Historische Schule und Common Law: Die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Rechtsdenken [1 ed.] 9783428478125, 9783428078127

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Historische Schule und Common Law: Die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Rechtsdenken [1 ed.]
 9783428478125, 9783428078127

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MATHIAS REIMANN

Historische Schule und Common Law

Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History Vergleichende Untersuchungen zur kontinentaleuropäischen und anglo-amerikanischen Rechtsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. H e l m u t

Coing

und Prof. Dr. Dr. h. c. K n u t W o l f g a n g

Band 14

Nörr

Historische Schule und Common Law Die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Rechtsdenken

Von

Mathias Reimann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Reimann, Mathias: Historische Schule und Common Law : die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts im amerikanischen Rechtsdenken / von Mathias Reimann. — Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Comparative studies in continental and Anglo-American legal history ; Bd. 14) ISBN 3-428-07812-8 NE: GT

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-1167 ISBN 3-428-07812-8

Inhaltsverzeichnis Einleitung: Beale, Savigny und die Jurisprudenz als Wissenschaft

9

Erster Teil

Hintergrund Kontinentaleuropäisches Rechtsdenken im Common Law bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts

18

A. Lehre: Civil Law als romanistische Dogmatik

19

B. Methode: Naturrecht und systematische Jurisprudenz

25

C. Kultur: Die romanistische Rechtstradition als Bildungsideal und Politik

29

Zusammenfassung

33

Zweiter Teil

Blütezeit Historische Schule und Rechtswissenschaft in der „klassischen Ära" des amerikanischen Rechts 1860-1920 Übermittlung: Wege deutscher Ideen ins anglo-amerikanische Rechtsdenken ....

35 39

1. Literatur

40

2. Anglo-Amerikanische Studenten an deutschen Universitäten

44

3. Wissenschaftlicher Austausch

50

A. Die historische Schule als Rechtslehre: Savigny und das anglo-amerikanische Rechtsdenken

53

I. Das Recht als Ausdruck des Volksgeistes

56

1. Variationen des Volksgeist-Themas

57

2. Von Ursprung und Geist des Common Law

63

II. Der Gewohnheitscharakter des Rechts

68

1. Das Common Law als „Body of Custom"

69

2. Gewohnheit als Sicherheits- und Richtigkeitsgarantie

71

6

Inhaltsverzeichnis III. Geschichtliche Entwicklung und organisches Wachstum

73

1. Die Geschichtlichkeit des Rechts

75

2. Organisches Wachstum

79

3. Evolution und Fortschritt

82

Zusammenfassung

86

B. Die historische Schule als Methode: Faszination und Verheißung der geschichtlichen Rechtswissenschaft I. Das historische Element: Theorie und Praxis der geschichtlichen Erforschung des Rechts 1. Die Jurisprudenz als geschichtliche Rechtswissenschaft 2. Die deutsche Forschung als Maß aller Dinge 3. Anglo-amerikanische Sonderwege und Eigenarten II. Das systematische Element: Rechtswissenschaft als Ordnung der Begriffe 1. Die Suche nach Ordnung

90 97 97 103 114 121 123

2. Das Common Law als Jurisprudenz der Begriffe

130

3. Die Systematisierung des anglo-amerikanischen Rechts

142

4. Der Kampf ums Common Law

147

III. Die Verbindung von Geschichte und System: Positivismus und Idealismus in historischer Schule und Legal Science

155

1. Geschichtliche Wirklichkeit und ideale Ordnung

156

2. Individuelle Willkür und kollektives Bewußtsein

160

3. Bewährung und Grenzen der klassischen Rechtswissenschaft Zusammenfassung

166 173

C. Die historische Schule als Kultur: Rechtswissenschaft im Felde beruflicher und politischer Interessen

177

I. Status: Der Common Lawyer als Akademiker

179

1. Die Wende zur akademischen Juristenausbildung

180

2. Die neuen Rechtsprofessoren

189

3. Das Beharren der praktischen Tradition II. Kompetenz: Wissenschaftler gegen Gesetzgeber

199 206

1. Der Streit um die Kodifizierung des Rechts

208

2. Common Law und moderne Gesetzgebung

215

3. Die Führungsrolle der wissenschaftlichen Juristen III. Politik: Konservatismus, Liberalismus und Demokratie 1. Die historische Rechtswissenschaft als Konservatismus

220 224 226

2. Legal Science und Laissez Faire

230

3. Die Kontinuität und Neutralität des Rechts

235

4. Klassischer Rechtsbegriff und moderne Demokratie

239

Zusammenfassung

245

Zur Überlegung: Die historische Schule als Bindeglied zwischen Civil Law und Common Law

246

Inhaltsverzeichnis Dritter

Teil

Niedergang Die Abwendung von historischer Schule und klassischer Rechtswissenschaft in Amerika A. Rechtslehre: Vom organisch-logischen zum soziologischen Rechtsbegriff ...

250 253

B. Methode: Von der Jurisprudenz der Begriffe zu Sociological Jurisprudence und Legal Realism

258

C. Kultur: Die deutsche Rechtswissenschaft und das Kaiserreich Zusammenfassung

270 274

Schluß: Eine gescheiterte Rezeption?

276

Biographischer Anhang. Kurzbiographien der wichtigsten erwähnten angloamerikanischen Rechtsgelehrten und Historiker

289

Literaturverzeichnis

308

Hinweis zur Zitierweise In den Fußnoten werden Quellen und Literatur nur nach Autor, Titel und Seite zitiert. Die vollen bibliographischen Angaben finden sich im Literaturverzeichnis.

Einleitung: Beale, Savigny und die Jurisprudenz als Wissenschaft In einem langen Aufsatz i m Harvard Law Review des Jahres 1905 blickte Joseph Beale, Professor an der Harvard Law School, auf die Entwicklung des Rechtsdenkens i m 19. Jahrhundert zurück. Dabei sah er weit über den amerikanischen Umkreis hinaus und gelangte er auch zu Savigny und zur historischen Schule; in unmittelbarem Zusammenhang damit beschrieb er sodann die Fortschritte der amerikanischen Jurisprudenz seiner Zeit: „The impulse given to legal study by the work of Savigny and his school has in the last generation spread over the civilized world and profoundly influenced its legal thought . . . In England a small but important school of legal thinkers have followed the historical method, and in the United States it has obtained a powerful hold. The spirit of the age, here too, has supported it. We are living in an age of scienfitic scholarship. We have abandoned the subjective and deductive philosophy of the middle ages, and we learn from scientific observation and from historical discovery. The newly accepted principles of observation and induction, applied to the law, have given us a generation of legal scholars for the first time since the modern world began, and the work of these scholars has at last made possible the intelligent statement of the principles of law". 1 Die allgemeine Weltgeltung, die hier eingangs für Savigny festgestellt wird, ist angesichts seines international anerkannten Ranges nicht weiter erstaunlich. Bemerkenswert ist aber, daß ein amerikanischer Common Lawyer einem deutschen Romanisten zugleich eine so starke Wirkung auf das anglo-amerikanische Rechtsdenken bescheinigt. Eine genauere Betrachtung des Textes deutet einige Aspekte dieser Wirkung an. Zunächst ist der Grad der Bedeutung erstaunlich, den Beale Savigny und historischer Schule für die Welt des Common Law zugesteht. Schon der Hinweis auf die „wichtige" Anhängerschaft in England fällt auf. V o r allem aber spricht die Feststellung, die historische Schule habe „mächtigen Z u g r i f f 4 auf die Jurisprudenz Amerikas genommen, eine deutliche Sprache. Offenbar sieht Beale, einer der führenden Juristen seiner Zeit, in Savignys Ideen ein wichtiges Element i m Rechtsdenken der USA. Beales Ausführungen verraten zugleich etwas über die konkrete A r t der Bedeutung, die er der historischen Schule in den Vereinigten Staaten beimißt. Diese Bedeutung ergibt sich für ihn aus dem Zeitgeist, der nicht mehr durch deduktive 1

Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 283.

Einleitung

10

Philosophie geprägt werde, sondern durch die induktive wissenschaftliche Methode. W i e Savigny neunzig Jahre zuvor die deutsche Jurisprudenz durch die historische Methode zur modernen Wissenschaft erhoben hatte, so sieht Beale nun auch in Amerika „historical discovery" und „scientific observation" als Merkmale des neuen, wissenschaftlichen Zeitalters i m Rechtsdenken. Schließlich macht Beale deutlich, wer eine solche moderne Rechtswissenschaft in die Tat umsetzen muß, und worin ihr Ziel besteht. Ganz wie bei Savigny, so stehen auch bei ihm die Rechtsgelehrten i m Vordergrund. Ist ihnen bei Savigny die Ermittlung der „leitenden Grundsätze" als wissenschaftliche Aufgabe zugewiesen 2 , so erklärt Beale sie in ähnlicher Weise für berufen, eine verständliche Darstellung der Grundprinzipien des Rechts zu erarbeiten. Beales Bemerkungen, zu denen sich aus den Federn seiner Zeitgenossen zahlreiche Gegenstücke finden, zeugen also von einer starken Bedeutung der historischen Schule für das amerikanische Rechtsdenken. Offenbar sah seine Generation in Savigny nicht nur einen großen Gelehrten aus einem fremden Land, sondern einen Wegbereiter auch für die Rechtsentwicklung in Amerika. Und offenbar war ihr die historische Methode nicht nur eine fast hundert Jahre alte Idee eines deutschen Juristen, sondern ein die Gegenwart weltweit prägendes Kriterium wissenschaftlicher Jurisprudenz überhaupt. Beales Text läßt die Einzelheiten und konkreten Zusammenhänge jedoch offen und gibt dadurch zu vielen Fragen darüber Anlaß, was es mit der W i r k u n g der historischen Schule und der deutschen Rechtswissenschaft in den Vereinigten Staaten genau auf sich hatte. W o r i n drückte sich etwa der „mächtige Z u g r i f f 4 der deutschen Ideen auf das amerikanische Denken konkret aus? Welche Verbindungen gab es zwischen der deutschen historischen Methode und dem amerikanischen Konzept der Rechtswissenschaft? Warum orientierte sich hier ein amerikanischer Jurist überhaupt an Savignys Vorstellungen von der wissenschaftlichen Durchdringung des Rechts und an seinen Überzeugungen von der prominenten Rolle der Rechtsgelehrten? U n d schließlich: War der Idee der Jurisprudenz als Wissenschaft i m Sinne Savignys in Amerika bleibender Erfolg beschieden? a) Antworten auf diese und ähnliche Fragen sucht man in der deutschsprachigen Literatur vergeblich. Zwar ist die internationale Wirkung Savignys bekannt 3 und w i r d der Einfluß der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts i m Ausland beschrieben 4 . Ihre Bedeutung in der Welt des Common Law w i r d dabei aber eher am Rande bemerkt. W o der anglo-amerikanische Rechtskreis überhaupt bedacht wird, haben allenfalls Savignys Ausstrahlungen nach England ein wenig

2

Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 22. 3 Vgl. Wolf, Große Rechtsdenker 527 ff. 4 Vgl. vor allem Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande; Thieme, Die deutsche historische Rechtsschule Savignys und ihre ausländischen Jünger; siehe auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 443 f.

Einleitung Beachtung gefunden 5 . Über die Wirkung der historischen Schule und der deutschen Jurisprudenz auf das amerikanische Rechtsdenken gibt es nur wenige und vage Andeutungen 6 . So entsteht leicht der — nach Beales Zeugnis falsche — Eindruck, diese W i r k u n g habe vor den Toren der Neuen Welt haltgemacht. Immerhin ist die englischsprachige Literatur dem gelegentlich entgegengetreten. Vereinzelte Beiträge haben auf die Wirkung der historischen Schule auf das Common Law allgemein und auf die amerikanische Jurisprudenz i m 19. Jahrhundert insbesondere hingewiesen. Jedoch handelt es sich dabei um Einzeluntersuchungen, die weder alle wichtigen Aspekte abdecken noch den Zusammenhang zwischen ihnen erfassen 7 . M i t anderen Worten: Es gibt zwar deutliche Hinweise auf eine erhebliche Wirkung der historischen Schule und der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts auch in den U S A , aber keine umfassende Untersuchung darüber. b) Eine solche Untersuchung ist der Gegenstand dieser Arbeit. Dieser Gegenstand bestimmt ihren sachlichen, zeitlichen und örtlichen Rahmen. Eine Erläuterung seiner drei Dimensionen wird die Orientierung des Lesers erleichtern. Sachlich geht es vor allem um die Wirkung der deutschen auf die amerikanische Rechtskultur durch das Konzept der Jurisprudenz als historischer Wissenschaft. A u f deutscher Seite betrifft das die geschichtlich-systematische Rechtswissenschaft, die von Savigny begründet und von seinen Nachfolgern in viele Spielarten abgewandelt wurde. I m einzelnen zählen dazu: Die Grundlage dieser Jurisprudenz

5 Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 47-63; Thieme, Die deutsche historische Rechtsschule Savignys und ihre ausländischen Jünger 261 f.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 444. 6 Bei Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 60, finden sich nur wenige Sätze; Wolf, Große Rechtsdenker 528 beläßt es bei einer kurzen Bemerkung; vgl. auch die knappen Hinweise bei Koschaker, Europa und das römische Recht 128, 276, sowie ders., Die Krise des römischen Rechts 28, Anm. 1. Allerdings liegen Untersuchungen vor über die Wirkung der kollisionsrechtlichen Lehren Savignys in den USA; vgl. Gutzwiller, Der Einfluß Savignys auf die Entwicklung des Internationalen Privatrechts 109 ff.; Kegel, Story und Savigny. ι Den vorliegenden Einzeluntersuchungen verdankt die Arbeit gleichwohl Einblicke in wichtige Teilbereiche; zu nennen sind vor allem die Beiträge von Clark, Graziadei, Herget, Hoeflich, Riesenfeld, Schwartz (über Austin), Sugarman und Stein, die im Literaturverzeichnis aufgeführt sind und an geeigneter Stelle zitiert werden. Außerdem ist hinzuweisen auf drei meiner eigenen Aufsätze, The Historical School Against Codification, Holmes' „Common Law" and German Legal Science, und A Career in Itself, in denen bereits einige der im folgenden ausgeführten Überlegungen angelegt sind. Im übrigen schenken zumindest die amerikanischen Standardwerke zur Rechtsgeschichte internationalen und rechtsvergleichenden Gesichtspunkten noch weniger Beachtung als ihre deutschen Gegenstücke. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist das allerdings rechtstheoretisch und -philosophisch orientierte Buch von Herget, American Jurisprudence 1870-1970. Zur Wirkung des deutschen, historischen Denkens in den USA auf dem Gebiet der Social Sciences (Geschichte, Politologie, Wirtschaftswissenschaften und Soziologie) ausführlich Herbst, The German Historical School in American Scholarship.

Einleitung

12

in Savignys Erklärung der Rechtsentstehung und -entwicklung; sein darauf beruhendes methodisches Programm als Kombination aus historischer Ermittlung und systematischer Ordnung des Stoffes mitsamt den daraus hervorgegangenen Richtungen der wissenschaftlichen Rechtsgeschichte, der Begriffsjurisprudenz und der Pandektistik; schließlich die durch die Erneuerung der Jurisprudenz mitbewirkte Blüte der akademischen Rechtskultur einschließlich ihrer Ausbildungsziele und ihres wissenschaftlichen Prestiges. Wenn also i m folgenden von der „historischen Schule" die Rede ist, so ist damit nicht nur Savignys Lehre und Generation gemeint 8 , sondern, in einem weiteren Sinne, das Konzept und die Kultur der geschichtlichen Rechtswissenschaft, wie sie in Deutschland von Savigny bis Windscheid vorherrschte. Ein solch weiter Begriff ist hier aus zwei Gründen gerechtfertigt. Z u m einen bildete die aus der eigentlichen Schule Savignys hervorgegangene „konstruktivgeschichtlich-positivistische R i c h t u n g " 9 mit jener insofern eine Einheit, als sie auf den Grundgedanken Savignys beruhte, insbesondere auf der Idee der Jurisprudenz als einer historischen, d. h. auf das positive Recht gerichteten Wissenschaft. Z u m anderen wäre eine strenge Unterscheidung zwischen historischer Schule i m engeren Sinne und den daraus erwachsenen Zweigen hier verfehlt, weil auch die zeitgenössischen anglo-amerikanischen Rechtsdenker sie meist nicht vornahmen; vielmehr betrachteten sie die moderne deutsche Rechtswissenschaft in der Regel als ein zwar durch Savigny begründetes, i m weiteren aber auch Rechtsgeschichte und Begriffsjurisprudenz, Pandektistik und wissenschaftlichen Positivismus umfassendes Phänomen. Dem entsprach in den Vereinigten Staaten die Legal Science, die aus den Wurzeln des historisch-evolutionistischen Rechtsverständnisses einerseits und der Analytical Jurisprudence andererseits hervorging, und als deren Symbol heute Christopher Columbus Langdell gilt. Diese, in der heutigen Literatur gern „classical legal t h o u g h t " 1 0 genannte Richtung beruhte ebenfalls auf der Überzeugung v o m Recht als Produkt geschichtlicher Entwicklung und umfaßte ihrerseits sowohl die wissenschaftliche Erforschung der Rechtgeschichte als auch das Bemühen um eine begrifflich-systematische Strukturierung des Rechts. Sie war deshalb

8

In der deutschen Literatur wird der Begriff der „historischen Schule" hingegen meist in einem engeren, nur Savignys Generation umfassenden Sinne gebraucht, vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 348 ff.; den späteren Entwicklungen gegenüber etwas offener Stintzing /Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I / 2 , die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der „historisch praktischen Richtung" sprechen, id. 834 ff. 9 Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I / 2 834. •o Kennedy, Toward a Historical Understanding of Legal Consciousness: The Case of Classical Legal Thought in America 1850-1940; Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 9 ff. etc.; Sugarman, Legal Theory, the Common Law Mind, and the Making of the Textbook Tradition 44; Grey, Langdell's Orthodoxy, spricht von „Classical Legal Orthodoxy".

Einleitung gleichfalls eine „historical school o f l a w " in der weiteren Bedeutung einer Jurisprudenz vom geschichtlich vorgegebenen und deshalb positiven Recht 1 1 . A u c h zu ihr gehören jenseits des Rechtsverständnisses und der wissenschaftlichen Methodologie liegende, kulturelle und politische Erscheinungen wie vor allem die Etablierung des Common Lawyers als Akademiker und die Abwehrhaltung gegenüber der Gesetzgebung. Diese, i m folgenden als Classical Legal Science bezeichnete Schule prägte eine ganze Ära des amerikanischen Rechts fast genauso entscheidend wie Savignys Konzept der Rechtswissenschaft das deutsche 19. Jahrhundert bestimmt hatte. Damit geht es auf deutscher wie auf amerikanischer Seite um die historische Schule als Rechtswissenschaft i m klassisch gewordenen, geschichtlich-systematischen Sinne und in all ihrer inhaltlichen, methodischen und kulturellen Vielfalt. Das schließt die gegen diese Methode gerichteten Strömungen grundsätzlich aus, die am Ende des 19. Jahrhunderts in beiden Ländern aufkamen. In Deutschland gehören dazu vor allem die Ideen des späteren Jhering und die daraus hervorgegangenen Richtungen der Interessenjurisprudenz, der freien Rechtsschule und der Rechtssoziologie. I m amerikanischen Rechtsdenken betrifft das die Überlegungen von Holmes, Gray und Pound, sofern sie sich bereits gegen die klassische Classical Legal Science und damit auch gegen Beale und seine Auffassungen wandten 1 2 . Zwar gibt es auch diesbezüglich vielfältige Verbindungen zwischen deutschen und amerikanischen Vorstellungen 1 3 , doch sind diese neuen Ideen ein von der klassischen Rechtswissenschaft ganz verschiedenes Kapitel, in dem es nicht mehr um Gelehrte wie Beale und Savigny, sondern um Denker

11

Allerdings wird der Begriff der „historical school" oder der „historical method" von den zeitgenössischen anglo-amerikanischen Juristen auf so unterschiedliche Weise gebraucht, daß die konkrete Bedeutung meist nur aus dem Kontext zu erschließen ist. Wie in Deutschland, so war damit oft nur die historische Methode Savignys oder seiner anglo-amerikanischen Pendants, vor allem Maines gemeint; insofern bildet sie einen Gegensatz zu anderen Ansätzen, vor allem der „analytical" und der „philosophical method", vgl. Bryce, The Methods of Legal Science 609 ff. Mitunter dachte man dabei aber auch vor allem an James Coolidge Carter und sein Umfeld, zu ihm unten vor allem Zweiter Teil A 1.1. und II. sowie C.II.l. und 2.; dann galt die historische Schule als ein Symbol der Abneigung gegen Kodifikation und Gesetzgebung in Amerika, vgl. etwa Pound , The Spirit of the Common Law 156 ff. Zum Teil setzte man aber die „historical school" auch weitgehend gleich mit dem in der amerikanischen Jurisprudenz nach 1870 vorherrschenden, wissenschaftlichen Denken, so etwa Beale in der eingangs zitierten Textstelle; hier entsprach die „historical school" oder „method" im wesentlichen der Classical Legal Science überhaupt, so oft bei Pound aus kritischer Sicht, vgl. Pound, The Philosophy of Law in America 392; ders., The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence 602 f. Letztere Sichtweise kommt dem hier Gemeinten am nächsten. 12 Diese Denker stehen an der Grenze zwischen klassischer Rechtswissenschaft und modernen Strömungen, dazu unten Dritter Teil A. und B. • 13 Dazu insbesondere Herget I Wallace, The German Free Law Movement as the Source of American Legal Realism; Herget, The Influence of German Thought on American Jurisprudence, 1880-1918; ders., American Jurisprudence 1870-1970 158 ff.

14

Einleitung

wie Ehrlich und Cardozo geht 1 4 . Diese moderneren Ideen werden deshalb hier nur insoweit mitbehandelt, wie sie zum Verständnis des weiteres Schicksals der historisch-systematischen Rechtswissenschaft nötig sind. Aus dem sachlichen folgt der zeitliche Rahmen. Die deutsche, historischsystematische Rechtswissenschaft durchzog das gesamte 19. Jahrhundert, reichte sie doch von Savignys Beruf bis zur Kodifikationsphase. A l s Beale 1905 seinen Aufsatz schrieb, war sie allerdings vorüber. Schon das zeigt, daß es auf amerikanischer Seite um einen gegenüber dem deutschen etwas verschobenen Zeitraum geht. Zwar genoß das deutsche Rechtsdenken schon seit dem früheren 19. Jahrhundert auch in Amerika erhebliches Prestige, die Blütezeit der historisch-systematischen Jurisprudenz in den U S A als Classical Legal Science aber reichte vom Bürgerkrieg bis in den Ersten Weltkrieg, also etwa von 1860 bis 1920. Die Untersuchung befaßt sich vornehmlich mit dem Rechtsdenken in Deutschland und den Vereinigten Staaten, doch ist der örtliche Rahmen weiter gesteckt als die geographischen Grenzen dieser beiden Nationen. Zwar geht es nicht vorrangig um die Beziehungen zwischen Civil Law und Common Law i m allgemeinen, doch repräsentierten die deutsche und amerikanische Jurisprudenz der Zeit auch diese weiteren Rechtskulturen, sodaß ihre Mitgliedschaft darin zu berücksichtigen ist. Die deutsche Rechtswissenschaft umfaßte auch für Beale und seine Kollegen den deutschsprachigen Raum Mitteleuropas und war ihnen darüberhinaus die seinerzeit führende Vertreterin einer größeren, der kontinentaleuropäischen Rechtsfamilie. Noch wichtiger ist die Zugehörigkeit zu einem weiteren Umkreis auf der amerikanischen Seite. Das Rechtsdenken in den U S A läßt sich meist nur i m Zusammenhang mit der englischen Jurisprudenz verstehen, die deshalb etwa auch bei Beale ganz selbstverständlich mitbedacht wird. Zwar waren englische und amerikanische Rechtsauffassungen auch i m 19. Jahrhundert nicht unbedingt dasselbe 15 , doch verstanden sich die Juristen in den beiden Ländern noch weitgehend als Vertreter einer gemeinsamen Tradition des Common L a w 1 6 . Zudem gelangte viel deutsches Gedankengut auf dem U m w e g über England nach Amerika. Deshalb werden insbesondere die englische Rechtsgeschichtsforschung und die Analytical Jurisprudence in die Betrachtung einbezogen, obwohl sie nicht eigentlich zur (amerikanischen) Classical Legal Science gehörten. 1 7 14 Diese beiden Namen sind hier stellvertretend genannt für die damalige Auffassung von der Jurisprudenz als soziologischer Wissenschaft. Zudem hatte Ehrlich für Cardozo einen ähnlichen Stellenwert wie Savigny für Beale; vgl. Cardozo, The Nature of the Judicial Process 16 f., 19,49, 69 f. etc. Zu dieser Periode des amerikanischen Rechtsdenkens ausführlich Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken, sowie Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas. »5 Das wird besonders deutlich am unterschiedlichen Einfluß der systematischen Elemente deutschen Rechtsdenkens, dazu unten Zweiter Teil B.II. 16 Dazu ausführlich Cos grove, Our Lady, the Common Law.

Einleitung c) Selbst innerhalb des so begrenzten Gebietes verspricht die Untersuchung in mehrerer Hinsicht Gewinn. M a n kann sie unter zumindest drei Gesichtpunkten lesen, die allerdings alle miteinander verquickt sind: Als Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte, als Arbeit über einen Teilausschnitt des Verhältnisses zwischen C i v i l und Common Law und schließlich als Rezeptionsstudie. Unabhängig von der Sichtweise steht i m Mittelpunkt immer die Idee der Jurisprudenz als Wissenschaft v o m positiven Recht, die jedoch jeweils von verschiedenen Seiten beleuchtet wird. Sieht man die Arbeit als Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte, so geht es um das Konzept der Rechtswissenschaft als eine auch ins Ausland wirkende Errungenschaft deutscher Jurisprudenz. Insofern schließt die Untersuchung die schon erwähnte Lücke i m Wissen über die Bedeutung der historischen Schule jenseits der kontinentaleuropäischen Tradition. Sie zeigt, was bisher weitgehend übersehen wurde, nämlich daß das deutsche Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts auch i m Bereich des Common L a w , in Amerika, zu großer Bedeutung gelangt ist. Als Arbeit über einen Teilaspekt des geschichtlichen Verhältnisses zwischen C i v i l und Common Law w i l l sie zur allmählichen Revidierung der noch immer weitverbreiteten Ansicht beitragen, kontinentaleuropäisches und anglo-amerikanisches Rechtsdenken hätten jedenfalls i m 19. Jahrhundert i m großen und ganzen voneinander nichts wissen w o l l e n 1 8 . Diese Sichtweise leuchtet allenfalls solange ein, wie man nur das Trennende in den beiden Rechtskulturen sieht — den Erfolg der Kodifikationen hier, die hohe Zeit des Fallrechts dort. Es gab aber auch gewichtige verbindende Elemente. In diesem Zusammenhang wird die klassische Rechtswissenschaft betrachtet als ein beide Rechtsfamilien seinerzeit gleichermaßen prägendes und somit verbindendes M e r k m a l 1 9 . Es ist also die Rede v o m

17 In sachlicher, zeitlicher wie örtlicher Hinsicht sind oft Verallgemeinerungen unvermeidlich, die dem Kenner der deutschen oder anglo-amerikanischen Rechtsentwicklung auffallen müssen. An den wichtigsten Stellen wird auf sie hingewiesen, um den Leser vor Fehleinschätzungen zu bewahren. Im übrigen aber sind derartige Verallgemeinerungen der Preis für das Aufzeigen der großen Entwicklungslinien und internationalen Zusammenhänge, um die es hier letztenendes geht. Dieser Irrglaube hat sich seit Maitlands tadelnder Bemerkung, der Common Lawyer habe sich nur für sein eigenes Rechtssystem interessiert, Maitland, Why the History of English Law is not Written 488, zum Teil bis in die Gegenwart und selbst mitunter bei prominenten Gelehrten auf dem Gebiet der vergleichenden Rechtsgeschichte gehalten, vgl. Dawson, The Oracles of the Law 505; Helmholtz, Continental Law and Common Law: Historical Strangers of Companions? 1208; siehe auch v. Caenegem, The Birth of the English Common Law 85. Die Gegenstimmen, die die enge Verbindung zwischen den Rechtsfamilien betonen, waren schon zu Maitlands Zeiten stark, vgl. etwa Freund, Historical Jurisprudence in Germany 486, und haben in jüngster Zeit noch zugenommen; vgl. Reimann (Hrsg.), The Reception of Continental Ideas in the Common Law World 1820-1920. 19 Dabei waren freilich die deutschen Gelehrten den amerikanischen Juristen um ein halbes Jahrhundert voraus, wodurch die ersteren für die letzteren zu einer Art Vorbild wurden.

Einleitung

16

„Vorliegen einer verwandten methodischen Haltung, ähnlicher Zielsetzungen und Erfolge, aber auch entsprechender Gefahren und Verirrungen" 2 0 . Die Arbeit ist schließlich eine Fallstudie zur Rezeption von Ideen. Insofern betrachtet sie das Konzept der Rechtswissenschaft als Gegenstand eines Übertragungsprozesses zwischen zwei Kulturen. Dabei w i l l sie vor allem die Vielschichtigkeit sowohl der Idee als auch ihres Einflusses offenlegen. Sie versucht, die oft nur schwer faßbaren Hintergründe herauszuarbeiten, und bemüht sich, die mannigfaltigen Motive deutlich zu machen, die einen solchen Rezeptionsvorgang tragen. Hier spürt sie der Frage nach, warum mehrere Generationen amerikanischer Juristen sich von aus Deutschland stammenden Konzepten und Methoden faszinieren ließen. Sie bemüht sich aber auch zu erklären, warum die amerikanische Rechtskultur sich nur manche dieser Vostellungen auf Dauer zu eigen machte, während sie andere, entscheidende Ideen letztendlich wieder verwarf 2 1 . Zwar geht es in jedem dieser drei Zusammenhänge um den Einfluß einer deutschen Idee auf die amerikanische Rechtskultur, doch dürfen dabei weder die Idee noch der Begriff des Einflusses in einem engen Sinne verstanden werden. Bei der Idee der geschichtlich-systematischen Rechtswissenschaft handelte es sich nicht nur um ein methodisches Konzept sondern um ein die gesamte Rechtskultur prägendes Phänomen. Es bestand nicht allein aus Vorstellungen über Methoden und Ziele, sondern hatte auch berufliche und institutionelle, soziale und politische Dimensionen. M i t anderen Worten, beim Streben nach wissenschaftlicher Jurisprudenz ging es auch um die Fragen, von wem und w o sie betrieben wurde, wen sie privilegierte und welchen Interessen sie diente. Schon daraus folgt, daß auch der Einfluß der Idee nicht in dem Sinne zu verstehen ist, daß eine bestimmte deutsche Vorstellung die Ursache einer bestimmten amerikanischen Vorstellung war. Eine derart monokausale Betrachtung der Beziehungen zwischen Rechtskulturen wäre naiv. Rechtskulturen sind komplexe Verbindungen aus vielen Elementen, sodaß auch die Beziehungen zwischen diesen Kulturen entsprechend komplex ausfallen. Bei der Untersuchung des Einflusses kann es deshalb nicht vorrangig um den Nachweis einzelner linearer Wirkungen gehen. Ziel muß vielmehr die Darstellung vielschichtiger und meist unterschiedlich starker Verbindungen sein, die oft nicht bis ins letzte Detail zu entwirren sind. „Einfluß" ist deshalb eine Frage des Wirkungsgrades, der Vielfalt und des Zusammenspiels von Faktoren. So schreibt Beale auch nicht, Amerika sei Savignys Ideen gefolgt, sondern die historische Methode habe sich dort festgesetzt, weil der Geist der Zeit ihr entsprochen habe.

20

Thieme, Die deutsche historische Rechtsschule und ihre ausländischen Jünger 259. Die Ergebnisse der Untersuchung unter diesen drei Gesichtspunkten sind zusammengefaßt im Schluß (a.). 21

Einleitung d) Aus Gegenstand und Zielsetzung folgt der Aufbau der Arbeit. Seine Grundprinzipien sind ein M i n i m u m an chronologischer Ordnung und die Auffächerung der einzelnen Ebenen, auf denen das deutsche Denken in Amerika gewirkt hat. Das M i n i m u m an Chronologie wahrt die Abfolge der drei von Einleitung und Schluß eingerahmten Hauptteile. Deren erster schildert knapp die Sichtweise der anglo-amerikanischen Juristen v o m kontinentaleuropäischen Rechtsdenken bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, die den Hintergrund ihrer Reaktion auf die historische Schule bildete. Der zweite Hauptteil stellt den eigentlichen Kern der Arbeit dar und beschäftigt sich m i t der Blütezeit der historischen Schule in den Jahrzehnten nach dem Bürgerkrieg, als Savignys Lehren, Wissenschaftsdogma und deutsche Rechtskultur überhaupt in höchstem Ansehen standen. I m letzten Abschnitt geht es schließlich um den Niedergang der klassischen deutschen Rechtswissenschaft in Amerika, der um die Zeit des Ersten Weltkriegs unverkennbar wurde. Die Auffächerung der Wirkungsebenen drückt sich aus in der inneren Struktur dieser Teile, die jeweils dieselben drei Hauptaspekte unterscheiden. Die Bedeutung der deutschen Jurisprudenz lag zum einen in ihrem Inhalt, also ihrer konkreten Rechtslehre. Z u m zweiten waren die amerikanischen Juristen an der deutschen Methode, vor allem an der Kombination aus historischem und systematischem Ansatz interessiert. Schließlich hatte auch das mit Inhalt und Methode verbundene Umfeld, d. h. die Kultur der Rechtswissenschaft, eine starke Wirkung, indem sie berufliche und politische Interessen prägte und legitimierte. Erst das Zusammenwirken all dieser Elemente erklärt Bedeutung und Einfluß der deutschen historischen Schule und Rechtswissenschaft in den U S A . Der Schluß stellt die Frage, inwieweit die Rezeption des deutschen Konzepts der Jurisprudenz als Wissenschaft in Amerika aufgrund seines Niedergangs um 1920 als gescheitert gelten muß. Er gelangt zu einer differenzierenden Antwort und bemüht sich um eine Erklärung für das unterschiedliche Schicksal der deutschen Ideen i m amerikanischen Rechtsdenken. Jeder Hauptabschnitt w i r d kurz eingeleitet und zusammengefaßt; daran mag sich der nach einem Überblick suchende Leser orientieren. Der Anhang enthält kurze Biographien der wichtigsten, i m Text erwähnten anglo-amerikanischen Rechtsdenker.

2 Reimann

Erster Teil

Hintergrund Kontinentaleuropäisches Rechtsdenken im Common L a w bis zur M i t t e des 19. Jahrhunderts Die Wirkung der deutschen historischen Schule auf das amerikanische Rechtsdenken in der Zeit der klassischen Legal Science war kein plötzliches und isoliertes Phänomen. Sie war vielmehr nur das seinerzeit jüngste Kapitel des fortwährenden kontinentaleuropäischen Einflusses auf das Common L a w , der weit vor 1860 zurück- und weit über Deutschland und Amerika hinausreichte 1 . Sie stand also in einem größeren zeitlichen und kulturellen Zusammenhang. Auch für Beale und seine Kollegen hatten die deutschen Ideen von historischsystematischer Jurisprudenz deshalb eine Vorgeschichte und einen Kontext in den bisherigen Berührungen des Common L a w mit zivilistischem Rechtsdenken. Die dabei gewonnenen Erfahrungen prägten unweigerlich die Sichtweise, mit der die amerikanischen Juristen den deutschen Vorstellungen gegenübertraten. M a n kann darum den Aufstieg und die Bedeutung der historischen Schule in Amerika nur dann wirklich verstehen, wenn man weiß, was sich für die Generation Beales mit dem kontinentaleuropäischen Rechtsdenken allgemein verband. Der erste Teil der Untersuchung erläutert deshalb den Hintergrund, vor dem die deutschen Ideen sich präsentierten. Zugleich w i r d damit die Grundlage dafür geschaffen, i m weiteren Verlauf der Untersuchung zu verstehen, inwieweit das Aufkommen der historisch-systematischen Jurisprudenz gegenüber dem vorherigen europäischen Rechtsdenken aus der Sicht der amerikanischen Juristen Kontinuität oder Wandel bedeutete. Was war ihnen an den deutschen Ideen als Merkmal zivilistischen Denkens altvertraut? Inwiefern brachte die deutsche Vorstellung von Rechtswissenschaft ihnen Neues? Weder zur Erklärung der amerikanischen Sichtweise noch zur Beurteilung von Kontinuität und Wandel ist eine chronologische und möglichst vollständige Zu-

1 Vgl. dazu Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800, der den kontinentaleuropäischen Einfluß auf das Common Law in drei Hauptphasen einteilt: Das Mittelalter (12. und 13. Jahrhundert), das Zeitalter des Humanismus, und die moderne Zeit von 1600-1900. Letztere wiederum untergliedert er in eine romanistische (17. und frühes 18. Jahrhundert), französische (18. Jahrhundert bis ca. 1830) und deutsche (ca. 1830 bis 1900) Phase, id. 1105 f. Vgl. auch Helmholz, Continental Law and Common Law.

Α. Lehre

19

sammenfassung der vorangegangenen Wirkungen des C i v i l auf das Common Law notwendig. Es geht vielmehr darum herauszuarbeiten, was die kontinentaleuropäische Rechtstradition aufgrund der Vergangenheit für die amerikanischen Juristen bedeutete, d. h. auch worin diese ihre guten und schlechten Seiten sahen. W i e in der Einleitung bereits angedeutet, lassen sich drei hauptsächliche Bedeutungsebenen ausmachen. Das C i v i l Law war den anglo-amerikanischen Juristen zunächst eine Welt materieller Rechtslehren, d. h. hier eine Ansammlung romanistisch geprägter Regeln und dogmatischer Figuren (dazu sogleich Α.). Zudem verbanden sie mit dem europäischen Rechtsdenken spätestens seit der Zeit des Naturrechts eine bestimmte Methode, nämlich das logisch-systematische Denken meist deduktiver Prägung (unten B.). Schließlich war das C i v i l L a w aber auch eine Rechtskultur, mit der die Common Lawyers bestimmte Vorstellungen etwa von juristischer Bildung und politischem Charakter assoziierten (C.).

A. Lehre: Civil Law als romanistische Dogmatik In erster Linie bedeutete das C i v i l Law für die anglo-amerikanischen Juristen die Gesamtheit der rechtlichen Doktrin, die auf das klassische römische Recht und das Corpus Iuris Justinians zurückging, und die seit dem Mittelalter zum gemeinen Recht Mittel- und Südeuropas geworden war. Dazu gehörte auch das romanistisch geprägte kanonische Recht. Aus dieser Sicht handelte es sich beim C i v i l Law um ein „exhaustless storehouse of jurisprudence" 2 , d. h. um einen unerschöpflichen Vorrat von Lehren vor allem auf dem Gebiet des Privatrechts, zum Teil aber auch in den Bereichen des Staats- und Völkerrechts. Das C i v i l Law als Summe der romanistischen und kanonistischen Dogmatik stand zwar dem i m mittelalterlichen England beheimateten Common Law als grundsätzlich verschieden gegenüber, doch war es deshalb in der anglo-amerikanischen Rechtskultur kein Fremdkörper. Vielmehr hatten in dieser neben dem Common Law auch zivilistische Lehren ihren Platz. Obwohl diese zivilistische Seite gegenüber dem Common Law von untergeordneter Bedeutung war, hatte sie eine lange Tradition in England und kam sie in den Vereinigten Staaten zu großer Geltung. a) In England war schon das eigentliche Common Law selbst i m Mittelalter mit dem römischen Recht in Berührung gekommen 3 . W i e stark die romanistischen

2 Mactier v. Frith , 6 Wend. 103, 115 (N.Y. 1830), zitiert nach Helmholz, The Use of Civil Law in Post-Revolutionary American Jurisprudence 1656 Anm. 31. 3 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 111, 152 mit weiteren Nachweisen; Koschaker, Europa und das römische Recht 212 ff.; Holdsworth, A History of English Law II, insbes. 267 ff.; Donahue, lus Commune, Canon Law and Common Law in 2*

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Erster Teil: Hintergrund

Lehren dabei in England gewirkt hatten, war zur Zeit der amerikanischen historischen Schule ein wichtiger Streitpunkt, auf den noch zurückzukommen ist 4 . Jedenfalls hatte das kontinentale kanonische Recht Einfluß auf die sich bald entwickelnde Equity als zweiten und immer stärker werdenden Z w e i g englischer Rechtsprechung, die also schon deshalb nie auf dem mittelalterlichen Common Law in Reinkultur beruhte. V o r allem aber gab es selbst in England seit Jahrhunderten ganze Bereiche, die von Spielarten des C i v i l Law beherrscht wurden 5 . A m wichtigsten war dabei das den eigenen Courts of Admiralty unterstehende Seehandelsrecht. Hinzu kamen Materien wie das Ehe- und Testamentsrecht, die bis ins 19. Jahrhundert den Kirchengerichten unterstanden und deshalb nach kanonischem Recht beurteilt wurden. Die in diesen Bereichen wirkenden Anwälte und Richter hatten in der Regel in Oxford oder Cambridge das römische und vor der Reformation auch das kanonische Recht studiert und zum Doctor Iuris promoviert. Sie waren als Civilian Advocates in einer eigenen Gilde, den Doctors' Commons, organisiert. Erst die prozessualen Reformen des 19. Jahrhunderts bewirkten den endgültigen Niedergang der englischen Zivilisten, der mit der Auflösung der Doctors' Commons 1857 besiegelt w a r 6 . b) Eine noch größere Rolle spielte das kontinentaleuropäische Recht in der amerikanischen Entwicklung, die hier vor allem interessiert. Es w i r d oft übersehen, daß das C i v i l Law in der Konsolidierungsphase der Vereinigten Staaten ein durchaus ernstzunehmender Rivale des Common Law war. Schon in der Kolonialzeit hatte es ihm Konkurrenz gemacht, da zivilistische Lehren vielfach Beachtung gefunden hatten 7 . Seine größte Bedeutung aber erlangte das C i v i l Law als romanistische Doktrin i m ersten halben Jahrhundert der neuen Republik. A l s die jungen Vereinigten Staaten in den Jahrzehnten nach Erlangung der Unabhängigkeit ein eigenes Rechtssystem entwickelten, stand das englische Recht zwar Pate, es wurde aber keineswegs als bindend und allgemeingültig angesehen. Dafür waren vor allem drei Gründe maßgeblich. Z u m einen war das Common Law als Recht des eben abgeschüttelten Unterdrückers vielerorts unbeliebt; darauf ist später noch einzugehen 8 . Zweitens hatte das Common Law zwar England; vgl. auch hierzu sowie zum folgenden überhaupt Nörr, The European Side of English Law. 4 Siehe unten Zweiter Teil A.I.2. 5 Vgl. Holdsworth, A History of English Law X I I 605 - 702; Baker , An Introduction to English Legal History 107-108; Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800 1106 f., 1114 f. Zum Einfluß des Civil Law auf das Handelsrecht vgl. Coquillette, Legal Ideology and Incorporation. 6 Baker, In Introduction to English Legal History 147; ausführlich Coquillette, The Civilian Writers of Doctors' Commons, sowie Levack, The English Civilians 1500-1750. 7 Radin, The Rivalry of Common-Law and Civil Law Ideas in the American Colonies; speziell zu Massachussetts vgl. auch Nelson, The Americanization of the Common Law 29 f.

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in den ursprünglichen dreizehn Staaten, die englische Kolonien gewesen waren, geherrscht, nicht aber in allen anderen Landesteilen; vielmehr brachte die allmähliche Ausweitung nach Süden und Westen schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Nation immer mehr Mitgliedstaaten, i n denen als ehemals französische (Louisiana), spanische (Florida) oder mexikanische (Texas) Territorien das C i v i l Law dominierte 9 . Und schließlich sahen sich die amerikanischen Juristen i n der neuen Welt vielfach ganz neuen Problemen gegenüber, für die das englische Recht gar keine Lösungen bereithielt; das Zusammenwachsen eines Markts aus vielen Einzelteilen, freie Landnahme und Wasserknappheit i m Westen, Plantagenwirtschaft und Sklavenhaltung hatten das Common L a w bisher nicht beschäftigt und erzeugten damit ein großes Bedürfnis nach neuen Regeln 1 0 . Hinzu kam gerade in der Frühzeit der amerikanischen Republik die Suche nach allgemeinen Prinzipien des Verfassungs- und Völkerrechts zur Regelung innen- und außenpolitischer Grundsatzfragen. Solche allgemeinen Prinzipien fanden sich i m am Einzelfall orientierten Common Law kaum, während das kontinentaleuropäische Law of Reason sie schon seit Grotius und Pufendorf entwickelt hatte 1 1 . So lag es in der jungen amerikanischen Republik keineswegs fern, auch dem kontinentaleuropäischen Recht Beachtung zu schenken. Manchen erschienen dessen Lehren sogar zeitgemäßer als das Common Law. M a n lebte schließlich in einem kapitalistischen, auf freiem Warenverkehr beruhenden Wirtschaftssystem, zu dem das Common L a w , das nun einmal in der mittelalterlichen Feudalordnung wurzelte, nicht recht passen wollte; das zeigte sich insbesondere in seinem hochkomplizierten Immobilienrecht. Die zivilistische Dogmatik hingegen entstammte dem Recht der römischen Wirtschaftsgesellschaft und der italienischen Handelsstädte, also einer der Gegenwart zumindest aus dieser Sicht näher verwandten W e l t 1 2 . Den romanistischen Lehren wohnte damit vielleicht ein Potential zur s Dazu ausführlicher unten C. Vgl. Friedman, A History of American Law 167 ff. 10 Helmholz, The Use of the Civil Law in Post-Revolutionary American Jurisprudence 1664 ff. Für die Zeit unmittelbar nach der Revolution Nelson, The Americanization of the Common Law 1 f.; generell Friedman, A History of American Law 105 ff; Hurst, Law and the Conditions of Freedom. Inwieweit die Gerichte in den Südstaaten auf das römische Sklavenrecht zurückgriffen, ist umstritten, vgl. Watson, Slave Law in the Americas 65 und Helmholz id. 1660 f. 11 Vgl. dazu Helmholz, The Use of the Civil Law in Post-Revolutionary American Jurisprudence 1671 ff. ι 2 Cushing, On the Study of the Civil Law 408; so ausdrücklich noch 1874 Wharton, A Treatise on the Law of Negligence, Preface IX. Vgl. auch Kent, Commentaries on American Law I 507; Story, Commentaries on the Law of Bills of Exchange 6 ff., wo Story ausführlich über den geschichtlichen Ursprung des Wechsels in der Antike und im mittelalterlich-europäischen Handelsrecht berichtet. Story wies am Ende seines Werkes darauf hin, „that . . . England was among the last, if not the very last, of the commercial nations of Europe to adopt into her own jurisprudence the doctrines respecting negotiable instruments, which the custom of merchants and the flexible character of the Civil Law had gradually introduced and spread over the whole Continent,... as repugnant to the sturdy precepts of her own Common Law . . . " 576. Allerdings hatte das Common 9

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Erster Teil: Hintergrund

Bewältigung moderner Probleme inne, das dem Common Law schon aufgrund seiner Herkunft fehlte. A l l e diese Umstände machen es nicht verwunderlich, daß sich das C i v i l Law als romanistisch geprägte Doktrin in der „formative e r a 1 3 " des amerikanischen Rechts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geradezu auf einem Höhenflug befand 1 4 . Eine ganze Generation von Rechtsgelehrten propagierte es vor allem in den 1820er und 1830er Jahren mit Eifer in Büchern, Zeitschriften und Vorlesungen 1 5 . In den Südstaaten herrschte große Begeisterung für das römische Recht 1 6 , und die europäische Literatur besonders des 18. Jahrhunderts stand überall in höchstem Ansehen 1 7 . A u c h in der Praxis kam das C i v i l Law zur Geltung. Dabei ist vor allem an den Louisiana C i v i l Code von 1825 zu denken, der seinerzeit keineswegs eine große Besonderheit, sondern nur eines von vielen Beispielen der Herrschaft des C i v i l Law war. Zudem entschieden selbst die Gerichte in den ehemaligen englischen Kolonien durchaus nicht immer strikt nach Common L a w , sondern zogen die kontinentaleuropäischen Autoren und Quellen oft mit Selbstverständlichkeit heran 1 8 . Ob das Common Law in seiner Vorherrschaft in Amerika durch diese zivilistische Konkurrenz damals ernstlich gefährdet war, kann dahinstehen. Jedenfalls setzte es sich zur Mitte des Jahrhunderts hin mehr und mehr auch i n den ehemaligen Territorien des C i v i l L a w durch und errang seinen endgültigen Sieg, als sich das ehemals spanische Kalifornien 1848, wenn auch nur knapp, für das Common

Law nach Storys Ansicht in neuerer Zeit dann wesentlich zur Weiterentwicklung des Wertpapierrechts beigetragen, vgl. id., sowie Story, Commentaries on the Law of Promissory Notes 645. Siehe auch W. W . Story, A Treatise on the Law of Sales of Personal Property 459. 13 Vgl. Pound , The Formative Era of American Law. 14 Grundlegend Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America; vgl. auch Helmholz, The Use of the Civil Law in Post-Revolutionary American Jurisprudence; ders., Continental and Common Law: Historical Strangers or Companions? 1221 -

1226.

15 Vgl. etwa Cushing, On the Study of the Civil Law; zu nennen sind auch Peter Stephen du Ponceau und Hugh Swinton Legaré, dazu Aumann, The Influence of English and Civil Law Principles upon the American Legal System during the Critical PostRevolutionary Period 312 ff. 1822 wurde in New Haven eine kurzlebige Zeitschrift mit dem Titel „The United States Law Journal and Civilian's Magazine" herausgegeben. Sogar Harvard bot 1830 eine Vorlesung über das Civil Law an; vgl. Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 424 f. 16 Hoeflich, Roman and Civil Law in the Anglo-American World Before 1850: Lieber, Legaré and Walker, Roman Lawyers in the Old South. 17 Am bedeutendsten waren die französischen und niederländischen Autoren, aber auch die schon wesentlich älteren Werke Pufendorfs übten noch Einfluß aus, vgl. Augat, Die Aufnahme der Lehren Samuel von Pufendorfs in das Recht der Vereinigten Staaten von Amerika. 18 Chroust, The Rise of the Legal Profession in America 55 f.; Nelson, The Americanization of the Common Law 8 f.; Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 409.

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Law entschied 1 9 . Das bedeutete aber keineswegs das Ende des zivilistischen Einflusses auf das Recht der Vereinigten Staaten. Ironischerweise wurde dieser Einfluß durch eben diejenigen Denker festgeschrieben, die andererseits entscheidend zum Sieg des Common Law beitrugen. Es ist die Rede von den beiden großen Begründern eines selbstständigen amerikanischen Rechts, Kent und Story. Zwar sicherten sie dem Common L a w die Vorherrschaft, indem sie es ihren Werken maßgeblich zugrundelegten, jedoch verschafften sie zugleich dem C i v i l Law dauerhaften Einfluß, indem sie seine Lehren berücksichtigten, wo das Common L a w lückenhaft oder unzufriedenstellend war. James Kents Ruhm beruht zum großen Teil gerade auf seiner Belesenheit i m europäischen Recht. Sowohl in seinen Urteilen als Richter als auch in seinem vierbändigen Kompendium Commentaries on American Law (18261830) bediente er sich regelmäßig der zivilistischen Quellen und vor allem der französischen und holländischen Literatur 2 0 . A u c h Joseph Storys Commentaries zu verschiedenen Rechtsgebieten (1832 f f . ) 2 1 sind reich an Hinweisen auf die bedeutenden Werke des europäischen 17. und 18. Jahrhunderts 22 . Der Band über Bailments trägt sogar ausdrücklich den Untertitel „ w i t h Illustrations from the C i v i l and the Foreign L a w " . Kents und Storys Commentaries wurden den nachfolgenden Generationen zu Standardwerken und etablierten damit das amerikanische Recht als ein Gemisch, in dem das Common L a w zwar überwog, zu dem zivilistische Lehren aber in beträchtlichem Umfang beigetragen hatten. Die durch Kent und Story somit gefestige Auffassung, das kontinentaleuropäische Recht bestimme das moderne amerikanische mit, wurde auch um und nach 1850 nie ganz aufgegeben. So machte etwa Joseph Storys Sohn W i l l i a m , der nach Deutschland gereist war und Savigny kennengelernt hatte 2 3 , in seinen Lehrbüchern des Vertrags und Kaufrechts ganz in der Tradition seines Vaters freizügigen Gebrauch von den zivilistischen Lehren 2 4 . Theodore Sedgwick bezog in sein einflußreiches Werk über den Schadensersatz römisches und französisches Recht

19 Vgl. Report on Civil and Common Law by the Committee on the Judiciary by the California Legislative; Überlegungen zu den Gründen des Sieges des Common Law stellt an Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 432. 20 Am häufigsten zitiert Kent europäische Quellen und Autoren in Band I, vor allem Burlamanqui, Bynkershoek, Grotius, Heineccius, Montesqieu, Pufendorf und Vattel. Ansonsten stehen das Corpus Iuris, der Code civil, Pothier und andere französische Autoren im Vordergrund. Näheres bei Watson, Chancellor Kent's Use of Foreign Law. Zu der von Watson nachgewiesenen, fragwürdigen Verwendung zivilistischer Lehren durch Kent vgl. unten C. 21 Zu Story vgl. Zweigert, Die Gestalt Joseph Storys. 22 Zitiert werden u. a. Beccaria, Domatius, Grotius, Heineccius, Montesqieu, Pothier, Pardessu, Savary und der Code civil. 23 Dazu unten Zweiter Teil, Übermittlung. 24 Story, A Treatise on the Law of Contracts not unter Seal; der sA Treatise on the Law of Sales of Personal Property.

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Erster Teil: Hintergrund

sowie die Arbeiten vieler europäischer Autoren mit e i n 2 5 . U n d W i l l i a m Archer Cocke behauptete noch 1871 allen Ernstes, daß das amerikanische Bundesrecht eigentlich auf dem C i v i l Law beruhe, oder zumindest darauf beruhen sollte 2 6 . Das C i v i l Law als die Summe der aus der alten Welt stammenden romanistischen Lehren war deshalb auch für Beales Generation nicht nur ein gewohnter, wenngleich dem Common L a w traditionell untergeordneter Bestandteil der angloamerikanischen Rechtskultur. Es war zudem ein reicher Schatz zeitgemäßer Dogmatik, aus dem sich insbesondere das amerikanische Recht in ganz legitimer Weise seit jeher bereichert hatte. Das legte es nahe, auch in Zukunft bei Bedarf auf die zivilistischen Lehren zurückzugreifen, oder sich bei der Reform des Rechts an diesen zu orientieren 2 7 . c) Trotz alledem wurde das C i v i l Law den anglo-amerikanischen Juristen doch nie so vertraut wie das Common Law. M a n kann sogar sagen, daß es ihnen innerlich i m Grunde fremd blieb. Das zivilistische Denken wurzelte tief in der romanischen Kultur und ging auf die mediterrane Zivilisation des Altertums und Mittelalters zurück, mit der die angelsächsische Welt sich nie identifiziert hatte. I n Spätmittelalter und Neuzeit hatte schon die traditionelle Feindschaft Englands mit Frankreich und Spanien für gehörige Distanz zum romanischen Kulturkreis des europäischen Festlandes gesorgt. Zudem beruhte die römischrechtliche Dogmatik nicht zuletzt auf dem Lateinischen als klar strukturierter Sprache, deren Beherrschung dem Common Lawyer — i m Gegensatz zu einem kontinentalen Kollegen — schon lange nicht mehr selbstverständlich w a r 2 8 . Schließlich war das C i v i l Law verbunden mit dem Recht der römisch-katholischen Kirche, die seit der Reformation aus England verbannt war, und die auch in den U S A kaum Fuß faßte. So konnte der Common Lawyer, wie der überzeugte Germanist des deutschen 19. Jahrhunderts, für die romanistische Z i v i l i s t i k Bewunderung empfinden, aber keine Liebe. 25 Sedgwick , A Treatise on the Measure of Damages; Sedgwick zitiert u. a. die Lex Aquilia, den Code civil, Domatius, Dumoulin, Huber, Pothier, Sayer und Toullier. Zum Immobilienrecht vgl. Walker , The Use and Authority of Roman Jurisprudence in the Law Concerning Real Estate. 26 Cocke, A Treatise of the Common and Civil Law, Preface X - X I V und Introduction 11 f. Cockes Behauptung ist weniger absurd, als es auf den ersten Blick scheint. Immerhin fallen die traditionellen Gebiete des Common Law (Property, Contracts, Torts, etc.) in die Zuständigkeit der Einzelstaaten, während das Bundesrecht tatsächlich viele Materien umfaßt, die vom Civil Law geprägt sind wie das Seerecht (Admiralty), das internationale Handelsrecht und das Recht der internationalen Beziehungen (Foreign Relations) als Teil des Völkerrechts. 27 Vgl. Howe, Studies in the Civil Law. 28 Die Gerichtssprachen des Mittelalters in England waren das normannische Französisch und Latein, doch setzte sich seit dem 17. Jahrhundert das Englische durch, Baker, An Introduction to English Legal History 184. Seither genügten dem Common Lawyer rudimentäre Lateinkenntnisse. In den Vereinigten Staaten werden selbst diese der Mehrzahl der Praktiker im 19. Jahrhundert gefehlt haben, da nur die allerwenigsten eine weiterführende Schule oder gar ein College besucht hatten, vgl. dazu unten Zweiter Teil C.I.l.

Β. Methode

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Β. Methode: Naturrecht und systematische Jurisprudenz Das kontinentaleuropäische Recht bedeutete für die anglo-amerikanischen Juristen nicht nur die Menge romanistischer Lehren, es war auch die Heimat der systematischen Jurisprudenz. Zwar war ihnen das Common L a w wegen seiner Praxisnähe lieb, aber es hatte von jeher den Nachteil, einer logischen Ordnung und allgemeiner Prinzipien zu entbehren. Das C i v i l Law hingegen präsentierte sich als ein umfassendes System, in dem strenge L o g i k klare Begriffe sicher auseinander ableitete und zueinander in Beziehung setzte. Begrifflogisches Denken war schon i m römischen Recht angelegt 2 9 und von den mittelalterlichen Romanisten gepflegt worden. I m Zeitalter des Natur- und Vernunftsrechts entfesselten dann die kontinentaleuropäischen Juristen auf den von Descartes und Leibniz geschaffenen methodischen Grundlagen das volle Potential ihres Rechts als System more geometrico 30. a) A u c h als systematische Jurisprudenz betrachteten die anglo-amerikanischen Juristen das C i v i l Law nicht nur von ferne. Vielmehr wirkte das kontinentaleuropäische Rechtsdenken als Natur- und Vernunftrecht stark auf das Common Law ein. Diese W i r k u n g entfaltete sich i m 17. und 18. Jahrhundert 3 1 . Den Nährboden dafür hatte das Aufkommen des wissenschaftlichen Denkens i m 17. Jahrhundert geschaffen, das ausgehend von den Naturwissenschaften, vor allem der Physik Newtons, auch in England ein allgemeines Streben nach systematischer Ordnung des Wissens auslöste. Dieses Streben griff bald auf die Jurisprudenz über 3 2 . M i t dem Gedanken des Rechts als Wissenschaft verband sich deshalb sogleich der Ruf nach einer rationalen Ordnung. Es galt also, aus dem Wildwuchs der Regeln des Common L a w , die sich seit Jahrhunderten ad hoc nach den Bedürfnissen der Praxis und ohne Rücksicht auf einen übergreifenden Zusammenhang entwikkelt hatten, ein logisches System zu machen. Derlei Bemühungen hatten in England keine Tradition und fanden ihr V o r b i l d notwendigerweise auf dem Kontinent 3 3 . 29 Zwar hatten die klassischen römischen Juristen nie ein System des römischen Rechts ausgearbeitet, doch ließ sich aus den von ihnen verwendeten Grundbegriffen eines konstruieren, wie sich schon bei Gaius andeutete und dann spätere Jahrhunderte zeigten. Im übrigen hatte schon Cicero eine Systematisierung des römischen Rechts ins Auge gefaßt, Cicero, De Oratore I, XLIII; vgl. dazu Herberger, Dogmatik. Zur Geschichte von Begriff und Methode in Medizin und Jurisprudenz 46 ff. 30 Nach wie vor unübertroffen ist die Darlegung bei Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 249 ff. 31 Im übrigen, d. h. abgesehen vom systematischen Ansatz, lief der Einfluß zwischen England und dem Kontinent in der aufkommenden Wissenschaftstheorie und im frühen Staats- und Naturrechtsdenken durchaus in beide Richtungen; vgl. Stein, England and Continental Legal Literature. Zum englischen Beitrag zum lus Commune auch Donahue, lus Commune, Canon Law, and Common Law in England 1768 ff. 32 Dazu ausführlich Shapiro, Law and Science in Seventeenth Century England. Shapiro geht allerdings kaum auf den kontinentaleuropäischen Einfluß auf England ein.

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Erster Teil: Hintergrund

b) Das ist schon bei dem frühesten Systematiker des Common L a w , Matthew Haie, unübersehbar. Haie, nicht nur Jurist sondern Universalgelehrter in der Tradition Bacons und L e i b n i z ' 3 4 , entwarf bereits i m späten 17. Jahrhundert in seiner Analysis of the Law eine logische, strukturierte Übersicht über das englische Recht 3 5 . Das Werk war seinerzeit in England revolutionär, folgte aber eindeutig kontinentaleuropäischem Denken. Z u m einen beruhte seine Gliederung auf dem Institutionensystem; zwar übernahm Haie nicht dessen Einteilung in die großen Kapitel Personae-Res-Actiones, wohl aber folgte er dieser Reihenfolge der Materien. Z u m anderen lag seinem Ansatz die auf Pufendorf zurückgehende Aufteilung des Rechtsstoffs in die zwei Bereiche der Rechtsverhältnisse der Person an sich und ihrer Beziehungen in der Gemeinschaft mit anderen zugrunde 3 6 . Haie fand Nachfolger in einer ganzen Reihe von Juristen, die sich um eine Systematisierung des englischen Rechts bemühten 3 7 und dabei kontinentale Ideen kopierten. Besonders deutlich zeigte sich das bei Thomas Wood, dessen 1720 veröffentlichtes Buch An Institute of the Law of England or the Laws of England in their Natural Order 38 gleich i m Titel den Einfluß sowohl der Institutionenidee als auch der französischen vernunftrechtlichen Literatur verriet 3 9 . I n der Tat hatte Woods schon zuvor Domat übersetzt, ohne allerdings seinem Publikum den Autor des Originals zu nennen 4 0 . Überhaupt herrschte kein Mangel an Übersetzungen der systematischen Werke kontinentaler Provinienz ins Englische. V o n Grotius und Pufendorf über Domat und Burlamanqui bis hin zu Heineccius und später Pothier konnte man europäische Autoren in England und Amerika lesen 4 1 . Das bekundete nicht nur ein erhebliches Interesse an wohlgeordneten Rechtssytemen. Es war auch der Keim, aus dem die englische Tradition des Treatise , also des großen Lehrbuchs, erwuchs, 33 Grundlegend dazu Coing, Das Schrifttum der englischen Civilians und die Kontinentale Rechtsliteratur in der Zeit zwischen 1550 und 1800; vgl. auch den knappen Überblick bei Hoeßich, Law and Geometry, Legal Science from Leibniz to Langdell. 34 Zu Hale siehe Shapiro, Law and Science in Seventeenth Century England 740 ff. 35 Hale, The Analysis of Law: Being a Scheme of Abstract of the Several Titles and Portions of the Law of England, Digested Into Method. 3 6 Sehr deutlich in Sect. I — Of the Civil Part of the Law in General. Gliederung und Auszüge sind abgedruckt bei Shapiro, Law and Science in Seventeenth Century England 761 ff. 37 Zu seinen unmittelbaren Nachfolgern John Wilkins und Geoffrey Gilbert vgl. Shapiro, Law and Science in Seventeenth Century England 748-749; im übrigen siehe auch Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise 653 ff. 3 8 Wood, An Institute of the Laws of England or the Laws of England in their Natural Order, according to Common Life. 3 9 Der Titel ist übernommen von Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel. 40 Vgl. die späteren Ausgaben (1712, 1721, 1730) von Wood, New Institute of the Imperial or Civil Law (zuerst 1704). 41 Einzelheiten zu den jeweiligen Übersetzungen bei Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise 655 ff.; Stein, Continental Influences on English Legal Thought 16001800 1111 ff.; der s., England and Continental Legal Literature.

Β. Methode

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eine Tradition, die in England und Amerika i m späten 19. Jahrhundert zu voller Blüte gelangen sollte 4 2 . c) Ein Meilenstein in dieser Entwicklung war W i l l i a m Blackstones umfassende Darstellung des englischen Rechts in seinen Commentaries on the Laws of England, die in vier Bänden 1765-1769 erschienen. Obwohl Blackstone mit diesem Werk zu einem der berühmtesten Juristen des Common Law wurde, war er nach A m b i t i o n und Ziel ein Civilian 43. So waren auch seine Commentaries ein Versuch, das Common Law auf seine Grundsätze zurückzuführen und in eine dem kontinentalen Recht ebenbürtige systematische Ordnung zu bringen. Blackstone folgte nicht nur dem zivilistischen Schema Haies (und damit dem kontinentalen M u ster) 4 4 , sondern erklärte auch ausdrücklich seine Bewunderung für das C i v i l Law als „collection of written reason" 4 5 . Der Einfluß Pufendorfs und Montesqieus, aber auch Beccarias ist an vielen Stellen unverkennbar, und ganze Passagen sind reines Naturrecht kontinentalen Zuschnitts 4 6 . I n seiner Suche nach einer rationalen Ordnung allgemeiner Prinzipien drückte Blackstone ein Bedürfnis seiner Zeit aus, das sich insbesondere auch in der Rechtsprechung L o r d Mansfields zeigte, in der dieser große Jurist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das moderne englische Handelsrecht begründete 4 7 . Das Streben, das von den Zivilisten entwickelte naturrechtliche System auch für das Common Law nutzbar zu machen, erreichte mit Blackstone seinen Höhepunkt. In der Folgezeit flaute das Bemühen nach systematischer Ordnung jedoch rasch ab, wie auch auf dem Kontinent die Zeit des Naturrechts zu Ende ging. Blackstones Werk hatte in England nur geringen praktischen Erfolg und fand dort keine ebenbürtigen Nachfolger. d) Seine größte W i r k u n g hatte Blackstone in den Vereinigten Staaten. Bis zu Kent und Story, d. h. für mehr als ein halbes Jahrhundert, waren seine Commentaries das juristische Standardwerk in Amerika. Es wäre aber falsch, daraus amerikanische Begeisterung für das zivilistische System zu schließen. Die Commentaries waren so bedeutend, weil sie als handliches Kompendium des Common Law keine Konkurrenz hatten 4 8 , nicht weil ihnen diese oder jene Struktur zugrundelag. 42 Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise 651 ff. Dazu auch unten Zweiter Teil B.II.3. 43 Er hatte an sich Professor für Civil Law in Oxford werden wollen, mußte sich aber 1758 mit der Berufung zum Vinerian Professor for English Law zufriedengeben. 44 Vgl. Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise 655 ff.; Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800 1112 f. 45 Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction. On the Study of Law 5. 46 Vgl. insbesondere Blackstone, Commentaries on the Laws of England I 38-41. 47 Dazu Coquillette, Legal Ideology and Incorporation IV. Auch in materiellrechtlicher Hinsicht war der Schotte Mansfield stark von zivilistischen Lehren beeinflußt, vgl. Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800 1116 ff. 48 Vor allem auf dem Land und in den vielen abgelegenen Gebieten des Westens waren sie oft das einzige juristische Werk überhaupt.

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Erster Teil: Hintergrund

Es ist, ganz i m Gegenteil, von einem Streben nach Systematisierung des Rechts i m Amerika der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wenig zu spüren. Gelehrte wie Story riefen zwar immer wieder nach einer logischen Strukturierung des Rechts, wobei das C i v i l Law oft als V o r b i l d und Orientierungshilfe bemüht w u r d e 4 9 ; auch gab es vereinzelte Ansätzen und Bestrebungen, diese Absichten in die Tat umzusetzen, sei es zu Unterrichtszwecken 5 0 , sei es, wie bei Story selbst, um der Praxis den Überblick über den Stoff zu erleichtern. Aber das Bemühen war schwach und das Ergebnis nicht beeindruckend, wie schon ein flüchtiger B l i c k in Kents oder Storys Werke zeigt. Dieses Fehlen des Strebens nach begrifflicher und systematischer Strukturierung des Rechts ist nicht weiter erstaunlich. Das amerikanische Recht befand sich, wie schon erwähnt, in der Aufbauphase, und eine hochdynamische, rapide expandierende Gesellschaft stellte es täglich vor ganz neue Probleme. Es galt vorrangig, neues Recht zu schaffen — zum Ordnen blieb kaum Gelegenheit, ganz abgesehen davon, daß eine Systematisierung des Rechts angesichts seiner raschen Veränderungen auch wenig Erfolg versprach. M i t anderen Worten: Das C i v i l Law war zwar als Vorrat materiellrechtlicher Lösungsmöglichkeiten nützlich, seinem Systemdenken aber war die Zeit vorerst nicht günstig. e) Überdies ist auch hier, wie schon oben hinsichtlich der zivilistischen Dogmatik, eine durchaus ambivalente Haltung der Common Lawyers gegenüber dem kontinentaleuropäischen Denken zu bemerken. Sicher führte die logisch-systematische Methode der Zivilisten zu einer dem Common Law überlegenen Übersichtlichkeit und inneren Konsistenz. Doch beruhte sie auf dem Glauben an oberste Prinzipien und abstrakte L o g i k und war darin dem Common Lawyer suspekt. Seiner ganzen Einstellung und Ausbildung nach war ihm praktische Erfahrung letztenendes doch wichtiger als philosophische Spekulation und schienen ihm induktive Schlüsse von der Beobachtung auf die Regel sinnvoller als deduktive Ableitung v o m Allgemeinen zum Besonderen 5 1 . Hierin drückte sich die angelsächsische Neigung zur praktischen Anschauung aus, die dem britischen Empirismus überhaupt zugrundelag. Dieser prägte auch von vornherein die englischen Bemühungen um eine Systematisierung des Rechts. Schon Matthew Haies Arbeiten waren nicht nur dem naturrechtlich-kontinentalen Ansatz, sondern auch der empirischen Methode

49 Vgl. etwa Story, Besprechung von Jacobsen, On the Law of the Sea (1815) 343 (Die Besprechung war anonym verfaßt, stammte aber von Story, vgl. Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 416 Anm. 46); Story, Address to the Suffolk Bar 434. 50 Vgl. Hoffman, A Course of Legal Study. Story machte Hoffmanns Buch durch sein Lob bekannt und ließ sich von seinem Inhalt beeinflussen, vgl. Story, Art. III, A Course of Legal Study; dazu auch Sutherland, The Law at Harvard 55 f. 51 Vgl. dazu Zweigert / Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung I 211, 298 f. Dieser Grundzug des anglo-amerikanischen Rechtsdenkens hat sich bis heute erhalten.

C. Kultur

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Bacons verpflichtet. Sein Werk war ein Versuch, geschichtliche Erfahrung mit systematischer L o g i k zu verbinden 5 2 ; darin war es von der abstrakten Spekulation etwa eines Christian W o l f f grundverschieden. Ähnliches gilt für Blackstone; seine Commentaries

waren bei allem Bemühen um eine systematische Ordnung

kein abstrakt-philosophisches Recht, sondern eine Darstellung des Common Law als „tradition, use, and experience" und deshalb als eines traditionsreichen Ausdrucks der englischen K u l t u r 5 3 . Ein halbes Jahrhundert später brachte dann Story die amerikanische Skepsis gegenüber dem zur Abstraktion neigenden europäischen Denken klar zum Ausdruck, als er in seiner Einleitung zu den Commentaries on the Conflict of Laws 1834 schrieb: „The jurists of continental Europe have examined the whole subject . . . w i t h a much more comprehensive philosophy, i f not w i t h a more enlightened spirit. Their works, however, abound w i t h theoretical discussions, which serve little other purpose than to provoke idle discussions, and w i t h metaphysical subtleties, which perplex, i f they do not confound the inquirer." 5 4 So waren die europäischen Natur- und Vernunftrechtler den anglo-amerikanischen Juristen zwar vorbildliche Systematiker, ihren Hang zum Theoretisieren aber teilte man nicht, und den praktischen Sinn des Common Law konnten sie nicht ersetzen. Trotzdem blieb das kontinentaleuropäische Recht als Inbegriff systematischer Jurisprudenz interessant und verheißungsvoll. Als dann nach der Mitte des 19. Jahrhunderts abermals veränderte Umstände die Suche nach einem System des Rechts vordringlich werden ließen, sollte sich — jedenfalls zum Teil — Storys Prophezeihung bewahrheiten, „that the next age of the law w i l l find our accomplished lawyers consulting the continental jurists w i t h the same familiarity w i t h which we now cite Blackstone or Marshall." 5 5 Diese „continental jurists" waren dann die Vertreter der historischen Schule und der deutschen Rechtswissenschaft.

C. Kultur: Die romanistische Rechtstradition als Bildungsideal und Politik M i t dem kontinentaleuropäischen Recht als spezifischem Regelwerk aus romanistischer Doktrin und systematischer Methode verbanden sich Vorstellungen v o m Charakter der Rechtskultur, die dieses Regelwerk umgab. Diese Vorstellun-

52

Dazu Shapiro , Law and Science in Seventeenth Century England 736 f., 740 ff. Bezeichnenderweise machte sich Haie nicht nur als Systematiker, sondern auch als Historiker des Common Law einen Namen, vgl. Hale , The History of the Pleas of the Crown; ders., The History and Analysis of the Common Law of England. 53 Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction. On the Study of Law 17; vgl. auch Boostin, The Mysterious Science of Law 29. 54 Story, Commentaries on the Conflict of Laws 10. 55 Story, Besprechung von Jacobsen, Of the Laws of the Sea (1815) 343.

Erster Teil: Hintergrund

30

gen sind nicht leicht zu greifen und zu belegen, doch ist eine Auseinandersetzung mit ihnen zum Verständnis der anglo-amerikanischen Einstellung unverzichtbar. Sie prägten die Reaktion der Common Lawyers auf das europäische, und damit später auch auf das deutsche Rechtsdenken in vielfältiger Weise: Indem sie es vertraut oder fremd machten, nützlich oder schädlich erscheinen ließen, Sympathie oder Ablehnung hervorriefen. Eine vollständige Diskussion dieser Vorstellungen erforderte eine umfassende geistes- und sozialwissenschaftliche Studie, die hier weder möglich noch nötig ist. Es genügt, das Verständnis der anglo-amerikanischen Juristen anhand einiger Aspekte zu verdeutlichen, auf die dann später näher eingegangen wird. Z u m einen verkörperte die Rechtskultur des C i v i l Law gewisse Bildungsvorstellungen, zum anderen war sie mit politischen Bedeutungen behaftet. a) Die romanistische Rechtstradition war untrennbar m i t der Idee akademischer Bildung verbunden. Sie ging auf die mittelalterlichen Universitäten zurück und wurde seither an den Hochschulen gepflegt. Letzteres hatte selbst für England stets gegolten, wo das C i v i l Law in Oxford und Cambridge studiert, das Common Law jedoch in den Inns of Court praktisch erlernt wurde. So waren auch dort zivilistisch beeinflußte Literatur und akademisches Studium eng miteinander verknüpft; Blackstone hatte seine Commentaries bezeichnenderweise zu Unterrichtszwecken geschrieben. Später gingen auch Kents und Storys Werke auf die Lehrtätigkeit dieser Männer an der Columbia bzw. Harvard Universität zurück 5 6 . Die Assoziation zwischen Universität und C i v i l Law war insgesamt für die angloamerikanischen Juristen traditionell so eng, daß der Gedanke an das C i v i l Law die Vorstellungen eines Universitätsstudiums hervorrief und umgekehrt das Konzept akademischer Juristenausbildung unweigerlich zum Kontinent hinüberblikken ließ 5 7 . Diese Verbindung sollte i m späten 19. Jahrhundert maßgeblich zum Ruhm auch der historischen Schule beitragen 5 8 . Das C i v i l Law war in England und Amerika aber auch mit einem Bildungsideal allgemeinerer Natur verknüpft. Der Kenner des römischen sowie des modernen kontinentalen Rechts galt als dem bloßen Common Lawyer überlegen 5 9 . Was das römische Recht anbelangte, so schwang darin, wie bei den klassischen Sprachen und der antiken Philosophie, das Prestige des Altertums mit. V o r allem i m amerikanischen Süden verband sich zudem das Interesse am römischen Recht mit dem Ideal eines klassizistischen Lebensstils 6 0 , das sich etwa in der Architek56

Dazu Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 427. 57 Vgl. Hoeflich, Roman Law in American Legal Culture 1731 f. 58 Dazu unten Zweiter Teil C.I. 59 Typisch dafür Hoffman, der durch den Einschluß des Civil Law in seinen Course of Legal Studies den Rechtsstudenten zu Allgemeinbildung und erhöhtem Status verhelfen wollte. 60 Angedeutet bei Hoeflich, Roman and Civil Law in the Anglo-American World Before 1850 40, 43.

C. Kultur

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tur, der Gebräuchlichkeit römischer Vornamen und selbst in der Sklavenhaltung ausdrückte. Hier war die Unterweisung in den Grundzügen des römischen Rechts Teil der Ausbildung des Gentleman. Was das moderne Recht des europäischen Kontinents betraf, so gehörte seine Kenntnis zur Bildung des weltgewandten Anglo-Amerikaners, die insbesondere den bloßen Politiker zum Staatsmann machte. Das hatte schon Blackstone erklärt 6 1 , und darin sah noch hundert Jahre später Senator Adams den Sinn des Jurastudiums seines Sohnes Henry in B e r l i n 6 2 . In diesem Licht muß man etwa auch Kents häufiges Argumentieren m i t dem C i v i l Law sehen; vielfach trug dessen Heranziehung zur Problemlösung gar nichts bei, aber die Berufung auf das römische Recht, den Code c i v i l oder die europäische Literatur verlieh Kents Urteilen und Schriften eine kosmopolitische Aura und ihrem Autor den Nimbus des weltoffenen Gentleman und Statesman 63 . Doch hatte das C i v i l L a w auch als Bildungsideal durchaus seine Schattenseiten. Akdemisches Studium versprach zwar hohe Gelehrsamkeit, konnte aber auch weltfremdes Philosophieren und verstiegenes Theoretisieren bedeuten 6 4 . Ebenso ließ sich in der Kenntnis des kontinentaleuropäischen Rechts entweder wahre staatsmännische Bildung sehen oder ein verderblicher Irrweg, der nur vom eigenen Recht wegführte, je nachdem ob Weltoffenheit oder Besinnung auf die eigene Tradition i m Vordergrund standen 65 . b) V o r allem darf man aus dem Prestige des C i v i l Law als eines Kulturbestandteils der alten Welt nicht ohne weiteres auf ein positives politisches Image schließen. Vielmehr waren auch die politischen Vorstellungen, die sich in der anglo-amerikanischen Welt mit dem kontinentaleuropäischen Recht verbanden, uneinheitlich. Z u m einen galt den anglo-amerikanischen Juristen das kontinentale Recht als Ausgeburt des — spätrömischen oder frühneuzeitlichen — Despotismus und Absolutimus. So gesehen befand es sich in krassem Gegensatz zu der in Magna Charta und Glorious Revolution verkörperten freiheitlichen Tradition des Common Law. Selbst Blackstone mahnte, die Verehrung des C i v i l Law nicht zu weit zu treiben, „unless we can also prefer the despotic monarchy of Rome and Byzantium . . . to the free constitution of B r i t a i n 4 ' 6 6 , und L o r d Mansfield wurde wegen seiner Neigung zu zivilistischen Prinzipien vorgeworfen, die Freiheiten der Engländer zu gefährden 6 7 . 61 Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction, On the Study of Law 5. 62 Vgl. Samuels, The Young Henry Adams 55. Wohl die beste Verkörperung dieses Typus des zivilistisch gebildeten Staatsmannes war der Romanist und amerikanische Justizminister (Attorney General) Hugh Swinton Legaré; vgl. dazu Hoeßich, Roman and Civil Law in the Anglo-American World Before 1850 23 f., 29 ff. « Dazu Watson, Chancellor Kent's Use of Foreign Law 48. 64 Zu den späteren Auswirkungen siehe unten Schluß. 65 Dazu vor allem unten Zweiter Teil B.II.4. 66 Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction 5.

32

Erster Teil: Hintergrund

Z u m anderen aber fiel es den amerikanischen Juristen in der Frühzeit der Republik nicht leicht, in England den Hort politischer Freiheit zu sehen, hatte man sich doch eben in langjährigem und blutigem K a m p f v o m Diktat der englischen Krone befreit; zudem blieb das Common Law den Feudalstrukturen der englischen Gesellschaftsordnung verbunden 6 8 . Der neuerliche Krieg mit England 1812 vertiefte die weitverbreitete Abneigung gegen das Mutterland des Common Law. Jedenfalls derzeit schien das Übel der Monarchie sehr viel mehr auf der britischen Insel beheimatet als auf dem Kontinent. Das V o r b i l d republikanischer Freiheit war in jenen Tagen Frankreich, dessen Revolution mit der amerikanischen in vielfacher Hinsicht verbunden war, und das die Amerikaner seit der Unabhängigkeitserklärung gegen England unterstützt hatte. Selbst das aufgeklärte Preußen hatte gegen die britische Unterdrückung Hilfe geleistet. Das Common Law war deshalb nach der amerikanischen Revolution weitgehend verpönt; mitunter wurde sogar seine Anwendung verboten und seine Abschaffung gefordert 6 9 . Das französische Recht hingegen erfreute sich während der allgemein frankophilen Ära Jeffersons großer Beliebtheit, und die Verabschiedung des Code c i v i l ließ den Ruf nach Nachahmung laut werden 7 0 . Erst nach der Aussöhnung mit England kehrten sich diese Verhältnisse allmählich wieder um. Das C i v i l Law konnte also beides sein — Produkt des Despotismus und Errungenschaft freiheitlicher Republiken. Der Widerspruch war als solcher nicht ganz zu lösen. M a n konnte ihn allenfalls erklären, indem man die privatrechtliche und die öffentlich-rechtiche Seite des C i v i l Law unterschied, was allerdings nur wenigen gelang 7 1 . A l s Privatrecht war es das Recht des ungehinderten Warenverkehrs zwischen gleichen Bürgern; das galt schon, wie bereits angedeutet, seit der Antike und dem Mittelalter, und es drückte sich nun schlagend i m Code c i v i l aus. So gesehen, war das C i v i l Law in seiner modernen Rationalität dem noch sehr verkrusteten und undurchsichtigen Common Law überlegen und i m Amerika 67 Vgl. Bryce, On the Academical Study of the Civil Law 478. Bryce erhob diesen Vorwurf nicht selbst, er referierte ihn nur, um seine englischen Kollegen der Engstirnigkeit zu bezichtigen. 68 Vgl. Franklin, The Influence of Savigny and Gans on the Development of the Legal and Constitutional Theories of Christian Roselius 144. 69 Ausführlich dazu Chroust, The Rise of the Legal Profession in America I I 51 - 73; vgl. auch Aumann, The Influence of English and Civil Law Principles upon the American Legal System During the Critical Post-Revolutionary Period 304 f. 70 Vgl. Chroust, The Rise of the Legal Profession in America I I 51-54. Dawson, The Oracles of the Law 388 ff. bezweifelt allerdings, daß der tatsächliche Einfluß des französischen Rechts sehr groß war. 71 Kent drückte diese Unterscheidung allerdings klar aus, als er über das Civil Law schrieb: „In every thing which concerns civil and political liberty, it cannot be compared with the free spirit of the English and American common law. But upon subjects relating to private rights and personal contracts, and the duties which flow from them, there is no system of law in which principles are investigated with more good sense, or declared and enforced with more accurate and impartial justice", Kent, Commentaries on American Law I 507.

Zusammenfassung

33

des 19. Jahrhunderts willkommen. A l s öffentliches Recht hingegen spiegelte es die Willkürherrschaft der spätrömischen Kaiser ebenso wie den Absolutismus der kontinentaleuropäischen Fürsten wieder. A l s solches war es aus amerikanischer Sicht eher Bedrohung als Verheißung. Die amerikanische Einstellung gegenüber dem C i v i l Law wurde also schon seit der Unabhängigkeitserklärung v o m politischen K l i m a beeinflußt. V o r allem hing sie entscheidend davon ab, ob man das kontinentaleuropäische Recht als politisch neutrale Privatrechtsordnung oder aber als Instrument unfreiheitlicher und undemokratischer Regierungen sah. A u c h diese Perspektiven sollten für das Schicksal der historischen Schule i m amerikanischen Rechtsdenken mitentscheidend werden 7 2 .

Zusammenfassung Als romanistische Dogmatik, als naturrechtlich-systematische Methode oder als akademisch geprägte und politisch zwiespältige Rechtskultur — das C i v i l Law war den anglo-amerikanischen Juristen um die Mitte des 19. Jahrhunderts seit langem vertraut. V o r allem die Rechtsdenker in der neuen Welt betrachteten es als ein wesentliches, wenn auch dem Common Law nicht gleichgewichtiges Element des amerikanischen Rechts. Das heißt aber nicht, daß man sich in England oder den Vereinigten Staaten in jeder Hinsicht dafür begeisterte. Denn so attraktiv oder dem Common Law gar überlegen es in mancherlei Hinsicht erscheinen konnte, so skeptisch konnte man ihm doch in anderen Beziehungen gegenüberüberstehen. Das gilt unter allen drei Blickwinkeln. Als materiellrechtliche Lehre war das C i v i l Law ein unerschöpflicher Vorrat an Rechtsregeln und dogmatischer L o g i k , aus dem sich Problemlösungen entleihen ließen, wo das Common L a w versagte oder nicht zufriedenstellte; insofern war es eine willkommene Ergänzung zum eigenen Recht. E i n Ersatz dafür aber war es, wie das Beharrungsvermögen des Common Law lehrt, nicht. Das lag nicht zuletzt daran, daß die Lehren des C i v i l Law kraft ihrer Herkunft aus der romanisch geprägten kontinentalen Welt den anglo-amerikanischen Juristen i m Grunde wesensfremd blieben. Z u einer Mischung aus Respekt und Skepsis bestand auch gegenüber der logisch-systematischen Methode des kontinentalen Rechts Anlaß. Denn einerseits verhieß sie die klare Begrifflichkeit und Ordnung, die dem Common Law gerade fehlte, andererseits barg sie auch das Risiko des Verfallens in abstrakte Spekulation, in der die anglo-amerikanischen Denker keinen Sinn sehen konnten.

72 Dazu unten Dritter Teil C. 3 Reimann

34

Erster Teil: Hintergrund

Schließlich war das C i v i l Law auch als Rechtskultur geeignet, gemischte Reaktionen hervorzurufen. I n politischer Hinsicht erschien es als Recht einer freien und gleichen Eigentümergesellschaft ohne feudale Bindungen verlockend oder als Produkt despotischer Regierungen freiheitsbedrohend. U n d als Bildungsideal versprach es zwar akademische Gelehrsamkeit, konnte aber auch gerade deshalb weltfremdes Theoretisieren bedeuten, das von den praktischen Problemen nur ablenkte. Die Sicht der anglo-amerikanischen Juristen v o m C i v i l Law war deshalb insgesamt komplex und uneinheitlich. Es spielten darin viele und gemischte Ansichten und Gefühle eine Rolle, die sich mitunter zu einer A r t Haßliebe verdichteten. Ob man i m C i v i l Law ein V o r b i l d sah oder ein abschreckendes Beispiel, hing somit großenteils davon ab, welchen Aspekt man betonte und was man darin sehen wollte. A l s die historische Schule als seinerzeit jüngste Errungenschaft kontinentalen Rechtsdenkens um die Mitte des 19. Jahrhunderts in der Welt des Common Law allmählich immer bekannter wurde, konnte ihr deshalb sowohl Begeisterung als auch Ablehnung begegnen. Aufgrund ihres spezifischen Charakters beruhigte sie jedoch die wesentlichsten Bedenken, die die anglo-amerikanischen Juristen bisher gegen das C i v i l Law gehabt hatten, denn sie verband Systemdenken mit Geschichtsbewußtsein, Idealismus mit Positivismus, hohe Theorie mit praktischem S i n n 7 3 . Als Folge davon überwog jedenfalls für einige Jahrzehnte unter den Common Lawyers die Begeisterung für das kontinentaleuropäische Rechtsdenken und erlebte die historische Schule vor allem in den Vereinigten Staaten eine Blütezeit.

73 Ausführlich unten Zweiter Teil, Zur Überlegung: Die historische Schule als Bindeglied zwischen Civil Law und Common Law.

Zweiter Teil

Blütezeit Historische Schule und Rechtswissenschaft in der „klassischen Ä r a " des amerikanischen Rechts 1860 -1920 Die Neuigkeit von der Gründung einer historischen Schule in Deutschland war schon in den 1820er und 1830er Jahren nach Amerika gedrungen. Zumindest die international aufgeschlosseneren Gelehrten der Zeit Kents und Storys wußten durchaus, wer Savigny und was die historische Schule war. Aber die Kunde davon kam zunächst vereinzelt, und das Interesse daran war weder breit noch tief. Die Lehren des späten Naturrechts standen noch zu hoch i m Kurs, und die Probleme der Praxis drängten zu sehr, um neuen Theorien über Herkunft, Wesen und wissenschaftliche Bearbeitung des Rechts viel Beachtung zu schenken 1 . So schrieb Kent über Hugo, Savigny, Eichhorn and Niebuhr: „They have undoubtedly enriched the science w i t h acute and searching criticism (but) the importance of the new Germanic school, as contradistinguished from that of the old professors is greatly exaggerated" 2 . Nach dem Bürgerkrieg aber nahm das amerikanische Interesse an der deutschen Jurisprudenz rapide zu. Diese Entwicklung stand i m Zusammenhang mit dem wachsenden Prestige des deutschen Denkens und der deutschen Kultur i m Amerika des späten 19. Jahrhunderts überhaupt. In den meisten Bereichen der Wissenschaft galt Deutschland um jene Zeit als führend — in der Geschichts- und Wirtschaftswissenschaft, der Theologie und der Medizin, und nicht zuletzt in den Naturwissenschaften 3 . Das steigende Ansehen des deutschen Rechtsdenkens war also keine Ausnahme, sondern Teil einer allgemeinen Entwicklung. Das amerikanische Interesse an der historischen Schule führte nun bis hin zu dem Enthusiasmus, den Beale 1905 ausdrückte 4 , und der Savigny s Biograph Montmo1 Vgl. Howe, Justice Oliver Wendell Holmes I 182 f. Kent, Commentaries I 545 note (b). Auch Story bezweifelte, jedenfalls hinsichtlich des Kodifikationsproblems, daß die Lehren der historischen Schule für die wissenschaftliche Bearbeitung des Common Law besonders nützlich seien; vgl. Story u. a., Report to the Governor of Massachusetts (on Codification) 46 ff. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts lehrte Christian Roselius in New Orleans im Geist der historischen Schule, doch war Louisiana als vom Civil Law beherrschter Staat im amerikanischen System eine Ausnahme. 3 Vgl. Pochmann, German Culture in America 304-328; Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert V 198 - 283; Thwing, The American and the German University 160-187. 4 Oben Einleitung Anm. 1 2

3*

Zweiter Teil: Blütezeit

36

rency zu dem pathetischen Satz hinriß, Savigny habe „the daylight of the Renaissance to the science of l a w " gebracht 5 . Für das halbe Jahrhundert zwischen Bürgerkrieg und Erstem Weltkrieg spielte die historische Schule i m amerikanischen Rechtsdenken dann eine gewichtige Rolle, die Hannis Taylor 1909 i m Harvard Law Review treffend als „star . . . in the ascendant" beschrieb 6 . a) I n der amerikanischen Geschichte war dies die Periode des Übergangs zur Moderne. Der Zusammenhalt der Nation war gerettet, aber sie wandelte sich rasch auf fast allen Gebieten — die industrielle Produktion schickte sich an, die Agrarwirtschaft zu überholen, der Schwerpunkt des Lebens verlagerte sich vom Land in die immer größeren Städte, der Staat entwickelte einen modernen Verwaltungsapparat, und die durch Ausdehnung und Einwanderung gewachsene Nation stieg zur Weltmacht auf. 1860 waren die Vereinigten Staaten ein nach Westen offenes Entwicklungsland am Rande des Weltgeschehens gewesen, 1920 waren sie eine geschlossene, moderne Nation von kontinentalem Ausmaß und internationaler Bedeutung. b) Auch in der Jurisprudenz war diese Periode die Zeit, in der die Weichen für das 20. Jahrhundert gestellt wurden. Die Entstehungsphase des amerikanischen Rechts war nun abgeschlossen, denn seine Eigenständigkeit gegenüber dem englischen Common Law war gesichert, und die dringendsten Probleme waren vorerst gelöst. Die Krise des Bürgerkrieges, die durch die Sklavenfrage neben einer politischen und militärischen auch eine rechtliche gewesen w a r 7 , war überwunden. Eine neue Ära konnte beginnen. Sie läßt sich i m Gegensatz zu der vorangegangenen Formative Era als die klassische Periode des amerikanischen Common Law bezeichnen. Sie verdient diese Bezeichnung vor allem deshalb, weil sie die wesentlichen Grundlagen für die weitere Entwicklung schuf, und weil sie dem amerikanischen Privatrecht seine charakteristische und bis heute gültige Form gab. „Klassisch" war diese Ära zudem, weil sie, wie alle klassischen Perioden, eine Zeit des Glaubens sowohl an die Bedeutung ihrer Aufgabe als auch an die Berufung zu ihrer Bewältigung war. Sie war das „ A g e o f F a i t h " 8 . Zumindest die führenden Denker glaubten unerschütterlich an die zentrale Bedeutung der anstehenden Gestaltungsaufgaben und an ihre Fähigkeit als Wissenschaftler, diese wahrzunehmen. Dieser Glaube schloß die Rechtsgelehrten zu einer Gemeinschaft zusammen. So uneinig sich Langdell und Holmes, Beale und Pound, Wigmore und Gray i m einzelnen auch gewesen sein mochten, sie empfanden sich doch alle als Mitwirkende an derselben großen Sache: Der wissenschaftlichen Bearbei5 Montmorency, Friedrich Carl von Savigny 586. Taylor, The Science of Jurisprudence 247. 7 Vgl. vor allem den berühmt gewordenen Dred Scott Case (60 U.S. 393, 1856), in dem es um die Frage ging, welchen Status aus dem Süden kommende Sklaven in Gebieten hatten, die die Sklaverei verboten hatten; weiterführend Cover, Justice Accused. 8 Gilmore, The Ages of American Law 41. 6

Zweiter Teil: Blütezeit tung des amerikanischen Rechts m i t dem Ziel, es ganz zu erfassen und für die Zukunft nutzbar zu machen. Z u dieser Gemeinschaft gehörten zudem die führenden englischen Rechtsgelehrten. A u c h Arnos und Markby, Maine und Maitland, Bryce und Pollock betrieben die Jurisprudenz in zum Teil grundverschiedenen Formen, doch die Unterschiede traten zurück hinter dem kollektiven Anliegen: dem tiefen Verständnis und der hohen Entwicklung des Common Law. c) Die Classical

Era war geprägt v o m Bemühen um die Verwissenschaftli-

chung des Rechts, d. h. v o m Streben nach einer wahren Legal Science. Hintergrund und Anlaß dieses Strebens waren die neuen Aufgaben, die das Umdenken von prozessualen auf materiellrechtliche Kategorien mit sich brachte. Seit dem Mittelalter hatte sich das Common Law aus der Vielzahl der Writs zu einer Ansammlung von Klageformeln entwickelt, die weitgehend unabhängig nebeneinander standen. Es war also nach Forms of Action, d. h. prozessual definiert und untergliedert 9 . Dieses Klagformelsystem war seit dem frühen 19. Jahrhundert aus einer Vielzahl von Gründen in Auflösung begriffen. Die klassische Ära ersetzte es endgültig durch die modernen Kategorien des Privatrechts: Aus Trespass und Case wurden Torts, Assumpsit und Debt wandelten sich zu Contracts , Replevin und Detinue wurden ersetzt durch Property Rights 10. Dieser Wandel war um so bedeutsamer, als er sich i n den traditionellen Kerngebieten des Common Law vollzog; dadurch rückte er i m Rechtsdenken allgemein materielle Rechte und Pflichten gegenüber prozessualen Aspekten in den Vordergrund 1 1 . Dieser Wandel machte es notwendig, eine neue Dogmatik zu schaffen und das Common Law neu, nämlich nach materiellrechtlichen Kriterien zu ordnen. Dadurch sahen sich die amerikanischen Juristen, die bisher recht unkritisch der prozessualen und praktischen Tradition des Common L a w gefolgt waren, erstmals vor grundsätzliche Fragen rechtstheoretischer, methodischer und institutioneller A r t gestellt. In rechtstheoretischer Hinsicht stellte sich vor allem die Frage nach der ursprünglichen Herkunft und nach dem innersten Wesen des Rechts. Wenn das Common Law nicht i m gerichtlichen Prozeß wurzelte und sich nicht in den Forms of Action erschöpfte, woraus bestand es dann eigentlich? Sicherlich kam

9 Dazu vor allem Maitland, The Forms of Action at Common Law; für eine kurze Zusammenfassung siehe Baker, An Introduction to English Legal History 49 ff. 10 Friedman, A History of American Law 275 ff., 532 ff.; White, Tort Law in America 8 ff. An dieser Entwicklung neuer, materiellrechtlicher Kategorien nahm auch England teil, sodaß man von der Begründung des modernen Privatrechts des Common Law überhaupt sprechen kann. 11 Das alte Denken in prozessualen Kategorien wirkt allerdings im amerikanischen Rechtsdenken bis heute so stark nach, daß gerade darin ein wesentlicher Unterschied etwa zur deutschen Rechtskultur besteht; dazu Reimann, Die Rolle des Verfahrensrechts in der Produkthaftung im deutsch-amerikanischen Vergleich.

38

Zweiter Teil: Blütezeit

es in richterlichen Entscheidungen und Gesetzen zum Ausdruck, aber was verbarg sich hinter Case Law und Statutes!

12

Indem die Classical

nachging, wurde sie zur Geburtsstunde der amerikanischen

Era diesen Fragen Jurisprudence

13

.

I n unmittelbarem Zusammenhang damit stand das Problem der methodischen Ausrichtung einer Legal Science, denn die A r t und Weise der wissenschaftlichen Bearbeitung des Rechts mußte maßgeblich von seiner Herkunft und Natur abhängen. Was machte also eine wahre Wissenschaft v o m Recht aus? W i e konnte man mit ihren M i t t e l n neue, materiellrechtliche Kategorien des Privatrechts schaffen und den Stoff entsprechend strukturieren? Diese Problemstellung wurde zum Ausgangspunkt für die amerikanische Methodendiskussion, die die gesamte Classical Era durchzog. 1 4 Schließlich fragte sich auch, wo und bei wem die Verantwortung für eine Science of Law lag. Bisher war die Entwicklung des Rechts weitgehend den Gerichten und i m übrigen dem Gesetzgeber überlassen worden, aber waren diese Institutionen überhaupt in der Lage, das Recht wissenschaftlich zu behandeln? Oder gehörte eine Legal Science nicht vielmehr, wie andere Sciences auch, in den Aufgabenbereich der Gelehrten, d. h. in die Universitäten, und ganz allgemein in die Hände studierter Juristen? Diese Fragen führten zur Entstehung der modernen amerikanischen Rechtsfakultäten, der Etablierung des Studiums als Grundlage der juristischen Ausbildung und damit zur Professionalisierung des modernen Juristenstandes. A u c h dadurch wurde die Classical Era richtungsweisend für die Zukunft. d) Die Parallelen zwischen dieser klassischen Ära des amerikanischen Rechts und der historischen Schule samt der sich daraus entwickelnden deutschen Rechtswissenschaft sind augenfällig. A u c h in Berlin ging es i m Zuge der anstehenden Neubearbeitung des Privatrechts um die Begründung der Jurisprudenz als moderner Wissenschaft. So stellten sich dort ebenfalls die Fragen nach Herkunft und Wesen des Rechts mit neuer Dringlichkeit. I m Zusammenhang damit stand auch in Deutschland die Entwicklung einer neuen, der historisch-systematischen Methode. Und auch i m deutschen 19. Jahrhundert erlebten Rechtsfakultäten und Rechtsstudium einen großen Aufschwung und wuchs das Prestige des Juristenstandes. Schließlich waren die führenden Vertreter der deutschen Jurisprudenz von Savigny bis Windscheid wie ihre amerikanischen Kollegen beseelt sowohl

12 In England hatte sich schon ein halbes Jahrhundert zuvor John Austin mit diesen Fragen auseinandergesetzt und sie auf seine Weise beantwortet, aber in den USA drangen sie erst nach dem Bürgerkrieg ins allgemeine Bewußtsein. 13 Dieser Begriff ist mit dem Wort der „Rechtstheorie" nur unzureichend übersetzt. Jurisprudence meint die theoretische Beschäftigung mit dem Recht überhaupt, schließt also Elemente der allgemeinen Rechtslehre, Rechtsphilosophie und -geschichte sowie der Methodenlehre ein. Eine gute Vorstellung vermittelt ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Standardwerks von Pound, Jurisprudence. 14 Dazu ausführlicher unten B.II.

Übermittlung: Wege deutscher Ideen

39

von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe als auch v o m Glauben an die eigene Fähigkeit zu ihrer Bewältigung, wodurch sie sich trotz aller Auseinandersetzungen doch als wissenschaftliche Gemeinschaft verstanden. Bei aller Vorsicht gegenüber voreiligen Vergleichen kann man deshalb die klassische Ära des amerikanischen Common Law als das entwicklungsgeschichtliche Gegenstück zur deutschen historischen Schule i m Sinne der historischsystematischen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts sehen. e) V o r diesem Hintergrund wird verständlich, daß die führenden Vertreter der amerikanischen Classical Era sich der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts verwandt fühlten und ihr für die eigene Orientierung große Bedeutung beimaßen. Es ist Aufgabe und Ziel des zweiten Hauptteils, diese Bedeutung i m einzelnen sowohl darzustellen als auch zu erklären. Dabei stellt sich vorab die Frage, wie die deutschen Ideen überhaupt nach Amerika gelangten. Welche Übermittlungswege gab es, und wer benutzte sie? Das Ergebnis dieser Übermittlung w i r d sodann unter den drei schon erläuterten B l i c k w i n k e l n betrachtet. Der erste Abschnitt behandelt die historische Schule als Rechtslehre; dabei geht es um die Rezeption der Savigny'sehen Theorie von Entstehung und Wesen des Rechts. Nur auf dieser Grundlage läßt sich i m zweiten Abschnitt die historische Schule als Methode verstehen; hier w i r d die Faszination analysiert, die ihr Wissenschaftskonzept auf viele amerikanische Juristen ausübte. Schließlich betrachtet der letzte Abschnitt die historische Schule als Kultur, d. h. konkret als Umfeld des Wissenschaftsgedankens; i m Mittelpunkt stehen dabei ihre Bedeutungen in institutioneller, beruflicher und politischer Hinsicht. A b schließend w i r d der Versuch unternommen, die historische Schule als Bindeglied zwischen dem C i v i l und dem Common Law jener Zeit zu betrachten.

Übermittlung: Wege deutscher Ideen ins anglo-amerikanische Rechtsdenken Die Ideen der historischen Schule und der deutschen Rechtswissenschaft wurden i m wesentlichen auf drei Wegen ins Ausland übermittelt, die freilich miteinander verbunden waren: Die Literatur, das Studium ausländischer Studenten an deutschen Universitäten, und die internationalen wissenschaftlichen Kontakte zwischen Hochschullehrern. Die Übermittlung nach Amerika ist in allen diesen Bereichen in unmittelbarem Zusammenhang mit England zu sehen, das in vielfältiger Weise als Zwischenstation diente. Insofern muß man auch hier die anglo-amerikanische Rechtskultur als eine Einheit betrachten.

Zweiter Teil: Blütezeit

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1. Literatur Die Kenntnis v o m deutschen Rechtsdenken gelangte vor allem dadurch nach England und in die U S A , daß anglo-amerikanische Juristen sich mit den Werken deutscher Gelehrter beschäftigten. Z u m T e i l lasen sie diese i m deutschen Original, aber auch Übersetzungen spielten eine große Rolle. a) Die Lektüre deutscher Werke i m Original war an den führenden juristischen Fakultäten der Classical Era so üblich, daß sie vielerorts fast zum A l l t a g gehörte. Unter den anglo-amerikanischen Rechtsdenkern der Zeit waren Deutschkenntnisse nicht nur weitverbreitet, sie waren geradezu Voraussetzung hoher wissenschaftlicher Qualifikation. James Barr Ames, John Chipman Gray, Roscoe Pound und viele andere i n Amerika, James Bryce, Frederick Pollock, Frederic W i l l i a m Maitland und viele ihrer englischen Kollegen konnten ausgezeichnet deutsch, und Oliver Wendeil Holmes lernte es eigens, um Heusler, Brunner, Sohm und Windscheid lesen zu können. Die Hunderte von Hinweisen auf deutsche Werke, die sich in den Arbeiten dieser und anderer anglo-amerikanischer Rechtsdenker finden, zeigen, welch eifrigen Gebrauch man von diesen oft mühsam erworbenen Sprachkenntnissen machte. b) Wer das Deutsche nicht oder nicht hinreichend beherrschte, konnte sich mit einer Vielzahl von Übersetzungen behelfen. Sie stammten größtenteils aus England, wurden natürlich aber auch in Amerika verbreitet, gelesen und zitiert. Sie repräsentierten die ganze Bandbreite der deutschen Rechtswissenschaft. I m Vordergrund standen die vielen englischen Ausgaben der Werke Savignys. Schon Anfang des Jahrhunderts hatte Henry Crabb Robinson, der 1802 einen Sommer beim jungen Savigny in Marburg verbracht hatte, einen Beitrag Savignys über die Lage der deutschen Universitäten m i t dem Titel On the Present State of the German Universities i m Monthly Register , einer kleinen englischen Zeitschrift, veröffentlicht 1 5 . Eigentlich bekannt wurde Savigny i m anglo-amerikanischen Rechtskreis aber erst durch die Übersetzung großer Teile seiner Hauptwerke. Der größten Aufmerksamkeit erfreute sich unter den Common Lawyers wohl die Streitschrift gegen Thibaut, die Savignys englischer Verehrer Abraham Hayward 1831 als Of the Vocation of Our Age for Legislation and Jurisprudence in London veröffentlichte 1 6 ; durch sie wurde die Theorie der historischen Schule fast m i t einem Schlag in der Welt des Common Law bekannt. Schon zwei Jahre zuvor war der erste Band von Savignys Geschichte des römischen Rechts in einer Übersetzung Cathcarts in Edinburgh erschienen; sie hatte begonnen, Savigny in Großbritannien als Rechtshistoriker einen Namen zu machen. I m übrigen wurden vor allem seine dogmatischen Arbeiten zum römischen Recht ins Engli-

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Der Hintergrund ist geschildert und die Übersetzung abgedruckt bei Wellek, unbekannter Artikel Savignys über die deutschen Universitäten. 16 Vgl. auch unten Anm. 75.

Ein

Übermittlung: Wege deutscher Ideen

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sehe übertragen. Perry veröffentlichte die frühe Monographie zum Besitzrecht 1848 in London als A Treatise on Possession ; das Buch wurde in England als „one of the most masterly that had ever appeared upon any branch of Jurisprudence" begrüßt 1 7 und dem amerikanischen Publikum als „the most beautiful book of Roman law, which has been written since the sixteenth century" angepriesen 18 . Zudem kamen drei Bände von Savignys System des heutigen römischen Rechts auf englisch heraus: H o l l o way übersetzte den ersten als System of the Modern Roman Law 1867 in Madras (Indien), Rattigan den zweiten als Jural Relations or the Roman Law of Persons 1884 in London, und Guthrie den achten als Private International Law 1869 in Edinburgh. Schließlich erschien in London 1872 eine von Archibald B r o w n verfaßte englische Version des Obligationenrechts als An Epitome and Analysis of Savigny s Treatise on Obligations in Roman Law . Unausgeführt blieb hingegen Maitlands ehrgeiziger Plan einer englischen Ausgabe von Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter 19. Auch andere Repräsentanten der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts wurden ins Englische übertragen, wobei Werke zum modernen römischen Recht die Hauptrolle spielten. Mackeldeys Lehrbuch des heutigen römischen Rechts 20 erfreute sich so großer Beliebtheit, daß es sowohl 1845 in London unter dem Titel Compendium of Modern Civil Law als auch 1883 in Philadelphia als Handbook of the Roman Law übersetzt wurde. Cushing empfahl es seinen Studenten in Harvard als „ o n the whole the best, for the purposes of an introduction to the Roman law, which is w i t h i n the reach o f the American student" 2 1 , und Cocke meinte, es sei „ o f great value to the American l a w y e r " 2 2 . Lindley, ein Kenner des deutschen Rechts und später einer der führenden Richter Englands, ließ sich durch seine große Bewunderung für Savigny 2 3 nicht davon abhalten, Thibauts System des Pandektenrechts 1855 in London als Introduction to the Study of Jurisprudence zu veröffentlichen; der Titel war in seiner Allgemeinheit irreführend, drückte aber Lindleys Überzeugung aus, daß ein Studium des Pandektenrechts die beste Einführung in das Studium der Jurisprudenz überhaupt sei — selbst für einen Engländer. Hastie, der schon Kant und Hegel übersetzt hatte, stellte Auszüge aus den Werken Puchtas, Friedländers, Falcks und Ahrens' zu17 Zitiert nach Fifoot, Judge and Jurist in the Reign of Victoria 88. Mit Lob überschüttet wurde es auch von einem ungenannten Autor im Monthly Law Magazine and Political Review, vgl. Anon., On the Schools of German Jurists 95 f. is So die im American Jurist veröffentlichte, englische Übersetzung des 17. Kapitels von E. Lérminier, Introduction Générale a l'Histoire du Droit, Lerminier, The German Historical School of Jurisprudence; vgl. auch Anon., The German Historical School of Jurisprudence 49. 19 Vgl. Fisher, Frederick William Maitland 19. 20 Ursprünglich als Lehrbuch der Institutionen des heutigen römischen Rechts 1814 erschienen; den im folgenden genannten Übersetzungen lagen spätere Auflagen zugrunde. 2 1 Cushing, Introduction to the Study of the Roman Law 143 f. 22 Cocke, A Treatise of the Common and Civil Law 225. 23 Vgl. Dockray, Savigny and the Squatter 109.

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Zweiter Teil: Blütezeit

sammen und machte sie 1887 in Edinburgh als Outlines of the Science of Jurisprudence dem englischsprachigen Publikum zugänglich; dabei stellte er Puchta vor als „universally recognised as one of the greatest exponents o f the modern scientific Jurisprudence [who] takes rank only to Savigny himself as a representative of the Historical S c h o o l . " 2 4 Zudem gab es Übersetzungen historisch ausgerichteter Werke. Sohms 1883 erschienene Institutionen wurden 1892 von Ledlie in Oxford übersetzt; die englische Ausgabe erlebte mehrere Auflagen und wurde in der anglo-amerikanischen Welt zum Standardwerk über das klassische römische Recht. Güterbocks Henricus de Bracton und sein Verhältnis zum römischen Rechte von 1862 wurde vier Jahre später von Cox in Philadelphia als Bracton, and His Relations to the Roman Law veröffentlicht. Und Maitland übersetzte ein Kapitel aus dem dritten Band von Gierkes Das deutsche Genossenschaftsrecht, das 1913 unter dem Titel Political Theories of the Middle Ages mit einer wichtigen Einführung erschien. Weitere rechtsgeschichtliche Studien aus deutscher (und sonstiger europäischer) Feder erschienen in Übersetzungen in der von der Association of American Law Schools veranstalteten Continental Legal History Series. Der Einleitungsband Λ General Survey of Events, Sources, Persons and Movements in Continental Legal History enthielt u. a. übersetzte Auszüge aus Werken Brunners, von Stintzings, Schroeders und Stobbes. Rudolph Hübners historisch ausgerichtete Grundzüge des deutschen Privatrechts kamen als Band I V unter dem Titel A History of Germanic Private Law 1918 in Philadelphia heraus, und Carl L u d w i g von Bars Geschichte des deutschen S traf rechts und der Strafrechtstheorien bildete als A History of Continental Criminal Law den V . Band der Reihe. Die als Band V I I erschienene History of Civil Procedure beruhte großenteils auf dem zweiten Teil von Arthur Engelmanns Der Civilprocess. Puchtas Übersetzer Hastie kündigte auch 1887 eine englische Fassung von Brunners Beiträgen zur englischen Rechtsgeschichte an, die aber, soweit ersichtlich, nie erstellt wurde 2 5 . c) Neben den Werken deutscher Autoren führte eine umfangreiche Sekundärliteratur die anglo-amerikanischen Juristen in das deutsche Rechtsdenken ein. A u c h sie beschäftigte sich mit den verschiedensten Aspekten der historischen Schule. Die Anfänge lagen noch i n der Zeit vor dem Bürgerkrieg. W o h l die erste englischsprachige Darstellung der historischen Schule war in John Reddies 1826 in Edinburgh veröffentlichten Historical Notices of the Roman Law and of the Progress of Its Study in Germany enthalten; das auch in England und den U S A weitverbreitete Buch war Gustav Hugo gewidmet, besprach die Arbeiten Hugos, Savignys und ihrer Nachfolger und war eine A r t Streitschrift für deren Ideen einschließlich ihrer Einwände gegen Gesetzbücher. I n Amerika erregten Savignys Argumente gegen Thibaut dann i m Zusammenhang m i t der Kodifikationsdiskus24 Hastie, Translator's Preface X X I X . 25 Hastie, Translator's Preface X X X V I f. Anm. 2.

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sion der 1830er Jahre Aufsehen. Z w e i Beiträge i m American Jurist einer der wenigen juristischen Zeitschriften jener Periode, schilderten die Auseinandersetzung zwischen Thibaut und Savigny eingehend 2 6 , und Story referierte in seinem 1836 erstellten Report über die Kodifikationsfrage Savignys Einwände, allerdings ohne dessen Namen zu nennen. A u c h die sonstigen Grundlehren der historischen Schule Savignys und seiner Generation wurden schon vor dem Bürgerkrieg in der Literatur besprochen 27 und insbesondere von David Hoffmann und Luther Cushing in ihre Lehrbücher aufgenommen und dadurch bekannt gemacht 2 8 . Peter Roselius verbreitete Savignys Gedanken in der akademischen Welt Louisianas vor dem Bürgerkrieg. 2 9 In der klassischen Ära selbst waren dann historische Schule und deutsche Rechtswissenschaft ein regelmäßig wiederkehrendes Thema. Natürlich behandelten die führenden Werke über Jurisprudence das deutsche Rechtsdenken in einem größeren Zusammenhang 3 0 . In den Fachzeitschriften erschienen immer wieder Einzeldarstellungen, die das Interesse an der deutschen Jurisprudenz einerseits bezeugten und andererseits lebendig hielten 3 1 . Zudem gab es auch in der ein breiteres Publikum ansprechenden Literatur gelegentliche Hinweise auf die historische Schule 3 2 . V o r allem aber war in der anglo-amerikanischen Literatur der Begriff der „historical school" überhaupt so weitverbreitet, daß jeder, der sich darunter nichts vorstellen konnte, Grund hatte, sich darüber zu informieren. Der Rückgriff auf die vielfältige Literatur zu diesem Thema war dabei nur eine Möglichkeit; die andere bestand darin, die Lehren der historischen Schule an der Universität zu studieren.

26 Anon., Written and Unwritten Systems of Law (1831) und Anon., Written and Unwritten Systems of Law (1833); es ist wahrscheinlich, daß beide Beiträge vom selben Autor stammen. 27 Anon., The German Historical School of Jurisprudence. In England erschien um 1840 eine von einem ungenannten Autor verfaßte, enthusiastische Schilderung, Anon., On the Schools of German Jurists. 28 Hoffmann, A Course of Legal Study 529-530; Cushing, Introduction to the Study of the Roman Law 269-279. In England wurden Savigny's Lehren auch verbreitet durch Long, Two Discourses delivered in Middle Temple Hall; dazu Stein, Legal Evolution 79-82. 29 Vgl. Franklin, The Influence of Savigny and Gans on the Development of the Legal and Constitutional Theory of Christian Roselius. 30 Vgl. Bryce, The Methods of Legal Science 617 ff.; Gray, The Nature and Sources of Law 87 ff., 282 f.; Holland, The Elements of Jurisprudence 49; Lightwood, The Nature of Positive Law 262 ff (vor allem zur Rechtsentstehungslehre in Savignys System); Korkunov, General Theory of Law 143 ff; zur historischen Schule allgemein Smith, Elements of Right and of the Law 250 ff. 31 Vgl. etwa Freund, Historical Jurisprudence in Germany; Smith, Four German Jurists; Leonhard, Methods Followed in Germany by the Historical School; Β orchard, Jurisprudence in Germany; siehe auch Taylor, The Science of Jurisprudence 242 f. 32 Vgl. Hart, German Universities 127, 395.

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Zweiter Teil: Blütezeit 2. Anglo-Amerikanische

Studenten an deutschen

Universitäten

M a n konnte zwar auch an amerikanischen L a w Schools mitunter etwas über die historische Schule lernen, so in Harvard schon 1849 in den Vorlesungen Luther Cushings 3 3 oder später bei Roscoe Pound. Doch die Beschäftigung mit Jurisprudence und schon gar mit ausländischen Ideen blieb i m damals sehr praktisch orientierten amerikanischen Unterricht ganz am Rande. Wer w i r k l i c h etwas über das als führend geltende deutsche Rechtsdenken lernen wollte, der mußte selbst für einige Zeit eine deutsche Universität besuchen. Das lag um so näher, als die deutschen Universitäten i m 19. Jahrhundert überhaupt als Mekka der ausländischen Studenten galten. Insbesondere bei AngloAmerikanern stand ein Zusatzstudium in Deutschland in fast allen Disziplinen i m Ruf, jede hochkarätige akademische Ausbildung zu vervollständigen und zu krönen 3 4 . I m letzten Drittel des Jahrhunderts lag es deshalb vor allem für diejenigen Anglo-Amerikaner, die eine akademische Laufbahn anstrebten, nahe, zumindest einige Zeit an einer deutschen Universität zu verbringen. a) Die Gründe für diese Beliebtheit der deutschen Universitäten waren vielfältig und nicht immer rein akademischer Natur. Z u m einen galt Deutschland, wie bereits erwähnt, als die geistig führende Nation jener Zeit; es war nicht nur die Kultur Goethes, der Romantiker und Beethovens, sondern auch die Heimat der Gebrüder von Humboldt, Niebuhrs und Schleiermachers, die alle als Dichter oder Denker Maßstäbe gesetzt hatten. Hinzu kam der Aufstieg der Naturwissenschaften, der mit Namen wie Bunsen, Fraunhofer, Gauß oder Liebig verbunden w a r 3 5 , aber auch die Blüte der Rechtswissenschaft seit Savigny. Die deutschen Universitäten, die i m 19. Jahrhundert an geistiger Kraft, materieller Ausstattung und öffentlichem Ansehen ihresgleichen suchten, verkörperten diese deutsche Kulturnation und gelangten dadurch zu Weltgeltung. Besonders anziehend war dabei ihr Ruf als Hort strenger geistiger Disziplin, wissenschaftlicher Exaktheit sowie logisch-systematischen und klaren Denkens 3 6 . Aber auch weniger hehre M o t i v e spielten eine Rolle. Das Studium in Deutschland war vergleichsweise bequem; der Zugang war i m Gegensatz zu Frankreich unproblematisch 3 7 , der Studiengang flexibel, und der deutsche Doktorgrad war 33 Vgl. Cushing, Introduction to the Study of the Roman Law 269 ff.; dazu auch Clark, Tracing the Roots of American Legal Education 330. Zu Cushing ausführlicher Hoeflich, Roman Law and Civil Law and the Development of Anglo-American Jurisprudence in the Nineteenth Century 130 ff. Einer der Schüler Cushings, James C. Carter, wurde später zu einem der führenden Vertreter der historischen Schule, dazu unten A.I. 1. sowie C.II.l. und 2. 34 Vgl. Herbst, The German Historical School in American Scholarship 2 f. 3 5 Dazu Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert V 198-283. 36 Thwing, The American and the German University 149.

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prestigeträchtig und dennoch recht leicht zu erwerben 3 8 . Außerdem war ein Jahr an einer deutschen Universität relativ b i l l i g 3 9 . Nicht unwichtig war, daß das deutsche Studentenleben als frei und unterhaltsam galt. Das oft strenge und puritanische Regiment der Colleges fehlte, und vor allem in Gemeinschaft mit eigenen Landsleuten bedeutete ein Jahr in Deutschland nicht nur ein weiterführendes Studium mit Vorlesung, Seminar und Examen, sondern auch ein ausländisches Abenteuer mit Wein, Weib und Gesang 4 0 . b) Kombinationen aus all diesen Gründen lockten i m 19. Jahrhundert und insbesondere in den 1860er bis 1890er Jahren Tausende von anglo-amerikanischen Studenten fast aller Fakultäten an die deutschen Universitäten 4 1 , vor allem nach Berlin, Leipzig, Heidelberg 4 2 und Göttingen 4 3 . Dabei bildeten zwar zunächst 37 Vgl. Wigmore, A Proposal to Restore the True Status of French Science and Learning in America 344. 38 Das Ansehen des deutschen Doktorgrades war zunächst vor allem in Amerika sehr hoch; so bemühte sich etwa David Hoffman, in der ersten Hälfte des Jahrhunderts einer der einflußreichsten amerikanischen Rechtslehrer, in Göttingen um einen deutschen Doktortitel wohl aus reinen Prestigegründen — er firmierte auf der Titelseite seines bereits erwähnten Course of Legal Study stolz als „Dr. Iur. Utr. Göttingen". Der Titel wurde Hoffmann in absentia verliehen — offensichtlich allein aufgrund seiner Stellung als Professor in den USA, und ohne daß er jemals in Göttingen gewesen war; vgl. Hoeflich, Transatlantic Friendships & the German Influence on American Law in the First Half of the Nineteenth Century 609 f.; über Hoffmann auch Bloomfield, David Hoffmann and the Shaping of a Republican Legal Culture; Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 423 f.; Warren, History of the Harvard Law School I 379. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde die Leichtigkeit, mit der der deutsche Doktorgrad (im Vergleich zum amerikanischen oder englischen Ph. D.) erworben werden konnte, allgemein bekannt, sodaß sein Ansehen entsprechend abnahm; vgl. Herbst, The German Historical School in American Scholarship 9. 39 Veysey, The Emergence of the American University 130. 40 Vgl. Herbst, The German Historical School in American Scholarship 19 ff., 23 ff. Lebendige, wenn auch für ein amerikanisches Publikum mit entsprechender Vorsicht verfaßte Schilderungen des deutschen Studentenlebens der Amerikaner finden sich bei Hart, German Universities; vgl. etwa Kap. X I über die amerikanische „Colony" in Göttingen 158-160; zum amerikanischen Studentenleben in Berlin vgl. Samuels, The Young Henry Adams 53 ff. 41 Die Angaben in der Literatur über die Gesamtzahl schwanken etwas, bewegen sich aber für die Zeit von 1820-1920 um die 9 000 bis 10 000; vgl. Thwing, The American and the German University 18; vgl. auch Herbst, The German Historical School in American Scholarship 9; im Gegensatz dazu studierten in Frankreich während dieser Zeit nur ein paar Hundert. A m beliebtesten war Berlin, wohin etwa 50 % der Amerikaner zogen. In den beiden Jahrzehnten zwischen 1870 und 1890 studierten jeweils etwa 1000 amerikanische Studenten in Deutschland, wobei das akademische Jahr 1895-96 mit 517 den Höhepunkt bildete; um die Jahrhundertwende nahm die Zahl allmählich ab; vgl. die Statistiken bei Thwing, The American and the German University 40 ff; Veysey, The Emergence of the American University 130. Vgl. auch Clark, Tracing the Roots of American Legal Education 320-322. 42 Anglo-amerikanische Jurastudenten zog es nicht nur wegen der reizvollen Lage der Stadt nach Heidelberg, sondern auch weil mit Bluntschli und von Vangerow zwei dortige Fakultätsmitglieder als Lehrer einen weltweiten Ruf genossen; vgl. die Zeugnisse zweier ehemaliger Heidelberger Studenten und späterer anglo-amerikanischer Rechtsieh-

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Zweiter Teil: Blütezeit

die Mediziner und später die Studenten an der philosophischen Fakultät die Mehrheit, doch war auch die Anzahl vor allem der amerikanischen Jurastudenten in Deutschland beachtlich. Genaue Zahlen sind ohne eingehendes Studium der Universitätsakten kaum zu ermitteln, man kann aber davon ausgehen, daß von etwa 1860 bis zur Jahrhundertwende in jedem Semester mehrere Dutzend Amerikaner die deutschen juristischen Fakultäten besuchten 4 4 . I n der klassischen Ära muß es demnach in Amerika einige Hundert Juristen m i t deutschem Zusatzstudium gegeben haben 4 5 . Selbst absolut gesehen war diese Anzahl wahrscheinlich größer als heute, und relativ zu den damals viel niedrigeren Studentenzahlen war sie ausgesprochen beindruckend. c) Wichtiger als die bloße Menge war jedoch der Einfluß, den viele dieser Studenten nach ihrer Rückkehr in die Heimat ausübten. U m eine Vorstellung von der durch sie vermittelten Wirkung deutscher Jurisprudenz i m anglo-amerikanischen Rechtskreis zu bekommen, genügt es, den Werdegang nur der prominentesten unter ihnen zu skizzieren. Sie kamen nicht nur aus den Vereinigten Staaten, sondern auch aus Großbritannien. Den Anfang machte kein Jurist, sondern ein Philologe. Edward Everett, der 1817 als erster Amerikaner in Göttingen zum Dr. phil. promoviert worden war, und der seinen Lehrstuhl für Altphilologie in Harvard aufgab, um zu höchsten politischen Ämtern aufzusteigen, brachte aus Deutschland große Begeisterung für das kontinentaleuropäische Recht mit. Er rief seine Landsleute zu dessen Studium auf, von dem er sich vor allem eine Schulung des systematischen juristischen Denkens versprach, das den Common Laywers so sehr fehlte 4 6 . I n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es nicht selten Engländer oder Schotten, die Vorstellungen von deutscher Rechtswissenschaft in ihre Heimat rer: Freund, The Study of Law in Germany 134, und Bryce, The Methods of Legal Science 633. 43 Wohl aufgrund der Verbindung Hannovers mit der englischen Krone war Göttingen im früheren 19. Jahrhundert die beliebteste deutsche Universität unter Engländern und Amerikanern; Goodwin, Remarks on the American Colony at the University of Göttingen from 1815 to 1898. Schon Benjamin Franklin hatte ihr 1766 einen Besuch abgestattet, Thwing, The American and the German University 12. Zudem zog Göttingen als Zentrum der Reaktion gegen das rationalistisch-naturrechtliche Denken vor allem englische Studenten an; die Verbindung nach England wird auch in Edward Gibbons Einfluß auf Gustav Hugo sichtbar. 44 In einem Brief an Holmes 1871 etwa schätzte Holtzendorff die Zahl der seinerzeit an den deutschen Juristenfakultäten studierenden Amerikaner auf 60; O. W. Holmes Papers, Harvard Law School Library Box 53 f. 9.; dabei ist zu bedenken, daß die stärksten Jahrgänge erst danach kamen; vgl. auch Shumway, The American Law Students of the University of Göttingen. 45 Geht man von einer Gesamtzahl der amerikanischen Studenten in Deutschland von etwa 9000 bis 10 000 aus, deren weitaus größter Teil nach 1860 kam, und berücksichtigt man ferner, daß die Juristen zu verschiedenen Zeiten das zweit- oder drittstärkste Kontingent bildeten, so ist die Schätzung auf einige Hundert eher zu niedrig als zu hoch. 4 6 Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 419.

