktion der eigenen künstlerischen Aktivitäten an. Diese öffentliche Verlautbarung war primär taktischer Natur, da sie nicht zuletzt als Botschaft an die Bundesregierung und die Gemeinde Wien zu werten ist. Denn die Besteuerung vor allem in Form der sogenannten Lustbarkeits- und Fürsorgeabgaben stellte eine signifikante Belastung für das Budget der Gesellschaft dar und war deshalb seit Jahren Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen dieser und der öffentlichen Verwaltung. Die Lustbarkeitsabgabe war im Juli 1919 eingeführt worden. Damals hatte der Wiener Gemeinderat, in dem die Sozialdemokraten seit den Wahlen im Mai 1919 561 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Juni 1926. KHG. 562 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Juni und 16. Juni 1926. KHG. 563 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1926/1927, 6.

Stagnation und Austerität

die absolute Mehrheit besaßen, angesichts der katastrophalen Zustände in der Nachkriegszeit beschlossen, von einer Besteuerung »lebenswichtiger Aufwendungen« Abstand zu nehmen und sich stattdessen auf das nicht »unbedingt Notwendige«, also Luxusartikel und dergleichen, zu konzentrieren.564 Für musikalische Darbietungen, die als Luxus gewertet wurden, hatte sich der Steuersatz bis 1926 auf bis zu 15 Prozent der Einnahmen belaufen565. Obwohl sie zu einer wichtigen Einkommensquelle geworden war, wurde die Lustbarkeitsabgabe von der Opposition scharf kritisiert. Die Christlichsozialen betrachteten sie als Grund für das »Absinken des Wiener Kulturlebens, die Not der Künstler und die schlechte Finanzlage der Theater«566 und stießen sich an der Tatsache, dass die Höhe der Abgabe mit der zuständigen Behörde verhandelt werden konnte. Denn von Anfang an hatte die Möglichkeit der Gewährung eines Nachlasses oder einer Pauschalierung bestanden, abhängig vom guten Willen des jeweiligen Beamten. So versuchte auch Bot­stiber, für die Konzerthausgesellschaft ein günstiges Arrangement zu treffen, wie noch zu sehen sein wird. Die Fürsorgeabgabe wiederum war von den Arbeitgebern für ihre Belegschaft zu entrichten. Sie war vom Gemeinderat der Stadt Wien im August 1920 beschlossen worden und hatte sich zunächst auf zwei Prozent des Nettolohns der Angestellten belaufen, sich aber im Lauf der Jahre mehrmals erhöht567. Da sie nur für gewinnorientierte Unternehmungen galt, fühlte sich die Konzerthausgesellschaft, die sich selbst als gemeinnützige Einrichtung verstand, nicht von ihr betroffen. Der Umstand, dass die städtische Verwaltung diese Ansicht jedoch nicht teilte, hatte bereits 1923 zu einem Streit zwischen den beiden Parteien geführt und die Konzerthausgesellschaft letztendlich dazu veranlasst, sich mit einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu wenden568. Eine Revision der Fürsorgeabgabe im Mai 1927 ließ die Wogen erneut hochgehen. Die Frage, ob eine Besteuerung der Konzerthausgesellschaft zulässig sei oder nicht, betraf dieses Mal auch den Konzertverein, obwohl das zuständige Bezirksamt bereits 1908 festgestellt hatte, dass es sich bei diesem um kein kommerzielles Unternehmen handle.569 564 Bereits während der Endphase des Krieges hatte es eine Gemeindeabgabe für öffentliche Aufführungen gegeben, die sich auf vier bis zehn Prozent belaufen hatte und für Armenzwecke vorgesehen gewesen war. Cf. Ott, Kulturpolitik, 32f. 565 Für Filmvorträge mit dem Titel »Das schaffende Amerika«, die die Konzerthausgesellschaft gemeinsam mit der Reederei Norddeutsche Lloyd im Mai 1927 veranstaltete, belief sich die Lustbarkeitsabgabe gar auf 28 Prozent. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 14. Mai 1927. KHG. 566 Ott, Kulturpolitik, 38. 567 Cf. Karl Sablik, Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer (Frankfurt/Main 2010), 199. 568 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. November 1923. KHG. 569 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 14. Mai 1927. KHG.

137

138

Das Konzerthaus und die Republik

Angesichts möglicher Steuerforderungen war die Konzerthausgesellschaft daher bemüht, ihren gemeinnützigen Charakter zu betonen. Die Ankündigung, die künstlerische Tätigkeit einzuschränken, kann insofern sowohl als Druckmittel, um Zugeständnisse in der Steuerfrage zu erzielen, als auch als subtile Aufforderung an Stadt und Bund zur Vergabe von Subventionen verstanden werden. Der Wortlaut der entsprechenden Passage im Direktionsbericht der Saison 1926/1927 stützt diese Annahme. Denn wie an dieser Stelle besonders hervorgehoben wird, erhielt die Konzerthausgesellschaft keinerlei Unterstützung durch die öffentliche Hand und war in finanzieller Hinsicht vollkommen auf sich allein gestellt.570 Bereits in der Saison 1926/1927 war es zu den ersten Einsparungen gekommen, als der Chorzyklus von vier auf drei Konzerte reduziert worden war. In Übereinstimmung mit der Ankündigung der Direktion, die künstlerischen Tätigkeiten einzuschränken, blieb dies bis 1928 der Fall, als das Bundesministerium für Unterricht erstmals eine Subvention von 1.500 Schilling genehmigte571. Neben einer Verringerung der Aufführungen an sich versuchte die Direktion aber auch, die Kosten für die noch stattfindenden Konzerte durch Kürzungen bei den Honoraren der mitwirkenden Musiker einschließlich des Konzertdirektors zu minimieren572. Dabei wurden in erster Linie die Gagen der Solisten ins Auge gefasst, da nur bei diesen tatsächlich Potential bestand, Einsparungen zu erzielen.573 Dieses Vorhaben stellte sich allerdings als nur schwer durchführbar heraus, da es entweder die Verpflichtung durchschnittlicher Künstler erfordert hätte, was unmittelbar negative Auswirkungen auf die Qualität der Konzerte und daher auf die Reputation der Gesellschaft gehabt hätte, oder aber hervorragendes Verhandlungsgeschick, um renommierte Musiker und Sänger zu überzeugen, auch für weniger Geld im Konzerthaus aufzutreten. Bot­stiber, in dessen Aufgabenbereich die Gagenverhandlungen fielen, versuchte immer wieder, Künstler unter dem Hinweis auf die idealistischen Ziele der Konzerthausgesellschaft und des Konzertvereins dazu zu bewegen, ein geringeres Honorar zu akzeptieren574. Dass dieses Unterfangen nicht immer von Erfolg gekrönt war und 570 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1926/1927, 6. 571 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1928/1929, 6. 572 Im April 1928 gestand die Direktion Klenau auf dessen Ansuchen hin zu, sein Gehalt in der kommenden Spielzeit wieder auf die im März 1926 vereinbarte Summe von 10.000 Schilling für zwölf Aufführungen inklusive Generalproben pro Saison zu erhöhen, was eine zeitweilige Kürzung vermuten lässt. Ebenfalls dafür spricht, dass der Dirigent im Februar 1928 quasi als Kompensation ein Ehrenhonorar für die künstlerisch und finanziell gelungene Aufführung von Mahlers »8. Symphonie«, die mehr Probenarbeit erfordert hatte, erhielt. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. März 1926, 3. Februar 1928 und 11. April 1928. KHG. 573 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. November 1927. KHG. 574 1906 hatte etwa der Pianist Guido Peters, den Bot­stiber für den Konzertverein hatte engagieren

Stagnation und Austerität

mitunter auch Unmut hervorrief, wird durch mehrere Beispiele belegt. So hatte sich auch Arnold Schönberg in einem Brief an Paul von Klenau im Zuge der Vorbereitungen für die »Gurrelieder« bei der »Modernen Musikwoche« 1923 über seinen Freund beschwert  : Lieber Herr von Klenau, ich bin sehr, sehr bös über Bot­stiber. Ich sollte eigentlich meinen, dass wenn ich einen Sänger empfehle, man annimmt, dass der besonders empfehlenswert ist  ; Nicht umgekehrt. Und nun geschieht gerade das Gegenteil davon  : Bot­stiber hat sofort bemerkt, dass Frau Freund ein gewisses Interesse daran hat, diese Partie in Wien zu singen, weil wir damit […] nach Amerika gehen werden, und schon versucht er, sie zu drücken. Ich bin so böse, dass ich wirklich Lust habe, auch meinerseits wenig Entgegenkommen zu zeigen und ich weiss nicht, ob das nicht unter Umständen unangenehmer werden könnte  !575

Sparmaßnahmen waren jedoch nur eine Seite der Medaille. Das Defizit der eigenen Konzerte der Gesellschaft resultierte nicht nur aus den enormen Kosten für das künstlerische Personal, sondern war auch das Ergebnis sinkender Zuhörerzahlen. Die Fokussierung der Direktion auf ein traditionell-konservatives Repertoire brachte dahingehend keine merkbare Verbesserung mit sich. Im Gegensatz zu vorangegangenen Saisonen war es nicht mehr länger selbstverständlich, dass die Werke der barocken und klassischen Meister ausverkaufte Konzertsäle und daher positive Bilanzen garantierten. In seiner Kostenkalkulation für die Chorkonzerte der Saison 1927/1928 rechnete Bot­stiber mit einem Verlust von 4.000 Schilling bei Mahlers »8. Symphonie«, aber auch mit einem Defizit von 2.000 Schilling bei Beethovens »Missa Solemnis« und 3.000 Schilling bei Bachs »Matthäus-Passion«.576 Angesichts dieser Vorhersage zeigte sich Felix Stransky über die zu erwartenden negativen Auswirkungen der Konzerte auf die Gesellschaftsfinanzen besorgt und schlug daher sowohl eine Abänderung des Programms als auch eine Senkung der Kartenpreise vor. Im Gegensatz zu Stransky war Bot­stiber nicht daran gelegen, der finanziellen Schieflage ausschließlich mit Sparmaßnahmen zu begegnen. Vielmehr zeigte er sich bemüht, den Gründen für den schwachen Publikumsbesuch nachzugehen. Seiner wollen, sein Angebot abgelehnt. Ähnlich verhielt es sich mit Heinrich Schenker, der 1914 am Konzerthaus Vorlesungen über Beethoven-Sonaten hätte halten sollen. Cf. Hugo Bot­stiber, Brief an Guido Peters, 10. März 1906. ÖNB. Handschriftensammlung 1009/3-1 Han  ; Hugo Bot­stiber, in  : Schenker Documents Online. Online  : http://www.schenkerdocumentsonline.org [letzter Zugriff  : 23. Oktober 2013]. 575 Arnold Schönberg, Brief an Paul von Klenau, August 1923. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 12. März 2015]. 576 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 14. Mai 1927. KHG.

139

140

Das Konzerthaus und die Republik

Meinung nach war das Hauptproblem der Wettbewerb zwischen der Vielzahl von Konzertveranstaltern und dem Überangebot an musikalischen Darbietungen in Wien577. Er schlug daher vor, den Markt durch das Unterrichtsministerium zu regulieren und die Anzahl der Konzerte zu begrenzen, um dadurch eine höhere Nachfrage zu schaffen, was allen involvierten Parteien zugutekäme.578 Der Vertreter des Ministeriums in der Direktion der Gesellschaft, Sektionschef Rudolf Förster-Streffleur war jedoch nicht bereit, sich in die Angelegenheiten der privaten Konzertagenturen einzumischen, und lehnte den Vorschlag daher ab. Stransky vertrat einen ähnlichen Standpunkt. Seiner Ansicht nach sollte sich die Gesellschaft nicht auf die Mitbewerber, sondern ausschließlich auf ihre eigene Entwicklung konzentrieren und nur eine tragbare und an die äußeren Umstände angepasste Zahl von Konzerten organisieren. Die Mehrheit der Direktion teilte seine Meinung offenbar, denn die Anfrage einer Konzertagentur namens Musica, gemeinsam eine Darbietung mit Ätherwellenmusik mit dem Erfinder des Aetherophons, Leon Theremin, durchzuführen, wurde aus finanziellen Überlegungen umgehend abgelehnt579. Abgesehen vom übersättigten Wiener Konzertleben und der Konkurrenz durch die kommerziellen Konzertveranstalter wurde die Lage für Bot­stiber und die Konzerthausgesellschaft durch die Schaffung der Radio Verkehrs AG oder Ravag, der ersten Rundfunkanstalt Österreichs, zunehmend verkompliziert. Wie Präsident Köchert auf der Generalversammlung der Gesellschaft im März 1929 verkünden sollte, nahm das Interesse des Publikums am Besuch von Konzerten aufgrund des technischen Fortschritts in Form von Radio und Grammophonaufnahmen sowie der wachsenden Begeisterung für Sport zunehmend ab.580 Aber auch wenn die Ravag von den Konzertorganisatoren als ernstzunehmender Mitbewerber gesehen wurde, so waren ihre Auswirkungen auf die Aktivitäten der Konzerthausgesellschaft nicht ausschließlich negativer Natur. Kurz nach ihrer offiziellen Gründung im Oktober 1924 kam es zu Verhandlungen zwischen Bot­stiber und dem Generaldirektor der Ravag, Oskar Czeija. Dieser war bestrebt, die Darbietungen der Konzerthausgesellschaft in das Sendeprogramm aufzunehmen, wollte dafür aber keine finanzielle Gegenleistung 577 Dieser Meinung war auch Paul Amadeus Pisk, demzufolge das eigentliche Musikleben Wiens durch einen geschäftsorientierten Musikbetrieb überwuchert wurde, wodurch die Zahl der Konzerte zwar zugenommen hatte, der tatsächliche künstlerische Wert aber gesunken war. Cf. Paul Amadeus Pisk, Wiener Musikleben der Gegenwart, in  : Melos – Zeitschrift für Musik 4/1 (1924), 28. 578 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 11. Oktober 1927. KHG. 579 Für die Entscheidung der Direktion war ausschlaggebend, dass das finanzielle Risiko der Veranstaltung zur Gänze auf der Konzerthausgesellschaft lasten würde, da Musica über keinerlei eigene Mittel verfügte. Cf. ibid. 580 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1928/1929, 16.

Stagnation und Austerität

erbringen. Als Kompromiss erlaubte die Direktion die versuchsweise Übertragung von zehn Aufführungen, stellte aber gleichzeitig klar, dass, sollte das Ergebnis zufriedenstellend und die Ravag an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert sein, eine finanzielle Kompensation jedenfalls notwendig sei.581 In dieser Hinsicht waren sich die Direktion und Bot­stiber der Vorteile einer möglichen Kooperation bewusst, die nicht nur die Möglichkeit bot, die Konzerte der Gesellschaft zu bewerben, sondern auch eine zusätzliche Einkommensquelle darstellte. Wie im Direktionsbericht der Saison 1924/1925 angemerkt ist, trug die im Testlauf gemachte Erfahrung zu einer Verbesserung der Übertragungstechnik bei582, weshalb sich die Direktion, wenn auch nach längerer Debatte583, zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit in der darauffolgenden Spielzeit entschloss. Die finanziellen Beiträge der Ravag spielten bald eine wichtige Rolle in Bot­stibers künstlerischen Planungen. Im Mai 1927 beschloss die Direktion, den Preis für die Abonnements der symphonischen Zyklen mit dem Wiener Sinfonieorchester zu senken, um ein größeres Publikum anzusprechen. Das daraus resultierende Defizit von 8.000 Schilling sollte erwartungsgemäß durch Zahlungen der Ravag für die Übertragungsrechte mehrerer Konzerte gedeckt werden.584 Darüber hinaus konnte eine Reihe von Veranstaltung überhaupt erst stattfinden, als die Ravag sich bereit erklärte, sich an ihnen zu beteiligen. In der Saison 1927/1928, als Stransky seine Besorgnis über die durch die Chorkonzerte verursachte finanzielle Belastung äußerte, änderte Bot­stiber das künstlerische Programm tatsächlich ab, was aber nicht an den Bedenken des Vizepräsidenten, sondern an einem Wunsch der Ravag lag. Diese war an einem zusätzlichen Konzert mit Mozarts »Requiem in d-Moll« interessiert, wofür auch eine der teilnehmenden Sängerinnen einen Zuschuss von 4.000 Schilling zur Verfügung stellte585. Angesichts dieser neuen finanziellen Möglichkeiten sowie die Zuerkennung einer Subvention durch das Unterrichtsministerium überlegte die Konzerthausgesellschaft, den Chorzyklus ab der Saison 1928/1929 wieder aufzustocken. Bot­stiber und Klenau strebten Mozarts »Requiem in d-Moll«, Beethovens »Missa Solemnis« und »9. Symphonie«, Schönbergs »Gurrelieder«, Bachs »Matthäus-Passion« sowie Julius Bittners »Große Messe mit Te Deum« an. Da der Generalsekretär bei Bittner ein Defizit von 3.000 Schilling erwartete, war die Vorraussetzung für die neuerliche Aufführung eine Übertragung durch die Ravag und eine damit verbundene finanzielle Beteiligung 581 582 583 584 585

Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 17. Oktober 1924. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1924/1925, 6f. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 31. Oktober 1925. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 14. Mai 1927. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 11. Oktober 1927. KHG.

141

142

Das Konzerthaus und die Republik

in der Höhe von 5.000 Schilling586, wodurch das Konzert letztendlich nur einen geringen Verlust für die Konzerthausgesellschaft mit sich brachte. Wie diese Beispiele zeigen, wurde das Radio für Bot­stiber zunehmend zu einem Mittel, mit dem sich potentielle finanzielle Risiken bei der künstlerischen Planung abfedern ließen. Diese Risiken beschränkten sich aber wie bereits angesprochen nicht mehr nur auf zeitgenössische Komponisten, sondern betrafen mittlerweile auch die Vertreter der Wiener Klassik. In der Saison 1927/1928 konnte das »Mozart-Requiem« nur aufgrund der Ravag-Zahlung einen Überschuss von 1.451,56 Schilling verbuchen587, während Haydns »Schöpfung«, die anstelle der »Missa Solemnis« in das Programm aufgenommen worden war588, sogar einen Verlust mit sich brachte. Im Gegensatz dazu war das Ergebnis von Mahlers »8. Symphonie« sowohl in künstlerischer als auch in finanzieller Hinsicht zufriedenstellend589, obwohl Bot­stiber wie erwähnt ein Minus von 4.000 Schilling prognostiziert und Stransky einmal mehr seine Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht hatte. Insofern setzte der Generalsekretär sein Unterfangen, zeitgenössische Musik zu fördern, trotz der bescheidenen Ressourcen der Gesellschaft und dem konstanten Bestreben des Finanzreferenten, ihre künstlerische Aktivität weiter einzuschränken, auch während der späten 1920er Jahre fort. Im März 1926 veranstaltete das Konzertbüro einen Abend mit ausschließlich Werken von Igor Strawinsky unter Mitwirkung des Komponisten, der den Klavierpart übernahm. Auf dem Programm stand dabei auch die Suite »Der Feuervogel«, deren Wiener Erstaufführung erst wenige Wochen zuvor im Rahmen des Orchesterzyklus der Gesellschaft mit dem Wiener Sinfonie-Orchester unter Dirk Fock stattgefunden hatte. Im Juni desselben Jahres schlug Bot­stiber die Ausschreibung eines Kompositionspreises für ein großes zeitgenössisches Chorwerk vor. Nach angeregt geführter Debatte, in der sich besonders Paul von Klenau für Bot­stibers Idee aussprach, gab auch Felix Stransky seine Zustimmung und ein Komitee bestehend aus dem Generalsekretär, dem Konzertdirektor und dem Vertreter des Unterrichtsministeriums, Rudolf Förster-Streffleur, wurde mit der Ausarbeitung der Details beauftragt.590 Auch Schönberg hielt nach erneuter zweijähriger Abwesenheit wieder Einzug in den Spielplan der Gesellschaft, als im März 1927 »Verklärte Nacht« in der Orchesterfassung, die Bot­stiber schon für 1919 angedacht hatte, zur Aufführung gelangte. 586 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 11. April 1928. KHG. 587 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. November 1927. KHG. 588 Der Grund für die Programmänderung war eine zeitnahe Aufführung der »Missa Solemnis« im Musikverein. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 11. Oktober 1927. KHG. 589 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 3. Februar 1928. KHG. 590 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Juni 1926. KHG.

Stagnation und Austerität

Die »Gurrelieder« sowie die »Kammersymphonie« folgten im Rahmen außerordentlicher Konzerte im Jänner und November 1929, gespielt vom Wiener Sinfonie-Orchester unter Klenau und dem Rundfunkorchester Königsberg unter Hermann Scherchen. Dass vor allem die »Gurrelieder« trotz des vom Generalsekretär kalkulierten Defizits von 3.000 Schilling von der Direktion genehmigt wurden591, ist durchaus erstaunlich. Klenau und Bot­stiber waren darüber hinaus weiterhin bemüht, zumindest punktuell Werke zeitgenössischer Komponisten in die Chorzyklen, die besonders von den Sparmaßnahmen der Gesellschaft betroffen waren, zu integrieren. Obwohl es in der Saison 1926/1927 nur drei ordentliche Chorkonzerte gab, kam es zur Wiener Erstaufführung des Oratoriums »Le Roi David« von Arthur Honegger, während der Zyklus der Spielzeit 1929/1930 eine Uraufführung des deutschen Komponisten Arthur Piechler mit dem Titel »Sursum Corda« beinhaltete592. Aber trotz Bot­stibers Bemühen um die Förderung moderner Musik, des Erfolg der von ihm angeregten und organisierten Konzerte und des Erschließens neuer Einnahmequellen etwa durch die Ravag war es um die künstlerische Entfaltung der Konzerthausgesellschaft am Vorabend der Weltwirtschaftskrise schwer bestellt. Denn nach wie vor dominierte das Konzept der Rentabilität die Entscheidungen der Direktion und entgegen aller Erwartungen ließ sich auch der Konzertdirektor der Gesellschaft von dieser Denkweise anstecken. Während der Vorbereitungen für die Saison 1929/1930 schlug Bot­stiber Giuseppe Verdis »Messa da Requiem«, die »Missa Solemnis«, »Roméo et Juliette« von Hector Berlioz sowie zum Abschluss einen »russischen Abend« mit Werken von Modest Mussorgsky, Nikolai Rimski-Korsakow und Sergei Rachmaninow vor.593 Da aber die Direktion ihre Zweifel ob der Attraktivität einer solchen Darbietung äußerte, wurde die Programmgestaltung des letzten Chorkonzerts vorerst offengelassen und später ein Richard-Strauss-Abend angedacht594. Im Lauf der Saison war es aber Klenau, der erneut für eine Programmänderung plädierte. Nachdem sich sowohl das anstelle der »Missa Solemnis« aufgeführte »Sursum Corda« als auch »Roméo et Juliette« als finanzielles Desaster herausgestellt hatten, wollte er kein weiteres Risiko mehr eingehen. Er bat daher die Direktion, anstelle des StraussAbends, dem er ebenfalls ein Defizit voraussagte, Bachs »Matthäus-Passion« in den 591 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 11. April 1928. KHG. 592 Die Uraufführung von »Sursum Corda« im Großen Saal des Konzerthauses fiel mit einem vom Konzertbüro arrangierten und von Anton Webern dirigierten Konzert, das unter anderem zeitgenössische Chorkompositionen von Hanns Eisler, Ferruccio Busoni und Arnold Schönberg beinhaltete, im Mozart-Saal zusammen. 593 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 10. Mai 1929. KHG. 594 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. Juni 1929. KHG.

143

144

Das Konzerthaus und die Republik

Spielplan aufzunehmen, da diese höhere Einkünfte versprach und mit geringeren Kosten verbunden war.595 Als die Welt immer näher an den wirtschaftlichen Abgrund rückte, waren aber weder Bach noch Beethoven noch Mozart in der Lage, für ein ausgeglichenes Budget zu sorgen. Im Juni 1930 wollte Bot­stiber zwei außerordentliche Konzerte mit den Wiener Philharmonikern im Rahmen der Wiener Festwochen ausrichten. Der Kalkulation des Generalsekretärs zufolge beliefen sich die möglichen Einnahmen auf 30.000 Schilling, während die Kosten 24.000 Schilling betrugen. Die Direktion stimmte dem Vorhaben jedoch nur zu, weil die Wiener Fremdenverkehrskommission eine Ausfallsgarantie in der Höhe von 6.000 Schilling leistete.596 Die von Bruno Walter dirigierten Konzerte mit Symphonien von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert und Mahler schlugen sich letztendlich mit einem Verlust von 5.000 Schilling zu Buche597. Ungeachtet der Tatsache, dass dieser von der Ausfallsgarantie abdeckt wurde, machte das finanzielle Ergebnis deutlich, dass die »Goldenen Zwanziger Jahre« und damit Bot­stibers »nights of splendor and festivity« endgültig vorbei waren. Ein anderes für den Wandel symptomatisches, in seinen Auswirkungen auf den Generalsekretär ungleich schlimmeres Ereignis war ein Unfall, der sich ebenfalls zu dieser Zeit ereignete. Trotz der Bedenken, dies könnte angesichts der angespannten finanziellen Lage seines Arbeitgebers als exzessiver und unpassender Luxus gesehen werden, erstand Bot­stiber 1928 über den in der Fahrzeugbranche tätigen Bruder seiner Frau ein Auto, das er in Raten abbezahlte.598 Im darauffolgenden Jahr brach er sich das Schlüsselbein, als seine Neuerwerbung von einem Lastkraftwagen gerammt wurde.599 Glücklicherweise blieben sowohl seine Kinder, die mit unterwegs waren, als auch der Angestellte der Konzerthausgesellschaft, der am Steuer saß, unverletzt, aber das Fahrzeug war komplett zerstört. Während sich Bot­stiber von den Folgen des Unfalls erholte, geriet auch die Gesellschaft selbst in eine gefährliche Situation. Als das Geschäftsjahr 1929/1930 erneut ein großes Defizit im Ausmaß von 50.000 Schilling mit sich brachte600, kündigte die Direktion eine fundamentale Revision des künstlerischen Programms an. Die gesamten Kosten für den Konzertbetrieb und die Hauserhaltung sollten auf ein Minimum

595 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. März 1930. KHG. 596 Cf. ibid. 597 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 18. Juni 1930. KHG. 598 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 78. 599 Ein genaues Datum nennt Dietrich Bot­stiber nicht. Cf. ibid. 81. 600 Felix Stransky hatte im Juni 1930 sogar mit einem Verlust von 100.000 Schilling gerechnet. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 18. Juni 1930. KHG.

Stagnation und Austerität

gesenkt werden, um das Budget zu konsolidieren.601 Wie Felix Stransky in der Direktionssitzung am 18. Juni 1930 bemerkte, war »das diesjährige finanzielle Ergebnis wohl das allerschlechteste […], das die Konzerthausgesellschaft seit ihrem Bestande zu verzeichnen«602 hatte. Aber ob er zu diesem Zeitpunkt damit rechnete oder nicht, es sollten noch weitaus schlimmere Jahre bevorstehen.

601 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1929/1930, 16. 602 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 18. Juni 1930. KHG.

145

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Die Welt w irtsch aftskr ise Das Jahr 1930 stellt nicht allein für die Entwicklung der Konzerthausgesellschaft, sondern vielmehr für das gesamte Wiener Musikwesen eine Zäsur dar. Die bereits angesprochene zunehmende Popularität von Radioübertragungen, GrammophonAufnahmen und Sportveranstaltungen wirkte sich weiterhin negativ auf die Zahl der Konzertbesucher aus. Diese saßen nun, wie es der Impressario Hugo Knepler ausdrückte, lieber »›Pfui‹ oder ›Hoppauf‹ rufend, scharenweise beim Fußballmatch, beim Eishockey oder beim Boxkampf«603 anstatt ehrfürchtig und andächtig in der Oper oder im Konzertsaal zu verweilen. Dies war allerdings nur ein Aspekt der sich verändernden Rahmenbedingungen für Konzertveranstalter. Als Österreich 1930 von der Weltwirtschaftskrise erfasst wurde, fiel das Bruttonationalprodukt um 2,8 Prozent. Da dieser Abwärtstrend in den darauffolgenden Jahren anhielt604, stieg auch die Arbeitslosigkeit konstant an605. Bedingt durch die wirtschaftlichen Umstände brach die Nachfrage nach musikalischen Aufführungen erneut massiv ein, wovon sich die kommerziellen Konzertveranstalter kaum oder gar nicht mehr erholen konnten. Die Folge war ein Rückgang ihres Einflusses auf das Wiener Konzertleben sowie eine Reihe von Insolvenzen.606 Auch der oben zitierte Knepler, einer der Hauptkunden der Konzerthausgesellschaft, musste während der Saison 1930/1931 Konkurs anmelden.607 Auf der einen Seite schien dies für Bot­stiber und seinen Arbeitgeber von Vorteil zu sein, da es nun weniger Konkurrenz gab. Jedoch kürzte die Konzerthausgesellschaft in Übereinstimmung mit der Ankündigung, das eigene Programm einer vollständigen Revision zu unterziehen, ihre eigene konzertante Aktivität von 120 Veranstaltungen in der Saison 1929/1930 auf nur 72 in der Spielzeit 1931/1932 und damit um 40 Prozent. Aufgrund der geringeren Nachfrage schränkte auch das Konzertbüro seine Aktivitäten ein, während die Zahl der im Konzerthaus abgehaltenen Fremdveranstaltungen zwischen 20 und 25 Prozent sank. Da die Erlöse aus der Vermietung der Konzertsäle nach wie vor die Haupt603 Zitiert in Barta, Fäßler, Konzertdirektionen, 63. 604 Cf. Sandgruber, Wirtschaftsgeschichte, 382. 605 Cf. Hanisch, Gesellschaftsgeschichte, 295f. 606 Cf. Barta, Fäßler, Konzertdirektionen, 7. 607 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 18. Juni 1930. KHG.

Die Weltwirtschaftskrise

einnahmequelle der Gesellschaft darstellten, hatte diese Entwicklung katastrophale Auswirkungen auf ihr Budget. Die finanziellen Probleme des Konzertsektors und der Konzerthausgesellschaft blieben von der Öffentlichkeit nicht unbemerkt. Im März 1931 erschien ein Artikel in der »Neuen Freien Presse«, demzufolge sich sowohl die Konzerthausgesellschaft als auch die Gesellschaft der Musikfreunde in existentiellen finanziellen Schwierigkeiten befanden.608 Ein Nebenaspekt dieser Behauptung waren in Wiener Musikkreisen kursierende Gerüchte, dass die leitenden Beamten beider Gesellschaften bereits nach neuen Arbeitgebern Ausschau hielten  ; während der eine angeblich eine Position in der Direktion der Staatsoper ins Auge gefasst habe, sei der andere an einer Tätigkeit an der Akademie für Musik und darstellende Kunst interessiert. Obwohl im Artikel keine Namen genannt werden, ist klar, dass sich die Gerüchte auf Bot­stiber bezogen, vor allem angesichts seiner früheren Verbindung zur Akademie. Ob er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich solche Ambitionen hegte, lässt sich nicht verifizieren. Zumindest in den Protokollen der Direktionssitzungen findet sich kein Hinweis darauf, dass er daran dachte, die Gesellschaft zu verlassen. Vielmehr beschloss die Direktion umgehend, in Abstimmung mit der Gesellschaft der Musikfreunde eine klärende Gegendarstellung an die Redaktion der »Neuen Freien Presse« zu übermitteln609, die zwei Tage später auch abgedruckt wurde610. Anstatt den Arbeitgeber zu wechseln, war Bot­stiber vielmehr damit beschäftigt, die Konzerthausgesellschaft davor zu bewahren, Kneplers Schicksal zu teilen. Es war jedoch mittlerweile allen Beteiligten klar geworden, dass die Aufrechterhaltung der Konzertaktivität ohne Unterstützung durch die Bundesregierung oder die Gemeinde Wien kaum machbar war. Insofern trat die Frage nach öffentlichen Subventionen wieder in den Vordergrund. Im Gegensatz zum Konzertverein, der bereits zu Zeiten der Monarchie finanzielle Zuwendungen erhalten hatte, war die Konzerthausgesellschaft bislang vom öffentlichen Förderwesen im Großen und Ganzen übergangen worden. Nur das Unterrichtsministerium hatte ihr in den Jahren 1929 und 1930 eine Subvention von 1.500 Schilling beziehungsweise 2.000 Schilling gewährt. Als Bot­stiber und Köchert im Dezember 1930 ankündigten, die Konzertaktivität gänzlich einzustellen, sollte die öffentliche Hand der Gesellschaft nicht in größerem Ausmaße unter die Arme greifen611, erhöhte das Ministerium die Förderung für das Jahr 1931 letztend608 Cf. Krisenhafte Lage der Konzertgesellschaften, in  : Neue Freie Presse, 9. März 1931, 6. 609 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 9. März 1931. KHG. 610 Cf. Die Lage der Gesellschaft der Musikfreunde und der Konzerthausgesellschaft, in  : Neue Freie Presse, 11. März 1931, 10. 611 Cf. Wiener Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 3. Dezember 1930. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3396.

147

148

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

lich auf 2.500 Schilling. Die Hilfe war jedoch nur von kurzer Dauer, denn da auch das Bundesbudget von der Wirtschaftkrise in Mitleidenschaft gezogen wurde, sollte sie bereits 1932 wieder eingestellt werden.612 Bezüglich der städtischen Verwaltung führten die Anstrengungen Bot­stibers und der Direktion ebenfalls zu keinem zählbaren Ergebnis. Wie der Artikel in der »Neuen Freien Presse« zeigt, gab es in Kunstkreisen die Hoffnung, die Gemeinde Wien würde den strauchelnden Musikgesellschaften Beistand leisten. Aber obwohl es laut deren Vertreter in der Direktion, Gustav Scheu, durchaus die Intention zur Vergabe einer Förderung an die Konzerthausgesellschaft gegeben hatte und diesbezüglich sogar bereits verhandelt worden war613, kam es letztendlich nicht dazu. Wie die Bundesregierung und das Unterrichtsministerium sah sich auch die Gemeinde Wien einer angespannten Budgetsituation gegenüber und hatte daher beschlossen, jeden Antrag auf neue Förderungen abzulehnen614. Ironischerweise stellte die städtische Verwaltung, anstelle Hilfe zu leisten, während der Krise neue finanzielle Ansprüche an die Konzerthausgesellschaft, da der Streit über die Fürsorgeabgabe nach wie vor nicht beigelegt worden war. Der zuständige Magistrat schrieb der Gesellschaft vor, auch für die im Rahmen ihrer Konzerte auftretenden Solisten den entsprechenden Betrag abzuführen. Die Direktion betrachte diese Künstler jedoch nicht als Angestellte mit Dienstvertrag, sondern als selbständige Werkvertragsnehmer, und erhob daher gegen die Entscheidung Einspruch. Als dieser abgelehnt wurde, beschloss sie, sich abermals, und zwar im Einvernehmen mit der Gesellschaft der Musikfreunde, an den Verwaltungsgerichtshof zu wenden. Bot­stiber war es in der Zwischenzeit jedoch gelungen, zumindest einen Kompromiss zu erlangen  ; der zuständige Referent der Gemeinde Wien erklärte sich bereit, die Fürsorgeabgabe zumindest für Konzerte mit rein kulturellem Zweck zu erlassen.615 Die Konzerthausgesellschaft war daher mehr als bestrebt, im Frühjahr 1931 ihren nicht-kommerziellen Charakter im Entwurf ihrer neuen Statuten hervorzuheben. Grundsätzlich trugen diese den neuen organisatorischen Rahmenbedingungen Rechung, da es die rechtliche Struktur betreffend, vor allem hinsichtlich der Gründer, beträchtliche Veränderungen gegeben hatte. Während der Sängerhausverein gar nicht mehr existierte, hatte der Konzertverein wie bereits angesprochen seine primäre Aufgabe, ein Orchester zu unterhalten, aufgegeben. Das Vorhaben der Direktion, die 612 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1931/1932, 7. 613 Brigitte Ott zitiert ein Verzeichnis aus dem Archiv der Stadt Wien, demzufolge der Konzerthausgesellschaft bereits von 1921 bis 1923 eine Förderung gewährt worden war. Diese wird in den jeweiligen Direktionsberichten jedoch nicht erwähnt. Cf. Ott, Kulturpolitik, 59. 614 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1931/1932, 21. 615 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 3. Jänner 1931. KHG.

Die Weltwirtschaftskrise

letztendlich redundant gewordene Institution in der Saison 1930/1931 einzugliedern, machte eine Abänderung der Statuten aus rechtlicher Sicht unumgänglich. Jedoch wurde diese Modifizierung auch dazu genutzt, das gemeinnützige Wesen der Gesellschaft in viel stärkerem Ausmaß als bisher zu betonen, um sich damit eine günstigere Ausgangsposition für die weiteren Verhandlungen mit den städtischen Behörden zu verschaffen. Im Gegensatz zur ursprünglichen Version verwies bereits der erste Satz der neuen Statuten auf die nicht-kommerziellen Absichten und die ausschließliche Fokussierung der Gesellschaft auf kulturelle Ziele616. In diesem Zusammenhang wollten die Direktion und Bot­stiber auch die bisher enthaltene Vereinbarung, die die jährliche Aufteilung eventueller Überschüsse zwischen Konzertverein, Sängerhausverein und Stadterweiterungsfonds vorsah, tilgen.617 Eine solche Änderung erforderte jedoch die Zustimmung des Fonds sowie des seit 1923 im Bundeskanzleramt angesiedelten Innenministeriums. Als die Gesellschaft die neuen Statuten unter dem Hinweis, dass es seit Jahren keine Gewinne gegeben hatte, zur Genehmigung übermittelte618, hegte der Stadterweiterungsfonds den Verdacht, dass die Direktion in Zukunft positivere Geschäftsergebnisse erwartete und sich daher nur unter einem Vorwand von einer lästigen finanziellen Verpflichtung befreien wollte. In weiterer Folge beteiligte sich auch die Finanzprokuratur an den Verhandlungen. Im Gegensatz zum Innenministerium teilte diese die Meinung der Konzerthausgesellschaft, dass auch in Zukunft keine Gewinne zu erwarten seien, und äußerte daher keine Bedenken bezüglich der Statutenänderung.619 Der Stadterweiterungsfonds beschwerte sich jedoch darüber, dass ihm bislang weder die Jahresberichte mit der finanziellen Dokumentation noch der ihm zustehende Anteil aus den Jahren mit positiver Bilanz übermittelt worden waren.620 In dieser Hinsicht war er zwar bereit, über die Zeit vor der Schilling-Einführung 1925 hinwegzusehen, forderte aber die vereinbarte Gewinnbeteiligung für die Saison 1928/1929, als die Gesellschaft seit Langem einen kleinen Überschuss hatte erzielen können. Erst als die Direktion erklärte, dass dieser Gewinn zur Deckung der Defizite der vergangenen Spielzeiten verwendet worden war, gab der Fonds – in erster Linie, um öffentliches Aufsehen zu vermeiden – schlussendlich nach, bestand aber für die Zukunft auf regelmäßige 616 Cf. Konzerthausgesellschaft, Satzungsentwurf. AVA. MdI STEF A 117 14b. 617 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 3. Jänner 1931. KHG. 618 Cf. Konzerthausgesellschaft, Schreiben an den Stadterweiterungsfonds, erhalten am 24. Jänner 1931. AVA. MdI STEF A 117 14b. 619 Cf. Finanzprokuratur, Schreiben an den Stadterweiterungsfonds, 17. Februar 1931  ; Stellungnahme der Abteilung 4 des Bundeskanzleramts, 18. Mai 1931. AVA. MdI STEF A 117 14b. 620 Cf. Stadterweiterungsfonds, Schreiben an die Konzerthausgesellschaft, 4. März 1931. AVA. MdI STEF A 117 14b.

