Horazische Lyrik: Interpretationen 3533044610, 9783533044611

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Horazische Lyrik: Interpretationen
 3533044610, 9783533044611

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VIKTOR PÖSCHL

HORAZISCHE

LYRIK

Interpretationen

2., erweiterte Auflage

HEIDELBERG CARL WINTER·

1991

UNIVERSITÄTSVERLAG

Umschlagbild: Augusteische Wandmalerei vom Palatin unweit des Augustus-Hauses: Apollo mit Köcher und Kithara (vgl. Horaz c. 2,10,18ff.), Rom, Antiquario Palatino. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitstitelaufnahme Pösch/, Victor:

Horazische Lyrik: Interpretationen/Victor 2.,erw. Aufl. - Heidelberg: Winter 1991

Pöschl. -

(Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften: Reihe 2; N.F., Bd. 85) ISBN 3-533-04461-0 kart. ISBN 3-533-04462-9 Gewebe NE: Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaften/02

ISBN 3-533-04461-0 kart. ISBN 3-533-04462-9 Ln.

ISSN 0067-8201 Alle Rechte vorbehalten. © 1991. Carl Winter Universitätsverlag, gegr. 1822, GmbH., Heidelberg

Photomechanische Wiedergabe nur mit ausdrücklicher Genehmigung durch den Verlag Imprime en Allemagne. Printed in Germany Reproduktion und Druck: Carl Wmter Universitätsverlag, Abteilung Druckerei, Heidelberg

Meinen Schülern

INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

c. 1,5: Quis multa gracilis . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . .

18

c. 1,9: Videsut alta .........

30

. c. 1,35: 0 diva, gratum . . . . . . . . . . . c. 1,37: Nunc est biberukm . . . . . . . . . c. 2,16: Otium divos . ......................... c. 3,1: Odi profanum ......................... c. 3,25: Quo me, Bacche. . . . . . . . . . . c. 3,28: Pestoquid potius die • . . . . . . . c. 3,29: 'Jyrrhenaregum . . . . . . . . . . . c. 3,30: Exegi monumentum . . . . . . . . . c. 4,1: Intermissa,¼nus ................... c. 1,25: Parciusiunctas. . . . . . . . . . . . c. 1,31: Quid dedicatum ...........•............ c. 2,19: Bacchumin remotis ...................... c. 3,12: Miserarumest .................•

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 68 118 144

. . . .

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. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . . . . . . . . . . · ..... . . . ... . . . . .

. . . .

. . . .

164

180 198 246 264

. . 284 292 301

: . . . . . . 324

Die Einführung des Liebesthemas in den Horazischen 'Paradeoden' (c. 1,1-9). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Bemerkungen zu den Horazoden 3,7-12 . . . . . . . . . . . . . . 340 Mythologisches in den Horazoden 1,7; 3,11 und 3,27 .......

345

Die Suche nach der Individualität des Dichters am Beispiel von Vrrgilund Horaz . . . . . . . . . . ... · . . . . . . . . . . . . . . 354 Horazische Liebeslyrik . . . . . . . . .

366

. Krates, Horaz und Pinturicchio. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Ronsard, Plato und Horaz

. . . . . . . . . . . . . . . .

388

Corrigenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Namen und Sachen . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . 395

Stellen . . . . . . . .. . . . . . . . . . . ; . . . . . . . . . . . . . . . . 405 Verzeichnis der Pubükationsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414

EINLEITUNG Seit Gottfried BENNs "Probleme der Lyrik" (1951) und Hugo FRIEDRICHS„Struktur der modernen Lyrik" (1956) sind lebhafte Erörterungen über das Wesen der Lyrik im Gang. Es mag angezeigt sein, sich auch auf den lateinischen Klassiker der Lyrik zu besinnen. Was die Integration der Stilmittel, die Dichte und Intensität der Sprache, die Ausgewogenheit von Kunstgestalt und inhaltlicher Thematik betrifft, stellen die Oden des Horaz einen Gipfel dar. Ich kenne keinen Dichter der Weltliteratur, der ihm hierin gleich wäre. Unter den Römern kommt ihm Virgil am nächsten. Aber die Gattungen, die er pflegte: Bukolik, Lehrgedicht und Epos, haben nicht die strenge Form und Geschlossenheit der horazischen Ode. Deren einzigartige Stellung beruht nicht zuletzt auf den Möglichkeiten der lateinischen Sprache, die Horaz aufs vollkommenste ausnützte 1• Eine Eigentümlichkeit karir ihm dabei besonders zugute: die freie Wortstellung, die schon in der P~osa weniger durch ihre Freiheit als durch ihre Ordnung überrascht, bei Horaz aber durch die Eingliederung in ein strenges metrisches Gefüge eine ganz neue Kraft und Bedeutung bekommt. Es ist eine Ordnung, die von den Impulsen lateinischer Sprachmagie und römischen Wirkungswillens aufs stärkste bestimmt ist. Ein anderer Vorzug der horazischen Lyrik liegt in: der Art, wie die Bilder, Metaphern und mythologischen Anspielungen, die klanglichen und syntaktischen Gebilde in kunstvolle Bezugssysteme eingeordnet werden. Hier sind immer noch neue und überraschende Entdeckungen zu machen. Ich lege hier· - verbessert und ergänzt - fünfzehn Interpretationen von Horazoden gesammelt vor; die an verschiedenen Orten publiziert wurden. W eitere Stücke behandeln übergreifende Themen. An zwei Beispielen wird die in der neueren Horazliteratur immer deutlicher erkannte innere Einheit von Gedichtgruppen illustriert (die Einführung der Liebeslyrik in den Paradeoden und die Gruppe der Liebesgedichte 3,7-12). Zu diesem Thema ist

1

P. VALERY, Oeuvres, Bibi. de la Pleiade, 1960, Bd.2,636: La poesie a pour devoir de faire d'un langage d'une nation quelques applications parfaites.

10

Einleitung

meine Rezension des Buches von D. H. Porter, Horace's Poetic Joumey, Princeton UP 1987 (Gnomon 60, 1988) zu vergleichen. Weiter werden behandelt: verschiedene Verwendungen des Mythologischen, das Problem der Individualität der Dichter, Grundfragen der horazischen Liebeslyrik und Spiegelungen des Horaz in der bildenden Kunst (Pinturicchio) und Dichtung (Ronsard) der Renaissance.

Die von mir angewandte Betrachtungsweise ist den Bemühungen der neueren Horazforschung aufs stärkste verpflichtet, namentlich der von Friedrich KLINGNER initiierten Art des Horazverständnisses. Auch der Literaturkritik und Dichterinterpretation, wie sie sich in den neueren Philologien entwickelt und entschiedener durchgesetzt hat als in der klassischen, verdanke ich viel. In einer Art höherer 9erechtigkeit haben sich die Rollen vertauscht. Während im 19. Jahrhundert die klassische Philologie die Entwicklung der philologischen Methode bestimmte und die Erforschung der neueren Literaturen sich an ihr orientierte, muß sie heute umgekehrt von der neueren Literaturwissenschaft lernen. Die Methoden, die sich dort bewährten, müssen auch wir anwenden 2 • Für Horaz ist dies um so sinnvoller, als diese Methoden häufig gerade an der Interpretation von englischen, französischen und deutschen Gedichten entwickelt wurden, die direkt oder indirekt unter der Einwirkung des Horaz und der lateinischen Dichtertradition stehen. Wenn man die Deutung englischer Lyrik etwa bei Cleanth BROOKS oder Rudolf SüHNEL,französischer Lyrik bei Leo SPITZER,italienischer bei Hugo FRIEDRICH verfolgt, ist man überrascht, in welchem Maße das dort Beobachtete auch auf Horaz zutrifft. Daraus ergibt sid1 die wichtige Aufgabe, die Geschichte der Horazeinwirkung nicht nur nach den äußeren Motiven und metrischen Formen zu untersuchen, sondern nach den Strukturen der horazischen Kunst. Aber auch für die Vorgänger hat das hier geübte Verfahren Konsequenzen, so für den am vollständigsten erhaltenen griechischen Lyriker: Pindar. Charles SEGALhat hier einen verheißungsvollen Anfang gemacht3• Von hier aus kann auch die Frage der Beziehung zwischen Horaz und Pindar weitere Vertiefung erfahren 4. Am stärksten hat dies für Horaz Steele COMMAGER getan (The Odes of Horace, 1962). 3 Ch. SEGAL, TAPA 98, 1967, 431-480. ' über sie und die einschlägige Literatur orientiert am besten J. H. WASZINK,Horaz und Pindar, Antike u. Abendland 12, 1966.

2

Einleitung

11

Die neue Interpretationsweise hat innerhalb der klassischen Philologie namentlich in Deutschland und England nach wie vor mit großen Widerständen und mangeindem Verständnis zu rechnen. Das hat viele Gründe. Einer der wichtigsten ist die Schwerkraft der philologischen Tradition. Im Falle des Horaz hat das außerordentlich verdienstliche Erklärungswerk von KIESSLINGHEINZE eine im einzelnen schwer abzumessende· verhängnisvolle Wirkung ausgeübt. Es ist dadurch charakterisiert, daß es das Wesen des Poetischen verkennt. KIESSLING-HEINZE haben das Bestreben, aus dem zu erklärenden Gedicht gleichsam auszubrechen und die Aussage des Gedichtes auf etwas zu reduzieren, was außerhalb seiner liegt. So stellt KrnssLING immer wieder die Frage - und HEINZE ist darin noch weiter gegangen ,....,wie sich die einzelne Ode als Zeugnis für die Biographie des Dichters auswerten läßt. Dabei hat man das Gefühl, als sei die Erhellung der Lebensum stände des Horaz wichtiger als das Gedicht selbst, ein Mißstand, der nicht nur der Horazerklärung geschadet hat. Die klassische Philologie hat das ihr beschiedene Glück, daß sie über die Biographie antiker Dichter so wenig weiß, nicht zu nützen gewußt. Sie war vielmehr mit allen Kräften bestrebt, diesen Vorteil zu beseitigen. ,,Was sollen mir die Liebeserlebnisse Racines? Phaedra ist für mich wichtig", hat dagegen VALERYgesagt 5• Mit der Übertreibung des biographischen Interesses ist ein anderes verknüpf!:: die Frage nach der Entwicklung des Dichters. Immer wieder werfen ·KrnsSLING-HEINZE. und andere Interpreten die Frage auf, ob die Gedichte der Odensammlung, die im Jahre 23 v. Chr. erschienen sind, einer früheren oder späteren Entwicklungsstufe angehören. Ich bestreite nicht, daß die Datierung ein wirkliches Problem ist und bleibt. Aber es ist ein zweitrangiges Problem, das die Aufmerksamkeit der Interpreten über Gebühr in Anspruch nimmt. In der Mehrzahl der Fälle ist es unlösbar, und das ist kein allzugroßer Nachteil. Beschämend aber ist, daß die Interpreten, um eine Datierung zu erzwingen, mit Argumenten operieren, die alles andere als überzeugend sind; So kann HEINZE den pessimistischen Ton der 6. Römerode nur dadurch erklären, daß 5

P. VALERY,Villon et Verlaine, Bibliotheque de la Pleiade, CEuvres 1, 428: Que me font les amours de Racine? C'est Phedre qui m'importe.

12

Einleitung

er sie in die Bürgerkriegszeit vor Actium. datiert, während sie doch in der von Horaz publizierten Sammlung den Zyklus der Römeroden abschließt und so an markanter Stelle erscheint, von dem Dichter also keineswegs als irrelevant angesehen wurde. Was aber zwingt uns dann •überhaupt, eine frühere Entstehung anzunehmen? In der Öde c. 2,5 nondum subacta soll Horaz jünger sein als in dem vorangegangenen Gedicht, wo er sich als Vierzigjährigen bezeichnet: "Als Vierziger", so meint HEINZE,"würde er schwerlich mehr so sicher darauf rechnen, die junge Lalage (die er mit einer unreifen Traube vergleicht) in einigen Jahren sein nennen zu können." Hier scheinen nicht nur die Gesetze der Logik, sondern auch der Lebenserfahrung außer Kraft gesetzt zu sein. Auch Ed. FRAENKELslebendiges, anschauungsgesättigtes, · die antike Tradition souverän beherrschendes, an Beobachtungen reiches Horazbuch (1957, Oxford Paperbacks 1966, deutsche Ausgabe 1963) ist von der Entwicklungsidee beherrscht. Er versucht nachzuweisen, daß Horaz sowohl im Ganzen wie innerhalb der von ihm gepflegten Gattungen Entwicklungen durchgemacht habe, die FRAENKEL, das Modell des Entwicklungszwanges mit der Frage nach der Abhängigkeit der römischen Literatur von der griechischen verknüpfend, dahingehend interpretierte, daß Horaz sich von stärkerer Abhängigkeit zu größerer Selbständigkeit entwickelt habe, darin unbewußt dem Vorurteil recht gebend, daß die Griechenabhängigkeit der Römer Ausdruck einer Schwäche · sei und ein römischer Dichter um so römischer, um so reifer, um so größer sei, je mehr er sich von den Griechen entferne. In Wirklichkeit ist die Verschmelzung von Griechischem und Römischem bei Horaz wie bei Virgil sowohl .in den frühesten wie· in den spätesten Gedichten zu finden6• Hierauf kann jedenfalls die 'Entwicklung', worin immer sie sonst liegen mag, nicht begründet werden. Dabei spielt auch das zählebige, vom romantischen Originalitätsbegriff sich herleitende Fehlurteil hinein, daß die Obernahme vorgeformten Materials Ausdruck eines künstlerischen Mangels sein müsse. Unter dem Zwang dieses Vorurteils, das so schwer aus dem Wege zu räumen ist, hat nicht nur die Interpretation der römischen Dich6

Vgl. V. PöSCHL, ,,Grundzüge der augusteischen Klassik", Das Bildungsgut der Gymnasien, Klass. Reihe V, München 1970.

Einleitung

13

tring, sondern auch der griechischen zu leiden. So suchte beispielsweise WILAM0WITZUnvollkommenheiten bei Euripides aus der Übernahme fremden Gutes zu erklären. Wo man Quellenübernahme feststellte, war man mit dem Verdachtrasch zur Hand, daß das übernommene unvollkommen integriert sei. Heute hat sich das grundlegend gewandelt. Auch wir notieren Quellen und tralatizische Elemente, aber mehr in der Absicht, das Schöpferische an der Verwandlung des Vorgeformten zu zeigen. Doch bricht das alte Vorurteil immer wieder durch. So schwer können wir uns von der Bewunderung des Einmalig-Individuellen trennen. Für das antike Schrifttum und ganz besonders für das römische gilt, was HOFMANNSTHAL für das französische formulierte: ,,Der Ehrgeiz ist nicht darauf gerichtet, abzustechen, sondern die traditionellen Forderungen zu erfüllen. Ein großer Beobachter hat es ausgesprochen, daß bei jenem Volk die Zucht des persönlichen Ausdruckes über das Hinreißende der Einmaligkeit gestellt wird und dem Kunstwerk gegenüber richtet sich die Aufmerksamkeit nicht auf das biographische Mysterium, sondern auf das aus der Leistung abnehmbare Gesetz." 7 Durch die Sehweise, die das Kunstwerk nicht als Kunstwerk zu erblicken verm·ag, wird unübersehbarer Schaden angerichtet. Alles wird verzerrt, alle Gewichte und Akzente verschieben sich, man spekuliert über Dinge, die man nicht wissen kann, über andere, über die viel zu sagen wäre, schweigt man. Man will präziser ·sein als der Autor, unablässig erpreßt man ihm Aussagen, die er nicht hergeben kann und will. Wer sich von dieser Sehweise nicht zu befreien vermag, wird weder das Kunstwerk noch die Interpreten verstehen können, die sich um eine neue Optik bemühen. Wie aber kam es zu einer solchen Sehweise, die wir als dem W esen des Kunstwerks inadäquat empfinden? Schuld daran ist vor allem, daß der wissenschaftlich Begabte in der Regel keinen echten Sinn für die Dichtung hat. ,,Mit der Dichtung ist es so wie mit Gott", sagt. VALERY,,,es gibt Menschen, für die sie keinerlei Wert besitzt, und andere, für die sie von unendlicher Bedeutung ist ·. . . Unter denen aber, die keine große Neigung zur Dichtung haben, die ihrer 7

HOFMANNSTifAL,

IV, 1955, 391 ff.

Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation, Prosa

14

Einleitung

nicht bedürfen, die sie nicht erfunden hätten, finden sich unglücklicherweise viele, deren Aufgabe es ist, über sie zu urteilen, und sie setzen alle ihre Intelligenz und allen ihren Eifer für diese Aufgabe ein. Die Folgen sind zu fürchten. " 8 Eine andere Ursache liegt in dem Wissenschaftsbegriff des 19. Jahrhunderts, der im wesentlichen von den Forderungen der Geschichtswissenschaft bestimmt war. Man war der Meinung, daß es vor allem darauf ankomme, die äußeren Fakten der Vergangenheit zu rekonstruieren, und schreckte nicht davor zurück, auch Gedichte hierfür auszubeuten. Charakteristisch ist, wie MoMMSENin seiner Kaisergeburtstagsrede des Jahres 1889 vor der preußischen Akademie der Wissenschaften Horaz interpretierte. In der zweiten Römerode, die virtus und fides preist, sieht er die Tugenden der Soldaten und der „neuen kaiserlichen Verwaltungsbeamten, die vor allem bei der Steuererhebung verwendet wurden" dargestellt. Das entnimmt er dem Lob, das der Dichter schweigsamer Treue zollt: est et fideli tuta silentio merces (c. 3,2, 25 f.). Er bezieht es auf die Verschwiegenheit des Steuereinnehmers. Dem Dichter seien diese Verwaltungsbeamten freilich nicht bequem gewesen, Amtsführung und Gewissenhaftigkeit zu besingen sei schwierig. In Wahrheit bewegt sich die Mahnrede des Horaz auf einer ganz anderen, höheren, prinzipielleren Ebene. MOMMSEN hat die Sphäre des Gedichtes verfehlt. Die gleiche Verkennung lassen die literarischen Urteile in seinen Vorlesungen erkennen, die Viktor EHRENBERG veröffentlicht hat. MoMMSENsgroteske Fehlinterpretation ist nicht nur im allgemeinen Sinne aufschlußreich. Sie deutet auf eine der wichtigsten Ursachen des Irrwegs hin, den die philologische Auslegung des Sprachkunstwerks eingeschlagen hat. Sie liegt in dem Übergewicht, das das Historische, das Biographische, das Faktische - meist in einem recht äußeren und banalen Sinne genommen - erlangt hatte. Die auf die Rekonstruktion vergangener Welten in ihrer äußeren Faktizität gerichtete Geschichtswissenschaft übte eine so suggestive Wirkung auf das allgemeine Bewußtsein aus, daß auch der ohnehin schwerer zugängliche Bereich des Ästhetischen von ihrem Sog erfaßt wurde. Innerhalb der philologischen Wissensch;tll:wurde die Inter-

8

P. VALERY, a. 0., Bd. 1, 1283.

Einleitung

15

pretation des Sprachkunstwerks als Aufgabe eigenen Rechtes gar nicht begriffen und zu einer Sparte der Geschichtswissenschaft erniedrigt. Wo vom Ästhetischen dennoch die •Rede war - und das war merkwürdig oft der Fall -, .war das Urteil von erschreckender Verblasenheit. über Begriffe wie schön, geschmacklos, lyrische Höhe und dergleichen kam• man selten hinaus •. Aber auch in die Kunst jenes Zeitalters drang das Interesse am Faktischen in Gestalt des sogenannten Naturalismus ein und deformierte die.redenden und bildenden Künste. Es ist wichtig, dies zu erkennen, weil wir heute Analoges erleben. Auch heute sind, wenn auch unter andern Vorzeichen, in ·Kunst und Wissenschaft Bestrebungen mächtig, Kunst auf Nichtkunst zu reduzieren, Das macht sich sowohl bei der Deutung wie bei der Herstellung von Kunstwerken bemerkbar. Heute ist es die Faszination der Soziologie und der Psychologie, die nicht nur eine durchaus erwünschte Hilfestellung zur Erklärung von Kunstwerken leisten wollen, sondern im Begriffe sind, in alles be.herrschende Stellungen vorzudringen, wodurch das Kunstwerk erneut verarmt und verödet. Auch das Vordringen statistischer und strukturalistischer Methoden ist nicht weniger geeignet, das Kunstgebilde zu zerstören, als die groben Verzerrungen einer positivistischen Geschichtswissenschaft, gegen die die Erklärung von Dichtung so lange zu kämpfen hatte. Um so wichtiger ist es, die richtige Optik zu finden, durch die das Kunstwerk, wie von einem Zauberstabe berührt, Leben und Wahrheit gewinnt. Die Poesie bedarf eines Lesers, der imstande ist, zu 'supplieren', der die Andeutungen des Dichters versteht und mit seiner Phantasie erfüllt. Das Gedicht, besonders das lyrische, bedarf seiner wie das Drama des Schauspielers, der die Räume füllt, die der Dichter, so wie es HOFMANNSTI-IAL beschrieben hat, bewußt offen gelassen hat. Freilich ist die Gefahr groß, an die Stelle einer vom Dichter geleiteten Phantasie, die die poetischen Bilder, Klänge und Gedanken in ihrer Bedeutung zu erschließen oder wenigstens zu erahnen vermag, schweifendes Phantasieren oder rationalistisches Allegorisieren zu setzen, das im Gedicht selbst keinerlei Stütze findet, wie es heute so betrüblich oft geschieht. Nur sorgfältiges Hinho.rchen und große Behutsamkeit kann da helfen. Ich war bei meinen Interpretationen bestrebt, so vorsichtig als möglich zu sein. Aber ich habe mich auch bemüht, den Andeutungen des Dichters, die sich aus der Metaphorik der Bilder-