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trugen. V o r allen anderen ist hier John Austin zu nennen, der 1827 zwar nicht als Student i m eigentlichen Sinne nach Deutschland kam, w o h l aber um deutsches Rechtsdenken und das deutsche Universitätssystem zu studieren. Er verbrachte rund zwei Jahre in Bonn und anderwso, um sich auf seine neue Aufgabe als erster Professor für Jurisprudence an der neugegründeten University of London vorzubereiten. Austin war stark von der deutschen Pandektenwissenschaft beeinflußt und wurde zum eigentlichen Begründer der englischen Rechtstheorie 47 . U m diese Zeit interessierten sich insbesondere die Gegner der auf Bentham zurückgehenden englischen Kodifikationsbestrebungen verstärkt für deutsche Ideen, da sie in Savignys Lehren ein Arsenal von Argumenten gegen Gesetzbücher fanden. John Reddie, der in Göttingen studiert und promoviert hatte, gab durch seine 1828 in London erschienene Streitschrift zur Kodifikationsfrage die Grundzüge der Savigny'sehen Rechtsentstehungslehre an die englische Leserschaft weiter 4 8 . Die Schrift liest sich in ganzen Passagen wie eine Zusammenfassung des Berufs. Auch in anderen Werken trug Reddie dem englischsprachigen Publik u m i m Detail vor, was er in Deutschland gelernt hatte 4 9 . Unklar ist, ob auch John James Park, der Autor einer weiteren, gegen die Kodifikationsbestrebungen jener Zeit gerichteten Schrift, in Deutschland studiert hatte 5 0 . Jedenfalls trat Park, der ab 1831 in London Professor der Rechte war, wie Reddie mit Argumenten Savigny'scher Prägung dem Ruf nach Gesetzbüchern entgegen 5 1 . Erwähnung verdient ferner Nathaniel Lindley, der Übersetzer Thibauts, der in Bonn studiert hatte 5 2 , und in der englischen Justiz Karriere machte. A u c h amerikanische Juristen kamen um diese Zeit bereits an die deutschen Universitäten und nahmen von dort Ideen mit nach Hause. W i l l i a m Wetmore Story, der bereits genannte Sohn Joseph Storys und Autor stark zivilistisch beeinflußter Lehrbücher 5 3 , etwa war i m Winter 1 8 4 9 / 5 0 in Berlin, um dort Vorlesungen zu hören. Sein Eindruck von Savigny wurde in Amerika bekannt, weil Story den großen Gelehrten als „staubtrocken" beschrieb 5 4 . 47 Vgl. Schwartz , John Austin and the German Jurisprudence of His Time; zu Austin näher unten Β.II.2. 48 Reddie, Letter to the Lord High Chancellor of Great Britain on the Expediency of the Proposal to Form a New Civil Code for England, vgl. insbesondere 4 ff.; Auszüge sind wiedergegeben bei Stein, Legal Evolution 73 f. Zum deutschen Einfluß auf die anglo-amerikanische Kodifikationsdiskussion ausführlicher unten C.II.l. 49 Reddie, Historical Notices of the Roman Law and of the Recent Progress of its Study in Germany. so Das Dictionary of National Biography bezeichnet Park als „a doctor of laws of the University of Göttingen" (Bd. X V , 218); ebenso Stein, Legal Evolution 72. Doch bedauerte Park ausdrücklich und mehrfach, daß er die deutsche Sprache leider nicht beherrsche und ihm deshalb die deutsche Literatur zur Kodifikationsfrage nicht direkt zugänglich sei, Park, A Contre-Project to the Humphreysian Code X V I , 87 Anm. 51 Park, A Contre-Project to the Humphreysian Code. 52 Vgl. Fifoot, Judge and Jurist in the Reign of Victoria 18. 53 Siehe oben Erster Teil Amn. 23 f. und Text.

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Zweiter Teil: Blütezeit

V o r allem aber hatten viele prominente anglo-amerikanische Rechtsdenker der klassischen Ära in Deutschland studiert. James Barr Ames verbrachte ein Jahr an deutschen Universitäten 5 5 , ehe er nach Harvard zurückkehrte, wo er nicht nur zum Dean der Law School aufstieg, sondern auch als Bewunderer der deutschen Rechtswissenschaft zu einem führenden Vertreter der historischen Schule in Amerika w u r d e 5 6 . W i l l i a m Gardiner Hammond studierte in den 1850er Jahren die Rechte in Heidelberg, war zuächst Kanzler der University of Iowa und ab 1881 Dean der Washington University L a w School in St. Louis; Hammond war sichtlich von Savigny beeinflußt. Er lehrte C i v i l Law und galt als einer der prominentesten Rechtshistoriker seiner Z e i t 5 7 . Christopher Tiedemann promovierte in Göttingen, wurde Professor der Rechte zunächst in Missouri, dann in New York, und avancierte zu einem der bekanntesten Lehrbuchautoren der Zeit; auch in seinem Denken wirkte das in Deutschland Gelernte stets nach 5 8 . Henry Adams, der w o h l prominenteste amerikanische Rechtshistoriker des späten 19. Jahrhunderts, hatte in Deutschland studiert 5 9 und übertrug deutsche Ideen an eine ganze Generation von Schülern in den U S A , vor allem in Harvard. Als Rechtshistoriker bekannt wurde auch Munroe S m i t h 6 0 , der nach seiner Promotion in Göttingen i m Jahre 1890 Professor für römisches Recht und Rechtsvergleichung an der Columbia University in New York wurde. Unter den Briten ist aus dieser Periode vor allem James Bryce zu nennen, der 1863 bei Vangerow in Heidelberg studiert hatte, und der später als Regius Professor of C i v i l Law in Oxford die deutsche Rechtswissenschaft pries 6 1 . Ein Sonderfall war Ernst Freund: Als Sohn

54 „Von Savigny, the celebrated jurist, I have seen repeatedly, and I can assure you that he is of all petrifications the most remarkable I have seen. He is as dry as dust." W. W. Story an J. R. Lowell, zit. nach Hoeflich, Savigny and His Anglo-American Disciples 30. 55 Vgl. Ames, Lectures in Legal History (Memoir) 4. 56 Vgl. Patterson, Historical and Evolutionary Theories of Law 694. Zu Ames ausführlicher unten B.I. und C.I.2. Ames war es auch zu verdanken, daß in der juristischen Bibliothek in Harvard das moderne kontinentaleuropäische Recht stark berücksichtigt wurde; Ames, Lectures in Legal History (Memoir) 21; vgl. auch Williston, James Barr Ames — His Services to Legal Education 331. 57 Zu Hammond M' Ciain, William Gardiner Hammond; Herget, American Jurisprudence 1870-1970 50 ff.; Hoeflich, Roman Law and Civil Law and the Development of Anglo-American Jurisprudence in the Nineteenth Century 139 ff. 58 Vgl. Tiedemann, The Limitations of Police Power 4 und dort Anm. 1, 89 fn. 1; Tiedemann definierte hier einen Kernbegriff der seinerzeitigen Verfassungsdiskussion, den der „police power", in Anlehnung an Bluntschli und von Mohl; vgl. auch Tiedemann, Methods of Legal Education 151. Zu Tiedemann siehe ferner unten C.III.4. 59 Seine juristischen Studien endeten allerdings zunächst in Resignation und Enttäuschung, da seine Deutschkenntnisse anfangs nicht ausreichten; Samuels, The Young Henry Adams 53 ff. Adams war von der deutschen wissenschaftlichen Rechtsgeschichte maßgeblich beeinflußt, s. u. A.I.2. und B.I.2. 60 Vgl. Smith, The Development of European Law. Smiths Lehrer in Deutschland waren vor allem Bruns, Windscheid, Jhering und Gneist, vgl. Smith, Four German Jurists X 664.

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deutscher Eltern in New York geboren, studierte er i n Berlin und Heidelberg und kehrte er als Doctor Iuris wieder nach Amerika zurück, um dort 1897 an der Columbia University noch einmal (zum Ph. D.) zu promovieren; Freund war nicht nur Mitgründer der University of Chicago Law School, an der er in der Folge lehrte, sondern auch der Vater des amerikanischen Verwaltungsrechts sowie der Gesetzgebungslehre 62 . Die Liste ließe sich gehörig verlängern 6 3 , aber schon die genannten Namen machen den Befund hinreichend deutlich. Unter den anglo-amerikanischen Studenten an den deutschen Juristenfakultäten waren viele, die nach ihrer Rückkehr als Autoren und Lehrer die einst in Deutschland aufgenommenen Gedanken an Generationen von Studenten weitergaben. Dadurch vervielfachte sich der Effekt, den das deutsche Studium auf sie gehabt hatte. Zwar dominierten die in Deutschland Promovierten die Law Schools nicht, wie dies in anderen Fakultäten zum Teil der Fall w a r 6 4 , aber sie waren zahl- und einflußreich genug, um dem deutschen Rechtsdenken zu Bekanntheit und Ansehen zu verhelfen.

Bryce, The Methods of Legal Science 633; Bryce, On the Academical Study of the Civil Law, besonders 863 f., 870; siehe auch Fisher, James Bryce I 59-60; 132. Wie viele andere in- und ausländische Studenten, war Bryce von den Vorlesungen von Vangerows im wahrsten Sinne des Wortes begeistert. 62 Kraines, The World and Ideas of Ernst Freund; Freund, Standards of American Legislation IX f. Freunds Buch Standards of American Legislation bezieht sich vielfach auf die deutsche (und französische) Gesetzgebungs- und Verwaltungslehre, deren vorbildliche Rationalität und Einheitlichkeit Freund pries, vgl. id. 264. 63 Zu nennen wären etwa noch: George F. Canfield, der 1875-76 in Göttingen studiert hatte und ab 1894 Professor der Rechte an der Columbia University war; W. H. Rattigan, der in Göttingen promoviert hatte und 1899 in London sein von deutschen Ideen beeinflußtes Werk The Science of Jurisprudence veröffentlichte; Walter Loewy, Träger eines Heidelberger Doktorgrades und Übersetzer des BGB ins Englische (vgl. die Besprechung in Green Bag 22,301,303,1910); James Morgan Hart, Princeton Absolvent und Göttinger Doctor Iuris, später Professor für Englisch an der Cornell University und der University of Cincinnati sowie Autor eines vielgelesenen Buches über seine Studienzeit in Deutschland und das deutsche Universitätswesen: Hart, German Universities; Sir Richard Quain, der in Göttingen studiert hatte,in England zum Richter auf der Queen's Bench aufstieg und in seinem Nachlaß die Mittel zur Verfügung stellte zur Begründung der Quain Professorship of Comparative Law am University College, London, vgl. Gutteridge, Comparative Law 17. Siehe auch die weiteren bei Shumway, The American Students at the University of Göttingen 177 genannten Namen. Trotz seiner russischen Herkunft gehörte auch Paul Vinogradoff zu denjenigen, die den anglo-amerikanischen Juristen deutsche Methoden und Ansätze vermittelten, denn Vinogradoff hatte in Berlin bei Mommsen und Brunner studiert und lehrte ab 1903 als Professor für Jurisprudence in Oxford auf dem früheren Lehrstuhl Maines, vgl. Simpson, Biographical Dictionary of the Common Law 521; Stein, Legal Evolution 4 ff. 64 Von den Fakultätsmitgliedem etwa der Johns Hopkins University hatte die Mehrzahl in Deutschland studiert; vgl. Thwing, The American and the German University 34 fn. 2, 78 ff.; Veysey, The Emergence of the American University 128 ff. 4 Reimann

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Zweiter Teil: Blütezeit 3. Wissenschaftlicher

Austausch

Angesichts des Prestiges der deutschen Universitäten sowie der vielen durch ehemalige Studenten geschaffenen Kontakte war es kein Wunder, daß der wissenschaftliche Austausch über Kanal und Atlantik hinweg bis zum Ersten Weltkrieg sehr rege war. Das galt auch für die Jurisprudenz. a) Bereits in der ersten Jahrhunderthälfte gab es Kontakte zwischen deutschen und anglo-amerikanischen Rechtsgelehrten 65 . Anschaulich werden diese etwa in den von Joseph Story unterhaltenen Verbindungen in den 1830er Jahren. Dabei spielten zwei frühe Emigranten, die Deutschland i m Vormärz aus politischen Gründen verlassen hatten, die Hauptrolle: Karl (Charles) Folien und Franz (Francis) Lieber. Folien, der in Gießen zum Dr. iur. promoviert und danach als Dozent in Basel gelehrt hatte, kam 1825 in die U S A 6 6 . Er unterrichtete zunächst Deutsch am Harvard College und schloß Bekanntschaft mit Story. Dessen langjähriges Bemühen, Folien eine Position an der juristischen Fakultät zu verschaffen, war 1834 erfolgreich. Die Universität ernannte Folien wenigstens für ein Semester zum Dozenten für C i v i l Law allgemein und insbesondere für die Institutionenlehre 6 7 . Wichtiger und dauerhafter waren die durch Franz (Francis) Lieber geschaffenen Verbindungen 6 8 . Lieber, wie Folien eine A r t politischer Flüchtling, wollte nicht nur Jurist sondern Universalgelehrter sein und gab in den U S A eine Encyclopedia Americana heraus, die sich rasch großer Beliebtheit beim gebildeten Bürgertum erfreute. Dabei gewann er Story, den er in Boston kennengelernt hatte, als Autor der juristischen Beiträge einschließlich des C i v i l Law. Lieber war andererseits auch mit Mittermaier bekannt. Als dieser Lieber um die Vermittlung amerikanischer Autoren für Mittermaiers neue Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft und Gesetzgebung des Auslandes bat, überredete Lieber Story, einen Aufsatz zu schreiben, der sodann in deutscher Übersetzung bei Mittermaier erschien 6 9 . M i t termaier wiederum veröffentlichte Robert von Mohls Besprechung von Storys Commentaries on the Constitution of the United States 10. Aber auch unabhängig von Story war Lieber in vielfacher Weise ein geistiger Vermittler zwischen Deutschland und der neuen Welt. Hier war er als ehemaliger Student Schleiermachers, Bekannter W i l h e l m von Humboldts und Protégé Niebuhrs mit prominenten Gelehrten des frühen 19. Jahrhunderts verbunden; dort 65 Dazu insgesamt Hoeflich, Transatlantic Friendships. 66 Zu Folien Frankenberg, Karl Folien (1796-1840). Unbedingt für Bürgergleichheit. 6v Warren, History of the Harvard Law School I 493. 68 Zu Lieber ausführlich Freidel, Francis Lieber. 69 Story, Über nordamerikanisches Staatsrecht. Die Verbindung zwischen Story, Lieber und Mittermaier ist eingehend beschrieben von Hoeflich, Transatlantic Friendships 601 ff. 70 von Mohl, Nordamerikanisches Staatsrecht.

Übermittlung: Wege deutscher Ideen

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wirkte er als Professor zunächst am College of South Carolina, später an der Columbia University, als Autor seiner 1839 in Boston erschienenen Legal and Political Hermeneutics 71 und durch Bekanntschaften mit Kent, Cooley, Longfellow und anderen auf die amerikanische Jurisprudenz ein. b) In der Zeit nach dem Bürgerkrieg verstärkte sich der Austausch zwischen deutschen und anglo-amerikanischen Rechtsdenkern. Mitunter hielten ehemalige Gaststudenten die vordem entstandenen Verbindungen, andere hingegen reisten als bereits anerkannte Rechtsgelehrte nach Deutschland, um dort persönliche Kontakte zu knüpfen. So lernte Markby in Leipzig Windscheid und dessen Kollegen kennen und gedachte in Bonn mit dortigen Rechtslehrern der großen Denker der Vergangenheit wie Savigny, der Gebrüder G r i m m und Niebuhrs 7 2 . Überdies gab es vielfache Briefkontakte — etwa zwischen Holmes und Gierke 7 3 , Pollock und Jhering 7 4 , Ames und Brunner 7 5 . A m engsten wurden diese internationalen wissenschaftlichen Beziehungen unter den Rechtshistorikern. Das macht die gegenseitige Vermittlung akademischer Ehren anschaulich: Maitland wurde zum M i t g l i e d der Berliner und der Münchner Akademie der Wissenschaften gewählt 7 6 , und Liebermann auf Maitlands Betreiben zum Ehrendoktor in Cambridge promoviert 7 7 . Hier entstand geradezu eine über die Grenze zwischen C i v i l und Common Law hinwegreichende wissenschaftliche Gemeinschaft. Als Maitland starb, schrieben nicht nur Holmes und Gray, sondern auch Brunner, Liebermann und Redlich in England Nachrufe 7 8 . c) In ihre intensivste Phase traten die Wissenschaftsbeziehungen zu Beginn unseres Jahrhunderts. I m Rahmen eines offiziellen, von W i l h e l m II. und Präsident Roosevelt geförderten und von den Universitäten von Berlin, Harvard und Columbia organisierten Professorenaustausches reisten zwischen 1905 und 1914 mehrere Dutzend Hochschullehrer verschiedener Fakultäten zu Gastprofessuren über

71 Das Buch war in der zweiten Auflage James Kent gewidmet und war seinerzeit populär und angesehen; vgl. Freidel, Francis Lieber 178. 7 2 Markby, Memories of Sir William Markby, 19 f., 24 f., 68. 73 Vgl. etwa Novick, Honorable Justice 313 f. 74 Vgl. Graziadei, Changing Images of the Law in XIXth Century English Legal Thought 154 (Anm. 202). 75 Vgl. Graziadei, Changing Images of the Law in XIXth Century English Legal Thought 117 (Anm. 6). Schon Savigny hatte mit dem Übersetzer seines Berufs, Hay ward korrespondiert, vgl. Stein, Legal Evolution 69. Hay ward hatte Göttingen besucht und dort Hugo, Bluhme und Jakob Grimm kennengelernt; vgl. Carlisle, A Selection from the Correspondence of Abraham Hay ward 11 ff. 76 In Memoriam: Frederick William Maitland 143. 77 Fifoot, Frederic William Maitland — A Life 124. 78 Im Memoriam: Frederic William Maitland; Maitland hatte zudem auch mit Gierke, Gneist und Vinogradoff in Verbindung gestanden, vgl. F. W. Maitland Papers, Cambridge University Library,Add. 7006, 7007, 7008, 8130.

4=

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Zweiter Teil: Blütezeit

den A t l a n t i k 7 9 . A u f deutscher Seite wurde die Rechtswissenschaft dabei von Rudolf Leonhard vertreten, der der Breslauer juristischen Fakultät angehörte und als „Kaiser-Wilhelm-Professor" i m akademischen Jahr 1907-08 an der Columbia University in New York unterrichtete; das Thema seiner Antrittsvorlesung zeigt, was der deutsche Rechtsprofessor an einer amerikanischen Law School auch aus seiner eigenen Sicht repräsentierte: Leonhard sprach über „Methods Followed i n Germany by the Historical School of L a w " 8 0 . Umgekehrt kam der Staats- und Völkerrechtler Paul S. Reinsch, der einst in Deutschland studiert hatte, von der University o f Madison (Wisconsin) 1911 / 12 als Theodore Roosevelt Professor nach B e r l i n 8 1 . Zur geplanten Gastprofessur Theodor Niemeyers aus K i e l in Columbia kam es wegen des Kriegsausbruchs 1914 nicht m e h r 8 2 . Zwar war unter den nach Harvard kommenden deutschen Gastprofessoren kein Jurist, i m Jahre 1908 lehrte dort aber der deutsche Richter Walter Neitzel als Gastdozent. A l s „Lecturer on the German C i v i l Code" hielt er Vorlesungen über das Bürgerliche Gesetzbuch 8 3 und veröffentlichte er zwei Arbeiten zum deutschen Recht i m Harvard Law R e v i e w 8 4 . Die wohl kontinuierlichste Beziehung zwischen deutscher Rechtswissenschaft und amerikanischen Rechtsfakultäten wurde gegen Ende der klassichen Ära durch Josef Redlich hergestellt. Redlich war Professor an der Universität W i e n und stand mit vielen führenden anglo-amerikanischen Gelehrten seiner Generation in Verbindung. Als die Carnegie Foundation for the Advancement of Teaching einen Report über den Rechtsunterricht an den amerikanischen L a w Schools in Auftrag gab, bestimmte sie ihn zum Berichterstatter 85 . Redlich wurde später nach Harvard berufen. Als Charles Stebbins Fairchild Professor of Comparative Public Law gehörte er der Law School von 1926 bis 1935 a n 8 6 , d. h. noch zu einer Zeit, zu der die einst so vielfältigen Kontakte zwischen deutschen und anglo-amerikanischen Rechtsdenkern ansonsten längst weitgehend abgebrochen waren 8 7 .

79 Dazu ausführlich Vom Brocke, Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch; Ritter, Motive und Organisationsformen der internationalen Wissenschaftsbeziehungen und die Anfänge einer auswärtigen Kulturpolitik im deutschen Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg. so Veröffentlicht in 7 Columbia Law Review 573 (1907). 81 Vom Brocke, Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch 145. 82 Id. 83 Harvard Law School Association, The Centennial History of the Harvard Law School 53; Neitzel war offenbar von offizieller deutscher Seite in die Vereinigten Staaten geschickt worden, um dort amerikanisches Recht zu studieren, id. 240. 84 Neitzel, Non Contentious Jurisdiction in Germany; der s., Specific Performance, Injunctions, and Damages in the German Law. 85 Redlich, The Common Law and the Case Method in American University Law Schools, Preface V - V I ; zu Redlich und seinem Report auch unten C.I.3. 86 Sutherland, The Law at Harvard 293. 87 Dazu unten Dritter Teil C.

Α. Die historische Schule als Rechts lehre

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Die Übermittlungswege zwischen der deutschen und der anglo-amerikanischen Rechtskultur i m 19. und frühen 20. Jahrhundert waren also bestens ausgebaut und wurden viel benutzt. Auffällig ist auch ihre Vielfalt: Sie liefen über die deutsche und amerikanische Primär- und Sekundärliteratur, das Studium der Anglo-Amerikaner in Deutschland, und über reichhaltige wissenschaftliche Kontakte. Gerade in dieser Vielfalt verbirgt sich jedoch eine Einseitigkeit, die ebenso leicht zu übersehen wie bemerkenswert ist. A l l e Übermittlungswege verliefen nämlich auf derselben Ebene — der akademischen. Es ging um Lehrbücher und Aufsätze, Vorlesungen und Seminare, Bildungsreisen und Gastprofessuren, d. h. fast immer um die akademische, kaum um die praktische Seite des Rechts 8 8 . Das war kein Wunder, denn die Träger der Übermittlung waren vor allem die Rechtsgelehrten. Es bedeutete aber, daß der durchschnittliche anglo-amerikanische Praktiker, d. h. Richter oder Anwalt, mit deutschen Ideen in seiner täglichen Arbeit allenfalls mittelbar zu tun hatte — eine Tatsache, die bei der Beurteilung des deutschen Einflusses als Rezeptionsvorgang nicht unbeachtet bleiben darf.

A. Die historische Schule als Rechtslehre: Savigny und das anglo-amerikanische Rechtsdenken I m innersten Kern war die Theorie der historischen Schule eine Erklärung des Ursprungs und des Wesens des Rechts, denn ihr Ausgangspunkt und ihre Grundlage war Savignys Rechtsentstehungslehre 89 . Diese Lehre entstand aus dem Widerspruch gegen das Denken des Vernunftsrechtszeitalters, dem Savigny in drei grundsätzlichen Punkten entgegentrat. Sie betreffen Ursprung, Charakter und Entwicklung des Rechts: Der Ursprung des Rechts liegt weder in der natürlichen oder göttlichen Weltordnung noch i m obrigkeitlichen Befehl, sondern i m „ V o l k s g e i s t " 9 0 , d. h. der „gemeinsamen Überzeugung des V o l k e s " 9 1 . Seinem Charakter nach ist das Recht deshalb nicht eigentlich Gesetz sondern „Gewohnheitsrecht" 9 2 , d. h. „Übung, Sitte, G e w o h n h e i t " 9 3 , auch wenn es i n fortgeschrittenen Zeitaltern maßgeblich durch die wissenschaftlichen Juristen weiterentwickelt w i r d . 9 4 . Da

88 Es gab Ausnahmen, für ein Beispiel siehe Buxbaum, The Provenance of No-Par Stock: A Comparative History. 89 Sie findet sich rudimentär in Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift, wird klarer ausgeführt in Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Kapitel 2) und ist am ausführlichsten dargestellt in Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, 13 ff, 34 ff. (§§ 7,8, 12-15). 90 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 14; der Begriff Volksgeist, den Savigny erst von Puchta übernahm, wird im Beruf noch nicht verwendet; der Gedanke ist aber vorhanden. 91 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 8. 92 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 14. Allerdings ist Gewohnheit für Savigny nicht der Entstehungsgrund des Rechts, dazu unten II. 1. 93 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 35.

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Zweiter Teil: Blütezeit

es somit zwangsläufig an der allmählichen Veränderung des gesamten Lebens teilnimmt, zeigt sich in ihm nicht zeitlose Vernunftwahrheit, sondern „stete organische E n t w i c k l u n g " 9 5 . Diese drei Überlegungen stehen bei Savigny in engem Zusammenhang. Sie sind verschiedene Aspekte derselben Überzeugung, daß das Recht aus dem „inneren Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte" 9 6 entstammt. Savignys Theorie von Ursprung, Charakter und Entwicklung des Rechts war unter den Common Lawyers des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wohlbekannt und hat viele von ihnen nachhaltig beeindruckt. Die Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Theorie in der Welt des Common Law verfolgt zwei Ziele: I m vorliegenden Kapitel interessiert die W i r k u n g der Savigny'sehen Rechtslehre zunächst an sich; darüberhinaus wird aber auch die Grundlage für die beiden folgenden Kapitel geschaffen, weil die historische Schule, auch wie sie dort betrachtet werden wird (zunächst als wissenschaftliche Methode und sodann als Rechtskultur), auf dieser Rechtslehre beruhte 9 7 . Wendet man sich zunächst der unmittelbaren W i r k u n g der Savigny'sehen Lehre zu, so soll es dabei nicht vorrangig um die Feststellung gehen, welche anglo-amerikanischen Vorstellungen konkret auf Savigny zurückzuführen sind. Eine klare Aussage darüber ist zwar oft, aber keineswegs immer m ö g l i c h 9 8 . Wichtiger ist, das breite Spektrum von Ideen aufzuzeigen, für die Savignys Vorstellungen eine Rolle spielten, und die Gründe für den Reiz seiner Gedanken zu ermitteln.

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Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 12; System des heutigen römischen Rechts I 45 ff. Diese Lehre vom wissenschaftlichen, bzw. Juristenrecht ist im vorliegenden Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung, da sie an der eigentlichen Charakterisierung des Rechts bei Savigny nichts ändert; selbst das Recht der römischen Juristen galt Savigny noch als Gewohnheitsrecht, Vom Beruf unserer Zeit 33. Das Juristendogma spielte aber eine wichtige Rolle bei der Wirkung der historischen Schule als Rechtskultur in England und Amerika, nämlich im Zusammenhang mit der Frage, welchen Akteuren in der Rechtskultur die Führungsrolle zukommt. Dieser Aspekt der Lehre Savignys wird deshalb unten C.II.3 genauer behandelt. 95 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 17. 96 Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 4. 97 Die Methode sowohl der geschichtlichen Rechtswissenschaft als auch der Classical Legal Science ist nur schlüssig, wenn man Savignys Auffassung von Herkunft und Wesen des Rechts zugrundelegt, dazu unten B.III. Als Rechtskultur wurde die historische Schule durch Savignys Ansatz geprägt, weil sowohl in Deutschland als auch in Amerika ihre wesentlichen Züge wie Primat der Wissenschaft und Skepsis gegenüber der Gesetzgebung direkt auf Savignys Vorstellungen von Ursprung und Wesen des Rechts beruhen, dazu unten C.II, und III. 98 Insbesondere darf nicht aus bloßer Ähnlichkeit zwischen den Ideen Savignys einerseits und anglo-amerikanischen Vorstellungen andererseits auf die Ursächlichkeit der ersteren für die letzteren geschlossen werden; vgl. dazu unten die Zusammenfassung; in diesem Sinne auch Thieme, Die deutsche historische Rechtschule Savignys und ihre ausländischen Jünger 260.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre

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Dazu muß man sich zunächst eine Vorstellung von den Gesamtzusammenhängen machen, in denen die Ideen Savignys wirkten. Das Denken der Common Lawyers in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von der Konkurrenz mehrerer Ansätze, die aus verschiedenen Epochen stammten, einander zum Teil ablösten aber auch überlagerten. Noch aus dem 18. Jahrhundert wirkte das naturrechtliche Denken herüber, das in Amerika vor allem auf Locke und die französische Aufklärung zurückging und in der Declaration of Independence von 1776 ihren deutlichsten Ausdruck fand. Demnach beruhte das Recht letztendlich auf natur- oder gottgegebenen „inalienable rights" und bestand es in seinen Grundzügen unabhängig von staatlichem Rechtshandeln. I n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war diese Richtung nur noch schwach vertreten. Sie wurde zwar in verfassungsrechtlichen Fragen um die Jahrhundertwende noch einmal wiederbelebt, doch war sie hier ein i m Grunde politischer Streitpunkt". Seit dem Aufkommen des Positivismus i m 19. Jahrhundert spielte sie hingegen in der rechtstheoretischen Diskussion nur noch eine untergeordnete Rolle. Wesentlich wichtiger war die Analytical Jurisprudence , die in Benthams Protest gegen das althergebrachte Common Law wurzelte, wie es sich in Blackstones Commentaries verkörperte. Sie wurde von Benthams Mitstreiter John Austin in seinen Lectures on Jurisprudence in England noch vor der Jahrhundertmitte entwickelt. Als Rechtslehre konzentrierte sich die Analytical Jurisprudence auf das positive Recht. Sie sah dessen Ursprung allein i m Befehl der Obrigkeit an die Untertanen (sei es als Gesetz, sei es als Richterspruch). Insofern stand sie i m Gegensatz zum Naturrecht 1 0 0 . Da sie zudem v o m Bentham'schen Reformgeist und v o m Glauben an den Primat des Gesetzgebers geprägt war, stand sie aber auch in Widerspruch zum Wesen des Common Law als traditionsgebundenem Fallrecht. Gleichwohl war sie i m letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in der englischen Rechtstheorie führend. V o n dort aus wirkte sie so stark auf die amerikanische Jurisprudence ein, daß sie dort um 1870 ebenfalls vorherrschte. Konkurrenz erwuchs ihr seit den 1860er Jahren mit dem Aufkommen des historischen und evolutionistischen Denkens, das in England vor allem auf die Biologie Charles Darwins und die Soziologie Herbert Spencers zurückging 1 0 1 . In der Jurisprudenz kam diese Richtung mit der Veröffentlichung von Henry Sumner Maines Ancient Law 1861 erstmals v o l l zum Durchbruch. Hier wurde Recht nun als Produkt eines jahrhunderte- oder gar jahrtausendelangen Wachstumsprozesses verstanden. Es entstammte also weder der natürlichen oder gottge99 Dazu unten C.III. 100 Als Methode hingegen betonte die Analytical Jurisprudence die begrifflich-systematische Bearbeitung des Rechts; dazu ausführlich unten B.II.2. und 3. Insofern war sie dem Naturrechtsdenken des 18. Jahrhunderts wiederum verwandt. ιοί Spencers Social Stades wurden 1851 veröffentlicht; 1859 folgte Darwins Origin of Species.

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Zweiter Teil: Blütezeit

gebenen Ordnung der Welt noch dem Befehl eines Souveräns, sondern — auf letztendlich unerklärliche Weise — der Geschichte der einzelnen Kulturen. Diese Überzeugung nahm in England rasch zu und relativierte die Analytical Jurisprudence gegen Ende des 19. Jahrhunderts zusehends. Noch stärker und nachhaltiger wirkte das geschichtlich-evolutionistische Rechtsverständnis in den U S A , w o es die Lehren Austins allmählich verdrängte, bis es schließlich um die Jahrhundertwende als vorherrschend bezeichnet werden muß. Es liegt nahe, daß Savignys Rechtslehre i m Rahmen der Auseinandersetzungen zwischen diesen einzelnen Richtungen aus vielen B l i c k w i n k e l n interessant war. Die meisten Common Lawyers, die sich damit beschäftigten, richteten ihr Augenmerk allerdings nur auf den einen oder anderen Teilaspekt, nicht auf den Gesamtzusammenhang, dessen Subtilität nur die wenigsten begriffen. M a n tut deshalb der anglo-amerikanischen Sichtweise kein Unrecht, wenn man die einzelnen Elemente getrennt behandelt, also zunächst die Wirkung des Volksgeistgedankens analysiert (unten I.), sodann die Reaktion auf die These v o m Gewohnheitscharakter des Rechts betrachtet (II.), und sich schließlich der Idee organischer Entwicklung zuwendet (III.).

I . Das Recht als Ausdruck des Volksgeistes Nicht die Vernunft erzeugt das Recht, sondern der „ V o l k s g e i s t " 1 0 2 , d. h. „das gemeinsame Bewußtseyn des V o l k e s " 1 0 3 . Deshalb kann Recht weder w i l l k ü r l i c h von oben her angeordnet werden, noch zu allen Zeiten und überall gültig sein. Da der „Volksglaube" sein eigentlicher „Entstehungsgrund" 1 0 4 ist, ist es der jeweiligen „ N a t i o n " 1 0 5 eigen und verändert es sich, wie die Sprache, mit dem Wesen und Charakter des Volkes i m Laufe der Z e i t 1 0 6 . Diese auf Herder zurückgehende und gegen den „bodenlosen H o c h m u t h " 1 0 7 des Vernunftrechtsdenkens gerichtete Lehre Savignys hat viele anglo-amerikanische Rechtsdenker fasziniert. Savigny sprach mit ihr nicht nur in Deutschland, ίο2 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 14. 103 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 8. 104 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 35; Savigny betont hier, der Volksglaube, nicht die Gewohnheit, erzeuge das Recht. Die Gewohnheit ist bloß das äußere „Kennzeichen" des Rechts, nicht aber sein „Entstehungsgrund", id.; im Beruf unserer Zeit 13 f. ist dies noch nicht so klar formuliert. 105 Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 4; Savigny verwendet den Begriff der „Nation" praktisch gleichbedeutend mit „Volk". In beiden Fällen ist damit das Volk als „Kulturnation", d. h. als überzeitlicher Kulturzusammenhang gemeint; vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts 20; dazu auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 385. 106 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 8; vgl. auch Savigny, System des heutigen römischen Rechts 15. 107 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 6.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre

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sondern offenbar auch i n der Welt des Common Law tiefempfundene Vorstellungen und Bedürfnisse a n 1 0 8 . Das zeigt sich vor allem in zwei Zusammenhängen. Z u m einen spielte die Volksgeistlehre eine maßgebliche Rolle in der Diskussion um Herkunft und Wesen des Rechts allgemein, die insbesondere in Amerika mit großem Engagement geführt wurde; hier tauchte sie in vielen Varianten auf, die ihre Wandelbarkeit bezeugen (dazu sogleich 1.). Z u m anderen lag sie einer konkreten Auseinandersetzung zugrunde, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Gemüter anglo-amerikanischer Rechtshistoriker bewegte: Dem Streit um Herkunft und Wesen des Common Law selbst (unten 2.).

1. Variationen

des Volksgeist-Themas

Was mit dem Rätselwort des „Volksgeistes" als Ursprung des Rechts eigentlich gemeint sei, hat Savigny nie genau definiert; es ist nur aus Zusammenhängen zu erschließen und zwischen den Zeilen zu lesen. So wurde die Volksgeistlehre auch von anglo-amerikanischen Juristen in verschiedener Weise aufgefaßt und wiedergegeben, was schon die unterschiedlichen Übersetzungen des Begriffs bezeugen. a) Schon vor der Jahrhundertmitte propagierte der Göttinger Doctor Iuris John R e d d i e 1 0 9 in England und Schottland i n fast wörtlicher Wiedergabe Savignys, daß alles Recht dem „genius of the nation" entspringe: „Those views and customs which, in process of time, are converted into formal laws, have grown from some natural, because nationally operating feeling; and they have unfolded themselves along w i t h the ideas of the people, a part of whose character they form. For laws are . . . characteristically peculiar to the people . . . as their religion or language." 1 1 0 Zur gleichen Zeit bezog in London George Long, der sich auf Savignys System des römischen Rechts berief, die Verschiedenheit des Rechts der Nationen auf „the character o f their p e o p l e " 1 1 1 . In den U S A schrieb Gustavus Schmidt schon 1841, das Recht eines Landes liege begründet in „the manners, customs, wants and interests of a n a t i o n " 1 1 2 . Dreizehn Jahre später betrachtete der deutschstämmige und nachhaltig von Savigny beeinflußte Rechtsprofessor Christian Roselius in Louisiana das Recht als

los In unmittelbarem Zusammenhang damit steht die Idee der notwendigen inneren Einheit des Rechts eines jeden Volkes, dazu unten B.III.3. 109 Zu Reddie vgl. oben Übermittlung Anm. 48 f. und Text, no Reddie, Letter to the Lord High Chancellor of Great Britain 5 f. m Long, Two Discourses Delivered in Middle Temple Hall, Preface und 24. 112 Schmidt, History of the Jurisprudence of Louisiana 3; obwohl Schmidt im allgemeinen kein Anhänger der historischen Schule war, hatte er seine Vorstellungen hier wohl deutschem Rechtsdenken entnommen, auf das er sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich bezog als einzige Quelle „for a complete and satisfactory account of the rise and progress of the laws and judicial institutions", a. a. O. 2.

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Zweiter Teil: Blütezeit

„expression of the whole public m i n d or conscience" und als „silently adopted by the people themselves." 1 1 3 Für Roselius hatte der Volksgeistgedanke vor allem staatsrechtliche Bedeutung i m Rahmen der Auseinandersetzung um die seinerzeit schon anklingenden Sezessionsbestrebungen der Südstaaten. 114 Große Bedeutung erlangte die Volksgeistlehre i m anglo-amerikanischen Rechtsdenken aber erst in der Classical Era , d. h. nach 1860. Sie entfaltete sich vor allem in den U S A , in geringerem Umfang aber auch in England. In seinem 1864 erschienen Buch An Introduction to Municipal Law erklärte der von Savigny beinflußte John Norton Pomeroy, die konkrete Ausformung der Gerechtigkeitsmaximen werde bestimmt „ b y the influence of the past, by the national history and institutions, by the manners, customs, and religions, in short, by the ethnic life of the p e o p l e " 1 1 5 . Savignys „Volksgeist" taucht auch als „peculiar national characteristics" 1 1 6 und als „the people's attainment in general cultur e 1 1 7 " wieder auf. Pomeroys Werk wandte sich nicht nur an Juristen, sondern an ein allgemeineres Publikum, wurde viel gelesen und trug dadurch zur Verbreitung des Volksgeistgedankens wesentlich b e i 1 1 8 . Als „ n a t i o n a l " 1 1 9 oder „social standard of j u s t i c e " 1 2 0 und gar als „public opinion" 1 2 1 tritt uns der Volksgeist zwanzig Jahre später bei James Coolidge Carter, dem „apostle o f the nineteenth century historical jurisprudence" 1 2 2 , gegenüber. So fragwürdig es ist, ob diese Begriffe Savignys Vorstellungen treffen, so klar ist es, daß Carter seine Ideen von Savigny bezogen hatte. Er war ihnen als Student Luther Cushings begegnet, der in seinen Vorlesungen in Harvard die deutsche historische Schule behandelt hatte 1 2 3 , und sah nun in Savigny „the most accomplished philosophical jurist of his t i m e " 1 2 4 . Carter zitierte Hay wards Übersetzung 113 Zitiert nach Franklin, The Introductory Lecture of Christian Roselius on Nov. 13, 1854 576 f. ι ι 4 Dazu ausführlich Franklin, The Influence of Savigny and Gans on the Development of the Legal and Constitutional Theory of Christian Roselius. Zur Bedeutung der Lehren Savignys in der Auseinandersetzung um die Sklaverei vgl. unten C.III. 1. us Pomeroy, An Introduction to Municipal Law 9 (§ 14). 116 Id. i n Id. us Die deutsche Herkunft dieser Ideen Pomeroys ist durch seinen ausdrücklichen Hinweis auf die Werke Savignys, Hugos und Niebuhrs im Vorwort (Preface) belegt, Pomeroy, An Introduction to Municipal Law IX. Pomeroys private Bibliothek enthielt eine Vielzahl deutscher Werke, meist in Übersetzung; vgl. Hoeflich, Roman and Civil Law and the Development of Anglo-American Jurisprudence in the Nineteenth Century 150. Zu Pomeroys Ideen bezüglich der Entwicklung des Rechts vgl. unten 3. 119 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 40. ι 2 0 Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 48. 121 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 41. 122 Pound, David Dudley Field: An Appraisal 7; zu Carters Einfluß auf die amerikanische Rechtskultur vgl. Pound, Interpretations of Legal History 34. 123 Vgl. Miller, James Coolidge Carter 5. 124 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 5.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre

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des Berufs 125 und führte ganz in Savignys Sinn weiter aus: „This national standard . . . is the final result of the moral and intellectual life and culture of a n a t i o n " 1 2 6 , „the combined operation of the thought, the morality, the intellectual and moral culture o f the t i m e . " 1 2 7 M i t Savigny zog Carter aus dieser Ansicht die Konsequenz, hier gehe es um „something which cannot be embodied i n written r u l e s " 1 2 8 , sodaß die Kodifikation des Rechts schon von daher sinnlos und schädlich s e i 1 2 9 . Pomeroy und Carter waren mit ihren Ansichten in Amerika alles andere als allein. Edward Lindsay übernahm Gedanken Savignys von Carter und wandte den Volksgeistgedanken ins Psychologische, als er vom Recht sprach „as the product of a group consciousness or psychic activity of which the individual mind is not conscious" 13 °. Morgan Hart war nach seinem Studium in Deutschland überzeugt, die Gesetze einer Nation seien „the permanent expression of the nation's h a b i t s " 1 3 1 . Savigny's Bewunderer Joseph Beale sah i m Recht „the creature of the f o l k " 1 3 2 . Hannis Taylor, der sich mit Savigny auseinandersetzte, sprach von den sich i m Recht verkörpernden „dominant foces of the c o m m u n i t y " 1 3 3 , und auch W i l l i a m Gardiner Hammond, der ebenfalls Savigny zitierte, ließ den Volksgeistgedanken anklingen 1 3 4 . Ähnliches gilt für W i l l i a m W . H o w e 1 3 5 und möglicherweise für Henry T. T e r r y 1 3 6 . U n d Christopher Tiedemann, der bei Jhering studiert und dessen Konzept des „Rechtsgefühls" übernommen hatte 1 3 7 , betrachtete Recht als Ausdruck des „ethical and spiritual development of the people"138. 125

Carter , On the Proposed Codification of Our Common Law 41, Anm. 1. 126 Id. 127 Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 48. ' 2 8 Id. w Dazu unten C.II.l. 130 Lindsay, The Development of a Scientific View of Law 531; zu Carters Einfluß id. 532. 131 Hart, German Universities 395. 132 Beale, The Place of Professional Education in the Universities 45; es war deshalb für Beale „full of the life of the common people", id.; allerdings gestand Beale auch der Kirche und dem Herrscher wesentlichen Einfluß zu. 1 33 Taylor, The Science of Jurisprudence 242 f. 134 In dem maßgeblich von ihm verfaßten und von der American Bar Association initiierten Report of the Committee on Legal Education (1892) 351 f. 13 5 „We may agree with such jurists as Savigny that the law of a people is developed much in the same manner as its language", Howe, Studies in the Civil Law 35. 13 6 Terry ist ein Zweifelsfall. Er akzeptierte grundsätzlich Austins Rechtsbegriff, schränkte diesen aber sogleich wieder ein: „But although law is the mere expression of the sovereign's will, it is not usually the expression of his whims, fancies, momentary caprices, but rather of the notions of right and expediency which prevail in the community at large and which the sovereign shares", Terry, Some Leading Principles of AngloAmerican Law 6. Hierin klang Savigny's Volksgeistidee an; in der Tat zitierte Terry zwei Seiten später die französische Ubersetzgung von Savignys System. 1 37 Übersetzt als „prevalent sense of right", Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 7. 138 id. 10.

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A u c h bei den englischen Juristen des späten 19. Jahrhunderts klang die Volksgeistlehre an. Frederick Pollock, der aus Savignys Einfluß auf ihn kein Hehl machte 1 3 9 , meinte, Recht sei „the sense of justice taking form in peoples and races" 14 °. Sheldon Amos, der das deutsche Rechtsdenken als V o r b i l d darstellte 1 4 1 , schrieb 1872, auch in England habe sich das Recht entwickelt „directly out of the whole Life, Spirit, Temper, Social Institutions, Language, Religion, and Manners of the whole P e o p l e " 1 4 2 ; es drücke deshalb die „sentiments of the whole community" aus und beruhe auf dem „populär w i l l " , 4 3 . A u c h Frederic W i l l i a m Maitland wurde durch die Beschäftigung mit Savigny davon überzeugt, daß das Recht ein Produkt der Gesamtkultur sowie der sozialen Bedürfnisse und der kollektiven Veranlagung s e i . 1 4 4 Selbst Thomas Erskine Holland, der als Analytical Jurist an sich ganz in der Tradition Austins und damit der Auffassung stand, das Recht sei i m wesentlichen ein Befehl des Souveräns 1 4 5 , ließ sich zum Teil von Savigny überzeugen: „The element of truth in the view of the so-called historical school' of Germany is that the adoption of customary rules of conduct is unconscious. It takes place in accordance w i t h no deliberate plan, but comes into being piece-meal, as it is called for by the natural wants of m a n k i n d " 1 4 6 . W i e in Deutschland, so gab es allerdings auch unter den anglo-amerikanischen Juristen Kritiker der Volksgeistlehre. V o r allem John Chipman Gray gab sich sehr skeptisch; er hielt den Volksgeist für eine Fiktion ohne empirische Grundlage und ohne großen Erkenntniswert 1 4 7 . Ä h n l i c h äußerte sich Jabez Fox in seiner K r i t i k Carters 1 4 8 . I n derartigen Reaktionen drückte sich der praktische Sinn des Common Law-Denkens aus, der allen idealistischen Vorstellungen v o m „Geist" 13

9 Pollock, A First Book of Jurisprudence, Preface VII. Pollock, The Vocation of the Common Lawyer 14. 141 Vgl. etwa Amos, The Science of Jurisprudence 505. 142 Id. 472. 1 43 Amos, The Science of Law 387 f. Amos war allerdings nicht nur von Savigny, sondern auch von Maine beeinflußt. 144 Vgl. Pollock & Maitland, The History of English Law Before the Time of Edward I I I I Introduction X X I I I ff.; dazu auch Fisher, F. W. Maitland 18 f. 145 Dazu oben Text bei Anm. 100. 146 Holland, Elements of Jurisprudence 49. Vgl. auch Lightwood, The Nature of Positive Law, der versuchte, Savignys Rechtsentstehungslehre mit den Vorstellungen der Analytical Jurisprudence sowie Jherings zu vereinen. 1 47 „There is no such thing in rerum natura as a Volksgeist having real consciousness and convictions. The fact is that certain individuals, exercising their separate wills, repeatedly do certain acts, and judges may consider with favor these modes of action and apply them as rules; but the matter is not made easier by saying that such repeated acts are the means of knowing the necessary convictions of a non-existing entity." Gray, The Nature and Sources of Law 283. In dieser Kritik erweist sich Gray bereits als Vorläufer des Legal Realism, indem er auf wirkliche Handlungen und Entscheidungen statt auf abstakte Ideen abstellt. 1 48 „Social standard of justice", meinte Fox, sei zwar „very proper talk for the evolutionist and the philosopher" aber in der Praxis nicht viel wert. In Wirklichkeit tue der Gesetzgeber einfach, was er wolle; Fox, Law and Logic 42 f. 140

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der Dinge ablehnend gegenüberstand. So deutete sich schon hier eine Skepsis an, die später mit dem Aufkommen des Pragmatismus dominant werden sollte. b) Vorerst aber erfreute sich die Idee v o m Volksgeist als Grundlage des Rechts in der einen oder anderen Variante i m anglo-amerikanischen Rechtsdenken großer Beliebtheit. Das erscheint zunächst seltsam. Warum begeisterten sich angloamerikanische Juristen für die ein halbes Jahrhundert alte Idee eines Rechtsdenkers aus dem fernen Ausland? Die Antwort liegt in der langen Tradition, der seinerzeitigen Aktualität und der tiefen Wahrheit der Idee. Savignys Volksgeistlehre war bei weitem nicht so neu oder einzigartig, wie es auf den ersten B l i c k scheinen mag; vielmehr war sie Teil einer Tradition, die weit ins 18. Jahrhundert zurückreichte. Ihre Ursprünge liegen vor allem in Frankreich, wo Montesqieu 1748 in seinem Hauptwerk De Γ ésprit des lois die Besonderheiten und Verschiedenheiten der Gesetze unter anderem auf den unterschiedlichen „esprit générale" eines Volkes zurückführte 1 4 9 . Die Tradition hat aber auch Wurzeln auf der britischen Insel, wo Thomas W o o d schon 1704 v o m „genius of our people" gesprochen hatte, dem das Recht entsprechen müsse 1 5 0 . Unter Montesqieus Einfluß handelte später Edward Gibbon v o m „national spirit" der Zwölf-Tafel-Gesetze 1 5 1 und beschäftigten sich schottische Denker wie L o r d Kames, Adam Smith und John M i l i a r mit der Frage nach Herkunft und Wesen des Rechts 1 5 2 . A u c h Blackstone sprach v o m „genius of the common l a w " 1 5 3 . V o n diesen Ursprüngen führen die Spuren dann einerseits nach Deutschland zu Savignys Volksgeistlehre 1 5 4 , andererseits aber auch direkt ins anglo-amerikanische Rechtsdenken 1 5 5 . V o r diesem Hintergrund war Savignys Volksgeistgedanke also keineswegs eine revolutionäre, fremdländische Idee, vielmehr klang sie — bewußt oder unbewußt — auch den anglo-amerikanischen Juristen vertraut. Da sie nur Teil einer Tradition war, läßt sich bei vielen Äußerungen auch gar nicht genau sagen, woher die Idee i m einzelnen stammte. Wenn etwa Thomas Cooley, der führende amerikanische Verfassungsrechtler der Zeit, das Common Law 149 Montesqieu sah den Gemeingeist als durch eine Vielzahl von Bedingungen bestimmt an: Klima, Religion, Grundlagen des Staatswesens, Geschichte, Sitten, und Lebensstil. Ganz ähnlich wie Savigny forderte auch Montesqieu, der Gesetzgeber müsse dem Gemeingeist der Nation entsprechen, andernfalls müßten die Gesetze im wesentlichen wirkungslos bleiben; Montesqieu, De l'ésprit des lois I 11 (Livre Premier, Chap. III); I 329 (Livre Dix-Neuvième, Chap. IV). 150 Wood, A New Institute of the Imperial or Civil Law VI. 151 Gibbon, The Decline and Fall of the Roman Empire I I I 249. 152 Dazu Stein, Legal Evolution IX f., 23. 153 Blackstone, Commentaries on the Laws of England IV 287. 154 Die Verbindung führt von Montesqieu über Herder zu Savigny; vgl. Weigand, Montesqieu und die höhere Gesetzlichkeit 67; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 354 ff. Verbindungen zwischen englischen Gedanken und der deutschen historischen Schule bestehen vor allem über Gibbon und Hugo, dazu unten Anm. 263. 155 Vor allem Montesqieu war, hauptsächlich durch seine Gewaltenteilungslehre, in England und den USA jedem gebildeten Rechtsdenker vertraut.

Zweiter Teil: Blütezeit

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betrachtete als „outgrowth of the habits of thought and action of the people themselves" 1 5 6 , oder wenn Emory Washburn v o m „sentiment which prevails in a community, giving aid and progress to the culture and refinement o f a p e o p l e " 1 5 7 sprach, so erwiesen sie sich damit noch nicht unbedingt als Jünger Savignys; vielmehr griffen sie auf einen Gedanken zurück, der längst Allgemeinbesitz geworden war, zu dem Savigny allerdings wesentlich beigetragen hatte 1 5 8 . Die Volksgeistlehre klang nicht nur vertraut, sie war aus anglo-amerikanischer Sicht gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch von größter Aktualität. Sie spielte nämlich eine sehr ähnliche Rolle wie in Deutschland zwei Generationen zuvor: Seinerzeit hatte sie dort gegen das Vernunftrechtsdenken revoltiert, nun stellte sie sich hier der seit der Jahrhundertmitte dominierenden, auf Austin zurückgehenden Analytical Jurisprudence entgegen. Diese erneute Aktualität ist nicht erstaunlich, denn trotz vieler Unterschiede hatten das deutsche Vernunftrechtsdenken des 18. Jahrhundert und die englische Analytical Jurisprudence des 19. Jahrhunderts wesentliche Züge gemein: Die Auffassung v o m positiven Recht als Regelungswerk des Souveräns; die dadurch bedingte Ansicht, sein Inhalt hänge vor allem v o m W i l l e n des Gesetzgebers ab; und der Glaube an das Ideal der Vernunft i n Form allgemeingültiger Prinzipien und (meist deduktiver) L o g i k 1 5 9 . Da sich Savignys Volksgeistlehre gegen eben diese Vorstellungen gewandt hatte, leuchtete sie jetzt auch den Gegnern der Analytical Jurisprudence unmittelbar ein. Natürlich spielte nun das romantische Element eine geringere und das Bestreben um ein soziologisches Verständnis der Jurisprudenz eine größere Rolle. I m wesentlichen aber machten sich die Common Lawyers der aufkommenden Historical School den Volksgeistgedanken genauso als Argument gegen eine unhistorische Jurisprudenz zu eigen wie es Savigny und seine Anhänger einst getan hatten. Die lange Tradition und erneute Aktualität der Idee kamen allerdings nicht von ungefähr, sondern hatten einen guten Grund. I m Kern drückte der Volksgeistgedanke nämlich jenseits aller romantischen Schwärmerei eine tiefe Wahrheit aus, der sich keine Juristengeneration ganz entziehen konnte, und die uns heute nur deshalb weniger vor Augen steht, weil sie uns selbstverständlich geworden ist. Es ist die Rede von der unmittelbaren Abhängigkeit des Rechts von der Gesamtkultur einer Gesellschaft. In diesem, soziologischen Sinne verstanden den Volksgeistgedanken die Vertreter der modernen, geschichtlichen Rechtswissenschaft, wie etwa M a i t l a n d . 1 6 0 I m Grunde hatte Montesqieu diesen Gedanken 156

Cooley, A Treatise on the Constitutional Limitations 21. Washburn, Law as an Element of Social Science 14. 158 Ähnliches gilt wohl schon für die Äußerung David Hoffmanns, Rechtsgeschichte sei die „history of the manners and opinions of a people"; Hoffmann, A Course of Legal Study 33. •59 Zu diesen Parallelen und zur Analytical Jurisprudence überhaupt näher unten B.II.2. und 3. 160 Pollock & Maitland, The History of English Law Before the Time of Edward I I I I, Introduction X X I I I ff. 157

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längst dargelegt und Gibbon ihn längst anschaulich gemacht 1 6 1 . Savigny aber formulierte ihn mit der i h m eigenen Kraft und Klarheit und wurde dadurch zu seinem i m ausgehenden 19. Jahrhundert meistbeachteten Verkünder. Die Idee war vieler Variationen fähig. Sie ließ sich historisch oder ethnologisch, soziologisch oder psychologisch verstehen. Doch waren alle Interpretationen letztendlich nur Spielarten von Savignys tiefster Überzeugung: „Das Recht hat . . . kein Daseyn für sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite gesehen" 1 6 2 . Diese Wahrheit schien gerade der angloamerikanischen Jurisprudenz unleugbar, in der sich mehr und mehr die von Holmes so schlagend forumlierte Auffassung durchsetzte „The life of the law has not been logic: it has been experience" 1 6 3 . Hier lagen die Anfänge einer soziologischen Rechtsauffassung. A u c h wenn Savignys Volksgeistgedanke keineswegs so gemeint war, so ließ sich die Vorstellung v o m unmittelbaren Zusammenhang von Recht und Gesamtkultur doch in einem soziologischen Sinne verstehen, wenn man so wollte. Savignys Volksgeistgedanke wurde i m anglo-amerikanischen Rechtsdenken also aufgenommen, weil er sich in eine lange Tradition einfügte, Bedürfnissen der Zeit entsprach und gerade i m ausgehenden 19. Jahrhundert als zutiefst wahr empfunden wurde. Indem er die Abhängigkeit des Rechts von Herkunft und Wesen einer Nation verkündete, regte er aber auch zum Nachdenken darüber an, woher dieses Recht kam und welchen Charakter es daher hat. 2. Von Ursprung

und Geist des Common

Law

Ging man als Anhänger historischen Rechtsdenkens mit Savigny davon aus, daß das Recht i m allgemeinen nicht aus Befehl und Vernunft, sondern aus Geschichte und Charakter eines Volkes erwachse, dann stellte sich sogleich die Frage nach Herkunft und Wesen des eigenen Rechts i m besonderen. So hatten sich in Deutschland Romanisten und Germanisten über den wahren Charakter des deutschen Rechts gestritten. U n d so diskutierten die anglo-amerikanischen Juristen der Classical Era nun in ganz ähnlicher Weise Ursprung und Geist des Common Law. Damit gewann das abstrakte Konzept des Volksgeistes auch für sie konkrete Bedeutung. In der Hauptsache ging es auch in der anglo-amerikanischen Debatte um die Frage, ob das eigene Recht auf die römische Jurisprudenz zurückging und deshalb mit dem modernen C i v i l L a w wesensverwandt, oder ob seine Herkunft angelsäch-

161 Vor allem im berühmten X L I V . Kapitel seines The Decline and Fall of the Roman Empire, das sich mit der Entwicklung des römischen Rechts beschäftigte; dazu Hoeflich, Edward Gibbon, Roman Lawyer, insbesondere 804 ff. 162 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 30. ι 6 3 Holmes, The Common Law 5. Zur Verwandschaft zwischen Holmes' berühmtem Satz und Savignys Überzeugungen Pound, Jurisprudence I, Preface Χ.

Zweiter Teil: Blütezeit sisch und sein Wesen demnach germanisch sei. Diese beiden Ansichten standen sich allerdings nicht genau gleichzeitig gegenüber, wie in Deutschland; vielmehr löste eine die andere i m Laufe der Zeit allmählich a b . 1 6 4 a) Bis zum Erwachen des amerikanischen Interesses an Rechtstheorie und Rechtsgeschichte um die Zeit des Bürgerkrieges beschäftigte man sich vor allem in England mit dem Problem der Herkunft und des Wesens des Common Law. Hier setzte sich zunächst u m die Jahrhundertmitte die Ansicht durch, das Common L a w beruhe entscheidend auf dem römischen Recht. Z u dieser Auffassung hatte nicht zuletzt Savigny mit seiner Geschichte des römischen Rechts beigetragen, in der er entgegen der bis dahin herrschenden Meinung dessen Kontinuität i m Mittelalter nachwies. So betonte Elias Cathcart i m Vorwort seiner englischen Übersetzung des ersten Bandes, das in der Antike in England eingeführte römische Recht habe auch dort überlebt 1 6 5 . M i t großem Eifer entdeckten die englischen Juristen hinter vielen Regeln des Common L a w römische Vorbilder, ganz gleich ob es sich um Trust oder Besitz, Vertrag oder Fahrlässigkeit handelte 1 6 6 . Das englische Recht schien nur eine Spielart des C i v i l Law zu sein, v o m kontinentalen zwar in vielen Details, nicht aber in seinem Geist verschieden. Mitunter stimmte man dem auch i n den U S A z u 1 6 7 . b) Eine Wende zeichnete sich in England m i t der Veröffentlichung von Henry Sumner Maines Village Communities in the East and West 1871 ab. Zehn Jahre zuvor hatte sich Maine i n seinem ersten Hauptwerk, Ancient Law, hauptsächlich mit römischem Recht beschäftigt, dabei aber den Umfang seines Einflusses auf das Common Law offengelassen 1 6 8 ; nun führte er in Village Communities Institutionen des englischen Rechts auf angelsächsische und teutonische Ursprünge zurück. Zwischen 1870 und 1880 erschienen dann eine Reihe grundlegender Untersuchungen sowohl aus englischer wie amerikanischer Feder, denen zufolge die Wurzeln des Common Law nicht i m antiken Rom, sondern in der germanischen Welt Mitteleuropas zu suchen und zu finden w a r e n 1 6 9 . !64 Hierzu grundlegend und ausführlich Graziadei, Changing Images of the Law in X I X Century English Legal Thought. •65 Cathcart, Preface to Savigny, The History of the Roman Law During the Middle Ages (Cathcart transi.) I, X L V I I I ff.; Savigny äußerte sich gegenüber dieser Schlußfolgerung kritisch; vgl. Savigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter I I 167 Anm. a. 166 Ausführlich Graziadei, Changing Images of the Law in X I X Century England 122 ff. 167 Vgl. Wharton, A Treatise on the Law of Negligence; Smith, Elements of Right and of the Law 274 ff. 168 Maine erkannte den Einfluß des römischen Rechts auf das Common Law zwar an, meinte aber „too much importance should not be attached to it. It has ever been the case in England that every intellectual importation we have received has been instantly coloured by the peculiarities of our national habits and spirit," Maine, Roman Law and Legal Education 331 f. 169 Vgl. Scrutton, Roman Law and the Law of England, vor allem 194; Stubbs, Select Charters and other Illustrations of English Constitutional History; ders., A Constitutional

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c) Diese Vorstellung vom Common Law als wesentlich germanischem Erbe setzte sich i m letzten Viertel des 19. Jahrhunderts allmählich durch und beherrschte das anglo-amerikanische Rechtsdenken für die nächsten Jahrzehnte 1 7 0 , obgleich sich auch weiterhin Anhänger der romanistischen Gegenthese zu Wort meldeten 1 7 1 . Allerdings gab es innerhalb der herrschenden Ansicht ein ganzes Spektrum von Bewertungen des germanischen Elements i m Common L a w , von vorsichtiger Zurückhaltung über feste Überzeugung bis hin zu fast fanatischem Bekennertum. Vorsichtig reagierte etwa M e l v i l l e Bigelow, der zwar die angelsächsischen Wurzeln des englischen Rechts betonte, der aber warnte: „Instead of characterizing the present law, as German does the language of England, German law is only one of very many elements in it, and not a conspicuous one. It does not lie on the surface: it must be diligently sought out, i f its presence would be discovered. Indeed, nearly all that was typical o f ancient German law has entirely disappeared." 1 7 2 Überzeugter v o m überragenden Einfluß der germanischen Rechtsvorstellungen waren Holmes und Ames. Oliver Wendeil Holmes verkündete 1896: „The main roots of our law are Frankish, not Roman, and many ideas which formerly were supposed, and in the common law books still are supposed, to have come from Rome are now traced to the lex Salica and the folk-law which left its mark in the Germania of T a c i t u s " 1 7 3 . A u f den Widerspruch des Lord Chief Justice von E n g l a n d 1 7 4 , beharrte Holmes auf seiner Ansicht und leugnete sogar „that any of the most important conceptions o f private law are of native origin in E n g l a n d " , 7 5 . James Barr Ames, der in Deutschland studiert hatte, meinte gleichfalls, das Common L a w sei „essentially of Teutonic o r i g i n " 1 7 6 . W i e Holmes bemühte sich auch Ames in vielen rechtshistorischen Arbeiten um die Offenlegung der germanischen Wurzeln des Common Law. Ihre stärkste Ausprägung erfuhr die germanistische Interpretation des Common Law bei Henry Baxter Adams und seinen Schülern 1 7 7 . Adams hatte in Deutschland History of England; Digby, Introduction to the History of the Law of Real Property; Bigelow, Placita Anglo-Normannica; ders., History of Procedure in England. 170 Vgl. Graziadei, Changing Images of the Law in X I X English Legal Thought 170 ff. 171 Noch 1908 vertrat William T. Hughes die Ansicht, das amerikanische Rechtssystem beruhe auf dem römischen Recht, Hughes, Grounds and Rudiments of Law, erntete dafür aber heftige Kritik, vgl. die Besprechung in Green Bag 22, 301 ff (1910). 1 72 Bigelow, Placita Anglo-Normannica IX f. 1 73 Holmes, The Bar as a Profession 156. 1 74 Lord Chief Justice of England, A Rejoinder 160. 17 5 Holmes, Postscript 163; vgl. auch Holmes, Law in Science and Science in Law 214 f.; Holmes, The Path of the Law 186. 1 76 Ames, Lectures on Legal History 34. 1 77 Zum folgenden ausführlicher Samuels, The Young Henry Adams 247 - 258; Herbst, The German Historical School in American Scholarship 115-118; Howe, Justice Oliver Wendell Holmes I I 145-146. 5 Reimann

Zweiter Teil: Blütezeit u. a. bei Winkelmann, Erdmannsdörffer und Bluntschli studiert und war als Professor der Geschichte i n Harvard der wohl einflußreichste Historiker seiner Zeit. Entsprechend den in der deutschen Germanistik verbreiteten Ansichten glaubte Adams fest, die Germanen „as such, before they were feudalized or Romanized, had an actual system of personal and proprietary law o f their own, a system as elaborate, as fixed and as firmly administered by competent and regular courts, as ever was needed to guarantee security of person and property in a simply constructed, agricultural community." Hier wurzelte nach Adams das Common L a w : „From these laws and this society, not from Roman laws or W i l l i a m the Conqueror's brain, England, w i t h her common law and constitutional system developed." 1 7 8 Adams vermittelte diese Anschauung seinen Schülern, darunter Henry Cabot Lodge, Ernest Young und J. Laurence Laughlin, mit denen er 1876 die Essays in Anglo-Saxon Law herausgab. Wollte man ihren Schriften glauben, so stand die Wiege des anglo-amerikanischen Rechts also auf den „ w i d e plains of northern G e r m a n y " 1 7 9 . Der Geist des Common L a w war deshalb durch und durch germanisch. Gemeinsam war all diesen Männern, daß sie sich maßgeblich auf die deutsche germanistische Literatur ihrer Zeit stützten. So wie ein halbes Jahrhundert zuvor englische Juristen von Savignys Geschichte des römischen Rechts in ihrem Glauben an die romanistischen Ursprünge des Common Law bestärkt worden waren, so legten nun die Rechtshistoriker der Classical Era ihren Forschungen die Schriften Brunners, Heuslers, Schroeders und Sohms zugrunde. Dabei war ihnen zum einen am Inhalt dieser Werke gelegen, mittels dessen sie die Verbindungen zwischen heutigem Common Law und einstigem germanischen Recht nachzuweisen suchten. Z u m anderen übte aber auch die Methode der wissenschaftlichen Rechtsgeschichte, die Arbeit mit Quellen und die Exaktheit der Analyse eine starke Faszination auf sie aus 1 8 0 . d) W o r i n hatte die anglo-amerikanische Begeisterung für eine germanistische Sichtweise des Common L a w ihren Grund? A u c h hier ist eine pauschale Antwort nicht möglich. Es gab mehrere Motive, die bei den einzelnen Rechtsdenkern unterschiedlich stark vertreten bzw. verschieden gemischt waren. Zunächst ließen sich starke germanische Elemente i m Common Law nicht leugnen. Genauere Forschungen hatten zu dem Schluß geführt, daß viele Regeln und Institute des modernen anglo-amerikanischen Rechts ihre Wurzeln in der Tat i m Mittelalter und auf dem Kontinent hatten 1 8 1 . Männer wie Holmes oder

178

Adams, Buchbesprechung 198. Adams et al., Essays in Anglo-Saxon Law 1. 180 Dazu ausführlicher unten B.I.2. 181 Vgl. Holmes, The Common Law 130 ff (Lectures 5-7); Ames, The Salic and Anglo-Saxon Courts; Bigelow, History of Procedure in England from the Norman Conquest. 179

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Ames neigten daraufhin zu der Ansicht, daß es sich dabei nicht um verstreute Einzelfälle, sondern um Verdeutlichungen einer allgemeinen Regel handelte. Dasselbe ließ sich allerdings auch von römischen Elementen sagen, die sich ebenso stringent nachweisen und deshalb ebensowenig leugnen ließen. I n der Auffassung vom germanistischen Geist des Common Law steckte aber auch ein Bestreben, das anglo-amerikanische Recht von weiterem römischem Einfluß zu bewahren, wie er vor allem von der Analytical Jurisprudence und der deutschen Pandektistik drohte. Insbesondere bei Holmes w i r d dieses M o t i v sehr deutlich. Die These vom germanischen Charakter der Common Law war also nicht nur eine Erklärung der Vergangenheit, sondern auch ein Programm für die Zukunft, demzufolge das Common Law aus sich und seiner eigenen Geschichte heraus weiterentwickelt werden sollte, statt romanistische, d. h. fremde Kategorien und Begriffe zu übernehmen 1 8 2 . A u c h in dieser Ausrichtung auf die zukünftige Behandlung des Rechts war die amerikanische Debatte um die Herkunft der eigenen Tradition der deutschen ähnlich. Schließlich hatte die Idee v o m germanischen Geist des Common Law auch eine starke ideologische Komponente, die besonders bei Adams und seinem Schülern deutlich wird. Es spiegelte sich darin eine allgemeine Begeisterung für Deutschland, seine Kultur und Geschichte wieder, die in Amerika und England um diese Zeit weitverbreitet w a r 1 8 3 und insbesondere diejenigen erfüllte, die einst in Deutschland studiert hatten. Diese Begeisterung war ein Konglomerat aus mehreren, oft schwer vereinbaren Elementen. I n der germanischen Vergangenheit sahen Adams und seine Mitstreiter ganz i m Sinne der Romantik einen von politischer Freiheit und Gleichheit geprägten Idealzustand, in dem man allzugerne die Wurzel des eigenen Verfassungssystems f a n d 1 8 4 . I m Deutschland der Gegenwart erblickte man die europäische Großmacht, die durch den Triumph über Frankreich bei Sedan ihre politische und militärische Überlegenheit bewiesen hatte. Aufstrebend in der Wirtschaft, führend i m Geistesleben und in der Wissenschaft und nach eben erlangter Einheit selbstbewußt in der Politik übte Deutschland zu jener Zeit auf viele Amerikaner eine starke Anziehungskraft aus. Zudem wurde die Sympathie von Deutschland aus erwidert: „The states, formed exclusively or mainly by Teutonic people, have surely retained much of the original common standard and spirit . . . T o the Teutonic states belong the three great world powers: England, the United States, and the German Empire", schrieb Otto von Gierke i m Harvard Law R e v i e w 1 8 5 .

182 Dazu ausführlich Reimann, Holmes' ,Common Law' and German Legal Science, und unten B.II.4. 183 Vgl. Burrow, A Liberal Descent 119-125. ι«4 Samuels, The Young Henry Adams 256 f.; Herbst, The German Historical School in American Scholarship 115 f. Diese Auffassung hat auch die amerikanische Verfassungsdiskussion beeinflußt, vgl. Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 17; Beard, An Economic Interpretation of the Constitution of the United States 2 f.

5*

Zweiter Teil: Blütezeit e) In der Auseinandersetzung um Ursprung und Geist des Common Law ging es also um mehr als juristische Fragestellungen. W i e die deutsche Diskussion über Heil und Unheil der Rezeption betraf auch die anglo-amerikanische Debatte die Vergangenheit, das gegenwärtige Wesen und die zukünftige Entwicklung der Rechtskultur als ganzer, wobei hier wie dort politische Sympathien unweigerlich eine Rolle spielten. I m Grunde machten damit sowohl deutsche als auch anglo-amerikanische Juristen mit dem Volksgeistgedanken Savignys ernst: Wenn Recht letztendlich aus Geschichte und Geist des Volkes stammt, so muß jede Auseinandersetzung über das Wesen des Rechts zugleich auch eine Debatte über die Rechtskultur insgesamt sein, ihre Herkunft, ihren Charakter und ihr weiteres Schicksal.

II. Der Gewohnheitscharakter des Rechts Zwar liegt dem Recht bei Savigny der Volksgeist zugrunde, doch ist dessen „Daseyn . . . ein unsichtbares". Erkennbar wird das Bewußtsein des Volkes erst, „indem es sich in äußeren Handlungen offenbart, indem es in Übung, Sitte, Gewohnheit heraustritt." So ist der Volksgeist der innere „Entstehungsgrund", die Gewohnheit aber das äußere „Kennzeichen des positiven Rechts" — in der ständigen Übung drückt sich der Volksgeist a u s l 8 6 . In diesem Sinne hat das Recht bei Savigny Gewohnheitscharakter 1 8 7 . A u c h diese Ideen waren gegen die vernunftrechtliche Auffassung gerichtet, das positive Recht entstehe „ i m normalen Zustande . . . aus Gesetzen, d. h. aus ausdrücklichen Vorschriften der höchsten Staatsgewalt" 1 8 8 , wobei Gewohnheitsrecht nur „schwankende Ergänzung" und „traurige N o t h w e n d i g k e i t " 1 8 9 sein könne. Nach Savignys Verständnis war das Verhältnis zwischen Gesetzes- und Gewohnheitsrecht genau umgekehrt: Grundform der Rechtsentstehung war die 185 Gierke, German Constitutional Law in Its Relation to the American Constitution 275. C. W. Ernst nahm die vermeintlich gemeinsamen Wurzeln Deutschlands und der Vereinigten Staaten sogar zum Anlaß für die Empfehlung, die Amerikaner sollten deutschen Vorbildern bei der Rechtsvereinheitlichung folgen, Ernst, Law Reforms in Germany. Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 35. 187 Savigny stellte ausdrücklich klar, daß es nicht um Gewohnheitsrecht in dem Sinne gehe, daß allein die bloße Gewohnheit, unabhängig von ihrem Inhalt, Recht erzeuge, System des heutigen römischen Rechts I 34 f. Deshalb benutzte er den Begriff des Gewohnheitsrechts mit dem Vorbehalt, es handele sich dabei um den „üblichen Namen", id. 34, bzw. es sei „der herrschende, nicht ganz passende Sprachgebrauch",Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 14. Allerdings gibt es nach Savigny auch Fragen, bei denen es nur darauf ankommt, „daß irgendeine feste Regel gelte und als geltend bekannt sei, und die deshalb allein aufgrund von Gewohnheiten entschieden werden können",Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 36. * 88 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 6. 189 id. 7.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre

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Gewohnheit, legislative Regelungen hatten nur „als ergänzende Nachhülfe" und „als Unterstützung" ihre Berechtigung 1 9 0 . Savignys Theorie v o m Gewohnheitsrecht wurde ebenfalls von anglo-amerikanischen Rechtsdenkern aufgegriffen. Die Vorstellung v o m Recht als „custom" war in der Classical Era vor allem in Amerika weitverbreitet. Sie ging zwar nicht immer auf Savigny zurück, doch waren wichtige Vertreter dieser Vorstellung maßgeblich von i h m beeinflußt (1.). Die Gewohnheitsrechtslehre, und damit auch Savignys Theorie, spielte in der Classical Era eine besondere Rolle, da sie eine Antwort auf die Frage geben konnte, wie sich die Sicherheit und Richtigkeit des Rechts verbürgen lasse (2.).

1. Das Common Law als „Body

of Custom"

a) K e i n anglo-amerikanischer Jurist verkündete die These v o m Recht als Gewohnheit mit größerer Überzeugung als Savignys Bewunderer James Coolidge Carter. Ganz i m Sinne seines Vorbildes sah Carter den Ursprung der Regeln i m Volksgeist und in den durch ihn hervorgebrachten Rechtsgewohnheiten: „They have their origin in the popular standard, or ideal, of justice as applied to human action, and the usages and practices sanctioned by it. The system, therefore, rests upon an original . . . body of custom . . . " 1 9 1 . Gleicher Ansicht war Edward Lindsay, der ebenfalls den Zusammenhang zwischen unbewußter Entstehung und Gewohnheitscharakter des Rechts betonte; darin wurde Savignys Einfluß, der teils direkt, teils durch Carter wirkte, deutl i c h 1 9 2 . Ähnliche Töne schlugen Savignys britische Anhänger an, wie der oben

190 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 40; vgl. auch Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 16 f. Allerdings galt das jedenfalls nach Savignys späterer Auffassung nur mit erheblichen Einschränkungen. In der ausführlicheren Darstellung seiner Rechtsentstehungslehre im ersten Bande des Systems findet sich die überraschende Behauptung, „daß der Gesetzgebung keineswegs eine untergeordnete Wichtigkeit, in Vergleichung mit dem reinen . . . Volksrecht zugeschrieben werden darf', und daß beide die „gleiche, selbstständige Würde" haben, id. 43. Das erklärt Savigny mit der Aufgabe des Gesetzes, Ungewißheiten zu klären, das „Fortschreiten des Rechts", id. 41, zu erleichtern, und aus der stärkeren Bedeutung der Gesetzgebung in Zeiten, „die der Rechtserzeugung durch gemeinsames Volksbewußtsein nicht mehr günstig sind", id. 42; auch übernehmen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft in späteren Entwicklungsstufen die Funktion der Rechtsfortbildung weitgehend allein, id. 50 f. Im Einzelnen bestehen hier viele Ungereimtheiten; insbesondere ist diese Einschätzung der Gesetzgebung nur schwer mit den Prämissen zu vereinbaren, von denen Savigny im Beruf unserer Zeit ausging. Ausführlicher zum Verhältnis der einzelnen Rechtsquellen Puchta, Das Gewohnheitsrecht. 191 Carter, The Proposed Codification of Our Common Law 5. 192 Lindsay berief sich auf Savigny als den „real introducer of the historical method into legal studies".Lindsay, The Development of a Scientific View of Law 530, aber auch auf Carter, id. 532; allerdings spielten auch die Ideen Henry Sumner Maines eine Rolle, vgl. Lindsay, The Need for a Science of Law.

0

Zweiter Teil: Blütezeit

schon genannte John Reddie 1 9 3 . W i l l i a m Rattigan, wie Reddie Göttinger Doctor Iuris, sah den Ursprung des Rechts in „long usage . . . hardened into custom" und berief sich auf „the historical school of Germany, of which Savigny and Puchta are the two most celebrated representatives" 1 9 4 . E. C. Clarke stimmte zu und lehnte sich dabei ebenfalls an Savigny a n 1 9 5 . John M . Lightwood diskutierte Savignys Rechtlehre, wie sie i m ersten Band des Systems dargelegt war, und akzeptierte die Vorstellung v o m Gewohnheitsrecht für die frühe Zeit der Rechtsentwicklung 1 9 6 . b) Wie der Volksgeistgedanke, so war auch die Ansicht von der gewohnheitsmäßigen Entstehung des Rechts i m Bereich des Common Law durchaus schon vor Savigny vertreten worden. David Hume war davon ausgegangen, daß Rechtsinstitute und -regeln, wie auch die Sprache, i m Grunde auf „conventions", d. h. Gewohnheiten zurückgingen 1 9 7 . V o n einem unmittelbaren Einfluß Humes auf die oben genannten anglo-amerikanischen Juristen ist zwar nichts zu spüren, doch zeigt die Tatsache, daß diese Idee gerade von dem w o h l wichtigsten Theoretiker des englischen Empirismus vertreten wurde, wie gut sie mit den empiristischen Neigungen des angelsächsischen Denkens zusammenpaßte. Dementsprechend hatte auch Blackstone das englische Recht als „general immemorial custom or common law, from time to time declared in the decisions of the Courts of justice" betrachtet 1 9 8 . Das heißt allerdings nicht, daß diese Auffassung unumstritten war, denn es gab auch Vertreter der Gegenansicht, das Common Law sei gegründet „upon principles, not upon c u s t o m " . 1 9 9 Unter den anglo-amerikanischen Anhängern der Savigny'sehen Auffassung herrschte Einigkeit, daß Austin, der der Gewohnheit Rechtscharakter versagen w o l l t e 2 0 0 , durch Savigny widerlegt worden sei. Austins Definition des Rechts als obrigkeitlicher Befehl war also nicht nur deshalb falsch, weil das Recht i m Volksgeist wurzelte, sondern auch weil es i m Kern Gewohnheit war; auch hier ging die Analytical School deshalb von unzutreffenden Prämissen aus. 2 0 1

193 Reddie, Letter to the Lord High Chancellor of Great Britain 6 ff. 194 Rattigan , The Science of Jurisprudence 74. 195 Clarke , Practical Jurisprudence, A Comment on Austin, 151 f., 331 f. 196 Lightwood, The Nature of Positive Law 270 ff., 279 ff. 197 Hume, A Treatise of Human Nature 490. 198 Blackstone, Commentaries on the Laws of England I (Introduction) 73; vgl. auch I 68 ff. 199 Beale, Besprechung von Holland, Elements of Jurisprudence 164. 200 Für Austin verlieh erst die staatliche, insbesondere richterliche Anerkennung einer Gewohnheit Rechtscharakter: „ . . . before it is adopted by the courts, and clothed with legel sanction, it is merely a rule of positive morality",/^//«, Jurisprudence I (The Principles of Jurisprudence Determined) 22. 201 Diese Stoßrichtung der Argumentation wird besonders deutlich bei Clarke, Practical Jurisprudence, A Comment on Austin. Wichtigster englischer Gegenspieler Austins wurde Henry Sumner Maine, der es wie Savigny ablehnte, dem Recht im wesentlichen

Α. Die historische Schule als Rechtslehre c) Dennoch war man sich über den Gewohnheitscharakter des Rechts keineswegs in allen Punkten einig. Unterschiede bestanden vor allem in der Einschätzung des Verhältnisses zwischen Gewohnheitsrecht und Rechtsprechung. Das war für Savigny kein wesentliches Problem gewesen, stellte aber für die angloamerikanischen Juristen einen wunden Punkt dar, da die Gerichte das Common Law j a nun einmal i m Laufe der Jahrhunderte hervorgebracht hatten. Handelte es sich bei Richtersprüchen um eine eigene Rechtsquelle? Reddie etwa neigte dazu, diese Frage zu bejahen und „the decisions of the judges" neben „usages" als eigene Form der Rechtsschöpfung anzuerkennen. 2 0 2 Carter hingegen trieb die These v o m Gewohnheitscharakter des Rechts auch hier bis zum äußersten: „ a judicial precedent is nothing but a supposed custom authenticated by the public official stamp . . . A judicial precedent is not law per se, but evidence of it only. The real law is c u s t o m . " 2 0 3 Sicher war die Behauptung, Recht sei nichts als Gewohnheit, n a i v 2 0 4 , und sicher hätte Savigny ihr i n dieser Pauschalität nicht zugestimmt. Sie zeigte aber, wohin seine Lehre führen konnte, wenn man mit Volksgeistidee und Gewohnheitsrechts-Theorie vollen Ernst machte: Wenn Recht der Überzeugung des V o l kes entsprang und sich in Sitten und Gebräuchen äußerte, so konnten staatliche Akte wie Gesetz und Urteil i m wesentlichen nur deklaratorischen Charakter haben. Das hatte weitreichende Implikationen.

2. Gewohnheit als Sicherheits- und Richtigkeitsgarantie W i e i m Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts, so stand die Gewohnheitsrechtslehre auch in der Classical Era des amerikanischen Rechts in unmittelbarem Zusammenhang mit rechtstheoretischen und -politischen Grundfragen. a) Die amerikanischen Juristen jener Zeit suchten intensiv nach einer tragfähigen Begründung für die Annahme, daß die Richter des Common L a w einerseits ans Recht gebunden, andererseits aber auch nicht bloße Handlanger der Obrigkeit waren 2 0 5 . Die entscheidende Frage war dabei, worin das Recht letztendlich bestand. Sah man es mit dem Naturrecht in einer vorgegebenen Ordnung, so waren die Richter zwar v o m Staat (zumindest teilweise) unabhängig, andererseits aber auch an nichts anderes gebunden als an die äußerst vagen und wenig überprüfbaren Sätze des Naturrechts und deshalb kaum kontrollierbar. Sah man hingegen

Befehlscharakter zuzuschreiben, Maine, Ancient Law 4 f.; vgl. auch Stein, Legal Evolution 79. 202 Reddie, Letter to the Lord High Chancellor of Great Britain 9. 203 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 83. 204 Vgl. Cohen, American Thought 150. 205 Dazu Horwitz, The Transformation of American Law 1860-1960 121 ff.

Zweiter Teil: Blütezeit das Recht mit der Analytical Jurisprudence i m obrigkeitlichen Befehl, so machte man damit den Richter zum Sklaven des Souveräns, insbesondere des Gesetzgebers, was das Ende der freien Entwicklung des Common Law bedeuten konnte. Hier bot die Gewohnheitsrechtslehre den entscheidenden Mittelweg zwischen der Sky IIa richterlicher W i l l k ü r und der Chary bdis gesetzgeberischer Tyrannei. Savignys Lehre half dabei, diesen Weg zu weisen. In Savignys Lehre war der Gedanke angelegt, das staatliche Rechtshandeln sei i m wesentlichen nur Wiedergabe und Vollzug des Gewohnheitsrechts. Schließlich ging das positive, aus Volksgeist und Gewohnheit entstandene Recht dem staatlich gesetzten zeitlich und logisch vor. Der Inhalt des positiven Rechts sollte deshalb „das schon vorhandene Volksrecht 4 ' sein; selbst das Gesetz war i m Grunde nur „äußerlich erkennbares Daseyn" längst bestehenden Rechts 2 0 6 . Demnach wurzelte das Recht weder in den abstrakten, letztendlich nicht überprüfbaren Prinzipien natürlicher oder göttlicher Ordnung, noch war es das Produkt staatlicher W i l l k ü r (eines Gesetzgebers oder Richters). Vielmehr war es als Gewohnheit ein mächtiges Erzeugnis der Gesamtkultur, das die Träger öffentlicher Gewalt allenfalls ignorieren oder verfälschen, nicht aber von Grund auf ändern konnten. Als Produkt von Volksgeist und Gewohnheit folgte es aus einem „Gefühl innerer Notwendigkeit, welches alle Gedanken an zufällige oder willkürliche Entstehung ausschließt" 2 0 7 . So war weder für die W i l l k ü r eines Richters noch eines Gesetzgebers R a u m 2 0 8 . Als Gewohnheit war das Recht dem Zugriff der Einzelentscheidung entzogen; damit war seine Sicherheit verbürgt. A l l das war bei Savigny nur angedeutet, wurde aber bei Carter und seinen amerikanischen Kollegen zum zentralen M o t i v . Carter, der in den seinerzeit in Amerika üblichen Kategorien von „written l a w " (im Sinne von festgeschriebenem Recht, d. h. Gesetzgebung) und „unwritten l a w " (Gewohnheit und Rechtsprechung) dachte, war vom Gewohnheitsrechtsgedanken fasziniert: „ . . . the unwritten law is not a command at a l l ; . . . it is not the dictate of Force but an emanation from O r d e r ; . . . it is that form of conduct which social action necessarily exhibits, something which men can neither enact nor repeal . . , " 2 0 9 . Der Richter war deshalb ans Recht (als — nachprüfbare — Gewohnheit) gebunden und doch nicht Handlanger des Gesetzgebers. Er war weder Tyrann noch Sklave, sondern Vollzieher eines kollektiven Willens. Zugleich beantwortete die Vorstellung vom Recht als „custom" so die alte Frage, woher das Common Law eigentlich kam, wenn die Richter es, wie immer wieder betont wurde, nicht schufen, sondern nur fanden: Es kam aus der Gewohnheit, die die Gerichte nur in staatliche Entscheidungen umsetzten. 206

Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 39. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 8; vgl. auch ders., System des heutigen römischen Rechts I 35. 208 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 14. 209 Carter, Law, Its Origin, Growth, and Function 344 f. 207

Α. Die historische Schule als Rechtslehre

3

b) Aus seinem Gewohnheitscharakter ließ sich nicht nur die Sicherheit, sondern auch die inhaltliche Richtigkeit des Rechts ableiten. Wenn es ungestört aus Geist und Gewohnheiten des Volkes hervorgehen konnte, so mußte es dessen Charakter und Bedürfnissen gleichsam von selbst gerecht werden. „Der organische Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Character des V o l k e s " 2 1 0 versprach für Savigny, daß das Notwendige angemessen geregelt und Abirrungen vermieden würden. Schon Reddie hatte sich überzeugen lassen, daß dadurch die „expedienc y " des Rechts und seine „absolute necessity, for the preservation and welfare of society" sichergestellt sei. 2 1 1 Aber erst Carter formulierte auch diesen Gedanken mit aller Deutlichkeit aus: Das „unwritten l a w " (im Gegesatz zum Gesetz) „is self-existent, eternal, absolutely right and just for the purposes o f social government, irrepealable and unchangeable. It may be justly called Divine; for, being identical w i t h custom which is the form in which human nature necessarily develops, it can have no other author than that of human nature i t s e l f . " 2 1 2 So ließen sich Sicherheit und Richtigkeit des Rechts auf wundersame Weise wahren, sofern es nur i m wesentlichen sich selbst überlassen wurde. Das hieß natürlich nicht, daß es deshalb ewig gleich blieb. Es entwickelte sich vielmehr ständig weiter, nur sollte es das aus sich selbst heraus und ohne Störung von außen tun.

III. Geschichtliche Entwicklung und organisches Wachstum Da das Recht als Produkt des Volksgeistes und der Gewohnheit für Savigny einen untrennbaren Bestandteil der Gesamtkultur darstellt, ist es mit deren Schicksal aufs engste verbunden. W i e nun aber „ i n dem Leben des einzelnen Menschen kein Augenblick eines vollkommenen Stillstandes wahrgenommen wird, . . . so verhält es sich auch in dem Leben der Völker, und in jedem einzelnen Element, woraus dieses Gesammtieben besteht" 2 1 3 : Alles befindet sich in ständigem Wandel. A n ihm nimmt deshalb, wie die Sprache, so auch das Recht teil; „es ist derselben Bewegung und Entwicklung unterworfen, wie jede andere Richtung des V o l k e s . 2 1 4 " Wieder wandte sich Savigny gegen das Vernunftrechtsdenken, hier insbesondere gegen die Vorstellung von einer zeit- und bedingungslosen Gültigkeit absoluter 210 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 11; vgl. auch Savigny, System des heutigen römischen Rechts 14 f. 211 Reddie, Letter to the Lord High Chancellor of England 6. 212 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 231; hier klingen auch naturrechtliche Vorstellungen an, die aber selbst Savigny noch gelten ließ, wenn er schrieb: „Was in dem einzelnen Volk wirkt, ist nur der allgemeine Menschengeist, der sich in ihm auf individuelle Weise offenbart." System des heutigen römischen Rechts I 21. 213 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 17. 214 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 11.

Zweiter Teil: Blütezeit Rechtsmaximen und gegen die „gränzenlose Erwartung von der gegenwärtigen Z e i t 4 ' 2 1 5 , alles Recht unbeirrt von der Geschichte selbst festlegen zu können. Dieser unhistorischen Betrachtungsweise setzte er die historische entgegen, nach der jedes Zeitalter sein Recht „ i n unauflöslicher Gemeinschaft m i t der ganzen Vergangenheit" 2 1 6 hervorbringt. A u c h dieses — zeitliche — Element der Savigny'sehen Rechtsentstehungslehre wurde bereitwillig von anglo-amerikanischen Juristen übernommen. M a n braucht nur bei Beale von der „unity of the past and present" 2 1 7 zu lesen, bei Pomeroy nachzuschlagen 2 1 8 , oder sich mit M a i t l a n d 2 1 9 zu beschäftigen, u m das zu erkennen. Zwar herrschte an anglo-amerikanischer Begeisterung für Geschichte und Entwicklung des Rechts in der Classical Era kein Mangel, doch erfordert die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit diese Ideen auf Savignys Rechtsquellenlehre zurückgingen, vor allem in diesem Punkt größte Vorsicht. Gerade weil die Idee der Geschichtlichkeit und allmählichen Entwicklung des Rechts so weitverbreitet war, muß man sich hier vor voreiligen Schlüssen hüten. Sicher lassen sich alle historisch orientierten anglo-amerikanischen Rechtsdenker jener Zeit, von Maine bis Maitland und von Langdell bis Holmes, insofern als Jünger Savignys bezeichnen, als sich die Vorstellung von der historischen Bedingtheit und ständigen Veränderung des Rechts bei ihnen wiederfindet 2 2 0 . Ein derartiges Pauschalurteil sagt aber wenig aus und verstellt den B l i c k auf wichtige Fragen: Konnte die Überzeugung von der Geschichtlichkeit des Rechts nicht auch aus anderen Quellen stammen? War der Gedanke der organischen Entwicklung nicht von den Naturwissenschaften übernommen? Gingen die anglo-amerikanischen Rechtsdenker, die von „evolution" und „progress" des Rechts überzeugt waren, nicht über Savigny hinaus? Diesen Fragen läßt sich am besten nachgehen, wenn man das Gemenge der hier in Rede stehenden Ideen nicht pauschal abhandelt, sondern seine wesentlichen Bestandteile unterscheidet: Die Geschichtlichkeit des Rechts i m Sinne seiner Herkunft und Bedingtheit durch die Vergangenheit (1.), sein organisches Wachstum (2.) und den Gedanken, daß seine Entwicklung Evolution und Fortschritt bedeutet (3.).

215 Id. 4 f. 216 Savigny, Vom Zweck dieser Zeitschrift 3. 21V Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 283. 218 Pomeroy, An Introduction to Municipal Law 7 ff., 168 f. 219 Vgl. etwa Maitland, Introduction to Gierke, Political Theories of the Middle Ages, insbesondere X V ff. 220 So bezüglich Holmes sehr pauschal Hoeflich, Law, Society and Reception: The Vision of Alan Watson 1084.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre 1. Die Geschichtlichkeit

des Rechts

Ausgangspunkt Savignys war zunächst die ganz allgemeine Überzeugung, das Recht sei ein historisches, kein philosophisches oder abstrakt-logisches Phänomen. Das bedeutete konkret zweierlei: Seine Herkunft aus der Geschichte und seine fortwährende Veränderung. Savigny nahm an, „der Stoff des Rechts sei durch die gesammte Vergangenheit der Nation gegeben" 2 2 1 , und er war überzeugt, es könne „für das Recht keinen Augenblick eines absoluten Stillstandes" 2 2 2 geben. Diese Ansichten finden sich in der Classical Era bei fast allen führenden Rechtsdenkern. Viele hatten sie nachweislich von Savigny übernommen; bei anderen hingegen fehlen konkrete Hinweise auf dessen Urheberschaft. Oft ist die Herkunft der Überzeugung von der Geschichtlichkeit des Rechts überhaupt nicht genau zu ermitteln. a) Z u den Common Lawyers, bei denen die geschichtliche Rechtsauffassung maßgeblich, wenn auch nicht unbedingt allein, auf Savignys Vorstellungen zurückging, zählen die bereits genannten Pomeroy, Carter und Beale, aber auch Frederick Pollock, James Bryce und andere 2 2 3 . Insbesondere gehört hierher auch der prominenteste englische Rechtshistoriker der Zeit, Frederic W i l l i a m Maitland, der durch die Lektüre der Werke Savignys zu dessen Bewunderer wurde und sich davon entscheidend in Richtung einer historischen Grundeinstellung beeinflussen l i e ß 2 2 4 . b) Bei vielen anderen anglo-amerikanischen Rechtsdenkern des 19. Jahrhunderts ist der Einfluß der historischen Rechtsauffassung Savignys jedoch trotz naher Verwandtschaft der Ansichten unklar und zweifelhaft. E i n frühes Beispiel hierfür ist der bereits erwähnte amerikanische Rechtslehrer David H o f f m a n n 2 2 5 . Besonders anschaulich zeigt sich dieser Befund aber bei den beiden wichtigsten

221

Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 6. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 11. Beide Gedanken sind voneinander abhängig aber nicht miteinander identisch; so ist etwa denkbar, den Stoff des Rechts in der Vergangenheit zu finden, ihn aber für im weiteren unwandelbar zu halten. 223 Pollock, English Opportunities in Historical and Comparative Jurisprudence, insbesondere 43 ff.; Savignys Einfluß auf Pollock war offensichtlich und wurde von diesem ausdrücklich bestätigt, vgl. Pollock, A First Book of Jurisprudence, Preface VII. Bryce war mit Savignys Lehren bestens vertraut, vgl. Bryce, Studies in History and Jurisprudence 633, 879, 884 etc. Vgl. auch Hart, German Universities 395, der sich ausdrücklich auf Savigny, aber auch auf Thibaut, Puchta, Goeschen und Vangerow berief; ähnlich Long, Two Discourses Delivered in Middle Temple Hall 23 ff. Auch nach Irland führen die Spuren Savignys, vgl. Carton, History in Its Connexion with Legal Studies; dazu Hoeflich, Savigny and His Anglo-American Disciples 26. 224 Vgl. Fisher, F. W. Maitland 18 f. 222

225

Der deutschstämmige Hoffmann sah im Recht zwar sowohl Geschichte und Evolution als auch die sozialen Lebensbedingungen am Werk; vgl. Bloomfield, David Hoffmann and the Shaping of a Republican Legal Culture 681, doch ist ein konkreter Einfluß Savignys oder überhaupt der deutschen historischen Schule auf ihn nicht nachweisbar.

Zweiter Teil: Blütezeit Wegbereitern der modernen Geschichtsschreibung des Common L a w , die die historische Ausrichtung der Classical

Era geradezu personifizieren, Maine und

Holmes. Henry Sumner Maine, der mit seinem bahnbrechenden, 1861 veröffentlichten Werk Ancient Law die Hinwendung zur Rechtsgeschichte in England einleitete, war wie Savigny von der Abneigung gegen abstrakte Jurisprudenz und von dem Glauben an eine historische Sichtweise des Rechts durchdrungen 2 2 6 ; auch sein starkes Interesse am römischen Recht erinnert an Savigny. W e m Maine diese Grundeinstellung zu verdanken hatte, ist allerdings unter den Kennern seines Werkes umstritten; auch inwieweit Savigny und die deutsche historische Schule auf ihn gewirkt haben, ist weitgehend o f f e n 2 2 7 . Klar ist, daß Maine Savigny kannte und als „The great German jurist" schätzte 2 2 8 , und daß er mit ihm die Ansicht von der kontinuierlichen Entwicklung des Rechts teilte 2 2 9 . Klar ist aber auch, daß er sich in Ansatz und Methode wesentlich von Savigny unterschied 2 3 0 . Ob Savignys Überzeugung von der Geschichtlichkeit des Rechts Maine in nennenswerter Weise beeinflußt hat, w i r d sich nicht mit letzter Sicherheit klären lassen, da sich bei Maine kaum Nachweise der Herkunft seiner Ideen f i n d e n 2 3 1 . Es ist jedenfalls möglich, daß seine historische Einstellung aus ganz anderen Quellen stammte 2 3 2 . Ähnliches gilt für Oliver Wendeil Holmes, den wichtigsten amerikanischen Vertreter der Auffassung v o m Recht als historisch gewachsenem, ständiger Veränderung unterworfenem Phänomen 2 3 3 . Seine Grundüberzeugung, das Wesen des Rechts liege nicht in der L o g i k sondern in der (geschichtlichen) Erfahrung 2 3 4 ,

226 Vgl. dazu Cocks, Sir Henry Maine 25. 227 Savignys Einfluß glaubten zu erkennen Vinogradoff, The Teaching of Sir Henry Maine 125-126; Stein, Legal Evolution 89. Substantiierte Zweifel daran äußerte vor allem Cocks, Sir Henry Maine 25 ff. Andere wiederum sahen den Einfluß Jherings am Werk, vgl. Holdsworth, A History of English Law X V 363; Kantorowicz, Savigny and the Historical School 333. Vgl. auch Patterson, Historical and Evolutionary Theories of Law 690; Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 59; Burrow, Evolution and Society 142 ff. 228 Maine, Ancient Law 150. 229 Vgl. Stein, Legal Evolution 90. 230 Dazu ausführlicher unten Β.1.3. 231 In seinem späteren Werk, Village Communities in the East and West, bekannte Maine, daß er auf einer Reihe von Werken deutscher Autoren aufbaute; es handelt sich aber durchweg um die rechtshistorischen Arbeiten der späteren Germanisten wie von Maurer und Nasse; Savigny ist nicht genannt, Maine, Village Communities in the East and West, Preface V I I I und Appendix I I 398. 232 Vgl. das vorsichtige und ausgewogene Urteil bei Cocks, Sir Henry Maine 27 ff. 233 Die Literatur zu Holmes ist längst unübersehbar; grundlegend nach wie vor Howe, Justice Oliver Wendell Holmes I und II; neuerdings auch Gordon (Hrsg.), The Legacy of Oliver Wendell Holmes. Eine deutschsprachige Übersicht zu Holmes' Leben und Denken gibt Fikentscher, Methoden des Rechts I I 151 ff. 234 Holmes, The Common Law 5.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre läßt sich nicht auf eine einzelne Quelle zurückführen; vielmehr war bei Holmes' Wendung von einer analytisch-logischen zu einer geschichtlichen Betrachtungsweise des Rechts in den 1870er Jahren eine Vielzahl von Faktoren i m Spiel, zu denen wohl auch Maines Einfluß gehörte, die aber hier i m einzelnen ohne Belang s i n d 2 3 5 . Erschwert w i r d die Ermittlung dieser Faktoren dadurch, daß Holmes es wie Maine oft vermied, den Ursprung von Ideen nachzuweisen, die er lieber als eigene ausgab 2 3 6 . Ob Savignys historische Grundeinstellung Holmes mitgeprägt hat, ist deshalb schwer zu sagen. Dafür spricht, daß Holmes sowohl mit Savignys Werken als auch mit den Schriften der germanistischen Rechtshistoriker, in denen Savignys Ideen nachwirkten, vertraut war. Allerdings fiel Holmes' intensive Beschäftigung damit in die späteren 1870er Jahre, als er von der Geschichtlichkeit des Rechts bereits überzeugt war. M ö g l i c h ist aber auch, daß Savignys Ideen schon früher an Holmes übermittelt wurden, etwa als er 1871 Pomeroys von Savigny beeinflußtes Werk An Introduction to Municipal Law l a s 2 3 7 . Jedenfalls kann man davon ausgehen, daß Holmes durch Savigny und die deutsche historische Schule überhaupt in seiner Überzeugung von der Geschichtlichkeit des Rechts bestärkt und bestätigt wurde. Allerdings gab es auch zwischen Holmes' und Savignys Vorstellungen von der Rolle der Geschichte in der Rechtsentstehung i m einzelnen wichtige Unterschiede, auf die noch zurückzukommen i s t 2 3 8 . c) Diese Unklarheiten bezüglich der genauen Herkunft der geschichtlichen Rechtsauffassung sind nicht verwunderlich, sondern erklären sich aus der gesamten Entwicklung zu jener Zeit. I n den meisten Geisteswissenschaften hatte der Historismus schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen, auch das angloamerikanische Denken zu beeinflussen; nach 1860 dominierte er fast unangefochten. Die Geschichtswissenschaft war zur „regina scientiarum" aufgestiegen und prägte auch die Jurisprudenz so eindeutig, daß Albert Venn Dicey 1884 spottete, „ i t were far better, as things now stand, to be charged w i t h heresy, than to fall under the suspicion o f lacking historical-mindedness" 2 3 9 . I n dieser Atmosphäre gelangte der allergrößte Teil der Rechtsdenker zu einer geschichtlichen Sichtweise, ohne daß sich immer sagen ließ, von wem diese i m einzelnen übernommen worden war. „Historical thinking was in the a i r " 2 4 0 , und wer immer diese Luft einatmete, konnte einer geschichtlichen Rechtsauffassung schwerlich entgehen.

235 Dazu ausführlich Howe, Justice Oliver Wendell Holmes I 135 ff. Holmes leugnete den Einfluß Maines in einem Brief an Harold Laski, vgl. Holmes, The Holmes-Laski Letters 1429; Maines Gedanken finden sich aber an so vielen Stellen und so unzweideutig in seinem Werk wieder, daß an Maines Einfluß kein emstlicher Zweifel bestehen kann. 236 Vgl. Touster, Holmes a Hundred Years Ago 687; vgl. auch die vorangehende Anmerkung. 237 Vgl. Little, The Early Readings of Justice Holmes 184. 238 Dazu unten B.I.3. 239 Dicey, An Introduction to the Study of the Law of the Constitution 14. 240 Schwartz, Some Makers of American Law 156; ebenso Pound, The Formative Era of American Law 144. Zur Vorherrschaft des geschichtlichen Denkens im amerikani-

Zweiter Teil: Blütezeit Z u dieser historischen Betrachtungsweise in der Jurisprudenz hatte Savigny zwar auch in der Welt des Common L a w wesentlich beigetragen, aber die Idee von der Geschichtlichkeit des Rechts ging deshalb nicht immer, und selten allein, auf ihn zurück. A n ihrem Aufkommen hatten kontinentaleuropäische Denker wie Montesqieu und Hugo ebenso Anteil wie die bis zu Blackstone und Gibbon zurückreichende englische Tradition und wie der anfänglich deutsche, später fast weltweite Historismus überhaupt. Schließlich war die Idee von der geschichtlichen Entstehung des Rechts schon in der Natur des Common Law selbst angelegt, das sich i m Laufe der Jahrhunderte allmählich herausgebildet hatte, und auf dessen ruhmreiche Vergangenheit die anglo-amerikanischen Juristen stolz waren. W i e sehr Savignys Ideen hier in Verbindung mit ähnlichen Vorstellungen anderer Denker und als Teil umfassenderer Bewegungen gesehen werden müssen, w i r d auch deutlich, wenn man auf die Konsequenz der geschichtlichen Sichtweise für die Aufgabe der Rechtswissenschaft sieht. Aufgrund der historischen Bedingtheit des Rechts war für Savigny „Geschichte . . . der einzige Weg zur wahren Erkenntnis unseres eigenen Zustandes" 2 4 1 . Dabei mußte es die erste Aufgabe der Jurisprudenz sein, „jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen" 2 4 2 . Sowohl die historische Ausrichtung der Rechtswissenschaft allgemein als auch insbesondere die Idee des Zurückverfolgens des Stoffs war bei anglo-amerikanischen Juristen weitverbreitet. A u c h das war zwar oft, aber keineswegs immer Savignys Einfluß zuzuschreiben. Wenn sich Maitland der Rechtsgeschichte verschrieb, Beale die „historical method" pries oder Richter W i l l i a m Glenn 1894 in Georgia versicherte, es sei „impossible to understand why legal doctrines and procedure are so, except through the medium of the past", so konnte man dahinter zumindest auch Savignys Ideen erkennen, weil er in diesem Zusammenhang genannt w u r d e 2 4 3 . Wenn andererseits Digby ohne Quellenangabe meinte, das moderne Recht könne nur durchdrungen werden durch „tracing . . . the origin . . . of the conceptions on which it is based" 2 4 4 , so konnte diese Einsicht ebensogut anderer Herkunft sein. Denn auch die Forderung nach geschichtlicher Erforschung des Rechts durch Zurückverfolgen seiner Entwicklung ging nicht allein von sehen Verfassungsrecht vgl. Siegel, Historicism in Late Nineteenth-Century Constitutional Thought; hier bestanden auch Verbindungen zwischen Historismus, Konservatismus und Liberalismus, dazu unten C.III. 241 Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 4. 242 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 117. 243 Zu Maitland vgl. Fisher, Maitland 18 f.; Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 59; allerdings waren Maitlands eigene Arbeiten methodisch eher an der späteren Generation deutscher Rechtshistoriker als an Savigny orientiert. Zu Beale vgl. Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 283. Das Zitat Glenns entstammt seinem Vortrag The Practical Uses of Roman Law, in dem sich Glenn auf Savigny bezog. Ähnliche Überzeugungen äußerten Hart, German Universities 395, und Pomeroy, An Introduction to Municipal Law 9, die sich dabei ebenfalls unter anderem auf Savigny beriefen. 244 Digby, Introduction to the History of the Law of Real Property, Preface VI.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre Savigny aus, sondern hatte bereits i m 18. Jahrhundert Wurzeln. Schon Kames hatte 1758 in Schottland nur dann wirklichen Sinn i m Studium des Rechts gesehen, „when it is traced h i s t o r i c a l l y " 2 4 5 . U n d kein geringerer als Blackstone hatte gefordert, die Elemente des Common Law „should be traced to their fountains, as well as our distance w i l l permit; to the customs of the Britons and Germans . . . to the code of the northern nations on the continent, and more especially to those of our own Saxon princes; to the rules of Roman law . . , " 2 4 6 d) Savignys Stellenwert ist deshalb hier am besten erfaßt, wenn man seine Idee der Geschichtlichkeit des Rechts als eine Quelle neben anderen versteht, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts i m anglo-amerikanischen Rechtsdenken zu einem großen Strom zusammenflössen, in dem einzelne Gewässer oft gar nicht mehr zu unterscheiden waren. Trotzdem kam Savigny unter diesen Quellen eine herausragende W i r k u n g zu. Obwohl er weder als erster noch als einziger die Geschichtlichkeit des Rechts propagiert hatte, war er doch für viele anglo-amerikanische Juristen die Verkörperung dieser Idee; deutlich wird das unter anderem daran, daß sie, wenn überhaupt jemanden, vor allem ihn als Quelle zitierten. Der Grund für diese Symbolstellung lag jedoch weniger in der Originalität seines Gedankens als in der Eloquenz, Vehemenz und Überzeugungskraft, mit der er ihn propagierte, und in der Konsequenz, mit der er ihn in seinem hochgeachteten wissenschaftlichen Werk umsetzte. 2. Organisches

Wachstum

Die ständige Veränderung, der das Recht für Savigny unterlag, vollzog sich nicht zufällig und wahllos. Da es ihm, wie alle anderen Seiten des menschlichen Daseins, „ G l i e d eines höheren G a n z e n " 2 4 7 war, sah er in ihm „stete organische E n t w i c k l u n g " 2 4 8 . Das Recht wuchs also und folgte dabei inneren, dem „Ganzen" entstammenden Regeln. Diese Vorstellung von einem organisch wachsenden Recht war ein durchgehender Z u g des anglo-amerikanischen Denkens der Classical Era. Wieder darf man sich ihres Ursprungs bei Savigny in einigen Fällen sicher sein, doch muß man auch diese Idee in größeren Zusammenhängen sehen. So verwischen sich abermals viele Verbindungslinien mitunter bis zur Unkenntlichkeit. a) I m wesentlichen von Savigny stammt diese Idee, wenn Pomeroy von „continuous" oder „gradual growth" berichtet 2 4 9 , Hart das Recht als „ a growth and not 245 Kames, Historical Law Tracts I V.; vgl. dazu Stein, Legal Evolution 25 ff. 246 Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction, On the Study of Law 35. Als allgemeiner Gedanke findet sich die Vorstellung auch bei Friedrich II. von Preußen im ersten Kapitel des „Antimachiavell", vgl. Friedrich der Große, Philosophische und Staatswissenschaftliche Schriften 353. 247 Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 3. 248 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 17. 249 Pomeroy, An Introduction to Municipal Law 168 f.

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Zweiter Teil: Blütezeit

a p r o d u c t " 2 5 0 bezeichnet und Carter von seinem natürlichen Wachstum überzeugt i s t 2 5 1 . In diesen Zusammenhang gehört auch der schottischer Jurist J. A . Dixon, der Savignys Beruf zitierte 2 5 2 und selbst wiederum von Carter zitiert w u r d e 2 5 3 . Insbesondere die organische Natur der Rechtsentwicklung wurde deutlich von Beale angesprochen 2 5 4 und selbst von der American Bar Association unter Berufung auf Savigny in Fragen der Juristenausbildung herbeizitiert 2 5 5 . Zweifelhafter ist schon, inwieweit M e l v i l l e Bigelows Absicht, sein Casebook zu schreiben m i t besonderer „consideration of the rise and growth of the l a w " 2 5 6 letztendlich auf Savigny zurückgeht. Bigelow nannte Savigny in diesem Zusammenhang nicht, war aber ein Bewunderer Brunners und seiner Generation deutscher Germanisten, die natürlich ihrerseits i m Geiste Savignys arbeiteten 2 5 7 . So haben Savignys Überzeugungen vielleicht indirekt auf ihn gewirkt. b) Weitgehend unklar ist der Einfluß Savignys aber in vielen anderen Fällen. Wieso etwa W i l l i a m C. Robinson inmitten altmodisch-naturrechtlicher Ausführungen plötzlich von „organic growth" des Rechts sprach, ist mangels genauer Nachweise kaum auszumachen. Wahrscheinlich ist, daß er diesen Gedanken von wichtigeren anglo-amerikanischen Vertretern übernommen hatte. Waren nun deren Vorstellungen von organischer Entwicklung wiederum von Savigny beeinflußt? V o n Maine und Holmes war oben bereits die Rede; beider Hauptwerke beruhten auf der Überzeugung v o m allmählichen, inneren Gesetzmäßigkeiten folgenden Wachstum des Rechts. Maines Ancient Law sah diese Gesetzmäßigkeit vor allem in der Entwicklung „ f r o m status to contract" 2 5 8 ; Holmes bemühte sich zwanzig Jahre später in seinem 1881 veröffentlichten Hauptwerk The Common Law, den allgemeinen Trend zu objektiven, an äußerlichen Kriterien orientierten Haftungsmaßstäben nachzuweisen. W i e bei der allgemeinen Überzeugung von der Geschichtlichkeit des Rechts, so gibt es aber auch bezüglich des speziellen Glaubens an eine organische Genese seiner Grundprinzipien bei Maine und Holmes keine Hinweise auf einen direkten Einfluß Savignys. 250 Hart, German Universities 395. 251 „Natural growth 4 ', Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 6; siehe auch id. 70. 252 Dixon, The Codification of the Law; Dixon berief sich auf die englische Übersetzung dieses „remarkable treatise", 314. 253 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 329 ff., Anm. 1; Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 49 ff. 254 Beale, The Place of Professional Education in the Universités 45. 255 American Bar Association, Report of the Committee on Legal Education and Admission to the Bar (1892) 333 ff. 256 Bigelow, Leading Cases in the Law of Torts, Preface V; die einzelnen Kapitel des Buches enthalten dementsprechend historische Einführungen von zum Teil erheblichem Umfang und beachtlicher Qualität. 257 Vgl. Bigelow, Placita Anglo-Normannica, Introduction. 258 Maine, Ancient Law 100.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre Z u Holmes' Überzeugung von der organischen Entwicklung des Rechts hatte neben Maine sehr wahrscheinlich der dritte Hauptvertreter dieser Ansicht in der Welt des Common Law beigetragen, Christopher Columbus Langdell. Langdell, der Dean der Harvard Law School, von dem noch die Rede sein w i r d 2 5 9 , hatte 1871 aus der Vorstellung vom Recht als „a growth" sein Verständnis von Rechtswissenschaft überhaupt abgeleitet und dabei zugleich das Credo der Classical Legal Science formuliert 2 6 0 . Ihre Aufgabe bestand nach Langdell zunächst darin, die historische Entwicklung des Rechts zu verstehen, um dadurch seine Grundprinzipien zu entdecken. So sehr auch dies an Savigny erinnert, so wenig läßt sich auch hier sein Einfluß nachweisen, da in Langdells kurzen Ausführungen jede Bezugnahme auf andere Denker fehlt. c) Damit muß die Frage eines direkten Einflusses Savignys auf die organischen Geschichtsvorstellungen anglo-amerikanischer Denker in wichtigen Fällen offenbleiben. Sie ist letztenendes deshalb nicht klar zu beantworten, weil auch der Gedanke der organischen Rechtsentwicklung dem intellektuellen K l i m a der Classical Era überhaupt entsprang, das sicherlich von Savigny mitgeschaffen worden war, andererseits aber keineswegs von seinen Ideen allein bestimmt wurde. Neben seinem Denken sind insbesondere zwei Beiträge dazu wichtig. Z u m einen hatte die Vorstellung vom Wachstum des Rechts auch eine englische, ins 18. Jahrhundert zurückreichende Tradition, die i m 19. Jahrhundert fortwirkte. Burke hatte die englische Verfassung als organisch gewachsen geschildert 2 6 1 , und schon bei Gibbons Ausführungen zum römischen Recht war die Rede v o m „slow growth of time and experience" 2 6 2 gewesen; hier hatte auch Savignys Vorstellung eine ihrer W u r z e l n 2 6 3 . Z u m anderen machte sich i m B i l d v o m Recht als organisch wachsendem Stoff der Einfluß der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, vor allem der Biologie bemerkbar. Das war w o h l schon bei Savigny der Fall gewesen 2 6 4 , verstärkte sich aber i m späten 19. Jahrhundert zusehends. Dieser naturwissenschaftliche Einfluß wirkte übrigens auch in Deutschland, sodaß sich hier erneut Parallelen und Querverbindungen zwischen deutschem und angloamerikanischem Rechtsdenken finden; wie Jhering das Recht als „ O r g a n i s m u s " 2 6 5 sah, so waren für Maitland Klageformeln „Irving t h i n g s " 2 6 6 . 259 Vgl. unten B. (vor allem Einleitung und II). 260 Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts, Preface V I f.; dazu unten Β. (Einleitung). 261 Burke, Reflections on the Revolution in France; zur Verbindung zwischen Burke und Savigny vgl. Stein, Legal Evolution 57 f. 262 Gibbon, The Decline and Fall of the Roman Empire I I I 227. 263 Hugo übersetzte das X L I V . Kapitel aus Gibbons Werk als „Edward Gibbons historische Übersicht des Römischen Rechts oder das 44ste Capitel der Geschichte des Verfalls des Römischen Reichs" (1789) und war nachhaltig davon beeinflußt, dazu Stein, Legal Evolution 55 f.; Savigny wiederum kannte Gibbon in Hugos Übersetzung und nannte Gibbons Behandlung des römischen Rechts „ein treffliches Muster" einer Betrachtung der „Gesetzgebung als Teil der Geschichte", Savigny, Juristische Methodenlehre 35. 264 Savigny war höchstwahrscheinlich von den Theorien Lamarcks beeinflußt, die zu seiner Zeit viel diskutiert wurden, vgl. Stern, Thibaut und Savigny 25. 6 Reimann

Zweiter Teil: Blütezeit d) Savigny leistete also mit seiner Idee v o m organischen Wachstum des Rechts einen von vielen Beiträgen zur Entstehung und Verbreitung dieses Gedankens in der Classical Era. Trotzdem darf man sein Konzept von „organischer Entwicklung" nicht ohne weiteres m i t den anglo-amerikanischen Vorstellungen von „organic growth" oder „development" gleichsetzen. Für Savigny war dieses Konzept i m Grunde eine kulturelle Idee gewesen, die dem Glauben an eine innere Ganzheit des Volksgeistes entsprungen war; Savignys Überzeugung lagen hier eine idealistische Sicht der Geschichte, Goethes Kulturverständnis und die romantische Suche nach innerer Harmonie zugrunde. Ein halbes Jahrhundert später war der Gedanke organischen Wachstums für Holmes und seine Zeitgenossen eher eine biologische Vorstellung, i n der sich der zwischenzeitliche Aufstieg der modernen Naturwissenschaften bemerkbar machte; das zeigte sich etwa in Hasties Forderung nach einer „application o f that organic method o f thinking which is now being so fruitfully prosecuted in other departments of science." 2 6 7 . Darin waren die anglo-amerikanischen Rechtsdenker der Classical Era mit der Generation Jherings verwandt, von Savigny aber, wie diese, bereits ein Stück entfernt. Das zeigt sich auch in dem Gedanken, die Entwicklung des Rechts bedeute Evolution und Fortschritt. 3. Evolution

und Fortschritt

M i t dem Glauben an die Geschichtlichkeit des Rechts und der Überzeugung von seinem organischen Wachstum ging in der anglo-amerikanischen Jurisprudenz der Classical Era typischerweise die Vorstellung einher, die Rechtsentwicklung sei eine Form der E v o l u t i o n 2 6 8 . Das zeigt sich vor allem darin, daß die Begriffe „ g r o w t h " und „evolution" in engstem Zusammenhang gebraucht wurden und oft geradezu Synonyme füreinander waren. Das ist zwar nicht nur, aber doch vor allem bei denjenigen anglo-amerikanischen Juristen der Fall, die von Savigny beeinflußt w a r e n 2 6 9 . Der Schluß liegt deshalb nahe, Savigny habe auch als „herald of evolution", wie Maitland ihn nannte 2 7 0 , auf die Jurisprudenz in England und Amerika gewirkt. Das ist in dieser Pauschalität mißverständlich. M i t dem Begriff der „evolution" lassen sich verschiedene Vorstellungen verbinden, zwischen denen man, w i l l

265 Jhering, Vom Geist des römischen Rechts I 25 ff. Kuntze sprach sehr anschaulich von einer „Biologie des Rechts", Der Wendepunkt der Rechtswissenschaft 90. 266 Pollock & Maitland, The History of English Law Before the Time of Edward I, I 559. 267 Vgl. Hastie, Translator's Preface X X V I f. 268 Dazu allgemein H er get, American Jurisprudence 1870-1970 117 ff. 269 Vgl. Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 70; Dixon, The Codification of the Law; Hastie, Translator's Preface X X V I I . Auch Holmes stellte diese Verbindung her, etwa in seinem Aufsatz Law in Science and Science in Law 217. 270 Maitland, Introduction to Gierke, Political Theories of the Middle Ages X V .

Α. Die historische Schule als Rechtslehre

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man Trugschlüsse vermeiden, sorgfältig unterscheiden m u ß 2 7 1 . Savignys Rechtsentstehungslehre hatte m i t den meisten dieser Vorstellungen nämlich wenig oder gar nichts zu tun. Z u trennen sind der bereits angesprochene Glaube an organische Entwicklung, der Fortschrittsgedanke, und die Idee v o m K a m p f ums Dasein. a) Für manche anglo-amerikanische Juristen bedeutete „evolution" i m wesentlichen nur dasselbe wie organisches Wachstum, d. h. höheren Gesetzen folgende, in sich abgestimmte Entwicklung. Das Wort war hier nur eine aus der Biologie entlehnte und auf die Geschichte des Rechts angewandte Metapher 2 7 2 . Obwohl Savigny den Begriff der „Evolution", soweit ersichtlich, nicht verwandte, läßt sich seine Rechtsentstehungslehre so gesehen doch als eine A r t Evolutionstheorie bezeichnen. Als solche hat sie, wie gezeigt, in der Tat auf das anglo-amerikanische Rechtsdenken eingewirkt. Maitlands Bezeichnung Savignys als „herald of evolution" ist in diesem Sinne zu verstehen 2 7 3 und deshalb durchaus richtig. b) Für die meisten Common Lawyers verband sich jedoch mit der Vorstellung von Wachstum und Evolution sogleich der Gedanke des Fortschritts. Sie sahen die Entwicklung des Rechts nicht nur als einen organischen, sondern auch als einen zielgerichteten Prozeß. Er nahm seinen Ausgang in einem Zustand der Barbarei oder zumindest der Unwissenheit und führte allmählich immer höher hinauf bis zur Zivilisation und damit zur Perfektionierung des Rechts. Typisch war hier etwa Pomeroy: „The principle of legal development is common to the systems of all countries which have emerged from a condition of barbarism, and entered upon a course of progressive improvement . . . The municipal laws of the principal European countries started from small and meagre beginnings, and have gradually and steadily progressed, until they have reached, or are approaching their culminating p o i n t . " 2 7 4 Ähnliche Vorstellungen finden sich auch bei anderen von Savigny Beeinflußten wie Carter, D i x o n oder B e a l e 2 7 5 .