149

150

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Berichterstattung621. Denn obwohl er der Tilgung der entsprechenden Vereinbarung in den neuen Statuten der Gesellschaft zustimmte, hielt er dennoch an seinen finanziellen Ansprüchen fest, da die Aufteilung eventueller Gewinne auch im Kaufvertrag für das Bauareal festgehalten worden und demnach im Grundbuch eingetragen war. Mit der Absegnung der neuen Statuten von offizieller Seite konnte die geplante Eingliederung des Konzertvereins in der Saison 1930/1931 realisiert werden. Damit endete dessen Existenz als eigenständige Körperschaft und der gesamte Vorstand wurde in die Direktion der Konzerthausgesellschaft kooptiert.622 Diese übernahm damit die Fortführung der Geschäfte des Konzertvereins und damit auch seine defizitären Finanzen623, was dazu beitrug, dass sich die von der Finanzprokuratur gegenüber dem Innenministerium geäußerte düstere Prognose hinsichtlich der finanziellen Entwicklung der Gesellschaft bewahrheitete. Um die Mitte des Jahres 1931 war sie außerstande, sich die dringlichsten Adaptierungs- und Renovierungsarbeiten einschließlich der Reparatur der Orgel im Großen Saal leisten zu können. Die Konsequenz der leeren Kassen war ein noch umfassenderes Sparprogramm, das das tägliche Geschäft der Gesellschaft während der kommenden vier Jahre dominieren sollte und sich abermals vor allem auf die künstlerischen Aktivitäten sowie die Personalkosten konzentrierte. Während die Direktion Bot­stiber 1929 noch eine Extraremuneration anlässlich seines zwanzigjährigen Dienstjubiläums zugestanden hatte624, wurden die Löhne der gesamten Belegschaft in der Saison 1931/1932 um 20 Prozent gekürzt625. Darüber hinaus wurde auch Personal abgebaut, wobei dem Sparstift etwa die Position des Konzertvereins-Archivars zum Opfer fiel626. Jedoch betrafen diese Einsparungen nur den Verwaltungsapparat der Gesellschaft. Obwohl die Direktion entschlossen war, die Honorare der Solisten ebenfalls zu kürzen, scheiterte dieses Vorhaben aus denselben Gründen wie bereits Ende der 1920er Jahre. Da sowohl kommerzielle wie gemeinnützige Konzertveranstalter auf berühmte und zugkräftige Künstler angewiesen waren, um die Konzertsäle zu füllen, stiegen deren Gagenforderungen eher als dass sie sanken627. Dass wie bei einem symphoni621 Cf. Stadterweiterungsfonds, Schreiben an die Konzerthausgesellschaft, 21. Mai 1931. AVA. MdI STEF A 117 14b. 622 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1930/1931, 5. 623 Der Sekretär des Konzertvereins, Julius Kaudela, blieb für die administrative Agenda des Konzertvereins verantwortlich, selbst als er 1933 offiziell den Ruhestand antrat und in die Direktion kooptiert wurde. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 25. Jänner 1933. KHG. 624 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Oktober 1929. KHG. 625 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1931/1932, 6f  ; Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Oktober 1931. KHG. 626 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1931. KHG. 627 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 28. Oktober 1932. KHG.

Die Weltwirtschaftskrise

schen Beethoven-Zyklus in der Saison 1931/1932 »durch eine günstige Konstellation interessante und namhafte Solisten zur Mitwirkung«628 gewonnen werden konnten, wodurch nur geringe Kosten entstanden, war eher die Ausnahme. Die einzige nachhaltige Einsparungsvariante war daher eine großangelegte Reduktion von Konzerten und Proben. Während bereits in der Saison 1930/1931 das vierte Chorkonzert spontan gestrichen worden war, wurde der Chorzyklus ab der nachfolgenden Spielzeit generell wieder auf drei Konzerte beschränkt. Das Hauptproblem lag jedoch bei den populären, vom Konzertverein veranstalteten Orchesteraufführungen, die jeden Sonntag im Großen Saal stattfanden. Da die Kartenpreise in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Vereinsmission niedrig gehalten wurden, konnte selbst dann nicht ausgeglichen bilanziert werden, wenn die Darbietungen ausverkauft waren. Als das Interesse an den Populärkonzerten im Gegensatz zu den symphonischen Zyklen, die allerdings eine andere Publikumsschicht ansprachen, weiter kontinuierlich zurückging, wurde ihre Zahl in der Saison 1932/1933 von 25 auf 15 reduziert629. Als Vizepräsident Stransky Bot­stiber beauftragte, sich über weitere Einsparungsmaßnamen Gedanken zu machen630, versuchte dieser unter anderem, die Energiekosten zu senken. Auch wenn sein Ansuchen um einen Preisnachlass von den Wiener Elektrizitätswerken abgelehnt wurde, verhandelte er mit diesen im Gegenzug jedoch über das Anbringen von Reklametafeln im Konzerthaus.631 Zudem erlaubte ihm die Direktion, trotz des zu erwartenden Prestigeverlusts Gespräche mit interessierten Unternehmen über die Montage von Leuchtreklame an der Front des Konzerthauses zu führen.632 Während Stransky als Finanzreferent demnach seinen Fokus primär auf Sparmaßnahmen legte, war dem Generalsekretär mittlerweile klar geworden, dass eine bloße Kostenminimierung längst nicht mehr ausreichend war, sondern neue Einnahmequellen gefunden werden mussten. Zur Überbrückung des finanziellen Engpasses am Beginn der Saison 1931/1932 entnahm die Direktion ironischerweise ein Darlehen aus dem von ihr eingerichteten Spar- und Unterstützungsfonds für ihre Angestellten633, deren Gehälter im Gegenzug wie oben erwähnt gekürzt wurden. Präsident Köchert forderte in diesem Zusammenhang jedoch auch zu Opfern aus den Reihen der Direktion selbst auf. Er rief nicht nur zu einer Spendenaktion unter deren Mitgliedern auf, sondern ersuchte diese vor allem um verstärkte Mundpropaganda für die Darbietungen der Gesellschaft und um vermehrten Ankauf von 628 Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1931. KHG. 629 Cf. ibid. 630 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. Juli 1932. KHG. 631 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 25. Jänner 1933. KHG. 632 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. Juli 1932. KHG. 633 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Oktober 1931. KHG.

151

152

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Konzertkarten zur Weitergabe in Familien- und Bekanntenkreisen. Dies war offensichtlich eine Reaktion auf das nachlassende Interesse der Direktion am Besuch der eigenen künstlerischen Veranstaltungen. Bereits 1929 hatte Köchert kritisiert, dass die Direktionsloge bei mehreren Chorkonzerten beinahe leer geblieben sei.634 In diesem Zusammenhang wurde, wenn auch nicht aus finanziellen, sondern aus moralischen Gründen, auch die Vergabe von Freikarten weitestgehend eingeschränkt635, wobei bei Erhalt einer Freikarte jedenfalls die entsprechende Lustbarkeitsabgabe zu entrichten war636. Angesichts der Bedeutung von öffentlichen Geldern für das Budget der Gesellschaft blieb die Einstellung der Subvention seitens des Unterrichtsministeriums und die Nicht-Zuerkennung einer städtischen Förderung nicht der einzige Rückschlag. Denn eine signifikante Einkommensquelle der späten 1920er Jahre drohte zu versiegen. Zwar beteiligte sich die Ravag mit 5.000 Schilling an einem Chorkonzert mit Werken von Richard Strauss, das aufgrund der geringen Zuhörerzahl immer noch einen Verlust von 7.000 Schilling mit sich brachte637, zeigte in der Saison 1931/1932 aber ansonsten nur an zwei weiteren Konzerten aus dem Orchesterzyklus Interesse. Diese konnten darüber hinaus aufgrund der ablehnenden Haltung der teilnehmenden Solisten nur in Teilen übertragen werden.638 Als die Direktion zu Beginn der Spielzeit 1932/1933 erfuhr, dass die Gesellschaft der Musikfreunde ihren ursprünglich geplanten, acht Konzerte umfassenden symphonischen Zyklus abgesagt hatte und stattdessen gemeinsam mit der Ravag einen neuen Zyklus mit zehn Darbietungen veranstaltete, wandten sich Bot­stiber, Kaudela und Köchert umgehend an RavagDirektor Czeija und brachten ihre Enttäuschung über die scheinbare Bevorzugung des Konkurrenten zum Ausdruck  :

634 Damals hatte Stransky die Einführung eines Rotationsschemas vorgeschlagen, um zu gewährleisten, dass die Direktion bei jedem Konzert in angemessener Zahl vertreten sein würde. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 21. Februar 1929. KHG. 635 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Oktober 1931. KHG. 636 Vor allem Bot­stiber war häufig mit Kartenwünschen konfrontiert. So bat Schönberg seinen Freund im Jänner 1928, für seine Schwiegermutter zwei Freikarten für die »Gurrelieder« bereitzustellen. Cf. Arnold Schönberg, Brief an Hugo Bot­stiber, 2. Jänner 1928. Arnold Schönberg Center. Wien. Online  : http://www.schoenberg.at [letzter Zugriff  : 7. November 2013]. 637 Bei dieser Aufführung handelte es sich um das im vorangegangenen Kapitel erwähnte RichardStrauss-Konzert, das in der Saison 1929/1930 aus Rentabilitätsgründen abgesagt worden war. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 9. März 1931. KHG. 638 Während der Geiger Adolf Busch eine Übertragung prinzipiell ablehnte, kam die Konzerthausgesellschaft dem Wunsch des Pianisten Wilhelm Backhaus nach einem höheren Honorar nicht nach. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1931. KHG.

Die Weltwirtschaftskrise

Seit Jahren bemühen wir uns, bei der »Ravag« eine Stütze zu finden, die uns die grossen Lasten, welche die Veranstaltung von Orchesterkonzerten auferlegt, leichter tragbar machen könnte. Leider mit wenig Erfolg […]. Der Wiener Konzertverein hat vor 32 Jahren ein Sinfonie-Orchester gegründet und zuerst und durch fünf Jahre hindurch ausser den Philharmonikern als einziges Kunstinstitut sinfonische und volkstümliche Konzerte eingeführt und bis heute regelmässig veranstaltet, was nur ermöglicht wurde durch die zähe Ausdauer und Opferwilligkeit vieler Kunstfreunde und Gönner unseres Vereines und nicht zuletzt durch die Darbietungen selbst. 22 Jahre später als der Wiener Konzertverein hat dann auch die Gesellschaft der Musikfreunde Orchesterkonzerte in ihr Programm aufgenommen und dabei so unmögliche billige Eintrittspreise angesetzt, dass sie damit gestrandet ist und nun mit Hilfe der »Ravag« wieder flott gemacht werden soll. Wir erblicken in dieser einseitigen Förderung eines Institutes, dem wir in jeder Hinsicht gleichwertig sind, nicht nur eine finanzielle Schädigung, sondern auch eine für unser Ansehen sehr nachteilige Tat, weil begreiflicherweise die Aufmerksamkeit des grossen Publikums im höchstem und billigstem Ausmasse durch den der »Ravag« zur Verfügung stehenden Reklame-Apparat auf diese von der Gesellschaft der Musikfreunde veranstalteten Konzerte gerichtet werden kann.639

Als Wiedergutmachung für die als ungerecht empfundene Behandlung durch die Ravag ersuchten Bot­stiber, Kaudela und Köchert daher Czeija, alle Konzerte der Gesellschaft in Zukunft anzukündigen und jedes der acht geplanten Abonnementkonzerte des symphonischen Zyklus zumindest in Teilen gegen eine entsprechende Entschädigung zu übertragen. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, wandten sich Bot­stiber und die anderen auch an den Bundesminister für Unterricht, Anton Rintelen640, während der Generalsekretär mehrere Male persönlich bei Ministerialrat Karl Kobald vorsprach, der Rintelens Ressort in der Programmkommission der Ravag vertrat. Dass dieser wohl Sympathien für das Anliegen der Konzerthausgesellschaft hegte, zeigt sich daran, dass er bereits Mitglied im Aktionskomitee zur Errichtung des Konzerthauses gewesen war und noch im Lauf der Saison 1932/1933 in die Direktion aufgenommen werden sollte641. Als Kobald für die Gesellschaft Partei ergriff und bei Czeija intervenierte, erklärte sich dieser bereit, ihren Wünschen soweit als möglich nachzukommen642. 639 Konzerthausgesellschaft und Konzertverein, Schreiben an die Ravag, 4. Oktober 1932. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397. 640 Cf. Konzerthausgesellschaft und Konzertverein, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 4. Oktober 1932. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397. 641 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. März 1933. KHG. 642 Cf. Bundesministerium für Unterricht, Schreiben an die Ravag, 20. Oktober 1932. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397.

153

154

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Diese Begebenheit zeigt nicht nur Bot­stibers Versuche, neue finanzielle Möglichkeiten zu erschließen, sondern spiegelt auch die wachsende Rivalität zwischen der Gesellschaft der Musikfreunde und der Konzerthausgesellschaft vor dem Hintergrund der anhaltenden wirtschaftlichen Krise wider. In der Saison 1928/1929 hatte Letztere die Mieten für die Konzertsäle geringfügig angehoben, was zu dem bereits erwähnten Überschuss geführt hatte. Als sich Bot­stiber im Juni 1929 bezüglich einer weiteren akkordierten Erhöhung für die kommende Spielzeit an die Gesellschaft der Musikfreunde wandte, zeigte sich diese allerdings nicht daran interessiert. Während er daher dafür plädierte, sich an den vereinbarten Preis zu halten, trat Felix Stransky nach wie vor für ein Anheben ein und wollte die Sache nicht ohne weitere Diskussion mit dem Mitbewerber auf sich beruhen lassen. Die gegenseitigen Absprachen wurden jedoch von den wirtschaftlichen Umständen untergraben, als die Nachfrage nach Konzertsälen zurückging, was wiederum einen Preisverfall nach sich zog. Um die vorauszusehenden Verluste verkraften zu können, musste die Zahl der Buchungen so hoch wie möglich gehalten werden, wobei beide Gesellschaften zunehmend nervös auf die angespannte Lage reagierten. So identifizierte im November 1931 ein Artikel in der Zeitung »Der Tag« die zu hohen Mietpreise als den ausschlaggebenden Grund für die Entscheidung der Konzertveranstalter, weniger oder überhaupt keine Aufführungen zu organisieren.643 Während sich die Konzerthausgesellschaft angesichts der Vorwürfe nur zu kleineren Anpassungen veranlasst sah, war die Gesellschaft der Musikfreunde scheinbar wesentlich geneigter, Preisnachlässe zu gewähren, um mehr Kunden anzuziehen. Als Antwort auf die angeblich wiederholten Verstöße gegen die abgestimmte Preispolitik widerrief Bot­stiber wie bereits angesprochen am 29. September 1932 die getroffene Vereinbarung. Die heftige Kritik am Mitbewerber, die Bot­stiber, Kaudela und Köchert in ihrem Brief an die Ravag vom 4. Oktober 1932 äußerten, muss also auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Dazu beigetragen haben dürfte der Zweifel, ob die Öffentlichkeit und vor allem die Behörden die künstlerischen Anstrengungen der Konzerthausgesellschaft auch tatsächlich zu schätzen wussten, zumal sie im Gegensatz zur Gesellschaft der Musikfreunde niemals eine städtische Förderung erhalten hatte644. Wohl um dem aufkeimenden Gefühl der Unterlegenheit entgegenzuwirken, die auf der wirtschaftlichen Impotenz und dem Prestigeverlust infolge der bereits erwähnten Werbemaßnahmen und der ab 1930 steigenden Zahl nicht-kultureller Veranstaltungen im Konzerthaus basierten, betonten Bot­stiber, Kaudela und Köchert explizit, dass sie beide Gesellschaften als absolut gleichwertig erachteten. 643 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 25. November 1931. KHG. 644 Cf. Ott, Kulturpolitik, 18.

Die Weltwirtschaftskrise

Die Absprache mit der Gesellschaft der Musikfreunde war nicht die einzige Zusammenarbeit, die in diesem Zeitraum ihr Ende fand. Am Schluss der Saison 1930/1931 verlor Bot­stiber seinen langjährigen Partner in künstlerischen Belangen, als Paul von Klenau, der sich stärker seiner Karriere als Komponist widmen und daher seine Tätigkeit als Dirigent einschränken wollte, sein Amt als Konzertdirektor zurücklegte645. Es ist nicht auszuschließen, dass die düsteren ökonomischen Aussichten der Gesellschaft seine Entscheidung beeinflussten. Tatsächlich war Klenau aber bereits ab Mai 1929 bemüht gewesen, seine Aktivitäten in Wien zu reduzieren, und hatte Präsident Köchert gebeten, in der darauffolgenden Saison nur zwei Konzerte leiten zu müssen646. Ironischerweise dirigierte er in seiner letzten Saison als Konzertdirektor der Gesellschaft nicht eine einzige Darbietung. In den ersten drei Konzerten des Chorzyklus wurde er von Felix Weingartner, Richard Strauss und Bruno Walter vertreten. Das letzte Konzert, das als Klenaus Abschiedsvorstellung gedacht war, musste aus finanziellen Bedenken abgesagt werden. In weiterer Folge verpflichtete die Konzerthausgesellschaft keinen permanenten Nachfolger, sondern lud eine Reihe von Gastdirigenten ein, darunter Bruno Walter und der russische Komponist Ivan Boutnikoff. Als unmittelbare Reaktion auf den Rücktritt des Konzertdirektors wurde zwischenzeitlich ein aus den Reihen der Direktion rekrutiertes Komitee eingesetzt, das einen Entwurf über die zu veranstaltenden Konzerte und deren Programme für die kommende Saison erstellen sollte.647 Tatsächlich war es aber weiterhin Bot­stiber, der das Repertoire in Absprache mit den Dirigenten auswählte und anschließend der Direktion zur Genehmigung vorlegte648. Für die Saison 1931/1932 traf der Generalsekretär demnach ein äußerst günstiges Arrangement mit Ivan Boutnikoff, um der Förderung zeitgenössischer Musik auch in Krisenzeiten nachkommen zu können, die mehr als alles andere vom Sparprogramm der Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen wurde. In Ergänzung zu den regulären Chor- und Orchesterzyklen wollte der Generalsekretär drei moderne, von Boutnikoff geleitete Konzerte veranstalten, wobei sich der Dirigent bereit erklärte, für Orchester und Solisten aufzukommen und eventuelle Gewinne mit der Gesellschaft zu teilen. Da diese damit abgesehen vom Bereitstellen des Konzertsaals keine finanziellen Verpflichtungen und auch keine Risiken eingehen musste, genehmigte die Direktion Bot­stibers Vorschlag.649 Die Konzerte fanden zwischen November 1931 und März 1932 statt und enthielten Werke von Max Reger, Gustav Mahler, Sergej Rachmaninov, Peter Tschaikowsky, Alexander Skrjabin, Florent Schmitt, Giovanni Francesco 645 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1930/1931, 6. 646 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 10. Mai 1929. KHG. 647 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 9. März 1931. KHG. 648 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. Juli 1932. KHG. 649 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1931. KHG.

155

156

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Malipiero, Zoltán Kodály, Ernst Toch und Alexander Mosolov, darunter vier Wiener Erstaufführungen. Der Generalsekretär beteiligte sich sogar aktiv am ersten der drei Konzerte und übernahm bei der Aufführung von Skrjabins »Prométhée. Le Poème du feu« das vom Komponisten vorgesehene Lichtklavier. Dessen Tasten korrespondierten mit bestimmten Farben, die durch Projektoren an eine Leinwand geworfen wurden, wodurch der Musik ein visueller Effekt hinzugefügt wurde. Wie sich Bot­stibers Sohn Dietrich, der ebenfalls an dem Konzert teilnahm und die Intensität des Lichts regelte, erinnert, war Boutnikoff häufig in ihrer Villa in der Kaasgrabengasse zu Gast gewesen, um den »Prometheus« mit seinem Vater zu diskutieren. Wie der Großteil der modernen Darbietungen riefen sowohl die beinahe ausverkaufte Aufführung an sich als auch das Lichtklavier sehr unterschiedliche Reaktionen hervor. Im Gegensatz zur »Neuen Freien Presse«, die sich einmal mehr reserviert zeigte, aber zumindest die Leistung des Dirigenten und der Musiker lobte650, fiel die Kritik in der »Wiener Zeitung«, die Bot­stibers Auftritt als »Lichtklavierkammervirtuose« als die Sensation des Abends bezeichnete651, durchaus positiv aus. Angesichts der Tatsache, dass diese Konzerte die künstlerischen Aktivitäten der Gesellschaft signifikant belebten, ohne den persönlichen Einsatz Boutnikoffs aber nicht möglich gewesen wären, bemühte sich Bot­stiber in weiterer Folge um ähnliche Vereinbarungen, die die finanzielle Belastung für seinen Arbeitgeber reduzierten und die Direktion für neue künstlerische Projekte empfänglicher machten. Ein Arrangement, das dem Vertrag mit Boutnikoff ähnelte, konnte mit dem italienischen Dirigenten Massimo Freccia getroffen werden.652 Dieser leitete im Konzerthaus eine Darbietung mit Werken von Beethoven, Mozart, Liszt und Wagner, aber auch von Claude Debussy und Ildebrando Pizzetti. Für den Chorzyklus der Saison 1932/1933 konnte Bot­stiber erneut Boutnikoff gewinnen, der wieder für Orchester und Solisten aufkam. Zudem fasste der Generalsekretär eine weitere Aufführung von Mahlers »8. Symphonie« ins Auge und traf, um die durch die vorgesehene aufwendige Besetzung verursachten Kosten decken zu können, eine Abmachung mit der Wiener Singakademie. Da das Konzert auch im Rahmen der Feierlichkeiten zu ihrem fünfundsiebzigjährigen Bestehen stattfinden sollte, erklärte sich diese bereit, einen Garantiefonds in der Höhe von 3.000 Schilling aufzubringen653, um das finanzielle Risiko für die Konzerthausgesellschaft zu minimieren. 650 Cf. Konzerte, in  : Neue Freie Presse, 9. November 1931, 1f. 651 Cf. Konzerte, in  : Wiener Zeitung, 10. November 1931, 5. 652 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1931. KHG. 653 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. Juli 1932. KHG.

Von Boxkämpfen und Parteitagen

Darüber hinaus initiierte Bot­stiber einen Brahms-Kammermusikzyklus anlässlich dessen 100. Geburtstages, für den die Konzerthausgesellschaft nur den mittleren Konzertsaal zur Verfügung stellen musste, während die Ravag für die Honorare der Musiker aufkam.654 Letztendlich brachte Bot­stiber im Juli 1932 den Vorschlag zur Sprache, das bereits fixierte erste Konzert des Orchesterzyklus der kommenden Spielzeit zum Eröffnungskonzert des zweiten internationalen Bruckner-Festes umzugestalten, wofür sich die internationale Bruckner-Gesellschaft als Gegenleistung bereit erklärte, ein größeres Kartenkontingent zu erwerben und die Veranstaltung zu bewerben.655 Um Synergien zu nutzen und den Probenaufwand zu verringern, wurde das Programm für dieses Konzert auch in einer Veranstaltung, die die Konzerthausgesellschaft für das Unterrichtsministerium einen Tag vor der Eröffnung des Bruckner-Festes am 19. Oktober 1932 organisierte, aufgeführt. Strenge Sparmaßnahmen, finanzielle Kooperationsvereinbarungen mit Künstlern und anderen Institutionen sowie eine pragmatische Termingestaltung waren insofern die Schlüsselelemente für Bot­stiber und die Konzerthausgesellschaft, um die spärlich vorhandenen Ressourcen während der Wirtschaftskrise bestmöglich einzusetzen. Aber trotz der engagierten Versuche des Generalsekretärs, neue Einnahmequellen zu erschließen und die künstlerische Tätigkeit der Gesellschaft auch in Bezug auf moderne Musik aufrechtzuerhalten, verschlechterte sich die finanzielle Lage weiterhin. Die Erträge aus der Vermietung der Konzerthaussäle sanken in der Saison 1931/1932 um 30 Prozent, ebenso wie die Erlöse aus den eigenen Veranstaltungen.656 Für die Gesellschaft wurde damit ab dem Jahr 1932 angesichts der anhaltenden Krise eine fundamentale Neuorientierung unausweichlich. Diese war aber nicht ausschließlich den wirtschaftlichen Umständen geschuldet. Ebenso ausschlaggebend war, dass die junge österreichische Republik auch in politischer Hinsicht von Grund auf erschüttert wurde.

Von Boxk ä mpfen und Parteitagen Die Betonung des reichen kulturellen Erbes Österreichs und vor allem Wiens Darstellung als Musikstadt waren wie bereits erwähnt dazu gedacht, die Reputation des Landes im Ausland zu fördern und damit den Tourismus anzukurbeln, um die Wirtschaft zu beleben. Die kulturellen und musikalischen Topoi erfüllten für die Erste 654 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. Juli 1932. KHG. 655 Cf. ibid. 656 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1931/1932, 6.

157

158

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Republik daneben aber eine weitere und wohl ebenso signifikante Funktion. Durch sie wurde versucht, nach dem Untergang der Habsburgermonarchie ein Gefühl nationaler Identität zu schaffen und zu stärken.657 Die Meisteraufführungen Wiener Musik, das Musik- und Theaterfest sowie die Wiener Festwochen dienten nicht ausschließlich touristischen Zwecken, sondern sollten ebenso die Überlegenheit sowie die Führungsrolle Österreichs im musikalischen Bereich aufzeigen. Von noch größerer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang die sogenannten Gedenkkonzerte für die großen »Tonheroen« der österreichischen Musikgeschichte, die jeweils im Zeichen eines bestimmten Komponisten standen. Denn im Gegensatz zu den drei oben angeführten Festivals, in deren Rahmen auch zeitgenössische Musik aufgeführt wurde, konzentrierten sich diese ausschließlich auf die glorreiche musikalische Vergangenheit des Landes, womit das Gefühl der staatlichen Unterlegenheit und der politischen Bedeutungslosigkeit kompensiert und der Nationalstolz gefördert werden sollte.658 Die erste Gelegenheit zur Anwendung eines derartigen Instruments politischer Manifestation bot sich 1927659, als sich das Ableben von Ludwig van Beethoven zum 100. Mal jährte. Trotz unterschiedlicher politischer Ansichten vereinbarten Wiens sozialdemokratische Stadtregierung und die christlichsoziale Bundesregierung, vertreten von Hugo Breitner beziehungsweise Karl Kobald, gemeinsam ein Gedenkfest auszurichten. Während dessen treibende Kraft einmal mehr sein ehemaliger Mentor Guido Adler war, beteiligte sich auch Bot­stiber, der anlässlich des Jubiläums eine Monographie über den Komponisten publizierte660, an den Vorbereitungen. Er war sowohl Mitglied des unter der Leitung Kobalds stehenden Organisations- als auch des Musikkomitees, das für die generelle Planung sowie die Auswahl des Repertoires verantwortlich zeichnete.661 Dass er dabei die Interessen der Konzerthausgesellschaft zu wahren gewillt war, zeigt sich daran, dass er auch nicht davor zurückscheute, mit Adler auf Konfrontationskurs zu gehen. Denn während dieser zunächst überhaupt keine Aufführung an Bot­stibers Wirkungsstätte vorgesehen hatte, schlug er in einem zweiten Programmentwurf vor, die Eröffnungszeremonie im Konzerthaus abzuhalten, allerdings mit dem Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde unter dem deutschen Dirigenten Leopold Reichwein. Dagegen erhob Bot­stiber Einspruch, der im Falle einer Eröffnung im Konzerthaus auf eine Beteiligung der Singakademie unter 657 Cf. Anita Mayer-Hirzberger, »…ein Volk von alters her musikbegabt«. Der Begriff »Musikland Österreich« im Ständestaat. Musikkontext. Studien zur Kultur, Geschichte und Theorie der Musik 4 (Frankfurt/Main et al. 2008), 36. 658 Cf. Eder, Musikfeste, 360. 659 Cf. Mayer-Hirzberger, Musikland Österreich, 102. 660 Hugo Bot­stiber, Beethoven im Alltag. Ein Beitrag zur Jahrhundertfeier (Wien 1927). 661 Cf. Eder, Musikfeste, 115ff.

Von Boxkämpfen und Parteitagen

Klenau bestand.662 Am Ende konnten sich die beteiligten Parteien auf einen Kompromiss einigen. Für die Eröffnung am 26. März 1927 fiel die Wahl zwar auf den Musikverein663, jedoch fanden, »um die Ansprüche des Konzerthauses zu befriedigen«664, eine Aufführung der »Missa Solemnis« mit den Wiener Philharmoniker und dem Chor der Staatsoper unter Franz Schalk sowie zwei Kammermusikabende mit dem Rosé Quartett in der Spielstätte an der Lothringerstraße statt. Zudem widmete die Gesellschaft ihren symphonischen Zyklus sowie mehrere Festkonzerte, die nicht in die Beethoven-Feierlichkeiten der Stadt Wien und der Bundesregierung eingebunden waren und wovon eines ebenfalls am 26. März stattfand, dem Andenken des Komponisten.665 Nur ein Jahr später folgten mit dem Gedenken an den 1828 verstorbenen Franz Schubert die nächsten Festivitäten für einen Tonheroen. Dieses Mal kam es aber bedingt durch die wachsenden Gegensätzen zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen aufgrund der blutigen Ereignisse rund um das Schattendorfer Urteil und den Justizpalastbrand im Juli 1927 zu keiner Zusammenarbeit zwischen der Stadt Wien und der Bundesregierung.666 Als Konsequenz richteten beide Parteien jeweils ein eigenes Fest aus, wobei sich die Konzerthausgesellschaft nur an den Feierlichkeiten der Bundesregierung beteiligte. Ein weiterer Unterschied zum Beethoven-Gedenken bestand im Fehlen eines Organisationskomitees. Tatsächlich wurden nur diejenigen Veranstaltungen in den Spielplan des Festivals aufgenommen, die die Gesellschaft der Musikfreunde und die Konzerthausgesellschaft für ihr eigenes Festprogramm anlässlich des Schubert-Jubiläums geplant hatten. Die Feierlichkeiten im Konzerthaus umfassten einen Festakt, einen Liederabend, zwei Kammermusikabende sowie eine Aufführung mit Orchestermusik und einer Inszenierung des, wie im entsprechenden Direktionsbericht angemerkt, selten gehörten Oratoriums »Lazarus«.667 Bot­stibers Mitwirkung am Genre der Komponistengedenkfeiern intensivierte sich jedoch erst mit dem herannahenden 200. Geburtstag Joseph Haydns im Jahr 1932. 662 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 21. Oktober 1926. KHG. 663 Cf. Eder, Musikfeste, 118. 664 Schalk, der bis 1921 die Konzerte der Gesellschaft der Musikfreunde geleitet hatte und seit 1928 Staatsoperndirektor war, dürfte sich gegen dieses Konzert gesträubt haben, weshalb die Direktion der Konzerthausgesellschaft beschloss, dahingehend auf ihn einzuwirken, »seinen Widerstand gegen das Konzerthaus aufzugeben«. Ob dies gelang, oder ob beim Unterrichtsministerium und gar beim Bundeskanzleramt interveniert werden musste, wie im Protokoll in Aussicht gestellt, geht aus den weiteren Aufzeichnungen nicht hervor. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 21. Oktober 1926. KHG. 665 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1926/1927, 5. 666 Cf. Eder, Musikfeste, 201. 667 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1928/1929, 5.

159

160

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Denn angesichts der Tatsache, dass er einer der führenden Experten war, lag auf der Hand, dass der Generalsekretär für eine eventuell zu organisierende Haydn-Feier eine zentrale Funktion ausüben würde. Als die Bundesregierung die Durchführung eines solchen Festes beschloss, übernahm Bot­stiber die Rolle, die zuvor Adler für das Beethoven-Gedenken gespielt hatte, und wurde die treibende Kraft des Projekts668. Auf der ersten Sitzung des vorbereitenden Komitees, dem neben Bot­stiber als Repräsentanten der Konzerthausgesellschaft Vertreter des Unterrichtministeriums, der burgenländischen Landesregierung, der Gesellschaft der Musikfreunde, der Akademie für Musik und darstellende Kunst und der Bundestheater angehörten, wurde er sogar als eigentlicher Initiator der Feier bezeichnet.669 Bei diesem Treffen am 16. Oktober 1930 wurde der Programmentwurf diskutiert, den Bot­stiber vorab erstellt hatte und der ein einwöchiges Festival vom 31. März bis zum 6. April 1932 mit einer feierlichen Eröffnungszeremonie, einer Aufführung in der Staatsoper, drei Festkonzerten, zwei Kammermusikabenden sowie einer Darbietung mit liturgischen Werken vorsah. Darüber hinaus dachte der Generalsekretär an eine zyklische Aufführung aller Messen und Kompositionen für Streichquartett innerhalb eines Jahres, an eine internationale Ausstellung unter dem Titel »Zwei Jahrhunderte Musik und Theater 1732–1932« sowie an eine Aufführung von Serenaden im Rahmen der Wiener Festwochen.670 Besonders war er dabei an einer Einbindung von Ensembles und Künstlern aus dem Ausland interessiert. Dieser grenzüberschreitende Ansatz wurde jedoch vom Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde, Friedrich Dlabac, und dem Generaldirektor der Bundestheater, Franz Schneiderhan, die Bot­stibers Ideen bereits bei einem vorangegangenen Treffen unter sich diskutiert hatten, infrage gestellt671, da er ihnen aus finanziellen Gründen nur schwer realisierbar erschien. Gleiches galt für die zyklische Aufführung von Haydns Kammermusik, die aus Sicht Dlabacs und Scheiderhans nicht geeignet war, das Interesse des Publikums in ausreichendem Maße zu wecken. Insofern lobten sie zwar die künstlerische Qualität des Programmentwurfs, schlugen aber Vereinfachungen vor. 668 Unterrichtsminister Emmerich Czermak bedankte sich in einem Schreiben an Köchert besonders für Bot­stibers tatkräftige Mitwirkung und lobte den Generalsekretär, »der als Mitglied des Arbeitsausschusses an den Vorarbeiten für die Haydn-Feier lebhaftesten Anteil nahm und die Funktionäre [des] Ministeriums in besonders liebenswürdiger Weise bei der Durchführung [dieser unterstützte]«. Emmerich Czermak, Entwurf eines Dankschreibens an Theodor Köchert, undatiert. AVA Bestand Unterricht. 15 Musikwesen. Haydnfeier, fl. 3263. 669 Cf. Protokoll des vorbereitenden Komitees für das Haydn-Gedenken, 16. Oktober 1930. AVA. Bestand Unterricht. 15 Musikwesen. Haydnfeier, fl. 3263. 670 Cf. Eder, Musikfeste, 262f. 671 Cf. Protokoll des vorbereitenden Komitees für das Haydn-Gedenken, 16. Oktober 1930. AVA. Bestand Unterricht. 15 Musikwesen. Haydnfeier, fl. 3263.

Von Boxkämpfen und Parteitagen

Trotz dieser Einwände fanden Bot­stibers Ideen die Zustimmung der anderen Mitglieder des vorbereitenden Komitees. Sie wurden daher als Basis für die weiteren Vorbereitungen akzeptiert und abgesehen von kleineren Abweichungen auch in die Tat umgesetzt. Am 31. März 1932 wurde das Haydn-Fest mit einem feierlichen Konzert im Konzerthaus eröffnet. Wie schon beim Schubert-Gedenken organisierte die Konzerthausgesellschaft, die den Großen Saal unentgeltlich für die Eröffnung zur Verfügung stellte672, auch von sich aus mehrere Darbietungen anlässlich des Jubiläums. Ihr Beitrag umfasste ein Chorkonzert, ein populäres Orchesterkonzert sowie zwei Kammermusikabende.673 Während das Festival zweifellos einen persönlichen Erfolg für Bot­stiber als Initiator und Organisator darstellte, nahm es einen widersprüchlichen Ausgang für die Konzerthausgesellschaft. Ähnlich wie die vorangegangenen Gedenkfeierlichkeiten wurde es als künstlerisch wertvoll erachtet, vom finanziellen Standpunkt aus gesehen verbesserte es die Lage der Gesellschaft aber nicht. Die Feierlichkeiten sorgten zwar temporär für eine höhere Auslastung der Konzertsäle und brachten einen gewissen Werbeeffekt mit sich, nicht zuletzt aufgrund der Übertragung durch die Ravag674. Allerdings hatte die Konzerthausgesellschaft für die Kosten derjenigen Konzerte, die im Konzerthaus stattfanden, selbst aufzukommen und erhielt dafür auch keine öffentlichen Förderungen. Insofern stellten die Gedenkfeiern kein brauchbares Mittel dar, um den sich nach wie vor verschlechternden Finanzen entgegenzuwirken. Bot­stiber und die Direktion sahen sich daher gezwungen, einen drastischeren Ansatz zu verfolgen. Am 28. Februar 1932 erschien ein Artikel in der »New York Times«, der sich auf das Wiener Konzerthaus bezog und mit »Vienna Musicians Shocked« betitelt war. Was die Aufmerksamkeit der US-amerikanischen Tageszeitung erregt hatte, war aber nicht etwa eine skandalträchtige Aufführung avantgardistischer Musik, sondern die Ankündigung der Konzerthausgesellschaft, ihre Spielstätte in Zukunft auch für Boxkämpfe zur Verfügung zu stellen. Dem Korrespondenten der Zeitung gegenüber legte Bot­stiber die Gründe für die Entscheidung wie folgt dar  : We would never have listened to such ideas a year ago, […] but now we are compelled to take a very broad view. The State is unable to give us any subsidy worth mentioning, the 672 Cf. Emmerich Czermak, Entwurf eines Dankschreibens an Theodor Köchert, undatiert. AVA Bestand Unterricht. 15 Musikwesen. Haydnfeier, fl. 3263. 673 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1931/1932, 30ff. 674 Bot­stiber wandte sich in diesem Zusammenhang auch mit der Bitte an die Ravag, zumindest für die Solistenhonorare für eines der Kammermusikkonzerte aufzukommen. Cf. Protokoll des vorbereitenden Komitees für das Haydn-Gedenken, 10. November 1931. AVA. Bestand Unterricht. 15 Musikwesen. Haydnfeier, fl. 3263.