16

Eir,leitung

sprache, aus dem .Stil, der Bauform, der musikalischen Bewegung des Gedichtes ergeben, nachzugehen. Dies ist wahrlich keine leichte Aufgabe, und es ist möglich, daß der Interpret in die Irre geht. Doch ist schon viel erreicht, ·wenn es gelingt, den Blick für die dichterische Eigenart der horazischen. Lyrik zu eröffnen, das Gehör für seine subtile und doch so eindringliche Sprache zu schärfen und so seiner Wahrheit näher zu kommen. In der Vergegenwärtigung, die wir zu leisten suchen, k:ann sich dann etwas von der Kraft entbinden, die der Dichter in das monumentum aere perennius seiner Gesänge eingeschlossen hat. Ihm ist diese geheimnisvolle Kraft. aus der Krise der rön;,.ischenRevolution -zugewachsen,.die sich bei ihm in den · Willen umsetzte, zur Neugestaltung des politischen Lebens und des persönlichen Daseins im augusteischen Rom das Seine beizutragen. Der in der kristallenen Form der horazischen Ode vergeistigte Lebensstoff, die Gesamtschau menschlichen und politischen Daseins, die seine Poesieleistet, die Fülle des Lebens, die in sie eingeströmt ist, kann auch für uns immer wieder eine Qµelle det Freude und der Selbsterkenntnis sein. •

c. 1,5* 1

Quis multa gracilis te puer in rosa perfusus liquidis urget odoribus grato, Pyrrha, sub antro? cui flavam religas comam

2

simplex munditiis? heu quotiens fidem mutatosque deos flebit et aspera nigris aequora ventis emirabitur insolens,

3

qui nunc te fruitur credulus aurea, qui semper vacuam, semper amabilem sperat, nescius aurae fallacis. miseri, quibus

4

intemptata nites: me tabula sacer votiva paries indicat uvida suspendisse potenti vestimenta maris deo.

5

10

15

·,. Für die Horaztexte wurde die Ausgabevon F. KLINGNER, Leipzig31959, benutzt.

c. 1,5 1 Welcher schmächtige Knabe bedrängt dich von vielen Rosen um-

geben, von wohlriechenden Salben benetzt, Pyrrha, in der willkommenen Grotte? Wem bindest du das blonde Haar zurück,

2 einfach in deiner schmucken Eleganz? Ach, wie oft wird er über

die Treue und die veränderten Götter weinen und wird staunen über die von den schwarzen Winden aufgerauhten Fluten, ihrer nicht gewohnt, 3 er, der vertrauensselig jetzt dich, die goldene, genießt, der hofft,

du würdest immer frei für ihn sein, immer liebenswürdig, nicht wissend, wie der günstige Wind trügerisch ist. Arm die, denen

4

du unerprobt glänzest: von mir berichtet die heilige Wand mit der Votivtafd, daß ich die feuchten Gewänder dem mächtigen Gotte des Meeres aufgehängt habe.

GOETHEhat dem an LANGERübersandten Exemplar seiner Leipziger „Neuen Lieder in Melodien" handschriftlich als Motto die Schlußverse der Pyrrha-Ode (,,Me tabula ... deo") gegeben. In seinem Brief sagt er dazu: ,,Lesen Sie doch die ganze Ode des Horaz, woraus das Motto genommen ist. Die fünfte im ersten Buch, das ist der Geist meiner Lieder. " 1 Wie GOETHEsich von dem Gedicht angesprochen fühlte, so auch die Übersetzer, wie die reizvolle Zusammenstellung von 451 Über2 zeigt, die zu manchen aufschlußreichen setzungen durch R. STORSS Betrachtungen Anlaß geben könnte. Aber soviel Aufmerksamkeit die Pyrrhaode bei den Übersetzern gefunden hat, so wenig ist sie von der gelehrten Forschung beachtet worden. Das Gedicht ist in seiner schlichten Einfachheit und klaren Gedankenführung so überzeugend, daß es nicht viel Erklärung zu erfordern scheint. Aber gerade das scheinbar Einfache ist im Bereiche der Klassik ein Ergebnis höchster Kunst und raffinierter Überlegung. Auch ist das Gedicht das erste Liebesgedicht der Sammlung. Es ist daher zu vermuten, daß es programmatischen Charakter hat. Die erste Strophe schildert in leuchtenden Bildern und einer höchst kunstvollen Sprache eine intime Liebesszene: ein schmächtiger3 Knabe umwirbt Pyrrha im Schutze einer Grotte. Für den Glanz der Sprache sind die Hyperbata l;,ezeichnend (wenn man die Sperrung te-Pyrrha mitrechnet, sind es sechs) und die abbildende Wortstellung: Das Mädchen (te) ist von dem Knaben umfangen (gracilispuer) und der gracilis puer von der Fülle der Rosen: Quis multa gracilis

1

2

3

te puer

in rosa.

Vgl. Ernst MAASS, Die 'Venetianischen Epigramme', Jb. d. GoetheGes. 12 (1926), S. 68-92, auf S. 86 f. R. STORRS, Ad Pyrrham, A polyglot Collection of Translations of Horace's Ode to Pyrrha (Book I, Ode 5) assembled with an introduction, London 1959. 'Gracilis' ist als Ausdruck seiner schmachtenden Leidenschaft zu verstehen. Liebhaber magern ab. Prop. 1,5,22. 2,22,21. Ovid kommt auch durch eine halbgeöffnete Tür: longus amor tales corpus t e n u av i t in usus (am. 1,6,3).

Quis multa gracilis

21

Ebenso ist Pyrrha dann von der Liebesgrotte umgeben: grato Pyrrha'sub antro. Düfte und Farben, Rosen und Salben, die Grotte mit ihret Heimlichkeit und Kühle werden aufgeboten, um eine schwelgerische Stimmung hervorzurufen, eine von Freude, Glück und Erwartung erfüllte Atmosphäre. Zwischen den Partnern besteht jedoch ein bemerkenswerter Unterschied. Der Knabe ist von Rosen umgeben, von duftenden Salben übergossen, Pyrrha aber wirkt nur durch sich selbst. Sie hat ihr blondes Haar aufgebunden, simplex munditiis 4 : einfach und ungekünstelt wirkt sie durch die Reize ihrer schmucken Aufmachung, den natürlichen Glanz ihrer gewinnenden Anmut und Schönheit. Mit Bedacht ist der Plural munditiis gewählt, der dem Wort eine größere Ausdruckskraft und Bedeutungsfülle verleiht. Der Aufwand, den der Knabe betreibt und der offenbar seiner Werbung Nachdruck verleihen soll, deutet an, wieviel ihm an Pyrrhas Gunst liegt. Die simplicitas der Pyrrha aber ist von Absicht nicht frei, wie der Dativ cui religas comam verrät. Die Hoffnungen des Knaben, die seine Werbung beflügeln, erweisen sich durch die Aussagen der folgenden Strophen als ebenso trügerisch wie Pyrrhas simplicitas, ein Wort, das sich auf die äußere Aufmachung des Mädchens bezieht, aber zugleich auch Aufrichtigkeit, Unschuld und Arglosigkeit, wenn auch zu Unrecht, evozier~. Der leuchtende Glanz der Eingangsstrophe gerät durch die folgende Desillusionierung in ein ironisches Licht. Mit heu setzt die von Mitleid und Ironie erfüllte Klage des Dichters ein, der sich ausmalt, welche Erfahrungen dem ahnungslosen Liebhaber bevorstehen., Diese zweite Strophe ist durch einen starken Kontrast zu der vorangehenden gekennzeichnet: Dem glücklichen Liebeswerben wird das Weinen des Knaben und sein fassungsloses Entsetzen ge4

5

STORRS, a. 0. 21 ff., bemerkt hierzu: the translator's despair. Everybody knows, but nobody can say, exactly what it means. Er gibt eine kritischeübersieht verschiedenerObersetzungsversuche. Die Geschichtedes Begriffessimplicitas hat 0. HILTBRUNNER, Latina Graeca, Bern 1958, 15-105, geschrieben.Seite 53, Anmerkung 26, erklärt er das Wort simplex der Pyrrahode mit inornata. Es enthält jedoch alle Implikationen, die HILTBRUNNER in seinen Darlegungen so eindrucksvollbeschreibt.

22

c.1,5

genübergestellt, der Ruhe eine größere Bewegtheit, dem Idyll das Toben, den lichten Farben der Rosen und des blonden Haares das Schw~rz des Seesturms, den Epitheta der Lieblichkeit (grato) und des Fließenden (liquidis) das Rauhe (aspera). Dem kunstvollen Satzbau steht ein wesentlich kunstloserer gegenüber, dessen einfache Fügung nur durch das aspera nigris aequora ventis unterbrochen wird, wo die Sperrungen offenbar die Unruhe und Verwirrung des tobenden Meeres malen sollen. Aus der Sphäre des Sichtbaren treten wir in den Bereich des Gedanklichen, Moralischen, Religiösen hinüber, aus dem Bereich des Faktums in den der Deutung, aus der Gegenwart in die Zukunft. Die fides, die Treue, für die die simplicitas des Mädchens Gewähr zu bieten schien, ist dahin. Um den Kontrast zu verschärfen, schließt sich die entschwundene fides unmittelbar an die simplicitas an. »Die Götter haben sich geändert", eine Welt ist zusammengestürzt, die fest gegründet schien. Zu seinem immer neuen Erstaunen wird der jetzt noch so glückliche Liebhaber ein stürmisches Meer vor sich sehen: Der Vergleich zwischen Frau und Meer klingt hier zuerst auf, der ein Grundmotiv des Gedichtes bildet. In einem angeschlossenen Relativsatz lenkt dann die dritte Strophe in neuem Kontrast wieder zu den gegenwärtigen euphorischen und naiven Hoffnurigen zurück, die nun freilich in ihrer Hinfälligkeit transparent geworden sind. Die einfache Harmonie der Sätze (kein Hyperbaton), die schlichten Metaphern malen das allzu unkomplizierte Glück, dessen sich der Tor sicher glaubt. Die Geliebte, deren Gunst er genießt, wird mit einem Kosewort der Liebessprache als aurea6 bezeichnet, aber eben dieses aurea wird klanglich irrational mit der aura verbunden 7, die als fallax bezeichnet wird. Der geschickt gewählte Begriff schließt die beiden Vergleichsobjekte noch enger zusammen. Bezeichnet er doch zugleich die günstige Brise, den freundlichen Fahrwind, von dem für den antiken Reisen8

7

So auch Properz 4, 7, 85. Das Wortspiel aurum-aura findet sich auch bei Virgil, Aeneis, 6,204: discolor unde auri per ramos aura refulsit. Von allen Beispielen, die E. NORDENin seinem Kommentar hierzu anführt, kommt, wie er selbst bemerlct, unsere Horazstelle dem Virgil am nächsten. Zu dem Wortspiel vgl. Steele CoMMAGER, The Odes of Horace. New Haven and London 1962, S. 66-67.

Quis multa gracilis

23

den soviel abhängt, wie die Gunst von Frauen und Volk (popularis aura): Die Metaphorik des Gedichtes ist also in diesem lateinischen Wort berejts vorgebildet. Freilich ist die aura trügerisch, und arm sind die Menschen, die Pyrrhas Gunst vertrauen: miseri, quibus intemptata nites.

In der zweiten Strophe wurde das Meer in seinen unfreundlichen Aspekten metaphorisch verwendet, um Pyrrhas Launen, ihre Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit zu veranschaulichen. Jetzt aber wird umgekehrt Pyrrha in einer Weise bezeichnet (quibus ; .. nites), die auch auf den trügerischen Glanz des im schimmernden Lichte daliegenden Meeres paßt8. Der metaphorische Bezug wird dadurch noch enger. Der Satz miseri etc. enthält die Quintessenz alles Bisherigen. Er klingt beinahe wie eine Sentenz. Nun aber nimmt das Gedicht erneut eine überraschende Wendung. Der Dichter, der als redendes, Ironie und Mitleid empfindendes Ich von Anfang an zugegen war, spricht nun von seinen eigenen Erfahrungen: Er ist aus schlimmer Seenot gerettet worden und hat seine feuchten Kleider dem Herrn des Meeres an einer Tempelwand geweiht, wovon die Votivtafel kündet. Diese überraschende Offenbarung (der Dichter selbst ist oder war der Betroffene) hat eine gewisse Parallele in c. 4, 1, wo wir am Schluß von der hoffnungslosen Liebe des Dichters zu dem jqngen Ligurinus erfahren. Es verrät galanten Takt, daß der Dichter hier, wo er Unfreundliches von Pyrrha zu berichten hat, dies nur indirekt tut. Sie wird hier ebenso wenig ausdrücklich genannt wie in der zweiten Strophe, wo der Jüngling voll Staunen und Entsetzen auf das stürmische Meer schaut. Dagegen wird sie dort angeredet, wo von ihrem freilich trügerischen - Glanz die Rede ist: quibus intemptata nites. Die Schlußstrophe steht in genauem Bezug zur Anfangsstrophe. Dies zeigt schon die an gleicher Versstelle stehende Antithese te-me. Sie ist mit ihr auch dadurch in der Struktur des Gedichtes unlösbar verknüpft, daß sie reich an Sperrungen ist (ebenfalls sechs oder sieben, wenn man das zusammengehörige potenti-maris ebenfalls als 8

Vielleicht kann man sagen, daß auch schon das Wort aurea, das zunächst nur auf Pyrrha gemünzt ist, sich in gewissem Sinne der Meeresmetaphorik einfügt und nites, das Leuchten des Meeres im goldenen Glanz, dadurch vorbereitet wird.

24

c.1,5

}Iyperbaton rechnet). Dadurch sind die Außenstrophen von den viel einfacher gebauten, sperrungsärmeren, weniger bildkräftigen Binnenstrophen auch formal deutlich unterschieden. Während die Außenstrophen uns ruhige Bilder von großer Fülle und Dichte vor Augen stellen, sind die Binnenstrophen dynamischer, dramatischer. Die Bilder der Außenstrophen sind hintergründiger, konzentrierter, vielschichtiger als die einfachen Aussagen der Binnenstrophen. Sie verhalten sich wie Synthese zu Analyse. Ihrem kunstvolleren Stil entspricht auch ein komplizierterer, mehrschichtiger Inhalt. Die Außenstrophen selbst sind wieder in sich differenziert und bilden einen klaren Gegensatz. Der seligen Liebesszene entspricht die Erinnerung an schlimme Seenot, der Liebesgrotte der Tempel, dem schlanken, unerfahrenen Knaben der weise, gereifte Dichter. Aber das Erfreuliche birgt für den Knaben Bitteres, während dem Dichter aus dem Bitteren heitere Befreiung und weise Einsicht erwächst. Der heiteren Gegenwart, der eine bittere Zukunft bevorsteht, wird eine Stimmung gegenübergestellt, die eine bittere Vergangenheit überwunden hat und deren Heiterkeit darum von Dauer ist. Der doppelte Gegensatz der Außenstrophen (Glanz-Schiffbruch; Torheit-Einsicht) veranschaulicht gleichsam den Satz des Plinius (Panegyricus 5,9): Habet has vices condicio mortalium, ut adversa ex secundis, ex adversis secunda nascantur. Occultat utrorumque semina deus, et plerumque bonorum malorumque causae sub diversa specie latent. Während die Pracht des Stils in der ersten Strophe die festlich schwelgerische Atmosphäre malt, unterstreichen die Verschränkungen der Schlußstrophe und die durcp sie erreichte feste, gleichsam geschmiedete Fügung des Satzes den feierlich verhaltenen Charakter der Kuhszene, der Weihung der Votivtafel im Tempel. Festund Kultszenen, Fest- und Kultmetaphern sind immer wiederkehrende Grundelemente der horazischen Odendichtung. Das Festliche l).nd Religiöse, das ihr eignet, läßt sich in solchen Bildern und Szenen am deutlichsten fassen. Der Festcharakter, den Helmut KuttN9 als dem Kunstwerk als solchem inhärent erweist, prägt die klassische Lyrik des Horaz in besonderem Maße. Der Bau des Gedichts ist also erstens dadurch bestimmt, daß jede Strophe einen Gegen9

Wesen und Wirken des Kunstwerks, München 1960, 70f.

Quis multa gracilis

25

satz zur vorangegangenen bildet, zweitens, daß die Außenstrophen mit den Binnenstrophen und drittens die Außenstrophen und die Binnenstrophen unter sich kontrastieren. Auf diesen dreifachen sich ergänzenden Kontrasten beruht die festgefügte Architektur des Gedichtes. In ihnen sucht der Dichter das Ganze der Erscheinung der Liebe zu fassen: Werbung und Erhörung, Glück und Hoffnung, Enttäuschung und Verzicht. Ebenso bedeutsam für die Komposition der Ode ist eine andere Beobachtung. Das Gedicht bewegt sich von einem glanzvoll freudigen, festlichen, glückerfüllten Bild zu einer strengen, nüchternen, verhaltenen Kultszene, einer Weihung, die dem Gott Dank für die Rettung aus Seenot sagt. Das Glück des Genusses erweist sich als höchst vergängÜche Illusion. Das wahre Glück hingegen besteht in der Erkenntnis, daß die Befreiung von der Leidenschaft und der Verzicht Rettung und Erlösung bedeuten kann. Der Dank an den Gott zielt in tieferem Sinne auf diese Erkenntnis. Der Weg aber, den das Gedicht geht, vom scheinbar glanzvollen, genußerfüllten Augenblick zu weisem Verzicht und lächelnder Erkenntnis, ist der gleiche, den auch andere Horazgedichte gehen. So beginnt die große Maecenasode (c. 3,29) 10 mit einem prunkvollen Symposion, zu dem der Dichter den hohen Freund einlädt, und endet mit der völligen Einsamkeit des Dichters, der auf alle Güter des Lebens zu verzichten bereit ist und der nun nach dem Zusammenbruch seines Glückes auf einem zweirudrigen Rettungsboot durch die Stürme des Meeres fährt, von den Dioskuren freundlich beschützt. Hier wird in den gleichen kontrastierenden Metaphern von Fest und Schiffbruch eine Lebensweisheit verkündet, die Lehre, daß man Fortunas Gunst als erfreuliche Gabe dankbar genießen soll, aber auch bereit sein muß~ auf sie zu verzichten, wobei es darauf ankommt, in den unverlierbaren inneren Gütern das wahre Glück zu sehen. Einen ähnlichen Weg führt uns auch die Ode Laudabunt alii (c. 1, 7) 11• Dort wird der Pracht der griechischen Städte, die durch Geschichte und Mythologie verklärt sind, der stillere Glanz Tiburs gegenübergestellt. Aber 10 11

Vgl. u. S.198-245. Vgl. V. PösCHL,Ovid und Horaz,RCCM 1, 1959, 15-25.

26

c.1,5

auch Tibur, der Sitz des Dichters, scheint zum wahren Glück nicht notwendig. ·nenn selbst der unglückliche Teucer wußte noch einen kurzen Augenblick des Glückes zu genießen, als er nach langem Krieg in ·seine arme Heimat Salamis zurückgekehrt, von seinem Vater verstoßen, sie wieder verlassen muß: nunc vino pellite curas: cras ingens iterabimus aequor (3lf.).