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1 Vage und deshalb wenig hilfreich Grey, Langdell's Orthodoxy 30. Vgl. Pollock, English Opportunities in Historical and Comparative Jurisprudence 41 f.: „The doctrine of evolution is nothing else than the historical method applied to the facts of nature; the historical method is nothing else than the doctrine of evolution applied to human society and institutions." 273 Maitland wollte damit einen Mann bezeichnen „who substitutes development for manufacture, organism for mechanism, natural laws for Natural Law", Maitland, Introduction to Gierke, Political Theories of the Middle Ages XV. 274 Pomeroy, An Introduction to Municipal Law 168 f. 275 Vgl. Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 48 f.; Dixon, The Codification of the Law; Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 272; auch Long, Two Discourses Delivered in Middle Temple Hall 47 spricht von „progress", allerdings im Sinne eines Zuges des Volksgeistes gewisser Nationen. Die Idee von der Entwicklung des Common Law als Fortschritt findet sich auch bei so verschiedenen Rechtsdenkern wie Story, Discourse Pronounced Upon the Inauguration of the Author 185, und Gray, The Nature and Sources of the Law 136 ff., 141 f., 236 ff., 308 f. 272

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Zweiter Teil: Blütezeit Damit gingen diese Denker allerdings über Savigny hinaus. Zwar taucht auch in seinen Schriften die Vorstellung eines Werdegangs des Rechts auf, der von bescheidenen Anfängen zu allmählicher Ausdifferenzierung f ü h r t 2 7 6 ; auch ist dort durchaus die Rede von „steigender C u l t u r " 2 7 7 und „fortschreitender B i l d u n g " 2 7 8 . Doch liegt dem nirgends die Überzeugung zugrunde, die Rechtsentwicklung führe prinzipiell v o m Schlechteren zum Besseren. Ganz i m Gegenteil war Savigny „sehr entfernt . . . von der Ansicht, als sey in der Rechtswissenschaft so eben der Tag i m Begriff, die bis jetzt herrschende finstere Nacht zu vertreib e n " 2 7 9 ; stattdessen betonte er die Wichtigkeit „gleichmäßiger Anerkennung des Werthes und der Selbstständigkeit jedes Zeitalters." 2 8 0 V o m Glauben an den in der Rechtsentwicklung stets waltenden Fortschritt war er schon deshalb weit entfernt, weil er die klassische römische Jurisprudenz seiner eigenen Zeit in vielem für überlegen hielt. I n dieser Einschätzung verdeutlicht sich ein wichtiger Unterschied zwischen Savigny und seinen anglo-amerikanischen Bewunderern: Sein Verständnis der Rechtsentwicklung tendierte eher zur Verehrung der Vergangenheit, die anglo-amerikanische Auffassung von der Evolution des Rechts eher zum optimistischen Glauben an die Z u k u n f t . 2 8 1 Das Element des Fortschritts i m Evolutionsdenken der Common Lawyers ging also nicht auf Savigny zurück. Vielmehr beherrschte die Vorstellung von Evolution als „progress" das 19. Jahrhundert ganz allgemein, nicht nur in den Natur-, sondern auch in den Geisteswissenschaften, wo es vor allem i m Denken Herbert Spencers wurzelte. Bald wurde auch das Rechtsdenken davon erfaßt, ohne daß die deutsche historische Schule daran unbedingt einen Anteil gehabt hätte. In die anglo-amerikanische Jurisprudenz brachte vor allem Henry Sumner Maine dieses. Evolutionsverständnis ein, als er, wie Darwin in der Entwicklung der Lebewesen und wie Comte i m Reifen des Denkens, i m Werdegang des Rechts ein Fortschreiten zu immer höheren Stufen f a n d 2 8 2 .

276 Vgl. vor allem Savigny, System des heutigen römischen Rechts 50 ff. 277 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 12. 278 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 45. 279 Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 10. 280 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I X I V f. 281 Das wirkte sich auf die Vorstellungen von Sinn und Zweck rechtsgeschichtlicher Forschung aus, dazu unten B.I.3. 282 Vgl. Darwin, The Origin of Species; der Einfluß Darwins auf Maine ist umstritten, vgl. Stein, Legal Evolution 88 fn. 24. Das Denken in Entwicklungsstadien teilte Maine, der die Stufen der Fiction, Equity und Legislation unterschied, Maine, Ancient Law 15, vor allem mit Comte, Cours de philosophie positive, demzufolge sich das menschliche Weltverständnis von der theologischen über die metaphysische zur positivistischen Phase hin entwickelte. Ähnliche Vorstellungen von progressiver Entwicklung des Rechts und der Gesellschaft finden sich schon bei den schottischen Denkern des 18. Jahrhunderts, Lord Kames, John Dalrymple, Adam Smith und John Miliar, vgl. dazu Stein, Legal Evolution 23 ff. Eine modernere Variante entwickelte noch Paul Vinogradoff in Anlehnung an Maine, Vinogradoff, Outlines of Historical Jurisprudence I 157 ff.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre c) Schließlich sahen viele amerikanische Juristen der Zeit in der Evolution des Rechts nicht nur organische und fortschrittliche Entwicklung, sondern auch „struggling g r o w t h " 2 8 3 und K a m p f ums Dasein, wie das bei Holmes am deutlichsten w u r d e 2 8 4 . Für Savigny hingegen waren i m Recht „innere, stillwirkende Kräfte am W e r k " 2 8 5 ; insofern war er gerade kein „ D a r w i n of the science of l a w " 2 8 6 . Dieses Gegensatzes war sich Christopher Tiedemann v o l l bewußt, als er zwar von „growth and evolution" sprach 2 8 7 , aber hinzufügte: „this change . . . is not the quiet, smooth, uneventful development, which is found to prevail i n the growth of language, and which is claimed by the jurists o f the Savigny-Puchta school to prevail in the growth of a system of jurisprudence. O n the contrary, . . . every material modification of an existing principle of law, as well as every new principle o f law, is never firmly fixed in the jurisprudence o f a country except after a vigorous contest between opposing forces." 2 8 8 I n dieser Auffassung von Recht als Resultat eines Kampfes waren Common Lawyers wie Holmes und Tiedemann Schüler Darwins, Herbert Spencers oder Jherings 2 8 9 ; mit Savignys Rechtsquellenlehre hatten sie auch hier nichts mehr gemein. d) Savignys Konzept der Rechtsentwicklung unterschied sich also in wesentlichen Punkten v o m anglo-amerikanischen Evolutionsbegriff. Genau genommen waren Savignys historisch-idealistische Auffassung und das naturwissenschaftlich-darwinistische Verständnis der Common Lawyers kaum zu vereinbaren. Allerdings teilten sie die Idee des Organischen, wenn sie diese auch verschieden interpretierten 2 9 0 . I n dieser Idee ließen sich beide Richtungen mit einer gehörigen Portion Nachsicht doch vereinen. Historisches Entwicklungsverständnis und naturwissenschaftliche Evolutionsvorstellungen waren dann, wenn man so wollte, nur Spielarten derselben Idee organischen Wachstums auf verschiedenen Gebiet e n 2 9 1 . So vereint konnten beide Betrachtungsweisen nicht nur koexistieren, sie

283

Ρomeroy, An Introduction to Municipal Law 9. 284 Vgl. Holmes, The Common Law 37 f., 40. 285 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 14. 286 So Montmorency, Friedrich Carl von Savigny 586; Montmorency meinte mit dieser Bezeichnung allerdings auch, Savigny habe die Naturgesetze der Rechtsentwicklung entdeckt, wie Darwin diejenigen der Artenentwicklung. 287 Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 9. 288 Id. 11 f. 289 Tiedemann war entscheidend von Jhering beeinflußt, bei dem er studiert hatte, und dessen Kampf ums Recht er auch im vorliegenden Zusammenhang zitierte, The Unwritten Constitution of the United States 12 fn. 1. Holmes' Weltsicht, Gesellschaftsverständnis und Rechtsauffassung waren zutiefst darwinistisch; das war allerdings nicht Jherings Einfluß zu verdanken, sondern ging auf Holmes' Erfahrungen im amerikanischen Bürgerkrieg, Herbert Spencer und die allgemeinen darwinistisehen Ansichten der 1860er und 1870er Jahre zurück; vgl. Reimann, Holmes' »Common Law' and German Legal Science 74 ff. 290 Vgl. dazu oben. 2. 291 Dazu vertiefend Burrow, Evolution and Society.

Zweiter Teil: Blütezeit verstärkten sich sogar gegenseitig: Das biologische Evolutionsdenken gab der historischen Schule einen naturwissenschaftlichen Einschlag und modernisierte sie dadurch; Savignys Ideen wiederum schienen zu beweisen, daß die nach 1860 ungeheuer populäre Denkweise Darwins mutatis mutandis nicht nur, wie bei Spencer 2 9 2 , für die Gesellschaft, sondern auch auf das Recht Anwendung finden konnte. Die Gesetzmäßigkeiten der Geschichte galten als Schlüssel zum Verständnis sowohl der physischen wie der geistigen Welt.

Zusammenfassung Als Erklärung des Ursprungs und Charakters des Rechts wirkte die historische Schule durch Savignys Rechtsentstehungslehre in vielfacher Weise auf das angloamerikanische Rechtsdenken der Classical Era ein. Diese Wirkung war erstaunlich komplex, denn sie bestand in einer Vielzahl einzelner Verbindungen, die jeweils in besonderen Zusammenhängen standen. Das zeigt sich bezüglich aller drei Hauptelemente der Savigny'sehen Lehre. Der Volksgeistgedanke trat in mehreren Variationen auf, stand in Zusammenhang mit dem Aufkommen eines soziologischen Rechtsverständnisses und erlangte konkrete Bedeutung i m Streit um Herkunft und Geist des Common Law. Der Gewohnheitscharakter des Rechts verlockte, weil er die Sicherheit und inhaltliche Richtigkeit des Rechts zu verbürgen schien. Die Vorstellung von historischer Entwicklung und organischem Wachstum war weitverbreitet und sprach die anglo-amerikanischen Rechtsdenker auf verschiedenen Ebenen an: als geschichtliche Bedingtheit, ständige Veränderung und als inneren Gesetzen folgende Entfaltung des Rechts. a) Angesichts dieser Vielfalt ist bei Verallgemeinerungen über den Stellenwert der Savigny'sehen Rechtsentstehungslehre i m anglo-amerikanische Denken Vorsicht geboten. Trotzdem lassen sich Themen ausmachen, die immer wiederkehren. Insbesondere drei Beobachtungen bestätigen sich in fast allen Zusammenhängen. Zunächst zeigt sich, daß Savignys Lehren der Welt des Common Law nie gänzlich neu und fremd waren, sondern stets Vorläufer und Verwandte hatten. Die Volksgeistidee ging schon auf Montesqieu, Gibbon und andere zurück; die Überzeugung von der gewohnheitsmäßigen Rechtsentstehung fand sich schon bei Burke; und die Vorstellung von der Geschichtlichkeit des Rechts hatte bei Blackstone und i m allgemeinen Historismus ebenso Parallelen, wie die Idee seines organischen Wachstums mit dem naturwissenschaftlichen Denken der Zeit verwandt war. Die Auseinandersetzung mit Savignys Rechtsverständnis mutete deshalb den anglo-amerikanischen Juristen nie radikales Umdenken zu; vielmehr 292 Vgl. Spencer, Social Statics; Spencer hatte seine Evolutionsvorstellungen allerdings schon entwickelt, bevor Darwins Theorien bekannt wurden. Zum Verhältnis der Lehren Spencers, der Evolutionstheorie und der deutschen historischen Schule vgl. Pollock, Mr. Herbert Spencer's Data of Ethics 366 f.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre konnten sie seine Lehren i m Zusammenhang mit bestehenden Traditionen und allgemeineren Überzeugungen sehen. Das dürfte die Akzeptanz seiner Ideen erleichtert haben. Aus diesem Befund folgt die zweite Beobachtung. Überall wird deutlich, daß bei weitem nicht alle anglo-amerikanischen Vorstellungen, die denen Savignys gleichen, schon deshalb auf ihn zurückgeführt werden können. Eben weil Savignys Ideen stets Vorläufer und Verwandte hatten, müssen sie immer i m Zusammenspiel mit diesen gesehen werden. Während seine Urheberschaft oft zu belegen ist, gab es trotz großer Ähnlichkeit mit seinen Ideen in anderen Fällen andere Quellen. V o r allem aber läßt sich Savignys Einfluß von anderen Beiträgen oft gar nicht mehr trennen, da er mit ihnen zu Überzeugungen verschmolz, die dann Allgemeinbesitz w u r d e n 2 9 3 . Das zeigt sich insbesondere i m Fall der historischorganischen Rechtsauffassung — sie läßt sich etwa bei Maine oder Holmes weder direkt auf Savigny zurückführen noch ganz unabhängig von ihm denken. Savignys Theorie war zwar eine wichtige Quelle des geschichtlichen Rechtsverständnisses der anglo-amerikanischen Juristen, muß diesen Rang aber mit anderen Beiträgen teilen. Schließlich bewirkte dieses Zusammenspiel seiner Ideen m i t anderen, daß sie selten in ihrer ursprünglichen und meist in abgewandelter Form übernommen wurden. I n einer neuen Umgebung und in neuen Zusammenhängen wurden Gestalt und Gehalt verändert. Das lag zum Teil auch daran, daß die angloamerikanischen Empfänger Savignys Vorstellungen oft nur oberflächlich verstanden, wie das bei Carter offensichtlich war. M a n mag die Abwandlungen der Ideen Savignys als Mißverständnisse bedauern oder als Verfälschungen kritisieren; es zeigte sich darin aber auch das große Potential seiner Gedanken, da sich offenbarte, in wieviele Richtungen sie sich entwickeln ließen. So konnte man dem Volksgeistgedanken die verschiedensten Wendungen geben, aus dem Gewohnheitscharakter des Rechts m i t Carter stur die völlige Ohnmacht des Gesetzgebers ableiten, oder die Idee v o m organischen Wachstum biologisch statt kulturgeschichtlich interpretieren. A l l dies sind legitime Weiterentwicklungen Savigny'sehen Denkens, nur darf man sie nicht mit seinen eigenen Vorstellungen gleichsetzen. b) Was aber war an Savignys Rechtsentstehungslehre aus anglo-amerikanischer Sicht so verlockend, daß sie überhaupt ein derart starkes Echo fand? Wenn seine

29 3 Bezeichnend ist etwa das Bekenntnis Pollocks, er stehe nicht nur in Savignys, sondern auch in Maines, Jherings und Holmes' intellektueller Schuld, Pollock , A First Book of Jurisprudence, Preface VII. Typisch Lindsay, der sich in seinen Aufsätzen auf Savingy, Maine, Carter, Maitland, Pollock und andere bezog und deren Gedanken zu seiner eigenen Vorstellung von Rechtswissenschaft verband, Lindsay , The Development of a Scientific View of Law; ders., The Need for a Science of Law. Henry T. Terry berief sich für seine Sicht des Rechts sowohl auf Savigny als auch auf Maine und Holmes, Terry, Some Leading Principles of Anglo-American Law 3 f.

Zweiter Teil: Blütezeit Gedanken meist sowieso nicht ganz neu waren, sie oft genausogut aus anderer Quelle bezogen werden konnten, und sie nicht einmal mit ihrem ursprünglichen Gehalt Aufnahme fanden, warum wurden sie dann so vielfach beachtet und akzeptiert? W i e sich gezeigt hat, gibt es dafür eine ganze Reihe von Erklärungen. Viele davon treffen nur auf einzelne Ideen Savignys zu, wie etwa die tiefe, i m Volksgeistgedanken liegende Einsicht speziell dessen Faszination zu verstehen hilft. Doch lassen sich einige Gründe, die oben in besonderen Zusammenhängen erwähnt wurden, verallgemeinern. Wichtigster Grund für die große Resonanz der Savigny'sehen Rechtsentstehungslehre ist die Funktion, die sie für die anglo-amerikanische Rechtstheorie hatte: Sie lieferte den zunehmend geschichtlich denkenden Common Lawyers die entscheidende theoretische Begründung dafür, daß die Analytical Jurisprudence weitgehend verfehlt oder jedenfalls unvollständig war, und daß es — zumindest auch — einer historischen Rechtsauffassung bedurfte. Seit etwa 1860 wurde immer deutlicher, daß Austins unhistorische Analytical Jurisprudence das Wesen des Rechts nicht wirklich erfassen konnte; zudem klang vor allem amerikanischen Rechtsdenkern seine Definition des Rechts als „command of the sovereign" zu undemokratisch. M i t dem Vordringen des Historismus empfahl sich zwar auch in England und Amerika zusehends eine geschichtliche Betrachtungsweise, die Maine auch schließlich Austin entgegensetzte. Doch mangelte einer historischen Rechtsauffassung in der anglo-amerikanischen Welt das theoretische Fundament, zumal selbst Maine dieses nicht lieferte. M i t anderen Worten: Es fehlte in der Welt des Common Law sowohl an einer klaren Formulierung der Gründe, warum Austin mit seiner unhistorischen Jurisprudenz Unbehagen bereitete, als auch an einer theoretischen Grundlage für ein geschichtliches Rechtsverständnis als überlegener Alternative. Savignys Lehre mit ihrer historischen Erklärung des Ursprungs und Wesens des Rechts bot beides. Z u m einen konnte, wer wollte, mit ihren, ursprünglich gegen das Vernunftrechtsdenken gerichteten Argumenten nicht nur nachweisen, daß Austin Unrecht hatte, sondern auch warum: Die Ableitung des Rechts aus Volksgeist und Gewohnheit sowie die Betrachtung seiner Geschichtlichkeit widerlegten Austins „command theory". Z u m anderen gab Savigny mit diesen Ideen zugleich dem historischen Ansatz seine Grundlage, indem er zeigte, daß und warum der Schlüssel zum Verständnis des Rechts in eben der Geschichte l a g 2 9 4 . So wurde Savigny mit seiner Rechtsentstehungslehre zum zunächst wichtigsten Theoretiker auch der anglo-amerikanischen historischen Schule. Konkurrenz erwuchs ihm darin erst, als Holmes auf den Plan trat.

294 Das führte nicht immer zur Verwerfung der Analytical Jurisprudence, sondern oft zu dem Versuch, analytisches und historisches Rechtsdenken zu vereinen. Ein solches Unternehmen barg allerdings Probleme eigener Art, bei deren Lösung die historische Schule wiederum half, dazu unten B.III.

Α. Die historische Schule als Rechtslehre c) Verstärkt wurden die Attraktivität und W i r k u n g seiner Lehre durch die Art, in der Savigny sie präsentierte. Auch dieser Grund wurde bereits i m Zusammenhang mit der Geschichtlichkeit des Rechts angesprochen, doch gilt auch er ganz allgemein. Beeindruckend an Savignys Darstellung waren ihre Geschlossenheit, ihr Stil, und ihre praktische Untermauerung. Sicher ließen sich die meisten seiner Ideen in der einen oder anderen Form aus einer Vielzahl von Quellen zusammensuchen, von Montesqieu, Gibbon, Hugo oder anderen. E i n solches Potpourri konnte aber niemals denselben Eindruck machen wie Savignys in sich geschlossene Lehre. V o r allem i m Zterw/präsentierte er alle wesentlichen Gedanken wie aus einem Guß. Alles schien zusammenzustimmen und alles auseinander zu folgen. Es fehlte zwar auch hier nicht an potentiellen Widersprüchen, aber sie waren latent und blieben den meisten anglo-amerikanischen Lesern wohl verborgen. Hinzu kam Savignys unnachahmlicher Stil, gegen den Montesqieus Darstellungsweise hölzern, Gibbons verworren und Hugos verstaubt wirkt. M i t seiner am V o r b i l d Goethes ausgerichteten Sprache präsentierte Savigny seine Ideen in einer ruhigen Abfolge und lebendigen Klarheit, deren W i r k u n g sich kaum ein Leser entziehen kann. Freilich ging in den Übersetzungen Haywards und anderer manches davon verloren und waren dem anglo-amerikanischen Leser der deutschen Originale die feinen Nuancen kaum zugänglich, trotzdem blieb Savignys Stil auch dann noch bezwingend. Schließlich beeindruckte Savignys Theorie, weil sie nicht nur Theorie war. Savigny untermauerte sie mit Taten. V o m Ruhm seiner Monographie über den Besitz auch in der anglo-amerikanischen Welt war schon die Rede, aber auch sein System des heutigen römischen Rechts genoß bei vielen Common Lawyers höchstes Ansehen. Savignys Rechtsentstehungslehre war also das Credo eines Wissenschaftlers, in dem sich die tiefe theoretische Einsicht eines Montesqieu mit der umfassenden praktischen Leistung eines Blackstone verband. Das war gerade in der Welt des Common Law wichtig, wo man jedem bloßen Theoretisieren und abstrakten Philosophieren seit jeher skeptisch gegenüberstand. d) Ein letzter, übergreifender Grund für den Erfolg der Rechtsentstehungslehre Savignys war ihre inhaltliche Beschaffenheit. Sein Rechtsverständnis verknüpfte eine Vielzahl wesentlicher Grundgedanken auf so einzigartige Weise, daß es als gemeinsame Basis der verschiedensten Ideen dienen konnte. Volksgeistgedanke und Gewohnheitsrechtstheorie ließen sich für die seinerzeit keimenden soziologischen und psychologischen Rechtsauffassungen nutzbar machen; die Überzeugung von der Geschichtlichkeit des Rechts paßte ebenso in die Tradition des Common Law wie in den allgemeinen Historismus der Zeit; und das Konzept des Organischen konnte mit biologischen Evolutionsideen und allgemein m i t naturwissenschaftlichen Vorstellungen in Verbindung gebracht werden. So war Savignys Theorie ein Dreh- und Angelpunkt, in dem sich die großen Linien

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Zweiter Teil: Blütezeit

schnitten, denen das Denken in jener Zeit überhaupt folgte. A u c h hierin kam ihr nur das facettenreiche Rechtsverständnis eines Holmes gleich. Savignys Rechtsentstehungslehre wirkte damit wie ein Katalysator, der die Verschmelzung in sich sehr verschiedener Denkweisen ermöglichte. Kulturelles, geschichtliches, soziologisches und naturwissenschaftliches Denken konnten sich auf ihrer Grundlage treffen und zu einem neuen Rechtsverständnis verbinden. Aus diesem neuen Rechtsverständnis, und damit auch aus Savignys Lehre, erwuchs der Glaube der Anglo-Amerikaner an eine neue Jurisprudenz, die auch das Common Law zu einer wahren Wissenschaft erheben sollte. Ihr Kern war die geschichtliche Methode. So war es kein Wunder, daß die deutsche historische Schule der Classical Legal Science zum V o r b i l d wurde.

B. Die historische Schule als Methode: Faszination und Verheißung der geschichtlichen Rechtswissenschaft „ W e are l i v i n g in an age of scientific scholarship," stellte Joseph Beale 1905 in der schon zu Beginn der Einleitung zitierten Textstelle fest 2 9 5 . Es klang darin das ganze Selbstbewußtsein seiner Zeit an. A u f der Grundlage des durch Savigny, Maine, Holmes und andere vertieften und geschichtlich gewordenen Rechtsverständnisses blühte die Jurisprudenz in der Classical Era zur modernen Wissenschaft auf. W i e die deutsche historische Schule mitgeholfen hatte, das neue, geschichtliche Rechtsverständnis der anglo-amerikanischen Juristen zu prägen, so wurde sie nun zu einem der Vorbilder für die daraus erwachsende Legal Science 296. Dadurch trug sie zur Herausbildung der amerikanischen Rechtswissenschaft jener Zeit bei. U m diese Vorbildfunktion und W i r k u n g geht es i m folgenden. Die historische Schule w i r d nun allerdings unter verändertem Gesichtspunkt betrachtet. I m Mittelpunkt steht nicht mehr ihre Aussage über Wesen und Ursprung des Rechts, sondern ihr daraus folgendes Programm für seine wissenschaftliche Behandlung; sie interessiert also nicht mehr als Erklärung, sondern als Methode. Der Schwerpunkt verschiebt sich deshalb von der historischen Schule i m engeren Sinne, der Rechtsentstehungslehre Savignys, zu ihrer umfassenderen Bedeutung als die das deutsche 19. Jahrhundert beherrschende, geschichtlich-systematische Jurisprudenz überhaupt 2 9 7 . a) U m zu verstehen, wie und warum die deutsche historisch-systematische Rechtswissenschaft auf die anglo-amerikanischen Vorstellungen von Legal 295 Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 283; s. o. Einleitung Anm. 1. 296 Das stellt etwa Amos, A Systematic View of the Science of Jurisprudence 505, deutlich heraus. 297 Vgl. dazu oben Einleitung (b).

. Die historische Schule als

ethe

Science wirkte, muß man sich zunächst ein B i l d von diesen Vorstellungen machen. Das ist nicht ganz leicht, da es eine einheitliche Begriffsbestimmung der Legal Science selbst in ihrer Blütezeit nicht gab; ganz i m Gegenteil, so groß die Einigkeit darüber war, daß Recht eine Wissenschaft sei, so groß schien die Verwirrung darüber, was das eigentlich bedeutete — „logical deduction from immutable and universal p r i n c i p l e s " 2 9 8 oder „accurate investigation of d e t a i l s " 2 9 9 , „a reasoned body of principles for the administration of j u s t i c e " 3 0 0 oder einfach „knowledge arranged in an orderly manner" 3 0 1 ? In vielen Fällen ging es den Common Lawyers auch nur um das „Schlagwort der Wissenschaftlichkeit mit allem seinem idealistischen Z a u b e r " 3 0 2 , das sie benutzten, ohne weiter darüber nachzudenken 3 0 3 . Schaut man hinter die Schlagworte und vielfältigen Formeln, so lassen sich jedoch einige wesentliche Richtungen unterscheiden. W i e bei der Erklärung von Ursprung und Wesen des Rechts, so handelte es sich auch in der Methodendiskussion, sieht man von Nachwirkungen naturrechtlichen Denkens ab, vor allem u m die miteinander konkurrierenden Ansätze der Analytical Jurisprudence und der geschichtlichen Erforschung des Rechts. Die aus England stammende Analytical Jurisprudence verstand unter Legal Science vor allem die begriffliche Erfassung und logische Systematisierung des positiven Rechts. Austin und seine Nachfolger betrachteten das i m Laufe der Jahrhundert entstandene Common Law als Wildwuchs ohne rationale Struktur und somit einer modernen Gesellschaft nicht würdig. Sie bemühten sich deshalb um die Entwicklung einer allgemeinen Rechtslehre, mit deren Hilfe Ordnung in das Chaos gebracht werden sollte. Da sie gerade nach allgemeingültigen Prinzipien und Strukturen suchten, verzichteten sie bewußt auf eine historische, in vielen Fällen auch auf eine national gebundene Sichtweise. Die Analytical Juris2

98 299 300 301

Robinson, Legal Education: Its Purposes and Methods 179. Holmes, Brief an Pollock vom 4. März 1888, Holmes-Pollock Letters 131. Pound, Mechanical Jurisprudence 606. Fowler, Codification in the State of New York 44. 302 Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I / 2 248. Auch als Schlagwort war die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz allerdings, im angloamerikanischen Rechtskreis wie in Deutschland, nicht ohne Bedeutung. Nur lag diese Bedeutung nicht im Bereich der Methodik, sondern auf dem Gebiet der Rechtskultur und im Reich der Ideologie; dazu unten C. 303 Dazu Gordon, Besprechung von White, Tort Law in America 909 f. Vielen Zeitgenossen waren die Unschärfe und Vielfalt der Bedeutungen des Wissenschaftsbegriffs durchaus bewußt, so etwa Bishop, The First Book of Law 58 f.; später machte das Yntema, The Implications of Legal Science, sehr deutlich. Erstaunlich bleibt, daß selbst führende anglo-amerikanische Rechtsdenker mitunter über Legal Science schrieben, ohne sich ernsthaft Rechenschaft darüber abzulegen, was sie damit eigentlich meinten, vgl. etwa Pound, The Spirit of the Common Law 150,155,164,205; Bor chard, Jurisprudence in Germany. Ähnliches gilt, wo man es angesichts der eingehenden Methodendiskussion im deutschen 19. Jahrhundert nicht erwarten sollte, nämlich bei Rudolf Leonhard in seinem Vortrag an der Columbia Law School, Methods Followed in Germany by the Historical School of Law.

Zweiter Teil: Blütezeit prudence

erreichte dadurch einen vergleichsweise hohen Abstraktionsgrad und

wurde unvermeidlicherweise spekulativ. I m Gegensatz dazu suchte die historische Richtung, die man als Historical Jurisprudence i m engeren Sinne bezeichnen kann, gerade in der Geschichte und in den nationalen Eigenheiten eines Volkes nach der Erklärung des Rechts. Legal Science bedeutete hier die Erforschung der tatsächlichen Rechtsentwicklung mit dem Ziel, die sich darin offenbarenden Grundsätze und Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. Zwar hofften auch die Vertreter dieser Richtung, letztendlich allgemeingültige Prinzipien zu finden, doch richteten sie ihre Aufmerksamkeit nicht auf die abstrakten Ideen, sondern auf die konkreten Befunde des Rechts. Diese Beschreibungen sind allerdings lediglich Idealtypen. I n der Wirklichkeit war die anglo-amerikanische Jurisprudenz der Classical Period, wie die deutsche historische Schule auch, ein Konglomerat verschiedener Abwandlungen und Mischformen dieser Grundideen. Zudem verschob sich der Schwerpunkt, in den U S A stärker als in England, i m Laufe der Classical Period allmählich von der abstrakt-analytischen zur konkret-historischen Methode. b) M a n muß die Koexistenz dieser Ansätze und die allmähliche Verschiebung des Schwerpunktes vor dem Hintergrund eines allgemeinen Wandels i m Wissenschaftsverständnis sehen. Natürlich war v o m Common Law als „science" schon vor der Classical Period die Rede gewesen. Soweit sich damit überhaupt methodologische Vorstellungen verbanden 3 0 4 , entsprachen diese aber zunächst noch dem Wissenschaftsverständnis des 18. Jahrhunderts. Gemeint war mit „science" seinerzeit vor allem die Ermittlung oberster Prinzipien und die systematische Ordnung des Wissens als „regular well-compacted system" 3 0 5 . V o r b i l d war die Philosophie, von der auch die spekulativ-deduktive Methode übernommen w u r d e 3 0 6 . Trotz ihrer klaren A b sage an naturrechtliche Spekulation entsprach die Analytical Jurisprudence als Methode i m wesentlichen noch dieser älteren, auf eine Ordnung abstrakter Prinzipien zielenden Science. 304 Das war schon zu jener Zeit oft nicht der Fall, auch nicht bei Kent, A Lecture, Introductory to a Course of Law in Columbia College 99 f. Vgl. auch Rush, American Jurisprudence 45 ff. 305 Timothy Dwight, Travels in New England and New York IV 295 (über den Rechtsunterricht an der Lichtfield Law School im frühen 19. Jahrhundert), zitiert nach Sutherland, The Law at Harvard 28. 306 Die Ähnlichkeit zwischen diesem älteren Verständnis des Common Law als „science" und dem kontinentalen Begriff der Jurisprudenz vor Kant ist augenfällig. Vgl. dazu Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre von der „praktischen Jurisprudenz" auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert 82 ff. Allerdings bestanden neben den Ähnlichkeiten im grundsätzlichen Verständnis erhebliche Unterschiede in der praktischen Ausführung. So läßt sich Blackstone zwar als Systematiker alten Stils bezeichnen, deshalb aber noch lange nicht mit Christian Wolff gleichsetzen, da es ihm viel weniger als diesem um stringente philosophische Ableitung und viel mehr um bloße Feststellung und Ordnung wirklich bestehender Rechtsregeln ging; vgl. dazu oben Erster Teil Anm. 51 ff. und Text.

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3

W i e in Europa, so fand auch in der anglo-amerikanischen Welt um die M i t t e des 19. Jahrhunderts ein „ParadigmenWechsel" statt 3 0 7 , als sich unter dem Einfluß Comtes und Darwins ein moderneres Wissenschaftsverständnis entwickelte. Diesem Verständnis zufolge ging es darum, durch Beobachtung von Tatsachen Gesetzlichkeiten zu erkennen, und diese in ihrem Verhältnis zueinander zu begreifen. Die neue Wissenschaft gründete sich also auf die empirische Ermittlung des Stoffs mit dem Ziel induktiver Schlüsse auf allgemeine Grundsätze 3 0 8 . Als V o r b i l d dienten nun die Naturwissenschaften, deren Methoden auch andere Disziplinen zu kopieren suchten. So übertrugen sich die neuen Vorstellungen etwa auf die Geschichtsforschung 3 0 9 und bald auch auf die Jurisprudenz. Das meinte Beale, wenn er schrieb: „ W e have abandoned the subjective and deductive philosophy of the middle ages, and we learn from scientific observation and from historical discovery." 3 1 0 M i t ihrer Betonung konkreter Beobachtung geschichtlicher Tatsachen und mit ihrem Z i e l induktiver Ermittlung darin waltender Gesetzlichkeiten entsprach die historische Richtung der Jurisprudenz weitgehend diesem neuen Wissenschaftsbegriff. M i t dem allmählichen Übergang v o m älteren, abstrakt-spekulativen zum neueren, konkret-empirischen Wissenschaftskonzept verlor der Ansatz der Analytical Jurisprudence deshalb zusehends an Überzeugungskraft und wandten sich die Common Lawyers mehr und mehr der historischen Bearbeitung des Stoffs zu. Allerdings verdrängten die neueren Vorstellungen die älteren keineswegs vollständig, weder in der Wissenschaft allgemein noch in der Jurisprudenz. Hier überlagerte vielmehr die historische Richtung die analytische, sodaß beide gleichzeitig existierten 3 1 1 . c) I n der Legal Science der Classical Period kamen nicht nur beide Richtungen vor, sie sollten vor allem auch miteinander verbunden werden. I n dieser Verbindung lag geradezu das Wesensmerkmal der Classical Legal Science. Das deutete

3°7 Zum Phänomen des „Paradigmenwechsels" Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, insbesondere Kap. V I - X , 52 ff. 308 Vgl. Veysey, The Emergence of the American University 133 f. Eine gute Zusammenfassung der „knowledge revolution" in Amerika dieser Zeit gibt White, Tort Law in America 20 ff. Dem älteren Verständnis zufolge waren empirische Methode und Wissenschaftlichkeit nicht Bedingung füreinander, sondern eher Gegensätze gewesen; so schrieb Holmes noch in einem seiner früheren Aufsätze: „Law is not a science, but is essentially empirical . . . although the general arrangement should be philosophical", Holmes, Codes and the Arrangement of the Law 4. 309 Dazu Herbst, The German Historical School in American Scholarship 56 f. 310 Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 283. 311 Das zeigte sich etwa darin, das führende Rechtstheoretiker der Classical Era durchaus ein Nebeneinander mehrerer Methoden anerkannten, vgl. etwa Bryce, The Methods of Legal Science 608 f.; Pound, Introduction to the Study of Law 3 f. Dieses Nebeneinander verschiedener methodischer Ansätze erklärt zum Teil das oben beschriebene Durcheinander der Wissenschaftsdefinitionen, das wohl keiner Übergangszeit erspart bleibt.

Zweiter Teil: Blütezeit sich schon in der berühmt gewordenen Formulierung ihres Programms durch Christopher Columbus Langdells an: „Law, considered as a science, consists of certain principles or doctrines . . . Each of these doctrines has arrived at its present state by slow degrees; in other words, it is a growth, extending in many cases through centuries. This growth is to be traced in the main through a series of cases . . . Moreover, the number of fundamental legal doctrines is much less than is commonly supposed. I f these doctrines could be so classified and arranged that each should be found in its proper place, and nowhere else, they would cease to be formidable from their number." 3 1 2 Wesen der Legal Science war es demnach, die Entwicklung des in Cases verkörperten Rechts zu studieren, um dadurch die ihm zugrundeliegenden Prinzipien zu erkennen, und sodann diese Prinzipien in eine logische Ordnung zu bringen. M i t diesem Programm hatte Langdell nach Ansicht der Zeitgenossen die Jurisprudenz mit einem Schlag zur Wissenschaft gemacht 3 1 3 . d) Indessen war dieser Ansatz längst nicht so originell, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Ganz abgesehen davon, daß seine Grundgedanken sich schon bei Bacon, Blackstone und anderen fanden, war er zwei seinerzeit vielbeachteten Wissenschaftskonzepten frappierend ähnlich. Unübersehbar ist zunächst die Verwandtschaft zwischen Langdells Vorstellungen und der Methode der zeitgenössischen B i o l o g i e 3 1 4 . Langdell liest sich beinahe wie eine sehr vereinfachte Version Darwins. M a n braucht nur die Cases durch Lebewesen und das Recht durch Tierarten zu ersetzen, u m in Langdells Rechtsverständnis eine Evolutionstheorie und in seinem Wissenschaftskonzept eine Variante D a r w i n s c h e r Methodik zu erkennen. Langdell drückte damit auf einprägsame Weise die sich allmählich verbreitende Ansicht aus, die Jurisprudenz sei eine Wissenschaft wie die Natural Sciences auch, nur daß sie sich mit der Genese und Ordnung der Prinzipien des Rechts statt mit der Entwicklung und den Gesetzen der natürlichen Welt beschäftige. V o n daher war es nur konsequent, daß Langdell seinen Kollegen in Harvard erklärte: „the law library . . . is to us all that the laboratories of the university are to the chemists and physicists, the museum of natural history to the zoologists, the botanical garden to the botan i s t s " 3 1 5 . Ä h n l i c h hatte zehn Jahre zuvor schon Maine die Jurisprudenz gesehen 3 1 6 , 312

Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts, Preface V I f. 313 Vgl. Redlich, The Common Law and the Case Method 16 f. 314 Dazu ausführlich und überzeugend Speciale, Langdell's Concept of Law as Science: The Beginnings of Anti-Formalism in American Legal Theory. 315 Langdell, Harvard Celebration Speech 124. Die Vorstellung von der Bibliothek als Laboratorium der Rechtswissenschaft erfreute sich allgemein großer Beliebtheit, etwa bei Beale, The Place of Professional Education in the Universities 46; ähnlich bei Keener und Pound, dazu Stevens, Law School 119. 316 Maine, Ancient Law 2. Maine verglich die Jurisprudenz mit der Geologie, der Physik und der Physiologie und rief dazu auf, deren Methoden auch für die Jurisprudenz fruchtbar zu machen.

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und ähnlich sah sie eine ganze Generation anglo-amerikanischer Rechtsdenker nach L a n g d e l l 3 1 7 . Wenn auch stets Zweifel an der prinzipiellen Gleichheit zwischen Natur- und Rechtswissenschaft blieben 3 1 8 , so war doch schon den Zeitgenossen unverkennbar, daß die Natural Sciences bei der Entwicklung der Classical Legal Science Pate gestanden hatten. Das amerikanische Konzept der Rechtswissenschaft, dem Langdell zuerst Ausdruck gegeben hatte, kam aber auch den Vorstellungen der deutschen historischen Schule von einer geschichtlich-systematischen Bearbeitung des Rechts äußerst nahe 3 1 9 . Dieses Konzept erwies sich nämlich wie sein deutsches Gegenstück als eine Jurisprudenz des positiven Rechts, in der geschichtliches Verständnis und systematische Ordnung eine Verbindung zu wahrer Wissenschaft eingehen sollten. Das war bei Langdell schon in aller Kürze angedeutet, wurde aber erst unter seinen Nachfolgern ausformuliert und ausgeführt. Bei genauerem Hinsehen ergab sich danach, daß Classical Legal Science und deutsche historische Schule grundsätzlich von demselben wissenschaftlichen Programm ausgingen: Das Recht war zunächst geschichtlich zu erfassen und sodann in eine systematische Ordnung zu bringen; dabei sollten beide Schritte allerdings miteinander verbunden sein, sodaß sich die systematische Ordnung gerade aus der Beschaffenheit der historisch gewachsenen Prinzipien ergab und diese widerspiegelte. e) Inwieweit diese Parallelen dem Einfluß der deutschen Rechtswissenschaft auf die anglo-amerikanische Legal Science zu verdanken waren, ist eine schwierige und keinesfalls pauschal zu beantwortende Frage. Fest steht aber, daß sich die führenden anglo-amerikanischen Rechtsdenker der Classical Era der Parallelen zwischen ihrem eigenen Konzept und dem Programm der historischen Schule wohl bewußt waren. Sie sahen sich, mit anderen Worten, dazu aufgerufen, das Common L a w nun so zu bearbeiten, wie ihre deutschen Kollegen das deutsche und gemeine, d. h. moderne römische Recht in den vergangenen fünfzig Jahren bearbeitet hatten. Deshalb lag es nahe, daß sich die anglo-amerikanischen Legal Scientists an der geschichtlich-systematischen Jurisprudenz der deutschen histori-

317 So meinte etwa Pollock: „ . . . the cases appear to me precisely parallel. Geometry is the science of space, and physics is the science of matter, in the same way that jurisprudence is the science of laws." Pollock, The Nature of Jurisprudence 27. Ähnlich argumentierte Amos, The Science of Jurisprudence 9, 16 etc.; bezeichnenderweise erschien Amos' Abhandlung in der in New York herausgegebenen Reihe „The International Scientific Series", deren weitere Bände sich mit Biologie, Chemie, Medizin, Physik und Psychologie, aber auch mit Religion, Linguistik und Soziologie beschäftigten. Selbst Holmes erklärte noch 1918 seine Vorstellung, die Jurisprudenz sei im Grunde nur eine Voraussage über das Verhalten der öffentlichen Gewalt, mittels eines Vergleichs mit der „force of gravitation accounting for the conduct of bodies in space", Holmes, Natural Law 313. 318 Vgl. etwa Wambaugh, Is Law a Science? 579 f. 319 Vgl. zum Rechtswissenschaftsbegriff der historischen Schule Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 367 ff.; Reimann, Nineteenth Century German Legal Science.

Zweiter Teil: Blütezeit sehen Schule orientierten. Das galt in Bezug auf die drei großen, in diesem Wissenschaftskonzept enthaltenen Herausforderungen. Zunächst mußte es um die geschichtliche Erfassung und Durchdringung des Rechtsstoffes gehen. Hier gab es in Theorie und Praxis wichtige Beziehungen zwischen historischer Schule und Classical Legal Science (dazu sogleich I.). Beide faßten die Jurisprudenz als historische Rechtswissenschaft auf. I n der praktischen Umsetzung dieser Idee hatten Savigny und seine Nachfolger sowohl romanistischer wie germanistischer Prägung Pionierarbeit geleistet, indem sie die moderne wissenschaftliche Rechtsgeschichte begründet hatten. Sie wurden dadurch zu Wegweisern für ihre anglo-amerikanischen Kollegen. Zweitens galt es, den Rechtsstoff begrifflich zu erfassen und systematisch zu ordnen. A u c h hierin setzte die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts die Maßstäbe für die W e l t des Common Law. Das zeigte sich am deutlichsten i n der Analytical Jurisprudence in England, ist aber auch i m amerikanischen Rechtsdenken spürbar, wenn man die Rechtswissenschaft als Ordnung der Begriffe verstand (II.). Das Hauptproblem bestand darin, die Verbindung zwischen Geschichte und System herzustellen. Schließlich sollte gerade die historische Durchdringung des Rechts seine systematische Ordnung ermöglichen. Das verlangte von den Common Lawyers, in der Geschichte des Rechts Prinzipien zu finden, die sich zu einem logischen System zusammenfügten — eine Aufgabe, die angesichts der Masse des Rechtsstoffs ebenso dringend war, wie sie aufgrund seiner Vielfalt hoffnungslos schien. Hier gab ein B l i c k auf Savignys Rechtsentstehungslehre und auf die deutsche Pandektistik Zuversicht, daß diese Aufgabe m i t dem Mitteln der Wissenschaft w i r k l i c h zu bewältigen war. Es wurde allerdings auch deutlich, daß die Classical Legal Science, wie die historische Schule, nicht nur v o m Positivismus, sondern auch noch vom Idealismus geprägt war (III.). So sehr sich viele anglo-amerikanischen Vertreter der Classical Legal Science in diesen Punkten an der deutschen, geschichtlich-systematischen Rechtswissenschaft orientierten, so wenig ließen sie sich allerdings v o m deutschen V o r b i l d versklaven. Sie standen der deutschen Jurisprudenz mitunter durchaus skeptisch gegenüber und lehnten ihre Prämissen und Errungenschaften gelegentlich ab. Deshalb kann es sich auch i m folgenden nicht darum handeln, einen möglichst großen deutschen Einfluß zu beweisen. Vielmehr geht es darum zu zeigen, daß und warum die historische Schule für viele anglo-amerikanische Juristen der Inbegriff von Rechtswissenschaft war, und wie sie sich m i t ihr auseinandersetzten.

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I. Das historische Element: Theorie und Praxis der geschichtlichen Erforschung des Rechts Die geschichtliche Erforschung des Rechts war sowohl für die historische Schule als auch für die Classical Legal Science Grundlage und Ausgangspunkt der modernen Rechtswissenschaft. Das galt zum einen für das theoretische Verständnis der Jurisprudenz, zum anderen für ihre praktische Bearbeitung. Als theoretische Grundlage moderner Jurisprudenz schien nach beiden Auffassungen eine historische Betrachtung des Rechts unverzichtbar. Das folgte schon aus dem positivistischen Wissenschaftskonzept der Zeit, ergab sich aber auch aus der gemeinsamen Rechtsauffassung. So verstanden sich historische Schule und Classical Legal Science gleichermaßen als geschichtliche Rechtswissenschaft (1.). I n der praktischen Bearbeitung mußte deshalb die historische Erforschung des Rechts den ersten Schritt darstellen. Hier ging es darum, zu den Ursprüngen zurückzukehren, um von dort aus die Entwicklung hin zur Gegenwart nachzuvollziehen, wodurch sich wiederum die Grundprinzipien des Rechts offenbaren sollten. Bei diesem Unternehmen war den Common Lawyers die deutsche Forschung das Maß aller Dinge (2.). Sowohl i m theoretischen Verständnis wie in der praktischen Umsetzung ahmten aber die Rechtshistoriker des Common Law das deutsche V o r b i l d keineswegs blind nach. Sie dachten und schrieben vor einem anderen Hintergrund und in anderen Zusammenhängen. Daraus ergaben sich hinsichtlich der Bearbeitung und der Funktion der Rechtsgeschichte wichtige anglo-amerikanische Sonderwege und Eigenarten (3.).

1. Die Jurisprudenz

als geschichtliche

Rechtswissenschaft

Die vielleicht tiefste Gemeinsamkeit zwischen historischer Schule und angloamerikanischer Classical Legal Science bestand in der Ansicht, daß wahre Rechtswissenschaft unweigerlich geschichtlich sein müsse. Diese geteilte Überzeugung beruhte ihrerseits auf zwei gemeinsamen Grundlagen: Dem positivistischen Wissenschaftskonzept, und dem geschichtlichen Rechtsverständnis. a) Die Geschichtlichkeit der Jurisprudenz folgte zunächst aus dem Konzept einer Wissenschaft vom positiven Recht, das historische Schule und Classical Legal Science teilten. Dabei gab es zwischen ihnen grundlegende Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede. Diese werden am besten deutlich, wenn man sich zuerst der historischen Schule, dann der anglo-amerikanischen Rechtswissenschaft zuwendet. Ausgangspunkt der historischen Schule war die Entscheidung zugunsten einer Konzentration auf das positive Recht. Diese Entscheidung beruhte bei Savigny 7 Reimann

Zweiter Teil: Blütezeit auf der Philosophie Kants mit ihrer strengen Unterscheidung zwischen Erkenntnis a priori und Erkenntnis aufgrund von Erfahrung. So unterschied Kant auch bezüglich des Rechts konsequent zwischen der Frage nach seiner Gerechtigkeit, die nur a priori zu beantworten und deshalb der Rechtsphilosophie aufgegeben war, und der Frage nach seinem Inhalt, die nur durch die Kenntnis des positiven Rechts, d. h. durch Erfahrung zu erlangen war und deshalb Aufgabe der „Lehre des positiven Rechts" b l i e b 3 2 0 . Savignys Vorstellung von Rechtswissenschaft betraf von vornherein nur die zweite Kategorie, d. h. die „Lehre des positiven Rechts". Unter klarer Absage an philosophisches Nachsinnen über Gerechtigkeit i m Sinne einer abstrakten Metaphysik oder des Naturrechts verstand Savigny die Jurisprudenz als Wissenschaft des w i r k l i c h bestehenden Rechts. Ihr Konzept war deshalb positivistisch in dem Sinne, daß sich die Rechtswissenschaft nur mit den positiven Rechtssätzen zu befassen hatte 3 2 1 . Diese Rechtssätze konnten aber nur der Geschichte entnommen werden und waren deshalb „historisch". Dabei darf man „historisch" nicht i m Sinne weit zurückliegender oder schon abgeschlossener Vergangenheit verstehen. Vielmehr war damit alles gemeint, was bereits entstanden und deshalb T e i l der Wirklichkeit war. Das „Historische" war also das (schon) Gegebene, i m Gegensatz etwa zum bloß Erdachten. Da sich die Jurisprudenz mit den positiven, also bereits gegebenen Rechtssätzen beschäftigte, war ihr Gegenstand in diesem Sinne „historisch" und sie selbst eine „historische" Wissenschaft. Savigny faßte diese Gedanken schon in der Methodenlehre prägnant zusammen: „Alles Wissen von einem objektiv Gegebenen nennt man historisches Wissen"; als Wissenschaft v o m positiven Recht „muß . . . folglich der ganze Charakter der Gesetzgebungswissenschaft historisch s e i n " 3 2 2 . So gesehen waren Wissenschaft v o m positiven Recht und historische Jurisprudenz dasselbe 3 2 3 . Die gedanklichen Zusammenhänge auf anglo-amerikanischer Seite waren ähnlich aber nicht gleich, denn sie beruhten nicht auf der Erkenntniskritik Kants, sondern auf dem Wissenschaftsverständnis des mittleren 19. Jahrhunderts. Doch kehren darin dieselben Grundprobleme wieder. Ausgangspunkt war auch hier die Überzeugung, daß eine moderne Legal Science auf alle metaphyische Spekulation verzichten und deshalb Jurisprudenz 320 Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre A. 229 f. 321 Vgl. Savigny, Juristische Methodenlehre 50. Zum Positivismus insbesondere bei Savigny eingehend Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny 408 ff. 322 Savigny, Juristische Methodenlehre 14. 323 Stühler, Die Diskussion um die Erneuerung der Rechtswissenschaft von 17801815 24, bezeichnet diese Auffassung deshalb als „empirisch-geschichtliche". Da Wissenschaft vom positiven Recht in diesem, kantischen Sinne immer eine „historische" war, konnte sich auch die deutsche Jurisprudenz von Savigny bis Windscheid, einschließlich der ansonsten ahistorischen Begriffsjurisprudenz, guten Gewissens als „geschichtliche Rechtswissenschaft" verstehen.

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des positiven Rechts sein müsse 3 2 4 . In der Classical Era ging diese Überzeugung allerdings nur zu geringem Teil auf Savigny und überwiegend auf Comte und Darwin und die seinerzeitigen Naturwissenschaften zurück. Deshalb lag der Classical Legal Science auch ein anderes Positivismus Verständnis zugrunde. Es erschöpfte sich nicht mehr in der Absage an abstraktes Philosophieren, sondern verlangte von einer wahren Wissenschaft, daß sie empirisch i m modernen Sinne sein müsse, d. h. daß sie sich, wie die Naturwissenschaften, auf die Beobachtung von Tatsachen gründe. Wollte die Jurisprudenz also eine moderne Wissenschaft in diesem Sinne sein, so mußte sie sich mit „facts" beschäftigen. Das erkannten die Juristen der Classical Era in ihrer Begeisterung für die Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz zwar bereitwillig a n 3 2 5 , doch brachte sie diese Prämisse in erhebliche Verlegenheit. W o r i n bestanden denn die „facts" des Rechts? Die Frage war nicht so leicht zu beantworten wie in den Naturwissenschaften, denen die Tatsachen in der natürlichen Welt vorgegeben waren. Es gab deshalb eine Vielzahl unterschiedlicher Auffassungen darüber, was die empirische Grundlage der Jurisprudenz eigentlich ausmachte. Letztendlich liefen aber alle darauf hinaus, daß sich diese mit den Gerichtsentscheidungen zu beschäftigen habe 3 2 6 . W i e der Geologe die Steine und der Biologe die Pflanzen zum Gegenstand seiner Forschung machte, ging es also dem Rechtswissenschaftler um Cases. Langdell gab dieser Auffassung lebendigen Ausdruck, indem er die juristische Bibliothek mit dem Laboratorium, Museum und botanischen Garten der Naturwissenschaftler v e r g l i c h 3 2 7 . Ging es aber in der Legal Science des Common Law um Cases, so stand damit auch hier der historische Charakter der Rechtswissenschaft fest. Denn auch hier konnte nur die Geschichte das maßgebliche Material, die „facts" liefern 3 2 8 — um Gerichtsurteile wissenschaftlich untersuchen zu können, mußten sie bereits gefällt und in Entscheidungssammlungen abgedruckt, also bereits T e i l der Ge-

324 Vgl. etwa Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 283; Lindsay, The Development of a Scientific View of Law 526 ff.; Pollock , The Nature of Jurisprudence 26. 325 Amos, The Science of Jurisprudence 9, 18; Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 338 f.; Lindsay, The Need for a Science of Law 728 ff.; Pollock, The Nature of Jurisprudence 26. 326 Damit legte die Classical Legal Science wie die historische Rechtsschule die Rechtssätze selbst ihrer Wissenschaft zugrunde, nicht die dem Recht zugrundeliegenden Tatsachen. Als die Rechtswissenschaft später begann, sich letztere zum Gegenstand zu machen, sich also mit den anthropologischen oder psychologischen, politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Hintergründen rechtlicher Entscheidungen zu befassen, trat ein neuerlicher „Paradigmenwechsel" ein, der vor allem in den USA zum Rechts Verständnis des 20. Jahrhunderts führte; dazu unten Dritter Teil A. und B. 327 Vgl. oben Anm. 315 und Text. 328 Vgl. Bryce, The Methods of Legal Science 623 f.; zwar hielt Bryce neben der historischen auch andere Methoden der Jurisprudenz für brauchbar, jedoch zog er die historische Methode vor, weil sie allein „facts" geben könne. 7*

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Zweiter Teil: Blütezeit

schichte sein 3 2 9 . Für die Legal Scientists Langdell'scher Prägung war eine Wissenschaft v o m positiven Recht zwar nicht, wie bei Savigny, schon begrifflich identisch mit einer historischen Jurisprudenz; die Beobachtung von „facts" als Grundlage moderner Rechtswissenschaft wurde aber mit der geschichtlichen Sichtweise praktisch gleichgestellt 3 3 0 . Denn die Geschichte war für die Jurisprudenz Ursprung und Hort ihres Materials, wie die natürliche Welt die Fakten etwa der Biologie enthielt. Deshalb war die Biologie eine Natur-, die Jurisprudenz aber eine historische Wissenschaft. Letztendlich waren sich also historische Schule und Classical Legal Science trotz eines unterschiedlichen Positivismusverständnisses in den wesentlichen Punkten einig und gleich: Die Jurisprudenz mußte eine Wissenschaft v o m positiven Recht sein; also hatte sie sich mit den bestehenden Rechtssätzen zu beschäftigen; diese ließen sich aber nur in der Geschichte finden; da sie ihr Material demnach aus der Geschichte bezog, war die Jurisprudenz selbst notwendigerweise historisch. b) Dieses grundsätzlich gleiche Verständnis der Jurisprudenz war natürlich kein Zufall. Vielmehr hatten die Gemeinsamkeiten i m wesentlichen zwei Gründe. Z u m einen waren historische Schule und Classical Legal Science deshalb innerlich miteinander verbunden, weil beide in ähnlicher Weise von den großen Ideen des 19. Jahrhunderts geprägt waren. Beide gehörten ins Zeitalter der Erfahrungswissenschaften, sodaß beide schon deshalb von einem positivistischen Rechtswissenschaftskonzept ausgingen. Allerdings fiel ihr Positivismus unterschiedlich aus: Die historische Schule verstand ihn noch geisteswissenschaftlichgeschichtlich, die Classical Legal Science ein halbes Jahrhundert später schon vorwiegend naturwissenschaftlich-empirisch. Z u m anderen war die gemeinsame Überzeugung v o m positivistisch-historischen Charakter der Jurisprudenz aber auch das Ergebnis deutschen Einflusses auf die anglo-amerikanischen Vorstellungen. Viele anglo-amerikanische Rechtsdenker sahen in der historischen Schule nämlich das V o r b i l d einer Wissenschaft v o m positiven Recht als historischer Disziplin. Das klang schon bei Beale an, als dieser die historische Schule in unmittelbare Verbindung mit moderner Wissenschaftlichkeit brachte; „scientific observation" und „historical discovery" wurden hier in einem Atemzug genannt 3 3 1 . Es drückte sich i n Montmorencys Gleichstellung Savignys mit Newton und Darwin aus: Savigny habe, wie Newton, eine Welt der (juristischen) Phänomene vorgefunden und wie Darwin das Evolutionsgesetz (des Rechts) darin entdeckt 3 3 2 . Vollends deutlich wurde die Vorbildfunk329 Vgl. Grey, Langdell's Orthodoxy 30. 330 Vgl. Beale, The Development of Jurisprudence During the Past Century 283; Lindsay, The Development of a Scientific View of Law 530, 572; Taylor, The Science of Jurisprudence 246 f. 331 Vgl. oben Einleitung Anm. 1 und Text. 332 Montmorency, Friedrich Carl von Savigny 586.

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tion der historischen Schule bei Hannis Taylor, der sie als Verkörperung der „science of positive l a w " präsentierte 3 3 3 . Diesen und anderen anglo-amerikanischen Rechtsdenkern war die historische Schule die praktische Veranschaulichung der theoretischen Verbindung von Positivismus und Geschichtlichkeit in der Rechtswissenschaft. 334 c) Die unbedingte Notwendigkeit einer geschichtlichen Jurisprudenz folgte aber nicht nur aus dem positivistischen Konzept der Wissenschaft, sondern auch aus dem historischen Verständnis des Rechts, das historische Schule und Classical Legal Science teilten. Hier ging es nicht mehr u m „historisch" i m kantischen Sinne von „gegeben und erfahrbar", sondern i m organisch-evolutionistischen Sinne von „wachsend und werdend". Sowohl historische Schule als auch das anglo-amerikanische Rechtsdenken gingen davon aus, daß das Sein des Rechts durch sein Werden bestimmt war. Wenn sie das Recht deshalb als Produkt organischen Wachstums sahen, so faßte die historische Schule das zwar eher kulturhistorisch, die Classical Legal Science mehr biologisch und evolutionistisch a u f 3 3 5 . Gemeinsam war beiden aber die Überzeugung, daß das Recht als Ergebnis geschichtlicher Entwicklung dieser auch weiterhin unterworfen war. Daraus ergab sich notwendigerweise, daß das Recht nur in historischer Perspektive wissenschaftlich zu erfassen sei. Weder Hugo oder Savigny noch Langdell oder Holmes schien es „möglich, die Gegenwart eines organischen Zustandes anders zu begreifen, als in Verbindung mit seiner Vergangenheit" 3 3 6 . So suchten erstere durch Rückgriff auf Institutionen und Digesten, letztere durch Lektüre der Year Books und verstaubten Case Reports das Recht der Gegenwart tiefer zu verstehen. So kehrten Heusler und Sohm zur fränkischen Zeit, Bigelow und Maitland zum englischen Mittelalter zurück, um dort die Ursprünge moderner Rechtsvorstellungen aufzuspüren. Trotz vieler Verschiedenheiten in den M o t i v e n und Arbeitsweisen waren sie alle selbst über Kanal und Atlantik hinweg i m historischen Verständnis des Rechts und damit auch der Jurisprudenz vereint.

333 Taylor, The Science of Jurisprudence 246 f. 334 Doch war der Ruf der deutschen Jurisprudenz als Wissenschaft vom positiven Recht ambivalent. Bryce war von der deutschen Skepsis gegenüber metaphysischer Spekulation beeindruckt, wie aus seiner Schilderung einer Begegnung mit Vangerow in Heidelberg hervorgeht: „Inspired by my Scottish and Oxford training with the notion that in order to study a subject rightly one must begin with its metaphysics, I asked the professor . . . what book on the Philosophy of Law (Rechtsphilosophie) I ought to read. He raised his eyebrows till they seemed to reach the top of his head, and said with a deprecating wave of his hand, ,1 doubt whether that kind of reading will help you in your legal studies. I see little use in i t . ' " Bryce, The Methods of Legal Science 633 f. Andererseits warf Holmes dem deutschen Rechtsdenken gerade ein Übermaß an abstraktem Philosophieren vor, vgl. unten B.II.4. 335 Dazu oben A.III.3. 336 Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher 236.

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d) A u c h diese Gemeinsamkeiten i m Verständnis von Recht als geschichtlichem Phänomen und von Jurisprudenz als Erforschung seiner Entwicklung hatten ihre Gründe. Sie lagen ebenfalls zum Teil in gleicher Verwurzelung von historischer Schule und Classical Legal Science in umfassenderen Geisteshaltungen der Zeit, zum Teil aber auch in deutschem Einfluß auf das Denken der Common Lawyers. Beide Schulen waren Erscheinungsformen der historischen Grundeinstellung in den Geisteswissenschaften des 19. Jahrhunderts. Allerdings standen Savigny und seine Zeitgenossen eher am Anfang des Historismus; sie prägten ihn wesentlich mit und wurden dadurch zusammen m i t Anderen zu seinen bekanntesten Vertretern. Die Classical Era des Common Law hingegen fiel eher in seine Endzeit; hier kündigte sich etwa in Holmes, Gray und Pound schon der Übergang zu einer neuen Ära an, die von Pragmatismus und sozialwissenschaftlichem Denken bestimmt sein w ü r d e 3 3 7 . Trotzdem befanden sich sowohl historische Schule als auch Classical Legal Science in vollem Einklang mit der allgemeinen Überzeugung von der geschichtlichen Bedingtheit der Welt und von der daraus resultierenden Notwendigkeit einer historischen Ausrichtung der Wissenschaft. Aber auch hier hatten deutsche Ideen direkt auf das anglo-amerikanische Denken abgefärbt. Das Verständnis von Recht als historischem Phänomen war deutscher Jurisprudenz und Classical Legal Science nicht zuletzt deshalb gemein, weil es in beiden Fällen maßgeblich auf Savignys Rechtsentstehungslehre zurückging. Der deutschen historischen Schule lag diese sowieso zugrunde, und auf die anglo-amerikanischen Vorstellungen hatte sie, wie oben gezeigt, stark, wenn auch in Verbindung mit anderen Faktoren eingewirkt. Ähnliches gilt für die aus dem historischen Rechtsverständnis folgende Überzeugung, daß nur eine geschichtliche Betrachtung das Recht wissenschaftlich erfassen könne; hier war ebenfalls zum Teil deutscher, vor allem Savignys Einfluß am Werk, galten doch Konzept und Methode der historischen Schule den anglo-amerikanischen Juristen als V o r b i l d 3 3 8 . e) I m Ergebnis verstanden sich also deutsche Rechtswissenschaft und Classical Legal Science aus den gleichen Gründen als historische Jurisprudenz: Moderne Wissenschaft verlangte Beschäftigung mit positivem, d. h. duch die Geschichte bereits gegebenem Recht, und dieses Recht ließ sich aufgrund seines geschichtlichen Wachsens nur historisch begreifen. Diese Gründe machen zugleich deutlich, worin Sinn und Zweck einer historischen Jurisprudenz lagen. Es ging dabei für Savigny ebenso wie für Langdell, Holmes, Ames oder Wigmore nicht um die Erforschung der Vergangenheit des Rechts als Selbstzweck, sondern um die 337 Vgl. dazu unten Dritter Teil A. und B. 338 Dazu sogleich unten 2. Allerdings hatte die Überzeugung von der Notwendigkeit einer geschichtlich orientierten Rechtswissenschaft auch Wurzeln in der Welt des Common Law, nämlich bei Bacon, Seiden, Haie und Hobbes; vgl. Coquillette, Ideology and Incorporation IV 965 f., sowie bei Blackstone und anderen im 18. Jahrhundert, vgl. Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise 652.

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notwendigerweise geschichtliche Erfassung des Rechts überhaupt, d. h. auch und vor allem des Rechts der Gegenwart 3 3 9 . W i e die historische Schule so war deshalb auch die Classical Legal Science nicht Rechtsgeschichte, sondern „geschichtliche Rechtswissenschaft" 3 4 0 . 2. Die deutsche Forschung

als Maß aller

Dinge

Die praktische Umsetzung des Konzepts einer geschichtlichen Rechtswissenschaft mußte zunächst in der Erforschung der historischen Entwicklung des Rechts bestehen. Nach dem ursprünglichen Programm der historischen Schule und nach Ansicht vieler anglo-amerikanischer Rechtsdenker der Classical Era ließ sich durch das Studium der Geschichte den Grundprinzipien des Rechts auf die Spur k o m m e n 3 4 1 , die sodann systematisch arrangiert werden konnten. V o n diesem Z i e l legen, trotz aller sonstigen, inhaltlichen wie methodischen Unterschiede, Savignys Recht des Besitzes oder Heuslers Die Gewere ebenso Zeugnis ab wie Langdells und Bigelows Casebooks 342 oder Digbys Lehrbuch zum Grundstücksrecht 3 4 3 . I m Laufe der Zeit befreite sich ein großer T e i l der rechtshistorischen Forschung allerdings von dieser dienenden Funktion. V o r allem i m Deutschland des späteren 19. Jahrhunderts, zum Teil aber auch in England und Amerika wurde sie mehr und mehr zur reinen Rechtsgeschichte. Darin lag eine mehrfache Wandlung. Der Zweck der Rechtsgeschichte war jetzt nicht mehr die Ermittlung allgemeingültiger Prinzipien, sondern die Erforschung der Vergangenheit selbst. Damit veränderte sich auch ihr Charakter; sie suchte nun nicht mehr nach Ideen, sondern nach wirklichen Zuständen und wurde dadurch konsequenter empirisch als bislang. Schließlich wuchs auch die Bandbreite des behandelten Stoffs, da neben reinen Rechtquellen wie Digestenstellen, Rechtsbüchern oder Cases zunehmend auch archäologisches, literarisches und sonstiges kulturgeschichtliches Material verarbeitet wurde. I m Ergebnis bedeutete all das, daß dieser immer tonangebendere T e i l der Rechtsgeschichte nicht mehr Programmpunkt der historischen Schule

339 Zur amerikanischen Einstellung (Langdell, Holmes, Keener, Green, Schofield, Wigmore, Williston, Wambaugh, Beale) White, Tort Law in America 31 f. 340 So der bewußt gewählte Titel der maßgeblich von Savigny gegründeten Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. Im Englischen drückte sich dies dadurch aus, daß allgemein nicht von „legal history", sondern von „historical jurisprudence" gesprochen wurde; vgl. ζ. B. Freund, Historical Jurisprudence in Germany; Pound, The Spirit of the Common Law 149. 341 Vgl. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 112 ff. mit Holmes, Law in Science and Science in Law 210. 342 Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts; Bigelow, Leading Cases in the Law of Torts; vgl. auch Bigelow, History of Procedure in England from the Norman Conquest. 343 Digby, Introduction to the History of Law of Real Property, vgl. insbesondere Preface VI.

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i m ursprünglichen Sinne, sondern Spezialgebiet der allgemeinen Geschichtswissenschaft war. Die Übergänge waren allerdings fließend und auch bei den einzelnen Autoren nicht immer klar auszumachen. Sowohl als M i t t e l zur Erkenntnis der Prinzipien des Rechts als auch i m Sinne reiner Rechtsgeschichte war die deutsche Forschung das V o r b i l d der angloamerikanischen Juristen und Historiker der Classical Period. Dabei sind zunächst die allgemeinen Gründe für diese Vorbildfunktion interessant. Der deutsche Einfluß zeigt sich aber insbesondere, wenn man sodann die anglo-amerikanische Romanistik und die geschichtliche Erforschung des Common Law betrachtet. a) Ihre allgemeinen Gründe hatte die Vorbildfunktion der deutschen rechtsgeschichtlichen Forschung i n ihrem Rang und ihrer Methode. Als nach langer Vernachlässigung die Rechtsgeschichte zunächst in England, dann in den U S A i m letzten Drittel des 19. Jahrhunderts einen raschen Aufschwung erlebte, stand diese i n Deutschland nicht nur längst in vollster Blüte, sie wurde auch in eben der Weise betrieben, die dem Wissenschaftsverständnis der Anglo-Amerikaner entsprach. Die rechtshistorische Forschung bewegte sich in der Welt des Common Law i m 19. Jahrhundert zunächst auf niedrigem Niveau. I n England beherrschte die Analytical Jurisprudence das Denken; die wenigen rechtsgeschichtlichen Werke, die vor Maine erschienen, waren in Anspruch und Ausführung bescheiden und verstanden sich vornehmlich als Hilfmittel für die Praxis 3 4 4 . I n den U S A waren die Juristen zu intensiv mit den praktischen Tagesaufgaben beschäftigt und i m übrigen ebenfalls zu sehr dem Einfluß der Analytical Jurisprudence ausgesetzt, um sich in nennenswerter Weise mit der Geschichte des Rechts zu befassen. Die Situation änderte sich zu Beginn des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, als das historische Rechtsverständnis die analytische Sichtweise zunächst ergänzte, bald aber zu verdrängen begann. Dieser Umschwung hatte mehrere Ursachen, die oben bereits erwähnt wurden, und die alle zusammenwirkten und sich dadurch gegenseitig verstärkten: Das Aufkommen des Historismus i n England und i n den U S A , die überwältigende W i r k u n g Darwins auf die Weltsicht der intellektuellen Schichten, und der Einfluß des deutschen Geisteslebens allgemein und insbesondere der historischen Schule Savignys sowie später Jherings 3 4 5 . In den zwanzig Jahren zwischen den beiden grundlegenden anglo-amerikanischen Werken zur Rechtsgeschichte, Maines Ancient Law und Holmes The Common Law, also zwischen 1861 und 1881, vollzog sich die Wendung hin zum geschichtlichen Rechtsverständnis 346 . Damit einher ging ein Aufschwung der rechtshistorischen 344 Holdsworth, A History of English Law X V 341 ff. 345 Holdsworth, A History of English Law X V 350 ff. 346 Bezeichnend ist das Beispiel James Fitzjames Stephens'. Stephens' 1863 erschienenes Werk A General View of the Criminal Law war weitgehend analytisch ausgerichtet. Das Ergebnis langjähriger Bemühungen um eine neue Ausgabe war seine dreibändige, 1883 erschienene History of Criminal Law.

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Forschung, deren Blüte i n die Zeit zwischen 1880 und dem Beginn des neuen Jahrhunderts f i e l 3 4 7 , und die ihren Höhepunkt w o h l 1895 in Pollocks und Maitlands History of English Law Before the Time of Edward I erreichte. Dabei erhob diese Forschung, wie die Geschichtsschreibung überhaupt, unter dem Eindruck des Empirismus und der Naturwissenschaften den Anspruch wahrer Wissenschaftlichkeit. Es ging also nicht mehr um die Bestimmung endgültiger Wahrheit „according to a providential scheme" 3 4 8 , sondern um „facts being scrutinized by eyes microscopic in intensity and panoramic i n scope" 3 4 9 . Die Zeit der Allgemeinplätze war vorbei, die Ära der „,scientific 4 accuracy" war angebrochen 3 5 0 . Das entscheidende V o r b i l d war Deutschland: „Story's simple philosophizing has ceased to satisfy men's minds", verkündete Holmes 1887, doch Hilfe war in Sicht, denn „under the influence of Germany, science is gradually drawing legal history into its sphere" 3 5 1 . Aus anglo-amerikanischer Sicht war Deutschland das Land der exakten Geschichtsforschung, die in Barthold Georg Niebuhr und Leopold von Ranke ihre prominentesten Vertreter hatte und fast alle Geisteswissenschaften prägte 3 5 2 . Dabei nahm die Rechtsgeschichte eine zentrale Position ein. Sie stand in enger Beziehung zu verwandten Disziplinen wie der Sprachwissenschaft insbesondere Jakob Grimms und zur A l t p h i l o l o g i e 3 5 3 . V o r allem aber war die Verbindung von rechtshistorischer Forschung und allgemeiner Geschichtswissenschaft von A n fang an so stark, daß eine von der anderen kaum zu trennen w a r 3 5 4 . Diese Verbindung verkörperte sich insbesondere in Georg Barthold Niebuhr, der als Begründer der modernen Geschichtswissenschaft mit Savigny zusammenarbeitete, und in Theodor Mommsen, der ihr in seinen Arbeiten zum römischen Recht und Staat eine vollendete Form gab. Wenn nun die Rechtsgeschichte als Kernbestandteil der allgemeinen Geschichte galt, so bewahrheitete sich darin letztendlich Savignys Auffassung, das Recht sei ein untrennbarer Teil der Gesamtkultur, sodaß es also auch nur als solcher historisch erfaßt werden konnte. Das leuchtete auch den Common Lawyers e i n . 3 5 5 347 Vgl. Fifaot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 9 f.; Gor don, J. Willard Hurst and the Common Law Tradition in American Legal Historiography 12 und 15 ff. 348 Holmes, Law in Science and Science in Law 210. 349 Holmes, The Use of Law Schools 41; vgl. auch Bryce, The Methods of Legal Science 623 f. 350 Howe, Justice Oliver Wendeil Holmes I 141. 351 Holmes, The Use of Law Schools 41. Ein frühes Lob der deutschen historischen Schule fand sich schon 1835 im American Jurist Bd. 14, 42, insbesondere 58 f. 352 Einzelheiten bei Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert V 53 ff. 353 Zu nennen ist auch die historische, der klassisch-englischen entgegesetzte Nationalökonomie, die sich am deutlichsten in Wilhelm Roschers 1843 veröffentlichtem und nach dem Vorbild der historischen Schule entworfenen Grundriß zu Vorlesungen über die Staatswirtschaft nach geschichtlicher Methode verkörperte. 354 Das blieb auch anglo-amerikanischen Beobachtern nicht verborgen, vgl. Hart, German Universities 127.

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Sowohl die deutsche Geschichtswissenschaft allgemein als auch insbesondere die rechtshistorische Forschung hatten einen überwältigenden Einfluß auf das englische und amerikanische D e n k e n 3 5 6 . Das lag zum einen ganz einfach daran, daß es in der Welt des Common Law jedenfalls vorerst noch an Werken fehlte, die denen Niebuhrs, Savignys oder Mommsens ebenbürtig w a r e n 3 5 7 . Besonders wichtig am deutschen V o r b i l d war aber, daß es die wissenschaftliche Methode verkörperte. Dabei sprachen zwei Aspekte die anglo-amerikanischen Rechtshistoriker besonders an: Die Arbeit mit Originalquellen und die Genauigkeit der Forschung i m Detail. In der Arbeit m i t Originalquellen hatte Niebuhr Pionierarbeit geleistet 3 5 8 , aber auch Savigny durch jahrelanges Sammeln in europäischen Archiven große Verdienste erworben. A l l e i n diese Quellen konnten zuverlässige Grundlage wirklich objektiver Geschichtsforschung sein. So wurden auch ihre wissenschaftliche Edition und ihr Druck zu einem wichtigen Anliegen, wie sich schon 1819 in der Begründung der Monumenta Germaniae Historica und noch in 1868-70 in Mommsens Digestenausgabe und 1883 in Lenels Edictum Perpetuum zeigte. Diese Arbeitsweise entsprach v o l l und ganz dem Wissenschaftsanspruch der anglo-amerikanischen Rechtshistoriker, die sich nur auf „facts" stützen, jegliches Spekulieren vermeiden und ihre Erkenntnisse deshalb auf „the original authorities themselves" 3 5 9 konzentrieren wollten. Als W i l l i a m Stubbs diesen Ansatz in seinen 1870 veröffentlichten Select Charters in die Tat umsetzte und damit eine angloamerikanische Tradition begründete, war der deutsche Einfluß unverkennbar 3 6 0 . I n der Folgezeit trugen auch die Bemühungen um wissenschaftliche Quelleneditionen vor allem in England Früchte 3 6 1 . I n den U S A brachte M e l v i l l e Bigelow 1879 seine Placita Anglo-Normannica:

Cases from William I to Richard I heraus.

355 Pollock, English Opportunities in Historical and Comparative Jurisprudence; Pollock sah eine „natural alliance between law and history", id. 62. 356 Vgl. Herbst, The German Historical School in American Scholarship; Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 7ff. 357 „There are no such works in English as Savignys „History of Roman Law in the Middle Ages", Keller's „History of Roman Procedure by Formulae", Rudorff's „Rechtsgeschichte", and a dozen others that I might mention, where advantange is taken of all the results of modern philology and modern historic inquiry." Hart, German Universities

126.

358 Dazu Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert V 53 ff. 359 Digby, Introduction to the History of the Law of Real Property, Preface VIII. 360 Dazu Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 7. 361 Die Ausgabe der Yearbooks wurden ab 1885 neu überarbeitet und herausgegeben; 1887 wurde die Seiden Society gegründet, die seither eine Vielzahl von Quellen im Druck veröffentlicht hat. Allerdings war schon 1838 mit dem Public Records Act eine Grundlage für Ordnung und Herausgabe von Originalquellen geschaffen worden, vgl. Fifoot, Judge and Jurist in the Reign of Victoria 10; Holdsworth, A History of English Law X V 350 ff.

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A u c h die peinlich genaue Aufmerksamkeit gegenüber Details ging schon auf Niebuhr zurück, wurde später in Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter

deutlich und bald zu einem Markenzeichen der deutschen rechtshisto-

rischen Forschung überhaupt. Sie entsprach der anglo-amerikanischen Vorstellung von Wissenschaft als Suche nach Erkenntnis durch exakte Beobachtung der Wirklichkeit. W i e sehr hierbei die deutsche Wissenschaft als maßgeblich angesehen wurde, zeigte sich etwa darin, daß Holmes in einer Buchbesprechung Henry Adams und dessen Kollegen als höchstes L o b „German exactness in detail" bescheinigte 3 6 2 . Besonders beeindruckt waren die anglo-amerikanischen Rechtshistoriker deshalb, weil die deutschen Forscher doch immer Weitblick und Verständnis der großen Zusammenhänge wahrten, wie es sich für einen Wissenschaftler gehörte 3 6 3 . Schließlich ist nicht zu vergessen, daß das amerikanische Interesse an der europäischen Rechtsgeschichte allgemein groß war. Das bezeugte nicht zuletzt die von der Association of American Law Schools herausgegebene Continental Legal History Series , in deren Rahmen Werke europäischer Autoren übersetzt und in den U S A veröffentlicht wurden. Die deutsche Rechtsgeschichtsforschung war darin mit Arbeiten Heinrich Brunners, L u d w i g von Bars, Arthur Engelmanns, Rudolph Hübners und Karl Joseph Anton von Mittermaiers vertreten. 3 6 4 b) Wendet man sich speziell der anglo-amerikanischen Romanistik zu, so findet man viele dieser allgemeinen Gründe für die Vorbildfunktion deutscher Geschichtsforschung i m besonderen Zusammenhang wieder. Das gilt vor allem für die enge Verbindung zwischen allgemeiner und Rechtsgeschichte und für die Bedeutung der Originalquellen. Beide Aspekte kamen schon früh zusammen, als Niebuhr 1817 in Verona das Manuskript der Institutionen des Gaius entdeckte und gemeinsam mit Savigny herausgab. Hier hatten die deutschen Romanisten die bedeutendste Quelle des klassischen römischen Rechts seit den i m 11. Jahrhundert wiederentdeckten Digesten ans Licht gebracht. Der Fund wurde auch in der anglo-amerikanischen Welt als Sensation gefeiert 3 6 5 . Das römische Recht gewann durch die Gaius Handschrift eine Lebendigkeit, die kein modernes Geschichtsbuch erzeugen konnte. Savigny und Niebuhr wurden auch in England

362 Holmes, Buchbesprechung von Adams u. a., Essays in Anglo-Saxon Law 327; die Besprechung ist zwar anonym veröffentlicht, stammte aber von Holmes; Howe, Justice Oliver Wendeil Holmes II, 147 Anm. 28. Vgl. zum Wissenschaftsverständnis bei Holmes auch Grey, Holmes and Legal Pragmatism 840. 363 Adams, Buchbesprechung von Maine, Village Communities; Nasse, Agricultural Communities; Sohm, Die altdeutsche Reichs- und Gerichtsverfassung 198. In diesem Sinne ist auch die oben zitierte Stelle bei Holmes zu verstehen, wo von „eyes microscopic in intensity und panoramic in scope" die Rede ist, Anm. 349. 364 Vgl. die oben Übermittlung 1. (b)) genannten Titel. 365 Vgl. AnonThe Civil Law 47; Everett, Besprechung von Gaii Institutiones Commentarii; Cushing, Introduction to the Study of the Roman Law 142 f. (§ 275). Dazu ausführlicher Hoeflich, Savigny and His Anglo-American Disciples 21 f.

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und Amerika mit einem Schlag berühmt. Dieser Ruhm dürfte zur Verbreitung von Niebuhrs Römischer Geschichte und Savignys Geschichte des römischen Rechts in England und Amerika beigetragen und die Übersetzungen dieser Werke mitveranlaßt haben 3 6 6 . Unter den Romanisten auf der britischen Insel war die Führungsrolle der deutschen Forschung unbestritten. Das römische Recht fand zunächst vor allem in Schottland Beachtung, w o es unmittelbare praktische Bedeutung hatte. John Reddies 1826 in Edinburgh veröffentlichte Historical Notices of the Roman Law and of the Recent Progress of Its Study in Germany priesen Reddies Göttinger Lehrer Hugo, dem das Buch gewidmet war, würdigten aber auch die Beiträge Savignys, Thibauts und anderer. David Irvings Introduction to the Study of the Civil Law bezog sich vielfach auf Savigny, vor allem auf dessen Geschichte des römischen Rechts 367. Bewunderung für die deutsche Romanistik durchzieht auch das Werk von James Bryce, der als Vangerows Student in Heidelberg seine Kenntnisse des römischen Rechts vertieft hatte 3 6 8 und in Oxford als Regius Professor of Civil Law wirkte. In England galt die deutsche Romanistik allgemein als führend. Zwar schwieg Maine, dessen Ancient Law vor allem die Entwicklung des römischen Rechts behandelte, sich darin über die deutsche Romanistik ebenso aus wie über andere Einflüsse, er war damit jedoch eher Ausnahme als Regel. Das zeigte sich etwa bei John Baron M o y l e und Bernhard E r w i n Grueber, deren in Oxford erschienene Werke sich zum deutschen Einfluß bekannten 3 6 9 , ebenso wie in der bereits erwähnten Absicht Maitlands, Savignys Geschichte des römischen Rechts zu übersetzen 3 7 0 . Allerdings diente die Beschäftigung m i t der deutschen Romanistik in England selten dem Studium des römischen Rechts an s i c h 3 7 1 . Meist stand sie entweder, wie bei Austin, i m Dienst der Analytical Jurisprudence , die i m römischen Recht das M o d e l l einer rationalen und systemati-

366 Der erste Band von Savignys Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter wurde 1829 in einer Übersetzung Cathcarts veröffentlicht, dazu oben Übermittlung 1, (b)); Niebuhrs Römische Geschichte wurde in einer Übersetzung von F. A. Walter 1827 in London als The Roman History veröffentlicht. Vgl. Gooch, History and Historians in the 19th Century 23; Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 49. 367 Vgl. dazu Hoeflich, Savigny and His Anglo-American Disciples 21 f. 3 68 Bryce, The Methods of Legal Science 633; Fisher, James Bryce I 59 f. 3 69 Vgl. Moyle, The Contract of Sale in the Civil Law; Grueber, The Roman Law of Damage to Property. Moyles Abhandlung war auf das römische Recht ausgerichtet und beruhte weitgehend auf der deutschen Pandektenliteratur, vgl. seine „List of Principal Works Referred to". Gruebers Studie berief sich ebenfalls auf eine Vielzahl deutscher Arbeiten zum modernen Pandekten- und zum klassischen römischen Recht, vgl. die „List of Books Frequently Cited". 37 0 Vgl. oben Übermittlung Anm. 19 und Text. 371 Eines der wenigen Beispiele hierfür ist Bowyer, Readings Delivered Before the Honorary Society of the Middle Temple. Bowyer benutzte Savignys System in der 1840 in Paris erschienenen französischen Übersetzung allein zur Erläuterung einzelner Punkte des römischen Rechts und neben den Werken der Natur- und Vernunftrechtler.

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sehen Rechtswissenschaft sah 3 7 2 ; oder es ging, wie bei Thomas Scrutton, um The Influence of the Roman Law in England 373. I n den Vereinigten Staaten hatte das Interesse dem römischen Recht wie überhaupt dem C i v i l Law i m frühen 19. Jahrhunderts zunächst als Quelle möglicher Lösungen dogmatischer Probleme gegolten; in dieser frühen Phase griffen die Amerikaner jedoch vor allem auf die Literatur des 18. Jahrhunderts zurück, wie sich das bei Kent und Story zeigte 3 7 4 . Das römische Recht wurde aber auch, wie bereits erwähnt, in den Südstaaten vor dem Bürgerkrieg gepflegt, wo man es als T e i l der allgemeinen Kultur und Bildung ansah. 3 7 5 ; hier stand die deutsche Romanistik um die Jahrhundertmitte hoch i m Kurs. Hugh Swinton Legarés Origin , History and Influence of Roman Legislation 376 stellte vor allem Hugo, Savigny und Niebuhr als führende Wissenschaftler vor „and a host of other names scarcely less shining than these", pries aber auch die historische Schule allgem e i n 3 7 7 . Großen Respekt genoß die deutsche Forschung bei Legarés Zeitgenossen wie Francis Lieber und James Murdoch W a l k e r 3 7 8 . Schließlich ist hier Gustavus Schmidt zu nennen, der sich in seinem kurzlebigen Louisiana Law Journal mit Savigny Werken auseinandersetzte 379 . Nach der Jahrhundermitte war dann das amerikanische Interesse am römischen Recht nicht mehr praktischer, sondern akademischer Natur. Das zeigte sich bei Gelehrten wie Luther Cushing und James Gardiner Hammond, die sich zwar durchaus m i t der deutschen Romanistik beschäftigten 3 8 0 , i m römischen Recht aber kein unmittelbares V o r b i l d für die dogmatischen Fragen der Gegenwart mehr sahen. Das Interesse daran lag nun auf den Gebieten der Rechts vergleichung und der Rechtsgeschichte. V o r allem aufgrund der Arbeiten Savignys, aber auch Maines, wurde das römische Recht als eine wesentliche Grundlage der abendländischen Rechtskultur angesehen. Zudem galt es als ein wohldokumentiertes M u sterbeispiel einer Rechtsentwicklung von primitiven Anfängen bis zur Perfektion.

372 Dazu unten II. 1 und 2. 373 Es ging also um die Frage, inwieweit das Common Law romanistischen oder germanistischen Ursprungs sei, vgl. dazu oben A.I.2. Scrutton benutzte deshalb nicht nur Savignys Geschichte des römischen Rechts, sondern auch eine Vielzahl germanistischer Arbeiten. 374 Dazu oben Erster Teil A. Anm. 20-27 und Text. 375 Vgl. oben Erster Teil C. Anm. 60 und Text. 376 Legaré , Writings 502-558. 377 Legaré, Writings 503. 378 Dazu Hoeflich, Lieber, Legaré and Walker, Roman Lawyers in the Old South. 379 Vgl. Schmidt, Besprechung von Savigny, Traité de la Possession (Brüssel 1840); dazu auch Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 433. 380 in seiner Einleitung zur amerikanischen Institutionenausgabe Sandars gab Hammond einen geschichtlichen Überblick über das römische Recht, wobei er sich maßgeblich auf die deutsche Literatur stützte und Hugo, Savigny, Puchta, Bluhme, Böcking, Windscheid und andere zitierte, vgl. Hammond, Introduction to Sandars, The Institutes of Justinian.

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Sein Studium versprach deshalb Einblicke in das Wesen des abendländischen Rechts überhaupt und in die Gesetzmäßigkeiten seines Werdegangs. Zumindest elementare Kenntnisse in Geschichte und Dogmatik des römischen Rechts blieben deshalb ein wichtiger Bestandteil jeder gründlichen juristischen Bildung. Wer w i r k l i c h etwas auf sich hielt, bezog diese Kenntnisse aus den Werken deutscher Gelehrter. Das veranschaulicht eine kleine Begebenheit, die sich um 1890 in Harvard zutrug. John Chipman Gray fand einen Studenten bei der Lektüre von Mackenzies Introduction to Roman Law. Er riet ihm, das Buch beiseite zu legen und stattdessen Sohms Institutionen — auf deutsch — zu lesen. Der Student befolgte den Rat. Zwanzig Jahre später waren die Rollen zwischen Student und Lehrer vertauscht: Gray saß in Roscoe Pounds Kurs über römisches R e c h t 3 8 1 . c) I n der Classical Era galt aber das Hauptinteresse in der Geschichtsforschung längst nicht mehr dem römischen Recht. I m Vordergrund stand das Common Law selbst. Die Erforschung seiner Geschichte führte aber unweigerlich zur deutschen Germanistik. Dafür gab es vor allem zwei Gründe. Erstens leisteten die deutschen Germanisten selbst wesentliche Beiträge zur mittelalterlichen englischen Rechtsgeschichte. Diese stammten zum Teil schon aus den 1850er und 1860er Jahren. Als sich die Common Lawyers zwanzig Jahre später mit ihrer eigenen Geschichte ernstlich zu befassen begannen, gab es deshalb schon „a mass, one may even say a library, of German books, all o f which bear more or less directly on the history of England", wie Henry Baxter Adams seinen anglo-amerikanischen Kollegen 1872 mit vorwurfsvollem Unterton m i t t e i l t e 3 8 2 . A u c h in den folgenden Jahrzehnten erschienen in Deutschland immer wieder Arbeiten zur englischen Rechtsgeschichte; dabei war vor allem an die Beiträge Felix Liebermanns zu denken, der „the best edition of the Anglo-Saxon L a w s " veranstaltet hatte 3 8 3 . Zweitens hatte sich in der Auseinandersetzung um Ursprung und Geist des Common Law gegenüber der früheren romanistischen Auffassung inzwischen

381 The Centennial History of the Harvard Law School 212; Vgl. auch Pound , Jurisprudence I, Preface IX. 382 Adams, Besprechung von Maine, Village Communities; Nasse, Agricultural Communities; Sohm, Die altdeutsche Reichs- und Gerichtsverfassung, 198; Adams bezog sich vor allem auf Nasse, dessen Studie Über die mittelalterlichen Feldgemeinschaften und die Einhegungen des sechzehnten Jahrhunderts in England (1869) eben von Ouvry übersetzt worden und 1871 in London als Agricultural Communities of the Middle Ages erschienen war. Adams dachte aber auch an Werke wie Brunner, Die Entstehung der Schwurgerichte (1871); Güterbock, Henricus des Bracton und sein Verhältnis zum römischen Rechte (1862) oder Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen (1858). Schon 1817 hatte Georg Phillips seine Englische Reichs- und Rechtsgeschichte veröffentlicht. 383 Liebermann, Über die Leges Anglorum Saeculo XIII; ders., Über die Leges Edvardi Confessoris; ders., Über das englische Rechtsbuch Leges Henrici; ders., Die Gesetze der Angelsachsen. Das Lob stammte von Lindsay, The Development of a Scientific View of Law 530 f. Vgl. auch Maitland, The Laws of the Anglo-Saxons 447 ff.

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die Ansicht durchgesetzt, das Common Law sei i m wesentlichen germanischer H e r k u n f t 3 8 4 . Seine geschichtliche Erforschung mußte also auf dem Verständnis des mittelalterlich-germanischen Rechts beruhen. Über dieses gab es aber vorerst praktisch keine englischen oder amerikanischen Beiträge. Die Historiker des Common Law sowohl in England als auch in Amerika mußten also wohl oder übel auf die Werke der deutschen Germanisten zurückgreifen. Diese Bedeutung der deutschen Forschung erkannte sogar Maine an. In seinen rasch zum Klassiker werdenden Studien über Village Communities in the East and West benutzte er die Arbeiten von Maurers, Nasses und Landaus und andere „recent German works bearing on the subject o f the Lectures on Village-Commun i t i e s " 3 8 5 . In einem eigenen Anhang stellte Maine ein Dutzend deutscher Werke zu diesem Thema zusammen, die er seinen Ausführungen vor allem i m dritten („The Western Village Community") und fünften („The Process of Feudalization") Teil seines Werkes zugrundegelegt hatte. 3 8 6 Maine machte damit einen Anfang, Andere folgten nach. Thomas Edward Scrutton bediente sich ausgiebig der deutschen Literatur in seiner schon genannten Studie über The Influence of the Roman Law on the Law of England™. Frederick Pollock sah insbesondere in Heinrich Brunner „the first living master of Germanic legal history", denn dieser hatte „the long vexed problem of the origin of the j u r y " gelöst 3 8 8 . U n d Paul Vinogradoff, der bei Brunner in Berlin studiert hatte, brachte die Früchte der deutschen Germanistik nach England, als er dort 1903 in Oxford seine Professur antrat.

384 Dazu oben A.I.2. 385 Maine, Village Communities in the East and West 398. 386 Genannt sind im Appendix I I 398 (ohne Jahr) „G. L. v. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadt-Verfassung und der öffentlichen Gewalt. München; G. L. v. Maurer, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland. Erlangen; G. L. v. Maurer, Geschichte der Frohnhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfassung in Deutschland. Erlangen; G. L. v. Maurer, Geschichte der Städteverfassung in Deutschland. Erlangen; E. Nasse, Ueber die mittelalterliche Feldgemeinschaft und die Einhegungen des sechzehnten Jahrhunderts in England. Bonn ; G. Landau, Die Territorien in Bezug auf ihre Bildung und ihre Entwickelung. Hamburg; G. Landau, Das Salgut. Kassel; Ch. Lette, Die Vertheilung des Grundbucheigenthums in Zusammenhang mit der Geschichte der Gesetzgebung und den Volkszuständen. Berlin. N. Kindlinger, Geschichte der deutschen Hörigkeit, insbesondere der sogenannten Leibeigenschaft. Berlin; W. Gessner, Geschichtliche Entwicklung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse Deutschlands, oder practische Geschichte der deutschen Hörigkeit. Berlin; von Haxthausen, Ueber die Agrarverfassung in Norddeutschland. Berlin." 387 Abgesehen von Savignys Geschichte des römischen Rechts benutzte Scrutton vor allem Arnold, Ansiedelungen und Wanderungen Deutscher Stämme (1881); Biener, Das Englische Geschworenengericht (1852); Hanssen, Agrar-Historische Abhandlungen (1880); Hartwig, Untersuchungen über die ersten Anfänge des Gildewesens (1863); Landau, Die Territorien in Bezug auf ihre Bildung und Entwicklung (1854); Meitzen, Georg Hanssen als Agrarhistoriker (1881); Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte (1865-66); Wilda, Das Gildewesen im Mittelalter (1831). 388 Pollock, In Memoriam Frederic William Maitland 137.

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A m stärksten und deutlichsten war die Bewunderung für die deutsche Forschung bei Frederic W i l l i a m Maitland, dem größten englischen Rechtshistoriker jener Zeit. Maitland, der die deutsche Sprache ausgezeichnet beherrschte, arbeitete mit Felix Liebermann zusammen 3 8 9 , stand in Verbindung mit Heinrich Brunner in Berlin und m i t Josef Redlich i n W i e n und war mit der deutschen Literatur in einer so umfassenden Weise vertraut wie sonst niemand außerhalb Deutschlands 3 9 0 . Maitland sah in den Deutschen die Begründer der modernen Rechtsgeschichte schlechthin — „they were the pioneers; they were the masters," 3 9 1 . A n ihrer „delicacy o f touch and . . . subtlety of historical perception" sollten sich die Engländer ein Beispiel nehmen 3 9 2 . Das Niveau der deutschen Forschung schien Maitland so hoch, daß er ernsthaft zweifelte, ob er selbst den deutschen Ansprüchen genügen könnte. A l s Redlich ihm anbot, einen seiner Aufsätze zu übersetzen und auf deutsch zu veröffentlichen, war Maitland geehrt aber auch unsicher: „ Y o u German jurists are such terrible fellows", schrieb er an Redlich, „that the more I think o f addressing you the less I like it. I think I hear one saying „Nichts neues!" and another saying that all m y notions of jurisprudence are addled and m u d d l e d . " 3 9 3 . Lieber schon übersetzte er selbst deutsche Werke ins Englische, wie er dies mit Savignys Geschichte vorhatte und mit einem Abschnitt aus Gierkes Genossenschaftsrecht w i r k l i c h t a t 3 9 4 . Dabei wurde er sich der Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens nur allzu deutlich bewußt: „The choice between Jargon and Verbosity is ever present", beklagte er sich gegenüber seinem Mentor Sidgwick, „ W h a t is one to do? I can't make Otto G. into an Englishman. He resents the attempt." 3 9 5 Doch insbesondere Gierke faszinierte ihn, denn in dessen Überlegungen zur Rechtspersönlichkeit von Gruppen schien Maitland der Schlüssel zur Lösung eines Problems zu liegen, das ihn lange beschäftigte: Die seinerzeit vieldiskutierte Frage der Rechtsnatur der „corporation"396. Schaute man von England nach Amerika, so sah man auch dort die führenden Rechtshistoriker der Classical Era eingehend m i t den Werken der Germanisten beschäftigt. I n den U S A ergriff der deutsche Einfluß zunächst allgemein die Geschichtswissenschaft, wo er eine ganze Generation amerikanischer Gelehrter prägte 3 9 7 ; von dort erstreckte er sich auf die rechtshistorische Forschung. 389 Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 123 f. 390 Vgl. Elton, F. W. Maitland 2 f., 98. Maitland war korrespondierendes Mitglied der Münchner und der Berliner Akademie der Wissenschaften, id. 14. 391 Maitland, The Making of the German Civil Code 486 f. 392 Zitiert nach Fisher, F. W. Maitland 158. Vgl. auch Maitland, The Laws of the Anglo-Saxons 447. 393 Zitiert nach Elton, F. W. Maitland 3. 394 Vgl. oben Übermittlung 1. (b). 395 Zitiert nach Fifoot, Frederic William Maitland — A Life 188. 396 Dazu ausführlich Stoljar, The Corporate Theories of Frederic William Maitland. 397 Dazu ausführlich Herbst, The German Historical School in American Scholarship, insbesondere 99-128.

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Die zentrale Figur unter den seinerzeit tonangebenden Historikern Amerikas war der bereits erwähnte Herbert Baxter Adams. I n Heidelberg, wo er 1876 promoviert hatte, war er vor allem von Blunschtli beeinflußt worden. Seine Wertschätzung Bluntschlis als Wissenschaftler w i r d darin deutlich, daß Adams als Professor an der Johns Hopkins University Bluntschlis private Bibliothek, die die Universität aufgekauft hatte, in einem früheren Biologie-Labor unterbringen l i e ß 3 9 8 . Auch sonst schätzte Adams die deutsche rechtswissenschaftliche und historische Forschung über alle Maßen; auf sie gründete er seine These v o m germanistischen Charakter der Common Law. Adams gewann Oliver Wendell Holmes nicht nur für diese These, sondern auch für die Beschäftigung mit der deutschen germanistischen Literatur 3 9 9 . Holmes setzte sich in den 1870er Jahren mit der Frage nach Wesen und Hintergrund des Common Law auseinander und gelangte allmählich zu einem historischsoziologischen Rechtsverständnis. A u f Adams' Anregung hin las er sich anhand der Werke deutscher Gelehrter wie Heusler, von Maurer oder S ohm ins mittelalterliche deutsche Recht ein 4 0 0 Es ist deshalb kein Wunder, daß die Frucht seiner Bemühungen, sein Hauptwerk The Common Law, deutliche Spuren des Einflusses der deutschen Germanistik zeigt. Neben den schon Genannten kamen darin auch Beseler, Brunner, Laband und W i l d a zur G e l t u n g 4 0 1 . I n manchen Passagen liest sich das Buch geradezu wie eine germanistische Streitschrift gegen den verderblichen Einfluß des römischen Rechts und seiner modernen Vertreter 4 0 2 . Nicht weniger eindrucksvoll ist die Liste der germanistischen Titel, die James Barr Ames, Holmes' stärkster Konkurrent bei der Erforschung der Geschichte des Common Law, heranzog. Seine als Lectures on Legal History zusammengestellten Aufsätze enthalten Hinweise u. a. auf Brunner und Heusler, Sohm und Schroeder, Schulze und Stobbe 4 0 3 . A u c h Ames schrieb, wohlgemerkt, nicht über 398

Herbst, The German Historical School in American Scholarship 36. 399 Dazu Howe, Justice Oliver Wendeil Holmes I 143 ff. 400 Holmes Liste der gelesenen Bücher enthält um diese Zeit u. a. Behrend, Zum Prozess der Lex Salica (1867); Gengier, Germanische Rechtsdenkmäler (1875); Heusler, Die Gewere (1872); von Maurer, Einleitung in die Geschichte der Mark-, Hof-, Dorfund Stadtverfassung und der öffentlichen Gewalt (1854); Sohm, Der Prozess der Lex Salica (1876); ders., Die Fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung (1871); vgl. Little, The Early Readings of Justice Oliver Wendell Holmes 2. 401 Neben den in der vorigen Anmerkung genannten Werken weisen die Fußnoten des Buches hin auf Beseler, Die Lehre von den Erbverträgen (2 Bde. 1835-40); Brunner, Die Entstehung der Schwurgerichte (1872), Laband, Die vermögensrechtlichen Klagen nach den sächsischen Rechtsquellen des Mittelalters (1869); Wilda, Das Strafrecht der Germanen (1842). 402 Vgl. dazu unten II.4. 403 Zitiert werden u. a. Brunner, Die Enstehung der Schwurgerichte (1872); ders., Deutsche Rechtsgeschichte (1887-1892); Heusler, Die Gewere (1872); Sohm, Der Process der Lex Salica (1876); Schroeder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (1889); Schulze, Die langobardische Treuhand (1895); Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechts (1885-1890). Daneben benutzte Ames eine Vielzahl von Quellen zum geltenden 8 Reimann

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deutsche Rechtsgeschichte, sondern erachtete die deutsche Literatur als wichtiges Hilfsmittel zur Enträtselung der Herkunft und Entwicklung der grundlegenden Konzepte des Common Law. Das gleiche galt für den bereits erwähnten W i l l i a m Gardiner H a m m o n d 4 0 4 . Unter allen deutschen Germanisten kam Brunner in der Welt des Common Law die w o h l größte Bedeutung zu. Er wirkte nicht nur auf Holmes und Ames, sondern auch auf andere prominente anglo-amerikanische Rechtshistoriker wie M e l v i l l e B i g e l o w 4 0 5 und James Bradley T h a y e r 4 0 6 . Brunners Entstehung der Schwurgerichte hatte ihm die Bewunderung der Common Lawyers eingebracht, und sein reger wissenschaftlicher Austausch mit den führenden Rechtshistorikern in England und Amerika ließ ihn in der Welt des Common Law geradezu zum Symbol der Germanistik werden 4 0 7 . Doch wenn die Rechtshistoriker in England und den U S A auch Männern wie Brunner und Savigny nacheiferten, so darf man die anglo-amerikanische, wissenschaftliche Rechtsgeschichte nicht ohne weiteres mit der deutschen gleichsetzen. Vielmehr blieben wesentliche Unterschiede, da insbesondere Vorkämpfer wie Maine und Holmes bei allem Respekt vor ihren deutschen Kollegen auch eigene Wege gingen und spezielle Anliegen verfolgten.

3. Anglo-amerikanische

Sonderwege und Eigenarten

Das rechtshistorische Schrifttum der Classical Era war zwar i m einzelnen genausowenig einheitlich wie sein deutsches Gegenstück, denn auch in der Welt des Common Law konkurrierten unterschiedliche Vorstellungen von Methode, Ziel und Funktion der Rechtsgeschichte miteinander. Trotzdem lassen sich einige allgemeine Charakterzüge der anglo-amerikanischen Forschung ausmachen, die ihr ein besonderes, von der deutschen historischen Schule verschiedenes Gepräge gaben. Freilich handelt es sich bei diesen Abweichungen des anglo-amerikanischen v o m deutschen Denken oft nur um Nuancen, diese sind aber aufschlußreich, denn sie weisen auf erhebliche Unterschiede in der Sicht der Rechtsgeschichte

deutschen Recht, einschließlich Entscheidungen und Kommentare. Auch romanistisches Schrifttum wurde gelegentlich zitiert. 404 Vgl. M'Ciain, William Gardiner Hammond 228 ff. 405 Vgl. Bigelow, Placita Anglo-Normannica, Law Cases from William I to Richard I, Introduction IX ff.; Bigelow zitierte hier auch Güterbock, Henricus de Bracton und sein Verhältnis zum römischen Rechte (1862); von Holtzendorff, Encyklopädie der Rechtswissenschaft (1877); ders., Rechtslexikon (1875); Phillips, Englische Reichs- und Rechtsgeschichte seit der Ankunft der Normannen im Jahre 1066 nach Christi Geburt (1877); Reinhold Schmid, Die Gesetze der Angelsachsen (1858). 406 Thayer, A Preliminary Treatise on the Law of Evidence VIII, 3, 11, 18, 41, 47 etc. 407 Geplant war auch, seinen Beitrag zu Holtzendorffs Encyklopädie der Rechtswissenschaft über die Geschichte der Quellen des englischen Rechts zu übersetzen, vgl. Hastie, Translator's Preface X X X V I - X X X V I I I Anm. 2.

Β. Die historische Schule als Methode

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hin. Bei näherem Zusehen fallen vor allem drei anglo-amerikanische Eigenarten auf: Die vergleichende Methode, das Ziel der Entdeckung übergreifender Entwicklungsprinzipien, und die Idee einer vornehmlich negativen Funktion der Geschichtskenntnis. a) Die vergleichende Methode war das Erbe Maines. Hatte er sich 1861 in seinem ersten großen Werk Ancient Law auch vornehmlich mit der Genese des römischen Rechts beschäftigt, so hatte er doch schon seinerzeit oft den B l i c k auf andere Rechtskulturen geworfen 4 0 8 . Zehn Jahre später zeigte bereits der Titel seiner Studien über Village Communities in the East and West , daß es Maine um einen großangelegten Vergleich der Entwicklung in verschiedenen Ländern und Regionen ging, die so weit voneinander entfernt liegen konnten wie Mitteleuropa und Indien. Ähnliches gilt für seine Early History of Institutions und die Dissertations on Early Law and Custom, die sich mit irischem und englischem, römischem und deutschem, fränkischem und slavischem Recht beschäftigen. I n England vertrat vor allem James Bryce den vergleichenden Ansatz in Theorie und Praxis. Die historische Methode galt ihm zwar als die wissenschaftlich ertragreichste, ihr Schwachpunkt bestand aber nach Bryce darin, daß sie — i m Gegensatz zur metaphysichen oder analytischen — zur Verengung des Blicks auf ein Land oder Rechtssystem führte. U m Grundlage einer wahren Wissenschaft v o m Recht überhaupt sein zu können, bedurfte sie deshalb der Ergänzung durch die „comparative m e t h o d " 4 0 9 . Bryce war bemüht, diese Überlegungen, wie Maine, in seinen eigenen Arbeiten in die Tat umzusetzen 4 1 0 . In ähnlicher Weise sah Pollock „comparative and historical jurisprudence" als „one study and one method".411 Unter den amerikanischen Rechtshistorikern warf insbesondere Holmes den B l i c k immer wieder auf andere Rechtskulturen, wenn dies bei ihm auch vornehmlich i m Dienst der geschichtlichen Erforschung des Common Law selbst stand. Schon in seinen früheren Aufsätzen kam er v o m englischen immer wieder auf das römische R e c h t 4 1 2 . So geht es auch in seinem Hauptwerk The Common Law zwar in erster Linie um die Entwicklung des anglo-amerikanischen Denkens, dieses wird jedoch vielfach verglichen mit kontinentaleuropäischen Vorstellungen sowie gelegentlich auch mit primitiven Rechtskulturen 4 1 3 . Bei Ames ist das vergleichende Moment zwar weniger stark ausgeprägt, doch nehmen auch seine Arbeiten Bezug auf Institutionen und Entwicklungen außerhalb des Common Law414. 408 So u. a. auf Griechenland, die germanischen, keltischen und slawischen Stämme, das Frankenreich und Indien, Maine, Ancient Law 76, 135 ff. etc. 409 Bryce, The Methods of Legal Science 623 f. 410 Bryce, Methods of Law-Making in Rome and in England; ders., The History of Legal Development in Rome and in England; ders., Flexible and Rigid Constitutions. 411 Pollock, English Opportunities in Historical and Comparative Jurisprudence 40. 412 Vgl. etwa Holmes, The Arrangment of the Law. Privity. 413 Holmes, The Common Law 5 ff., 18 f., 37, 133 ff. etc.

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Natürlich gab es auch in der deutschen rechtshistorischen Forschung vergleichende Überlegungen, so insbesondere i m Verhältnis zwischen römischem und mittelalterlich deutschem Recht, aber auch in Bezug auf das Common L a w und andere Rechtskreise 4 1 5 . Sie waren aber Randerscheinungen, die erst spät durch die Verbindung der Rechtsgeschichte mit der Rechtssoziologie und -anthropologie an Bedeutung gewannen. I n der Hauptsache ging es der historischen Schule um die Entwicklung des eigenen, d. h. entweder des römischen oder des deutschen Rechts. Der B l i c k darüber hinaus war Gelegenheitssache oder spezielles Anliegen einzelner Gelehrter, nicht stilprägendes Element der deutschen Forschung überhaupt. W i e erklärt sich das besondere Interesse der anglo-amerikanischen Rechtshistoriker an der vergleichenden Perspektive? A u c h hier gab es verschiedene Gründe, die oft zusammentrafen. Z u m einen betrachteten Maine, Holmes und andere Recht als eine Erscheinungsform menschlichen Verhaltens, die es wissenschaftlich zu erfassen galt; hierin waren sie eher Jhering als Savigny verwandt. Sie fühlten sich deshalb nicht nur als Rechtshistoriker, sondern auch als Rechtsanthropologen oder gar -psychologen, was ihr Interesse an fremden, insbesondere frühen Kulturen erklärt. Z u m anderen brachte die Suche nach den Wurzeln des Common Law etwa Adams, Ames und ihre amerikanischen Zeitgenossen unweigerlich in Berührung sowohl mit dem römischen wie m i t dem germanischen Recht. Schließlich machte sich in der vergleichenden Ausrichtung der anglo-amerikanischen Forschung aber auch ganz allgemein das V o r b i l d der zeitgenössischen Naturwissenschaften bemerkbar. I n diesen wurde selbstverständlich vergleichend gearbeitet, ergaben doch einzelne Erscheinungen nur in Verbindung mit anderen einen Sinn. So hatte Darwin nicht die Entwicklung einer einzelnen Art, sondern vieler Arten studiert, u m gerade aus den beobachteten Gemeinsamkeiten zu lernen und in ihnen Gesetzmäßigkeiten zu entdecken. I n ähnlicher Weise war es etwa nach Bryce' Ansicht nur durch vergleichende Beobachtung der Entwicklung mehrerer Rechtskulturen möglich, die wahren Grundprinzipien des Rechts zu erkennen; denn nur wo diese sich über konkrete zeitliche und räumliche Zusammenhänge hinaus wirksam zeigten, konnten sie als wahrhaft allgemeingültig gelten 4 1 6 . Hierin deutete sich bereits das ungemein ehrgeizige Ziel an, das die Studien eines Maine oder Holmes verfolgten. b) Dieses Ziel bestand für einen großen T e i l der anglo-amerikanischen Rechtshistoriker in der Entdeckung der übergreifenden Entwicklungsprinzipien des Rechts überhaupt. Damit gingen sie erheblich über die Vorstellungen ihrer deutschen Kollegen hinaus. Zwar teilten beide Seiten den Wunsch, durch Verständnis der geschichtlichen Entwicklung den Grundprinzipien des Rechts auf die Spur 414 Time 415 416

Vgl. Arnes, The Salic and the Saxon Courts; ders., Substantive Law Before the of Bracton. Vgl. etwa Heusler, Die Gewere, insbes. 288 ff. Bryce, The Methods of Legal Science 620.

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zu kommen, doch verstand man darunter nicht unbedingt dasselbe. Die Vorstellungen Savignys und seiner Nachfolger waren vergleichsweise eng gefaßt: M i t Recht war in aller Regel das eigene, positive (d. h. das römische oder deutsche) Recht gemeint 4 1 7 , und bei den Prinzipien sollte es sich um konkrete, dogmatische Grundfiguren handeln wie den „animus" beim Besitz oder Angebot und Annahme als Bausteine des Vertrages. Die anglo-amerikanischen Denker hingegen hatten zum Teil sehr viel weitergehende Vorstellungen: Insbesondere Maine, oft auch Holmes, Bryce und anderen, ging es beim zu erforschenden Gegenstand um das Recht schlechthin, d. h. zumindest das Recht hochentwickelter Gesellschaften, und bei den in Rede stehenden Grundprinzipien handelte es sich u m die großen Gesetzmäßigkeiten seiner Entwicklung als Kulturphänomen. So verbarg sich hinter Maines berühmtem Schlagwort „from status to contract" die These, daß sich Recht mit zunehmend höherer Entwicklung einer Gesellschaft immer weniger auf Standesmerkmale und immer mehr auf Abmachungen gründe 4 1 8 . So suchte Bryce nach Prinzipien, die „general, essential and permanent" w a r e n 4 1 9 . Und so fand Holmes in der Entwicklung des Common Law einen allgemeinen Wandel von subjektiv-internen zu objektiv-externen Haftungsmaßstäben und damit ein Charakteristikum modernen Rechts schlechthin. M i t anderen Worten: Savigny, Puchta, j a selbst Gierke ging es um die Prinzipien, die ein bestimmtes Teilgebiet eines bestimmten Rechts beherrschten; Maine, Bryce, Holmes und ihresgleichen suchten in einem sehr viel weiteren Sinne auch nach den Gesetzen der Rechtsentwicklung überhaupt, d. h. nach dem juristischen Gegenstück zu Darwins Prinzip der natürlichen Auslese 4 2 0 . Allerdings war diese breitangelegte Suche nur für einen Teil der anglo-amerikanischen Forschung charakteristisch. Er verkörperte sich am deutlichsten in Maine und sah das Ziel der rechtshistorischen Wissenschaft in der Erkenntnis von „continuous sequence, inflexible order, and eternal l a w " 4 2 1 . I h m lag das M o d e l l der Naturwissenschaften zugrunde, die allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten zu entdecken hatten 4 2 2 . Dem entgegengesetzt war eine andere Richtung, die sich durch Skepsis gegenüber großen Thesen auszeichnete und i n Maitland ihren führenden Vertreter hatte. Dieser fand, „the attempt to construct a normal programme for all portions 417

Vgl. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 118. Maine, Ancient Law 100. 4 19 Bryce, The Methods of Legal Science 620. 4 20 Hier deutete sich ein unauffälliger aber nichtsdestotrotz elementarer Unterschied im Verständnis von Rechtswissenschaft an: Savigny und seine deutschen Nachfolger studierten das Recht von innen, denn das Recht selbst war ihnen eine Wissenschaft; Maine, Holmes und andere studierten es (zumindest zum Teil) von außen, denn sie machten es als Phänomen zum Gegenstand wissenschaftlicher Studien. 421 Maine, Village Communities in the East and West 266. Dazu Dujf, Sir Henry Maine, A Brief Memoir of His Life 32 ff. 422 Maine, Village Communities in the East and West 266. 418

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of mankind" sei „idle and unscientific" 4 2 3 und beharrte auf Detailgenauigkeit und Erforschung der Fakten. Er orientierte sich damit am V o r b i l d der modernen Geschichtswissenschaft und der deutschen rechtshistorischen Forschung. Maine und Maitland waren die Vertreter der extremen Gegenpositionen, die meiste anglo-amerikanische Forschung bewegte sich jedoch auf einem Spektrum zwischen diesen beiden Polen. A u c h hier zeigte sich wieder, daß darin einerseits das M o d e l l der Naturwissenschaften und andererseits das V o r b i l d der deutschen historischen Schule wirkte. Holmes ist hierfür das beste Beispiel, denn er untersuchte mit der von ihm selbst gerühmten „German exactness in d e t a i l " 4 2 4 die Quellen, formulierte aber doch umfassende Thesen zur Entwicklung überhaupt. I n ersterer Hinsicht war er (über Adams) ein Schüler Brunners, i n letzterer war er (über Maine) ein Nachfolger Darwins. c) Der vielleicht bedeutsamste Unterschied zwischen deutschem und angloamerikanischem Verständnis von rechtsgeschichtlicher Forschung betraf deren Funktion und Nutzen. Dieser Unterschied war nur ein partieller und bestand überdies nur bezüglich eines Teils der anglo-amerikanischen Denker. Es bedarf deshalb hier genauer Differenzierung. Zunächst ist nicht zu übersehen, daß in wesentlichen Punkten allgemeine Einigkeit über die Funktion der Rechtsgeschichte bestand: Das Recht der Gegenwart ist durch die Vergangenheit gegeben. Wer sich der Macht der Vergangenheit nicht bewußt ist, ist ihr hilflos ausgeliefert und folgt deshalb blind den alten Pfaden, ob dies sinnvoll ist oder nicht. Das Studium der Rechtsgeschichte dient also dazu, das Recht der Vergangenheit zu erfassen und zu durchdringen, dadurch die Tradition zu Bewußtsein zu bringen, und somit einen sinnvollen Umgang mit dem hergebrachten Stoff zu ermöglichen. Die Meinungen gingen aber auseinander in der Frage, inwieweit die Gegenwart an die Vergangenheit gebunden sei; daraus folgten grundlegende Unterschiede i m Verständnis des eigentichen Sinns rechtsgeschichtlicher Forschung. Für Savigny und seine Schüler war der von der Geschichte gegebene Stoff, soweit er „noch Leben hat" und noch nicht „abgestorben" i s t 4 2 5 , für die Gegenwart i m wesentlichen bindend. Diese Bindung war nicht nur „auf keine Weise vermeidl i c h " 4 2 6 , sie war auch „an sich als ein großes Gut zu erachten", da sie den Zusammenhang mit der Vergangenheit wahrte 4 2 7 . Dem lag eine idealistische Sicht der Geschichte zugrunde, die der Vergangenheit normativen Charakter beimaß, sodaß eine Vermutung für die Richtigkeit der i m Verlaufe der Zeit entwickelten Lösungen sprach. Wahrung der Tradition war deshalb ein hohes, nur in Ausnahmefällen zu mißachtendes G e b o t 4 2 8 . 423

Maitland, Domesday Book and Beyond 345. Oben Anm. 362. 425 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 117 f. 42 6 Id. 113. 427 Id. 116 f. 424

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Viele anglo-amerikanische Rechtsdenker der Classical Era standen dieser Auffassung durchaus nahe. Für Langdell ergab sich aus der organischen Entwicklung der Doktrin gleichsam automatisch das Recht der Gegenwart, das es also historisch zu begreifen galt. Für Ames und Carter war die Tradition des Common Law an sich so kostbar, daß sie von radikalen Änderungen abrieten und gegen Eingriffs versuche des Gesetzgebers protestierten 4 2 9 . I n ihrem Konservatismus und ihrer Sorge um die Wahrung der Kontinuität mit der Vergangenheit waren diese Denker Savigny und der deutschen historischen Schule sehr ähnlich. Doch waren andere, führende anglo-amerikanische Rechtshistoriker ganz und gar nicht bereit, der Vergangenheit soviel Herrschaft über die Gegenwart zuzugestehen. Das gilt insbesondere für Holmes und Maitland, aber auch für Bigelow oder Gray. Natürlich waren sich auch Holmes und Maitland darüber i m klaren, daß das gegenwärtige Recht unweigerlich aus dem vergangenen hervorgegangen, und daß dem Einfluß der Geschichte deshalb nicht ganz und gar zu entkommen w a r 4 3 0 . Das war zwar unvermeidlich, aber deshalb noch lange nicht wünschenswert. Vielmehr betonten Holmes und Maitland ausdrücklich das Recht der Gegenwart auf Selbstbestimmung: „The present has a right to govern itself so far as it can; and it ought always to be remembered that historic continuity with the past is not a duty, it is only a necessity." 4 3 1 Die Gegenwart durfte die Tradition fortsetzen oder sich von ihr abwenden, ganz wie es ihr beliebte. Dem lag eine positivistische Sicht der Vergangenheit zugrunde, derzufolge der Geschichte an sich keine normative Bedeutung z u k a m 4 3 2 . Aus diesen unterschiedlichen Auffassungen v o m Verhältnis zwischen Tradition und heutiger Zeit folgten verschiedene Ansichten über Sinn und Nutzen der geschichtlichen Forschung für das Recht der Gegenwart. Für Savigny und die deutsche historische Schule und i m wesentlichen auch für Langdell, Ames und 428

Immerhin gestand auch Savigny der Gegenwart (nach eingehendem Studium der Geschichte) ein „Urteil über den überlieferten S t o f f zu. Er sprach sogar davon, „diesen Stoff frey als unser Werkzeug zu gebrauchen", Vom Beruf unserer Zeit 113 f. Damit war aber nicht gemeint, daß die Lehren der Vergangenheit bei Belieben auch ganz verworfen werden dürften. 42 9 Dazu auch unten C.III.3. 430 Das brachte Maitland u. a. in seinem berühmt gewordenen Satz zum Ausdruck: „The forms of action we have buried, but they still rule us from their graves", Maitland, The Forms of Action at Common Law 1. Im selben Sinne schrieb Holmes: „That continuity [with the past] . . . limits the possibilities of our imagination, and settles the terms in which we shall be compelled to think", Holmes, Law in Science and Science in Law 210. 431 Holmes, Learning and Science 139; Maitland, Brief an Dicey, unten Anm. 434; in diesem Sinne auch Bigelow, A Scientific School of Legal Thought 13; Gray, Some Definitions and Questions of Jurisprudence 22. 432 „It is revolting to have no better reason for a rule of law than that it was laid down in the time of Henry IV. It is still more revolting if the grounds upon which it was laid down have vanished long since, and the rule simply persists from blind imitation of the past", Holmes, The Path of the Law 187; vgl. auch Holmes, Law in Science and Science in Law 211.

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ihresgleichen hatte die historische Forschung eine konstruktive, positive Funktion: Sie beschaffte sozusagen durch Erforschung der Entwicklung den wahren Stoff des Rechts aus der Geschichte und gab damit der Gegenwart das Recht v o r 4 3 3 . Für Holmes oder Maitland hingegen war die Funktion der Rechtsgeschichte „mainly negative and skeptical" 4 3 4 . Sie diente vor allem dazu, die bestehenden Regeln aus ihren Zeitumständen heraus, d. h. historisch zu verstehen, um dadurch der Gegenwart eine vernünftige Entscheidung darüber zu ermöglichen, ob diese Regeln nach wie vor sinnvoll und deshalb beizubehalten oder unpassend geworden und darum zu ändern seien. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit, schrieb Holmes, „is part of the rational study [of law], because it is the first step toward an enlightened scepticism, that is towards a deliberate reconsideration of the worth of those rules. When you get the dragon out of his cave on the plain and in the daylight, you can count his teeth and claws, and see just what is his strength. But to get him out is only the first step. The next is either to kill him, or to tame him and make him a useful animal." 4 3 5 Die Erkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge sollte also nicht an die Tradition binden, wie bei Savigny, sondern gerade davon befreien: „History sets us free and enables us to make up our o w n m i n d s . " 4 3 6 So gesehen war die rechtshistorische Forschung also bloße Aufklärungsarbeit i m Dienste moderner Rechtssetzung. Holmes, Maitland und ihresgleichen rückten damit aus Savignys Sicht i n gefährliche Nähe der von ihm sogenannten „ungeschichtlichen S c h u l e " 4 3 7 , die die Betrachtung der Geschichte als „nur eine von vielen Hilfskenntnissen" verstand 4 3 8 . Das lag daran, daß sie am Ende des 433 Vgl. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 113; zu Ames: Gordon, J. Willard Hurst and the Common Law Tradition in American Legal Historiography 16, 30. 434 Holmes, Law in Science and Science in Law 225; vgl. Maitlands Brief an Dicey, wiedergegeben bei Fifoot, Frederic William Maitland — A Life 143. 43 5 Holmes, The Path of the Law 186 f. 436 Holmes, Law in Science and Science in Law 225. Ganz ähnlich Maitland in seinem Brief an Dicey: „The only direct utility of legal history . . . lies in the lesson that each generation has an enormous power of shaping its own law. I don't think that the study of legal history would make men fatalists . . . I am sure that it would free them from superstitions and teach them that they have free hands", zitiert nach Fifoot, Frederic William Maitland — A Life 143. 437 Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 2. 438 Id. 3. Freilich glaubten Holmes oder Maitland nicht, wie die von Savigny gescholtenen unhistorischen Juristen, „daß jedes Zeitalter sein Daseyn, seine Welt frei und willkührlich hervorbringe", oder daß die Geschichte eine bloße „moralisch-politische Beispiel-Sammlung" und ihre Betrachtung durchaus verzichtbar sei, id. Auch darf man nicht verkennen, daß sich Holmes und insbesondere Maitland in ihren Veröffentlichungen mehr mit der Geschichte des Rechts als mit seinen gegenwärtigen Regeln beschäftigten. So verkündete Holmes zwar in The Common Law, er werde sich der Geschichte nur soweit widmen, „as it is necessary to explain a conception or to interpret a rule, but no further", id. 6, füllte dann aber die Seiten seines Werkes doch vornehmlich mit der Beschreibung und Analyse historischer Entwicklungen.

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19. Jahrhunderts das Recht nicht mehr, wie Savigny zu seinem Beginn, nur als Ergebnis der Geschichte, sondern auch als Ausdruck der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kräfte der Gegenwart betrachteten; es mußte also nicht nur aus seiner Entwicklung heraus verstanden, sondern auch den Anforderungen der eigenen Zeit gerecht werden 4 3 9 . Dieser Ansicht lag jedenfalls bei Holmes, wahrscheinlich auch bei Maitland und anderen, nicht zuletzt der britische Utilitarismus zugrunde 4 4 0 . Zudem machte sich bereits der amerikanische Pragmatismus bemerkbar, als dessen früher Vertreter Holmes an der Grenze zwischen historisch orientierter Classical Legal Science und der Jurisprudenz des 20. Jahrhunderts stand 4 4 1 . So sehr also die anglo-amerikanischen Rechtsdenker der Classical Era die Jurisprudenz als geschichtliche Rechtswissenschaft verstanden, und so oft sie bei ihren historischen Forschungen deutschen Vorbildern folgten, so waren sie doch keineswegs alle und in jeder Hinsicht Savignys Schüler. W o sie sich der vergleichenden Methode bedienten, und wo sie nach den universellen Entwicklungsprinzipien des Rechts suchten, waren sie v o m V o r b i l d der Naturwissenschaften beeinflußt, und wo sie die Rechtsgeschichte erforschten, u m die Gegenwart von der Vergangenheit zu befreien, waren sie anglo-amerikanischem Gedankengut verpflichtet. Ähnliches galt, wo sich die Common Lawyers der Classical Era der systematischen Ordnung des Rechts zuwandten. A u c h hier spielte die deutsche Rechtswissenschaft zwar eine wichtige Rolle als Modell, doch mischte sich ihr Einfluß wiederum mit anderen Elementen.