161

162

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

public cannot afford to attend concerts and taxation mounts steadily. So we must get money where we can in order to continue giving concerts on the accustomed high standard.675

Der Generalsekretär verwies damit auf eine signifikante Modifizierung der generellen Veranstaltungspolitik der Gesellschaft. Seit den späten 1920er Jahren war die Zahl der Vermietungen wie auch der Konzertbesucher, vor allem bei den populären Orchesterkonzerten und den Chordarbietungen, konstant gesunken, obwohl der Generalsekretär wiederholt ihren hohen künstlerischen Wert hervorhob676. Da auch die Unterstützung durch öffentliche Subventionen ausblieb, sahen sich die Direktion und Bot­stiber gezwungen, sich nach Alternativen umzusehen, und konzentrierten sich daher zunehmend auf die Rolle des Konzerthauses als gesellschaftlichen Treffpunkt. Während die Konzertsäle schon von Beginn an für Bälle, Lesungen und vor allem Kongresse zur Verfügung gestellt worden waren, war die Erweiterung der Programmpalette um Sportveranstaltungen eine logische Konsequenz, vor allem angesichts des steigenden Interesses der Bevölkerung an sportlichen Aktivitäten. Das »Home of the Missa Solemnis«, wie die »New York Times« das Konzerthaus nannte, verwandelte sich damit vorübergehend in eine Heimstätte für Athleten. Den Bedenken vereinzelter Direktionsmitglieder bezüglich eines möglichen Reputationsverlustes wurde nur zum Teil Beachtung geschenkt. Während nach langer Diskussion schließlich der Entschluss gefällt wurde, dass Boxkämpfe nur versuchsweise, und zwar aus »Rücksicht auf die ungünstige finanzielle Lage«677, abgehalten werden sollten, wurde dem Vorschlag, das Konzerthaus für Handballspiele zu nutzen, ohne weitere Vorbehalte zugestimmt. Darüber hinaus nahm Bot­stiber von sich aus Verhandlungen mit dem Wiener Eislaufverein bezüglich der Verwendung des Großen Saals als Rollschuhbahn auf, wobei dieser dem Angebot nur mäßiges Interesse entgegenbrachte.678 Die Modifikation der Veranstaltungspolitik wirkte sich auch auf die allgemeine musikalische Bandbreite im Konzerthaus aus. Leichte Unterhaltungsmusik, von der erwartet wurde, ein größeres Publikum anzusprechen, war bereits seit den späten 1920er Jahren zunehmend in den Vordergrund gerückt, während die Zahl der Veranstaltungen von hoher künstlerischer Qualität im Sinken begriffen war. Während die Konzerthausgesellschaft selbst von der Organisation von Aufführungen mit ausschließlichem Unterhaltungs- und Volkscharakter Abstand nahm, gestattete die Direktion Bot­stiber, die Konzertsäle für Darbietungen zur Verfügung zu stellen, die 675 Vienna Musicians Shocked. They Hear Boxing Bouts Will Be Held In Konzert Haus, in  : The New York Times, 28. Februar 1932, E3. 676 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. März 1933. KHG. 677 Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 25. Jänner 1933. KHG. 678 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. März 1933. KHG.

Von Boxkämpfen und Parteitagen

kaum mit der Mission der Gesellschaft übereinstimmten und die, ähnlich wie die Sportveranstaltungen, in Zeiten günstigerer wirtschaftlicher Rahmenbedingungen als wenig passend für das Konzerthaus angesehen worden wären. Als Konsequenz stieg der Anteil leichter beziehungsweise nicht-klassischer Musik sprunghaft an, einschließlich der ersten Jazz-Konzerte, in deren Rahmen jedoch kein Jazz im tatsächlichen Sinn, sondern vielmehr Schlager und Tanzmusik mit Operetten- und Walzermelodien aufgeführt wurden679. Der dritte Bestandpunkt der von Bot­stiber angesprochenen großzügigen Auffassung bezüglich der Vermietungspolitik war neben der Einführung von Sportevents und der Zunahme von Unterhaltungs- und Populärmusik die Politisierung des Veranstaltungskalenders. Zwar hatten politische Veranstaltungen jeglicher Provenienz bereits seit dessen Gründung im Konzerthaus stattgefunden, aber ihre Zahl vervielfachte sich unmittelbar vor und während der Weltwirtschaftskrise, wobei sich in diesem Zeitraum in Übereinstimmung mit der politischen Entwicklung auch eine Verschiebung des politischen Gleichgewichts feststellen lässt. Während der 1920er Jahre hatte es eine Reihe von Veranstaltungen linksgerichteter Organisationen gegeben, mit dem Kongress der Sozialistischen Internationalen im Juli und August 1931 als Höhepunkt680. Die Buchungsanfrage für den Großen Saal zur Nutzung für einen Vortrag des ehemaligen marxistischen Revolutionärs und sowjetischen Volkskommissars für das Bildungswesen, Anatoli Lunatscharski, über das kulturelle Leben in Russland wurde von Präsident Köchert allerdings im darauffolgenden November abgelehnt.681 Köchert sah im geplanten Vortrag den Versuch einer kommunistischen Agitation und fürchtete Demonstrationen von politischen Gegnern. Seine Entscheidung wurde von den Mitgliedern der Direktion bis auf den Vertreter der Stadt Wien, Gustav Scheu, »mit Befriedigung zur Kenntnis genommen«682. Ob sie tatsächlich auf der Befürchtung basierte, es könnte wie beim Sozialistenkongress zu gewalttätigen Ausschreitungen und Sachschäden kommen, oder ob sie primär die eigene politische Überzeugung der Gesellschaft widerspiegelte, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Zwar war auch in den neuen Statuten von 1931 wie schon in der ursprünglichen Fassung festgeschrieben, dass keine »Veranstaltungen politischer Art, die geneigt erscheinen, dem deutschen Charakter der Stadt Wien Abbruch zu tun«683, im Konzerthaus stattfinden sollten. Aber ob die Statuten in der Praxis relevant für Bot­stibers Tätigkeiten waren, ist eine andere Frage. Wie die Einführung von Boxkämpfen und Handballspielen 679 Cf. Revers, Erste Republik, 80f. 680 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1930/1931, 7. 681 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 25. November 1931. KHG. 682 Ibid. 683 Konzerthausgesellschaft, Satzungsentwurf. AVA. MdI STEF A 117 14b.

163

164

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

zeigt, regelte der Generalsekretär das Tagesgeschäft der Gesellschaft angesichts der wirtschaftlichen Umstände mit einem variablen Grad an Pragmatismus, was ihm von der Direktion auch zugestanden wurde. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass zahlreiche tschechisch-nationalistische oder zionistische Veranstaltungen während der Monarchie und den 1920er Jahren im Konzerthaus stattgefunden hatten, die zweifellos nicht mit den deutschnationalen Wurzeln der Gesellschaft übereingestimmt hatten. Die sich verstärkenden politischen Spannungen der Ersten Republik zwangen die Konzerthausgesellschaft aber jedenfalls dazu, Farbe zu bekennen. Tatsächlich wurden ab der Saison 1931/1932 keine Veranstaltungen mit sozialistischem oder sozialdemokratischem Hintergrund abgehalten, während die Zahl von christlichsozialen Veranstaltungen ab 1930 zunahm. Diese Entwicklung erreichte ihren ersten Höhepunkt im Jahr 1933, als Bundeskanzler Engelbert Dollfuß das Parlament ausschaltete und die Weichen für die Errichtung des autoritären Ständestaates stellte. Die mehr oder weniger offen zutage tretende Parteinahme wirkte sich negativ auf das Verhältnis zwischen der Konzerthausgesellschaft und Wiens sozialdemokratischer Stadtregierung aus, vor allem hinsichtlich der Verhandlungen über die Zuerkennung einer Subvention. Es ist kein Zufall, dass das einzige Mitglied der Direktion, das gegen die Entscheidung, Lunatscharski den Auftritt im Konzerthaus zu verwehren, protestierte, der Vertreter des Wiener Gemeinderates, Gustav Scheu, war. In diesem Zusammenhang hatte Scheu die Direktion auch ermahnt, keine wie auch immer geartete Form der Zensur auszuüben.684 Das Verschieben des programmatischen Schwerpunkts brachte zweifellos neue Impulse für das Konzerthaus. Nichtsdestotrotz gelang es dadurch nicht, den massiven Rückgang von Vermietungen an kommerzielle Konzertveranstalter zu kompensieren, die noch immer die wichtigste Kundengruppe darstellten, deren Geschäft aber nach wie vor stagnierte. Verglichen mit der Spielzeit 1930/1931 hatte sich die Zahl der Veranstaltungen im Konzerthaus in der Saison 1933/1934 beinahe halbiert. Das Konzertbüro stellte seine Tätigkeit größtenteils ein und die Zahl der Vermietungen erreichte mit nur 296 den niedrigsten Wert in der Geschichte der Gesellschaft. Wegen der schrumpfenden Einnahmen operierte diese am finanziellen Limit, was die Aufrechterhaltung des künstlerischen Betriebes drastisch gefährdete. Der Bürgerkrieg vom 12. bis zum 15. Februar 1934 zwischen republikanischem Schutzbund auf der einen und Polizei, Gendarmerie, Armee und Heimwehr auf der anderen Seite trug wesentlich dazu bei. Aufgrund der Kämpfe wurde in Wien vom 12. bis zum 21. Februar eine Ausgangssperre verhängt, die die Konzerthausgesellschaft zwang, ihre Abendvor684 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 25. November 1931. KHG.

Von Boxkämpfen und Parteitagen

stellungen einschließlich einer Reihe von gesellschaftlichen Veranstaltungen, die für gewöhnlich beträchtliche Einnahmen versprachen, abzusagen685, was sich besonders negativ auf das Budget auswirkte. Als unmittelbare Konsequenz strich die Direktion ein Chorkonzert mit Bachs »Matthäus-Passion« sowie eine Kammermusikaufführung, um die finanzielle Belastung der Gesellschaftsfinanzen durch das eigene künstlerische Programm zu verringern686. Mittelfristig beschloss sie erneut Gehaltskürzungen zwischen 20 und 25 Prozent in der Saison 1933/1934, denen eine weitere Reduktion um 15 Prozent in der darauffolgenden Spielzeit folgen sollte687. Diese Maßnahmen reichten jedoch nicht aus, um die entgangenen Einnahmen zu kompensieren. Bot­stiber und Köchert ersuchten daher im März 1934 das Unterrichtsministerium abermals um eine Subvention. Sie schilderten dabei die verzweifelte Situation, in der sich die Gesellschaft in dieser »besonders katastrophalen« Saison befand, und legten dar, wie sich die Ereignisse vom Februar auf den Spielplan und die Finanzen ausgewirkt hatten. Ähnlich wie im Dezember 1930, als sie in Aussicht gestellt hatten, die eigene künstlerische Tätigkeit einzustellen, kündigten Bot­stiber und Köchert dieses Mal sogar an, den Betrieb des Konzerthauses generell stillzulegen, sollte keine Förderung gewährt werden. Trotz der unbestreitbaren finanziellen Probleme handelte es sich bei dieser radikal anmutenden Androhung aber wohl eher um einen taktischen Schachzug, mit dem sie ihren Forderungen Nachdruck verleihen wollten. Denn auch wenn ein Konzert im Chorzyklus abgesagt worden war, so waren die beiden anderen Konzerte jeweils am darauffolgenden Tag wiederholt worden. Darüber hinaus hatte Bot­stiber kurz vor dem Ansuchen um eine Subvention am 1. März 1934 sogar noch ein außerordentliches Konzert mit Mahlers »2. Sinfonie« organisiert. In diesem Zusammenhang ist es überhaupt zweifelhaft, ob die »Matthäus-Passion« tatsächlich aus finanziellen Gründen vom Spielplan gestrichen worden war, wie im entsprechenden Jahresbericht der Gesellschaft zu lesen ist688. Laut einer Aussage Köcherts in der Direktionssitzung am 6. April 1934 hatte das Konzert vielmehr deswegen nicht stattfinden können, weil der dafür vorgesehene Dirigent Karl Böhm seine Zusage nicht eingehalten hatte und kurzfristig kein Ersatz zu finden gewesen war.689 Das Vorschieben finanzieller 685 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 2. März 1934. KHG. 686 Cf. Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 10. März 1934. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397. 687 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. April 1934. KHG  ; Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1934/1935, 5. 688 Cf. Konzerthausgesellschaft. Bericht der Direktion 1933/1934, 2. 689 Böhm wäre laut Protokoll der Direktionssitzung vom 26. Mai 1933 für die »Matthäus-Passion« und

165

166

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Probleme als Grund für die Absage stellte eine günstige Gelegenheit dar, den unerfreulichen Zwischenfall auf diplomatische Weise zu bereinigen und gleichzeitig die eigene Verhandlungsposition im Ringen um eine Subvention zu stärken. Insofern war der dramatische Tonfall sowie der Zeitpunkt der Anfrage aus strategischen Gründen gewählt worden. Denn Bot­stiber und Köchert verwiesen in ihrer Anfrage auch auf die dem Ministerium durch die neu eingeführte Rundfunkteilnahmegebühr zur Verfügung stehenden zusätzlichen Mittel zur Kunstförderung und baten daher um den der Gesellschaft ihrer Ansicht nach zustehenden Anteil.690 Ihrem Anliegen wurde schlussendlich Gehör geschenkt. Für das Jahr 1934 gewährte das Ministerium eine Subvention in der Höhe von 10.000 Schilling. Neben diesem Erfolg bemühte sich die Konzerthausgesellschaft auch um eine Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit ihrem größten Konkurrenten. Bereits im März 1933 war mit der Gesellschaft der Musikfreunde eine zeitlich begrenzte Vereinbarung über die Entlohnung des Wiener Sinfonie-Orchesters für die populären Konzerte getroffen worden, da das Ensemble derartige Auftritte sowohl im Konzerthaus als auch im Musikverein absolvierte.691 Im Frühjahr 1934 trat Bot­stiber in weitere Verhandlungen mit seinem ehemaligen Arbeitgeber. Der Generalsekretär zeigte sich bestrebt, neue Arten der Kooperation zu finden, um die Einnahmen beider Gesellschaften zu erhöhen und gleichzeitig die Ausgaben zu senken692. In erster Linie wurde die Rückkehr zu einer akkordierten Preispolitik diskutiert, um das Preisniveau der Konzertsäle wieder anzuheben, das aufgrund der geringen Nachfrage stark gesunken war. Beide Parteien betonten daher die Notwendigkeit, getroffene Absprachen unbedingt einzuhalten.693 Bis Juni 1934 hatten sie sich auf eine detaillierte Abmachung für die kommende Saison geeinigt, die nicht nur Minimalmietpreise vorsah, sondern auch spezielle Bestimmungen zum Gewähren von Rabatten oder die Konsequenzen für säumige Mieter enthielt.694 Ausgabenseitig wurde versucht, die Kosten für die Beethovens »9. Sinfonie« vorgesehen gewesen, während Bruno Walter das dritte Konzert des Zyklus hätte übernehmen sollen. Tatsächlich fanden in der Saison 1933/1934 zwei Chorkonzerten mit Mozarts »Requiem in d-moll« und der »Missa Solemnis«, dirigiert von Anton Konrath und Fritz Busch, statt. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1933 und 6. April 1934. KHG. 690 Cf. Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 10. März 1934. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397. 691 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. März 1933. KHG. 692 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 24. April 1934. KHG. 693 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 5. Juni 1934. KHG. 694 Wie bereits erwähnt findet sich ein Entwurf dieser Vereinbarung auch im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde. Dass sie tatsächlich auch in die Tat umgesetzt wurde, ist zwar sehr wahrscheinlich, jedoch nicht eindeutig zu belegen.

Der Abgesang der Moderne

Konzertankündigungen zu senken, wobei das Unterrichtsministerium gebeten wurde, bei den infrage kommenden Zeitungen zu intervenieren. Angesichts der wirtschaftlichen Situation wurde sogar die Fusion der Konzertbüros und der Gesellschaften selbst angedacht, die Idee jedoch bald wieder verworfen.695 Die Konzerthausgesellschaft und die Gesellschaft der Musikfreunde behielten ihre Eigenständigkeit auch im österreichischen Ständestaat, der mit der Proklamation der ständestaatlichen Verfassung am 1. Mai 1934 formal Gestalt angenommen hatte696, bei.

Der A bgesang der Moder ne Die Spielzeit 1934/1935 brachte geringe finanzielle Verbesserungen für die Konzerthausgesellschaft mit sich. Einerseits erlebte das Geschäft mit den Saalvermietungen durch die zahlreichen politischen Veranstaltungen der Vaterländischen Front, nun die einzig erlaubte politische Bewegung in Österreich697, und ihrer Unterorganisationen einen bescheidenen Aufschwung. Ein weiterer Grund war, dass sich die Wirtschaft des Landes und vor allem der Industriesektor nach dem Höhepunkt der Krise 1933 langsam erholten und die Arbeitslosenrate zurückging698, was sich auch positiv auf das Konzertwesen auswirkte. Die Nachfrage nach musikalischen Darbietungen und damit die Zahl der Konzertbesucher begannen trotz der starken Konkurrenz durch Radio und Grammophonaufnahmen wieder zu steigen. Dass auch die vom Konzertverein organisierten Konzerte offenbar wieder besser ausgelastet waren, lässt sich daran ablesen, dass deren Anzahl im Vergleich zur Vorsaison gleichblieb, der daraus resultierende Verlust sich aber halbierte699. Die Aktivitäten des Konzertbüros 695 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. April und 5. Juni 1934. KHG. 696 Cf. Emmerich Tálos, Walter Manoschek, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus  : (Verfassungs-)Rechtlicher Rahmen – politische Wirklichkeit – Akteure, in  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933–1938. Politik und Zeitgeschichte 1 (Wien und Berlin 2012), 125. 697 Die KPÖ sowie die NSDAP waren bereits im Mai und Juni 1933 verboten worden. Das Verbot der Sozialdemokratie folgte im Februar 1934, während die deutschnationale Partei aufgelöst und die christlichsoziale Partei in die Vaterländische Front eingegliedert wurde. Cf. Emmerich Tálos, Walter Manoschek, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus, in  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933–1938. Politik und Zeitgeschichte 1 (Wien und Berlin 2012), 18f. 698 Cf. Gerhard Senft, Anpassung durch Kontraktion. Österreichs Wirtschaft in den dreißiger Jahren, in  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933–1938. Politik und Zeitgeschichte 1 (Wien und Berlin 2012), 187ff. 699 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1934/1935, 5.

167

168

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

konnten in weiterer Folge ebenfalls wiederbelebt werden, auch wenn sie zunächst noch stagnierten. Die Veränderungen der Jahre 1933 und 1934 wirkten sich aber vor allem auf den Grad der Unterstützung der Konzerthausgesellschaft durch die öffentliche Verwaltung aus. Vor allem das Verhältnis zwischen der Gesellschaft und der Gemeinde Wien erfuhr eine fundamentale Veränderung. Wie bereits erwähnt herrschte zwischen den beiden Parteien seit Jahren Verstimmung über die Frage der Besteuerung, die aus Sicht der Direktion abzuschaffen oder zumindest zu reduzieren war, da sie angesichts der anhaltenden Krise jede Berechtigung verloren hatte700. Dieser Forderung wurde jedoch erst Gehör geschenkt, nachdem die sozialdemokratische Stadtregierung unter Karl Seitz im Zuge der Ereignisse vom Februar 1934 aus dem Amt entfernt worden war. Als sich Bot­stiber und die Direktion an den neu eingesetzten Bürgermeister Richard Schmitz wandten, stellte dieser umgehend eine wohlwollende Prüfung der Angelegenheit in Aussicht701. Bereits im April 1934 wurde der Gesellschaft eine Pauschalierung der Lustbarkeitsabgabe für den Zeitraum zwischen 1. Jänner und 30. Juni 1934 zugestanden, die sich auf nur 8.000 Schilling belief und damit deutlich geringer als ursprünglich kalkuliert ausfiel.702 Darüber hinaus nahm Bot­stiber Verhandlungen über eine Reduktion der Fürsorgeabgabe sowie eine Stundung der Warenumsatzsteuer, die in den Verantwortungsbereich des Finanzministeriums fiel, auf.703 Die Entscheidung über beide Ansuchen fiel zu Gunsten der Gesellschaft aus. Während das Ministerium einen Nachlass von 5.500 Schilling gewährte, erkannte der zuständige Magistrat ihren nicht-kommerziellen Charakter nun zur Gänze an, was eine Steuerersparnis in der Höhe von 17.200 Schilling mit sich brachte.704 Hinsichtlich der finanziellen Unterstützung durch die öffentliche Hand blieb die Situation zwischen den Jahren 1934 und 1936 stabil. Zwar reduzierte das Unterrichtsministerium im Jahr 1935 zwischenzeitlich seine Subvention um 20 Prozent,705 dies konnte allerdings durch die Zuerkennung einer städtischen Förderung für die nachfolgende Spielzeit, die in weiterer Folge auf 8.500 Schilling angehoben und damit mehr als verdreifacht wurde706, mehr als kompensiert werden. Auch wenn im Geschäftsjahr 1934/1935 noch immer negativ bilanziert wurde, so 700 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1932/1933, 7. 701 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 2. März 1934. KHG. 702 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. April 1934. KHG. 703 Cf. ibid. 704 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1934/1935, 4. 705 Cf. ibid. 6. 706 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1934/1935, 4  ; Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1935/1936, 9f.

Der Abgesang der Moderne

konnte der Verlust der Gesellschaft im Vergleich zur Vorsaison nicht zuletzt wegen der beträchtlichen Unterstützung durch Stadt und Bund um beinahe 80 Prozent verringert werden. Die verbesserten Bedingungen trugen auch dazu bei, dass die Direktion eher geneigt war, bei den eigenen künstlerischen Aktivitäten ein gewisses Maß an Risikobereitschaft an den Tag zu legen. So wurde im Juni 1934 der Vorschlag, das Oratorium »Der Große Kalender« des deutschen Komponisten Hermann Reutter in den Spielplan des Chorzyklus der kommenden Saison aufzunehmen, vorbehaltlos genehmigt, obwohl Bot­stiber dafür trotz einer Ravag-Zuwendung in der Höhe von 2.500 Schilling einen Verlust von 4.000 Schilling prognostizierte.707 Die Defizite aus ihren eigenen Konzerten fielen daher in der Spielzeit 1934/1935 mehr als zweieinhalb Mal so hoch aus wie ein Jahr zuvor, auch weil die Gesellschaft die Kartenpreise im Einklang mit der ursprünglichen Mission des Konzertvereins möglichst niedrig zu gestalten versuchte708. Diese Entwicklung wurde von Finanzreferent Stransky kritisch beäugt, der für eine Fortsetzung des Sparprogramms plädierte. Der Vertreter des Unterrichtsministeriums, Karl Wisoko-Meytsky stellte im Mai 1935 jedoch klar, dass von Seiten des Ministeriums nur dann weiterhin mit einer Förderung zu rechnen sei, sofern die Gesellschaft mit Rücksicht auf eine einigermaßen ausgeglichene Bilanz auch weiterhin künstlerisch tätig bliebe.709 Diese Aussage stand zweifellos in Verbindung mit einer Beschwerde, die die Betreiber der Sophiensäle, einer anderen Wiener Veranstaltungsstätte, bereits 1934 beim Unterrichtsministerium eingebracht hatten. Diese erachteten die Vergabe einer Förderung an die Konzerthausgesellschaft nur dann als zulässig, sofern Letztere von nicht-kulturellen und kommerziellen Veranstaltungen wie Boxkämpfen und Weinverkostungen Abstand nähme.710 Als Reaktion auf die Kritik hatte die Direktion beschlossen, in der Saison 1934/1935 den Chorzyklus wieder um ein drittes Konzert zu erweitern, da auch das Ministerium die Meinung vertrat, die Konzerthausgesellschaft müsse »in erster Linie als künstlerische Gesellschaft fungieren«711. Dementsprechend intensivierten Bot­stiber und die Direktion auch entgegen der Bedenken Stranskys ihre künstlerischen Aktivitäten. Die Zahl der eigenen Konzerte einschließlich derjenigen, die vom Konzertbüro organisiert wurden, stieg in der Saison 1935/1936 um beinahe 20 Prozent. Darüber hinaus hoben Bot­stiber und Köchert bei zukünftigen 707 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 5. Juni 1934. KHG. 708 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1934/1935, 4f. 709 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 17. Mai 1935. KHG. 710 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 5. Juni 1934. KHG. 711 Cf. Bericht über die Direktionssitzung der Konzerthausgesellschaft, 5. September 1934. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397.

169

170

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Subventionsansuchen explizit den hohen künstlerischen Wert der von ihnen in der Vergangenheit veranstalteten Darbietungen hervor und verwiesen dabei auf die programmatische Fokussierung auf Werke zeitgenössischer österreichischer Komponisten712. Vor allem hinsichtlich des zweiten Aspekts begann der Spielplan der Gesellschaft zunehmend die politischen Realitäten widerzuspiegeln. Die Kulturpolitik des Ständestaats konzentrierte sich auf die Förderung von Kunst österreichischen Ursprungs und betonte die glorreiche musikalische Vergangenheit des Landes aus patriotischen Motiven. Das Bild Österreichs als Musiknation sollte der Identifizierung der Bürger mit dem neuen Regime dienen.713 Aus diesem Grund wurden die »Tonheroen« der österreichischen Musikgeschichte abermals dazu benutzt, die eigene kulturelle Hegemonie hervorzuheben, während Komponisten, die mit deren Tradition brachen, als unösterreichisch betrachtet wurden. Dies betraf vor allem Schönberg und seine Schüler, deren progressiven Werken keine öffentliche Unterstützung zuteilwurde und die wenig bis keine Beachtung fanden714. Um sich die Gewogenheit der Regierung zu sichern, zeigte sich die Konzerthausgesellschaft in zunehmendem Maß bereit, der vorgegebenen künstlerischen Marschroute zu folgen, zumal sich die Ausrichtung auf das reiche musikalische Erbe des Landes mit den Vorlieben der Direktion deckte. 1934 entwarf der Generalsekretär insofern einen Plan für ein Musikfest anlässlich des 125. Geburtstages und 50. Sterbetages von Franz Liszt, das, von der Konzerthausgesellschaft veranstaltet, im Rahmen der Wiener Festwochen im Juni 1936 stattfinden sollte715. Konkret sah dieser zwei symphonische Darbietungen, ein Oratorium, ein Kirchenkonzert sowie eine szenische Freiluftaufführung vor. Zusätzlich schwebte Bot­ stiber eine zyklische Aufführung aller symphonischen Dichtungen des Komponisten, eingebunden in die Sonntagskonzerte der Gesellschaft, vor. Der Entwurf fand nicht nur die lobende Zustimmung der Direktion716, sondern wurde auch als Ausgangsbasis für die von staatlicher Seite ins Auge gefassten Feierlichkeiten übernommen. Ähnlich wie bei den Feierlichkeiten anlässlich des Haydn-Jubiläums wurde Bot­stiber, der gemeinsam mit Vertretern des Unterrichtsministerium, der Ravag, der burgenländischen Landesregierung und dem Wiener Fremdenverkehrsbüro das Organisationskomitee bildete, erneut zur treibenden Kraft des Projekts. Allerdings wurde der Idee 712 Cf. Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 6. Mai 1936. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3398. 713 Cf. Mayer-Hirzberger, Musikland Österreich, 38. 714 Das Programm der Ravag betreffend war dies bereits seit 1930 der Fall gewesen. Cf. ibid. 254–263. 715 Cf. Bericht über die Direktionssitzung der Konzerthausgesellschaft, 5. September 1934. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397. 716 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 5. September 1934.

Der Abgesang der Moderne

von Feierlichkeiten in Raiding, Liszts Geburtsort im Burgenland, eine Absage erteilt, um einen politischen Eklat mit der ungarischen Regierung zu vermeiden, da Letztere ebenfalls ein Gedenkfest vorbereitete und in der ungarischen Presse eine polemische Debatte darüber geführt wurde, ob Liszt Ungar gewesen sei oder nicht. Obwohl das Unterrichtsministerium in Wien entschlossen war, die österreichische Herkunft des Komponisten zu betonen, wollte es auch den ungarischen Standpunkt berücksichtigen, vor allem vor dem Hintergrund des österreichisch-ungarischen Kulturabkommens von 1935.717 Politische Überlegungen torpedierten auch Bot­stibers Vorschlag, das Ballet der Budapester Oper einzuladen. Während ein Gastauftritt vom Vertreter der Fremdenverkehrsstelle als wertvolle Bereicherung für die Wiener Festwochen gesehen und daher begrüßt wurde, lehnte der Delegierte der burgenländischen Landesregierung die Veranstaltung aufgrund des zu erwartenden stark ausgeprägten ungarisch-nationalen Charakters ab.718 Schlussendlich stellten sich Bot­stibers Bemühungen allerdings ohnehin als vergebliches Bemühen heraus. Aufgrund finanzieller Gründe reduzierte die Bundesregierung ihre Feierlichkeiten zu einer einzigen Zeremonie in Eisenstadt.719 In Ermangelung öffentlicher Unterstützung ließ auch die Konzerthausgesellschaft ihr aufwendiges Programm fallen. Sie organisierte lediglich ein Festkonzert mit dem Budapester Konzertorchester, dirigiert von Felix Weingartner, und widmete dem Andenken Liszts einige ihrer Populärkonzerte. Obwohl der Fokus mehr denn je auf den großen, aber bereits verstorbenen »Tonheroen« der österreichischen Musikgeschichte lag, verschwanden lebende Komponisten nicht vollständig aus dem Spielplan der Gesellschaft. In Übereinstimmung mit der Kulturpolitik des Ständestaats wurden allerdings nur mehr Künstler berücksichtigt, deren Werke der Tradition folgten. So wurde in der Saison 1935/1936 ein Konzert des Chorzyklus explizit zeitgenössischen österreichischen Komponisten gewidmet. Doch bereits die Titel der dabei aufgeführten Werke von Friedrich Reidinger und Wilhelm Jerger, »Gotische Messe« und »Hymnen an den Herrn« weisen darauf hin, dass diese alles andere als progressiv waren. Der Anteil avantgardistischer Musik im Repertoire der von der Konzerthausgesellschaft veranstalteten Darbietungen war bereits ab dem Ende der Saison 1931/1932 aufgrund der desaströsen wirtschaftlichen Verhältnisse massiv zurückgegangen. Eines der wenigen Glanzlichter war damals ein Konzert mit Ivan Boutnikoff im Rahmen 717 Cf. Eder, Musikfeste, 339f. 718 Cf. Protokoll der Sitzung des vorbereitenden Komitees für das Franz Liszt-Musikfest, 11. Jänner 1936. AVA. Bestand Unterricht. 15 Musikwesen. Lisztfeier, fl. 3263. 719 Cf. Eder, Musikfeste, 341f.

171

172

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

der Wiener Festwochen im Juni 1932 mit Erstaufführungen von Sergei Rachmaninow, Maurice Ravel und Eugene Zador gewesen720. Spätestens ab der Mitte der 1930er Jahre war moderne Kunst allerdings beinahe vollständig aus dem Gesellschaftsspielplan verschwunden721, trotz der anhaltenden Bemühungen Bot­stibers. Diesem gelang es zumindest, eine weitere Aufführung von Schönbergs »Gurreliedern«722, die aufgrund eines finanziellen Beitrags der Singakademie weniger defizitär als erwartet ausfielen, sowie der »8. Sinfonie« des ebenfalls zunehmend ignorierten Gustav Mahler im Rahmen des Chorzyklus der Saison 1935/1936 auf die Beine zu stellen723. Als eines der letzten Glanzlichter moderner Musik vor dem Anschluss und dem Zweiten Weltkrieg organisierte der Generalsekretär im Jänner 1935 ein Konzert unter der Leitung des österreichischen Dirigenten Robert Kolisko mit Paul Hindemiths Sinfonie »Mathis der Maler« sowie der sinfonischen Suite aus Igor Strawinskys »Der Feuervogel«. Quasi als Schlusspunkt in seinem Ringen um die Förderung seines alten Freundes Schönberg verschaffte Bot­stiber dem österreichisch-ungarischen Dirigenten Eugene Ormandy im Juni 1936 einen Auftritt bei den Wiener Festwochen724, bei dem unter anderem »Verklärte Nacht« zu hören war. Für mehr als zehn Jahre war dies das letzte von der Konzerthausgesellschaft veranstaltete Konzert, bei dem Musik von Schönberg zu hören war. Die im Namen des Konzertvereins arrangierten Orchesterkonzerte trugen der Kulturpolitik des Ständestaats bereits seit geraumer Zeit Rechnung. In der Saison 1931/1932 hatte es einen Beethoven-Zyklus gegeben, während sich die Direktion damit einverstanden gezeigt hatte, die Abonnementkonzerte der Spielzeit 1932/1933 Brahms und Bruckner zu widmen. In beiden Fällen war der Initiator Leopold Reichwein gewesen, der Dirk Fock 1927 als Hauptdirigent des Konzertvereins nachgefolgt war. Die Direktion schätzte seine Arbeit, da die von ihm geleiteten Konzerte nicht nur vom künstlerischen Standpunkt aus betrachtet zufriedenstellend verliefen und vom Publikum mit überaus großem Beifall bedacht wurden, sondern auch finanziell positive Ergebnisse verzeichnen konnten.725 In Hinsicht auf die Wirtschaftlichkeit 720 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 10. Mai 1932. KHG. 721 Wie Peter Revers ausführt, gab es im Konzerthaus bis 1937 noch bemerkenswerte Konzerte mit zeitgenössischer Musik einschließlich Werken von Schönberg, Berg und Webern. Diese wurden jedoch bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr von der Konzerthausgesellschaft organisiert, sondern von kommerziellen Konzertagenturen oder anderen Initiativen. Cf. Revers, Erste Republik, 75f. 722 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 13. Dezember 1935. KHG. 723 Wie Schönberg passte auch Mahler nicht in das kulturpolitische Konzept des Ständestaats. Zwischen 1918 und 1930 hatten Konzerthausgesellschaft und Konzertbüro noch 98 Darbietungen veranstaltet, bei denen zumindest ein Werk von Mahler zu hören gewesen war. Zwischen 1930 und 1933 waren es nur mehr zwölf und zwischen 1933 und 1938 gar nur mehr acht Konzerte. 724 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 135. 725 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 10. Mai 1932. KHG.

Der Abgesang der Moderne

war die Programmierung also nicht ausschließlich ideologischen Aspekten geschuldet. Wie bereits mehrfach erwähnt betrachtete die Direktion Komponisten wie Beethoven, Brahms oder Bruckner als effektive Marke, von der in Kombination mit bekannten und zugkräftigen Künstlern erwartet wurde, »eine günstige Aufnahme beim Publikum [zu] finden und eine entsprechende Anziehungskraft aus[zu]üben«726. Aus diesem Grund hatte die Direktion auch keine Einwände, als Reichwein für die Saison 1933/1934 einen Zyklus mit dem Titel »Österreichische und Deutsche Tondichter« vorschlug727. Als Gustav Scheu anregte, einen der progressiven österreichischen Preisträger des Kompositionswettbewerbs der Universal Edition zu berücksichtigen, gab Reichwein zu Protokoll, sich dafür interessieren zu wollen. Die einzigen zeitgenössischen Komponisten, deren eher konventionelle Werke im Rahmen des acht Konzerte umfassenden Zyklus zu hören waren, waren Julius Bittner, Hans Pfitzner, Joseph Marx und Franz Schmidt. Die Auswahl der Komponisten spiegelt zum Teil auch die politische Überzeugung Reichweins wider, der wie sein deutscher Landsmann Pfitzner ein überzeugter Antisemit war. 1932 war er der NSDAP beigetreten und noch im selben Jahr hatte er einen antisemitischen Artikel in deren Parteizeitung »Völkischer Beobachter« mit dem Titel »Die Juden in der deutschen Musik« veröffentlicht728. Die daraus entstehende Kontroverse blieb nicht auf deutsche Medien beschränkt, sondern wurde auch in Wien zu einem heftig debattierten Thema. Die Konzerthausgesellschaft war jedoch nicht gewillt, Maßnahmen gegen ihren Dirigenten zu ergreifen. Als Reaktion auf die scharfen Angriffe auf Reichwein beschloss die Direktion im Herbst 1932, eine Stellungnahme zu veröffentlichen und klarzustellen, dass die Gesellschaft beziehungsweise der Konzertverein keine wie auch immer geartete politische Agenda verfolge und sich ausschließlich auf künstlerische Tätigkeiten konzentriere. Generell vertrat Köchert die Meinung, der Angelegenheit keine allzu große Bedeutung beizumessen und sie am besten zu ignorieren.729 Jedoch teilten nicht alle Mitglieder der Direktion die Ansicht des Präsidenten. Im Jänner 1933 kam es in einer Direktionssitzung zu einer Aussprache über die Auswirkungen von Reichweins politischer Haltung auf die Gesellschaft730, da diese entgegen Köcherts Erwartungen nach wie vor in der Öf726 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 10. Mai 1932. KHG. 727 In Reichweins Entwurf lautete der ursprüngliche Titel »Deutsche und Österreichische Tondichter«. Die Reihenfolge wurde später geändert. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1933. KHG. 728 Cf. Annkatrin Dahm, Der Topos der Juden. Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum. Jüdische Religion, Geschichte und Kultur 7 (Göttingen 2007), 327. 729 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 28. Oktober 1932. KHG. 730 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 25. Jänner 1933. KHG.

173

174

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

fentlichkeit thematisiert wurde. Als zwei Monate später die Frage über eine erneute Verpflichtung des Dirigenten für die kommende Saison zur Abstimmung gelangte, entschied sich die Direktion nach langer und ausführlicher Diskussion, aber bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung, die Zusammenarbeit mit Reichwein fortzusetzen.731 Da vereinbart wurde, Stillschweigen über die Meinungsäußerungen der einzelnen Mitglieder zu bewahren, geben die Sitzungsprotokolle keinen Aufschluss darüber, wer sich gegen eine Vertragsverlängerung mit dem Dirigenten aussprach. Fest steht aber, dass Bot­stiber zur Reichwein-Gegnerschaft innerhalb der Gesellschaft zählte, auch wenn er als Generalsekretär gemäß Statuten in den Direktionssitzungen kein Stimmrecht besaß und nur eine beratende Rolle einnahm. Denn laut der Autobiographie seines Sohnes Dietrich war er in einer persönlichen Unterredung aus Anlass des Artikels im »Völkischen Beobachter« mit dem Dirigenten aneinander geraten und hatte danach versucht, ihn seiner Funktion zu entheben, war aber von der Direktion überstimmt worden.732 Diese forderte von Reichwein lediglich die Bereitschaft ein, in Zukunft von unpassenden politischen Äußerungen Abstand zu nehmen.733 Während die Nachfrage nach den populären Sonntagskonzerten der Gesellschaft weiterhin gering blieb, erfreute sich der sinfonische Zyklus auch in der Spielzeit 1933/1934 großer Beliebtheit734, wodurch dieser keine substantielle Belastung mehr für das Gesellschaftsbudget darstellte. Aus diesem Grund hielt die Mehrheit der Direktion nach wie vor an Reichwein fest, als im April 1934 die Dirigentenwahl für die kommende Saison getroffen werden musste. Vor allem der Bankier Philipp Schoeller, der der Direktion im Zuge der Eingliederung des Konzertvereins im Mai 1931 beigetreten war, verwies auf die große Anhängerschaft Reichweins im Konzertpublikum und sprach sich aus künstlerischen Überlegungen für eine einheitliche Leitung aller Konzerte durch diesen aus, anstatt mehrere Gastdirigenten einzuladen.735 Im Gegensatz zur letzten Abstimmung im März 1933 war die NSDAP aber mittlerweile verboten worden, wodurch ein mögliches Festhalten am bekennenden Nationalsozialisten Reichwein zu einem noch größeren Politikum wurde. Alexander Spitzmüller, ebenfalls Bankier und letzter gemeinsamer Finanzminister der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, äußerte in diesem Zusammenhang seine Bedenken über die möglichen Auswirkungen der neuerlichen Wahl Reichweins auf die Entscheidung des Unterrichtsministeriums, der Gesellschaft weiterhin eine Subvention zuzuerkennen. Köchert, der diesen Punkt bereits im Vorfeld mit den Vertretern des Ministeriums 731 732 733 734 735

Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. März 1933. KHG. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 140. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. März 1933. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. Dezember 1933. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 6. April 1934. KHG.