Alle drei Gedichte schreiten vom festlichen Glanz zur Einsamkeit des Verzichtes, der gleichwohl vom inneren Lichte der Weisheit erfüllt ist, und der Verzicht wird in den Sinnbildern des Schiffbruchs und der gefährlichen Meeresfahrt veranschaulicht. In der Maecenasode (3, 29) wie in unserer Pyrrhaode weiß sich der Dichter gerade 'dort, wo er scheitert und das Scheitern durch Einsicht überwindet, in der Obhut der Gottheit. Darum ist deo 12 dort, wo er lächelnd verzichtet, das letzte Wort des Pyrrhagedichtes, wie die Dioskuren (geminusque Pollux) die Maecenasode beschließen. Die Bilder des Schiffbruchs und der von freundlichen Göttern bewerkstelligten Rettung sind Metaphern für die äußere Rettung des Dichters und für die innere Erlösung, die sich dadurch vollzieht, daß er Erkenntnis und wahre Weisheit gewinnt. Das Gedicht schreitet also von der glanzvollen Illusion zur nüchternen Wahrheit, über der das Licht göttlicher Einsicht leuchtet. Der Irrtum aber ist, so scheint es, zur Wahrheit notwendig. Für die Pyrrhaode des Horaz gilt das Wort des Novalis: ,,Alle Illusion ist zur Wahrheit so wesentlich wie der Körper der Seele. Irrtum ist das notwendige Instrument der Wahrheit. Mit dem Irrtum mache ich Wahrheit. " 13 Diese Weisheit aber ist in unserem Gedichte wie in der Maecenasode mit der epikureischen nahe verwandt. Daß in der Pyrrhaode die Einstellung des Dichters zur Liebe14 programmatisch ausge12

13

14

ZIELINSKisÄnderung in deae, die R. G. M. N1sBETwieder aufnimmt, Romanae fidicen lyrae: The Odes of Horace, Critical Essays on Roman Literature, edited by J. P. SULLIVAN,London, 1962, ist abzulehnen. Deo ist allgemeiner, distanzierter, als es der Hinweis auf Venus wäre. In der Ausgabe von E. WASMUTH,Heidelberg 1957: Fragmente Nr. 208 = KLUCKHOHN-SAMUEL, Leipzig 1928: Nr. 803. Ich würde es nicht für ausgeschlossen halten, daß durch den Namen der Pyrrha die Erinnerung an Pyrrha und Deukalion wachgerufen

Quis multa grac:ilis

27

drückt werden soll, hat schon R. HEINZE erkannt; in seinem Kommentar bemerkt er: ,,Mit Bedacht hat Horaz, um den Abstand seiner Erotik von der schmachtenden Liebespoesie der Elegiker zu betonen, als erstes Gedicht dieser Gattung eines gegeben, das auf glücklich überstandene Liebesnot befreiten Gemüts zurückblickt." Aber man muß hinzufügen, daß es sich um eine epikureisch gefärbte Weisheit handelt, die hier programmatisch verkündet wird. Es wird sehr deutlich gesagt, daß der Liebende - wenigstens in Pyrrhas Fall - notwendig einer Täuschung unterliegen muß. Die Täuschung erkannt zu haben und sich dadurch von der Leidenschaft zu lösen, ist die Rettung, die dem Dichter beschieden war, nachdem er ihr nicht weniger als der gracilis puer erlegen war. Liebe ist Täuschung: Das war die bittere Lehre des Epikureers Lukrez im vierten Buche seines Werkes De rerum natura. Es ist die gleiche Weisheit, die Horaz in dem Gedichf an Tibull (c. 1,33) verkündet. Tibull wird in seiner unglücklichen Liebe zu Glycera dadurch getröstet, daß der Dichter ihn auf die unglückliche Liebe der Lycoris zu Cyrus hinweist, dessen Herz der Pholoe gehört, die ihn ihrerseits nicht erhören wird. Vor allem aber wird er getröstet durch das eigene Schicksal des Horaz, der einst in blinder Liebe zu Myrtale befangen war, die ihm dann so bittere Enttäuschung bereitete, zu einer Zeit, als ihm ein größeres Liebesglück vergönnt gewesen wäre (ipsum me melior cum peteret Venus). Zu dieser Ode steht die Pyrrhaode auch kompositionell in festem Bezug. Schon Walter Wm 15 hatte erkannt, daß die Oc;l.e(3, 26), die fünftletzte der Sammlung, der Pyrrhaode, die an fünfter Stelle steht, kompositionell entspri~t. Auch dort ist von einer Weihung die Rede, diesmal ari Venus: Der Dichter weiht seine Liebesleier und Gegenstände, deren der jugendliche Liebhaber bedarf, Fackeln, Brechstangen und Bogen, im Tempel und drückt damit aus, daß er von der erotischen Dichtung Abschied nimmt. Aber noch enger ist der Bezug zu dem sechstletzten Gedicht des ersten Buches (c. 1,33), der Tibullode.

15

werden soll. So würde die in dem Gedicht genannte Pyrrha als Prototyp der Frau (sozusagen gleich Eva) erscheinen. Nach einer Sagenversion war Pyrrha die Tochter der Pandora. Zum Pyrrhamythos vgl. Marie DELCOURT, Pyrrhos et Pyrrha, Recherches sur les valeurs du feu dans les legendes helleniques, Paris 1965. Horaz und die augusteische Kultur, Basel 1948, S. 182.

28

c.1,5

Auch hier ist das Thema die Erkenntnis, daß die Liebe Täuschung ist. Aber die Weisheit des Dichters erschöpf!: sich nicht in dieser Erkenntnis. Sie unterscheidet sich von der bitteren epikureischen Lehre durch die heitere Gelassenheit und tiefe Menschlichkeit, mit der er an sich selbst und andern das Schicksal der Liebe in seiner Süße und Bitterkeit dankbar erfährt. Er kommt so der Wahrheit näher als Lucrez. Die Pyrrhaode ist wie das Tibullgedicht ein Versuch, die Liebe in 'ihrem Wesen zu erfassen. Die sich gegenseitig im Gleichgewicht haltenden Kontraste, die die Struktur der Ode bestimmen, sind ein Ausdruck der ausgewogenen Gerechtigkeit, mit der der Dichter den Erscheinungen des Lebens entgegentritt 16 • 16

Zur Pyrrhaode auch Kenneth QUINN, Horace as a love poet. A reading of Odes, 1,5. Arion 11,3 (1963), S. 59-77.

c. 1,9 ... Vides ut alta stet nive candidum

1

Soracte nec iam sustineant onus silvae laborantes geluque flumina constiterint acuto. 2

dissolve frigus ligna super foco large reponens atque benignius deprome quadrimum Sabina, o Thaliarche, merum diota.

3

permitte divis cetera, qui simul stravere ventos aequore fervido deproeliantis, nec cupressi necveteres agitantur orni.

4

5

6

quid sit futurum cras, fuge quaerere, et quem Fors dierum cumque dabit, lucro adpone, nec dulcis amores speme puer neque tu choreas, donec virenti canities abest morosa. nunc et campus et areae lenesque sub noctem susurri conposita repetantur hora, nunc et latentis proditor intumo gratus puellae risus ab angulo pignusque dereptum lacertis aut digito male pertinaci.

5

10

15

20

c. 1,9 1 Siehst du, wie in hohem Schnee weißglänzend der Soracte steht

und wie nicht mehr ertragen die Last die sich mühenden Bäume und im Frost die Flüsse zum Stehen gekommen sind, im scharfen.

2

Löse die Kälte, Hölzer reichlich übers Feuer legend, und freigebiger schöpfe den vierjährigen Wein, o Thaliarch, aus der sabinischen Amphore.

3

überlasse den Göttern das übrige. Sobald sie einmal die Winde, die über dem brandenden Meer kämpfen, niedergeworfen haben, werden weder die Zypressen noch die alten Eschen bewegt.

4

Was morgen sein wird, meide zu fragen, und, welchen Tag immer der Zufall schenkt, rechne ihn dem Gewinn zu und verschmähe süße Liebe nicht als junger Bursche und nicht Tänze,

5

solange dir, der in Jugend grünt, das Grau noch fern ist, das mürrische. Jetzt soll man das Marsfeld und Plätze und sanftes Flüstern beim Einbruch der Nacht aufsuchen,

6 jetzt ist des verborgenen Mädchens verräterisches Lachen, das

. vom innersten Winkel herkommt, willkommen und das Pfand, das ihrem Arm entrissen wird oder dem Finger, der sich nur schlecht wehrt.

Die Soracteode ist, wie die meisten Horazoden, ein scheinbar einfaches, in Wahrheit schwieriges Gedicht, denn ihre Form beruht auf einer höchst kunstvollen und subtilen Struktur. Diese Struktur aufzudecken, ist eine ebenso diffizile wie reizvolle Aufgabe. Wie schwierig die Ode ist, geht im übrigen auch aus den zahlreichen Arbeiten hervor, die ihr namentlich in den letzten Jahren gewidmet waren und die zum Teil zu recht verschiedenen Ergebnissen gekommen sind 1• Nicht nur die Deutung, sondern auch die Bewertung des Gedichtes ist umstritten. Einer der autoritativsten Horaz2, hat ihm das Urteil gesprochen. interpreten, Eduard FRAENKEL „Wir müssen zugeben", sagt er, ,,daß das Gedicht in der Vollendung zurückbleibt, die Horaz in vielen Oden erreicht hat. Seine heterogenen Elemente sind nicht zu einer harmonischen Einheit verschmolzen." Mit diesem Urteil steht der Gelehrte keineswegs allein. Er hat zahlreiche Vorgänger und Nachfolger gehabt. Was aber hat man an diesem Gedicht auszusetzen gehabt, das so unmittelbar überzeugend scheint? ,,nunc et campus et areae und was folgt", so läßt FRAENKELsich vernehmen (a. 0., p. 177), ,,deuten 1

2

A. K:iESSLING, Horatius, Philologische Untersuchungen, 2. Heft, Berlin 1881. G. PASQUALI, Orazio lirico, Firenze 1920. A. CAMPBELL, Horace. A New Interpretation, London 1924, 224f. H. R. FAIRCLOUGH, Some aspects of Horace, San Francisco 1935. L. P. WILKINSON, Horace and No Fire withHis Lyric Poetry, Cambridge 1951, 129 ff. G. BAGNANI, out Smoke, Phoenix 8 (1954), 23-27. Ed. FRAENKEL, Horace, Oxford 1957 (deutsche Übersetzung Darmstadt 1963). St. COMMAGER,The Function of Wine in Horace's Odes, TAPhA 88 (1957), 68-80. M. P. CUNNINGHAM, Enarratio of Horace Odes 1,9, CPh 52 (1957), 98-102. M. G. SHIELDS,Odes 1,9. A Study in Imaginative Unity, Phoenix 12 The Dying Storm. A Study in the (1958), 166-173. E. M. BLAIKLOCK, Imagery of Horace, Gr. & R., 2nd ser. 6 (1959), 205-210. N. Runn, Patterns in Horatian Lyric, AJPh 81 (1960), 373-392. St. COMMAGER, The Odes of Horace. A Critical Study, New Haven-London 1962, 269-274. M. DELAUNOIS, Paradoxes subtilites d'Horace dans les odes du livre premier, LEC 30 (1962), 167-179 & 268-282. G. SuLLIVAN, Horace, Odes, 1,9, AJPh 84 (1963), 290-294. E. C. WITKE,Varro and Horace c. 1,9, CPh 58 (1963), 112-115. G. SCHÖNBECK, Der locus amoenus von Homer bis Horaz. Diss. Heidelberg, 1962, 257 ff. R. GELSOMINO, Helikon 1962, 553-571. Ed. FRAENKEL, a. 0., p.177.

Vides ut alta

33

auf eine ganz andere Jahreszeit hin als der strenge Winter zu Beginn des Gedichtes. Diese Unstimmigkeit kann durch kein Mittel apologetischer Interpretation beseitigt werden. Um es etwas schroff zu formulieren: das hellenisti~che Ende der Ode und der alkäische Anfang sind nicht wirklich zusammengewachsen." Apodiktisch wird jedem, der den Dichter verteidigen wollte, das Wort abgeschnitten. Dieser Ton, zum Stile einer Philologie gehörig, die den Text unbarmherzig ins Verhör nimmt und über ihn den Stab bricht, macht heute eher mißtrauisch. Allzuoft steht die Selbstsicherheit und Suggestivkraft eines solchen Urteils in einem Mißverhältnis zu seiner Gültigkeit. Und dann: der Hinweis auf alkäische und hellenistische Elemente in einem Horazgedicht mutet wie ein survival aus jener überwundenen Phase an, wo man die Schöpfungen der lateinischen Literatur als Fundstätten für griechische Edelmetalle betrachtete. Alle lateinischen Gedichte sind voll griechischer Reminiszenzen, aber sie sind zumeist so fest in ein neues Form- und Sinngefüge eingeschmolzen, daß etwas anderes daraus geworden ist. Sollte es bei der Soracteode nicht so sein? Sollte es sich hier wirklich um ein weniger gutes Gedicht handeln? Die Ode beginnt mit dem Winter. Die erste Strophe stellt uns den im Schnee weißglänzenden Soracteberg vor Augen, die Bäume, die unter ihrer Last ächzen, die gefrorenen Flüsse.· Das ist nicht 3 und PASQALI4, Ausdruck eines Seelenzustandes, so KIESSLING nicht 5 6, sonSinnbild des Greisenalters, so WILKINSONund CoMMAGER dern ganz schlicht der römische Winter mit seiner schneidenden Kälte und sonst nichts. Das symbolische Interpretieren ist schon immer eine Gefahr gewesen. Heute droht es zu einer Krankheit auszuarten. Ich sage das, obwohl man in der augusteischen Dichtung ohne symbolische Deutung nicht auskommen kann, aber äußerste Vorsicht ist am Platz. Es ist die erste Pflicht des Interpreten, sorgfältig und genau aufzunehmen, was der Dichter sagt. Das ist schwerer als man glaubt, wie auch im Leben das Zuhören eine Kum~tist, die nur wenige beherrschen. 3 4 5

6

A. KIESSLING, a. 0., S. 63. G. PASQUALI, a. 0., p. 81 f. L. P. WILKINSON, a. 0., p; 130 f. St. COMMAGER, a. 0., p. 271.

3 Pöschl, Horazische Lyrik

.c.1,9

34

Gegen den Winter und seine Schrecken, sagt der Dichter in der zweiten Strophe, gibt es Abhilfe: ein gutes Feuer und einen vortrefflichen, vierjährigen Sabinerwein, dem man reichlich zuspricllt. Dem unfreundlichen Draußen werden die behaglichen Freuden eines Symposions gegenübergestellt. Daß es sich um ein solches handelt, ist mit dem Namen Thaliarchus, Herrscher des Festes, angedeutet. Ich glaube nicht, daß ein Freund des Horaz wirklich so hieß, sondern hier ist der Zechgenosse gemeint, der das regnum vini innehat, von dem in c. 1,4, 18 die Rede ist: nec regna vini sortiere ... Der griechischeName hebt das Gedicht zugleich in eine höhere, festliche Sphäre. Durch den schönen Klang und durch die erlesene, ebenfalls griechische Bezeichnung des Kruges (diota) wird der Eindruck der Freude und des festlichen Genusses gesteigert. Die Strophe gipfelt in einem Vers, der durch zwei griechische Worte ausgezeichnet ist. Sie schließt mit dem Wein in der durch Hyperbaton hervorgehobenen Wortgruppe merum diota. Das Anfangsmotiv des Gegensatzes zwischen Drinnen und Draußen geht auf Alkaios zurück (fr. 90 DIEHL): Zeus schickt Regen, und vom Himmel kommt ein mächtiger Sturm, die Wasserläufe sind gefroren .•• wirf den Winter nieder, leg Feuer auf, mische den Wein, ohne zu geizen, den honigsüßen. Um die Schläfen lege das weiche Kissen ... Der Anklang ist deutlich und von Horaz beabsichtigt. Die Ode ist als eine Huldigung an Alkaios gedacht, die zugleich Wettstreit ist. Das Lied des griechischen Dichters klingt in der Horazode mit, und eben dieses Mitklingen wird gesucht. Alkaios aber ist wohl das wichtigste Vorbild der horazischen Odendichtung. Daß er eine bevorzugte Stellung einnimmt, geht unter anderem daraus hervor, daß die drei großen Vorschlußgedichte der horazischen Odensammlung im alkäischen Versmaß abgefaßt sind: das politische Siegeslied 1,37 (die Kleopatraode)7, der Hymnus an den Dichtergott Dionysos 2, 19 und das große Freundschaftsgedicht an Maecenas am Ende des dritten Buches 3,29 8, das das epikureische Credo des Dichters enthält. Auch bei unserer Ode ist die Stelle zu berücksichtigen, an der sie steht. Es ist das erste Gedicht im alkäischen 7

Vgl. u. S. 68-116.

s Vgl. u. S. 198-245.

Vides ut alta

35

Versmaß und die letzte der neun Paradeoden, mit denen Horaz die Sammlung eröffnet und von denen jede ein anderes Versmaß hat. Auch diese herausgehobene Stellung ist als Huldigung an Alkaios aufzufassen. Sie macht es unwahrscheinlich, daß wir es hier mit einem schwachen Gedicht zu tun haben. Sollte der Dichter für ein~ so prononcierte Stelle wirklich ein schwaches Gedicht ausgewählt 9 meint, ein frühes Gedicht, haben, oder, wie Hildebrecht HoMMEL das noch Mängel zeige, als ob frühe Gedichte notwendig mangelhaft sein müßten und als ob der Dichter, der den Rat gab, neun Jahre an einem Gedicht zu arbeiten, nicht imstande gewesen wäre, solche Mängel zu beseitigen? Ebenso deutlich wie die Anspielung auf Alkaios ist die Abweichung. Horaz versetzt uns in die römische Landschaft und in die römische Welt. Der Soracte, der Sabinerwein, der Campus Martius am Schluß des Gedichtes geben römisches Kolorit. Die Unmittelbarkeit des alkäischen Liedes, das von einem konkreten Anlaß ausgehend mitten aus dem Leben aufsteigt - Regen, Sturm und Eis veranlassen den Dichter, ein Trinklied zu singen -, wird übernommen und in eine neue Welt übertragen. Lebensnähe wird auch hier angestrebt. Aber wichtige Änderungen sind vorgenommen worden. Neu ist der größere Reichtum an Einzelheiten, neu die Stilisierung der Strophe auf Starrheit, Leblosigkeit, auf das Unangenehme, Schneidende des Frostes hin. Neu ist die wohlüberlegte Anordnung und Steigerung der Kola: an den schneeglänzenden Berg schließen sich die Leiden der unter der Anstrengung ächzenden Bäume und daran die Flüsse, die im schneidenden Frost zum Stehen gekommen sind. acuto ist das letzte Wort, mit dem die Strophe pointiert schließt. Was diese Umstilisierung für die Ökonomie des Gesamtaufbaus bedeutet, werden wir noch sehen. Gegen den Winter weiß der Dichter Rat. Aber es gibt andere Dinge, die uns das Herz schwer machen können. Was kann man dagegen tun? Sie den Göttern überlassen: permitte divis cetera. Sobald sie einmal die Winde zur Ruhe gebracht haben, die über dem siedenden Meere kämpfen, werden die Zypressen und die alten Eschen nicht mehr hin und her bewegt. Während die erste 9

H. HoMMEL,Horaz. Der Mensch und das Werk, Heidelberg 1950, S.99.

36

c.1,9

Strophe den römischen Winter schilderte, wird in der dritten das Naturgeschehen zum Beispiel, zur tröstenden Analogie. Die Schilderung ist ähnlich wie in der 13. Epode: Horrida tempestas caelum contraxit et imbres nivesque deducunt lovem; nunc mare, nunc siluae Threicio Aquilone sonant. rapiamus, amici, occasionem de die, dumque virent genua et decet, obducta solvatur fronte senectus. tu vina Torquato move consule pressa meo. cetera mitte loqui: deus haec fortasse benigna reducet in sedem vice.