II. Das systematische Element: Rechtswissenschaft als Ordnung der Begriffe Ganz gleich, ob man die Erforschung der geschichtlichen Entwicklung des Rechts zur Anbindung an die Tradition oder zur Befreiung von ihren Fesseln betrieb, sie war jedenfalls nur der erste methodische Schritt der modernen Jurisprudenz. Sowohl nach dem Programm der historischen Schule als auch nach dem Konzept der Classical Legal Science mußte i h m als zweiter die begriffliche Erfassung und logische Ordnung der Grundbegriffe und -lehren des Rechts folgen. W i e Savigny die „einzelnen Rechtsbegriffe und Rechtsregeln" durch die „systematische Methode" zueinander in Beziehung setzen w o l l t e 4 4 2 , so war auch Lang-

439 Vgl. Holmes, The Common Law 33, 36 etc. 440 Dazu Pohlmann, Justice Oliver Wendeil Holmes and Utilitarian Jurisprudence; vgl. auch Campbell, German Influences on English Legal Education and Jurisprudence in the 19th Century 375 ff. 441 Vgl. Grey, Holmes and Legal Pragmatism. Ausführlicher dazu unten Dritter Teil. Β. 442 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, Vorrede X X X V I .

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dell überzeugt, die i m Fallrecht entwickelten „fundamental legal doctrines could be so classified and arranged that each should be found in its proper place, and nowhere e l s e " 4 4 3 . Wendet man sich diesem, begrifflich-systematischen Aspekt der Jurisprudenz zu, so betrachtet man nicht mehr ihre eigentlich geschichtliche, sondern gerade ihre unhistorische Seite, denn es geht nicht mehr um Erforschung der Rechtsentwicklung, sondern um Rechtswissenschaft als Ordnung der Begriffe. Dabei ist daran zu erinnern, daß es sich auch bei dieser dogmatisch-systematischen Jurisprudenz gleichwohl noch um die historische Schule i m weiteren Sinne handelt, da zu dieser auch die begriffliche Erfassung und Systematisierung des positiven (und in diesem Sinne „historischen" 4 4 4 ) Rechts gehörte. Das entsprach auch dem Verständnis der Common Lawyers, die in der „historical school" nicht nur Geschichtsforschung, sondern auch „ a force for unity, for system, for a reasoned body of principles" sahen 4 4 5 . Die Periode der klassischen Rechtswissenschaft war damit nicht nur die Ära des geschichtlichen Rechtsverständnisses, sondern zugleich der Suche nach Begriff und System 4 4 6 . W i e die historische, so war auch die begrifflich-systematische Ausrichtung des Rechtsdenkens ein internationales, sowohl Deutschland als auch England und Amerika erfassendes Phänomen 4 4 7 . In Deutschland bildete die Begriffsjurisprudenz ihren Höhepunkt und war die Pandektenwissenschaft ihr praktisches Ergebnis. I n England zeigte sie sich in Form der Analytical Jurisprudence448, und in den U S A trat sie vor allem als sog. „Classical Legal O r t h o d o x y " 4 4 9 auf. Wieder war es Beale, der diese internationalen Gemeinsamkeiten auf den Punkt brachte, indem er die Rechtswissenschaft definierte als „the whole body of law of the European and American nations, regarded as a philosophical system" 4 5 0 . Es lag also nahe, daß sich die Classical Legal Science auch auf dieser Ebene der historischen Schule verwandt fühlte. I n der Tat gab es hier vielfache Beziehungen zwischen deutschem und anglo-amerikanischen Rechtsdenken. Dabei handelt 443 Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts, Preface VII. Zwischen den Systembegriffen Savignys und Langdells bestanden allerdings wesentliche Unterschiede, dazu unten 3. 444 Vgl. oben 1.1. (a). Pound, Taught Law 996. 446 Darin lag ein innerer Widerspruch, dessen Auflösung durch die Vereinigung der historischen mit der systematischen Methode ein Kernproblem jener Zeit war; vgl. unten 3. 447 Vgl. Wise, The Transplant of Legal Patterns 14 f. 448 Zum Aufkommen des juristischen Formalismus in England um die Mitte des 19. Jahrhunderts Dawson, The Oracles of the Law 88 f.; Holdsworth, A History of English Law X V 275 ff; ausführlicher dazu sogleich unten 1. und 2. 449 Grundlegend Grey, Langdell's Orthodoxy, insbes. 6 ff. 4 50 Beale, The Development of Jurisprudence during the Last Century 271.

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es sich zum Teil u m direkten oder indirekten deutschen Einfluß auf die Wissenschaft v o m Common L a w , zum Teil um voneinander unabhängige aber parallele Entwicklungen. W i l l man diese Beziehungen richtig verstehen, so muß man sich zunächst Hintergrund und Bedeutung der anglo-amerikanischen Wendung zur begrifflichsystematischen Methode klarmachen. Schließlich verstand es sich für die traditionell an Präjudiz und Analogie gewöhnten Common Lawyers keineswegs von selbst, in abstrakten Kategorien und übergreifenden Zusammenhängen zu denken. Für dieses Denken gab es ganz konkrete Gründe in den seinerzeitigen Problemen des Common Law, die die anglo-amerikanischen Juristen m i t den Methoden der Wissenschaft zu lösen suchten. Dabei lag es für sie nahe, sich an der deutschen Rechtswissenschaft zu orientieren (dazu sogleich 1.). Konkret bedeutete dies, daß die Common Lawyers zunächst nach einer Erfassung des Rechts in Form einer beschränkten Anzahl grundlegender Prinzipien strebten, die den Stoff reduzieren und damit überschaubar machen sollten. Sie verstanden das Common Law also als eine Jurisprudenz der Begriffe. Dieses Bemühen war der deutschen Rechtswissenschaft nicht nur ähnlich, es stammte auch teilweise von ihr ab. Das zeigt sich ebenso in der Methodik wie in anhand konkreter, aus Deutschland übernommener Lehren (2.). Diese Begriffe und Lehren sollten aber auch zu einer übergreifenden Ordnung zusammenzugefaßt werden, um eine Orientierung in der Masse des Stoffs zu ermöglichen. Die anglo-amerikanischen Juristen bemühten sich deshalb u m die Systematisierung des Common Law. A u c h hierin ihren deutschen Kollegen ähnlich, sahen sie in deren Systemgebäuden Vorbilder, an denen sie sich orientieren konnten. Jedoch folgten sie diesen nicht bis ins Puchta'sche oder Jhering'sche Extrem (3.) Die begriffliche Erfassung und systematische Strukturierung des Rechts barg allerdings die Gefahr des Verfallens in wirklichkeitsfremde Abstraktion. Die Begriffsjurisprudenz lehrte das deutlich. Das anglo-amerikanische Bemühen um allgemeingültige Konzepte und logische Systeme stieß deshalb bald auf K r i t i k aus den eigenen Reihen. I n einem K a m p f um das Common Law und sein weiteres Schicksal wurde die deutsche Rechtswissenschaft nun von manchen als abschrekkendes Beispiel eines leeren Formalismus benutzt; wieder war sie Vorbild, diesmal aber ein negatives (4.). 1. Die Suche nach Ordnung Während das begrifflich-systematische Denken der deutschen Juristen die Fortsetzung der akademisch bestimmten, kontinentaleuropäischen Tradition bedeutete, war seine Vorherrschaft i n der anglo-amerikanischen Welt etwas Neues. Freilich hatte es auch hier, meist in Anlehnung an das V o r b i l d des C i v i l L a w , immer wieder Begriffsdefinitionen und Systementwürfe gegeben, wie bei Haie

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Zweiter Teil: Blütezeit

oder Blackstone, aber sie waren doch Randerscheinungen geblieben. Die eigentliche Methodik des Common Law war stets die aus Gerichtspraxis und Fallrecht erwachsene Suche nach Lösungen in konkreten Beispielen und i m Wege der Analogie geblieben. Warum entwickelten die Common Lawyers, die seit Jahrhunderten ohne klare und allgemeingültige Begriffsbestimmungen und ohne übergreifende Systematik ausgekommen waren, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts plötzlich soviel Interesse an diesen Dingen? a) Der Hauptgrund war eine tiefgreifende Krise des anglo-amerikanischen Rechts. Das traditionell überschaubare Common Law drohte erstmals unkontrollierbar zu werden, und die Juristen traten dieser Gefahr m i t dem Bemühen um begriffliche Klarheit und rationale Ordnung entgegen. Die Krise w i r d deutlich, wenn man sich die anglo-amerikanische Entwicklung i m 19. Jahrhundert vor Augen führt. Sie ist gekennzeichnet v o m Zerfallen der bisherigen Struktur des Rechts, von der zunehmenden Einmischung der Gesetzgebers, und von der wachsenden Menge des Stoffs. Die traditionelle Struktur des englischen und später des amerikanischen Rechts hatte auf zwei Prinzipien beruht. Z u m einen lag ihm die Aufteilung nach Klagformeln, den aus den mittelalterlichen Writs hervorgegangenen Forms of Action, zugrunde; diese hatten für jedes Begehren bestimmte, jeweils eigene materiellrechtliche und prozessuale Voraussetzungen aufgestellt und das Common Law so in eine Vielzahl unabhängig nebeneinanderstehender Klagearten untergliedert. Z u m anderen wurde zwischen dem eigentlichen, formstrengen Law, angewandt in den Common L a w Courts, und der Equity als materialem Korrektiv, angewandt durch den Chancellor und in den Chancery Courts, unterschieden 4 5 1 . Dieser Struktur lag zwar kein wissenschaftliches System, sondern allein das geschichtliche Wachstum zugrunde, sie ermöglichte aber immerhin die Gliederung des Rechtsstoffs, wenn auch nach vornehmlich prozessualen Gesichtspunkten. I m 19. Jahrhundert fielen nun beide Aufteilungsprinzipien radikalen Reformen zum Opfer. Die Forms of Action wurden sowohl i n England als auch in den U S A i m Laufe des Jahrhunderts allmählich abgeschafft, und die strenge Unterscheidung zwischen Law und Equity verblaßte zusehends 4 5 2 . I n England gab es seit dem Judicature Act von 1873 nur noch eine einheitliche Klageart; dasselbe galt in den U S A für den Field Code (of C i v i l Procedure), der seit 1848 nach und nach in den einzelnen Staaten eingeführt wurde. Die Errungenschaft dieser Reformen war die Abkoppelung des nun vereinheitlichten Prozesses von der Vielzahl mate451 Die Ähnlichkeiten mit dem antiken römischen Recht mit seinem Aktionensystem und der Unterscheidung zwischen ius civile und ius honorarium sind offenkundig. Dazu jüngst Stein, Roman Law, Common Law and Civil Law 1591 ff.; vgl. auch Peter, Actio und Writ. 452 Zu England ausführlicher Holdsworth, A History of English Law X V 102-138; Baker, An Introduction to English Legal History 79 - 82; eine kurze, prägnante Zusammenfassung gibt Maitland, The Forms of Action at Common Law 6 ff. Zur amerikanischen Entwicklung vgl. Friedman, A History of American Law 391 ff.

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rieller Ansprüche; ihr Preis war aber der Verlust der Jahrhunderte alten Struktur des Rechts 4 5 3 . Es war nun seiner prozessualen Aufgliederung beraubt, hatte aber eine materiellrechtliche nie entwickelt. Darin lag zwar die Chance einer rationalen Neuordnung, aber die anglo-amerikanischen Juristen mußten auch erkennen, daß sie die dazu notwendigen Prinzipien nicht kannten. Das Common Law zeigte sich zunächst einmal als unsystematisches Chaos. Hinzu kam die i m 19. Jahrhundert immer stärkere Einmischung der Legislative auch in die traditionellen Gebiete des Common Law. M i t der Parlamentsreform in England und der Verlagerung der politischen Macht von der Aristokratie auf die Mittelschicht ging schon seit 1820 ein von Bentham angetriebenes Programm der Gesetzgebung einher, die vor allem die Wirtschafts- und Sozialbedingungen immer eingehender regulierte 4 5 4 . A u c h die amerikanische Legislative produzierte, vor allem in den Einzelstaaten, eine rasch wachsende Flut von Gesetzen, die Eigentums- und Arbeitsverhältnisse, Vertragsbeziehungen und deliktische Haftung betrafen 4 5 5 . Das Privatrecht war also nicht mehr reine Domäne des Fallrechts, vielmehr trat neben das Case Law das Statute Law als zunehmend bedeutsame Rechtsquelle. Dabei hielten sich die Gesetzgeber nicht an die althergebrachten Konzepte und Grundregeln des Common L a w ; vielmehr ging es gerade um deren Abschaffung oder Abänderung. Das Recht wurde von immer mehr Ausnahmen durchsetzt und dadurch immer unübersichtlicher 4 5 6 . Schließlich nahm die Masse des Rechtsstoffs in einer alarmierenden Weise zu. Das lag nicht nur an der wachsenden Zahl der Einzelgesetze, sondern auch am Case Law selbst. Das Wachstum der Bevölkerung und die steigende K o m plexität der Lebensbedingungen spiegelte sich in einer höheren Belastung der Gerichte wieder, die also immer mehr Fälle zu entscheiden hatten. Zeigte sich das schon in England in einer „frightful accumulation of case l a w " 4 5 7 , so überschritt sie i m föderalistischen System Amerikas bald jedes kontrollierbare Maß. Hier produzierten neben den Bundesgerichten immer mehr einzelstaatliche Gerichtssysteme Mengen von Entscheidungen, die niemand mehr überschauen konnt e 4 5 8 . Hinzu kam, daß seit den 1880er Jahren in einem neuen, umfassenden System von Entscheidungssammlungen mehr Urteile denn j e veröffentlicht und 453

Vgl. Maitland, The Forms of Action at Common Law 7, 66. 54 Vgl. Baker, An Introduction to English Legal History 187 f.; Stein, Legal Evolution 70 f. 455 Friedman, A History of American Law 439 ff. 456 Hier hatte auch die feindselige Einstellung vieler Common Lawyers gegenüber der Gesetzgebung eine ihrer Ursachen; vgl. dazu unten C.II.2. und C.III.3. 457 Maine, Roman Law and Legal Education 347. 458 Um die Jahrhundertwende entschieden allein die amerikanischen Obergerichte rund 25 000 Fälle im Jahr, die ca. 400 Entscheidungsbände von jeweils etwa 500 bis 1000 Seiten füllten; diese und weitere Zahlen bei Hall, The Magic Mirror 227, 299; Friedman, A History of American Law 409 f. Eindrucksvolles Zahlenmaterial gibt auch Dillon, Our Legal Chaos 95 ff. 4

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Zweiter Teil: Blütezeit

damit gespeichert w u r d e n 4 5 9 . Die ursprüngliche Idee eines Case Law als eines überschaubaren Systems von Grundsatzentscheidungen wurde vollends illusorisch, da sich allmählich zu fast jeder Frage Dutzende von Fällen fanden, die natürlich oft in verschiedene Richtungen wiesen 4 6 0 . Das Fallrecht des Common Law hatte sich selbst ab adsurdum geführt. Die Common Lawyers in England und vor allem i n Amerika sahen sich also einem ins Chaos abgleitenden Rechtssystem gegenüber, das kurz vor dem Kollaps zu stehen schien. I n England beklagte Maine den wirren Zustand sowohl des Gesetzes- als auch des Fallrechts 4 6 1 und bezeichnete Pollock das Common Law als „chaos tempered by a Fisher's D i g e s t " 4 6 2 . In den U S A hatte Story schon 1821 gewarnt vor der abzusehenden „fearful calamity, which threatens us, of being buried alive, not in the catacombs, but in the labyrinths of the l a w " 4 6 3 ; in der Classical Era war nun überall die Rede v o m „ e v i l of increasing precedents" 4 6 4 , v o m Recht als „vast, disordered m a s s " 4 6 5 , als einem „ocean", auf dem man ohne Kompaß hilflos dahintrieb 4 6 6 . Die Classical Era war deshalb eine Zeit fast verzweifelter Suche nach einem „Arrangement of the L a w " 4 6 7 . Die logische Strukturierung des Rechts und seine Vereinheitlichung erschienen den anglo-amerikanischen Juristen jener Zeit als die vordringlichste Aufgabe der Rechtswissenschaft 468 . I n diesen Zusammenhang gehört auch der seinerzeit in Amerika erneut geführte Kodifikationsstreit, der nicht zuletzt um die Frage ging, ob das juristische Chaos durch ein Gesetzbuch überwunden werden k ö n n e 4 6 9 . Die Vereinfachung und Ordnung des Rechts schien 459 Es handelt sich dabei um das sog. National Reporter System der West-Publishing Company, das auch heute noch in Gebrauch ist; dazu Gilmore, The Ages of American Law 58 f. 460 Vgl. Dillon, Our Legal Chaos 98. Auch die American Bar Association war hierüber in Sorge, wußte sich aber keinen Rat, id. 97. 4 61 Maine, Roman Law and Legal Education 347, 369 ff. 462 Pollock, The Science of Case Law 238; der „Fisher's Digest" war ein seinerzeit populäres Entscheidungsverzeichnis. In diesem Sinne auch Arnos, The Science of Law, Preface VI; vgl. auch Bryce, On the Academical Study of the Civil Law 21 f. 4 63 Story, Address to the Suffolk Bar 436. 464 Schofield, Uniformity of Law in the Several States as an American Ideal I 418. 4 65 Piatt, The Proposed Civil Code of New York 717; vgl. auch Dillon, Our Legal Chaos; Terry, Some Leading Principles of Anglo-American Law V f. 4 66 Holmes, Brown University Commencement 1897 164. 4 67 So der Titel des Aufsatzes von Terry, The Arrangment of the Law; vgl. auch Andrews, The Classification of Law. 468 Vgl. Howe, Introduction to Holmes, The Common Law X V ; Gray, Some Definitions and Questions of Jurisprudence 21; Schofield, Uniformity of Law in the Several States as an American Ideal. 4 9 ^ Die Bewältigung des Chaos war David Dudley Fields Hauptargument für den von ihm entworfenen New York Civil Code, Field, Law Reform in the United States and Its Influence Abroad 27; vgl. auch ders., Answer to the Report of the New York City Bar Association Against the Civil Code 25. Ähnlich hatte schon Story in seiner Address to the Suffolk Bar argumentiert. Andere bezweifelten, daß ein Gesetzbuch wirklich

Β. Die historische Schule als Methode

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insbesondere zu Zwecken der juristischen Ausbildung unumgänglich, denn das Gedächtnis war gegenüber der Masse des Stoffs längst hilflos, sodaß nur eine Reduktion aufs Wesentliche und eine klare Struktur des Rechts ein sinnvolles Studium ermöglichen konnten 4 7 0 . b) Jenseits all dieser praktischen Gesichtspunkte spiegelte sich i m Bestreben nach Überwindung des chaotischen Zustandes des Rechts aber auch eine allgemeine „search for order" in der Gesellschaft jener Zeit w i e d e r 4 7 1 . Diese war in der Hauptsache eine Reaktion auf die Unsicherheit, die die Veränderung der Lebensbedingungen durch Industrialisierung und Urbanisierung erzeugte, und die durch die Verschärfung der sozialen Konflikte verschlimmert wurde. Hinzu kam in Amerika der allmähliche Verlust der gesellschaftlichen Homogenität durch starke Einwanderung. Eine wichtige Rolle spielte dort schließlich das Trauma des Bürgerkrieges, nach dessen Entzweiungen und Zerstörungen große Sehnsucht nach wohlgeordneten Verhältnissen aufkam. I m Zuge der allgemeinen Beruhigung der Lebensverhältnisse galt es deshalb, eine Ordnung auch des Rechts herzustellen, die von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Konflikten möglichst unberührt, d. h. neutral funktionierte 4 7 2 . c) W i e i m Streben nach Kontrolle über die natürliche Welt und in der Suche nach Bewältigung der sozialen Fragen, so vertrauten die führenden Denker jener Zeit auch auf dem Gebiet des Rechts vor allem auf ein M i t t e l zur Herstellung einer rationalen Ordnung: die Wissenschaft 4 7 3 . Allerdings lag hier nun ein anderes Wissenschaftsverständnis zugrunde als bei der geschichtlichen Erforschung des Rechts. Ging es dort vor allem um eine (empirische) Methode zur Ermittlung des historischen Stoffs, so lag der Schwerpunkt jetzt auf Wissenschaft i m Sinne des (idealistischen) Ziels eines logischen Systems von allgemeinen Begriffen. I m Mittelpunkt standen nicht mehr die „facts", sondern stattdessen die „principles" des Rechts 4 7 4 . Abhilfe schaffen könne, vgl. Platt, The Proposed Civil Code of New York 717. Ausführlicher zum Kodifikationsstreit in New York und insbesondere des deutschen Einflusses darauf unten C.II.l; sowie Reimann, The Historical School Against Codification: Savigny, Carter, and the Defeat of the New York Civil Code. 4 ?o Bishop, The First Book of Law 59 f.; Holmes, Codes and the Arrangement of the Law 3; Tiedemann, Methods of Legal Education 153 f.; American Bar Association, Report of the Committee on the Classification of the Law (1902) 426. 471 Vgl. Wiehe, The Search for Order 1877-1902. 472 Vgl. Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 10; White, Tort Law in America 6, 22 f. 473 Der anglo-amerikanische Begriff von Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert läßt sich deshalb geradezu funktional definieren als diejenige Behandlung des Rechtsstoffs, die zu einer rationalen Ordnung führt. Da man sich darüber bei allen sonstigen Meinungsverschiedenheiten einig war, liegt hierin die vielleicht umfassendste und sinnvollste Definition überhaupt. 474 Der hier nur angedeutete Unterschied reicht sehr tief, geht es doch um die Grundfrage, ob Wissenschaft positivistisch oder idealistisch zu verstehen sei; dazu ausführlicher unten III.

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Zweiter Teil: Blütezeit

Damit schloß man freilich, bewußt oder unbewußt, an das alte Wissenschaftskonzept an, das die Common Lawyers spätestens seit Blackstone beschäftigt hatte. Schon dieser hatte, ganz i m Sinne des rationalistischen Weltverständnisses der Aufklärung, das Z i e l der Rechtswissenschaft in der Reduzierung des Stoffs auf die ihm innewohnenden Prinzipien und in der Herstellung einer systematischen Ordnung gesehen 4 7 5 . Diese Auffassung von Jurisprudenz als „ a science, consisting of principles arranged into a s y s t e m " 4 7 6 herrschte dann allgemein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor. Dem lag bereits damals die Zuversicht zugrunde, eine solche Wissenschaft werde das Recht durch- und überschaubar, leichter lehrbar und lernbar, und dadurch auch besser anwendbar machen 4 7 7 . Die begrifflich-systematische Seite der Classical Legal Science war also neuer Wein in alten Schläuchen. Wenn Pollock von Recht als „ a system founded on princip l e s " 4 7 8 sprach und selbst Pound „a body o f principles" in „conformity to reason, uniformity, and certainty" suchte 4 7 9 , so klangen darin noch Blackstones Vorstellungen nach, auch wenn Pollock und Pound nicht mehr an göttliche Ordnung, sondern an menschliche Vernunft dachten, die vor allem die Konsistenz rechtlicher Entscheidungen verbürgen sollte. Da aber Blackstone und das alte Wissenschaftskonzept des Vernunftrechts dem späten 19. Jahrhundert als weltanschaulich veraltet und methodisch überholt galten, suchte die Classical Legal Science neue Vorbilder in zeitgenössischen Disziplinen. Zunächst waren auch hier wieder die Naturwissenschaften einflußreich, jetzt allerdings nicht als Beispiel empirischer Forschung, sondern als Muster nach Grundprinzipien angelegter Systeme. W i e die Naturwissenschaften das scheinbare Chaos des Universums doch als Ordnung erklärten, so sollte auch die Jurisprudenz i m Durcheinander des Rechtsstoffs das ihm innewohnende System entdecken und ans Licht bringen 4 8 0 . Der Klassifizierung der biologischen Arten oder dem Periodensystem der Elemente würde nach getaner Arbeit eine logische Ordnung der elementaren Rechtsprinzipien entsprechen. 475 Dazu ausführlich Boorstin, The Mysterious Science of Law 20-30; vgl. auch Sutherland, The Law at Harvard 20 ff. 476 So das 1837 erschienene Standardwerk Walker, Introduction to American Law 1, das auf Blackstone aufbaute. 477 Vgl. Grimké, An Oration of the Practicability and Expediency of Reducing the Whole Body of Law to the Simplicity of a Code 156 f.; Hoffmann, A Course of Legal Study, Advertisement X V I I I ; Du Ponceau, A Dissertation on the Nature and Extent of the Jurisdiction of the Courts of the United States 113 f.; Quincy, Address on the Occasion of the Dedication of Dane Law College 53 ff. 478 Pollock, The Vocation of the Common Law 17. 479 Pound, Mechanical Jurisprudence 606. 480 Auch diese Verbindung fand sich schon bei Blackstone, Commentaries on the Laws of England 138 f., und wurde im früheren 19. Jahrhundert immer wieder hergestellt, vgl. Grimké, An Oration on the Practicability and Expediency of Reducing the Whole Body of Law to the Simplicity of a Code 148; Hoffmann, A Course of Legal Study, Proem.; für die Classical Era vgl. etwa Gray, The Nature and Sources of Law 145.

Β. Die historische Schule als Methode Neben den Natural

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Sciences stand aber auch das kontinentaleuropäische

Rechtsdenken Pate. Hier waren zwei Elemente von Bedeutung. Z u m einen sahen viele Anglo-Amerikaner i m klassischen römischen Recht das V o r b i l d einer logisch strukturierten Jurisprudenz. Es war den Common L a w yers geradezu Ersatz für die allgemeine Rechts- und Methodenlehre, die sie selbst bislang nicht entwickelt hatten. Deshalb schlug Maine vor, dem chaotischen Zustand des englischen Common L a w durch Rückgriff auf romanistische Methoden Herr zu werden; er verglich „the power which they give over their subject matter to the advantage which the geometrician derives from mathematical analysis in discussing the relations of space. B y each of these helps, difficulties almost insuperable become insignificant, and processes nearly interminable are shortened to a tolerable compass" 4 8 1 . Z u m anderen war das kontinentaleuropäische Denken deshalb ein Vorbild, weil das moderne C i v i l Law vor allem seit dem Zeitalter des Vernunftrechts den Ruf einer begrifflich-logischen und systematischen Jurisprudenz genoß, von dem oben bereits die Rede w a r 4 8 2 . Schon i m früheren 19. Jahrhundert dachten deshalb die anglo-amerikanischen Juristen, die an die Wissenschaftlichkeit des Rechts glaubten und seine Systematisierung forderten, immer wieder und unweigerlich an die europäische T r a d i t i o n 4 8 3 . U n d noch 1894 rief W i l l i a m H. Howe in einer Vorlesungsreihe an der Yale L a w School zur „reform in the arrangment of the l a w " nach zivilistischem V o r b i l d a u f . 4 8 4 Diese beiden Elemente waren in der zeitgenössischen deutschen Jurisprudenz geradezu perfekt vereint: Die Pandektenwissenschaft hatte das Material des klassischen römischen Rechts in eine moderne, systematische Form gebracht. „ I t must be conceded", schrieb Pound, „that the system of Roman Law as it is taught and expounded today is chiefly the work o f Germans" 4 8 5 . Die deutsche Jurisprudenz erschien als letzte und höchste Entwicklungsstufe des romanistisch orientier481 Maine, Roman Law and Legal Education 336. Nach Maines Ansicht konnte insbesondere auch die englische Gesetzgebungstechnik vom römischen Recht profitieren, id. 369 ff. Ebenso Bryce, On the Academical Study of the Civil Law 26 ff., der sich dabei unmittelbar auf Savigny berief, id. 29 f. 482 Vgl. oben Erster Teil B. 483 May es, Whether Law is a Science 353 f., betonte die Verbindung zwischen Haie, Blackstone und Justinian; Peter Roselius gliederte den Stoff nach dem Institutionensystem, vgl. Franklin, The Introductory Lecture of Christian Roselius 578 ff.; vgl. auch Du Ponceau, A Dissertation on the Jurisdiction of the Courts of the United States, der die Wichtigkeit einer „general jurisprudence" betonte als „that science by which Cicero enlightened, not only the praetors of his days, but the judges of succeedings ages, and which . . . has fallen too much into neglect", 113, 115; zu Du Ponceau auch Stein , The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 423. In England pries 1848 George Bowyer, das Civil Law als „a means of mental discipline and exercise not inferior in any respect, and in some superior, to mathematics", Bowyer, Commentaries on the Modern Civil Law IV. 484 Howe, Studies in the Civil Law 6 f. 48 5 Pound , Taught Law 981.

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Zweiter Teil: Blütezeit

ten C i v i l Law und damit als eindrucksvollste Verkörperung seines begrifflichen und systematischen Charakters 4 8 6 . Die Pandektenwissenschaft war deshalb für viele Common Lawyers weit mehr als die Jurisprudenz eines europäischen Landes; sie war ein Denkgebäude das allgemeingültige Lösungen entwickelt hatte 4 8 7 . In der Masse des Rechtsstoffs hatte sie die Grundprinzipien entdeckt, u m sie sodann in ein logisches System zu bringen. Wenn die anglo-amerikanischen Juristen also nach einer Ordnung des Rechts suchten, so konnten sie ein besseres M o d e l l nicht finden.

2. Das Common Law als Jurisprudenz

der Begriffe

Für die Juristen der Classical Era bestand das Common L a w i m wesentlichen aus Prinzipien. Der Gedanke war keineswegs neu, sondern hatte auch i m angloamerikanischen Rechtskreis eine lange Tradition; sie reichte in England bis ins 15. Jahrhundert zurück und hatte schon Blackstones Commentaries zugrunde gelegen 4 8 8 . Aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam diese Vorstellung zu voller Ausprägung; nun dominierte sie das Rechtsdenken in England und Amerika auf breiter Basis. a) Sie setzte sich aus mehreren Elementen zusammen. Grundlage war die Überzeugung, daß sich das gesamte Fallrecht auf eine beschränkte Anzahl von Prinzipien reduzieren ließ, sodaß ein Zurückgreifen auf die Unmenge der Entscheidungen schließlich unnötig werden würde; wer einmal verstanden hatte, daß sich bindende Abreden aus Angebot und Annahme zusammensetzten, der brauchte nicht mehr Dutzende von Fällen zur Vertragsentstehung lesen. Da die Zahl der Grundprinzipien klein war, ließen sie sich i m Gegensatz zum Fallrecht leicht überschauen und i m Gedächtnis behalten. Die Bedrohung durch die Masse des Stoffs war damit weitgehend gebannt 4 8 9 . Zudem ging man davon aus, daß

Das entsprach ganz dem allgemeinen Ruf des deutschen Denkens: „The German mind is a systematic mind. It makes use of tables of things. It believes in the intellect giving itself regulated methods. It does its work in neutral carefulness and into ends, accurately and systematically conceived and projected", Thwing, The American and the German University 149. 487 „The problems which have engaged the attention of German jurists during this century are, in large degree, universal problems; and the solutions which they have reached should be of interest to all who care for legal science", Smith, Four German Jurists X 666. 488 Dazu Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise 641 ff.; Boorstin, The Mysterious Science of Law 22 f. 489 Clarke, The Science of Law and Lawmaking 92; Dicey, Can English Law Be Taught at the Universities? 20 f.; Dillon, Our Legal Chaos 102; Holland, The Elements of Jurisprudence 1. Selbst Holmes, der nicht an abstrakte Prinzipien, sondern an die Grundsätze dachte, nach denen konkrete Streitentscheidungen vorausgesagt werden konnten, fand: „The number of predictions when generalized . . . is not unmanageably large. They present themselves in a finite body of dogma which may be mastered within

Β. Die historische Schule als Methode

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die Prinzipien terminologisch präzise durch allgemeine Begriffe erfaßt werden könnten, mit denen sich dann operieren ließ; so gehörten etwa sich deckende und deshalb bindende Erklärungen unter den Begriff des „Contract", der alle derartige Geschäfte erfaßte. I m Wege solcher Verallgemeinerungen enstanden in der Classical Era die Grundkategorien modernen anglo-amerikanischen Privatrechtsdenkens wie Contract, Tort und Property. Dabei verstand man diese Begriffe als logisch definierbar und klar voneinander abgrenzbar, sodaß sie sich gegenseitig ausschlossen; vertragliche und deliktische Haftung etwa waren deshalb wesensverschiedene Alternativen. Aufgabe des in solchen Kategorien denkenden Juristen war es, Probleme durch eindeutige Zuordnung zu den in Frage kommenden Begriffen richtig zu lösen: Ein Vertragsschluß hatte bestimmte Voraussetzungen, und diese lagen entweder vor oder n i c h t 4 9 0 . Die Ähnlichkeit zwischen diesem Rechtsverständnis und der deutschen Begriffsjurisprudenz sind offenkundig 4 9 1 . Das hatte seine Ursache zum Teil in der Verwandtschaft der Aufgabenstellungen und Rahmenbedingungen der Jurisprudenz in den jeweiligen Ländern; darauf ist noch zurückzukommen 4 9 2 . Z u m T e i l waren die Parallelen jedoch das Ergebnis deutschen Einflusses auf das Common Law. A u c h hier muß man bei der Untersuchung der amerikanischen Classical Legal Science wieder die englische Rechtswissenschaft mitberücksichtigen. Das deutsche Begriffsdenken wirkte nämlich zunächst unmittelbar und stark auf die englische Analytical Jurisprudence. V o r allem über diese, und nur zu geringerem Teil direkt, beeinflußte es dann die amerikanischen Bemühungen um eine begriffliche Erfassung des Common Law. b) Die Analytical Jurisprudence hatte ihre Ursprünge i m Denken Jeremy Benthams, das aber erst durch seine Nachfolger wirksam wurde. Dabei geht es hier nicht um Benthams utilitaristische Vorstellungen vom Ziel des Rechts, sondern um sein noch i m Rationalismus des 18. Jahrunderts verwurzeltes Anliegen der Entwirrung und logischen Analyse des Common Law. Dieses Anliegen wurde von John Austin übernommen, der es sich zur Lebensaufgabe machte und dadurch zum eigentlichen Begründer der Analytical Jurisprudence avancierte 4 9 3 .

a reasonable time"; deshalb seien die allermeisten, in den Urteilssammlungen gespeicherten Entscheidungen durchaus zu entbehren; Holmes, The Path of the Law 169; ders., Law in Science and Science in Law 215 f. Die Idee an sich war uralt und findet sich schon bei Cicero (De Oratore I, XLIII). 490 Vgl. Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 17 f., der diese Denkstrukturen treffend als „The Categorical Mind" bezeichnet. Vgl. auch Arnos, The Science of Jurisprudence, Preface X X I f. 491 Bei aller Ähnlichkeit verblieben aber doch wichtige Unterschiede, dazu näher unten Anm. 561 ff. und Text. 492 Insbesondere lagen ihr die gemeinsame Aufgabe der Rechtsvereinheitlichung und -Vereinfachung und das Bedürfnis nach einem politisch neutralen Privatrecht zugrunde; dazu unten Zusammenfassung und C.III. 493 Vgl. Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800 1119. 9*

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Zweiter Teil: Blütezeit

Es ist hinlänglich bekannt, wie tief Austin von der deutschen Pandektistik beeinflußt w a r 4 9 4 . Unmittelbar nach seiner Ernennung zum (ersten) Professor für Jurisprudence an der 1826 gegründeten University of London ging Austin nach Deutschland, um dort die Organisation des Universitätswesens, vor allem aber auch die Werke der deutschen Romanistik zu studieren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Heidelberg, wo er möglicherweise Thibaut kennenlernte 4 9 5 , verbrachte er mehrere Monate 1827-1828 in Bonn. Hier las er sich mit Hilfe eines der dortigen Privatdozenten, wahrscheinlich L u d w i g A r n d t s 4 9 6 , gründlich in die deutsche Literatur, vor allem in die Arbeiten Hugos, Savignys, Thibauts, Falcks und Mühlenbruchs ein. Nach seiner Lehrtätigkeit in England, kehrte er in den 1840er Jahren nach Deutschland, insbesondere nach Dresden und Berlin zurück; dabei traf er auch Savigny selbst 4 9 7 . Austins überaus enge Beziehung zur deutschen Jurisprudenz drückte sich unter anderem darin aus, daß seine private Bibliothek überwiegend aus deutschen Titeln bestand. 4 9 8 . Austin stand zwar mit seiner rationalistischen und utilitaristischen Einstellung geradezu i m Gegensatz zur historischen Seite der deutschen Rechtswissenschaft; da er in einem Rechtssatz vor allem einen „command" der Staatsgewalt sah, lehnte er die Volksgeistlehre a b 4 9 9 , und da ihm Rechtsklarheit in der Gegenwart über Wahrung der Tradition ging, verfocht er gegen Savigny die Kodifikationsidee. Hingegen fühlte sich Austin zur begrifflich-systematischen Dimension der deutschen Jurisprudenz, um die es hier geht, stark hingezogen 5 0 0 . A n Gelehrten wie Savigny und Thibaut bewunderte er die „penetrating acuteness, rectitude of judgment, depth of learning, and vigour and elegance of exposition" 5 0 1 . Die 494 Zum folgenden ausführlich Schwartz, John Austin and the German Jurisprudence of His Time; ders., Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 51,56 f.; vgl. auch Thieme, Die deutsche historische Rechtsschule und ihre ausländischen Jünger 262; Hoeflich, Law and Geometry, Legal Science from Leibniz to Langdell 111 f.; Morrison, John Austin 17 ff., 60 ff. 495 Campbell, German Influences on English Legal Education and Jurisprudence in the 19th Century 373. 496 Morrison, John Austin 20. 497 Vgl. Austin, Lectures on Jurisprudence I, Preface (von seiner Frau Sarah Austin) XXII. 498 Morrison, John Austin 61; vgl. auch Campbell, German Influences on English Legal Education and Jurisprudence in the 19th Century 368 (Anm. 31). 499 Austin, Lectures on Jurisprudence 15. Übrigens waren beide Rechtsbegriffe durchaus miteinander vereinbar, wie Hermann Kantorowicz ganz richtig bemerkte, denn Savigny und Austin betrachteten Recht aus ganz unterschiedlichen Perspektiven; Savigny ging es um die Erklärung des Gehalts, Austin um die Feststellung der politischen Legitimation und Bindungskraft des Rechts; vgl. Kantorowicz, Savigny and the Historical School 334. 500 Vgl. Morrison, John Austin 19 f. und 60 ff. Auch war Austins Verständnis von Jurisprudence als Wissenschaft vom positiven Recht von Hugo beeinflußt, wobei Austin allerdings unter positivem Recht das vom Souverän gesetzte verstand, Austin, Jurisprudence I, L I X und 1. soi Austin, Lectures on Jurisprudence I, CXII.

Β. Die historische Schule als Methode

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Aufbereitung des römischen Rechts durch die Pandektisten schien ihm mustergültig und dem wirren Denken der Common Lawyers weit überlegen: „Turning from the study of the English to the study of the Roman law, you escape from the empire of chaos and darkness, to a world that seems by comparison the region of order and l i g h t 5 0 2 " . Dementsprechend ging es ihm in seinem Hauptwerk vor allem darum, die Methoden der deutschen Romanistik für das Common Law fruchtbar zu machen. Austins Lectures on Jurisprudence beruhen weitgehend auf Hugo, Savigny, Thibaut, Mackeldey und Mühlenbruch, wobei er weniger deren einzelne Lehren als ihren begrifflichen Apparat und logische Anordnung der Materie übernahm. Diese hielt er für allgemeingültig, sodaß sie sich v o m römischen auf das englische Recht übertragen ließen, um dem Common Law dadurch eine ähnlich rationale Struktur zu geben. Austins Wirkung blieb zu seinen Lebzeiten zwar gering, da die logische Strukturierung des Rechts vor der Jahrhundertmitte in England noch nicht allgemein als dringendes Bedürfnis empfunden wurde. Als sich die Common Lawyers dieser Aufgabe jedoch mehr und mehr zuwandten, sahen sie in Austins Ansatz in zunehmendem Maße das erfolgsversprechendste Instrument. Dadurch wurde die Analytical Jurisprudence zur dominierenden Methode der theoretischen Bearbeitung des Rechts in England. Der deutsche Einfluß blieb dabei tonangebend. Das zeigt ein B l i c k auf die wichtigsten Nachfolger Austins. Die w o h l direkteste Verbindung bestand zwischen John Austin und W i l l i a m Markby, der mit Austins W i t w e entfernt verwandt war und m i t ihr nach Deutschland reiste, wo sie ihn m i t Gelehrten vor allem in Bonn bekanntmachte 5 0 3 . A u c h lernte Markby i m Winter 1875 / 76 in Leipzig Windscheid kennen, mit dessen Werken er wohl vertraut war, und für den er große Bewunderung hegte 5 0 4 . Der geradezu überwältigende Einfluß der Pandektistik auf Markby zeigte sich in seinem Hauptwerk, den aus Vorlesungen für indische Studenten in Kalkutta hervorgegangenen Elements of Law 505. Markby ging es nicht um reine Stoffvermittlung, sondern um die wissenschaftliche Darstellung des Rechts als „a collection of principles" 5 0 6 . Bei deren Ermittlung lehnte sich Markby eng an die Arbeiten der deutschen Romanisten an, wobei Savigny i m Vordergrund stand. Aber auch Glücks, Vangerows, Wächters und Windscheids Pandektenlehrbücher, Puchtas 502

Austin, Lectures on Jurisprudence I XCIV. 503 Markby, Memories of Sir William Markby 24 f. 504 Markby, Memories of Sir William Markby 68. 505 Die Notwendigkeit, indischen Studenten das Common Law in Vorlesungen vortragen zu müssen, führte Markby wie übrigens auch anderen englischen Juristen das Fehlen klarer Begriffe und logischer Strukturen deutlich vor Augen. Hierin lag oft der Anlaß, auf die Methoden Austins und damit auf die deutsche Pandektistik zurückzugreifen. Ähnliches gilt auch für Rattigan, The Science of Jurisprudence, chiefly intended for Indian Students. Allgemein dazu Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1121 f. 506 Markby, Elements of Law, Introduction X f.

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Zweiter Teil: Blütezeit

und Sohms Institutionendarstellungen sowie die Werke Thibauts und Jherings dienten zum V o r b i l d 5 0 7 . Mindestens ebenso stark war der deutsche Einfluß auf das Werk Thomas Erskine Hollands, der es sich in seinen 1880 erschienen Elements of Jurisprudence zur Aufgabe machte, Austins unvollendet gebliebenes System der Begriffe ganz auszuarbeiten 508 . Bei seinem Bemühen „ t o set forth and explain those relatively few and simple ideas which underlie the infinite variety of legal r u l e s 5 0 9 " sah Holland i m römischen Recht das wichtigste L e i t b i l d 5 1 0 . Holland wandte sich zunächst der naturrechtlichen Literatur des 18. Jahrhunderts zu, wurde aber von ihrer „Jurisprudence in the air" enttäuscht. „ M o r e help has been found, where it might not at first be looked for, in the numerous works, usually entitled ,Pandekten', in which the Germans have set forth the Roman law as it has been modified w i t h a view to modern convenience. Foremost among these must be mentioned von Savigny's 'System des heutigen Römischen R e c h t s ' " 5 1 1 . Die Liste der von Holland benutzten deutschen Literatur ist beeindruckend; sie enthält Werke Hugos, Jherings, Puchtas, Savignys, Thibauts und vieler weniger bekannter A u t o r e n 5 1 2 . Holland entnahm der deutschen Jurisprudenz Konzepte wie „object of l a w " , „rights" (einschließlich der Aufteilung in in personam und in rem), „person", „juristic act" oder „condition". Dabei ging es ihm, wie anderen Analytical Jurists auch, nicht zuletzt um die Entwicklung einer einheitlichen und präzisen Terminologie, die zwar das moderne römische Recht auszeichnete, die dem Common Law aber bislang gefehlt hatte 5 1 3 . A u c h für Sheldon Amos bestand kein Zweifel an der Maßgeblichkeit der kontinentaleuropäischen Rechtswissenschaft. Es galt deshalb, ihre Errungenschaften auf das englische Rechtsdenken zu übertragen: „The prospects of the Science of Jurisprudence, especially in England, w i l l depend largely upon a greater familiarity than has hitherto been encouraged in legal education w i t h the vast and invaluable juridicial literature of Germany and France" 5 1 4 . Dabei stand 507 Darüberhinaus zitierte Markby auch Germanisten wie Beseler, Gerber und Dernburg sowie weniger bekannte Autoren (Danz, Bluhme, Kuntze, Roenne, Lasalle). Hinzu kommen Bezugnahmen auf das Preußische Allgemeine Landrecht und, in späteren Auflagen, auf das BGB. Demgegenüber sind die Hinweise auf das französische Recht wie Pothier und den Code civil vereinzelt. 508 Holland, The Elements of Jurisprudence, Preface V I f. 509 Id. 1. 510 Id. 2. su Id. Preface VIII. 512 Oft griff Holland zudem auf der Suche nach klaren Begriffen auf die deutsche Rechtsphilosophie, vornehmlich auf Kant und Hegel zurück. Darüberhinaus zitierte er Werke zum Staatsrecht, etwa Bluntschlis oder von Mohls. Wie bei den meisten Analytical Jurists durfte Holtzendorffs Encyklopädie der Rechtswissenschaft nicht fehlen. Auch mit der deutschen Gesetzgebung (ALR, HGB, GVG, ZPO) zeigte sich Holland vertraut. 513 Holland, The Elements of Jurisprudence, Preface V. 514 Arnos, A Systematic View of the Science of Jurisprudence 505 f.

Β. Die historische Schule als Methode

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die deutsche Literatur für Arnos i m Vordergrund, wobei er sowohl an die Philosophie Kants und Hegels als auch an die positivrechtlichen Arbeiten Hugos, Savignys, Thibauts und anderer dachte 5 1 5 . Wer sich mit der Jurisprudenz beschäftigte, der kam deshalb nach Arnos' Ansicht nicht daran vorbei, gründliche deutsche Sprachkenntnisse zu erwerben, um die Werke dieser Autoren i m Original lesen zu k ö n n e n 5 1 6 . Eines der populärsten Werke jener Zeit war John Salmonds Jurisprudence or the Theory of Law. Salmond sah in Savigny, Windscheid, Dernburg und der Pandektenliteratur „admirable examples of the scientific analysis of fundamental legal conceptions" 5 1 7 und entlehnte der deutschen Rechtswissenschaft grundlegende Begriffe. Seine Bibliographie nannte eine Vielzahl deutscher A u t o r e n 5 1 8 . Salmonds Werk genoß in der Welt des Common Law bis weit in unser Jahrhundert hohes Ansehen 5 1 9 . Schließlich ist auch Frederick Pollock insofern noch zu Austins Nachfolgern zu rechnen, als die analytische Methode seine Lehrbücher prägte; allerdings vereinte sie sich bei Pollock bereits mit dem historischen Ansatz. Pollocks Bewunderung galt vor allem S a v i g n y 5 2 0 . Seine systematischen Werke ähnelten deshalb denjenigen Savignys in Konzept und S t i l 5 2 1 . A u c h übernahm er von diesem wichtige Grundgedanken des Vertragsrechts 5 2 2 . Pollocks Denken war zwar nicht so kategorisch an Begriffen orientiert wie die Überlegungen Markbys oder Hollands, doch suchte auch er in einer am deutschen M o d e l l orientierten Weise nach den fundamentalen Konzepten des Common Law. So arbeitete er allgemeine Begriffe wie „Agreement" oder „Mistake" heraus 5 2 3 . Damit stand die englische Privatrechtswissenschaft des späteren 19. Jahrhunderts deutlich unter dem Einfluß der Pandektistik. Die Vorbildfunktion der deutschen, romanistischen Jurisprudenz zeigte sich auch in den zahlreichen, oben bereits erwähnten Übersetzungen der Werke Savignys, Thibauts, Mackeldeys, Puchtas und anderer ins Englische 5 2 4 . Rechtswissenschaft wurde als „Science o f Jurisprudence" verstanden, und diese lehnte sich so eng an das deutsche Denken 515 Id. 505. 516 I d . 505 f. 517 Salmond, Jurisprudence or the Theory of Law 9. sis Id. Appendix IV. 519 Zu erwähnen ist noch der weniger bekannte William Rattigan, dessen Science of Jurisprudence deutliche Spuren der Göttinger Studienjahre ihres Autors trug. Rattigan zitierte rund zwei Dutzend deutsche Werke des 19. Jahrhunderts, vorwiegend aus der Pandektistik. 520 Vgl. Pollock, Principles of Contract, Preface XII; dazu Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 61 f. 521 Dazu Schwartz, Sir Frederick Pollock und die englische Rechtwissenschaft 138. 522 Dazu sogleich unten Anm. 545, 552 ff. und Text. 523 Pollock, Principles of Contract 1 ff., 381 ff. 524 Vgl. oben Übermittlungswege 1.

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Zweiter Teil: Blütezeit

an, daß Hastie 1887 nichts dabei fand, unter diesem Titel nur deutsche Arbeiten zu veröffentlichen 5 2 5 . Es sei längst unnötig, schrieb Hastie i m Vorwort, sich dafür zu entschuldigen, „since the soundness, value and validity of the German methods of thinking have w o n universal recognition" 5 2 6 . c) Als in den U S A i m letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die begriffliche Erfassung des Rechts zu einer immer dringenderen Aufgabe wurde, erfreute sich auch hier die Idee immer größerer Beliebtheit, das Common Law bestehe i m wesentlichen aus Grundprinzipien, auf denen die Entscheidungen beruhten oder zumindest beruhen sollten 5 2 7 . Diese Grundprinzipien galt es deshalb logisch zu analysieren und in allgemeine Begriffe zu fassen 5 2 8 . M a n kann die amerikanischen Vertreter dieser Auffassung, wie Christopher Columbus Langdell, Joseph Beale, John Henry Wigmore, Samuel Williston, zum T e i l aber auch John Chipman Gray und andere führende Rechtsdenker der Classical Era jedenfalls in ihren begrifflichen Bemühungen deshalb durchaus noch der Analytical Jurisprudence in einem weiteren Sinne zurechnen 5 2 9 . Dabei darf man aber nicht übersehen, daß sie die begriffliche Analyse des Rechts nicht mit derselben Intensität und Konsequenz betrieben, die sich bei Austin, Markby oder Holland fanden 5 3 0 . Da die englischen Juristen wie Austin, Markby, Holland, Salmond und Pollock bereits entscheidende Vorarbeiten geleistet hatten, lag es für ihre amerikanischen Kollegen nahe, auf diese zurückzugreifen, zumal sich die Common Lawyers beiderseits des Atlantik weitgehend als Gemeinschaft verstanden. Die Werke der Schüler Austins galten deshalb auch in den Vereinigten Staaten in der Classical Period als Standardwerke. So wirkte über sie das deutsche Begriffsdenken auf dem Umweg über die englischen Analytical Jurists auch auf die amerikanische Jurisprudenz ein. Überdies sahen viele amerikanische Juristen der Classical Era sowieso in der deutschen Rechtswissenschaft die Verkörperung begrifflich exakten Denkens. M a n bewunderte die Klarheit der Darstellung etwa bei Puchta 5 3 1 , die dogmatischen Leistungen eines W i n d s c h e i d 5 3 2 und überhaupt „the power of generalization 525 Puchta et. al., Outlines of the The Science of Jurisprudence; das Buch enthält übersetzte Auszüge aus den Werken Puchtas, Friedländers, Falcks und Ahrens 526 Hasties, Translator's Preface to Puchta et al., Outlines of the Science of Jurisprudence, X X V I I I . 527 Vgl. Wigmore , A Treatise on the Anglo-American System of Evidence, Preface. 528 Gray, Some Definitions and Questions of Jurisprudence 27; Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence, Preface VII; Williston, Life and Law 205. Dazu auch Stevens, Law School 131. 52 9 Vgl. Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas 31 ff.; Cohen, American Thought 154 f. 530 An Intensität und Konsequenz in der Begriffsbildung stand allerdings Henry T. Terry den englischen Juristen in nichts nach, vgl. Terry, Some Leading Principles of Anglo-American Law, zu Terry Her get, American Jurisprudence 1870-1970 53 ff., 67 ff. 531 Vgl. Hart, German Universities 125 f. 532 Smith, Four German Jurists X I I 51 ff.

Β. Die historische Schule als Methode

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which the Germans possess in so high a degree" 5 3 3 . A u c h fehlt es in den amerikanischen Werken über Jurisprudence

nicht an direkten Hinweisen auf deutsche

Ideen 5 3 4 . Dennoch lehnten sich die Begriffsanalysen der Rechtsdenker in den U S A nicht so regelmäßig und unmittelbar an deutsche Vorbilder an, wie das in England der Fall war. Überhaupt neigten die amerikanischen Juristen weniger als ihre englischen Kollegen dazu „to force common law ideas and doctrines and institutions into modern-Roman-law m o l d s " 5 3 5 . A u f die Gründe für diese amerikanische Zurückhaltung gegenüber der modernen Romanistik ist noch einzugehen 5 3 6 . I n ihrer Suche nach allgemeinen Begriffen war die amerikanische Jurisprudenz dem deutschen Denken deshalb zwar eng verwandt; von i h m beeinflußt war sie aber nur i n beschränktem Umfang, d. h. vor allem auf dem U m w e g über die englische Analytical Jurisprudence und schwächer als diese. d) Diese Zusammenhänge zwischen deutscher Pandektistik, englischer Analytical Jurisprudence und amerikanischem Rechtsdenken lassen sich anhand eines konkreten Beispiels veranschaulichen. Dazu ist das Vertragsrecht am besten geeignet, weil es besonders ausführlich diskutiert wurde. Einerseits ging es den anglo-amerikanischen Juristen zu Herzen, weil der Vertrag als das wichtigste Instrument rechtlicher Selbstbestimmung in einer liberalistischen Wirtschaftsgesellschaft galt. Andererseits taten sich die Common Lawyers mit der Lösung vertragsrechtlicher Probleme schwer, w e i l ihre „forms of contract, instead of being made once and for all, like a yacht, on lines of least resistance" nur „accidental relics of early notions" w a r e n 5 3 7 . Es lag deshalb aus mehreren Gründen nahe, sich am kontinentaleuropäischen Recht zu orientieren. Z u m einen zeichneten sich die aus den römischen abgeleiteten, kontinentaleuropäischen Vertragslehren durch eben die klaren Grundsätze und die rationale Struktur aus, die dem Common Law gerade fehlte. Das bestätigte die bereits erwähnte, allgemeine Überzeugung vieler anglo-amerikanischer Juristen, das römische Recht sei verkehrsfreundlicher und deshalb dem modernen amerikanischen Wirtschaftsleben angemessener als das den mittelalterlichen Feudalstrukturen entstammende Common L a w 5 3 8 . Z u m anderen lag es überhaupt nahe, das kontinentaleuropäische 533 Smith, Four German Jurists X 682; vgl. auch id. X I 279 ff. 534 Durchgehend etwa bei Gray, The Nature and Sources of Law. 535 Pound, Jurisprudence I 60. 536 Dazu unten 4. 537 Holmes, Learning and Science 139. 538 Dazu oben Erster Teil A. Das drückte Francis Wharton 1874 sehr treffend aus, als er schrieb: „The necessities of business life drove us to approach the law of business of Rome", Wharton, A Treatise on the Law of Negligence, Preface IX. „It shows how much human nature . . . continues to exhibit the same characteristics, that we, in the nineteenth century, in the United States, should be instinctively and unconsciously constructing for ourselves, in defiance of the scholastic traditions we have been trained to reverence, a jurisprudence which rejects these traditions, and assimilates itself to the jurisprudence of Rome at her business prime." id.

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Zweiter Teil: Blütezeit

Recht zum V o r b i l d zu nehmen, da schon frühere Generationen das immer wieder und insbesondere i m Bereich des Handelsrechts getan hatten 5 3 9 . Als die Common Lawyers sich nun i m 19. Jahrhundert den Vertragslehren des C i v i l Law verstärkt zuwandten, entliehen sie zwar zunächst Ideen aus der naturrechtlichen Literatur, vor allem von französischen A u t o r e n 5 4 0 , in der Classical

Era aber wandten sie

sich dann mehr und mehr den deutschen Begriffen zu. In den oben genannten Werken der englischen Analytical Jurists ist der Einfluß deutscher Lehren und Begriffe offenkundig und weitreichend. Markby übernahm Savignys Vertragsdefinition und Obligationsbegriff und diskutierte seine Irrtumslehre 5 4 1 . Holland folgte Kant, Hegel und Savigny, indem er in Kategorien von Willenserklärung („declaration of w i l l " ) , Rechtsgeschäft („juristic act") und Obligation („obligation") dachte und Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft trennt e 5 4 2 . Arnos bezog sich auf die deutsche Vorstellung eines Vertrages als beschränkter Herrschaftsmacht über eine Person, blieb aber zurückhaltend 5 4 3 . V o r allem waren die beiden großen Werke, die das englische Vertragsrecht in seine moderne Form brachten, in weiten Teilen v o m Einfluß deutscher Ideen geprägt 5 4 4 . Pollocks 1876 erschienene Principles of Contract wiesen schon i m Vorwort auf Savignys großen Einfluß hin und beruhten auf seinen Lehren, wo es um Vertragsschluß und Verpflichtung, Fehler und Irrtum, Anfechtbarkeit und um viele Einzelfragen g i n g 5 4 5 . Ähnliches gilt für W i l l i a m Ansons drei Jahre später veröffentlichte Principles of the Law of Contract 5* 6. Autoren wie Markby, Pollock oder Anson übernahmen deutsche Kategorien keineswegs blind und unkritisch, wie ihre gelegentlich ablehnende Haltung zeigte 5 4 7 ; vielmehr waren sie in den meisten Fällen einfach davon überzeugt, daß mit dem kontinentaleuropäischen Instrumentarium auch in das Common Law Ordnung zu bringen sei 5 4 8 . Zwar standen die Anwälte und Richter diesem Denken in abstrakten Kategorien oft skeptisch gegenüber, 539 Dazu oben Erster Teil A. 540 Vgl. Simpson, Innovation in Nineteenth Century Contract Law. 541 Markby, Elements of Law 78 ff., 142, 301 f. 542 Holland, Elements of Jurisprudence 73, 127 ff., 162. 543 Amos, The Science of Jurisprudence 177, 181. 544 Hierzu allgemein Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract 682 f. 545 Pollock, Principles of Contract, Preface VII, 1 ff., 5, 7, 19, 78, 85, 89, 382 ff, 398 f., 407 f. etc. Zudem zog Pollock die Pandektenlehrbücher Arndts' und von Vangerows sowie das Preußische Allgemeine Landrecht und das Handelsgesetzbuch zu Rate. Auch Pothier und die Zivilgesetzbücher Frankreichs, Österreichs und Italiens wurden zitiert. 546 Anson, Principles of the Law of Contract 2, 4, 7 f. etc. 547 Vgl. ζ. Β. Markby, Elements of Law 142; Pollock, Principles of Contract 384, 422; Anson, Principles of the Law of Contract 25. 548 Es mag hinter vielen Hinweisen auf deutsche Autoren und Quellen gelegentlich das Bedürfnis gestanden haben, sich als international Gelehrter zu profilieren. Doch sind diese Hinweise auch dann nicht ohne Bedeutung, denn sie zeugen zumindest vom Prestige des kontinentaleuropäischen und insbesondere deutschen Denkens, mit dem man sich deshalb gern selbst schmückte.

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doch fanden die von der deutschen Romanistik entliehenen Begriffe und Definitionen über Pollock, Anson und andere i m Laufe der Zeit zum T e i l Eingang in die Praxis 5 4 9 . Eine derartig weitreichende und unmittelbare W i r k u n g war der deutschen Vertragsdogmatik in den U S A zwar nicht beschieden, aber es finden sich auch dort deutliche Spuren deutschen Einflusses, wie etwa i m Begriff des Rechtsgeschäfts („legal transaction"), der Willenserklärung („declaration of w i l l " ) , des Verständnisses von Angebot und Annahme („offer and acceptance") sowie beim Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage („failure of presupposed condit i o n s " ) 5 5 0 . Meist gelangten diese Ideen auf dem U m w e g über die englischen Lehrbücher nach Amerika, doch zogen amerikanische Autoren gelegentlich auch direkt die deutsche Literatur heran 5 5 1 . Ein anschauliches Beispiel ist der Werdegang der sog. Will Theory. Savigny hatte die Lehre vertreten, daß eine vertragliche Bindung die Übereinstimmung des inneren Willens der Parteien voraussetze 552 . Pollock übernahm diese Ansicht von Savigny, worin ihm Holland f o l g t e 5 5 3 ; Anson schloß sich a n 5 5 4 . Damit war die Will Theory in England etabliert 5 5 5 . V o n hier aus drang sie sodann in die amerikanische Jurisprudenz ein: Pollock interpretierte die zeitgenössische englische Entscheidung i m Falle Raffles ν. Wichelhaus (in sehr zweifelhafter Weise) als Bestätigung dieses subjektiven Verständnisses v o m Vertragsschluß, woraufhin Langdell in Harvard das Urteil in die zweite Auflage seines Casebooks zum Vertragsrecht aufnahm und die Will Theory als allgemeine Lehre vertrat. Das Urteil i m Raffles Fall und die durch dieses veranschaulichte Doktrin fanden in der Folge in immer mehr amerikanische Werke zum Vertragsrecht Eingang. Die Entscheidung etablierte sich als (heute noch gelehrter) Klassiker, die in sie hineingelesene Theorie wurde zur vorerst herrschenden M e i n u n g 5 5 6 . 549 Vgl. Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract 685. Ein konkretes Beispiel ist die Lehre vom Rechtsbindungswillen als Voraussetzung vertraglicher Verpflichtung. Sie gelangte von Savigny über Pollock in die englische Rechtsprechung, vgl. id. 690. 550 Dazu Riesenfeld, The Influence of German Legal Theory on American Law: The Heritage of Savigny and His Disciples; ders., The Impact of German Legal Ideas and Institutions on Legal Thought and Institutions in the United States. 551 Vgl. vor allem Wharton, A Commentary on the Law of Contracts, wo es heißt: „no book on contracts can meet the present need unless it gives us what is said by the great German commentators now recognized in England", Preface VI. Wharton zitierte neben Kant und Hegel vor allem Savigny, Windscheid, Puchta, Vangerow und Mühlenbruch. 552 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I I I 309 (§ 140). 553 Pollock, Principles of Contract Iff; Holland, Elements of Jurisprudence 176. 554 Anson, Principles of the Law of Contract 2, 122. 555 Vgl. dazu Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract 407 f.; Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1900 1123 f. 556 Vgl. Pound, The Formative Era of American Law 114. Der Aufstieg des an sich unscheinbaren und unklar begründeten Urteils im Falle Rajfles ν. Wichelhaus (2 Huristone & Coltman 906, Court of Exchequer 1864) zum Klassiker des Vertragsrechts, der die

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Jedoch handelte sich bei derartigen Einwirkungen eher um Einzelfälle, nicht, wie in England, um eine grundsätzliche Überarbeitung des Vertragsrechts nach pandektistischem Vorbild. Direkte Hinweise auf die deutsche Romanistik sind in der amerikanischen Vertragsrechtsliteratur vergleichsweise selten 5 5 7 . So zitierte auch Samuel W i l l i s t o n in seinem (späteren) Standardwerk zwar gelegentlich Savigny (auf dem Wege über Pollock), Windscheid oder das B G B 5 5 8 , doch blieben derart vergleichende Betrachtungen für Williston am Rande. Nicht zu vergessen ist allerdings, daß auch auf anderen Gebieten des Privatrechts deutsche Begriffe und Definitionen zunächst in England und dann (oft in abgeschwächter Form) in den U S A diskutiert und zum Teil rezipiert wurden. Z u nennen sind hier vor allem die vielumstrittenen Fragen der Voraussetzungen des Besitzes 5 5 9 und des Wesens der juristischen Person 5 6 0 . deutsche Willenstheorie über den Atlantik getragen hat, ist ausführlich nachgezeichnet bei Simpson, Contracts for Cotton to Arrive: The Case of the Two Ships Peerless. 557 Langdell, Summary of the Law of Contracts, etwa zitiert nur wenige und vor allem ältere kontinentaleuropäische Schriften (Grotius, Pothier, etc.), aber keine der deutschen Pandektistik. Savignys Schriften spielten zwar gelegentlich sogar vor dem Supreme Court der Vereinigten Staaten eine Rolle, es handelte sich dabei aber um seltene und exotische Fälle, vgl. Hoeflich, Savigny and His Anglo-American Disciples 34; von einem nennenswerten Einfluß auf die amerikanische Rechtsprechung kann keine Rede sein. 558 Williston, The Law of Contracts I 5 (Anm. 13), 6 (Anm. 18), 21. 559 im Besitzrecht ging es insbesondere um die Frage des animus domini. Savigny hatte aus den römischen Quellen die Vorstellung abgeleitet, daß es ohne diesen Willen, für sich selbst zu besitzen, keinen Besitz geben könnte. Nicht zuletzt aufgrund des Ruhms seiner 1848 von Perry übersetzten Monographie über den Besitz auch in der Welt des Common Law (vgl. dazu oben Übermittlung 1.) wurde Savignys Theorie von vielen anglo-amerikanischen Juristen übernommen; vgl. etwa Markby, Elements of Law, 165 ff., 176 ff., 197 ff.; Holland, Elements of Jurisprudence 124 ff.; dazu auch Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 85 ff.; Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800 1123; ders., Legal Theory and the Reform of Legal Education in Mid-Nineteenth Century England 195. Die Vorstellung vom animus domini wirkte sich auch in der Grundsatzentscheidung Littledale ν. Liverpool College (1 Ch. 19, 1900) aus, deren Autor Lindley in Deutschland studiert und Thibaut übersetzt hatte; dazu Dockray, Savigny and the Squatter. Auch in Amerika wurde die auf Savigny zurückgehende Besitzlehre viel diskutiert, so etwa von Holmes, The Common Law 163 ff., der sie allerdings ablehnte. Die Frage nach den subjektiven Voraussetzungen des Besitzes war von erheblicher praktischer Bedeutung. Das Common Law hatte nämlich dem Bailee, der als Verwahrer bzw. in sonstiger Weise für jemand anderen besaß, seit jeher Besitzschutz gewährt, vgl. Holmes, The Common Law 138; Blackstone, Commentaries on the Laws of England I I 453 f. Dieser war aber in Frage gestellt, wenn Besitz, nach Savignys Vorstellung, animus domini erforderte, der einem Verwahrer, oder auch einem Mieter fehlte. 560 Hier ging es, wie in Deutschland auch, um die Frage, ob die juristische Person nur eine Fiktion sei, oder ob ihr eine reale Persönlichkeit zukomme. Austin hatte die erstere Auffassung von Savigny übernommen, vgl. Austin, Lectures on Jurisprudence II, 13 f., 18; andere Analytical Jurists folgten unter Berufung auf Savigny nach, vgl. etwa Markby, Elements of Law 58 f., 85 f., 88. Hiergegen wandte sich später Maitland, der zu Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit neigte, Maitland, Trust and Corporation. Zur Diskussion ausführlich Maitland, Introduction to Gierke, Political

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e) Doch lag die hauptsächliche Bedeutung der Pandektistik für die angloamerikanische Privatrechtswissenschaft nicht auf dogmatischem, sondern auf methodischem Gebiet. Den Common Lawyers stand vor Augen, auch ihr Recht zu einer Jurisprudenz der klaren und allgemeingültigen Begriffe auszubauen, wie das die Pandektisten mit dem modernen römischen Recht getan hatten. „ I n our science, all depends on the possession of the leading principles", verkündete Bryce in Anlehnung an Savignys Forderung nach Ermittlung der „leitenden Grundsätze". 5 6 1 Dabei darf man aber die anglo-amerikanische Rechtswissenschaft nicht ohne weiteres mit der deutschen Begriffsjurisprudenz gleichsetzen. Trotz aller Verwandtschaft und Ähnlichkeit verblieben wichtige Unterschiede. Diese lassen sich nur schwer generalisieren, weil sie schon innerhalb der jeweiligen Rechtskulturen beträchtlich waren: Savignys Umgang mit Begriffen unterschied sich ebenso von Puchtas und Jherings wie Langdells von Markbys oder Hollands abwich. W i e groß die Unterschiede zwischen deutschem und anglo-amerikanischem Begriffsdenken waren, hängt deshalb davon ab, welche Versionen davon man gegenüberstellt und an welchen Kriterien man sie mißt. Doch läßt sich, mit einigem M u t zur Verallgemeinerung, Folgendes sagen: Ein wesentlicher Unterschied bestand zunächst bezüglich der Abstraktheit der Begriffe. Die deutsche Begriffsjurisprudenz trieb in ihrer Blüte unter Puchta und Jhering die Abstraktion in Höhen, die schon die englischen Analytical Jurists wie Markby oder Holland nicht erreichten, und die ihren amerikanischen Kollegen wie Langdell oder Beale weitgehend fremd blieben. Das hing damit zusammen, daß die deutschen Juristen i m Recht letztendlich doch einen Ausdruck allgemeingültiger Vernunft sahen 5 6 2 , die an sich von positivrechtlichen Quellen unabhängig war. Dem mochten die Analytical Jurists in England nur zum Teil und die amerikanischen Rechtsdenker der Classical Era noch weniger folgen, da die Begriffe für die Common Lawyers doch stets mit dem Fallrecht, aus dem sie Theories of the Middle Ages, insbesondere X V I I I ff.; Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 77 ff., 231 ff.; Stein, Continental Influences on English Legal Thought 16001800 1122 f. Auch in Amerika setzte sich die von Gierkes Theorie der realen Verbandspersönlichkeit beeinflußte Natural Entity Theory seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zusehends durch. Dazu trug nicht zuletzt Emst Freund maßgeblich bei, vgl. Freund, The Legal Nature of Corporations. Vielfach diente diese Theorie der Rechtfertigung der Existenz und wirtschaftichen Macht der zahlreicher werdenden Großunternehmen; dazu Horwitz, The Tranformation of American Law 1870-1960 70 ff., 100 ff. Auch John Chipman Gray setzte sich in Amerika mit den deutschen Theorien auseinander, vgl. Gray, The Nature and Sources of Law 49 ff. Weitere Literatur hierzu bei Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 60, Anm. 138. 561 Bryce, On the Academical Study of the Civil Law 29 f.; Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 22. Savigny hatte diesen Gedanken anhand seines berühmten Dreiecksbeispiels veranschaulicht. Allerdings war der Vergleich zwischen römischem Recht und Geometrie nicht erst Savignys Idee, vielmehr findet er sich schon in früheren Jahrhunderten, dazu Hoeflich, Law and Geometry: Legal Science From Leibniz to Langdell. 562 Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts I 18.

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Zweiter Teil: Blütezeit

abgeleitet waren, verbunden blieben 5 6 3 . So war die Begriffsjurisprudenz noch stärker dem abstrakten und deduktiven Denken Kants und Hegels verbunden, während die anglo-amerikanischen Methoden schon deutlicher unter dem Einfluß der konkreten und induktiven Vorstellungen der modernen Naturwissenschaften standen. V o n daher erklären sich auch die unterschiedlichen Auffassungen von der Wandelbarkeit der Grundprinzipien des Rechts. Zwar hatte Savigny sie noch als organisch wachsend gesehen, bei Puchta waren sie aber längst wieder zu einer an das Vernunftrecht erinnernden, zeitlosen Gültigkeit erstarrt. Schon Analytical Jurists wie Anson oder Pollock hatten als Common Lawyers zuviel Geschichtsbewußtsein für solche Vorstellungen, und jedenfalls ihre amerikanischen Kollegen waren zu sehr v o m Evolutionsdenken beeinflußt, um an gänzlich feststehende Begriffe zu glauben; vielmehr sahen sie diese als stetig sich wandelnd. M a n versteht deshalb die deutsche, englische und amerikanische Jurisprudenz am besten als verschiedene Versionen derselben Idee, das positive Recht durch begriffliche Erfassung beherrschbar zu machen und zu vereinheitlichen. Die deutsche Begriffsjurisprudenz war die konsequenteste Umsetzung dieses Gedankens, die englische Analytical Jurisprudence eine weniger extreme Form, und die amerikanische Classical Legal Science die am schwächsten ausgeprägte Variante. Dabei konnte die Verwandtschaft so eng sein wie zwischen Savignys Obligationenrecht und Pollocks Contracts, oder so entfernt wie zwischen Puchtas Pandekten und Langdells Casebook, die kaum mehr als den Glauben an die Existenz fundamentaler Begriffe und Prinzipien überhaupt gemein hatten.

3. Die Systematisierung

des anglo-amerikanischen

Rechts

Endziel der begrifflichen Erfassung des Common Law war die Erarbeitung eines „system of reasoned principles and r u l e s " 5 6 4 . Ein solches System war nicht nur ein theoretisches Gebot wahrer Wissenschaftlichkeit, sondern auch ein praktisches Bedürfnis, denn es machte das Recht überschaubar und verständlich. M i t anderen Worten, es verwandelte das Chaos in Ordnung. a) Diese Vorstellung war auch in der Welt des Common Law i m Grunde alt. Schon seit dem 17. Jahrhundert hatte man sich an Systemen versucht, und bereits Blackstone war es um eine geordnete Darstellung des englischen Rechts gegangen. Indes war die Systematisierung des Common Law nie besonders weit gediehen. Die meisten anglo-amerikanischen Juristen arbeiteten nach wie vor mit sogenannten Abridgements, d. h. Zusammenfassungen von Entscheidungen nach Sachgebieten, die wiederum alphabetisch geordnet waren. Sicher erleichterten 563 Vgl. Lightwood, The Nature of Positive Law 262 f. Dazu auch Schwartz, Sir Frederick Pollock und die englische Rechtswissenschaft 139. 564 Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence, Preface VII.

Β. Die historische Schule als Methode

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diese das Auffinden einer Regel des Case Law, aber von einer logischen Ordnung nach Prinzipien konnte darin keine Rede sein. Darüberhinaus waren ihre Darstellungen oft unnötig lang, unübersichtlich und innerhalb der einzelnen Sachgebiete v ö l l i g ungeordnet 5 6 5 . Selbst die Literatur des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts änderte daran wenig. Es gab zwar vereinzelte Gesamtdarstellungen eines Rechtsgebiets, aber auch ihnen fehlte meist jede klare Struktur. Das galt selbst für Kents und Storys Commentaries. Holmes fand Kents Behandlung des Stoffs „chaotic"; „he has no general ideas except wrong ones — and his treatment of special topics is often confused to the last degree" 5 6 6 . So wurde an einer Stelle das Recht von „master and servant" behandelt und Hunderte von Seiten später das Thema „principal and agent" diskutiert 5 6 7 ; daß es sich dabei u m innerlich eng verwandte Fragen handelte, war Kent entweder unklar oder unwichtig gewesen. b) A u c h hier sorgte zunächst die Analytical Jurisprudence für Abhilfe, und auch hier lehnte sie sich dabei an die Pandektistik an. Das lag schon deshalb nahe, weil das C i v i l Law den englischen Juristen schon seit jeher das M o d e l l einer systematischen Jurisprudenz gewesen w a r 5 6 8 ; da es nun in der deutschen Romanistik seine bisher höchste Entwicklungsstufe erreicht hatte, war es natürlich, sich an dieser zu orientieren 5 6 9 . M a n braucht nur Austins Jurisprudence zu betrachten oder sich das Inhaltsverzeichnis von Markys Elements of Law vor Augen zu führen, um in Aufbau und Terminologie das V o r b i l d der deutschen Pandektenliteratur zu erkennen. Das Fortschreiten v o m Allgemeinen zum Besonderen, die Aufteilung in Kapitel nach Prinzipien wie „Ownership", „Possession", „Servitudes and Easements" sowie die Reihenfolge der Abhandlung bezeugten den deutschen Einfluß deutlich 5 7 0 . Das galt auch für die Werke Pollocks und Ansons zum Vertragsrecht, die jetzt nach Kriterien wie „Agreement" bzw. „Formation of Contract", „Capacity of Persons" (oder „Parties), „Impossible Agreements", „Mistake" und „Discharge of Contract" geordnet waren. Sheldon Amos verstieg sich gar zur Veranschaulichung des Rechtssystems durch graphische Schemata, die jedem deutschen Lehrbuch Ehre gemacht hätten 5 7 1 . „The influence 565 Vgl. dazu Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800 1107. 566 Holmes in einem Brief an Pomeroy vom 22. Mai 1872, zitiert nach Howe, Justice Oliver Wendell Holmes I I 16. 567 Vgl. Holmes, Codes and the Arrangement of Law 11. 568 Vgl. oben Erster Teil B.; dazu auch Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1600-1800 1110 ff. 569 Vgl. Hastie, Translator's Preface to Puchta et al., Outlines of the Science of Jurisprudence X X X I I f. 570 Dazu Campbell, German Influences on English Legal Education and Jurisprudence in the 19th Century 363; Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 58. Allerdings hat wohl auch die seinerzeit vieldiskutierte vergleichende Anatomie das Denken der Analytical Jurisprudence beeinflußt, vgl. Pound, Jurisprudence I 61 (mit weiteren Nachweisen). 571 Arnos, The Science of Law, Anfang des Buches und 76.

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Zweiter Teil: Blütezeit

of the great German civilians" mache sich überall bemerkbar, meinte James Bryce in seiner Antrittsvorlesung in Oxford, und treffe sich gut mit dem „interest in the formal and scientific amendment of the form of English l a w " . 5 7 2 c) Die Situation in den U S A war ähnlich. Die Classical Era war die hohe Zeit des Systemdenkens, das mit der Vorstellung von der Jurisprudenz als Wissenschaft untrennbar verbunden w a r 5 7 3 . Eine ganze Generation von Gelehrten bemühte sich u m eine „Classification" des Rechts nach logischen Gesichtspunkten 5 7 4 . Die Befürworter der Kodifikation des Rechts fanden, daß eine solche Ordnung sogar gesetzlich festgelegt werden sollte. 5 7 5 . A u c h bei der Suche nach einem System machte sich in den Vereinigten Staaten der Einfluß der Pandektistik bemerkbar. Z u m Teil war dafür wieder Analytical Jurisprudence verantwortlich, deren Schemata und Treatises den amerikanischen Juristen bei der Ausarbeitung ihrer Systeme zum V o r b i l d dienten. Z u m Teil blickte man aber auch direkt nach Deutschland, wo die Rechtswissenschaft das stets ordnungsbewußte C i v i l Law zu höchster Vollendung gebracht hatte 5 7 6 . So zitierte das Committee on the Classification of the Law der American Bar Association in seinem Report von 1902 Savigny, Puchta und andere Vertreter der deutschen Rechtswissenschaft als Vorbilder für die Systematisierung des Rechts mit den Mitteln moderner Jurisprudenz 5 7 7 . I n der Pandektistik fand man das „masterly . . . statement of the clear, crystalline truths of the law, introducing nothing superfluous, omitting nothing necessary, and putting everything in the right place"578. U m die Jahrhundertwende vermehrte das B G B das Prestige der deutschen Jurisprudenz in den U S A noch einmal ganz erheblich. Schon in der Planungsphase wurde es in der amerikanischen Literatur als „monument of legal learning and as one o f the ripest expressions of the aims and methods of modern c i v i l jurisprudence" gepriesen 5 7 9 . 1912 hieß es dann i m Columbia L a w Review, die deutschen Rechtswissenschaftler „have helped to work out a scientific body of law, a system o f principles supported by a sound philosophy, which, as exemplified in the German C i v i l Code, has awakened the admiration o f the civilized w o r l d " 5 8 0 . 572 Bryce, On the Academical Study of the Civil Law 8. 573 Dazu ausführlicher Herget, American Jurisprudence 1870-1970 63 ff.; Horwitz, The Transformation of American Law 1860-1960 12 ff. 574 Vgl. Andrews, The Classification of the Law; Gareis, Systematic Classification of the Law; Langdell, Classification of Rights and Wrongs; Terry, Some Leading Principles of Anglo-American Law, Expounded with a View to Its Arrangement and Codification. 575 Dazu ausführlicher unten C.IL 1. 576 Vgl. Beale, The Necessity for a Study of Legal System 39. 577 American Bar Association, Report of the Committee on the Classification of the Law (1902) 438 ff.; vgl. auch id. 427. 578 Hart, German Universities 60 f. (über von Vangerow). 579 Freund, The Proposed German Civil Code 254.

Β. Die historische Schule als Methode

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Allerdings war die Pandektistik nur ein M o d e l l systematischer Wissenschaft unter anderen. Denn neben ihr stand den Amerikanern bei ihren Bemühungen nicht nur die Analytical Jurisprudence , sondern auch die naturwissenschaftliche Methode m i t ihrer Klassifizierung der Elemente, Gesteine oder Arten vor Augen. Die einzelnen Legal Scientists orientierten sich in durchaus unterschiedlicher Weise an den jeweiligen Modellen. So stand Langdell vor allem unter dem Einfluß der B i o l o g i e 5 8 1 , folgte Holmes ursprünglich A u s t i n 5 8 2 , und sahen Gelehrte wie Ames oder Borchard das wichtigste V o r b i l d i m deutschen Systemdenken 5 8 3 . Letztendlich verschmolzen alle diese Elemente miteinander in der Idee eines „scientific system for the common l a w " 5 8 4 . d) Obwohl diese Idee nur zum Teil Ergebnis pandektistischen Einflusses war, gab es zwischen amerikanischem und deutschem Systemverständnis frappierende Ähnlichkeiten. Beiden zufolge bestand das System des Privatrechts aus einer logischen Ordnung allgemeiner Begriffe und Prinzipien, aus denen sich Regeln und Lösungen deduktiv ableiten ließen. Es war vollständig und in sich geschlossen, sodaß jedes Problem darin seinen Platz hatte, und es war widerspruchsfrei, weshalb es auf jede Frage nur eine richtige Antwort g a b 5 8 5 . Dahinter stand die Vorstellung, der mit der Anwendung dieses Systems beauftragte Jurist könne durch Subsumption und Logik zu eindeutigen Ergebnissen kommen, ohne sich dabei auf soziale, politische oder sonstige Überlegungen einzulassen 5 8 6 . Insofern waren diese Systemvorstellungen beiderseits des Atlantik Ausdruck des Strebens nach einer zumindest scheinbaren Neutralität des Rechtssystems in Zeiten voller sozialer und politischer Spannungen 5 8 7 . 580 Borchard, Jurisprudence in Germany 304. Das BGB wurde 1909 von Walter Loewy, der an der University of Pennsylvania studiert und in Heidelberg promoviert hatte, in Zusammenarbeit mit der Pennsylvania Bar Association und der University of Pennsylvania Law School als The Civil Code of the German Empire übersetzt und in Boston und London veröffentlicht. 581 Dazu Speciale, Langdell's Concept of Law as Science: The Beginnings of AntiFormalism in American Legal Theory. 582 Vgl. etwa Holmes, Codes, and the Arrangment of the Law; ders., The Arrangement of the Law. Privity; ders., The Theory of Torts. 583 Vgl. Ames, The Vocation of the Law Professor 141; Borchard, Jurisprudence in Germany 304. 584 Redlich, The Common Law and the Case Method 74. 585 Zum deutschen System Verständnis vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 433 ff. Zur amerikanischen Seite insbesondere Grey, Langdell's Orthodoxy 6 ff., der das amerikanische Denken zusammenfassend charakterisiert als die „aspiration that the legal system be made complete through universal formality, and universally formal through conceptual order", id. 11; ferner Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 13 f. 586 Diese Vorstellung ließ sich in der Praxis allerdings nicht durchhalten; das galt für Deutschland, vgl. Ogorek, Richterkönig oder Subsumptionsautomat, ebenso wie für die USA, wo die Gerichte trotz ihrer seinerzeitigen Tendenz zum von Llewellyn gescholtenen „formal style" nie ganz auf soziale und pragmatische Erwägungen verzichteten. 587 Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 439 ff.; Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 16, 20.

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Zweiter Teil: Blütezeit

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e) Doch darf man auch hier deutsches und amerikanisches Denken nicht pauschal gleichstellen 5 8 8 . Das System der Common Lawyers war i m großen und ganzen weniger abstrakt und starr als dasjenige der Pandektisten. Wenn sich Puchta eine Welt aus reinen Begriffen vorstellte, in der zeitlose L o g i k waltete, so mochten die englischen Analytical Jurists dem noch weitgehend folgen, aber Langdell ging es doch nur darum, die „fundamental legal doctrines" so zu klassifizieren und zu arrangieren, „that each should be found in its proper place and nowhere else", also um eine rationale Ordnung der Grundprinzipien des Rechts 5 8 9 . Eine solche Ordnung hatte nach amerikanischer Vorstellung vor allem praktischen Zielen zu dienen. „Whatever arrangement best promotes these [practical] ends is the best, wether it is »philosophical 4 or not. To prefer any other to it is to play the doctrinaire or pedant." 5 9 0 V o r allem fehlte den Common Lawyers in aller Regel die Vorstellung, daß das System selbst Rechtsquelle sein könne. Für Savigny (und später für Puchta und Jhering) erzeugte „die dem Stoff gegebene wissenschaftliche F o r m " auch „ein neues organisches Leben, welches bildend auf den Stoff selbst zurück w i r k t " 5 9 1 ; das System konnte produktiv werden, d. h. aus sich selbst neues Recht hervorbringen. Hingegen war für Langdell und seine Zeitgenossen das System nur die Ordnung der Begriffe, nicht aber eine Quelle des Rechts; diese war und blieb das Case L a w selbst. 5 9 2 Darüber hinaus war das Systemverständnis der amerikanischen Rechtsdenker nicht einheitlich, sodaß es auch Vorstellungen gab, die von denjenigen der Pandektistik gänzlich verschieden waren. So befürwortete etwa John Chipman Gray durchaus eine logische Ordnung des Rechts, er sah in einem solchen „arrangement" aber nur ein stets anpassungsbedürftiges Provisorium, kein zeitlos gültiges System unwiderleglicher L o g i k 5 9 3 . Dasselbe gilt für Holmes. Auch ihm war sehr an einer „organic o r d e r " 5 9 4 , an einer Ordnung der Prinzipien gelegen. Doch auch wenn er von „continuous, logical, philosophical exposition" des Rechts sprach 5 9 5 , so meinte er damit kein System abstrakter Begriffe, aus dem sich Entscheidungen ableiten ließen, sondern eine flexible Orientierungshilfe, die nicht unbedingt

588

Zu undifferenziert Herman, Llewellyn the Civilian, Speculations on the Contribution of Continental Experience to the Uniform Commercial Code 1161. 589 Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts, Preface VII. 590 Terry, Some Leading Principles of Anglo-American Law 607. 591

Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 46 f. 592 Das wurde vor allem in den großen Treatises deutlich, in denen die Rechtssätze stets unmittelbar aus den Cases und anderen Quellen herausdestilliert wurden; vgl. etwa Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence, insbesondere Preface XVI; später auch Williston, The Law of Contracts. 5 93 Gray, Some Definitions and Questions in Jurisprudence 21. 594 Holmes, The Use of Law Schools 37; vgl. auch ders., The Path of the Law 168, 179. 5 95 Holmes, Speech at the Suffolk Bar 244

Β. Die historische Schule als Methode

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widerspruchsfrei oder vollständig war. Die darin liegende Abweichung vom klassischen Systemverständnis war keine nur graduelle; vielmehr lag ihr eine grundsätzlich andere Sichtweise zugrunde: Für die deutsche Pandektistik, die englische Analytical Jurisprudence und viele amerikanische Legal Scientists war das Recht als Wissenschaft selbst ein System; für Gray und Holmes ließ es sich nur aus Nützlichkeitserwägungen in ein solches bringen. Damit erweisen sich die Vorstellungen der deutschen, englischen und amerikanischen Rechtsdenker der Classical Era zwar allesamt als Erscheinungsformen des seinerzeitigen Hangs zu allumfassender Systematisierung des Wissens, doch waren sie verschieden stark ausgeprägt. Der Bogen spannt sich v o m unbedingten Systemglauben der Pandektistik über die sichtlich daran angelehnte Analytical Jurisprudence bis hin zu den vageren Vorstellungen der amerikanischen Legal Science und dem auf bloße Ordnung des Stoffs bedachten Verständnis eines Gray oder Holmes. f) Hierin wird bestätigt, was sich schon oben bei der begrifflichen Erfassung des Rechts gezeigt hatte: Die Pandektistik diente zwar sowohl der englischen als auch der amerikanischen Jurisprudenz als Modell, das deutsche Begriffs- und Systemdenken wirkte aber auf Langdell und seine Nachfolger weniger stark als auf die Analytical Jurists in England. Woran lag das? M a n könnte den Grund in der größeren geographischen Entfernung der U S A vom europäischen Kontinent sehen, doch spielte diese wohl schon damals keine wesentliche Rolle. Die amerikanischen Juristen unterhielten nicht weniger vielfältige und lebendige Verbindungen zu Deutschland als die englischen; ganz i m Gegenteil, es studierten wesentlich mehr Amerikaner als Engländer an deutschen juristischen Fakultäten. Bedenkt man zudem, daß der Einfluß der historischen Schule in ihrer geschichtlichen Dimension auf die U S A eher stärker war als auf England, so liegt der Schluß nahe, daß die geringere Wirkung des begrifflichsystematischen Denkens nichts mit Nationalität oder Geographie zu tun hatte, sondern durch die Sache selbst bedingt war. In der Tat lag der Hauptgrund für den schwächeren Einfluß der Pandektenwissenschaft auf die amerikanische Classical Legal Science in der größeren Ambivalenz der Amerikaner genau den beiden Elementen gegenüber, die die Pandektistik in sich vereinte: dem römischen Recht und der abstrakt-logischen Methode. Es lohnt sich, dieser Ambivalenz hier nachzugehen, denn es deuteten sich in ihr bereits Entwicklungen an, die später das Rechtsdenken in den U S A entscheidend bestimmen sollten. 4. Der Kampf ums Common

Law

Die bisherige Darstellung verführt leicht zu der Annahme, in der Classical Era sei die Begeisterung für das romanistisch geprägte, begriffs- und systemorientierte Denken, und damit für die Pandektenwissenschaft, jedenfalls unter den 10*

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Zweiter Teil: Blütezeit

führenden anglo-amerikanischen Gelehrten allgegenwärtig gewesen. Schon für die englische Jurisprudenz stimmt das aber in dieser Pauschalität nicht, obwohl zumindest die Analytical Jurists i m großen und ganzen gelehrige Schüler der Pandektistik waren. V o r allem aber wäre eine solche undifferenzierte Vorstellung von der amerikanischen Classical Legal Science falsch. Zwar stand das römische Recht in den U S A durchaus hoch i m Kurs und bestimmten abstrakte Begrifflichkeit und logische Systeme die wissenschaftliche Jurisprudenz, aber es gab auch Gegenvorstellungen. Dabei handelte es sich nicht nur um Zweifel und Zurückhaltung, wie man sie auch in England fand, sondern um offenen Protest. Dieser hatte vor allem einen Namen: Holmes. Oliver Wendeil Holmes 1881 erschienenes Hauptwerk The Common Law ist nicht nur das wichtigste Opus der amerikanischen Jurisprudence , es ist auch eines der vielseitigsten und verschlungensten Bücher der juristischen Weltliteratur. Holmes selbst erklärte, es sei „the object of this book . . . to present a general view of the common l a w " 5 9 6 , aber dahinter verbarg sich eine Vielzahl von Absichten: Das Buch ist zugleich rechtstheoretisches Manifest und dogmatischer Versuch, historische Studie und methodisches Lehrstück. Nicht zuletzt ist es aber auch eine Programmschrift zur Rettung des anglo-amerikanischen Rechts aus drohender Gefahr. Holmes nahm darin einen K a m p f um das Common L a w auf, das er vor eben den beiden Entwicklungen bewahren wollte, die oben beschrieben wurden: Der Übernahme romanistischer Begriffe und Lehren und dem Vordringen abstrakten Systemdenkens. a) Die Gefahr, daß das materielle Common Law weitgehend von romanistischen Prinzipien durchdrungen werden könnte, war nicht ganz von der Hand zu weisen. Schließlich war römisch-rechtliches Denken in England längst weit verbreitet. W i e oben ausgeführt, herrschte dort lange die Auffassung vor, das Common Law wurzele eigentlich i m römischen Recht, sodaß es nur konsequent sei, sich mit diesem zu beschäftigen und seine Lehren wieder zur Geltung zu bring e n 5 9 7 . Arbeiten zum C i v i l Law waren deshalb schon vor der Classical Era beliebt. Vielleicht ließen sich diese noch als Außenseiter ohne große Wirkung abtun, es konnte aber Holmes nicht entgehen, daß die romanistischen Lehren inzwischen begonnen hatten, die Werke der Analytical Jurists massiv zu beeinflussen. Dadurch wirkten sie auf das allgemeine Rechtsbewußtsein und stand eine allmähliche Abwendung von althergebrachten Prinzipien des Common Law auch in der Praxis konkret zu befürchten. Selbst in den U S A ließ sich diese Gefahr nicht mehr leugnen. Das lag weniger an der früheren, dem C i v i l Law zugetanen Generation Kents und Storys, die diesem nur gelegentlich Lösungen in Einzelfragen entliehen hatten, wo das Common L a w schwieg. Bedenklich war aus Holmes' Perspektive aber der Einfluß der romanisierten, englischen Werke

596 Holmes, The Common Law 5. 597 Oben A.I.2.

Β. Die historische Schule als Methode

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etwa Pollocks und Ansons. Hinzu kamen die immer wiederkehrenden Versuche einheimischer Autoren, das Common L a w durch das C i v i l L a w in ganzen Sachgebieten zu verdrängen 5 9 8 . Gegen diese „perverting influence of the Roman m o d e l s " 5 9 9 zog Holmes m i t aller Energie zu Felde. Er war, m i t Adams, Ames und anderen, der festen Überzeugung, daß das Common Law germanischen Ursprungs und Charakters sei 6 0 0 . Die Einführung romanistischer Lehren bedeutete deshalb die Übernahme wesensfremder Materie. Davon war nach Holmes' Ansicht keine Verbesserung des Rechts, sondern nur Mißverständnis und Verwirrung zu erwarten 6 0 1 . Wer das Common Law zeitgemäßer gestalten wollte, der mußte es zunächst aus sich selbst heraus verstehen; das aber erforderte, es auf seine eigenen, innersten Prinzipien zurückzuführen 6 0 2 , die sich nur in seiner germanistischen Tradition finden ließen. Genau das war eines der Ziele, die Holmes in The Common Law verfolgte. Es ging ihm darum zu zeigen, daß die neuerdings Mode gewordenen romanistischen Vertragslehren oder Besitzdefinitionen i m anglo-amerikanischen Recht nichts verloren hatten, und daß dieses auf eigenen, wesentlich vernünftigeren dogmatischen Grundlagen ruhte 6 0 3 . So lehnte Holmes etwa die Willenstheorie des Vertragsschlusses, die über Pollock nach Amerika gelangt war, schon deshalb ab, weil sie nicht den Regeln des Common Law entsprach; dieses hatte seit jeher nur auf die äußerliche Übereinstimmung der Erklärungen geachtet — nach Holmes das einzig vernünftige K r i t e r i u m 6 0 4 . A u c h in seiner Auseinandersetzung mit L o r d Russell, dem damaligen L o r d Chief Justice von England, brachte Holmes seine Abneigung gegen das römische Recht zum Ausdruck. I n einer Rede hatte Holmes 1896, inzwischen längst Richter am angesehen Massachussetts Supreme Judicial Court, erklärt, das Studium des römischen Rechts trage zum praktischen Können eines Common Lawyers nichts 598 Vgl. etwa Walker, The Use and Authority of Roman Jurisprudence in the Law Concerning Real Property; Cocke, A Treatise on the Common and Civil Law, dazu Holmes, Buchbesprechung von Cocke, A Treatise on the Common and Civil Law; Howe, Studies in the Civil Law, insbesondere 6 f. Kurios war insbesondere Whartons Anliegen, dem amerikanischen Haftungsrecht den romanistischen Charakter zurückzugeben, der ihm nach Whartons Ansicht ursprünglich eigen gewesen war, Wharton, A Treatise on the Law of Negligence. Natürlich griff Wharton dabei in großem Umfang auf die deutsche Literatur zurück. Vgl. auch Wharton, A Commentary on the Law of Contracts I, Preface IV ff., 2 ff. (Anm.). 599 Holmes, The Path of the Law 197. Holmes pries in diesem Zusammenhang mit spürbarer Erleichterung ein Buch seines Freundes Pollock, das er — zum Glück! — frei von romanistischem Einfluß fand. 600 Holmes, The Bar as a Profession 156; ders., The Path of the Law 186. 601 Vgl. Holmes, Misunderstandings of the Civil Law. 602 Insofern war Holmes' Anliegen mit den methodischen Überzeugungen Savignys eng verwandt. 603 Holmes, The Common Law 163 ff., 198 f., 235 ff. Insofern war Holmes, der Verbündete der deutschen Germanisten, die dementsprechend häufig zitiert wurden. 604 Holmes, The Common Law 242.

Zweiter Teil: Blütezeit

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b e i 6 0 5 . Das rief den vehementen Widerspruch des höchsten englischen Richters hervor, der in römisch-rechtlichen Kenntnissen einen unverzichtbaren Teil der Bildung eines anglo-amerikanischen Juristen auch als Praktiker sah 6 0 6 . Holmes aber beharrte auf seinem Standpunkt. Für den Common Lawyer gelte es in erster Linie, das eigene Recht zu beherrschen 607 . Holmes bezweifelte „the wisdom of adding to his difficulties by the attempt to learn another system which is even more in need than ours of historical explanation at every step, a large part of which is obsolete, and a part of which is hard to understand even i n the best modern b o o k s . " 6 0 8 Das von Holmes hier zurückgewiesende, moderne römische Recht war zu jener Zeit fast gleichbedeutend mit der deutschen Pandektistik. W i e Holmes deshalb v o m „Roman law, and more particularly of the great Germans who have taught it in this century" sprach 6 0 9 , so hatte auch Lord Russell „not only the Corpus Juris, but also that body of text law, mainly German" i m S i n n 6 1 0 . W i e die Begeisterung des Lord Chief Justice und der englischen Analytical Jurists für das römische Recht deshalb zugleich Begeisterung für seine deutschen Vertreter war, so bedeutete Holmes' Widerstand gegen romanistische Einflüsse zugleich Widerstand gegen pandektistische Doktrin i m anglo-amerikanischen Recht. Das wird vor allem darin deutlich, daß Holmes in The Common Law als Gegner nicht etwa Gaius oder Ulpian, sondern ganz offen Savigny, Puchta und Windscheid nannte 6 1 1 . Die Einstellung zur Pandektistik war v o m Urteil über Sinn und Unsinn einer Orientierung am römischen Recht in der Welt des Common Law ebensowenig zu trennen wie in Deutschland. b) Eine noch größere Bedrohung für das Common L a w erblickte Holmes jedoch in der Wendung zum abstrakt logischen Systemdenken. Er sah darin das Vordringen eines Formalismus', der zur anglo-amerikanischen Tradition in krassem Widerspruch stand und unweigerlich in die Irre führen mußte. Auch diese 605

Holmes, The Bar as a Profession 156 f. 606 Lord Chief Justice of England, A Rejoinder 160 ff. 607 Das hatte nach Holmes' Ansicht auch Austin versäumt: „The trouble with Austin was that he did not know enough English law." Holmes, The Path of the Law 197. Hier war sich Holmes mit Langdell einig, dessen Casebook zum Vertragsrecht vor allem ältere, englische Entscheidungen enthielt. 608 Holmes, The Bar as a Profession 156. An anderer Stelle schrieb er: „The way to gain a liberal view of your subject is not to read something else, but to get to the bottom of the subject itself, Holmes, The Path of the Law 197 f. Holmes verkannte nicht den Bildungswert des römischen Rechts, riet aber dringend dazu, es allenfalls nach vollständiger Beherrschung des Common Law zu studieren, Holmes, Besprechung von Bryce, The Academical Study of the Civil Law 716. 609 Holmes, The Bar as a Profession 157. In Reaktion auf Bryce' Aufruf zum Studium des Civil Law schrieb er: „We cannot help surmising that he has in mind the merits of Savigny and von Vangerow, quite as much as those of the Roman lawyers", Holmes, Buchbesprechung von Bryce, The Academical Study of Law 716. 610 Lord Chief Justice of England, A Rejoinder 160. 611 Holmes, The Common Law 163 ff.

Β. Die historische Schule als Methode

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Befürchtung läßt sich nur aus der Gesamtsituation heraus verstehen, wie sie sich für Holmes darstellte 6 1 2 . Holmes erkannte durchaus, wie seine Zeitgenossen überhaupt, das dringende Bedürfnis nach einer rationalen Struktur des immer chaotischer werdenden Common Law. A u c h ihm schien anfänglich die analytische Methode als M i t t e l zur begrifflichen Erfassung und systematischen Ordnung geeignet 6 1 3 . Jedoch wandte er sich nach einigen frühen Versuchen von Austin ab. Er war nämlich zu der Überzeugung gelangt, das Recht sei ein geschichtliches Phänomen, und könne deshalb nur geschichtlich erfaßt werden. Das bedeutete nicht, daß er das Z i e l der Herausarbeitung und Ordnung der Grundprinzipien aufgab, nur verfolgte er es jetzt auf dem Wege historischer Forschung, nicht mehr mittels abstrakter Logik. Diese schien ihm in ihrer Blindheit für die wahren Gründe rechtlicher Regeln als Instrument zur Bearbeitung des Common Law weitgehend untauglich. Z u seinem Entsetzen stand aber ringsumher gerade diese abstrakte L o g i k immer höher i m Kurs. Das galt vor allem für die englische Analytical Jurisprudence in ihrer Betonung allgemeiner Begriffe und Systeme. Es galt, zum Teil unter englischem Einfluß, aber mehr und mehr auch für das amerikanische Rechtsdenken, in dem formalistisches, d. h. auf logische Deduktion statt auf Sachgründe bedachtes Argumentieren immer weiter um sich g r i f f 6 1 4 . I n Holmes' engster Umgebung, in Harvard selbst, erklärte seit neuestem der Dean der Law School, Langdell, „purposes of substantive justice, and the interests of contracting parties" für „irrelevant", wenn sie nicht m i t den Geboten der L o g i k in Einklang zu bringen seien 6 1 5 . Aufgrund derartiger Äußerungen wurde Langdell für Holmes zur Verkörperung des juristischen Formalismus, der das amerikanische Rechtsdenken zu beherrschen drohte 6 1 6 . I n seinem Hauptwerk sagte Holmes diesem juristischen Formalismus mit aller Entschiedenheit den K a m p f an. The Common Law steht deshalb unter dem

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Die folgenden Gedanken sind ausführlicher erläutert in meinem Aufsatz Holmes's ,Common Law' and German Legal Science. 61 3 Vgl. Holmes, Codes, and the Arrangement of the Law; ders., The Arrangement of the Law. Privity. 614 Vgl. Llewellyn, The Common Law Tradition 38 f.; Hall, The Magic Mirror 221 f. 615 Vgl. Langdell, Summary of the Law of Contracts 19 f. 616 In seiner Besprechung von Langdell's Summary of the Law of Contract schrieb Holmes anonym: „Mr. Langdell's ideal in the law, the end of all his striving, is the „elegantia juris", or logical integrity of the system as a system. He is, perhaps, the greatest living theologian . . . interested in the formal connection of things, or logic, as distinguished from the feelings which make the content of logic, which have actually shaped the substance of the law", id. 233. An Pollock schrieb er über Langdell: to my mind he represents the powers of darkness. He is all for logic and hates any reference to anything outside of it", Holmes, The Holmes-Pollock Letters I 17. Der Ruf als Hauptvertreter des juristischen Formalismus haftet Langdell bis heute an, nicht ganz zurecht, wie Speciale, Langdell's Concept of Law as Science: The Beginnings of AntiFormalism in the American Legal Theory, gezeigt hat.

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Zweiter Teil: Blütezeit

berühmt gewordenen M o t t o „The life o f the law has not been logic: it has been experience" 6 1 7 . Holmes rief sein Publikum in bewegten Worten dazu auf, Recht nicht wie Mathematik zu betreiben, sondern als das zu erkennen, was es wirklich ist: Ausdruck von Instinkten und Traditionen, Interessen und Zweckmäßigkeitserwägungen 6 1 8 . Diesen, nicht den Geboten formaler Logik, galt es in der Jurisprudenz vor allem gerecht zu werden. Natürlich war der hier gescholtene juristische Formalismus ebenso eng wie das moderne römische Recht mit der deutschen Begriffsjurisprudenz verbunden. Diese hatte das abstrakt-logische Denken schließlich lange vor Langdell und viel weiter als dieser entwickelt. I n der Tat spielte deshalb auch die deutsche Rechtswissenschaft in Holmes Feldzug gegen „ l o g i c " eine überragend wichtige Rolle. Doch hatte es damit eine besondere Bewandtnis. Bei der Lektüre von Holmes' Common Law fällt nämlich auf, daß Holmes die deutsche Jurisprudenz nicht nur zur Mitschuldigen an den so fatalen Entwicklungen machte, sondern sie als alleinige Angeklagte präsentierte. W o er konkrete Beispiele für realitätsblinde L o g i k nannte, entnahm er sie meist der deutschen Literatur 6 1 9 . Über Langdell, um den es i h m doch vor allem gehen mußte, verlor er in diesem Zusammenhang kein Wort. Das scheint zunächst erstaunlich, läßt sich aber doch erklären: Holmes wollte zwar durchaus vor allem Langdell kritisieren, doch war es problematisch und riskant, den Dean seiner eigenen A l m a Mater aus nächster Nähe öffentlich anzugreifen 6 2 0 . So fand Holmes i n der Begriffsjurisprudenz einen deutschen Stellvertreter für seinen amerikanischen Gegner. Holmes überließ es dabei seinem Publikum zu erkennen, daß er mit Puchtas und Windscheids abstraktem Denken den Formalismus schlechthin und damit zugleich auch den Langdells verurteilte. Damit stellte Holmes freilich die deutsche Rechtswissenschaft mit Langdells Methodik in stillschweigender und bedenklicher Weise gleich. V o r allem bezichtigte Holmes stets die „German jurisprudence" und „German theories" allgemein der Verehrung des Formalismus', wobei er sowohl den gesamten historischen Z w e i g der deutschen Jurisprudenz als auch die K r i t i k Jherings an übertriebener L o g i k hier geflissentlich unterschlug. A u c h um die wesentlichen Unterschiede, die zwischen der Begriffsjurisprudenz und Langdells Denken verblieben 6 2 1 , kümmerte sich Holmes wenig. Trotzdem hatte Holmes in dem für ihn wesentlichen Punkt Recht: Sowohl dem deutschen Begriffs- und Systemdenken als auch Lang617 Holmes, The Common Law 5. 618 Holmes, The Common Law id. etc. 619 Vgl. Holmes, The Common Law 37, 133, 163 ff., 172 f., 184 f., 198 f. etc. 620 Ein offener Angriff wäre problematisch gewesen, da Langdell als Dean der Harvard Law School zum sozialen und beruflichen Umfeld gehörte, in dem Holmes sich bewegte, und da Holmes auf eine Professur an der Harvard Law School hoffte, die er später in der Tat auch bekam. 621 Vgl. oben 2. bei Anm. 562; 3. Text bei Anm. 588 ff.

Β. Die historische Schule als Methode

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dell ging es um Recht nicht als historisches, politisches oder soziales Phänomen, sondern vor allem als eine Sache der L o g i k 6 2 2 . Genau darin lag nach Holmes die verhängnisvolle Verirrung, der das deutsche Rechtsdenken zwar hoffnungslos verfallen war, aus der das Common Law aber vielleicht noch gerettet werden konnte. Holmes' K a m p f gegen Romanismus und Formalismus i m Common Law richtete sich also immer auch gegen den Einfluß der romanistischen, begrifflichsystematischen deutschen Rechtswissenschaft. Das lag nicht so sehr daran, daß Holmes diese als eine unmittelbare Bedrohung sah. Sicher war ihre Wirkung auf das anglo-amerikanische Rechtsdenken erheblich, aber die eigentlichen Verderber des Common Law waren nicht Puchta oder Windscheid, sondern ihre englischen und amerikanischen Kollegen der analytischen bzw. Langdell'sehen Schule. Doch waren Begriffsjurisprudenz und Pandektistik für Holmes die perfekte Verkörperung allen drohenden Unheils, denn in ihnen waren die beiden Übel des Romanismus und Formalismus nicht nur vereint, sondern auch zu höchster Vollendung getrieben. Deshalb ließ sich anhand des deutschen Beispiels auf unübersehbare Weise vor Augen führen, zu welchen realitätsfernen Vorstellungen und absurden Ergebnissen der eben auch in den U S A eingeschlagene W e g führte. W i e die deutsche Jurisprudenz deshalb für die anglo-amerikanischen Anhänger einer begrifflich-systematischen Rechtswissenschaft romanistischer Prägung das beste V o r b i l d war, so war sie für Holmes als Verteidiger des Common Law gegen römisches Recht und formalistisches Denken das schlimmste Schreckensbild. c) In der Classical Era war Holmes mit diesen Ansichten zwar ein Außenseiter, der keineswegs beanspruchen konnte, eine allgemeine Ansicht auszudrücken; ganz i m Gegenteil, seine Argumente richteten sich j a gerade gegen die herrschende Richtung. Trotzdem muß man seinen K a m p f um das Common Law mit in

622 Allerdings übertrieb Holmes, sei es aus taktischen Gründen oder aus Unbekümmertheit, die Realitätsblindheit sowohl Langdells als auch der deutschen Jurisprudenz. Wenn ihm Langdells logische Beantwortung der Frage, wann ein Vertrag unter Abwesenden zustande kommt, so störte, dann übersah er dabei, daß Langdell sich hier aus guten Gründen und nicht aus geistiger Beschränktheit für ein solches Vorgehen entschieden hatte, vgl. Grey, Langdell's Orthodoxy 12-15. Wenn Holmes die deutsche Rechtswissenschaft der gleichen Sünde bezichtigte, so tat er damit zumindest Savigny unrecht, der ausdrücklich davor gewarnt hatte, durch Außerachtlassung konkreter Anschauung zwar „einen hohen Grad an formeller Ausbildung" der Wissenschaft zu erreichen, dabei aber „alle eigentliche Realität" aus den Augen zu verlieren, Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 30. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, was Holmes in der deutschen Pandektenliteratur zu eben der Frage des Vertragsschlusses unter Abwesenden hätte lesen können, nämlich, daß dabei „zunächst die besonderen Umstände des Falles in Betracht" kommen; „man kann hier besonders einwenden, was Javolen . . . sagt: omnis definitio in iure civili periculosa est, parum enim est, ne subvertatur"; „Vertragsverhandlungen dieser Art sind immer mit einiger Gefahr für die Interessenten verknüpft; diese natürliche Unvollkommenheit des Verhältnisses wird aber durch kein Gesetz oder Rechtsprinzip je vollständig beseitigt werden können." Mühlenbruch, Lehrbuch des Pandektenrechts 254 (Text und Anm. 4 und 5). Diese Sätze hätten von Holmes selbst stammen können.

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Zweiter Teil: Blütezeit

die Betrachtung einbeziehen, wenn man das anglo-amerikanische Verhältnis zur deutschen Rechtswissenschaft richtig verstehen w i l l . Das gilt vor allem aus drei Gründen. Erstens stand Holmes jedenfalls in Amerika nicht so allein, wie es zunächst scheinen mag. Als seinerzeit wortgewaltigster Gegner des Romanismus und Formalismus drückte er in unerbittlichem Protest aus, was manch anderer eher in Form von Unbehagen empfand: Der Einfluß romanistischer Ideen und das Vordringen abstrakten Denkens waren bedenkliche Erscheinungen; ersterer stand einem vertieften Studium des Common Law selbst i m W e g e 6 2 3 , letzteres verstellte den B l i c k auf die eigentlichen Hintergründe und Ziele des Rechts 6 2 4 . Diese Zweifel waren in Amerika weiter verbreitet als i m Umkreis der Analytical Jurists in England. Hierin lag auch der Grund dafür, daß der Pandektistik in den U S A mehr Skepsis und Zurückhaltung begegnete als bei Austins englischen Schülern. Zweitens war Holmes selbst ein wichtiger Faktor in der amerikanischen Jurisprudenz. A u c h wenn seine Ansichten in der Classical Era noch Mindermeinung waren, so nahm der Einfluß seines Denkens doch langsam aber sicher zu. Holmes avancierte rasch zu einem weithin bekannten und geachteten Juristen, der seine Überzeugungen mit Bravour und Beharrlichkeit vortrug. Zudem klangen seine Argumente immer einleuchtender, je mehr die sozialen Konflikte der Zeit seinen Kollegen die Augen öffneten für die Abhängigkeit des Rechts von Interessen und Zwecken. Die Zeit lief für Holmes und gegen Langdell und damit gegen den juristischen Formalismus überhaupt. 6 2 5 Schließlich drückte sich i m Gegensatz zwischen Holmes und der Schule Langdells ein allgemeiner Zug aus, der dem amerikanischen Rechtsdenken i m 19. Jahrhundert sowieso eigen war: Die tiefe Ambivalenz gegenüber abstrakten Begriffen und logischen Systemen. Einerseits verstanden sich die amerikanischen Juristen als Wissenschaftler, die mittels Begriffsdefinition und Systembildung das Chaos des Common Law überwinden wollten; andererseits waren sie aber auch Case Lawyers, denen abstraktes Denken schwerfiel, und die reiner L o g i k mißtrauten. Das M o d e l l der Pandektistik war deshalb sowohl Hoffnung als auch Bedrohung. Es bekam dadurch den Charakter eines Symbols — für Heil und Unheil — , dem man kaum gleichgültig gegenüber stehen konnte. Die Auseinan623 Hierin war sich sogar Langdell mit Holmes einig, vgl. Eliot, Langdell and the Law School 523. Auch Ames und Thayer hielten mehr von einer Konzentration auf das Common Law als von romanistischen Spielereien, und selbst Pound, der das römische Recht nicht nur studiert hatte, sondern auch lehrte, warnte vor seiner Überschätzung, vgl. Pound, Taught Law 981. Übrigens hatte schon Blackstone, der das römische Recht neben dem Common Law durchaus in Ehren hielt, den Standpunkt vertreten, „that if an Englishman must be ignorant of either the one or the other, he had better be a stranger to the Roman than the English institutions.", Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction, On the Study of Law 5. 624 Diese Ansicht teilte vor allem Roscoe Pound, dazu unten Dritter Teil A. und B. 625 Dazu ausführlich unten Dritter Teil.

Β. Die historische Schule als Methode

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dersetzung nahm deshalb, wie bei Holmes, leicht Züge eines Glaubenskrieges um „ l o g i c " und „experience" an. In dieser Ambivalenz der amerikanischen Rechtsdenker spiegelte sich letztendlich der alte Konflikt zwischen L o g i k und Erfahrung, zwischen Ordnungssuche und Wirklichkeitsnähe wieder. Die Classical Legal Science stand damit i m Spannungsfeld zwischen logischer und empirischer Wissenschaft. Ihr Anspruch war aber gerade, beides zugleich zu sein.

III. Die Verbindung von Geschichte und System: Positivismus und Idealismus in historischer Schule und Legal Science W i e die historische Erforschung und die systematische Ordnung des Rechts gemeinsame Programmpunkte der historischen Schule und der Classical Legal Science waren, so war gerade die Verbindung dieser beiden Elemente ihr höchstes gemeinsames Ziel. Sie war aber auch ihr schwierigstes Problem, denn Geschichte und System fügten sich nicht leicht zusammen. M i t dem geschichtlichen Erfassen und der logischen Systematisierung des Stoffs verfolgte die Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts nämlich, wie oben schon angedeutet, nach Ziel, Methode und Wissenschaftsverständnis verschiedene A n liegen: Der geschichtlichen Seite war an einem genauen B i l d und vertieften Verständnis der Wirklichkeit gelegen; sie war in ihrem Charakter positivistisch und vertraute i m wesentlichen auf die Betrachtung der Quellen sowie auf induktive Schlüsse von der beobachteten Vielfalt des Besonderen auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten i n der Entwicklung. Hingegen ging es der systematischen Seite um die Konstruktion der logischen Verbindung zwischen allgemeinen Wahrheiten; sie beruhte auf dem idealistischen Glauben an eine vernünftige Ordnung der Welt und bediente sich deduktiver Schlüsse aus obersten Prinzipien und übergreifenden Zusammenhängen. Damit war der Zwiespalt zwischen Geschichts- und Systemdenken in der Jurisprudenz Teil des umfassenden Konflikts zwischen dem neueren, i m 19. Jahrhundert vordringenden wissenschaftlichen Positivismus und dem älteren, aus dem 18. Jahrhundert herüberwirkenden philosophischen Idealismus. Das Streben nach Überwindung dieses Gegensatzes kennzeichnete die meisten Wissenschaften jener Zeit. Für die Jurisprudenz war der Konflikt jedoch besonders prekär und schwer zu lösen, da das Recht schon seiner Natur nach zugleich positives Phänomen und idealistischer Anspruch war. Es war einerseits geschichtliches Sein und andererseits vernünftiges Sollen, und die Identität beider Aspekte verstand sich alles andere als von selbst. Historische Schule und Classical Legal Science waren gleichermaßen von diesem Spannungsverhältnis zwischen Erforschung geschichtlicher Wirklichkeit

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Zweiter Teil: Blütezeit

und Suche nach idealer Ordnung gekennzeichnet. Sie verkörperten es, indem unter dem entsprechenden Oberbegriff von Rechtswissenschaft jeweils beide Anliegen koexistierten. Dabei machte sich in dem anglo-amerikanischen Glauben, wahre Legal Science müsse sowohl geschichtlich als auch systematisch sein, unter anderem deutscher Einfluß bemerkbar (dazu sogleich 1.). Dieses Streben nach Verbindung von Geschichte und System war schon in der Theorie ein zweifelhaftes Unternehmen, denn ob eine solche Synthese überhaupt sinnvoll war, ließ sich mit gutem Grund bezweifeln. Einerseits bestand das positive Recht nämlich als geschichtliches Phänomen aus einer Vielzahl menschlicher und damit potentiell willkürlicher Entscheidungen, andererseits sollte es als logisches Begriffssystem von diesen aber gerade unabhängig sein. Wirkliches Sein und logisches Sollen drohten also, nicht zueinander zu passen. Für dieses Problem wußten Langdell und seine Kollegen keine wirkliche Lösung. A u f der Grundlage von Savignys Überlegungen hingegen ließ sich das Dilemma bewältigen. W o sich die Common Lawyers selbst davon zu überzeugen suchten, daß eine geschichtlich-systematische Wissenschaft v o m positiven Recht tatsächlich Sinn machte, griffen sie deshalb auf Savignys Rechtsverständnis zurück, das nicht auf individuelle W i l l k ü r , sondern auf kollektives Bewußtsein abstellte (unten 2.). Doch war die theoretische Begründung einer Verbindung von Geschichte und System eine Sache, die praktische Umsetzung dieses Postulats aber eine ganz andere. Immerhin zeigte das deutsche Beispiel den Common Lawyers, daß eine solche Umsetzung durchaus möglich war. Tatsächlich gelang es auch der Classical Legal Science, den historischen Stoff zu einem System der Begriffe zu verarbeiten. Darin lag zwar eine Bewährung der klassischen Rechtswissenschaft, zugleich offenbarten sich aber ihre Grenzen. Ihr Erfolg beruhte nämlich darauf, daß sie mit dem positivistischen Anspruch auf Wirklichkeitserfassung nur sehr beschränkten Ernst machte. Es wurde deutlich, daß sowohl deutsche als auch anglo-amerikanische Rechtswissenschaft auf eine Mischung aus Positivismus und Idealismus angewiesen waren (3.). 7. Geschichtliche

Wirklichkeit

und ideale

Ordnung

Die gleichzeitige Suche nach Erfassung des geschichtlichen Stoffs und logischer Ordnung seiner Grundprinzipien spiegelte sich sowohl in der historischen Schule wie in der anglo-amerikanischen Legal Science darin wieder, daß beide, wie oben gezeigt, jeweils eine historische und eine systematische Komponente aufwiesen. Allerdings unterschieden sich deutsche Jurisprudenz und anglo-amerikanische Rechtswissenschaft dadurch, daß die Entwicklungen i m einzelnen in genau entgegengesetzter Richtung verliefen. a) Die historische Schule ging von einem einheitlichen Wissenschaftskonzept aus, dessen Bestandteile sich dann in verschiedene Richtungen auseinanderent-

Β. Die historische Schule als Methode

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wickelten. A m Anfang stand Savignys Idee einer „geschichtlichen Rechtwissenschaft 44 , deren Kern das historisch-systematische Verfahren bildete: Durch Begreifen der geschichtlichen Genese des Rechts sollte es möglich sein, die „leitenden Grundsätze. . . heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den innern Zusammenhang und die A r t der Verwandtschaft aller juristischen Begriffe und Sätze zu erkennen"; genau diese Einheit zwischen geschichtlichem Verständnis und systematischer Erkenntnis gab nach Savigny der Jurisprudenz „den wissenschaftlichen Character". 6 2 6 Zeichnete sich aber schon in Savignys eigenem Werk ab, daß historische Ermittlung und systematische Ordnung des Stoffs in der Praxis verschiedene Arbeitsschritte w a r e n 6 2 7 , so entstanden unter seinen Nachfolgern daraus zwei weitgehend getrennte Zweige der deutschen Rechtswissenschaft: Die rechtsgeschichtliche Forschung (sowohl romanistischer wie germanistischer Prägung), der der Systemgedanke immer unwichtiger wurde, und die Begriffsjurisprudenz, die sich um die Geschichtlichkeit des Rechts allen Lippenbekenntnissen zum Trotz kaum noch kümmerte. Sicher war diese Trennung nie vollständig und arbeiteten viele führende Juristen auch i m späten 19. Jahrhundert noch auf beiden Gebieten, aber i m großen und ganzen strebten beide Zweige auseinander 628 . b) In der anglo-amerikanischen Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts hingegen strebten ursprünglich getrennte Richtungen zusammen. Hier standen sich zunächst die Analytical School Austins sowie seiner Nachfolger mit ihrer Suche nach einem System allgemeingültiger Begriffe und die von Maine begründete geschichtliche Richtung mit ihrem evolutionistischen Denken gegenüber 6 2 9 . Zwar konnten diese Schulen durchaus koexistieren 6 3 0 , doch verkörperten sie, wie die Begriffsjurisprudenz und die Rechtsgeschichte in Deutschland, i m Prinzip grundverschiedene Sichtweisen von Recht und Rechtswissenschaft 631 . Die anglo-ameri626 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 22. Dazu Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre von der „praktischen Jurisprudenz" auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert 161 f. 627 So vor allem in seinen beiden Hauptwerken, der Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter und dem System des heutigen römischen Rechts. 628 Vgl. Stinzting I Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I / 2 438 ff., 750 ff., 834 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit 416 ff., 430 ff. 629 Vgl. Pound, Jurisprudence 69 ff., der unter den „Nineteenth Century Schools" die analytische (systematische) und die historische unterscheidet. Pound fügt allerdings noch eine dritte hinzu, die er die philosophische nennt, und die sich mit dem Idealzustand des Rechts beschäftigt; da sowohl historische Schule als auch Classical Legal Science sich aber gerade auf das positive Recht beschränkten, hatten sie mit dieser philosophischen Richtung grundsätzlich nichts zu tun. 630 So wurde Maine auch zunächst als willkommene Ergänzung zu Austin angesehen und stellte sich erst im Laufe der Zeit heraus, daß Maines historische Sichtweise die ungeschichtlich-logische Austins untergrub, Holdsworth, A History of English Law X V 350, 360 f.; Stein, Legal Theory and the Reform of Legal Education in Mid-Nineteenth Century England 197 ff. Vgl. auch Sugarman, Legal Theory, the Common Law Mind, and the Making of the Textbook Tradition 42 f. 631 Das wird etwa anhand Maines heftiger Kritik an Austin deutlich, Maine, Lectures on the Early History of Institutions 367 ff.