Der Abgesang der Moderne

abgeklärt hatte, war jedoch in der Lage, die Zweifel der Direktion zu zerstreuen. Während Reichwein auch für die Saison 1934/1935 zum Dirigenten des symphonischen Zyklus bestellt wurde, erhielt die Gesellschaft wie vereinbart im Juni 1934 eine Förderung in der Höhe von 10.000 Schilling736. Beide Entscheidungen sahen sich nach dem nationalsozialistischen Putschversuch, in Zuge dessen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1934 ermordet wurde, heftiger Kritik in der Öffentlichkeit ausgesetzt. Denn der Grund für den großen Erfolg der von Reichwein dirigierten Konzerte war weder eine hohe künstlerische Qualität noch ein gesteigertes Interesse des Publikums an klassischer Musik, sondern die Tatsache, dass es sich bei ihnen in steigendem Maß um nationalsozialistische Propagandaveranstaltungen handelte und ihr Besuch laut der Zeitung »Die Stunde« mittlerweile zur Parteiangelegenheit geworden war737. Wie ein empörter Beobachter der Heimwehr meldete, wohnten dem Orchesterzyklus im Konzerthaus führende österreichische Nationalsozialisten wie Alfred Frauenfeld und Wenzeslaus von Gleispach sowie Angehörige großdeutscher Burschenschaften bei, wobei es zu nationalsozialistischen Kundgebungen und Kranzüberreichungen an Reichwein kam. Da die Darbietungen zunehmend von derartigen Zwischenfällen begleitet wurden, sah sich die Konzerthausgesellschaft sogar genötigt, das Publikum mittels eigens gedruckter Flugblätter aufzufordern, von politischen Meinungsäußerungen Abstand zu nehmen und sich auf das Künstlerische zu beschränken.738 Insofern wurde der Beschluss der Direktion, Reichwein auch weiterhin ein Podium zu bieten, als Skandal erachtet, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Gesellschaft Subventionen erhielt. Trotz des öffentlichen Aufschreis und des Festhaltens der Direktion an der Entscheidung, Reichwein weiterhin den Zyklus der Saison 1934/1935 leiten zu lassen, kam es zunächst zu keiner Reaktion der Behörden. Zwar informierte der Leiter der Interventionsabteilung der Heimwehr, Andreas von Morsey, Ende September 1934 das Bundeskanzleramt über die Vorfälle im Konzerthaus739, das die Angelegenheit wiederum an das Unterrichtsministerium weiterleitete. Aber obwohl dieses ankündigte, einzuschreiten und die Zahl der von Reichwein dirigierten Konzerte zu beschränken, führte die Konzerthausgesellschaft den acht Konzerte umfassenden Zyklus wie geplant durch. In dieser Hinsicht erscheint die nachgiebige Haltung der Bundesregierung erstaunlich. In seinem Antwortschreiben an Morsey vom Jänner stellte das 736 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 5. Juni 1934. KHG. 737 Cf. Meldung von E. M. Steiner, 1. August 1934. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397. 738 Cf. ibid. 739 Cf. Andreas von Morsey, Schreiben an das Personalkommissariat des Bundeskanzleramtes, 27. September 1934. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397.

175

176

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Bundeskanzleramt klar, dass das Unterrichtsministerium für die Saison 1935/1936 keinesfalls Konzerte mit Reichwein zulassen werde.740 Aber Köchert, der wiederholt mit Vertretern der Bundesregierung verhandelt hatte, konnte diesen im Mai 1935 erneut Zugeständnisse abringen. In einer von Kurt Schuschnigg, Dollfuß’ Nachfolger als Bundeskanzler, abgesegneten Vereinbarung erklärte die Konzerthausgesellschaft, Reichwein in der kommenden Saison nur für fünf Konzerte zu engagieren.741 Als Gegenleistung genehmigte das Unterrichtsministerium eine Jahresförderung von 10.000 Schilling, um die die Gesellschaft Anfang Mai angesucht hatte742, und überwies bis Monatsende die erste Tranche in der Höhe von 5.000 Schilling743. Die anschließende Suche nach einem anderen musikalischen Leiter, der die verbleibenden drei Konzerte des Orchesterzyklus übernehmen konnte, stellte sich als nur schwer zu lösende Aufgabe heraus, da die infrage kommenden Dirigenten zu diesem Zeitpunkt für die bevorstehende Saison bereits größtenteils verplant waren. Darüber hinaus benötigten deutsche Künstler eine Genehmigung für Auftritte im Ausland, die die nationalsozialistische Regierung nicht immer erteilte, vor allem, wenn es sich dabei um Gastspiele in Österreich handelte744. Hans Knappertsbusch, die erste Wahl der Gesellschaft, nahm die Einladung zwar ursprünglich an745, änderte später jedoch seine Meinung. Gleiches galt auch für Karl Böhm und Carl Schuricht.746 Darüber hinaus fragte die Gesellschaft bei Erich Kleiber, Volkmar Andreae, Adrian Cedric Boult, Thomas Beecham und Felix Weingartner an.747 Da aber die Verhandlungen mit diesen ebenso scheiterten, blieb das Problem bis zum Beginn der neuen Saison ungelöst, sodass der Dirigent der populären Orchesterkonzerte, Anton Konrath, zeitweilig ein740 Cf. Bundeskanzleramt, Schreiben an Andreas von Morsey, 17. Jänner 1935. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3397. 741 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 17. Mai 1935. KHG. 742 Cf. Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 4. Mai 1935. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3398. 743 Der im Ansuchen vom 4. Mai geäußerten Bitte um eine Erhöhung der Subvention wurde jedoch nicht nachgekommen. Darüber hinaus wurde auch die zweite Tranche letztendlich um 2.000 Schilling reduziert, was einen schweren Schlag für die Gesellschaft darstellte. Diese hatte sich darum bemüht, den Rest der Förderung bereits im Juli 1935 zu erhalten, da während der Sommermonate keine Konzertsäle vermietet werden konnten. Die Direktion sah sich daher gezwungen, einen neuen Kredit aufzunehmen, um die notwendigen Adaptierungsarbeiten vornehmen zu können. Cf. Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 18. Juli 1935. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3398. 744 Cf. Gabriele Volsansky, Pakt auf Zeit. Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936. Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 37 (Wien et al. 2001), 61. 745 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 31. Mai 1935. KHG. 746 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 27. September 1035. KHG. 747 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. Oktober 1935. KHG.

Der Abgesang der Moderne

springen musste. Später in der Spielzeit gelang es der Gesellschaft zumindest, Karl Böhm für zwei Konzerte zu engagieren748, um den sie sich bereits seit Jahren bemühte und der seine Zusage dieses Mal einhalten konnte749. Eine weitere politische Aussage Reichweins, die abermals in einer Medienkampagne gegen ihn resultierte, brachte in der Causa die entscheidende Wende. Aus Angst vor Ausschreitungen im Rahmen des für den 29. Jänner 1936 festgesetzten Orchesterkonzerts wies das Unterrichtsministerium die Konzerthausgesellschaft an, den Dirigenten nicht mehr auftreten zu lassen.750 Der Direktion blieb schlussendlich nichts anderes übrig, als der Aufforderung Folge zu leisten, und ersetzte ihn zunächst durch Anton Konrath, der ironischerweise ebenfalls überzeugter Nationalsozialist war751. Als Reichweins Vertrag in weiterer Folge einvernehmlich aufgelöst wurde, die Direktion gegenüber dem Unterrichtsministerium erklärte, ihn in Zukunft keinesfalls wieder zu engagieren752, und Karl Böhm für die nachfolgende Saison zum Leiter des Orchesterzyklus bestellt wurde753, schien Bot­stiber einen persönlichen Sieg errungen zu haben. Dem Generalsekretär war zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht bewusst, dass er Reichweins Schicksal sehr bald teilen sollte – mit einem entscheidenden Unterschied. Denn während der Dirigent nur vorübergehend aus dem Konzerthaus verbannt wurde, sollte Bot­stibers Abschied endgültig sein.

748 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 13. Dezember 1935. KHG. 749 Bereits 1933 war Bot­stiber nach Hamburg gereist, um Böhm für das gesamte Orchesterprogramm der Spielzeit 1933/1934 zu verpflichten. Damals hatte der Dirigent zugesagt, später sein Engagement aber auf nur zwei Chorkonzerte reduziert, zu denen es ebenfalls wie erwähnt nie gekommen war. Daneben hatte er sich im Mai 1935 bereit erklärt, bis zu vier Chordarbietungen in der Saison 1935/1936 am Konzerthaus zu leiten, seine Zusage aber wegen Tätigkeiten in Berlin nur zwei Wochen später erneut widerrufen. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 8. April 1933, 26. Mai 1933 und 5. Juni 1934. KHG. 750 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 31. Jänner 1936. KHG. 751 Wie Reichwein galt auch Konrath im Bereich Musik zu den Vorkämpfern des Dritten Reichs in Österreich. Cf. Friedrich C. Heller, Von der Arbeiterkultur zur Theatersperre, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 95, 107. 752 Cf. Konzerthausgesellschaft, Schreiben an das Bundesministerium für Unterricht, 23. Juni 1936. AVA. Bestand Unterricht. 15 Vereine. Wien, Musikvereine, fl. 3398. 753 Tatsächlich stand auch Böhm in einem Nahverhältnis zu den Nationalsozialisten, auch wenn er kein offizielles Parteimitglied war. Als er im August 1935 das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda um eine Auftrittsgenehmigung für Österreich ersuchte, gab er an, in Wien viele Anhänger vor allem in den Reihen der Nationalsozialisten zu haben, und verwies auf den propagandistischen Effekt der von ihm geleiteten Konzerte. Cf. Philipp Stein, Spielball der Kulturpolitik  : Karl Böhm, in  : Österreichische Musikzeitschrift 68/5 (2013), 22  ; Siehe auch Oliver Rathkolb, Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich (Wien 1991), 99ff.

177

178

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

Gezeiten wechsel  : Das Konzerth aus und die Nationalsozialisten Bot­stibers Laufbahn gelangte um die Mitte der 1930er Jahre an einen entscheidenden Wendepunkt. Wie sich sein Sohn Dietrich in seinen Memoiren erinnert, hatte er gesundheitliche Probleme und auch seine Position am Konzerthaus war nicht allzu stabil, da die ursprünglichen Gründer, die zu seinen Unterstützern gezählt hatten, mittlerweile verstorben waren.754 Tatsächlich waren mit Theodor Köchert und Alexander Spitzmüller nur mehr zwei Mitglieder übrig, die bereits in der konstituierenden Generalversammlung 1910 in die Direktion gewählt worden waren. Im Gegensatz zu Musikliebhabern wie Bot­stibers einstigem Förderer Karl August von Artaria verfolgten die jüngeren Mitglieder wie auch die Delegierten der Gemeinde Wien und der Bundesregierung zunehmend ihre eigenen Ziele755, auch in politischer Hinsicht. Ihr wachsender Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ging zu Lasten der Position des Generalsekretärs, die im Laufe der 1930er Jahre zunehmend schwächer wurde. Das Ableben Theodor Köcherts im November 1936 läutete insofern die finale Phase von Bot­stibers Tätigkeit für die Konzerthausgesellschaft ein. Die Nachfolge des langjährigen Präsidenten trat Philipp Schoeller an, der seit der Saison 1933/1934 gemeinsam mit Felix Stransky als dessen Stellvertreter fungiert hatte und verglichen mit seinem Vorgänger die Angelegenheiten der Gesellschaft auf pragmatischere Art und Weise regelte. Ähnlich wie Stransky war Schoeller an einem ausgeglichenen Budget gelegen, und er zeigte sich daher weniger an den künstlerischen Zielen der Gesellschaft interessiert als vielmehr an ihrer grundlegenden Restrukturierung. Zwar war es in der vergangenen Saison gelungen, die Erlöse aus den Saalvermietungen zu steigern, aber da die wirtschaftliche Erholung des Landes unter den Erwartungen der Direktion geblieben war und sich die Konkurrenz durch Radio und Aufnahmen nach wie vor negativ auf die Besucherzahlen auswirkte756, blieb die finanzielle Situation angespannt. Zudem verlor die Gesellschaft eine wichtige Einnahmequelle, als die Ravag in ihr eigenes Funkhaus übersiedelte und nicht mehr länger auf die Säle des Konzerthauses angewiesen war, die sie als Aufnahmestudios genutzt hatte. Angesichts dieser Entwicklung präsentierte Schoeller der Direktion im Februar 1937 sein wirtschaftliches Programm, mit dem er der budgetären Tristesse entgegenwirken wollte. Dieses sah neue Sparmaßnahmen, mit deren Durchführung er einen erfahrenen Rationalisierungsexperten beauftragen wollte, die Steigerung der Einnahmen aus 754 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 140f. 755 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 26. Mai 1933 und 5. Juni 1934. KHG. 756 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1935/1936, 8.

Gezeitenwechsel  : Das Konzerthaus und die Nationalsozialisten

Konzertbetrieb und Saalvermietung sowie die Intervention bei Stadt und Bund zur Gewährung höherer Subventionen vor.757 Die Bemühungen des neuen Präsidenten waren bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit von Erfolg gekrönt. Während die Gemeinde Wien ihre Förderung im Geschäftsjahr 1936/1937 auf 10.000 Schilling erhöhte, verdoppelte das Unterrichtsministerium seinen Zuschuss gar auf 20.000 Schilling. Darüber hinaus verhandelte Schoeller mit der Ravag über die häufigere Übertragung von Konzerten aus dem Konzerthaus und sicherte der Gesellschaft die finanzielle Unterstützung der Vaterländischen Front und ihrer Kulturorganisation »Neues Leben«. Da auch die Zahl der Vermietungen stieg, konnte nach beinahe zehn Jahren erstmals wieder ein kleiner Überschuss erwirtschaftet werden.758 Das dynamische Vorgehen des Präsidenten, dem die Direktion mit »lebhaftem Beifall […] für sein energisches Eintreten für eine finanzielle Sanierung«759 dankte, schränkte Bot­stibers Kompetenzen weiter ein, vor allem hinsichtlich der Ausgestaltung des künstlerischen Spielplans. Im Zuge der Einsparungsmaßnahmen reduzierte die Direktion erneut die Zahl der eigenen Konzerte und lagerte den Chorzyklus teilweise an die Singakademie aus, die die künstlerische Planung in Rücksprache mit Schoeller, allerdings wohl ohne Bot­stiber einzubinden, übernahm.760 Ein anderer Aspekt, dem der Generalsekretär ablehnend gegenüberstand, war die Tatsache, dass die Gesellschaft ab 1936 zunehmend nach rechts abdriftete. Bereits in den frühen 1930er Jahren hatten immer wieder nationalsozialistische Veranstaltungen im Konzerthaus im Zuge der allgemeinen Politisierung der Spielstätte stattgefunden, wie zum Beispiel der erste Wiener Gautag der NSDAP 1930 mit Joseph Goebbels und Hermann Göring als Hauptredner. Auch hatte Leopold Reichwein im März 1933 zwei Festkonzerte anlässlich des Geburtstages Adolf Hitlers dirigiert, denen zwei Aufführungen der »Goethe-Symphonie« von Josef Reiter, die ebenfalls dem »Führer« gewidmet war, im Mai 1934 und im März 1933 gefolgt waren. Aufgetreten war bei diesen Konzerten das von Reichwein ins Leben gerufene NSBO-Orchester Gau Wien, das nach dem Verbot der NSDAP 1934 in Richard-Wagner-Orchester umbenannt worden war.761 Nach einer Unterbrechung von zwei Jahren verwandelte sich das Konzerthaus mit Schoellers Amtsantritt endgültig in eine Hochburg der Nationalsozialisten. Der Grund dafür war nicht nur die Annäherung zwischen Österreich und Deutschland im Zuge des Juliabkommens von 1936, sondern auch die mehr oder weniger offensicht757 758 759 760 761

Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Februar 1937. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1936/1937, 9–12. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Februar 1937. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 16. Februar und 2. April 1937. KHG. Cf. Heller, Arbeiterkultur, 95.

179

180

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

liche Unterstützung des Präsidenten für die nationalsozialistische Sache in Österreich. So fanden ab Oktober 1936 im Konzerthaus Veranstaltungen wie die Erntedankfeier des Bundes der Reichdeutschen oder der Nationalfeiertag des Deutschen Volkes statt. Obwohl diese nicht offiziell von der NSDAP organisiert wurden, wurde ihre propagandistische Intention durch den Auftritt des deutschen Gesandten in Wien, Franz von Papen, und das Abspielen von Hitlers Lieblingsmarsch, dem »Badenweiler Marsch«, sowie dem »Horst-Wessel-Lied«, der Parteihymne, mehr als deutlich. Darüber hinaus lud Schoeller nicht nur bekennende Nationalsozialisten wie Hans Pfitzner, der im Dezember 1937 ein Chorkonzert dirigierte, ein, im Rahmen der Gesellschaftskonzerte aufzutreten. Er stellte die Konzertsäle auch dem nationalsozialistischen Wiener Tonkünstler-Orchester, das aus dem Richard-Wagner-Orchester hervorgegangen war, zur Verfügung. Als Dirigent dieses Ensembles kehrte Leopold Reichwein nach 15 Monaten Abwesenheit im Februar 1937 in das Konzerthaus zurück. Aufgrund dieser unmissverständlichen Signale begann Papen die Konzerthausgesellschaft als signifikante Partnerinstitution für kulturelle Propaganda zu betrachten, »um in die jüdische Monopolstellung auf dem Gebiet des österreichischen Musiklebens eine Bresche zu schlagen«762. Seiner Meinung nach stellte vor allem das Konzertbüro eine »seriöse, angesehene und über die nötigen Verbindungen verfügende Basis«763 dar, die optimal für diese Zwecke genutzt werden könnte. In Reaktion auf eine Anfrage Schoellers, der die deutsche Gesandtschaft in Wien um eine finanzielle Zuwendung ersucht hatte, kam das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda bereits im Frühjahr 1937 für mehr als die Hälfte des mit Karl Böhm vereinbarten Honorars für die Leitung des Orchesterzyklus auf.764 In weiterer Folge fanden spätestens ab Herbst 1937 Gespräche zwischen Papen und Schoeller bezüglich einer möglichen Kooperation im kulturell-propagandistischen Bereich statt. Der Kontakt war vermutlich durch Gottfried Schenker-Angerer, der der Direktion seit der Saison 1922/1923 angehörte und der NSDAP 1933 beigetreten war, hergestellt worden. Im Verlauf der Verhandlungen wurde auch klar765, dass Bot­stiber, der aufgrund seiner offen zur Schau gestellten Ablehnung der Nationalsozialisten sowie seiner jü762 Franz von Papen, Schreiben an das Auswärtige Amt in Berlin, 11. November 1937, zitiert in Barta, Politik, 293. 763 Ibid. 764 Cf. ibid. 294. 765 Um die Details der Zusammenarbeit zu klären, wurde von Papen auch ein Treffen von Schoeller und Schenker-Angerer mit Propagandaminister Joseph Goebbels und dessen Staatssekretär Walther Funk ins Auge gefasst. Ob es zu einem solchen kam, ist nicht bekannt. Schoeller dankte der deutschen Gesandtschaft jedenfalls später für die tatkräftige Unterstützung, die der Konzerthausgesellschaft noch vor dem Anschluss zuteilgeworden war. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1938/1939, 6.

Gezeitenwechsel  : Das Konzerthaus und die Nationalsozialisten

dischen Herkunft als Hindernis für eine Zusammenarbeit gesehen wurde, aus seinem Amt entfernt werden musste. Es war demnach kein Zufall, dass das Präsidium unter Schoellers Vorsitz im Dezember 1937 den Beschluss fasste, ihn zu ersetzen766. Nur kurz zuvor hatte Papen das Auswärtige Amt in Berlin informiert, dass das »bisherige Hindernis für eine […] Kooperation […] mit dem Ausscheiden des nichtarischen Generalsekretärs in allernächster Zeit entfallen«767 werde. Angesichts der politischen Entwicklungen dürfte Bot­stiber bereits geahnt haben, dass sich seine Zeit am Konzerthaus ihrem Ende näherte. Zwar wäre sein Vertrag ohnehin mit der Saison 1937/1938 offiziell ausgelaufen768, er hätte aber, ähnlich wie Julius Kaudela, seine Funktion auch nach seiner Pensionierung weiterhin ausüben können. Denn auch Kaudela, der sich bereits seit 1933 formal im Ruhestand befand und eine Pension erhielt, kümmerte sich nach wie vor um die Agenden des Konzertvereins und, bei krankheitsbedingter Abwesenheit des Generalsekretärs, sogar um die Angelegenheiten der Konzerthausgesellschaft769. Obwohl er sich nicht der besten Gesundheit erfreute, war Bot­stiber schon allein aus finanziellen Überlegungen weiterhin an einer beruflichen Tätigkeit gelegen, da er sich, so sein Sohn Dietrich, seit Jahren Gedanken darüber machte, ob seine Pension für den Erhalt seines Lebensstandards ausreichen würde770. Schoeller und Schenker-Angerer waren jedoch nicht daran interessiert, das Arrangement mit dem Generalsekretär zu erneuern. Sein auslaufender Vertrag sowie sein schlechter Gesundheitszustand boten eine günstige Gelegenheit, den entscheidenden Stolperstein auf dem Weg zur gewünschten Kooperation mit den Nationalsozialisten zu beseitigen. Kurz vor Weihnachten 1937 wurde Bot­stiber vor vollendete Tatsachen gestellt. Schoeller informierte ihn, dass er nach 25 Dienstjahren in Übersteinstimmung mit den vertraglichen Bestimmungen pensioniert werde.771 Auch wenn Bot­ stiber wusste, dass früher oder später damit zu rechnen war, wurde er doch vom Zeitpunkt der Entscheidung sowie von Schoellers Vorgehen überrascht. Dietrich schildert die Reaktion seines Vaters auf die Benachrichtigung über seine Pensionierung wie folgt  : »Father had expected it for some time. His health had been poor, there were 766 Nicht die Direktion, wie im entsprechenden Bericht angemerkt, traf diese Entscheidung, sondern vielmehr Schoeller und seine Entourage. In den Sitzungsprotokollen findet sich kein Beleg dafür, dass der Präsident die Direktion in der Angelegenheit konsultierte oder die Frage der Ablöse Bot­stibers offiziell zur Abstimmung brachte. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1937/1938, 4. 767 Zitiert in Barta, Politik, 293. 768 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 140. 769 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 5. Juni 1934. KHG. 770 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 163. 771 Cf. ibid. 168.

181

182

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

rivals, pretenders, enemies. It was sure to come. But not that way. Not that soon. Not just now.«772 Wohl in Ermangelung einer Alternative machte Bot­stiber aber gute Miene zum bösen Spiel, wie ein Mitte Jänner 1938 in der Zeitung »Neues Wiener Abendblatt« erschienener Artikel zeigt  : Der Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft Dr. Hugo Botstieber wird mit Ende dieses Jahres zurücktreten, da er den Wunsch hat, sich nach seiner langjährigen anstrengenden Tätigkeit im Konzertbetrieb auszuruhen und sich wieder mehr musikwissenschaftlichen Arbeiten zu widmen. Wie Dr. Botstieber einem unserer Mitarbeiter erklärte, befindet er sich im besten Einvernehmen mit der Leitung der Konzerthausgesellschaft und auch die Lösung des Vertrages erfolgt in aller Freundschaft. […] Die im Herbst anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Bestandes des Konzerthausgebäudes stattfindenden Feierlichkeiten wird Dr. Botstieber noch organisieren.773

Auch Schoellers gesellschaftsinterne Darstellung steht im Widerspruch zu Dietrichs Version. Am 1. Februar 1938, mehr als zwei Wochen nach Erscheinen des Artikels im »Neuen Wiener Abendblatt«, setzte er die Direktion in einer Sitzung über die offiziellen Gründe für Bot­stibers bereits beschlossene Pensionierung in Kenntnis  : Generalsekretär Kaudela hat bereits vor längerer Zeit dem Präsidium gegenüber zum Ausdrucke gebracht, dass er mit Rücksicht auf sein fortgeschrittenes Alter in absehbarer Zeit um eine weitgehende Entlastung werde bitten müssen. Unmittelbar vor Abschluss des abgelaufenen Jahres hat er diese Bitte in dringlicher Form schriftlich wiederholt. Dadurch war die Notwendigkeit gegeben, die Frage der unmittelbaren administrativen und künstlerischen Betreuung des Konzerthauses in ihrem ganzen Umfang zu überprüfen und insbesondere darüber Klarheit zu schaffen, ob unter diesen Umständen Herrn Generalsekretär Dr. Hugo Bot­stiber, dessen Gesundheitszustand ja ebenfalls schonungsbedürftig ist, in Hinkunft und insbesondere im kommenden Jahre (Jubiläum der Gesellschaft) eine gegenüber der bisherigen noch gesteigerte Arbeitsleistung mit gutem Gewissen zugemutet werden dürfe. Das Präsidium habe nach reiflicher Erwägung aller in Betracht kommenden Momente diese Frage verneinen müssen. Die daraufhin mit Dr. Bot­stiber eingeleiteten und durchaus in freundschaftlichem Geiste geführten Verhandlungen haben einvernehmlich dazu geführt, dass Dr. Bot­stiber mit Ende des laufenden Jahres in den Ruhestand tritt.774

772 Cf. Botstiber, Mayflower, 163. 773 Rücktritt des Generalsekretärs Dr. Botstieber, in  : Neues Wiener Abendblatt, 14. Jänner 1938, 6. 774 Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Februar 1938. KHG.

Gezeitenwechsel  : Das Konzerthaus und die Nationalsozialisten

Als Belohnung für seine Verdienste um die Gesellschaft, und wohl auch als Entschädigung für seine Bereitschaft, den Schein zu wahren, ersuchte Schoeller die Direktion, die Bot­stiber zustehenden Pensionszahlungen im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten erhöhen zu dürfen, was diese einstimmig genehmigte. Zudem wurde der Generalsekretär wie Kaudela 1933 in die Direktion kooptiert. Wie sowohl aus dem Artikel im »Neuen Wiener Abendblatt« als auch aus Schoellers Ausführungen hervorgeht, war vorgesehen, dass Bot­stiber bis zum Ende der Spielzeit 1937/1938 im Amt bleiben sollte. Seine tatsächliche Versetzung in den Ruhestand erfolgte allerdings wesentlich früher. Als Schoeller der Direktion am 1. Februar 1938 Bot­stibers Pensionierung zum Saisonende verkündete, stand offiziell noch kein Nachfolger fest.775 Nur vier Wochen später übernahm jedoch bereits der Musikwissenschaftler und Komponist Armin Caspar Hochstetter, der 1930 der NSDAP beigetreten war, als designierter Generalsekretär probeweise die Geschäfte der Gesellschaft776. Angesichts der sich abzeichnenden politischen Ereignisse war Schoeller wohl darum bemüht, Bot­stiber so schnell wie möglich zu entfernen und beurlaubte ihn krankheitshalber777. Ob der Präsident überhaupt jemals geplant hatte, an Bot­stiber bis zum offiziellen Auslaufen seines Vertrags festzuhalten, und sich letztendlich nur dem Druck der zukünftigen Machthaber beugen musste, lässt sich nicht eindeutig feststellen, erscheint aber unwahrscheinlich778. Denn im Gegensatz zu den anderen bedeutenden musikalischen Institutionen in Wien wurde die Konzerthausgesellschaft nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 nicht unter Aufsicht eines kommissarischen Leiters gestellt, was zeigt, dass ihre Direktion von den Nationalsozialisten als verlässlich eingestuft wurde.779 Dieser Haltung entsprechend wurde Bot­stibers endgültige Entfernung aus den Reihen der Gesellschaft nur wenige Wochen später vollzogen. In der ersten Sitzung nach dem Anschluss informierte Schoeller die anderen Direktionsmitglieder über das Ausscheiden von Felix Stransky, der noch am 22. Februar erneut zum Vizepräsidenten gewählt worden war780, sowie des Rechtsanwalts Gustav Bloch-Bauer und 775 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Februar 1938. KHG. 776 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1937/1938, 4. 777 Cf. Hugo Bot­stiber, Vermögensverzeichnis, 14. Juli 1938. AdR. Finanzen BMfF VVSt VA 23.693. 778 Dafür, dass Bot­stibers vorzeitige Ablöse von vornherein beschlossene Sache war, spricht nicht nur das Schreiben Papens an das Außenamt in Berlin im November 1937, sondern auch der Umstand, dass Schoeller bereits selbst die Planungen für das Jubiläum der Gesellschaft im Oktober 1938 übernommen hatte und Bot­stiber in diese, wie noch im Artikel im »Neuen Wiener Abendblatt« behauptet, gar nicht mehr involviert war. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 1. Februar 1938. KHG. 779 Cf. Barta, Politik, 294. 780 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. Februar 1938. KHG.

183

184

»So we must get money where we can«  : Das Konzerthaus in den 1930er Jahren

fügte hinzu, dass auch vom ehemaligen Generalsekretär in den nächsten Tagen ein ähnlicher Schritt zu erwarten sei.781 Mit der jährlichen Generalversammlung am 22. Februar, in der seine Kooptierung in die Direktion öffentlich bekannt gegeben wurde, samt der im Anschluss stattfindenden Direktionssitzung wurde demnach symbolisch ein Schlussstrich unter Bot­ stibers lange Tätigkeit für die Konzerthausgesellschaft gezogen. Obwohl er anwesend war und im Versammlungsprotokoll noch als Schriftführer vermerkt ist, wird sein Name im restlichen Direktionsbericht für die Saison 1937/1938 nicht mehr genannt und stattdessen Hochstetter, der erst im Mai 1938 definitiv zum Generalsekretär bestellt wurde782, als alleiniger Leiter der Administration geführt. Wann und in welchem Umfang dieser allerdings seine Arbeit aufnahm, lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht exakt feststellen. Laut den Sitzungsprotokollen stellte Schoeller ihn der Direktion erst am 22. April 1938 offiziell vor und verlieh dabei seiner Hoffnung Ausdruck, »dass Dr. Hochstetter bald so weit eingearbeitet sein [werde], dass er als Nachfolger Dr. Bot­stibers das Amt des Generalsekretärs der Gesellschaft übernehmen«783 könne. Es ist daher gut möglich, dass es erneut Kaudela war, der sich ab Bot­stibers Zwangsbeurlaubung interimistisch um das Tagesgeschäft kümmerte und Hochstetter beratend zur Seite stand. Im Vergleich zu seinem Vorgänger standen dem neuen Generalsekretär jedenfalls deutlich mehr finanzielle Mittel zur Verfügung, da die Gesellschaft in höherem Ausmaß als bisher sowohl von der neuen Regierung als auch von der Gemeinde Wien unterstützt wurde. Während sich die Subventionen in der Saison 1937/1938 auf insgesamt rund 43.000 Reichsmark beliefen784, verdreifachte sich die Fördersumme in der darauffolgenden Spielzeit auf 135.000 Reichsmark785. Als Konsequenz intensivierte die Gesellschaft ihre künstlerischen Aktivitäten wieder, wodurch sich die Zahl der eigenen Veranstaltungen beinahe verdoppelte. Für Bot­stiber brachen hingegen finstere Zeiten an, nicht nur hinsichtlich seiner finanziellen Lage. Die Zweifel, ob seine Pension ausreichen würde, seinen Lebensstandard aufrechtzuerhalten, stellten sich dabei aber als irrelevant heraus. Denn abgesehen von der Tatsache, dass er letztendlich überhaupt keine Pensionszahlungen erhalten sollte, musste er während der nächsten Monate seine gesamte Energie darauf verwenden, sein nacktes Leben zu retten.

781 782 783 784 785

Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. April 1938. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1937/1938, 4. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 22. April 1938. KHG. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1937/1938, 11. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1938/1939, 19.

Vertreibung und Emigr ation

A nschluss Es war wohl reiner Zufall, dass das letzte populäre Orchesterkonzert der Konzerthausgesellschaft in der Saison 1937/1938 am 13. März 1938 stattfand. Die vom überzeugten Nationalsozialisten Anton Konrath dirigierte Darbietung war eigentlich österreichischen Komponisten gewidmet, brachte letztendlich jedoch das Ende Österreichs als unabhängiger Staat musikalisch zum Ausdruck. Denn das vorgesehene und bereits angekündigte Eröffnungswerk, Haydns »Variationen über die Volkshymne«, wurde wegen seiner patriotischen Symbolwirkung umgehend aus dem Programm gestrichen.786 Bot­stiber dürfte von den Vorgängen am Konzerthaus allerdings nichts mitbekommen haben, da er während dieser Tage nicht in Wien weilte. Seit Ende Februar hielt er sich mit seiner Frau in Italien auf, wo sie an einer vom Schubertbund arrangierten Konzertreise teilnahmen und Rom und andere Städte besichtigten.787 Sein Sohn Dietrich, der mittlerweile an der Technischen Universität Wien studierte und an seiner Dissertation über Halbleiter arbeitete, war erleichtert, dass seine Eltern die Geschehnisse rund um den Anschluss am 12. März 1938 nicht miterleben mussten. Wie er sich in seiner Autobiographie erinnert, wurde die Situation für die Familie in den darauffolgenden Wochen immer angespannter und beklemmender. Der Grund für Dietrichs Unbehagen war zweifacher Natur. Auf der einen Seite betrachtete er seine frühere Aktivität in der Heimwehr als potentielle Gefahr für ihre Sicherheit, da diese im Ständestaat gegen die Nationalsozialisten vorgegangen war und ihre Mitglieder daher Vergeltungsmaßnahmen fürchten mussten. Trotz seines Widerwillens, der paramilitärischen Organisation beizutreten, hatte sein Vater darauf bestanden und dabei auf seinen eigenen freiwilligen Armeedienst im Ersten Weltkrieg verwiesen.788 Das Drängen Bot­stibers, sich energisch für das Vaterland einzusetzen und dieses zu verteidigen, spiegelt einmal mehr seine politische Haltung wider. Seit dem Ende der Monarchie hatte er wiederholt seine Sympathien für die Rückkehr von Kaiser Karls Sohn Otto als Herrscher von Österreich zum Ausdruck gebracht.789 Da seine Laufbahn in der Regierungszeit von Kaiser Franz Joseph, der ihm auch ein Or786 Cf. Manfred Permoser, Die Wiener Symphoniker im NS-Staat. Musikleben 9 (Frankfurt/Main et al. 2000), 25. 787 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 170. 788 Cf. Bot­stiber, Memoirs, 353. 789 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 132, 180.

186

Vertreibung und Emigration

den verliehen hatte, ihren Anfang genommen hatte, ist es nicht verwunderlich, dass er sich nach einer Restauration dieser Ära sehnte, in der solide Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur und somit auch für seine Aktivitäten im musikalischen Bereich geherrscht hatten. Als Konsequenz dieser tiefen Dankbarkeit gegenüber dem Kaiser und der Bewunderung für die Monarchie war er während der Ersten Republik auch einer legitimistischen Vereinigung beigetreten. Deren Mitglieder wurden von den neuen Machthabern nun jedoch ebenso als politische Gegner betrachtet und verfolgt. Unmittelbar nach dem Anschluss erließen die Nationalsozialisten einen Haftbefehl gegen den für Österreichs Unabhängigkeit eintretenden Otto von Habsburg und verhafteten die gesamte Führungsriege der legitimistischen Bewegung in Österreich.790 Noch während sich seine Eltern in Italien aufhielten, durchsuchte Dietrich, der sich der politischen Gesinnung seines Vaters bewusst war, deshalb dessen persönliche Habseligkeiten nach verdächtigen Dokumenten und Gegenständen und zerstörte dabei den Mitgliedsausweis für den Legitimisten-Klub.791 Darüber hinaus kam es nach dem Anschluss postwendend zu Ressentiments gegen Bot­stiber, die offenbar mit seiner früheren Position am Konzerthaus in Verbindung standen. Bereits am 12. März 1938 wurde die Familie per Telefon von einem anonymen Anrufer belästigt, der Bot­stiber antisemitisch beschimpfte und dessen baldige Verhaftung ankündigte. Am darauffolgenden Tag wurde die Villa in der Kaasgrabengasse von zwei NSDAP-Mitgliedern aufgesucht, die das Auto der Familie vorübergehend für offizielle Zwecke beschlagnahmten. Hinter beiden Vorfällen vermutete Dietrich eine Intrige ehemaliger Mitarbeiter seines Vaters, die wegen seiner cholerischen und fordernden Disposition Groll gegen ihn hegten oder auf ihn eifersüchtig gewesen waren und nun Rache nehmen wollten.792 Zudem hatte sich Bot­stiber offen als Gegner der Nationalsozialisten deklariert und Hitler als gefährlichen Demagogen verurteilt793, wobei vor allem seine Konfrontation mit Reichwein und der Versuch, diesen von seinem Amt als Konzertdirektor der Konzerthausgesellschaft zu entheben, wohl noch nicht in Vergessenheit geraten war. Bot­stiber nahm die Drohungen jedenfalls ernst. Als bereits in den ersten Tagen nach dem Anschluss die Elite des Ständestaates sowie viele Intellektuelle, vor allem jene jüdischer Herkunft, festgenommen wurden794, befanden sich auch zahlreiche Bekannte und Kollegen darunter. Andere 790 Cf. Stephan Baier, Eva Demmerle, Otto von Habsburg. Die Biografie (Wien 2002), 119f. 791 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 180. 792 Cf. ibid. 179–181. 793 Cf. ibid. 92. 794 Zwischen 50.000 und 76.000 Personen wurden während der ersten sechs Wochen verhaftet. Cf. Erwin Schmidl, Der »Anschluss« Österreichs. Der deutsche Einmarsch im März 1938 (Bonn 1994), 232f.