Hier haben wir die gleichen Elemente: den Sturm, das Meer, die Bäume, die Aufforderung, den Augenblick trotz der Widrigkeiten zu genießen, den Trost, daß die Götter die Stürme •vielleicht' in gütigem Wechsel wieder zur Ruhe bringen werden, wobei das Wort •vielleicht' verrät, daß es sich nicht nur um Wettererscheinungen handelt, die den Dichter und seine Freunde bedrängen. In der Soracteode dagegen ist der Winter wirklich Winter, die Stürme aber Gleichnis für die Widrigkeiten des Lebens. Der Imperativ permitte divis cetera deutet auf eine allgemeine Lebensregel hin. An welche Widrigkeiten der Dichter denkt, hat er nicht gesagt. Man mag an politische und private Wirren denken, die dem Menschen Unruhe bringen, ihm Sorge und Ängste verursachen und geeignet sind, sein Glück zu trüben. Der Trost, den der Dichter anbietet, ist, geduldig abzuwarten, bis sie vorübergehen, wie die Stürme vorübergehen. Das ist eine Volksweisheit, die in der griechischen Lyrik sicherlich ebenso anzutreffen war, wie in der griechischen Tragödie und Lebensphilosophie. In einem Fragment aus der Danae des Euripides (fr. 330 NAUCK)wird der Wechsel im Schicksal der Menschen mit dem Wechsel der Jahreszeiten verglichen, vielleicht, um einen Glücklichen zu warnen, oder, wie in der Soracteode, einen vom Leid Betroffenen zu trösten und ihn zu ermahnen, gelassen abzuwarten, bis die Wendung zum Besseren eintritt. Noch näher steht dem Horaz der Trost im Herakles des Euripides (vgl. v. 95-106, bes. v. 101f.): xaµvoucrtyari -rotxai. ßrioi:rovat cruµq,oriat,/ xai. :n:vd,µa,:•avEµoovo'Öx &et QOOµ'l'JV ~XEtund Sophokles, Aias •• .tcrasv11osmEQll; Aischyl., Pers. 565; Prom. 468: ALvomEQ' 'l'IOQE vaui;tArov ö,c-fiµai;a; Eurip., Troad. 175; Hipp. 752; I. T. 289; Troad. 1086; Hel. 146. Apoll. Rhod. 2, 1255; AP 10, 6, 6. Weitere Stellen aus der griechischen Literatur bei TAFEL,Dilucidationum Pindaricarum volumina duo, Berlin 1824, S. 388 f. Catull, c. 4, 1 ff.: Phaselus ille ... sive palmulis J opus foret volare sive linteo. Virg. georg. 3,41: pelagoque volans da vela patenti; Aen. 3,520: velorum pandimus alas. Servius ad Verg. ecl. 6, 14: alae .•. et volucrum et navium. 4 e Vgl. Horn., II. 22,189: ISQEOcpL - Hor., c. 1,37,19f.: campis ... Haemoniae; Horn., II. 22,310: Aayro6v - Hor., c. 1, 37, 18: leporem.

44

Nunc est bibendum

89

ut alta in nive sectetur, was auf Kallimachos zurückgeht. Hier haben wir, wie in der Kleopatraode, den Jäger, den Hasen und den Schnee. Daraus ergibt sich, daß auch das Gleichnis der Ode von dem kallimacheischen Epigramm beeinflußt ist. Es ist dies ein schönes Beispiel für die sogenannte Mosaiktechnik des Dichters, der hier homerische und kallimacheische Elemente zu einer neuen Aussage verwendet und einem völlig anderen Zusammenhang einordnet. Das Gleichnis des Kallimachos hat er dadurch episch erhöht, daß er es auf den schnellen Jäger auf den winterlichen Gefilden Haemoniens, d. h. auf Achill bezog. Das Gleichnis schließt mit dem klangvollen Haemoniae 41• Die Klangbewegung, die durch in kurzer Folge sich in der Arsis wiederholende ae-Diphthonge charakterisiert ist - Haemoniae -, scheint dazu angetan, die Grausamkeit des Geschehens hervorzuheben, so wie es wohl kein Zufall ist, daß der leidgeprüfte Aeneas im Epos Virgils zum erstenmal in einer Form auftaucht, wo die beiden -ae- als Schmerzenslaute empfunden werden können 48 : extemplo 47

48

Es mag hier eine Anspielung auf aIµa mitgehört werden, so wie schon in der Antigone des Sophokles mit dem Anklang A'i'.µrov- aIµa gespielt wird (Soph., Ant. 1175: A'i'.µrov1iÄroÄEv · a,'n:6icELQ ö' ul.µacrcrni;m), und dadurch ein blutiges Schicksal evoziert werden. Die Römer waren sich des konkreten Inhalts griechischer Namen durchaus bewußt, worauf erst kürzlich wieder G. DorG, Vergil, Georgics 1,491-2, AJPh. 86, 1965, 85-88 unter Anführung zahlreicher Virgilstellen aufmerksam gemacht hat. Dom nennt Virg., ecl. 8, 108: Hylax latrat; ecl. 8, 84: in Daphnide laurum (wo Theokrit 2, 23 br:t ßsÄqnfü öaq,vuv hat); Aen. 3,516: pluvias Hyadas; Aen. 3, 703: arduus Acragas; Aen. 3, 693: Plemyrium undosum (Servius ad 1.: verbum de verbo expressit) und - für unsere Ode besonders interessant - georg. 1,491f.: nec fuit indignum superis bis sanguine nostro J Emathiam et latos Haemi pinguescere campos. Schon zu Virgils Zeit scheint das etymologisierende Aition geläufig gewesen zu sein, das in Apollodors Bibliothek eingegangen ist, 1, 6, 3: :n:oÄui\:n:t,oii 1igou~i\!;ExÄtJCJE'V aIµa· ,mt q,acrtv i\x .ou.ou ,o 1igo~xÄ'l']iHjvm AIµov. Freilich wird bei Virgil dieser Zusammenhang immer durch ein Attribut verdeutlicht und dadurch evident, im Kontext unserer Ode muß dieses Anklingen als fakultativ dahingestellt bleiben. Vgl. auch den griechischen Wehlaut alai, cf. Aisch., Sept. 787; Choeph. 1007; Eurip., Hipp. 814; Bion 1,28; Aristoph., Lys. 393; Theogn. 1341. M. WANDRUSZKA, Der Streit um die Deutung der Sprachlaute, Festgabe Ernst Gamillscheg, Tübingen 1952, 214-227; ders., Ausdrucks-

90

c.1,37

Aeneae solvuntur frigore membra (Virg., Aen. 1, 92). Uns mag diese „Bedeutung" der Klänge nicht ohne weiteres einleuchten, aber wir dürfen nicht vergessen, daß das antike Sprachkunstwerk immer laut gelesen wurde, d. h. ausschließlich zum Hören bestimmt war49 • Das wichtigste aber ist die Bedeutung, die das Gleichnis für das Schicksal Kleopatras gewinnt. Die winterliche Schneelandschaft, auf der der Hase einsam einem sicheren Tode entgegengehetzt wird, ist nicht nur „Topos der antiken Ekphrasis der Jagd überhaupt"50, sondern ein höchst suggestives Sinnbild für die erbarmungslose Situation, in die Kleopatra gebracht wurde, und für die ernüchternde Zerstörung der Illusion. Was in redegit in veros timores abstrakt ausgedrückt war, wird also hier ins Bildhafte umgesetzt. Aus dem Wahn und dem Rausch des mareotischen Weines wird die Königin gleichnisweise in die Eiseskälte Haemoniens gestoßen, wo sie aus ihrem Wahn erwacht und das bittere Verhängnis über sie hereinbricht. Auch verspüren wir schon etwas wie Sympathie für die Königin aufkeimen. Die Hilflosigkeit der Tauben (mollis columbas) und des gehetzten Hasen deuten, so wenigstens will mir scheinen, in diese Richtung. Taube und Hase sind in der Antike Symbole der Liebe, und der Wehlaut, der mit Haemoniae aufklingt, darf vielleicht auch im Sinne eines erwachenden Mitgefühls gedeutet werden. Damit ist aber schon die überraschende Wendung des Schlußteiles vorbereitet, der der Verherrlichung der Königin dient. Die Strophe ist der Drehpunkt, die 'Angel' des Gedicht~s51. In scharfem Gegensatz hierzu steht jedoch die diffamierende werte der Sprachlaute, Germanisch-Romanische Monatsschrift, N. F. 4, 1954, 231-240; ders., Poesie et sonorites und das Problem der phonetischen Motivation, Romanistisches Jahrb., 16, 1965, 34--48. 49 Es sei daran erinnert, daß uns ein Traktat aus der Zeit des Horaz erhalten ist, in dem auf ·die kompositionelle Funktion der Silben und Buchstaben ausführlich eingegangen wird: Dionysios von Halikarnassos, De compositione verborum (Dionysii Halicarnasei opuscula edd. H. UsENER et. L. R.ADERMACHER, vol. II, Leipzig 1904-1929). Dazu S. F. BONNER,The Literary Treatises of Dionysius of Halicarnassus, Cambridge 1939. Zum Problem auch L. P. WILKINSON, Golden Latin Artistry, Cambridge 1963, p. 3 ff. 5 o B!CKEL, a. 0., S. 213. 51 COMMAGER, a. 0., p. 91.

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Bezeichnung, die die Schilderung der Jagd abschließt und die durch das Strophenenjambement eine gewaltige Emphase erhält:

daret ut catenis fatale monstrum.

J. V. LUGE

(a. 0., p. 19) hat dem Begriff fatale monstrum eine interessante Abhandlung gewidmet, in der LUGE nachzuweisen suchte, daß der Begriff hier nicht nur im ungünstigsten Sinn verweridetwerde, sondern auch Bewunderung mitschwinge. So verstanden, meint LUGE, könne er als Brücke zu der Verherrlichung Kleopatras am Schluß des Gedichtes angesehen werden. Erst hier, nicht schon in der vorangegangenen Strophe, sei die Wende anzusetzen, fatale monstrum sei die Angel". Ich glaube kaum, daß diese Deutung zutrifft. Zwar kann monstrum auch wertneutral verwendet werden (Servius ad Aen. 3,58: vocabulum medium esse et interdum etiam bonum monstrum dici). Es kann auch ohne negative Nebenbedeutung Wesen bezeichnen, die aus dem Rahmen des Natürlichen herausfallen, so insbesondere Mischwesen mythologischer Art, aber auch Menschen, die scheinbar unvereinbare Charaktereigenschaften besitzen, und so nicht nur Schrecken und Staunen, sondern auch Bewunderung erregen. Auch Catilina wird von Cicero in der Caeliusrede (12) als ein monstrum dieser Art charakterisiert: neque ego umquam fuisse tale monstrum in terris ullum puto, tam ex contrariis diversisque atque inter se pugnantibus naturae studiis cupiditatibusque conf latum. Es ist LUGE durchaus zuzugeben, daß Kleopatra ein monstrum auch in diesem Sinne ist. Der weitere Verlauf der Ode zeigt es, der uns eine ganz andere Königin vor Augen führt. Aber hier ist monstrum eindeutig negativ. Dafür spricht, daß es ein Begriff ist, der in der politischen Propaganda der Zeit bereits nach der schlechten Seite hin festgelegt war. Prodigia, monstra, portenta und ostenta spielen im religiösen Denken der Römer eine große Rolle: es sind naturwidrige Unheilszeichen, durch die nach uraltem Glauben das Gemeinwesen befleckt wird und die• deshalb besondere Entsühnungsmaßnahmen erfordern, und zwar können nicht nur naturwidrige Erscheinungen als prodigia, portenta, rnonstra bezeichnet werden, sondern auch Personen. Eduard FRAENKEL (a. 0., p. 160) hat die wichtigsten Stellen zur Erklärung der Kleopatraode bereits zusammengetragen. Cicero bezeichnet am Anfang 0

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seiner zweitell catilinarischen Rede Catilina, als er nunmehr endlich die Stadt verfassen hat, als ein solches monstrum und prodigium (Catil. 2, 1): nulla iam pernicies a m o n s t r o illo atque prodigio moenibus ipsis intra moenia comparabitur. Nach der Erwähnung verschiedener prodigia, die nichts Gutes für Vitellius voraussehen lassen, fährt Tacitus fort: sed praecipuum ipse Vitellius ostentum erat (hist. 3,56,2). Lucan nennt den König Ptolemaeus, der die Ermordung des Pompeius veranlaßte, ein monstrum (8,541: exiguam sociis monstri gladiisque carinam instruit), und auch die Mörder selbst werden monstra genannt (8,612: tum stringere ferrum regia m o n s t r a parant) 52 • Besonders aufschlußreich ist eine Stelle aus Cicero, Phil. 13, wo die Brüder Lucius und Marcus Antonius monstra gequaedam ista et portenta sunt et nannt werden: monstra prodigia rei publicae ·(Cic., Phil. 13,49). Hier ist der Zusatz rei publicae zu beachten, der zum Ausdruck bringt, daß die Brüder durch ihre Anwesenheit das Gemeinwesen beflecken. Charakteristisch ist die Folgerungj die daraus gezogen wird: moveri sedibus-huic urbi melius est atque in alias, si fieri possit, terras demigrare .. . quam illos •.• intra haec moenia videre. Wie der vates der sechzehnten Epode des Horaz verkündet Cicero, daß ·es unter diesen Umständen besser wäre, die Stadt zu verlassen und in andere Länder auszuwandern, um der Befleckung zu entgehen. Interessant ist auch die Verwendung des Begriffes monstrum bei Livius. Dort, wo er berichtet, daß Maelius seinen Versuch, sich der Tyrannis zu bemächtigen, mit dem Leben bezahlen mußte, fügt er hinzu: non pro scelere id magis quam pro m o n s t r o habendum, nec satis esse sanguine eius expiatum, nisi tecta parietesque, intra quae tantum amentiae conceptum esset, dissiparentur (4, 15, 7 f.). Monstrum bezieht sich also auf eine Tat, die weit schlimmer ist als ein Verbrechen. Es deutet auf eine Ungeheuerlichkeit, die die Ordnung der Natur stört und daher die Strafe der Götter (ultio) herausfordert. Für die ungünstige Deutung von monstrum in der Kleopatraode spricht auch das Epitheton fatale= ein schlimmes Verhängnis heraufbeschwörend, Tod und Verderben bringend. So nennt Horaz den Paris fatalis iudex (c. 3, 3, 19), weil er den trojanischen Krieg 52

FernerLucan8,474; 8,548; 10,474.

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heraufbeschwor, und Aeneas bezeichnet das trojanische Pferd als eine fatalis machina (Virg., Aen. 2,237). Alexander der Große wird von Lucan als fatale malum bezeichnet (10,34). Im übrigen ist auch die Junktur fatale monstrum sicherlich zum Rüstzeug der Propaganda zu rechnen, wie die nahe verwandten Ausdrücke fatale prodigium und exitiosum prodigium bei Cicero beweisen53• Wenn man nun den politischen Gegner mit einem religiös so vorbelasteten Begriff belegt wie prodigium oder monstrum, dann setzt man tief verwurzelte religiöse Emotionen gegen ihn in Bewegung. Das Sakrale und das Politische ist in Rom auch dort, wo man einen Feind bekämpft, unlösbar miteinander verknüpft. Wie der römische Amtsträger sakral geschützt ist, so ist man bestrebt, den politischen Gegner und den Landesfeind mit dem Makel des Prodigiösen zu belasten und ihn als einen Zerstörer der pax deorum zu brandmarken. Wenn einmal die Geschichte des publizistischen Kampfes und der Invektive in Rom geschrieben sein wird, die ein dringendes Erfordernis ist, wird man das Hineinziehen religiöser Vorstellungen in den Tageskampf deutlich erkennen können 54 • Die Begriffe monstrum, portentum und prodigium und ihre Verwendung in der politischen Propaganda, für die auch die Kleopatraode Zeugnis ablegt, sind jedenfalls für die Verflechtung von politischen und religiösen Vorstellungen und Begriffen im Vocabularium der Römer ein eindrucksvolles Zeugnis. Kleopatra hat dadurch, daß sie in ihrer Maßlosigkeit (inpotens, ebria, lymphatam, furorem) Capitol und Imperium mit Vernichtung bedrohte, an der göttlichen Ordnung gefrevelt. Insofern ist sie eine naturwidrige Erscheinung, ein von den Göttern verhängtes Warnzeichen und flößt tiefen Schrecken und Abscheu ein. Sakral getönter Schauder heftet sich an sie. In dem Begriff fatale monstrum gipfelt also die Invektive gegen Kleopatra, die sich in den Strophen 2-4 immer stärker ausbreitete und in furorem einen ersten Höhepunkt erreichte. 53

5'

Cic., in Pis. 9 wird Clodius als fatale prodigiumac portentum bezeichnet; har. resp. 4 werden die Konsuln Piso und Gabinius exitiosa prodigiagenannt. Ein wichtiger Ansatz liegt jetzt vor: A. WEISCHE,Studien zur politischen Sprache der römischen Republik (Orbis antiquus 24), Münster 1966. Auf monstrum etc. ist Weische nicht eingegangen.

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All diese Schmähungen bewegen sich in den von der politischen Propaganda vorgezeichneten Bahnen. Horaz macht sich zum, Echo der politischen Propaganda Octavians 55 • Der publizistische Kampf Octavians gegen Kleopatra ist mit der Hetze verwandt und zum Teil durch sie vorbereitet, die Cicero gegen Antonius betrieb und die die Partei Octavians mit voller Intensität wieder aufnahm, als Antonius ihr Feind wurde. Die Vorwürfe des Wahnsinns, der Zügellosigkeit, der Trunksucht, der sexuellen Ausschweifung und Perversion begegnen auch dort 56 • Auch der Vorwurf unserer Ode, daß Kleopatra plante, das Reich zu zerstören, ist eine Umgestaltung der Unterstellung Octavians, daß Antonius Italien zu einer Provinz Ägyptens machen und die Hauptstadt nach Alexandrien verlegen wollte (Dio 50,4, 1-2). Diese Propaganda wurde durch das Testament genährt, das Octavian angeblich den Vestalinnen entriß und dem Senat zur Kenntnis brachte, mag das Testament nun eine Fälschung sein oder nicht, oder das Testament zwar echt, einzelne / 55

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Die wichtigste Literatur zur Propaganda Octavians: K. ScoTT, The political propaganda of 44-30 B. C., Mem. of the Am. Acad. in Rome, 11, 1933, 7-50. R. SYME,The Roman Revolution, Oxford 1939. H. BUCHHEIM, Die Orientpolitik des Triumvirn M. Antonius (Abh. Heidelberger Akad.), Heidelberg 1960. CHARLESWORTH, The Fear of the Orient in the Roman Empire, Cambridge Historical Journal 22, 1926, 1-6. BARBAGALLO, L'Oriente et l'occidente nel mondo romano, Nuova Rivista Storica 6, 1922, 141-147. LfoN-MARCIEN,s. Anm. 1. Ich greife hier nur einige Stellen aus den Philippicae heraus. Cic., Phil. 2, 44: sumpsisti virilem, quam statim m u lieb r e m togam reddidisti. Prima volgare s c o r tu m, certa flagiti merces nec ea parva. Sed cito Curio intervenit, qui te a m er et r i c i o qua es tu abduxit et, tamquam stolam dedisset, in matrimonio stabili et certo collocavit. Nemo umquam puer emp tus li bidinis causa tarn fuit in domini potestate quam tu in Curionis. Phil. 2,63: tantum vini in Hippiae nuptiis exhauseras ut tibi necesse esset in populi Romani conspectu v o m er e postridie. o rem non modo visu f oedam sed etiam auditu. Phil. 3,31: ne fortuna quidem fractus minuit audaciam nec ruere dem e n s .nec f ur er e desinit. Phil. 5, 22: quae effrenatio im p o t e n t i s animi. Vgl. ferner Phil. 2, 1, 69, 71; 3, 3; 5, 23; 11, 4 f.; 13, 18, 43 (zu furor); Phil. 2, 42, 62, 77, 84, 87, 101, 104; 3, 20; 13, 4, 11, 31 (zu Trunksucht); Phil. 2, 47, 58, 61, 77; 3,35; 8,26; 11, 9 (zu sexueller Ausschweifung); Phil.2,20,53,64,90,113f.; 3,25,31; 5,3,15,19; 12,26; 13,17, 19,43 (zu impotentia und dementia). Auch Plutarch tadelt die uxgMta. des Antonius.