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Zweiter Teil: Blütezeit

kanischen Juristen sahen sich deshalb zunächst vor die W a h l zwischen den beiden Richtungen gestellt. Erst in der Classical Era gewann der Gedanke an Boden, sie zu verbinden. N u n verstanden die Common Lawyers unter Legal Science immer mehr eine sowohl historische als auch systematische Disziplin. A m Ende dieses Verbindungsprozesses stand die Vorstellung einer Jurisprudenz „through which the growth of positive law is unfolded by the Historical Method and its elements classified and defined by the A n a l y t i c a l " 6 3 2 . Holmes formulierte denselben Gedanken naturwissenschaftlich, indem er von „embryology" und „anatomy" des Rechts sprach 6 3 3 . Für Holmes, Pollock und ihre Zeitgenossen war die Jurisprudenz nicht mehr entweder Maine oder Austin, sondern sowohl als a u c h 6 3 4 . c) Der sich allmählich durchsetzende Gedanke einer solchen Synthese stammte zu nicht geringem Teil aus Deutschland. Zwar dachten viele anglo-amerikanische Juristen dabei auch an die Naturwissenschaften, wie eben schon bei Holmes und wie immer wieder bei Langdell deutlich wurde; in diesen ermittelten die Forscher j a ebenfalls zunächst das Material, um es sodann entsprechend den ihm innewohnenden Grundprinzipien systematisch zu ordnen. Zudem hatte es in der Tradition des Common L a w selbst schon früher Vorstellungen einer sowohl geschichtlichen als auch systematischen Science of Law gegeben, insbesondere bei Matthew H a i e 6 3 5 sowie auch bei Blackstone 6 3 6 . Aber die Naturwissenschaften waren doch eine Sache für sich, so verwandt man sich ihnen auch fühlen wollte, und Haie und Blackstone gehörten früheren Jahrhunderten an. Dagegen bot die deutsche Jurisprudenz ein zeitgenössisches Konzept historisch-systematischer Rechtswissenschaft, an dem man sich unmittelbar orientieren konnte. Schon i m American Jurist von 1835 wurde Savigny gepriesen als „at the same time an ingenious philologist and a profound logician", dessen Recht des Besitzes als höchster Ausdruck der Verbindung zwischen historischer Erforschung und dogmatischer Durchdringung des Stoffs g a l t 6 3 7 . U m die Jahrhundertmitte berichteten George Long und Luther Cushing ihrem englischen bzw. amerikanischen Publikum von der historisch-systematischen Doppelnatur der deutschen Jurisprud e n z 6 3 8 . In der Classical Era waren dann zunächst die führenden britischen 632 Taylor, The Science of Jurisprudence (1909) 249. 633 Holmes, The Bar as a Profession 157. 634 Bezeichnend ist etwa die zunächst historische, dann analytische Bearbeitung des Deliktsrechts durch John Henry Wigmore, vgl. Wigmore, Responsibility for Tortious Acts: A History; ders., The Tripartite Division of Torts; ders., A General Analysis of Tort Relations. 635 Hale hatte schon mehr als ein Jahrhundert vor Savigny ein historisch-systematisches Rechtswissenschaftskonzept entwickelt, vgl. Hale, History and Analysis of the Common Law of England; ders., The Analysis of the Law. Dazu ausführlich Shapiro, Law and Science in Seventeenth Century England. 636 in Blackstone, Commentaries on the Laws of England, beginnen die einzelnen Kapitel vielfach mit einer historischen Einführung, der dann die systematische Darstellung des Stoffs folgt. Dazu auch Boorstin, The Mysterious Science of Law 34 ff. 637 Anon., The German Historical School of Jurisprudence 50.

Β. Die historische Schule als Methode

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Vertreter dieses janusköpfigen Wissenschaftskonzepts deutlich von der historischen Schule beeinflußt. Das galt insbesondere für Frederick Pollock, der geradezu als Verkörperung der Verbindung von geschichtlichem und begrifflich-systematischem Denken in der Welt des Common Law gelten m u ß 6 3 9 , aber auch für James B r y c e 6 4 0 und andere 6 4 1 . I n den U S A zeigten sich Savigny'sehe Gedanken bei James C. Carter 6 4 2 , in Hannis Taylors historisch-analytischem Begriff von Jurisprudenz 6 4 3 und bei W i l l i a m Gardiner H a m m o n d 6 4 4 . A u c h auf Holmes dürfte Savignys Denken gewirkt haben, wenngleich konkrete Beweise dafür fehlen. Holmes war nach langer Unschlüssigkeit zu einem Wissenschaftsverständnis gelangt, das historische Forschung i m Sinne Maines sowie der deutschen Rechtsgeschichte mit der Suche nach einer, wenn auch nur losen, Ordnung der Grundbegriffe des Rechts verband. Da er mit Savigny durchaus vertraut war, mußte er sich diesem zumindest verwandt f ü h l e n 6 4 5 . Angesichts dieser Parallelen und Einflüsse ist es nicht verwunderlich, daß die deutsche und die anglo-amerikanische Jurisprudenz nicht nur die Verheißung, sondern auch die theoretischen und praktischen Schwierigkeiten des doppelsinnigen Wissenschaftskonzepts teilten. 638 Long sprach vom „two-fold spirit which, to use Savigny's words, is indispensable to the jurist, the historical, by which the peculiarities of every age and every form of law may be seized and appreciated — the systematic, by which every nation and every rule may be placed in lively connection and co-operation with the whole", Long, Historical Sketch of Civil Procedure Among the Romans (1857), zitiert nach Stein, Legal Evolution 82. Cushing wies auf die Verbindung beider Elemente hin in seiner Introduction to the Study of the Roman Law 143. 639 Zu Pollock ausführlich Schwartz, Sir Frederick Pollock und die englische Rechtswissenschaft; zu Savignys Einfluß und zu Pollocks historisch-systematischem Arbeiten id. 138, 145. 640 Vgl. Bryce, The Methods of Legal Science 624 ff. 641 Etwa für Sheldon Amos, der die deutsche Jurisprudenz für das große Vorbild seiner Zeit hielt und unter Rechtswissenschaft ebenfalls eine Kombination zwischen historischer Bestandsaufnahme und systematischer Klassifizierung des positiven Rechts verstand, Arnos, The Science of Jurisprudence 42. Vgl. auch Lightwood, The Nature of Positive Law V I I I f. 642 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 1 ; allerdings hielt Carter die systematische Ordnung des Rechts für vorrangig; erst „beyond the immediate boundaries of the law" lag die Erforschung von Ursprung und Entwicklung des Rechts. 643 Taylor, The Science of Jurisprudence (1909) 249; nur wenige Seiten zuvor zitierte Taylor Savigny, den er „epoch making" nannte, vgl. id. 246. Vgl. auch Taylor, The Science of Jurisprudence (1908); interessant ist in diesem Zusammenhang Taylors Widmung des Buches sowohl an Austin als auch an Bryce, d. h. an einen analytischen und einen historischen Rechtsdenker. Allerdings gelang es Taylor nicht, geschichtliche und begrifflich-systematische Bearbeitung des Rechts wirklich zu vereinen. 644 Vgl. American Bar Association, Report of the Committee on Legal Education (1892) 352; der Report war unter der Leitung William Gardiner Hammonds verfaßt worden. 645 Holmes kannte zumindest Savignys Recht des Besitzes und seine Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, vgl. Little, The Early Readings of Justice Oliver Wendell Holmes 2; vgl. dazu auch oben A.III. 1.

Zweiter Teil: Blütezeit

1 2. Individuelle

Willkür

und kollektives

Bewußtsein

Schon theoretisch mußte die Synthese zwischen geschichtlicher Erfassung und begrifflich-systematischer Ordnung des Rechts Kopfzerbrechen bereiten, denn sie führte in ein tiefes D i l e m m a 6 4 6 . Aus diesem konnte Savignys Rechts Verständnis jedoch befreien. Darin lag ein entscheidender Grund für seine Aufnahme ins anglo-amerikanische Denken. a) W i l l man die Bedeutung verstehen, die Savignys Rechtsverständnis dadurch erlangte, so muß man sich zunächst das fundamentale Problem klarmachen, dessen Lösung Savigny ermöglichte. Dieses Problem ergab sich daraus, daß die Jurisprudenz als historisch-systematische Disziplin zugleich empirische und rationale Wissenschaft sein w o l l t e 6 4 7 ; es lag konkret darin, daß eine solche Wissenschaft gerade i m Bereich des positiven Rechts bei genauerem Zusehen kaum möglich schien. Es stand nämlich zu befürchten, daß sie sowohl aussichtslos als auch sinnlos war. Eine zugleich empirische und rationale Rechtswissenschaft war potentiell aussichtslos, w e i l sie ihre Aufgabe möglicherweise gar nicht erfüllen konnte. Eine solche Jurisprudenz mußte anhand der wirklichen Quellen die Regeln des positiven Rechts erforschen und dabei die ihm zugrundeliegenden Prinzipien und deren Ordnung entdecken. Das war natürlich überhaupt nur dann möglich, wenn sich 646 Es gab außer dem nachfolgend behandelten noch ein weiteres Problem, das aber wesentlich geringer war und deshalb hier nur am Rande interessiert. Die historische Perspektive der Jurisprudenz forderte Anerkennung der ständigen Wandlung des Rechts, während das begrifflich-systematische Denken gerade um allgemeingültige Prinzipien und Zusammenhänge bemüht war. Ob darin ein Widerspruch lag, hing allerdings ganz davon ab, wie man die gesuchten Begriffe und ihre Ordnung verstand. Sah man, wie die Begriffsjurisprudenz und wie auch manche Common Lawyers, in den maßgeblichen Strukturen wirklich „immutable and universal principles" (Robinson , A Study on Legal Education 4; zur amerikanischen Situation allgemein White, Tort Law in America 74), so war man damit im Grunde auf das vemunftrechtliche Denken des 18. Jahrhunderts zurückgeworfen, das sich in der Tat nicht mit dem Historismus des 19. Jahrhunderts vertrug. Man konnte aber durchaus auch die Prinzipien und ihren Zusammenhang selbst als dem geschichtlichen Prozeß unterworfen verstehen, denn schließlich mußten sie nicht unbedingt unveränderlich sein. Das entsprach ganz Savignys Vorstellungen, der sich das System „als fortschreitend denken" wollte, „d. h. als Geschichte des Systems der Jurisprudenz im ganzen" (Savigny, Juristische Methodenlehre 32). Ebenso befürworteten Holmes und Gray zwar eine logische Ordnung des Rechts, hielten diese aber nicht für statisch, vgl. oben II.3. Anm. 593 ff. und Text. Selbst Langdell behauptete nie eine zeitlose Gültigkeit der „principles", sondern betrachtete sie als „growth extending in many cases through centuries" (Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts, Preface VI). Nahm die begriffliche Struktur des Rechts aber selbst an der historischen Entwicklung teil, dann paßten geschichtliche Betrachtung und systematische Ordnung durchaus zusammen. 647 Grundsätzlich dazu Cozier, Legal Realism and Science of Law 162 f. Sugarman, Legal Theory, the Common Law Mind, and the Making of the Textbook Tradition 40, sieht in diesem Zwiespalt einen traditionellen Zug des englischen Rechtsdenkens. Vgl. auch Stevens, Law School 53, der von „Langdell's confusion between science as an empirical and as a rational activity" spricht.

Β. Die historische Schule als Methode

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in den Regeln des positiven Rechts tatsächlich allgemeine Prinzipien und logische Zusammenhänge verbargen. Genau daran aber ließ sich m i t Fug und Recht zweifeln. Das positive Recht war schließlich ( i m Gegensatz zum überpositiven) das von Menschen gesetzte, und die Erfahrung lehrte, daß sich das menschliche Rechtsetzen allenfalls zum Teil nach Prinzipien und logischen Gesamtzusammenhängen richtete; allzu oft hing es einfach von momentaner Zweckmäßigkeit, der Lage des Einzelfalles oder von gänzlich irrationalen Kriterien ab. So konnten Urteile oder Gesetze je nach den Umständen oder den Neigungen des Entscheidungsträgers sehr verschieden ausfallen. W o konkrete Umstände, Interessen oder Gefühle am Werk waren, gab es keinen Grund, in der Gesamtheit der Entscheidungen verläßliche Grundsätze und eine höhere Ordnung zu vermuten 6 4 8 . So gesehen war es höchstwahrscheinlich, daß i m positiven Recht weitgehend Chaos herrschte. Barg die historische Wirklichkeit aber keine logische Ordnung, so war eine historisch-systematische Jurisprudenz zum Scheitern verurteilt. Eine solche Jurisprudenz war möglicherweise auch sinnlos, weil auf ihre Ergebnisse kein Verlaß war. Selbst wenn sich in der Vielzahl der rechtlichen Entscheidungen allgemeingültige Prinzipien und logische Strukturen des positiven Rechts finden ließen, so unterlag deren Fortbestand doch wieder dem menschlichen Willen. Schließlich war es den Entscheidungsträgern (Gesetzgebern oder Richtern) unbenommen, diese Prinzipien und Strukturen in Frage zu stellen, indem sie sich darüber hinwegsetzten, oder sie sogar ganz umzuwerfen, indem sie das Recht grundlegend änderten. Eine Wissenschaft, deren Grundsätze und deren Ordnung sich jederzeit durch Willensakte ändern ließen, war von höchst zweifelhaftem Sinn. Genau das hatte schon von Kirchmann gemeint, als er von der „Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft" gesprochen hatte 6 4 9 . Ob sich die Classical Legal Scientists dieser potentiellen Aussichts- und Sinnlosigkeit der historisch-systematischen Jurisprudenz bewußt waren, ist nicht klar. Dafür spricht, daß zumindest Beale offen zugab, daß das wirkliche Recht, „warped by mistaken decisions, and containing an arbitrary element introduced into it by legislation", sich nicht wissenschaftlich behandeln und zu einem System verarbeiten lasse, „because it is a mere amorphous congeries of unrelated a t o m s " 6 5 0 . Klar ist jedenfalls, daß weder Langdell noch seine Schüler eine plausible Begründung für die Hoffnung nannten, daß sich in der Masse des positiven Stoffs verläßliche Prinzipien und logische Systeme finden ließen 6 5 1 . Sie gingen zum überwiegenden 648 Jedenfalls keine logische Ordnung allgemeiner Begriffe, um die es der historischen Schule und der Classical Legal Science ging; hingegen blieb es natürlich denkbar, daß sich psychologische oder anthropologische Grundmuster finden ließen, denen etwa Jhering und Holmes nachspürten, oder daß politische und soziale Gesichtspunkte Strukturen des positiven Rechts offenlegen konnten, wie dies die Sociological Jurisprudence und der Legal Realism versuchten, dazu unten Dritter Teil B. 649 von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft. 650 Beale, The Necessity for the Study of Legal System 38. 651 Vgl. Cohen, American Thought 152. 11 Reimann

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Zweiter Teil: Blütezeit

Teil einfach davon aus, daß die Jurisprudenz i m wesentlichen eine Wissenschaft wie die Natural Sciences war, und glaubten deshalb, da Geologen, Biologen oder Chemiker Gesetzmäßigkeiten und Systeme in der Natur gefunden hatten, sei dies den Juristen i m Recht gleichermaßen m ö g l i c h 6 5 2 . Doch fiel schon den Zeitgenossen die Fragwürdigkeit dieser Gleichung a u f 6 5 3 . Die „facts" der Naturwissenschaften standen fest und waren (jedenfalls nach damaliger A n s i c h t 6 5 4 ) ein für allemal zu bestimmen; sie hingen also nicht, wie bei der Jurisprudenz, von den Unberechenbarkeiten menschlichen Verhaltens ab. A u c h ließen sich die Prinzipien der Natur und ihr Zusammenhang nicht nach Belieben abändern, sodaß darauf, wenn man sie einmal verstanden hatte, Verlaß war. M i t anderen Worten, der Classical Legal Science fehlte zunächst eine überzeugende Begründung für ihr eigenes Konzept. Ohne eine solche sah es ganz danach aus, als könne die Jurisprudenz eben doch nicht gleichzeitig historisch-wirklichkeitsgetreu und logisch-systematisch sein. Damit stand man, wenn man es genau betrachtete, also vor der alten Alternative: Entweder man nahm die Geschichte und das durch sie hervorgebrachte positive Recht in all seiner Vielfalt und Unregelmäßigkeit ernst, dann mußte man aber die Idee einer rationalen Ordnung sicherer Begriffe aufgeben; in diesem Falle lief die ganze Jurisprudenz i m wesentlichen auf eine genaue Ermittlung des Rechtsstoffes, also auf bloße Rechtskenntnis, hinaus. Oder aber man beharrte auf festen Grundsätzen und logischen Systemen, dann mußte man jedoch immer wieder bereit sein, von der verqueren Wirklichkeit abzusehen (sich also nicht um widerstreitende Entscheidungen oder gesetzgeberische Kapriolen kümmern); damit kehrte man allerdings zum spekulativen Denken zurück und riskierte einen Rückfall ins Vernunftrecht. b) Doch so unüberwindlich diese Misere zunächst auch scheinen mochte, so gab es doch einen Ausweg. Die Lösung mußte allerdings i m Kern des Problems ansetzen. Dieser bestand darin, daß der Begriff des positiven Rechts nach herkömmlicher Auffassung untrennbar mit dem menschlichen W i l l e n verbunden war: Recht wurde durch

652 Dazu Sutherland , The Law at Harvard 178. Im übrigen war dieses Bild der Naturwissenschaften schon im späten 19. Jahrhundert überholt, Shapiro, Law and Science in Seventeenth Century England 727. Grey, Langdell's Orthodoxy, versucht, Langdells Wissenschaftskonzept durch Vergleich mit der Geometrie zu erklären, id. 16 ff.; das Folgende gilt aber mutatis mutandis auch für diesen Vergleich. 653 Vgl. Clarke, The Science of Law and Law-Making, der aber doch 1898 noch mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen Jurisprudenz und Naturwissenschaften sah; Franklin, The Introductory Lecture by Christian Roselius 575; sehr deutlich dann Wambaugh, Is Law a Science?. Aus europäischer Perspektive Redlich, The Common Law and the Case Method 55 f. 654 Nach Einstein und Heisenberg ist dieser Glaube in unserem Jahrhundert zumindest zum Teil der Skepsis gegenüber der objektiven und endgültigen Erfahrbarkeit der natürlichen Welt gewichen, sodaß das Verhältnis zwischen Rechts- und Naturwissenschaften schon von daher ganz neu zu überdenken wäre.

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menschliche Setzung positiv — genau dadurch aber auch unberechenbar. M a n konnte diesem Dilemma also solange nicht entrinnen, wie man das Wesen des positiven Rechts in obrigkeitlichen Entscheidungen bzw. Anordnungen sah. Genau das aber taten nicht nur die Vernunftrechtler des 18. Jahrhunderts, sondern auch die meisten Common Lawyers des 19. Jahrhunderts, solange sie in der einen oder anderen Form Austins Theorie akzeptierten, das Recht sei letztendlich ein „command of the sovereign". Hier half nur radikales Umdenken. Das entscheidende V o r b i l d dazu fand sich bei Savigny. Dieser ging von einem v ö l l i g anderen Begriff des positiven Rechts aus, der das ganze Dilemma von vornherein vermied. Indem Savigny den entscheidenden Charakterzug des positiven Rechts nicht mehr in obrigkeitlicher Anordnung sah, machte er es v o m menschlichen W i l l e n unabhängig und damit als Objekt wissenschaftlicher Erforschung erst tauglich. Savigny nahm gerade an, „der Stoff des Rechts sey durch die gesammte Vergangenheit der Nation gegeben, doch nicht durch W i l l k ü h r , sodaß er zufällig dieser oder ein anderer seyn könnte, sondern aus dem inneren Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen" 6 5 5 . Das Recht war seinem eigentlichen Charakter nach Gewohnheit und als solche untrennbarer T e i l und Ausdruck der Gesamtkultur. Sein Entstehungsgrund lag nicht i m individuellen Willen, sondern i m kollektiven Bewußtsein. Deshalb war es nicht „zufällig", sondern „notwendig". Savigny gab dem Begriff „positiv" damit eine ganz andere Bedeutung: Nicht mehr „gesetzt" war damit gemeint, sondern „gegeben" 6 5 6 . I m Gegensatz zum „gesetzten" und deshalb von menschlicher W i l l k ü r abhängigen, d. h. „zufälligen" Recht war aber das „gegebene" und somit „notwendige" Recht genauso als Gegenstand empirisch-systematischer Wissenschaft geeignet 6 5 7 wie andere vorgegebene Erscheinungen der Welt — Sprache oder Raum, Gesteine oder Pflanzen. So gesehen ließen sich Rechtsregeln genauso als „facts" ansehen wie chemische Verbindungen oder physikalische Erscheinungen. Nun, da das chaosstiftende Element menschlichen Willens aus dem Bereich des positiven Rechts verbannt war, war der Vergleich zwischen Rechts- und Naturwissenschaft mit einem Schlag plausibel. Damit war auch eine historisch-systematische Jurisprudenz aussichtsreich und sinnvoll. Es bestand genau wie in den Naturwissenschaften die Aussicht, daß i m willensunabhängig gegebenen Kulturphänomen

655 Savigny, Über den Zweck dieser Zeitschrift 4; dieser Gedanke beherrschte Savignys gesamte Rechtsauffassung, auf der seine Wissenschaftstheorie unmittelbar aufbaute; vgl. ders., Vom den Beruf unserer Zeit 8; ders., System des heutigen römischen Rechts 14. 656 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 14. „Nothwendig" und „gegeben" stehen als Begriffe bei Savigny in engstem Zusammenhang, vgl. Savigny, Uber den Zweck dieser Zeitschrift 3. Ähnlich aus der Perspektive der Kantischen Wissenschaftstheorie Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre von der „praktischen Jurisprudenz" auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert 164. 657 Vgl. Stintzing / Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft I I I 249. 11

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Recht tatsächlich Prinzipien und Strukturen lagen, die eine solche Jurisprudenz zutage fördern konnte. Die Feststellung derartiger Prinzipien und Zusammenhänge war jetzt auch sinnvoll, da sie von obrigkeitlicher Entscheidung unabhängig und deshalb von dauerndem Bestand w a r e n 6 5 8 . c) Diese Überlegungen finden sich i m anglo-amerikanischen Rechtsdenken an den verschiedensten Stellen wieder. Viele Common Lawyers begriffen, oder ahnten jedenfalls, daß ihr an die Natural Sciences angelehntes Wissenschaftskonzept auf der Grundlage des Austin'sehen Rechtsbegriffs unhaltbar, auf der Basis eines Savigny'sehen Rechtsverständnisses aber durchaus einleuchtend war: „So long as the laws of man are not dependent upon mere chance for their enactment . . ., but arise out of the interaction of the social organism and the environment, so long . . . w i l l an argument drawn from the other sciences be valid as applied to l a w . " 6 5 9 Dieses neue Rechts Verständnis, schrieb Hannis Taylor, hatte man der historischen Schule zu verdanken. Among its many startling revelations the greatest perhaps is that which embodies the dominant idea of the nature of law itself. The world is beginning to understand that law is neither the command of an outside sovereign, nor a collection of abstract principles in force by the nature of things for all ages, but the expression for the time being of the dominant force of the community . . . Law is a living and changing organism . . . It thus becomes the Science of Jurisprudence to look behind the law into those relations of mankind which are generally recognized as having legal consequences, in order to ascertain whether or not there is unity or even resemblance in the basic conceptions that underlie them. 6 6 0 Savignys Biograph Montmorency gab diesem Gedanken eine pathetische Wendung, als er schrieb: „ H e [seil. Savigny] showed us that law itself is subject to law, that it is no arbitrary expression of the w i l l of a law-giver, but is itself a thing obedient to a cosmic process" 6 6 1 . Für Savignys Anhänger Carter war das Recht „tantamount to the enforced customs of society", sodaß auch die Gerichte es nicht schufen, sondern nur fanden und ihm Ausdruck gaben; deshalb war es ein „existing fact", sodaß eine den Naturwissenschaften gleiche, induktiv-systematische Bearbeitung seines Stoffs möglich w a r 6 6 2 . Andere dachten ähnlich 6 6 3 . 658 Das enorme politische Potential einer solchen Rechtsauffassung läßt sich hier bereits ahnen. Es kam vor allem in den USA zur Geltung; dazu unten C.III. 1. und 2. 659 Clarke, The Science of Law and Law-Making 385. 660 Taylor, The Science of Jurisprudence 246 f. 661 Montmorency , Friedrich Carl von Savigny 586. 662 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 85. Legte man ein anderes Rechtsverständnis zugrunde, so war für Carter eine Rechtswissenschaft gar nicht möglich: „In viewing the law as a body of rules proceeding from a supposed Law of Nature — an invisible fountain of right — we are simply indulging in hypothesis. No such thing is open to our observation, and consequently, not to our knowledge. So, too, when we ascribe all law to the command of the supreme power in a state we are simply contenting ourselves with an assumption." Id. 13. 663 Vgl. Tiedemann, Methods of Legal Education 154; ders., An Elementary Treatise on the American Law of Real Property, Preface.; Lindsay, The Development of a

Β. Die historische Schule als Methode

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Natürlich müssen Savignys Rechtsbegriff und sein Einfluß auch hier i m Zusammenhang mit verwandten Ideen gesehen werden. Maine legte seinen Arbeiten ein ganz ähnliches Rechtsverständnis zugrunde und trug damit zur Diskreditierung Austins bei; und die These, das Recht werde nicht von den Gerichten geschaffen, sondern gehe den Entscheidungen voraus, war fast so alt wie das Common Law selbst. Aber Maines Werk enthält keine nähere Begründung seiner Prämissen, und der alte Mythos v o m Common L a w hatte von jeher einer plausiblen Erklärung entbehrt, woher das Recht eigentlich stamme, wenn nicht aus den Köpfen der Richter. Zur wissenschaftstheoretischen Untermauerung einer modernen Jurisprudenz taugten beide nicht. Als Grundlage einer historisch-systematischen Wissenschaft v o m positiven Recht war Savignys Rechtsentstehungslehre deshalb auch in der Welt des Common Law ohne ernsthafte Konkurrenz. d) Doch selbst wenn man Savignys Rechtsverständnis zugrundelegte, so machte das eine historisch-systematische Jurisprudenz nur möglich, es garantierte ihr aber noch lange keinen Erfolg. Wenn das positive Recht als willensunabhängiges Kulturphänomen notwendigerweise gegeben war, so hieß das schließlich nur, daß man darin guter Hoffnung nach einem System von Prinzipien suchen konnte, nicht aber, daß sich tatsächlich eines finden ließ. Trotzdem gingen sowohl historische Schule wie Classical Legal Science von der Existenz einer systematischen Ordnung aus, die i m Verborgenen der Entdeckung durch die Wissenschaft harrt e 6 6 4 . Savigny hatte diese Überzeugung durchaus theoretisch begründet, i m angloamerikanischen Rechtsdenken fand dieser T e i l seiner Lehre jedoch, soweit ersichtlich, keine Resonanz 6 6 5 . Den Common Lawyers blieb daher nur der Glaube, Scientific View of Law 531 f. Die Vorstellung, Recht sei (als Gewohnheit oder überhaupt) Kulturphänomen und als solches Gegenstand der Wissenschaft, ließ sich auch anthropologisch verstehen, wie dies Lindsay unter Berufung auf Savigny und die deutsche historische Schule tat, Lindsay, The Development of a Scientific View of Law 530 f.; Holmes meinte, das Studium des Rechts als „a great anthropological document" sei „science in the strictest sense", Holmes , Law in Science and Science in Law 212. 664 Einigkeit herrschte darüber, daß es sich um keine von außen auferlegte Einteilung handeln dürfe, sondern um eine der Struktur des Rechts entsprechende innere Ordnung gehen müsse; vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 10, dazu Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert 60; am weitesten hat diesen Systemgedanken wohl Jhering getrieben, vgl. Jhering, Vom Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung I 36 f. Für das amerikanische Rechtsdenken sehr deutlich Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 192 f.; ders., The Provinces of the Written and Unwritten Law 43 f. Allerdings war diese Idee unter den Common Lawyers und vor allem unter den amerikanischen Rechtsdenkern meist weniger ausgeprägt als bei Savigny und seinen Nachfolgern. 665 Das mag daran liegen, daß Savigny diese Begründung nicht deutlich und im Zusammenhang formuliert hat, oder auch daran, daß sie verhältnismäßig kompliziert war und viele Fragen offenließ. Savigny ging davon aus, daß die konkreten „Rechtsverhältnisse" unter bestimmten „Rechtsinstituten" stehen, die wiederum „zu einem großen System verbunden bestehen", Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 6 ff., insbesondere 10. Dem lag wohl die Vorstellung zugrunde, daß alles Recht aus demselben Volksgeist stammt, daher also dieselbe „gemeinsame Überzeugung" widerspiegelt und deshalb einen „organischen Zusammenhang" bildet, vgl. Savigny, Vom Beruf unserer

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daß sich die verborgene Ordnung des Rechts bei entsprechender wissenschaftlicher Bearbeitung in der Praxis schon zeigen würde. 3. Bewährung und Grenzen der klassischen Rechtswissenschaft Dieser Glaube konnte allerdings unmöglich leicht fallen, denn der tatsächliche Zustand des Rechts sprach nicht gerade für die Existenz verläßlicher Prinzipien und systematischer Zusammenhänge. Schon das materielle Common Law der eigenen Zeit war, wie gesagt, ein einziges Chaos, von der Verschlungenheit des hergebrachten Denkens in Forms of Action ganz zu schweigen. Ließ sich denn i m Case Law w i r k l i c h etwa das allgemeine Prinzip finden, deliktische Haftung beruhe auf Fahrlässigkeit, wenn Gerichte mitunter doch genau zum gegenteiligen Ergebnis k a m e n ? 6 6 6 U n d so sehr man auch i m positiven Recht eine organisch wachsende Tradition fester Grundsätze sehen wollte, so war doch in der Praxis nicht zu leugnen, daß der Gesetzgeber daran herumänderte, wie es ihm paßte. Angenommen, das Deliktsrecht ließ sich wissenschaftlich in Bereiche der Fahrlässigkeit und der verschuldensunabhängigen Haftung einteilen, so war diese Einteilung doch wenig wert, wenn der Gesetzgeber die Bereiche nach Belieben aufheben konnte 6 6 7 . W i e sollte man unter derartigen Umständen auf praktische Erfolge einer historisch-systematischen Jurisprudenz hoffen? a) Doch gab es durchaus auch Grund zum Optimismus. Für viele Common Lawyers schien er durch den praktischen Erfolg der Naturwissenschaften gerechtfertigt. Schließlich hatten diese i m scheinbaren Chaos der natürlichen Welt Gesetzmäßigkeiten und Systeme gefunden, die das Verständnis und die Beherrschung der physischen Wirklichkeit in großartiger Weise vorangebracht hatten. Was den Natural Sciences möglich war, so dachten Viele, müsse auch der Jurisprudenz vergönnt sein. Es sprach, verstand man Recht erst einmal mit Savigny als konstanten Kulturbestandteil, zwar theoretisch nichts mehr gegen diese Annahme. Es sprach allerdings auch praktisch gesehen nichts weiter dafür. Denn daß es in der Natur eine Ordnung der Dinge gab, hieß nicht unbedingt, daß dem auch i m Recht als Teil der menschlichen Kultur und Gesellschaft so sei.

Zeit 8, 14. So waren die einzelnen Rechtsinstitute kraft gleicher Herkunft aus ein und derselben Kultur konsistent und zu einem System verbunden. Die kulturelle Einheit des Rechts sorgte also für seine sytematische Ordnung. 666 Holmes etwa leitete das Prinzip der Haftung aufgrund von Fahrlässigkeit aus den Quellen ab, mußte aber sogleich eingestehen, daß es dazu weitreichende Ausnahmen gab, deren Bedeutung er allerdings herunterzuspielen suchte, Holmes, The Common Law 76 ff., 92 f. 667 Etwa durch Einführung der verschuldensunabhängigen Haftung in traditionell Fahrlässigkeit voraussetzenden Bereichen wie der Arbeitgeberhaftung für Arbeitsunfälle; vgl. dazu unten C.III.3.

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Grund zu der Annahme, daß gerade auch i m Recht allem chaotischen Anschein zum Trotz wirklich Prinzipien und Ordnung herrschten, gab aber der Blick auf die praktischen Erfolge der deutschen Jurisprudenz. Auch diese hatte das Recht i m Zustand völliger Uneinheitlichkeit und Verwirrung vorgefunden. „Legal conditions in Germany . . . were hardly less onerous than the situation presented by our overwhelming case law and diversity o f jurisdictions. The Geman empire was divided into six different judicial divisions governed by laws written in German, French, Latin, and even Greek. Each division also had its own local law and local c u s t o m . " 6 6 8 Die Wissenschaft, allen voran Savigny, hatte aber bewiesen, daß sich die Masse der Details zunächst durch historische Erforschung auf leitende Grundsätze zurückführen und sodann durch logische Überlegung in eine systematische Struktur bringen l i e ß 6 6 9 . I n den Lehrbüchern der Pandektenwissenschaft war das Recht nach den ihm innewohnenden Prinzipien geordnet niedergelegt w o r d e n 6 7 0 . A u f diesen Leistungen konnte später der Gesetzgeber aufbauen, der seit Mitte des Jahrhunderts allmählich das Recht vereinheitlichte 6 7 1 . A m Ende dieser Entwicklung stand dann als reifste Frucht der wissenschaftlichen Jurisprudenz das Bürgerliche Gesetzbuch als „great achievement, and . . . just cause for national p r i d e " 6 7 2 und als Errungenschaft einer Rechtskultur, „where a scientific system of jurisprudence has become the foundation o f legal education and k n o w l e d g e " 6 7 3 . Die deutsche Rechtswissenschaft zeigte also nicht nur, wie wahre Jurisprudenz auszusehen habe, sie lieferte auch den Beweis ihrer praktischen Umsetzbarkeit. In der Tat blieb auch in der anglo-amerikanischen Welt der Erfolg nicht aus, als die Vertreter der Classical Legal Science das positive Recht wie ihre deutschen Kollegen mit den Methoden der historisch-systematischen Jurisprudenz bearbeiteten. Maitland, Pollock und andere in England, Langdell, Holmes, Ames, Thayer, Bigelow und Wigmore in den U S A ermittelten durch geschichtliche Studien die Grundprinzipien des Rechts, die sie oder ihre Nachfolger dann in eine rationale Ordnung brachten 6 7 4 . Diese verkörperte sich zunächst in kleineren Darstellungen wie Langdells Summary of the Law of Contracts, bald aber auch in großen, den 668 Kocourek, Translator's Preface to Gareis, The Science of Law XIII. Vgl. auch Ernst, Law Reforms in Germany 803. 669 Vgl. Pollocks Widmung an Lindley in der 4. Auflage seiner Principles of Contract (Philadelphia 1888); Borchard, Jurisprudence in Germany 304. 670 Vgl. Arnes, The Vocation of the Law Professor 141 ff. 671 Diesen Aspekt betonte besonders Ernst, Law Reforms in Germany, der seinen Kollegen 1884 vorhielt: „Up to 1866 Germany had less harmony than we had; now it has more . . .", id. 803. 672 Maitland, The Making of the German Civil Code 484. 673 Freund, The Proposed German Civil Code 248; vgl. auch ders., The New German Civil Code. 674 Vgl. Redlich, The Common Law and the Case Method 48 f. Zum Law of Torts, insbesondere zu Konzepten wie „Assumption of Risk", „Last Clear Chance" und „Vicarious Liability" ausführlicher White, Tort Law in America 41 ff.

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deutschen Lehrbüchern ähnlichen Treatises. Hier begann das Common L a w , sich als ein überschaubares Reich allgemeingültiger Prinzipien und logischer Zusammenhänge zu präsentieren 6 7 5 . b) W i e waren diese Erfolge trotz des chaotisch anmutenden Charakters des Rechts möglich? Hatte die moderne Jurisprudenz deutscher bzw. anglo-amerikanischer Prägung es in der Tat geschafft, die verborgenen Prinzipien des Rechts ans Licht zu bringen und das i h m innewohnende System aufzuschlüsseln? M i t anderen Worten: Wares der Wissenschaft endlich gelungen, geschichtliche W i r k lichkeit und wahre L o g i k des Rechts zu vereinen? Die Frage läßt sich nicht m i t einem klaren Ja oder Nein beantworten. Einerseits waren die Errungenschaften dies- und jenseits von Kanal und Atlantik auf den Gebieten der begrifflichen Erfassung und logischen Ordnung des zuvor geschichtlich erforschten Rechts tatsächlich große Leistungen. Die Rechtswissenschaftler und die Legal Scientists entwickelten für das positive Recht Begriffsapparate und Systeme bisher unerreichter Präzision und Klarheit. Obwohl die deutsche Jurisprudenz dabei weiter fortschritt, war die Leistung der Anglo-Amerikaner wohl die größere, da sie nicht auf eine jahrhundertealte Tradition zurückgreifen konnten, sondern für das Common Law echte Pionierarbeit leisten mußten. Andererseits darf man diese jeweiligen Leistungen auch nicht überschätzen. Sie waren nämlich aus zwei Gründen weniger erstaunlich, als es scheint. Erstens betrafen sie bei weitem nicht den gesamten historischen Stoff; zweitens waren sie nur möglich, weil sich die Rechtswissenschaft normative Urteile über das gegebene Material vorbehielt. A u c h in diesen Punkten waren historische Schule und Classical Legal Science eng miteinander verwandt. Zunächst ist nicht zu übersehen, daß weder die eine noch die andere den gesamten, tatsächlichen Rechtsstoff behandelte. Stattdessen beschäftigten sich beide nur mit einem kleinen, wenn auch zentralen Ausschnitt. Sie konzentrierten sich jeweils auf denjenigen Teil, dessen wissenschaftliche Bearbeitung am ehesten Erfolg versprach. Die aus dem Programm Savignys hervorgegangene deutsche, geschichtlichsystematische Jurisprudenz beschränkte ihren Stoff vor allem in zweifacher Weise. Sie war zum einen i m wesentlichen nur Privatrechtswissenschaft; das lag sowohl an Savignys frühem und bewußtem Ausschluß des öffentlichen Rechts 6 7 6 als auch am überwiegend privatrechtlichen Inhalt der klassischen römischen Quellen. Natürlich gab es auch geschichtliche und systematische Bearbeitungen des öffentlichen und des Strafrechts; diese blieben aber gegenüber der auf Personen-, Sachen- und Obligationenrecht konzentrierten Pandektenwissenschaft spätere Randerscheinungen. Weiterhin schloß die Rechtswissenschaft modernes Gesetzesrecht aus der Betrachtung weitgehend aus; auch das galt nur mit Vorbehal675 676

Vgl. Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise 666. Vgl. Savigny, Juristische Methodenlehre 12.

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ten, die i m Laufe des Jahrhunderts an Gewicht zunahmen, die aber am grundsätzlich gesetzesfeindlichen Charakter der historischen Schule nichts änderten. Dieselben Beschränkungen fanden sich i m Prinzip in der Classical Legal Science. A u c h sie konzentrierte sich vorwiegend auf das Privatrecht als dem traditionellen Bereich der Rechtsprechung der Common Law Courts, d. h. auf Fragen von Status, Eigentum, Vertrag und D e l i k t 6 7 7 . U n d auch sie betrachtete i m wesentlichen nur das „unwritten l a w " , d. h. das Fallrecht, und gab sich nicht mit den „statutes proposed by some legislative body" a b 6 7 8 . Durch diese Beschränkungen wichen deutsche wie anglo-amerikanische Juristen den aus wissenschaftlicher Sicht widerspenstigsten Regelungen von vornherein aus. M i t dem öffentlichen Recht ließen sie den größten T e i l des unmittelbar politischen Moments unberührt, und mit dem Gesetzesrecht vermieden sie nun auch tatsächlich weitgehend das chaosstiftende Element radikaler Willensentscheidungen. Damit beschäftigten sich historische Schule und Classical Legal Science gleichermaßen und ganz bewußt nur m i t demjenigen Teil des Rechts, der sich in berechenbarer Weise, d. h. ungestört von Staatsinteressen und gesetzgeberischen Launen zu entwickeln versprach. M a n mag in dieser Begrenzung des Stoffs ein schlaues Umgehen der wahren Schwierigkeiten sehen und den Rechtsdenkern Ängstlichkeit oder Kapitulation vorwerfen. Es lag darin aber auch eine kluge Selbstbeschränkung auf die Bereiche, die wissenschaftlich sinnvoll zu bearbeiten waren, sodaß man geradezu von einer Bescheidenheit der Jurisprudenz sprechen könnte 6 7 9 . Jedenfalls stimmte diese Selbstbeschränkung ganz mit Savignys Prämissen einer Wissenschaft v o m positiven Recht überein: Positives Recht war danach schließlich sowieso nur die gegebene, d. h. von W i l l k ü r und ad hoc Interessen unbeirrte Kulturtradition. Diese gemeinsame Begrenzung des Stoffs auf den verhältnismäßig konfliktfreien Bereich des nicht gesetzlich geregelten Privatrechts machte das Auffinden 677 Auch hier gab es Ausnahmen. So müssen etwa die großen Treatises Christopher Tiedemanns auch insofern zur Classical Legal Science gerechnet werden, als sie öffentliches Recht zum Gegenstand hatten; nur bekamen sie dadurch einen politisch engagierten Charakter, der in privatrechtlichen Abhandlungen weitgehend fehlte; vgl. Tiedemann, The Limitations of Police Power; ders., The Unwritten Constitution of the United States. 678 Beale, The Place of Professional Education in the Universities 45; sehr explizit auch Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 84 f., der das „unwritten law" „which governs the ordinary private transactions of men with each other" ausdrücklich mit dem römischen „ius" verglich, id. 85. Gerade die Ignorierung des Gesetzesrechts machten Pound und Freund der Rechtswissenschaft später zum Vorwurf, dazu unten C.II.2. 679 Allerdings ist auch dabei Vorsicht geboten, denn mit der Beschränkung der Wissenschaft auf das nicht gesetzlich geregelte Privatrecht war vielfach die Auffassung verbunden, es handele sich bei diesem um das eigentliche Recht, demgegenüber öffentlichrechtlichen Bestimmungen und gesetzliche Regelungen nur Modifikationen und Einmischungen seien. Damit konnte ein Führungsanspruch der Wissenschaft ebenso verknüpft sein wie eine politische Neigung zum laissez faire; es konnte sich darin aber auch Sorge um die Kontinuität der Rechtsentwicklung ausdrücken, vgl. unten C.III.2. und 3.

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von Grundprinzipien und rationalen Zusammenhängen i m positiven Recht also viel wahrscheinlicher, als es in der Gesamtheit des Materials gewesen wäre. Darüberhinaus erklärt aber insbesondere die Herkunft des nun wissenschaftlich behandelten Rechts den Erfolg der historisch-systematischen Jurisprudenz sowohl in Deutschland wie in der anglo-amerikanischen Welt. Der als V o r b i l d angesehenen Pandektenwissenschaft lag das römische Recht zugrunde. Es handelte sich dabei um die Vorstellungen einer selbst i m Laufe der Jahrhunderte überschaubaren, weitgehend einheitlichen Berufsgruppe, deren Mitglieder über Raum und Zeit hinweg, d. h. international und über Generationen zusammenarbeiteten und voneinander lernten. Zudem gingen sie v o m selben Grundtext aus und strebten sie stets nach begrifflicher Genauigkeit und Stimmigkeit. Daß sich aus Ideen, die aus einem solchen Umfeld stammten, mit großer intellektueller Kraft tatsächlich ein logisches System von Begriffen machen ließ, ist verständlich. Auffallend Ähnliches gilt aber auch für die Tradition des Common Law. A l s Erzeugnis der englischen Richterschaft war es gleichfalls in einem sehr begrenzten, sich selbst rekrutierenden Kreis unmittelbar zusammenwirkender Rechtsdenker entstanden, denen besonders an Kontinuität und widerspruchsfreier Argumentation gelegen war. Zwar hatten sie weniger auf begriffliche Präzision und logische Zusammenhänge geachtet als die Romanisten auf dem Kontinent, doch arbeiteten auch sie in einem gemeinsamen Geist und kehrten bei ihnen dieselben Denkfiguren immer wieder. So war es auch hier kein Wunder, daß sich das Common Law, wenngleich mit größerer Mühe, auf Grundmuster zurückführen und nach deren Stellenwert leidlich geordnet darstellen ließ. M i t anderen Worten, sowohl die Pandektenwissenschaft als auch die Classical Legal Science beschäftigten sich mit Produkten überschaubarer, homogener, auf Zusammenarbeit und Tradition bedachter Eliten, deren Rechtsvorstellungen somit überdurchschnittlich prinzipienorientiert und konsistent waren. Dadurch ließen sich hier Geschichte und System in der Tat vereinen. Dieser Erfolg bedeutete natürlich in keiner Weise, daß i m historisch wirklichen Recht auch sonst, etwa in demokratischer Gesetzgebung, allgemeine Prinzipien und rationale Ordnungen zu finden waren. c) Doch selbst auf dem somit eng begrenzten Gebiet der Rechtswissenschaft fanden sich Widersprüche und Ungereimtheiten, denn weder die kontinentalen Romanisten noch die englische und später die amerikanische Richterschaft waren sich in allen grundsätzlichen Fragen stets einig gewesen. A u c h in ihrem überschaubaren Kreis waren natürlich abweichende, i m Laufe der Jahrhunderte sich wandelnde Ideen politischer, sozialer, ethischer oder undefinierbarer A r t aneinandergeraten, die sich in unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen niedergeschlagen hatten. Die Abweichungen mochten, absolut gesehen, gering gewesen sein, doch völlige Prinzipientreue und unbedingte L o g i k gab es auch hier nicht. W i e kamen die deutsche und die anglo-amerikanische Rechtswissenschaft mit diesem Befund zurecht?

Β. Die historische Schule als Methode

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Wieder reagierten beide in grundsätzlich gleicher Weise. Sie behielten sich nämlich das Urteil darüber vor, welche von mehreren widerstreitenden Ansichten die richtige und damit würdiger Bestandteil der Wissenschaft sei. Dieser normative Vorbehalt war schon i n Savignys Programm angelegt. Aufgabe der Wissenschaft war danach „eine periodisch wiederkehrende Betrachtung der von unsren Vorgängern geleisteten Arbeit, um aus dieser das Unächte auszuscheiden, das Wahre aber als bleibenden Besitz uns anzueignen." 6 8 0 Dabei galt es insbesondere, die Verfälschung ursprünglicher Gedanken durch spätere Juristengenerationen zu beseitigen. Die Wissenschaft mußte also „darauf gerichtet seyn, den gegenwärtigen Zustand des Rechts allmählich von demjenigen zu reinigen, was durch bloße Unkunde und Dumpfheit literarisch schlechter Zeiten . . . hervorgebracht worden i s t . " 6 8 1 Tatsächlich bedeutete das i m wesentlichen die Ausscheidung der mittelalterlichen und neuzeitlichen Modifikation des römischen Rechts und die Rückkehr zu den klassischen Quellen, die dann in der Tat für die Pandektenwissenschaft bis hin zum B G B bestimmend geblieben sind. Den Classical Legal Scientists ging es nicht um Juristenschriften, sondern um Gerichtsentscheidungen, aber auch hier wurde die Spreu vom Weizen getrennt. Zwar lebte das positive Recht i m Case Law, „yet not all decisions are acceptable, or ultimately accepted" 6 8 2 . Vielmehr mußte man die richtigen von den falschen (oder jedenfalls wertlosen) Entscheidungen trennen. Langdell hielt sogar die große Mehrheit der Cases für „useless and worse than useless for any purpose of systematic s t u d y " 6 8 3 . Nur die zutreffenden und wertvollen Entscheidungen konnten Aufnahme ins Reich der Wissenschaft finden, den Rest durfte man geflissentlich ignorieren 6 8 4 . Wenn die Gerichte das Recht nicht richtig anzuwenden wußten, dann war das, so Beale, ihr Problem, konnte aber das „general scientific l a w " nicht beeinträchtigen. 6 8 5 Diese Vorbehalte bedeuteten mehr als eine weitere Verengung der empirischen Basis der Jurisprudenz; sie bedeuteten das Eingeständnis, daß die Quellen selbst i m Privatrecht zu widersprüchlich waren, um ihren Gesamtgehalt zu einem System der Prinzipien zu verarbeiten. Ohne Auswahl unter den Quellen war dies nicht möglich. Für diese Auswahl waren allerdings Kriterien notwendig. Für Savigny lag das entscheidende Kriterium in der Übereinstimmung einer Rechtsansicht mit der organischen Entwicklung des Rechts als Ausdruck des Volksgeistes, also i m Maßstab der Kulturtradition. Die Classical Legal Scientists beurteilten 680 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, Vorrede XII. 681 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 119. 682 Pollock, The Vocation of the Common Law 17. Zu diesem Denken in Kategorien von richtigen und falschen Entscheidungen vgl. auch Siegel, John Chipman Gray, Legal Formalism, and the Transformation of Perpetuities Law 449. 683 Langdell, A Selection of Cases on the Law of Contracts, Preface VI. 684 Vgl. Gilmore, The Ages of American Law 59. 685 Beale, The Necessity for a Study of Legal System 38.

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die Richtigkeit der Entscheidungen danach, ob sie den wahren Prinzipien des Rechts entsprachen 6 8 6 . I n beiden Fällen nahm die Rechtswissenschaft damit aber vor der Uneinheitlichkeit des Stoffs letztendlich doch wieder zu abstrakten Ideen Zuflucht. Es zeigt sich an dieser Stelle, daß die deutsche wie die anglo-amerikanische Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts nicht konsequent positivistisch, sondern an entscheidenden Punkten doch wieder idealistisch war. Sie war positivistisch in ihrer geschichtlichen Dimension, d. h. ihrer Orientierung an den wirklichen Quellen; so verzichtete sie auf abstrakte Spekulation über allgemeine Gerechtigkeitsmaßstäbe und bezog sie ihr Material nicht aus philosophischen Vorstellungen eines Natur- oder Vernunftrechts, sondern aus Digestenstellen oder Cases. Aber sie war idealistisch in ihrer begrifflich-systematischen Richtung, d. h. in ihrem Glauben, daß sich in Stoff und Entwicklung dieser Quellen höhere Ideen und Zusammenhänge verbargen 6 8 7 ; dieser Glaube beruhte auf der Ansicht, das Recht entstehe nicht erst in den Quellen, sondern gehe ihnen bereits voraus — es existiere schon in der Kultur und werde in den Rechtsquellen nur ausgedrückt 6 8 8 . Das positivistische und das idealistische Element standen dabei in einer Wechselbeziehung: Die Quellen waren einerseits die Grundlage für die Suche nach den höheren Ideen, mußten sich andererseits aber an diesen höheren Ideen messen lassen. Ohne das idealistische Element, d. h. ohne Auswahl des Stoffs entsprechend seiner Übereinstimmung mit höheren Ideen, waren Geschichte und System weder i m deutschen noch i m anglo-amerikanischen Rechtsdenken vollständig zu vereinen, denn trotz aller Beschränkung auf den relativ homogenen Bereich des Privatrechts fügte sich die rechtliche Wirklichkeit nie ganz den Geboten der Prinzipientreue und logischen Konsistenz. Sowohl historische Schule also auch Classical Legal Science waren deshalb gleichermaßen auf das idealistische Element angewiesen. Trotzdem kam diesem idealistischen Element für beide eine unterschiedliche Bedeutung zu. Bei Savigny und seinen Nachfolgern war der Glaube an ein höheres Ganzes, dem sich die Teile fügen mußten, ein stimmiger Bestandteil ihres Verständnisses der Jurisprudenz: Diese Jurisprudenz sah ihren letztendlichen Maßstab i m Volksgeist und verstand darunter nicht nur das objektiv gegebe686 Vgl. Pollock, The Vocation of the Common Law 17; diese Idee findet sich schon bei Blackstone, vgl. Boorstin, The Mysterious Science of Law 20 ff., und im früheren 19. Jahrhundert, etwa bei May es, Whether Law is a Science 355 f. 687 Es ging deshalb auch bei der Geschichte um „a history . . . not . . . of dates and events, but of principles", Pomeroy, An Introduction to Municipal Law 10. 688 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 13 ff.; in der Classical Legal Science herrschte dementsprechend die Ansicht vor, „cases do not constitute the law, but are illustrations of its general principles", Dillon, Our Legal Chaos 102; ebenso Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 83; Beale, The Necessity for a Study of Legal System 38; Pollock, The Vocation of the Common Law 17.

Β. Die historische Schule als Methode

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ne, sondern zugleich auch ideale Wesen der Kulturnation. Wenn sich eine solche Rechtswissenschaft erlaubte, die Rechtssätze nach ihrer Übereinstimmung mit höheren Zusammenhängen zu beurteilen, so blieb sie deshalb ihren Prämissen treu. In der Classical Legal Science hingegen war der Glaube an höhere Maßstäbe problematisch und unpassend, denn er widersprach dem Bestreben, eine wahrhaft positivistische Wissenschaft wie die Natural Sciences zu sein. Es ging nicht an, die Cases den Proben des Naturwissenschaftlers gleichzustellen, und zugleich davon ausgehen, daß viele (oder sogar die meisten) Proben „falsch" seien, weil sie nicht den Kriterien der Prinzipientreue und Systemgerechtigkeit entsprachen. Hier war die Bewertung der Quellen nach Maßgabe idealer Zusammenhänge nicht erklärtes Ziel der Rechtswissenschaft, sondern i m Grunde nur eine Notlösung, ohne die man nicht auskommen konnte. Wäre man nämlich konsequent dem naturwissenschaftlichen M o d e l l gefolgt (d. h. hätte man w i r k l i c h nach Langdells Vorstellungen die Bibliothek wie ein Laboratorium, Museum oder wie einen botanischen Garten behandelt), so hätte man sich angesichts der Widersprüchlichkeit der Rechtswirklichkeit von der begrifflich-systematischen Rechtswissenschaft weitgehend verabschieden müssen. Dazu war man aber vorerst noch nicht bereit.

Zusammenfassung Die aus Savignys Programm hervorgegangene Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts und die Classical Legal Science waren eng miteinander verwandte Formen der Jurisprudenz. Sie repräsentieren trotz einer zeitlichen Verschiebung von einem halben Jahrhundert die gleiche Entwicklungsstufe rechtswissenschaftlicher Methodik. Diese Entwicklungsstufe war gekennzeichnet v o m Aufeinandertreffen der jüngeren, historisch-positivistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts und der älteren, logisch-systematischen Ansätze und von dem Bemühen, beide miteinander zu vereinigen. Den positivistisch-historischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts entsprechend, begriffen sowohl Savigny und seine Nachfolger als auch die anglo-amerikanischen Legal Scientists die Jurisprudenz unter Absage an philosophische Spekulation i m wesentlichen als Wissenschaft v o m positiven Recht. Damit war sie für beide Seiten zugleich eine historische Disziplin, denn ihr Stoff war durch die Geschichte gegeben und auch seinem Charakter nach ein Ergebnis kontinuierlicher Entwicklung; deutsche Jurisprudenz und Classical Legal Science waren damit gleichermaßen „geschichtliche Rechtswissenschaft". Grundlage und erster Schritt mußte deshalb für beide die Bestandsaufnahme und Sichtung des überlieferten Stoffs sein. So blühte die Erforschung der historischen Entwicklung des Rechts auch i n der Welt des Common Law seit etwa 1860 auf; dabei eiferten die anglo-amerikanischen Gelehrten der deutschen Wissenschaft nach, die sowohl allgemein aufgrund ihrer Quellenforschung und Detailgenauigkeit, als auch spe-

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Zweiter Teil: Blütezeit

ziell in der römischen und deutschen Rechtsgeschichte Maßstäbe setzte. Doch entwickelten die Common Lawyers zum T e i l durchaus eigene Vorstellungen und Wege; sie betonten die vergleichende Dimension der Geschichtsforschung und suchten nach weitübergreifenden Evolutionsprinzipien des Rechts; zudem sahen sie mitunter den Sinn ihrer Bemühungen nicht in der Fortsetzung der Tradition, sondern gerade in der Herstellung kritischer Distanz zur Vergangenheit. Doch verstanden deutsche Rechtswissenschaft und anglo-amerikanische Classical Legal Science das Recht nicht nur als historisches Phänomen, sondern auch als logisches System. Hier knüpften sie an die kontinentaleuropäischen Vorstellungen früherer Jahrhunderte und damit an ältere Wissenschaftskonzepte an. Beide Seiten verwandten deshalb große Energie auf die begriffliche Strukturierung und systematische Ordnung des Rechts. Auch hier orientierten sich die anglo-amerikanischen Denker zu erheblichem Teil am deutschen Modell, insbesondere an Begriffsjurisprudenz und Pandektenwissenschaft, die auf dem Wege zum logischen System bereits weit fortgeschritten waren. Dabei wirkte das deutsche V o r b i l d stark auf die englische Analytical Jurisprudence und, vielfach über diese, schwächer auch auf die amerikanischen Vorstellungen. Insgesamt trieben die Common Lawyers aber weder Begriffsjurisprudenz noch Systemdenken j e soweit wie ihre deutschen Kollegen. In Amerika stand man diesen Tendenzen zum Teil sogar sehr kritisch gegenüber. Insbesondere Holmes sah die doppelte Gefahr der Romanisierung des anglo-amerikanischen Rechts und des Verfallens in juristischen Formalismus. Beide Bedrohungen identifizierte er ausdrücklich mit der deutschen, romanistischen Jurisprudenz, die er damit zum Feindbild machte. So waren Begriffsjurisprudenz und Pandektenwissenschaft als höchste Verkörperung des logisch-systematischen Denkens kontinentaler Tradition den Common Lawyers entweder leuchtendes V o r b i l d eines wohlgeordneten Rechts oder abschreckendes Beispiel eines leeren Formalismus. Schwierigste Aufgabe der modernen Rechtswissenschaft war jedoch die Verbindung des historischen Ansatzes mit dem Ziel einer logischen Ordnung klarer Begriffe. Eine beide vereinende Jurisprudenz war schon theoretisch ein Problem, da angesichts der Abhängigkeit des Rechts vom menschlichen W i l l e n kaum Aussicht bestand, daß sich in der Vielfalt der historisch-wirklichen Regeln tatsächlich verläßliche Prinzipien und logische Systeme verbargen. Erst als man auch i m anglo-amerikanischen Rechtsdenken das positive Recht nicht mehr mit Austin als das staatlich gesetzte, sondern mit Savigny als das durch die Kultur unmittelbar gegebene verstand, ließ sich auf verborgene Zusammenhänge in der Menge des Stoffs w i r k l i c h hoffen. Darüberhinaus gab das deutsche V o r b i l d den anglo-amerikanischen Juristen Zuversicht, daß eine solche, hybride Wissenschaft auch praktisch erfolgreich sein konnte. Savigny und seine Nachfolger hatten das verworrene Recht des frühen 19. Jahrhunderts durch historische Erforschung und systematische Strukturierung überwunden und in einen Zustand beneidenswerter Einheitlichkeit und logischer Ordnung gebracht, die sich schließlich i m B G B

Β. Die historische Schule als Methode

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ausdrückten. Als die anglo-amerikanischen Juristen diesem V o r b i l d folgten, stellten sich auch i m Common Law bald vielversprechende Erfolge ein. Allerdings beruhten diese sowohl auf deutscher wie auf anglo-amerikanischer Seite darauf, daß sich die Rechtswissenschaft i m wesentlichen auf das Privatrecht konzentrierte, das Gesetzesrecht weitgehend vernachlässigte und sich damit auf den konfliktärmsten Bereich beschränkte. Außerdem wurden keineswegs alle Quellen in der Ordnung der Begriffe erfaßt, sondern nur diejenigen, die in das System paßten. Die Juristen beiderseits von Kanal und Atlantik machten also mit den positivistischen Prämissen ihrer Wissenschaft nur beschränkten Ernst und blieben auf die Kontrolle des Stoffs nach idealistischen Maßstäben angewiesen. I m Ergebnis bestanden deshalb deutsche Rechtswissenschaft und anglo-amerikanische Legal Science nicht nur aus denselben Grundelementen, sie wiesen auch sehr ähnliche Charakterzüge auf. Sie waren insbesondere geprägt von einer Mischung aus Positivismus und Idealismus. Beide Formen der Rechtswissenschaft zeichneten sich zudem durch eine Tendenz zum Formalismus aus. Sie waren in weiten Teilen bereit, Recht als geschlossenes System zu begreifen, und neigten dazu, widerstreitende soziale und politische Interessen auszublenden, u m sich auf abstrakt-logische Argumentation zurückzuziehen. Diese Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten hatten mehrere Ursachen. Z u m Teil waren sie das Ergebnis deutschen Einflusses auf die anglo-amerikanischen Vorstellungen von Rechtswissenschaft. Dieser machte sich in den verschiedensten Zusammenhängen bemerkbar und wirkte mitunter sogar in entgegengesetzte Richtungen, wie etwa bei Holmes, der in der deutschen Geschichtsforschung das Maß aller Dinge, i m deutschen Begriffs- und Systemdenken aber das Verderben aller Jurisprudenz sah. Z u m Teil lagen die Gemeinsamkeiten aber auch in der Ähnlichkeit der Aufgabe begründet, vor die sich die deutsche und die angloamerikanische Jurisprudenz jener Zeit gestellt sahen. Beide sollten Rechtssysteme, die durch die Vielfalt des angesammelten Quellenmaterials unübersichtlich und zergliedert waren, zu Ordnung und Einheitlichkeit führen. Es galt, dem scheinbar irrational gewachsenen Recht die rationale Form zu geben, die W i r t schaft und Gesellschaft i m Industriezeitalter verlangten; das schien nur durch eine sowohl historische wie systematische Wissenschaft möglich. Schließlich spiegelte sich in der Verwandtschaft zwischen deutscher und anglo-amerikanischer Jurisprudenz die Einwirkung umfassender Geisteshaltungen jener Zeit w i der, insbesondere des Historismus und der Evolutionstheorie, des dem Vernunftrecht entstammenden Systemdenkens und des wissenschaftlichen Positivismus. Deutscher Einfluß, gemeinsame Aufgabe und geistiges Umfeld lassen sich in ihrer W i r k u n g dabei selten trennen, denn sie bedingten und durchdrangen sich gegenseitig. So standen die deutsche Rechtswissenschaft und die Classical Legal Science zueinander wie zwei Schwestern: Sie waren sich ähnlich, weil die ältere der jüngeren V o r b i l d war, weil sie mit denselben Bedingungen zurechtkommen mußten, und weil sie gemeinsame Vorfahren hatten.

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Zweiter Teil: Blütezeit

Der wohl tiefste Grund für die Faszination, die die deutsche Jurisprudenz auf die Common Lawyers ausübte, läßt sich jedoch nur in Zusammenhang m i t deren anderem großen V o r b i l d w i r k l i c h verstehen, der zeitgenössischen Naturwissenschaft. Diese erschien vor allem Langdell und seinen amerikanischen Kollegen als Verkörperung der Wissenschaft schlechthin, denn sie ging von beobachteten „facts" aus, schloß induktiv auf Prinzipien und brachte so die dem Stoff innewohnende Ordnung ans Licht. Die Legal Scientists wollten es deshalb den Natural Scientists möglichst gleichtun. Diesem naturwissenschaftlichen V o r b i l d entsprach die deutsche Rechtswissenschaft aus amerikanischer Sicht jedoch in geradezu idealer Weise: M i t ihrer sowohl geschichtlich-positivistischen wie logisch-systematischen Ausrichtung, mit ihrer Betonung organischer Entwicklung und innerer Ordnung erschien sie wie eine Übersetzung der naturwissenschaftlichen Methode in den Bereich der Jurisprudenz. I m innersten Kern ging es bei dieser Übersetzung um das Problem der Vereinigung zwischen anscheinend chaotischer Wirklichkeit und systematischem A n spruch. Wenn es die Legal Science den Naturwissenschaften gleichtun wollte, so mußte sie wie diese (etwa in der Klassifizierung der Arten oder i m Periodensystem der Elemente) logischen Sinn i m Sein finden. Genau das schien die deutsche Rechtswissenschaft geleistet zu haben. Denn nach den Prämissen der historischen Schule führte die Geschichte zum System, sodaß Sein und Sollen vereint waren. Ihre Vereinigung lag letztenendes in Savignys „objektivem Idealismus" begründet, d. h. in der „Annahme, i m gegebenen Wirklichen walte etwas Ideelles, Absolutes, Notwendiges, Gesetzmäßiges" 6 8 9 . Diese Überzeugung, die die ganze geschichtlich-systematische Rechtswissenschaft durchdrang, ermöglichte es den auf die historische Schule blickenden anglo-amerikanischen Juristen, daran zu glauben, daß eine verborgene Ordnung des positiven Rechts existiere. Erst dadurch schien eine Wissenschaft v o m Recht ebenso möglich wie von der Natur. Indem die Common Lawyers die deutsche Jurisprudenz als Gegenstück zur modernen Naturwissenschaft sahen, verkannten sie allerdings die zwar feinen aber grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Disziplinen. V o r allem übersahen sie, daß mit „Wissenschaft" bei Savigny nicht dasselbe gemeint war wie m i t „Science" in England und Amerika. Dieses Mißverständnis sollte später maßgeblich zur Diskreditierung der Classical Legal Science in Amerika beitragen.

689 Rücken, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny 6. Zum „objektiven Idealismus" bei Savigny vgl. id. 232 ff., 419 ff.

. Die historische Schule als

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C. Die historische Schule als Kultur: Rechtswissenschaft im Felde beruflicher und politischer Interessen Die historische Schule i m weiteren Sinne der maßgeblich durch Savigny begründeten deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts war auch eine Rechtskultur, d. h. eine Lebens- und Arbeitswelt der akademischen Juristen. Die Rechtswissenschaft bestand deshalb nicht nur aus Lehre, Methode und Literatur, sondern auch aus Institutionen und Menschen. Sie war nicht zuletzt eine Angelegenheit beruflicher Positionen, fachlicher Kompetenzen und politischer Neigungen. Wenngleich dieser Aspekt diffuser und schwerer greifbar ist als Rechtsentstehungslehre und wissenschaftliche Methodik, so ist er doch nicht weniger wesentlich. Schon das Denken Savignys und seiner Nachfolger läßt sich nur i m Zusammenhang mit ihrem Rang als professionelle Akademiker, ihrem Selbstverständnis als Hüter der Rechtswissenschaft und ihren politischen Haltungen w i r k l i c h verstehen. Auch auf dieser Ebene der Rechtskultur gab es vielfache Parallelen und Verbindungen zwischen deutscher Rechtswissenschaft und Classical Legal Science. So gehört eine Betrachtung aus diesem B l i c k w i n k e l hier ebenso zum Gesamtbild, wie die Berücksichtigung rechtskultureller Elemente für das Verständnis etwa der Rezeption des römischen Rechts unverzichtbar ist. Doch dient die Beschäftigung mit diesen Elementen nicht nur der Vollständigkeit, sie ist vielmehr aus zwei darüberhinausgehenden Gründen besonders geboten. Z u m einen zeigt nämlich erst der Blick auf Rollenbilder, Kompetenzansprüche und Grundhaltungen, wie die theoretischen Vorstellungen v o m Charakter des Rechts und von der Methodik seiner Bearbeitung unmittelbar mit konkreten beruflichen und politischen Interessen verbunden waren; deshalb knüpft die Darstellung i m folgenden immer wieder an die vorangegangenen Kapitel an. Z u m anderen war der deutsche Einfluß auf dem Felde der Rechtskultur zum T e i l tiefer und dauerhafter als die Wirkung auf dem Gebiet der Theorie; das zeigt insbesondere die Anerkennung des Rechts als akademische Disziplin in den U S A 6 9 0 . A u c h der Einfluß der deutschen Jurisprudenz als Rechtskultur muß vor dem Hintergrund umfassenderer Entwicklungen in der Welt des Common Law gesehen werden. I n der Classical Period gelangte das Recht vor allem in den U S A zu neuer und höchster gesellschaftlicher Bedeutung. I n einer Zeit rasanter Industrialisierung, Urbanisierung und Technologisierung löste es seit der Jahrhundertmitte zunehmend die Religion als maßgebliche Grundlage des kollektiven Selbstverständnisses ab. Hatte sich die soziale Gemeinschaft bisher vorrangig auf die christliche Tradition gegründet, so sah sie die Garantie eines guten Zusammenle690 Dazu unten Schluß (b)) (Anm. 3 - 6 und Text). 12 Reimann

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Zweiter Teil: Blütezeit

bens nach dem Bürgerkrieg mehr und mehr in einer rationalen Rechtsordnung. M a n verstand diese als die entscheidende Basis wirtschaftlicher Freiheit, sozialen Friedens und stabiler Lebensverhältnisse 6 91 . Das Common Law war damit nicht bloße Entscheidungsregel, sondern mehr denn je eine A r t säkularer Ideologie 6 9 2 . Hand in Hand mit dieser gesteigerten Bedeutung des Rechts ging die Vorstellung von der Jurisprudenz als Wissenschaft. Bloßes juristisches Handwerk mochte zur Streitentscheidung genügen, als Grundlage des Gemeinwesens mußte das Recht aber gerade i m „scientific age" unbedingt wissenschaftlich sein. Nur durch Legal Science schienen den Zeitgenossen gründliche Problembewältigung, rationale Ordnung auch der Gesellschaft und überhaupt Fortschritt in Richtung auf ein besseres Leben möglich. Die Wissenschaftlichkeit des Rechts war deshalb kein bloßer methodischer Anspruch, sondern Glaubensbekenntnis und Grundlage der führenden Stellung der Juristen. V o r diesem Hintergrund w i r d verständlich, daß sich mit dem Wissenschaftlichkeitsdogma in der Jurisprudenz konkrete Ziele und Interessen verbanden. A u c h hierin waren historische Schule und Classical Legal Science verwandt, wobei erstere der letzteren in mancherlei Hinsicht zum V o r b i l d diente. Diese Verbindungen zeigen sich vor allem in drei Zusammenhängen. Z u m einen ging es bei der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz um den Status der Juristen. Als Wissenschaft mußte das Recht auf der Universität studiert und gelehrt werden. Der Common Lawyer war dann nicht mehr bloßer Rechtsanwender, der sein Handwerk als Lehrling in einem Anwaltsbüro gelernt hatte, sondern Akademiker und damit hochqualifiziertes M i t g l i e d einer exklusiven und sozial angesehenen Berufsgruppe. Es lag nahe, daß sich die Common Lawyers beim Streben nach diesem Status an der europäischen Rechtskultur orientierten, in der die Jurisprudenz seit Jahrhunderten eine Domäne studierter und examinierter Spezialisten war. Dabei fiel der B l i c k i m späten 19. Jahrhundert vor allem auf Deutschland mit seinen weltweit führenden Universitäten (sogleich I.). M i t dem Status als Legal Scientists war nicht nur größeres Prestige verbunden, er implizierte auch fachliche Kompetenz. Als geschulte Spezialisten hielten sich die Juristen für berufen zur Wahrung und Weiterentwicklung des Rechts. Deshalb sahen sich die Rechtswissenschaftler oft als Gegner des Gesetzgebers. Das wurde zum einen in der Auseinandersetzung um die Kodifikation des Rechts deutlich; die Mehrheit der Common Lawyers stand ihr ablehnend gegenüber, und maßgebliche Wortführer entdeckten in Savigny einen angesehenen Verbündeten. Z u m anderen wehrten sich die Juristen ganz allgemein gegen legislative Einmischungen auf dem Gebiet des Common Law. Die traditionelle Feindseligkeit der anglo-

691 Vgl. Hall, The Magic Mirror 211; Grey, Langdell's Orthodoxy 36. 692 Das ist es in den USA bis heute geblieben, woraus sich das aus europäischer Sicht ungewöhnliche öffentliche Interesse an juristischen Fragestellungen, Gerichtsverfahren oder Richterernennungen erklärt.

C. Die historische Schule als Kultur

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amerikanischen Juristen gegenüber der Gesetzgebung fand dabei eine theoretische Grundlage in Savignys und Puchtas Lehre v o m Juristenrecht (II.). Schließlich stand das Dogma von der Wissenschaftlichkeit des Rechts in Zusammenhang mit der allgemeinen Politik, denn Legal Science und Laissez Faire waren natürliche Verbündete. Das lag vor allem an dem auf Savigny zurückgehenden, der wissenschaftlichen Jurisprudenz zugrundeliegenden Rechtsverständnis: Wenn Recht nicht staatlicher Willensakt war, sondern davon unabhängiges Produkt geschichtlichen Wachsens, dann schien es notwendig, die Rechtsentwicklung ebenso sich selbst zu überlassen wie das Spiel der wirtschaftlichen Kräfte. So waren die Common Lawyers mit ihrer Forderung nach ungestörter Evolution des Rechts einerseits Gesinnungsgenossen Savignys, andererseits aber auch Verbündete der freien Wirtschaft. Bei Savigny waren die politischen Implikationen der historischen Schule nur angedeutet, erst die amerikanischen Legal Scientists schöpften das konservative und liberalistische Potential seiner Lehre voll aus. Dabei ging es ihnen auch um die Bewahrung des Rechts als neutrale Tradition, die allerdings mit dem Herrschaftsanspruch des demokratischen Gesetzgebers in Konflikt geriet (III.).

I. Status: Der Common Lawyer als Akademiker Das 19. und frühe 20. Jahrhundert war, zumindest aus der Sicht der Zeitgenossen, eine Periode wachsender Differenzierung sozialer Funktionen und damit auch immer stärkerer Spezialisierung der beruflichen Aufgaben 6 9 3 . Die dadurch erforderliche, spezielle Ausbildung wurde für die anspruchsvolleren Berufe zusehends in den Universitäten institutionalisiert, die sich allmählich von traditionellen Bildungseinrichtungen mit wenigen Fakultäten zu wissenschaftlichen Hochschulen mit breitgefächertem Studienangebot wandelten 6 9 4 . Der Weg zu den hochqualifizierten Professionen führte also immer häufiger über ein akademisches Studium. So wurde beruflicher Status eng mit wissenschaftlicher Ausbildung verknüpft. Für die kontinentaleuropäischen Juristen brachte diese Entwicklung keine wesentlichen Veränderungen. Zugang zu den Berufen in der Rechtspflege setzte schon seit Jahrhunderten ein Hochschulstudium voraus, und die Rechtsfakultäten gehörten seit jeher zum Kernbestand der Universitäten, j a hatten sogar deren Keimzellen gebildet. W i e wenige andere Berufsgruppen genossen deshalb die Juristen gerade aufgrund ihrer akademischen Ausbildung und als qualifizierte Spezialisten einen vergleichsweise hohen sozialen Status 6 9 5 . 69 3 Simmel, Über sociale Differenzierung; Dürkheim, De la division du travail social; étude sur l'organisation des sociétés supérieurs; vgl. auch Mayntz u. a., Differenzierung und Verselbständigung. Zur Entwicklung gesellschaftlicher Teilsysteme. 694 Allgemein dazu Jar ausch, Higher Education and Social Change 10; speziell für die USA Stevens, Law School 20.

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Zweiter Teil: Blütezeit

Ganz anders war die Situation der anglo-amerikanischen Juristen. Weder die Zulassung zur Anwaltschaft noch die Ernennung zum Richter oder Staatsbeamten hatten je ein Rechtsstudium erfordert. A n den Universitäten hatte es bislang in der Regel auch keine juristischen Fakultäten gegeben, an denen das einheimische Recht Gegenstand von Forschung und Lehre gewesen wäre. Die Common Lawyers mußten also in einer Zeit, in der berufliche Qualifikation immer mehr von einem Hochschulstudium abhing, um ihr Ansehen als Profession fürchten. Auch deshalb drängten sie nun auf Anerkennung des Rechts als Wissenschaft, denn das hieß auch als akademischer Studiengang und volle Universitätsfakultät. Konkret bedeutete das, daß man auch das Common Law mehr und mehr auf der Universität studierte. So konnten sich die Juristen als Akademiker verstehen, die, durch Studium und Prüfung ausgewiesen, kraft fachlicher Kompetenz Vertrauen und Sozialprestige beanspruchen durften. M i t der Wende zur akademischen Juristenausbildung folgte die anglo-amerikanische Rechtskultur dem kontinentalen, vor allem dem deutschen V o r b i l d (1.). Hand in Hand mit der Entwicklung zum universitären Jurastudium ging die Entstehung einer neuen Klasse von Rechtsprofessoren vor allem in Amerika. Erst in der Classical Era etablierte sich die Tätigkeit des akademischen Rechtslehrers als spezieller und vollwertiger Beruf m i t eigenen Anforderungen, besonderer Verantwortung und hauptamtlicher Position in der Universität. Dabei stand das deutsche M o d e l l Pate (2.). Allerdings wurden dem Wandel des Common Law von einer Angelegenheit nur der Praxis zu einer akademischen Disziplin Grenzen gesetzt durch das Beharrungsvermögen der praktischen Tradition. Das zeigte sich in England insbesondere darin, daß die Rechtsfakultäten nach wie vor nur eine Nebenrolle spielten. In den Vereinigten Staaten stiegen sie zwar zu großer Bedeutung auf, doch paßte sich die Ausbildung vor allem durch die Case Method weitgehend den Bedürfnissen der Praxis an (3.). 1. Die Wende zur akademischen

Juristenausbildung

a) I n krassem Gegensatz zum Rechtsstudium auf dem europäischen Festland hatte die Juristenausbildung in der Welt des Common Law bis ins 19. Jahrhundert praktisch nichts m i t den Universitäten zu tun. I n Oxford und Cambridge gab es durchaus schon seit dem Mittelalter juristische Lehrstühle, doch konnte man dort nur das C i v i l L a w studieren. Die ersten Vorlesungen über das Common Law hielt Mitte des 18. Jahrhunderts Blackstone als Inhaber des neugegründeten Vinerian Chair in Oxford, aber sie dienten weniger dem Unterricht zukünftiger 695 Dieser ist vom oft schlechten Image der Juristen und der vielfach gegen sie gerichteten öffentlichen Meinung sorgfältig zu unterscheiden. Sozialer Status bedeutet hier Ausstattung mit (oder Zugang zu) Privilegien und (evtl. widerwillige) Anerkennung als wichtige und einflußreiche Mitglieder der Gesellschaft.

. Die historische Schule als

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Praktiker als der Allgemeinbildung der englischen Gentlemen, und sie wurden von Blackstones Nachfolgern nicht konsequent fortgesetzt. Traditionell war die Unterweisung i m Common Law in England somit der Praxis überlassen. Für Jahrhunderte fand sie in den berufsständischen Vereinigungen, den Inns of Court statt, die sowohl für eine gewisse Struktur als auch für ein annehmbares Niveau sorgten; dieser Unterricht fiel jedoch den Wirren des Bürgerkriegs i m 17. Jahrhunderts zum Opfer. Seither bestand die englische Juristenausbildung ausschließlich aus einer zwei- oder dreijährigen Lehrzeit (Pupillage) bei einem Anwalt (Barrister oder Solicitor ); danach wurde der Kandidat ohne Prüfung zur Anwaltschaft zugelassen 696 . Mochte dieses System auch praxisnah sein, so waren seine Schwächen doch offenkundig. Schon Blackstone hatte sie beklagt: . . . a lawyer thus educated to the bar, in subservience to attorneys and solitors, will find he has begun at the wrong end. If practice be the whole he is taught, practice must also be the whole he will ever know; if he be uninstructed in the elements and first principles upon which the rule of practice is founded, the least variation from established precedents will totally distract and bewilder him . . . he must never aspire to form, and seldom expect to comprehend, any arguments drawn a priori, from the spirit of the laws and the natural foundations of justice. 6 9 7 Darüber hinaus, so führte Blackstone aus, mußte eine derartige Berufsausbildung gebildete Männer von vornherein abschrecken. Die Folgen für die Rechtspflege waren besorgniserregend: „the interpretation and enforcement of the laws (which include the entire disposal of our properties, liberties, and lives) fall wholly into the hands of obscure and illiterate m e n " . 6 9 8 I n der Tat befand sich die englische Juristenausbildung i m 18. und frühen 19. Jahrhundert in desolatem Zustand 6 9 9 . Darunter litten Kompetenz und Ansehen der Anwaltschaft. A l s endlich Bemühungen um Abhilfe einsetzten, beruhten diese meist auf der schon von Blackstone geteilten Überzeugung, nur ein systematisches Studium des Rechts könne ein solides Fachwissen und den notwendigen Gesamtüberblick vermitteln 7 0 0 . b) So fiel der B l i c k auf die kontinentaleuropäischen Rechtsfakultäten und insbesondere auf das deutsche M o d e l l eines wissenschaftlichen Studiums, das 696 Erst ab 1836 mußten die Solicitors und Attorneys eine Prüfung ablegen; für Barristers galt das sogar erst ab 1872; Stein, Legal Theory and the Reform of Legal Education in Mid-Nineteenth Century England 186; Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 24. 697 Blackstone, Commentaries on the Laws of England, Introduction, On the Study of the Law 32. 698 Id. 33. 699 Eine anschauliche Schilderung der Praxis gibt Fifoot, Judge and Jurist in the Reign of Victoria 21 ff. 700 Blackstone, Commentaries on the Laws of England, Introduction, On the Study of Law 33.

Zweiter Teil: Blütezeit

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kein anderer als Savigny dem englischen Publikum in einem frühen Aufsatz erläutert hatte 7 0 1 . Dieser Einfluß zeigte sich zunächst bei der Konzipierung juristischer Vorlesungen an der am deutschen V o r b i l d orientierten, 1826 gegründeten University of L o n d o n 7 0 2 . Die v o m Bentham'sehen Reformgeist geprägte Hochschule richtete einen Lehrstuhl für Jurisprudence ein, worunter die systematische Gesamtdarstellung des Rechts samt seiner theoretischen Grundlagen verstanden wurde, also eben das, woran es in der Ausbildung der Common Lawyers fehlte. Erster Lehrstuhlinhaber war John Austin, der nach seiner Berufung, aber noch vor seinem Amtsantritt nach Deutschland reiste, um sich an Ort und Stelle über den dortigen Rechtsunterricht zu informieren 7 0 3 . Austin schwebte die Einführung einer zweistufigen, d. h. zunächst wissenschaftlichen, dann praktischen Ausbildung nach preußischem Muster vor, wobei er sich vor allem auf Savigny berief 7 0 4 . Großer Erfolg war seinen Bemühungen jedoch zunächst nicht beschieden. Das Interesse der praxisgläubigen Common Lawyers an seinen abstrakt-theoretischen Vorlesungen blieb so gering, daß Austin schließlich seine Professur aufgab. Zwanzig Jahre später mußte das vom House of Commons eingesetzte Select Committee on Legal Education in seinem umfassenden Report von 1846 immer noch feststellen, die englische Juristenausbildung sei „extremely unsatisfactory and incomplete" und schneide i m internationalen Vergleich äußerst schlecht a b 7 0 5 . Der Bericht kam zu dem Ergebnis, „that no Legal Education, worthy of the name, of a public nature, is at this moment to be h a d " 7 0 6 . Deshalb sei England „altogether deprived of a most important class, the Legists or Jurists of the Continent; men, who, unembarrassed by the small practical interests of their profession, are enabled to apply themselves exclusively to Law as to a science" 7 0 7 . Der Bericht schloß mit einer Reihe von Empfehlungen: Der universitäre Rechtsunterricht sollte erweitert werden sowie zahlreichere und ernsthaftere Prüfungen vorsehen. Er sollte sowohl der Vermittlung von Allgemeinbildung als auch der Vorbereitung auf die praktische Juristenausbildung dienen; letztere sollte dann in einem von allen Inns of Court gemeinsam getragenen College of Law mit der

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Savigny, On the Present State of the German Universities. 02 Hierzu sowie zum folgenden überhaupt Campbell, German Influences on English Legal Education and Jurisprudence in the 19th Century; vgl. auch Bellot, University College London 1826-1926 1,9, 31; Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 50 mit weiteren Nachweisen. 7 °3 Austin, Jurisprudence I, Preface (by Sarah Austin) IX; Schwartz, Einflüsse deutscher Zivilistik im Auslande 51 f. 704 Austin, Jurisprudence I I 364 f. 7 05 Report from the Select Committee on Legal Education L V I ; dazu Stein, Legal Theory and the Reform of Legal Education in Mid-Nineteenth Century England 188 ff.; dort sind auch die „Conclusions" des Berichts abgedruckt (200 ff.). 706 Report from the Select Committee on Legal Education LVI. ™7 Id. LVII. 7

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nötigen praktischen Ausrichtung vermittelt werden 7 0 8 . Diese Kombination eines wissenschaftlichen Universitätsstudiums mit einer nachfolgenden praktischen Ausbildung spiegelte nicht zuletzt das deutsche M o d e l l wieder, mit dem sich das Committee eingehend beschäftigt hatte 7 0 9 . In Deutschland, so stellte man fest, ging es zunächst um „thorough and extensive knowledge o f theory, at the period when theory in all sciences is best studied, leaving to after exercise, for which every day's occupation furnishes opportunity, the application and development of this theory in practice" 7 1 0 . Insbesondere nahm der Ausschuß den preußischen Ausbildungsgang zur Kenntnis, in dem einem gründlichen wissenschaftlichen Studium die praktische Unterweisung als Auscultator und Referendarius folgte. Die Überlegenheit dieses Systems gegenüber dem englischen, meinte das Committee , bedürfe keines Kommentares 7 1 1 . Der Report rüttelte die bislang lethargische englische Juristenzunft endlich auf. Sowohl die Inns of Court als auch die Universitäten boten bald wissenschaftlich ausgerichete Kurse und Vorlesungen a n 7 1 2 . Insbesondere wurden neue Professuren eingerichtet. Ihre Inhaber kamen oft aus der Analytical School Austins und waren dadurch am deutschen V o r b i l d einer Jurisprudenz klarer Begriffe und systematischer Ordnung orientiert. Das galt auch für die Lehrbücher; zum T e i l handelte es sich sowieso u m englische Übersetzungen deutscher Werke, zum Teil um englische Darstellungen, die an die Pandektenlehrbücher angelehnt war e n 7 1 3 . Lehr- und Lernmethoden waren deshalb den deutschen ähnlich. So führte das deutsche V o r b i l d den Common Lawyers m i t aller Deutlichkeit vor Augen, wie unterentwickelt ihre eigene Ausbildung war, und welche Vorteile eine systematische Unterweisung des Nachwuchses nach kontinentalem Muster hatte. A u c h gab ihnen Deutschland konkrete Ideen vor, an denen sie sich orientieren konnten. Allerdings darf man diesen Einfluß nicht überschätzen. Die Orientierung am deutschen M o d e l l blieb stets recht allgemein und führte nie zu dem Versuch, die gesamte englische Juristenausbildung nach deutschem V o r b i l d umzugestalten 7 1 4 . Dieses gab den Engländern Impulse und Anschauung, es diente aber nicht als Vorlage zur Kopie. c) I m Amerika der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Zustand der juristischen Ausbildung und Profession ähnlich bedenklich wie i m Mutterland des Common Law. Inns of Court und eine einheitlich organisierte Juristenausbil708 id. LVIIIf. 709 id. X X I I ff. 710 Id. XXII. 711 Id. X X V I I I . 712 Vgl. Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 24ff. 713 Stein, Legal Evolution 79; ders., Legal Theory and the Reform of Legal Education in Mid-Nineteenth Century England 192 ff. Vgl. dazu oben B.II.2. und 3. 714 Vgl. Campbell, German Influences on English Legal Education and Jurisprudence in the 19th Century 362 f., 388 f.

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dung hatte es sowieso nie gegeben. Es bestand zwar an einigen Universitäten die Möglichkeit, Recht zu studieren, doch war die Ausbildung dort weder akademisch anspruchsvoll noch konsequent organisiert. Daneben gab es private Law Schools, bei denen es sich meist aber nur um juristische Berufsschulen mit praktischer Ausrichtung und ohne jeden wissenschaftlichen Anspruch handelte 7 1 5 . Zudem war die Zahl der Rechtskundigen, die überhaupt eine Universität oder Law School besucht hatten, gering, denn die Mehrheit lernte das juristische Handwerk auch in den U S A in der Praxis, d. h. als Lehrling bei einem Anwalt. Das durchschnittliche Niveau der Ausbildung blieb dementsprechend bescheiden. Das hinderte indes nicht den Zugang zum Beruf, denn die Voraussetzungen waren denkbar n i e d r i g 7 1 6 . Infolge der populistischen und egalitären Anschauungen der Jacksonian Democracy waren insbesondere die 1830er Jahre von Abneigung gegen Berufsbeschränkungen und Vorrechte sowie v o m Glauben an allgemeine Chancengleichheit geprägt. A u c h die juristischen Berufe sollten ohne weiteres offenstehen, weshalb die meisten Einzelstaaten keine Lehrzeit mehr verlangten und das Zulassungsexamen (Bar Exam ) vereinfachten, j a in einigen Fällen sogar ganz abschafften. Damit konnte sich praktisch jeder erwachsene, männliche Bürger mit minimalen Rechtskenntnissen als Anwalt betätigen oder zum Richter wählen lassen. Das intellektuelle Prestige der juristischen Arbeit war deshalb u m die Zeit des Bürgerkrieges so gering, daß der junge Holmes Zweifel hegte, ob das Recht „worthy of the interest of an intelligent m i n d " s e i 7 1 7 . Zwar bemühten sich die amerikanischen Rechtslehrer schon seit Kents und Storys Zeiten, das Ansehen ihres Fachs mit Hinweis auf seinen wissenschaftlichen Charakter zu verteidigen 7 1 8 , doch hatten sie damit vorerst wenig Erfolg. Erst i n der Classical Era begann auch die Anwaltschaft i m Zuge der allgemeinen Professionalisierung nach strengeren Anforderungen und höherem Status zu 715 Zur Juristenausbildung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Stevens, Law School 3 ff.; Redlich, The Common Law and the Case Method 7 f. 7 Z u m folgenden ausführlich Chroust, The Rise of the Legal Profession in America I I 156 ff., 286. 717 Holmes, Brown University Commencement 1897 165. Die im Text gegebene Beschreibung des Zustandes der juristischen Profession in den USA ist als Verallgemeinerung richtig, es gab aber auch Abweichungen und Ausnahmen. Eine differenziertere Betrachtung findet sich bei Stevens, Law School 5 ff. Ausführlich und in vielen Punkten kritisch gegenüber der herrschenden Meinung Bloomfield, American Lawyers in a Changing Society 136 ff. 718 „Is law a science, or is it something less dignified?", fragte der Rechtsprofessor Daniel Mayes in seiner Einführungsvorlesung an der Transsylvania University 1832, Mayes, Whether Law is a Science 349 f.; Vgl. auch Hoffman, A Lecture, Introductory to a Course of Lectures; Kent, A Lecture, Introductory to a Course of Law in Columbia College; Walker, Introductory Lecture on the Dignity of the Law as a Profession; Quincy, Address. Zu Quincy Hoeflich, Law and Geometry: Legal Science from Leibniz to Langdell 118. Vgl. weiterhin Harvard Law School Association, The Centennial History of the Harvard Law School 3 f. Die Nachdrücklichkeit, mit der das Recht als „Science" beschrieben wurde, bezeugte allerdings wohl eher tiefsitzende Zweifel als gänzliche Überzeugung; vgl. Barnes, About Science 94.

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streben. Dadurch verbanden sich nun die Interessen der Rechtslehrer an akademischer Anerkennung m i t den berufsständischen Anliegen der Praktiker i m Wissenschaftlichkeitsdogma: Wenn das Common Law eine Legal Science war, so gehörte der Rechtsunterricht wie andere Sciences auch in die Universität, und so durfte es, wie etwa auch die Medizin, nur von ordnungsgemäß ausgebildeten und geprüften Spezialisten praktiziert werden 7 1 9 . d) Daß derlei Vorstellungen aller mangelnden akademischen Tradition des Common Law zum Trotz keine Hirngespinste waren, sondern ganz vernünftige Anforderungen an eine hochqualifizierte Profession, das zeigte der B l i c k auf die europäische Kultur. Den Amerikanern entging nicht, daß die Ausbildung zu den höheren Berufen dort längst auf einem wissenschaftlichen Studium beruhte 7 2 0 . „ O n the continent of Europe", bemerkte Beale, „ l a w and medicine were the earliest established university studies, and have always held their p l a c e " 7 2 1 . Es war deshalb kein Wunder, daß den amerikanischen Begründern der modernen, universitären Juristenausbildung das europäische V o r b i l d vor Augen stand. Die Einrichtung eines vollwertigen Rechtsstudiums an der Universität vollzog sich seit 1870 zunächst in Harvard unter der Regie des neuen Deans122, Christopher Columbus Langdell. Langdell revolutionierte die Harvard Law School. Er ließ nicht mehr jeden Bewerber, sondern nur noch Absolventen eines College oder einer Aufnahmeprüfung zu, führte Examina ein, deren Bestehen Voraussetzung für die Fortsetzung des Studiums war, strukturierte und erweiterte das Vorlesungsangebot und schrieb eine Mindeststudiendauer von zunächst zwei Jahren vor. A l l das sah aus europäischer Sicht noch recht bescheiden aus, doch war die Ausbildung i m Common L a w hier zum ersten M a l als ernsthaftes Universitätsstudium organisiert 7 2 3 . Langdell rechtfertigte das akademische Studium des Rechts in zweifacher Weise durch seinen wissenschaftlichen Charakter. Erstens war die Legal Science den Natural Sciences i m wesentlichen gleich und gehörte deshalb wie diese in die Universitäten. Zweitens war das Common L a w ebenso wissenschaftlich wie die kontinentaleuropäische Jurisprudenz, die ihrerseits traditionell an den Hochschulen gelehrt und studiert wurde. „ W e should no longer follow the footsteps o f England", mahnte Langdell deshalb, „but should bring 719 Vgl. Hall, The Magic Mirror 211 f.; Grey, Langdell's Orthodoxy 37 f; Posner, The Decline of Law as an Autonomous Discipline 762. 720 So wies Hart seine Zeitgenossen darauf hin, daß in Deutschland „every pastor, lawyer, doctor, teacher, botanist, geologist has passed through the university course", Hart, German Universities 252; vgl. auch id. 259. 721 Beale, The Place of Professional Education in the Universities 43. 722 Der Dean entspricht nur ungefähr dem deutschen Dekan. Er ist der Leiter der Fakultät, von dem deren Führung und die Bestimmung der allgemeinen Grundsätze und Entwicklungen des Lehr- und Forschungsbetriebes erwartet wird. Er ist dementsprechend mit ungleich größeren Machtbefugnissen ausgestattet als sein deutscher Kollege und bleibt in der Regel mehrere Jahre im Amt. 723 Ausführlich Stevens, Law School 35 ff.

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ourselves into harmony w i t h the rest of the civilized world". Dabei dachte er vor allem an die Tradition des akademisch geprägten C i v i l Law. Er erinnerte nicht nur an die Gelehrtheit der römischen Juristen, sondern wirkte auch „toward placing the law school . . . in the position occupied by the law faculties in the universities of continental E u r o p e " 7 2 4 . Entscheidende Unterstützung erfuhr er dabei von Seiten des neuen Präsidenten der Harvard University, Charles Eliot, der Langdell zum Dean der Law School gemacht hatte 7 2 5 . Eliot verwandelte das bisher eher altmodische, moralphilosophisch-theologisch orientierte College in eine moderne, wissenschaftliche Hochschule. Dem lagen europäische, insbesondere deutsche und französische Modelle zugrunde, die Eliot auf einer Studienreise kennen- und schätzengelernt hatte 7 2 6 . So ließ er sich von Langdell wahrscheinlich auch deshalb davon überzeugen, das Rechtsstudium gehöre als wissenschaftliche Ausbildung in eine Universität, weil er dies i n Europa beobachtet hatte 7 2 7 . Konzept und Struktur des deutschen Rechtsstudiums fanden in amerikanischen Akademikerkreisen viel Beachtung. Schon in den 1830er Jahren hatte sich der damalige Generalbundesanwalt der U S A , Benjamin Butler, bei der Einrichtung eines juristischen Studienganges an der Universität von New York City an deutschen, insbesondere an Savignys Vorstellungen orientiert 7 2 8 . I n der Classical Era beschrieb Morgan Hart das deutsche Ausbildungssystem, das er aus eigener Erfahrung als Jurastudent in Göttingen und Berlin kannte, in seinem vielgelesenen Buch über German Universities in aller Ausführlichkeit, wobei er vor allem die Gründlichkeit und Wissenschaftlichkeit des deutschen Studiums l o b t e 7 2 9 . Ernst Freund stellte The Study of Law in Germany eingehend dar und charakterisierte

724 Langdell, Harvard Celebration Speech 123 f. 725 Vgl. Harvard Law School Association, The Centennial History of the Harvard Law School 25 ff., 34 ff. 726 Chase, The Birth of the Modem Law School 334, 340, 343 ff.; Clark, Tracing the Roots of American Legal Education 319, 326 f.; Stevens, Law School 51, 134. Eliot nahm sich allerdings nur die wissenschaftliche Ausrichtung, Vielfalt des Lehrangebots und Qualität der Ausbildung zum Vorbild, nicht aber die europäische Universitätsverfassung, die er als ungeeignet für Amerika empfand, James, Charles William Eliot I 135. 727 Dieser Überzeugung war jedenfalls Beale, The Place of Professional Education in the Universities 43. Eliot selbst hat das, soweit ersichtlich, zwar nie öffentlich geäußert, doch liegt es angesichts seiner Vertrautheit mit den europäischen Universitäten und ihrem Aufbau nahe. Vgl. auch Harvard Law School Association, The Centennial History of the Harvard Law School 28 f. 728 Dazu ausführlicher Hoeflich, Savigny and His Anglo-American Disciples 32; vgl. auch Hoeflich, Transatlantic Friendships 600 f. 729 Hart, German Universities 112 ff.; „ . . . every practitioner and every judge down to the humblest justice of the peace has had a thorough classical and legal education hielt Hart der amerikanischen Leserschaft vor. „Can we wonder, then, at the pride with which Germany points to her judicial system, and the scarcely concealed disdain with which she looks down upon the uncertainty and circumlocution of the English and the American?", id. 112 (Hervorhebung im Original).

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es als „distinctly more scientific than practical", warnte aber auch vor unbedachter Nachahmung in A m e r i k a 7 3 0 . Der Berliner Amtsrichter Karl von Lewinski hielt 1908 vor der Association of American Law Schools einen Vortrag über The Education of the German Lawyer , in dem er Ausbildungsgang und -ziel detailliert darlegte 7 3 1 . A u f derselben Konferenz gab Stanfords Präsident Jordan in seinem Vortrag über The Law School and the University seiner Hoffnung Ausdruck, daß die führenden Universitäten das deutsche Modell eines juristischen Fachstudiums übernehmen 7 3 2 . Schließlich kam das hohe Prestige des deutschen Ausbildungssystems nicht zuletzt darin zur Geltung, daß die Carnegie Foundation, wie bereits erwähnt, als Gutachter über die amerikanischen Lehrmethoden mit Josef Redlich ein M i t g l i e d der Wiener Rechtsfakultät ernannte; die L a w Schools in den U S A mußten sich damit an europäischen Maßstäben messen lassen 7 3 3 . Bei alldem gewinnt man den Eindruck, daß die Amerikaner mitunter ein gar zu günstiges B i l d von den deutschen Verhältnissen hatten und die Mißstände, die es an deutschen Juristenfakultäten durchaus gab, oft nicht sahen oder nicht sehen w o l l t e n 7 3 4 . Selbst unter den amerikanischen Praktikern wurden gewichtige Stimmen laut, die eine wissenschaftliche Juristenausbildung nach deutschem Muster forderten. Das stand in engem Zusammenhang mit den um 1870 einsetzenden Bemühungen um strengere Kontrolle der Berufszulassung, höheres professionelles Niveau und größeres soziales Prestige 7 3 5 . Die These von der Wissenschaftlichkeit des Common Law untermauerte dieses Streben theoretisch, und die Einrichtung eines akademischen Studienganges sollte ihm zum praktischen Erfolg verhelfen 7 3 6 . Nach Ansicht des Committee on Legal Education and Admission to the Bar der eben gegründeten American Bar Association sollte dabei Europa und insbesondere Deutschland den W e g weisen. I m Bericht des Committee von 1879 wurde die lange europäische Tradition des akademischen Rechtsunterrichts beschworen, von Rom über Frankreich, Italien, und die Niederlande bis hin zur deutschen historischen Schule der Gegenwart: „ I n Germany, in the nineteenth century, the noble ardor of the sixteenth has been rekindled. The teaching of the jurists o f

730 Freund, The Study of Law in Germany 131, 133. 731 Lewinski, The Education of the German Lawyer. 732 Jordan , The Law School and the University 200. 733 Redlich, The Common Law and the Case Method. 734 Vgl. Waentig, Die amerikanischen Law Schools und die Reform des Rechtsunterrichts in Preußen; Waentig beklagte 1902 Langeweile, Bummelei und Scheinwissenschaft an den deutschen Juristenfakultäten. Er stellte den amerikanischen Rechtsunterricht anhand des Beispiels von Harvard zutreffend dar und schlug, sozusagen im Gegenzug zu den Amerikanern, vor, bei der Reform des deutschen Studiums in den USA Anregungen aufzunehmen. 735 Diese Bemühungen hatten eine (wohl nicht unbeabsichtigte) diskriminierende Wirkung, denn sie konnten dazu dienen, unliebsame Gruppen wie Juden, Farbige und Einwanderer aus der Anwaltschaft fernzuhalten, vgl. Auerbach, Unequal Justice 40 ff. 736 Carter, Address 39; Grey, Langdell's Orthodoxy 36 f.; Hall, The Magic Mirror 214 ff.; Stevens, Law School 25.

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the Historical School is, that law is a growth and not a product , and that it cannot be understood without scientific study of it from its beginnings" 7 3 7 . Hier war nicht nur die Rede von „Frederick Charles von Savigny", „Charles von Vangerow", sondern auch von Hugo und Niebuhr, Thibaut, Puchta und anderen 7 3 8 . I n der von diesen Männern geprägten, akademischen Rechtskultur stellte das wissenschaftliche Studium das hohe Niveau der Profession sicher: „ I n Germany no one is admitted to the bar who has not been through the full university course, and this o f itself presupposes the gymnasial course." 7 3 9 I n ähnlicher Weise verwies der Bericht des Committee von 1892 auf das M o d e l l der „continental European schools" mit ihrer 800jährigen Tradition und berief sich zur Untermauerung der Reformvorschläge auf S a v i g n y 7 4 0 . A u c h andere Beobachter bestätigten den amerikanischen Juristen, daß die gründlichere Ausbildung und die strengeren Zulassungskontrollen in Deutschland für ein hohes Niveau der Anwaltschaft sorgten 7 4 1 . Vielleicht bezeugt aber nichts den R u f der deutschen Juristenausbildung in den U S A deutlicher als die Zahl der amerikanischen Studenten, die i m letzten Drittel des 19. Jahrhunderts an deutschen Rechtsfakultäten studierten 7 4 2 . Dabei muß man i n Rechnung stellen, daß sie nicht einmal hoffen konnten, unmittelbar etwas für die Praxis des Common Law zu lernen. Zumindest konnten sie jedoch erfahren, daß das wissenschaftliche Studium den Juristen vor allem i m wilhelminischen Preußen zu einem gesellschaftlichen Status verhalf, den jedenfalls die amerikanische Anwaltschaft noch längst nicht genoß. U m so notwendiger mußte es scheinen, auch in Amerika die Juristenzunft auf den Hochschulen auszubilden. I n der Tat drängten dort schon bald bisher unerreichte Studentenzahlen in die Law Schools 7 4 3 . Sollten sie dort das Recht als

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37 American Bar Association, Report of the Committee on Legal Education and Admission to the Bar (1879) 215. Vorsitzender des Ausschusses war Carleton Hunt, ein Anwalt, der aus Louisiana stammte und wohl deshalb mit dem Civil Law und seiner Tradition besonders vertraut war. 738 id. 215 f. 739 id. 219. Allgemein hierzu Stevens, Law School 93. 740 American Bar Association, Report of the Committee on Legal Education and Admission to the Bar (1892) 330, 333 ff. 741

Freund, The Study of Law in Gemany 135. Interessant ist in diesem Zusammenhang der in Amerika veröffentlichte Beitrag des deutschen Rechtsanwalts Otto Simon, The Position of Attomeys-at-Law in Germany, der diese Position als „between officials and scholars" beschrieb; dadurch habe der Anwalt in Deutschland „a good and honored position; in fact, there is scarcely any country in which the lawyer enjoys more respect and confidence", id. 393. Diese Schilderung dürfte manchen amerikanischen Kollegen neidisch gemacht haben. 742 Dazu oben Übermittlung 2. 74 3 Die Gesamtzahl der amerikanischen Law Students stieg von 1611 im Jahre 1870 auf 7600 im Jahre 1894 und auf rund 10 000 im Jahre 1900, versechsfachte sich also binnen einer Generation. 1869 / 70 hatte die University of Michigan als seinerzeit größte amerikanische Juristenfakultät 308 Studenten, 1900 waren es 883. Vgl. Friedman, A History of American Law 608; Hall, The Magic Mirror 218.

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Wissenschaft erlernen, so bedurfte es aber einer entsprechenden Zahl von Lehrern, die es als Wissenschaft vermitteln konnten. 2. Die neuen

Rechtsprofessoren

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Die Classical Era des Common L a w war nicht nur die Zeit der Wende zur akademischen Juristenausbildung, sondern auch die Geburtsstunde des modernen Law Professors. Es bildete sich eine neue Klasse von Hochschullehrern heraus, die Lehre und Wissenschaft als vollwertigen Beruf ansahen und ausübten. Das war vor allem in den U S A zu beobachten, wo die Zahl der Studenten und deshalb die Nachfrage nach Professoren größer war als in England. Zwar gab es schon seit Generationen Männer, die hier und da das Common Law unterrichteten, doch gab es zunächst keine Klasse von Rechtsprofessoren i m Sinne professioneller Wissenschaftler und Hochschullehrer. I n England fand zunächst praktisch kein organisierter Rechtsunterricht statt. Zwar wirkten an den Universitäten gelegentlich Juristen wie Blackstone oder Austin, die Lehre und Wissenschaft zu ihrem Hauptberuf gemacht hatten, sie blieben aber als seltene Einzelfälle Ausnahmen, die die Regel bestätigten, daß ein Rechtsprofessorenstand in England vor dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht existierte; i m übrigen kamen sie aus der Paxis und gaben sie ihre Lehrstühle oft vorzeitig wieder auf. In Amerika, wo schon i m frühen 19. Jahrhundert L a w Schools entstanden, war der Rechtslehrer zwar keine Seltenheit, doch handelte es sich bei i h m typischerweise um einen Anwalt oder Richter, der sich der Lehre als Nebenbeschäftigung oder i m Ruhestand widmete. Seine Qualifikation beruhte auf praktischer Erfahrung, nicht auf akademischer Leistung. Das entsprach seiner Aufgabe, die in der Ausbildung der nächsten Praktikergeneration bestand, nicht in der Pflege des Rechts als Wissenschaft. A u c h genoß er nicht den Status eines Fakultätsmitglieds einer Universität, denn die Law Schools waren entweder ganz selbständig oder den Universitäten nur lose angegliedert 7 4 5 . Sofern er an einer der unabhängigen Law Schools unterrichtete, war er deshalb nebenamtlicher Lehrer an einer Berufsakademie; sofern er an einer Universität wirkte, entsprach er in etwa einem deutschen Honorarprofessor. 7 4 6 In der Classical Era wandelte sich dieses Bild. Der typische Rechtslehrer wies sich mehr und mehr durch wissenschaftliche Leistung aus, sah seine Aufgabe neben der Ausbildung von Praktikern zusehends in der Erforschung und Struktu-

744 Die Überlegungen dieses Abschnitts gehen auf einen früheren Aufsatz zurück, in dem ich sie ausführlicher entwickelt habe, Reimann, A Career in Itself, The German Professoriate as a Model for American Legal Academia. 74 5 Der vielfach übliche Titel „Professor" beschrieb eher eine Tätigkeit als einen Status. 746 Ein typisches Beispiel war etwa Joseph Story, der nach 18 Jahren als Richter am United States Supreme Court im Alter von 50 Jahren zum Nathan Dane Professor nach Harvard berufen wurde, der aber auch diese Position nur im Nebenamt bekleidete.

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rierung des Rechts und wurde allmählich als vollwertiges M i t g l i e d des Lehrkörpers in die Universitäten integriert. Er entwickelte sich zum professionellen Gelehrten. In England hatte diese Entwicklung ihre Zentren in Oxford und Cambridge, vollzog sich aber angesichts des fortgesetzt geringen Interesses am akademischen Rechtsstudium nur langsam 7 4 7 . I n Amerika hingegen breitete sie sich von Harvard rasch auf die anderen Universitäten aus und revolutionierte in kurzer Zeit die Profession 7 4 8 . Schon 1900 gründeten die Professoren mit der Association of American Law Schools ( A A L S ) eine besondere Berufsvereinigung. Sie war zunächst noch Teil der American Bar Association, verselbständigte sich aber bereits 1914. Darin zeigte sich, daß die Entstehung eines Rechtsprofessorenstandes in den U S A am Vorabend des Ersten Weltkrieges i m wesentlichen bereits abgeschlossen war. A u f ihrem Weg v o m Teilzeitdozenten zum modernen „ H o m o A c a d e m i c u s " 7 4 9 orientierten sich die anglo-amerikanischen Rechtslehrer vor allem an zwei Modellen. Z u m einen sahen sie in der eigenen Kultur auf andere Disziplinen, deren Gelehrte schon länger in den Universitäten beheimatet waren, d. h. auf die Natural Sciences und auf Geisteswissenschaften wie Geschichte oder Philosophie. Diese zeigten allerdings nicht, daß und wie auch Juristen, die bisher schließlich der Praxis verpflichtet gewesen waren, die Lehraufgabe zu einem vollwertigen Beruf machen konnten. So wandten sich die akademisch motivierten Common Lawyers auch ausländischen Vorbildern zu. Dabei fiel der B l i c k auch hier unweigerlich auf den europäischen Kontinent. Dort gab es seit Jahrhunderten an den Universitäten Rechtsgelehrte, die nicht nur als Berufsgruppe akzeptiert und integriert, sondern geradezu führend waren. Nirgends waren sie i m 19. Jahrhundert jedoch gelehrter, wichtiger und angesehener als in Deutschland. Das wußten viele Common Lawyers aus eigener Erfahrung als Studenten an deutschen Universitäten und war in der Literatur allenthalben deutlich. So wurde das Land der historischen Schule und der wissenschaftlichen Jurisprudenz auch aus diesem Grund der anglo-amerikanischen Rechtskultur ein Leitbild. Das M o d e l l des deutschen Professors prägte das Selbstverständnis der führenden Vertreter der neuen Generation anglo-amerikanischer Rechtslehrer und wurde weithin richtungsweisend 7 5 0 . Der deutsche Ordinarius verkörperte die entscheidenden Kriterien, die einen „Legal A c a d e m i c " 7 5 1 definierten: Berufsqualifikation 747 Zur Professionalisierung der englischen Hochschullehrer vgl. Engel, From Clergyman to Don, insbesondere 257-285. 748 Ausführlicher dazu Schlegel, Between the Harvard Founders and the American Legal Realists: The Professionalization of the American Law Professor; vgl. auch Auerbach, Unequal Justice 74 ff. 749 Vgl. Β our dieu, Homo Academicus. 750 Das heißt natürlich weder, daß alle oder auch nur die meisten amerikanischen Rechtslehrer der Classical Period das deutsche Vorbild vor Augen hatten, noch daß sie ihm in jeder Beziehung unkritisch nacheiferten; vgl. dazu unten d. 751 Der amerikanische Sprachgebrauch führt einen deutschen Betrachter hier leicht in die Irre. Mit einem „Academic" ist im Englischen nicht jeder Absolvent einer Hoch-

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durch Gelehrsamkeit und didaktisches Können, Zuständigkeit für die wissenschaftliche Pflege und Weiterentwicklung der eigenen Disziplin sowie feste Mitgliedschaft in einer akademischen Institution 7 5 2 . a) Zunächst verlangte man, wie in Deutschland, nun auch in der Welt des Common L a w v o m Professor zusehends, daß er sich als Gelehrter und als Lehrer qualifiziere. Der Praktiker war immer weniger gefragt 7 5 3 . Schließlich sollte die Jurisprudenz an den Hochschulen als Wissenschaft sowohl betrieben als auch unterrichtet werden. W o es um Gelehrsamkeit ging, standen die deutschen Hochschullehrer in unübertroffenem Ansehen und galten sie geradezu als Ideal. A l s Horace Gray, Richter am Supreme Court, Langdell in einer Laudatio „the learning o f a German professor" bescheinigte, zollte er ihm damit höchstes Lob, stellte er den Dean damit doch auf eine Stufe mit Männern wie Savigny und W i n d s c h e i d 7 5 4 . „The learning of a German professor" war allerdings nicht nur mit den großen Juristen Deutschlands verbunden, sondern auch mit anderen Wissenschaftlern, die einen internationalen Ruf genossen, wie m i t Ranke, Schleiermacher oder den Gebrüdern von Humboldt. Der deutsche Hochschullehrer galt überhaupt als „Scholar" mit Leib und Seele 7 5 5 . Z u diesem allgemeinen Ruf hatten die Juristen zwar maßgeblich beigetragen, er färbte aber auch wieder auf sie ab. Auch wo es um die Lehre ging, blickten die Common Lawyers oft nach Europa, wo die Unterrichtstätigkeit traditionell eine von der Praxis getrennte Spezialaufgabe war. Nach Langdells Vorstellung hatte die Fähigkeit, Wissen zu vermitteln, wenig mit praktischen Kenntnissen zu tun, vielmehr beruhte sie auf der eigenen Lernerfahrung an der Universität. „What qualifies a person, therefore, to teach law, is not experience in the work of a lawyer's office, not experience with men in the trial and argument of causes, not experience, in short, in using law, but experience in learning law; not the experience of the Roman advocate, or of the Roman praetor, still less of the Roman procurator, but the experience of the Roman jurisconsult". 756 schule gemeint, sondern nur derjenige, der Wissenschaft und Lehre zu seinem Beruf gemacht hat. „Academic" ist also nicht mit „Akademiker", sondern eher mit „Gelehrter" zu übersetzen. 752 Vgl. dazu Rothblatt, The Diversification of Higher Education in England 134. 753 Praxis und Lehramt wurden immer mehr als einander ausschließende Alternativen angesehen; vgl. Kales, Should the Law Teacher Practice Law? 253 f.; Thayer, Note 259. 75 4 Gray, Speech 50. Auch Pollock sprach auf der Feier für Langdell das deutsche Vorbild an; er meinte, die Langdell gewidmete Ausgabe des Harvard Law Review brauche den Vergleich nicht zu scheuen „with the festival collection of essays produced at any German university", habe also den Rang einer deutschen Festschrift, Pollock, The Vocation of the Common Law 13. 75 5 Vgl. Hart, German Universities 261. Das entsprach übrigens jedenfalls Savignys Selbstverständnis, der den Deutschen eine besondere Neigung zur Wissenschaft bescheinigte, Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 113 f. 75 6 Langdell, Harvard Celebration Speech 124.

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I n dieser Wendung v o m praktischen zum universitären Charakter des Rechtsunterrichts war m i t der Berufung auf die römischen Juristen das V o r b i l d des C i v i l Law schon angedeutet. Die neuen Professoren sollten sich eben nicht mehr als Praktiker, sondern, wie die europäischen Rechtslehrer, als Erben eines Papinian oder Ulpian verstehen. Die modernen Vertreter dieser Tradition waren zu Langdells Zeit nicht zuletzt die deutschen Ordinarien. Deshalb setzten sie auch als Lehrer für viele angloamerikanische Professoren Maßstäbe. Insbesondere Vangerows Heidelberger Pandektenvorlesungen waren in England und Amerika berühmt; „the lecturer had such an insight into and such a grasp o f his subject", bemerkte ein amerikanischer Student, „that his discourse seemed to be nothing less than the easy, spontaneous process of organic evolution; it seemed to grow o f itself out his brain . . . it was a masterly didactic statement of the clear, crystalline truths o f the l a w " 7 5 7 . Derlei L o b bezog sich allerdings vor allem auf die deutschen Vorlesungen. Als sich Langdell und seine Nachfolger von den Lectures zugunsten der Case Method ab wandten, waren sie als Lehrer auf sich selbst gestellt 7 5 8 . Der neue Trend zum akademisch statt praktisch qualifizierten Law Professor zeigte sich deutlich in der Berufung des jungen James Barr Ames an die Harvard L a w School. Ames, ein Schüler Langdells, wurde schon kurz nach Abschluß seines Studiums 1873 zum Assistant Professor ernannt. I h m fehlte fast jede Erfahrung in der Praxis, doch zeigte er eine deutliche Neigung zur wissenschaftlichen Bearbeitung des Rechts und großes Talent als L e h r e r 7 5 9 . M i t Ames' Berufung kam auch das deutsche Element in dieser Entwicklung sichtbar zur Geltung. Z u m einen war Ames selbst als ehemaliger Student in Deutschland ein lebenslanger Bewunderer der historischen Schule. Z u m anderen hatte sein Mentor, Harvards Präsident Charles Eliot, das kontinentale V o r b i l d vor Augen, als er Ames' Ernennung durchsetzte. Eliot sah diese als Beginn einer weitreichenden Entwicklung, die die Rechtsfakultäten grundlegend umgestalten würde: „ I n due course . . . there w i l l be produced in this country a body o f men learned in the law, who have never been on the bench or at the bar, but who nevertheless hold positions of great weight and influence as teachers of law, as expounders, systemizers and historians." 7 6 0 A l s „teachers", „expounders, systemizers and historians" beschrieb Eliot hier die neue Rechtslehrergeneration in einer Weise, die dem 757 Hart, German Universities 60 f. Im selben Sinne über Vangerow sein ehemaliger Student James Bryce, The Methods of Legal Science 633. Zu Bluntschli vgl. Freund, The Study of Law in Germany 134. 758 So pries Holmes seine ehemaligen, noch im Vorlesungsstil unterrichtenden Lehrer Parker und Parsons, indem er sie mit Vangerow verglich, wandte sich dann aber Langdell's „Case Method" zu; Holmes, The Use of Law Schools 40. Zur Case Method ausführlich unten 3. 759 Vgl. Stevens, Law School 38. 760 Zitiert nach Harvard Law School Association, The Centennial History of the Harvard Law School 31.

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Selbstverständnis Savignys und seiner Nachfolger auffällig ähnlich war, und die genau dem Wissenschaftskonzept der historischen Schule entsprach. Die Berufung reiner Akademiker an die juristischen Fakultäten nach deutschem V o r b i l d wurde nicht überall begrüßt. Praktische Erfahrungen und Perspektiven, so gaben einflußreiche Männer zu bedenken, seien auch für den Rechtslehrer von großem W e r t 7 6 1 . Ohne diese verfalle man allzuleicht in leeres Theoretisier e n 7 6 2 . Albert Kales von der Northwestern University Law School etwa mahnte: „The prevailing attempt to follow Professor Ames as an ideal . . . inevitably leads to a flood of easy speculation" 7 6 3 — angesichts der traditionellen amerikanischen Abneigung gegen spekulatives Denken ein ernstzunehmender Vorwurf. Schließlich pries man an Langdell nicht nur seine gleichsam deutsche Gelehrsamkeit, sondern auch den „practical sense and wisdom of the English and American Common L a w y e r " 7 6 4 . Doch obwohl man sich nur langsam mit dem rein akademisch qualifizierten Rechtslehrer abfand, setzte sich die Entwicklung in diese Richtung fort, wenn sie auch nie so weit ging wie in Deutschland 7 6 5 . b) Die neuen anglo-amerikanischen Professoren fühlten sich nicht nur wissenschaftlich qualifiziert, sondern auch zuständig für die Pflege und Weiterentwicklung des Common L a w , die bislang fast ausschließlich in den Händen der Gerichte (und gelegentlich des Gesetzgebers) gelegen hatte. Da das Recht eine Wissenschaft war, mußten vor allem die Legal Scientists , d. h. die Hochschullehrer, seine Hüter sein. A u c h das erwies der B l i c k auf die europäische Rechtskultur und insbesondere auf die Deutschlands. Die wichtigste Aufgabe der Zeit, die historische Erforschung und systematische Ordnung des Rechts durch die Wissenschaft, konnte nach Ansicht der neuen Law Professors nur an den Universitäten erfüllt werden. „ I t is for the professors to set forth the law as a coherent whole — to analyse and define legal conceptions — to reduce the mass o f legal rules to an orderly series o f principles", erklärte Dicey, der sich dabei als Beispiel auf Savignys Leistungen i m Recht des Besitzes 761 Vgl. Stone, The Importance of Actual Experience at the Bar as a Preparation for Teaching Law; Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 275. Vgl. hierzu auch Friedman, A History of American Law 615 f. Tatsächlich hatte es auch mit Ames' Beförderung vom Assistenzprofessor zum Professor auf Lebenszeit seitens der Universität zunächst Schwierigkeiten gegeben, weil Ames über keine praktische Erfahrung verfügte; vgl. Beale, James Barr Ames — His Life and Character 326. 762 Das war übrigens ganz im Sinne Savignys, der sich nachdrücklich für eine engere Verbindung zwischen Theorie und Praxis aussprach, Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 125; ders., System des heutigen römischen Rechts I Vorrede X I X ff. Das wurde ihm in Amerika angerechnet, vgl. Howe, Studies in the Civil Law 6. 763 Kales, Should the Law Teacher Practice Law? 258. Kales gab zu bedenken, daß derartiges Spekulieren bei Anwalt- und Richterschaft nur Mißtrauen hervorrief, id. 764 Gray, Speech 50. 765 Praktische Berufserfahrung wird bei einem amerikanischen Rechtslehrer bis heute zwar nicht unbedingt gefordert, wohl aber gern gesehen und ist, anders als in Deutschland, nicht selten. 13 Reimann

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berief 7 6 6 . V o n Praktikern, insbesondere von Richtern, meinte auch Pound, war derlei nicht zu erwarten. Nur der Gelehrte sei „ i n the position to do historical, critical and analytical work that would be impossible . . . in a modern judicial opinion. Moreover, he may deal w i t h the law and w i t h departments of the law as a whole, while a court must look at each piece-meal"; auch der Gesetzgeber sei zu einer Ordnung des Rechts ohne wissenschaftliche Vorarbeiten nicht in der L a g e 7 6 7 . W i e in Europa lag also die Verantwortung für das Wohlergehen der Rechtsordnung maßgeblich bei den Professoren 768 . W o h l nirgends war das zu jener Zeit so offenkundig wie in Deutschland, wo das Recht als Wissenschaft gepflegt wurde, und wo die Gelehrten der historischen Schule an den Universitäten die entscheidende Arbeit geleistet hatten 7 6 9 . Schon Austin hatte deshalb i m deutschen Professorenstand sein Ideal gesehen, wie dann auch die Generation Pollocks sich bemühte, in die Fußstapfen Savignys und seiner Schüler zu treten und sich wie diese durch wissenschaftliche Bewältigung des Rechts verdient zu machen. In Amerika betonte Ames, inzwischen als Nachfolger Langdells zum Dean der Harvard Law School aufgestiegen, die Verantwortung des Rechtslehrers „to exert a wholesome influence on the development of the l a w " und verwies dabei als V o r b i l d auf „the countries in which the vocation of the law-professor has long been recognized, to Germany, for instance." Ames ließ keinen Zweifel, wem es nachzueifern galt: „The names of Savigny, Windscheid, Jhering and Brunner at once suggest themselves" 7 7 0 . Dieser „wholesome influence" sollte nicht nur durch die historische Aufklärungsarbeit ausgeübt werden, an die sich Ames und seine Kollegen sogleich nach deutschem V o r b i l d machten, sondern vor allem auch durch lehrbuchartige Gesamtdarstellungen, sog. Treatises , in denen ein Rechtsgebiet als umfassende, systematische Ordnung darzustellen war. Treatises hatten an sich i m Common L a w eine über hundert Jahre alte Tradition, die mit Blackstone i n England und Kent und Story in den U S A Höhepunkte erreicht hatte 7 7 1 . Die bisherigen Abhandlungen genügten aber den Ansprüchen moderner Rechtswissenschaft längst nicht mehr, denn sie beruhten weder auf einer historisch gründlichen Erforschung des 766 Dicey, Can English Law Be Taught at the Universities? 18 f.; als Vorbilder nannte er zudem Vangerow, Bluntschli, Pothier und Mancini, aber auch Kent, Story und Langdell, id. 29. 767 Pound, Taught Law 990; vgl. auch Terry, Some Leading Principles of AngloAmerican Law 601 f. Allgemein hierzu Gilmore, The Ages of American Law 58 ff.; Sugar man, Legal Theory, the Common Law Mind and the Making of the Textbook Tradition 29. 768 Beale, The Necessity for a Study of Legal System 35; vgl. auch Rheinstein, Law Faculties and Law Schools 8 f. 769 Schon Savigny hatte das englische Publikum auf die führende Rolle der Hochschulen für den Fortschritt der Wissenschaft hingewiesen, Savigny, On the Present State of the German Universities 535. 770 Ames, The Vocation of the Law Professor 141. 771 Vgl. Simpson, The Rise and Fall of the Legal Treatise.