Anschluss

wiederum verschwanden einfach oder nahmen sich das Leben.795 Bot­stiber und seine Frau entschieden daher, ihre ursprünglich für Mitte März 1938 vorgesehene Heimreise nach Wien hinauszuzögern. Als das Ergebnis der Volksabstimmung über den Anschluss vom 10. April 1938 vom Podium des Großen Saals im Konzerthaus verkündet wurde796, hielt sich Bot­ stiber, der wie seine restliche Familie aufgrund seiner jüdischen Wurzeln von einer Teilnahme ausgeschlossen worden war, nach wie vor in Italien auf. Da sich seine finanziellen Mittel jedoch dem Ende zuneigten und weder Dietrich noch Eva, die ihre Anstellung in der Presseabteilung der Bundesregierung verloren hatte, Geld schicken konnten, sah er sich gezwungen, Mitte April nach Österreich zurückzukehren. Bereits zu diesem Zeitpunkt dürfte aber der Gedanke einer erneuten Flucht ins Exil im Raum gestanden haben. Mehrere von Bot­stibers Kollegen und Freunden, unter ihnen seine Nachbarn Hans Gál und Egon Wellesz, der unmittelbar nach dem Anschluss Einladungen nach England erhalten hatte, um an den Universitäten Cambridge und Oxford zu lehren797, hatten das Land bereits verlassen. Auch Bot­stibers Sohn hatte bereits seit Jahren mit dem Gedanken gespielt, zu emigrieren, wenn auch nicht aus politischen Gründen. Denn der passionierte Techniker und Naturwissenschaftler, der am Wiener Kunst- und Musikleben kaum Interesse zeigte, hielt Ausschau nach beruflichen Herausforderungen und besseren Karrierechancen und vermutete, diese in Übersee zu finden. Wie seine Nachbarn und Freunde aus Kindertagen Peter und Gerhart Drucker, die im Laufe der 1930er Jahre in die Vereinigten Staaten ausgewandert waren, war er seit Längerem darum bemüht, die für ein US-Visum notwendigen Dokumente zu sammeln. Bereits 1937 hatte er vom US-amerkanischen Ehemann einer Freundin seiner Mutter ein sogenanntes Affidavit erhalten, mit dem sich dieser finanziell für ihn verbürgte, was die Vorrausetzung für einen Visums-Antrag darstellte.798 Als die Bedrohung durch die Nationalsozialisten konkreter wurde, intensivierte Dietrich seine Bemühungen und traf finanzielle Vorkehrungsmaßnahmen für seine geplante Emigration. Noch während sich seine Eltern in Italien aufhielten, gelang es ihm, mithilfe einer Gruppe englischer Geschäftsleute mehrere Schmuckstücke seiner Mutter nach London zu bringen, wo sie einer befreundeten Familie übergeben wurden. Außerdem vermietete er ein Zimmer in der 795 Dietrich beschreibt zwei Fälle im Detail, ohne Namen zu nennen. Dabei handelte es sich um einen bekannten Impresario, Geiger und Schauspieler sowie um die Frau eines deutschen Geschäftsmannes, die sich beide aus dem Fenster stürzten. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 189. 796 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1937/38, 2. 797 Cf. Caroline Cepin Benser, Egon Wellesz as Scholar and Teacher. The Oxford Years, in  : Otto Kolleritsch (Hg.), Egon Wellesz. Studien zur Wertungsforschung 17 (Wien und Graz 1986), 42. 798 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 168.

187

188

Vertreibung und Emigration

Villa in der Kaasgrabengasse an einen britischen Besucher, der die Miete ebenfalls in London hinterlegte.799 Der finanziellen Frage kam in den nachfolgenden Monaten durch die Bestrebungen der Nationalsozialisten, an jüdisches Eigentum zu gelangen, besondere Bedeutung zu. Aufgrund der entsprechenden Verordnung vom 26. April 1938 mussten Juden ihr Vermögen anmelden, wenn es die Summe von 5.000 Reichsmark überstieg.800 Auch Bot­stiber erteilte den Behörden die geforderte Auskunft, obwohl er vorgab, sich nicht sicher zu sein, ob er dazu überhaupt verpflichtet sei  : Ich bin katholisch, doch ist meine Abstammung bis jetzt nicht klargestellt. Nach der Familientradition bin ich Mischling I. Grades. Bis jetzt konnte ich die nötigen Dokumente noch nicht beschaffen, da meine Eltern Bürger der Vereinigten Staaten waren (Bürgerpapiere in meinem Besitz). Wenn ich die nötigen Abstammungsnachweise in Händen habe, werde ich sie vorlegen u. diese mit Vorbehalt abgegebene Anmeldung als gegenstandlos zurückziehen.801

Auch wenn der Verweis auf seine »amerikanischen« Eltern wohl eher als Versuch zu sehen ist, Zeit zu gewinnen, da er sich über seine jüdische Herkunft sehr wohl bewusst war, so gibt das Dokument doch Aufschluss über seine verzweifelte finanzielle Lage. Sein einziger tatsächlicher Vermögenswert in der Höhe von 48.000 Reichsmark war die Villa in der Kaasgrabengasse, die sich aber zur Hälfte im Besitz seiner Frau befand und die mit einer Hypothek in der Höhe von 10.000 Reichsmark bei einer jährlichen Verzinsung von fünf Prozent belastet war. Darüber hinaus besaß er weder Bargeld, Wertpapiere oder Spareinlagen noch irgendeine Form von Einkommen802. Zwar hatte er durch seine Tätigkeit für die Konzerthausgesellschaft Anspruch auf eine monatliche Pension in der Höhe von 516 Reichsmark. Zum Zeitpunkt seiner Vermögensanmeldung am 14. Juli 1938 befand er sich jedoch noch nicht im Ruhestand. Er hätte seine Pension erst im August antreten sollen und war erst einmal krankheitshalber beurlaubt worden, während Hochstetter die Position des Generalsekretärs wie er799 Cf. Botstiber, Mayflower, 186. 800 Für eine detaillierte Studie zur Verordnung über die Vermögensanmeldung siehe Clemens Jabloner et al., Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 1 (Wien und München 2003), 85ff. 801 Hugo Bot­stiber, Vermögensanmeldung, 14. Juli 1938. AdR. Finanzen BMfF VVSt VA 23.693. 802 In diesem Zusammenhang ist es natürlich denkbar, dass es Bot­stiber wie seinem Sohn zuvor gelungen war, Wertgegenstände zu verstecken oder außer Landes zu schaffen.

Anschluss

wähnt im März zunächst probeweise übernommen hatte. Damit stand Bot­stiber noch bis Ende Juli sein reguläres Gehalt von monatlich 646 Reichsmark zu. Aber knapp vor der offiziellen Ernennung Hochstetters zu seinem Nachfolger im Mai wurde sein Vertrag mit 15. April 1938 fristlos aufgelöst und die Zahlungen an ihn mit sofortiger Wirkung eingestellt803. Im Zuge seiner Vermögensanmeldung wurde auch Bot­stibers Haus in der Kaasgrabengasse nach Wertsachen und relevanten Dokumenten durchsucht. Der genaue Zeitpunkt dieses Vorfalls lässt sich nicht feststellen, da die Memoiren Dietrichs darüber keinen exakten Aufschluss geben. Aber zweifelsohne reagierte Bot­stiber auf das Auftauchen der nationalsozialistischen Schergen, die Zugang zu seinen persönlichen Habseligkeiten verlangten, geschockt. Diese wiederum zeigten sich über den Umstand, dass seine Angaben offenbar der Wahrheit entsprachen und er angesichts der Hypothek auf sein Haus nichts außer Schulden zu haben schien, irritiert. Denn wie sie seiner Frau erklärten, sei in jüdischen Häusern normalerweise immer Geld zu finden.804 Angesichts der tristen finanziellen Lage Bot­stibers war die Familie damit auf Luisas Ersparnisse angewiesen, die zusätzlich zu ihrem Anteil an der Liegenschaft über zwei Ringe im Wert von 300 Reichsmark und ein Sparbuch in der Höhe von 660 Reichsmark verfügte805. Die Durchsuchung seiner Villa und persönlichen Habseligkeiten führte Bot­stiber vor Augen, wie gefährlich die Situation für ihn und seine Familie mittlerweile geworden war, und überzeugte ihn endgültig davon, ins Exil zu gehen. Seine Entscheidung war zum Teil vermutlich auch von der Tatsache beeinflusst, dass sich immer mehr Bekannte und Kollegen mittlerweile ebenfalls zur Emigration entschlossen hatten. In seiner unmittelbaren Nachbarschaft traf dies nicht nur auf Wellesz und Gál, sondern auch auf Alexander Zemlinsky zu. Dieser hatte anfangs in Wien bleiben wollen, sich aufgrund der Ereignisse rund um den Anschluss aber doch dazu durchgerungen, Österreich zu verlassen und gemeinsam mit seiner Frau Louise nach Prag zu flüchten, von wo aus sie versuchten, in die Vereinigten Staaten zu gelangen.806 Aber angesichts der enormen bürokratischen Anstrengungen sollte das Paar sein US-Visum nicht vor Mitte November erhalten und sich erst Anfang Dezember 1938 via Paris auf den Weg nach New York machen. Nachdem Zemlinsky im September die beim Verlassen

803 Fragebogen der Society for the Protection of Science and Learning, ausgefüllt von Hugo Bot­stiber, eingegangen am 18. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 804 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 193. 805 Cf. Luisa Bot­stiber, Vermögensanmeldung, 14. Juli 1938. AdR. Finanzen BMfF VVSt VA 23.694. 806 Cf. Beaumont, Zemlinsky, 638ff.

189

190

Vertreibung und Emigration

des Deutschen Reiches anfallende Reichsfluchtsteuer bezahlt hatte807, war er beinahe ruiniert. Tatsächlich reichten seine finanziellen Mittel kaum, um die Steuer sowie die sonstigen Gebühren und Spesen für die Auswanderung zu bezahlen. Sein Haus in der Kaasgrabengasse im Wert von 28.000 Reichsmark, das er bei seiner Flucht zurückließ, sollte später zum Begleichen der im November 1938 eingeführten Judenvermögensabgabe808, die sich in seinem Fall auf 5.600 Reichsmark belief, konfisziert werden.809 Zemlinsky und seiner Frau blieben nach eigener Aussage nur »je 5 Mark zum Überleben«810, als sie Wien verließen. Bot­stiber sah sich mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Aber neben dem finanziellen Aspekt bestand sein Hauptproblem darin, ein Land zu finden, das bereit war, ihn und seine Familie aufzunehmen. Seine Präferenzen konzentrierten sich nicht nur aus klimatischen Gründen auf die Vereinigten Staaten und Großbritannien. Im Gegensatz zur Sowjetunion, Südamerika oder dem Fernen Osten ging er auch davon aus, in diesen Ländern die Möglichkeit vorzufinden, seinem Beruf nachgehen zu können und eine Anstellung zu finden.811 Jedoch stellte sich bereits der Versuch, sich der britischen oder der US-Botschaft auch nur zu nähern, als große Herausforderung heraus, da die Menschenschlangen vor den diplomatischen Repräsentationen kontinuierlich wuchsen und die Wartenden Opfer nationalsozialistischer Übergriffe wurden812. Das Chaos war auch dem Umstand geschuldet, dass Bot­stibers Wunschdestinationen zur primären Anlaufstelle für den Großteil der Flüchtlinge geworden waren813, nachdem andere Länder, vor allem die lateinamerikanischen Staaten, ihre 807 Die Steuer belief sich auf 25 Prozent des gesamten Vermögens. Cf. Gabriele Anderl, Dirk Rupnow, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution. Veröffentlichungen der Öster­reichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 20/1 (Wien und München 2004), 249. 808 Die Judenvermögensabgabe betrug zunächst 20 Prozent des gemäß der Verordnung vom April 1938 angemeldeten Vermögens und war in vier Raten zu bezahlen. Im November 1939 wurde zusätzlich eine fünfte Rate eingehoben, womit sich die Abgabe letztendlich auf 25 Prozent belief. Cf. ibid. 809 Cf. Tina Walzer, Unser Wien. »Arisierung« auf österreichisch, in  : David. Jüdische Kulturzeitschrift 51 (2001). Online  : http://david.juden.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 810 Zitiert in Ernst Hilmar, Alexander Zemlinsky. Die letzten Wiener Jahre, in  : Monica Wildauer (Hg.), Österreichische Musiker im Exil. Beiträge der Österreichischen Gesellschaft für Musik 8 (Kassel et al. 1990), 114. 811 Cf. Fragenbogen der Society for the Protection of Science and Learning, ausgefüllt von Hugo Bot­ stiber, eingegangen am 18. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 812 Cf. Johannes Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933–1945. Campus-Forschung 816 (Frankfurt/Main et al. 2001), 122. 813 Für eine detaillierte Studie zur österreichischen Emigration nach Großbritannien und in die Verei-

Anschluss

Botschaften geschlossen hatten. Die Situation wurde zunehmend dramatischer, als Großbritannien seine Einreisebestimmungen für deutsche Staatsbürger im Mai 1938 verschärfte, die ab diesem Zeitpunkt wieder ein Visum benötigten. Durch diese Maßnahme hoffte die britische Regierung die Immigration mittelloser Flüchtlinge zu regulieren. Wie ein Memorandum des britischen Außenministeriums vom 27. April 1938 belegt, war die Entscheidung über die Zuerkennung eines Visums abhängig vom Status der antragstellenden Person. Unter den vier Berufsgruppen, die als generell ungeeignet betrachtet wurden, befand sich auch die Kategorie »Minor musicians and commercial artists of all kinds«.814 Zwar war Bot­stiber weder ein minderwertiger oder unbedeutender Musiker noch ein kommerzieller Künstler, aber die Profession des Musikwissenschaftlers und Konzertorganisators wurde ebenfalls als nicht sonderlich brauchbar erachtet, wie die folgenden Monate zeigen sollten. Im Zuge der Flüchtlingskonferenz von Évian vom Juli 1938 erklärte sich die britische Regierung bereit, eine großzügige Position gegenüber Emigranten mit finanziellen Ressourcen einzunehmen sowie gegenüber Studierenden und Personen, die über eine höherer Ausbildung verfügten oder in höheren Berufen tätig waren.815 Das Schicksal der mittellosen Flüchtlinge wurde hingegen privaten Hilfsorganisationen überantwortet.816 Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten war nun die eidesstattliche Erklärung eines britischen Staatsbürgers erforderlich, der mit seinen eigenen finanziellen Mitteln für den Einwanderungswilligen eintreten musste, um Letzteren gegebenenfalls davor zu bewahren, zu einer Belastung für die Allgemeinheit zu werden. Erst nach Überprüfung des Bürgen und dessen Vertrauenswürdigkeit war es der privaten Hilfsorganisation möglich, den Antrag auf ein Visum zu befürworten, der im Anschluss bei der jeweiligen Passbehörde vor Ort eingebracht werden konnte.817 Die lokalen Mitarbeiter in den konsularischen Vertretungen waren jedoch berechtigt, von diesem Procedere abzuweichen und Visa an renommierte Persönlichkeiten mit internationalem Ruf aus Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft ohne Rücksprache nigten Staaten siehe Wolfgang Muchitsch (Hg.), Österreicher im Exil. Grossbritannien. 1938–1945 (Wien 1992)  ; Peter Eppel (Hg.), Österreicher im Exil. USA. 1934–1945 (Wien 1995). 814 Zitiert in Bernard Wasserstein, Britische Regierungen und die deutsche Emigration 1933–1945, in  : Gerhard Hirschfeld (Hg.), Exil in Grossbritannien. Zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 14 (Stuttgart 1983), 53f. 815 Cf. Wasserstein, Britische Regierungen, 55. 816 Cf. Francis L. Carsten, Deutsche Emigranten in Großbritannien 1933–1945, in  : Gerhard Hirschfeld (Hg.), Exil in Grossbritannien. Zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 14 (Stuttgart 1983), 141f. 817 Cf. Feichtinger, Wissenschaft, 122.

191

192

Vertreibung und Emigration

mit der Regierung in London zu vergeben.818 Ob Bot­stiber von dieser Ausnahme wusste, ist nicht bekannt. Er versuchte jedoch, über persönliche Kontakte an das britische Passport Office in Wien heranzukommen. Seine Freundin Johanna Gräfin von Hartenau-Battenberg, ehemalige Opernsängerin, Kunstmäzenin und langjährige Vorsitzende des Damenkomitees der Konzerthausgesellschaft, war mit dem verantwortlichen Beamten in Wien, Captain Thomas Kendrick, bekannt und arrangierte für Bot­stiber einen Termin. Doch bevor das Treffen stattfinden konnte, wurde Kendrick, der in Wirklichkeit für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 tätig war819, im August 1938 verhaftet, der Spionage beschuldigt und des Landes verwiesen.820 Da er in Österreich damit niemanden mehr kannte, der in der Lage oder bereit war, ihm und seiner Familie zu helfen, blieb Bot­stiber nichts anderes übrig, als auf Beistand aus dem Ausland zu hoffen, um der heraufziehenden Katastrophe doch noch zu entkommen.

Die letzten Tage in Wien Nachdem es ihm nicht gelungen war, aus eigenen Stücken ein Visum zu erhalten, musste sich Bot­stiber angesichts seiner verzweifelten finanziellen Situation auf die Unterstützung einer privaten Hilfsorganisation verlassen. Er folgte daher dem Rat des ehemaligen Religionslehrers seines Sohnes und späteren Theologieprofessors an der Universität Wien, Michael Pfliegler, und wandte sich Ende Juli 1938 an das Catholic Committee for Refugees from Germany, eine in London ansässige Hilfsorganisation. Unter dem Verweis auf mehrere britische Staatsbürger, mit denen er bekannt war und die ihm unter die Arme greifen würden, äußerte Bot­stiber in seinem Schreiben den Wunsch, nach Großbritannien auszuwandern, wo er plante, sich musikwissenschaftlichen Studien zu widmen und als Vortragender und Konzertorganisator tätig zu werden. Als Referenzen führte er unter anderem Adrian Cedric Boult, den Dirigenten des BBC Symphony Orchestra, die Musikwissenschaftler Edward Joseph Dent und Donald Francis Tovey, die an den Universitäten Cambridge und Edinburgh tätig waren, sowie Owen Morshead, den königlichen Bibliothekar von

818 Cf. Wasserstein, Britische Regierungen, 54. 819 Cf. Siegfried Beer, Von Alfred Redl zum »Dritten Mann«. Österreich und ÖsterreicherInnen im internationalen Geheimdienstgeschehen 1918–1947, in  : Geschichte und Gegenwart 16/1 (1997), 15f. 820 Dietrich datiert Kendricks Verhaftung irrtümlicherweise auf das Frühjahr 1938. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 190.

Die letzten Tage in Wien

Windsor Castle, an.821 Da dem Komitee allerdings keine finanziellen Mittel mehr zur Verfügung standen, leitete es das Gesuch an die Society for the Protection of Science and Learning weiter.822 Die Hilfsorganisation, deren Ziel es war, deutsche Gelehrte vor der nationalsozialistischen Bedrohung in Sicherheit zu bringen, wurde umgehend aktiv und forderte Bot­stiber bereits am 5. August 1938 auf, detaillierte Informationen über seine Karriere, seine berufliche und finanzielle Situation sowie seine bevorzugten Reiseziele zu übermitteln.823 Nachdem sie Bot­stibers Antwort am 18. August 1938 erhalten hatte, begann sie sein Anliegen zu bearbeiten und kontaktierte seine Bekannten in Großbritannien. Das wichtigste Anliegen der Gesellschaft in Übereinstimmungen mit der Vorgaben der britischen Regierung war es, zu verhindern, dass Bot­stiber angesichts seiner Mittellosigkeit zu einer Belastung für die öffentliche Hand werden könnte. Insofern lotete sie verschiedene Möglichkeiten aus, für ihn eine bezahlte Stelle zu finden, erachtete sein Vorhaben, seiner früheren Profession nun auch in Großbritannien nachzugehen, angesichts des bestehenden Überangebots an Konzertorganisatoren allerdings als wenig Erfolg versprechend.824 Bot­stiber selbst maß dieser Frage wiederum keine allzu große Bedeutung zu und verwies in diesem Zusammenhang einmal mehr auf seine sehr guten Freunde, die alles in ihrer Macht Stehende unternehmen würden, um ihm zu helfen.825 Die Situation war jedoch komplizierter, als er vermutlich wahrhaben wollte, denn er schien die Möglichkeiten und die Hilfsbereitschaft seiner angegebenen Referenzen zu überschätzen. Der königliche Bibliothekar, Owen Morshead, brachte zwar sein Mitleid für Bot­stibers Schicksal zum Ausdruck, gestand aber, sich kaum an den Kollegen aus Wien zu erinnern. Die beiden Männer hatten einander nur einmal bei einem Besuch Bot­stibers auf Windsor Castle getroffen und im Anschluss 821 Cf. Hugo Bot­stiber, Schreiben an das Catholic Committee for Refugees from Germany, 27. Juli 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 822 Cf. Catholic Committee for Refugees from Germany, Schreiben an die Society for the Protection of Science and Learning, 2. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 823 Cf. Society for the Protection of Science and Learning, Schreiben an Hugo Bot­stiber, 5. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 824 Cf. Society for the Protection of Science and Learning, Schreiben an Hugo Bot­stiber, 18. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 825 Cf. Hugo Bot­stiber, Schreiben an die Society for the Protection of Science and Learning, eingegangen am 18. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2.

193

194

Vertreibung und Emigration

daran korrespondiert.826 Auch der prominente Chirurg Harold Stiles, den Bot­stiber als einen persönlichen Freund bezeichnete und der zwei Jahre zuvor Gast in seinem Haus in Wien gewesen war, konnte ihm derweil keine Hilfe anbieten, da er bereits einem österreichischen Bildhauer Obdach gewährte827. Die Gesellschaft kontaktierte schließlich einen wohlhabenden britischen Geschäftsmann und Eigentümer eines Chemieunternehmens namens John Brown, der nach Ansicht Bot­stibers jedenfalls für ihn und seine Frau bürgen würde. Bot­stiber kannte Brown und seine Familie bereits seit 1929, als seine Tochter Eva nach Vermittlung durch den Bruder Paul von Klenaus die Sommerferien auf deren Anwesen in Harrow Weald in Middlesex verbracht hatte. Bot­stiber hatte seine Tochter damals begleitet und sich ebenfalls eine Zeit lang in der Harrow Weald Lodge genannten Villa aufgehalten, wo er am sozialen Leben seiner Gastgeber teilgenommen hatte. Er war dabei zahlreichen britischen Geschäftsleuten und Personen aus dem Kulturleben vorgestellt worden, darunter der Witwe von William Schwenck Gilbert, dem Autor der Libretti der komischen Opern von Arthur Sullivan.828 Im Anschluss kam es zu einem regen Austausch zwischen Österreich und England. Während Eva zwei weitere Sommer bei den Browns zu Gast war, verbrachte Christine Verity, deren älteste Tochter, zwei Winter in Wien. Später statteten sowohl Browns Ehefrau Elisabeth als auch Lady Gilbert der ehemaligen Habsburger-Metropole ihren Besuch ab.829 Aber trotz des offensichtlich guten Verhältnisses zwischen den beiden Familien reagierte Brown zögernd auf das Schreiben der Gesellschaft. Er machte zunächst keinerlei Anstalten, für Bot­stiber zu bürgen, sondern verwies nur auf den Umstand, dass er bereits seinen Sohn Dietrich unterstützte, der sich neben einem US-Visum auch um eine Einreisebewilligung für Australien beworben hatte.830 Auch auf die Frage der Gesellschaft, ob er potentielle Arbeitsmöglichkeiten wüsste, schlug Brown lediglich vor, die großen Konzertagenturen des Landes, in erster Linie Ibbs and Tillet in London, zu kontaktieren. Diese stellten jedoch keine neuen Mitarbeiter ein831, was 826 Cf. Owen Morshead, Schreiben an die Society for the Protection of Science and Learning, 19. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 827 Cf. Harold Stiles, Schreiben an die Society for the Protection of Science and Learning, 21. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 828 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 78f. 829 Cf. ibid. 85. 830 Cf. Society of the Protection of Science and Learning, Schreiben an das Home Office, 7. November 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 831 Cf. Ibbs and Tillett, Schreiben an die Society of the Protection of Science and Learning, 31. August

Die letzten Tage in Wien

die Annahme der Gesellschaft bestätigte, dass es im Moment kaum Bedarf an Konzertorganisatoren gab. Auch wenn sich mittlerweile auch die in Cambridge lebende österreichische Physikerin und Botanikerin Gabriele Rabel der Sache angenommen hatte und die Gesellschaft über das Vorhandensein günstiger Zimmer in ihrer Nachbarschaft informierte832, sah sich diese daher außerstande, Bot­stibers am 29. August 1938 beim britischen Passamt in Wien eingebrachten Visumsantrag zu unterstützen. Als er vom Aliens Department des Home Office um seine Einschätzung gebeten wurde, äußerte der Generalsekretär der Gesellschaft, David Cleghorn Thomson, seine Bedenken  : […] I have no evidence of anybody in this country who is in a position to give the necessary complete financial guarantee. This society is not in a position to undertake any financial responsibility for the Bot­stibers and I cannot for myself see from what source their maintenance will come.833

Zwar betrachtete Thomson sowohl Harold Stiles als auch die Browns als potentielle Sponsoren, die möglicherweise bereit sein könnten, ihren Freunden aus Wien zumindest vorübergehend Obdach zu gewähren. Aber solange keine bindende Zusage vorlag, durfte die Gesellschaft dem Home Office gegenüber keine positive Empfehlung abgeben. Bot­stibers Antrag wurde daher zurückgestellt. Während die Gesellschaft den Antrag seines Vaters bearbeitete, erhielt zumindest Dietrich im September 1938 sein Visum für die Vereinigten Staaten, um das er bereits ein Jahr zuvor angesucht hatte und durch das er Anspruch auf ein Transitvisum für Großbritannien hatte. Er reiste umgehend via Paris und Le Havre nach London, wo er das für ihn hinterlegte Geld in Empfang nahm und der Familie Brown ein Ölgemälde übergab, das für die dortige Haydn-Gesellschaft vorgesehen war.834 Schließlich schiffte er sich in Southampton ein und erreichte New York am 8. Oktober 1938.835 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 832 Cf. Gabriele Rabel, Schreiben an die Society of the Protection of Science and Learning, eingegangen am 31. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 833 Society of the Protection of Science and Learning, Schreiben an das Home Office, 7. November 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 834 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 204f. 835 Cf. Passenger List, Ile de France, 7. Oktober 1938 (Ankunft). Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897–1957. NARA Microfilm Publication T715, Roll No. 6230, List 17, No. 14.

195

196

Vertreibung und Emigration

Dort bemühte er sich persönlich um Affidavits für seine Eltern und kontaktierte auf Anweisung seines Vaters eine Reihe von Personen.836 Unter ihnen befanden sich nicht nur Vertreter des kulturellen Lebens, sondern auch Freunde seiner Großeltern Ignaz und Nina wie die Bernays-Familie oder seine Verwandten in den Vereinigten Staaten837, von denen Dietrich bis zu seiner Emigration nichts gewusst hatte. Bot­stiber hatte seinen Sohn über die Existenz seines Cousins Paul, der seit mehr als 30 Jahren in Chicago lebte und 1920 eingebürgert worden war838, erst kurz vor seiner Abreise informiert. Dass er nicht einmal sicher war, ob dieser überhaupt noch dort wohnhaft war, zeigt, dass zwischen den beiden seit Jahren kein Kontakt mehr bestanden haben dürfte. Ungeachtet der Distanz dürfte Bot­stiber auch nicht daran interessiert gewesen sein, da Paul zur Arbeiterklasse innerhalb der Familie gehörte und im Gegensatz zu Alois, Isidor, Rudolf und Julius, die wie er in der sozialen Hierarchie aufgestiegen waren, nicht mehr in seine Welt passte. Dietrich gelang es jedoch nicht, die familiären Bande wiederherzustellen. Auch wenn aus seinen Memoiren nicht hervorgeht, ob er seine Verwandtschaft überhaupt ausfindig machen konnte, so steht zumindest fest, dass er von ihr keinerlei Hilfe erhielt. Dies galt auch für die zahlreichen anderen Freunde und Kollegen seines Vaters. Sofern sie überhaupt auf seine Briefe antworteten, brachten sie nur ihr Mitgefühl, ihre Bewunderung für dessen Publikationen oder ihre tiefe Betroffenheit zum Ausdruck, verwiesen ansonsten aber nur auf eines der zahlreichen Flüchtlingskomitees.839 Ein besonders plakatives Beispiel für das Versagen von Bot­stibers Netzwerk ist das Verhalten des ungarischstämmigen Dirigenten des Philadelphia Orchestra, Eugene Ormandy, der Gast in Bot­stibers Villa in der Kaasgrabengasse gewesen war und für den der damalige Generalsekretär es ermöglicht hatte, während der Wiener Festwochen 1936 die Wiener Symphoniker zu dirigieren. Nicht nur, dass Ormandy Dietrich, der mit der Bitte um Beistand für seine Eltern an ihn herantrat, mehrere Male vertröstete. An Zynismus nur schwerlich zu überbieten, leitete der Dirigent darüber hinaus sogar eine weitere an ihn gerichtete Anfrage um ein Affidavit an den mittellosen Dietrich weiter und bat ihn, sich um die Angelegenheit zu kümmern.840 Da auch seine Versuche, für seinen Vater eine bezahlte Dozentenstelle in Musikwissenschaft an einem College und einer Universität zu finden, nicht fruchteten, 836 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 220. 837 Cf. ibid. 214. 838 Cf. Paul Bot­stiber, in  : Soundex Index to Naturalization Petitions for the United States District and Circuit Courts, Northern District of Illinois and Immigration and Naturalization Service District 9, 1840–1950. NARA Microfilm Publication M1285, Roll 13. 839 Bot­stiber, Mayflower, 221. 840 Cf. ibid. 235ff.

Die letzten Tage in Wien

versuchte Dietrich, selbst in eine Position zu kommen, in der er für seine Eltern bürgen konnte. Bereits am 2. Dezember 1938 reichte er seine »Declaration of Intention« ein und bewarb sich damit um die US-Staatsbürgerschaft.841 Außerdem konsultierte er nochmals das Catholic Committee for Refugees from Germany, dessen Filiale in New York ihm seine Unterstützung zusagte, ihm aber zugleich dringend riet, zunächst seinen eigenen finanziellen Status zu verbessern.842 Aus diesem Grund lieh er sich Geld von Peter und Gerhart Drucker und konnte zudem, nachdem er nach Philadelphia umgezogen war und dort verschiedene Arbeiten als Elektriker angenommen hatte, einen nicht unbeträchtlichen Betrag ansparen. Mit diesen Eigenmitteln wollte er beweisen, dass er fähig war, seine Eltern nach deren Einreise zu unterstützen. In der Zwischenzeit traf auch Bot­stiber selbst weitere Vorkehrungen für seine angestrebte Auswanderung. Ende Oktober 1938 überschrieb er seinen Anteil an der Villa in der Kaasgrabengasse an seine Frau Luisa, die nun die alleinige Besitzerin war843, und verfügte damit über keinerlei der Reichsfluchtsteuer unterliegenden Vermögenswerte mehr. Er hatte wohl seine Schlüsse aus dem Schicksal der Zemlinskys gezogen und versuchte daher unter der Annahme, dass die Ansprüche seiner Frau wegen ihrer »arischen« Abstammung nicht infrage stünden, sein Haus dem Zugriff der Nationalsozialisten zu entziehen und es so für seine Familie zu bewahren844. Nach der Einführung der Judenvermögensabgabe am 12. November 1938 informierte er Mitte Dezember die dafür zuständige Vermögensverkehrsstelle über die Änderungen seiner finanziellen Situation. Darüber hinaus erklärte er, dass seine Pensionsansprüche nach wie vor nicht geregelt seien und er seit August kein Geld von der Konzerthausgesellschaft erhalten habe.845 Aus diesem Grund beantragte er, diese bei der Evaluierung seiner steuerlichen Bemessungsgrundlage nicht zu berücksichtigen. Zwar sollte die Konzerthausgesellschaft nach dem Ende des NS-Regimes behaupten, dass Schoeller der Aufforderung, die Zahlungen an den ehemaligen Generalsekretär einzustellen, nicht nachgekommen sei und durch Androhung seiner Demission eine Fortzahlungen der Pension bis zu dessen Emigration 841 Cf. Wolf-Dietrich Bot­stiber, Declaration of Intention, 2. Dezember 1938. NARA Philadelphia. Records of the US District Court in Philadelphia. Naturalization Petitions, RG 21, Box 613. 842 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 210, 218f. 843 Cf. Notariats-Akt, Schenkungsvertrag, 20. Oktober 1938. Privatsammlung von Christina Stahl. 844 Das Haus wurde tatsächlich niemals konfisziert und blieb im Familienbesitz. Der Grund dafür war, dass Bot­stiber und seine Frau als »privilegiertes« Paar galten. Darunter fielen jene Partnerschaften, bei denen entweder der Mann »arisch« war oder die Kinder nicht-jüdisch erzogen wurden. Cf. Evan Burr Bukey, Jews and Intermarriage in Nazi Austria (Cambridge 2011), 19f. 845 Cf. Hugo Bot­stiber, Schreiben an die Vermögensverkehrsstelle, 14. Dezember 1938. AdR. Finanzen BMF VVSt VA 23.693.

197

198

Vertreibung und Emigration

erreichen habe können.846 Diese Aussage ist jedoch eher als Versuch zu sehen, Schoeller und auch die Konzerthausgesellschaft selbst in ein besseres Licht zu rücken. Denn es gibt keinen Hinweis darauf, dass Bot­stiber seinen ausstehenden Lohn oder die ihm zustehenden Ruhestandsbezüge jemals erhalten hätte. Vielmehr teilte er den Behörden im Jänner 1939 mit, dass seine Pensionsansprüche in der Höhe von 36.000 Reichsmark mittlerweile endgültig hinfällig geworden seien.847 Noch bevor er sich Mitte Dezember 1938 an die Vermögensverkehrsstelle wandte, hatte Bot­stiber bereits gute Nachrichten aus Großbritannien erhalten. Dort hatten die Browns nach weiteren Nachfragen durch die Society for the Protection of Science and Learning mittlerweile ihre Meinung geändert und zeigten sich gewillt, für ihn und seine Frau zu bürgen. Es war die jüngste Tochter der Familie, Margaret Walton »Bunty« Brown, die dabei zur treibenden Kraft wurde. Sie empfand offensichtlich Mitleid mit ihren Freunden aus Wien und hatte bereits Dietrich geholfen, indem sie das Haydn-Gemälde sowie den Schmuck seiner Mutter zwischenzeitlich sicher verwahrt hatte848. Nach Rücksprache mit dem Generalsekretär der Gesellschaft begann sie, sich auch für Bot­stiber und seine Frau einzusetzen. In einem Brief an das Aliens Department des Home Office sagte Margaret ihnen im Namen ihrer Mutter ihre bedingungslose Unterstützung zu, bis sie entweder eine bezahlte Anstellung gefunden hätten oder Dietrich in der Lage wäre, für den Lebensunterhalt seiner Eltern aufzukommen.849 Aufgrund dessen befürwortete die Gesellschaft, die einmal mehr unterstrich, von sich selbst aus keinen Zuschuss leisten zu können, schließlich Bot­ stibers Visumsantrag vom August 1938.850 Nach Monaten der erfolglosen Versuche und enttäuschten Hoffnungen waren Bot­stiber und seine Frau schließlich dazu berechtigt, Großbritannien zu betreten und dort auch zu bleiben. Allerdings dauerte es wohl aufgrund bürokratischer Hürden noch ein weiteres halbes Jahr, bis sie Österreich verlassen konnten. Erst am 5. Mai 1939 reisten sie per Flugzeug nach London851, während ihre Tochter entschieden hatte, gemeinsam mit ihrem Ehemann in Österreich auszuharren852. Für Bot­ 846 Zitiert in Stein, Konzerthausgesellschaft und Nationalsozialisten, 21f. 847 Cf. Hugo Bot­stiber, Vermögensbekenntnis, 19. Jänner 1939. AdR. Finanzen BMF VVSt VA 23.693. 848 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 206. 849 Cf. Margaret Brown, Schreiben an die Society for the Protection of Science and Learning, 28. November 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 850 Cf. Society for the Protection of Science and Learning, Schreiben an Margaret Walton Brown, 24. und 28. November 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 851 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 231. 852 Obwohl auch Eva daran gedacht hatte, auszuwandern, blieb sie auf Wunsch ihres Ehemannes mit

Exil

stiber war es ein Abschied ohne Wiederkehr. Er sollte weder Eva noch Wien jemals wiedersehen.

Exil Für viele Emigranten, sofern sie an ein Visum gelangen konnten, stellte Großbritannien eine logische erste Anlaufstelle auf ihrer Flucht dar, da sich von dort die meisten Überseedestinationen erreichen ließen. In Bot­stibers Fall kamen noch zwei weitere gewichtige Gründe hinzu, warum die britischen Inseln für ihn ein ideales Ziel waren. Einerseits kannte er das Land von früheren Besuchen853, verfügte über soziale Kontakte und beherrschte die Sprache fließend. Darüber hinaus bot das Vereinigte Königreich ein lohnendes Betätigungsfeld hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Interessen. Bereits 1937, als seine Stellung am Konzerthaus nicht mehr allzu gefestigt gewesen war und sein Einfluss zu schwinden begonnen hatte, hatte er den Wunsch geäußert, sich wieder biographischen Forschungen zu seinen Lieblingskomponisten zu widmen. In diesem Zusammenhang waren Joseph Haydn und seine Reisen nach Großbritannien von 1791 bis 1792 und von 1794 bis 1795 von besonderer Relevanz.854 Nach ihrer Ankunft in London wurden Bot­stiber und seine Frau von den Browns in Empfang genommen, die sie vorerst bei sich in Harrow Weald einquartierten, wo sich vor allem Margaret um sie kümmerte.855 Nach über einem Jahr der Ungewissheit und der ständigen Bedrohung im annektierten Österreich muss den Geflüchteten das im ländlichen Middlesex gelegene Anwesen wie ein sicherer Zufluchtsort erschienen sein, an dem sich ein ruhiges und ungestörtes Leben führen ließ856, wie Bot­stiber in einem Dankschreiben an die Society for the Protection of Sciences and Learning bemerkte. Aber auch wenn Harrow Weald die Gelegenheit bot, sich von den Strapazen zu erholen, so sprechen doch einige Indizien dafür, dass Großbritannien nicht das eigentliche Endziel ihrer Reise war, sondern vielmehr nur eine Zwischenstation auf ihdiesem in Österreich. Als sie später ihre Meinung änderte, konnte sie das Land nicht mehr verlassen. Cf. ibid. 196f. 853 Laut seinem Visumsantrag hatte sich Bot­stiber bereits 1896, 1907, 1911, 1926 und 1929 in Großbritannien aufgehalten. Cf. Hugo Bot­stiber, Visumsantrag, 29. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 854 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 163. 855 Cf. ibid. 231. 856 Cf. Hugo Bot­stiber, Schreiben an die Society for the Protection of Science and Learning, 22. Mai 1939. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2.