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Bestimmungen aber von Octavian erfunden worden sein57 • Der gleichen Propaganda entstammt die Nachricht, daß der größte Eid, dessen sich die Königin bediente, gewesen sei: ,,So wahr ich auf dem Capitol rechtsprechen werde" (Dio50,5,4). Um die ausfälligen Bemerkungen gegen Kleopatra würdigen zu können, muß man sich vergegenwärtigen, daß man in Rom hinsichtlich der persönlichen Verunglimpfung des Gegners alles andere als zimperlich war und vor keiner Verleumdung zurückschreckte. Die Reden Ciceros liefern hierfür eindrucksvolle Beispiele. Horaz ist insofern noch gemäßigt, als er es vermeidet, den Vorwurf sittlicher Verfehlungen unmittelbar gegen die Königin zu richten; er spricht nur von dem grex contaminatus, während z. B. Properz Kleopatra schlankweg als meretrix bezeichnet 58 • Ja, man kann sogar aus den Vorwürfen der impotentia, die bei einer Frau verzeihlich ist, und aus dulci fortuna ebria eine gewisse Entschuldigung heraushören: wie leicht läßt sich der Mensch durch dulcis fortuna verführen! Furor, mens lymphata Mareotico und fatale monstrum sind allerdings starke Vorwürfe. Hier bringt Horaz einseitig den Aspekt zum Ausdruck, den Kleopatra in den Augen ihres Verfolgers und der seiner Sache dienenden Propaganda hat, hier, macht er sich zum Sprachrohr von Propagandaparolen, und man hat ihn nicht zu unrecht deshalb gescholten59 • 57

58

59

Für Fälschung entscheidet sich RosTOVTZEFF,Social and Economic History of the Roman Empire, 1926, p. 29, 494, Anm. 24; dagegen R..!CEHOLMES,The Architect of the Roman Empire, 1928, p. 246-247; K. ScoTT, The Political Propaganda of 44-30 B. C., Mem. Am. Acad. Rome 11, 1933, p. 41ff.; R. SYME,a. 0., p. 282: ,,Forgery might be suspected". S. CROOK,A Legal Point about Marc Antony's will, JRS 47, 1957, 36--38. Prop. 3, 11,30: et famulos inter femina trita suos; ib. 39: scilicet incesti meretrix regina Canopi. · über die Problematik der Auftragspoesie bei Horaz s. V. PösCHL, Horaz und die Politik, Heidelberg 2 1964. CHARLESWORTH, CQ 27, 1933, 172. Vgl. W. H. ALEXANDER, Nunc tempus erat: Horace, Odes 1,37,4, CJ 39, 1943/44, p. 233: ,,this ode, so much admired (allegedly) in many quarters and so rapsodically raved over by editors and literary critics times without count, seems to me an almost perfect example of bad taste in the field of 'applied patriotism'", vgl. auch FRAENKEL,a. 0., p. 160. Ebenso betont NISBET (a. 0., p. 208) das propagandistische Element, verkennt aber, daß die Ode auch noch anderes enthält.

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Wenn wir aber recht damit haben, daß-in mollis columbas und leporem in campis nivalis Haemoniae etwas von Sympathie für das Opfer mitschwingt und die Schwäche und Hilflosigkeit der Königin zum Ausdruck kommt, ergibt sich hieraus ein Gegensatz zu fatale monstrum, der vielleicht nicht ohne Ironie ist. Hierin würde man also so etwas wie eine leise Kritik des Horaz an der offiziellen Propaganda sehen dürfen, der er selbst mit so beredten Worten Ausdruck verliehen hatte. Doch hier stehen wir an den Grenzen der Interpretation. Mit einer höchst überraschenden Wendung, die die frühere_ Peripetie sed minuit furorem noch übertrifft, enthüllt sich uns eine völlig andere Königin. generosius bezieht sich auf ihr adliges W esen, das ihrer Herkunft entspricht. Vielleicht ist sogar auf den grie-_ chischen Namen angespielt. generosus wird ursprünglich von einem Menschen, einem Tier, einem Wein von guter Herkunft gebraucht. Aber schon Cicero verwendet es, allerdings nur in den philosophischen Schriften (vor ihm findet sich das Wort überhaupt nicht), im übertragenen Sinn. Später wird es zu einem wichtigen Begriff, 'um die römisch-stoische Haltung zu charakterisieren. Von einer generosa mors spricht, darin der Kleopatraode ganz nahe, der ältere Seneca (suas. 7, 8): P. Scipionem generosa mors a maioribus suis desciscentem in numerum Scipionum reposuit. Der jüngere Seneca definiert (epist. 44,5): quis est generosus? ad virtutem bene a natura compositus und Quintilian (inst. or. 5, 11,5): est generosissimus hominum non qui claritate nascendi, sed qui virtute maxime excellit. Angesichts der Niederlage kommt die Größe und der Adel der Königin zu glanzvoller Erscheinung60 • Sie, die sich vom Glücke berauscht zu vermessenen kriegerischen Aktionen hatte hinreißen lassen, zeigt nun im Unglück eine Haltung, die man von einer Frau 60

In einer vergleichbaren Situation verwendet Ovid den Begriff generosus: Erysichthon will seine Tochter Mestra als Sklavin verkaufen; sie aber dominum generosa recusat (Ov., met. 8,848), worauf ihr die Gabe der Verwandlung verliehen wird. Auch der französische Begriff generosite wird in ähnlicher Bedeutung gebraucht, vgl. H. MoNTHERLANT, La guerre civile, Postface, Paris 1965, p. 188: "La plupart de ces hommes (= les Romains historiques) ont un instant de generosite ••• et, si horrible a tant d'egards qu'ait ete la societe antique, eile presenta toujours ces instants de generosite comme dignes d'admiration."

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nicht erwartet hätte: nec muliebriter 61 • In klar gegÜederter Steigerung wird ihr Verhalten angesichts der Niederlage geschildert, die das Ende ihres Reiches bedeutet. Daß Kleopatra „nicht nach Weiberart das Schwert fürchtete", bezieht sich keineswegs nur auf die Schlacht von Alexandria 62, sondern sicherlich auch auf den Selbstmordversuch bei ihrer Verhaftung durch den Vertrauten Octavians, Proculeius (Plut., Ant. 79)63 • Die Aussage des Horaz, daß Kleopatra nicht versuchte, ,,verborgene Küsten aufzusuchen", steht im Widerspruch zur Tradition, die davon zu berichten wußte, daß Kleopatra geplant habe, ihre Flotte über die Landenge von Suez nach dem Roten Meer zu bringen. Infolge der Schwierigkeiten, die diesem Plan entgegenstanden, habe sie dann darauf verzichten müssen (Plut., Ant. 69,3-6). Im Gegensatz zum ersten Teil des Gedichtes wird hier alles Ungünstige, zum Teil sicher ganz bewußt, eliminiert: ihre Versuche, init dem Sieger Verhandlungen anzuknüpfen 64 und die Einwohner von Alexandrien am Widerstand gegen Octavian zu hindern 65, und ihr Verrat an Antonius in der letzten Schlacht66 • Auch ausa et iacentem visere regiam voltu sereno scheint mit den historischen Tatsachen nicht im Einklang zu stehen. Von einer Zerstörung der alexandrinischen Königsburg weiß die Geschichtsschreibung nichts zu berichten. Es fragt sich natürlich, ob wir iacentem wörtlich verstehen müssen. Wenn die Macht gebrochen ist, dann steht für den Dichter auch die Königsburg nicht mehr in ihrem Glanz, gleichgültig, wie ihr Zustand in Wirklichkeit ist67 • Auf der

61

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64 65

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67

Shakespeare, Antony and Cleopatra V, 2: ,,My resolution's placed, ahd I have nothing of woman in me." So HEINZEin der 7. Auflage und Maria Luisa PALADIN!, a. 0., p. 29 s. HEINZE in der 4. Auflage. Auch hier bestätigt sich wieder die Feststellung, daß in späteren Auflagen des Heinzeschen Kommentars richtige Erkenntnisse der früheren Auflagen verlorengegangen sind. Man muß deshalb nach Möglichkeit immer auch diese zu Rate ziehen. So auch Ilse BECHER,a. 0., S. 46. Dio 51, 6, 4 f.; 51, 8, 1. Plut., Ant. 72, 1. Dia 51,9,6. Dio 51,10,5; Plut., Ant. 76,3. über die Abweichungen von der Tradition am besten M. L. PALADIN!, a. 0., passim. Vgl. die Bemerkung im Schulkommentar von NAUCK, daß iacentem das Gegenteil sei von stare im Sinne der Horazstelle (c. 3,3,42): stet Capitolium fulgens.

7 Pöschl, Horazische Lyrik

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Vernichtung der ägyptischen Königsherrschaft liegt jedenfalls der Hauptakzent. Andererseits wird man nicht übersehen dürfen, daß ein unbefangener Leser die Worte im konkreten Sinn verstehen konnte. Konkrete und übertragene Bedeutung sind also, wie so oft bei Horaz, auch hier nicht zu trennen. Gegen die die historischen Tatsachen entstellende Deutung der Worte hätte Horaz nichts einzuwen_dengehabt, der auch sonst Übertreibungen nicht verschmäht. Der Schlangentod der Kleopatra war die offizielle Version ihres Todes, "denn im Triumphzug wurde ein Bild der Kleopatra und der an ihr haftenden Schildviper einhergetragen" (Plut., Ant. 86, 6)68_ Auf die Schilderung des Schlangentodes folgt die Schlußstrophe, die man überschreiben könnte „Der Tod als Triumph der Kleo-. patra", wenn sie auch in Wirklichkeit mit Caesars Triumph endet. Das Thema ist in der Anfangszeile gegeben deliberata morte ferocior. deliberata bedeutet, daß sie den Tod wohl erwogen 69 und beschlossen hatte. Der Thesaurus allerdings ordnet die Stelle unter der Bedeutung cogitare, nicht unter statuere, decernere ein. Aber das ist in diesem Falle nicht zu trennen 70 • Klare Überlegung und klarer 68

6.9

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Ober die verschiedensten Traditionen PALADIN!,a. 0., p. 32 f., und jetzt Ilse BECHER,passim. über die möglichen religiösen Hintergründe W. SPIEGELBERG, Ägyptologische Mitteilungen I. Weshalb wählte Kleopatra den Tod durch Schlangenbiß?, Sitz. Ber. Bayer. Akad. d. Wiss., phil.-philol. und hist. Kl., Jg. 1925, 2. Abh., München 1925, S. 3-6, dessen Hinweis auf Josephus, Contra Apionem 2, 7 (86) ed. NIESE besonders förderlich ist. "Danach haben die Ägypter den Tod durch Schlangenbiß als einen besonders glücklichen betrachtet, der die Anwartschaft auf Göttlichkeit verhieß" (a. 0., S. 4). Vgl. auch M. A. LEVI, Cleopatra e l'aspide, Parola del Passato 9, 1954, 293-295. J. GWYNNGRIFFITHS,The Death of Cleopatra VII, JournEgyptArch. 47, 1961, 113-118; B. BALDWIN, The Death of Cleopatra VII, JournEgyptArch. 50, 1964, 181-182; J. Gwynn GRIFFITHS,The Death of Cleopatra VII. A rejoinder and a postscript, JournEgyptArch. 51, 1965, 209-211. Paulus Fest. 74 deliberare: a libella, qua quid perpenditur, sumptum. Das Beispiel zeigt, wie mißlich es ist, wenn ein Lexikograph sich bewogen fühlt, Bedeutungstrennungen vorzunehmen, die problematischer Natur sind. Man sollte in der Lexikographie dazu kommen, auf Bedeutungstrennungen zu verzichten, sobald nur der geringste Zweifel

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Entschluß: beides liegt in dem Wort an dieser Stelle. Man müßte es daher übersetzen: "durch ihren Tod, zu dem sie sich nach reiflicher Überlegung entschlossen hatte". Man kann an dem Beispiel auch lernen, daß es nicht immer richtig ist, an der offenbar fest eingewurzelten Gewohnheit festzuhalten, ein fremdsprachliches Wort durch ein einziges deutsches wiederzugeben. In manchen Fällen muß man mehrere Worte ZU Hilfe nehmen, um den Gehalt des fremden Wortes erfassen zu können. Ein entscheidendes Schlüsselwort aber ist ferocior. ferox ist die Bezeichnung für einen, der in seinem Willen zum Kampf, seiner Kampfbereitschaft nicht nachläßt, der sich nicht besiegt gibt, auch wenn er die schwerste Niederlage erlitten hat. Es schwingt also der Begriff der Unbeugsamkeit und Unbesiegbarkeit mit. ferocia animi zeigt Catilina noch im Tod (Sall., Cat. 61,4), und auch hier dient es - wir kommen noch darauf zurück - der Absicht, dem toten Feind Ehre zu geben. Metellus beschließt, den Krieg gegen Jugurtha wieder aufzunehmen, ubi videt etiam tum regis animum ferocem esse (Sall., lug. 54,5). Als die Aequer sich geschlagen in ihr Gebiet zurückziehen, da beschimpft die Menge die Feldherren, die diese Maßnahme durchführen: nihilo inclinatioribus ad pacem animis ferox multitudo increpare duces (Liv. 3,2,12). Ein junger Mann in Capua wird von seinem Vater, dem Haupt der punierfreundlichen Partei, einem Römerfreund, zu dessen Gefolgschaft er gehörte, abspenstig gemacht, cum quo f er o ci s s im e pro Romana societate adversus Punicum foedus steterat (Liv. 23, 8,3). Als T acitus das Ende der Republik und die Anfänge des Prinzipats beschreibt, erwähnt er unter den Ursachen für den Erfolg des neuen Regimes, daß die unbeugsamsten Republikaner im Bürgerkrieg gefallen waren: nullo _adversante cum f er o c iss im i per acies aut proscriptione cecidissent (Tac., ann. 1, 2, 1). Die unerbittlichen Feinde der Römer, die Punier (Virg., Aen. 1,302; Sil. lt., Pun. 1,2), die Parther (Hor., c. 3,2,3), die Sygambrer (Hor., c. 4,2,34), die Latiner werden feroces genannt (Virg., Aen. 1,263), ja Rom selber ist ferox

über ihre Berechtigung bestehen kann. Der Benützer wird für die Erwähnung der Stelle dankbar sein, auch wenn eine Differenzierung nach Kategorien nicht durchgeführt ist, die fraglich bleiben muß.

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(Hor., c. 3,3,44), weil es sich niemals besiegt gibt. Die Bedeutung von ferox aber zeigt, daß der Vers

deliberata morte f erocior, der ein Oxymoron darstellt, in Wahrheit kein selbständiges Kolon ist 71. Der Triumph Kleopatras besteht darin, daß sie sich durch einen wohlüberlegten Selbstmord dem Triumphe Octavians entzieht. ou 'Ö'QLaµßdiaoµmsoll sie nach Livius gesagt haben, wie die Horazscholiasten berichten. Statt dessen gingen die Kinder Kleopatras, Alexander-Helios und Kleopatra-Selene (Dio 51, 21, 8), Alexander von Emesa (Dio 51,2,2) und der Galaterfürst Adioatoris mit Frau und Söhnen (Strabo 12,543 f.; 558) im Triumphzug mit, wobei der Hals der Könige in goldene Ketten gelegt war, wie Properz berichtet (2, 1, 33): regum auratis circumdata colla catenis. Im Tatenbericht verkündet Augustus: in triumphis meis ducti sunt ante currum meum reges aut regum liberi novem (c. 4). Mit taciteischen Worten könnte man hinzufügen: praefulgebat Cleopatra quia tantum effigies eius visebatur.

Der Aufbau der Ode Betrachten wir nun die Ode als Ganzes. Da muß zunächst auf die höchst erstaunliche Raffung hingewiesen werden, mit der ein gewaltiges welthistorisches Geschehen in wenige Strophen gebannt ist. Die kriegerischen Aktionen eines Jahres, ja ein politisches Geschehen, das das ganze Schicksal Kleopatras umgreif!:, ihre dulcis fortuna, ihre vermessenen Eroberungspläne sind hier in einer ungeheuren Verkürzung und Verdichtung Gestalt geworden. Es scheint, als folge der Fall Alexandriens und die endgültige Niederlage und Gefangennahme Kleopatras unmittelbar auf die Schlacht von Actium, während in Wirklichkeit ein volles Jahr dazwischen lag. Dieses überaus dramatische, für Rom und Ägypten schicksalhafte, menschlich bewegende Geschehen ist in eine sehr klare, 71

s.u. s. 105-109.

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architektonische Ordnung gebracht. Die Ode ist in drei große Teile gegliedert, die freilich aufs engste miteinander verklammert sind, so daß das Ganze wie eine einzige große Periode erscheint: I nunc est bibendum (Strophe 1) - ebria (Strophe 3, letzter Vers) II sed minuit furorem (Strophe 3, letzter Vers) - fatale monstrum (Strophe 6, Anfang) III quae generosius (Strophe 6, Anfang) - non humilis mulier triumpho (Strophe 8). Die drei Abschnitte sind von den Themen beherrscht: Kleopatras Wahn, ihr Sturz durch Caesars Sieg, ihr Triumph im Tod. In der Mitte des Ganzen steht Octavians Sieg bei Actium: in medio mihi Caesar erit (Virg., georg. 3, 16). Es ist daher nicht ganz richtig, wenn Ilse BECHERin ihrem vorzüglichen Buch über Kleopatra er.klärt, daß erst von Viigil an die Schlacht bei Actium mit der Flucht Kleopatras als Höhepunkt und Entscheidung gewertet wurde. Im Grunde ist das schon in der Kleopatraode des Horaz der Fall, wie die Komposition beweist. Actium bildet die beherrschende Mitte des Gedichtes und die entscheidende Wende. Formal wird die Geschlossenheit eines jeden der drei Abschnitte dadurch verstärkt, daß Anfang und Ende sich jeweils motivisch zusammenschließen: I trinken und Trunkenheit (nunc est bibendum - fortunaque dulci ebria) II frevlerischer Wahn (sed minuit furorem - fatale monstrum)72 III adliges Verhalten (quae generosius perire quaerens - non humilis mulier). Außerdem sind die Enden der Abschnitte deutlich aufeinander bezogen. I endet mit dem Glücksrausch der Königin (fortunaque dulci ebria), II mit dem erhofften Triumph Caesars (daret ut catenis fatale monstrum), denn die Ketten beziehen sich auf den Triumph (vgl. Prop. 3, 11,49-52), III mit der Vereitelung seines Vorhabens. 72

Wahnsinn und naturwidriges Verhalten sind in der· Vorstellung der Antike aufs engste miteinander verknüpft, ebenso wie umgekehrt das Natürliche und das Vernünftige zusammenfällt.

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c.1,37

Wie jeder dieser Abschnitte durch die Leitmotive, die am Anfang und Ende erscheinen, eine in sich geschlossene Einheit bildet, wie sich jedesmal ein Kreis schließt, so ist auch das ganze Gedicht in sich abgerundet. Die erste Strophe endet mit der Erwähnung der Siegesfeiern, Lectisternium und Saliermahlzeit, und die letzte mit dem Triumph Caesars. So spannt sich ein einziger großer Bogen von der ersten bis zur letzten Strophe. Die Dreigliederung der Ode wird dadurch noch fühlbarer, daß der zweite wie der dritte Abschnitt vom Vorangegangenen jeweils scharf abgesetzt ist und mit einer höchst dramatischen, höchst überraschenden Umkehr beginnt. Der Königin wird plötzlich Einhalt geboten, ihre Wahnbefangenheit zur Realität zurückgeführt: sed minuit furorem ... redegit in veros timores. Aber auch das Verlangen Caesars, das fatale monstrum in Ketten zu legen, wird durch die Königin - im Verlauf des Gedichtes völlig unerwartet - vereitelt73. Aus der Fliehend-Hilflosen (mollis columbas - leporem) wird die Widerstand leistende, im Tode echte Größe gewinnende Königin: quae generosius perire quaerens. Zwischen dem Schreckbild der octavianischen Greuelpropaganda und der adligen Hoheit, die sie im Sterben bezeugt, entsteht so ein schroffer Gegensatz. Trotz dieser zweimaligen Peripetie, die den Gang des Gedichtes bestimmt u:nd die noch dadurch verstärkt wird, daß sie jeweils mitten im Vers erfolgt, sind die drei Hauptabschnitte des Gedichtes durch formale Bezüge miteinander verfugt, die neue Untereinheiten schaffen. So läuft eine groß angelegte Steigerung von dem wahnwitzigen Plan der Königin, das Capitol zu zerstören, über ihre zügellosen Hoffnungen und ihren Glücksrausch zu dem furor, zu ihrem vom Mareotikerwein umnebelten Sinn und dem fatale_ monstrum des Mittelteils. So gesehen bilden die Abschnitte I und TI eine Untereinheit, die auch durch die Trinkmetaphorik (bibendum - Caecubum - ebria - Mareotico) zusammengehalten wird. Auf der anderen Seite ist der Mittelteil mit dem Schlußteil dadurch verknüpft, daß in den Gleichnissen der fünften Strophe, wenn unsere

73

Um dieses für Octavian enttäuschende Ereignis (Plut., Ant. 86) etwas abzumildern, bemerkt Properz (4, 6, 65 f.) tröstend: Di melius! quan-

tus mulier foret una triumphus ductus erat per quas ante Iugurtha vias. Vgl. VoLKMANN,a. 0., S. 213.