C. Die historische Schule als Kultur

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positiven Rechts noch wurden sie der vermuteten inneren Systematik des Common Law gerecht 7 7 2 . I n England hatte Austin deshalb gehofft, ein neuer Professorenstand werde nach deutschem V o r b i l d auch für das Common L a w „a good institutional treatise, philosophical, historical and dogmatical" schaffen 7 7 3 , aber erst Pollocks Generation erfüllte diese Hoffnung. I n den U S A fand Ames die früheren Arbeiten i m großen und ganzen „distinctly p o o r " 7 7 4 . Nur eine „large professorial class" wie in Deutschland, so führte er aus, könne die erforderliche „high order of treatises on all the important branches of the l a w " schaffen, „exhibiting the historical development of the subject and containing sound conclusions based upon scientific analysis" 7 7 5 . M i t Entstehung der Klasse der neuen Professoren in der Classical Era entstanden tatsächlich auch die Treatises, die Ames sich vorstellte. „ I n this respect", bemerkte W i l l i a m Schofield schon 1908, „the law schools of the United States have already shown a resemblance to the universities o f Europe, where valuable treatises have always come from the professors o f l a w . " 7 7 6 Besonders wichtig an dieser Anerkennung war, daß sie von einem hohen Richter ausgesprochen wurde — Schofield war M i t g l i e d des traditionsreichen und angesehenen Massachussetts Supreme Judicial Court — , drückte sich doch i m Selbstverständnis der neuen Professoren als Hüter der Rechtswissenschaft das Streben nach einer führenden Position innerhalb der Juristenzunft aus. Diese war bisher von den Praktikern beherrscht worden; die Rechtslehrer waren reine Randfiguren gewesen; sofern sie überhaupt Arbeiten veröffentlicht hatten, waren diese von den Gerichten nur sporadisch beachtet w o r d e n 7 7 7 . M i t einer solchen Nebenrolle mochten sich die neuen Law Professors nicht mehr abfinden. Als Wissenschaftler wollten sie vielmehr durch Ausarbeitung eines Systems von Prinzipien den „principal defect in the generally admirably work of the judges"

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Blackstones Commentaries waren zwar systematisch aufgebaut, hatten aber im wesentlichen die Systematik des Civil Law auf die Materie des Common Law übertragen, wie sich vor allem an der Gesamteinteilung zeigte (I: Of the Rights of Persons, II: Of the Rights of Things; III: Of Private Wrongs; IV: Of Public Wrongs). Außerdem galten sie im späteren 19. Jahrhundert als hoffnungslos veraltet und oberflächlich. 77 3 Austin, Lectures on Jurisprudence I I I 373 (On the Uses of the Study of Jurisprudence). 77 4 Ames, The Vocation of the Law Professor 141. Das entsprach ganz dem Urteil Stories über die „practical treatises" seinerzeit: „They contain little more than a collection of the principles laid down in the adjudged cases with scarcely any attempt to illustrate them by any general reasoning . . . These treatises are but little more than full Indexes to the Reports, arranged under appropriate heads; and the materials are often tied together by very slender threads of connexion", Story, Commentaries on the Law of Bailments, Preface IX. Natürlich hoffte Story, es besser zu machen. 77 5 Ames, The Vocation of the Law Professor 141. 77 6 Schofield, The Relation of the Law Schools to the Courts 205. 777 In dieser Beziehung waren Kents und Storys Commentaries eine Ausnahme, wobei aber nicht zu vergessen ist, daß beide Autoren selbst hohe Richter waren. Sie wurden schon deshalb von ihren Standesgenossen viel ernster genommen als reine Gelehrte. 13*

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Zweiter Teil: Blütezeit

korrigieren, den Richtern dadurch „invaluable service" leisten und somit „great influence on the further development of the l a w " ausüben 7 7 8 . Gerade wo es um Funktion und Bedeutung des Hochschullehrers in der Rechtskultur ging, blickten viele der neuen Professoren des Common Law mit Neid auf ihre deutschen Kollegen; „the influence of their opinions in the courts", hielt Ames den Amerikanern vor Augen, „is as great or even greater than that of judicial precedents" 7 7 9 . I n Deutschland waren die Rechtslehrer längst „the lights of the legal profession" 7 8 0 und standen sie sogar über der Richterschaft. M i t diesen Ausführungen wollte Ames w o h l nicht nur seine Kollegen ermutigen, sondern auch die Gerichte ermahnen, die Führung der Juristenzunft in Zukunft mit den Universitäten zu teilen. Daß sie das in Deutschland als seinerzeitigem Zentrum des vielbewunderten C i v i l Law längst taten, verlieh dieser Forderung Nachdruck und Plausibilität 7 8 1 . c) Z u m Berufsbild des neuen Law Professors gehörte schließlich auch, daß er als Fakultätsmitglied an einer Universität den vollen akademischen und sozialen Status eines professionellen Gelehrten hatte. Das Streben der Rechtslehrer nach Integration muß man i m Zusammenhang sehen mit dem Wandel vor allem der amerikanischen Universitäten von philosophisch-theologisch ausgerichteten Colleges für die Söhne des Bürgertums zu Zentren wissenschaftlicher Forschung und spezialisierter Berufsausbildung. Diesem Wandel lag ganz allgemein das deutsche V o r b i l d der Universität Humboldt'scher Prägung zugrunde, wie sie i m 19. Jahrhundert zu Weltgeltung gelangte 7 8 2 . Als sich die amerikanischen Hochschulen nach ihrem Muster zu reformieren begannen, selbst allmählich zu Zentren moderner Wissenschaft wurden und dadurch enorm an Einfluß und sozialem Ansehen gewannen, drängten die Rechtsprofessoren auf Teilhabe an dieser Entw i c k l u n g 7 8 3 . Sie wollten nicht mehr Lehrer an Berufsschulen oder Colleges, sondern, wie ihre deutschen Kollegen, vollwertige Professoren an hochentwikkelten Wissenschaftseinrichtungen sein. Das gelang zuerst i n Harvard, wo Präsident Eliot die Universität nach europäischem V o r b i l d reformierte und i n diesem Zusammenhang auch die sog. Professional Schools , d. h. vor allem die Medical School und die Law School v o l l in die Universität integrierte 7 8 4 .

778 Arnes, The Vocation of the Law Professor 141, 144. 779 id. 141. 780 id. 141. 781 Natürlich sollte auch der Gesetzgeber auf den Hochschullehrer hören, dazu unten II.3. 782 Herbst, The German Historical School in American Scholarship 1 ff.; O' Boy le, Learning for Its Own Sake: The German University as a Nineteenth Century Model; Paulsen, The German Universities, Preface; Thwing, The American and the German University. 783 Dazu Schlegel, Between the Harvard Founders and the American Legal Realists 321; vgl. auch Veysey, The Emergence of the American University 128. 784 Dazu Beale, The Place of Professional Education in the Universities.

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Der Status eines Fakultätsmitgliedes hatte weitreichende Konsequenzen für die Situation und Arbeitsweise der Rechtslehrer. Das ließ sich bei den deutschen Kollegen bestens beobachten. Erst volle Fakultätsmitgliedschaft ermöglichte eine von der Praxis unabhängige Karriere als Berufswissenschaftler. Gesicherte Position und festes Gehalt erlaubten volle Konzentration auf die Wissenschaft. Die Rechtslehrer durften also reine Gelehrte sein und brauchten nicht mehr anwaltlich zu arbeiten, wie das noch Maine nötig gefunden hatte 7 8 5 . Gleich ihren deutschen Kollegen konnten sie von Anfang an „university men" werden und in ihrem Leben nur noch nach „scholarly renown" streben 7 8 6 . Natürlich ließ das viel größere wissenschaftliche Leistungen erwarten, als sie bei Teilzeitarbeit möglich waren; zudem erlaubte es einen bisher unerreichten Grad der Spezialisierung innerhalb des Fachs. Wichtig war auch, daß sie an den Universitäten den Nachwuchs selbst heranbilden und auswählen konnten, wie das in Deutschland schon lange der Fall war. Fakultätsmitglieder kamen also immer weniger von außen, aus der Praxis, und immer mehr von innen, d. h. aus der Wissenschaft. W i e an einer deutschen Juristenfakultät kontrollierten die Gelehrten den Zugang zu ihrer Zunft damit zusehends selbst 7 8 7 . Dadurch konnten sie Kontinuität und Fortschritt der Wissenschaft sichern. So designierte Langdell Ames als seinen Nachfolger, verhalf dadurch der Case Method zu dauerhaftem Erfolg und begründete auch in Amerika die Tradition, daß akademische Lehrer ihren besten Schülern den W e g zu einer Professur ebnen. Nur als institutionell abgesicherte Universitätsmitglieder genossen die amerikanischen Rechtslehrer die Forschungs- und Lehrfreiheit, um die sie ihre europäischen Kollegen schon oft beneidet hatten. I n der Forschung konnten sie ihren Interessen nachgehen und sich in ihrer ganzen Tätigkeit von den Maximen der Wissenschaft i m deutschen Sinne leiten lassen, d. h. sich der „ardent, methodical independent search after truth in any and all o f its forms" verschreiben, „ w h o l l y irrespective of utilitarian application" 7 8 8 . I n der Lehre ließ sich an einer Universität auf eine Studentenschaft hoffen, die vorgebildet und akademisch interessiert war, d. h. auf Hörer, mit denen wie in Deutschland eine Zusammenarbeit in wissenschaftlichem Geist möglich w a r 7 8 9 . 785 Vgl. Rothblatt, The Diversification of Higher Education in England 134. 786 Hart, German Universities 252, 261. 787 Vgl. id. 257 f. 788 Hart, German Universities 250. 789 Savigny hatte schon zu Beginn des Jahrhunderts dem englischen Publikum die deutschen Studenten als „young men, in the bloom of youth, devoting themselves with enthusiasm to their instructor" beschrieben und berichtet, wie Student und Professor voneinander lernten, Savigny, On the Present State of the German Universities 535. In der Classical Era schilderte Hart den Amerikanern ein wahres Paradies der Professoren. Der deutsche Hochschullehrer, so schrieb er, „lectures only to those who are willing and able to hear. He is sustained by the consciousness that his words are not scattered

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Zweiter Teil: Blütezeit

I m übrigen bedeutete Fakultätsrang natürlich auch höheres Prestige. Freilich stand nach wie vor der Richter sozial über dem Rechtslehrer, doch war eine Professur an einer angesehen Universität allemal besser als eine Lehrerstelle an einer bloßen Berufsschule. A u c h hier war der deutsche Kollege zu beneiden; „nobody in town can outrank h i m " , berichtete Hart. „The professors and their wives constitute the good society o f the p l a c e . " 7 9 0 M a n brauchte englischer- oder amerikanischerseits nur an Savigny zu denken, um zu sehen, wie weit man es als Gelehrter in Deutschland bringen konnte, nämlich zu höchstem Ansehen, Freundschaft mit gekrönten Häuptern und Ministerposten. Angesichts dieser vielfach begünstigten Position der deutschen Rechtslehrer hatte sich bereits Austin gewünscht, er wäre „a German professor" geworden 7 9 1 . Doch erst die neuen Professoren der Classical Era waren langsam aber sicher auf dem Weg zu einem dem deutschen ähnlichen Berufsbild und zu vergleichbarem Einfluß und Ansehen. d) Allerdings waren sie auch hier nicht bloße Nachahmer des deutschen M o dells, vielmehr gingen sie insbesondere in den U S A mitunter eigene Wege. So übernahmen sie nie die ausgeprägt hierarchische Struktur der deutschen Rechtsfakultäten, die mit dem tiefverwurzelten egalitären Sinn der Amerikaner kaum vereinbar gewesen wäre. Zudem waren die amerikanischen Professoren schon bald von einem sozialen Reformgeist beseelt, der ihren deutschen Kollegen i m großen und ganzen fehlte 7 9 2 . Hierin zeigte sich die W i r k u n g der Progressive Era , der großen Sozialreformbewegung i m Amerika des frühen 20. Jahrhunderts. Dieser Reformgeist war m i t einer wissenschaftlichen Behandlung des Rechts i m Sinne von historischer Schule und Classical Legal Science nicht ohne weiteres vereinbar, da diese Bearbeitung des Bestehenden verlangte, Reform aber nur durch seine Veränderung möglich w a r . 7 9 3 Trotzdem näherte sich die anglo-amerikanische Rechtskultur auch m i t der Entstehung eines Rechtsprofessorenstandes dem europäischen und insbesondere by the wayside, but that they fall upon soil prepared to receive them, and will bring forth new fruit in turn. His relation to his hearers is that of one gentleman speaking to another . . . He addresses his pupils as men who know perfectly well what they are about, and whom he must seek to enlighten or convince", Hart, German Universities 268. 790 Hart, German Universities 267. 791 Zitiert nach Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 86. 792 So stellte Kales 1912 fest, die Law Schools suchten nicht nur „effective law teachers" und „original thinkers — leaders in the promotion of ideas", sondern auch „men who during their active life may contribute some social service in the cause of law reform", Kales, Should the Law Teacher Practice Law? 256. Vgl. auch Purcell, The Crisis of Democratic Theory 78. Instrument des Fortschritts sollte dabei die Wissenschaft sein, Stevens, Law School 76; dazu auch Rottleuthner, Theories of Legal Evolution 223. 793 Zur konservativen Grundeinstellung der Classical Legal Science unten III. 1. Der Reformgeist der amerikanischen Rechtsprofessoren wies bereits über die Classical Legal Science hinaus in eine neue Zeit, siehe unten Dritter Teil B.

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dem deutschen Modell in einem wesentlichen Punkt stark an: Rechtswissenschaft als Forschung und Lehre war jetzt keine Nebentätigkeit von Praktikern ohne festes A m t mehr, sondern von der Praxis deutlich geschiedene, hauptberufliche Aufgabe von Universitätsprofessoren. W i e es moderner Wissenschaft entsprach und in Deutschland schon lange der Fall gewesen war, war die Legal Science nun auch in der Welt des Common Law spezialisiert, professionalisiert und institutionalisiert. 3. Das Beharren

der praktischen

Tradition

Betrachtet man die Wende zur akademischen Juristenausbildung und die Entstehung eines Rechtsprofessorenstandes in England und Amerika, so könnte man meinen, die anglo-amerikanische Rechtskultur sei von nun an genauso akademisch geprägt gewesen wie ihr kontinentaleuropäisches Gegenstück. Doch ließ sich die jahrhundertealte, praktische Tradition des Common L a w durch den modernen Trend zu akademischer Ausbildung und professionalisierter Wissenschaft nicht mit Stumpf und Stiel ausrotten. Vielmehr bewies sie ein erstaunliches Beharrungsvermögen, das dem Einfluß des kontinentalen und damit auch des deutschen Vorbilds Grenzen setzte. Das zeigte sich sowohl in England als auch in Amerika, wenngleich auf unterschiedliche Weise. a) In England bildete sich zwar eine akademische Kultur des Common Law aus, doch blieb ihre Bedeutung zunächst gering. Das galt für Studium und Wissenschaftsbetrieb gleichermaßen. Bezüglich des Studiums zeigte sich das in England erst auf den zweiten Blick. Die sich etablierende universitäre Ausbildung war nämlich in Methode und Ausrichtung dem kontinentalen M o d e l l eng verwandt, denn unter dem Einfluß der Analytical Jurisprudence wurden die Grundprinzipien und der systematische Zusammenhang des Rechts vor allem in Vorlesungen vermittelt. A u c h sah der Studiengang jenseits der Kernfächer des Common Law vielfach Veranstaltungen über Rechtsgeschichte, -theorie, und -vergleichung, über römisches und internationales Recht v o r 7 9 4 . Die Ausbildung hatte also einen akademischen Charakter im europäischen Sinne des systematischen Erlernens eines wissenschaftlichen Fachgebiets mitsamt der dazugehörigen Allgemeinbildung. Die praxisorientierte Tradition des Common Law behauptete sich aber darin, daß ein wissenschaftliches Studium — gerade wegen seines akademischen Charakters — nur sehr zögerlich als taugliche Ausbildung zum englischen Juristen akzeptiert w u r d e 7 9 5 . Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren die meisten Praktiker der Ansicht, das 794 Vgl. Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 24 ff.; Beilot, University College London 1826-1926 328 f., siehe dort auch Chart 3 (im Anhang); H anbury, The Vinerian Chair and Legal Education 95 f.; Holdsworth, A History of English Law X V 241. 795 Vgl. Bellot, University College London 1826-1926 327.

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Common Law gehöre nicht in die Hochschule 7 9 6 ; dementsprechend beklagten Bryce und Pollock das geringe akademische Interesse der Common L a w y e r s 7 9 7 , und beschäftigte sich Albert Venn Dicey in seiner Antrittsvorlesung in Oxford mit der Frage, ob sich das Common Law überhaupt an einer Universität lehren lasse 7 9 8 . Obwohl er diese Frage bejahte, blieb ein Jurastudium für einen englishen Common Lawyer bis auf weiteres die Ausnahme. Wer Recht studierte, dem diente das selten zur Vorbereitung auf den Anwalts- oder Richterberuf, sondern meist entweder zur Allgemeinbildung oder als Grundlage für eine Karriere i m Geschäfts- oder öffentlichen Leben. Die juristischen Praktiker hingegen wurden immer noch überwiegend nach traditioneller Methode, d. h. in einer anwaltlichen Lehrzeit ausgebildet. So blieben die studierten Juristen unter den Praktikern bis weit in unser Jahrhundert eine M i n d e r h e i t 7 9 9 . Schon das setzte der Bedeutung der Professoren enge Grenzen, denn Lehrer zukünftiger Praktiker waren sie nur in Ausnahmefällen. Zudem blieb der Kreis der Hochschullehrer wegen der recht niedrigen Studentenzahlen vorerst k l e i n 8 0 0 . Zwar wirkten ihre Arbeiten, vor allem die Werke der Analytical Jurists , mitunter auf die Praxis, aber auch dieser Einfluß hatte enge Grenzen, zumal die englischen Gerichte noch lebende Autoren nicht zitierten. A n das Prestige und den Einfluß der Richter kamen die Rechtsprofessoren lange nicht heran, und mitunter war ihr Ruhm i m Ausland, vor allem in den U S A , größer als zuhause. So hatte die Kultur des Common Law zwar seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert auch in England durchaus ihre akademische Seite, sie blieb aber vorerst ganz überwiegend eine Welt der Anwälte und Richter, die das Recht selbst dann praktisch sahen, wenn sie von Wissenschaft redeten. b) Anders war die Situation in den U S A . Hier akzeptierten die Juristen ein Studium rasch als Grundlage der Berufsausbildung; binnen einer Generation wurde es auch für den Praktiker von der Ausnahme zur R e g e l 8 0 1 . Zwar war es auch in den Vereinigten Staaten noch lange nicht zwingend vorgeschrieben, sodaß die Law Schools kein Ausbildungsmonopol wie die deutschen Universitäten hatten 8 0 2 ; wer allerdings mehr werden wollte als ein kleinstädtischer A n w a l t

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96 Fifoot, Judge and Jury in the Reign of Victoria 23. 797 Bryce, Legal Studies in the University of Oxford 518; Pollock, Besprechung von Maitland, Pleas of the Crown of Gloucester 118; hierzu auch das vernichtende Urteil von Hart, German Universities 335. 798 Dicey, Can English Law be Taught at the Universities? 799 Noch heute ist ein universitäres Rechtsstudium in England nicht zwingender Bestandteil der juristischen Ausbildung. Vielmehr kann der Weg zu den juristischen Berufen auch über das Studium eines anderen Faches oder auch überhaupt nicht über die Universität führen. Allerdings muß eine praktische Fachausbildung als Barrister oder Solicitor absolviert werden. 800 Vgl. Baker, An Introduction to English Legal History 149. soi 1870 hatte nur ein Viertel der zur Praxis zugelassenen Juristen ein juristisches Studium absolviert; 1910 waren es zwei Drittel, Auerbach, Unequal Justice 94.

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mit Allgemeinpraxis, der kam ohne juristisches Studium bald nicht mehr aus. Die Juristen legten das Image einer bloßen Praktikerzunft allmählich ab und erlangten den Status von Hochschulabsolventen. Dadurch nahm auch der Einfluß der neuen Rechtsprofessoren rapide zu. Da bald die Mehrzahl künftiger Juristen bei ihnen studierte, prägten sie das Denken der kommenden Generationen. Zudem stieg der Bedarf an Juristen enorm, sodaß auch die Zahl der Rechtslehrer entsprechend wuchs; Law Schools schössen wie Pilze aus dem Boden, wurden von den Universitäten gegründet oder eingegliedert und folgten zusehends dem von Langdell in Harvard entwickelten M o d e l l 8 0 3 . I m übrigen entwickelten sich die Rechtswissenschaftler auf vielen Gebieten zu führenden Autoritäten und gelangten sie zu großem Einfluß auf die Praxis. Richter und Anwälte, die sich i m Chaos des Case Law der vielen Staaten kaum noch zurechtfanden, suchten Zuflucht bei den Treatises der Gelehrten. A u c h in Bemühungen um Rechtsvereinheitlichung spielten die Hochschullehrer eine R o l l e 8 0 4 . Als die Classical Era zuende ging, waren Law Schools und Professoren aus der amerikanischen Rechtskultur nicht mehr wegzudenken. Doch verschaffte sich die praktische Tradition des Common L a w auch in den U S A Geltung. Sie setzte sich nicht so sehr in der Wissenschaft, w o h l aber in der Lehre durch. Die Ausbildung war nämlich in Amerika, anders als in England, i m wesentlichen nicht akademisch, sondern berufsorientiert. Das zeigte sich in zweierlei Hinsicht: I n der auf die Bedürfnisse der Praxis zugeschnittenen Unterrichtsmethode, und in der Konzentration der Ausbildung auf praxisrelevante Gebiete. c) A m nachhaltigsten wirkte die Tradition des anglo-amerikanischen Rechts i m neuen Unterrichtsstil fort. Die sogenannte Case Method war Teil der umfassen-

802 Bis auf den heutigen Tag gibt es in den USA Bundesstaaten, die den Besuch einer Law School nicht zur unbedingten Voraussetzung der Anwaltszulassung machen, sondern nach wie vor eine Lehrzeit in einem Anwaltsbüro anerkennen, z. B. Kalifornien, Maine, New York, Vermont, Virginia, Washington und Wyoming. Doch gibt es, anders als in England, in Amerika kaum noch Juristen, die kein Jurastudium absolviert haben. 803 Die Anzahl der Law Schools verdoppelte sich von 1850 bis 1870 und dann noch einmal von 1870 bis 1890. Sie stieg von 15 zur Jahrhundertmitte auf 102 im Jahre 1900, versiebenfachte sich also beinahe innerhalb von 50 Jahren, vgl. Friedman, A History of American Law 607. Im einzelnen hierzu Stevens, Law School 73 ff.; aus zeitgenössischer Sicht Robinson, Legal Education, Its Purposes and Methods 178 f. 804 Rechtsprofessoren waren maßgeblich am Streben nach einheitlicher Gesetzgebung (Uniform Laws) beteiligt; so entwarf etwa Samuel Williston, seinerzeit der führende Vertragsrechtler in den USA und Professor an der Harvard Law School, den 1906 fertiggestellten und bald von der Mehrheit der Einzelstaaten angenommenen Uniform Sales Act, der zum Vorläufer des heutigen Uniform Commercial Code wurde. Das in den 1920er Jahren mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung u. a. auf Initiative von William Draper Lewis von der University of Pennsylvania Law School gegründete American Law Institute hatte unter seinen Gründungsmitgliedern viele namhafte Professoren wie Beale, Freund, Pound, Williston und andere; vgl. Goodrich / Wolkin, The Story of the American Law Institute 1926-1961 5 f.

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den Langdell'sehen Reform der Harvard Law School, wo sie bald das bisherige System der Vorlesungen und des Abfragens von Stoff verdrängte 8 0 5 . N u n wurde der Student über Gerichtsurteile, die er in Vorbereitung auf den Unterricht lesen mußte, v o m Dozenten eingehend verhört und nach der Socratic Method in einen Dialog verwickelt; er sollte dadurch tief in die Entscheidung und ihre Gründe eindringen und so von innen heraus ihr Prinzip verstehen. Diese Methode war eine amerikanische Eigenart, die sich v o m kontinentalen und englischen Vorlesungsstil grundlegend unterschied. Sie eroberte binnen einer Generation die führenden Law Schools und beherrscht die amerikanische Juristenausbildung bis heute. M i t der Case Method setzte sich die praktische Tradition des Common Law gegen die kontinentaleuropäische Sichtweise des Rechts durch. Das w i r d anhand der Diskussion deutlich, die u m den neuen Unterrichtsstil seinerzeit geführt wurde. Sie war und blieb nämlich lange umstritten. 8 0 6 Für Langdell und ihre späteren Befürworter, allen voran W i l l i a m Keener von der Columbia University, ergab sie sich zwingend aus dem Charakter der Jurisprudenz als einer Wissenschaft v o m positiven R e c h t 8 0 7 : „The case system then proceeds on the theory that law is a science, and, as a science, should be studied in the original sources, and that the original sources are the adjudged cases and not the opinions o f text writers, based upon the adjudged cases." 8 0 8 Die Kritiker der Case Method hielten dem jedoch entgegen, daß den Studenten dadurch ein Gesamtüberblick erschwert und ein systematisches Verständnis des Rechts unmöglich gemacht werde; deshalb zogen sie die deutschen Unterrichtsmethoden vor, die gerade auf die Vermittlung der logischen Ordnung des Rechts abzielten. Christopher Tiedemann, der in Göttingen Jherings Schüler gewesen und nun Professor in New Y o r k war, befürwortete eine „logical presentation o f the fundamental principles" und verwies auf „the order of legal instruction pursued at the German universities"; er hielt es für geraten „to follow the German methods as nearly as the situation and public opinion in America would a l l o w " 8 0 9 . Hart, der ebenfalls aus eigener 805 Langdells Idee war allerdings nicht ganz so einzigartig, wie es zunächst scheinen mag. Etwa zur gleichen Zeit lehrte auch Rudolf von Jhering in Wien anhand von Fällen, vgl. Rheinstein, Law Faculties and Law Schools, A Comparison of Legal Education in the United States and Germany 21. 806 Zum folgenden allgemein Stevens, Law School 112 ff. 807 Langdell, Harvard Celebration Speech 124. 808 Keener, Methods of Legal Education 144. Bei Keener deutete sich allerdings auch schon der zusätzliche, später immer wichtigere Zweck der Case Method an, die Grundprinzipien des Rechts nicht abstrakt, sondern von vornherein im konkreten Zusammenhang zu lehren, um die Studenten in ihrer Anwendung zu schulen, id.; ders., The Inductive Method in Legal Education. Vgl. auch Warren, History of the Harvard Law School 423; Patterson, The Case Method in American Legal Education 4 f. 809 Tiedemann, Methods of Legal Education 157 f.; er wies auch darauf hin, daß es keinem Naturwissenschaftler zugemutet werde, alles Wissen durch unmittelbare Anschauung des Stoffs selbst zu erarbeiten, sondern daß man auch die Chemie, Physik oder Biologie nach Prinzipien geordnet lerne, id. 153, 156.

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Erfahrung sprach, zog eine gute deutsche Vorlesung der amerikanischen Socratic Method vor, weil letztere den Studenten doch eher verwirrte als belehrte; „ i t is well enough to be made feél that you are wrong", gab er zu bedenken, „but it is a higher gain to be made feel that someone else is right, and that you are catching from his lips the thoughts over which he has spent days and years of patient t o i l . " 8 1 0 Andere empfanden die Case Method als absurd und, wie Deutschland zeigte, überholt: „Teaching by ,case law' is the furthest possible remove from this German system; teaching by ,case law' went out of use on the Continent a hundred years a g o . " 8 1 1 Selbst das Committee on Legal Education and Admissions to the Bar der American Bar Association empfahl die Abschaffung der Langdeir sehen Methode und „the substitution for it of a careful and systematic study o f the system as a whole after the European method", w o m i t vor allem die „historical method" i m Sinne einer geschichtlich-systematischen Unterweisung gemeint w a r 8 1 2 . Diese Auseinandersetzung um Case Method oder Vorlesungsstil zog sich bis ins frühe 20. Jahrhundert hin. Sie bildete auch den Hintergrund für den 1914 verfaßten, bereits erwähnten Bericht Josef Redlichs i m Auftrag der CarnegieFoundation, in dem die bisherigen Erfahrungen ausgewertet werden sollten. Redlich hielt Langdells Methode zwar insgesamt für durchaus sinnvoll, fand sie aber zu einseitig. Da sie dem Anfänger keinen Überblick gebe, müsse sie zu unnötiger Verwirrung führen. A u c h lasse sie keinen Raum für die Zusammenfassung und Ordnung erworbenen Wissens. Redlich empfahl deshalb, sie durch systematische Einführungen i m Stile einer Institutionenvorlesung und durch vertiefende Kurse über allgemeine Rechtslehre zu ergänzen 8 1 3 . O b w o h l die Ideen Tiedemanns oder Harts i m Common Law durchaus Vorbilder hatten, und obwohl Redlichs Empfehlungen vielfach auf Zustimmung stießen 8 1 4 , 810 Hart, German Universities 55. su Zitiert nach Keener, Methods of Legal Education 145. 812 American Bar Association, Report of the Committee on Legal Education and Admissions to the Bar (1892) 340 ff., 360. Das klang nicht von ungefähr nach deutschem Einfluß, denn der Report war maßgeblich von William Gardiner Hammond verfaßt. Zu ihm oben Übermittlung 2. Vgl. auch Clark, Tracing the Roots of American Legal Education 332. Die Empfehlung des Committee mußte nicht unbedingt die Einführung eines reinen Vorlesungssystems bedeuten, zumal mitunter bezweifelt wurde, daß die amerikanischen Studenten die dafür erforderliche Vorbildung und intellektuelle Reife besaßen; vgl. Tiedemann, Methods of Legal Education 151; Freund, The Study of Law in Gemany 131. Dabei darf man nicht vergessen, daß die meisten amerikanischen Jurastudenten zu dieser Zeit noch keinen Collegeabschluß hatten. Schlechte Erfahrungen machte auch Francis Lieber, als er in den 1860er Jahren versuchte, das deutsche Vorlesungssystem am Columbia College einzuführen, Freidel, Francis Lieber 366 ff. 813 Redlich, The Common Law and the Case Method 41 ff. 814 Schon Blackstone hatte eine systematische Einführung ins Recht nach dem Vorbild der Institutionen nicht nur gefordert, vgl. Commentaries on the Laws of England I, Introduction, On the Study of Law 35, sondern in seinen Commentaries auch selbst in die Tat umgesetzt; dadurch hatte er Generationen amerikanischer Juristen die Grund-

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verhallte der R u f nach systematischer Darstellung des Rechts i m wesentlichen ungehört. Die Case Method setzte ihren Siegeszug ungehindert und zum Nachteil jeglicher Vorlesungen fort. Der Hauptgrund lag darin, daß sie dem praktischen Denken der Common Lawyers entsprach. Sie erklärte nämlich die Fallrechtsanalyse zur Wissenschaft und machte sie dadurch zur Grundlage eines Rechtsstudiums 8 1 5 . Wenn Langdell und Keener i m Zusammenhang mit der Ausbildung von Rechtswissenschaft sprachen, so meinten sie damit i m wesentlichen deren empirisch-induktive Seite. Deshalb waren sie der Ansicht, bei der Jurisprudenz als Wissenschaft ginge es in erster Linie um Suche nach Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten i m Stoff selbst, weshalb das Studium der Cases i m Vordergrund stehen müsse. Dieser Wissenschaftsbegriff paßte in geradezu idealer Weise zum traditionellen Rechtsverständnis der Common Lawyers. Als Richter und Anwälte hatten die anglo-amerikanischen Juristen j a schon seit jeher Recht vor allem i m konkreten Einzelfall gesehen. N u n sollten sie ihre Disziplin zwar nicht mehr als Handwerk erlernen, sondern als Wissenschaft studieren, radikales Umdenken blieb ihnen dabei aber nach Langdells Methode erspart. Ganz i m Gegenteil, der Rechtsunterricht, der bisher mit Vorlesungen und Einpauken von Regeln i m Grunde gar nicht zum Wesen des Fallrechts gepaßt hatte, entsprach nun durch die Case Method ganz der traditionellen Denk- und Arbeitsweise der anglo-amerikanischen Juristen 8 1 6 . Langdell gab ihnen einen wissenschaftstheoretischen Grund, sich schon i m Studium auf das zu konzentrieren, womit sie in der Praxis sowieso würden arbeiten müssen: mit Fällen. Durch die Case Method wurde die universitäre Ausbildung also der beruflichen Tätigkeit des amerikanischen Juristen angepaßt 8 1 7 . Darin kann man eine wichtige Errungenschaft sehen, die etwa der deutschen Rechtskultur weitgehend versagt blieb. Doch darf man nicht vergessen, was dies für den Charakter des Jurastudiums kenntnisse des Common Law vermittelt. Auch stießen Redlichs Vorschläge bei namhaften amerikanischen Juristen auf Zustimmung, vgl. Beale, The Law School as Professor Redlich Saw It. Natürlich fehlte es auch nicht an kritischen Stellungnahmen, siehe etwa Stone, Dr. Redlich and the Case Method in American University Law Schools. 815 Das soll nicht heißen, daß nicht auch andere Faktoren eine Rolle spielten, wie etwa seitens des Rechtslehrers das Machtgefühl, das die Case Method gegenüber den Studenten gibt, seitens dieser die geringere Langeweile, oder ganz allgemein der Glaube an die didaktischen Vorteile dieser Lehrweise. 816 Es ist kein Zufall, daß die Case Method von einem unmittelbar aus der Praxis kommenden, jeder akademischen Erfahrung entbehrenden Mann eingeführt wurde. Langdell wirkte bis zu seiner Berufung als Anwalt in Boston und war geradezu das Gegenteil eines im europäischen Sinne gelehrten Juristen. 817 Hierin liegt der wichtigste Grund dafür, daß selbst heutzutage, da die Vorstellung von der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz im traditionellen Sinne längst aufgegeben ist, noch an der Case Method festgehalten wird. Im übrigen entspricht sie eher als der Vorlesungsstil dem prozessualen Rechtsverständnis, das heute in den USA vorherrscht, denn die Fallanalyse stellt rechtliche Probleme immer im prozessualen Zusammenhang und Regeln immer als Ergebnis eines Rechtsstreits dar.

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hieß. Der Triumph der Fallrechts-Methode bedeutete nämlich, daß die empirischinduktive Seite der Rechtswissenschaft ganz in den Vordergrund rückte, während für die andere, systematische Dimension der Jurisprudenz, die durch Vorlesungen vermittelt werden mußte, in der Ausbildung kein Platz mehr war. Damit wurde ein ursprünglich als wesentlich angesehener Zweck des akademischen Rechtsstudiums, nämlich das Begreifen des Common L a w i m geordneten Gesamtzusammenhang, von vornherein vereitelt 8 1 8 . I m übrigen bedeutete die Case Method für die amerikanischen Professoren ein selbstverschuldetes Dilemma: Sie fanden sich gezwungen, Einzelfälle zu unterrichten aber systematische Lehrbücher zu verfassen. So dienten sie i m Unterricht der Praxis, als Autoren der ordnenden Wissenschaft. d) Die starke Ausrichtung des amerikanischen Rechtsstudiums auf die Berufswirklichkeit zeigte sich auch in der Konzentration auf die praxisrelevanten Gebiete. Die Rechtsfakultäten verstanden sich überwiegend als Graduate oder Professional Schools ohne umfassenden Bildungsanspruch; akademische Allgemeinbildung war den Colleges überlassen, während das Rechtsstudium als Alternative dazu oder i m Anschluß daran, dem Erlernen des anwaltlichen Berufs diente. So fand sich an den Law Schools bei allem Respekt vor der deutschen Ausbildung nicht deren breites, auf umfassendes Rechts Verständnis zielendes Lehrangebot mit Veranstaltungen über Gebiete wie Rechtsphilosophie oder Staatslehre. Ganz abgesehen davon, daß den meisten Law Schools dazu die Ressourcen fehlten, befürworteten die Väter des richtungsweisenden Harvard-Systems die Konzentration auf die Kernfächer des Common L a w 8 1 9 . Noch 1914 mußte deshalb Redlich einen Mangel an Veranstaltungen über historische, philosophische oder soziologische Aspekte des Rechts festellen 8 2 0 . Die Vernachlässigung solcher Gesichtspunkte bedeutete, daß die Law Schools den Unterricht auch an der Universität ganz überwiegend in den Dienst einer engverstandenen Berufsausbildung stellten. So vermittelten sie zwar dem künftigen A n w a l t die Kenntnis des Common Law als Fallrecht, sonst aber auch fast

818 Das mußte auf lange Sicht natürlich weitreichende Konsequenzen für das amerikanische Rechtsverständnis haben; vgl. dazu unten Schluß Anm. 18 und Text. 8 19 Das zeigte sich deutlich bei der Auseinandersetzung um die Ausrichtung der neugegründeten Law School der University of Chicago im Jahre 1900. Auf Anregung Ernst Freunds, dem das deutsche Modell vor Augen stand, sollte die neue Fakultät ein umfassendes, wissenschaftliches Studium des Rechts ermöglichen und deshalb auch Veranstaltungen über Rechtstheorie, Rechtsgeschichte, Völkerrecht oder Rechtsvergleichung anbieten und für interdisziplinäre Zusammenarbeit offensein. Der Dean der Harvard Law School, Langdells Nachfolger James Barr Ames, machte aus seiner Abneigung gegen diesen Plan kein Hehl und stellte fest, daß man in Harvard einstimmig gegen derartige Experimente und für eine Beschränkung auf das reine Common Law sei. Joseph Beale, der als Dean nach Chicago berufen wurde, war gleichermaßen entsetzt, nahm den Ruf aber an; Stevens, Law School 39 f.; Kr aines, The World and Ideas of Ernst Freund 2 f. 820 Redlich, The Common Law and the Case Method 45 ff.

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nichts. A l l e n Bekräftigungen, das Recht sei eine Wissenschaft, zum Trotz, konnten sich die Amerikaner doch noch nicht zu einer Juristenausbildung wirklich akademischen Charakters durchringen und blieben die Anforderungen der Praxis entscheidend 8 2 1 . Betrachtet man also Methode und Spektrum des amerikanischen Rechtsunterrichts, so w i r d deutlich, wie weit das Jurastudium i n den U S A der einheimischen Praxis verpflichtet und damit v o m deutschen Modell entfernt war. Während die deutsche Universität die Jurisprudenz als wissenschaftliches System lehrte, die geisteswissenschaftlichen Aspekte berücksichtigte und auf juristisches Allgemeinwissen Wert legte, beruhte das amerikanische Studium auf der Betrachtung von Fällen, wobei ein Gesamtüberblick fehlte und meist nur die Kernfächer des Common Law behandelt wurden. Zwar war auf beiden Seiten des Atlantik von wissenschaftlichem Studium die Rede, doch bedeutete das in Harvard Konzentration auf Cases zum Zweck der Ausbildung von Praktikern, in Berlin Systemverständnis und allgemeine Rechtskunde mit dem Ziel der Bildung gelehrter Juristen. Trotz des Trends zum Rechtsstudium und trotz der Bildung einer Professorenklasse verhinderte so das Beharrungsvermögen der praktischen Tradition des Common Law bis auf weiteres, daß die anglo-amerikanischen Juristen ganz zu Akademikern europäischen Zuschnitts wurden. Sie waren allerdings auch nicht mehr die reinen Praktiker, die sie seit Jahrhunderten gewesen waren. Vielmehr hatten sie begonnen, sich der akademisch geprägten, kontinentaleuropäischen Rechtskultur anzunähern. Wenn sich universitäres Studium und juristische Fakultäten heute auch in der Welt des Common Law von selbst verstehen, so geht dies also auf die Classical Era und damit auch auf den Einfluß der deutschen Rechtswissenschaft zurück.

II. Kompetenz: Wissenschaftler gegen Gesetzgeber Das 19. Jahrhundert bescherte der anglo-amerikanischen Welt nicht nur das Berufsbild des studierten und wissenschaftlich gebildeten Common Lawyers, sondern auch den modernen und umfassend aktiven Gesetzgeber. Insbesondere nach dem amerikanischen Bürgerkrieg nahm die Zahl der verabschiedeten Gesetze sowohl in England als auch in den U S A rapide zu, um schließlich zu einer wahren Flut anzuschwellen. Nach Jahrhunderten, in denen das Common Law

821 Mitunter versuchte man auch, zwischen Recht als Wissenschaft, das in eine Universität gehörte, und Recht als Beruf (oft „art" genannt), der sich am besten praktisch lernen ließ, zu unterscheiden; typisch und ausführlich Robinson, A Study on Legal Education: Its Purposes and Methods. Übrigens hat sich der Charakter des Jurastudiums jedenfalls an den führenden amerikanischen Law Schools in den letzten Jahrzehnten so grundlegend gewandelt, daß heutzutage ein Mangel an praktischer Ausrichtung und ein Übermaß an Theorie herrscht.

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als Fallrecht i m wesentlichen der Rechtsprechung, d. h. den Richtern in Zusammenarbeit mit der Anwaltschaft, überlassen gewesen war, wurde nun auf dem Weg zum modernen Verwaltungs- und Sozialstaat die Legislative allmählich zu einer gleichwertigen Rechtsquelle. Dadurch erwuchs den Common Lawyers zum ersten M a l seit ihren Auseinandersetzungen mit der englischen Krone i m 17. Jahrhundert ernsthafte Konkurrenz in ihrem angestammten Machtbereich. Diese Entwicklung mußte bei der Juristenzunft großes Unbehagen hervorrufen. Das galt um so mehr, als sie in eine Zeit fiel, in der die Common Lawyers ihre Disziplin mehr und mehr als Wissenschaft begriffen. Wenn sie nun immer stärker betonten, das Recht sei eine Science und deshalb den Legal Scientists , d. h. den Juristen als speziell qualifizierten Experten anvertraut, so machten sie damit also auch ihre Kompetenz als Wissenschaftler gegenüber dem Gesetzgeber geltend. W i e schon Paul Koschaker geahnt h a t 8 2 2 , fanden die anglo-amerikanischen Juristen in ihrer Abwehrhaltung gegenüber gesetzgeberischen Eingriffen nützliche Bundesgenossen in der historischen Schule und vor allem in Savigny. Hier lag eine Quelle gewichtiger Argumente für eine Pflege des Rechts als Wissenschaft und gegen umfassendes legislatives Handeln. Diese Verbindung zwischen anglo-amerikanischer Gesetzesfeindlichkeit und historischer Schule ist unter zwei Gesichtspunkten interessant. Z u m einen läßt sich beobachten, wie die Common Lawyers Savignys Rechtslehre für ihre Zwecke nützlich machten. Z u m anderen geht es aber auch um die Verwandtschaft zwischen den dahinterstehenden Geisteshaltungen und Interessen, vor allem um den Glauben an den Primat der Wissenschaft in der Rechtskultur. Die größte Bedrohung für die herkömmliche Struktur des Common Law lag in den Kodifikationsbestrebungen, die auch in der anglo-amerikanischen Welt immer wieder aufkamen. In der Classical Era erlebte der Streit u m die Kodifizierung des Rechts seinen Höhepunkt in der Auseinandersetzung um das Zivilgesetzbuch für New York. Hier erwies sich, wie vertraut man in den U S A mit der Debatte zwischen Thibaut und Savigny war, und wie nützlich Savignys Argumente nach wie vor sein konnten (sogleich 1.). Common L a w und moderne Gesetzgebung gerieten aber vor allem durch die Vielzahl der Einzelgesetze in Konflikt. Die traditionell ablehnende Haltung der Common Lawyers gegenüber legislativen Eingriffen, die schon Blackstone deutlich gemacht hatte, ließ sich mit den Argumenten Savignys modernisieren und wissenschaftlich respektabel machen. Die Berufung auf deutsches Rechtsdenken war in diesem Zusammenhang allerdings ein zweischneidiges Schwert, denn auch die Befürworter gesetzlicher Reformen sahen in Deutschland ein V o r b i l d (unten 2.). «22 Koschaker, Die Krise des römischen Rechts und die romanistische Rechtswissenschaft 28 (Anm. 1).

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Jedoch herrschte unter den anglo-amerikanischen Rechtsdenkern weitgehend Einigkeit, daß die Führungsrolle bei der Entwicklung des Rechts, sei es durch die Gerichte oder den Gesetzgeber, den Juristen zufallen müsse. Das entsprach i m wesentlichen Savignys Vorstellung, daß das V o l k von den gelehrten Juristen repräsentiert werde. W i e bei Savigny so verbargen sich auch bei den Common Lawyers hinter diesem Anspruch konkrete Interessen. Außerdem drückte sich darin ein tiefes Mißtrauen gegenüber der Kompetenz des Gesetzgebers aus (3.). 1. Der Streit um die Kodifizierung

des Rechts

„The literature of the Germans upon the subject o f codification is very full", stellte der New Yorker A n w a l t Robert L u d l o w Fowler i m Jahre 1884 fest. „The well-known dispute, which arose between Savigny on the one side and Thibaut, Gans, Puchta, Rudorf and Thaden on the other, when it was proposed to codify the entire common law o f Germany, has afforded to English and American opponents some o f their best material." 8 2 3 Fowler hatte Recht. Die Kodifizierung des Common Law war i m 19. Jahrhundert immer wieder ein Streitpunkt 8 2 4 , und in den Auseinandersetzungen machten sich vor allem ihre Gegner gern Savignys Argumente bzw. die Lehren der historischen Schule überhaupt zu eigen. a) In England flammte der Kodifikationsstreit vor allem zu Beginn des Jahrhunderts auf, nachdem Bentham die Verfassung eines Gesetzbuches zu einem Kernpunkt seiner Pläne utilitaristisch motivierter Gesellschaftsreform gemacht und zu einem rechtsstaatlichen Postulat erklärt hatte 8 2 5 . Insbesondere James Humphreys' Projekt einer Kodifizierung des Law of Property gab seit 1826 Anlaß zu umfangreichen Auseinandersetzungen 8 2 6 . I m selben Jahr stellte John Reddie die Argumente Thibauts und Savignys der englischen Leserschaft in Grundzügen v o r 8 2 7 . Kurz darauf trat J. J. Park, später Rechtsprofessor in London, m i t an Savigny erinnernden Einwänden Humphreys' Projekt in einer ausführlichen Streitschrift entgegen. Park wies seine englischen Leser auf die in Deutschland geführte Diskussion hin. „It is in Germany that this subject has become fully and philosophically understood; it is to Germany, where Codification has been handled as a matter of grave civil science, rather than to France, where it has been the progeny of revolution, that attention should be directed for its practical indications. It is in the writings of Hugo and Savigny, Thibaut and Feuerbach, that profound acquaintance with the arguments on each side must be sought." 828 823 Fowler , Codification in the State of New York 35. 824 Ausführlich Lang, Codification in the British Empire and America. 825 Zur englischen Diskussion eingehend Teubner, Kodifikation und Rechtsreform in England. 826 Rudden, A Code Too Soon: The 1826 Property Code of James Humphreys. 827 Reddie, Historical Notices of the Roman Law and of the Recent Progress of Its Study in Germany 98 f.

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U m so mehr bedauerte Park, der deutschen Sprache nicht mächtig zu sein und deshalb keinen direkten Zugang zu den Schriften dieser Gelehrten zu haben 8 2 9 . Das änderte sich als Abraham Hay ward 1831 Savignys Streitschrift übersetzte 8 3 0 . Hayward, ein heute weitgehend vergessener, seinerzeit aber sehr einflußreicher Jurist, trug mit dieser Übersetzung entscheidend zur Verbreitung der Argumente Savignys zunächst in England, später auch in den U S A bei. So kamen Befürworter von Gesetzbüchern schon damals an einer Auseinandersetzung m i t Savignys Ideen kaum vorbei. Das galt auch für John Austin, der in der Tradition Benthams für die Kodifikation des Common Law eintrat. „Great respect is due to the opinions of Herr von Savigny, which no man feels more strongly than m y s e l f , gestand er ein, wies aber nach eingehender Untersuchung der einzelnen Argumente Savignys Haltung als „gelehrter prejudice in favour of Roman law, and of national antipathy" z u r ü c k 8 3 1 . In ähnlicher Weise bemühte sich W i l l i a m Empson in seinem Beitrag über Legislation in der Encyclopedia Britannica von 1842, Savignys Ansichten in ihrer Bedeutung auf Deutschland zu beschränken und ihnen Allgemeingültigkeit abzusprechen 832 . A l s nach Teilerfolgen in Indien die Kodifikationsfrage in England in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederaufkam 8 3 3 , wurden auch Savignys Ideen wiederbelebt. Sheldon Amos gab Savignys Einwände zu bedenken, „not by way of deterring from that work but by way of ascertaining the precise difficulties attending i t . " 8 3 4 Volksgeistlehre, Gewohnheitscharakter und organische Entwicklung des Rechts wurden diskutiert und verdichteten sich für Arnos zu solch starken Bedenken gegen die Kodifizierung des Rechts, „that nothing but urgent Practical Convenience, w i t h all its losses in point of Theory and Principle, can suffice to controvert t h e m . " 8 3 5 b) A u c h in den Vereinigten Staaten fand die Auseinandersetzung zwischen Thibaut und Savigny schon früh Beachtung. Die Kodifikationsbestrebungen i m Amerika des frühen 19. Jahrhunderts beruhten weniger auf Benthams Ideen als auf dem Einfluß des französischen Rechts, das in jener, England vielfach noch

828 Park, A Contre-Project to the Humphreysian Code XVI. 829 id. XVI, 87 (Anm.), 170. Allerdings zitierte Park mit Hilfe eines Freundes aus Eichhorns Deutscher Staats- und Rechtsgeschichte, um seine Argumentation gegen übereifrige Reformgesetzgebung zu untermauern, id. 198. 830 Siehe oben Übermittlung Anm. 16 und Text. 831 Austin, Lectures on Jurisprudence I I I 294; eingehend Austins Notes on Codification id. 275 ff.; dazu Sarah Austins Beschreibung des Streits zwischen Thibaut und Savigny id. 296 ff. 832 Dazu Stein, Legal Evolution 74 f. 833 Baker, An Introduction to English Legal History 190 f. 834 Amos, An English Code 57 f. 835 Amos, The Science of Jurisprudence 472. Amos gab auch mit Savigny das Problem der sprachlich genauen Abfassung zu bedenken, id. 473 f. Er wiederholte diese Argumente im wesentlichen zwei Jahre später, Arnos, The Science of Law 384 ff. 14 Reimann

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Zweiter Teil: Blütezeit

feindlich gesonnenen Zeit hoch i m Kurs stand 8 3 6 . Der Code c i v i l galt als vorbildlich, und viele amerikanische Juristen wie W i l l i a m Sampson, Henry Sedgwick, Thomas S. Grimké und Timothy Walker sprachen sich in den 1820er und 1830er Jahren für die Abfassung von Gesetzbüchern aus, die indessen nur in Louisiana Wirklichkeit w u r d e 8 3 7 . I n diesem Zusammenhang diskutierte man auch die deutsche Auseinandersetzung 8 3 8 . So tauchten Savignys Ideen etwa in Josephy Storys Bericht für Massachussetts über die Frage der Ratsamkeit eines Gesetzbuches auf 839. c) Seit der Jahrhundertmitte erlebte die Kodifikationsbewegung in den U S A dann eine Renaissance und ihre größten Erfolge. Sie wurde angeführt von einem Mann, dessen Name geradezu gleichbedeutend m i t der Kodifikationsidee wurde: Dem New Yorker Rechtsanwalt David Dudley Field, einem charakterlich schwierigen und umstrittenen, aber energischen und einflußreichen Juristen 8 4 0 . Nachdem eine Ergänzung der Verfassung von New York 1846 die Kodifizierung des gesamten Rechts dieses Staates in Auftrag gegeben hatte, wurde Field 1847 zum Vorsitzenden der dreiköpfigen Kommission ernannt, die das Projekt durchführen sollte, deren Arbeit Field aber fast allein erledigte. Geplant waren Gesetzbücher zum Privat-, Straf- und öffentlichen Recht sowie zum Z i v i l - und zum Strafprozeß. A m erfolgreichsten war der binnen kurzem fertiggestellte Code of Civil Procedure der die Common Law Forms of Action sowie die Trennung zwischen Law und Equity zugunsten einer einheitlichen Klageart abschaffte, dadurch radikal mit der Vergangenheit brach und das moderne amerikanische Zivilprozeßrecht begründete. Er war vergleichsweise wenig umstritten, wurde schon 1848-49 verabschiedet und ist als Field Code in die amerikanische Rechtsgeschichte eingegangen841. A m meisten umkämpft — und für Field persönlich am wichtigsten — war das Zivilgesetzbuch, das Field 1865 als Civil Code of the State of New York der 836 Aumann, The Influence of English and Civil Law Principles upon the American Legal System During the Critical Post-revolutionary Period 304 f. 837 Vgl. Bloomfield, American Lawyers in a Changing Society 75 ff.; Chroust, The Rise of the Legal Profession in America I I 51 ff. 838 Vgl. Anon., Written and Unwritten Systems of Law (1831); Anon., The German Historical School of Jurisprudence 50 ff.; vgl. auch Anon., Written and Unwritten Systems of Law (1833) sowie Schmidt, Besprechung von Savigny, Traité de la possession 61 ff. 839 Story et al., Report to the Governor of Massachusetts (on Codification) 46 f. Story nannte Savigny zwar nicht namentlich, sondern sprach nur von den „distinguished jurists of continental Europe", jedoch ist die Herkunft seiner Argumente unverkennbar. 840 Zu Field vgl. van Ee, David Dudley Field and the Reconstruction of the Law; Bergan et al., David Dudley Field: A Lawyers Life; Fiero, David Dudley Field and His Work; Hoy, Field. 841 Zum Field Code allgemein Friedman, A History of American Law 391 ff. Insbesondere zum europäischen Einfluß darauf jüngst Clark, The Civil Law Influence on David Dudley Field's Code of Civil Procedure. Der Code of Criminal Procedure wurde erst 1881 verabschiedet. Ein Jahr später trat auch der Penal Code in Kraft. Die Kompilation zum öffentlichen Recht, der sog. Political Code wurde nie Gesetz. Zum Werdegang des Civil Code sogleich.

C. Die historische Schule als Kultur

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Legislative vorlegte 8 4 2 . Der Code entsprach in Aufbau und Stil ganz den klassischen Zivilgesetzbüchern, beinhaltete aber das materielle Privatrecht des Staates New York. Indem er also das althergebrachte Common L a w in europäischem Stil präsentierte, war er inhaltlich konservativ aber formal revolutionär. Nachdem der Entwurf für mehr als ein Jahrzehnt wenig Beachtung gefunden hatte, entbrannte in den 1880er Jahren ein heftiger Streit um seine Annahme. Field entgegen trat James Coolidge Carter, seinerzeit Präsident der New York City Bar Association und einer der mächtigsten Männer in der amerikanischen Anwaltschaft 8 4 3 . Carter hatte in Field auch einen beruflichen und persönlichen Gegner und war entschlossen, dessen Gesetzbuch zu Fall zu bringen. Beide veröffentlichten Streitschriften 8 4 4 , und andere schlossen sich der Auseinandersetzung a n 8 4 5 , die sich über Jahre hinzog. Mehrfach stand der Civil Code kurz vor dem Erfolg, aber immer wieder wendete sich das Blatt in letzter Minute, nicht zuletzt aufgrund des Widerstands Carters und der durch ihn angeführten Anwaltschaft 8 4 6 . Das Zivilgesetzbuch scheiterte schließlich i m Staate New York, wurde allerdings von einigen anderen amerikanischen Staaten angenommen 8 4 7 . d) Der Kodifikationsstreit in New York war dem siebzig Jahre zuvor in Deutschland geführten nicht nur überhaupt ä h n l i c h 8 4 8 , sondern auch innerlich verbunden. Das galt weniger für Field, der zwar von Thibauts Vorschlag sowie der Auseinandersetzung darum wußte und sich mitunter auf sie berief 8 4 9 , dessen Überzeugungen aber weniger deutschen als französischen und amerikanischen 842 Civil Code of the State of New York, Reported Complete by the Commissioners of the Code. Den Streit um das Zivilgesetzbuch für New York und insbesondere den Stellenwert der Ideen Savignys darin habe ich bereits in einem früheren Aufsatz ausführlicher beschrieben, Reimann, The Historical School Against Codification: Savigny, Carter, and the Defeat of the New York Civil Code. 843 Zu Carter Miller , James Coolidge Carter. 844 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law; ders., The Provinces of the Written and the Unwritten Law; Field, Answer to the Report of the New York City Bar Association Against the Civil Code; ders., Codification — Mr. Field's Answer to Mr. Carter. 845 Bonney, Codification; Fowler, Codification in the State of New York; Smith, Statute Law and Common Law. 846 Das Gesetzbuch wurde mehrfach von der einen oder der anderen Kammer der New Yorker Legislative verabschiedet. Zweimal nahmen es sogar beide Kammern an, aber jedesmal legte der Gouverneur des Staates sein Veto ein; vgl. Lang, Codification in the British Empire and America 144 ff.; Reppy, The Field Codification Project 46 f. 847 Vor allem nahm Kalifornien ihn 1872 an; hinzu kamen Idaho, Montana sowie Nord und Süd-Dakota, vgl. Lang, Codification in the British Empire and America 152 ff.; Friedman, A History of American Law 405 f. 848 Das gilt auch insofern, als in beiden Fällen die jeweiligen Hauptfiguren zu Symbolen der von ihnen vertretenen Richtungen wurden. Allerdings verbleiben auch wichtige Unterschiede zwischen den beiden Auseinandersetzungen. In Deutschland ging es nur um die Idee, in New York um einen schon fertig ausgearbeiteten Entwurf. Thibauts Vorschlag stand in der Tradition des Civil Law, Fields Code war derjenigen des Common Law genau entgegengesetzt, was seine Annahme erschweren mußte. 84 9 Dazu unten Anm. 863 und Text.

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Ursprungs w a r e n 8 5 0 . Es galt aber um so mehr für Carter, denn dieser war nicht allein der führende und letztlich erfolgreiche Gegner Fields, sondern zudem, wie bereits erwähnt, Savignys treuester amerikanischer Schüler 8 5 1 . Das zeigte sich i m New Yorker Kodifikationsstreit deutlich, denn Carters Argumente waren denjenigen Savignys in vielerlei Hinsicht ähnlich und mitunter direkt von diesen abgeleitet. Carters Streitschrift On the Codification of Our Common Law wurde insofern zu recht und schon seinerzeit mit Savignys Beruf verglichen 8 5 2 . Abgesehen von Carters K r i t i k an Fields konkretem E n t w u r f 8 5 3 , versuchte er, wie Savigny, den Plan der Kodifikation zunächst dadurch zu diskreditieren, daß er mehrere, bereits bestehende Gesetzbücher als mangelhaft darstellte 8 5 4 . Doch gingen seine Einwände über die Praxis hinaus; wie Savignys Widerstand betrafen sie die Idee der Kodifikation selbst. Dabei sind Carters Argumente i m einzelnen mitunter verworren und in ihrem Zusammenhang nicht unbedingt schlüssig. Soweit sie sich speziell gegen ein Gesetzbuch richten, beruhen sie jedoch vor allem auf der Prämisse, daß ein solches dem Wesen des Rechts widerspreche 8 5 5 . Carter verband zwei Grundgedanken des Berufs — die Volksgeistidee und das Wachstum des Rechts — mit dem seinen Zeitgenossen vertrauten Prozeß richterlicher Rechtsfindung. The arrest of the self-development of private law — its true method of growth. — This is . . . perhaps the gravest mischief with which codification is pregnant. It cannot too often be repeated that the practical business of administering private law consists in the application by the courts of the national standard of justice to the business and dealings of men. This national standard of justice is something which cannot be set down in any form of words. It is the product of the combined operation of the thought, the morality, the intellectual and moral culture of the time. Under our present unwritten system of law it is ascertained and made effective by

850 Dazu ausführlich Clark , The Civil Law Influence on David Dudley Field's Code of Civil Procedure. 851 Vgl. oben A.I.I. Dazu auch Pound, David Dudley Field 5. 852 Hoy, David Dudley Field 163. Der Vergleich ist allerdings nur bezüglich der Funktion, des Ziels und der Hauptargumente dieser Streitschriften berechtigt; indessen erreichte Carters Aufsatz nicht annähernd die geistige Tiefe und Breite der Ausführungen Savignys. Außerdem hatte Carters Schrift, mag man sie auch als Manifest einer amerikanischen Version der Historical School ansehen, nicht die schulbildende Wirkung des Berufs. 853 Carter warf Field vor, der Code sei schlecht strukturiert und formuliert und gebe das bestehene Recht nicht zutreffend wieder, Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 93 ff. 854 Carter behandelte das Corpus Iuris sowie die Gesetzbücher Preußens, Frankreichs, Louisianas und Kaliforniens, Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 43 ff. 855 Darüberhinaus widersprach Carter der Kodifizierung des Rechts auch, weil er im Privatrecht jegliche Gesetzgebung grundsätzlich, wenn auch nicht ausnahmslos, ablehnte, da sie mit dem wissenschaftlichen Charakter der Jurisprudenz unvereinbar sei. Auch hier bestanden Parallelen zu Savignys Denken. Dazu unten 2.

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the judges, who know it and feel it because they are part of the community . . . This national standard or ideal of justice grows and develops with the moral and intellectual growth of the community, and through the operation of judicial decision is transferred to the province of the l a w . 8 5 6 Carter machte sich hier die Grundzüge der Rechtsentstehungslehre Savignys zu e i g e n 8 5 7 , ging aber in der Konsequenz noch über diesen hinaus. Hatte Savigny genau genommen nur seinem Zeitalter den Beruf zur Kodifikation abgesprochen, ihre Ratsamkeit in der Zukunft aber doch offengelassen 858 , so schloß Carter sie kategorisch und für alle Zeiten aus. Indem er damit die logische Konsequenz aus Savignys Rechtsbegriff zog, legte er dessen grundlegende Unvereinbarkeit mit der Kodifikationsidee viel deutlicher dar als Savigny selbst. Savigny hatte es — bewußt oder unbewußt — dem Leser überlassen, diese Schlüsse zu ziehen; Carter sprach sie offen aus. Carter war mit diesen Ansichten nicht allein. Die seinerzeit weitverbreitete Auffassung vom Recht als Verkörperung einer sich stetig entwickelnden Gesamtkultur und als Produkt ständigen Wachstums machte für viele Zeitgenossen die Kodifikation des Common Law unsinnig und gefährlich 8 5 9 . Diese allgemeine Auffassung ging wiederum mit auf Savignys Einfluß z u r ü c k 8 6 0 . So wirkte sein Denken gemeinsam mit den Ideen Maines, Darwins und anderer auf breiter Basis den Kodifikationsbestrebungen jener Zeit entgegen. 8 6 1 e) Es regte sich allerdings auch Widerspruch gegen das Zurückgreifen auf Savignys Argumente. Fowler verwarf sie mit dem Hinweis, sie seien „by reason of his transcendental conception of law . . . better fitted to a system of planetary jurisprudence than to that of this sphere" 8 6 2 . I m übrigen habe Savigny sich schließlich auch in Deutschland auf lange Sicht nicht durchgesetzt. Das entsprach

856 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 86 f.; die Anmerkung zu dieser Stelle zitiert in großer Länge den schottischen Juristen J. A. Dixon, der sich wiederum ausdrücklich auf Savignys Streitschrift berief, id. 87 f. Anm. 857 Allerdings wollte Savigny die Fortentwicklung des Rechts den gelehrten Juristen, d. h. vor allem den Rechtslehrern überlassen, während für den Common Lawyer Carter natürlich die Richter im Vordergrund standen, dazu unten 3. Anm. 891-894 und Text. 858 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 25 f., 45 ff., 134. Wie ernst es Savigny damit war, ist umstritten, vgl. dazu Stern, Thibaut und Savigny 19 ff. 859 Vgl. ρomeroy, An Introduction to Municipal Law 209 ff. (§§ 349 ff.); Bonney, Codification 22 (differenzierend); Clarke, The Science of Law and Lawmaking 334; Lindsay, The Need for a Science of Law 725; ganz in diesem Sinne selbst Fields Biograph, vgl. Hoy, David Dudley Field 168 f. 860 Dazu ausführlich oben A. 861 Skeptisch gegenüber der Kodifizierung des Common Law äußerte sich unter Berufung auf Savigny auch Smith, Statute Law and Common Law 134. 862 Fowler, Codification in the State of New York 36. Fowler unternahm auch den — wenig überzeugenden — Versuch, Savigny deshalb als Stimme für Gesetzbücher zu nennen, weil dieser schließlich immer wieder die Bedeutung des Corpus Iuris, also eines Gesetzbuches betont habe, id. 30.

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Zweiter Teil: Blütezeit

ganz Fields Ansicht: „The battle was fought and w o n more than fifty when Savigny fought against codification, but he and his followers were . . . It is too late to cry out against codification of the common l a w " . 8 6 3 verwies Field auf das Lob, das ihm sein Projekt gerade von deutschen wie Holtzendorff und Goldschmidt eingebracht hatte. 8 6 4

years ago overcome I m übrigen Gelehrten

I n der Tat konnte man sich auf Deutschland, sah man von Savigny einmal ab, eher zugunsten der Kodifikationsidee berufen als gegen sie. Ganz in diesem Sinne verwies Fowler auf das preußische Allgemeine Landrecht, das österreichische A B G B , das sächsische B G B von 1865 und die Geltung des Code c i v i l in Baden und den Rheinprovinzen. 8 6 5 V o r allem entging den Zeitgenossen nicht, daß in Deutschland inzwischen längst die Würfel für ein Zivilgesetzbuch gefallen waren. Während man sich in New York noch um Sinn und Unsinn der Kodifikation stritt, setzte man sie in Berlin bereits in die Tat u m . 8 6 6 f) Damit versuchten i m New Yorker Kodifikationsstreit beide Seiten, das deutsche Rechtsdenken für ihre Sache nützlich zu machen. Ausschlaggebend war letztendlich aber wohl das Desinteresse der Anwaltschaft an der Kodifikat i o n 8 6 7 bzw. die überwiegend ablehnende Haltung derjenigen Praktiker, die wirklich an der Frage Anteil nahmen, und die in Carter einen wortgewaltigen Vertreter hatten. M i t dem Scheitern des New York C i v i l Code endete der letzte große Versuch, das Privatrecht des Common L a w umfassend zu kodifizieren. Weder in der Mehrheit der amerikanischen Staaten noch in England kam es zur Verabschiedung eines Zivilgesetzbuches. Insoweit beharrten die Common Lawyers, zum Teil unter dem Eindruck der Ideen Savignys, auf ihrer Tradition des Unwritten Law, d. h. des diffuseren und auf ständige Fortentwicklung angelegten Fallrechts. Doch blieb auch das Privatrecht deshalb längst nicht von der Gesetzgebung verschont. Einzelne Gebiete wurden sowohl in England wie in den U S A in Gesetze gefaßt, die sich als Teilkodifikationen bezeichnen lassen und größtenteils das bestehende Recht wiedergaben 8 6 8 . Darüber hinaus fehlte es aber auch nicht 863 Field, Codification — Mr. Field's Answer to Mr. Carter 264. 864 Field, Legal Reform in the United States and Abroad 18 f. 865 Fowler, Codification in the State of New York 36. 866 Field, Answer to the Report of the New York Bar Association Against the Civil Code 22 f.; ders., Codification — Mr. Field's Answer to Mr. Carter 262; Fowler , Codification in the State of New York 36 f.; vgl. auch Freund, The Proposed German Civil Code; ders., The New German Civil Code. Zur anglo-amerikanischen Reaktion auf das BGB oben B.II.3. Anm. 579 f. und Text. 867 Vgl. van Ee, David Dudley Field and The Reconstruction of the Law 332 f. 868 in England sind vor allem der Bills of Exchange Act (1882), der Partnership Act (1890) und der Sale of Goods Act (1893) zu nennen; dazu Stein, Continental Influences on English Legal Thought 1124; Baker, An Introduction to English Legal History 190. In den Vereinigten Staaten kam es zur Kodifizierung des Konkursrechts im Bankruptcy Act (1898) und zur Abfassung eines bald weithin angenommenen Modellgesetzes zum

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an legislativen Eingriffen i n das Privatrecht, durch die das Common Law mitunter entscheidend abgeändert wurde. Vielen anglo-amerikanischen Juristen war diese Einzelgesetzgebung nicht weniger zuwider als eine Kodifikation.

2. Common Law und moderne

Gesetzgebung

Der Gesetzgebung skeptisch gegenüberzustehen, gehörte zur Tradition des Common Law. Die anglo-amerikanischen Juristen sahen Gesetze grundsätzlich als ungehörige Einmischung, und schon Blackstone beklagte den durch sie angerichteten Schaden: „The common law of England has fared like other venerable edifices of antiquity, which rash and unexperienced workmen have ventured to new-dress and refine, w i t h all the rage of modern improvement." 8 6 9 Anderthalb Jahrhunderte später, in der Classical Era , hatten die anglo-amerikanischen Juristen erst recht Grund zur Klage. „ A mass of legislation is constantly pouring from Congress and our State Legislatures on every conceivable subject", stellte Edward Lindsay fest, um sogleich zu fragen: „ B u t is everything that passes under the name of law nowadays respectable?" 8 7 0 I n ihrem Lamentieren konnten die Common Lawyers von kontinental-europäischer Seite an sich wenig Unterstützung erwarten, war die dortige Rechtskultur doch gerade von Justinians M a x i m e geprägt „ n o n exemplis, sed legibus iudicandum e s t " 8 7 1 . Doch war in Deutschland die historische Schule nicht nur der Kodifikationsidee, sondern der Vorherrschaft der Gesetzgebung überhaupt entgegengetreten. V o n daher mußten Savigny und seine Nachfolger den anglo-amerikanischen Juristen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts als natürliche Verbündete erscheinen. I n der Tat ließen sich Savignys Lehren gut gegen moderne Gesetzgebung verwenden. Allerdings muß man sich auch hier bei der Betrachtung der Beziehungen zwischen historischer Schule und Classical Legal Science vor Pauschalierungen hüten und differenziert vorgehen. Zunächst einmal lehnten weder Savigny noch die Common Lawyers alle Gesetzgebung kategorisch ab. Vielmehr beschränkten sich die Einwände hier wie dort i m wesentlichen auf das materielle Privatrecht 8 7 2 . Selbst auf diesem Gebiet sollte Gesetzgebung dort zulässig sein, wo es um die Beseitigung von Unsicherheiten oder auch in besonderen Fällen zur Rechtsfortbildung notwendig

Kaufrecht, des Uniform Sales Acts (1906); vgl. hierzu Burdick, A Revival of Codification; Friedman, A History of American Law 408. Ein halbes Jahrhundert später wurden weite Teile des amerikanischen Kauf-, Kreditsicherungs-, Wertpapier- und Bankrechts im Uniform Commercial Code zusammengefaßt. 869 Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction, On the Study of Law 10. 870 Lindsay, The Need for a Science of Law 731. 871 C.7.45.13. 872 Das hatte letztendlich politische Gründe, vgl. unten III. 1. u. 2.

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war; dabei folgten Carter und andere Savignys Auffassungen 8 7 3 . Beide Seiten verstanden diese Situationen aber als Ausnahmen, die nichts daran änderten, daß die Gesetzgebung kein regelmäßiges M i t t e l der Rechtsetzung werden dürfe 8 7 4 . W o die Legislative auf breiter Basis handelte, zogen die Common Lawyers deshalb oft mit Savignys Hilfe dagegen zu Felde. Allerdings schrieben sie nicht einfach seine Argumente ab; vielmehr half ihnen das von ihm übernommene Rechts Verständnis, ihre Einstellung theoretisch zu begründen und dadurch respektabler zu machen. I m einzelnen ist dabei nach der A r t der Gesetze zu unterscheiden. Diese konnten nämlich das bisherige Recht einerseits durch Festschreibung erhalten, d. h. kodifizieren, andererseits aber auch gerade abändern. Die Einwände fielen dabei jeweils unterschiedlich aus. a) Z u m T e i l wurden gegen jegliche Gesetzgebung überhaupt schwere Bedenken erhoben, d. h. selbst dann, wenn diese nur bestehendes Recht festschrieb. Unmittelbar konnten sich die Common Lawyers dabei nicht auf Savigny berufen, denn dieser hatte Gesetze, die nur das Volks- bzw. Gewohnheitsrecht („was durch wirkliche Übung entschieden ist") wiedergaben, keineswegs pauschal verurt e i l t 8 7 5 . Zog man aber aus seinem Rechtsbegriff strenge Konsequenzen, so ergab sich, wie schon bezüglich umfassender Kodifikation, der grundlegende Einwand, daß durch gesetzliche Festlegung der Wachstumsprozeß des Rechts behindert werde. Besorgt beobachtete etwa Savignys Bewunderer Pollock die moderne Tendenz „to leave no room for natural growth, and to choke out the life of principles under a weight of dead matter which posterity may think no better than a rubbish-heap" 8 7 6 . b) Wesentlich weiter, und weit über Savignys Denken hinaus, ging das vor allem von Carter vorgebrachte Argument, die Gesetzgebung auf dem Gebiete des Privatrechts sei an und für sich unwissenschaftlich. Bei oberflächlicher Betrachtung erinnerte das insofern an Savigny, als sich auch dieser gegen Gesetzgebung auf die Rechtswissenschaft berufen hatte; genaueres Zusehen zeigt jedoch, daß Carter und Savigny durchaus Verschiedenes meinten. Für den Autor des Berufs war eine hochentwickelte Wissenschaft Voraussetzung erfolgreicher Gesetzgebung, für den Gegner Fields jedoch machte der wissenschaftliche Charakter der Jurisprudenz legislative Regeln an und für sich unsinnig. Hier lohnt sich eine 873 Vgl. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 14, 16 f., 131 f.; ders., System des heutigen römischen Rechts I 40 ff. mit Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 18 f.; ders., Law, Its Origin, Growth and Function 233 ff., und Lindsay, The Need for a Science of Law 731. 874 Savigny wollte später zwar der Gesetzgebung eine neben dem Volksrecht gleichrangige Stellung einräumen, ging dabei aber davon aus, daß die Gesetze nur das bereits vorhandene Volksrecht wiedergaben, Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 39, 41; dazu sogleich. 875 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 132; ders., System des heutigen römischen Rechts I 39. 87 6 Pollock, The Vocation of the Common Law 19.

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genaue Betrachtung, denn sie zeigt den subtilen aber grundlegenden Unterschied zwischen dem Rechtswissenschaftsverständnis Savignys einerseits und der Amerikaner wie Carter andererseits. Einigkeit bestand noch i m Ziel der Jurisprudenz: Die Legal Science mußte die i m Recht bereits vorhandene innere Ordnung entdecken 8 7 7 . Doch verstand Savigny das noch idealistisch, d. h. i m Sinne einer Ordnung innewohnender Prinzipien, Carter jedoch schon streng empiristisch i m Sinne der zeitgenössischen Naturwissenschaften. „ L a w is consequently a S C I E N C E depending upon the observation of facts "; diese „facts" bestanden für Carter in dem konkreter Beobachtung zugänglichen, also sichtbaren menschlichen Handeln. „ . . . the procedure of making or declaring the law of private transactions, whether undertaken by judge, codifier, or jurist, consists simply in the examination, arrangement, and classification of human actions according to legal characteristics which they exhibit . . . The fact must always come before the law. Apart from known, existing facts, present to the mind of the judge, or the codifier, he cannot even ask, and still less answer, the question, what is the law? Hence . . . private law . . . is simply the arrangement and classification of facts . . . " 8 7 8 Bestand das Privatrecht also nur in der logischen Kategorisierung menschlicher Verhaltensweisen, so war damit allerdings jegliche Festlegung verbindlicher Rechtsregeln für die Zukunft verfehlt. I n der Tat zog Carter genau diese Konsequenz. One conclusion, therefore, is easily demonstrable; and that is that it is impossible to write down the law applicable to any future transaction, because it is impossible to know the law applicable to any future transaction. Our power to subject objects to a scientific classification being necessarily limited to those which are submitted to observation, the jurist, or the codifier, can no more classify future human transactions, and, consequently, can no more frame the law concerning them, than the naturalist can classify the fauna and flora of an unknown world. 8 7 9 Natürlich hätte Savigny derartige Ansichten nicht geteilt, und natürlich sind sie wissenschaftstheoretisch und methodologisch höchst fragwürdig. Trotzdem muß man sie ernst nehmen. Sie schienen Carters von den Naturwissenschaften faszinierten Zeitgenossen nämlich bei weitem nicht so absurd wie einem heutigen Beobachter 8 8 0 . Außerdem waren sie keineswegs ohne Bezug zu Savignys Denken. Sie beruhten letztendlich auf Savignys Prämisse, daß das Recht, entsprechend seinem Wesen als Gewohnheit, nicht für die Zukunft zu schaffen, sondern in der Vergangenheit 877

Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 43 f. Id. 28 f. 87 9 Id. 29; in diesem Sinne auch Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 73. Vgl. dazu Yntema, The Jurisprudence of Codification 258 ff. 880 Das zeigt sich schon darin, daß andere sie teilten, vgl. Clarke, The Science of Law and Law-Making 258 ff., 365 ff. 878

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zu finden sei. Gerade das machte j a die Jurisprudenz zu einer (historischen) Wissenschaft vom positiven Recht. Carter blieb dieser Prämisse durchaus treu, nur faßte er sie empiristisch auf und sah deshalb den Stoff des Rechts nicht mehr in Rechtssätzen, d. h. Ideen, sondern in feststellbaren Tatsachen, d. h. menschlichem Handeln. So beschränkte sich die Jurisprudenz für ihn w i r k l i c h auf die Beobachtung und Klassifizierung von Verhaltensweisen in der Vergangenheit und hatte mit allgemeinen Regeln für zukünftige Fälle nichts mehr zu tun. M a n kann Carter vorwerfen, Savignys Denken dadurch ad absurdum geführt zu haben. Dabei darf man aber nicht übersehen, daß der letztendlich rückwärtsgewandte und damit rein deskriptive Charakter seiner Jurisprudenz schon in Savignys Auffassung von Recht und Rechtswissenschaft angelegt war; er kam bei Carter durch Wendung ins Empiristische nur besonders deutlich zum Ausdruck. c) Die Hauptangriffe der Common Lawyers richteten sich jedoch gegen solche Gesetze, die auf eine Abänderung bestehenden Rechts abzielten 8 8 1 . Derartige Eingriffe stießen auf massive Ablehnung, die vielfach mit dem von Savigny übernommenen Rechtsverständnis begründet wurde. Sah man i m Recht nämlich i m wesentlichen Gewohnheit, die aus den kulturellen Eigenarten des Volkes hervorgegangen war, so war schon zu bezweifeln, ob legislative Abänderungen streng genommen überhaupt möglich waren: „Legislation . . . cannot make law. It can only influence conduct; but where it comes into conflict w i t h established custom based on social needs it cannot control it. Law i n any true sense o f the term must be the product of experience, o f actual l i f e . " 8 8 2 Recht i m eigentlichen Sinne waren solche Gesetze dann gar nicht; sie waren nur eine „production of dead letters, stillborn laws that never did and never could have become a l i v i n g rule of conduct. For the life of a rule is derived from its habitual and spontaneous observance by the mass of the p e o p l e " . 8 8 3 M i t dieser Denkweise ließ sich gegebenenfalls jegliche Reform durch Gesetzgebung diskreditieren. 8 8 4 Daß sie nicht w i r k l i c h Recht schaffen konnten, machte derartige Gesetze jedoch keineswegs harmlos, sondern nach Ansicht vieler Common Lawyers nur um so schädlicher. Sie entfalteten nämlich durchaus eine Wirkung, nur war diese rein nachteilig. A u c h mit dieser Einstellung waren sie Savigny verwandt. Schon Savigny hatte betont, ein schlechtes Gesetzbuch sei schlimmer als gar keines, weil es zu Verwirrung führe und von den eigentlich kostbaren Rechtsquellen ablenke 8 8 5 . N u n beklagten die anglo-amerikanischen Juristen, gesetzliche Änderungen zerstörten die innere Harmonie des Common L a w , stünden dem wahren,

»si Vgl. Burdick, A Revival of Codification 124 ff. 882 Lindsay, The Need for a Science of Law 727. 883 Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 5 f. Hierin klang nicht nur Savigny, sondern deutlich auch Jhering an. 884 Dazu unten III. 1. 885 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 22 ff., 50 f.

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als Gewohnheit i m großen und ganzen von alleine befolgten Recht i m Wege und erforderten gequälte Interpretationen zu seiner Wiederherstellung 8 8 6 . d) Es gab jedoch durchaus anglo-amerikanische Juristen, die die Gesetzgebung in ganz anderem Licht sahen. Sie erblickten darin mit Field ein Instrument der Rechtsverbesserung und des sozialen Fortschritts 8 8 7 . Auch dabei fiel der B l i c k immer wieder auf die Situation i n Deutschland. W i e schon in der Kodifikationsfrage, so konnte man nämlich auch bezüglich der Gesetzgebung allgemein nicht nur mit den Gedanken der historischen Schule gegen, sondern auch mit der jüngeren deutschen Rechtsentwicklung für legislative Reformen argumentieren. Denn gerade auf diesem Gebiet galten die deutschen Errungenschaften der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vielen anglo-amerikanischen Juristen als nachahmenswertes Vorbild. Da waren zunächst die legislativen Erfolge auf dem Gebiet der Rechtsvereinheitlichung. Spätestens seit dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch von 1861 war Deutschland auf dem Wege zur Rechtseinheit, den es nach 1871 konsequent fortsetzte. „ U p to 1866 Germany had less harmony in its laws than we had; now it has more than we have", bemerkte C. W . Ernst 1884 i m American Law Review, „and in a short time it w i l l have a system of courts, codes and jurisprudence which English and American lawyers may well look upon w i t h admiration." 8 8 8 Ernst führte den Amerikanern den Fortschritt der deutschen Gesetzgebung von der Wechselordnung bis zur ZPO vor Augen und pries insbesondere den preußischen Justizminister Leonhardt und Eduard Lasker als die Begründer eines „ w e l l appointed and harmoniously organized e m p i r e " . 8 8 9 V o r allem sozialen Fortschritt versprach sich Roscoe Pound v o m modernen Gesetzgeber. Pound warf insbesondere seinen wissenschaftlichen Kollegen vor, sie stünden unter dem Einfluß „ o f a historical school of jurists which scouts legislative law-making" und verweigerten deshalb die dringend notwendige M i t arbeit an Gesetzgebungsprojekten. Das müsse unweigerlich zum K o n f l i k t zwischen der bisherigen Tradition und der Gesetzgebung führen. 8 9 0 Er hoffte aber auf Änderung, wenn er schrieb: „The common-law lawyers w i l l some day abandon their traditional attitude toward legislation; w i l l welcome legislation and w i l l make it what it should be. The part played by the jurists in the best days of Roman legislation, and the part they have taken in modern Continental legislation, should convince us, . . . that juristic principles may be recognized and juristic

886 Ames, The Vocation of the Law Professor 367; Carter , The Proposed Codification of Our Common Law 42 f.; Lindsay, The Need for a Science of Law 731 f.; Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 5 ff. 887 Civil Code of the State of New York X X V I I (Einführung von Field). 888 Ernst, Law Reforms in Germany 803. 889 I d . 813. 890 Pound, Taught Law 975, 992, 996.

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speculation may be put into effect quite as well by legislation as by judicial decision." 8 9 1 Das sei in Deutschland längst der F a l l 8 9 2 . Eine gleichermaßen wichtige Rolle gestand Ernst Freund der Gesetzgebung zu. Sie müsse aber von einer „science of legislation" geleitet werden, um prinzipientreuer, systematischer und konsistenter zu werden 8 9 3 . Das M o d e l l dazu sah Freund in Deutschland, dessen jüngere Gesetze er ebenso (in technischer Hinsicht) zur Nachahmung empfahl wie die dort übliche Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen durch dafür ausgebildete Juristen. Zudem gab er seinem amerikanischen Publikum in einer Vorlesungsreihe an der Johns Hopkins University i m Jahre 1915 die deutsche Sozialgesetzgebung zu bedenken 8 9 4 . Pound und Freund standen bereits am Ende der Classical Era und wiesen mit ihrer gesetzesfreundlichen Einstellung schon über sie hinaus. Bei aller daraus folgenden K r i t i k an den traditionellen Common Lawyers waren sie m i t diesen aber doch in einem ganz wesentlichen Punkte einig: Die Führung bei der Bewahrung und Weiterentwicklung des Rechts kam den Rechtsgelehrten zu.

3. Die Führungsrolle

der wissenschaftlichen

Juristen

Die Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn von Kodifikation und Einzelgesetzgebung war nicht nur ein Streit u m die Form des Rechts, vielmehr ging es dabei auch um ein Problem der Kompetenz. Die entscheidende Frage war, welche Instanz für das Recht jenseits der Alltagsgeschäfte zuständig war: Die Gesetzgebung, d. h. politische Instanzen wie Regierung oder Abgeordnetenhaus, oder die Wissenschaft, also die studierten Juristen. W o die Rechtsgelehrten die Gesetzgebung mit dem Argument ablehnten, die Jurisprudenz sei eine Wissenschaft, meinten sie damit also auch, daß ihnen, den Wissenschaftlern, die Kompetenz für die Wahrung und Entwicklung des Rechts zukomme, nicht den Legislativorganen des Staates 8 9 5 . a) Das war schon in Savignys Beruf unserer Zeit ein durchgängiges Thema und spiegelte sich auch i m Titel wieder, der nicht umsonst Gesetzgebung und Rechtswissenschaft gegenüberstellte. Savigny begründete den Führungsanspruch der Juristen in der Hauptsache mit der Lehre, daß die ursprünglich i m Volks selbst liegende Rechtserzeugung „bei steigender Cultur" auf die Juristen übergehe. Das führe dazu, daß das Recht nun eine „wissenschaftliche Richtung" nehme.

891 Pound, Mechanical Jurisprudence 622. 892 id. 612. 893 Freund, Prolegomena to a Science of Legislation. 894 Freund, Standards of American Legislation 23 ff., 30, 109 ff. 895 Man darf allerdings nie vergessen, daß es dabei nur um den Bereich des Privatrechts ging (vgl. oben Anm. 872 und Text), der jedoch seinerzeit als der eindeutig wichtigste galt.

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Indem sie diese pflegten, repräsentierten jetzt die gelehrten Juristen das V o l k 8 9 6 . Das war als Verbindung zwischen Volksgeistlehre und Rechtswissenschaft gekünstelt, beschrieb aber den Prozeß der Spezialisierung und Professionalisierung der Juristen i m Grunde ganz richtig. I m übrigen entsprach die These durchaus der Wirklichkeit, denn der überragende Einfluß der wissenschaftlichen Juristen war i m Deutschland des 19. Jahrhunderts nicht zu leugnen. b) Diese Vorstellungen entsprachen dem Denken der anglo-amerikanischen Juristen, die sich als Legal Scientists für die wahren Führer ihrer Rechtskultur halten wollten. Das zeigte sich erneut am deutlichsten bei Carter, der ganz Savignys Schüler war, wenn er Recht als „ever growing body of custom . . . administered by a class of experts" beschrieb 8 9 7 . „ I t is agreed on all hands that private jurisprudence is a science; whence it follows that it can be cultivated, developed and advanced only by the masters of that science" 8 9 8 , verkündete er. Deshalb war die „legal profession" die allein zuständige Instanz: „Sciences can be advanced only by the labor of experts, and we are the experts in the science of law. The law must be done by us, or not done at a l l . " 8 9 9 Ähnliche Bekräftigungen der eigenen Vorrangstellung finden sich an vielen Stellen in der anglo-amerikanischen juristischen Literatur. Manchmal sind sie direkt mit Savignys Lehre verknüpft 9 0 0 , mitunter werden sie mit der deutschen Jurisprudenz allgemein in Verbindung gebracht 9 0 1 , zum Teil waren sie unter den Common Lawyers auch bereits Allgemeingut geworden 9 0 2 . W i e schon in vielen anderen Zusammenhängen bestimmten Savignys Ideen hier einerseits weitverbreitete Überzeugungen mit, paßten sie andererseits aber auch einfach in die Zeit und zu den Interessen der Juristenzunft. Die Überzeugung, daß den gelehrten Juristen die Führungsrolle in der Rechtskultur zustehe, beschränkte sich keineswegs auf die eingefleischten Gegner jeglicher Privatrechtsgesetzgebung. A u c h die Common Lawyers, die diese (wenn896 Bündig in Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 12; ausführlicher ders., System des heutigen römischen Rechts I 45 ff. 897 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 5. Carter hielt allerdings das Volk für „wholly incompetent" im Bereich des Rechts, Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 60. Soweit mochte Savigny nicht gehen, denn er nahm an, daß das Recht selbst nach Aufkommen des Juristenstandes auch noch im Volk weiterlebte, Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 12; ders., System des heutigen römischen Rechts I 45. 898 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 88. 899 Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 60. 900 So schon bei Austin, Lectures on Jurisprudence I I 356; I I I 382 f.; ebenso bei Montmorency, Friedrich Carl von Savigny 589. Savignys Juristendogma klingt auch deutlich an bei Arnos, The Science of Law 388 f., der Savigny allerdings nicht zitierte. 901 Vgl. etwa Ames, The Vocation of the Law Professor 142 f. 902 in diese Kategorie gehört wohl Lindsay, The Need for a Science of Law 733 f.; allerdings folgte Lindsay meist seinem Vorbild Carter, sodaß er in mancherlei Hinsicht ein mittelbarer Schüler Savignys war.

Zweiter Teil: Blütezeit gleich oft widerwillig) akzeptierten, sahen sich als die wahren, der Legislative übergeordneten Experten. Wenn der Gesetzgeber von Einmischungen ins Privatrecht schon nicht abzuhalten war, dann mußte er die Legal Scientists wenigstens konsultieren und auf ihren Rat hören, bzw. sie die nötigen Vorarbeiten erledigen lassen, wie das schon von Savigny gefordert w o r d e n 9 0 3 und allenthalben in Deutschland zu beobachten w a r 9 0 4 . Selbst Pound und Freund hielten, wie schon angedeutet, die gelehrten Juristen für die eigentlich zuständigen Fachleute, ohne deren M i t w i r k u n g die Gesetzgebung allzuleicht mißraten und Schaden anrichten konnte. c) Sowohl Savigny als auch seine anglo-amerikanischen Kollegen verstanden unter den „gelehrten Juristen" durchaus den gesamten Stand der wissenschaftlich gebildeten Rechtskundigen. Allerdings waren die Schwerpunkte jeweils verschieden gesetzt. Savigny bezog zwar die juristischen Praktiker ausdrücklich ein, doch ging er entsprechend der kontinentaleuropäischen Tradition davon aus, daß die Rechtslehrer i m Vordergrund standen 9 0 5 . Für Carter lag die Sache genau umgekehrt: Er hatte vor allem „learned, incorruptible and diligent judges, aided by a learned, faithful, and diligent bar" i m S i n n 9 0 6 , vergaß aber auch nicht die „men o f the highest ability and attainments in law schools" 9 0 7 ; darin spiegelte sich die zentrale Rolle von Bench and Bar i m Common L a w , aber auch der einsetzende, oben beschriebene Aufstieg der Professorenschaft wider. Dieser w i r d zudem darin deutlich, daß die Hochschullehrer ihrerseits die Führungsrolle natürlich vor allem für die Rechtsfakultäten beanspruchten 9 0 8 . So kann man sagen, daß jeder vor allem an sich selbst dachte. Das ist weder verwunderlich noch vorwerfbar, denn jede Berufsgruppe sah das Recht zunächst aus ihrer eigenen Perspektive. Es zeigt aber, daß es bei dem Anspruch auf Kompetenz nicht nur um rechtstheoretische Fragen oder das W o h l der Rechtsent903 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 48 f. 904 Ames, The Vocation of the Law Professor 141. Vgl. auch Kocourek, Translator's Preface in Gareis, The Science of Jurisprudence XIV; Wigmore, On the „American Corpus Juris". Andeutungen in diese Richtung machte auch Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 60 f. 905 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 126 ff., 153 f.; ders., System des heutigen römischen Rechts, Vorrede X X ff. 906 Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 59; ebenso ders., On the Proposed Codification of Our Common Law 5, 87; ders., Law, Its Origin, Growth and Function 331 f. 907 Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 59.; ähnlich unter Berufung auf die Beiträge von Coke, Hale, Blackstone, Kent, Story und anderer Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 90 f. Carter warnte, daß im Falle der Kodifikation mit einem Ersticken der wissenschaftlichen Tätigkeit und dadurch mit einem großen Verlust für die Rechtskultur zu rechnen sei, id.; auch diese Überlegung ging wohl auf Savigny zurück, vgl. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 23. 908 So schon Austin, Jurisprudence I I I 382 f.; in der Classical Era vor allem Arnes, The Vocation of the Law Professor 141 ff. Ähnlich auch Maitland, vgl. Fisher, William Frederic Maitland 162 f.

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wicklung ging, sondern auch um handfeste berufliche und persönliche Interessen. Eine gesetzliche Regelung des Privatrechts drohte nämlich, die gelehrten Juristen eines großen Teils ihrer bisherigen Tätigkeit und damit ihrer Bedeutung zu berauben. Konkret stand zu befürchten, daß unter der Herrschaft eines Gesetzbuches oder einer Vielzahl von Einzelgesetzen sowohl das römische Recht als auch das anglo-amerikanische Case Law ihre bislang zentrale Rolle verlieren würden; das war keine Schreckensphantasie sondern erklärtes Ziel gesetzlicher Festlegung bestehenden Rechts 9 0 9 . Die Meister der bisherigen Tradition, die Romanisten an den deutschen Universitäten und die Anwalt- und Richterschaft in England und Amerika, würden sich dann mit einer sehr viel bescheideneren Funktion zufriedengeben, bzw. umlernen und zu Gesetzeswissenschaftlern werden müssen 9 1 0 . Daß es beim K a m p f gegen den Gesetzgeber deshalb auch um die Bewahrung angestammter Machtbereiche ging, fiel schon den Zeitgenossen auf. W i e Thibaut und Feuerbach in Deutschland Savigny und seinen Kollegen entgegenhielten, sie seien vor allem auf Erhaltung des eigenen Einflusses bedacht 9 1 1 , so warfen Field und Fowler in Amerika Carter und der Anwaltschaft vor, sich aus eigennützigen Gründen gegen Veränderung und Fortschritt zu wehren 9 1 2 . I m übrigen mußte sich die Lehre von der Führungsrolle der Juristen in Deutschland wie in Amerika den Einwand gefallen lassen, sie führe zu einer Entfremdung des Rechts v o m Volk.913 d) So berechtigt derartige K r i t i k zum Teil gewesen sein mochte, so lag dem K a m p f gegen Gesetzgebung i m Privatrecht doch nicht nur Egoismus zugrunde. Vielmehr drückte sich darin oft die ernste Sorge aus, das Recht könne durch legislative Einmischung Schaden nehmen. Diese Sorge beruhte auf Zweifeln an der Fähigkeit des Gesetzgebers zur Bearbeitung des Privatrechts.

909 im übrigen bestätigt die deutsche Entwicklung nach Inkrafttreten des BGB die Berechtigung dieser Befürchtungen. 910 Eigenartigerweise kamen die Bestrebungen um Rechtsreform sowohl in Deutschland wie in den USA aus dem eigenen Lager, d. h. mit Thibaut von einem Professor des römischen Rechts und mit Field von einem prominenten Anwalt. Das machte die Bedrohung allerdings um so größer, da so der Zusammenhalt der Berufsgruppe in kritischen Zeiten zerstört wurde. Dazu für Deutschland Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny 160 ff., insbesondere 191. 911 Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland — Nachträge zu seiner Schrift (18. Zusatz) 198; Feuerbach, Vorrede zu Nepomuk Borst, Über die Beweislast im Zivilprozeß 222. 912 Field, Codification — Mr. Field's Answer to Mr. Carter 1; Fowler, Codification in the State of New York 65. In diesem Sinne auch Hoadly, Codification of the Common Law 495. Der amerikanischen Anwaltschaft wurde verschiedentlich auch vorgeworfen, sie widersetze sich aus Angst um ihr Einkommen jeglichen Bestrebungen um mehr Rechtsklarheit, vgl. Burdick, A Revival of Codification 118 f. 913 In Deutschland insbesondere ν. Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft 42, 45; vgl. auch Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland 72 f. In Amerika Gray, The Nature and Sources of Law 89. Gray diskutierte Savignys Juristendogma ausführlich id. 87 ff.

Zweiter Teil: Blütezeit Sie sind schon bei Savigny spürbar. Seine Streitschrift gegen Thibaut ist von der Überzeugung durchdrungen, der Gesetzgeber könne ohne eine hochentwikkelte Wissenschaft nichts Vernünftiges zuwegebringen. Z u m Beweis verwies Savigny auf die schweren Mängel, die er in den seinerzeit vorliegenden Kodifikationen f a n d 9 1 4 . I n ähnlichem Sinne meinte Austin, solide Arbeit sei nicht zu erwarten von der „undisciplined sagacity of mere laymen: men who are neither acquainted, on the one hand, w i t h the detail of the existing system, nor, on the other, w i t h the general principles o f l a w " 9 1 5 . Auch Maitland glaubte nicht, daß der Gesetzgeber die dringend nötige Überarbeitung des Rechtssystems leisten könne, und verließ sich schon lieber, wie i m C i v i l Law, auf die Rechtsgelehrten. 9 1 6 Nach Carters Ansicht fehlte den Legislativorganen als Laiengremien sowieso die wissenschaftliche Kompetenz 9 1 7 . I m übrigen beklagte er „a marked decline in the character of our legislators", die zu einem „volume o f ill-conceived and pernicious changes and additions both to substantive law and to judicial procedure" führte 9 1 8 . Letztenendes ging es diesen Juristen aber um mehr als um die Bewahrung der eigenen Machtsphäre und die Verhinderung schlechter Gesetze. Hinter ihrer ablehnden Haltung gegenüber dem Gesetzgeber stand auch eine tiefe Skepsis gegenüber jeglichem Reformismus i m Privatrecht überhaupt. Damit Hand in Hand ging die liberalistische Überzeugung, daß der Staat sich möglichst wenig in die Angelegenheiten der Gesellschaft einmischen solle.

III. Politik: Konservatismus, Liberalismus und Demokratie Die Ablehnung der Gesetzgebung i m Privatrecht war bei Carter und seinen amerikanischen Kollegen keine reine Frage der Form des Rechts oder der Kompetenz zu seiner Entwicklung, vielmehr ging es dabei auch um Politik, d. h. um Inhalte. Hinter der Ansicht, das Privatrecht gehe die Legislative grundsätzlich nichts an, stand nämlich die Erwartung, daß die gelehrten Juristen das Recht bewahren, der Gesetzgeber es jedoch zu seinem Nachteil verändern würde. M i t anderen Worten, wie und von wem das Recht entwickelt wurde, hing unmittelbar damit zusammen, was inhaltlich dabei herauskam; und gesetzgeberischerseits erwartete man nichts Gutes. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 54 ff. 915 Austin, Jurisprudence I I I 383. 916 Vgl. Fisher, Frederic William Maitland 163. 917 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 88 f.; ders., The Provinces of the Written and the Unwritten Law 60. 918 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 116. Die Klage war angesichts der breiteren Streuung in der Zusammensetzung der Legislative, die das erweiterte Wahlrecht mit sich gebracht hatte, vielleicht nicht unberechtigt. Vgl. auch Arnes, The Vocation of the Law Professor 144.

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In dieser Befürchtung waren historische Schule und Classical Legal Science miteinander verwandt. Sie teilten deshalb eine Neigung zum Bewahren und zur Nichteinmischung, die auf einen grundsätzlichen Konservatismus und Liberalismus hinauslief. Diese Neigung war bei Savigny und seinen Nachfolgern meist nur angedeutet, kam aber bei vielen Common Lawyers der Classical Era klar zum Ausdruck. Dabei war den Common Lawyers die Verwandtschaft ihrer eigenen Haltungen mit denen der Schule Savignys zum Teil deutlich, zum Teil kam sie aber auch nicht an die Oberfläche des Bewußtseins. Die Zusammenhänge sind i m einzelnen kompliziert, weil sie sich über zeitliche Brüche hinweg und damit in sehr veränderte Umstände hinein erstrecken. Gedanken des frühen 19. Jahrhunderts i m noch vorindustriellen Deutschland, das gerade erst ins bürgerlichen Zeitalter eintrat, sind in Beziehung zu bringen zu Auffassungen, die fast ein Jahrhundert später in demokratischen und kapitalistischen Gesellschaften zum Tragen kamen. Es versteht sich von selbst, daß sie sich dabei wandelten, und daß beim Ziehen von Verbindungslinien Vorsicht geboten ist. Andererseits zeigt sich aber gerade auf diese Weise, wie sich Ideen übertragen ließen, und wie sich Grundmuster des Denkens auch unter veränderten Bedingungen erhielten. Die historische Rechtswissenschaft stellte sich hier wie dort als eine Spielart des Konservatismus dar. Damit ist hier keine staatspolitische Einstellung gemeint, sondern eine Haltung, die ganz allgemein das Bewahren dem Verändern vorz i e h t 9 1 9 . Dieser Konservatismus wurzelte in dem beiden Seiten gemeinsamen Rechtsbegriff und Wissenschaftskonzept; jedoch war er bei Savigny vor allem gegen gesellschaftliche Veränderungen gerichtet, während er in der Classical Era der Sorge um die wirtschaftliche Freiheit entsprang (1.). Für Carters Zeitgenossen verband sich dieser Konservatismus deshalb unmittelbar mit wirtschaftlichem Liberalismus. Ansätze liberalistischen Denkens waren zwar auch schon bei Savigny sichtbar, doch kam es erst angesichts der Bedrohung der ökonomischen Freiheit durch den modernen Interventionsstaat gegen Ende des 19. Jahrhunderts v o l l zur Geltung. Die Common Lawyers traten nun den zunehmenden Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung mit dem Argument entgegen, derartige Eingriffe seien mit dem Charakter des Privatrechts und mit seiner Pflege als Wissenschaft unvereinbar. So verbanden sich Legal Science und Laissez Faire (2.). Hinter diesen konservativen und liberalistischen Haltungen stand letztendlich die Überzeugung, es sei auch für das Gemeinwohl das Beste, das Privatrecht der Wissenschaft zu überlassen. I n ihren Händen war es nämlich vor unbedachten

919 Diese Haltung konnte natürlich zum Eintreten für eine bestimmte Staats- oder Verfassungsform führen. Doch waren derlei staatspolitische Erwägungen nur für Savigny, nicht aber für die Classical Legal Scientists ein wesentlicher Punkt. Deshalb lag hierin nicht das Gemeinsame, um das es im folgenden geht. 15 Reimann

Zweiter Teil: Blütezeit Änderungen geschützt und davor bewahrt, politischen Interessen zum Opfer zu fallen. Die Wissenschaft stellte somit die Kontinuität und Neutralität des Privatrechts sicher (3.). Diese Ansichten waren ihrem Wesen nach antidemokratisch. Das war i m Deutschland der historischen Schule noch kein grundsätzliches Problem. I n den U S A aber geriet das Streben der konservativen Rechtsdenker nach Kontinuität und Neutralität mit den dort herrschenden Prinzipien demokratischer Regierung in Widerspruch. Dieser kam in einem tiefgreifenden Verfassungskonflikt zum Tragen. Darin wurden Classical Legal Science und schließlich auch historische Schule mit den antidemokratischen und fortschrittsfeindlichen Kräften identifiziert (4.). 7. Die historische Rechtswissenschaft als Konservatismus Sowohl Savigny und seine Jünger als auch die Legal Scientists waren grundsätzlich auf die Erhaltung des Überlieferten bedacht. Nach außen wurde das in ihrer abwehrenden Haltung gegenüber konkret drohenden Veränderungen deutlich. Innerlich lag es jedoch bereits in ihren Auffassungen von Recht und Jurisprudenz begründet. a) Zunächst waren beide Schulen konservative Reaktionen gegen fortschrittliche Bestrebungen. Sie sahen die bisherige Struktur von Recht und Gesellschaft in Frage gestellt und traten für die Bewahrung der bestehenden Ordnung ein. Das zeigte sich allerdings in verschiedenen zeitlichen Zusammenhängen. Die historische Schule war T e i l der allgemeinen Wendung vom Rationalismus des 18. Jahrhunderts, d. h. v o m radikalen Hinterfragen bestehender Zustände mit all seiner politischen Sprengkraft, zum Historismus und zum Verständnis der Welt als Ergebnis organischer Entwicklung. Darin lag auch eine Wendung v o m Handeln zum Schauen, v o m Glauben an Fortschritt zum Glauben an Tradition. So richtete sich Savignys Konservatismus gegen „die trostlose A u f k l ä r e r e y " 9 2 0 , die in Frankreich zum „ F l u c h " der R e v o l u t i o n 9 2 1 geführt hatte. M i t ihr war für Savigny auch der Code c i v i l verbunden, der so deutlich zu machen schien, daß Kodifikation zu jener Zeit auf Abschaffung alter Vorrechte und überkommener Ordnung hinauslaufen, also grundlegende Neuerung bedeuten w ü r d e 9 2 2 . Savigny ging es jedoch nicht allein um die Rechtsordnung, sondern um die Grundlagen des politischen Gemeinwesens und der Kultur als ganzer. Aufgrund des Umsturzes in Frankreich waren auch in Deutschland bereits „bürgerliche und kirchliche Verfassung . . . aus allen Fugen gewichen, und auch die ordnende Sitte der

920 Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher 240. 921 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 57. 922 Vgl. Wolf, Große Rechtsdenker 507.

C. Die historische Schule als Kultur Privatverhältnisse hat dem allgemeinen Schwanken nicht entgehen k ö n n e n . " 9 2 3 Savigny war deshalb von dem Wunsch beseelt, diese Entwicklung aufzuhalten und jedenfalls in Teilen möglichst rückgängig zu machen, d. h. die überkommene Ordnung der politischen, sittlichen, religiösen und geistigen Welt vor dem A n sturm der Moderne zu bewahren. Daß sich diese Bestrebungen auch gegen den Gedanken der Volkssouveränität und der Demokratie richteten 9 2 4 , war nur konsequent. b) Dieser Konservatismus war der Einstellung vieler Common Lawyers des 19. Jahrhunderts verwandt und wirkte deshalb vertraut und anziehend auf sie. Das lag zum Teil bereits an der grundsätzlichen Abneigung gegen radikalen Umbruch und an dem Vertrauen auf langsamen Wandel, die zur Tradition der anglo-amerikanischen Juristen und fast schon zu ihrem Berufsethos gehörten. I n England überwog diese Einstellung, der Burke ihren klassischen Ausdruck gegeben hatte 9 2 5 , in der gebildeten Schicht allgemein. Doch war die Juristenzunft selbst in den U S A großenteils konservativ 9 2 6 . Mochte auch die junge amerikanische Republik mit den Zielen von 1789 weitgehend sympathisiert haben, so waren doch die Common Lawyers oft anti-revolutionär und i m Unabhängigkeitskrieg nicht selten Anhänger der Krone gewesen. 9 2 7 V o r allem aber sahen sich wie Savigny auch die Common Lawyers des 19. Jahrhunderts konkreten Reform bestrebungen in ihrer eigenen Sphäre gegenüber. Dabei unterscheidet man am besten zwei Phasen, die zwar ineinander übergingen, aber doch verschiedenen Charakter hatten. Zunächst wehrten sich die konservativen anglo-amerikanischen Juristen gegen Benthams Reformpläne, die seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die hergebrachte Struktur von Recht und Gesellschaft vor allem in England bedrohten. Darin waren diese Bestrebungen der Savigny verhaßten Aufklärung verwandt. Zwar waren Bentham und seine Anhänger alles andere als Naturrechtler 9 2 8 , doch setzten auch sie der Tradition ihre auf apriorische Prinzipien und rationalistisches Denken gegründeten Forderungen nach Veränderung entgegen. Außerdem entsprach ihr Konzept des positiven Rechts als Befehl von oben den Vorstellungen des 18. Jahrhunderts; das schloß natürlich ein, daß Recht eben auch (ungeachtet aller Tradition) durch Befehl von oben geändert werden könne. Als sich die 923

Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher 240. 924 Wieacker, Gründer und Bewahrer 120 f.; Wolf, Große Rechtsdenker 509; zum politischen Standort Savignys ausführlich Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny 194 ff. 925 Burke, Reflections on the Revolution in France. 926 Vgl. Hall / Wiecek / Finkelman, American Legal History 304 sowie die dort 305 ff. abgedruckten Quellen. 927 Chroust, The Rise of the Legal Profession I I 281. 928 ihre Konzentration auf das positive Recht war auch gegen das naturrechtlichspekulative Denken gerichtet; insofern war die daraus hervorgehende Analytical Jurisprudence Savigny verwandt. 15*

Zweiter Teil: Blütezeit anglo-amerikanischen Rechtsdenker zu Beginn der Classical Era einem geschichtlichen Rechtsverständnis zuwandten, war das also nicht zuletzt eine Reaktion gegen Bentham, Austin und deren Schule. So gesehen war diese Wendung zum Historismus das geistesgeschichtliche Gegenstück z u m Aufstieg der historischen Schule in Deutschland ein halbes Jahrhundert zuvor: W i e Savigny den aufklärerischen Drang nach Veränderung als blinde Zerstörung der organischen Ordnung empfunden und deshalb zur Erhaltung der Tradition aufgerufen hatte, so sahen viele Common Lawyers der frühen Classical Era nun den Reformismus und Rationalismus Benthams und Austins als unheilvolle Mißachtung der Geschichte. Sie besannen sich deshalb zunehmend auf die Pflege und Erhaltung des Überlieferten. Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts rückte dann die Bedrohung des Common L a w durch den modernen Interventions- und Verwaltungsstaat in den Vordergrund 9 2 9 . Es ging jetzt nicht mehr, wie in der Aufklärung oder bei Bentham, um grundlegende Neustrukturierung nach absoluten Prinzipien und rationalistischen Maßstäben, sondern u m den allmählichen Übergriff staatlicher Regulierung auch auf das Privatrecht. Zwar wurde die überkommene Ordnung nun nicht mehr radikal, d. h. als Ganze in Frage gestellt, wohl aber drohte sie durch eine Vielzahl einzelner Eingriffe bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt zu werden. O b w o h l diese Bedrohung mit der seinerzeit von Savigny empfundenen weniger zu tun hatte als die Reformpläne des klassischen Utilitarismus, ließen sich auch hier mit etwas Phantasie Ähnlichkeiten entdecken. W i e zu Savignys Zeiten kamen die Veränderungen in Gesetzesform, rüttelten sie an den Grundfesten des historisch gewachsenen Rechts, und waren sie wissenschaftlich (d. h. historisch-systematisch) nicht fundiert. A u c h ihnen konnte man deshalb mit den Prämissen der historischen Schule — Recht als Gewohnheit, kostbare Tradition und Wissenschaft — entgegentreten. Historische Schule und Classical Legal Science waren also konservative Verbündete gegen Veränderungsbestrebungen. Was sie erhalten wollten, war freilich entsprechend den zeitlichen und politischen Umständen verschieden: Die ständische Rechts- und Sozialordnung bei Savigny, das traditionelle Common LawSystem bei den Gegnern Benthams, das Privatrecht des späteren 19. Jahrhunderts bei Pollock, Carter und Ames. Wogegen sie sich jeweils wehrten, war aber erstaunlich ähnlich: A u f Fortschritt und Veränderung zielende, meist gesetzgeberische Eingriffe in die bisher den Juristen überlassene, konservative Rechtstradition. c) Diese Reaktionen beruhten nicht ausschließlich auf einer politisch konservativen oder gar reaktionären Einstellung. Vielmehr lag ihnen bei Savigny ebenso wie bei seinen anglo-amerikanischen Kollegen auch eine innere Abwehrhaltung

929 Vgl. dazu die Zusammenfassung und die Quellen bei Hall / Wiecek / Finkelmann, American Legal History 353 ff.

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gegenüber gezielten Veränderungen des Rechts an sich, d. h. ganz unabhängig von ihrem politischen Gehalt, zugrunde. M a n kann diese Haltung als juristischen Konservatismus bezeichnen. Sie wurzelte i m Verständnis von Recht und Jurisprudenz. Das Konzept einer geschichtlichen Rechtswissenschaft, das sowohl die historische Schule, wie, zum T e i l aufgrund des deutschen Einflusses, auch die Classical Legal Science prägte, war seinem ganzen Charakter nach konservativ. Das galt schon für den Rechtsbegriff, den beide Richtungen i m wesentlichen teilten. Recht als Gewohnheit oder Tradition, Ergebnis organischer Entwicklung und Ausdruck der Gesamtkultur spiegelte bestehende Zustände wider; es setzte keine Veränderungen in Gang, sondern vollzog sie lediglich nach. Instrument bewußten Fortschritts konnte es so gesehen gar nicht sein. Erst recht konservativ war der Wissenschaftbegriff, der historische Schule und Classical Legal Science verband. Der Jurisprudenz ging es nur um das positive, d. h. historisch bereits vorhandene Recht, nicht hingegen u m die (philosophischen) Frage der Gerechtigkeit bzw. des rechtlichen Idealzustandes 930 . Deshalb beschränkte sich ihre Aufgabe auf die Erforschung, Durchdringung und Ordnung des Gegebenen; Neues konnte sie also nur i m Alten entdecken, nicht aber selbst schaffen. So war sie von vornherein auf Bewahrung gerichtet, nicht auf Umgestaltung. Dieser rechtswissenschaftliche Konservatismus kam praktisch darin zur Geltung, daß sowohl historische Schule als auch die anglo-amerikanische Rechtswissenschaft hauptsächlich an der Verfeinerung und Erhaltung der bestehenden Privatrechtsordnung interessiert waren. Hingegen ging es ihnen nicht um Veränderungen des Systems der Rechte und Pflichten. Dem entsprach auch das B i l d des modernen Juristen: Er war nun ein Wissenschaftler, der die Geschichte kannte und das System beherrschte, nicht mehr ein Philosoph, der die Welt an absoluten Wertvorstellungen maß. Savingy und Langdell wollten beobachten, feststellen und klassifizieren. Sie verstanden sich als Bewahrer und Bearbeiter des Bestehenden, nicht als Kämpfer für mehr Gerechtigkeit. d) Kritischen Zeitgenossen entging nicht, daß und wie das Konzept einer geschichtlichen Rechtswissenschaft sich allerdings leicht gegen jegliche Reformbestrebungen einsetzen ließ, und daß die konservativen Common Lawyers der 930 Von naturgegebenen Rechten war also keine Rede. Die Lehren der historischen Schule ließen sich geradezu als Mittel gegen naturrechtliche Argumentationsweisen einsetzen. Das wurde in der Diskussion um die Sklaverei deutlich. Der auf die Menschenrechte gestützten Forderung nach ihrer Abschaffung traten in den Südstaaten mitunter Juristen unter Berufung auf die historische Schule entgegen, derzufolge es solche apriorischen Rechte eben nicht geben sollte. Dazu Herbst, The German Historical School in American Scholarship 7; Franklin, The Introductory Lecture by Christian Roselius on Nov. 13, 1854 573, 576; ders., The Influence of Savigny and Gans on the Legal and Constitutional Theory of Christian Roselius. Das war mit den Auffassungen der historischen Schule im Ergebnis unvereinbar, denn schon Savigny hatte die Sklaverei ausdrücklich als jedenfalls mit der europäisch-christlichen Weltanschauung für unvereinbar erklärt, Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 354.

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Classical Era dieses Potential fleißig nutzten. Den konservativen Zug des deutschen Denkens hatte schon Bentham erkannt 9 3 1 , M i l l sorgte sich um die Folgen der geschichtlichen Jurisprudenz für die Rechtspolitik in E n g l a n d 9 3 2 , und Pound warf seinen amerikanischen Kollegen vor, für einen K o n f l i k t zwischen „our law and those who are working for social progress" verantwortlich zu sein 9 3 3 . I n der Tat wollten die von der historischen Schule beeinflußten, konservativen Common Lawyers vor allem in Amerika von dem „social progress", den Pound hier i m Sinn hatte, nichts wissen. Gemeint war damit nämlich insbesondere die sozialpolitisch motivierte Gesetzgebung, mit der die Legislative die wirtschaftliche und unternehmerische Freiheit seit dem späten 19. Jahrhundert mehr und mehr einschränkte. So lag dem Konflikt zwischen „our l a w " und „social progress" der Streit um das freie Spiel der Kräfte und ihre gesetzlichen Beschränkung zugrunde. Die Classical Legal Science stand dabei auf der Seite des Laissez Faire. 2. Legal Science und Laissez Faire Die Neigung der amerikanischen Rechtswissenschaft zum Laissez Faire folgte schon aus ihrer konservativen Grundhaltung, denn Konservatismus bedeutete zu jener Zeit zugleich wirtschaftlichen Liberalismus: Es bestand weitgehende unternehmerische Freiheit, und wer das Bestehende bewahren und Veränderung verhindern wollte, der mußte für die Erhaltung dieser Freiheit und gegen ihre Beschränkung durch den Staat eintreten 9 3 4 . a) Die liberalistischen Ansichten der konservativen Classical Legal Scientists beruhten darauf, daß sie das Common L a w als die dem freien Spiel der Kräfte entsprechenden Rechtsordnung sahen. Es förderte ungehinderte wirtschaftliche Betätigung vor allem durch seine Eigentums- und Vertragsfreiheit, aber auch durch sein am Verschulden orientiertes Deliktsrecht und durch den i h m allgemein innewohnenden Individualismus. Jeder konnte unter der Herrschaft des Common L a w ohne staatliche Bevormundung sein Glück suchen und nach seinem Vorteil streben. Es ermöglichte damit also sowohl „pursuit of happiness" als auch freies 931 „Ah! The Germans can only inquire about things as they were. They are interdicted from inquiring into things as they ought to be." Bentham, Memoirs of Jeremy Bentham 562. 932 Dazu Sugarman, Legal Theory, the Common Law Mind, and the Making of the Textbook Tradition 42. 933 Pound, Taught Law 980; vgl. auch ders., Jurisprudence I 102 ff. Selbst ein Anhänger der historischen Schule wie Bryce mußte zugeben, daß ihre Lehren oft zur Verhinderung von Reformen eingesetzt wurden, Bryce, The Methods of Legal Science 618. Dazu auch Schwartz, Some Makers of American Law 157. 934 Die Verbindung zwischen Konservatismus und wirtschaftlichem Liberalismus ist keine automatische. Besteht etwa, wie im Europa des Mittelalters und der frühen Neuzeit, keine volle unternehmerische Freiheit, so stehen diese beiden Einstellungen im Gegensatz zueinander. Man kann dann nur entweder die bestehenden Zustände bewahren oder durch ihre Veränderung wirtschaftliche Freiheit einführen.

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Walten der eine Marktwirtschaft steuernden „invisible hand". Eventuell auftretenden Neuerungen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten paßte es sich nach weithin herrschender Auffassung ganz von allein, nämlich über die Rechtsprechung, allmählich a n 9 3 5 . Aus all dem folgte, daß man das Privatrecht nur in Ruhe zu lassen brauchte, und schon konnte sich die Gesellschaft frei bewegen und die Wirtschaft v o l l entfalten. Laissez Faire war also der beste W e g zum Glück des Einzelnen und zum W o h l der Gesellschaft 9 3 6 . Das entsprach i m wesentlichen der der Pandektistik zugrundeliegenden H a l t u n g . 9 3 7 Der Gesetzgeber teilte diese Ansichten allerdings immer weniger, denn es fiel immer schwerer zu glauben, daß Nichteinmischung das W o h l der Gesellschaft am ehesten garantierte. W i e in Deutschland, so hatten auch in England und Amerika ausgeprägter Individualismus und rapide Industrialisierung zu Problemen geführt, die mit den herkömmlichen rechtlichen M i t t e l n nicht mehr zu bewältigen schienen, und die sich i n sozialem Elend und scharf geführten Arbeitskämpfen ausdrückten. V o r allem waren rechtliche Freiheit und Gleichheit angesichts der wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Ungleichheiten in vielen Fällen zur Farce geworden. Die Erweiterung des Wahlrechts, aber auch die Einsicht humanistisch gesonnener Politiker führte allmählich dazu, daß die Legislative Gegenmaßnahmen einleitete. Preisregulierungen, Genehmigungspflichten, A r beitsschutzbestimmungen und Sozialgesetze bezweckten die Verhinderung des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht und den Schutz der Schwächeren 9 3 8 . Dabei griff der Gesetzgeber zum Teil massiv in das bisherige Common L a w ein, etwa indem er die Geltendmachung von Ersatzansprüchen bei Arbeitsunfällen erleichterte und schließlich sogar ganz v o m Verschulden des Arbeitgebers unabhängig stellte 9 3 9 . b) Angesichts der Überzeugungen der konservativen Common Lawyers war es nur konsequent, daß sie mehrheitlich gegen derlei Eingriffe in das bestehende Privatrecht protestierten. Dadurch verdienten sich insbesondere die Hochschullehrer in den U S A den Ruf, mit ihrer konservativen, liberalistischen Haltung jeglichen Fortschritt verhindern zu wollen. W i e Pound in seinen ständigen Anklagen unermüdlich verkündete 9 4 0 , war die Classical Legal Science die juristische Verbündete der Laissez Faire Ideologie und die Gegnerin der Sozialgesetzgebung.

935 Vgl. Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 329 ff. Zu England vgl. Stein, Legal Evolution 113 f. 936 Vgl. Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 76; Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 329 ff. Im übrigen verbanden sich diese Vorstellungen auch mit den seinerzeit weitverbreiteten sozialdarwinistischen Ideen, vgl. Hall, The Magic Mirror 190. Diese gingen größtenteils auf Herbert Spencer zurück, vgl. Spencer, Social Statics. 937 Dazu Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung 60 f. 938 Zu England Baker, An Introduction to English Law 187; zu Amerika ausführlich Friedman, A History of American Law 439 ff.; Hall, The Magic Mirror 197 ff. 939 Vgl. dazu näher unten 4.

Zweiter Teil: Blütezeit Pounds Vorwürfe waren nicht unberechtigt, aber man würde seine konservativen Kollegen mißverstehen, wenn man in ihnen bloße Anhänger eines ungebändigten Kapitalismus und beharrliche Gegner jeglicher Verbesserung der sozialen Bedingungen sehen wollte. Die wenigsten von ihnen hatten Grund zu solchen Ansichten. Zwar mochte auf anwaltliche Vertreter von Unternehmern und Geschäftsleuten, etwa auf Carter, die Sichtweise ihrer Klienten abgefärbt haben, aber die meisten Legal Scientists waren Professoren, die weder kraft sozialer Herkunft oder Umgebung noch kraft beruflicher Position mit kapitalistischen Interessen eng verbunden waren. Freilich schloß das nicht aus, daß auch die Hochschullehrer die weitverbreitete Angst vor „collectivism", „socialism" oder gar „communism" teilten 9 4 1 . Ihrer K r i t i k an den gesetzgeberischen Eingriffen lagen aber auch Einstellungen zugrunde, die mit konkreter Wirtschafts- oder Sozialpolitik wenig zu tun hatten. c) W i e die konservative Haltung der Classical Legal Scientists so war nämlich auch ihre Neigung zum Laissez Faire i m Kern zunächst gar keine politische oder wirtschaftliche, sondern durchaus eine juristische Einstellung. M i t anderen Worten, es war ihnen auch, wenn nicht gar in erster Linie, daran gelegen, daß das Common L a w an sich in Ruhe gelassen würde. Diese Überzeugung ging weit über die konkreten Zeitumstände hinaus. Wie der Konservatismus, so wurzelte auch sie i m Rechtsverständnis selbst und war dadurch mit den Ideen der historischen Schule eng verwoben. I m Einzelnen beruhte die Einstellung der Common Lawyers auf einem Gemisch aus Systemvorstellungen, geschichtlichem Rechtsdenken und klassischem Liberalismus. Dieses Gemisch war innerlich nicht immer konsistent. Es w i r d durchschaubar, wenn man seine einzelnen Schichten abträgt. Älteste Schicht und Ausgangspunkt war die noch naturrechtliche Vorstellung, das Common Law sei ein perfektes, gottgegebenes System. A u f diese Weise stellte vor allem Blackstone positives und überpositives Recht g l e i c h 9 4 2 . War das Common Law deshalb eine Ordnung vollständiger „ s y m m e t r y " 9 4 3 , so konnten gezielte Eingriffe und Veränderungen darin nur Schaden und Verwirrung stiften; „the rules of the common l a w " , schrieb Blackstone, „ . . . are so nicely constructed and so artificially connected together, that the least breach in any one of them disorders for a time the texture of the w h o l e " 9 4 4 . Die Vorstellung v o m Common Law als System beherrschte, in säkularisierter Form, auch das 19. Jahrhundert 9 4 5 . 940 Vgl. vor allem Pound, Taught Law; ders., Mechanical Jurisprudence; ders., The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence. 941 Vgl. Schofield, Uniformity of Law in the Several States as an American Ideal 511; Tiedemann, The Limitations of Police Power VI. 942 Dazu Boorstin, The Mysterious Science of Law 50 ff. 943 Blackstone , Commentaries on the Laws of England I, Introduction, On the Study of Law 10. 944 id. I I 376. 945 Dazu ausführlich oben Β.II.3.

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Sie traf sich mit Savignys Verständnis des Rechts als eines „organischen Ganzen", bzw. als einer „großen E i n h e i t " 9 4 6 , aber auch mit den begriffsjuristischen Vorstellungen einer logischen Gesamtstruktur. So verschieden diese Ideen ihrem Charakter nach i m einzelnen auch waren, so liefen sie doch alle darauf hinaus, daß das Recht eine in sich stimmige Ordnung sei. M i t Störungen von außen war es deshalb möglichst zu verschonen. A l s diese Systemvorstellungen i m Laufe des 19. Jahrhunderts v o m historischen Rechtsverständnis überlagert wurden, kam damit ein weiteres, gewichtiges Argument gegen Eingriffe in das Recht hinzu. I m Prozeß der Rechtsentwicklung als umfassendem, organischem Wachsen hatten einzelne Willensakte keinen Platz. Sie konnten diesen Prozeß nur hindern und stören. Diese Vorstellung nahm verschiedene Formen an. Bei Savigny beruhte sie vor allem auf der Idee des in der Entwicklung waltenden Volkgeistes, d. h. eines kollektiven Bewußtseins, dessen „innere, stillwirkende K r ä f t e " 9 4 7 möglichst wenig beeinträchtigt werden sollten 9 4 8 . Bei Maine lag dem historischen Rechtsdenken schon die Idee zugrunde, die Entwicklung bedeute Fortschritt. Da dieser Fortschritt von „status to contract" verlief, führte er von festgelegten Rechtsverhältnissen zur Gestaltungsmacht und damit zur Autonomie des I n d i v i d u u m s 9 4 9 . Das lieferte zugleich eine historische Begründung moderner Vertrags- und überhaupt rechtlicher Handlungsfreiheit. Eingriffe und Beschränkungen bedeuteten also Rückschritt und verstießen gegen das Gesetz der Evolution. Carter fügte hinzu, der Prozeß der Rechtsentwicklung werde von der Suche des Einzelnen nach Glück angetrieben, sodaß diese ungehindert bleiben müsse. 9 5 0 Schließlich beruhte das i m 19. Jahrhundert herrschende Rechtsverständnis auf der liberalistischen Vorstellung, dem Individuum stehe ein Freiraum zu, in dem es nach Belieben handeln dürfe; hier trafen sich rechtliche und politische Vorstellungen. Der Gedanke fand sich schon bei Savigny, der das Recht in Anlehnung an Kant als die „unsichtbare Gränze" einer solchen Freiheitssphäre definierte 9 5 1 . Für Savigny hatte diese Überlegung i m wesentlichen privatrechtlichen Charakter; d. h. ihn interessierte vor allem die Abgrenzung der privaten Freiräume der Bürger (als Bourgeois) gegeneinander 9 5 2 . Dieses Rechtsverständnis war keine Besonderheit Savigny'sehen Denkens, sondern lag ganz allgemein nicht nur der 946

Savigny, System des heutigen römischen Rechts I, Vorrede X X X V I f. Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 14. 948 Der Grundgedanke findet sich schon bei Montesqieu, De l'ésprit des lois, X I X . Buch, Kapitel 4 bis 6. 949 Vgl. Stein, Legal Evolution 114. 950 Vgl. Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 330 ff. Der Gedanke war schon bei Blackstone angedeutet, der ihn allerdings mit der göttlichen Ordnung in Verbindung brachte, vgl. Boorstin, The Mysterious Science of Law 53 ff. 947

951 Savigny, System des heutigen römischen Rechts 1331 f.; vgl. dazu Kant, Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre 230. 9 52 Das ergab sich schon daraus, daß er sich im System von vornherein nur mit dem Privatrecht beschäftigte, Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 2.