199

200

Vertreibung und Emigration

rem Weg in die Vereinigten Staaten. Bereits nachdem seine Eltern ihre Visa für Großbritannien erhalten hatten, hatte Dietrich das US-Konsulat in Wien per Brief über seine angesparten Eigenmittel, und damit über seine Fähigkeit, für seine Eltern zu sorgen, in Kenntnis gesetzt, wodurch er hoffte, ihre Weiterreise zu beschleunigen857. Bot­stiber selbst hatte zudem über die Aktion Gildemeester858, eine Hilfsinitiative in Wien, einen Reisekostenzuschuss in der Höhe von 360 Reichsmark für die Überfahrt von Southampton nach New York erhalten.859 Auch hatte er die gesamte Einrichtung der Villa in der Kaasgrabengasse, die er nicht in Wien zurücklassen wollte, nicht nach Großbritannien, sondern gleich über den Atlantik geschickt. Dietrich, der offenbar über diesen Schritt nicht informiert worden war, zeigte sich geschockt, als er die Fracht im Hafen von Philadelphia in Empfang nahm  : [It] consisted of all the massive furniture […], the Boesendorfer grand piano, the gigantic mirrors […], the Biedermeier chests, cabinets, chairs, tables and sofas, the enormous beds from my parents’ bedroom, the dressers, paintings, lightning fixtures, the oriental rugs, boxes and cases of tableware, china, glasses, all packaged inadequately for the long trip and the many transfers.860

Großbritannien stellte für Bot­stiber und seine Frau also nur eine vorübergehende Lösung dar, bis sie ihre Visa für die USA erhielten und ihre Reise fortsetzen konnten. Dies galt auch für den Aufenthalt in Harrow Weald. Bereits im Herbst 1939 übersiedelte das Paar nach London, wo es sich in einem Apartment im Bezirk Hammer­smith 857 Im Frühjahr 1939 teilte das Catholic Committee for Refugees from Germany Dietrich mit, dass die Visa für seine Eltern sein Verdienst gewesen seien, was jedoch nicht der Wahrheit entsprach. Möglicherweise bezog sich die Mitteilung des Komitees jedoch auch auf Bot­stibers Antrag auf eine Einreisebewilligung für die Vereinigten Staaten. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 230. 858 Die Aktion Gildemeester unterstützte in organisatorischer und finanzieller Hinsicht Personen beim Verlassen Österreichs, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden galten, für die die Israelitische Kultusgemeinde aber nicht mehr zuständig war, da sie entweder ausgetreten oder konvertiert waren. Wohlhabende Teilnehmer an der Aktion mussten ihr Vermögen einem Treuhänder übergeben und zehn Prozent davon in einen Fonds einzahlen, über den nicht nur die eigene Ausreise, sondern auch die mittelloser Juden finanziert wurde. Für eine detaillierte Studie zur Aktion Gildemeester siehe Theodor Venus, Alexandra-Eileen Wenck, Die Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Aktion Gildemeester. Eine empirische Studie über Organisation, Form und Wandel von »Arisierung« und jüdischer Auswanderung in Österreich 1938–1941. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 20/2 (Wien und München 2004). 859 Cf. Hugo Bot­stiber, Reisekostenzuschuss, 3. Mai 1939. CAHJP. Record Group A/W, File 2723, 4, No. 46812. 860 Bot­stiber, Mayflower 230.

Exil

in Westen der Stadt einquartierte861. Die Gründe für den Umzug sind ungewiss. Möglicherweise wollte Bot­stiber den Browns, obwohl diese ihm ihre bedingungslose Unterstützung zugesagt hatten, nicht zu lange zur Last fallen862. Da der Gebäudekomplex namens Latymer Court, in dem ihre Wohnung lag, erst in den 1930er Jahren erbaut worden war und über die modernste Ausstattung und komfortabelsten Annehmlichkeiten verfügte863, ist es allerdings zweifelhaft, ob Bot­stiber in der Lage war, ohne fremde Hilfe für die Miete aufzukommen864, auch wenn sein Sohn regelmäßig Geld schickte. Insofern erscheint es möglich, dass sich auch ihre neue Unterkunft im Besitz der Browns oder anderer Freunde befand. Wahrscheinlicher ist daher, dass Bot­stiber Harrow Weald wegen seiner wissenschaftlichen Interessen verließ. Um diese verfolgen zu können, benötigte er Zugang zu Londons bedeutenden Forschungseinrichtungen wie der British Library, dem British Museum oder dem Royal College of Music, die im Stadtzentrum oder in dessen Nähe lagen. Zwischen London und Harrow Weald zu pendeln, war ob seiner gesundheitlichen Probleme wohl keine Option. Abgesehen vom möglichen Bestreben, zu keiner permanenten Belastung für seine Gastgeber zu werden, und der besseren Erreichbarkeit wissenschaftlicher Institutionen waren es wohl auch soziale Gründe, die das Paar zum Umzug bewegte. So dürfte vor allem die in Harrow Weald vollständig isolierte Luisa den Wunsch gehabt haben, den Kontakt zu ebenfalls nach London geflüchteten Emigranten aus Wien zu suchen und das kulturelle Angebot der Stadt zu nutzen. Insbesondere die Gegend rund um den Hyde Park hatte sich zu einer bevorzugten Wohngegend für Kunst- und Kulturschaffende entwickelt, darunter etwa die Bildhauerin Anna Mahler, die Tochter Gustav Mahlers, oder der Tenor Richard Tauber865, der häufig im Konzerthaus aufgetreten war. Das neue Quartier im Latymer Court, das nur rund zweieinhalb Kilometer von der westlichen Ecke des Parks entfernt lag, ermöglichte insofern den 861 Wie ein Dokument des Aliens Department des Home Office belegt, wohnte Bot­stiber ab spätestens Oktober 1939 in London. Cf. Hugo und Luisa Bot­stiber, in  : Dead Index (Wives of Germans etc), Black-Brenn, 1941–1947. TNA. HO 396/218. 862 Bot­stibers Ehrgefühl in dieser Hinsicht zeigt sich auch darin, dass er seinen Sohn anwies, Brown die Summe von 30 Pfund zurückzuerstatten, die dieser ihm geliehen hatte. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 231. 863 Cf. Latymer Court. Online  : http://latymercourt.com [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 864 Im August 1938 hatte er die Society for the Protection of Science and Learning davon in Kenntnis gesetzt, dass die ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel noch für ein Jahr ausreichten. Cf. Fragebogen der Society for the Protection of Science and Learning, ausgefüllt von Hugo Bot­stiber, eingegangen am 18. August 1938. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 865 Cf. Steffen Pross, »In London treffen wir uns wieder«. Vier Spaziergänge durch ein vergessenes Kapitel deutscher Kulturgeschichte nach 1933 (Frankfurt/Main 2000), 163ff.

201

202

Vertreibung und Emigration

Umgang mit der österreichischen Exilgemeinde in London sowie die Teilnahme am kulturellen Leben. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges verkomplizierte jedoch nicht nur den Versuch, in die Vereinigten Staaten weiterzureisen, da Bot­stiber und seine Frau zwar endlich ihre US-Visa erhalten hatten866, eine Passage jedoch nur schwer zu finden war867  ; auch das gesellschaftliche Leben aller aus Deutschland und Österreich Geflüchteten wurde davon in Mitleidenschaft gezogen. Als »enemy aliens« mussten sie sich einer Befragung durch die britischen Behörden unterziehen, die entschieden, ob sie eine Gefahr für die Sicherheit ihres Gastlandes darstellten. Nach mehr als 70.000 solcher Verfahren wurden bis Anfang 1940 aber zunächst nur 600 Personen interniert und über weitere 6.700 eine Reihe von Sicherheitsbeschränkungen verhängt868, während mehr als 90 Prozent der Emigranten, darunter auch Bot­stiber und seine Frau869, als loyal eingestuft wurden und ihr Leben wie gewohnt fortsetzen konnten. Die Situation verschärfte sich allerdings mit der Niederlage Frankreichs im Juni 1940 und der potenziellen Gefahr einer deutschen Invasion der britischen Inseln. Aus Angst vor einer sogenannten »Fünften Kolonne«, die die nationalsozialistischen Aggressoren mittels subversiver Aktionen aus dem Untergrund unterstützen könnte, ordnete die britische Regierung eine Masseninternierung aller »enemy aliens« an. Innerhalb weniger Wochen wurden mehr als 27.000 Emigranten festgesetzt.870 Aufgrund seines Alters und seines schlechten Gesundheitszustandes war Bot­stiber von dieser Maßnahme nicht betroffen, im Gegensatz etwa zu seinem früheren Nachbarn Hans Gál. Dieser hatte für einige Monate an der Bibliothek der Universität Edinburgh gearbeitet, war aber nach Auslaufen seines Vertrags nach London zurückgekehrt. Nach Kriegsausbruch wurde er in Huyton in der Nähe von Liverpool interniert und schließlich auf die Isle of Man verlegt.871 Möglicherweise aufgrund der Internierung von Freunden und des damit einhergehenden Verlusts jeglicher sozialer Kontakte in ihrer Nachbarschaft zogen Bot­stiber und sein Frau erneut um. Diesmal fiel die Wahl auf Hampstead872. Da die Gegend 866 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 241. 867 Cf. ibid. 243. 868 Cf. Pross, London, 12. 869 Cf. Hugo und Luisa Bot­stiber, in  : Dead Index (Wives of Germans etc), Black-Brenn, 1941–1947. TNA. HO 396/218. 870 Cf. Wasserstein, Britische Regierungen, 60. 871 Cf. Walter Pass, Gerhard Scheit, Wilhelm Svoboda, Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen Musik von 1938 bis 1945. Antifaschistische Literatur und Exilliteratur – Studien und Texte 13 (Wien 1995), 136. 872 Erneut lässt sich nicht eindeutig feststellen, wann Bot­stiber nach Hampstead zog und wie lange er sich dort aufhielt. Ein Brief aus seinem Teilnachlass zeigt aber, dass er zumindest bis zum August

Exil

aufgrund der relativ erschwinglichen Wohnungen in den südlichen Teilen des Bezirks und der kreativen Atmosphäre besonders populär bei deutschen und österreichischen jüdischen Intellektuellen war873, konnten sie erwarten, dort zahlreiche Gleichgesinnte zu treffen. Ihre neue Unterkunft an der Akenside Road war unter anderem nur einen fünfminütigen Fußmarsch vom Haus Sigmund Freuds in Maresfield Gardens entfernt, wo dieser bis zu seinem Tod am 23. September 1939 gelebt hatte. Es gibt zwar keinen Hinweis darauf, dass Bot­stiber und Freud einander im Exil begegnet wären oder dass Freud irgendeine Rolle für Bot­stibers Entscheidung, nach Hampstead zu ziehen, gespielt hätte. Freud war bereits im Juni 1938 nach Großbritannien gegangen und als er starb, hatte sich Bot­stiber vermutlich noch in Harrow Weald aufgehalten oder war erst kürzlich in die Hauptstadt gezogen. Aber nachdem es zwischen ihnen wie erwähnt eine, wenn auch nur weitläufige verwandtschaftliche Verbindung über die Bernays-Winternitz-Seite gab, ist nicht auszuschließen, dass die beiden Männer miteinander in Kontakt gestanden hatten, zumal Freuds Tochter Anna, die noch immer in Maresfield Gardens wohnte, die Volksschullehrerin von Bot­stibers Sohn Dietrich in Wien gewesen war. Generell stellt sich bei Bot­stibers Umzug in das Zentrum der österreichischen Gemeinde in Großbritannien die Frage, ob Bot­stiber die Nähe zu den exilpolitischen Gruppen suchte, die in London vor und nach Kriegsausbruch gegründet worden waren. Dass er sich für Politik interessierte, zeigt nicht zuletzt seine Mitgliedschaft in einer legitimistischen Vereinigung. Im Exil dürfte er dieses Engagement jedoch nicht mehr fortgesetzt haben. Zwar findet sich in seinen persönlichen Schriften eine kurze Abhandlung mit semipolitischem Charakter, die die britische Gastfreundschaft ausländischen Künstlern gegenüber in Kriegszeiten zum Inhalt hat874. Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass er sich in welcher Form auch immer in die Arbeit der Austrian League, der Organisation der Legitimisten in Großbritannien seit 1939, oder anderer politischer Institutionen einbrachte875. Insofern finden sich auch keine Spuren von ihm am Austrian Centre, dem kommunistischen Gegenstück der Austrian League in London. Aber auch wenn Bot­stiber aus ideologischen Gründen nicht an dieser Organisation interessiert war, so besaß 1940 dort wohnte. Cf. F. Williamson, Schreiben an Hugo Bot­stiber, 23. August 1940. Wienbibliothek. Archivbox ZPH 500. 873 Cf. Pross, London, 105. 874 Der Essay ist weder datiert noch geht aus ihm hervor, ob und wann er publiziert wurde. Cf. Hugo Bot­stiber, British Hospitality to Foreign Artists. Wienbibliothek. Archivbox ZPH 500. 875 Für eine umfassende Studie zu österreichischen Politorganisationen in Großbritannien siehe Helene Maimann, Politik im Wartesaal, Österreichische Exilpolitik in Grossbritannien 1938–1945 (Wien et al. 1975).

203

204

Vertreibung und Emigration

sie für ihn in Hinblick auf seine musikalischen Vorlieben durchaus Relevanz. Denn da sie auch einen kulturellen Auftrag verfolgte und bemüht war, das österreichische kulturelle Leben in London zu fördern, organisierte sie eine Vielzahl von Veranstaltungen, darunter Vorträge über österreichische Musik und Konzerte mit Werken von Beethoven, Mozart und Haydn, aber auch von Mahler und zeitgenössischen Komponisten876. Obwohl kommunistisch dominiert, wurde das Centre, dessen Sitz in Westbourne Terrace in der Nähe der Paddington Station auch über ein Restaurant und eine Bibliothek verfügte, sehr bald das wichtigste Forum für die gesamte österreichische Exilgemeinde ungeachtet der politischen Ausrichtung. Ihm trat die große Mehrheit der österreichischen Intellektuellen und Wissenschaftler in Großbritannien bei, allen voran Sigmund Freud, der bis zu seinem Tod 1939 sogar als Ehrenpräsident fungierte877. Insofern liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, dass Bot­stiber einzelne Veranstaltungen des Centres besuchte. Er beteiligte sich jedoch nicht aktiv daran, weder als Konzertorganisator noch als Vortragender zu musikwissenschaftlichen Themen. Bot­stibers Leben in London scheint generell eher ruhig und unspektakulär verlaufen zu sein, was vermutlich auch seiner finanziellen und gesundheitlichen Situation geschuldet war. Da er so gut wie keine Spuren hinterlassen hat878, lässt sich nicht feststellen, ob und in welchem Ausmaß er am öffentlichen Leben teilnahm und ob er sich überhaupt um soziale Kontakte bemühte. Fest steht aber, dass die Chance dazu jedenfalls bestanden hätte, da sich eine Vielzahl von ehemaligen Kollegen und Freunden aus Wien in der britischen Hauptstadt aufhielten, darunter nicht nur Wellesz, Gál und Tauber, sondern auch der Geiger Arnold Rosé, der Musikwissenschaftler Peter Stadlen, der Verleger Alfred Kalmus, der ebenso bei Guido Adler studiert und die Londoner Niederlassung der Universal Edition gegründet hatte, oder der Musiktheoretiker und Komponist Erwin Stein, ein Schüler Arnold Schönbergs.879 Zudem bestand die Möglichkeit, mit britischen Wissenschaftlern und Künstlern zu verkehren, mit denen er durch seine frühere Tätigkeit bei der Internationalen Musikgesell876 Cf. Wolfgang Muchitsch, The Cultural Policy of Austrian Refugee Organisations in Great Britain, in  : Edward Timms und Ritchie Robertson (Hgg.), Austrian Exodus. The Creative Achievements of Refugees from National Socialism. Austrian Studies 6 (Edinburgh 1995), 35. 877 Cf. Herbert Steiner, Großbritannien, in  : Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien und München 1988), 980. 878 Siehe auch Raab Hansen, NS-verfolgte Musiker, 398f. 879 Für eine umfassendere Studie zu österreichischen Musikern und Musikwissenschaftlern in London siehe Peter Stadlen, Österreichische Exilmusiker in England, in  : Monica Wildauer (Hg.), Österreichische Musiker im Exil. Beiträge der Österreichischen Gesellschaft für Musik 8 (Kassel et al. 1990), 125ff.

Exil

schaft vertraut war oder die schon im Konzerthaus aufgetreten waren880. Zu diesen zählten zum Beispiel die Dirigenten Thomas Beecham und Adrian Cedric Boult, die er auch in seinen Briefen an die Society for the Protection of Science and Learning als Referenzen genannt hatte. Letzteren kannte Bot­stiber zumindest seit 1922, als das Konzertbüro zwei Orchestervorstellungen mit ausschließlich Werken englischer Komponisten organisiert hatte, die von Boult dirigiert worden waren, der damals auch Gast in der Villa in der Kaasgrabengasse gewesen war881. Trotz der nicht geringen Zahl an Bekannten in der britischen Hauptstadt dürfte Bot­stibers Hauptaugenmerk jedoch nichtsdestotrotz auf seinen musikwissenschaftlichen Aktivitäten gelegen sein. In erster Linie stellte er Recherchen zu Joseph Haydn und jenen Werken an, die während dessen Londoner Jahre von 1791 bis 1792 und von 1794 bis 1795 entstanden waren. Wie verschiedene Entlehnscheine in Bot­stibers Teilnachlass zeigen, konsultierte er zumindest bis Ende August 1940 diesbezüglich die Bestände des British Museum. Außerdem stand er mit dem Royal College of Music sowie der Royal Society of Musicians, Großbritanniens ältester Wohltätigkeitsorganisation für Musiker, in Kontakt. Letztere stellte ihm Kopien des Manuskripts eines Marsches zur Verfügung, den Haydn 1792 für die Gesellschaft komponiert hatte882. Mit dem Beginn der deutschen Luftangriffe auf die britische Hauptstadt im September 1940 musste Bot­stiber jedoch seine Arbeiten unterbrechen und ein weiteres Mal vor der nationalsozialistischen Bedrohung fliehen. Er verließ London und ging mit seiner Frau nach Shrewsbury, der Hauptstadt der Grafschaft Shropshire.883 Dass die Wahl auf den Geburtstort Charles Darwins, gelegen in den West Midlands nahe der walisischen Grenze, fiel, hatte wohl zwei Gründe. Einerseits lag das eher kleinere Shrewsbury in einer relativ sicheren Gegend, in der sich keine größeren Städte oder Industriezonen befanden. Im Gegensatz zu London oder anderen urbanen Zonen wie Birmingham, Liverpool oder Manchester war die Wahrscheinlichkeit eines deutschen Angriffs dort geringer, und tatsächlich sollte die Stadt bis zum Kriegsende kaum bombardiert werden und größtenteils unbeschädigt bleiben. Zum anderen dürften erneut Bot­stibers Forschungen eine Rolle gespielt haben. Wie Notizen in seinem Teilnachlass zeigen, hatte er sich während seiner Recherchen im British Museum intensiv mit der Geschichte der Grafschaft Derbyshire auseinandergesetzt. Die Gründe dafür 880 Bot­stiber hatte bereits 1911 an einem Kongress der Internationalen Musikgesellschaft in London teilgenommen. 881 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 87. 882 Laut einer Aussage des derzeitigen Archivars der Gesellschaft unterstützte diese Bot­stiber lediglich bei seinen Recherchen, jedoch nicht finanziell. 883 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 243.

205

206

Vertreibung und Emigration

waren zwei Märsche, die Haydn 1794 für den englische Baronet Henry Crewe, vormals Henry Harpur, und die Volunteer Cavalry of Derbyshire komponiert hatte. Als Bot­stiber diesbezüglich das Museum und die Kunstgalerie von Derby kontaktierte, erfuhr er, dass die Manuskripte dieser Märsche in Calke Abbey aufbewahrt wurden, dem südlich der Stadt gelegenen Domizil der Familie Harpur884. Nachdem er der Grafschaft Derbyshire um seiner Forschung Willen ohnehin einen Besuch abstatten musste, war es eine Option, angesichts der deutschen Bedrohung gleich dorthin zu ziehen. Allerdings drohte die Region wegen ihrer höheren Bevölkerungsdichte und der größeren Städte in der Umgebung wie Nottingham oder Leicester eher ein Ziel der deutschen Luftwaffe zu werden als Shropshire. Insofern stellte Letzteres eine sichere Alternative dar, von der aus sich die Gegend um Derby immer noch leicht erreichen ließ. Shrewsbury war die letzte Etappe auf Bot­stibers Reise. Er litt seit Jahren an Herzproblemen und bedingt durch die Strapazen hatte sich sein Gesundheitszustand im Exil weiter verschlechtert. Dazu kamen mittlerweile auch mentale Probleme. Er fühlte sich in zunehmendem Ausmaß verloren und wurde seinem Sohn zufolge immer verzweifelter, da die interessanten Phasen seines Lebens hinter ihm lagen und er für seine Zukunft als Flüchtling fernab der Heimat und den Stätten seiner erfolgreichen Karriere keine Perspektiven mehr für sich sah.885 Am 15. Jänner 1941, nach nur wenigen Monaten in Shrewsbury, während denen das Paar in einem Anwesen namens »Cotonhurst« gelebt hatte886, verstarb Bot­stiber im Alter von 65 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung und eines Schlaganfalls887. Sein Tod blieb von der Öffentlichkeit gänzlich unbemerkt und fand weder in der österreichischen Presse oder in interna884 Cf. F. Williamson, Schreiben an Hugo Bot­stiber, 23. August 1940. Wienbibliothek. Archivbox ZPH 500. 885 Bot­stiber, Mayflower, 249. 886 Es ist nicht bekannt, in wessen Besitz sich das Haus befand, als Bot­stiber und seine Frau darin wohnten, da kein Grundbuch für die betreffenden Jahre existiert. Das Wählerverzeichnis wiederum gibt nur Aufschluss über diejenigen, die vor 1939 in Cotonhurst lebten, da während des Krieges keine Wahlen stattfanden und es daher von 1940 bis 1944 keine Aufzeichnungen gibt. 1945 taucht die Adresse jedoch nicht länger in der »Civilian Residence List« auf, was darauf schließen lässt, dass dort keine Wahlberechtigten mehr wohnhaft waren. Da die letzte bekannte Besitzerin, Lucy Corbett, im Februar 1940 gestorben war, stand das Haus, das in den 1950er Jahren in ein Altersheim umgewandelt werden sollte, also möglicherweise ab diesem Zeitpunkt leer und wurde daher zeitweilig als Quartier für Flüchtlinge verwendet. Cf. Kelly’s Directory of Shrewsbury and Neighbourhood (London 1938), 39, 172  ; Register of Electors, Shrewsbury Division, 1939. Shropshire Archives. ER 3/3/30, 484  ; Civilian Residence List, 1945. Shropshire Archives. ER 3/3/31, 185. 887 Cf. Hugo Bot­stiber, Death Certificate, 16. Jänner 1941. Shropshire Council. 1941. Deaths in the Sub-District of Shrewsbury in the County of Salop. No. 309.

Exil

tionalen Musikzeitschriften noch in Lokalzeitungen aus Shropshire Erwähnung888. Auch die Society for the Protection of Science and Learning erfuhr erst im März 1942 von Bot­stibers Ableben, als sie Informationen zu seiner gegenwärtigen Adresse und Beschäftigung einholen wollte und aus diesem Grund Egon Wellesz kontaktierte889. Kurz nachdem ihr Ehemann verstorben war, verließ Luisa Shrewsbury und fand erneut Aufnahme bei den Browns, die ihr Anwesen in Harrow Weald mittlerweile verkauft hatten und nach Hindhead in der Grafschaft Surrey, südwestlich von London, gezogen waren890. Erst nach weiteren 21 Monate konnte sie schließlich weiter in die Vereinigten Staaten reisen, wo sie am 11. November 1942 ankam. Zunächst lebte Luisa gemeinsam mit Dietrich, der am 23. Dezember 1943 eingebürgert wurde891, in dessen kleiner Wohnung in Philadelphia. Aber obwohl auch sie sich um die USStaatsbürgerschaft bewarb und ihr diese 1948 verliehen wurde892, plante sie nicht, für immer in Amerika zu bleiben. Im Gegensatz zu Dietrich, der sein eigenes Unternehmen in Philadelphia gründete und ein erfolgreicher Geschäftsmann in den Vereinigten Staaten werden sollte, entschied sie sich für eine Heimkehr nach Wien und bezog dort wieder die Familienvilla in der Kaasgrabengasse. Mit Luisa fanden auch die sterblichen Überreste Bot­stibers, dessen Leichnam in Großbritannien eingeäschert worden war, ihren Weg zurück nach Österreich. Wo sich seine letzte Ruhestätte in der Stadt der Musik befindet, ist allerdings unbekannt893.

888 Das nationalsozialistische »Lexikon der Juden in der Musik« führte Bot­stiber auch 1943 noch unter den Lebenden. Cf. Bot­stiber (Bodstieber), Hugo, in  : Theo Stengel, Herbert Gerigk (Hgg.), Lexikon der Juden in der Musik. Veröffentlichungen des Instituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage 2 (Berlin 1943), 38. 889 Cf. Society for the Protection of Science and Learning, Schreiben an Egon Wellesz, März 1942. Archive of the Society for the Protection of Science and Learning. Bodleian Library, University of Oxford. Hugo Bot­stiber. MS SPSL 472/2. 890 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 249. 891 Cf. Wolf-Dietrich Bot­stiber, Petition for Naturalization, 23. Dezember 1943. NARA Philadelphia. Records of the US District Court in Philadelphia. Naturalization Petitions, RG 21, Box 613. 892 Cf. Luisa Josefine Magdalena Bot­stiber, Declaration of Intention, 5. April 1948. NARA Philadelphia. Records of the US District Court in Philadelphia. Naturalization Petitions, RG 21, Box 668. 893 Laut einer Aussage der ehemaligen Haushälterin Luisas nach dem Krieg, Theresia Drobilich, war die Urne mit der Asche Bot­stibers in der Küche der Villa in der Kaasgrabengasse aufgestellt. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, was mit dieser geschah, als das Haus 1978 verkauft wurde, und ob und wo sie beigesetzt wurde. Sie befindet sich jedenfalls nicht im Familiengrab am Wiener Zentralfriedhof.

207

Bildteil

01  : Luisa und Hugo Bot­stiber, ca. 1910  ; Privatsammlung Christina Stahl

210

Bildteil

02  : Hugo Bot­stiber, ca. 1894  ; Meldungsbuch an der juridischen Fakultät, 1894, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, HIN 207627, Teilnachlass Hugo Bot­stiber

03  : Hugo Bot­stiber, ca. 1909  ; Meldungsbuch an der medizinischen Fakultät, 1909, Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, HIN 207627, Teilnachlass Hugo Bot­stiber

Bildteil

04  : Hugo Bot­stiber und seine Tochter Eva, Mai 1910  ; Privatsammlung Christina Stahl 05  : Luisa und Hugo Bot­stiber, Mai 1910  ; Privatsammlung Christina Stahl 

06  : Entwurf des Konzerthauses, 1911  ; Wiener Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus in Wien (Wien 1911), 3

211

212

Bildteil

07  : Entwurf des Konzerthauses, 1911  ; Wiener Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus in Wien (Wien 1911), 31

08  : Eva und Dietrich Bot­stiber, 1913  ; Privatsammlung Christina Stahl

Bildteil

09  : Hugo und Luisa Bot­stiber, Venedig im Mai 1913  ; Privatsammlung Christina Stahl 10  : Luisa und Hugo Bot­stiber, 1916  ; Privatsammlung Christina Stahl

213

214

Bildteil

11  : Hugo und Luisa Bot­stiber mit ihren Kindern Dietrich und Eva im Garten ihres Hauses in der Kaasgrabengasse, Wien 1919  ; Privatsammlung Christina Stahl

Bildteil

12  : Luisa und Hugo Bot­stiber im Garten ihres Hauses in der Kaasgrabengasse, Wien 1919  ; Privatsammlung Christina Stahl

215

216

Bildteil

13  : Aufnahme vom Mahlerfest in Amsterdam 1920, unter anderem mit Arnold Schönberg (mittig sitzend) und Hugo Bot­stiber (1. Reihe stehend, Zweiter von rechts)  ; Arnold Schönberg Center Wien PH1574 14  : Luisa und Hugo Bot­stiber, 1925  ; Privatsammlung Christina Stahl

Bildteil

15  : Eva, Dietrich, Luisa und Hugo Bot­stiber, Juni 1926  ; Privatsammlung Christina Stahl

217

218

Bildteil

16  : Hugo, Ignaz und Luisa Bot­stiber, August 1926  ; Privatsammlung Christina Stahl

Bildteil

17  : Eva, Luisa und Hugo Bot­stiber, Juni 1927  ; Privatsammlung Christina Stahl

219

220

Bildteil 18  : Luisa und Hugo Bot­stiber, August 1927  ; Privatsammlung Christina Stahl

19  : Hugo und Luisa Bot­stiber, Juli 1929  ; Privatsammlung Christina Stahl

Resümee

20  : Dietrich, Eva, Luisa und Hugo Bot­stiber, vermutlich mit Bot­stibers Schwester Ida (rechts), Ludwig Marchfeld, Idas zweitem Ehemann (Mitte), und Emmerich Trettwer, Evas erstem Ehemann (ganz links), April 1931  ; Privatsammlung Christina Stahl

221

222

Bildteil

21  : Luisa, Hugo, Eva und Dietrich Bot­stiber, vermutlich mit Emmerich Trettwer und Ida und Ludwig Marchfeld, April 1931  ; Privatsammlung Christina Stahl

22  : Hugo, Luisa, Dietrich und Eva Bot­stiber, vermutlich mit Emmerich Trettwer und Ludwig und Ida Marchfeld, April 1931  ; Privatsammlung Christina Stahl

Bildteil

23  : Hugo und Luisa Bot­stiber, 1934  ; Privatsammlung Christina Stahl

24  : Hugo und Luisa Bot­stiber, 1936  ; Privatsammlung Christina Stahl

223

224

Bildteil

25  : Hugo und Luisa Bot­stiber, 1937  ; Privatsammlung Christina Stahl

R esümee

Auf zu neuen Ufer n  : Schicksal und Ver bleib der Bot­s tibers Retrospektiv betrachtet war es für Bot­stiber eine weise Entscheidung gewesen, Österreich zu verlassen und nach Großbritannien zu flüchten. Zwar überstand seine Tochter Eva den Krieg in Wien unbeschadet, obwohl sie sich von ihrem Ehemann scheiden ließ und im Juni 1944 ein Kind zur Welt brachte, das aus der Beziehung mit ihrem neuen Partner Ernst Stahl stammte894. Andere Familienmitglieder waren jedoch weniger vom Glück verfolgt. Bot­stibers Schwester Ida und ihr zweiter Ehemann Ludwig Marchfeld, den sie 1932 geheiratet hatte, wurden beide am 26. Jänner 1942 nach Riga deportiert895, wo sich ihre Spur verliert. Es ist anzunehmen, dass sie von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Dasselbe Schicksal ereilte Bot­stibers Cousin Isidor, der bereits am 15. Oktober 1941 in das Ghetto Litzmannstadt deportiert worden war896. Nur vier Tage später folgte ihm sein Sohn Robert nach897, während seine Schwester Isabella 1942 nach Treblinka kam898. Andere Verwandte verschwanden spurlos, sodass vermutet werden kann, dass auch sie wahrscheinlich dem Holocaust zum Opfer fielen899. Während der ersten vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hatten dutzende Bot­stibers in Wien gelebt, wie die Adressbücher der Stadt und die Aufzeichnungen der Israelitischen Kultusgemeinde zeigen  ; nach 1945 war der Familienname so gut wie verschwunden. Zumindest einer Handvoll von Bot­stibers Verwandten gelang aber wie ihm die Flucht. Sein Cousin Hermann ging mit seiner Familie nach Shanghai900, wo seine Tochter einen jüdischen Emigranten aus Deutschland heiratete. Nach dem Krieg übersiedelten sie in die Vereinigten Staaten, wo sie sich in San Francisco niederlie894 Die Heirat Evas mit Ernst Stahl erfolgte jedoch erst nach dem Krieg. 895 Cf. Ida und Ludwig Marchfeld, in  : Datenbank des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes. Online  : www.doew.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 896 Cf. Isidor Bot­stiber, in  : Datenbank des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes. Online  : www.doew.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 897 Cf. Robert Bot­stiber, in  : Datenbank des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes. Online  : www.doew.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 898 Cf. Isabella Hess, née Bot­stiber, in  : Datenbank von Yad Vashem. Online  : www.yadvashem.org [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. 899 Zumindest zehn weitere Personen mit dem Namen Bo(r)tsti(e)ber wurden laut den Datenbanken von Yad Vashem und des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet. 900 Hermann war der Sohn eines weiteren Bruders von Bot­stibers Vater Ignaz namens Adolf.

226

Resümee

ßen.901 Kurt, der Sohn von Bot­stibers Cousin Richard902, gelangte im März 1939, unterstützt vom British Council for German Jewry, nach Großbritannien und lebte zunächst im Flüchtlingslager von Richborough im Südwesten Englands. Nachdem er sich geweigert hatte, sich für das Royal Pioneer Corps der britischen Armee zu melden, da er Vergeltungsakte gegen seine Familie in Wien fürchtete, wurde er im Mai 1940 interniert und nach Kanada geschickt.903 Aber aufgrund seiner Fähigkeiten als Mechaniker wurde er zum Verrichten kriegsnotwendiger Arbeiten im August 1941 wieder entlassen. Im darauffolgenden Jahr heiratete er eine österreichische Emigrantin und siedelte sich in Wimbledon an, wo er als Werkzeugmacher arbeitete.904 Nachdem 1945 sein Sohn Richard Harry geboren worden war, erhielt Kurt vier Jahre später schließlich die britische Staatsbürgerschaft905. Isidors älterer Sohn Georg konnte im Gegensatz zu seinem Vater und seinem Bruder Österreich verlassen und emigrierte ebenfalls nach Großbritannien. Als er nach Kriegsausbruch vom Home Office befragt wurde, gab er an, für drei Monate in einem Konzentrationslager interniert und später aus Österreich vertrieben worden zu sein. Seine Frau, die er erst im März 1939 geheiratet hatte, war offenbar in Wien geblieben. Georg wohnte zunächst in Cambridge, bevor er Ende Mai 1940 in die Vereinigten Staaten weiterreiste.906 Laut der entsprechenden Passagierliste plante er, zunächst bei Dietrich, seinem Cousin zweiten Grades, zu bleiben907. Nach der Ankunft in Amerika änderte er seinen Namen in George Hugh Bot­stiber und ließ sich ebenfalls in Philadelphia nieder, wo er im Juli 1945 eine österreichische Emigrantin ehelichte und offenbar in engem Kontakt zu Dietrich stand. Dieser verbürgte sich nicht nur für seinen Großcousin bei dessen Einbürgerung im November 1945908, sondern übernahm nach dessen Tod 1958 auch die Kosten für die Einäscherung909. 901 Cf. Deaths. Hans L. Levy, in  : The Jewish News Weekly of Northern California, 7. Oktober 2011, 24A  ; Herman Bortstieber, in  : California Death Index, 1940–1997. Online  : www.ancestry.com [letzter Zugriff  : 2. Mai 2012]. 902 Richard war ein weiterer Sohn Adolfs. 903 Cf. Kurt Bortstieber, in  : Internees Index. Canada Internees. Releases from Internment, A–L. TNA. HO 396/132. 904 Cf. Dossier on Kurt Bortstieber. Aliens Personal Files. TNA. HO 405/4407. 905 Cf. Kurt Bortstieber, Certificate of Naturalisation, 29. August 1949. BNA Certificates of Naturalisation, No. 6446. TNA. HO 334/327. 906 Cf. Georg Bot­stiber, in  : Internees Index. Internees at Liberty in UK, Bor–Brd. TNA. HO 396/10. 907 Cf. Passenger List, Scythia, 28. Mai 1940 (Ankunft). Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897–1957. NARA Microfilm Publication T715, Roll No. 6470, Page No. 161. 908 Cf. George Hugh Bot­stiber, Petition for Naturalization, 15. November 1945. NARA Philadelphia. Records of the US District Court in Philadelphia. Naturalization Petitions, RG 21, Box 651. 909 Cf. George H. Bot­stiber, in  : Oliver H. Bair Funeral Records Indexes. Online  : www.ancestry.com [letzter Zugriff  : 24. Jänner 2014].

Auf zu neuen Ufern  : Schicksal und Verbleib der Bot­stibers

Diese drei Beispiele sind die am besten dokumentierten Fälle in einer Reihe von Emigrationsgeschichten910, die vermuten lassen, dass es bis heute Nachkommen der Bot­stibers in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und anderswo geben könnte, die sich ihrer österreichischen Wurzeln möglicherweise gar nicht bewusst sind. Die Tatsache, dass Dietrich nichts von seiner weit verstreuten Familie wusste, zeigt aber einmal mehr, dass sein Vater den Kontakt zu vielen seiner Verwandten, vor allem aus der Arbeiterschicht, abgebrochen hatte. Insofern ist auch fraglich, ob Bot­stiber seinen Kindern jemals von seinen jüdischen Wurzeln erzählt hatte und ob sich vor allem Dietrich über die Herkunft seines Vaters im Klaren war911. Wahrscheinlich kannte er lediglich seine Tante Ida, die er mit seinen Eltern und seiner Schwester gelegentlich besuchte912, und die erfolgreichen und ebenfalls konvertierten Cousins seines Vaters913. Seine nach wie vor jüdischen Großonkeln Richard und Hermann914, die vor ihrer Emigration ebenfalls in Wien gewohnt hatten, oder Paul, der bis zu seinem Tod im Dezember 1941 in Chicago lebte, waren Dietrich gänzlich unbekannt. Dies galt auch für Bot­stibers Eltern. Dietrich wurde sich der Existenz seiner »amerikanischen« Großeltern, über die sein Vater kaum sprach, erst bewusst, als sie während des Ersten Weltkriegs Pakete mit Essen und Kleidung nach Wien schickten.915 Ein persönliches Kennenlernen ließ bis 1920 auf sich warten, als Ignaz und Nina ihre Zelte in New York komplett abbrachen und nach Österreich zurückkehrten, um sich in ihrer alten Heimat zur Ruhe zu setzen. Allerdings unternahm Bot­stiber keine 910 Mit Edith, Rudolf und Johannes verließen mindestens drei weitere entfernte Verwandte Bot­stibers Österreich vor dem Krieg und ließen sich in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Australien nieder. Ihre genaue familiäre Verbindung lässt sich jedoch nicht feststellen. Cf. Edith Borstieber, in  : Internees Index. Internees at Liberty in UK, Bor–Brd. TNA. HO 396/10  ; Passenger List, Ile de France, 7. August 1939 (Ankunft). Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897–1957. NARA Microfilm Publication T715, Roll No. 6377, Page No. 26  ; Johannes Bot­stiber, in  : Australia Marriage Index, 1788–1950. Online  : www.ancestry.com [letzter Zugriff  : 24. April 2012]. 911 Dietrich erwähnt in seinen Memoiren zwar, dass er viele jüdische Freunde und auch einige jüdische Verwandte hatte. Dass er nach seiner Ankunft in New York 1938 auch die Hebrew Immigration and Sheltering Society um Hilfe ersuchte, bedeutet aber nicht, dass er sich selbst als Jude betrachtete. Wie er in seiner Autobiographie ausführt, war er der Meinung, dass diese auch Nicht-Juden unterstützte. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 210f. 912 Cf. ibid. 58f. 913 Die zahlreichen Onkel, die Dietrich in seinen Memoiren, ohne Namen zu nennen, erwähnt, waren vermutlich die Cousins seines Vaters, die einander sehr nahe standen. Cf. ibid. 25. 914 Dietrich erinnert sich, Hermann Anfang der 1940er Jahre in Chicago besucht zu haben, als er auf einer Rundreise durch die Vereinigten Staaten in die Stadt kam und im Telefonbuch nach Verwandten suchte. Da allerdings auch San Francisco auf seiner Reiseroute lag, verwechselte er bei der Niederschrift seiner Autobiographie möglicherweise Hermanns Wohnort. Dieses Zusammentreffen belegt auch, dass Hermann und Dietrich einander in Wien niemals begegnet waren. Cf. ibid. 247. 915 Cf. ibid. 46.