Nunc est bibendum

103

Deutung zutrifft, bereits das Mitgefühl gegen die anfangs so bitter geschmähte Königin erwacht, das sich dann im Schlußteil zu großartiger Bewunderung entfaltet .. Denn wie der Mittelteil die Angel (COMMAGER:,,a kind of pivot") des politisch-militärischen Geschehens bildet und die Wende herbeiführt, so vollzieht sich in ihm auf der Ebene des Gefühls - denn jedes augusteische Gedicht ist nicht nur eine Abfolge von Gedanken und Bildern, sondern auch von Gefühlen - die Wendung vom Haß zum Mitgefühl und schließlich zur Bewunderung, von der Schmach zum Ruhm 74, Insofern sind also auch die Abschnitte II und III miteinander verfugt und bilden unter sich wieder eine Untereinheit. Eine weitere Verklammerung wird dadurch herbeigeführt, daß der Anfangs- und der Schlußabschnitt der Ode durch mannigfaltige Bezüge miteinander verknüpft sind, die den symmetrischen Bau des Gedichts verfestigen 75 • Dem Plan der Zerstörung des Capitols und des römischen Imperiums in Strophe 2 steht die Zerstörung der alexandrinischen Königsburg und des ägyptischen Reiches (beides durch iacentem regiam ausgedrückt) in der entsprechenden Strophe 7 gegenüber, der Schar der weibischen Männer in Strophe 3 die unweibliche Frau (nec muliebriter) in Strophe 7. In I erscheint Kleopatra als Königin (regina), die durch Wahnwitz und Trunkenheit ihres Ranges unwürdig ist; in III zeigt die Gestürzte (privata) menschliche Größe (non humilis). Der Kontrast von äußerem Rang und innerem Wert faßt also I und III ebenfalls zusammen. Auf die symmetrische Beziehung der Siegeszeremonien am Anfang und des Triumphes am Schluß haben wir bereits hingewiesen. Schließlich ist auch eine Zweiteilung des Gedichtes insofern angedeutet, als dem Alkaioszitat in Strophe 1 das Homerzitat in Strophe 5 entspricht, wobei die erste Hälfte, nicht ohne Grund an das alkäische Siegeslied anknüpfend, auf die politisch-propagandistische Seite abhebt, während mit der Anspielung auf Homer das Seelendrama der Königin einsetzt. · 14

CoMMAGER, a. 0., p. 50: ,,Triumphal paean has subsided into elegy." (a. 0., p. 160) spricht von einem so jubelnden und tief humanen Gedicht. Unzutreffend NISBET, a. 0., p. 208: ,,The ode ..• shows no real compassion or understanding." COMMAGER, a. 0., p. 50: ,,The ode's second half answers the first in contrapuntal detail."

FRAENKEL

75

104

Auch wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf das wechselnde Tempo des Gedichtes lenken, ist die Grundstruktur des Triptychons und der symmetrische Aufbau deutlich zu erkennen. Indiz für das Tempo ist - eine Tatsache, die oft nicht mit genügender Deutlichkeit erkannt wird - die Wortstellung. Wortverschränkungen und Sperrungen sind Zeichen eines feierlichen, getragenen Tempos, natürliche Wortordnung hingegen deutet auf ein rascheres, gelösteres Zeitmaß. Das Gedicht beginnt, die Festesfreude in Trunk und Tanz spiegelnd, zunächst lebhaft (pede Libero: natürliche Wortstellung), wird jedoch sofort ruhiger, sobald die religiösen Riten - Lectisternium und Saliermahl - genannt werden. Aufs Ganze gesehen sind Anfang und Schluß der Ode durch ein getrageneres, die Mitte durch ein rascheres Zeitmaß charakterisiert. Der Feierlichkeit, mit der die erste Strophe abschließt und die durch das weitgespannte Hyperbaton Saliaribus- dapibus hervorgehoben wird, entspricht die Sperrung superbo - triumpho am Schluß. Auch die Begriffe selbst, Saliermahl und Triumph, stehen in engem Zusammenhang. Wie so oft,, bestätigt sich: inhaltliche Beziehungen werden durch formal verwandte Stilmitel hervorgehoben. Aber trotz der Übereinstimmung im Tempo, trotz der Feierlichkeit, die die Anfangs- und die Schlußstrophe bestimmt, besteht doch ein beträchtlicher Unterschied. Der Schlußabschnitt ist als Ganzes viel ruhiger, während im Anfangsteil schon in der zweiten Strophe das Tempo lebhaft wird, sobald die Rede auf die Königin kommt. Wie von selbst stellt sich hier denn auch gleich die natürliche Wortstellung ein (dementis ruinas, fortunaque dulci)16 • Nur das Durcheinander contaminato cum grege turpium morbo virorum unterbricht die Regelmäßigkeit der Wortstellung. Es malt die krankhafte Störung natürlicher Ordnungen. Der Mittelabschnitt mit seinem rasanten Tempo. duldet vollends keine Veränderung der natürlichen Wortstellung (una sospes navis, mentemque lymphatam, veros timores, mollis columbas, citus venator, nivalis Haemoniae, fatale monstrum). Er enthält keine einzige Sperrung. Die Dramatik der Verfolgung der Königin durch Octavian wirkt sich in der Beschleunigung des Tempos aus. Im Schlußabschnitt aber kehrt wieder Ruhe ein. Die Bewegung wird feierlich-erhaben, majestätisch. Sofort erscheinen auch wieder die 78

Die Sperrung quidlibet- sperare fällt kaum auf.

Nunc est bibendum

105

Hyperbata, beginnend mit latentis - oras, die dann in den beiden Schlußstrophen geradezu leitmotivischen Charakter annehmen. Die syntaktische Struktur bringt die Gefaßtheit der Königin zum Ausdruck. Aber auch hier ist eine dynamische Steigerung nicht zu verkennen. Formal wird diese Steigerung schon dadurch deutlich, daß auf das negative Dikolon nec-nec das positive et-et folgt77• Dem entspricht die Steigerung der Aussage, was sich namentlich aus dem Vergleich von nec muliebriter expavit ensem und fortis et asperas tractare serpentes ergibt. Auch ausa et iacentem visere regiam voltu sereno ist stärker als nec latentis classe cita reparavit oras. Strophe 6 hebt nur die Furchtlosigkeit der Königin hervor, Strophe 7 dagegen ihre heitere Gefaßtheit, die zur Tat schreitet. Die Größe der Königin tritt immer leuchtender hervor: Furchtlosigkeit, heitere Gefaßtheit und Triumph in Niederlage und Tod sind die einzelnen Stufen. Die Steigerung im Schlußabschnitt entspricht dem Anwachsen der Glückstrunkenheit im ersten Abschnitt (Capitolio dementis ruinas - quidlibet inpotens sperare - fortunaque dulci ebria) und der sich steigernden Aktion Caesars vom Schiffsbrand über die Verfolgung zum Ziel, die Königin in Ketten zu legen.

Die stilistische Analyse Bereits PASQUALI 78 hat in seiner stilistischen Analyse der Schlußstrophen gezeigt, wie die Kola anwachsen und wie sie sich symmetrisch ordnen: a quae generosius perire quaerens 4 Worte b nec muliebriter expavit ensem 4 Worte 6Worte c nec latentis classe cita reparavit oras 7Worte c' ausa et iacentem visere regiam voltu sereno b' fortis et asperas tractare serpentes 10Worte ut atrum corpore conbiberet venenum 77

78

Eine ähnliche Steigerung findet sich in der Soracteode, Hor. c. 1,9, 14sqq: lucro I adpone nec dulcis amores sperne I puer neque tu choreas I •.. nunc et campus et areae / lenesque sub noctem susurri. Vgl. o. S. 45. PASQUALI. a. 0 .• D. 57.

106

c.1,37

a' deliberata morte f erocior d saevis Liburnis scilicet invidens privata deduci superbo non humilis mulier triumpho

3 Worte

11 Worte

Nach ihm besteht insofern Symmetrie, als a und a' sich auf den Todesentschluß, b und b' sich auf die Furchtlosigkeit vor dem Tode und c und c' auf den Verzicht auf Flucht beziehen. Vom Sinn her gesehen muß man jedoch die Abschnitte a' und d zusammenziehen, wie wir gesehen haben, so daß die letzte Sinneinheit 14 Worte umfaßt79. Ich finde es auch künstlich, daß PASQUALI die Zusammen- gehörigkeit der nec-Kola und der et-Kola zerreißt, wenn auch die 'Kreisbewegung' richtig erkapnt ist, d~ sich die Beziehung von b und b' einordnet. Denn was stilistisch im Schlußabschnitt der Ode vor allem auffällt, ist der starke Parallelismus, der die Strophen 6 und 7 beherrscht. Ihre Struktur ist jeweils durch ein Dikolon be- _ stimmt. Was aber die Ausgestaltung des Parallelismus innerhalb der beiden Dikola betrifft, so läßt sich auch hier eine Steigerung und Intensivierung feststellen. Während im ersten Dikolon nur der Schluß der Kola parallel läuft: necmuliebriter expavit ensem nec latentis classe cita rep aravit

oras,

sind im zweiten Dikolon größere Wortgruppen vom Parallelismus erfaßt: ausaet iacentem visere regiam voltusereno fortiset asperas tractare serpentes. Hier wird die Wortfolge: gesperrtes Attribut (iacentem, aspera) Prädikat (visere, tractare) - Objekt (regiam, serpentes) genau wiederholt, wobei die Gleichläufigkeit noch dadurch unterstrichen wird, daß visere und tractare Intensiva sind, und zwar im eigentlichen Sinne. Denn sie bringen die Intensität in der Aktion der Königin zum Ausdruck, die mutig genug ist, auf die darniederliegende Königsburg mit heiterer Gelassenheit zu schauen und tapfer die 79

Ein weiteres Argument für die Zusammengehörigkeit der vier Zeilen s. u. S.114ff.

Nunc est bibendum

107

Schlangen anzufassen. Die beiden Sinnesverben (visere, tractare) setzen sich fort und steigern sich zu dem conbibere. Nachdem die Augen und Hände der Königin mit 'furchtbaren Realitäten' in Berührung gekommen sind - man fühlt sich hier an GOETHESAusspruch von der 'furchtbaren Realität' des Horaz erinnert, den uns RIEMERüberliefert hat-, folgt ein weiteres Verbum, das durch das Praefix com- ebenfalls intensivierenden und perfektivierenden Charakter bekommt 80 • Die kunstvolle Verklammerung wird noch dadurch verfestigt, daß die Glieder

et iacentem visereregiam v o lt u s er e n o f o r t i s et asperastractareserpentes miteinander auch durch Chiasmus verknüpft sind: die prädikativen Bestimmungen voltu sereno und fortis stehen in Innenstellung, die anderen Satzglieder aber in Außenstellung 81 , wobei die durch Innenstellung hervorgehobenen prädikativen Bestimmungen Kleopatras überlegene Haltung betreffen. Wir haben es hier mit jener Verbindung von Parallelismus und Chiasmus zu tun, die Cicero mit solcher Meisterschaft ausgebildet und NÄGELSBACH in seiner nun mehr als hundert" Jahre alten lateinischen Stilistik82 klar und anschaulich und in der Sache bis heute nicht überholt beschrieben hat. Der so kunstvoll durchstrukturierte Stil des Horaz wäre ohne die Vollendung der lateinischen Kunstprosa durch Cicero in dieser Weise kaum möglich gewesen. Auch für die Kunst der wachsenden Glieder hat PASQUALI mit Recht auf Ciceros theoretische Darlegun~ gen verwiesen83 • 80

81

82 83

Vgl. LEUMANN-HOFMANN-SZANTYR, Lat. Grammatik, München 1965, Bd. 2, S. 304, über die perfektivierende Kraft des Präfixes com-. Ferner MEILE,REL 13, 1935, 66 ff. E. AHLMANN,über das lateinische Präfix com- in Verbalzusammensetzungen, Diss. Helsingfors 1916. KROLL, Glotta 10, 1920, 276 f. Ähnlich concines in c. 4, 2, 33. Das Gleichgewicht der beiden Sätze verlangt, beide Verben von ausa abhängig zu sehen, und nicht etwa, wie gelegentlich vorgeschlagen wurde, den zweiten Infinitiv von fortis abhängig sein zu lassen. Trotzdem besteht eine formale Beziehung zwischen ausa und fortis. Es sind also auch hier wieder verschiedene Klang- und Sinnstrukturen übereinander gelagert. K. F. v. NÄGELSBACH, Lateinische Stilistik, 11846, 91905 (Nachdr. 1963), s.688 ff. a. 0., p. 61.

108

c.1,37

An die Sätze schließt sich der ut-Satz, der Kleopatras Vergiftungstod beschreibt. Wieder begegnen wir der gleichen Wortfolge: gesperrtes Adjek~iv- Verbum - Objekt: utatrum corpore conbiberet venenum.

Zum drittenmal kehrt also das gleiche stilistische Motiv, das zugleich ein rhythmisch-musikalisches ist, wieder, wobei das in das Hyperbaton Eingefügte nun nicht mehr durch ein Wort (iacentem visere regiam, asperas tractare serpentes), sondern durch zwei Worte gebildet und zudem durch die Paronomasie corpore conbiberet besonders eindringlich gemacht ist. Durch die dreimalige Identität der Wortfolge wird die formale Einheit der Strophe und der damit verbundene Ausdrucksgehalt aufs wirksamste eingeprägt. Im übrigen muß daran erinnert werden, daß beide Strophen, die das Ende · der Kleopatra behandeln, auch im Großen vom Stilmotiv des Chiasmus geprägt sind, denn nichts anderes bedeutet ja die von PASQUALI beobachtete Außenstellung der Worte, die es mit dem Mut der Kleopatra zu tun haben (nec muliebriter expavit ensem fortis et asperas tractare serpentes). Dazu kommt, daß Anfang und Schluß der beiden Strophen den Todesentschluß beschreiben (quae generosius perire quaerens - ut atrum corpore conbiberet venenum). Das Motiv, das das Handeln der Königin bestimmt, um~ rahmt die beiden Strophen und wird in dem folgenden deliberata morte ferocior wieder aufgenommen und weitergeführt. All diese mit großer Sorgfalt überlegten stilistischen Maßnahmen geben der Aussage große Eindringlichkeit, ja eine eherne Monumentalität. Sie sind der Klarheit und Kraft des Handelns der Königin und der Festigkeit ihres Entschlusses angemessen. Auch die Schlußstrophe, die den Triumph der Kleopatra in ihrer Niederlage behandelt, weist eine den beiden vorangegangenen Strophen 6 und 7 verwandte Struktur auf: es wiederholt sich die Innenstellung der entscheidenden Kleopatra-Epitheta, der wir in Strophe 7 begegneten (voltu sereno und fortis). deliberata morte f er o ci o r: saevis Liburnis scilicet in v i den s p r i v a t a deduci superbo non humilis muliertriumpho.

Nunc est bibendum

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Durch dieses formale Merkmal ist also die Schlußstrophe mit det Strophe 7 verknüpft. Aber das stilistische Motiv ist noch gesteigert: nicht jeweils ein Innenepitheton charakterisiert die Königin, sondern deren zwei. Auch dies ist also ein - von PASQUALI noch nicht erkanntes - Prinzip der Steigerung. Am deutlichsten ist dieses Aufbauprinzip der steigenden Vermehrung - mustergültig sozusagen in den Corydonstrophen der siebenten Ekloge Virgils durchgeführt84. Wie dort hat die Maßnahme auch in der Kleopatraode den Sinn, das Gedicht immer mächtiger, eindringlicher, großartiger werden zu lassen. Dazu kommt, daß die Schilderung immer breiter und ruhiger wird, bis in der Schlußstrophe nur noch der eine Gedanke vorherrscht, daß Kleopatra triumphiert, indem sie sich durch ihren wohlüberlegten Selbstmord dem Triumphe Octavians entzieht. Die Struktur der drei Schlußstrophen stellt sich mir also im Unterschied zu PASQUALI etwa folgendermaßen dar: quae generosius 4 Worte a perire quaerens 10Worte b nec muliebriter expavit ensem nec latentis classe cita reparavit oras. ausa et iacentem visere regiam 12 Worte C voltu sereno, fortis et asperas tractare serpentes, a' 5Worte ut atrum corpore conbiberet venenum, 14 Worte d deliberata morte ferocior: saevis Libumis scilicet invidens privata deduci superbo non humilis mutier triumpho. Die Darstellung Kleopatras Alle stilistischen Maßnahmen dienen nicht n_µrdazu, der Ode eine klar gegliederte Ordnung zu geben, die einem ästhetischen Empfinden genügt, das wir als klassisch zu bezeichnen gewohnt 84

V. PöSCHL, Die Hirtendichtung Virgils, Heidelberg 1964, S. 93 ff.

110

c.1,37

sind, sondern der Dichter bedient sich ihrer, um ein welthistorisches Geschehen in seinen wesentlichen Phasen zu erfassen und ihm monumentale, und das heißt bleibende, der Erinnerung und dem Ruhm dienende Gestalt zu geben. Aber nicht nur ein historisches Ereignis wird hier geschildert, sondern auch ein psychologisches. Das äußere und das innere, das politische und das menschliche Drama sind unlösbar miteinander verknüpf!:, und darin ist Horaz allen anderen antiken Darstellungen der Kleopatra überlegen. Die drei Teile des Gedichtes stellen nicht nur in monumentaler Vereinfachung die Grundphasen des Kampfes der Kleopatra gegen Rom dar, ihren maßlosen Angriffsplan, ihre Niederlage und Flucht durch das Eingreifen Octavians und ihren Triumph im Tod, sondern auch ein inneres Drama, in dessen Verlauf sich Gegensätze enthüllen, die sich im Wesen der Kleopatra vereinigen. Das Mittel des Kontrastes, ein Grundelement des klassischen Stils, steht hier im Dienste psychologischer Deutung. Insofern rückt die Kleopatraode in einen großen geistesgeschichtlichen Zusammenhang. Der psychologische Scharfblick der Römei:, der an griechische, insbesondere hellenistische Beobachtungen anknüpft, liebt es, Widersprüche im Menschen aufzudecken. Es ließe sich ein spannendes Buch über die Darstellung von Persönlichkeiten in der römischen Literatur schreiben, in denen diese Gegensätzlichkeit ein Ausmaß erreichte, das die Beobachter immer neu in Erstaunen setzte. Catilina bei Cicero und Sallust, Otho bei Tacitus sind besonders eindrucksvolle Beispiele. Doch hat namentlich Tacitus gern auf solche Widersprüche hingewiesen. Er findet einen unwiderstehlichen Reiz darin, sie aufzudecken. Es hängt dies mit seinem Bemühen zusammen, die konkrete Realität zu erfassen, die stets komplex ist und sich eindeutigen Definitionen entzieht. Seine Menschendarstellung ist mit der römischen Portraitkunst verwandt, die den Mut hat, die Widersprüche im Menschen zu sehen. Was nun den Wandel in Haltung und Stimmung der Königin betrifft, so sind die drei Phasen, die den Bau des Gedichtes bestimmen, wiederum deutlich voneinander abgesetzt: die Vermessene - die von Angst Gehetzte - die heiter Gefaßte; die hoffend Begehrende - die Fürchtende - die über Furcht und Hoffnung Erhabene. Vor allem zeigen wieder die Abschnitte I und III eine sorgfältig überlegte Kontrastierung. Der Wahnsinnigen (dementis ruinas,

Nunc est bibendum

111

furorem, mentemque lymphatam Mareotico) steht die klar überlegende und vernünftig Planende (dejiberata morte) gegenüber, der Maßlosen (Capitolio dementis ruinas funus et imperio parabat) die ihr Schicksal ruhevoll Hinnehmende, der Berauschten (fortunaque dulci ebria, mentemque lymphatam Mareotico) die Klarsichtige (ausa et iacentem visere regiam voltu sereno), der Zügellosen, sehr Weiblichen (quidlibet inpotens sperare, fortunaque dulci ebria) die Beherrschte, die non muliebriter handelt, der Haltlosen (contaminato cum grege turpium morbo virorum) die hoheitsvolle Königin (generosius, non humilis mutier), der den Leidenschaften Ausgesetzten die stoisch Gelassene, der Orientalin die „Römerin" 85 • Der innere Wandel der Königin, ihr Seelendrama, ist im Grunde genommen das Hauptthema. So hat der Dichter dem politischen Auftragsgedicht, in das propagandistische Elemente reichlich, für unser Gefühl zu reichlich, eingeflossen sind, einen neuen und tieferen Sinn gegeben. Der Hauptakzent liegt auf der inneren Charakterisierung der Königin, im ersten und dritten Abschnitt ist das ganz evident. Aber auch die Gleichnisse des Mittelabschnittes dienen nicht allein dazu, das äußere Geschehen von Flucht und Verfolgung zu schildern, sondern enthüllen zugleich die Seelenverfassung der Königin, ihre Machtlosigkeit, ihre Einsamkeit, ihr Ausgestoßensein. Der Wandel aber, der sich in Kleopatra vollzieht, stellt sich dem Dichter als eine große Läuterung dar. Von Wahnbefangenheit und Glückstrunkenheit wendet sie sich, von Octavian gezwungen, der Wirklichkeit zu. Zu der Wirklichkeit hat er sie zurückgetrieben (redegit). Bei dem Ausdruck in veros timores ist das Adjektiv, vom Gesamtverlauf der Ode her betrachtet, noch wichtiger als das Substantiv. Denn in dem, was folgt, schwindet die Angst, aber der Sinn für das Reale bleibt. Die Vermessenheit des Anfangs und die Angst der Mitte wandeln sich zu einer großgesinnten Gefaßtheit, die den erhabenen Vorstellungen würdiger Haltung entspricht, die die Griechen und Römer ausgebildet haben. voltu sereno vermag sie

85

Shakespeare, Antony and Cleopatra IV, 13: "And then what's brave, what's noble, Let's do it after the high Roman fashion, And make death proud to take us."