Zweiter Teil: Blütezeit klassischen deutschen Rechtswissenschaft, sondern auch der Classical Legal Science zugrunde 9 5 3 . I m Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts verband sich diese Vorstellung mit dem Gleichheitsgedanken. Dadurch sprach sie dann ebenfalls gegen gesetzgeberische Eingriffe, denn da die individuellen Freiheitssphären (rechtlich) gleich groß sein sollten, war der Grenzverlauf logisch vorgegeben. Es galt ihn zu erkennen, nicht kraft Willensaktes festzulegen, und schon gar nicht nach gesetzgeberischem Gutdünken zu ändern. V o r allem aber konnte man den Gedanken v o m Freiraum des Individuums auch öffentlich-rechtlich verstehen, d. h. auf das Verhältnis zwischen Staat und Bürger (als Citoyen) übertragen. Indem man damit dem Einzelnen eine Sphäre des Privaten zugestand, in die nun der Staat nicht eingreifen durfte, war man beim klassischen Liberalismus angelangt, wie ihn vor allem John Stuart M i l l formuliert hatte 9 5 4 . Daß sich Savignys Denken mit diesem Liberalismus durchaus verbinden ließ, zeigte Carter. Er zitierte Savignys obengenannte, kantische Rechtsdefinition 9 5 5 , wandte sie aber sogleich auch auf das öffentliche Recht an. Er argumentierte nämlich, die Grenze der privaten Sphäre markiere „not only the limits beyond which other individuals must not pass, but also the limits which the state in its corporate capacity must not pass, and so i n determining the true function of law we also determine the true province of legislation." 9 5 6 Damit machte er Savigny zum Verbündeten der liberalistischen Ideen der Classical Era . Das war gewagt, doch ging Carter damit weniger weit über Savigny hinaus, als es zunächst scheint. Zwar war bei Savigny von einem Verbot staatlicher Eingriffe in garantierte Privatsphären noch keine Rede gewesen, w o h l aber von Abneigung gegen fortwährende staatliche Bevormundung. „Dieses ganze Bestreben aber unsren Rechtszustand so durch einen großen Schlag von oben herab zu verbessern, was ist es anderes als eine Äußerung mehr von der unglücklichen Richtung, die nun schon so lange das öffentliche Leben durchzogen hat, von der Richtung alles zu regieren, und immer mehr regieren zu wollen'? Diese Regierungssucht hat fast jeder unter uns, da wo er gerade regiert wird, schon recht schmerzlich empfunden, und selbst diejenigen, welche am lebhaftesten für Gesetzbücher kämpfen, sind gewiß schon oft, wo ihnen diese Sucht in der Administration, der Polizey, den Finanzen u.s.w. entgegen trat, recht ernstlich darüber entrüstet gewesen." 957 Mochte Savigny auch in staatspolitischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen konservativ gedacht haben, so erwies er sich hier doch als ein Frühliberaler, dem die vielfachen Eingriffe des Staates in das Leben seiner Bürger zutiefst

953

Vgl. Gor don, Holmes' Common Law as Legal and Social Science 727. 54 Vgl. Mill, On Liberty. 955 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 134 f.; vgl. auch id. 5 f., 343. 9 56 Id. 135. 957 Savigny, Stimmen für und wider neue Gesetzbücher 250 f. (Hervorhebung im Original). 9

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zuwider waren. Dabei war sein Protest i m wesentlichen noch rückwärts, d. h. gegen die noch nicht beseitigten Bevormundungen des aufgeklärten Absolutismus gewandt, wie sie sich vor allem i m Preußischen Allgemeinen Landrecht gezeigt hatten. Seine Haltung entsprach aber derjenigen Carters insofern, als sich beide gegen eine ihre Bürger gängelnde und bevormundende Obrigkeit wandten. W i e Savigny die Ansicht verwarf, „daß mit Verordnen und Regieren der Welt von Grund aus geholfen werden k ö n n e " 9 5 8 , so lehnte Carter einen Staat ab, der sich als „schoolmaster w i t h the whole o f society for his p u p i l s " 9 5 9 aufführte. Savignys Einstellung war hier ebenso typisch für die klassische deutsche Jurisprudenz des 19. Jahrhundert wie Carters für das amerikanische Rechtsdenken 9 6 0 . Beide Seiten gingen davon aus, daß staatliche Eingriffe in die Sphäre des Gesellschaftlichen besonderer Berechtigung bedürften und so gering wie möglich gehalten werden sollten. d) So führten die Gemeinsamkeiten ihres systematischen, geschichtlichen und liberalistischen Rechtsverständnisses dazu, daß historische Schule und Classical Legal Science auch in ihrer Neigung zum (juristischen) Laissez Faire und zum Individualismus verbunden waren. 9 6 1 Demnach blieb das Privatrecht, sei es als harmonische Ordnung, Frucht organischen Wachstums oder individuelle Freiheitssphäre i m großen und ganzen am besten sich selbst überlassen. M a n kann beiden Richtungen deshalb vorwerfen, daß sie die sozialen Aufgaben der Gesetzgebung verkannten 9 6 2 . Das war aber nicht unbedingt ein Versehen. Ihrem Konservatismus und Liberalismus lag nämlich die Überzeugung zugrunde, daß es wichtigere Gesichtspunkte gab. 3. Die Kontinuität

und Neutralität

des Rechts

Das Recht sich selbst zu überlassen, hieß natürlich sowohl für die historische Schule als auch für die Classical Legal Science letztenendes, seine Erhaltung und Entwicklung der Wissenschaft anzuvertrauen 9 6 3 . Dabei ging es auch um die Id. 251. 959 Carter, Law, Its Origin, Growth and Function 225. Demgegenüber wünschte sich Carter den Staat als „policeman who stands by and does nothing as long as no one in the crowd breaks the peace", id. Auch Carters oben II.2. beschriebene Auffassung von Recht als bloßer Entscheidung bereits aufgetretener Konflikte (im Gegensatz zu vorher festgelegten Regeln) paßt ganz in diese Vorstellung vom Staat als bloßer Einrichtung zur Wahrung der bürgerlichen Ordnung. 960 Vgl. Gordon, Holmes' Common Law as Legal and Social Science 727 f.; ders., Review of White, Tort Law in America 916. 961 Zur deutschen Seite Wieacker, Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung 58 ff. 962 So bezüglich der historischen Schule Wolf, Große Rechtsdenker 531 f.; das galt bei Savigny jedoch nur für das Privatrecht, vgl. unten Anm. 998. Was die amerikanische Rechtswissenschaft jener Zeit angeht, so ist dieses Urteil in Amerika seit Pound weitverbreitet und heute herrschende, fast ausschließliche Meinung. 963 Das entsprach der Idee des Laissez Faire auch insofern, als Pflege und Entwicklung des Rechts dadurch nicht dem Staat als solchem überlassen, sondern auf zumindest 958

Zweiter Teil: Blütezeit Wahrung der Kontinuität des Rechts und um seine Trennung von der Politik. Beides lag den Vertretern der klassischen Rechtswissenschaft zutiefst am Herzen, und beides war vor allem durch den Gesetzgeber aufs Höchste gefährdet. a) Historische Schule und Classical Legal Science beruhten auf einem Verständnis des Rechts als wertvoller Tradition. Als über lange Zeiträume gewachsenes Produkt der Gesamtkultur schien diese Tradition den geschichtlich denkenden Juristen viel zu kostbar, u m sie momentanen Bedürfnissen zu opfern. Die Kontinuität des Rechts war für das Gemeinwohl von größter Bedeutung, w e i l sie durch die Anbindung der Gegenwart an die Vergangenheit deren Weisheit vermittelte und für Stabilität sorgte. Deshalb schien es ratsam, die Bewältigung neu auftauchender Probleme geduldig der ungestörten Entwicklung zu überlassen, die zweifelsohne eine Lösung hervorbringen würde. Demgegenüber schien es kurzsichtig und unklug, die Tradition nach dem Gutdünken der sich immer selbst überschätzenden Gegenwart neuzuordnen oder gar durch Gesetze an ihr herumzuändern. Derartige Eingriffe drohten großen Schaden anrichten, für den die Gesellschaft auf lange Sicht teuer würde bezahlen müssen. Die Pflege des Rechts als Wissenschaft, sei es durch die akademischen Gelehrten Europas, sei es durch die anglo-amerikanischen Gerichte, versprach die gewünscht kontinuierliche Entwicklung und die Erhaltung der Tradition. Das schien durch die Weitergabe des Wissens von einer Generation zu der von ihr ausgebildeten nächsten garantiert und durch die geschichtliche Erfahrung bestätigt. I m übrigen konnten Einzelentscheidungen weder unter den Gelehrten noch in der Welt von Bench and Bar sofort radikale Änderungen herbeiführen, denn hier beruhte alles auf dem Konsens einer Gemeinschaft von Fachleuten, der sich nur langsam wandelte. Der Gesetzgeber hingegen konnte sich nach Belieben und aus momentanen Launen oder Zweckmäßigkeitserwägungen mit einem Federstrich über die Tradition hinwegsetzen. Die Wirklichkeit bewies, daß er von dieser Macht oft genug Gebrauch machte. Er kümmerte sich dabei meist wenig um die Kontinuität der Entwicklung und untergrub mit Neuerungen die Voraussehbarkeit und damit auch die Sicherheit und Verläßlichkeit des Rechts. Dabei zerstörte er, oft unbewußt, wertvolle, über Jahrhunderte gewachsene Substanz. Je weniger er sich einmischte, desto besser war es deshalb für die Rechtskultur als Ganzes. b) Ebenso wichtig des Privatrechts zu Unterscheidung von lag dem klassischen

erschien es für diese Rechtskultur, die Neutralität zumindest bewahren, d. h. es nicht der Politik zu unterwerfen. Die Politik einerseits und Recht als Wissenschaft andererseits Rechtsverständnis allgemein zugrunde. Das zeigte sich vor

teilweise unabhängige Instanzen übertragen wurde. Zwar hatten deutsche Professoren und amerikanische Richter öffentliche Ämter inne, sie waren jedoch keine Staatsdiener im engeren Sinne sondern kraft ihrer weitreichenden fachlichen Unabhängigkeit im Grenzbereich zwischen Staat und Gesellschaft angesiedelt.

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allem in der strengen Trennung zwischen öffentlichem und Privatrecht 9 6 4 . Ersteres betraf den Staat und mochte nach politischen Gesichtspunkten gestaltet werden, taugte aber eben deshalb auch nicht zur wissenschaftlichen Bearbeitung 9 6 5 . Letzteres gehörte in den Bereich der Gesellschaft, mußte neutral bleiben und konnte damit eine Wissenschaft sein. In ähnlicher Weise spiegelte sich die Trennung von Recht und Politik in der Auffassung vom Aufgabenbereich des Juristen wider: Als Wissenschaftler beschäftigt er sich nur mit dem Recht als solchem; hingegen war für politische Argumente i m wissenschaftlichen Diskurs kein P l a t z 9 6 6 . Freilich war durch die Unterscheidung der Politik v o m Recht nicht ausgeschlossen, daß diese von fern auf jenes einwirkte. Nur durfte das Recht nicht der Politik Untertan werden, etwa indem es zur Disposition des schwankenden Willens gerade herrschender Mehrheiten stand. Als bloßes Ergebnis politischer Entscheidungen verlor es nämlich nicht nur seinen Rang als Wissenschaft (eine Wissenschaft ad hoc getroffener Willensentscheidungen war nicht m ö g l i c h 9 6 7 ) , es konnte vor allem nicht mehr als neutrales Instrumentarium voraussehbarer Entscheidungen dienen. Damit mußte es in seiner wichtigsten Funktion versagen. Deshalb hatte das Privatrecht von der Politik unabhängige, allgemeingültige und neutrale Maßstäbe aufzustellen und sollte gerade nicht „unter dem Namen des öffentlichen W o h l s " für staatswirtschaftliche Zwecke eingesetzt werden. 9 6 8 Hier lag einer der Ursprünge des juristischen Formalismus, den deutsche Rechtswissenschaft und Classical Legal Science teilten. Die Absage an inhaltliche, insbesondere politische Überlegungen war keineswegs immer ein Zeichen von Realitätsblindheit, sondern oft bewußter Verzicht auf Elemente, die in einem wahrhaft neutralen Recht nichts verloren hatten. Auch die Neutralität des Rechts ließ sich nach Ansicht der Gelehrten allein dadurch sicherstellen, daß es der Wissenschaft anvertraut wurde. Deren Vertreter hatten kein politisches A m t , gehörten keiner Partei an und verfolgten keine einseitigen Interessen. Sie waren nur der Wissenschaft verpflichtet, die wiederum

964 Sie war schon bei Savigny grundlegend, vgl. Savigny, Juristische Methodenlehre 13, und beherrschte auch die Classical Legal Science, vgl. Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 10 f.; Sugarman, Legal Theory, the Common Law Mind, and the Making of the Textbook Tradition 35. Dabei war man sich in England und Amerika der Verwandtschaft mit Savigny zum Teil bewußt, vgl. etwa Clarke, The Science of Law and Law-Making 448. 965 Vgl. Grey, Langdell's Orthodoxy 34. 966 Windscheids berühmter Satz, daß ethische, politische und wirtschaftliche Überlegungen nicht „Sache des Juristen als solchen" seien, Windscheid, Gesammelte Reden und Abhandlungen 112, hat in der anglo-amerikanischen Literatur der Classical Period viele Gegenstücke, etwa bei Maine, Lectures on the Early History of Institutions 370, oder bei Amos, The Science of Jurisprudence 7 f. 967 Vgl. dazu oben B.III.2. 968 Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 54.

Zweiter Teil: Blütezeit nur der Wahrheitsfindung diente. So urteilten sie nach rein fachlichen Kriterien und deshalb in der Sache neutral 9 6 9 . Der Gesetzgeber hingegen war weder der Wissenschaft noch der Wahrheit verpflichtet sondern den Zweckmäßigkeitsgeboten des Regierens. Er war kraft Amtes Politiker, sodaß das Recht unweigerlich zum Instrument der Politik werden mußte. Das war solange hinnehmbar, wie der Gesetzgeber nicht unbedingt dem Mehrheitswillen folgte, sondern nach den Kriterien des Gemeinwohls urteilte, wie sich das i m Deutschland Savignys und seiner Schüler hoffen ließ. Doch genügte schon damals ein B l i c k auf das revolutionäre Frankreich, um zu begreifen, wohin das Diktat der Mehrheit führte. So mußte dann auch in der Classical Era das Recht in England und vor allem in Amerika seiner Neutralität beraubt sein, wenn sich der Gesetzgeber seiner annahm. Als demokratisch gewählte Volksvertretung schuf und änderte dieser es nach dem jeweiligen Wählerwillen. Aus der Sicht der Rechtswissenschaftler wurde es dadurch zu einem Machtinstrument degradiert, m i t der die Mehrheit der Minderheit ihre Wünsche aufzwang 9 7 0 . Es war Spielball parteilicher Auseinandersetzungen — nicht nur Instrument, sondern sogar Sklave der Politik. Es ist leicht, das Beharren auf der Neutralität des Rechts als naiv abzutun, weil es nach heute weithin herrschender Ansicht selbst ein unparteiisches Privatrecht nicht gibt. Es ist inzwischen eine Binsenweisheit, daß auch die vermeintliche Neutralität des seinerzeitigen Rechts die bestehenden wirtschaftlichen und politischen Machtverhältnisse bestätigte und damit wiederum den Interessen der herrschenden Schicht diente. Doch kommt es darauf hier nicht an. W i c h t i g ist vielmehr zu akzeptieren, daß die Idee der Neutralität des Rechts und die Vorstellung seiner Trennung von der Politik den Zeitgenossen ernst und wichtig war. Insbesondere in Amerika drückte sich darin die Sehnsucht nach einem Bereich aus, der von den sonst fast allgegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung verschont blieb. Das war nicht zuletzt eine Reaktion auf die seinerzeit extreme Parteipolitik mit ihrer mehr oder weniger offenen Bevorzugung der jeweiligen Parteigänger und ihrer weitverbreiteten Korruption. Wenigstens i m Privatrecht sollte es dauerhafte und klare Regeln geben, auf die man sich aus einer konfliktgeladenen Welt zurückziehen konnte, und die Schutz boten vor den Unberechenbarkeiten des politischen Klimas. Wenn also historische Schule und Classical Legal Science das Privatrecht als Wissenschaft betrachteten und deshalb i m wesentlichen nicht dem Gesetzgeber zu überlassen gedachten, so wollten sie es auch davor bewahren, Opfer kurzsichti969 Dementsprechend war auch die amerikanische Anwaltschaft in ihrem Streben nach Anerkennung als wissenschaftlich gebildete Profession um ein Image politischer Neutralität bemüht, vgl. Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 60 f.; Hall, The Magic Mirror 214. 970 Tiedemann beklagte in seinerzeit typischer Weise den „absolutism of a democratic majority", Tiedemann, The Unwritten Constitution of the United States 80.

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ger und einseitiger Interessen zu werden. Als solches konnte es dem Gemeinwohl ihrer Ansicht nach nicht mehr dienen, denn ohne Kontinuität und Neutralität hatte es seinen traditionellen Sinn als Voraussehbarkeit und Sicherheit verbürgendes Regelsystem der privaten Rechtsverhältnisse verloren. 4. Klassischer

Rechtsbegriff

und moderne

Demokratie

Die auf Kontinuität und Neutralität des Rechts ausgerichtete Haltung von historischer Schule und Classical Legal Science war ihrem ganzen Wesen nach undemokratisch. M i t ihr verweigerte die Rechtswissenschaft i m Bereich des Privatrechts, was die Demokratie verlangte: Die Entscheidung der jeweiligen Mehrheit über die Regeln des Zusammenlebens. A n diesem Gegensatz änderten weder die Volksgeistlehre noch ihre anglo-amerikanischen Pendants etwas, zumal sie auch gar nicht i m Sinne einer Volksherrschaft gemeint waren. Denn selbst wenn das Recht w i r k l i c h der Gesamtkultur und ihrer Geschichte entsprach, so war es nach demokratischen Prinzipien der Mehrheit doch unbenommen, sich über Kultur und Tradition hinwegzusetzen, und das Recht zum M i t t e l politischer oder sozialer Zwecke zu machen. Genau das konnte die klassiche Rechtswissenschaft aber nicht gutheißen 9 7 1 . a) Dieser undemokratische Charakter des Rechtsverständnisses war für die historische Schule in Deutschland kein wesentliches Problem. Freilich waren Savignys Überzeugungen mit den demokratischen und fortschrittlichen Forderungen von 1848 v ö l l i g unvereinbar, aber i m großen und ganzen stand zur Zeit der klassischen deutschen Jurisprudenz Rechtssetzung durch die Mehrheit des Volkes nicht ernstlich zur Debatte. Es gab vorerst keinen aufgrund allgemeinen Wahlrechts legitimierten Gesetzgeber, an dessen Entscheidungen die wissenschaftlichen Juristen hätten Anstoß nehmen können. I m übrigen neigte die deutsche Gesetzgebung, abgesehen von der Revolutionsperiode, nicht zu wesentlichen Neuerungen und politischen Eingriffen ins Privatrecht, sondern entsprach weitgehend den Wünschen der Wissenschaft, indem sie ihr das Terrain überließ oder jedenfalls ihren Vorgaben folgte. V o n einem grundsätzlichen Streit zwischen gelehrten Juristen und Gesetzgebern konnte also keine Rede sein; vielmehr arbeiteten beide in aller Regel sehr fruchtbar zusammen. b) V o r allem in den U S A bedeutete jedoch der Widerspruch zwischen dem undemokratischen Charakter der Rechtswissenschaft und dem demokratischen Wesen der Regierungsform ein tiefes Dilemma, denn dort geriet das Streben nach Kontinuität und Neutralität des Privatrechts i n K o n f l i k t mit den Reformpro-

971 Dem lag ein tiefer Widerspruch zwischen Demokratie und Historismus zugrunde. Demokratie bedeutet Herrschaft der jeweiligen Mehrheit und damit der Gegenwart über die Vergangenheit; eine historische Weltsicht hingegen geht von der (zumindest unvermeidlichen, weitgehend sogar erwünschten) Herrschaft der Vergangenheit über die Gegenwart aus.

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grammen der gewählten Legislative. Eine vollständige Schilderung dieses Konflikts würde hier viel zu weit führen, denn sie erforderte die Analyse eines jahrzehntelangen und bis heute diskutierten verfassungsrechtlichen Streits, der eine ganze Periode der amerikanischen Rechtsgeschichte prägte. 9 7 2 Wenigstens eine kurze Betrachtung lohnt sich aber aus zwei Gründen. Sie macht deutlich, wie brisant die undemokratische Natur des klassischen Rechtsverständnisses war, und sie zeigt ein weiteres Stück des politischen Zusammenhangs, in dem Classical Legal Science und historische Schule standen und schließlich auch beurteilt wurden. Den konservativen, gelehrten Juristen war durchaus klar, daß ihre Haltung mit demokratischen Prinzipien kaum zu vereinbaren war. Darauf hatte Field sie schon 1855 unmißverständlich hingewiesen. Monarchischen oder aristokratischen Regierungsformen sei eine Herrschaft der Juristen über das Recht vielleicht angemessen, führte er aus, „but that it should happen in a republic, where all citizens both legislate and obey, is one o f those anomalies which . . . seems at first sight incredible." 9 7 3 . Das brachte seine Gegner in große Verlegenheit, wie das Gewundene ihrer Argumentation bewies. Carter konterte, Gesetzbücher seien Produkte despotischer Regierungsformen und deshalb unvereinbar m i t der „Anglo-Saxon l i b e r t y " 9 7 4 . Der erste T e i l dieses Arguments war historisch vertretbar, besagte aber nichts über eine v o m demokratischen Gesetzgeber New Yorks angenommene Kodifikation; und warum ein Gesetzbuch dem angelsächsischen Freiheitsgeist widersprechen sollte, blieb sowieso unklar. Trotzdem war Carters Argument w o h l gewählt, denn es sprach vertraute Vorstellungen an: Die Wiege der Kodifikation, das C i v i l L a w , galt den Common Lawyers schließlich seit jeher nicht nur (methodisch) als Reich begrifflicher Ordnung, sondern auch (politisch) als Reich des Absolutismus 9 7 5 . Gegenüber privatrechtlicher Gesetzgebung überhaupt verstieg sich Carter darüberhinaus zu einem kuriosen Gewaltenteilungsargument. Seiner Ansicht nach waren die Mitglieder der Legislative nämlich zur Regelung des Privatrechts „disqualified by the nature o f their d u t i e s " 9 7 6 . Carter meinte damit, daß sie als politisch gewählte Volksvertreter auch nur für den Bereich des Politischen, d. h. für das öffentliche Recht zuständig seien. Hingegen sollte die Gesetzgebung sich nicht unterstehen „to deal w i t h those scientific problems of private law which 972

Diese Periode wird sogar nach dem meistdiskutierten, 1905 vom US Supreme Court entschiedenen Fall Lochner v. New York (198 U.S. 45, 1905) heute allgemein als „Lochner-Era" bezeichnet. 973 Field, Law Reform, An Address 26. 974 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 6 ff. 975 Vgl. oben Α.3. Diese politischen Assoziationen spielten auch in England eine Rolle, wo noch die gedankliche Verbindung zwischen Kodifikation und dem jahrelangen Gegner auf Leben und Tod, Napoleon, hinzukam, dazu van Caenegem, Judges, Legislators and Professors 49 f. 976 Carter, On the Proposed Codification of Our Common Law 87.

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are beyond its power to s o l v e " 9 7 7 . Die Pflege des Privatrechts war vielmehr „the part which the legal profession ought to f i l l in a democratic State" 9 7 8 . Demnach hatten die Juristen insofern, wie bei Savigny, ein eigenes Mandat als Wissenschaftler; nur schloß dieses bei Carter dasjenige des Gesetzgebers i m Privatrecht offenbar aus. Wer es den Legal Scientists verliehen hatte, wenn nicht sie selbst, blieb offen. Carters Sichtweise schien seinerzeit nicht unbedingt absurd. Immerhin hatte sie die Geschichte des Common Law auf ihrer Seite, in der die Entwicklung des Rechts in der Tat weitgehend den Juristen überlassen gewesen war. Außerdem dachten andere, besonnenere Zeitgenossen ähnlich. ,,[I]t certainly does not look", meinte etwa Munroe Smith, „as i f the people really desired to transfer to the legislatures the duty of developing the entire private l a w . " 9 7 9 Smith begründete das unter anderem damit, daß das V o l k dem Gesetzgeber durch die Verfassung ganz bewußt Zügel angelegt habe. 9 8 0 A u c h unter seinen Kollegen war die Überzeugung weitverbreitet, daß den „radical experimentations of the social reformers" durch die Verfassung Schranken gesetzt seien 9 8 1 . c) Damit sprach Smith einen Punkt an, der schon bald entscheidend werden sollte. Das verfassungsrechtliche Argument führte nämlich zu umfangreichen gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Grenzen legislativer Macht. Die von den Eingriffsgesetzen betroffenen Eigentümer und Unternehmer wehrten sich gegen die Änderung des Common Law und gegen die Beschränkung ihrer wirtschaftlichen Freiheit, in dem sie die Bewahrung des traditionellen Rechts forderten und Änderungen als verfassungswidrig anprangerten. Damit mußten die Gerichte, die die notwendige Verwerfungskompetenz (Judicial Review) schon lange besaßen, entscheiden, wie weit der Gesetzgeber in die althergebrachten Grundsätze des Common Law eingreifen durfte. So wurde der K o n f l i k t zwischen dem konservativen und liberalistischen, klassischen Rechtsbegriff und dem Herrschaftsanspruch des demokratischen Gesetzgebers zum Verfassungsstreit 982 . Dabei stellte sich die Richterschaft in vielen Fällen auf die Seite der K l ä g e r 9 8 3 . Sie verteidigte dann die Prinzipien des Common Law gegen legislative Eingriffe

977 Carter, The Provinces of the Written and the Unwritten Law 59. 978 Id. 60. 979 Smith, Statute Law and Common Law 132 (Hervorhebung im Original). 980 id. Im übrigen war er der Ansicht, das Volk sei mit der Richterschaft zufriedener als mit dem Gesetzgeber, id. 981 Tiedemann, The Limitations of Police Power V I I f.; ders., The Unwritten Constitution of the United States 80 f.; Cooley, A Treatise on the Constitutional Limitations Which Rest Upon the Legislative Power of the States of the American Union. Das entsprach den Überzeugungen konservativer Politiker, vgl. etwa die Begründung des von Präsident William Howard Taft 1911 ausgesprochenen Vetos eines Sozialgesetzes, abgedruckt bei Hall / Wiecek / Finkelmann, American Legal History 328 ff. 982 Hall, The Magic Mirror 230 ff.; Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 27 ff.; Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas 21 ff. 16 Reimann

Zweiter Teil: Blütezeit und erklärte Abänderungen für verfassungswidrig. Grundlage dafür war die Due Process Clause des 14. Zusatzartikels zur amerikanischen Bundesverfassung (14th Amendment). Diese besagte wörtlich an sich nur, daß der Staat nicht ohne „due process " in Leben, Freiheit oder Eigentum einer Person eingreifen dürfe 9 8 4 , wurde aber nun als materielle Garantie vor allem der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit ausgelegt; diese wiederum interpretierten die Gerichte i m Sinne der fast unbeschränkten Vertragsfreiheit des Common Law. Praktisch wurden so die Grundzüge des traditionellen Vertragsrechts in den 14. Zusatzartikel hineingelesen, d. h. konstitutionalisiert und gegen gesetzgeberische Eingriffe immunisiert. Gesetzliche Begrenzungen der Arbeitszeit etwa waren demnach nicht nur eine Abweichung von der privaten Vertragsfreiheit sondern auch ein Verfassungsverstoß 9 8 5 . Diese Rechtsprechung w i r d gemeinhin als Fortsetzung bzw. unzeitgemäße Erneuerung des naturrechtlichen Denkens verstanden, wie es das Zeitalter der amerikanischen Revolution von 1776 beherrscht hatte. Das ist zum Teil durchaus richtig. Viele Gerichte sahen etwa die Befugnis „to pursue any lawful business or vocation" als ein „inalienable right", das nicht zur Disposition des Gesetzgebers stand 9 8 6 . Hierin verbanden sich naturrechtliches Erbe, liberalistischer Geist des traditionellen Common Law und modernes Laissez Faire Denken zu einer Verfassungsdoktrin 9 8 7 Ein solches Verständnis der seinerzeitigen, amerikanischen Verfassungsinterpretation ist jedoch unvollständig. Diese ergab sich nämlich nicht nur aus dem Glauben an unveräußerliche Rechte, sondern folgte auch aus der oben behandelten Sorge um die Kontinuität und Neutralität des Rechts. Damit beruhte sie letztendlich auch auf dem klassischen Rechts Verständnis, das historische Schule und Classical Legal Science teilten. Das zeigt sich schon bei den geistigen Vätern des Laissez Faire

Constitutiona-

lism. Thomas Cooley, John Norton Pomeroy und Christopher Tiedemann spra983

Die Reaktionen der Gerichte waren allerdings uneinheitlich und keineswegs immer gesetzesfeindlich und konservativ; differenzierend Hall, The Magic Mirror 238 ff. 984 „Nor shall any State deprive any person of life, liberty, or property without due process of law", Fourteenth Amendment, Section 1. 985 Lochner v. New York (198 US 45,1905). Im Ergebnis verlieh diese Rechtsprechung dem Prinzip des Laissez Faire verfassungsrechtlichen Rang; darauf wies Holmes in seinem berühmt gewordenen abweichenden Votum mit aller Klarheit hin, id. 75. 98 6 Butchers Union v. Crescent City, 111 US 746 (1883) 757 (zustimmendes Sondervotum von Justice Field). 987 Dabei argumentierten die Gerichte oft begriffsjuristisch und formalistisch, indem sie Konzepte wie Eigentum oder Vertrag als absolute Kategorien behandelten, mit denen gesetzgeberische Beschränkungen logisch unvereinbar waren, vgl. Pound , Jurisprudence I 92 ff. (mit konkreten Beispielen). Das spiegelte eine Sicherheit fester Prinzipien vor, hinter der sich jedoch allzu arbiträre Entscheidungen verbargen, dazu Freund, Standards of American Legislation 211, 214. A l l das erinnerte methodisch unwillkürlich an die deutsche Begriffsjurisprudenz, vgl. Pound, The Spirit of the Common Law 151. Zu den Auswirkungen dieser gedanklichen Verbindung näher unten Dritter Teil B.

C. Die historische Schule als Kultur chen sich nicht zuletzt deshalb für einen verfassungsrechtlichen Schutz der wirtschaftlichen Freiheit aus, weil sie gesetzgeberische Einschränkungen als Mißachtung der Tradition sahen. Dem lag ein Verständnis des Rechts als Erbe der Geschichte und Ausdruck der Gesamtkultur zugrunde 9 8 8 . Dieses Verständnis wiederum war jedenfalls bei Pomeroy und Tiedemann auch das Ergebnis des Einflusses deutschen, historischen Rechtsdenkens 9 8 9 . Hier wirkten die Ideen der historischen Schule mitsamt ihren antidemokratischen Implikationen bis ins amerikanische Verfassungsdenken hinein. Aber auch den Gerichten, die dem demokratischen Gesetzgeber Eingriffe in das Common Law verboten, ging es nicht zuletzt darum, Tradition und Neutralität des Rechts zu erhalten, damit es auch weiterhin Voraussehbarkeit und Sicherheit gewähren konnte. Das läßt sich anhand eines Beispiels veranschaulichen. I m Fall Ives v. South Buffalo Railway Co.990 erklärte der Court of Appeals, das höchste Gericht des Staates New York, i m Jahre 1911 das i m Vorjahr verabschiedete Workmen's Compensation Law für verfassungswidrig. Das Gesetz stellte in Nachahmung des englischen (und mittelbar des deutschen) Vorbilds die Haftung des Arbeitgebers für Verletzungen des Arbeitnehmers auf eine v ö l l i g neue Grundlage. Sie wurde aus dem Common Law ausgegliedert, v o m beiderseitigen Verschulden unabhängig gemacht und an ein Pflichtversicherungssystem gekoppelt. Das Gericht sah in der Anordnung der Haftung ohne Verschulden „a deprivation of liberty and property under the federal and state Constitutions" 9 9 1 . Dahinter stand keine Parteinahme für unbedingten wirtschaftlichen Liberalismus und keine grundsätzliche Opposition gegen Reformen, denn das Gericht betonte in glaubwürdiger Weise, daß es den sozialpolitischen Zweck und die Vorteile des Gesetzes keineswegs verkenne. Gleichwohl sahen die Richter das Gesetz als unvereinbar an mit dem „fundamental l a w " 9 9 2 . Das beruhte nicht nur auf einem abstrakten Glauben an „inalienable r i g h t s " 9 9 3 , sondern auch auf konkreter Angst vor den fatalen Konsequenzen radikaler, politisch motivierter Abweichungen von der Tradition für das Schicksal der gesamten Rechtskultur. M i t seinem Prinzip verschuldensunabhängiger Haftung war das Gesetz „a departure from our longestablished law and usage" und deshalb „plainly revolutionary" 9 9 4 . Eine derartige Mißachtung der Überlieferung wurde nach Ansicht des Gerichts durch die dahinterstehenden, sozialpolitischen M o t i v e nicht gerechtfertigt, sondern nur noch bedenklicher gemacht: „ I f such economic and sociological arguments as are here 988 Dazu ausführlich und die bislang herrschende Sichtweise in wichtigen Punkten revidierend Siegel, Historism in Late Nineteenth-Century Constitutional Thought. 989 Vgl. oben Übermittlung 2. Anm. 58 und Text (Tiedemann), sowie A.I.l. Anm. 115 ff. und Text (Pomeroy). 990 201 NY 271 (94 NE 431) (1911). 991 Id. 294 (439). 992 Id. 993 Diese wurden allerdings zitiert, id. 293 (439). 994 id. 285 f. (436). 16*

Zweiter Teil: Blütezeit advanced in support of this statute can be allowed to subvert the fundamental idea of property, then there is no private right entirely safe, because there is no limitation upon the absolute discretion of legislatures" 9 9 5 . Es war dann mit der althergebrachten Neutralität und Kontinuität des Privatrechts vorbei und dadurch auch mit der Sicherheit von Eigentum und Vertrag. Das ging nicht nur an die Haftung des Arbeitgebers, sondern an die Grundlagen des Gemeinwesens 9 9 6 . Nach alldem war es verständlich, wenn Kritiker dieser Verfassungsrechtsprechung wie Pound und andere sie mit der Classical Legal Science und der historischen Schule i n Verbindung brachten 9 9 7 . Das schien zwar zunächst verwegen, denn weder Langdell noch Savigny waren erklärte Befürworter des verfassungsrechtlichen Schutzes unbeschränkter wirtschaftlicher Freiheit oder unbedingte Gegner fortschrittlicher Sozialgesetzgebung 998 . Trotzdem waren historische Schule und klassische amerikanische Rechtswissenschaft über ihre geschichtliche Rechtsauffassung diesen Gerichtsentscheidungen i m Geiste verwandt. Denn sowohl diese Schulen als auch das Denken jener Richter beruhten auf dem klassischen, auf Kontinuität und Neutralität bedachten Rechts Verständnis. Sie alle sahen das Recht vor allem als Tradition, nicht als Gestaltungsmittel. Damit wurden gesetzgeberische Eingriffe ihrem ganzen Wesen nach suspekt, sodaß sie in engen Grenzen zu halten waren. Es war deshalb nicht ganz unberechtigt, wenn sich die der Rechtsprechung gemachten Vorwürfe antidemokratischer und fortschrittsfeindlicher Haltung zum Teil auch gegen Classical Legal Science und historische Schule richteten. Das sollte auf deren späteres Schicksal wichtige Auswirkungen haben 9 9 9 .

995 Id. 295 (440). 996 Eine derartige Abweichung von der Tradition war deshalb nach Ansicht des Gerichts nicht durch den Gesetzgeber, wohl aber durch Verfassungsänderung möglich. In der Tat wurde die Verfassung des Staates New York kurz darauf durch Volksentscheid entsprechend geändert, woraufhin das Workmen's Compensation Law neu verabschiedet wurde und Bestand hatte, vgl. Hall, The Magic Mirror 244. Heute haben alle amerikanischen Staaten derartige Gesetze über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. 997 Vgl. vor allem Pound, Taught Law; ders., The Formative Era of American Law 116. Eine Verbindung zwischen der Gesetzesfeindlichkeit seiner konservativen Zeitgenossen und Savignys Denken sah auch Schofield, der Haywards Übersetzung des Berufs zitierte, um zu zeigen, daß „such dangers also exist among scientific jurists on the Continent", Schofield, Uniformity of Law in the Several States as an American Ideal 523. Zur Verbindung zwischen Classical Legal Science und amerikanischer Verfassungsrechtsprechung Grey, Langdell's Orthodoxy 39. 998 Insbesondere Savigny wußte sehr wohl um die Probleme unbeschränkter Privatautonomie, wollte diese aber nicht durch Einmischung ins Privatrecht, sondern mit den Mitteln des öffentlichen Rechts gelöst wissen, Savigny, System des heutigen römischen Rechts I 371. Er war deshalb wie die amerikanischen Gegner der Sozialgesetzgebung ein Verteidiger der Neutralität des Privatrechts, aber anders als diese kein Gegner jeglicher Beschränkungen wirtschaftlicher Freiheit. 999 Vgl. dazu Schluß (c).

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Zusammenfassung Der Einfluß der historischen Schule als Rechtsentstehungslehre und als wissenschaftliche Methode auf das Denken der Common Lawyers muß i m Zusammenhang gesehen werden mit den Verbindungen zwischen der deutschen und der anglo-amerikanischen Rechtskultur. A u c h auf dieser Ebene entsprach die deutsche Rechtswissenschaft, wie sie sich seit Savigny entwickelt hatte, in vielfacher Hinsicht den Neigungen und Interessen der Common Lawyers. Als sich diese i m Zuge ihres Strebens nach Professionalisierung und verbessertem sozialem Status in der Classical Era um Anerkennung ihres Fachs als akademisches Wissensgebiet bemühten, kam ihnen das europäische und insbesondere das deutsche M o d e l l gelegen. Das zeigte sich sowohl i m Aufkommen der universitären Berufsausbildung als auch in der Entstehung einer Klasse hauptamtlicher Rechtsprofessoren. Trotz des Fortwirkens der praktischen Tradition des Common L a w , verringerte sich durch diese Entwicklungen die bisherige K l u f t zwischen anglo-amerikanischen und europäischen Juristen in einem wesentlichen Punkt: Nach Jahrhunderten des Gegensatzes zwischen Akademikern hier und Praktikern dort, begriffen beide Seiten Recht nun (auch) als Wissenschaft i m Sinne einer universitären Disziplin. Zugleich erneuerten und bekräftigten die Common Lawyers ihren Führungsanspruch in der Rechtskultur, insbesondere gegenüber dem Gesetzgeber. Hatten sie schon den bislang sporadischen legislativen Eingriffen ins Common Law eher ablehnend gegenübergestanden, so hatten sie es nach der Mitte des 19. Jahrhunderts mit einem Gesetzgeber zu tun, der die Herrschaft ganz an sich zu reißen drohte, sei es durch Kodifikation des Privatrechts oder durch vielfache Einzeleingriffe in seine Substanz. I n dieser Bedrängnis erinnerten sich die Common Lawyers nicht selten der deutschen historischen Schule. Savignys Rechtslehre und Argumente gegen Thibaut verliehen der gesetzesfeindlichen Einstellung der Common Lawyers eine wissenschaftstheoretische Grundlage. Zudem diente die deutsche Rechtswissenschaft als Anschauung und praktisches Beispiel einer führenden Rolle der gelehrten Juristen, wie sie die Common Lawyers auch für sich selbst erstrebten. Wenn sie in ihrer Abwehr der Gesetzgebung mitunter über Savigny noch weit hinausgingen, so lag das wohl daran, daß sie i m Gegensatz zu ihren europäischen Kollegen an Rechtsschöpfung durch die Gerichte und nicht an den Primat der Legislative gewöhnt waren und deshalb um so stärker dagegen rebellierten. Betrachtet man die klassische deutsche und anglo-amerikanische Rechtswissenschaft aus politischer Perspektive, so findet man beide in einer konservativen, liberalistischen und antidemokratischen Grundhaltung verbunden. Diese Haltung wirkte sich je nach den Zeitumständen verschieden aus. Sie deutete sich bei Savigny an in seiner Abneigung gegen drohende politische und soziale Reformen, gegen die fortdauernden Einmischungen der Obrigkeit in das Leben der Bürger, und gegen die aus Frankreich herüberwirkenden Ideen der Volkssouveränität. I n

Zweiter Teil: Blütezeit der Classical Era lief sie auf Widerstand gegen fortschrittliche Sozialgesetzgebung und auf Eintreten für wirtschaftliches Laissez Faire hinaus sowie auf eine Ablehnung der Rechtssetzung durch bloßen Beschluß gesetzgeberischer Mehrheiten. Doch zeigt genaueres Zusehen, daß diese Überzeugungen nicht nur politisch motiviert waren. Vielmehr wurzelten sie schon in dem historischer Schule und Classical Legal Science gemeinsamen, geschichtlichen Rechtsbegriff. Das Verständnis des Rechts als Erbe der Vergangenheit und als Frucht organischen Wachstums führte zu einer grundsätzlichen Haltung, derzufolge das Hergebrachte zu bewahren, seine Entwicklung möglichst ungestört zu lassen und jedenfalls nicht ad hoc getroffenen Mehrheitsentscheidungen anheimzustellen war. Insofern ging es den deutschen wie anglo-amerikanischen Juristen dieser Zeit jenseits aller politischen und wirtschaftlichen Interessen auch um die Bewahrung der Rechtstradition selbst. Dahinter stand die Überzeugung, daß die Kontinuität und Neutralität des Privatrechts wichtige Grundlagen des Gemeinwohls waren, die es gegen Eingriffe zu verteidigen galt. Ganz i m Sinne Savignys wurde Recht also als Kulturphänomen begriffen, das der Wissenschaft zur Erforschung und Pflege anvertraut war, nicht aber der Politik überlassen werden durfte. Die einzelnen Gesichtspunkte — akademischer Status, Führungsanspruch der gelehrten Juristen, politische Interessen und Haltungen — wurden oben getrennt betrachtet, wie das für die Darstellung hilfreich ist. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine solche Trennung künstlich ist. Letztendlich muß man diese Elemente in Verbindung miteinander und i m Zusammenspiel sehen, denn sie waren alle nur Erscheinungsformen derselben Überzeugung, daß das Recht eine Wissenschaft sei: Die Wissenschaftlichkeit des Rechts erforderte sein akademisches Studium und widersprach eben deshalb der Einmischung der großenteils aus Laien bestehenden Legislative; sie legte seine Pflege in die Hände wahrheitssuchender Gelehrter oder neutraler Richter und war darum von der Politik zu trennen; sie verpflichtete zur Wahrung der Tradition und verbot somit seine beliebige Umgestaltung nach bloßem Gutdünken der Gegenwart; und sie erhob das Recht und seine Vertreter über bloßen Streit und reine Willensentscheidungen hinaus und gab ihnen intellektuelles Ansehen und soziale Würde. A l l das verkörperte die deutsche historische Schule — zumindest aus angloamerikanischer Sicht — in beinahe idealer Weise. So wurde sie vielen in der Classical Era zu einer A r t Musterbeispiel einer wissenschaftlichen Rechtskultur. A u c h deshalb stand sie für zwei Generationen unter den führenden Juristen in der Welt des Common L a w in höchstem Ansehen.

Zur Überlegung: Die historische Schule als Bindeglied zwischen Civil Law und Common Law Angesichts der Vielzahl der Wirkungsebenen läßt sich ein einziger, allumfassender Grund für die Bedeutung der deutschen Jurisprudenz in der Classical Era

Die historische Schule als Bindeglied

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des amerikanischen Rechtsdenkens nicht nennen. Betrachtet man aber die W i r kung der historischen Schule in den Vereinigten Staaten aus größerem Abstand, so zeigt sich i m Kaleidoskop der Erklärungen vielleicht doch ein gemeinsamer, wenn auch sehr allgemeiner Nenner. U m ihn zu erkennen, muß man die Rolle der historischen Schule in den umfassenderen Zusammenhang des Verhältnisses der Amerikaner zum kontinentaleuropäischen Rechtsdenken überhaupt stellen. Dazu bedarf es der Anknüpfung an das oben i m ersten Teil Gesagte. a) W i e dort erläutert 1 0 0 0 , hatten die Juristen in den U S A dem C i v i l Law i m frühen und mittleren 19. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht ambivalent gegenübergestanden. Einerseits hatten sie daran den Reichtum der dogmatischen Lösungen geschätzt, seine klaren Begriffe und logischen Strukturen bewundert und oft mit Neid auf seine akademische Tradition und wissenschaftliche Würde gesehen. Andererseits stand ihnen die romanistische Dogmatik innerlich fern, hatten sie die europäische Neigung zum abstrakten Theoretisieren belächelt und dem C i v i l Law wegen seiner Verbindungen zum politischen Absolutismus mißtraut. Die historische Schule, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Amerika zusehends bekannt wurde, zeichnete sich nun dadurch aus, daß sie viele der aus amerikanischer Sicht fremden oder fragwürdigen Aspekte des C i v i l L a w vermied oder verminderte, ohne dessen Vorzüge zu beeinträchtigen. Zunächst war das C i v i l Law den Common Lawyers unter anderem deshalb fremd gewesen, weil es traditionell vor allem m i t der romanistischen Welt Südeuropas verbunden war, während sie sich selbst zum angelsächsischen und damit germanistischen Nordeuropa zugehörig fühlten. Aus englischer Sicht war es zudem das Recht der Erzfeinde Frankreich und Spanien und des seit der StuartÄra verhaßten Katholizismus gewesen. Als jedoch die Führungsrolle in der kontinentaleuropäischen Jurisprudenz um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf Deutschland überging, rückte das C i v i l Law den anglo-amerikanischen Juristen innerlich näher. Es war jetzt zuhause i m nordeuropäischen Preußen, dem sich die Anglo-Amerikaner wegen seiner germanischen Bevölkerung, seiner Sprache und nicht zuletzt wegen des gemeinsamen Protestantismus verwandt fühlten. Diese Verschiebung bewirkte einen feinen und objektiv nicht meßbaren, aber trotzdem spürbaren Unterschied in der anglo-amerikanischen Haltung zum C i v i l Law. Die Lebendigkeit der persönlichen Kontakte mit Gelehrten in Deutschland indiziert die größere Nähe, die man nun in England und Amerika zum kontinentaleuropäischen Rechtsdenken empfand; derlei hatte es mit Frankreich oder Italien nicht gegeben. V o r allem aber versöhnte die deutsche Jurisprudenz die anglo-amerikanischen Rechtsdenker mit dem C i v i l Law in methodischer Hinsicht. Das Wissenschaftskonzept der historischen Schule war zwar in seiner begrifflich-systematischen Dimension Erbe des Natur- und Vernunftrechts, weshalb es wie dieses eine looo Erster Teil, Zusammenfassung.

Zweiter Teil: Blütezeit logische Strukturierung der Materie verhieß. Doch wich es mit seiner Ausrichtung auf das historisch-positive Recht v o m bisherigen Pfad apriorischer Kategorien und deduktiver L o g i k ab und versprach damit, gegen ein Verfallen in metaphysische Spekulation gefeit zu sein. Endlich betrieben die Zivilisten die Jurisprudenz nicht mehr als Philosophie, sondern als wahre Wissenschaft v o m positiven Recht. M i t anderen Worten: Als systematische Disziplin bewahrte die historische Schule die Vorteile des europäischen Denkens, und als geschichtliche schien sie, seine Nachteile zu vermeiden 1 0 0 1 . Damit verband sie aus der Sicht der Common Lawyers die diesen so wichtige Traditionsverbundenheit und Nähe zum positiven Recht mit der von der Classical Era ersehnten begrifflichen Klarheit und systematischen Ordnung auf geradezu ideale Weise. Sie schien damit den Weg zu weisen zur Überwindung des großen Gegensatzes zwischen „ l o g i c " und „experience". Selbst den politischen Vorbehalten gegen das C i v i l L a w wirkte die historische Schule entgegen. Zwar blieb die römisch-rechtliche Tradition der politischen Unfreiheit verdächtig, doch gab es in Deutschland schließlich auch die Germanisten, die sich gegen die reaktionäre Monarchie seit der Vormärzzeit zur Wehr setzten und sich auf die alten Freiheiten des Volkes beriefen. W i e leicht man auch amerikanischerseits in ihnen ideologische Verbündete sehen konnte, zeigte die Begeisterung für die Idee eines germanischen Ursprungs des Common L a w 1 0 0 2 . Hinzu kam, daß sich die historische Schule als ganze, wenn man es so sehen wollte, v o m überkommenen Dogma des fürstlichen Rechtssetzungsmonopols distanzierte, indem sie sich gegen obrigkeitliche Gesetzgebung und Bevormundung ausgesprach. Wenn sie stattdessen die Rechtsentwicklung in die Hände der Juristen legen und allmählicher Entwicklung überlassen wollte, dann paßte das durchaus zur richterrechtlichen Tradition des Common L a w . So betrachtet war Savignys Denken den Ansichten der anglo-amerikanischen Juristen näher verwandt als den absolutistischen Lehren Justinians oder Jean B o d i n s 1 0 0 3 . Die historische Schule setzte also die Tradition des C i v i l Law zwar fort, verlieh dem kontinentaleuropäischen Rechtsdenken aber in wesentlichen Punkten neue Akzente: Sein Charakter war nicht mehr so sehr romanistisch-katholisch, sondern eher preußisch-protestantisch; seine Methode war nicht mehr naturrechtlichmetaphysisch, sondern schien historisch-positivistisch; und das Recht wurde nicht mehr als Fürstenwille gesehen, sondern als Gewohnheit, deren Entwicklung und Verfeinerung den Juristen und ihrer Wissenschaft oblag. 1001 Es ist bezeichnend, daß die rein spekulative deutsche Rechtsphilosophie vor allem Kants und Hegels, die das Mißtrauen der Common Lawyers gegen apriorisch-abstraktes Denken bestätigte, bei ihnen wenig Anklang fand; vgl. Campbell, German Influences on English Legal Education and Jurisprudence in the 19th Century 381, 385 ff.; Pound , The Spirit of the Common Law 152. 1002 Dazu oben A.I.2. 1003 Dabei mußte man allerdings davon absehen, daß Savignys Rechtsentstehungslehre keine politische Theorie war. Es ging darin nur um die Frage, welche Form der Rechtsentwicklung ratsam sei. An der Rechtssetzungsmac/rt der Obrigkeit wollte sie nicht rütteln.

Die historische Schule als Bindeglied

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b) So lassen sich die einzelnen Gründe für die Anziehungskraft der deutschen Jurisprudenz letztenendes vielleicht am besten dahingehend zusammenfassen, daß die historische Schule das C i v i l L a w in ein neues, aus anglo-amerikanischer Sicht freundlicheres Gewand kleidete und dadurch den Common Lawyers näher denn je brachte. Das heißt nicht, daß sie alle Skepsis der Anglo-Amerikaner ein für allemal überwand 1 0 0 4 . Doch bestand zu Mißtrauen gegenüber der historischen Schule viel weniger Anlaß als gegenüber dem abstrakten Vernunftrecht. M a n konnte deshalb anglo-amerikanischerseits i m späteren 19. Jahrhundert die Stärken der kontinentaleuropäischen Rechtskultur — dogmatische Durchbildung, systematische Ordnung und akademische Tradition — unbefangener anerkennen und ihnen entschlossener nacheifern als zuvor. c) I m Ergebnis kamen sich damit C i v i l Law und Common Law in der Classical Era sozusagen gegenseitig entgegen: M i t ihrem auf Gewohnheit und Geschichtlichkeit beruhenden Rechtsverständnis, ihrer Abneigung gegen Metaphysik in der Jurisprudenz und mit ihrer Betonung des Juristenrechts zu Lasten der Gesetzgebung näherte die historische Schule das kontinentaleuropäische Denken den anglo-amerikanischen Vorstellungen an. U n d mit ihrem Streben nach klarer Begrifflichkeit und systematischer Ordnung sowie mit der Entwicklung einer akademischen Seite des Rechts bewegten sich die Common Lawyers ihrerseits auf die europäische Tradition zu. Schließlich teilten die in den jeweiligen Kulturen führenden wissenschaftlichen Richtungen so viele wesentliche Charakterzüge, daß klassische deutsche Rechtswissenschaft und Classical Legal Science sich als Spielarten desselben Rechtsdenkens bezeichnen lassen. So war die historische Schule gleichsam ein Bindeglied zwischen kontinentaleuropäischer und angloamerikanischer Jurisprudenz. Denn in ihrer Grundidee einer geschichtlich-systematischen Wissenschaft v o m positiven Recht waren deutsche und amerikanische Juristen bei aller sonstigen Verschiedenheit miteinander vereint. Doch war diese Verbindung weniger fest als es schien. Sie hing nämlich unmittelbar v o m Fortbestand der Grundlagen ab, auf denen sie beruhte: Dem Glauben an den historischen Rechtsbegriff, dem Vertrauen in die geschichtlichsystematische Methode und der kulturellen und politischen Harmonie zwischen den beiden Nationen. Diese Grundlagen gerieten aber schon bald ins Wanken.

1004 Dazu unten Dritter Teil B. sowie Schluß.

Dritter

Teil

Niedergang Die Abwendung von historischer Schule und klassischer Rechtswissenschaft in Amerika Die Classical Era des amerikanischen Rechtsdenkens war eine Zeit des Optimismus. Als „ A g e of F a i t h " 1 war sie geprägt vom Vertrauen in die Macht der Legal Science. M a n sah sich am Beginn einer neuen Zeit, in der das Common Law nunmehr zur Vollendung und seine Vertreter zu endgültiger Anerkennung als wissenschaftlich qualifizierte Spezialisten kommen würden. Angesichts der bisherigen Errungenschaften war dieser Optimismus in der Tat verständlich. Endlich schien die Erklärung des wahren Wesens des Rechts gefunden. Das hauptsächlich auf Savigny und Maine zurückgehende, geschichtliche Rechts Verständnis hatte den spekulativen Ansatz der Analytical Jurisprudence überwunden oder jedenfalls relativiert. Die Erkenntnis des positiven Rechts als historisches Phänomen hatte zum Verständnis seines Zusammenhangs mit der Gesamtkultur und seiner organischen Entwicklung geführt. A u f dieser Grundlage war eine moderne, auf Beobachtung gegründete Wissenschaft v o m positiven Recht möglich und sinnvoll geworden. Die Methode der Jurisprudenz erfüllte nun die Voraussetzungen wahrer Wissenschaftlichkeit. Die Legal Science versprach, die bislang chaotische Masse des Stoffs zunächst historisch sichten und dann systematisch strukturieren und damit das Chaos überwinden zu helfen. Z u Anfang des 20. Jahrhunderts sahen viele die erste Phase, die geschichtliche Erforschung, als i m wesentlichen bereits abgeschlossen an; sie drängten nun auf die Vollendung des Programms durch umfassende Systematisierung des Rechts 2 . Pound verglich die Entwicklung des Common Law mit derjenigen des C i v i l Law und fand, daß man in England und Amerika das Stadium der Glossatoren und Kommentatoren durchlaufen habe, sodaß es an der Zeit sei, die Erarbeitung des Gesamtsystems in A n g r i f f zu nehmen 3 . Das klang um so richtiger, als die begriffliche Durchdringung und systematische Ordnung des Rechts auf einzelnen Gebieten bereits erreicht war, wie die Treatises Thayers oder Wigmores in eindrucksvoller Weise zeigten, 1

Gilmore, The Ages of American Law 41. Vgl. Beale, The Necessity for a Study of Legal System 32; Pound, Taught Law, insbesondere 982 ff.; Association of American Law Schools, Tenth Annual Meeting 50. 3 Pound, Taught Law 981 ff. 2

Dritter Teil: Niedergang

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indem sie dem bislang chaotischen und zersplitterten Beweisrecht Grundprinzipien abgewannen und eine Struktur gaben. 4 M i t der Verwissenschaftlichung der Rechtskultur war nun auch der notwendige institutionelle und professionelle Rahmen vorhanden. Das Common L a w war als akademische Disziplin etabliert, die hauptamtlichen Professoren waren an der Arbeit. „Under these favoring conditions", meinte Ames, „the next twenty five years ought to give us a high order of treatises on all the important branches of the law, exhibiting the historical development of the subject and containing sound conclusions based upon scientific principles" 5 . Die Einmischungen des Gesetzgebers dauerten zwar an, aber die Kodifikationsgefahr war abgewendet 6 , und die Gerichte geboten der Legislative auf Drängen der Verfassungsrechtslehrer Einhalt. A u c h sonst arbeiteten Gerichte und Rechtswissenschaftler bestens zusammen; die Richter entschieden die Fälle, die die Rechtslehrer unterrichteten, und die Professoren entwickelten die Prinzipien, an denen sich die Gerichte orientierten. 7 Die Hoffnung schien berechtigt, das Common Law werde doch weitgehend der Rechtswissenschaft überlassen bleiben. M i t der Classical Legal Science stand auch ihr europäisches Pendant, die deutsche Rechtswissenschaft, entsprechend hoch i m Kurs, war sie doch in so vielen Hinsichten und für so viele Vorstellungen richtungsweisend: V o n der Rechtsgeschichte über die großen Lehrbücher bis zum B G B , von der Gründlichkeit des Studiums über die Gelehrtheit der Professoren bis zum Ansehen der Juristen überhaupt, und von Savignys Argumenten gegen die Herrschaft des Gesetzgebers über die politische Neutralität der Pandektistik bis zu den legislativen Errungenschaften des erneuerten Reichs. Das Prestige der deutschen Jurisprudenz und Rechtskultur erreichte zu Beginn unseres Jahrhunderts in Amerika seinen Höhepunkt. Noch 1914 lag es nahe, sich auch weiterhin am V o r b i l d der historischen Schule und der geschichtlich-systematischen Rechtswissenschaft zu orientieren, um das große Werk der Verwissenschaftlichung des Common L a w zu vollenden 8 . Zehn Jahre später wollte man jedoch in Amerika von Savigny und Windscheid, von deutschen Rechtsbegriffen und Pandektenlehrbüchern, von einem Studium 4 Thayer, A Preliminary Treatise on Evidence at the Common Law; Wigmore, A Treatise on the Anglo-American System of Evidence in Trials at Common Law. In Bearbeitung war Willistons monumentale Darstellung des Vertragsrechts, Williston, The Law of Contracts. Dazu Pound, The Formative Era of American Law 165. 5 Ames, The Vocation of the Law Professor 142. In diesem Sinne auch Redlich, The Common Law and the Case Method 60 ff. 6 Das galt jedenfalls im Kernbereich des Common Law, dem Privatrecht. In den wenigen Staaten, die dieses nach den Ideen Fields kodifiziert hatten, bewirkte das auf Dauer keine wesentliche Änderung der juristischen Stils, da die Gerichte die Gesetzbücher bald nur als eine Rechtsquelle neben dem Fallrecht, und oft nicht einmal als die wichtigste, behandelten. 7 Vgl. White, Tort Law in America 39 f. s So Redlich, The Common Law and the Case Method 43, 74.

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Dritter Teil: Niedergang

in Berlin oder deutschem Professorenruhm kaum noch etwas wissen 9 . Die Blütezeit der historischen Schule in Amerika war mit einem Male vorbei. Das Ansehen der deutschen Jurisprudenz und Rechtskultur erlebte in den U S A um die Zeit des Ersten Weltkrieges einen raschen, steilen und endgültigen Niedergang. Es ist Aufgabe des dritten Hauptteils, diesen Niedergang darzustellen und aus größeren Zusammenhängen heraus zu erklären. Der hauptsächliche Grund für die Abkehr von der historischen Schule in Amerika lag in der Abkehr von der Classical Legal Science selbst. Seit dem zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts distanzierten sich die führenden amerikanischen Rechtsdenker mehr und mehr von der bis dahin herrschenden geschichtlich-systematischen Jurisprudenz. Damit wurde auch die Vorbildfunktion des deutschen Gegenstücks hinfällig. So läßt sich der Prestigeverfall der klassischen deutschen Rechtswissenschaft nur in unmittelbarem Zusammenhang mit der allgemeinen Umorientierung des amerikanischen Rechtsdenkens verstehen. Diese Umorientierung vollzog sich auf zwei miteinander verknüpften Ebenen. Z u m einen lag sie in der Wendung v o m organisch-logischen zu einem soziologischen Rechts Verständnis. Die Auffassung v o m Rechts als friedlich gewachsenem und innerlich systematischem Phänomen wurde abgelöst von einer Sichtweise, derzufolge Rechtsregeln menschliche Begierden und widerstreitende persönliche, wirtschaftliche oder politische Interessen widerspiegelten. Das amerikanische Denken wies darin nicht nur erneute Parallelen zur deutschen Entwicklung auf, sondern war auch hier von dieser beeinflußt (Α.). Z u m anderen bedingte dieser neue Rechtsbegriff auch ein neues Verständnis der Jurisprudenz und ihrer Methode. Wenn das Recht ein Produkt von Trieben, Anliegen und Konflikten war, dann konnte es nicht mehr vorrangig um aus den historischen Quellen destillierte, abstrakte Konzepte oder um den Bau logischer Systeme gehen. Vielmehr mußten gegenwärtige Interessenlagen, soziale Auswirkungen und Ziele sowie tatsächliche Entscheidungsprozesse i m Vordergrund stehen. Diese Anforderungen entsprachen ganz den Vorstellungen des philosophischen Pragmatismus. Unter dessen Einfluß wandelte sich die Rechtswissenschaft deshalb von einer Jurisprudenz der Begriffe zur Sociological Jurisprudence und zum Legal Realism (Β.). Darüber hinaus hatte der Niedergang der historischen Schule in den U S A aber auch Gründe, die v o m Schicksal der Classical Legal Science, j a v o m Rechtsdenken überhaupt unabhängig waren. Er war nämlich T e i l einer allgemeinen Abkehr von Deutschland, die durch den Ersten Weltkrieg ausgelöst wurde. Die deutsche Rechtswissenschaft gehörte aus amerikanischer Sicht zur Kultur des Kaiserreichs und war deshalb auch mit seinem Ansehen und Schicksal verbunden, i m Aufstieg wie i m Fall (C.). 9 Es gab — wenige — Ausnahmen. So bezog sich Albert Kocourek in seinen begriffsjuristischen Versuchen auch nach 1920 noch auf deutsche Ideen, vgl. Kocourek, Various Definitions of Judicial Relations.

Α. Rechtslehre

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A l l dies läßt sich hier nur in groben Zügen darstellen. Doch dient die Beschäftigung mit der Abkehr von der historischen Schule i m amerikanischen Rechtsdenken nicht nur der Abrundung des Gesamtbildes. Vielmehr zeigt sich gerade i m Untergang die enge Verbindung zwischen der deutschen und der amerikanischen Jurisprudenz jener Periode. Zudem w i r d erst i m Niedergang der historischen Schule in den Vereinigten Staaten sichtbar, wie prekär das amerikanische Verhältnis zu ihr selbst in der Blütezeit schon gewesen war.

A. Rechtslehre: Vom organisch-logischen zum soziologischen Rechtsbegriff Das Rechtsverständnis der Classical Era hatte die Idee organischer Entwicklung allgemeingültiger Prinzipien mit der Vorstellung ihrer logischen Ordnung verbunden. Recht war danach einerseits das Ergebnis eines geistigen Evolutionsprozesses, bestand andererseits aber auch aus „certain principles or doctrines" 1 0 , die in ihrer Gesamtheit ein System bildeten. Diese organisch-logische Rechtsauffassung beruhte auf der Vorstellung wohlgeordneter Verhältnisse, auf dem Streben nach ruhiger, ungestörter Entwicklung, auf der Neigung zu geschichtlichem Denken und auf der liberalistischen Trennung von Staat und Gesellschaft. Sie entsprach damit den sozialen und intellektuellen Vorgaben des größten Teils des 19. Jahrhunderts. a) Das organisch-logische Rechtsverständnis verlor jedoch schon seit der Mitte der Classical Era allmählich an Überzeugungskraft. Dafür gab es vor allem drei Gründe. Zunächst war es unter den Lebensbedingungen des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts nicht länger plausibel. Sowohl in Amerika als auch in Deutschland ließen Urbanisierung und Industrialisierung, Konzentration wirtschaftlicher Macht und Verschärfung der Verteilungskämpfe die Vorstellung zusehends künstlich erscheinen, die Rechtsverhältnisse würden von den Geboten logischer Prinzipien bestimmt. So fiel auf, daß in vielen Fällen nicht die (theoretische) Vertragsfreiheit, sondern die (praktische) wirtschaftliche Ungleichheit die Beziehungen zwischen den Teilnehmern am Marktgeschehen prägte u . Dadurch begann sich die Ansicht zu verbreiten, daß es sich beim Recht allenfalls zum T e i l um ein System neutraler und abstrakter Entscheidungsgrundlagen handelte, und daß es i m übrigen Ergebnis konkreter Auseinandersetzungen um soziale und wirtschaftliche Positionen war. M a n wurde sich der Verbindung von Recht und Politik bewußt, sodaß das Beharren des traditionellen Rechtsdenkens auf ihrer Trennung mehr und mehr künstlich, wenn nicht gar verlogen erschien. 10 11

Langdell, Selection of Cases on the Law of Contracts, Preface VI. Grundlegend Pound, Liberty of Contract.

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Dritter Teil: Niedergang

Zudem paßte das klassische Rechtsverständnis vor allem in Amerika nicht mehr zu den psychologischen Bedürfnissen der Zeit. Eine Auffassung, nach der es Recht als schon Vorhandenes zu finden, nicht aber bewußt und neu zu schaffen galt, verurteilte Staat und Gesellschaft i m juristischen Bereich zur Passivität. Das widersprach schon an sich dem amerikanischen Charakter, der v o m Glauben an die Macht des Veränderungswillens und v o m Drängen nach aktiver Lebensgestaltung bestimmt war. V o r allem seit der Progressive Era, der Reformbewegung unter der Präsidentschaft Theodore Roosevelts i m ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, bestimmte das Bedürfnis nach Erneuerung auch das öffentliche Leben. Damit war der historische Rechtsbegriff unvereinbar. „ M e n instinctively felt and knew that they were not helpless, that there was an ideal toward which they could strive." 1 2 Schließlich entsprach der bisherige Rechtsbegriff auch nicht mehr dem intellektuellen Umfeld, denn die Vorherrschaft des geschichtlichen Weltverständnisses ging zuende. W i e zuvor das philosophisch-naturrechtliche Denken durch das historisch-positivistische abgelöst worden war, so wurde dieses nun von den sozialwissenschaftlichen Sichtweisen verdrängt, die seit Comte und Spencer allmählich das amerikanische Geistesleben eroberten. Das wirkte sich bald auch in der Jurisprudenz aus. Dadurch erschien die geschichtliche Rechtsauffassung immer mehr als Verehrung einer längst überholten Vergangenheit, wo es doch entscheidend auf die sozialen Bedingungen und Probleme der Gegenwart ankam. b) In Reaktion auf diese veränderten Umstände vollzog sich in der amerikanischen Jurisprudenz ein grundlegender Wandel, indem an die Stelle des organischlogischen ein soziologisches Rechtsverständnis trat. Dabei handelte es sich nicht um ein plötzliches Umschlagen, sondern um einen Prozeß, der schon in der frühen Classical Period begonnen hatte und sich über Jahrzehnte hinzog. Klassischer und neuer Rechtsbegriff koexistierten während dieser Z e i t 1 3 . Doch gewann letzterer allmählich die Oberhand, bis er dann i m zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts dominierte 1 4 . Dieser Wandel verkörperte sich in den beiden amerikanischen Vätern des soziologischen Rechts Verständnisses, Holmes und Pound. V o r allem Holmes kann geradezu als Symbol des Übergangs vom klassischen zum soziologischen Rechtsbegriff gelten, denn sein Denken war mit einer Hälfte noch der traditionellen Sichtweise verpflichtet, während es mit der anderen bereits weit über dieses hinaus wies. Einerseits betrachtete Holmes das Recht als Erbe

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Zane, German Legal Philosophy 344. Das begriffslogische Denken in der Tradition der Analytical Jurisprudence erlebte noch nach 1910 Höhepunkte vor allem in den Arbeiten Wesley Ν. Hohfeldts, grundlegend Hohfeldt, Some Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning. Zur analytischen Richtung nach 1910 vgl. Herget, American Jurisprudence 1870-1970 101 ff. 14 Vgl. Speak, Living Law — the Transformation of American Jurisprudence in the Early 20th Century; Herget, American Jurisprudence 1870-1970 147 ff. mit weiteren Nachweisen. 13

Α. Rechtslehre

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der Vergangenheit, das ohne Kenntnis der geschichtlichen Entwicklung nicht zu verstehen war, und enthielt es für ihn allgemeine Prinzipien, deren Entdeckung er sich sowohl in seinen frühen Aufsätzen als auch in The Common Law zur Aufgabe gemacht hatte. Hier war er trotz seiner kritischen Einstellung zur Geschichtlichkeit des Rechts 1 5 und trotz seiner Skepsis gegenüber formaler L o g i k 1 6 i m wesentlichen noch der Vertreter des klassischen Rechtsverständnisses, als den ihn die bisherige Darstellung meist behandelt hat. Andererseits verkörperten sich für Holmes i m Recht aber auch bereits „the felt necessities of the time". Es beruhte auf menschlichen Instinkten sowie den „actual forces" in der Gesellschaft, war Ausdruck der „public policy", d. h. des öffentlichen Interesses, und mußte deshalb den „feelings and demands of the community" entsprechen 17 . Hier war er trotz seines Glaubens an die Wirkung der Geschichte und trotz seines Beharrens auf der Bindungskraft der Präjudizien schon der Verfechter einer soziologischen (und anthropologischen) Sichtweise, als den ihn die Rechtsdenker des 20. Jahrhunderts dann fast ausschließlich gefeiert haben. Ähnliches gilt für den um eine Generation jüngeren Roscoe Pound. Zwar wird Pound heute allgemein als Hauptvertreter des modernen, soziologischen Rechtsbegriffs in den U S A angesehen, doch darf man auch bei i h m die Verbindung zur traditionellen Rechtsauffassung darüber nicht vergessen. I n seiner Überzeugung von der Geschichtlichkeit des Rechts und i n seinem Glauben an die Existenz und den Sinngehalt allgemeiner Prinzipien und systematischer Zusammenhänge war Pound dem klassischen Rechtsdenken noch eng verwandt. Doch drückten für ihn die Regeln und Prinzipien des Rechts keine abstrakten Wahrheiten mehr aus wie für Puchta oder Langdell. Begriff und System waren nur Hilfsmittel zur Ordnung und Handhabung des Rechts, nicht aber dessen Wesen. 1 8 Dieses bestand für Pound bereits in „certain interests, individual, public and social", wie er 1914 in einem in Deutschland veröffentlichten Aufsatz schrieb 1 9 . Es beruhte auf K o m promissen zwischen entgegengesetzten Positionen und diente der Durchsetzung konkreter Absichten. Zudem verband sich in Pounds Person das politische und soziale Fortschrittsdrängen der Progressive Era mit dem soziologischen Rechtsbegriff in so markanter Weise, daß Pound geradezu als Symbol dieser Symbiose gilt. Damit stand Pound zwar wie Holmes am Übergang zwischen klassischem und soziologischem Rechtsverständnis 20 , doch war er bereits überwiegend dem neuen Denken zugewandt. 15 Vgl. dazu oben Zweiter Teil B.I.3. 16 Vgl. dazu oben Zweiter Teil B.II.4. 17 Holmes, The Common Law 36; vgl. auch id. 5, 32, 85, 168. 18 Vgl. Pound , Taught Law, insbesondere 985. 19 Pound, The Philosophy of Law in America 397. Vgl. auch Lewis, The Social Sciences as the Basis for Legal Education, insbes. 537 ff. 20 Sehr deutlich wird das etwa in Pound, An Introduction to American Law. Einerseits ist dieser Vorlesungsplan von fast begriffsjuristisch anmutenden Definitionen durchsetzt und gliedert er selbst das Common Law streng systematisch nach dem Gaius-System,

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Dritter Teil: Niedergang

c) Die Parallelen zwischen dem Aufkommen des soziologischen Rechtsbegriffs in den U S A und der Entwicklung in Deutschland seit Jhering sind unverkennbar. Hier wie dort erwuchs dem traditionellen, organisch-systematischen Verständnis seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts immer stärkere Konkurrenz durch eine auf soziale Bedingungen, widerstreitende Interessen und psychologische Vorgaben abstellende Rechtsauffassung. So stellt sich die Frage nach den Beziehungen zwischen den entsprechenden deutschen und amerikanischen Vorstellungen. Diese Beziehungen waren kompliziert und bedürfen daher einer genauen Untersuchung, die hier nicht mehr zum Thema gehört und einer gesonderten Arbeit vorbehalten bleiben muß. Es läßt sich aber i n Bezug auf Holmes und Pound in aller Kürze folgendes sagen: Die Ähnlichkeiten zwischen den Vorstellungen Holmes' und Jherings sind in vielerlei Hinsicht frappierend. Das gilt nicht nur insofern, als beide zum Teil noch dem klassischen Rechtsdenken verhaftet waren, zum T e i l dieses aber gerade sprengten, wodurch ihr Stellenwert für die Jurisprudenz in ihrer jeweiligen Heimat i m wesentlichen derselbe war. Es gilt insbesondere auch für ihre Auffassung v o m Recht als Ausdruck von Instinkten und Begierden, als Spiegelbild des Kampfes zwischen Interessen und als Feld, auf dem sich letztendlich der Stärkere durchsetzt 2 1 . Diese Parallelen verführen dazu, von einem Einfluß Jherings, der diese Ideen zuerst entwickelte, auf Holmes auszugehen. Das liegt um so näher, als Holmes nicht nur m i t Jherings Schriften vertraut w a r 2 2 , sondern sogar direkt mit ihm korrespondierte 2 3 . Trotzdem lag ein solcher Einfluß i m Sinne einer direkten Übertragung von Ideen wohl nicht vor, denn Holmes' Rechts Verständnis hatte andere Ursprünge und war i m großen und ganzen schon gefestigt, als er m i t Jherings Werken in Berührung k a m 2 4 . Das heißt nicht, daß das Denken dieser

vgl. id. 26 ff.; andererseits liegt ihm die Darstellung individueller, öffentlicher und sozialer Interessen zugrunde, vgl. id. 3 f. 21 Vgl. dazu schon Zweigert / Siehr, Jhering's Influence on the Development of Comparative Legal Theory 225 f. 22 Holmes kannte zumindest Jherings Geist des römischen Rechts und zitierte das Werk mehrfach in The Common Law, vgl. id. 15, 166, 258, 276. 23 Holmes schickte Jhering seinen Aufsatz über Possession zusammen mit einem vom 1.7.1878 datierten Brief, in dem er Jhering als Geistesverwandten ansprach (Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin 2 h 1880 (21)); der Brief ist auszugsweise zitiert bei Graziadei, Changing Images of the Law in XIXth Century English Legal Thought 151 (Anm. 187). 24 Insbesondere Holmes' darwinistisches Rechtsverständnis beruhte auf den Ideen Spencers, dessen Werke Holmes schon während des Bürgerkrieges gelesen hatte, und auf dem Einfluß seiner Lehrer in Harvard, vgl. Howe, Justice Oliver Wendell Holmes I 156; I I 46. Es lag bereits einem 1873 von Holmes anonym veröffentlichten Beitrag zugrunde, vgl. Holmes, Summary of Events; The Gast Stokers' Strike. Mit Jherings Ideen beschäftigte sich Holmes erst danach, vgl. Little, The Early Readings of Justice Oliver Wendell Holmes 202. Hingegen ist ein Einfluß Jherings auf Holmes bezüglich des Prozesses der Rechtsentwicklung möglich und sogar wahrscheinlich, dazu Reimann, Holmes' »Common Law' and German Legal Science 102 f.

Α. Rechtslehre

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beiden nicht miteinander in Beziehung gestanden hätte. Z u m einen hatten ihre Ansichten gemeinsame Ursprünge in der Beobachtung des konfliktgeladenen sozialen Umfelds ihrer Zeit und vor allem, was die Grundvorstellung vom Recht als Kampfschauplatz angeht, in den Ideen Darwins. Z u m anderen dürfte sich Holmes durch Jhering, den er bewunderte 2 5 , in seinen damals ketzerisch erscheinenden Auffassungen bestätigt gefühlt haben. Direkt, umfassend und unverkennbar war hingegen der Einfluß nicht nur der Ideen Jherings sondern auch der daraus hervorgegangenen, soziologischen Rechtsauffassung in Deutschland auf Pound. Dieser verstand sich selbst als Schüler Jherings, Ehrlichs, Kohlers und anderer 26 . Das ist hinreichend bekannt und bedarf hier keiner näheren Darlegung 2 7 . Pound identifizierte das von ihm propagierte neue Rechtsverständnis so nachhaltig mit der deutschen Jurisprudenz, daß er in einer seiner fragwürdigen Verallgemeinerungen sogar das B G B für den Ausdruck einer „sociological theory" des Rechts h i e l t 2 8 . I m Grunde hatten auch die Ideen Holmes' und Pounds ihre tiefsten Wurzeln in Savignys Einsicht, daß das Recht „kein Daseyn für sich" habe und sein Wesen „das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen," sei 2 9 . Holmes war diese Vorstellung v o m Recht als Ausdruck konkreter Lebensbedingungen und kollektiver Überzeugungen vielleicht von Savigny direkt, möglicherweise auch über Maine, jedenfalls aber ganz allgemein durch das von Savigny beeinflußte Denken seiner Zeit vermittelt worden. Pound hatte sie in der von Jhering und seinen Nachfolgern bereits umgewandelten Fassung übernommen. In beiden Fällen war das soziologische Rechtsverständnis letztendlich eine dem sozialwissenschaftlichen Denken der Jahrhundertwende entsprechende Version der grundlegenden Vorstellung v o m Recht als A b b i l d der Kultur. Nur war Savignys geistiger Kulturbegriff durch einen soziologischen ersetzt worden. 3 0 Trotz dieser inneren Verwandtschaft war der soziologische Rechtsbegriff gegenüber dem organisch-logischen insofern etwas grundlegend Neues, als Recht nun nicht mehr als Ideenwelt aus Begriffen, System und L o g i k gesehen wurde,

25

Holmes nannte Jhering „a man of genius", Holmes, The Common Law 165. Vgl. etwa Pound, The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence 140 ff.; ders., An Appreciation of Eugen Ehrlich. 27 Zum deutschen Einfluß auf Pound Herget, The Influence of German Thought on American Jurisprudence, 1880-1918 insbes. 208 f., 221 ff.; ders., American Jurisprudence 1870-1970 158 ff.; Hart, Jhering's Heaven of Concepts and Modern Analytical Jurisprudence 70 f. 28 Pound, Mechanical Jurisprudence 613. 29 Savigny, Vom Beruf unserer Zeit 30. 30 Dieser Zusammenhang wird etwa bei Clarke, The Science of Law and Law-Making, deutlich: Law „is a branch of the Science of Sociology. Its rules are derived from and founded on the ethical, political and economic ideas entertained by the society in which it exists as law", id. 4. Hier klingt noch der Volksgeistgedanke nach und wird Recht doch schon als soziologisches Phänomen im modernen Sinne begriffen. 26

17 Reimann

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Dritter Teil: Niedergang

sondern als Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die aus Bedürfnissen und Interessen, Mehrheitswillen und Macht bestand. Als sich diese Auffassung i m Zuge des wachsenden Einflusses Holmes' und Pounds zu Beginn des neuen Jahrhunderts allmählich verbreitete, mußte sich deshalb auch die Vorstellung von Z i e l und Methode der Rechtswissenschaft grundlegend verändern.

B. Methode: Von der Jurisprudenz der Begriffe zu Sociological Jurisprudence und Legal Realism Solange man das Recht als historisch gewachsenes Gebilde aus Prinzipien und Begriffen gesehen hatte, war es der Wissenschaft darum gegangen, diese i m geschichtlich gegebenen Stoff zu ermitteln und sodann zu systematisieren. Verstand man Recht aber nun als Ausdruck konkreter Lebensumstände, Interessen oder Machtverhältnisse, so waren Vergangenheit, Begriff und System nicht mehr entscheidend; vielmehr mußte die Jurisprudenz vor allem darin bestehen, das Verhältnis zwischen Recht und sozialer Wirklichkeit zu erfassen. So führte die Wendung vom organisch-logischen zum soziologischen Rechtsbegriff in Amerika zugleich zu einem neuerlichen Paradigmenwechsel 31 in der Rechtswissenschaft. a) Dieser Paradigmenwechsel bestand nicht zuletzt darin, daß es der Jurisprudenz nun um andere „facts" ging. Während die Classical Legal Science (ebenso wie die historische Schule) damit die positiven Rechtsquellen und ihren Ideengehalt gemeint hatte, beschäftigte sich Rechtswissenschaft nun mit „social facts" 3 2 . Darunter verstand man zum einen die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Hintergründe und Wirkungen des Rechts, zum anderen aber auch das tatsächliche Funktionieren des Rechtssystems, vor allem das Verhalten der Richter in Streitfällen. Daraus entwickelten sich zwei neue, miteinander verwandte Richtungen der Jurisprudenz, die das amerikanische Rechtsdenken des 20. Jahrhunderts prägen sollten: Die Sociological Jurisprudence und der Legal Realism 33. W i e das ihnen zugrundeliegende, soziologische Rechtsverständnis so entwickelten sich auch diese neuen Richtungen allmählich und lagen ihre Ursprünge bereits in der Classical Era. Der Sociological Jurisprudence ging es vor allem um die Erforschung der Bezüge zwischen Recht, gesellschaftlichen Interessen und sozialen Gestaltungsaufgaben. 31 Vgl. oben Zweiter Teil B.II. Anm. 307 und Text. 32 Bigelow nannte sie die „direct and immediate sublegal sources, — business and pursuits generally and the other less tangible influences which go to make up the sum total — the political, economic, psychological, and personal influences", Bigelow , A Scientific School of Legal Thought 14. 33 Dazu ausführlich Coing , Neuere Strömungen in der Nordamerikanischen Rechtsphilosophie; Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas.

Β. Methode

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Dieses Programm war schon bei Holmes angelegt 3 4 . Holmes' janusköpfigem Rechtsbegriff entsprechend hatte auch die Wissenschaft für ihn zwei Seiten. Einerseits erforschte sie das Recht, noch i m klassischen Sinne, „ b y tracing the order and process or its g r o w t h " 3 5 und durch „ f o l l o w i n g the existing body of dogma into its highest generalizations" 3 6 ; das war die Perspektive des das Recht nur von außen betrachtenden Wissenschaftlers, der juristischen Prinzipien und Strukturen nachspürte. Andererseits ging es der Jurisprudenz jetzt aber auch um die praktische Wirkung des Rechts auf die Probleme der Gegenwart; das war die Sichtweise der Rechtsgestaltung und -anwendung, bei der der „relative worth of our different social e n d s " 3 7 entscheidend war. Beide Aspekte gehörten zusammen, wobei Holmes, der inzwischen selbst Richter geworden war, dem letzteren mehr Gewicht beimaß. The true science of law does not consist mainly in a theological working out of dogma or a logical development as in mathematics, or only in a study of it as an anthropological document from the outside; an even more important part consists in the establishment of its postulates from within upon accurately measured social desires instead of tradition. 38 Diese Form der Jurisprudenz war nach Holmes' Ansicht der Weg der Zukunft: „For the rational study of law the black letter man may be the man of the present, but the man of the future is the man of statistics and master o f economics." 3 9 Hier war die Jurisprudenz kaum noch von den Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie zu trennen. Als eigentlicher Begründer der soziologischen Jurisprudenz in Amerika gilt indessen Roscoe Pound 4 0 . A u c h er sah die Rechtswissenschaft zum Teil noch in herkömmlicher, historisch-systematischer Weise, wobei er insbesondere die Notwendigkeit klarer Prinzipien und rationaler Ordnung als M i t t e l gegen arbiträre und unlogische Entscheidungen betonte 4 1 . Doch waren ihm Begriff und System nur „a means toward the end o f law, which is the administration of j u s t i c e " 4 2 . 34 Vgl. dazu Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas 44 ff. Ausführlich zu Holmes' Stellenwert in der Entwicklung des modernen, amerikanischen Rechtsdenkens Horwitz, The Transformation of American Law 18701960 109 ff. 35 Holmes, Law in Science and Science in Law 210. 36 Holmes, The Path of the Law 198. 37 Holmes, Law in Science and Science in Law 242. 38 Id. 225 f. Vgl. zu diesem doppelten Rechtswissenschaftsbegriff und zu Holmes' Unterscheidung zwischen Außen- und Innenperspektive Grey, Holmes and Legal Pragmatism 838 f. 39 Holmes, The Path of the Law 187. 40 Coing, Neuere Strömungen in der Nordamerikanischen Rechtsphilosophie 544 ff.; Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas 55 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts I I 223 ff. 41 Pound, The Spirit of the Common Law 175; ders., Mechanical Jurisprudence 605. 42 Pound, Mechanical Jurisprudence 605. 17*

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Dritter Teil: Niedergang

Deshalb reichte das traditionelle Denken nicht aus. Die Rechtswissenschaft der Zukunft mußte die „new economics" und „new social science" miteinbeziehen 4 3 . Genau das war Sinn der Sociological Jurisprudence, der Pound 19111912 in einer Reihe von grundlegenden Aufsätzen ihren Namen und ihre Theorie gab 4 4 . Ihre Aufgabe bestand sowohl in der Ermittlung und Abwägung von Interessen als auch in „the study of the social operation of rules and doctrines, and of the effects which they produce in action, in order to determine how far they achieve the ends of l a w " 4 5 . Je mehr man auf die tatsächlichen Grundlagen und Wirkungen des Rechts abstellte, desto näher geriet man zum Legal Realism. Dabei handelte es sich um eine vielschichtige und uneinheitliche Sichtweise, über deren Inhalt und Stellenwert bis heute keine vollständige Übereinstimmung herrscht 4 6 . Hier interessieren indessen nur ihre grundlegenden Thesen, daß es in der Jurisprudenz nicht auf theoretische Konzepte und Systeme, sondern auf das Verständnis der Rechtswirklichkeit ankommen muß, und daß Recht schlechterdings nicht abstrakt und politisch neutral sein kann. Das Beharren auf realitätsbezogenem Denken ging letztendlich auf Holmes zurück. „ W e must think things, not words", hatte er schon 1899 geschrieben, „or at least we must constantly translate our words into the facts for which they stand, i f we are to keep to the real and the t r u e . " 4 7 Das schloß die Entwicklung allgemeiner Prinzipien für Holmes nicht aus, aber „to make a general principle worth anything, you must give it a body. Y o u must show in which way and how far it would be applied actually in an actual system." 4 8 Deshalb ging es in der Jurisprudenz nicht nur um das, was an Begriffen und logischer Deduktion in Urteilsbegründungen stand, sondern auch darum, was in Streitfällen konkret entschieden wurde — „what the courts w i l l do in f a c t " 4 9 . Wenn sie nicht zu 43 Pound, Taught Law 989. 44 Pound, The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence (3 Teile). 4 5 Pound, The Spirit of the Common Law 175. 4 6 Zur Definition des Realism Horwitz, The Transformation of American Law 18701960 169 ff., 209 ff. Dazu auch Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken 13 ff.; sowie Fikentscher, Methoden des Rechts I I 273 ff. 47 Holmes, Law in Science and Science in Law 238; vgl. dazu Hayakawa, The Language in Thought and Action 28. 48 Holmes, The Use of Law Schools 42. 49 Holmes, The Path of the Law 173. Holmes' Aussage, das Recht sei the „prophecy of what the courts will do in fact", id., ist oft als unreflektierter Positivismus mißverstanden worden. Holmes beschrieb damit das Recht vor allem aus der Perspektive des anwaltlichen Beraters eines Klienten (er sprach vor Jurastudenten, d. h. künftigen Anwälten), war sich aber wohl bewußt, daß sich das Wesen der Jurisprudenz als ganzer darin nicht erschöpft. Im übrigen war dieser so berühmt gewordene Gedanke nicht neu, denn Holmes' Freund Pollock hatte ihn schon 1882, also 15 Jahre früher, aus dem Vergleich zwischen Natur- und Rechtswissenschaft entwickelt, Pollock, The Science of Case Law 238.

Β. Methode

261

leerer Spielerei mit abstrakten Ideen werden sollte, mußte die Rechtswissenschaft das anerkennen und sich mit wirklichen Ergebnissen und Beweggründen auseinandersetzen. Z u den Vorläufern des juristischen Realismus zählt auch Holmes' Zeitgenosse John Chipman Gray. W i e Holmes und Pound verstand Gray zwar die Rechtswissenschaft oft noch i m Sinne der Classical Legal Science, was insbesondere seine geschichtlich und begriffsjuristisch geprägten Arbeiten i m Sachenrecht zeigten 5 0 . Doch ging er in seiner 1909 erschienen Studie über The Nature and Sources of Law weit über das bisherige Denken hinaus. Gray verarbeitete in diesem rechtstheoretischen Opus Magnum eine große Zahl von Werken der deutschen historischen Schule 5 1 , wahrte aber kritische Distanz, denn sein Hauptanliegen war eine unvoreingenommene Analyse des richterlichen Entscheidungsprozesses. Hier verwarf er die bislang herrschende Ansicht, der Richter bringe nur das bereits vorhandene Recht zur Anwendung. Gray wies nach, daß die Gerichte vielmehr Recht setzten. Dabei betrachtete er Gesetze, Präjudizien und Gelehrtenmeinungen nur als Quellen des Rechts, während er dessen Substanz erst i m konkreten Urteil selbst sah. So folgte auch aus Grays Analyse, daß sich die Jurisprudenz unweigerlich mit der tatsächlichen Erledigung von Streitfällen als dem wirklichen Recht befassen mußte 5 2 . Während die Sociological Jurisprudence bereits u m die Zeit des Ersten Weltkriegs theoretisch entwickelt war und sich durchzusetzen begann, kam der auf Holmes' und Grays Denken beruhende Legal Realism erst in den 1920er und 1930er Jahren zu voller Blüte. Doch beeinflußten auch seine Postulate das Rechtsdenken schon gegen Ende der Classical Era. Sociological Jurisprudence und Legal Realism waren zwar beileibe nicht dasselbe 5 3 , und wer die amerikanische Rechtstheorie des 20. Jahrhunderts zum Gegenstand genauer Untersuchung machen w i l l , muß ihr Verhältnis zueinander differenziert betrachten 5 4 . Das würde hier jedoch zu sehr ins Detail führen. Wenn 50 Vgl. Gray, Restraints on the Alienation of Property; ders., The Rule Against Perpetuities. Allein die Liste der zitierten Literatur der geschichtlich-systematischen deutschen Jurisprudenz umfaßt mehr als ein Dutzend Titel von Savigny, Puchta und Windscheid über Amira, Meurer und Gierke bis zu Sohm, Holtzendorff und Jhering. Hinzu kommen Werke der Interessenjurisprudenz und Freirechtsschule, dazu unten Anm. 70 und Text. Die Verarbeitung der deutschen Literatur bei Gray wäre eine eigene Studie wert. 52 Zu Gray und der Diskussion über seinen Ansatz vgl. Cohen, American Thought 156 ff. 53 Das zeigte sich etwa daran, daß Pound dem Legal Realism jedenfalls in dessen späterer, voll ausentwickelter Form vehement entgegentrat, wodurch er einen berühmt gewordenen Streit mit Llewllyn auslöste; vgl. Pound, The Call for a Realist Jurisprudence; Llewellyn, Some Realism about Realism. Dazu Twining, Karl Llewellyn and the Realist Movement 70 ff.; Η er get, American Jurisprudence 1870-1970 176 ff. 54 Vgl. dazu Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas 44 ff., 82 ff.

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Dritter Teil: Niedergang

beide Richtungen deshalb i m folgenden weitgehend gemeinsam behandelt werden, so ist das auch aus zwei anderen Gründen gerechtfertigt. Z u m einen gingen sie nicht nur bei Holmes, sondern auch bei vielen führenden Rechtsdenkern der nächsten Generation ineinander über. Das zeigte sich deutlich bei Benjamin Cardozo, dem größten Common Law Richter seiner Zeit; Cardozos bahnbrechende Analyse der richterlichen Urteilsfindung, 1921 als The Nature of the Judicial Process veröffentlicht, vereinigte die Vorstellung von der Jurisprudenz als einer Abstimmung zwischen gesellschaftlichen Interessen mit der Überzeugung, daß es entscheidend auf das Verständnis der wahren Beweggründe und Wirkungen von Entscheidungen ankam. Z u m anderen waren Sociological Jurisprudence und Legal Realism gerade in den hier entscheidenden Punkten eng miteinander verwandt: Sie waren das Ergebnis weitgehend identischer Einflüsse, und sie untergruben die Classical Legal Science auf gleiche Weise. 5 5 b) Das sich in diesen beiden Richtungen verkörpernde, neue Rechtsdenken in Amerika beruhte, abgesehen von der Einwirkung der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Rechtstheorie, maßgeblich auf zwei Anregungen. Sie zu verstehen, macht Grundlage und Wesen der neuen Vorstellungen deutlicher. Den wissenschaftstheoretischen Anstoß für den Wandel i m Verständnis der Jurisprudenz gab die seit dem späten 19. Jahrhundert in den U S A aufkommende Philosophie des Pragmatismus 5 6 . Diese auf Charles Saunders Peirce zurückgehende, maßgeblich von W i l l i a m James begründete und sodann von John Dewey weiterentwickelte Denkrichtung war eine Reaktion gegen die herkömmliche Philosophie und Erkenntnistheorie 5 7 . Der Pragmatismus hielt deren (idealistische oder empiristische) Suche nach absoluten Wahrheiten und allgemeingültigen Kategorien für sinnlos. Eine solche Suche war mit den beiden Grundüberzeugungen des Pragmatismus unvereinbar. Erstens sah er alles menschliche Denken und Handeln als situationsbedingt an, weshalb er den Glauben an absolute Maßstäbe und Prinzipien i m Sinne naturrechtlicher Ideen verwarf. Insoweit war er dem historischen Denken verwandt, das in der Tat zu seinen Wurzeln zählte 5 8 . Doch suchte er auch in der Geschichte keine allgemeingültigen Lehren. Vielmehr beharrte er hier wie überhaupt auf einem Denken in konkreten Einzelzusammen55 Vgl. Horwitz, The Transformation of American Law 1870-1960 169 ff. 56 Die Bezeichnung war entlehnt von Kant, der den pragmatischen Glauben von der eigentlichen Vernunft unterschieden hatte; Kant, Kritik der reinen Vernunft 824 f. 57 Grundlegend James, Pragmatism; Dewey, Experience and Nature; vgl. dazu Wiener, Evolution and the Founders of Pragmatism; Herget, American Jurisprudence 1870-1970 155 ff. Deutsche Darstellungen des Pragmatismus' und seiner Wirkungen auf die Jurisprudenz findet man bei Löffelholz, Die Rechtsphilosophie des Pragmatismus; Casper, Juristischer Realismus und politische Theorie im amerikanischen Rechtsdenken 43 ff.; Reich, Sociological Jurisprudence und Legal Realism im Rechtsdenken Amerikas 37 ff.; Steinberger, Konzeption und Grenzen freiheitlicher Demokratie 150 ff. 58 Zum Einfluß der deutschen historischen Schule in den Sozialwissenschaften auf Albion Small, einen der Vertreter des Pragmatismus, siehe Herbst, The German Historical School in American Scholarship 155 ff.

Β. Methode

263

hängen. M i t dieser mehr am Besonderen als am Allgemeinen interessierten, den jeweiligen Einzelfall betonenden Sichtweise führte der Pragmatismus zum Wertrelativismus. Zweitens verstand er alles menschliche Denken und Handeln als zielgerichtet, sodaß Taten und Ideen nicht losgelöst von ihren Konsequenzen gesehen werden durften. Vielmehr ließen sich Handlungen und Ansichten nur anhand ihrer praktischen Auswirkungen w i r k l i c h beurteilen 5 9 . Hier war der Pragmatismus die philosophische Version des Funktionalismus, d. h. eines auf den Zusammenhang zwischen Mitteln und Zwecken bedachten Weltverständnisses. Aufgrund dieser Überzeugungen forderte der Pragmatismus also die Aufgabe der Suche nach endgültigen Wahrheiten und reiner Erkenntnis, die Anerkennung des bedingten Charakters aller Urteile und die Ausrichtung des Denkens an konkreten Ergebnissen. Letztenendes verkündete er damit den Vorrang der Praxis vor der Theorie. Obwohl diese Ideen ursprünglich nicht unmittelbar auf das Rechtsdenken bezogen waren 6 0 , hatten sie darauf eine enorme Wirkung, denn sie bildeten die Grundlage des soziologisch-realistischen Wissenschaftsverständnisses. Die wertrelativistische Seite drückte sich vor allem in der Ablehnung zeitlos gültiger Prinzipien und Gerechtigkeitsmaximen aus. Das kam zunächst und am stärksten bei Holmes zur Geltung 6 1 , der von der geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingtheit allen Rechts überzeugt und von Skepsis gegenüber absoluter Erkenntnis erfüllt w a r 6 2 . Sie zeigte sich aber auch bei Pound, der Prinzipien und Begriffe nicht als allgemeingültige Wahrheiten anerkannte und deshalb nur als juristische Hilfsmittel betrachtete 63 . U n d sie lag der sich allmählich durchsetzenden Ansicht zugrunde, daß gesetzgeberische wie richterliche Entscheidungen am besten als Reaktionen auf konkrete soziale und politische Umstände zu begreifen waren. Das funktionalistische Element des Pragmatismus hingegen förderte ein instrumentelles Verständnis der Rechtswissenschaft. A u c h das wurde zuerst bei Holmes spürbar und später von Pound vertreten. I n der Folge avancierte das instrumenteile Denken zu einem bis heute entscheidenden Charakterzug der amerikanischen Jurisprudenz. Dementsprechend kam es der Jurisprudenz vor allem auf das Erzielen sozial erwünschter Wirkungen an. Hauptaufgabe der Rechtswissenschaft war nicht mehr die Pflege und Verwaltung des Erbes der Vergangenheit, sondern die Planung und Gestaltung der Zukunft. M i t all diesen Ideen ließ sich das soziolo-

59 Dazu insbesondere James, Conceptions and Practical Results. 60 Eine Ausnahme war Dewey, Logical Method and the Law. Zum Pragmatismus als Grundlage des Rechtsdenkens bei Holmes ausführlich Grey, Holmes and Legal Pragmatism; vgl. auch Howe, Justice Oliver Wendeil Holmes I 268 ff; Howe, Introduction to Holmes, The Common Law XIII. 62 Holmes' Definition von Wahrheit entsprach ganz den Vorstellungen des Pragmatismus' „When I say a thing is true, I mean that I can not help believing it. I am stating an experience as to which there is no choice . . . I therefore define truth as the system of my limitations", Holmes, Ideals and Doubts 304 f. 63 Vgl. Pound, Mechanical Jurisprudence 610.

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Dritter Teil: Niedergang

gisch-realistische Rechtsdenken geradezu als „movement for pragmatism as a philosophy of l a w " bezeichnen 6 4 . Indem der Pragmatismus zur Umorientierung in der Jurisprudenz führte, machte er die amerikanischen Rechtsdenker auch empfänglich für die neuen Ideen, die sich inzwischen in Europa ausgebreitet hatten. Diese kamen zum einen aus Frankreich, insbesondere von Francois Gény, dessen Werk in Amerika viel Beachtung fand 6 5 . V o r allem aber entstammten sie der nachklassischen deutschen Rechtstheorie. Diese hatte sich seit Jherings Abfall v o m reinen Begriffsdenken in die Richtungen der Interessenjurisprudenz, Freirechtsschule und Rechtssoziologie entwickelt und gegen den geschichtlich-systematischen Ansatz der historischen Schule, insbesondere gegen den Primat der L o g i k gewandt. M i t seiner Ausrichtung auf die gesellschaftlichen Grundlagen, gestalterischen Möglichkeiten und sozialen Auswirkungen entsprach das neue deutsche Rechtsdenken in vielerlei Hinsicht den Erwartungen und Bedürfnissen der vom Pragmatismus geprägten Amerikaner. So kam das konkrete rec/ztetheoretische Vorbild der neuen Ansätze in den U S A auch hier wiederum großenteils T e i l aus Deutschland. Daß die Sociological Jurisprudence in hohem Maße dem deutschen Rechtsdenken verpflichtet war, ist in der Rechtsvergleichung allenthalben bekannt und nicht überraschend 66 . Schon ein flüchtiger B l i c k auf die programmatischen Schriften Pounds beweist, daß dessen Ansatz wesentlich auf die Interessenjurisprudenz und auf die deutsche Rechtssoziologie zurückging 6 7 . Darüberhinaus zeigten sich deutsche Ideen aber auch bei Denkern wie Brooks Adams und Arthur F. Bentley, die der soziologischen Jurisprudenz nahestanden 68 . V o n hier aus ging die Vorstellung von der Jurisprudenz als Ermittlung und Abwägung widerstreitender Begeh-

64 So Pound über die Sociological Jurisprudence, Pound, Mechanical Jurisprudence 609. 65 Vgl. Gény, Methode d'interprétation des sources en droit privé positif. Génys Werk fand vor allem bei Cardozo Beachtung, vgl. Cardozo, The Nature of the Judicial Process 16, 34, 46, 59, 63 etc. 66 Vgl. schon Zweigert / Siehr, Jhering's Influence on the Development of Comparative Legal Method 224 ff. mit weiteren Nachweisen. 67 Vgl. insbesondere die vielen deutschen Zitate bei Pound, The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence; Herget, The Influence of German Thought on American Jurisprudence 1880-1918 insbes. 221 ff.; ders., American Jurisprudence 1870-1970 164 ff . 68 Dazu Herget, American Jurisprudence 1870-1970 158 ff. Ein eigenes, besonderer Untersuchung bedürftiges Kapitel ist der Einfluß der deutschen Ideen einer vergleichendethnologischen Jurisprudenz und, in Verbindung damit, einer Universalrechtsgeschichte auf das amerikanische Rechtsdenken im Umfeld der Sociological Jurisprudence. Vor allem die in Deutschland heute weitgehend unbekannten Arbeiten Albert Hermann Posts, aber auch die Werke Josef Kohlers, Felix Dahns und anderer in dieser Richtung arbeitender Gelehrter übten eine beträchtliche Faszination auf Pound und manchen seiner Zeitgenossen aus; vgl. etwa Pound, The Scope and Purpose of Sociological Jurisprudence I 614 f.; Freund, Historical Jurisprudence in Germany 484 ff.; Lindsay, The Need for a Science of Law 728 f.; ders., The Development of a Scientific View of Law 532 f.

Β. Methode

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ren unter dem Schlagwort „balancing o f interests" in die amerikanische Rechtstheorie und -praxis ein, wo sie seitdem eine entscheidende Rolle spielt 6 9 . Erstaunlicher sind die deutschen Wurzeln des Legal Realism , der nach wie vor weithin den Ruf einer rein amerikanischen Errungenschaft genießt. Dieser Ruf ist zwar bezüglich des wichtigen Beitrages von Holmes i m wesentlichen berechtigt, nicht aber beim Realism als ganzem. Schon bei John Chipman Gray waren deutsche Ideen i m Spiel, denn Gray hatte sich unter anderem mit B ü l o w , Jhering und Zitelmann beschäftigt 7 0 . V o r allem aber zeigt eine genaue Betrachtung, daß sich auch viele Hauptvertreter des v o l l entwickelten juristischen Realismus wie Jerome Frank und Karl L l e w e l l y n die Gedanken der Freirechtsschule zunutze machten 7 1 . Daß der soziologisch-realistischen Jurisprudenz in erheblichem Umfang deutsche Ideen zugrundelagen, ist schließlich auch bei Cardozo unverkennbar, der sich in seiner oben bereits erwähnten Studie des richterlichen Denkens auf Ehrlich, Jhering, Kantorowicz, Kohler, Zitelmann und andere berief 72. c) Angesichts der ins Rechtsdenken eingegangenen Überzeugungen des Pragmatismus und angesichts des Einflusses der deutschen Interessenjurisprudenz, Rechtssoziologie und Freirechtsschule w i r d verständlich, daß das neue Wissenschaftskonzept die Classical Legal Science nicht nur als veraltet, sondern unweigerlich auch als verfehlt erscheinen lassen mußte. Ebenso wie die Begriffsjurisprudenz Puchtas aus der Sicht eines späten Jhering oder eines Kantorowicz schon i m Ansatz schief lag, war der Glaube Langdells an abstrakte „principles" und syllogistische Schlüsse für Holmes oder Cardozo ein Irrweg. M a n sah die Classical Legal Science nun mehr und mehr als leere „conceptual jurisprudence", als irreführenden „formalism" und als Hindernis sozialer Gestaltung mit dem Instrumentarium des Rechts. Eine „jurisprudence of conceptions" zu sein, war aus der Sicht der Classical Legal Science selbst kein V o r w u r f gewesen. M a n hatte an den Wahrheitsgehalt allgemeiner Prinzipien geglaubt und war j a gerade um eine begriffliche Erfassung des Rechtsstoffs bemüht gewesen. Die Jurisprudenz war ganz bewußt abstrakt ausgefallen, denn die Herausarbeitung allgemeiner Begriffe versprach, die Masse des Stoffs zu bändigen und zu reduzieren. Als sich jedoch seit der Jahrhundertwende in Amerika die pragmatistische Forderung nach konkretem Denken mit

69 Riesenfeld, The Impact of German Legal Ideas and Institutions on Legal Thought and Institutions in the United States 94; Η er get, American Jurisprudence 1870-1970 160 ff. (zum stark von deutschen Ideen beeinflußten Denken Arthur F. Bentleys). Zum „balancing of interests" vgl. Aleinikojf, Constitutional Law in the Age of Balancing, insbes. 955 ff. 70 Gray, The Nature and Sources of Law 19, 30 f., 35, 59 ff., 163 f, 262, 281 f. 71 Eindrucksvolle Nachweise der Parallelen finden sich bei Η er get I Wallace, The German Free Law Movement as the Source of American Legal Realism 440 f. 72 Cardozo, The Nature of the Judicial Process 17, 70, 72, 79, 85, 101 f., 115, etc.

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Dritter Teil: Niedergang

den deutschen Vorstellungen einer Wirklichkeitsjurisprudenz vereinigte, ging der Glaube an den Sinn abstrakter Kategorien zusehends verloren. Der „solemn belief in a superior body of doctrine which transcends the phenomena of l a w " erschien einem auf tatsächliche Urteile und soziale Bezüge gerichteten Denken als ans Naturrecht erinnernde I l l u s i o n 7 3 . Wenn nun Pound von einer „jurisprudence of conceptions" sprach 7 4 , so implizierte das deshalb die K r i t i k , der klassische Ansatz sei realitätsblind und damit nutzlos. U n d wer, wie Gray, das Recht in den wirklichen Entscheidungen selbst sah, für den war Langdells von diesen Entscheidungen abstrahierendes Rechtsdenken „as u n s c i e n t i f i c . . . as for a scientific man to decline to take cognizance of oxygen or gravitation." 7 5 Als die soziologisch-realistischen Juristen nun die Classical Legal Science als „conceptual jurisprudence" verwarfen, verstießen sie aber zugleich deren deutsche Schwester. Denn auch die klassische deutsche Jurisprudenz erschien jetzt als eine Version der sinnlos abstrakten Rechtswissenschaft, die man eben überwinden wollte. Eine solch negative Sichtweise war weniger neu, als es zunächst scheint, denn die Common Lawyers hatten der deutschen Neigung zum abstrakten Denken schon lange ambivalent gegenübergestanden. Freilich hatten sie „the power o f generalization which the Germans possess in so high a degree" bewundert und diese Gabe als Grund großen wissenschaftlichen Erfolges betrachtet 7 6 . Doch hatten die Common Lawyers aufgrund ihrer Gewöhnung ans konkrete Fallrecht dem Streben ihrer kontinentaleuropäischen Kollegen nach Verallgemeinerung seit jeher mißtraut und darin die Gefahr leerer Abstraktion und des Abgleitens in bloße „metaphysical theories" 7 7 gesehen. So waren bereits vor und in der Classical Era Stimmen gegen die deutsche „tendency towards excessive generalization" laut geworden 7 8 . Sobald die deutschen Rechtsdenker ins Philosophieren und Spekulieren gerieten, spielten sie aus anglo-amerikanischer Sicht nur noch „hide-and-seek in a forest of shadowy abstractions", ein nach Ansicht der Com-

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Kocourek, The Redlich Report and the Case Method 329. Kocourek fuhr fort: „Is it not a sister of that other great illusion which in moments of stress and doubts brings a holy peace to a bottomless juristic emotion — natural law?", id. 74 Pound , Mechanical Jurisprudence 613; vgl. auch ders., The Spirit of the Common Law 155 f. 75 Gray in einem Brief an Charles Eliot vom 8. Januar 1883, zitiert nach Howe, Justice Oliver Wendeil Holmes I I 158. 7 6 Smith, Four German Jurists X 682. 77 So Kent in einem Brief vom April 1842, zitiert nach Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 109. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde George Long, der in seinen Vorlesungen in London unter anderem Savignys Obligationenbegriff behandelte, gemahnt „not to be led by Savigny . . . into too abstract and Germanized a system of lecturing", zitiert nach Stein, Legal Evolution 82. 78 Smith, Four German Jurists X 682. Vgl. auch Beale, The Necessity for the Study of Legal System 34; Beale selbst betrachtete die deutsche Neigung zu „system and method" allerdings als nachahmenswert.

Β. Methode

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mon Lawyers ganz nutzloses Unterfangen 7 9 . Z u Beginn unseres Jahrhunderts gewann dann die Abneigung gegen das breitangelegte Theoretisieren der deutschen Juristen allmählich die Oberhand 8 0 . Mitunter stilisierte man das deutsche Denken in abstrakten Kategorien sogar zum Inbegriff wirklichkeitsfremder Jurisprudenz hoch, um es als abschreckendes Beispiel zu benutzen. Das war schon bei Holmes' zu bemerken gewesen, der dadurch implizit Langdells Ansatz bekämpft hatte 8 1 . Vierzig Jahre später gipfelte diese Tendenz in der Polemik John M . Zanes, der die deutsche Rechtsphilosophie als „the old metaphysical trash that began w i t h Geist and ends w i t h Kultur 44 beschimpfte 8 2 . Hier kippte die Bewunderung für die deutsche Begriffsschärfe und Systemlogik u m in Ablehnung und Verspottung des abstrakten Denkens, auf dem diese Errungenschaften beruhten. 8 3 Zur K r i t i k an der begriffjuristisch-abstrakten Denkweise der Classical Legal Science kam der V o r w u r f des „formalism 4 '. Die orthodoxe, klassische Jurisprudenz hatte das Recht als ein i m wesentlichen lückenloses, geschlossenes System verstanden und war davon ausgegangen, daß sich aus dessen Prinzipien und Regeln i m Wege logischer Subsumption konkrete Entscheidungen in voraussehbarer Weise ableiten ließen. W i e der Glaube an allgemeingültige Prinzipien, so hatte auch das Vertrauen der Legal Scientists auf die ΒindungsWirkung formaler L o g i k durchaus seinen Zweck gehabt, da nur so die Sicherheit und Neutralität des Rechts gewährleistet zu sein schien. Diesem Vertrauen auf die L o g i k war wiederum als erster Holmes mit seinem berühmten Satz entgegengetreten: „The life of the law has not been logic: it has been experience. 4 4 8 4 1897 griff Holmes in seinem Aufsatz The Path of the Law das Dogma logischer Deduzierbarkeit von Entscheidungen erneut an, um sieben Jahre später als Richter am United States Supreme Court lakonisch zu verkünden: „General propositions do not

79 Bryce, The Methods of Legal Science 611. Schon Austin war das deutsche Denken oft schon zu abstrakt gewesen, vgl. Austin, Jurisprudence 1310, I I 372.; ähnlich seinerzeit Anon., Written and Unwritten Systems of Law 29 (Anm. 1). Vgl. auch Hart, German Universities 272 (über die gelegentliche Weltfremdheit deutschen Gelehrtentums); Fifoot, Judge and Jurist in the Reign of Victoria 29 f. so Vgl. etwa Gray, The Nature and Sources of Law 24, 28 f., 53 f., 70 f., 261 f. Bezeichnend ist, daß Rudolph Leonhard bei seinem Vortrag an der Columbia Law School 1907 Anlaß sah, sich sogleich gegen den Verdacht des „German doctrinairism" zu wehren, Leonhard, Methods Followed in Germany by the Historical School 578. 81 Dazu ausführlich oben Zweiter Teil B.II.4. 82 Zane, German Legal Philosophy 315 (Hervorhebungen im Original). Zane bemühte sich, nicht nur Kant, Schelling, Fichte und Hegel, sondern auch Savigny, Puchta und Jhering lächerlich zu machen, und kam zu dem Schluß, deren Denken sei „all bare assertion", id. 360. 83 Eine solche Reaktion war nach Karl Llewellyn typisch für die Common Lawyers, die stets zwischen Bewunderung und Verachtung für das Civil Law schwankten und selten zu einem ausgewogenen Urteil fanden, Llewellyn, Präjudizienrecht und Rechtsprechung in Amerika 111 Anm. 84 Holmes, The Common Law 5.

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Dritter Teil: Niedergang

decide concrete cases." 8 5 Unter Holmes' Einfluß begann der Glaube an die Maßgeblichkeit deduktiver L o g i k i m Recht dem Zweifel zu weichen. Mehr und mehr Zeitgenossen beugten sich der Einsicht, „that our courts are not engaged in reaching mathematical conclusions', or in merely logical, abstract or academic discussions" 8 6 . Bei Pound verband sich dann die pragmatische These von der Situationsbedingtheit und Zielgerichtetheit allen menschlichen Denkens m i t der K r i t i k der Freirechtsschule an den Dogmen des geschlossenen Rechtssystems und der perfekten logischen Deduzierbarkeit von Urteilen. In einem richtungsweisenden Aufsatz prangerte Pound die klassische Methode als Mechanical Jurisprudence an und erklärte ihr „ r i g i d scheme of deductions from a priori conceptions" für unwissenschaftlich 8 7 . Die K r i t i k Holmes', Pounds und anderer an der Methode der Classical Legal Science klang um so überzeugender, als sie Teil einer allgemeinen „Revolt Against Formalism" i m amerikanischen Denken jener Zeit w a r 8 8 . W i e beim V o r w u r f des „conceptualism", so war auch hier die deutsche historische Schule mitbetroffen. Hatte bereits Holmes die Unsinnigkeit des strikt logischen Verfahrens anhand der Pandektistik zu demonstrieren versucht, so kritisierte jetzt Munroe Smith an Windscheid die „over-valuation of deductive results" 8 9 . V o r allem identifizierte Pound die Mechanical Jurisprudence offen mit der deutschen Rechtswissenschaft vor Jhering 9 0 . Classical Legal Science und systematischer deutscher Jurisprudenz war aus soziologisch-realistischer Perspektive gleichermaßen vorzuwerfen, daß sie die richtigen Methoden und wesentlichen Ziele der Rechtswissenschaft verkannt hatten. Das galt schließlich auch i n Bezug auf die sozialen Gestaltungsaufgaben des Rechts. Classical Legal Science und historische Schule hatten den Sinn der Jurisprudenz in der Bewahrung und Fortsetzung der Tradition gesehen, ihr aber aktive Zukunftsgestaltung durch gezielte Rechtsschöpfung gerade versagt. Doch zeichnete sich schon um die Jahrhundertwende das Ende dieses konservativen Denkens ab, als der politische Druck in Richtung auf gesellschaftliche Reform und Regulierung der Wirtschaft zunahm 9 1 . I n diesem Zusammenhang begann man auch Recht und Rechtswissenschaft zusehends als Instrumente zur Durchsetzung sozialer und politischer Programme zu verstehen. „The time has gone by when law was only an unconscious embodiment o f the common w i l l " , schrieb Holmes bereits 1894. „ I t has become a conscious reaction upon itself of organized society knowingly seeking to determine its o w n destiny." 9 2 85 86 87 88 89 90 9· 92

Lochner v. New York (198 U.S. 45, 1905) 76 (abweichendes Votum). Thayer, Law and Logic 141; dazu auch Fox, Law and Logic. Pound, Mechanical Jurisprudence 608. White, Social Thought in America, The Revolt Against Formalism. Smith, Four German Jurists X I I 59. Pound, Mechanical Jurisprudence 608, 610 f. Vgl. insbesondere zur Bewegung der Populists Hall, The Magic Mirror 195. Holmes, Privilege, Malice and Intent 129 f.

Β. Methode

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I m neuen Jahrhundert vereinigten sich nun philosophischer Pragmatismus, ein von Jhering entlehntes, zweckorientiertes Rechtsdenken 93 und die soziologischen Ideen Pounds mit dem politischen Programm des Progressivism zu einer neuen Jurisprudenz, die sich als M i t t e l zum Zweck des sozialen Fortschritts verstand. Damit traten geschichtliche Forschung und Verfeinerung der Dogmatik in den Hintergrund und kam es nun vor allem auf gezielte und sozial nützliche Rechtsschöpfung an. I m Gegensatz zur Classical Legal Science erkannte die soziologisch-realistische Jurisprudenz deshalb der Gesetzgebung eine ebenso legitime wie notwendige Funktion zu. Hier spielte das deutsche Rechtsdenken nun wieder die Rolle eines Vorbildes. Das lag daran, daß die progressiven Sociological Jurists nicht nur die fortschrittsfeindliche Einstellung der historischen Schule kritisierten, sondern auch die zeitgenössische deutsche Sozialgesetzgebung bewunderten. Sie sahen i m traditionellen Common Law „exaggerated respect for the rights of the individual at the expense of the needs of s o c i e t y " 9 4 — eine verständliche Auffassung angesichts der Rechtsprechung zu Vertragsfreiheit, Verschuldensprinzip und Eigentumsgarantie 9 5 . Deshalb verwiesen sie auf die vorbildlichen „methods adopted in Germany to solve the social and economic problems of the day" und auf die „German legislation on social insurance and l a b o r " 9 6 . Das traf sich mit der Einstellung fortschrittlicher amerikanischer Soziologen und Politikwissenschaftler, die in den sozialen Ideen des Bismarckreiches das notwendige M i t t e l gegen die angloamerikanische Neigung zum Laissez Faire erblickten 9 7 . Hier war das deutsche Denken also nicht mehr Inbegriff einer konservativen und gesetzesfeindlichen Haltung, sondern M o d e l l eines modernen, von der Legislative in die Tat umgesetzten Sozialbewußtseins, wie es sich Pound, Freund und die progressiven amerikanischen Rechtsdenker bis hin zum New Deal auch für die U S A wünschten. d) I m Ergebnis bedeutete die Abkehr von „conceptual jurisprudence" und „formalism" und die Hinwendung zum soziologischen und instrumenteilen Rechtsdenken nichts weniger, als daß sich die Jurisprudenz von einer Mischung aus Geschichtswissenschaft und L o g i k in Richtung Sozialwissenschaft entwikkelte 9 8 . Das zeigte sich insbesondere in den Law Schools. 1913 forderte W i l l i a m

93 Vgl. Jhering, Der Zweck im Recht. Das Buch wurde von Husik übersetzt und 1913 als Law as a Means to an End in der von der Association of American Law Schools veranstalteten Modern Legal Philosophy Series veröffentlicht. 94 Β orchard, Jurisprudence in Germany 302. 9 5 Dazu oben Zweiter Teil C.III.4. 9 6 Borchard, Guide to Law and Legal Literature in Germany, Prefatory Note. Auch Emst Freund beklagte das Fehlen einer der österreichischen, deutschen und schweizerischen entsprechenden Sozialgesetzgebung in den USA, vgl. Kraines, The World and Ideas of Emst Freund 52 f. 97 Ausführlich Herbst, The German Historical School in American Scholarship 189 ff. Vgl. dazu auch Whitman, Early German Corporatism in America: Limits of the „Social" in the Land of Economics.

270

Dritter Teil: Niedergang

Draper Lewis, die Sozialwissenschaften zur Grundlage der Juristenausbildung zu m a c h e n " , und vor allem die Rechtsfakultäten der Universitäten von Columbia und Yale bewegten sich schon bald in diese R i c h t u n g 1 0 0 . Das deutlichste Zeichen der Zeit kam jedoch aus Harvard: 1916 übernahm an der ehemaligen Hochburg der Classical Legal Science Roscoe Pound als Dekan die Führung. Die Ära Langdells und Ames' war vorbei.

C. Kultur: Die deutsche Rechtswissenschaft und das Kaiserreich Das Schicksal der historischen Schule in Amerika war nicht nur mit der Entwicklung des dortigen Rechtsdenkens eng verbunden, sondern auch mit der amerikanischen Einstellung gegenüber der deutschen Kultur als ganzer. Gegen Ende der Classical Era änderte sich diese Einstellung auf breiter Basis. a) I m letzten Drittel des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte in Amerika ein Gefühl der Verbundenheit mit Deutschland vorgeherrscht. Durch den starken Zustrom von dort kommender Einwanderer war die deutsche Kultur in den U S A weitverbreitet. V o r allem empfanden die Zeitgenossen die beiden Nationen als in vielfacher Weise miteinander verwandt. Das galt trotz des unleugbaren Gegensatzes zwischen konstitutioneller Monarchie und demokratischer R e p u b l i k 1 0 1 nicht zuletzt in politischer Hinsicht. Beide Völker hatten eben erfolgreich um die nationale Einheit gekämpft, und Preußen hatte sich durch seine Unterstützung der Nordstaaten i m Civil War die Sympathie der Sieger erworben 1 0 2 . N u n waren die beiden, sich innerlich konsolidierenden Nationen gleicheres Interessant ist in diesem Zusammenhang der Wandel in der Funktion der Case Method im amerikanischen Unterricht. Langdell diente sie dazu, die Studenten selbst — wie wahre Wissenschaftler — im vorgegebenen Material die Grundprinzipien entdekken zu lassen. Das gab Sinn, wenn man das Studium als Ausbildung in einer den Naturwissenschaften ähnlichen Science of Law betrachtete. Später jedoch sah man das Ziel der Case Method mehr und mehr darin, den Studenden die Fähigkeiten zur Mitwirkung am Prozeß der Rechtsgestaltung zu vermitteln, was am besten durch Anschauung konkreter Streitfälle möglich sein sollte, vgl. Redlich, The Common Law and the Case Method 23 ff. Es ging nun zusehends um das Verständnis eines sozialen Prozesses, in dem Interessen umgesetzt und sozialpolitische Ziele verfolgt wurden. Dieser Funktionswandel zeigt sich u. a. in der Behandlung fragwürdiger Entscheidungen. Langdell ließ die „falschen" Urteile weg, weil sie den Weg der Erkenntnis zum wahren Prinzip versperrten. Später wurden zur Kritik herausfordernde Cases immer mehr einbezogen, weil sich aus ihnen u. U. mehr lernen läßt als aus den „richtigen" Entscheidungen. Zudem wurden die Casebooks durch Material zum Hintergrund und Umfeld des Rechts ergänzt und dadurch zu den heute übligen Cases and Materials. 99 Lewis, The Social Sciences as the Basis for Legal Education. 100 Vgl. Stevens, Law School 134 f. 101 Dazu sogleich unten Anm. 107-112 und Text. 102 In Amerika verglich man oft den Civil War mit den preußischen Kriegen von 1866 und 1870/71; vgl. zu den historischen und politischen Parallelen Herbst, The German Historical School in American Scholarship 10.

C. Kultur

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maßen auf Kosten Frankreichs und Englands auf dem Weg zur W e l t m a c h t 1 0 3 . Hinzu kam, daß beide Länder die volle Industrialisierung erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebten und sich deshalb nun den gleichen, daraus folgenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen gegenübersahen. Schließlich fühlten sich die U S A auch deshalb m i t dem deutschen Reich verbunden, weil sie dem V o r b i l d seiner modernen Wissenschaftseinrichtungen gefolgt waren. Harvards Präsident Eliot gab der amerikanischen Dankbarkeit dadurch Ausdruck, daß er Prinz Heinrich von Preußen 1902 bei dessen Besuch die juristische Ehrendoktorwürde v e r l i e h 1 0 4 . Kurz darauf initiierten Roosevelt und Kaiser W i l h e l m I I den bereits erwähnten Professorenaustausch 105 . Hier zeigte sich, daß die deutsche Wissenschaft in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kultur und Politik des Kaiserreichs gesehen wurde. Solange die kulturellen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland und den U S A florierten, wirkte sich das deshalb auch förderlich auf den Einfluß und den Ruhm der deutschen Rechtswissenschaft in den Vereinigten Staaten aus. b) Da begann der Erste Weltkrieg, und das Blatt wendete sich. Der Krieg hemmte den Einfluß der deutschen Jurisprudenz in den U S A zunächst ganz praktisch dadurch, daß er die bislang so lebendigen transatlantischen Kontakte zwischen den Rechtsdenkern auf Jahre weitgehend zum Erliegen brachte. So endete etwa der Professorenaustausch und konnte Eugen Ehrlich der Einladung Pounds, zu einer Vortragsreihe nach Harvard zu kommen, nicht folg e n 1 0 6 . Zudem wurde es den jungen, amerikanischen Juristen praktisch unmöglich, in Deutschland zu studieren. V o r allem aber fügte der Krieg dem Image der deutschen Rechtswissenschaft schweren Schaden zu. Sie galt vielen Amerikanern nun nicht mehr als Ausdruck der europäischen Bildung und Wissenschaft, der sie sich verwandt fühlen wollten, sondern zusehends als Ausgeburt einer autoritätsgläubigen und militaristischen Kultur, die mit der eigenen, freiheitlichen Tradition in tiefstem Widerspruch stand. Dieser Sinneswandel war nicht so überraschend, wie es schien. M a n hatte die deutsche Jurisprudenz schon lange in Verbindung m i t einem monarchischen und weitgehend undemokratischen Staatswesen gesehen 1 0 7 . Dazu genügte es, an die i° 3 Außerdem war beiden Nationen im Gegensatz zu England und Frankreich als Bundesstaaten eine föderalistische Struktur gemein; darauf wies vor allem Gierke die Amerikaner in einem 1910 im Harvard Law Review veröffentlichten Aufsatz hin, Gierke, German Constitutional Law in Its Relation to the American Constitution 276 ff. 104 James, Charles William Eliot I I 137-140; vom Brocke, Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch 139. 105 Dazu oben Zweiter Teil, Übermittlung 3. 106 Vgl. Pound, An Appreciation of Eugen Ehrlich 129. 107 Als Eliot Prinz Heinrich von Preußen die Ehrendoktorwürde in Harvard verlieh, wäre ihm wohler gewesen, wenn es sich bei Deutschland um eine Republik gehandelt hätte; vgl. James, Charles William Eliot I I 138 f., 142.

272

Dritter Teil: Niedergang

politische Karriere Savignys und an die Staatsphilosophie Hegels, an den Beamtenstatus deutscher Professoren oder an die Verbindungen zwischen der preußischen Krone und der Berliner Universität zu denken. Solange die Politik keinen Zündstoff lieferte, ließ sich über all das hinwegsehen und stand es der Bewunderung der Lehren und Methoden der historischen Schule und deutschen Rechtswissenschaft nicht weiter i m Wege. Einstweilen sah man in der deutschen Jurisprudenz die neutrale Wissenschaft v o m Privatrecht, die m i t der Politik an sich nichts zu tun hatte. Als sich jedoch das deutsche Reich unter Preußens Führung zusehends militaristisch und aggressiv gebärdete und schließlich zu den Waffen griff, trat das politische Mißtrauen gegenüber Deutschland und seiner Kultur in den Vordergrund und griff es auch auf das Rechtsdenken über. Dadurch betrachtete man nun die deutsche Rechtswissenschaft mehr und mehr als Produkt eines undemokratischen Staatswesens. Dahinter stand die traditionelle, anglo-amerikanische Sichtweise des C i v i l Law als des Rechts unfreiheitlicher Regierungsformen — von der weströmischen Monarchie über den Despotismus Justinians bis zum Absolutismus der europäischen Fürsten 1 0 8 . Diese Tradition sah man nun i m wilhelminischen Preußen fortgesetzt. N u n konnte man etwa i m Michigan Law Review die flammenden Anklagen John M . Zanes gegen German Legal Philosophy lesen. Zane gab dem deutschen Rechtsdenken, der „atrocious German theory of law and justice", Mitschuld an the submarine warfare on merchant vessels, the pillaging of Belgium, northern France and Serbia, the robbery and plundering of the inhabitants, the cruelties toward the prisoners in German hands . . . the poison gases used by the Germans, the bombarding of unprotected and unfortified cities with or without motive. The shelling of merchant vessels with or without warning, the bastardly acts by which boats putting off are shelled and sunk . . . 1 0 9 Sicher war das eine extreme Sichtweise und stimmten nicht alle amerikanischen Rechtsdenker mit Zane darin überein, daß die deutsche Jurisprudenz mit dem U - B o o t - K r i e g der kaiserlichen Marine in Verbindung stand. Doch war es selbst Wohlmeinenden kaum möglich, deutsche Wissenschaft und deutsche Kriegsführung auseinanderzuhalten, wenn die deutschen Wissenschaftler selbst eine solche Unterscheidung entrüstet ablehnten. Die Hochschullehrer des deutschen Reiches erklärten genauso ihre ausdrückliche Unterstützung für den K r i e g 1 1 0 , wie Otto von Gierke in einem Brief an den peinlich berührten Holmes seiner glühenden Begeisterung für den Rachefeldzug gegen Frankreich und England freien Lauf ließ111. los- Dazu oben Erster Teil C. 109 Zane, German Legal Philosophy 430, 371. no Vgl. die Erklärung der Hochschullehrer des deutschen Reiches vom 16. Oktober 1914, in der sie die Bemühungen im Ausland, deutsche Wissenschaft und preußischen Militarismus zu trennen, indigniert zurückwiesen; dazu auch Herbst, The German Historical School in American Scholarship 166. m Vgl. Gierkes Brief an Holmes vom Oktober 1914, abgedruckt bei Novick, Honorable Justice 312 f.

C. Kultur

273

Angesichts derartiger „intellectual servility to power, even in the most advanced German minds" riet John Henry Wigmore 1917 dazu, sich intellektuell von Deutschland ab- und Frankreich zuzuwenden, zumal Frankreich eine Demokratie wie die U S A auch sei. „ I t is therefore highly probable", fand er, „that the conditions and methods, the aims and the spirit o f her universities and her savants, and the inspiration of her learning, w i l l be more in harmony w i t h our o w n . . . " 1 1 2 c) Doch wäre es verfehlt, die Abkehr Amerikas von der deutschen Wissenschaft ausschließlich dem Krieg zuzuschreiben. Sie beruhte auch auf der wachsenden Überzeugung führender amerikanischer Denker, der deutsche Idealismus und die Methoden des 19. Jahrhunderts seien veraltet und könnten der modernen Wissenschaft nicht mehr gerecht werden 1 1 3 . Zudem erlitten die deutschen Universitäten in Amerika einen allmählichen Prestigeverlust und stiegen die amerikanischen Hochschulen rasch auf, sodaß die besten unter ihnen den deutschen an Austattung und Qualität kaum noch nachstanden und sie in einzelnen Bereichen sogar zu übertreffen begannen 1 1 4 . Das galt auch für die Law Schools, die sich seit Beginn der Classical Era erheblich vergrößert hatten 1 1 5 . So verlor die deutsche Wissenschaft ihre Vorbildfunktion auch dadurch, daß man sie zusehends als institutionell eingeholt und intellektuell überholt betrachtete. Hinzu kam die um jene Zeit einsetzende, allgemeine Abkehr der amerikanischen Jurisprudenz von ausländischen Vorbildern. War die Classical Era vor allem gegenüber dem europäischen Rechtsdenken sehr aufgeschlossen, j a geradezu lernbegierig gewesen 1 1 6 , so verbreitete sich seit dem Krieg die Überzeugung, es sei an der Zeit, eigener Wege zu gehen 1 1 7 . Die amerikanischen Juristen zogen 112 Wigmore, A Proposal to Restore the True Status of French Science and Learning in America 344 f. Francophile Töne schlug zwei Jahre später auch Beach, The Civil Law in America, an. 113 Richtungsweisend waren dabei zwei 1915 veröffentlichte Werke: Dewey, German Philosophy and Politics, und Vehlen, Imperial Germany and the Industrial Revolution (hier insbesondere 226 ff.); dazu allgemein White, Social Thought in America 147, 159 f. 114 Herbst, The German Historical School in American Scholarship 4 f.; Veysey, The Emergence of the American University 130. 1,5 Die juristische Fakultät Harvards etwa hatte sich zwischen 1869 und 1909 von drei auf sechszehn hauptamtliche Rechtslehrer vergrößert. Damit hatte sie bereits die Größe einer mittleren deutschen Juristenfakultät erreicht, vgl. Lexis, Die deutschen Universitäten 411 ff. Zur Entwicklung Harvards vgl. Warren, History of the Harvard Law School I I 354 ff., 461 ff; Sutherland, The Law at Harvard 162 ff. 116 Das schlug sich unter anderem in zwei Projekten nieder: Die Association of American Law Schools initiierte 1910 die Modern Legal Philosophy Series, in der Übersetzungen führender ausländischer Werke zur Rechtsphilosophie und -methodik erschienen, u. a. aus der Feder Jherings, Kohlers, Del Vecchios und mehrerer französischer Autoren. Die Library of Congress begann etwa um diese Zeit, Guides to Foreign Law herauszugeben; die Serie umfaßte bald Handbücher über verschiedene Länder, wobei Deutschland nicht fehlte; vgl. Borchard, Guide to the Law and Legal Literature of Germany. ι17 Felix Frankfurter, seinerzeit Professor in Harvard und später Richter am United States Supreme Court, rief 1915 dazu auf, die bisherige „indiscriminate importation of

18 Reimann

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Dritter Teil: Niedergang

sich bis auf wenige Ausnahmen auf ihr eigenes Terrain zurück. Das führte bald zu einem von Pound beklagten „ l o c a l i s m " 1 1 8 , der jeder ausländischen Idee von Grund auf mißtrauisch gegenüberstand 119 . Diese Gründe für die Lösung v o m deutschen Vorbild kamen zum Krieg hinzu und wurden durch seinen für Deutschland fatalen Ausgang verstärkt. 1918 war Deutschland nicht nur militärisch besiegt und wirtschaftlich zusammengebrochen, sondern auch politisch diskreditiert und intellektuell in Frage gestellt. Zur Bewunderung gab es keinen Anlaß mehr, allenfalls zu Mitleid. Das Kaiserreich war untergegangen, und die klassische deutsche Rechtswissenschaft, die ein wichtiger Teil seiner Kultur gewesen war, hatte ihre Faszination in Amerika eingebüßt.

Zusammenfassung Die geschichtlich-systematische Rechtswissenschaft der historischen Schule verlor ihre Vorbildfunktion für die amerikanische Jurisprudenz, als die Classical Legal Science i m zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts von einem neuen, soziologisch-realistischen Rechtsdenken abgelöst wurde. So zeigte sich die Verbindung zwischen historischer Schule und klassischer amerikanischer Rechtswissenschaft auch in deren Niedergang. Der Umschwung i m Rechtsdenken der U S A war zwar allmählich aber doch inhaltlich radikal. Das w i r d vor allem bei den beiden Symbolfiguren des Übergangs von der klassischen zur soziologisch-realistischen Jurisprudenz, Holmes und Pound, deutlich. Zwar waren beide zum Teil noch der Classical Legal Science verhaftet, doch genügten ihnen geschichtliche Erforschung und systematische Ordnung des Stoffs nicht mehr. Es ging ihnen darüberhinaus bereits um das Verständnis der dem Recht zugrundeliegenden Interessen und seiner tatsächlichen Wirkungen. Zweck der Rechtswissenschaft sollte nicht mehr die Erkenntnis und Bewahrung des geschichtlich gewachsenen, positiven Rechts sein, sondern die aktive Hilfestellung bei seiner Gestaltung nach Maßgabe gesellschaftlicher Bedürfnisse. I n dieser Wende von einer historisch-konservativen zu einer funktional-soziologischen Jurisprudenz lag eine grundsätzliche Neuorientierung, denn Recht wurde nicht mehr als aus der Geschichte hervorgegangenes System der

foreign ideas", in jüngerer Zeit vor allem aus Deutschland, aufzugeben, und „to work out a philosophy of law from the mass of our own material, in light of our own history, designed for our own particular needs"; Frankfurter, American Contributions to Jurisprudence 337. us Pound, Jurisprudence I, Preface VII. ne Diese Haltung wird durch den Ratschlag Llewellyns an Stefan Riesenfeld bei einem Treffen in New York im Jahre 1935 veranschaulicht, niemals die ausländische Herkunft einer Idee anzugeben, denn das sei „the kiss of death", vgl. Riesenfeld, The Impact of German Legal Ideas and Institutions on Legal Thought and Institutions in the United States 91.

Zusammenfassung

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Begriffe gesehen, sondern als Spiegelbild sozialer Auseinandersetzungen. Aus dieser neuen Perspektive mußte das klassische Rechtsdenken sinnlos abstrakt, formalistisch und blind gegenüber den wahren Aufgaben der Rechtswissenschaft erscheinen. Das galt nicht nur für die Classical Legal Science, sondern auch für die deutsche Rechtswissenschaft, insbesondere die Pandektistik. Doch muß der Prestigeverlust der deutschen Jurisprudenz des 19. Jahrhunderts i n den U S A auch i m Zusammenhang gesehen werden mit der allgemeinen Abkehr Amerikas v o m deutschen Denken um jene Zeit. Verantwortlich dafür war großenteils der Erste Weltkrieg, der auch mit dem deutschen Rechtsdenken in Verbindung gebracht wurde. Hinzu kamen das gewachsene intellektuelle Selbstbewußtsein der amerikanischen Wissenschaftler und der Aufstieg des Universitätswesens in den Vereinigten Staaten; beide machten ausländische Vorbilder zusehends verzichtbar. Besonders bemerkenswert am Niedergang des klassischen Rechtsdenkens in den U S A ist das Verhältnis dieses Prozesses zur gleichzeitigen deutschen Entwicklung. Dabei fallen die Parallelen sofort auf. Die Classical Legal Science wurde schon i m ausgehenden 19. und dann vor allem i m frühen 20. Jahrhundert von Holmes, Pound und anderen wegen ihrer Begriffsgläubigkeit und Betonung logischer Schlüsse als „conceptual" und „mechanical jurisprudence" angegriffen; in gleicher Weise warfen Jhering, Kantorowicz und andere in Deutschland der Begriffsjurisprudenz und Pandektenwissenschaft blindes und unbegründetes Vertrauen in abstrakte Prinzipien und deduktive Ableitung von Ergebnissen aus einem vermeintlich lückenlosen System vor. I n beiden Fällen erwuchs aus dieser K r i t i k am traditionellen Denken ein neues, an Interessen, Zwecken und sozialer Wirklichkeit orientiertes Verständnis des Rechts und der Jurisprudenz. Diese Entwicklungen waren nicht nur gleichläufig, sie waren auch miteinander verknüpft, denn die Ideen Jherings und seiner Nachfolger übten einen starken Einfluß auf die neuen Ideen in Amerika aus. A u f den von Holmes geschaffenen Grundlagen und i m Zusammenspiel mit dem Pragmatismus standen Interessenjurisprudenz und Freirechtsschule sowie die deutsche Rechtssoziologie Pate bei der Entstehung der Sociological Jurisprudence und des Legal Realism. W i e die geschichtlich-systematische Jurisprudenz der historischen Schule zur Herausbildung der Classical Legal Science beigetragen hatte, so half das nachklassische deutsche Rechtsdenken dabei, diese wieder zu überwinden.

18*

Schluß: Eine gescheiterte Rezeption? Joseph Beale hatte in der eingangs zitierten Passage der historischen Schule eine starke Wirkung auf die amerikanische Jurisprudenz bescheinigt. Für seine eigene Zeit muß man Beale nach eingehender Betrachtung eindeutig zustimmen. Die Langzeitwirkung des deutschen Einflusses ist indessen eine kompliziertere Frage. a) Sieht man zunächst auf die Classical Era selbst zurück, so läßt sich aus den in der Einleitung genannten Perspektiven — Wirkung der deutschen Rechtswissenschaft i m Ausland, Verhältnis zwischen C i v i l und Common Law i m 19. Jahrhundert und Beispiel eines Rezeptions Vorganges — , folgende Bilanz ziehen. Die Wirkung der historischen Schule i m Sinne der geschichtlich-systematischen Rechtswissenschaft von Savigny bis zur Generation Windscheids reichte weit über den kontinentaleuropäischen Rechtskreis und selbst über England hinaus bis jenseits des Atlantik. Die deutsche Jurisprudenz faszinierte zwei Generationen amerikanischer Rechtsdenker und beeinflußte dadurch in vielfacher Weise die v o m Bürgerkrieg bis zum Ersten Weltkrieg reichende Classical Era der Rechtsentwicklung in den Vereinigten Staaten. Bei der Einschätzung dieser W i r kung muß man sich allerdings zwei Gesichtspunkte vor Augen halten. Einerseits war der deutsche Einfluß zwar i m Vergleich zur Gesamtheit der Umstände, die die Entwicklung der amerikanischen Jurisprudenz bestimmten, natürlich bescheiden. Das gilt insbesondere, weil er sich weitgehend auf die akademische Seite der Rechtskultur und auch dort auf eine kleine Elite beschränkte, sodaß er sich auf die Praxis allenfalls mittelbar auswirkte. Andererseits spielten deutsche Ideen in der amerikanischen Jurisprudenz jener Zeit nichtsdestoweniger eine bemerkenswerte Rolle. Die akademische Elite prägte nämlich das Rechtsdenken auf breiter Basis, und unter den auf sie wirkenden, intellektuellen Einflüssen zählte die historische Schule neben der Sozialphilosophie und den Naturwissenschaften zu den wichtigsten Faktoren. Zweifellos hatte sie von allen ausländischen Elementen mit Abstand die größte Anziehungskraft, wenn man von der englischen Jurisprudenz absieht, und selbst deren Bedeutung übertraf sie in Teilbereichen wie in der Rechtsgeschichte. Das besagt nicht wenig, denn die Generation Beales war ausländischen Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen und verstand vor allem v o m europäischen Rechtsdenken viel. Betrachtet man historische Schule und Classical Legal Science unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zwischen C i v i l Law und Common L a w , so geht es weniger um Einfluß als um Parallelen in der Rechtsentwicklung. Dabei er-

Schluß: Eine gescheiterte Rezeption?

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scheint die seinerzeitige Beziehung zwischen den beiden Rechtskulturen in neuem Licht. Es zeigt sich nämlich, daß sie nicht nur in vielen Einzelpunkten Kontakt hatten, sondern in ganz grundsätzlicher Hinsicht eng miteinander verbunden waren: I m Verständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft. Dabei teilten sie nicht nur die Idee selbst, sondern auch das ihr zugrundeliegende Konzept: Sowohl in Deutschland als auch in England und den Vereinigten Staaten sah man die Jurisprudenz als geschichtliche Wissenschaft v o m positiven Recht, die zunächst den historisch gegebenen Stoff zu erforschen und sodann begrifflich zu erfassen und systematisch zu ordnen hatte. So war das spätere 19. Jahrhundert zwar auf dem Kontinent eine Kodifikationsphase und i m anglo-amerikanischen Rechtskreis eine Blütezeit des Case Law, doch war es auch für beide Kulturen die Periode der klassischen, d. h. historisch-systematischen Rechtswissenschaft. Diese methodische Gemeinsamkeit reichte tief und verband das Rechtsdenken über Kanal und Atlantik hinweg so stark, wie das seither bis nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr der Fall war. V o n einer höheren Warte aus gesehen, war die W i r k u n g der deutschen Rechtswissenschaft auf das Denken der Common Lawyers ein Rezeptionsvorgang wie viele andere in der Rechts- und Kulturgeschichte 1 . Darunter darf man sich hier allerdings kein die gesamte Rechtskultur von Grund auf prägendes oder gar verwandelndes Phänomen wie die Rezeption des römischen Rechts in Europa vorstellen. Deutsche Ideen wurden weder in vergleichbarem Umfang übernommen, noch traten sie in ähnlicher Weise an die Stelle bisherigen Denkens. Vielmehr wirkten sie gemeinsam mit anderen Elementen, insbesondere m i t den Naturwissenschaften, an der Herausbildung neuer Vorstellungen von Jurisprudenz mit. Die Bedeutung der deutschen Rechtswissenschaft lag vor allem in ihrer Rolle als methodisches und institutionelles Modell, das den Common Lawyers in ihrem Streben nach wissenschaftlicher Behandlung des Rechts Orientierung und Zuversicht gab. Der deutsche Einfluß auf die Classical Legal Science ist aber der Rezeption des römischen Rechts insofern vergleichbar, als er wie diese ein vielschichtiges Phänomen war, bei dem es nicht nur um Rechtsvorstellungen, sondern auch um methodische Konzepte und kulturelle Rahmenbedingungen ging. W i e dort so erklärt auch hier erst das Zusammenspiel dieser Faktoren den Vorgang wirklich, denn erst darin w i r d die Bandbreite der ihn tragenden Interessen deutlich: Savignys Rechtslehre sprach die Traditions- und Kulturbewußten ebenso an wie die Anhänger des Gewohnheitsrechts- oder Evolutionsgedankens; die geschichtlich-systematische Methode konnte Historiker und Positivisten genauso begeistern wie Systematiker und Idealisten; und die akademische deutsche Rechtskultur entsprach den Interessen der aufstrebenden Professoren und der um Ansehen bemühten Anwaltschaft ebenso, wie die Konservativen und die Vertreter des Laissez Faire mit den politischen Implikationen der historischen Schule ι Zur Natur der Rezeptionsvorgänge im Recht in neuerer Zeit Watson, Legal Transplants; dazu Wise, The Transplant of Legal Pattems.

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sympathisierten 2 . So standen deutsche Vorstellungen bei so verschiedenen Denkern wie Carter und Pound, Ames und Gray, Beale und Holmes hoch i m Kurs, wenn auch oft aus verschiedenen, j a mitunter sogar entgegengesetzten Gründen. b) Sieht man über diese Bilanz und über das Ende der Classical Era hinaus, so drängt sich die Frage auf, was i m weiteren aus diesen Vorstellungen geworden ist. Hat der von Beale festgestellte Einfluß der historischen Schule in Amerika bleibende Spuren hinterlassen? Oder muß man angesichts des Niedergangs der Classical Legal Science um die Zeit des Ersten Weltkrieges die Rezeption der hier in Rede stehenden deutschen Ideen letztendlich als gescheitert ansehen? A u f diese Fragen gibt es keine pauschale Antwort. Denn eben weil Rezeptionsvorgänge vielschichtigte Phänomene sind, läßt sich auch ihr langfristiger Erfolg nur differenziert beurteilen. Deshalb muß man auch hier danach unterscheiden, um welchen Aspekt der historischen Schule es gehen soll: Die ihr zugrundeliegende Rechtsentstehungslehre Savignys, das sie leitende methodische Programm oder ihre rechtskulturellen Charakterzüge. Der Rechtsentstehungslehre Savignys war ein uneinheitliches Schicksal beschieden. Sie ist zwar heute in den U S A i m großen und ganzen vergessen, doch liegt das an zwei ganz unterschiedlichen Entwicklungen. In ihren Einzelheiten gilt sie als uninteressant, sodaß die Rechtstheorie keinen Anlaß sieht, sich mit ihr zu beschäftigen. Die Vorstellungen von Volksgeist, Gewohnheitsrecht und organischer Einheit wirken heute in den Vereinigten Staaten genauso unzeitgemäß romantisch und vage wie in Deutschland und reizen deshalb auch dort allenfalls noch den Rechtshistoriker. I n ihrer Grundaussage hingegen ist Savignys Lehre so vollständig ins amerikanische Rechtsdenken eingegangen, daß man sich gerade deshalb ihrer nicht mehr bewußt ist. Die geschichtliche und kulturelle Bedingtheit des Rechts gilt heute als Selbstverständlichkeit, sodaß man sich kaum noch vorstellen kann, diese Einsicht sei jemals etwas Neues gewesen. Freilich stammte sie nicht allein von Savigny, doch war sein Anteil an ihrer Verdeutlichung und Verbreitung auch i m anglo-amerikanischen Bereich beträchtlich. Hier hat Savigny in Gemeinschaft mit Maine und Holmes einen bleibenden Beitrag zum amerikanischen Rechtsdenken geleistet, auch wenn seine Urheberschaft weitgehend in Vergessenheit geraten ist. A u c h die Wirkungen der deutschen Rechtskultur auf Amerika waren zum Teil von Dauer. Zwar ist die konservative, gesetzesfeindliche und i m wesentlichen undemokratische Haltung, die die Legal Scientists vor allem m i t Savignys Denken verband, spätestens seit dem New Deal der 1930er Jahre in den U S A Geschichte. Doch hat sich der v o m deutschen V o r b i l d beeinflußte Wandel des amerikanischen Common Lawyers v o m Praktiker zum Akademiker behauptet. Der Status des 2 Die vielseitige Attraktivität der historischen Schule ist auch amerikanischen Beobachtern nicht verborgen geblieben, vgl. Patterson , Historical and Evolutionary Theories of Law 688 f.

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Rechts als universitäres Fach steht heute außer Frage. W i e in Europa so führt auch in den U S A der Weg zu den juristischen Berufen heute über ein Hochschulstudium 3 . U n d wie schon i m Deutschland des 19. Jahrhunderts bestehen die amerikanischen Rechtsfakultäten heute aus hauptberuflichen, professionellen Wissenschaftlern. Die amerikanischen Professoren sind als eigenständige Berufsgruppe anerkannt und bestimmen die Rechtsentwicklung als Lehrer und Autoren maßgeblich m i t 4 . Obwohl bezüglich des Studiums und der Professorenschaft nach wie vor deutliche Unterschiede zu Europa verbleiben 5 , hat sich die amerikanische Rechtskultur der europäischen darin angeglichen, daß sie ohne ihre akademische Seite nicht mehr denkbar ist. Das gilt mutatis mutandis inzwischen auch für England. So kann man sagen, daß die Common Lawyers hier ihren kontinentaleuropäischen Kollegen gefolgt sind. Seither haben die beiden Rechtskulturen mit dem akademischen Bereich einen gemeinsamen Nenner. Das ist vor allem deshalb bedeutsam, weil das akademische Element die Kommunikation zwischen den Welten wie kein anderes fördert. Es ist bezeichnend, daß die Kontakte zwischen amerikanischen und deutschen Hochschullehrern schon in den 1920er Jahren, also lange vor der Zeit der deutschen Emigranten, wieder aufgenommen wurden 6 . Hingegen hat das geschichtlich-systematische Verständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft die Classical Era nicht lange überlebt. Freilich war das Ende der Legal Science nicht abrupt, denn sie wirkte hier und dort für Jahrzehnte nach und brachte selbst nach 1920 noch beeindruckende praktische Ergebnisse hervor 7 ; auch haben sich ihre Errungenschaften zum T e i l bis heute erhalten, denn die von ihr entwickelten Grundkategorien und -begriffe des Privatrechts sind nach wie vor in Gebrauch 8 . Doch hat sich das amerikanische Rechtsdenken von der

3 Zu den engbegrenzten Ausnahmen oben Zweiter Teil C.I.3. Anm. 802. Vgl. Rheinstein, Law Faculties and Law Schools 8 f. 5 Dazu näher mein Beitrag A Career in Itself — The German Professoriate as a Model for American Legal Academia 199. 6 Edwin Borchard, seinerzeit Rechtsprofessor in Yale, wurde 1925 der Ehrendoktorgrad der Universität Berlin verliehen, Josef Redlich wirkte von 1926-1935 in Harvard, und Karl Llewellyn unterrichtete 1928-1929 und 1931 an der Universität Leipzig. 7 So unter anderem in dem Projekt des American Law Institute, die Hauptgebiete des amerikanischen Rechts in sogenannten Restatements in allgemeine Regeln zu fassen und in eine einigermaßen logische Ordnung zu bringen, vgl. dazu Goodrich / Wolkin, The Story of the American Law Institute 1926-1961. Zumindest die frühen Restatements, die in den 1930er Jahren fertiggestellt wurden, waren noch Produkte des begriffsjuristischen Denkens der Classical Era; berühmt (und berüchtigt) geworden ist in dieser Hinsicht vor allem das 1923-34 von keinem anderen als von Joseph Beale verfaßte Restatement of Conflicts. Auch erschienen in den 1920er und 1930er Jahren noch große Treatises in der Tradition der Classical Legal Science. Sowohl diese als auch die Restatements waren jedoch angesichts des neuen, soziologisch-realistischen Rechtsdenkens schon bei ihrem Erscheinen im Grunde Anachronismen. 8 Grey bezeichnet das treffend als „Langdell's secret triumph", Grey, Langdell's Orthodoxy 50. 4

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historisch-systematischen Methode selbst zusehends abgewandt. Die Suche nach allgemeinen Begriffen und nach einer logischen Ordnung, die für zwei Generationen das Wesen der Rechtswissenschaft ausgemacht hatte, wurde i m Laufe der Zeit allmählich aufgegeben 9 . Die Classical Legal Science galt bald als überholte Spekulation, realitätsblinder Formalismus oder gar als Verschleierung konservativer Interessen durch Vorspiegelung einer vermeintlichen Neutralität des Privatrechts 1 0 . A n ihre Stelle trat das soziologisch-realistische und instrumentelle Verständnis der Jurisprudenz, demzufolge Recht vor allem ein Mittel des „Social Engineering" ist, mit dem sich die Gesellschaft nach politischen und sozialen Vorgaben verbessern läßt. Wenn spätere Generationen überhaupt noch von Legal Science sprachen, so meinten sie meist eine Form der Sozialwissenschaft 1 Κ Heute gilt die Jurisprudenz in Amerika überhaupt nicht mehr als Wissenschaft, sondern als Disziplin sui generis , die interdisziplinär ausgerichtet ist, und der es mehr um die Gestaltung des zukünftigen als um die Bearbeitung des bestehenden Rechts geht 1 2 . Den Anspruch, die Masse des Stoffs aufs Wesentliche zu reduzieren, in präzise Kategorien zu fassen und systematisch zu strukturieren, erhebt sie längst nicht mehr. I m Ergebnis war die Rezeption deutscher Ideen damit in Bezug auf Savignys historisches Rechtsverständnis sowie auf das Recht als akademischer Disziplin von Dauer, hinsichtlich der geschichtlich-systematischen Methode letztendlich aber gescheitert 13 . c) Was waren die Ursachen dieser uneinheitlichen Entwicklung? Jeder Erklärungsversuch enthält hier unweigerlich spekulative Elemente, doch lohnt er trotzdem, denn er zwingt dazu, sich das Verhältnis zwischen deutschem und amerikanischem Rechtsdenken noch einmal grundsätzlich zu vergegenwärtigen.

9 Dazu näher Η er get, American Jurisprudence 1870-1970 78 ff. 10 Manchen galt sie geradezu als — schlechter — Witz; vgl. Schwartz, Some Makers of American Law 162. 11 Vgl. die eingehende Diskussion bei Yntema, The Implications of Legal Science; Cozier, Legal Realism and the Science of Law. Hinzu kam die neuerliche Betonung des Rechts als eines Verfahrens, das seinerseits von der materiellrechtlichen Orientierung der Classical Legal Science wegführte. ι 2 Vgl. Posner, The Decline of Law as an Autonomous Discipline. Allerdings ist seit den 1970er Jahren in den USA ein „Neo-Conceptualism" im Sinne einer erneuten Neigung zur Suche nach Grundmustern und Theorien zu beobachten. Diese Suche unterscheidet sich aber grundlegend von der geschichtlich-systematischen Rechtswissenschaft, denn es geht ihr nicht mehr um die dogmatischen Grundprinzipien und -strukturen der Rechtssätze, sondern um gesellschaftspolitische oder wirtschaftstheoretische Ansätze. 13 Zu einem ähnlichen Urteil kommt Herbst hinsichtlich des deutschen Einflusses auf die Geschichts- und Politikwissenschaft, wenn er von „triumph in the reform of American higher education, failure in the attempt to transfer a German science of history and politics to America" spricht, Herbst, The German Historical School in American Scholarship 128. Vgl. bezüglich der Aufnahme des Civil Law in der Frühzeit der amerikanischen Republik auch Stein, The Attraction of the Civil Law in Post-Revolutionary America 423.

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Savignys Lehre v o m Recht als geschichtlichem Phänomen und als untrennbarem Teil der Gesamtkultur fand (gemeinsam mit den Ideen Maines und Holmes') dauerhafte Aufnahme, weil sie dem Rechtsdenken der Common Lawyers zutiefst entsprach. Diese sahen das Recht seit jeher in geschichtlicher Perspektive, indem sie seit Jahrhunderten auf die allmähliche Entwicklung des Fallrechts und auf den Fortbestand ihrer altehrwürdigen Einrichtungen bauten. Das paßte ganz zum britischen und amerikanischen Glauben an den Wert der Erfahrung statt an den Sinn der Spekulation und entsprach dem „natural horror o f discontinuity" der Common Lawyers 1 4 . A u c h die These von der Kulturbedingtheit des Rechts leuchtete den anglo-amerikanischen Juristen unmittelbar ein; sie waren schon immer davon überzeugt gewesen, das Common Law sei aus dem Wesen ihrer freiheitsliebenden Nationen hervorgegangen und entspreche i h m deshalb 1 5 . In beiderlei Hinsicht artikulierte Savigny also nur in aller Klarheit, was die Common Lawyers sowieso empfanden. I m Grunde paßte Savignys Lehre sogar viel besser zur anglo-amerikanischen Rechtskultur als zur kontinentaleuropäischen Tradition mit ihrer Neigung zu philosophischen Grundsatzfragen und allgemeingültigen Rechtsideen. Savignys Beschwörung des geschichtlichen Sinns war für seine deutschen Kollegen eine Mahnung zur Neubesinnung; den Common Lawyers sprach er damit längst aus der Seele. Die um die Zeit des ersten Weltkrieges einsetzende Wandlung der amerikanischen Jurisprudenz tat dem keinen Abbruch, denn das geschichtliche und kulturorientierte Rechtsverständnis war zu tief in der Tradition des Common Law verwurzelt, um so rasch aufgegeben zu werden. Zudem ließ es sich mit dem neuen, soziologischen Rechtsdenken durchaus in Einklang bringen, wenn man Geschichte und Kultur nicht mehr auf das Geistesleben, sondern auf die konkreten gesellschaftlichen Zustände bezog. Der Status des Rechts als akademische Disziplin harmonierte, i m Gegensatz zu Savignys Lehre, zwar nicht mit den herkömmlichen anglo-amerikanischen Vorstellungen, doch setzte er sich gleichwohl durch, weil er umfassenden und weitreichenden gesellschaftlichen Entwicklungen entsprach. A l s professionelles Ansehen in den höheren Berufen zusehends auf einem Hochschulstudium beruhte, und als die Universitäten immer mehr zu Einrichtungen der Wissenschaft und Forschung wurden, mochten auch die bisher sehr praxisorientierten Common Lawyers nicht zurückstehen. Sie schlossen sich dem allgemeinen Trend zur Professionalisierung durch Studium und zur Institutionalisierung der Wissenschaft an und bekamen dabei von kontinentaleuropäischer und insbesondere deutscher Seite Hilfestellung. Da sich dieser allgemeine Trend behauptete und i m 20. Jahrhundert sogar noch verstärkte, blieben auch die amerikanischen Juristen den Universitäten treu. Wenn sie später mehr und mehr zu einem soziologi14

Lightwood, The Nature of Positive Law 272. ι 5 Vgl. Blackstone, Commentaries on the Laws of England I, Introduction to the Study of Law 6.

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sehen Verständnis der Jurisprudenz gelangten, so war das kein Hindernis; es bestätigte sie eher in der Überzeugung, das Recht sei kein bloß praktisches Handwerk, sondern gehöre als Lehr- und Forschungsfach in die Universität 1 6 . Die wohl bedeutsamste aber auch schwierigste Frage ist jedoch, warum sich das begrifflich-systematische Denken in der amerikanischen Jurisprudenz auf Dauer nicht durchgesetzt hat. Der Hinweis auf die W i r k u n g der Sociological Jurisprudence und des Legal Realism ist als Beschreibung durchaus zutreffend 1 7 , taugt aber wenig zur Erklärung, warum die Classical Legal Science den Angriffen vor allem der Realists auf den Glauben an allgemeine Begriffe und logische Systeme so rasch erlag. Letztenendes hatte der Niedergang der begrifflich-systematischen Jurisprudenz natürlich viele, oft rein amerikanische Ursachen, deren Behandlung bereits Bücher f ü l l t 1 8 . Hier interessieren indes nur diejenigen Gründe, die zum Verständnis der Beziehung zwischen dem Rechtsdenken in Deutschland und den U S A beitragen können. Sie lagen i m Verhältnis der Legal Science zur Tradition, in ihrem unhaltbaren Wissenschaftsbegriff und in den politischen Umständen der Classical Era . Zunächst konnte sich eine Rechtswissenschaft, die nach einem System materiellrechtlicher Begriffe strebte, vor allem deshalb in den U S A nicht behaupten, weil sie keinen Rückhalt in der Tradition und i m Charakter der amerikanischen Juristen hatte. Das zeigt sich am besten i m Vergleich mit der deutschen Situation. I n Deutschland fügte sich die begrifflich-systematische Seite der historischen Schule ganz in die akademisch geprägte Tradition des europäischen Rechtsden-

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Dazu mußte es nicht unbedingt eine Science sein, denn auch Philosophie, Geschichte oder Literatur sind nach amerikanischem Verständnis keine Sciences und werden doch an den Hochschulen gelehrt. 17 Vgl. Stevens, Law School 156. is Vgl. insbesondere Horwitz, The Transformation of American Law, 1870-1960, bezeichnenderweise mit dem Untertitel „The Crisis of Legal Orthodoxy". Unberücksichtigt bleiben im folgenden vor allem die Auswirkungen der ausgeprägt föderalistischen Struktur der USA. Diese stellt die Wissenschaft natürlich vor eine ungleich schwierigere Aufgabe als ein einheitliches Rechtssystem. Doch schließt sie eine begrifflich-systematische Jurisprudenz keineswegs aus, wie vor allem das deutsche Beispiel des 19. Jahrhunderts zeigt, aber auch die Classical Legal Science selbst bewies. Erst als der Legal Realism zur Resignation gegenüber der föderalistisch bedingten Rechtszersplitterung führte, machte das den Glauben an ein einheitliches System des Common Law, auf dem die Classical Legal Science beruhte, unmöglich. Vgl. dazu insbesondere Holmes' abweichendes Votum in Black & White Taxicab v. Brown & Yellow Taxicab (276 U.S. 518, 532; 1928) sowie die berühmte Entscheidung Erie Railroad v. Tompkins (304 US 64; 1938). Im übrigen dürfte auch die Case Method die Classical Legal Science von innen heraus zerstört haben. Indem sie immer neuen Generationen von Juristen ein auf Einzelfällen beruhendes Rechtsdenken vermittelte, trug sie entscheidend zur Verbreitung und Perpetuierung eines Rechtsverständnisses bei, das auf konkrete Umstände statt auf allgemeine Begriffe gerichtet war; vgl. dazu Stevens, Law School 56.

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kens ein. I n Begriffsjurisprudenz und Pandektenwissenschaft setzte sich die Jahrhunderte alte Suche nach einem Grundkatalog juristischer Konzepte und nach einer umfassenden Ordnung des Rechts fort. Diese Suche ging mindestens bis auf die mittelalterliche Bearbeitung der römischen Quellen zurück, hatte sich in immer wiederkehrenden Bestrebungen nach Verallgemeinerung und Systematisierung der Prinzipien ausgedrückt und i m späten Naturrecht ihre bislang deutlichste Form gefunden. Als Erben dieser Tradition waren die deutschen Juristen an eine prominente Rolle allgemeiner Begriffe und logischer Systeme i m Rechtsdenken gewöhnt und i m großen und ganzen durch ein hohes Niveau der Abstraktion nicht beunruhigt. So war das Begriffs- und Systemdenken der deutschen Rechtswissenschaft nur die jüngste Stufe einer langen Evolution. Die Classical Legal Science hingegen war der Versuch einer Revolution. Ihr Ansatz hatte in der praxisnahen Tradition des Common Law keine solide Basis, denn dort war es stets um konkrete Fälle und prozessuale Kategorien gegangen, sieht man von wenigen, kontinentaleuropäisch beeinflußten Systematisierungsversuchen ab. Wenn man das Common Law also in klare, materiellrechtliche Konzepte fassen und in eine logische Ordnung bringen wollte, so mußte man von Grund auf umdenken. Dazu bedurfte es nicht nur enormer intellektueller Anstrengungen, sondern auch des Glaubens an den Wahrheitsgehalt und die Nützlichkeit allgemeiner Begriffe und logischer Systeme. Z u diesem Glauben war eine Rechtskultur, die auf Einzelfallentscheidungen beruhte, abstraktem Denken ganz allgemein skeptisch gegenüberstand und an praktischen Ergebnissen interessiert war, auf Dauer nicht in der Lage. M a n muß sich hier der Ambivalenz erinnern, mit der die Common Lawyers dem C i v i l Law seit jeher gegenübergestanden hatten. Einerseits bewunderten sie seine Ordnung und Klarheit, andererseits mißtrauten sie seinen apriorischen Prinzipien und spekulativen Methoden 1 9 . I n der Classical Era ließen sich die amerikanischen Rechtsdenker nun vielfach auf die Suche nach einem System der Begriffe ein, weil das besonderen und starken momentanen Bedürfnissen entsprach: der mit einem M a l fast verzeifelten Suche nach Überwindung des rechtlichen Chaos, dem Drang, es den Naturwissenschaften gleichzutun, und ganz allgemein der Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen in politisch und sozial bewegten Zeiten. Eine Jurisprudenz allgemeingültiger Konzepte und logischer Systeme, wie man sie aus Europa kannte, versprach die Erfüllung all dieser Wünsche. Das bewies aus amerikanischer Sicht insbesondere das deutsche Beispiel. Das Mißtrauen gegenüber dem abstrakten Denken europäischer Manier trat hinter dem Bedürfnis nach Ordnung zurück. Trotz dieser Verlockung ließ sich das Unbehagen gegenüber Begriffen, Systemen und spekulativem Denken auf Dauer nicht unterdrücken. Holmes' lautstarker Protest gegen die Überbetonung der L o g i k und Unterbewertung der Erfahrung, 19 Vgl. oben Erster Teil B.

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Grays K r i t i k an allgemeinen Begriffen und Pounds Ruf nach einer soziologischen Jurisprudenz waren nur kleine Spitzen, unter denen sich ein gewaltiger Eisberg des Mißtrauens gegenüber jeglichem akademisch-abstraktem Rechtsdenken verbarg. Diesem Mißtrauen begegnet man in der Classical Era auf Schritt und Tritt und in den verschiedensten Formen 2 0 . Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, bis es wieder v o l l zum Ausdruck kommen würde. Schon bald nahm einerseits — eben durch die Erfolge der Classical Legal Science in der Begriffs- und Systembildung — die Angst vor dem Chaos ab, während andererseits die Neigung Langdells und seiner Schüler zum abstrakten Denken deutlicher ins Bewußtsein rückte. Es wurde unübersehbar, daß die Rechtswissenschaft die wirklichen Quellen i m Zweifel nicht besonders ernst nahm. U n d man sah, daß auch die deutsche Rechtswissenschaft schon unter Savignys Nachfolgern wieder zu apriorischen Prinzipien, deduktiven Schlüssen und zum spekulativen Denken zurückgekehrt war. So begann sich in der Generation Pounds die K r i t i k ebenso an Langdell wie an Puchta zu mehren und schon bald die Abkehr v o m klassischen Denken abzuzeichnen. Die alte Abneigung gegen spekulative und abstrakte Jurisprudenz trat erneut hervor. Letztenendes konnten und wollten sich die amerikanischen Juristen auf Dauer nicht von einer praktischen und konkreten Sichtweise des Rechts lösen. Damit hatte die begrifflich-systematische Jurisprudenz aller methodischen Ähnlichkeit zum Trotz doch in der deutschen und in der amerikanischen Rechtskultur einen ganz verschiedenen Stellenwert. Hier war sie integrierter Bestandteil und konsequente Fortsetzung einer langen Entwicklung und entsprach sie den Erwartungen und Neigungen der Juristen. Dort war sie eine Episode, in der man sich dem kontinentaleuropäischen Denken unter dem Druck besonderer Umstände und mit Hilfe eines ausländischen Vorbilds vorübergehend annäherte, die aber den traditionellen Überzeugungen der amerikanischen Common Lawyers nicht entsprach. Die Classical Legal Science war ferner zum Scheitern verurteilt, weil ihr i m Gegensatz zur historischen Schule ein unhaltbarer Wissenschaftsbegriff zugrundelag 2 1 . Das Wissenschaftskonzept der deutschen historischen Schule beruhte auf der idealistischen Philosophie Kants. Wissenschaft bedeutete das Hervorbringen des i m gegebenen Stoff verborgenen Systems 2 2 . Der Stoff der Jurisprudenz waren Rechtsvorstellungen, d. h. Ideen. Als Wissenschaft v o m positiven Recht war die Jurisprudenz zwar verpflichtet, alle Ideen, die sie aufnahm, in den historischen Quellen zu finden, aber sie war deshalb längst nicht verpflichtet, alle Ideen, die

20 Vgl. insbesondere Zweiter Teil Β.Π.4., C.I.2. (Anm. 761-765 und Text) und 3. 21 Vgl. hierzu die methodische Diskussion oben Zweiter Teil B.III.2. (a). 22 Dazu ausführlich Schröder, Wissenschaftstheorie und Lehre der „praktischen Jurisprudenz" auf deutschen Universitäten an der Wende zum 19. Jahrhundert 92 ff., 114 ff.

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sie in den historischen Quellen fand, auch aufzunehmen. Sie verstand sich nämlich nicht als (empirische) Erfahrungswissenschaft, deren Aufgabe in der vollständigen Erfassung einer faktischen Wirklichkeit bestand, sondern als (idealistische) Normwissenschaft, die die richtigen von den falschen Ideen zu unterscheiden hatte 2 3 . Eine solche Rechtswissenschaft konnte in glaubwürdiger Weise ein logisches System hervorbringen, denn wenn sich in den Quellen Ideen fanden, die in dieses System nicht paßten, so konnten sie als unzutreffend beiseite gelassen werden. Die Jurisprudenz setzte sich damit als Normwissenschaft nicht mit ihren eigenen Prämissen in Widerspruch. Die Classical Legal Science hingegen beruhte letztendlich auf einem Wissenschaftskonzept D a r w i n s c h e r Prägung. Zwar ging es auch hier um Entdeckung grundlegender Prinzipien und ihres logischen Zusammenhangs, doch der Stoff einer solchen Wissenschaft sollten nicht Ideen, sondern w i r k l i c h beobachtete und klassifizierte „facts" sein, i m Recht repräsentiert durch die Cases. Die Jurisprudenz wollte nun eine Science wie die Natural Sciences sein, beruhend, wie Beale schrieb, auf „observation and induction". Sie präsentierte sich also als Erfahrungswissenschaft, d. h. als empirische Disziplin. Eine solche Disziplin konnte aber nicht in plausibler Weise zu allgemeingültigen Prinzipien und logischen Zusammenhängen gelangen, denn sie mußte der erfahrbaren Wirklichkeit gerecht werden, und in dieser Wirklichkeit fanden sich reichlich Cases, die sich der L o g i k nicht fügten. Das Konzept der Classical Legal Science führte damit in ein unlösbares Dilemma: Entweder man hielt an der Vorstellung von allgemeingültigen Begriffen und einem logischen System fest, dann mußte man die nicht dazu passenden Entscheidungen als falsch ablehnen und deshalb unberücksichtigt lassen. Diesen Weg gingen Langdell, Beale und ihre Schüler. Sie machten dadurch die Jurisprudenz methodisch unglaubwürdig, denn sie gab sich konsequent empirisch und war doch noch weitgehend idealistisch. Oder man hielt sich w i r k l i c h an den gesamten, faktisch gegebenen Stoff. Dazu waren erst die Legal Realists bereit. Dann aber erwies sich die Vorstellung v o m Recht als logischem Begriffssystem angesichts der unübersehbaren Widersprüchlichkeit tatsächlicher Entscheidungen rasch als T r u g b i l d 2 4 . Es stellte sich heraus, daß eine zugleich konsequent empirische und streng logische Rechtswissenschaft, wie die Classical Legal Science es sein wollte, unmöglich war. Ihr Beharren auf diesem unhaltbaren Wissenschaftskonzept war i m wesentlichen auf zwei Mißverständnisse zurückzuführen, die in der Untersuchung bereits angeklungen sind. Z u m einen verkannte die Classical Legal Science in ihrem

23 Vgl. zum Spannungsverhältnis zwischen positivistischen und idealistischen Elementen vor allem bei Savigny Rückert, Idealismus, Jurisprudenz und Politik bei Friedrich Carl von Savigny 408 ff. 24 Wie vernichtend die realistische Kritik an der klassischen Methode ausfallen konnte, zeigt am eindrucksvollsten Walter Wheeler Cooks Analyse des Beale'sehen Systems des interlokalen Privatrechts, Cook, The Logical and Legal Bases of Conflicts of Law.

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Bestreben, es unbedingt den Naturwissenschaften gleichzutun, den wesentlichen Unterschied zwischen den Tatsachen der natürlichen Welt und den „facts" des positiven Rechts 2 5 . Z u m anderen sahen sich die Legal Scientists v o m Erfolg der deutschen Rechtswissenschaft i n ihrem Glauben bestärkt, eine sowohl empirische als auch logische Jurisprudenz sei möglich; dabei übersahen sie jedoch die grundlegenden Unterschiede zwischen der normativen deutschen Rechtswissenschaft und ihren eigenen empirischen Vorstellungen. Dem lag nicht zuletzt ein bis heute üblicher Übersetzungsfehler zugrunde: Viele Amerikaner setzten Wissenschaft leichtfertig mit Science gleich 2 6 . Dabei entging ihnen schon damals allzu oft, daß Wissenschaft ganz allgemein jede methodische Suche nach Erkenntnis und keineswegs unbedingt Erfahrungswissenschaft i m Sinne von Science bedeutete 27 . Wenn der Common Lawyer die deutsche Rechtswissenschaft als eine Science of Law verstand, mißverstand er sie deshalb allzuleicht als eine empirisch-induktive Disziplin, die sie jedenfalls zu Zeiten der historischen Schule weder war noch sein wollte. Das verführte dazu, das logische System der deutschen Jurisprudenz für den Erfolg einer Erfahrungswissenschaft v o m Recht zu halten, der jedoch nur einer Normwissenschaft möglich gewesen war. So gesehen waren also die deutsche und die amerikanische Rechtswissenschaft jener Periode doch verschiedene Konzepte. Sie teilten zwar methodische Vorstellungen und Ziele, beruhten aber auf einem unterschiedlichen Verständnis v o m Wesen der Jurisprudenz. Der bedeutsamste Unterschied zwischen ihnen bestand insofern vielleicht darin, daß sich die historische Schule eine nach ihrem eigenen Konzept lösbare, die Classical Legal Science aber eine unter ihren Prämissen unlösbare Aufgabe gestellt hatte. Schließlich kam zur anglo-amerikanischen Skepsis gegenüber abstraktem Denken und zum unhaltbaren Wissenschaftsbegriff hinzu, daß die politischen Umstände der amerikanischen Classical Era einer wissenschaftlichen Jurisprudenz sehr viel ungünstiger waren als die Bedingungen des früheren und mittleren 19. Jahrhunderts in Deutschland. Das lag vor allem am emormen Bedeutungszuwachs der Einzelgesetzgebung. Savignys Generation hatte sich damit jedenfalls i m Privatrecht nur am Rande beschäftigen müssen; die Rechtswissenschaft konnte Begriffsapparate und Systeme aus den Quellen entwickeln, ohne sich mit ständigen legislativen Eingriffen auseinandersetzen zu müssen. Das gab ihr die nötige 25 Dazu oben Zweiter Teil B.III.2. 26 Vgl. dazu die vielen Beispiele bei Borchard, Jurisprudence in Germany 304 ff.; Deutsche verfielen nicht minder in diesen Irrtum, so etwa Leonhard, Methods Followed in Germany by the Historical School of Law. Davon betroffen war nicht nur die Jurisprudenz, sondern auch eine Vielzahl anderer Disziplinen, vgl. Veysey, The Emergence of the American University 126 ff. 27 Darauf wies erst Redlich im Jahre 1914 in aller Deutlichkeit hin; vgl. Redlich, The Common Law and the Case Method 54 ff., insbesondere 56; dazu auch Stone, Dr. Redlich and the Case Method 264 f. Aus heutiger Sicht Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft 11. Allgemein dazu Weingartner, Wissenschaftstheorie I.

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Flexibilität und Gestaltungsfreiheit. I m Amerika der Classical Era war es m i t diesem weitgehend ungestörten Dasein angesichts der ständig wachsenden Flut einzel- und bundesstaatlicher Gesetze vobei. Als Erfahrungswissenschaft v o m positiven Recht hätte die Rechtswissenschaft nun an sich auch die Gesetzgebung miteinbeziehen müssen; dann aber hätte sie angesichts der Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten, der vielfachen Abänderung des Common Law und der notorischen Rücksichtslosigkeit der Legislative gegenüber allgemeinen Grundsätzen jede Hoffnung auf verläßliche Begriffe und eine logische Ordnung fahren lassen müssen. So blieb ihr nur, die Gesetzgebung auszuschließen, um die systematische Wissenschaft zu retten. Das war aber weder methodisch noch politisch auf Dauer akzeptabel. I n methodischer Hinsicht diskreditierte sich die Classical Legal Science als Wissenschaft v o m positiven Recht, weil sie große Teile desselben von vornherein nicht beachtete. Politisch geriet sie in Verruf, weil sie demokratisch beschlossene Gesetze ignorierte und damit praktisch dem V o l k die M i t w i r k u n g an einer fortschrittlichen Gestaltung der privaten Rechtsbeziehungen verweigerte. So hatte die begrifflich-systematische Jurisprudenz in Amerika aus vielen Gründen einen schweren Stand. I n der abstraktem Denken abgeneigten Rechtskultur ein Fremdkörper, konzeptionell widersprüchlich sowie methodisch und politisch angreifbar, war sie in einer ungleich schwächeren Position als ihre deutsche Schwester. Feste Wurzeln konnte sie i m Gegensatz zur historischen Schule deshalb nicht schlagen. d) Die Entwicklung des Rechtsdenkens hin zur Gegenwart nahm deshalb in beiden Ländern einen ganz verschiedenen Kurs, denn die etwa gleichzeitig laut werdende, grundsätzliche K r i t i k an der klassischen Rechtswissenschaft hatte v ö l l i g unterschiedliche Wirkungen. Die deutsche Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts hat den Ansturm der seit Jhering aufkommenden neuen Ideen i m wesentlichen überlebt. Interessenjurisprudenz, freie Rechtsschule und soziologisches Rechtsverständnis führten zwar zur Überwindung der reinen Begriffsjurisprudenz, nicht aber zu einer radikalen Abwendung v o m begrifflich-systematischen Denken überhaupt. Der Glaube an den Sinn und Nutzen präziser Konzepte und einer logischen Ordnung des Rechts saß und sitzt i m deutschen Rechtsdenken zu tief, um aufgegeben zu werden. Dadurch hat sich das Verständnis der Jurisprudenz als begrifflich-systematischer Disziplin i m wesentlichen bis heute erhalten 2 8 , auch wenn das manchen unbewußt ist. Damit verbunden ist das Konzept eines politisch neutralen Privatrechts, das zwar unerreichbar sein mag, aber doch als erstrebenswert gilt.

28 Larenz, Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, insbes. 12, 21; ders., Methodenlehre der Rechtswissenschaft, insbes. 160 ff.; dazu auch MayerMaly, Die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft.

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Schluß: Eine gescheiterte Rezeption?

Die Classical Legal Science hingegen wurde v o m soziologisch-realistischen Rechtsdenken Holmes', Pounds und ihrer Nachfolger fortgespült, denn sie war in der amerikanischen Tradition nicht tief verankert und in sich selbst problematisch. Den amerikanischen Juristen fehlte auf Dauer der idealistische Glaube an allgemeingültige Konzepte und an ein logisches System. Ohne ihn konnten sie aber i m begrifflich-systematischen Denken nur eine Verschleierung politisch konservativer Interessen sehen. Daß auch das Privatrecht den Charakter eines politischen Instruments hat, gilt seither in der amerikanischen Jurisprudenz nicht nur als unvermeidlich, es w i r d auch weithin als sinnvoll empfunden. Es ist bemerkenswert, daß die Abkehr v o m begrifflich-systematischen Denken in Amerika sogar weit über die Forderungen der wichtigsten Kritiker der Legal Science hinausging. Holmes und Pound hatten ihr zwar vorgeworfen, L o g i k und Systematik zum Wesen des Rechts hochzustilisieren, doch hatten sie eine logische Ordnung flexibler Konzepte als Hilfsmittel für wertvoll, wenn nicht unentbehrlich erachtet 2 9 . Aber auch davon wollte man in Amerika schon bald nichts mehr wissen. Stattdessen verwarf der Legal Realism die begrifflich-systematische Methode in Bausch und Bogen und mit einer Radikalität, die nur durch den Drang zu erklären ist, einen eben eingesehenen, schrecklichen Fehler möglichst rasch und gründlich wiedergutzumachen. Diese starke, innere Abwehrhaltung wirkt in Amerika bis heute nach. Es ist vielen deutschen Beobachtern unverständlich, wie man sich dort mit einem Rechtschaos abfinden kann, das noch viel größer ist als zu Beginn der Classical Era , und das jeden Versuch einer systematischen Orientierung von vornherein aussichtslos macht. Wer in der kontinentaleuropäischen Rechtstradition zuhause ist, der muß sich in der Tat fragen, warum man sich nicht auf breiter Basis und intensiv um die Herausarbeitung klarer Begriffe und logischer Zusammenhänge bemüht. Das w i r d verständlicher, wenn man den geschichtlichen Hintergrund in Rechnung stellt: Gerade weil die amerikanische Jurisprudenz dies einst versucht hatte, schwor sie diesem Ansatz nachher um so gründlicher ab. Seither betrachtet sie den Pfad der L o g i k und Systematik als einen Irrweg, der geradewegs zum Formalismus führen muß. Formalismus aber gilt ihr heute weithin als unbedingtes Ü b e l 3 0 , das es selbst um den Preis großer Unübersichtlichkeit des Rechts zu vermeiden gilt. Das mutet aus deutscher Sicht extrem an, doch ist das amerikanische Rechtsdenken damit letztenendes nach vorübergehender Annäherung an die europäische Methodik doch wieder zur praktischen aber unsystematischen Tradition des Common Law zurückgekehrt. 29 Holmes, The Path of the Law 196; zu Holmes in diesem Zusammenhang auch Grey, Holmes and Legal Pragmatism 820; Pound , Taught Law 984; ders., Juristic Science and Law 1063; ders., Mechanical Jurisprudence 605. Noch 1938 hatte Pound die Hoffnung nicht aufgegeben, eine systematische Ordnung des amerikanischen Rechts sei im Entstehen, Pound, The Formative Era of American Law 164 ff. 30 Vgl. Schauer, Formalism; Schauer selbst analysiert den Formalism allerdings nüchtern, weshalb sein Aufsatz für heutige Verhältnisse ungewöhnlich ist.

Biographischer Anhang Kurzbiographien der wichtigsten erwähnten anglo-amerikanischen Rechtsgelehrten und Historiker Adams, Henry Brooks (1838-1918) Amerikanischer Historiker und Kulturphilosoph; einer der Begründer der modernen, wissenschaftlichen Geschichtsforschung in den USA. Adams enstammte einer alten, hochangesehenen und wohlhabenden Familie Bostons, aus der zwei amerikanische Präsidenten (sein Urgroßvater, John Adams, und sein Großvater, John Quincy Adams) hervorgegangen waren. Er besuchte das Harvard College und bereiste als junger Mann Europa, wie es für seine Standesgenossen damals üblich war, und studierte u. a. in Berlin. Für mehrere Jahre war Adams Sekretär seines Vater, des amerikanischen Gesandten in England. Allmählich wandte er sich der Geschichte, u. a. des germanischen und englischen Mittelalters, zu. Wichtigstes Produkt seiner siebenjährigen Amtszeit als Professor für Geschichte in Harvard war die mit seinen Schülern verfaßte Aufsatzsammlung Essays in Anglo-Saxon Law (1876). In späteren Jahren war Adams Privatgelehrter, Schriftsteller und Weltreisender; siehe u. a. seine kulturphilosophischen Betrachtungen in The Education of Henry Adams (1907). Ames, James Barr (1846-1910) Amerikanischer Rechtslehrer; einer der führenden Köpfe der Classical Era des Common Law und frühester Vertreter der neuen Generation professioneller Rechtsgelehrter. Ames stammte aus Boston, arbeitete aber für einige Jugendjahre auf einer außerhalb gelegenen Farm, die er mit großer Liebe zur Landwirtschaft betrieb. Nach dem Abschluß des College in Harvard verbrachte er ein Studienjahr in Europa. Er lehrte zunächst Deutsch und Französisch am Harvard College und vertrat zeitweise Henry Adams als Geschichtsdozent. Gleichzeitig absolvierte er das Jurastudium. 1873 wurde er, ohne Erfahrung in der Praxis, als Assistent Professor an die Law School berufen, 1877 zum Professor auf Lebenszeit ernannt. Ames war Schüler Langdells, dessen Case Method er übernahm und mit großem Erfolg als Lehrer und Autor (in mehreren Casebooks ) weiterentwickelte. 1895 folgte er Langdell als Dean der Harvard Law School nach. Ames war gleichermaßen an der Rechtsgeschichte und an der Dogmatik interessiert; beide Seiten waren für ihn untrennbar verbunden. Seine Beiträge auf diesen Gebieten verhalfen ihm zu großem Ansehen weit über die Welt des Common Law hinaus. Amos, Sheldon (1836-1886) Englischer Rechtsgelehrter; Vertreter der Legal Science in der auf Austin zurückgehenden Tradition der Analytical Jurisprudence. Nach dem Studium in Cambridge unterrichtete Amos Jurisprudence , Civil Law, und Völkerrecht. Er war Professor am University College in London von 1869 bis 1878 und 19 Reimann

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schrieb mehrere Bücher über allgemeine Rechtslehre, Kodifikation und Gesetzgebung. 1883 ging er als Richter in die damals englische Kolonie Ägypten, wo er schon drei Jahre später bei Alexandria starb. Anson, (Sir) William Reynell (1843-1914) Englischer Rechtsgelehrter und Politiker. Anson ging in Eaton zur Schule und studierte ab 1862 in Oxford vor allem Classics (Bachelor of Arts 1866, Master of Arts 1869). Er begann 1869 als Anwalt am Inner Temple und verbrachte einige Jahre in der Praxis ohne besonderen Erfolg. 1874 wurde er zum Dozenten für englisches Recht in Oxford ernannt. Der Vinerian Chair für englisches Recht, der ehemalige Lehrstuhl Blackstones, entging ihm 1882 nur deshalb, weil die Universität Dicey vorzog. Ansons Ruhm als Jurist beruht vor allem auf seinen Principles of English Law of Contract (1879), einem Lehrbuch von musterhafter Klarheit und Struktur, das in wenigen Jahren neun Auflagen und ungeheuren Absatz erlebte und (gemeinsam mit Pollocks Principles of Contract (1876)) dem modernen englischen Vertragsrecht seine Gestalt gab. In späteren Jahren widmete sich Anson vor allem der Politik. Seit 1899 war er Mitglied des Unterhauses, von 1902 bis 1905 als Parliamentary Secretary of the Board of Education (ein nicht zum Kabinett gehörender Ministerposten) für das Erziehungswesen verantwortlich. Die Universitäten von Cambridge und Edinburgh verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. Austin, John (1790-1859) Englischer Rechtstheoretiker; Begründer der Analytical Jurisprudence als der Grundlage des modernen, logisch-systematischen Rechtsdenkens im Common Law. Nach Jugendjahren im Militärdienst wurde Austin 1818 zur Anwaltschaft zugelassen, doch blieb ihm dort der Erfolg versagt, weil er zu wenig effizient und praxisorientiert arbeitete. Bei Gründung der University of London (später University College) 1826 wurde er auf den Lehrstuhl für Jurisprudence berufen. In Vorbereitung auf seine neue Aufgabe ging Austin nach Deutschland, wo er sich zunächst in Heidelberg und sodann mehrere Monate in Bonn in die deutsche Rechtsphilosophie und Pandektenliteratur einlas. Austins Vorlesungen über Jurisprudence trafen — nicht zuletzt wegen ihrer Trockenheit und Abstraktheit — in London auf so wenig Interesse, daß er sie schon bald einstellte und schließlich seine Professur 1832 niederlegte. In späterer Zeit war Austin Mitglied verschiedener Reform- und Untersuchungskommissionen. Von 1838 bis 1848 lebte er zunächst in Deutschland (Berlin und Dresden), dann in Frankreich. Den Rest seiner Jahre verbrachte er in Vergessenheit in England. Austin war eng befreundet mit Jeremy Bentham sowie James und John Stuart Mill, gehörte also dem Kreis der Utilitaristen an; jedoch fehlten ihm der Radikalismus und Reformeifer Benthams. Austins Hauptwerk, Jurisprudence, wurde posthum von seiner Frau Sarah herausgegeben. Wirklich einflußreich wurde sein Denken erst nach der Jahrhundertmitte durch seine Nachfolger Markby, Holland, Arnos und Salmond. Beale, Joseph Henry (1861-1943) Amerikanischer Rechtsgelehrter; einer der prominentesten Vertreter der logisch-systematischen Rechtsauffassung in der späteren Classical Era des Common Law. Nach dem Studium am Harvard College wandte sich Beale zunächst der Altphilologie und Geschichte zu. Es folgte das Jurastudium an der Harvard Law School, wo Beale

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das Harvard Law Review mitbegründete. Nach dem Abschluß 1887 wurde er Anwalt in Boston. 1891 erfolgte die Berufung an die juristische Fakultät in Harvard, der Beale für fast ein halbes Jahrhundert angehörte. Beale war ein erfolgreicher Lehrer und Autor auf einer Vielzahl von Rechtsgebieten, wurde aber vor allem durch seine Arbeit auf dem Gebiet der Conflicts of Law (d. h. des internationalen Privatrechts) bekannt. Für zwei Jahre (1902-1904) leitete er als Gründungsdekan den Aufbau der University of Chicago Law School. Er war Mitgründer des American Law Institute und Autor des First Restatement of Conflicts of Laws (1934) sowie Ehrendoktor mehrerer Universitäten. Beale sah das Recht zwar als historisch gewachsen an, betrachtete es aber vor allem als logisch-begriffliche Struktur und galt deshalb den Legal Realists geradezu als Symbol einer leeren Begriffsjurisprudenz, die sie gern als „Bealism" verspotteten.

Bigelow, Melville Madison (1846-1921) Amerikanischer Rechtsgelehrter; einer der Mitbegründer der wissenschaftlichen Rechtsgeschichte in den USA. Nach dem Grund- und Jurastudium an der University of Michigan war Bigelow zunächst für einige Jahre Anwalt, bis ihm die Berufung an die neugegründete Boston University Law School 1872 Gelegenheit gab, seinen wissenschaftlichen Neigungen nachzugehen. Er gehörte dort der juristischen Fakultät als Dozent, Professor und Dekan für ein halbes Jahrhundert an. Bigelow wurde als Autor vieler Fallsammlungen und Lehrbücher, u. a. zur mittelalterlichen Geschichte des Common Law auch in England weithin bekannt.

Blackstone, Sir William (1723-1780) Englischer Rechtslehrer und Richter; Autor des wohl einflußreichsten Werkes über das Common Law. Blackstone begann sein Grundstudium, das sich vor allem auf Altphilologie und die antiken Schriftensteller konzentrierte, mit 15 Jahren in Oxford und seine juristische Karriere mit 20 Jahren im Middle Temple in London. Seine anwaltliche Tätigkeit (17461753) war wenig erfolgreich, sodaß er 1753 wieder an die Universität Oxford zurückkehrte. Entgegen seiner Hoffnung wurde er nicht auf den Regius-Chair of Civil Law berufen. Als er deshalb Vorlesungen über das Common Law hielt, brach eine neue Ära an, denn bisher war nur das Civil Law in England systematisch an den Universitäten unterrichtet worden. Konsequenterweise erhielt er 1758 als erster den neuen Vinerian Chair für englisches Recht. Später wurde Blackstone ins Unterhaus gewählt, seinen Lehrstuhl gab er 1766 auf. 1770 wurde er Richter am Court of Common Pleas, kurzeitig auch auf der King's Bench. Doch erwarb er sich weder als Abgeordneter noch als Richter besonderen Ruhm. Dieser beruht vielmehr auf der Frucht seiner Vorlesungstätigkeit, den vierbändigen Commentaries on the Laws of England, in denen das Common Law zum ersten Mal vollständig, verständlich und systematisch geordnet dargestellt wurde. Die konservativ und stellenweise naturrechtlich geprägten Commentaries riefen zwar die vehemente Kritik Benthams und der Sozialreformer hervor, dienten aber ganzen Generationen von Juristen, vor allem auch in den USA, als Grundlage ihres Wissens und Wirkens bis ins späte 19. Jahrhundert hinein. *

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Borchard, Erwin Montefiore (1884-1951) Amerikanischer Rechtsgelehrter; einer der einflußreichsten Völkerrechtler im Amerika seiner Zeit. Borchard wuchs in New York auf und studierte am City College, der New York Law School (LL.B. 1905) sowie der Columbia University (Β. Α. 1908, Ph.D. 1913). Er wirkte zunächst als Bibliothekar der Library of Congress in Washington und wurde 1917 Professor an der Yale Law School, deren Fakultät er bis zu seiner Emeritierung 1950 angehörte. Borchards Spezialgebiet war das Völkerrecht, auf dem er nicht nur durch Lehre und zahlreiche Veröffentlichungen, sondern auch als Mitglied vieler amerikanischer und internationaler Kommissionen und als Berater führender Politiker wirkte. Er schloß sich dem nach 1914 weitverbreiteten Haß alles Deutschen in den USA nicht an und kam 1925 als erster amerikanischer Gastprofessor nach dem Ersten Weltkrieg an die Berliner Universität. Bryce, James (Viscount Bryce) (1838-1922) Britischer Rechtsgelehrter, Historiker, Staatsmann und Weltreisender; einer der führenden Romanisten in der Classical Era des Common Law. Bryce stammte aus Belfast in Nordirland, wuchs aber in Glasgow auf und studierte zunächst an der dortigen Universität, später in Oxford vor allem die klassischen Sprachen, ζ. T. auch die Rechte. 1863 hörte der fließend deutsch sprechende Bryce in Heidelberg bei von Vangerow. Ab 1867 war er am Lincoln's Inn in London als Anwalt tätig. Doch lag sein eigentliches Interesse auf den Gebieten der Wissenschaft, der Politik, und des Reisens. Als Wissenschaftler war er Rechtsgelehrter, vor allem Romanist, und Historiker, Professor zunächst in Manchester, ab 1870 auf dem Regius Chair for Civil Law in Oxford, wo er das Studium des römischen Rechts wiederbelebte. Als Staatsmann war er lange Jahre Abgeordneter im Unterhaus, mehrfaches Kabinettsmitglied, englischer Botschafter in den USA (1907-1913) und schließlich ab 1914 als Viscount Bryce Mitglied des Oberhauses. Als Reisender besuchte er fast alle Teile der Welt, machte sich einen Namen als Bergsteiger und schrieb viele und einflußreiche Berichte über die Kulturen ferner Länder. Sein Buch The American Commonwealth war für Jahrzehnte das Standardwerk über das politische System der USA. Bryce war eine der großen Figuren des öffentlichen Lebens seiner Zeit und bei Queen Victoria und Albert Venn Dicey ebenso beliebt wie beim einfachen amerikanischen Volk. Carter, James Coolidge (1827-1905) Amerikanischer Anwalt; einer der prominentesten und einflußreichsten Rechtsanwälte seiner Zeit. Carter studierte in Harvard, zunächst am College, dann an der Law School, und wurde 1853 zur New Yorker Anwaltschaft zugelassen, der er sodann für über 50 Jahre angehörte. Er trat in vielen spektakulären, oft politisch brisanten Fällen vor den Gerichten bis hinauf zum U.S. Supreme Court auf und galt als hervorragender Interessenvertreter und Redner. Daneben machte sich Carter um die Reform der seinerzeit korrupten Stadtverwaltung von New York sowie um die Organisation der Anwaltschaft verdient (mehrfacher Präsident der New Yorker sowie der amerikanischen Bar Associations ). Berühmt wurde er auch durch seinen erfolgreichen Kampf gegen David Dudley Fields Kodifikationsprojekt. Carters Vorlesungsserie an der Harvard Law School wurde posthum als Law: Its Origin, Growth and Function 1907 veröffentlicht.

Biographischer Anhang Cushing, Luther Stearns (1803-1856) Amerikanischer Rechtsgelehrter, Richter, Übersetzer. Cushing erlernte das Juristenhandwerk zunächst in einer Anwaltskanzlei und studierte erst danach am Harvard College, das er 1826 mit einem juristischen Abschluß (LL.B.) verließ. In der Folgezeit hatte er die verschiedensten Positionen inne: Mitherausgeber einer Fachzeitschrift (The American Jurist and Law Magazine), Geschäftsführer des Abgeordnetenhauses von Massachusetts, Richter am Stadtgericht in Boston, Herausgeber der Entscheidungssammlung von Massachusetts und schließlich Dozent für römisches Recht an der Harvard Law School (1848-49 und 1850-51). Die Berufung zum Professor nach Harvard lehnte er 1851 aus Gesundheitsgründen ab. Cushing war Autor einer Reihe von Büchern über Recht und Gesetzgebungsverfahren und übersetzte mehrere ausländische Autoren (Pothier, Savigny, Mittermaier) ins Englische.

Dicey, Albert Venn (1835-1922) Englischer Rechtsgelehrter und Anwalt; der führende Verfassungsrechtler im viktorianischen England. Dicey studierte in Oxford und verblieb zunächst dort am Trinity College, bis er 1861 nach London zog und sich 1863 als Anwalt am Inner Temple niederließ. Obwohl er in der Praxis sehr erfolgreich war und ihr zeitlebens verbunden blieb, beruht sein Ruf vor allem auf seiner Amtszeit als Vinerian Professor für englisches Recht in Oxford (d. h. auf dem ehemaligen Lehrstuhl Blackstones) (1882-1909). Berühmt wurde Dicey vor allem durch seine Schriften zum öffentlichen Recht (Law of the Constitution (1885); Law and Public Opinion in England During the Nineteenth Century (1905)) und zum internationalen Privatrecht (Conflict of Laws (1896), bis heute neu aufgelegt). Zudem nahm Dicey beredt zu vielen politischen Tagesfragen Stellung. Er war eng mit James Bryce befreundet.

Dillon, John Forrest (1831-1914) Amerikanischer Anwalt, Richter und Rechtsgelehrter. Dillons Werdegang ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie offen zugänglich und vielfältig der Juristenberuf im Amerika des 19. Jahrhunderts war: Dillon wuchs im Iowa der Pionierzeit und fast ohne Schulbildung auf, lernte Medizin zunächst in einer Arztpraxis, dann im Studium an der University of Iowa und war als Landarzt zu Pferde im noch wilden Westen unterwegs. Als gesundheitliche Schwierigkeiten dies unmöglich machten, wandte er sich dem Recht zu. Obwohl er nie eine juristische Fakultät besuchte oder anwaltliche Lehrzeit absolvierte, erreichte er 1852 die Zulassung zur Anwaltschaft. Kurz darauf wurde er zum Staatsanwalt, 1858 zum Richter gewählt; 1862 stieg er zum Mitglied des Iowa Supreme Court auf, um im Jahr darauf ans Bundesgericht (U.S. District Court) gerufen zu werden, dem er zehn Jahre lang angehörte. 1879 nahm er eine Professur am Columbia College in New York an, die er aber 1882 schon wieder aufgab, um sich ganz der anwaltlichen Vertretung wirtschaftlich mächtiger Klienten widmen zu können. Dillon war Autor mehrer angesehener juristischer Werke und hielt 1891-92 die prestigereichen Storrs Lectures an der Yale Law School, die 1894 unter dem Titel The Laws and Jurisprudence of England and America veröffentlicht wurden.

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Field, David Dudley (1805-1894) Amerikanischer Anwalt und Rechtsreformer; die treibende Kraft der Kodifikationsbewegung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den USA. Field erlernte das juristische Handwerk, wie seinerzeit allgemein üblich, ohne Studium und in einer Kanzlei und ließ sich 1828 in New York als Anwalt nieder, wo er für über 50 Jahre einer der prominentesten und erfolgreichsten Advokaten war. Sein Auftreten in politisch brisanten Fällen stellte ihn ins Rampenlicht, machte ihn vielumstritten und schuf ihm Feinde, zu denen auch James Coolidge Carter gehörte. Seit den 1840er Jahren verfolgte er hartnäckig das Ziel umfassender Kodifikation des New Yorker Rechts. Die Verabschiedung des Code of Civil Procedure, bald als „Field Code" bekannt, war dabei sein größter Erfolg; die schließliche Ablehnung des Civil Code seine größte Niederlage. Darüberhinaus war Field in vielfacher Hinsicht politisch tätig. In späteren Jahren widmete er sich vor allem dem Völkerrecht, das er ebenfalls kodifiziert sehen wollte. Er entwarf selbst eine vielbeachtete Draft Outline of an International Code (1872). Field reiste fast jedes Jahr nach Europa, wo er an internationalen Kongressen teilnahm und sich für die Abfassung völkerrechtlicher Regelungen einsetzte, in der er einen wesentlichen Schritt zur Völkerverständigung sah.

Freund, Ernst (1864-1932) Deutsch-amerikanischer Rechtsgelehrter; Begründer des amerikanischen Verwaltungsrechts und der Gesetzgebungslehre. Freund wurde während eines kurzen Aufenthalts seiner deutschen Eltern in New York geboren und dadurch auch amerikanischer Staatsbürger. Er wuchs in Deutschland auf, besuchte das Gymnasium in Frankfurt / M. und studierte Jura in Berlin und Heidelberg. Kurz nach Studienabschluß kehrte er in die USA zurück und ließ sich in New York nieder, wo er von 1884 bis 1894 anwaltlich tätig war. 1892 wurde er außerplanmäßiger Professor für Verwaltungsrecht am Columbia College, 1894 nahm er einen Ruf an die politikwissenschaftliche Fakultät der University of Chicago an. Als dort 1902 eine Law School gegründet wurde, wechselte er in die rechtswissenschaftliche Fakultät über, blieb aber einer sozialwissenschaftlichen Sichtweise des Rechts stets verbunden. In seinen Hauptwerken schuf Freund die Grundlagen eines amerikanischen Verwaltungsrechts und einer Lehre von der Gesetzgebung ( Cases on Administrative Law (1911); Administrative Powers over Persons and Property (1928); Standards of American Legislation (1917)). Im Nebenamt war Freund einflußreiches Mitglied verschiedener Beratungsgremien und Legislativkommissionen und entwarf eine Vielzahl später verabschiedeter Gesetze. Gray, John Chipman (1839-1915) Amerikanischer Anwalt und Rechtslehrer; einer der einflußreichsten Rechtstheoretiker der Classical Era. Gray stammte aus dem alten Bürgertum von Massachusetts und absolvierte in Harvard zunächst das College, dann die Law School, wo er sein Studium 1861 abschloß. Kurz nach seiner Niederlassung als Anwalt brach der Bürgerkrieg aus. Gray meldete sich freiwillig und diente als Offizier, u. a. als Militärjurist, in der Armee der Nordstaaten. Nach Kriegsende kehrte er in die anwaltliche Praxis zurück und wurde zum Mitbegründer des American Law Review, der seinerzeit einflußreichsten Fachzeitschrift in den USA. Ab 1869 unterrichtete er als Dozent an der Harvard Law School, 1875 wurde er

Biographischer Anhang dorthin als Professor berufen. Er gehörte der Rechtsfakultät für rund vierzig Jahre an, behielt aber nebenher seine anwaltliche Praxis bei. Gray war der führende Immobilienrechtler seiner Generation. Doch widmete er sich auch der Rechtstheorie, nicht zuletzt den europäischen Ideen. 1908-09 hielt er eine Vorlesungsserie an der Columbia School of Law, die 1909 als The Nature and Sources of the Law veröffentlicht wurde und das seit Holmes' The Common Law (1881) wichtigste Werk auf dem Gebiet der Jurisprudence war. Gray lehnte mehrere Ernennungen zu hohen Richterämtern ab, doch war sein Halbbruder Horace Richter am U.S. Supreme Court. Hammond, William Gardiner (1829-1894) Amerikanischer Rechtslehrer; einer der eifrigsten Streiter seiner Zeit für eine Reform der Juristenausbildung. Hammond studierte am Amherst College und erlernte danach das Juristenhandwerk in der Praxis. Von 1851 bis 1856 war er Anwalt in Brooklyn. Zum Teil aus gesundheitlichen Gründen ging er für drei Jahre nach Europa, wo er unter anderem an der Heidelberger juristischen Fakultät studierte. Nach weiteren Jahren anwaltlicher Praxis in Iowa eröffnete er gemeinsam mit zwei Richtern eine private Law School, die bald der University of Iowa eingegliedert wurde; Hammond wurde dadurch ihr Kanzler. 1881 ging er als Dekan an die juristische Fakultät der Washington University in St. Louis, wo er bis zu seinem Tode im Amt blieb. Hammond galt als eine Kapazität in der Rechtsgeschichte. Er machte sich jedoch vor allem auf dem Gebiet der Juristenausbildung verdient. Als Vorsitzender des Committee on Legal Education der American Bar Association (1889-1894) regte er immer wieder zu Reformen an, wobei er sich nicht selten vom europäischen Vorbild leiten ließ. Hart, James Morgan (1839-1916) Amerikanischer Jurist und Philologe. Nach Abschluss des College in New Jersey studierte Hart in Genf, Berlin und Göttingen, wobei er fließend Französisch, Italienisch und Deutsch lernte. Er konzentrierte sich schließlich auf die Rechtswissenschaft und promovierte in'Göttingen zum Doctor Iuris (vera cum laude, 1864). Nach seiner Rückkehr in die USA war er für einige Jahre Rechtsanwalt in New York, bis er 1868 eine Professur für moderne Sprachen an der Cornell University annahm. Weitere Sprachstudien in Leipzig, Marburg und Berlin schlossen sich an. Von 1876 bis 1890 war Hart Professor für moderne Sprachen an der University of Cincinnati, dann wurde er wieder nach Cornell berufen. Er machte sich als Herausgeber und Autor mehrerer Bücher und als Streiter für eine verbesserte Spracherziehung einen Namen und wurde einem weiten Leserkreis durch seine Schilderung des deutschen Studentenlebens und der deutschen Unversitäten bekannt, die für zwei Generationen ein Standardwerk war (German Universities, 1874). Hayward, Abraham (1801-1884) Englischer Jurist und Essayist; einer der bekanntesten Autoren im London seiner Zeit. Hayward absolvierte zunächst eine Lehre im Büro eines Solicitors, wechselte aber nach deren Abschluß in den anderen Zweig der englischen Anwaltschaft, zu den Barristers, über, indem er in den Lincoln's Inn eintrat, und wurde schließlich zur Bar zugelassen. Als juristischer Praktiker war er zwar nicht ohne Erfolg (1845 stieg er zum Queen's Counsel auf), doch wurde er vor allem durch seine übersetzerischen und schrift-

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stellerischen Arbeiten bekannt. Insbesondere seine Übersetzung von Goethes Faust (in Prosaform) fand große Beachtung; aber auch Hay wards Übertragung von Savignys Beruf ins Englische wurde weithin gelesen. Hayward nahm in einer Vielzahl von Essays zu politischen und kulturellen Fragen seiner Zeit Stellung, wobei er bissigen Humor bewies. Auslandsreisen führten ihn u. a. nach Deutschland. Holland, (Sir) Thomas Erskine (1835-1926) Englischer Rechtsgelehrter; einer der führenden Analytical Jurists des Classical Era des Common Law. Holland studierte in Oxford vor allem allgemeinbildende Fächer und unterrichtete kurzzeitig Philosophie. Er ging nach London, wandte sich dem Recht zu und wurde nach den üblichen Lehrjahren in Kanzleien im Lincoln's Inn zur Anwaltschaft zugelassen. Er war in der Praxis erfolgreich und angesehen (King's Counsel 1901; Bencher in Lincoln's Inn 1907), wirkte aber vor allem als Wissenschaftler. 1874 wurde er nach Oxford auf den Lehrstuhl für Völkerrecht und Diplomatie berufen. Das Völkerrecht, vor allem auch seine Geschichte, waren jedoch nur eines seiner Interessen. Sein anderes Hauptgebiet war die Rechtstheorie. Hollands Hauptwerk, The Elements of Jurisprudence (1880), erlebte zu seinen Lebzeiten 13 Auflagen und war als eines der Standardwerke der Analytical Jurisprudence mitentscheidend für deren überragende Bedeutung im englischen Rechtsdenken. Hollands viele Beiträge über laufende Ereignisse in der Times machten ihn auch dem Laienpublikum bekannt. Er wurde durch Mitgliedschaften in angesehen Organisationen (British Academy of Sciences, Institut de droit international, etc.) und durch mehrere Ehrendoktortitel (Bologna, Glasgow, Dublin, Brüssel) international geehrt. Holmes, Oliver Wendell (1841-1935) Amerikanischer Rechtsgelehrter und Richter; in den USA der prominenteste Jurist zumindest seiner Zeit, wenn nicht überhaupt, und geradezu das Idol der amerikanischen Juristenzunft bis heute. Holmes stammte aus angesehener Bostoner Familie und wuchs im intellektuellen Zentrum der neuen Welt auf; sein Vater war einer der berühmtesten Schriftsteller des amerikanischen 19. Jahrhunderts. Nach dem Studium am Harvard College meldete sich Holmes bei Ausbruch des Bürgerkrieges freiwillig und erlebte auf Seiten der Nordstaaten viele der großen Schlachten des Civil War, wobei er sich durch Tapferkeit auszeichnete und mehrfach schwer verwundet wurde. Nach Kriegsende studierte er an der Harvard Law School und war danach für mehr als ein Jahrzehnt als Anwalt in einer führenden Kanzlei in Boston tätig. Nebenher veröffentlichte er bahnbrechende Aufsätze zur Rechtsgeschichte und -theorie und überarbeitete er Kents Commentaries für eine Neuauflage. Holmes 1880 gehaltene Vorlesungensreihe über die Entwicklung und Prinzipien des anglo-amerikanischen Rechts wurde 1881 als The Common Law veröffentlicht. Das Buch erwies seinen Autor als einen der großen Rechtsdenker seiner Epoche und ist in seiner Bedeutung für die amerikanische Rechtstheorie bis heute unübertroffen. Holmes wurde als Professor an die Harvard Law School berufen, gab sein Amt aber nach nur einem Jahr wieder auf, als er zum Richter am prestigereichen Massachusetts Supreme Court ernannt wurde. Hier wirkte Holmes für zwei Jahrzehnte, bis er von Theodore Roosevelt 1902 an den U.S. Supreme Court gerufen wurde. Holmes war für 30 Jahre Mitglied des höchsten amerikanischen Gerichts, wurde durch seine ungemein kraftvollen

Biographischer Anhang Sondervoten in grundlegenden Verfassungsrechtsfragen als „the great dissenter" bekannt und war doch bald das einflußreichste Mitglied des Supreme Court. Holmes war oft unorthodox in seinen Auffassungen, von bestechender Ausdruckskraft in seinen Urteilen und einzigartig als Jurist in seiner Popularität bei der amerikanischen Öffentlichkeit. Schon zu Lebzeiten eine Legende, starb er, der unter Lincoln gegen die Sklaverei gekämpft hatte, mit fast 94 Jahren, als F. D. Roosevelt den New Deal einleitete. Keener, William Albert (1856-1913) Amerikanischer Anwalt, Professor und Richter. Keeners Werdegang war so abwechslungsreich und vielfältig, wie dies nur in einer Gesellschaft möglich ist, die beruflichen Wechseln so offen ist wie diejenige Amerikas. Nach Absolvierung des College in Georgia lernte Keener das juristische Handwerk zunächst in einer Kanzlei. Erst nach kurzer Praxis als Anwalt besuchte er die Harvard Law School. 1879-83 war er sodann wieder als Anwalt in New York tätig. Schließlich wurde er an die Rechtsfakultät Harvards berufen. Er verließ Harvard nach sieben Jahren zugunsten einer Professur an der Columbia Law School, um dort im Folgejahr Dekan zu werden (1891). Nach zehn Jahren legte er seine Ämter nieder und wurde Richter im Staate New York. Als er dort nach Ablauf der Amtszeit nicht wiedergewählt wurde, kehrte er in die anwaltliche Praxis zurück. Keener war Autor einer Anzahl von Casebooks und Lehrbüchern und ein Verfechter der Case Method, der er neue, über Langdells Ideen hinausgehende Züge gab. Er machte sich insbesondere als Streiter für die methodische Verbesserung des Rechtsunterrichts einen Namen. Kent, James (1763-1847) Amerikanischer Richter und Rechtsgelehrter; Autor der ersten umfassenden Darstellung des amerikanischen Rechts. Kents Studium am Yale College wurde mehrfach durch die Ereignisse des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges unterbrochen. Während einer dieser Zwangspausen las Kent — als Fünfzehnjähriger — Blackstones Commentaries, woraufhin er beschloß, Jurist zu werden. Nach der Lehrzeit in einer Kanzlei wurde er mit 21 Jahren zur New Yorker Anwaltschaft zugelassen, doch war seine Praxis wenig lukrativ. Nicht zuletzt durch politische Verbindungen (Kent war mehrfach Abgeordneter in der New Yorker Legislative) erhielt er 1793 die erste und neugeschaffene Rechtsprofessur am Columbia College. Doch war Amerika nicht auf einen akademischen Rechtsunterricht eingestellt; Kents Vorlesungen fanden fast keine Hörer, sodaß er seine Professur 1798 wieder aufgab. Kents Erfolg begann erst, als er 1798 Richter am Supreme Court von New York wurde, und setzte sich 1814 fort mit seiner Ernennung zum Chancellor (d. h. Richter in Equity) am New York Court of Chancery. Als Richter nahm Kent in einer Vielzahl bahnbrechender Urteile entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des amerikanischen Rechts, indem er das englische Common Law oft unter Rückgriff auf kontinentaleuropäische Lehren den Lebens- und Wirtschaftsbedingungen der jungen Vereinigten Staaten anpaßte. Durch eine Verfassungsbestimmung mit 60 Jahren widerwillig in den Ruhestand gezwungen, wurde Kent 1824 zum zweiten Mal Rechtsprofessor an der Columbia University, diesmal mit besserem, aber keineswegs durchschlagendem Erfolg. Doch ging aus seinen Vorlesungen das Werk hervor, das ihm zu dauerndem Ruhm verhelfen sollte: 1826-1830 erschienen in vier Bänden seine Commentaries on American Law. Das Werk, das noch zu Kents Lebzeiten sechs Auflagen erlebte, stellte das amerikanische Recht erstmals als

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gegenüber dem englischen Common Law gesondert und geschlossen dar. Kent schuf damit die Grundlage für die amerikanische Rechtswissenschaft und -praxis des 19. Jahrhunderts. Langdell, Christopher Columbus (1826-1906) Amerikanischer Rechtsanwalt, Professor; Vater der Case Method und der modernen amerikanischen Law School . Langdell studierte nur kurz und ohne Abschluß am Harvard College, lernte das Anwaltshandwerk in der Praxis und besuchte erst danach die Harvard Law School. Dort verblieb er für einige Jahre als Student, Bibliothekar und Assistent, und dort lernte er einen jüngeren Collegestudenten namens Charles Eliot kennen. Ab 1854 war Langdell Anwalt in New York. Im Jahre 1870 berief ihn Eliot, der eben Präsident der Harvard University geworden war, als Professor und Dekan an die Law School. Langdell war davon überzeugt, daß das Recht eine vollwertige Wissenschaft sei, und revolutionierte die bis dahin eher mittelmäßige Rechtsfakultät dementsprechend von Grund auf. Er ersetzte den Vorlesungsstil durch die Case Method, derzufolge die Studenten das Recht wissenschaftlich durch Betrachtung wirklicher Fälle verstehen sollten. Er verwandelte das Jurastudium von einem strukturlosen, fast jedem offenstehenden Kurspotpourri in ein rigoroses, akademisches Programm mit Aufnahmevoraussetzungen, Prüfungen und Mindeststudienzeit. Und er setzte die Berufung wissenschaftlich begabter aber in der Praxis unerfahrener Professoren durch. Zudem baute er das Amt des Dekans von einer Verwaltungsstelle zu einer Position der Macht über das gesamte Schicksal der Law School aus. Trotz dieser Leistungen galt Langdell mit seinem Glauben an das Recht als ein wissenschaftliches System aus Grundprinzipien späteren Generationen als naiv, sodaß sein Name heute oft abschätzig und in Verbindung mit einem formalistischen und als überwunden angesehen Rechtsverständnis genannt wird. Lightwood, John Mason (1852-1947) Englischer Anwalt und Rechtstheoretiker. Lightwood studierte an den Universitäten von Cambridge und London und begann 1879 seine Anwaltstätigkeit am Lincoln's Inn. Er war vor allem Spezialist im Grundstücksrecht, über das er eine Vielzahl von Aufsätzen und mehrere Bücher schrieb, und das auch den Schwerpunkt seiner praktischen Arbeit als Conveyancer bildete (etwa einem auf Immobiliarsachenrecht spezialisierten Notar vergleichbar). Doch wies sich Lightwood auch als Rechtstheoretiker aus, vor allem durch sein Buch The Nature of Positive Law (1883), das in der Tradition der Analytical Jurisprudence stand. Lindley, Nathaniel (Lord Lindley) (1828-1921) Englischer Anwalt, Richter und Autor; eine der angesehensten Richterpersönlichkeiten im England des 19. Jahrhunderts. Lindleys Werdegang zeigt, wie unwichtig ein akademisches Studium seinerzeit für eine erfolgreiche Juristenkarriere war. Er besuchte zwar kurz das University College in London, wo sein Vater Professor für Botanik war, machte aber nie einen Hochschulabschluß. Dafür verbrachte er je einige Monate in Frankreich und Deutschland, u. a. um in Bonn römisches Recht zu studieren. 1850 wurde er am Lincoln's Inn zur Anwaltschaft zugelassen, in der er sich bald Achtung und Wohlstand erwarb. Dazu trug nicht zuletzt die Veröffentlichung seines grundlegenden Werkes über das englische Gesellschaftsrecht

Biographischer Anhang bei (A Treatise on the Law of Partnership (I860)). Zudem hatte Lindley schon als junger Mann den ersten Teil von Thibauts System des Pandektenrechts übersetzt (Als An Introduction to the Study of Jurisprudence (1855)). Frederick Pollock lernte bei ihm das Anwaltshandwerk. Als Lindley 1875 zum Richter ernannt wurde, begann seine 30jährigen Karriere in der englischen Justiz (Richter am Court of Common Pleas, 1881 Lord Justice of Appeal, 1897 Master of the Rolls, 1900 Lord of Appeal in Ordinary). Lindley wurde in den nichterblichen Adelsstand erhoben. Die University of Cambridge verlieh ihm den Ehrendoktor. Lindsay, Edward (1872-1943) Amerikanischer Anwalt und Richter. Lindsay stammte aus Pennsylvania. Er schloß 1893 an der New York Law School sein Rechtsstudium ab und ließ sich wenig später in seinem Heimatstaat als Anwalt nieder. 1915 wurde er ins Unterhaus Pennsylvanias gewählt. Seit 1920 war er sodann Vorsitzender Richter an einem der unteren Gerichte seines Staates. Er veröffentlichte eine Reihe von Beiträgen zur Rechtstheorie und zum Strafrecht in verschiedenen Fachzeitschriften. Long, George (1800-1879) Englischer Altphilologe, Geograph, Historiker und Jurist; eine der führenden Autoritäten seiner Zeit auf dem Gebiet der alten Sprachen und des römischen Rechts. Long absolvierte das College in Cambridge und wurde mit 24 Jahren Professor für alte Sprachen an der neuen University of Virginia, wo Thomas Jefferson Rektor war und mit Long engen Kontakt hatte. Long kehrte 1828 nach England zurück und nahm eine Professur für Griechisch an der eben gegründeten University of London an; 1842 wurde er dort Professor für Latein. Neben zahlreichen Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Altphilologie gab Long vielbeachtete geographische Werke und Kartenbände heraus. Darüberhinaus war er aber auch Jurist. Seit 1837 als Anwalt zugelassen, wurde er 1846 Dozent für Jurisprudence am Inner Temple. In diesem Zusammenhang hielt und veröffentlichte er seine Two Discourses on Roman Law (1847), die ihn als einen der besten Kenner des römischen Rechts seiner Zeit in England auswiesen. In späteren Jahren arbeitete er wieder als Übersetzer der antiken Schriftsteller und verfaßte er ein ausführliches Werk zur römischen Geschichte ( Decline of the Roman Republic (5 Bde. 1864-74)). Maine (Sir) Henry James Sumner (1822-1888) Englischer Rechtshistoriker und -theoretiker; der englische Hauptvertreter der organischen Theorie der Rechtsentwicklung. Maine schloß mit 22 Jahren das College in Cambridge ab und wurde dort schon drei Jahre später (1847) Regius Professor of Civil Law, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, daß die akademische Forschung und Lehre in der Rechtswissenschaft sich seinerzeit auf einem Tiefstand befanden. Als die Inns of Court in London neue Anstrengungen unternahmen, der Krise abzuhelfen, wurde Maine Dozent für römisches Recht am Middle Temple. Nebenher war er in begrenztem Umfang als Anwalt tätig und schrieb er eine Vielzahl von Beiträgen für die Tagespresse. Kurz nach der Veröffentlichung seines Hauptwerkes (Ancient Law (1861)), reiste er nach Indien ab. Von 1862 bis 1869 war Maine Mitglied

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der englischen Kolonialregierung in Indien, wo er sich um die Gesetzgebung verdient machte und indische Rechtsgewohnheiten und -entwicklungen studierte. Zudem war er Vizekanzler der Universität von Kalkutta. Bei seiner Rückkehr nach England nahm er einen Ruf auf die neugeschaffene Professur für Jurisprudence in Oxford an. 1877 kehrte er als Master des Trinity College nach Cambridge zurück und wurde dort 1887 Professor für Völkerrecht. Maine wurde zeitlebens von einer schwachen Gesundheit in seinen Aktivitäten beschränkt. Er war politisch konservativ und stand dem Ideal der Demokratie ebenso kritisch gegenüber wie der Kodifikationsidee. Maitland, Frederic William (1850-1906) Englischer Rechtshistoriker; Begründer der modernen, wissenschaftlichen Rechtsgeschichte in England. Maitland stammte aus einer Familie von Akademikern und Wissenschaftlern, doch starben seine Eltern früh. Schon in jungen Jahren lernte er Deutsch von einem deutschen Kindermädchen. Er ging in Eton zur Schule und in Cambridge aufs College, wo er sich mit Frederick Pollock, seinem späteren Mitautor, anfreundete. Maine lernte das juristische Handwerk am Lincoln's Inn und wurde 1872 zur Anwaltschaft zugelassen, doch praktizierte er mit mäßigem Eifer und Erfolg. Erst als etwa 30jähriger fand er zu seiner eigentlichen Bestimmung als Rechtshistoriker, nicht zuletzt durch die Lektüre von Savignys Geschichte des römischen Rechts und der Arbeiten Brunners. 1884 wurde er Dozent, 1888 Professor für englisches Recht in Cambridge. Dort verbrachte er im wesentlichen sein Leben, abgesehen von gesundheitlich bedingten Winteraufenthalten auf den kanarischen Inseln. Maitland veröffentlichte über hundert Bücher und Aufsätze sowie maßgebliche Quellensammlungen, war Mitbegründer der Seiden Society (1887) und für Jahre deren treibende Kraft. Von den vielen Ehrungen, die ihm zuteil wurden, sind die Mitgliedschaften in der britischen Academy of Science, den königlich preußischen und bayrischen Akademien der Wissenschaften und die Ehrendoktortitel der Universitäten Oxford, Glasgow, Krakau und Moskau hervorzuheben. Neben seiner Neigung zur Rechtsgeschichte war Maitland ein großer Musikliebhaber und begeisterter Bergsteiger. Markby, (Sir) William (1829-1914) Englischer Richter und Rechtslehrer. Markby studierte in Oxford (Bachelor of Arts 1851, Master of Arts 1856) und wurde 1856 am Inner Temple Anwalt. 1866 wurde er zum Richter am High Court in Kalkutta ernannt, wo er hochgeachtet und für seine liberale Einstellung bekannt war. 1877-78 war er zudem Vizekanzler der dortigen Universität. Nach der Rückkehr nach England, unterrichtete er indisches Recht in Oxford und hatte dort verschiedene Ehrenämter und Verwaltungspositionen inne. Neben Veröffentlichungen über indisches Recht waren die seinerzeit vielgelesenen Elements of Law (1871) sein Hauptwerk. Zudem war Markby Mitbegründer des Law Quaterly Review, der bis heute führenden juristischen Fachzeitschrift in England. Pollock, (Sir) Frederick (1845-1937) Englischer Rechtsgelehrter; für zwei Generationen die überragende Figur in der englischen Rechtswissenschaft. Pollock stammte aus einer angesehenen Familie des niederen Erbadels (Baronet); sein Großvater war Chief Baron Pollock, einer der prominentesten Richter des 19. Jahrhun-

Biographischer Anhang derts. Nach Schulabschluß in Eton studierte er in Cambridge. Pollocks 1871 am Lincoln's Inn begonnene Anwaltstätigkeit war wegen seiner schweigsamen und mitunter überheblichen Art kein Erfolg. Berühmt wurde er zunächst durch seine Lehrbücher (Principles of Contract (1876), The Law of Torts (1887)), die mit ihrer klaren und wohlgeordneten Darstellung des Common Law eine neue Ära einleiteten. Es folgten viele Veröffentlichungen auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts, der Rechtsphilosophie und Rechtsgeschichte. Pollock war von 1883 bis 1903 Professor für Jurisprudence in Oxford, später Professor für Common Law an den Inns of Court und lehrte in Indien sowie mehrfach an amerikanischen Universitäten (Harvard 1903, Columbia 1912). Er stand mit den größten Wissenschaftlern des Common Law in enger Verbindung: Er war Schüler Lindleys, Mitautor Maitlands, und befreundet mit Langdell, Ames und Holmes, mit dem er für 60 Jahre über den Atlantik hinweg korrespondierte (vgl. The Holmes-Pollock Letters 1872 -1932 (1942). Zudem war er Herausgeber des Law Quarterly Review und der Law Reports. Auch jenseits der Rechtswissenschaft war Pollock ein Mann vieler Talente und Interessen: Er dichtete in fünf Fremdsprachen (Latein, Griechisch, Französich, Deutsch und Italienisch), schrieb Bücher über Philosophie, war ein guter Mathematiker, hervorragender Fechter und begeisterter Bergsteiger. Er starb als Ehrendoktor vieler Universitäten und Mitglied mehrerer in- und ausländischer Akademien und als einer der letzten Repräsentanten des umfassenden Bildungsideals des 19. Jahrhunderts im Alter von 92 Jahren. Pomeroy, John Norton (1828-1885) Amerikanischer Rechtslehrer und Lehrbuchautor. Nach dem Abschluß seiner Studien an einem kleinen College arbeitete Pomeroy zunächst als Lehrer, während er nebenher das Studium der Rechte begann. Er verbrachte zehn Jahre als Anwalt in Rochester / N.Y. und zog 1861 nach New York City. Dem Unterricht an einer kleinen Akademie entsprang sein erstes Buch, An Introduction to Municipal Law (1864), das ihn als einen Kenner der europäischen und englischen Rechtstheorie und -geschichte auswies. Er wurde noch im selben Jahr an die juristische Fakultät der University of the City of New York (später New York University) berufen, die er dann 1874 wieder verließ, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. 1878 berief man ihn an das neugegründete Hastings College of Law in San Francisco. Pomeroy war einer der erfolgreichsten und meistgelesenen juristischen Schriftsteller seiner Zeit. Seine acht großen Lehrbücher über so verschiedene Bereiche wie Verfassungs- und Völkerrecht, Zivilprozeß und Vertragsrecht hatten großen Einfluß auf weite Gebiete des amerikanischen Rechts in Wissenschaft und Praxis. Pound, Roscoe (1870-1964) Amerikanischer Rechtsgelehrter; die überragende Gestalt in der amerikanischen Jurisprudenz des 20. Jahrhunderts. Die Länge und Breite seines Lebensweges macht eine knappe Zusammenfassung fast unmöglich. Pound wuchs als Sohn eines Richters in Lincoln / Nebraska, also praktisch noch im wilden Westen, auf. Er erhielt seine Grundschulbildung zuhause von seiner Mutter, einer Lehrerin, die ihn schon als Kind in der deutschen Sprache unterwies. Mit vierzehn Jahren ging Pound an die University of Nebraska, wo er sich bald auf die Botanik konzentrierte. Doch lernte er auch das Common Law im Büro seines Vaters. 1889-90 besuchte er für ein Jahr die Harvard Law School, wo ihn besonders John Chipman Gray und William Keener inspirierten. Wieder in Nebraska, promovierte er im

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Fach Botanik und verfaßte die maßgebliche botanische Studie seines Heimatstaates (Phyto geography of Nebraska (1898)). Ansonsten arbeitete er als Anwalt und trat ebenso vor Juries in Cowboy-Städten wie vor den Appellationsgerichten auf. Daneben unterrichtete er römisches Recht und Common Law an der University of Nebraska. Für einige Jahre war er Berufungsrichter. 1903 wurde er Dekan der Rechtsfakultät der University of Nebraska. Seine eigentliche Karriere begann jedoch erst, als ihn John H. Wigmore 1907 an die Northwestern University School of Law in Chicago berief. Von hier aus stieg Pound kometengleich auf, ging 1909 an die University of Chicago, 1910 schließlich nach Harvard, wo er 1916 Dekan wurde und für 20 Jahre blieb. Nach seiner Emeritierung 1947 verbrachte er zwei Jahre als Berater der nationalchinesischen Regierung in China und unterrichtete er an der University of California in Los Angeles. 1934 machte ihn die Berliner Universität zum Ehrendoktor. Pound sprach mehrere europäische Sprachen, war von ungeheurer Belesenheit und phänomenalem Gedächtnis und veröffentlichte trotz aufreibender Arbeit als Praktiker, Law School Dean und Rechtsreformer über 20 Bücher, 200 große Aufsätze und Hunderte kleinerer Beiträge, darunter Arbeiten zum geltenden Recht, zur Rechtstheorie und -philosophie, zur Rechtsgeschichte und Rechtsreform. Seine Hauptbedeutung liegt vor allem in der Begründung der Sociological Jurisprudence , die amerikanischen Pragmatismus, Jherings Interessenlehre und rechtssoziologische Gedanken zur wohl einflußreichsten Rechtstheorie im Amerika des 20. Jahrhunderts verband. Reddie, John (?-1851) Schottischer Jurist. Über ihn ist wenig Biographisches bekannt. Er war der Sohn James Reddies, eines Glasgower Stadtbeamten, Richters und Autors mehrerer, vor allem seerechtlicher Werke. John Reddie studierte u. a. in Göttingen, wo er zum Doctor Iuris promovierte und seine Bewunderung für Gustav Hugo entwickelte. Er wirkte zunächst, wahrscheinlich anwaltlich, in London und ging später als Richter nach Indien. Er saß einem der unteren Gerichte in Kalkutta vor und starb dort im November 1851. Bekannt wurde er in England und zum Teil auch in den USA durch seine Historical Notices of the Roman Law (1826) und seinen Letter to the Lord High Chancellor of Great Britain (1828), in dem er zur Kodifikationsfrage jener Zeit kritisch Stellung nahm. Salmond, (Sir) John (1862-1924) Englischer Rechtsgelehrter, Verwaltungsjurist und Richter. Salmond wurde zwar in England geboren, kam aber schon als Kind nach Neuseeland, wo er im weiteren auch lebte und wirkte. Nach kurzer und schwieriger Zeit in der anwaltlichen Praxis nahm er 1897 eine Stelle als Rechtsprofessor an der University of Adelaide an; 1906 wechselte er an die Victoria University in der Hauptstadt Wellington. Schon im Folgejahr gab er seine Professur wieder auf, um in Regierungsdienste zu treten. 1910 stieg er zum Solicitor General auf, also zum Generalanwalt der Regierung; später wurde er zum Richter ernannt. Sein Ruhm beruht jedoch auf zwei Büchern, die bis in die Gegenwart in immer neuen Auflagen erschienen sind. Salmonds Jurisprudence (1902, 12. Auflage 1976) war eines der Hauptwerke der Analytical School und wurde auch in England und den USA viel gelesen. Sein Lehrbuch über Torts (1907; 18. Auflage 1981) gewann mit seiner klaren Darstellung 1910 den angesehenen Ames-Preis der Harvard Law School als bestes juristisches Buch der vorangegangenen fünf Jahre.

Biographischer Anhang Smith, George H. (1834-1915) Amerikanischer Anwalt und Rechtstheoretiker. Smith war Rechtsanwalt in Los Angeles und veröffentlichte im späten 19. Jahrhundert eine Reihe von Büchern, in denen er den Versuch unternahm, die großen Richtungen der Rechtstheorie (naturrechtliches Erbe, Analytical Jurisprudence und historischen Ansatz) zu verschmelzen. So legte er in seinen Elements of Right and Law (1886; die erste Auflage verbrannte allerdings im Verlag, sodaß fast nur die zweite von 1887 erhältlich ist) unter Ablehnung der Command-Theorie Austins den von Maine übernommenen historischen Rechtsbegriff zugrunde, ging aber von naturgegebenen Rechten aus und folgte der analytischen Methode Austins und Hollands. Seine Arbeiten blieben unoriginell und fanden nur wenig Beachtung.

Smith, Edmund Munroe (1854-1926) Amerikanischer Rechtshistoriker und -theoretiker. Nach dem Besuch des Amherst College (Bachelor of Arts 1874) schloß Smith 1877 das Rechtsstudium an der Columbia University ab. Auf Veranlassung seines Lehrers John W. Burgess beschloß er, sich auf den geplanten Lehrstuhl für römisches Recht und Rechtsvergleichung vorzubereiten, und ging dazu nach Europa, wo er unter anderem in Göttingen, Berlin und Leipzig bei Jhering, Bruns, Windscheid und Gneist studierte. 1880 promovierte er in Göttingen zum Doctor Iuris Utriusque. 1880 bis 1883 war er Dozent, 1883-1891 außerplanmäßiger Professor für Geschichte und Politikwissenschaft an der Columbia University. Im folgenden Jahr erhielt Smith dann den angestrebten Lehrstuhl für römisches Recht und Rechtsvergleichung. 1922 wurde er Professor für Europäische Rechtsgeschichte. Von 1886 an war Smith für viele Jahre Herausgeber des Political Science Quarterly, einer der angesehensten Fachzeitschriften jener Epoche. Smith schrieb mehrere Bücher und eine Vielzahl von Aufsätzen zur Rechtsgeschichte, -theorie und -vergleichung. Ursprünglich ein großer Freund Deutschlands, wandelte er sich, wie viele seiner Kollegen, nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges in einen nachsichtslosen Kritiker des preußischen Militarismus (Out of Their Own Mouths (1917), Militarism and Statecraft (1918)).

Story, Joseph (1779-1845) Amerikanischer Richter und Rechtslehrer; einer der überragenden Juristen des frühen 19. Jahrhunderts und Autor grundlegender Darstellungen des jungen amerikanischen Rechts. Story stammte aus Massachusetts, studierte am Harvard College, das er 1798 abschloß, und lernte das Anwaltshand werk in einer angesehen Kanzlei. Von 1801 bis 1811 führte er mit großem Erfolg seine eigene Praxis. Nebenher war er politisch aktiv, vor allem als Abgeordneter in Massachusetts, kurzzeitig auch im amerikanischen Kongreß. 1811 ernannte ihn Präsident Madison zum Richter am U.S. Supreme Court; Story war gerade 32 Jahre alt und damit das jüngste Mitglied dieses Gerichts aller Zeiten. Trotz seiner Jugend war Story neben John Marshall der einflußreichste Supreme Court Richter während der entscheidenden Phase der amerikanischen Verfassungsentwicklung. 1829 begann Story eine zweite Karriere, die er neben seinem Richteramt verfolgte: Er wurde als Professor an die Harvard Law School berufen und trug entscheidend zu deren Aufbau

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und Ruhm bei. Frucht seiner akademischen Arbeit waren die neun (z. T. mehrbändigen) Commentaries über verschiedene Rechtsgebiete, die Story zwischen 1832 und 1845 verfaßte, und die neben Kents Commentaries die Grundlagen der amerikanischen Verfassungs- und Privatrechtsdogmatik des 19. Jahrhunderts schufen. Einige der Commentaries wurden ins Französische und Deutsche übersetzt und verschafften Story einen internationalen Ruf. Story war ein Mann von unglaublicher Schaffenskraft und Produktivität, dessen Lebenswerk drei Juristen zur Ehre gereicht hätte. Stubbs, William (1825-1901) Englischer Historiker und Bischof. Stubbs studierte in Oxford Classics und Mathematik, wie es seinerzeit üblich war, wurde aber schon bald Kleriker (Diakon 1848, Priesterweihe 1850) und betreute für fast zwanzig Jahre als Pfarrer eine Landgemeinde. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit der Geschichte des englischen Mittelalters und begann er, Sammlungen von Originalquellen herauszugeben. Nach zwei erfolglosen Bewerbungen wurde er 1866 Professor für Geschichte in Oxford und bald zur führenden Kapazität auf dem Gebiet des englischen und deutschen Mittelalters. Sein Hauptwerk war die Constitutional History of England (3 Bde. 1873-1878). 1886 gab er seine Professur auf, nachdem er schon zwei Jahre zuvor zum Bischof für Chester geweiht worden war; 1888 wurde er Bischof von Oxford. Neben den damit verbundenen Pflichten verblieb ihm nur noch wenig Zeit für seine historischen Studien. Stubbs war Mitglied mehrerer Akademien der Wissenschaften, Ehrendoktor der Universitäten Heidelberg, Edinburgh, Cambridge, Dublin und Oxford, und eng mit führenden deutschen Historikern seiner Zeit (Maurer, Waitz, Liebermann) befreundet. 1897 wurde ihm der preußische Orden Pour le mérite verliehen. Taylor, Hannis (1851-1922) Amerikanischer Anwalt, Diplomat und Rechtsgelehrter. Taylor stammte aus North Carolina, wo er kurz die Universität besuchte, ehe er sich als Lehrling in mehreren Kanzleien auf den Anwaltsberuf vorbereitete. 1870 wurde er in Mobile / Alabama zugelassen und verschaffte sich dort in über zwanzigjähriger Praxis Ansehen und Wohlstand. 1893 entsandte ihn Präsident Grover Cleveland als Botschafter nach Spanien, wo Taylor mit diplomatischem Geschick mehrere Krisen im seinerzeit sehr gespannten Verhältnis zwischen Spanien und den USA entschärfte. Nach seiner Rückkehr ließ er sich in Washington, D.C. wieder als Anwalt nieder. Nebenher lehrte er an verschiedenen Universitäten und schrieb er Bücher über Verfassungs- und Völkerrecht sowie Rechtstheorie. Am bekanntesten wurde neben seinem Traktat The Science of Jurisprudence (1908) sein zweibändiges Werk über The Origin and Growth of the English Constitution (1889-1898). Terry, Henry T. (1847-1936) Amerikanischer Rechtsgelehrter; Vertreter der analytischen Richtung in der angloamerikanischen Rechtstheorie. Nach Abschluß des Collegestudiums in Yale 1869 und der Lehrzeit in einer Kanzlei wurde Terry zunächst Anwalt in Connecticut. Im Zusammenhang mit den Bemühungen Japans um eine Modernisierung des Rechtssystems nach westlichem Vorbild im späten 19. Jahrhundert bot die Kaiserliche Universität von Tokio Terry eine Professur für

Biographischer Anhang anglo-amerikanisches Recht an. Terry unterrichtete daraufhin von 1877 bis 1884 in Tokio. Für die nächsten zehn Jahre war er Anwalt in New York, doch kehrte er 1894 auf seinen japanischen Lehrstuhl zurück, wo er sodann bis zu seiner Emeritierung 1912 blieb. Aus seiner Lehrtätigkeit ging sein Hauptwerk, Leading Principles of AngloAmerican Law (1884) hervor. Als Terry das Common Law sozusagen von außen betrachtete, wurde ihm dessen chaotischer Zustand deutlich. Er bemühte sich deshalb im Stil Hollands und Salmonds um eine Ordnung des Stoffs nach Grundprinzipien und logischen Zusammenhängen. Thayer, James Bradley (1831-1902) Amerikanischer Rechtsgelehrter; seinerzeit die führende Kapazität im Verfassungsund Beweisrecht. Nach Besuch des Harvard College 1848-52 neigte Thayer eigentlich zunächst zur Theologie, studierte dann aber doch Rechtswissenschaft an der Harvard Law School. Er begann 1856 seine Anwaltstätigkeit in Boston und wurde Sozius in der angesehensten Kanzlei der Stadt. Nebenher veröffentlichte er Aufsätze im American Law Review sowie nichtjuristische Bücher; auch begann er die Überarbeitung von Kents Commentaries für eine Neuauflage (später von Holmes durchgeführt und vollendet). Eine Berufung als Englischprofessor nach Harvard lehnte er ab, aber den Ruf an die Rechtsfakultät nahm er 1874 an. Thayer gehörte der Harvard Law School für fast dreißig Jahre an und war gemeinsam mit Langdell, Gray und Ames verantwortlich für ihren Ausbau zu einer emsthaften akademischen Institution. Thayer machte sich vor allem durch die historische Erforschung und systematische Ordnung des Beweisrechts (A Preliminary Treatise on Evidence (1898)) und im Verfassungsrecht (Cases on Constitutional Law (2 Bde. 1895)) einen Namen. Sein Sohn Ezra Ripley Thayer (1866-1915) war als Nachfolger von James Barr Ames 1910-1915 Dekan der Harvard Law School. Tiedemann, Christopher Gustavus (1857-1903) Amerikanischer Rechtsgelehrter und Lehrbuchautor. Tiedemann besuchte das College in seiner Heimatstadt Charleston / South Carolina. Nach dem Abschluß ging er 1877 nach Deutschland und studierte in Göttingen und Leipzig Jura, u. a. bei Jhering, der ihn nachhaltig beeinflußte. 1878 begann er an der Columbia Law School in New York sein Rechtsstudium, das er schon im folgenden Frühjahr abschloß. Nach kurzer Zeit in der Praxis wurde Tiedemann 1881 an die Rechtsfakultät der University of Missouri berufen, der er für die nächsten zehn Jahre angehörte. 1891 bis 1897 war er Professor an der University of the City of New York (später New York University). Für fünf weitere Jahre widmete er sich ganz dem Schreiben. Von 1902 bis zu seinem Tod im darauffolgenden Jahr leitete er schließlich als Dekan die University of Buffalo Law School. Tiedemann wurde vor allem als Autor einer Vielzahl ausführlicher Treatises zum Öffentlichen, Verfassungs- und Privatrecht bekannt; gegen Ende des Jahrhunderts waren seine Lehrbücher an mehr als der Hälfte aller amerikanischen Law Schools im Unterricht in Gebrauch. Vinogradoff, (Sir) Paul Gavrilovitch (1854-1925) Russischer bzw. englischer Rechtsgelehrter und Historiker. Vinogradoff wuchs als Sohn eines Lehrers in Moskau auf und studierte an der dortigen Universität Geschichte und Philosophie. Nach dem Abschluß 1875 ermöglichte ihm ein 20 Reimann

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Stipendium, nach Berlin zu gehen, wo er bei Theodor Mommsen und Heinrich Brunner studierte, unter deren Einfluß er sich zu einem Gelehrtenleben entschloß. Er kehrte nach Moskau zurück und veröffentlichte erste Arbeiten zur mittelalterlichen Geschichte. 1883 ging er nach England, wo er im Staatsarchiv (Public Records Office) forschte und Bekanntschaft mit Maine, Pollock und Maitland schloß. 1884 wurde Vinogradoff in Moskau zum außerordentlichen, 1887 zur ordentlichen Professor für Geschichte ernannt. Das reaktionäre politische Klima im Rußland jener Zeit veranlaßte ihn 1901, seinen Lehrstuhl aufzugeben und nach England überzusiedeln. 1903 folgte er Pollock auf den Corpus Chair of Jurisprudence in Oxford nach, den er bis zu seinem Tode innehatte. Vinogradoff führte dort den Unterricht in Seminaren ein, womit er als Russe eine deutsche Einrichtung nach England brachte. Er kehrte noch oft als Gastdozent nach Rußand zurück und bemühte sich intensiv um die Pflege der Beziehungen zwischen Rußland und England. Alle Hoffnungen auf eine bessere russische Zukunft zerschlugen sich für ihn bei Ausbruch der Revolution 1917, woraufhin er seine russische Staatsbürgerschaft aufgab. Vinogradoff war eine international führende Autorität auf dem Gebiet der mittelalterlichen Rechtsgeschichte und Ehrendoktor mehrerer europäischer Universitäten. Wharton, Francis (1820-1889) Amerikanischer Anwalt, juristischer Schriftsteller und Prediger. Nach Abschluß des College in Yale 1839 erlernte Wharton den Anwaltsberuf in der Kanzlei seines Vaters in Philadelphia. Nebenher schrieb er mehrere, z. T. sehr erfolgreiche Bücher über Strafrecht und Strafprozeß. Nach dem Tode seine Frau wurde er Laienprediger; 1856 unternahm er sogar eine Reise ins obere Tal des Missouri (seinerzeit unerschlossene Wildnis), um Bibeln zu verteilen. Später lehrte er Geschichte und Literatur an einem kleinen College in Ohio. 1862 erhielt er die Priesterweihe, 1871 nahm er eine Professur am theologischen Seminar in Cambridge an. Dennoch veröffentlichte er weiterhin juristische Werke, darunter seinen stark vom kontinentaleuropäischen Recht beeinflußten Treatise on the Law of Negligence (1874). Seine Kenntnisse des Civil Law hatte er möglicherweise bei seinen Aufenthalten in Europa, u. a. in Deutschland erworben. Wharton beendete seine berufliche Laufbahn als Leiter der Rechtsabteilung im amerikanischen Außenministerium (seit 1885), wo er sich als Kenner des Völkerrechts Anerkennung verschaffte. Wigmore, John Henry (1863-1943) Amerikanischer Rechtsgelehrter; einer der prominentesten Rechtsprofessoren in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wigmore stammte aus San Francisco und studierte in Harvard am College sowie an der Law School, die er 1887 als Jahrgangsbester abschloß. Nach kurzer Anwaltstätigkeit in Boston folgte er 1889 einem Ruf an die Keio Universität in Tokio, wo er für vier Jahre lehrte und Japanisch lernte. 1893 kam er an die Northwestern University Law School in Chicago. Für fast drei Jahrzehnte deren Dekan (1901 -1929), baute er sie zu einer der besten Law Schools in den USA aus. Wigmore, der mehrere Sprachen beherrschte und sich vielfach mit ausländischen Rechtssystemen beschäftigte, war ein Mann von ungeheurer Schaffenskraft und strenger Disziplin, an dessen Produktivität als Autor und Herausgeber allenfalls noch Pound heranreichte. Wigmores Bibliographie umfaßt rund 900 Titel; seine Veröffentlichungen füllen an die sechs Meter Buchregal. Hauptwerk ist sein Treatise on the System of Evidence, zuerst 1904-05 in vier Bänden erschienen, aber

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noch von Wigmore selbst in dritter Auflage bis 1940 zu zehn voluminösen Bänden erweitert. Der Treatise genießt zu recht den Ruf als eines der großen Werke der angloamerikanischen Rechtswissenschaft, ist bis heute unübertroffen und wird derzeit neubearbeitet. Williston, Samuel (1861-1963) Amerikanischer Rechtswissenschaftler; der Begründer des modernen Vertragsrechts in den USA. Da Williston aus Cambridge / Mass. stammte, war es natürlich, daß er in Harvard aufs College ging. Nach einiger Zeit als Lehrer absolvierte er 1885-1888 die Harvard Law School. Er arbeitete für ein Jahr als Sekretär des Supreme Court Richters Horace Gray und ging dann in die anwaltliche Praxis, der er auch nach seinem Wechsel an die Hochschule zeitlebens verbunden blieb. 1890 wurde Williston an die Rechtsfakultät Harvards berufen, der er für fast ein halbes Jahrhundert angehörte. Sein Ruhm beruht vor allem auf seiner monumentalen Darstellung des Vertragsrechts, Law of Contracts (5 Bde. 1920-22). Williston machte sich aber auch als Verfasser mehrerer Modellgesetze (Uniform Laws), vor allem des Uniform Sales Act, verdient, und beeinflußte dadurch die Gesetzgebung in vielen Bundesstaaten maßgeblich. Zudem war er Leiter des Projekts des Restatement of Contracts, also der kodifikationsähnlichen Zusammenfassung der Grundprinzipien der Vertragsrechts. Williston war schließlich der älteste noch lebende Absolvent Harvards und starb in Cambridge / Mass. im Alter von über hundert Jahren, der letzte Repräsentant der Classical Era des Common Law.

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Literaturverzeichnis Englische bzw. amerikanische Literatur wird auf englische bzw. amerikanische Weise, deutsche Literatur auf deutsche Weise angegeben.

Adams, Henry: Buchbesprechung von Maine, Village Communities; Nasse, Agricultural Communities; Sohm, Die altdt. Reichs- und Gerichtsverfassung, 114 North American Review 198, 1872. Adams, Henry et al.: Essays in Anglo-Saxon Law, Boston 1876. Aleinikoff, T. Alexander: Constitutional Law in the Age of Balancing, 96 Yale Law Journal 943, 1987. Allen, Carleton Kemp: Legal Duties, Oxford 1931. American Bar Association: Report of the Committee on the Classification of the Law 14 A B A Reports 379, 1891. — Report of the Committee on the Classification of the Law 25 A B A Reports: 425,1902. — Report of the Committee on Legal Education and Admission to the Bar 2 ABA Reports 209, 1879. — Report of the Committee on Legal Education and Admission to the Bar 15 A B A Reports 313, 1892. Ames, James Barr: Lectures in Legal History, Cambridge / Mass. 1913. — Professor Langdell — His Services to Legal Education, 20 Harvard Law Review 12, 1906. — The Salic and the Anglo-Saxon Courts, in: Ames, Lectures in Legal History, Cambridge/Mass. 1913. 34. — Substantive Law Before the Time of Bracton, in: Ames, Lectures in Legal History, Cambridge / Mass. 1913. 39. — The Vocation of the Law Professor, 30 American Law Register 129, 1900. Amos, Sheldon: An English Code, London 1873. — The Science of Law, New York 1874. — A Systematic View of the Science of Jurisprudence, London 1872. Andrews, James De Witt: The Classification of the Law, 22 Green Bag 556, 1910. Anon.: The Civil Law, 2 American Jurist 39 (1829) (wahrscheinlich von John Pickering). Anon.: The German Historical School of Jurisprudence, 14 American Jurist 42, 1835. Anon.: The Next Step in Jurisprudence, 22 Green Bag 405, 1910. Anon.: On the Schools of German Jurists, 6 Monthly Law Magazine & Review, London 1838-41?.

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