227

228

Resümee

Anstalten, sie in sein Leben zu integrieren. Während seine Schwester Ida offenbar ein gutes Verhältnis zu Ignaz und Nina unterhielt und 1908 sogar ihre jüngste Tochter Martha für einige Jahre zu ihnen in die Vereinigten Staaten geschickt hatte916, dürfte er seit seinem letzten Besuch in New York im Jahr 1901 kaum um Kontakt zu ihnen bemüht gewesen sein. Für diese Haltung spricht nicht nur, dass sich Ignaz und Nina nach ihrer Rückkehr nicht in der geräumigen Villa ihres Sohnes in der Kaasgrabengasse, sondern bei ihrer Tochter einquartierten917. Auch die Aussage Dietrichs, wonach sich seine Großeltern immer mehr für die Kinder der Winternitz-Seite der Familie interessiert hätten918, lässt diese Schlussfolgerung zu. Wie seine anderen Verwandten aus der Arbeiterschicht waren seine Eltern für Bot­stiber, auch wenn sie in den Vereinigten Staaten zu Wohlstand gekommen waren919, wohl nur ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der er mittellos gewesen war und die für ihn mit der Stellung, die er sich im Wiener Konzertleben erarbeitet hatte, nicht mehr vereinbar war. Seine jüdischen Wurzeln, die seine Eltern repräsentierten, waren von seinem Standpunkt aus gesehen nicht mehr als ein Hindernis für seine Laufbahn gewesen, das er im Zuge seines sozialen und beruflichen Aufstiegs zu einem angesehenen Mitglied der Wiener Gesellschaft und einem der bedeutendsten Kulturmanager der Stadt überwunden hatte und an das er nicht mehr erinnert werden wollte. 916 Wie anhand von Passagierlisten zu sehen ist, hielt sich Nina zwischen 1900 und 1908 mehrfach in Europa auf. Zwar mag der Zweck dieser Reisen beruflicher Natur gewesen sein, denn wie aus einem Reisepassantrag von Ignaz hervorgeht, erforderte sein Importgeschäft jährlich eine Reise nach Europa, auf der er normalerweise von seiner Frau begleitet wurde. Als Nina aber 1900, 1903 und 1908 nach New York zurückkehrte, reiste sie ohne ihren Gatten. Es ist also möglich, dass sie in diesen Jahren ihre Kinder und vor allem Ida besuchte, die im Juni 1900 ihre dritte Tochter Martha zur Welt gebracht hatte. 1908 nahm Nina Letztere dann mit sich in die Vereinigten Staaten, wo diese bis zumindest 1910 blieb. Cf. Ignaz Bot­stiber, Schreiben an das Department of State, Passport Agency, 14. Februar 1920. Ignaz Bot­stiber, Passport Application, 10. März 1920, in  : Passport Applications, January 2, 1906–March 31, 1925. NARA Microfilm Publication M1490, Roll No. 1106, Application No. 185042  ; Passenger List, Kaiser Friedrich, 19. Juli 1900 (Abfahrt). Ancestry. Online  : www. ancestry.com [letzter Zugriff  : 24. April 2012]  ; Passenger List, Friedrich der Grosse, 22. Juli 1903 (Ankunft). Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897–1957. NARA Microfilm Publication T715, Roll No. 377, Page No. 51  ; Passenger List, Blücher, 30. Juli 1908 (Abfahrt). Ancestry. Online  : www.ancestry.com [letzter Zugriff  : 26. September 2012]  ; Cf. 13th Census of the United States, 1910, New York. NARA Microfilm Publication T624, Roll No. 1027, New York (ED’s 703, 705–730, 1420, 1431, 1644) County. ED No. 725, 2B. 917 Erst als Nina 1926 verstarb, zog Ignaz zu seinem Sohn in die Kaasgrabengasse, wo er bis zu seinem Tod 1931 lebte. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 225. 918 Cf. ibid. 919 Laut einem früheren Untermieter, Harry Krugman, besaßen Ignaz und Nina, nachdem sie ihren gesamten Besitz in den Vereinigten Staaten verkauft hatten, finanzielle Reserven in der Höhe von 25.000 US-Dollar. Cf. ibid.

Vom Verwalter zum Gestalter

Vom Verwalter zum Gestalter Diese Karriere, die sich beinahe über vier Jahrzehnte erstreckte, lässt sich bei abschließender Betrachtung in drei Abschnitte einteilen. Der Zeitraum zwischen 1900 und 1913 kann als Bot­stibers Lehrjahre betrachtet werden. Während er für den Konzertverein, die Gesellschaft der Musikfreunde sowie die Akademie für Musik und darstellende Kunst tätig war, nahm er in erster Linie eine verwaltende Funktion wahr. Vor allem seine Position als Sekretär des Konzertvereins bereitete ihm allerdings den Weg für die spätere Ernennung zum Generalsekretär der Konzerthausgesellschaft. Der promovierte Jurist, der zu diesem Zeitpunkt sein Studium der Musikwissenschaft noch nicht abgeschlossen hatte, wurde dadurch nicht nur mit dem Tagesgeschäft eines Konzertorganisators vertraut, sondern konnte auch essentielle Kontakte mit den wichtigsten Akteuren des Wiener Musiklebens knüpfen, einschließlich der zukünftigen Gründer des Konzerthauses. Die Jahre zwischen 1914 und 1918 können aufgrund des Ersten Weltkriegs und Bot­stibers freiwilliger Meldung zum Militärdienst von jeder Analyse bezüglich seiner Leistungen für das Musikwesen ausgenommen werden. Unmittelbar nach Kriegsende gelangten seine Fähigkeiten als innovativer Konzertveranstalter aber vollständig zur Entfaltung. Ab 1918 brachte er sich wesentlich aktiver in künstlerische Fragen ein und der Einfluss, den er auf den Spielplan des Konzerthauses und die Veranstaltungspolitik seiner Betreibergesellschaft ausübte, nahm bis zur Mitte der 1920er Jahre zu. Dies hing auch mit dem gesundheitsbedingten Rückzug Ferdinand Löwes zusammen, der für rund zwei Jahrzehnte die bestimmende Figur des Konzertvereins und der Konzerthausgesellschaft gewesen war. Mit Paul von Klenau, Löwes Nachfolger als Konzertdirektor der Konzerthausgesellschaft, gewann Bot­stiber einen kooperativen und produktiven Partner, mit dem es gemeinsam gelang, bis 1930 eine Vielzahl künst­ lerisch hochwertiger Projekte im Rahmen der Chorzyklen und der außerordentlichen Konzerte der Gesellschaft zu realisieren. Die Weltwirtschaftskrise beschnitt jedoch Bot­stibers künstlerische Ambitionen und verschob seinen Fokus insofern, als dass er den Großteil seiner Energie darauf verwenden musste, die Konzerthausgesellschaft vor dem wirtschaftlichen Ruin zu bewahren. Aus diesem Grund suchte und fand er neue Möglichkeiten, um den Konzertbetrieb aufrechtzuerhalten, darunter die Kooperation mit externen Partnern und die Einführung von Sportveranstaltungen im Konzerthaus. Aber trotz des beschränkten finanziellen Handlungsspielraums widmete er sich einer Reihe herausragender musikalischer Vorhaben, einschließlich des von der österreichischen Bundesregierung veranstalteten Gedenkfestivals für Joseph Haydn, das größtenteils auf seinem Programmentwurf basierte. Aufgrund des wachsenden Einflusses der Nationalsozialisten und der Tatsache,

229

230

Resümee

dass die Gründer des Konzerthauses und damit seine ursprünglichen Förderer bis zur Mitte der 1930er Jahre verstorben waren, büßte der Generalsekretär zunehmend an Kompetenzen ein. In den letzten beiden Jahren seiner Laufbahn war seine Rolle wieder auf die eines bloßen Verwalters und Befehlsempfängers reduziert, während die eigentlichen Impulse vom neuen Präsidenten der Gesellschaft und dessen Entourage ausgingen. Insofern trifft die am Beginn dieser Studie zitierte Einschätzung, Bot­stiber als einen der signifikantesten und fortschrittlichsten Anreger und Organisatoren des Wiener Konzertlebens zwischen dem Fin de Siècle und dem Anschluss zu sehen, in erster Linie auf den Zeitraum zwischen 1918 und 1936 zu. Mit Abschlüssen in Musik- und Rechtswissenschaften sowie seinen praktischen musikalischen Kenntnissen in Klavier und Komposition war Bot­stiber der Prototyp eines Generalisten, der in der Lage war, als Vermittler und Bindeglied zwischen der künstlerisch-kreativen und der administrativ-ökonomischen Ebene zu fungieren. Einerseits waren seine Qualitäten pragmatischer Natur. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften hatte er eine Reihe wirtschaftlicher Lehrveranstaltungen besucht und wendete später das dort Erlernte auf das Musikwesen an, indem er zum Beispiel die Beziehung zwischen Musik und Volkswirtschaft untersuchte oder die Psychologie des Konzertpublikums analysierte920. In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem während der Weltwirtschaftskrise trugen seine ökonomische Expertise und sein Organisationsgeschick dazu bei, die finanziell angespannte Situation zu überstehen. Als ihm klar wurde, dass Sparmaßnahmen nicht ausreichten, um den Konzertbetrieb aufrechtzuerhalten, ersann der Generalsekretär neue Strategien und erschloss zusätzliche Einkommensquellen, indem er sportliche und gesellschaftliche Veranstaltungen forcierte oder Kooperationsvereinbarungen mit Künstlern oder Institutionen wie der Ravag einfädelte. Zum anderen widmete sich Bot­stiber der Veranstaltungspolitik der Gesellschaft und gestaltete aktiv den Spielplan des Konzerthauses. Zwar entfiel der Großteil der von der Gesellschaft veranstalteten Konzerte auf die symphonischen Zyklen des Konzertvereins, deren Planung nur in geringem Ausmaß Bot­stiber oblag. Aber die Chorkonzerte sowie zahlreiche weitere Aufführungen, darunter eine Reihe erstklassiger Kammermusikkonzerte921, basierten vielfach auf den Ideen des Generalsekretärs. 920 Bot­stiber hielt zu diesen Themen Vorträge beim Internationalen Musikkongress, der im Rahmen des Wiener Musik- und Theaterfests von 1924 stattfand, sowie bei einem Treffen des Wissenschaftlichen Klubs in Wien im Jahr 1927. Cf. Programmzettel im Teilnachlass Hugo Bot­stibers. Wienbibliothek. B 213414  ; Programm der Vorträge, in  : Monatsblätter des Wissenschaftlichen Klub in Wien 44/1–3 (1927), 1. Siehe auch Musik und Volkswirtschaft, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 9/2 (1918), 301. 921 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 10. Mai 1929 und 6. Dezember 1933. KHG.

Vom Verwalter zum Gestalter

In diesem Zusammenhang ist auch Bot­stibers künstlerische Ausrichtung von besonderer Relevanz, vor allem hinsichtlich der Rolle des Konzerthauses als Zentrum moderner Musik. Er verehrte die »großen, ewigen Meister« des Barock und der Wiener Klassik, die nach wie vor die »Herzen und die Seelen des Konzertpublikums«922 beherrschten, wie er selbst in einem Artikel in der »Neuen Freien Presse« schrieb. Seine Begeisterung für Haydn ist ein klarer Beleg für diese Haltung. Gleichzeitig war er aber an musikalischer Innovation interessiert, wie seine Bewunderung der Neudeutschen Schule und vor allem Franz Liszts zeigt. Dementsprechend setzte er sich auch mit avantgardistischer Musik auseinander, deren »außerordentliche Mittel und Wirkungen in der Instrumentation, im Klanglichen und auch im Intellektuellen«923 er schätzte. Als Resultat dieses holistischen Kunstverständnisses war Bot­stiber bemüht, zeitgenössische Komponisten zu fördern und sie in den Spielplan der Konzerthausgesellschaft zu integrieren. So war die große Zahl von Konzerten mit Werken von Gustav Mahler nach dem Ersten Weltkrieg den Anstrengungen des Generalsekretärs geschuldet. Er setzte sich auch für Arnold Schönberg ein, dessen spätromantische und noch tonale Werke wie etwa die »Gurrelieder« oder »Verklärte Nacht« gelegentlich berücksichtigt wurden924. Progressivere Kompositionen waren jedoch aufgrund des Widerstands der Direktion selten zu hören. Deren Ablehnung basierte zum Teil auf finanziellen Überlegungen, da moderne Musik als nicht geeignet gesehen wurde, das konservative Wiener Konzertpublikum anzusprechen, und daher als potentielles finanzielles Risiko galt. Auf der anderen Seite waren die Mitglieder der Direktion begeisterte Anhänger Richard Wagners und fanden auch nach wie vor Gefallen an den Vertretern der Wiener Klassik925. Vor allem Werke von Beethoven dominierten daher zwischen 1913 und 1938 das Repertoire der symphonischen Zyklen, gefolgt von Mozart, Wagner und Brahms. Mit Hinsicht auf diese Konzerte war die Konzerthausgesellschaft insofern nur marginal aufgeschlossener als die Gesellschaft der Musikfreunde.926 Moderne Musik wurde vielmehr im Rahmen der Chorzyklen sowie der zahlreichen außerordentlichen Veranstaltungen wie der »Modernen Musikwoche« berücksichtigt, die auf Initiative Bot­stibers 1923 stattfand und zu heftigen Diskus922 Hugo Bot­stiber, Wiener Konzertsaison, in  : Neue Freie Presse, 11. Juni 1936, 2. 923 Ibid. 924 Dieser Werke wurden auch von Wiens konservativen Kreisen toleriert. Cf. Hirzberger, Musikland Österreich, 262. 925 Die Begeisterung für Wagner, aber auch für Liszt, Bruckner und Hugo Wolf findet auch Ausdruck im Nachruf Theodor Köcherts, dem langjährigen Präsidenten der Gesellschaft. Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1935/1936, 3f. 926 Cf. Flotzinger, Republik, 198f.

231

232

Resümee

sionen zwischen dem Generalsekretär und der Direktion führte. An ihr zeigt sich beispielhaft, wie die Direktion versuchte, Bot­stibers Ambitionen, avantgardistische Kunst zu fördern, einen Riegel vorzuschieben. Als Konsequenz dieser internen Opposition gab der Generalsekretär seine Pläne zwar nicht auf, verlegte sich aber in weiterer Folge auf ein moderateres künstlerisches Programm. Nichtsdestotrotz war Bot­stiber auch in engem Kontakt mit progressiveren Kreisen und vor allem mit den Vertretern der Zweiten Wiener Schule, wie sein Privatleben zeigt. Mit Arnold Schönberg war er seit seiner Studienzeit befreundet. Alexander Zemlinsky, Egon Wellesz und Emil Hertzka, der Direktor der Universal Edition, des wichtigsten Verlags für moderne Musik, lebten in seiner unmittelbaren Nachbarschaft in der Kaasgrabengasse in Grinzing. 1920 besuchte Bot­stiber gemeinsam mit Schönberg, Wellesz, Hertzka und Anton Webern, dem er später zu einem Staatsstipendium verhalf927, ein Mahler-Fest in Amsterdam. Als Schönberg erfolglos versuchte, 1924 eine Bibliothek für moderne Kunst zu gründen, nahm Bot­stiber mit Hertzka, Berg, Webern und anderen an der ersten Sitzung der Unternehmung in den Büroräumen der Universal Edition teil.928 1932 beabsichtigte er, öffentliche Kurse und Vorlesungen über moderne Musik, gehalten von Webern, Berg oder Ernst Krenek, am Konzerthaus abzuhalten.929 Wie diese Beispiele zeigen, war der Generalsekretär zweifellos an moderner Kunst interessiert. Es ist daher anzunehmen, dass, wäre die wirtschaftliche Situation der Konzerthausgesellschaft vorteilhafter gewesen, er Schönberg und andere avantgardistische Komponisten in weitaus größerem Ausmaß gefördert hätte. Aber da es vorwiegend Budgetfragen waren, die seine Aufmerksamkeit forderten, und die Direktion bemüht war, von künstlerischen Abenteuern während der späten 1920er und auch der 1930er Jahre Abstand zu nehmen, wurden die Vertreter der Zweiten Wiener Schule vom Spielplan der Gesellschaft weitgehend ignoriert. Bot­stiber fand jedoch andere Mittel, progressive Komponisten zu unterstützen und dem Konzerthaus zu seinem Ruf als ein Zentrum moderner Musik zu verhelfen. Als Leiter der Verwaltung und Geschäftsführer der Spielstätte war er auch für die Vermietung der Konzertsäle verantwortlich. Insofern war er in der Position, das Konzerthaus für diejenigen Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen, die er als geeignet erachtete, der künstlerischen Mission der Gesellschaft dienlich zu sein. Zwar musste er auch finanzielle Überlegungen in Betracht ziehen, denn da die Gesellschaft auf Einnahmen aus den Vermietungen angewiesen war, hatte der Generalsekretär sicherzustellen, dass 927 Bot­stiber hatte Webern zum ersten Mal am Institut für Musikwissenschaft getroffen, wo dieser seinen Kurs über die Geschichte der Musikinstrumente besucht hatte. Cf. Antonicek, Webern, 22f. 928 Cf. Hilmar, Schönberg, 307. 929 Cf. Josef Polnauer, Schreiben an Alban Berg, 11. September 1932. ÖNB. F21.Berg.1197-24 Mus.

Zwischen Idealismus und Pragmatismus

die Konzertsäle möglichst ausgelastet waren. Dennoch ist es kein Zufall, dass mehr als die Hälfte der Konzerte von Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen oder der zehnte Kongress der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik, zu deren Initiatoren Egon Wellesz zählte, im Konzerthaus stattfanden. In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung des Konzertbüros nicht zu unterschätzen, das ebenfalls unter Bot­stibers Leitung stand. Dieses stellte wie erwähnt seine organisatorischen Dienste nicht nur externen Kunden zur Verfügung, sondern veranstaltete auch eigenständig künstlerische Darbietungen. Konzerte, die als wenig geeignet erachtet wurden, um im Namen der Konzerthausgesellschaft stattzufinden, oder die ein potentielles finanzielles Risiko darstellten, wurden daher mittels Konzertbüro ausgelagert. Dasselbe traf auch auf eine Vielzahl von Konzerten zu, die offiziell von kommerziellen Konzertagenturen im Konzerthaus veranstaltet, aber tatsächlich vom Generalsekretär initiiert wurden. Es ist abermals kein Zufall, dass der Musikkritiker Rudolf Stephan Hoffmann Bot­stiber als eine der wenigen, für wahre Kunst eintretenden Hoffnungen für moderne Musik in Wien bezeichnete930.

Zw ischen Ide alismus und Pr agm atismus Sein Einsatz für neue Musik war aber nur ein Aspekt im Schaffen des umtriebigen, geschäftigen und wohl auch ruhelosen Kulturmanagers und Musikwissenschaftlers. Im Verlauf seiner langen Karriere beteiligte sich Bot­stiber neben seinen regulären Tätigkeiten beim Konzertverein, der Gesellschaft der Musikfreunde, der Akademie für Musik und darstellende Kunst und der Konzerthausgesellschaft an einer Vielzahl verschiedener Projekte, Initiativen und Unternehmungen. So war er Mitglied der Internationalen Musikgesellschaft und fungierte als Vorsitzender ihrer Wiener Sektion, die er auch auf Kongressen im Ausland vertrat. Daneben engagierte er sich im Wissenschaftlichen Klub in Wien und wurde in dessen Vorstand gewählt931. Am Konzerthaus setzte er sich für die Gründung einer Bibliothek und eines Archivs ein932, organisierte Ausstellungen, wie zum Beispiel über Richard Wagner und Hugo Wolf 933,

930 Cf. Rudolf Stephan Hoffmann, Zehn Jahre Konzerthaus, in  : Musikblätter des Anbruch 5/9 (1923), 264  ; Rudolf Stephan Hoffmann, Programme – und was in Wien nicht aufgeführt wird, in  : Musikblätter des Anbruch 5/8 (1923), 238. 931 Cf. 51. ordentliche Generalversammlung, in  : Monatsblätter des Wissenschaftlichen Klub in Wien 44/1–3 (1927), 3. 932 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1921/1922, 5f. 933 Cf. Konzerthausgesellschaft, Bericht der Direktion 1927/1928, 6.

233

234

Resümee

oder regte Gesangs- und Kompositionswettbewerbe an934. In den 1920er und 1930er Jahren war er in einer Reihe von Organisationskomitees für Komponistengedenkfeiern vertreten und beteiligte sich aktiv an deren Ausrichtung. In seiner Rolle als Musikpublizist veröffentlichte Bot­stiber nicht nur mehrere Monographien935, sondern gab über einen Zeitraum von acht Jahren auch das »Musikbuch aus Österreich« heraus936. Er war wirkendes Mitglied der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Österreich und editierte einige ihrer Publikationen. Darüber hinaus schrieb er Artikel und Beiträge in verschiedenen musikwissenschaftlichen Zeitschriften und Zeitungen und hielt Vorträge zu den unterschiedlichsten Themen, die von der Musik zu Zeiten Shakespeares über volkstümliche Opernaufführungen bis hin zu rhythmischer Gymnastik reichten937. In Ergänzung zu diesem theoretischen Zugang zur Musik war Bot­stiber aber auch selbst aktiver Sänger und frönte seiner Passion in Chören wie dem Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde. Es gibt mehrere Gründe, warum Bot­stiber diese Mehrfachbelastung auf sich nahm. In erster Linie war er wie die ursprünglichen Gründer des Konzertvereins und des Konzerthauses ein idealistischer Musikliebhaber und ein Bewunderer der schönen Künste. Ebenso war er jedoch ein rationaler Pragmatiker und ein geschickter Netzwerker, der die verschiedenen Institutionen und Organisationen, an denen er sich beteiligte, zum Knüpfen nachhaltiger Kontakte für seine zukünftige Laufbahn zu nutzen wusste. Auf seine Zeitgenossen mag er durchaus einen ambivalenten Eindruck gemacht haben. Denn obwohl ihn etwa sein Sohn Dietrich als rückwärts gewandten Romantiker beschreibt, der stets nach Dingen altehrwürdiger Schönheit Ausschau hielt938, war Bot­stiber nichtsdestotrotz an neuen Technologien wie dem Radio oder dem Tonfilm interessiert939. Er erkannte die Bedeutung dieser technischen Innovati934 Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 13. Dezember 1935. KHG. 935 Bot­stibers letzte bedeutende musikwissenschaftliche Arbeit erschien 1932. Hugo Bot­stiber, Sinfonie und Suite. Band 2. Von Berlioz bis zur Gegenwart. Führer durch den Konzertsaal (Leipzig 1932). 936 Hugo Bot­stiber (Hg.), Musikbuch aus Österreich. Ein Jahrbuch der Musikpflege in Österreich und den bedeutendsten Musikstädten des Auslandes (Wien 1904–1911). 937 Cf. Oswald Koller, Mitteilungen der »Internationalen Musikgesellschaft«. Ortsgruppen. Wien, in  : Zeitschrift der internationalen Musikgesellschaft 4/8 (1902/1903), 527  ; Hugo Bot­stiber, Rhythmische Gymnastik, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 1/4 (1909), 135–139  ; Hugo Bot­stiber, Volkstümliche Opernvorstellungen für Wien, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 1/22 (1910), 906–908. 938 Cf. Bot­stiber, Mayflower, 63. 939 1929 hielt Bot­stiber in einer Direktionssitzung eine Präsentation über Tonfilmtechnik und schlug vor, den Großen Saal dahingehend zu adaptieren, um darin Filme aufnehmen und vorführen zu können. Cf. Konzerthausgesellschaft, Protokoll der Direktionssitzung, 7. Juni 1929. KHG.

Zwischen Idealismus und Pragmatismus

onen und setzte sich mit ihnen auseinander, um sie zum Vorteil der Konzerthausgesellschaft nutzen zu können. Auch in politischer Hinsicht handelte Bot­stiber pragmatisch. Zweifellos war er überzeugter Monarchist und Patriot und bemühte sich auch nicht, diese Haltung in der Öffentlichkeit zu verbergen940. In Bezug auf seine berufliche Tätigkeit blieb er aber unpolitisch und konzentrierte sich ausschließlich auf seine künstlerische Mission, ohne ein wie auch immer geartetes politisches Ziel zu verfolgen. Um der Musik Willen war er bereit, über Jahre hinweg sowohl mit Christlichsozialen als auch mit Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten. Als er internationale Künstler und Ensembles nach Wien einlud, was ihm wiederholt ein Anliegen war, kümmerte er sich in seinen Planungen nicht um mögliche politische Implikationen. Der allgemeinen Politisierung des Konzerthauses ab den frühen 1930er Jahren, die sich wohl oder übel auf seine Arbeit auswirken musste, konnte er sich aber freilich nicht entziehen. Ungeachtet von persönlichen Netzwerken und politischen Entwicklungen hätte es Bot­stiber allerdings niemals, vor allem angesichts seiner bescheidenen Herkunft, zu einer derart eindrucksvollen und lang anhaltenden Karriere gebracht, wäre er nicht ein fleißiger, loyaler und zielorientierter Arbeiter gewesen. Dies gilt vor allem für seinen Einsatz für die Errichtung und den Erhalt des Konzerthauses. Über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren war er die gute Seele der Spielstätte an der Lothringerstraße, wie ihn zeitgenössische Zeitungskommentatoren zu nennen pflegten. Dennoch gab es auch Rivalen, Neider und sogar Feinde, was einerseits an seiner Position an sich, andererseits aber wohl an seinem zwiespältigen Charakter lag. Abhängig von der Situation und vom Gesprächspartner konnte Bot­stiber charmant und unterhaltsam sein und zeigte sich, wie sein Sohn in seinen Memoiren schreibt, stets respektvoll, höflich und aufmerksam seiner Gattin gegenüber.941 Auf der anderen Seite war er jedoch ein Choleriker und gab sich oftmals streitsüchtig und mürrisch.942 Da er sich seines Einflusses wohl bewusst war, dürfte Bot­stiber zeitweise auch ein arrogantes 940 Neben seiner offen zur Schau gestellten Ablehnung der Nationalsozialisten konnte Bot­stiber auch mit großdeutschem Gedankengut nicht viel anfangen, was sich an seiner Abneigung gegenüber Deutschland und vor allem Berlin ablesen lässt. Lediglich Bayern war für ihn noch einigermaßen akzeptabel, während er das restliche Deutschland als kulturell provinziell und seine Einwohner als engstirnige Hinterwäldler mit Superioritätskomplex betrachtete. Dass er durch und durch ein österreichischer Patriot war, zeigt unter anderem ein Urlaub in Deutschland 1921, den er mit seiner Familie an der Ostsee verbrachte. Dem Vorschlag seines Sohnes, wie die anderen Urlaubsgäste bei ihren Liegen am Strand eine deutsche Flagge anzubringen, erteilte er eine barsche Absage und machte sich stattdessen erfolgreich auf die Suche nach einer Fahne, die der österreichischen ähnlich war. Cf. Bot­stiber, Mayflower, 62. 941 Cf. ibid. 35. 942 Cf. ibid. 35, 179.

235

236

Resümee

Auftreten an den Tag gelegt haben, wie der Umstand, dass Alban Berg ihn einmal als »frechen Trottel« bezeichnete, vermuten lässt. Fest steht jedoch, dass er stets versuchte, sich für seine Freunde einzusetzen, auch wenn seine Bemühungen nicht immer Früchte trugen. Und nach Aussagen Arnold Schönbergs und Paul von Klenaus war er umgänglicher und um die Anliegen der Künstler mehr bemüht als etwa sein Kollege beim Konzertverein, Julius Kaudela943. 1966 wurde im Gedenken an Bot­stiber anlässlich seines 25. Todestages ein kurzer Nachruf im Amtsblatt der Stadt Wien veröffentlicht.944 Ähnlich wie im Großteil der lexikographischen Kurzartikel zu seiner Person wird darin vor allem seine Tätigkeit als Musikschriftsteller hervorgehoben und damit impliziert, seine Leistungen wären in erster Linie musikwissenschaftlicher Natur gewesen. Wie die Analyse seiner beruflichen Stationen jedoch gezeigt hat, beschränkte sich sein Schaffen keineswegs auf theoretische Fragestellungen. Er war über weite Strecken seiner Laufbahn ein Praktiker und wurde zu einem Innovator und Modernisierer des Wiener Musikwesens, der zukünftigen Entwicklungen den Weg bereitete. Noch in seiner aktiven Zeit als Kulturmanager war sich Bot­stiber allerdings sehr wohl der Tatsache bewusst, dass sein unermüdlicher Einsatz für das Konzertleben und die Künstler, für deren Darbietungen er die Rahmenbedingungen schuf, nicht gewürdigt wurde. In einem Brief an die Sängerin Erika Rokyta vom 3. Jänner 1933 fasste er seine Karriere melancholisch, aber pointiert zusammen  : Wenn ich wirklich der Erste bin, der Sie richtig einschätzt – wogegen ich selbst aber Widerspruch erheben muss – so sind Sie der gute Künstler, der sich daran erinnert, dass ich ein bisschen was getan habe. In meiner nunmehr 32jährigen Tätigkeit habe ich meist Undank, viel Gleichgültiges, nie aber Dank kennen gelernt.945

943 Cf. Paul von Klenau, Schreiben an Luisa Bot­stiber, 16. August 1927. Wienbibliothek. HIN 207588. 944 Cf. Hugo Bot­stiber zum Gedenken, in  : Stadt Wien. Offizielles Organ der Bundeshauptstadt 71/6 (1966), 4. 945 Hugo Bot­stiber, Schreiben an Erika Rokyta, 3. Jänner 1933. ÖNB. F71.Rokyta.80 Mus.

Quellen- und Liter aturverzeichnis

Publik ationen von Hugo Bot­s tiber Monographien Robert Schumann. Musik zu Byrons Manfred. Musikführer 217/18 (Leipzig 1901). Anton Dvořák. Zweite Symphonie d-Moll op. 70. Musikführer 272 (Leipzig 1902). Ludwig van Beethoven. Christus am Oelberge. Musikführer 277 (Leipzig 1903). Anton Bruckner. Der 50. Psalm für Sopran-Solo, Chor und Orchester. Musikführer 352 (Berlin 1907). Robert Schumann’s Symphonien u. A. Meisterführer 13 (Berlin 1911). Geschichte der Ouvertüre und der freien Orchesterformen. Kleine Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen 9 (Leipzig 1913). Beethoven im Alltag. Ein Beitrag zur Jahrhundertfeier (Wien 1927). Joseph Haydn. Unter Benutzung der von C. F. Pohl hinterlassenen Materialien. Band 3 (Leipzig 1927). Sinfonie und Suite. Band 2. Von Berlioz bis zur Gegenwart. Führer durch den Konzertsaal (Leipzig 1932). Herausgeberschaft Johann Pachelbel, 94 Kompositionen. Fugen über das Magnificat für Orgel oder Klavier. Denkmäler der Tonkunst in Österreich 17, gemeinsam mit Max Seiffert (Wien 1901). Musikbuch aus Österreich. Ein Jahrbuch der Musikpflege in Österreich und den bedeutendsten Musikstädten des Auslandes (Wien 1904–1911). Wiener Klavier- und Orgelwerke aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Allessandro Poglietti, Ferdinand Tobias Richter, Georg Reutter d. Ältere. Denkmäler der Tonkunst in Österreich 27 (Wien 1906). Joseph Haydn und das Verlagshaus Artaria. Nach den Briefen des Meisters an das Haus Artaria & Compagnie dargestellt und anlässlich der Zentenarfeier, gemeinsam mit Franz Artaria (Wien 1909). Josef Strauss. Drei Walzer. Denkmäler der Tonkunst in Österreich 74 (Wien 1931).

238

Quellen- und Literaturverzeichnis

Artikel Eine unbekannte musikalische Sammlung, in  : Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 1 (1899/1900), 325–330. Musicalia in der New York Public Library, in  : Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 4 (1902/1903), 738–750. Ein Beitrag zu J. K. Kerll’s Biographie, in  : Sammelbände der Internationalen Musikgesellschaft 7 (1905/1906), 634–636. Rhythmische Gymnastik, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 1/4 (1909), 135–139. Zur Entstehung der schottischen Lieder von Josef Haydn, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 1/19 (1910), 769–779. Volkstümliche Opernvorstellungen für Wien, in  : Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater 1/22 (1910), 906–908.

Pr im ärquellen Archivquellen Wiener Konzerthausgesellschaft (KHG) Protokolle der Direktionssitzungen Wienbibliothek Teilnachlass von Hugo Bot­stiber Verschiedenes Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (GdM) Gesellschaftsakten Österreichisches Staatsarchiv  : Allgemeines Verwaltungsarchiv (AVA) Bestand Unterrichtsministerium  : Signatur 15, Kunst- und Musikwesen Bestand Unterrichtsministerium  : Signatur 15, Vereine Bestand Innenministerium  : Stadterweiterungsfonds Österreichisches Staatsarchiv  : Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) Nachlass von Gustav Marchet  : Signatur 15, Wiener Konzerthaus

Primärquellen

Österreichisches Staatsarchiv  : Archiv der Republik (AdR) Bestand Finanzministerium  : Vermögensverkehrsstelle Österreichisches Staatsarchiv  : Kriegsarchiv (KA) Grundbuchblätter Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) Musiksammlung  : Nachlass- und Autographensammlung Handschriftensammlung Universität Wien Rigorosenakten der Philosophischen Fakultät Pfarre Sankt Augustin Trauungsbücher Pfarre Sankt Josef Taufregister Israelitische Kultusgemeinde (IKG) Geburtsbücher für die Israelitische Kultusgemeinde in Wien Trauungsbücher für die Israelitische Kultusgemeinde in Wien Sterbebücher für die Israelitische Kultusgemeinde in Wien Central Archives of the History of the Jewish People (CAHJP) Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien  : Aktion Gildemeester Staatsbibliothek Berlin Musikalischer Nachlass von Ferruccio Busoni National Archives and Records Administration (NARA), Washington DC 13th Census of the United States, 1910, New York. NARA Microfilm Publication T624 Passenger and Crew Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1897–1957. NARA Microfilm Publication T715 Passenger Lists of Vessels Arriving at New York, New York, 1820–1897. NARA Microfilm Publication M237 Passport Applications, 1795–1905. NARA Microfilm Publication M1372

239

240

Quellen- und Literaturverzeichnis

Passport Applications, January 2, 1906–March 31, 1925. NARA Microfilm Publication M1490 Petitions for Naturalization of the US District Court for the Eastern District of New York, 1865–1937. NARA Microfilm Publication M1879 Soundex Index to Naturalization Petitions for the United States District and Circuit Courts, Northern District of Illinois and Immigration and Naturalization Service District 9, 1840–1950. NARA Microfilm Publication M1285 National Archives and Records Administration (NARA), Philadelphia Records of the US District Court in Philadelphia, Naturalization Petitions, Record Group 21 Municipal Archives, New York City Manhattan Marriage Certificates Manhattan Birth Certificates The National Archives (TNA), London Home Office, Aliens Department  : Internees Index, HO 396 Home Office, Aliens Department and successors  : Aliens Personal Files, Applications for Naturalisation, HO 405 Home Office, Immigration and Nationality Department  : Certificates BNA  : Naturalisation of Aliens resident within the UK, HO 334 Bodleian Library, University of Oxford Society for the Protection of Science and Learning (SPSL) King’s College, University of Cambridge The Papers of Edward Joseph Dent Shropshire Archives & Shropshire Council Registers of Electors, Shrewsbury Division Civilian Residence Lists Deaths Records Privatsammlung von Christina Stahl Persönliche Dokumente und Fotografien

Primärquellen

Dietrich W. Bot­stiber Foundation Manuskript der Memoiren Dietrich W. Bot­stibers Online-Datenbanken und -Sammlungen Ancestry www.ancestry.com Arnold Schönberg Center www.schoenberg.at Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes www.doew.at Ellis Island Foundation www.ellisisland.org FamilySearch www.familysearch.org GenTeam www.genteam.at Wiener Konzerthausgesellschaft www.konzerthaus.at Schenker Documents Online www.schenkerdocumentsonline.org Yad Vashem www.yadvashem.org Gedruckte Primärquellen Jahresberichte Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, Jahresberichte Conservatorium für Musik und darstellende Kunst in Wien, Statistische Berichte

241

242

Quellen- und Literaturverzeichnis

Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Rechenschaftsberichte der Direktion Wiener Akademischer Wagner-Verein, Jahresberichte Wiener Konzerthausgesellschaft, Berichte der Direktion Wiener Konzertverein, Jahresberichte Publikationen der Wiener Konzerthausgesellschaft Dietrich, Ronny, Wlasits, Paul M., 75 Jahre Wiener Konzerthausgesellschaft. 1913– 1988. Festschrift (Wien 1988). Wiener Konzerthausgesellschaft, 1913–1953 (Wien 1953). Wiener Konzerthausgesellschaft, Das neue Konzerthaus in Wien (Wien 1911). Wiener Konzerthausgesellschaft, Gesellschaftsstatuten (Wien 1913). Publikationen der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien Böhm, August, Geschichte des Singvereines der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Festschrift zum fünfzigjährigen Singvereins-Jubiläum (Wien 1908). Claus, Albrecht, Geschichte des Singvereines der Gesellschaft der Musikfreunde 1858–1933 (Wien 1933). Mandyczewski, Eusebius, Zusatz-Band zur Geschichte der K.K. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Sammlungen und Statuten (Wien 1912). Perger, Richard von, Hirschfeld, Robert, Geschichte der K. K. Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Wien 1912). Annotierte Korrespondenzen Brand, Julia, Hailey, Christopher, Meyer, Andreas (Hgg.), Briefwechsel Arnold Schönberg–Alban Berg. Teilband 1  : 1906–1917. Briefwechsel der Wiener Schule 3 (Mainz et al. 2007). Maurer Zenck, Claudia (Hg.), Ernst Krenek. Briefwechsel mit der Universal Edition (1921–1941) (Köln et al. 2010). Steiger, Martina (Hg.), »Immer wieder werden mich thätige Geister verlocken«. Alma Mahler-Werfels Briefe an Alban Berg und seine Frau (Wien 2008). Stein, Erwin (Hg.), Arnold Schönberg. Letters (Berkeley und Los Angeles 1987). Weber, Horst (Hg.), Alexander von Zemlinsky. Briefwechsel mit Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg und Franz Schreker. Briefwechsel der Wiener Schule 1 (Darmstadt 1995).

Primärquellen

Memoiren Adler, Guido, Wollen und Wirken. Aus dem Leben eines Musikhistorikers (Wien 1935). Bernays, Edward L., Biographie einer Idee. Die Hohe Schule der PR. Lebenserinnerungen (Düsseldorf und Wien 1967). Bot­stiber, Dietrich W., Not on the Mayflower (Philadelphia 2007). Freud-Bernays, Anna, Eine Wienerin in New York. Die Erinnerungen der Schwester Sigmund Freuds (Berlin 2006). Wellesz, Egon, Wellesz, Emmy, Egon Wellesz. Leben und Werk (Wien und Hamburg 1981). Zeitungen Neue Freie Presse Neue Musikalische Presse Neues Wiener Abendblatt Reichspost The Jewish News Weekly of Northern California The Musical Times The New York Times Wiener Montagblatt Wiener Zeitung Zeitschriften Der Merker. Österreichische Zeitschrift für Musik und Theater Die Fackel Komödie. Wochenrevue für Bühne und Film Melos. Zeitschrift für Musik Monatsblätter des Wissenschaftlichen Klub in Wien Musikblätter des Anbruch Studien zur Musikwissenschaft Wiener Zeitschrift für Musik Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft Zeitgenössische Enzyklopädien Wellesz, Egon, Bot­stiber, Hugo, in  : Arthur Eaglefield Hull (Hg.), A Dictionary of Modern Music and Musicians (London und Toronto 1924), 54.