112

c.1,37

das Ende ihrer Herrschaft zu ertragen. Sie wird so zur Verkörperung der hohen und edlen Tugend der magnitudo animi, der Megalopsychia. Die beiden Seiten der Megalopsychia verkörpert sie mustergültig: den Gleichmut in Glück und Unglück86 und den Stolz, der nicht bereit ist, Kränkung zu ertragen 87 und den Tod der Kränkung vorzieht. Frevlerische Vermessenheit hat sie in die Katastrophe getrieben, aus der sie geläutert und gereinigt hervorgeht. Sie ist darin manchen Gestalten der griechischen Tragödie verwandt, die durch ihr Leiden lernen und die durch ein tragisches Geschick weise und menschlich werden, und auch dies hat· sie mit manchen Figuren der attischen Tragödie gemein, daß dieser Wandel ganz plötzlich eintritt. Durch ihre Niederlage hat Kleopatra eine innere Ruhe und Abgeklärtheit errungen, die es ihr ermöglicht, in einem königlichen Tod ihren wahren Triumph zu feiern88 • Wir können aber nun die Wandlung, die sich hier vollzieht, noch ·unter einem anderen Aspekt betrachten. Sie ist mit Entwicklungen verwandt, denen wir auch in anderen Horazgedichten begegnen. Für den Gang mancher Horazode ist die Entwicklung von wahnbefangener Illusion zu nüchterner Realität kennzeichnend, von einer verwirrenden Leidenschaft zu einer Gefaßtheit, die auch den tiefsten Sturz und das schlimmste Scheitern würdig zu bestehen weiß, die Hinwendung vom Schein zum Wesen. So schildert der Dichter in der Pyrrhaode 89 seine Befreiung von der Liebesleidenschaft,die ihm wie 86

Vgl. Aristoteles, Analyt. Post. 2, 13,97b 21: ,:o&.lluxq,oeoistvai sui:v:x:oiivi:E;xat a'ClJ)CO'UV'CES, ib. 23: fi wta-frsta fi nset i:a; -ru:x:a;. Aristoteles, EN 1, 11, 1100 b 30-33: lltaMµnEt i:o xa16v, snEtllav q,een'CLS sux6Ä.oo; 11:0Ä.Ä.a; xat µsyaÄ.a\;ß-1lO'EL ÖQVL!.11, die wohl mit der Behennuß (Moringa oleifera) identisch ist: %llQ.1t0;eai:Lv öevlleou µuQL:>!.n 00 'tO EV'to;itJ.Lßoµevov EOL:>f.O'tOS oµotou 'tq>J.eyoµevqiIlOV'tL:>!.q> %1lQ1lql 00011:BQ 'tCl 11:L:>f.QCl iiµuyllaJ.a e~h1aw 'ÖYQOV, rI>et; 'tCl 11:0A.U'tBA.ij µuea &.vi:teÄaLouxerov,;m. In:OL;. Ecce res magna habere imbecillitatem hominis, securitatem dei (Seneca ep. 53, 12). Die Gewalten, die sich dem ·Menschen und seinem Glück drohend entgegenstellten: die Völker an den Grenzen des Imperiums der Strom des Schicksals in seiner zerstörenden Gewalt - Jupiter, der den Himmel mit schwarzem Gewölk bedeckt - Fortuna in ihrem grausamen Spiel - die Stürme, die die Kauffahrer mit Vernichtung bedrohen: sie sind nun bezwungen. So faßt der Schluß der Ode alle Fäden zusammen: während der Anfang den Aufruf zur festlichen Freude und Erquickung enthielt und alles W eitere als Aufforderung zum Ergreifen des Augenblicks aufgefaßt werden konnte und als Beiseiteschieben des Dunklen, das den Menschen bedroht, werden hier am Schluß die Schicksalsmächte nicht weggeschoben, sondern besänftigt und verwandelt: tutum per Aegaeos tumultus nimmt die Gewalt der zerstörenden Tiberüberschwemmung noch einmal in das Gedicht hinein, aber bannt ihre zerstörende Kraft. Dieses Zusammenfassen des Ganzen in einem versöhnenden Abschluß ist ein Charakteristikum dessen, was man die 'Satzkunst' in der augusteischen Dichtung nennen kann 57 : Alle Themen des Gedichtes werden am Schluß vereinigt und versöhnt. Aus unberechenbaren, launischen und bösen Mächten sind segnende geworden: der Dichter weiß sich, mit der Gottheit im Bunde, allen Stürmen gewachsen. Weisheit und Dichtung vereint haben das Heil gebracht. Schauen wir von diesem Ende noch einmal auf das Ganze zurück, so ergibt sich eine wunderbare Stufung. Wie bei den anderen Schöpfungen klassischer Kompositionskunst - in der Architektur der römischen Kaiserzeit, der italienischen Malerei der Klassik, der klassischen Musik - sind auch in den Kompositionen der lateinische~ Poesie, wie sie uns am vollendetsten in Virgil, Horaz und Ovid entgegentreten, mehrere Ordnungen übereinandergelagert und ineinander verwoben, so daß sich für die einzelnen Bauteile reizvolle Mehrdeutigkeiten ergeben, je nachdem wir sie der einen oder anderen Ordnung zurechnen. Hierauf beruht die eherne Ge57

Diese 'Satzkunst' der augusteischen Dichtung habe ich an der Sulmonaelegie Ovids aufgezeigt: Ovid und Horaz, Rivista di Cultura Classica e Medievale 1, 1959, 1 ff.

238

c. 3,29

schlossenheit und Festigkeit dieser Gedichte. In der Ode haben wir an wichtigsten Ordnungsprinzipien die Dreigliederung (die schon HEINZEerkannte), eine Gliederung in zwei Hälften und eine solche in vier mal vier Strophen 58• Das Gedicht erweist sich zunächst als ein Triptychon: die vier Strophen der Anfangsgruppe und die der Schlußgruppe umgeben wie eine Schale die acht Kernstrophen, in deren Mitte der Kernsatz steht. Das Einsetzen dieser drei Hauptgruppen ist durch eine besonders mächtige, glanzvolle Eingangsstrophe und einen besonders markanten Eingangsvers deutlich gekennzeichnet: das Symposion, das des 'tyrrhenischen Königssprosses' würdig ist - die Sternbilder Fortuna. Jedesmal ist dieAnfangsstrophe durch ein Trikolon prunkvoll ausgestattet. Die Anfangsgruppe Strophe 1-4 enthält die Einladung, die sich zur Aufforderung an den Freund erweitert, aus dem Bereich der Sorge überzutreten in den Bereich der Heiterkeit und Freiheit. Das „Muster" dieser Gruppe ist mit höchster Kunst gewebt, der Stil ist prunkvoll, dicht, getragen, zum Teil lastend und geballt. Die ersten drei Strophen enthalten je drei sorgfältig gegliederte und abgewandelte Trikola, die vierte bietet den schlichten, heiter ruhigen Abschluß: das Glück, das der Reiche im Hause des Armen findet. Im Gegensatz zu dieser prunkvollen Geformtheit wohnte der Schlußgruppe Strophe 13-16, die den Triumph des Dichters über Fortunens Launen schildert, etwas Heiter-Gelassenes, Enthobenes inne. Der kunstreichen Gegliedertheit und dichten Pracht des Anfangs steht hier eine größere Schlichtheit und Gelöstheit namentlich in den Strophen 14 und 16.gegenüber. Nur ein einziges Trikolon findet sich in der Gruppe und bezeichnenderweise dort, wo Fortunas Gebaren geschildert wird. Zu größerer Dramatik und Schwere erhebt sich die Diktion mir noch in der vorletzten Strophe, wo die Seestürme und das leere Wimmern der Reichen geschildert werden, während die Schlußstrophe durch beschwingte Heiterkeit und den Glanz des Wunderbaren gekennzeichnet ist. Doch selbst in den ge58

In allen Ordnungen waltet das Prinzip der Symmetrie. über dieses Bauprinzip vgl. G. C. AMSTUTZ, Symmetrie in Natur und Kunst, Der Aufschluß 17, 1966, 143-155 (mit Bibliographie).

Tyrrhenaregum

239

wichtigeren Strophen, der Fortuna- und der Seesturmstrophe, sind die Hyperbata und Wortverschränkungen seltener als im Anfangsteil des Gedichtes. Immer wieder setzt sich die schlichtere Wortfolge der Prosa durch (ludum insolentem ludere pertinax, transmutat incertos honores, nunc mihi nunc alii benigna, ad miseras preces decurerre, Cypriae Tyriaeque merces). Thematisch sind Anfangsund Schlußgruppe vor allem dadurch verbunden, daß sie persönlich gehalten sind, daß das Ich des Dichters hervortritt, während sie andererseits insofern miteinander kontrastieren, als der Einladung an den Königssproß Maecenas am Anfang die souveräne Absage ·des Dichters an Fortuna am Schluß entspricht, in der in verhüllter Form auch die Unabhängigkeit des Dichters von Maecenas zum Ausdruck kommt. Stilistisch spiegelt sich das darin, daß dem größeren Prunk der Anfangsgruppe die größere Schlichtheit des Schlußteiles antwortet. Von den persönlich gehaltenen Außengruppen ist die Kerngruppe Strophe 5-12 eingefaßt, in der das Ich des Dichters zurücktritt. Wir haben sie oben ausgeführt analysiert (S. 227ff.). Diese Kerngruppe enthält die stärksten Gegensätze und Spannungen, die grandiosen Bilder, in denen die »Mächte", die das Leben beherrschen, ihren Ausdruck finden: die Sterne - die Völker des Imperiums - der Strom als Sinnbild weitreichender Katastrophen der Weltengott- der Weise. Die erste Hälfte dieser Kerngruppe (Strophe 5-8) ist stilistisch betrachtet immer noch durch das kunstvolle "Muster" der Anfangsgruppe gekennzeichnet: wieder haben wir drei Strophen mit je einem Trikolon: die drei Sternbilder; der Schatten, der Fluß, das Dickicht Silvans; die d~ei Völkerschaften und als Abschluß das Lächeln des Gottes über des Menschen Torheit. Die strenge Geformtheit ist offenkundig, und die genaue Verteilung der Sinngruppen auf die einzelnen Strophen, wobei jede Strophe eine Antithese zur vorangehenden bildet, entspricht dieser strengen und klaren Ordnung. Die zweite Hälfte der Kerngruppe (9-12) ist dagegen tumultuarisch. Die Form ist gesprengt. Die Strophengrenzen · sind gleichsam verschoben. Viermal hintereinander setzt die Sinneinheit erst in der zweiten Hälfte des ersten Verses ein. Es entstehen neue strophenartige Gebilde, in denen sozusagen auch eine neue Form des alkäischen Elfsilblers auftritt, die mit einem Daktylus be-

240

c.3,29

ginnt. Eine übersieht der Verse, nach Sinngruppen geordnet, mag die Verschiebung d~r Strophengrenzen, das die Versgrenzen sprengende Anwachsen der Glieder und das Auftauchen neuer 'Verse' verdeutlichen: '

ceteraf luminis ritu f eruntur 11 Silben nunc medio alveo cum pace 9 " delabentisEtruscum in mare59 9 „ nunc lapides adesos stirpisque raptas 12 „ et pecus et domos volventis una 11 „ non sine montium clamorevicinaequesilvae, 15 „ cum fera diluvies quietos inritat amnis. 15 „ illepotens sui laetusquedeget, 11 „ cui licet in diem dixisse vixi. 11 " crasvel atra nube polum pater occupato vel sole puro, 19 „ non tamen irritum quodcumque retro est 11 „ efficiet neque diffinget infectumque reddet 15 „ quod fugiens semel hora vexit 10 „ Die ungeheure Dramatik und Leidenschaft dieses Abschnitts spiegelt sich in der Sprengung des Satz- und Strophengefüges. In welch kunstvoller Weise die Kerngruppe in sich differenziert ist und wie streng ihre beiden Hälften aufeinander bezogen sind, haben wir früher erörtert. Das hängt nun auch aufs engste mit dem zweiten Gliederungsprinzip, der Gliederung in zwei Hälften zusammen. Formal betrachtet ist die erste Hälfte des Gedichtes (Strophen 1-8) im Ganzen prunkvoller, strenger und dichter als die zweite. Die festlich prunkvolle Intonierung der Eingangsstrophe, die sich in dem Trikolon der Requisiten des Symposions manifestiert, wird in nicht weniger als sechs Strophen der ersten Odenhälfte durchgeführt (Strophen 1-3 und 5-7), die alle je ein Trikolon enthalten. Die in der ersten Strophe angeschlagene Tonart beherrscht sozusagen die erste Hälfte der Ode. In der zweiten Gedichthälfte kommen hingegen nur zwei Trikola in Strophe 12 59

Die höchst seltene Synaphie Etruscum/in mare beruht also im Grund darauf, daß sich hier gleichsam ein neuer alkäischer Neunsilbler gebildet hat.

Tyrrhena regum

241

und 13 vor. Aber sie sind anderer Art. Es wird nicht die bunte Fülle der Wirklichkeit aufgezeigt (die Requisiten des Symposions, die Orte der römischen Campagna, Last und Prunk Roms, die Sternbilder der Julihitze, die Orte der Erquickung, die Grenzvölker), sondern je ein einziges Verhalten - das Ankämpfen der Gottheit gegen das Vergangene (Strophe 12) und das Gebaren Fortunas (Strophe 13) - wird dreifach auseinandergelegt. Die zweite Odenhälfte ist weniger dicht und streng gebaut 60 : in ihrem ersten Teil sprengt die leidenschaftliche Bewegung die Form, im zweiten lqst heitere Gelassenheit die Strenge. Inhaltlich bewegt sich die erste im Aktuellen, Konkreten, die zweite im Prinzipiellen und Allgemeinen; die Gaben, die auf Maecenas warten, die Orte, auf die sein Blick von dem mächtigen Palast in der lärmenden und rauchenden Stadt fällt, seine politischen Aufgaben, die Grenzvölker, deren Verhalten ihm Sorge bereitet, sind spezifiziert. Die hintereinander aufgehenden Sternbilder, die die Julihitze bringen, und auch der Hirt und seine Herde sind als real vorgestellt. Wir bewegen uns im Rahmen der römischen Wirklichkeit: die Landstädte der Umgebung Roms: Tivoli, Aefula und Tusculum in Strophe 2 leiten über zu Rom, das die Strophe 3 mächtig beschließt. Von dem Bild Roms und seiner in Rauch und Lärm eingehüllten Schätze führt dann eine Brücke zu den drohenden Völkern an den Grenzen des Reichs, den Serern, Baktrern und Skythen (die durch den Don re60

Auch wenn wir die von N. I. HEREScu, La Poesie Latine, Etude des structures phoniques, 1960, untersuchten Vokalassonanzen an den Strophenschlüssenin Rechnung ziehen, ergibt sich eine stärkere Formung der ersten Gedichthälfte. 1. Strophengruppe (1-4): capillis

2. Strophengruppe (5-8):

parricidae Romae frontem siccos ventis discors memento

In der zweiten Gedichtshälfte finden sich als einzige Assonanzen nur noch adesos und quietos in den Strophen 9 und 10 (hier macht sich gleichsam die Formung der ersten Odenhälfte noch bemerkbar), dann finden sich keine Assonanzen mehr. Ich halte es für ausgeschlossen, daß dies Zufall ist. 16 Pöschl, Horazische Lyrik

242

c.3~29

präsentiert sind). Das ist zugleich eine deutliche Steigerung: die Landstädte, Rom, das Imperium. Hier kann man besonders klar das •wachsen' der Ode erkennen. Auch im Anfang der zweiten Hälfte erscheint noch ein Element der Wirklichkeit Roms: der Tiberstrom, aber es ist das einzige und nur noch Gleichnis und so fügt es sich dem prinzipiellen Charakter ein, der die zweite Gedichthälfte bestimmt. Auch die Fahrt des Dichters durch die Meereswogen müssen wir als ein Gleichnis ansehen. Es ist die Zweiteilung, die die Struktur auch anderer Horaz~ gedichte bestimmt: in ihrer ersten Hälfte behandeln sie einen speziellen Anlaß, um im zweiten das Thema ins Allgemeine zu erweitern und zu vertiefen 61 • Schließlich ist unsere Ode auch in vier Viererstrophengruppen gegliedert, und hier ergibt sich eine Überraschung. Aufs Große gesehen läßt sich das Gestaltungs- und Bewegungsprinzip, das sie bestimmt, folgendermaßen beschreiben. Di~ ersten beiden Gruppen (1-4 und 5-8) zeigen eine auffallende formale Übereinstimmung: auf je drei Strophen mit je einem Trikolon folgt eine abschließende Strophe, in der die Bewegung zur Ruhe kommt, die Spannung nachläßt und die Gegensätze sich mildern: der Reiche kehrt im Haus des Armen ein, der Gott verweist den ängstlich in die Zukunft Blickenden auf die Gegenwart. Strophe 1 und 2 und Strophe 5 und 6 sind überdies, wie wir gezeigt haben, jeweils miteinander verkoppelt und im Gegensinne gleich gebaut (o. S. 213ff.). Die beiden ersten Gruppen bilden gleichsam ein Paar. Die dritte Vierergruppe (9-12) durchbricht die durch die beiden ersten Gruppen gesetzte Form. Sie enthält die leidenschaftlichste, dramatischste, die Geschlossenheit der Form am stärksten sprengende Bewegung, aber auch die gedanklich bedeutungsvollste Thematik, die vierte (13-16) die gelösteste, gelassenste, heiterste, überlegenste. Die Intensität wächst von der ersten Strophengruppe über die zweite zur dritten, die ein Höchstmaß an Spannung, Leidenschaft und Energie erreicht und den Höhepunkt der Bewegung bildet, die den Verlauf der Ode kennzeichnet: der unentrinnbaren zerstörenden Gewalt des Flusses steht die Gespanntheit des Weisen und die Unvernichtbarkeit des 81

Ein Musterbeispiel ist das Propemptikon an Virgil c. 1, 3 Sie te diva potens Cypri. Auch die Soracteode gehört hierher, o. S. 30-51.

Tyrrhenaregum

243

quod retro est und quod fugiens semel hora vexit gegenüber, gegen das selbst die Gottheit vergeblich ankämpft. Ist das nicht so, als sei hier das Grundprinzip der alkäischen Strophe ins Große projiziert, wo auf zwei parallele Elfsilbler der gewichtige Neunsilbler folgt, auf dem in so mancher Strophe das Hauptgewicht zu ruhen scheint (z. B. cum flore Maecenas rosarum; transmutat incertos honores) und danach der beschwingte Zehnsilbler den Abschluß bildet? Zwei parallele Gebilde; ein besonders gewichtiges; ein besonders beschwingtes: das ist das Gesetz, das die Gangart der alkäischen Strophe bestimmt. Grosso modo läßt sich nun dieses Prinzip, sehe ich recht, nicht nur im Aufbau der vier Vierergruppen, sondern - zumindest der Tendenz nach - auch in den einzelnen Vierergruppen selbst beobachten: auf zwei eng zusammengehörige, aufeinander bezogene, parallele Strophen (1 und 2, 5 und 6, 9 und 10, 13 und 14) folgt die Strophe, auf der das Hauptgewicht zu liegen scheint: 3 die f astidiosa copia des Maecenas, 7 seine Sorgen um das Imperium, 11 der Triumph des Weisen über das gewalttätige Gebaren des Schicksalsgottes, 15 der überlegene Blick des Dichters (non est meum) auf die gierigen Kauffahrer in Seenot. Auf die jeweils gewichtigste Strophe aber folgt eine Strophe, in der die Gegensätze sich lösen und zu einem harmonisch heitern Ausgleich gelangen: die Einkehr des Reichen im Haus des Armen, das Lächeln der Gottheit und der Trost der Gegenwart, die Unzerstörbarkeit des Augenblicks, die glückliche Meeresfahrt. Die Schlußstrophen der Vierergruppen bringen also jedesmal eine Art von Versöhnung und Erlösung, ein Ausklingen im Harmonischen, Heiteren, Leichten. In allen vier Schlußstrophen erscheint, und das ist ebenfalls bezeichnend, ein Gott, in Strophe 4 gleichsam versteckt der parvus Lar im Haus der Armen, unter dem die Reichen Erleichterung ihrer Sorgen finden, in 8 der Gott, der allein die Zukunft kennt und über die unbegründeten Ängste des Sterblichen lächelt, in 12 der Schicksalsgott, der dem Weisen den Besitz des Vergangenen nicht entreißen kann (hier ist es gleichsam der Weise selbst, der das Göttlicherepräsentiert, während der pater ja nur Verkörperung der blinden, dumpfen, grausamen, unberechenbaren Schicksalsgewalt ist}, in 16 die Dioskuren, die die Meeresfahrt des Dichters gnädig beschützen.

244

c.3,29

Die Ode besteht als aus 16 alkäischen Strophen, die in vier Gruppen zusammengeschlossen sind, die man als vier Großstrophen bezeichnen könnte, von denen jede, Einzelstrophe einem, vers entspricht, und die vier Großstrophen selbst bilden gleichsam eine alkäische Riesenstrophe: Strophe; Vierergruppe und Ode folgen dem gleichen Prinzip: nil inexpertum nostri reliquere poetae, um das Motto von HEREscus Buch über die lateinische Dichtung zu wiederholen. Die Ode 3,29, ein Glanzstück horazischer Dichtkunst und Summe seiner Lebensphilosophie, ist das krönende Gedicht vor Exegi monumentum: die Botschaft, mit der der Dichter den Leser entläßt. Sie steht in enger thematischer Beziehung zur ersten Römerode, die das dritte Odenbuch einleitet. Die feierliche Ankündigung von carmina non prius audita, die der Jugend Roms zu Gehör gebracht werden sollen, darf auch auf dieses das Buch krönende Gedicht bezogen werden. Wie 3, 29 stellt die erste Römerode den Ängsten und Sorgen der Mächtigen den ländlichen Bereich der Freiheit und das glückliche Dasein des Dichters gegenüber. Auch sie ist eine· epikureisch gefärbte Botschaft62 • Wie sie bei den Königen einsetzt (Regum timendorum imperium est lovis) und mit dem zufriedenen Dichter endet, der nicht 'mühevollere Reichtümer' gegen sein Sabinertal eintauschen möchte, so beginnt 3,29 mit dem_ Königssproß, der von den Sorgen und Ängsten seiner Stellung bedrängt wird, und klingt aus in der heiteren Fahrt des Dichters durch die Stürme des Lebens. Aber 3, 29 steht auch in Beziehung zu 1, 1, nicht nur hinsichtlich der Anrede, sondern auch in der Abgrenzung des dichterischen Daseins von andern Berufen. Blicken wir nun auf die vorletzten Gedichte der ersten beiden Bücher, so ergibt sich zunächst, daß auch diese Gedichte (c. 1,37 Nunc est bibendum und 2, 19 Bacchum in remotis) ebenso wie c. 3, 29 alkäische Gedichte sind, wodurch die besondere Bedeutung des Alkaios für Horaz unterstrichen wird. Inhaltlich sind alle drei Oden von stärkstem Gewicht: Nunc est bibendum ist die Verherrlichung des Sieges von Aktium, die geistreich und menschlich nobel nicht die Verherrlicliung des Augustus zum Hauptthema wählt, 62

Vgl. o. S. 144.ff.

Tyrrhena regum

245

sondern die Königin, die königlich zu sterben wußte 63 • In 2, 19 Bacchum in_remotis, dem schönsten Dionysosgedicht des Horaz, wird die Berufung des Dichters durch den Gott Diony:sos (Baccbttm ... vidi ... credite posteri) angedeutet, in der Gestalt des Dichtergottes aber die erlösende, todbezwingende Gewalt der Dichtung symbolisiert. 3,29 aber ist die epikureische Botschaft, die den Freund zum Glück führen will. Die Ode ist das einzige 16strophige alkäische Gedicht des Horaz. Das ist gewiß kein Zufall. Ebensowenig wird es ein Zufall sein, daß die beiden andern Gedichte an gleich hervorgehobener Stelle je 8 Strophen haben (ebenso wie das letzte Gedicht des vierten Odenbuches 64). Daß auch hier alkäische Großstrophen intendiert wären, wie in c. 3,29, würde ich nicht zu behaupten wagen. Wahrscheinlich ist c. 3,29 der einzige horazische Versuch, die Struktur der alkäischen Strophe ins Große zu projizieren .. Der Versuch, das Prinzip der alkäischen Strophe gleichsam in drei Dimensionen durchzuführen, war nur in einem 16strophigen Gedicht möglich. In den drei durch ihre Stellung und Thematik herausgehobenen ·Gedichten sind drei Formen des Alkaios nachgestaltet und überboten: das sympotische politische Gedicht, der Götterhymnus und das sympotische Freundschaftsgedicht. Dem Sieg des Augustus (dessen Beschreibung genau die Mitte der Kleopatraode einnimmt), dem Dichtergott Dionysos und dem Gönner und Freund Maecen sind diese die Bücher krönenden Gedichte gewidmet. Politik, Dichtung und Weisheit sind ihre großen Themen, und die Weisheit ist ganz im Sinne Epikurs mit der Freundschaft verknüpft. 63

Vgl. o. S. 111ff.

64

Acht Strophen hat von den alkäischen Oden sonst nur noch c. 3, 2.

c. 3,30 1

Exegi monumentum aere perennius regalique situ pyramidum altius, quod non imber edax, non aquilo impotens possit diruere aut innumerabilis

2

annorum series et fuga temporum. non omnis moriar multaque pars mei vitabit Libitinam: usque ego postera crescam laude recens, dum Capitolium

3

scandet cum tacita virgine pontifex: dicar, qua violens obstrepit Aufidus et qua pauper aquae Daunus agrestium regnavit populorum, ex humili potens

4

princeps Aeolium carmen ad Italos deduxisse modos. sume superbiam quaesitam meritis et mihi Delphica lauro cinge volens, Melpomene, comam.

5

10

15

c. 3,30 1 Ich habe ein Denkmal errichtet, dauernder als Erz und höher als

das königliche Vermodern der Pyramiden, das nicht zerfressen der Regen, nicht der zügellose Nordwind zerstören kann oder die zahllose 2

Reihe von Jahren und die Flucht der Zeiten. Nicht ganz werde ich sterben, ein großer Teil von mir wird Libitina vermeiden: immer werde ich durch den Nachruhm wachsen in Frische, solange zum Capitol

3

hinaufsteigt mit der schweigenden Jungfrau der Pontifex: man wird von mir reden dort, wo der heftige Aufidus entgegenrauscht und wo der wasserarme Daunus über ländliche Völker herrschte, daß ich, aus einem Niedrigen ein Mächtiger geworden,

4

als erster das äolische Lied zu italischen Weisen abspann. Lege Stolz an, den du durch Verdienste erwarbst, und mit delphischen Lorbeer umwinde mir gnädig, Melpomene, das Haar.

Den Vergleich seiner Dichtung mit einem sichtbaren Ruhmesdenkmal verdankt Horaz dem Pindar (Pyth. 6) und dem Simonides ' (5 D), ·und manche Einzelheiten hat er daher übernommen 1• Aber wie gewöhnlich hat er das übernommene verwandelt, gesteigert und einem völlig neuen Zusammenhang eingeordnet. Ein bedeutsamer Unterschied fällt sogleich in die Augen. Während die griechischen Dichter sportlichen Siegern und nationalen Helden durch ihr Lied unsterblichen Ruhm bereiten wollen - Pindar einem Sieger in den pythischen Spielen und dessen Vaterstadt Agrigent, Simonides den Thermopylenkämpfern 2 -, werden die Oden des Horaz ein unvergängliches Denkmal für ihn selber sein. Eine so stolze Selbstrühmung findet sich, soviel ich sehe, bei griechischen Dichtern soweit uns ihre Texte erhalten sind, nicht3, wohl aber bei Isokrates, der 1

2

8

Nach I. TRENCSENYI-WALDAPFEL, Acta Ant. Hung. 12, 1964, 155ff., spielt auch Poseidippos eine Rolle (Athenaeus 596 cd = epigr. XVII, The Greek Anthology, Hellenistic Epigrams, ed. by A. S. F. Gow and D. L. PAGE2 Bde., Cambridge 1965), wo jedoch nur nebeneinander Buchseiten und ein Denkmal als bleibend dem vergangenen Körper der Geliebten gegenübergestellt sind. Werke der bildenden Kunst und Dichtwerke werden öfter polemisch. konfrontiert, z. B. Pind., Nem.5,1; Ov., Pont.4,8,31ff.; Hor., epist.2,1,248ff.; c.4,2, 19f.; Mart.,9,76,9-10; Plin., epist.3,10,6; Agathias (A. P. IV 3c): Vgl: auch die folgende Anmerkung. Properz 3, 2 seiner Geliebten Cynthia, Virgil dem Nisus und Euryalus (Aen. 9,448 ff.). Hierüber und ähnliche Stellen (z. B. Tib. 1, 4, 65 ff.) W. STROH in seiner (noch ungedruckten) Dissertation Die römische Elegie als werbende Dichtung, Heidelberg 1967, im Kapitel „Unsterblichkeit des Besungenen". Bacch., epin. 10, 11 bezeichnet sein Lied als äihl.vn.ov Mouaav äynAµn; Alkaios frg. 13 D; vgl. Anm. 4. Immerhin scheint es Verwandtes gegeben zu haben, vgl. Sappho frg. JtQoi;-nvn~ -ciJJve'liömµovoov 193 LP: otµm M x.nt l:wcqioüi; äx.'l')Y..oevm ÖoY..ouaiiiv e!vm yuvmxiJJvµeynÄ.nu:x;ovµeV'l')i; x.nt "-eyoua'l')i;roi;mhriv nt EJtOL'l'JO'!lV x.nt roi; oüö' aJtoMoüam -cipllvn öi..ßtnv -ce x.nt l;,'l')ACO't'rjV -OnvouO"l')i; fo-cm M1-0TJ. . Weitere Stellen bei Treu (s. u. A. 4) mit Diskussion der Topik. Die Unvergänglichkeit der Dichterwerke und der Dichter selbst war für Plato eine selbstverständliche Vorstellung, vgl. Symp. 209 c 7: x.nt Jtäi; äv Ö8\;!lL'tO t!l'U't(fl'tOLO'U'tO'Ui; Jtni:öai;µäAÄ.OV yeyovevm i\ -coui;Cl~QC01CLVO'lli;, x.nt eti; uܵ'l')QOV änoßM-1jmi;x.nt 'Hatoöov ,fixt -coui; äHoui;

Exegi monumentum

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von der Antidosisrede sagt, er hoffe, ·er werde in ihr ein schöneres Denkmal hinterlassen, als die Weihegeschenke aus Erz (Antid. 7): µvT)µEiovµou n:oJ.:u'KO:AALO'V ')((X't'(lAßL. Die gleicheWendung ist bei Horaz in der Ode Vixi puellis nuper idoneus (c. 3,26) antizipiert'. Dabei handelt es sich um Übernahme eines Motivs der antiken Liebesdichtung,aber auch wie immer bei Aussagen, die uns unmittelbar überzeugen,um ein Phänomen des Lebens.Ein Psychologehat den Vorgang, der hier beschriebenwird, als «Ligurious-Schock•definiert'. Eshandele sidi. um die typischeKri~e, die beim Eintritt ins Mannesalter und dann wieder als Gegenstück beim Fünfzigjährigen aufzutreten pflegewid den Psydi.ologenwohl bekannt sei. Ich möchte es dahingestellt sein lassen, ob sich das so präzise auf bestimmte Lebensstufen festlegen läßt. Eines jedenfalls ist sidi.er:Liebesleidenschaftin ihrer extremen Form ist etwas, das de,; ganzen Menschenergreift,·so daß für nichts anderes mehr Platz ist; Sie ist, wie dies Orcega y Gasset in seinen «Betrachtungenüber die Liebe• beschriebenhat, in erster Linie ein Phänomen der Aufmerksamkeit: «Die Dinge, die uns vorher besdiäftigten, werden ausgeschieden.Die Aufmerksamkeit ist gelihmt. Sie ist unbeweglich,von einem einzigen Wesen eingefangen, theia mania, göttliche Besessenheitwie Plato sagt.» Diesen Seelenzustand hat Horaz in unserer Ode festgehalten. Das aber· bedeutet: der Dichter ist das Opfer einer Llebesleidenschaflgeworden, wie sie die römischen'Elegiker schildern. Die zahlreichen Versuche, eine scharfe Trennungslinie zwischen der horazischen Liebeslyrik und der römischenLiebeselegiezu ziehen,müssenals gescheitertgeiten•. Aud_,ein anderes Element unserer Ode ist der römischenLiebesdichtungnicht fremd: das homoerotische.Die Iuventiusgedidi.tedes Catull (24; 48; 81; 99) und die Marathuselegien des Tibull (1,4; 1,8; 1,9) bezeugenes, aber in der horazischenLiebesdichtungist es noch stärker vertreten. Es ist sicherkein Zufall, daß unsere Ode, die am eindrucksvollsten eine unlösbare Liebesverstrickungdes Dichters zum Ausdruck bringt, einem schönen Knaben gilt. Nicht weniger bezeidmend ist es, daß in der Ode, die das große griec:hischeVorbild des Horaz, den Alkaios, preist, gerade dessen Liebesgedichteauf den schönenLykos ge_nannt.werden,von deren Existenz wir nur durch Horaz wissen(c. 1,32):

3 F..Lefevre,RhM Ül, 1968, 166-189, hat darauf hingewiesen. 4 Vgl. u. S. 136. 5 D. Mecke, Der Ligurinunchock I und II, in: Psyche, Zeiachr. für P,yv µ&Al Kai -yaAn µsAOltOlliiV fl 1jlUXli 'tOO'to &Q1Ca'tEX6µsvat,fµcpQOVE~lll: oöaat oi), Kai 't6°'JV -ya~s.at. Hierzu bemerkt H. Flashar, Der Dialog Ion als Zeugnis platonischer Philosophie, Berlin 1958: ,,Dieses Bild bezeichnet die Gegenwart der Kraft des Dionysos ... Die ursprünglich ganz dem Gotte eigene Kraft geht dann auch auf seine schwärmerischen Verehrerinnen über" (S. 60). Es ist bedauerlich, daß wir hinsichtlich der Vorstellungen Demokrits über den Enthusiasmus der Dichter (B 18, vgl. dazu Flashar, a.O., S. 56, A. 4) nichts Genaueres wissen. Selbst ein so skeptischer Geist wie Montaigne konnte sich dem bezaubernden Wesen der Dichtung nicht entziehen; er beschreibt sie: .,il est plus eise de 1a faire que de Ja cognoistre. A certaine mesure basse, on 1apeut juger par !es prcceptes et par art. Mais 1a bonne, l'excessive, Ja divine esc au-dessus des regles et de 1a raison. Quiconque en discerne Ja beauce d'une veue ferme et rassise, il ne 1a void pas, non plus que Ja splendeur d'un esclair. Elle ne pratique point nostre jugement, eile Je ravit et ravage. La fureur qui espoin~nne celuy qui 1a S!,llitpenetrer, 6ert encore un tiers a 1aluy ouyr traitter et reciter" (M. Montaigne, Essais, Texte ctabli par A. Thibaudet, Paris 1939, p. 235).- .,Es ist leichter, Poesie zu machen, als Poesie zu verstehen. Ist sie von geringerem Wert, dann läßt sie sich nach Vorschrift und Können beurteilen. Die gute aber, die außerordentliche, die göttliche, die ist erhaben über Regeln und Vernunft. Wer ihre Schönheit festen und gesetzten Blickes wahrnimmt, der sieht sie so wenig wie den Strahl eines Blitzes. Sie will nicht unser Denken in Gang setzen, sie reißt es hin und überwältigt es. Die Besessenheit, die den für sie empfänglichen Menschen packt, entzündet auch noch einen

320

Die Dionysosode .des Horaz (c, 2,19)

[228]

snde vocalemtemereinsecstae Orpheasilvae, arte maternarapid!Jsmorantem flsmi1111111 /aps111 celeristp1e ventos (c. 1, 12,7-10) 57 =1 ,,Dem .singenden Orpheus folgten dorther blindlings die Bäume, mit der Kunst seiner Mutter hielt er das rasche Strömen der Flüsse und die schnellen Winde auf." Wie nahe ist das der Formulierung •111 flectis amnis, IIImare barbarsm' (c. 2, 19, 17). Von einer neuen Seite erschließt sich dem Verständnis, weshalb Horaz das Bild, das aus dem Mythos des indischen Heerzugs des Dionysos stammt, daraus löste und ins zeitlos Gültige hob. Dionysos erscheint so Orpheus angenähert. In beiden wird die Macht des Gesanges, die Macht der Dichtkunst verkörpert. Wie nahe dem Horaz eine solche Identüikation lag, geht aus einer Stelle der Ars poetica hervor: ,,Nur deshalb", heißt es dort, ,,sagt man von Orpheus, er habe durch seinen Gesang Tiger und Löwen bezähmt, weil er als Vermittler göttlichen Wollens (interpresdeor11111) die Urmenschen von. Mord und Menschenfraß abbrachte. Nur deshalb heißt es von Amphion, er habe mit dem Klang seiner Leier Steine zu Mauern gefügt, weil die Dichter es waren, welche die Menschen unter der sittlichen Macht der Gesetze zu vereinen wußten" 58• Im Hymnus an Merkur (c. 3, 11) lädt der Dichter den Gott und die von ihm erfundene Leier ein, Weisen zu singen, durch die Lyde seinem Liebeswerben gefügig gemacht werden kann: ,,Denn du kannst Tiger und Bäume zu deinem Gefolge machen und schnelle Flüsse aufhalten. Deinem Schmeicheln wich der Türhüter des unheimlichen Palastes" 59, womit wieder auf Cerberus angespielt ist. Wie Dionysos, Hermes und Orpheus, so kann auch Alkaios; das wichtigste Dichtervorbild des Horaz, den Höllenhund besänftigen und durch seinen Gesang das hundertköpfige Ungeheuer dazu bringen, daß es „seine schwarzen Ohren voll Staunen senkt und die Schlangen in den Haaren der Eumeniden zu neuem Leben erwachen" 60 •

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5• 59

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anderen, der ihm zuhört, wenn er· über sie spricht oder sie vorträgt" (Übers. _H.Fried- · rich). H. Friedrich hat gezeigt, daß sich diese Auffassung Montaignes nicht nur auf die neuplatonische Mode seines Jahrhundetts zurückführen läßt, sondern mehr noch „aus der enthusiastischen Anlage seiner eigenen Natur" resultiert (H. Friedrich, Montaigne, 2. Aufl., Bem-Munchen 1967, S. 52). . In der Hirtendichtung Virgils findet sich ein ganz ·ähnlicher Gedanke, wenn Virgil von rt11pef11,t11e ,ar111ine /y,t