243

244

Quellen- und Literaturverzeichnis

Fischer, Wilhelm, Musikwissenschaft, in  : Guido Adler (Hg.), Handbuch der Musikgeschichte (Frankfurt/Main 1924), 1056–1063. Bot­stiber, Hugo, in  : Hermann Abert (Hg.), Illustriertes Musik-Lexikon (Stuttgart 1927), 67. Bot­stiber, Hugo, in  : Stephen Taylor (Hg.), Who’s who in Central and East Europe 1933/34 (Zürich 1935), 121. Bot­stiber (Bodstieber), Hugo, in  : Theo Stengel, Herbert Gerigk (Hgg.), Lexikon der Juden in der Musik. Veröffentlichungen des Instituts der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage 2 (Berlin 1943), 38. Adressbücher Adolph Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger City Directories for New York High-Life-Almanach. Adreßbuch der Gesellschaft Wiens und der österreichischen Kronländer Kelly’s Directory of Shrewsbury and Neighbourhood Verschiedenes Bot­stiber, Alois, Carmen hört zu, in  : Wilhelm Merian et al. (Hgg.), Festschrift für Dr. Felix Weingartner zu seinem siebzigsten Geburtstag (Basel 1933), 98–103. Hugo Bot­stiber zum Gedenken, in  : Stadt Wien. Offizielles Organ der Bundeshauptstadt 71/6 (1966), 4. Wiener Kongreßausschuß, III. Kongreß der Internationalen Musik-Gesellschaft. Wien, 25. bis 29. Mai 1909 (Wien und Leipzig 1909).

Sekundär liter atur Anderl, Gabriele, Rupnow, Dirk, Die Zentralstelle für jüdische Auswanderung als Beraubungsinstitution. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 20/1 (Wien und München 2004). Antonicek, Theophil, Anton Webern und die Musikwissenschaft, in  : Hartmut Krones (Hg.), Anton Webern. Persönlichkeit zwischen Kunst und Politik. Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis 2 (Wien et al. 1999), 17–23. Antonicek, Theophil, Biedermeierzeit und Vormärz, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot

Sekundärliteratur

Gruber (Hgg.), Vom Barock zum Vormärz. Musikgeschichte Österreichs 2 (Wien et al. 1995), 279–351. Antonicek, Theophil, Allgemeine Entwicklung und historische Musikwissenschaft, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Von der Revolution 1848 zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 330–334. Baier, Stephan, Demmerle, Eva, Otto von Habsburg. Die Biografie (Wien 2002). Barta, Erwin, Das Wiener Konzerthaus zwischen 1945 und 1961. Eine vereinsgeschichtliche und musikwirtschaftliche Studie. Wiener Veröffentlichungen zur Musikgeschichte 39 (Tutzing 2001). Barta, Erwin, Ein Spiegel gesellschaftlicher Prozesse. Das Wiener Konzerthaus im Wandel, in  : Österreichische Musikzeitschrift 68/5 (2013), 42–54. Barta, Erwin, Fässler, Gundula, Westphal, Reinhold, Kleine Phänomenologie der Unterhaltungsmusik  : Nachkriegszeit und fünfziger Jahre im Wiener Konzerthaus. Studie zum Forschungsprojekt »Die Fremdveranstaltungen im Wiener Konzerthaus 1945–1999. Eine Studie, basierend auf der EDV-gestützten Erfassung der Fremdprogramme im Archiv des Konzerthauses« (Wien 2002). Barta, Erwin, Kunst, Kommerz und Politik. Das Wiener Konzerthaus 1938–1945, in  : Carmen Ottner (Hg.), Musik in Wien 1938–1945. Studien zu Franz Schmidt 15 (Wien 2006), 291–309. Barta, Erwin, Westphal, Reinhold, Hallo  ! Swing-Swing  ! Unterhaltungsmusik der vierziger und fünfziger Jahre im Wiener Konzerthaus. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 11 (Frankfurt/Main 2004). Barta, Erwin, Wiener Konzerthaus. Die Generalsanierung, 1998–2001 (Wien 2001). Barta, Erwin, Fässler, Gundula, Die großen Konzertdirektionen im Wiener Konzerthaus 1913–1945. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 10 (Frankfurt/Main et al. 2001). Beaumont, Antony, Alexander Zemlinsky. Biographie (Wien 2005). Beer, Siegfried, Von Alfred Redl zum »Dritten Mann«. Österreich und Österreicher­ Innen im internationalen Geheimdienstgeschehen 1918–1947, in  : Geschichte und Gegenwart 16/1 (1997), 3–25. Beller, Steven, Wien und die Juden. 1867–1938. Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 23 (Wien et al. 1993). Benser, Caroline Cepin, Egon Wellesz as Scholar and Teacher. The Oxford Years, in  : Otto Kolleritsch (Hg.), Egon Wellesz. Studien zur Wertungsforschung 17 (Wien und Graz 1986), 42–54. Biba, Otto, Alexander Zemlinsky. Bin ich kein Wiener (Wien 1992). Bihl, Wolfdieter, Die Juden in der Habsburgermonarchie 1848–1918, in  : Studia Judaica Austriaca 8 (1980), 5–73.

245

246

Quellen- und Literaturverzeichnis

Blaukopf, Kurt, Wie das Konzerthaus wurde. Zur Geschichte des Konzertwesens in Wien am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts (1900–1918), in  : Österreichische Musikzeitschrift 18/5 (1963), 210–222. Botstein, Leon, Judentum und Modernität. Essays zur Rolle der Juden in der deutschen und österreichischen Kultur 1848 bis 1938 (Wien et al. 1991). Botstein, Leon, Listening through Reading. Musical Literacy and the Concert Audience, in  : 19th Century Music 16/2 (1992), 129–145. Botstein, Leon, Sozialgeschichte und die Politik des Ästhetischen. Juden und die Musik in Wien 1870–1938, in  : Leon Botstein, Werner Hanak (Hgg.), Quasi una fantasia. Juden und die Musikstadt Wien (Wien 2003), 43–63. Bukey, Evan Burr, Jews and Intermarriage in Nazi Austria (Cambridge 2011). Carner, Mosco, Bot­stiber, Hugo, in  : Stanley Sadie (Hg.), The New Grove. Dictionary of Music and Musicians. Volume 4 (London und New York 2001), 79. Carsten, Francis L., Deutsche Emigranten in Großbritannien 1933–1945, in  : Gerhard Hirschfeld (Hg.), Exil in Grossbritannien. Zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 14 (Stuttgart 1983), 138–154. Czeike, Felix (Hg.), Historisches Lexikon Wien. Band 1 (Wien 1992). Dahm, Annkatrin, Der Topos der Juden. Studien zur Geschichte des Antisemitismus im deutschsprachigen Musikschrifttum. Jüdische Religion, Geschichte und Kultur 7 (Göttingen 2007). Drobesch, Werner, Wiens Kunst- und Musikvereine um 1900. Tradition und Modernität als Topoi bürgerlicher Kulturverständnisse, in  : Cornelia Szabó-Knotik (Hg.), Wien – Triest um 1900. Zwei Städte – eine Kultur  ? Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 2 (Wien 1993), 63–73. Eder, Gabriele, Internationale Musikgesellschaft (IMG), in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Österreichisches Musiklexikon. Online  : http://www.musiklexikon.ac.at [letzter Zugriff  : 16. Dezember 2013]. Eder, Gabriele, Wiener Musikfeste. Zwischen 1918 und 1938. Ein Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung. Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte 6 (Wien und Salzburg 1991). Eppel, Peter (Hg.), Österreicher im Exil. USA. 1934–1945 (Wien 1995). Eybl, Martin, Vom lokalen Ereignis zum »größten Skandal der Musikgeschichte«. Schönberg dirigiert Uraufführungen im März 1913, in  : Österreichische Musikzeitschrift 68/2 (2013), 6–15. Feichtinger, Johannes, Wissenschaft zwischen den Kulturen. Österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933–1945. Campus-Forschung 816 (Frankfurt/ Main et al. 2001).

Sekundärliteratur

Fleischer, Wolfgang, Die deutschen Personennamen. Geschichte, Bildung und Bedeutung (Berlin 1964). Flotzinger, Rudolf, Geschichte der Musik in Österreich (Graz et al. 1988). Flotzinger, Rudolf, Von der Ersten zur Zweiten Republik, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Von der Revolution 1848 zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 173–250. Fritz, Elisabeth Theresia, Denkmalpflege und Musikwissenschaft. Einhundert Jahre Gesellschaft zur Herausgabe der Tonkunst in Österreich (1893–1993). Wiener Veröffent­lichungen zur Musikwissenschaft 33 (Tutzing 1995). Gaich, Petra, Neue Musik im Wiener Konzerthaus in der Ära Seefehlner. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 1998). Glanz, Christian, David Josef Bach and Viennese Debates on Modern Music, in  : Austrian Studies 14 (2006), 185–195. Glanz, Christian, Musikleben und Publikumsstruktur im Wien der Jahrhundertwende, in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Fremdheit in der Moderne. Studien zur Moderne 3 (Wien 1999), 13–22. Gottschald, Max, Deutsche Namenkunde (Berlin und New York 2006). Grestenberger, Erwin A., Die k. u. k. Festungsartillerie 1867–1918 (Gnas 2008). Gruber, Gernot, Konzertprogramme. Zu ihrer Geschichte und Bedeutung, in  : Rainer Bischof (Hg.), Ein Jahrhundert Wiener Symphoniker (Wien 2000), 65–89. Gruber, Gernot, Nachmärz und Ringstraßenzeit, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber (Hgg.), Von der Revolution 1848 zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 15–90. Hanak-Lettner, Werner, Die Stadt der Immigranten. Über Wiener, Gustav Mahler und andere Zuwanderer aus Böhmen und Mähren, in  : Reinhold Kubik, Thomas Trabitsch (Hgg.), Gustav Mahler und Wien. »leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener« (Wien 2010), 20–31. Hanisch, Ernst, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (Wien 1994). Harrandt, Andrea, Die Lehrtätigkeit von Egon Wellesz am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien, in  : Maria Helfgott et al. (Hgg.), Wiener Musik­ geschichte. Annäherungen – Analysen – Ausblicke. Festschrift für Hartmut Krones (Wien et al. 2009), 611–624. Harten, Uwe, Wiener Tonkünstler-Verein, in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Österreichisches Musiklexikon. Online  : http://www.musiklexikon.ac.at [letzter Zugriff  : 16. Dezember 2013]. Heller, Friedrich C., Die Zeit der Moderne, in  : Rudolf Flotzinger, Gernot Gruber

247

248

Quellen- und Literaturverzeichnis

(Hgg.), Von der Revolution zur Gegenwart. Musikgeschichte Österreichs 3 (Wien et al. 1995), 91–172. Heller, Friedrich C., Einige grundsätzliche Überlegungen zur Emigration österreichischer Musikwissenschaft, in  : Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien und München 1988), 600–602. Heller, Friedrich C., Von der Arbeiterkultur zur Theatersperre, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 87–109. Heller, Friedrich C., Vorgeschichte, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 9–27. Heuberger, Valeria, Zwischen Wien und Budapest. Der Einfluß der deutschen Sprache und Kultur auf das Westungarische Judentum. In  : Wynfrid Kriegleder, Andrea Seidler (Hgg.), Deutsche Sprache und Kultur, Literatur und Presse in Westungarn / Burgenland. Presse und Geschichte – Neue Beiträge 11 (Bremen 2004), 47–59. Hilmar, Ernst, Alexander Zemlinsky. Die letzten Wiener Jahre, in  : Monica Wildauer (Hg.), Österreichische Musiker im Exil. Beiträge der Österreichischen Gesellschaft für Musik 8 (Kassel et al. 1990), 111–118. Hilmar, Ernst, Arnold Schönberg. Gedenkausstellung 1974 (Wien 1974). Hilmar, Ernst, Zemlinsky und Schönberg, in  : Reinhard Gerlach, Otto Kolleritsch (Hgg.), Alexander Zemlinsky. Tradition im Umkreis der Wiener Moderne. Studien zur Wertungsforschung 7 (Graz 1976), 55–79. Hugot, Sabine, Historische Betriebsanalyse der Wiener Konzerthausgesellschaft. Dissertation, Wirtschaftsuniversität Wien (Wien 1988). Jabloner, Clemens et al., Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 1 (Wien und München 2003). Janik, Allan, Toulmin, Stephen, Wittgensteins Wien (München et al. 1989). Johnston, William M., Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte. Gesellschaft und Ideen im Donauraum 1848 bis 1938 (Wien et al. 2006). Kapp, Reinhard, Schönbergs »Verein« und die Krise der musikalischen Öffentlichkeit, in  : Rudolf Flotzinger (Hg.), Fremdheit in der Moderne. Studien zur Moderne 3 (Wien 1999), 23–67. Klein, Rudolf, Bot­stiber, Hugo, in  : Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet durch Friedrich Blume. Personenteil 3 (Kassel et al. 2000), 506.

Sekundärliteratur

Klein, Rudolf, Wie das Konzerthaus eine Mission erfüllte. Zur Entwicklung der Wiener Konzerthausgesellschaft von 1918 bis 1963, in  : Österreichische Musikzeitschrift 18/5 (1963), 223–235. Klieber, Rupert, Jüdische, christliche, muslimische Lebenswelten der Donaumonarchie 1848–1918 (Wien 2010). Kobau, Ernst, Wiener Symphoniker. Eine sozialgeschichtliche Studie (Wien et al. 1991). Krones, Hartmut, Die Komponisten der »Wiener Schule« und die Wiener Philharmoniker, in  : Otto Biba, Wolfgang Schuster (Hgg.), Klang und Komponist. Ein Symposion der Wiener Philharmoniker (Wien 1992), 201–209. Krones, Hartmut, Das 20. und 21. Jahrhundert, in  : Elisabeth Theresia Fritz-Hilscher, Helmut Kretschmer (Hgg.), Wien Musikgeschichte. Von der Prähistorie bis zur Gegenwart. Geschichte der Stadt Wien 7 (Wien und Berlin 2011), 359–486. Kührer, Esther, Die Internationalen Musikfeste des Wiener Konzerthauses von 1947– 1961. Diplomarbeit, Universität für Musik und darstellende Kunst, Wien (Wien 1998). Kurtz, Birgit Christine, Neue Musik im Nationalsozialismus anhand von Konzerten im Wiener Konzerthaus. Diplomarbeit, Universität für Musik und darstellende Kunst, Wien (Wien 2001). Leibnitz, Thomas, Der gelehrte Freund. Gustav Mahler und Guido Adler, in  : Reinhold Kubik, Thomas Trabitsch (Hgg.), Gustav Mahler und Wien. »leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener« (Wien 2010), 108–115. Lichtblau, Albert, Als hätten wir dazugehört. Österreichisch-jüdische Lebensgeschichten aus der Habsburgermonarchie (Wien 1999). Maimann, Helene, Politik im Wartesaal, Österreichische Exilpolitik in Grossbritannien 1938–1945 (Wien et al. 1975). Mayer-Hirzberger, Anita, »… ein Volk von alters her musikbegabt«. Der Begriff »Musikland Österreich« im Ständestaat. Musikkontext. Studien zur Kultur, Geschichte und Theorie der Musik 4 (Frankfurt/Main et al. 2008). McCagg Jr., William O., A History of Habsburg Jews, 1670–1918 (Bloomington et al. 1989). Moskovitz, Marc D., Alexander Zemlinsky. A Lyric Symphony (Woodbridge 2010). Muchitsch, Wolfgang (Hg.), Österreicher im Exil. Grossbritannien. 1938–1945 (Wien 1992). Muchitsch, Wolfgang, The Cultural Policy of Austrian Refugee Organisations in Great Britain, in  : Edward Timms und Ritchie Robertson (Hgg.), Austrian Exodus. The Creative Achievements of Refugees from National Socialism. Austrian Studies 6 (Edinburgh 1995), 22–40.

249

250

Quellen- und Literaturverzeichnis

Nautz, Jürgen, Politik und Lebenswelt in Wien um 1897, in  : Christian Glanz (Hg.), Wien 1897. Kulturgeschichtliches Profil eines Epochenjahres. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 8 (Frankfurt/Main et al. 1999), 11–47. Neumann, Katharina, Neue Musik in Wien. Eine empirische Untersuchung am Beispiel des Wiener Konzerthausprogrammes zwischen 1961 und 2007. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 2011). Notley, Margaret, Brahms as Liberal. Genre, Style, and Politics in Late NineteenthCentury Vienna, in  : 19th Century Music 17/2 (1993), 107–123. Novak, Susanna, Die Baugeschichte des Konzerthauses, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 28–45. Nußbaumer, Martina, Musikstadt Wien. Die Konstruktion eines Images. Edition Parabasen 6 (Freiburg/Breisgau et al. 2007). Ortner, M. Christian, Die österreichisch-ungarische Artillerie von 1867–1918. Technik, Organisation und Kampfverfahren (Wien 2007). Ott, Brigitte, Die Kulturpolitik der Stadt Wien 1919–1934. Dissertation, Universität Wien (Wien 1968). Pass, Walter, Scheit, Gerhard, Svoboda, Wilhelm, Orpheus im Exil. Die Vertreibung der österreichischen Musik von 1938 bis 1945. Antifaschistische Literatur und Exilliteratur – Studien und Texte 13 (Wien 1995). Permoser, Manfred, Die Wiener Symphoniker im NS-Staat. Musikleben 9 (Frankfurt/ Main et al. 2000). Pertsch, Dietmar, Scholem-alejchem, New York  ! Auf den Spuren jüdischer Einwanderer in New York (Hamburg 2009). Petrasch, Wilhelm, Die Wiener Urania. Von den Wurzeln der Erwachsenenbildung zum lebenslangen Lernen (Wien et al. 2007). Pross, Steffen, »In London treffen wir uns wieder«. Vier Spaziergänge durch ein vergessenes Kapitel deutscher Kulturgeschichte nach 1933 (Frankfurt/Main 2000). Raab Hansen, Jutta, NS-verfolgte Musiker in England. Spuren deutscher und österreichischer Flüchtlinge in der britischen Musikkultur. Musik im »Dritten Reich« und im Exil 1 (Hamburg 1996). Rathkolb, Oliver, Führertreu und gottbegnadet. Künstlereliten im Dritten Reich (Wien 1991). Rauner, Reinhard, Ferdinand Löwe. Leben und Wirken. I. Teil 1863–1900. Ein Wiener Musiker zwischen Anton Bruckner und Gustav Mahler. Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 3 (Frankfurt/Main et al. 1995). Reichl, Eleonore, Steinmann, Eva, Strukturen des Bürgerlichen Musikmäzenatentums. Wien um 1900, in  : Cornelia Szabó-Knotik (Hg.), Wien – Triest um 1900.

Sekundärliteratur

Zwei Städte – eine Kultur  ? Musikleben. Studien zur Musikgeschichte Österreichs 2 (Wien 1993), 139–147. Revers, Peter, Die Geschichte des Konzerthauses 1913–1919, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 53–63. Revers, Peter, Geschichte des Konzerthauses während der Ersten Republik, in  : Friedrich C. Heller, Peter Revers (Hgg.), Das Wiener Konzerthaus. Geschichte und Bedeutung, 1913–1983 (Wien 1983), 69–86. Rozenblit, Marsha L., Jewish Immigrants in Vienna before the First World War, in  : Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 17/1 (2007), 35–53. Rozenblit, Marsha L., Reconstructing a National Identity, The Jews of Habsburg Austria during World War I (Oxford et al. 2001). Rozenblit, Marsha L., The Jews of Vienna, 1867–1914. Assimilation and Identity. SUNY Series in Modern Jewish Literature and Culture 2 (Albany 1983). Sablik, Karl, Julius Tandler. Mediziner und Sozialreformer (Frankfurt/Main 2010). Sandgruber, Roman, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Wien 2005). Schlögl, Michaela, 200 Jahre Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Wien et al. 2011). Schmidl, Erwin, Der »Anschluss« Österreichs. Der deutsche Einmarsch im März 1938 (Bonn 1994). Scholl, Gundula, Strategien, Problematik und Trends der Kulturöffentlichkeitsarbeit. Untersucht am Beispiel des Wiener Konzerthauses. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 1998). Schörkhuber-Schablas, Ingrid, Die Pflege zeitgenössischer Musik im Wiener Konzerthaus in den Saisonen 1918/19 und 1919/20. Diplomarbeit, Universität für Musik und darstellende Kunst, Wien (Wien 2000). Schorske, Carl E., Fin-de-Siècle Vienna. Politics and Culture (New York 1980). Sekler, Eduard F., Josef Hoffmann. Das architektonische Werk (Salzburg und Wien 1982). Senft, Gerhard, Anpassung durch Kontraktion. Österreichs Wirtschaft in den dreißiger Jahren, in  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933–1938. Politik und Zeitgeschichte 1 (Wien und Berlin 2012), 182–199. Stadlen, Peter, Österreichische Exilmusiker in England, in  : Monica Wildauer (Hg.), Österreichische Musiker im Exil. Beiträge der Österreichischen Gesellschaft für Musik 8 (Kassel et al. 1990), 125–133. Staudacher, Anna, »… meldet den Austritt aus dem mosaischen Glauben«. 18000

251

252

Quellen- und Literaturverzeichnis

Austritte aus dem Judentum in Wien, 1868–1914  : Namen – Quellen – Daten (Frankfurt/Main et al. 2009). Stein, Philipp, Das Wiener Konzerthaus 1930–1945. Dissertation, Universität Wien (Wien 2013). Stein, Philipp, Spielball der Kulturpolitik  : Karl Böhm, in  : Österreichische Musikzeitschrift 68/5 (2013), 22. Stein, Philipp, Studien zur Wiener Konzerthausgesellschaft und den Nationalsozialisten. Diplomarbeit, Universität Wien (Wien 2006). Steinberg, Michael P., Ursprung und Ideologie der Salzburger Festspiele 1890–1938 (Salzburg und München 1938). Steiner, Herbert, Großbritannien, in  : Friedrich Stadler (Hg.), Vertriebene Vernunft II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft (Wien und München 1988), 980–985. Tálos, Emmerich, Manoschek, Walter, Aspekte der politischen Struktur des Austrofaschismus  : (Verfassungs-)Rechtlicher Rahmen – politische Wirklichkeit – Akteure, in  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933–1938. Politik und Zeitgeschichte 1 (Wien und Berlin 2012), 124–160. Tálos, Emmerich, Manoschek, Walter, Zum Konstituierungsprozeß des Austrofaschismus, in  : Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hgg.), Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur. 1933–1938. Politik und Zeitgeschichte 1 (Wien und Berlin 2012), 123–159. Tittel, Ernst, Die Wiener Musikhochschule. Vom Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde zur staatlichen Akademie für Musik und darstellende Kunst. Publikationen der Wiener Musikakademie 1 (Wien 1968). Venus, Theodor, Wenck, Alexandra-Eileen, Die Entziehung jüdischen Vermögens im Rahmen der Aktion Gildemeester. Eine empirische Studie über Organisation, Form und Wandel von »Arisierung« und jüdischer Auswanderung in Österreich 1938–1941. Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich 20/2 (Wien und München 2004). Volsansky, Gabriele, Pakt auf Zeit. Das Deutsch-Österreichische Juli-Abkommen 1936. Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek 37 (Wien et al. 2001). Walzer, Tina, Alles Millionäre und Hausierer  ! Eine sozialgeschichtliche Betrachtung der Wiener Juden im 19. Jahrhundert, in  : David. Jüdische Kulturzeitschrift 46 (2000). Online  : http://david.juden.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. Walzer, Tina, Unser Wien. »Arisierung« auf österreichisch, in  : David. Jüdische Kul-

Sekundärliteratur

turzeitschrift 51 (2001). Online  : http://david.juden.at [letzter Zugriff  : 21. Februar 2014]. Wasserstein, Bernard, Britische Regierungen und die deutsche Emigration 1933–1945, in  : Gerhard Hirschfeld (Hg.), Exil in Grossbritannien. Zur Emigration aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 14 (Stuttgart 1983), 44–61. Wistrich, Robert S., The Jews of Vienna in the Age of Franz Joseph. The Littmann Li­brary of Jewish Civilization (Oxford et al. 1989).

253

Personenregister Adler, Guido 32f, 35–37, 39, 41fn, 58, 72–74, 86, 135, 158, 160, 204 Andreae, Volkmar 176 Artaria, Karl August von 57f, 73f, 81, 84–90, 97, 107f, 115, 131, 178 Bach, David Josef 62fn, 114, 135, Bach, Johann Sebastian 91, 94, 119, 126f, 130, 134, 139, 141, 143f, 165 Backhaus, Wilhelm 152fn Barthlmé, Anton 60fn Bartók, Béla 128 Baumann, Ludwig 76–78, 81 Beecham, Thomas 176, 205 Beethoven, Ludwig van 33, 54, 59fn, 61, 91, 94, 96, 100, 127, 129, 130fn, 134, 139, 141, 144, 156, 158, 166fn, 173, 204, 231 Berg, Alban 42f, 92, 95–97, 114, 133fn, 172fn, 232, 236 Bernays, Edward 25 Bernays, Ely 25f, 196 Bienenfeld, Elsa 73 Bienerth, Richard Freiherr von 79 Bittner, Julius 134, 141, 173 Bloch-Bauer, Gustav 183 Böhm, Karl 165, 176f, 180 Boult, Adrian Cedric 176, 192, 205 Boutnikoff, Ivan 155f, 171 Brahms, Johannes 38, 41, 74, 91, 94, 100, 172f, 231 Breitner, Hugo 108, 158 Bruckner, Anton 33, 54, 91, 172f, 231fn Busch, Adolf 152fn Busch, Fritz 166fn Busoni, Ferruccio 64–69, 114, 143fn Canetti, Elias 71 Conried, Heinrich 27 Crewe (Harpur), Henry 205 Czeija, Oskar 140, 152f

Czermak, Emmerich 160fn Debussy, Claude 61, 100, 114, 119fn, 156 Delius, Frederick 130 Dent, Edward Joseph 192 Dlabac, Friedrich 160 Dollfuß, Engelbert 164, 175f Door, Anton 41 Dukas, Paul 61 Dürer, Albrecht 94 Elgar, Edward 61 Epstein, Julius 41 Eugen (Erzherzog) 103 Faber, Arthur 57fn Fellner, Ferdinand 81, 90 Fleischer, Oskar 72 Fock, Dirk 131, 142, 172 Förster-Streffleur, Rudolf 140, 142 Franz Ferdinand (Erzherzog) 97 Franz Joseph I. (Kaiser) 30fn, 88, 102, 107, 185f Freud, Anna 203 Freud, Martha 25fn Freud, Paula 24f Freud, Sigmund 21fn, 24f, 203f Freud-Bernays, Anna 25, 26 Fuchs, Robert 33, 35 Funk, Walther 180fn Gál, Hans 187, 189, 202, 204 Gassmann, Florian 45fn Gluck, Christoph 126 Goebbels, Joseph 179f Göring, Hermann 179 Grädener, Hermann 35 Grosz, Wilhelm 109 Habsburg, Otto von 185f Hämmerle, Theodor 57fn

255

Personenregister Händel, Georg Friedrich 88, 130, 133f Hanslick, Eduard 32f, 36, 41, 47, 49, 53, 74 Hartenau-Battenberg, Johanna Gräfin von 192 Hausegger, Siegmund 61 Haydn, Joseph 8, 33, 54, 72f, 75, 94, 126, 142, 144, 159f, 185, 199, 204f, 229, 231 Heller, Hugo 96, 116–118, 120f, 130f Helmer, Hermann 81, 90 Hertzka, Emil 71, 95, 232 Heuberger, Richard 41 Hindemith, Paul 128, 172 Hitler, Adolf 179f, 186 Hoffmann, Josef 71 Hoffmann, Rudolf Stephan 128, 233 Hofmannsthal, Hugo von 119 Hohenberg, Sophie Herzogin von 97 Honegger, Arthur 143 Jerger, Wilhelm 171 Juon, Paul 61 Kalmus, Alfred 204 Kanitz, Ernst 109 Karl I. (Kaiser) 107, 185 Kaudela, Julius 97, 101, 133, 150fn, 152–154, 181–184, 236 Kendrick, Thomas 192 Kirchl, Adolf 60fn Kleiber, Erich 176 Klenau, Paul von 126f, 130f, 133f, 136, 138f, 141–143, 155, 159, 194, 229, 236 Klimt, Gustav 38fn, 66 Knappertsbusch, Hans 176 Knepler, Hugo 95f, 116f, 120f, 146f Kobald, Karl 153, 158 Koch, Adolf 63 Koch, Ludwig 63f Köchert, Theodor 116, 119, 122f, 125f, 132f, 140, 147, 151–155, 160fn, 163, 165f, 169, 173f, 176, 178, 231fn Kodály, Zoltán 156 Koessler, Ludwig 83f, 86f, 94 Kolisko, Robert 172 Komzák, Karl 60

Konrath, Anton 166fn, 176f, 185 Korngold, Erich Maria 109 Korngold, Julius 91, 129 Kraus, Karl 89fn, 121 Krenek, Ernst 232 Lafite, Carl 117 Liszt, Franz 33, 39fn, 54, 127, 156, 170f, 231 Löwe, Ferdinand 54, 56fn, 58, 61, 73, 86, 88, 91, 97fn, 108, 124, 126f, 133, 229 Lueger, Karl 30 Luntz, Ewin 72f Mahler, Anna 201 Mahler, Gustav 38f, 41f, 56fn, 73, 86, 96fn, 119, 138f, 142, 144, 155f, 165, 172, 201, 204, 231 Malipiero, Giovanni Francesco 155f Mandyczewski, Eusebius 34f, 41, 57f, 73, 75 Marchet, Gustav 79 Matheis, Ernst Josef 32fn Menger, Carl 29 Milhaud, Darius 128 Minor, Jakob 35 Morsey, Andreas von 175 Morshead, Owen 192f Mosolov, Alexander 156 Mozart, Wolfgang Amadeus 33, 54, 94, 100, 141, 144, 156, 166fn, 204, 231 Müller, Adolf 60fn Müllner, Laurenz 35 Mussorgsky, Modest 143 Nedbal, Oskar 98fn Neumayer, Josef 87 Nicolai, Otto 47 Papen, Franz von 180f, 183fn Pfliegler, Michael 192 Philippovich von Philippsberg, Eugen 29 Piechler, Arthur 143 Pisk, Paul Amadeus 128, 140fn Pizzetti, Ildebrando 156 Pohl, Carl 75 Rachmaninow, Sergei 143, 155, 172

256

Personenregister Ravel, Maurice 172 Reger, Max 109, 119fn, 155 Reichwein, Leopold 158, 172–177, 179, 180, 186 Reidinger, Friedrich 171 Reiter, Josef 179 Rietsch, Heinrich 35 Rimski-Korsakow, Nikolai 143 Rintelen, Anton 153 Rokyta, Erika 236 Rosé, Arnold 100fn, 204 Sauer, Emil 65 Schäffer, Erwin 128 Schalk, Franz 64, 113, 159 Schenker, Heinrich 130fn, 139fn Schenker-Angerer, August 84 Schenker-Angerer, Gottfried 180f Scherchen, Hermann 143 Scheu, Gustav 148, 163f, 173 Scheu, Josef 51fn Schillings, Max 61 Schmidt Franz 61, 173 Schmitt, Florent 155 Schmitz, Richard 168 Schneiderhan, Franz 160 Schoeller, Philipp 174, 178–184, 197, 198 Schönberg, Arnold 32, 37fn, 39–43, 62fn, 67fn, 70, 92, 94–96, 109–115, 118f, 126–128, 131, 139, 141–143, 152, 170, 172, 204, 216, 231–233, 236 Schönberg, Heinrich 67fn Schreker, Franz 61, 109 Schubert, Franz 91, 94, 144, 159 Schuricht, Carl 176 Schuschnigg, Kurt 176 Seitz, Karl 168 Sinigaglia, Leone 61

Skrjabin, Alexander 155f Specht, Richard 68 Spitzmüller, Alexander 174, 178 Spörr, Martin 122 Stadlen, Peter 204 Stein, Erwin 37fn, 204 Steinhauser, Robert 57fn, 107, 116 Stiles, Harold 194f Stix, Carl 51f, 54, 60 Stöhr, Adolph 35 Stransky, Felix 115, 122fn, 127, 129, 134, 136, 139, 140–142, 144f, 151f, 154, 169, 178, 183 Strauss, Richard 91, 152, 155 Strauss, Johann 118 Strawinsky, Igor 142, 172 Theremin, Leon 140 Thonet, Jakob 57fn, 97f Toch, Ernst 156 Tovey Donald Francis 192 Verdi, Giuseppe 143 Wagner, Richard 33, 38fn, 40, 54, 61, 91, 156, 231, 233 Walter, Bruno 144, 155, 166fn Webern, Anton 37fn, 42, 96, 114, 143fn, 172fn, 232 Weingartner, Felix 32fn, 155, 171, 176 Wellesz, Egon 37fn, 71, 73, 88, 128, 187, 189, 204, 207, 232f Wiener, Karl Ritter von 56, 85, 107 Wisoko-Meytsky, Karl 169 Wolf, Hugo 33, 91, 231fn, 233 Zador, Eugene 172 Zemlinsky, Alexander 35, 39–42, 61, 67fn, 71, 73, 86, 96, 110, 114, 119fn, 189f, 197, 232

DANIEL ENDER

RICHARD STRAUSS MEISTER DER INSZENIERUNG

Vom Epigonen zum Revolutionär und vom Klassiker zum Reaktionär: In keiner anderen Komponistenbiografie waren die Zuschreibungen derart wechselhaft und extrem gegensätzlich wie bei Richard Strauss (1864–1949). Schon in einer frühen Phase seiner Karriere haben sowohl seine begeisterten Anhänger als auch seine erbitterten Gegner darum gerungen, das Phänomen Strauss einzuordnen. Aber obwohl er im deutschsprachigen Raum der mit Abstand meistdiskutierte Musiker nach 1900 wurde und dies als „repräsentativster deutscher Komponist“ in mehrfachem Sinn zeit seines Lebens geblieben ist, war er nie eindeutig einzuordnen. Der „Meister“ selbst hat es verstanden, das Interesse an seiner Person und an seinem Werk durch immer neue Wandlungen wach zu halten, während eine Schar von Vertrauensleuten um eine genehme öffentliche Wahrnehmung bemüht war. Dieses Buch zeichnet die wechselnden Bilder des Komponisten vor dem Hintergrund der äußeren Lebensstationen nach. Wie Strauss seine Selbstinszenierung betrieb und welche maßgeblichen publizistischen Stimmen Einfluss auf seine öffentliche Wirkung nahmen, wird dadurch erstmals zusammenhängend sichtbar gemacht. 2014. 349 S. 27 S/W-ABB. GB. MIT SU. 135 X 210 MM. | ISBN 978-3-205-79550-6

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

KAZUMI NEGISHI

JOSEPH LASKA (1886–1964) EIN ÖSTERREICHISCHER KOMPONIST UND DIRIGENT IN JAPAN

Musik hat in den 145 Jahren seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Österreich stets eine auffallend wichtige Rolle gespielt. Mit der hier in deutscher Übersetzung vorgelegten Biographie des österreichischen Komponisten, Dirigenten und Musikpädagogen Joseph Laska hat der japanische Musikwissenschaftler Kazumi Negishi ein interessantes Kapitel dieser bilateralen Beziehungen vor dem Vergessen bewahrt. Joseph Laska hat im Zuge seiner 12-jährigen Tätigkeit in der Region Kansai (1923-1935) mit dem von ihm gegründeten professionellen japanischen Symphonieorchester nicht nur Symphonien Anton Bruckners in Japan erstaufgeführt, sondern dem japanischen Publikum auch Zugang zu zahlreichen Werken der klassischen europäischen Musik ermöglicht. Darüber hinaus hat er einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Musikausbildung in Japan genommen. 2014. 232 S. 50 S/W-ABB. UND NOTENBEISP. GB. 135 X 210 MM. | 978-3-205-79616-9

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

HARTMUT KRONES (HG.)

GEÄCHTET, VERBOTEN, VERTRIEBEN ÖSTERREICHISCHE MUSIKER 1934 – 1938 – 1945 (SCHRIFTEN DES WISSENSCHAFTSZENTRUMS ARNOLD SCHÖNBERG, BAND 1)

Der Band „Geächtet, verboten, vertrieben“ faßt die Ergebnisse einer Reihe von Symposien zusammen, die das am Institut für Musikalische Stilforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien beheimatete „Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg“ in den letzten Jahren in Wien, Linz, New York, Mexico City und Jalapa durchgeführt hat. Thema ist insbesondere die 1938 bis 1945 stattfindende Ächtung, Vertreibung und Ermordung zahlreicher österreichischer Musiker und Komponisten durch die Nationalsozialisten, doch werden auch der Entzug jeglicher Lebensgrundlagen, der ab 1934 die in einem Naheverhältnis zur Sozialdemokratie stehenden Komponisten traf, sowie das damalige Verbot aller sozialdemokratischen Kulturvereinigungen in den Blick genommen. 2014. 608 S. ZAHLR. S/W-ABB. UND NOTENBSP. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-77419-8

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

SEBASTIAN WERR

HEROISCHE WELTSICHT HITLER UND DIE MUSIK

Das frühe Interesse Hitlers an Musik und Theater ließ Einstellungen reifen, die für seine Selbstwahrnehmung und die eigene Inszenierung, aber auch für das Musikleben und die Musikpolitik im »Dritten Reich« von großer Tragweite waren. Obgleich über Hitlers Nähe zu Musik und Theater viel geschrieben wurde, sind Fragen offen. Insbesondere die Verbindungen Hitlers zu Richard Wagner und die Rezeption dessen Werkes durch die Nationalsozialisten weisen Widersprüche auf. Einerseits sah Hitler in dem Komponisten eine Symbolfigur der antisemitisch-deutschnationalen Bewegung Österreichs, andererseits war sein Opernenthusiasmus wesentlich durch Aufführungen jüdischer Künstler geprägt. Hitler entwickelte sich über die Welt der Oper hinaus in die Politik hinein, das »Heroische« wurde ihm dabei zur Leitkategorie. Er entwarf Bühnenbilder, konzipierte Opernhäuser, versuchte sich an einem eigenen Musikdrama. Vor allem aber machte er sich die sinnlichen Inszenierungstechniken und -künste der Oper zu Eigen für seine politischen Auftritte. Sebastian Werr wirft ein neues Licht auf Hitlers musikalische wie theatralische Begeisterung, die nachhaltig seine Persönlichkeit, sein Auftreten und Handeln geprägt und beeinflusst hat. 2014. 300 S. 36 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-22247-5

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar