Hiob: Gott - Mensch - Leid 9783429038175, 9783429048020, 9783429062187, 3429038170

Wie sind das Unheil und das Böse in der Welt mit der Vorstellung eines allmächtigen und allgütigen Gottes zu vereinbaren

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Hiob: Gott - Mensch - Leid
 9783429038175, 9783429048020, 9783429062187, 3429038170

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Inhalt
Vorwort
RENATE BRANDSCHEIDT - Trost finden. Das Leid des Frommen und die Gerechtigkeit Gottes im Spiegel des Buches Ijob
WERNER SCHÜSSLER - Hiob – philosophisch gespiegelt
CHRISTINE GÖRGEN - Sinn des Leidens – Sinn im Leiden. Viktor E. Frankl im Anschluss an Hiob
MIRIJAM SCHAEIDT - „Ich weiß: Mein Erlöser lebt!“. Hiob nach Ostern gelesen
Personenregister
Sachregister
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Renate Brandscheidt, Dr. theol. habil., ist Professorin für Exegese des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät Trier. Christine Görgen, Dr. theol., ist Pastoralreferentin im Bistum Trier und ausgebildete Logotherapeutin. Sr. Mirijam Schaeidt OSB, ist Priorin im Benediktinerinnen-Kloster Bethanien in Trier. Werner Schüßler, Dr. phil. habil., Dr. theol., ist Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät Trier.

www.echter-verlag.de ISBN 978-3-429-03817-5

Renate Brandscheidt, Christine Görgen, Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler  ·  Hiob  Gott – Mensch – Leid

Wie sind das Unheil und das Böse in der Welt mit der Vorstellung eines allmächtigen und allgütigen Gottes zu vereinbaren? Auf diese „Hiobsfrage“ geht der Band aus unterschiedlicher Perspektive ein. Renate Brandscheidt behandelt die im Hiobbuch dargebotenen Formen der Auseinandersetzung mit dem unschuldigen Leiden sowie der Suche nach Trost. Werner Schüßler geht dem philosophischen Ringen um diese Frage nach, um schließlich Denker vorzustellen, die ihre eigene philosophische Position im Hiobbuch allegorisch ausgedrückt sehen. Christine Görgen sucht im Rückgriff auf Viktor E. Frankl aufzuzeigen, dass es dem Menschen trotz Leids immer noch möglich ist, Sinn zu finden und zu verwirklichen. Mirijam Schaeidt nähert sich dem Hiobbuch vom Osterereignis her als Geschichte einer Befreiung, welche nie durch Verdrängung, sondern nur durch die Annahme der uns bedrängenden Realitäten geschieht.

Renate Brandscheidt, Christine Görgen, Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

Hiob

Gott – Mensch – Leid

echter

Renate Brandscheidt, Christine Görgen, Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

Hiob Gott – Mensch – Leid

Renate Brandscheidt, Christine Görgen, Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

Hiob

Gott – Mensch – Leid

echter

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar. 1. Auflage 2015 © 2015 Echter Verlag GmbH, Würzburg www.echter-verlag.de Umschlag: Hain-Team (www.hain-team.de) Umschlagabbildung: Shutterstock Druckerei: Friedrich Pustet, Regensburg ISBN 978-3-429-03817-5 (Print) 978-3-429-04802-0 (PDF) 978-3-429-06218-7 (ePub)

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

RENATE BRANDSCHEIDT Trost finden. Das Leid des Frommen und die Gerechtigkeit Gottes im Spiegel des Buches Ijob . . . 11 WERNER SCHÜSSLER Hiob – philosophisch gespiegelt . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 CHRISTINE GÖRGEN Sinn des Leidens – Sinn im Leiden. Viktor E. Frankl im Anschluss an Hiob . . . . . . . . . . 91 MIRIJAM SCHAEIDT „Ich weiß: Mein Erlöser lebt!“ Hiob nach Ostern gelesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

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Vorwort

Thema des Hiobbuches, das im Verlauf des 6.-2. Jahrhunderts v.Chr. zu seiner Jetztgestalt gewachsen ist und dessen Hauptgestalt als Symbolfigur das alttestamentliche Gottesvolk in seinem Ringen und Hadern mit der Verborgenheit Gottes verkörpert, ist nicht das Leid aller Unglücklichen dieser Welt, sondern die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in seiner Weltführung, die durch das Leiden des Gerechten erschüttert zu werden droht. Darauf bezogen behandelt Renate Brandscheidt in ihrem Beitrag „Trost finden. Das Leid des Frommen und die Gerechtigkeit Gottes im Spiegel des Buches Ijob“ die im Hiobbuch dargebotenen vielfältigen Formen der Auseinandersetzung mit dem unschuldigen Leiden sowie der Suche nach Trost. Sie reichen von der gottergebenen Annahme des Leides über die Anklage Gottes als Feind des unschuldig Leidenden in einer chaotischen Welt bis hin zur Rechtfertigung Gottes in einer problematischen Vergeltungstheorie sowie der Auffassung von einer den Frommen auf sein Endheil hin läuternden Leidenspädagogik und enden mit dem Aufweis der universalen Gerechtigkeit Gottes, die den Einzelmenschen und seine persönliche Geschichte als Glied der Schöpfung in eine universale Heilsgeschichte stellt. Auch die Philosophie hat sich seit Anbeginn an mit der Frage auseinandergesetzt, wie das Unheil und das Böse in der Welt mit der Vorstellung eines allmächtigen und allgütigen Gottes zu vereinbaren ist, ist doch bekanntlich dieses Grundproblem menschlicher Existenz, 7

wie Georg Büchner in seinem Drama „Dantons Tod“ zu Recht sagt, der „Fels des Atheismus“. Werner Schüßler geht in seinem Beitrag „Hiob – philosophisch gespiegelt“ zuerst dem philosophischen Ringen um diese Frage durch die Jahrhunderte hindurch nach, um sodann vier Denker vorzustellen, die ihre eigene philosophische Position im Hiobbuch allegorisch ausgedrückt sehen: Immanuel Kant, Karl Jaspers, Viktor E. Frankl und Paul Ricœur. Gegenüber den Theodizeeversuchen der klassischen Metaphysik von Augustinus bis Leibniz geht es diesen Denkern darum, auf die Geheimnishaftigkeit Gottes aufmerksam zu machen und mit Hiob zu betonen, dass der Glaube „bedingungslos“ ist. Christine Görgen sucht in ihrem Beitrag „Sinn des Leidens – Sinn im Leiden. Viktor E. Frankl im Anschluss an Hiob“ aufzuzeigen, dass es dem Menschen trotz Leids immer noch möglich ist, Sinn zu finden und auch zu verwirklichen. Frankls These, dass im Leiden Sinn entdeckt werden kann, ist als ein Appell zu verstehen, das Leiden nicht nur hinzunehmen, sondern es anzunehmen. Damit wird kranken und leidenden Menschen eine Dimension der Hoffnung eröffnet, die darin besteht, dass der Mensch zwar vielleicht das Leid nicht ändern kann, aber immer noch seine eigene Einstellung dazu – und das aufgrund seiner geistigen Freiheit. In ihrem Beitrag „‚Ich weiß: Mein Erlöser lebt!‘ Hiob nach Ostern gelesen“ sucht die Benediktinerin Mirijam Schaeidt, dem Hiobbuch vom Osterereignis her näher zu kommen, geht es ihr zufolge doch in diesem alttestamentlichen Buch wesentlich um die Geschichte einer Befreiung, einer Erlösung. Und Erlösung geschieht nie durch Verdrängung, sondern immer nur durch die An8

nahme der Realitäten, die uns bedrängen. Unfreiwilliges Leiden wird so zu freiwilligem Lieben, zur wiedergewonnenen ungetrübten Vertrautheit des Menschen mit Gott, wie dies im Hiobbuch eindringlich deutlich wird. Die vorliegenden Beiträge werfen so von verschiedenen Seiten her spannende Schlaglichter auf das im alttestamentlichen Hiobbuch aufgeworfene Problem. Neben der exegetisch-alttestamentlichen Perspektive wird diejenige der Philosophie beleuchtet, und neben der Frage nach dem therapeutischen Umgang mit Leidenden wird diejenige nach der spirituellen Dimension des Hiobbuches aufgeworfen. Trier, im Januar 2015 Renate Brandscheidt, Christine Görgen, Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

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RENATE BRANDSCHEIDT

Trost finden Das Leid des Frommen und die Gerechtigkeit Gottes im Spiegel des Buches Ijob Schlage mich! Peinige mich! Aber ich komme! Ich komme hinauf zu dir langsam, stetig. Jede Stunde meiner Qual sende ich dir empor, jede Stunde der Verzweiflung. So komm ich: Stück für Stück, nach und nach. Aber wenn mein letzter Schrei zu dir gestiegen ist, dann bin ich ganz bei dir, ganz, ganz! Dann werde ich ganz versammelt sein, ganz, ganz. Und dann trete ich vor dich hin und fordere mich von dir, mich, mein Leben, meinen Glauben, mein Glück, alles, alles, was du mir gibst, um es mir wieder zu nehmen. Dein Geben war Schein, nur Trug und List, dein Nehmen aber war Wirklichkeit. Dann ringe ich mit dir, ich, ich! Mit dir!1

Zu allen Zeiten haben Menschen mit der Frage gerungen, wie das Elend dieser Welt vereinbar ist mit der Gerechtigkeit Gottes und warum selbst Unschuldige abgrundtief leiden müssen. Die Auseinandersetzung mit K. May, Hiob, in: Ch. F. Lorenz, Karl Mays Gedichtfragment „Hiob“, in: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft 59 (1984) 10: karl-may-wiki.de/index.php/Hiob_(Gedicht) [10.10.2014]

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dieser Problematik findet innerhalb der Heiligen Schrift ihren klassischen Ausdruck im alttestamentlichen Buch Ijob,2 das zwischen dem 6. und 2. Jahrhundert v.Chr. entstanden und eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur ist, geradezu ein „Meisterwerk an Sprache und Inhalt“3. Weithin bekannt ist die Erzählung vom frommen Dulder Ijob (1-2,10; 42,10-17), die den Anstoß für die poetisch gestalteten Reden im Buch Ijob (3-41) bildet. Sie berichtet, wie den gottesfürchtigen und mit Reichtum gesegneten Ijob unverhofftes und unverschuldetes Leid trifft, das all sein Lebensglück zerstört. Mit einem Schlag Literatur in Auswahl: W. Schüßler / M. Röbel (Hg.), HIOB – transdisziplinär. Seine Bedeutung in Theologie und Philosophie, Kunst und Literatur, Lebenspraxis und Spiritualität (= Herausforderung Theodizee 3), Berlin 2013; R. Lux, Hiob. Im Räderwerk des Bösen (Biblische Gestalten 25), Leipzig 2012; H. Spieker (Hg.), Hiob. Auseinandersetzungen mit einer biblischen Gestalt, Zürich 2008; E. van Wolde (Hg.), Ijobs Gott, Mainz 2004; F. Gradl, Das Buch Ijob (NSK.AT 12), Stuttgart 2001; M. Oeming / K. Schmid, Hiobs Weg. Stationen von Menschen im Leid (BTHSt 45), Neukirchen-Vluyn 2001; H. Strauss, Hiob (BK XVI/2), Neukirchen-Vluyn 2000; J. Ebach, Hiobs Post. Gesammelte Aufsätze zum Hiobbuch, zu Themen biblischer Theologie und zur Methodik der Exegese (fzb 83), Würzburg 1998; ders., Streiten mit Gott. Hiob, 2 Bde., Neukirchen 1996; Th. Mende, Das Buch Ijob (GSL 14/1 u. 2), Düsseldorf 1993 u. 1994; F. Hesse, Hiob (ZBK), Zürich 21992; H.-P. Müller, Theodizee? Abschlußerörterungen zum Buch Hiob, in: Zeitschrift für Katholische Theologie 89 (1992) 249279; Th. Mende, Durch Leiden zur Vollendung. Die Elihureden im Buch Ijob (Ijob 32-37) (TThSt 49), Trier 1990; B. Steinwendtner, Hiobs Klage heute. Die biblische Gestalt in der Literatur des 20. Jahrhunderts, Innsbruck/Wien 1990; E. Haag, Vom Sinn des Leidens im Alten Testament, in: Internationale Katholische Zeitschrift Communio 17 (1988) 481-494; F. Horst, Hiob (BK XVI/1), Neukirchen 1968; G. Fohrer, Das Buch Hiob (KAT XVI), Gütersloh 1963. 3 So F. Gradl, Das Buch Ijob (s. Anm. 2), 9. 2

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verliert er seine ganze Habe, danach all seine Kinder, dazu wird er mit einer bösen Krankheit geschlagen. Und als wäre das nicht genug, fordert seine Frau ihn auf, sich als ein vor Gott schuldig Gewordener zu verstehen und seine Leiden als ein todbringendes Strafgericht anzuerkennen. Ijob nimmt zwar das ihm Widerfahrene gottergeben und klaglos hin, gesteht aber weder seine angebliche Sündigkeit ein, noch legt er den Ärgernis erregenden Charakter seines unschuldigen Leidens Gott zur Last. „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, gesegnet sei der Name des Herrn!“ (1,21) und: „Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen?“ (2,10) lautet das Fazit Ijobs, vorbildlich, ein Ausdruck demütiger Ergebung unter den Willen Gottes, der am Ende mit der Wiederherstellung Ijobs entlohnt wird. Und dennoch möchte man an Ijob mit dem Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard (1813-1855) die Frage richten: „Hast du wirklich nichts anderes gesagt als jene schönen Worte: Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, der Name des Herrn sei gelobet, nicht mehr und nicht weniger, ebenso wie man Prosit sagt zu dem Niesenden!“4 Ijob hat. Denn die Erzählung vom getreuen Ijob ist wie ein Rahmen um die literarisch jüngeren Kap. 3-41 der Ijobdichtung gelegt, in denen Ijob Streitgespräche mit Gott und mit seinen Freunden führt. In diesen Streitgesprächen tritt an die Stelle der Gottergebenheit und Geduld Ijobs ein maßloses, Gott und seine Geschichtslenkung anklagendes Aufbegehren. Mit seinen S. Kierkegaard, Die Wiederholung, in: Ders., Gesammelte Werke, übers. von E. Hirsch, Abt. 5 u. 6, Düsseldorf 41967, 197, 68. 4

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Freunden, die gekommen sind, um ihn zu trösten, streitet Ijob über die Rechtfertigung Gottes in seinem Welthandeln. Vehement weist er ihre Lehre über eine mit Leiden verknüpfte Vergeltung Gottes zurück und belehrt sie über das staunenswerte Walten Gottes in der Schöpfung und über seine verborgene Weisheit (26,5-14; 28,118), aber auch über Gottes rätselhafte Weltlenkung und die Illusion menschlicher Gerechtigkeit (12,7-25; 21,2234). Selbst hofft er trotz einer massiven Anklage Gottes, der sein Recht gebeugt habe, auf dessen Offenbarung als Erlöser am Ende der Zeit: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt. Als Letzter erhebt er sich über dem Staub.“ (19,25) Diese Spannungen im Ijobbild haben u.a. in der Forschung zu der Erkenntnis geführt, dass es sich bei Ijob nicht um eine biografische Einzelgestalt handelt, sondern um eine Symbolgestalt,5 an der das alttestamentliche Gottesvolk seine Leiderfahrungen und sein Hadern mit Gott im Lauf der Geschichte festgemacht und mit ihr nicht nur nach Hilfe, sondern auch und vor allem nach Trost gesucht hat. Insofern nämlich der Vorgang des Tröstens biblisch nicht einfach ein Bemitleiden durch Worte, sondern das Verändern einer Notlage zum Guten meint, Dieser Tatbestand bildet den Anlass für Untersuchungen, die das literarische Wachstum des Buches Ijob mit seinen jeweiligen zeitgeschichtlichen Hintergründen und den hier sichtbar werdenden theologischen Fragestellungen verknüpfen und damit die Ijobgestalt als Symbolgestalt der Leiden Israels facettenreich in Erscheinung treten lassen. So eindrucksvoll Th. Mende, Durch Leiden zur Vollendung (s. Anm. 2); dies., Das Buch Ijob, 2 Bde. (s. Anm. 2). Insofern aber Ijob als Symbolgestalt das alttestamentliche Israel in seiner Person gleichsam verkörpert, kann er in dieser seiner Funktion als das Ich des Gottesvolkes auch ohne detaillierte Aufhellung der entsprechenden zeitgeschichtlichen Hintergründe direkt zum Thema gemacht werden.

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führt er in der Tat zu einer Gewissheit, die dem Angefochtenen und Ängstlichen, der sich seines Lebens nicht mehr sicher und der von Leid umklammert ist, Halt und Orientierung verleiht.6 Unter dem Gesichtspunkt des Trostes soll daher die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts der Bedrängnis des Frommen im Buch Ijob angegangen werden. Ausgangspunkt der Darlegung ist das in den Augen Ijobs ausweglose Leid, das ihn schuldlos getroffen hat.

Ijob: trostlos und angefochten im Leid Bereits die erste Klage Ijobs in Kap. 3,1-26 führt uns nicht nur die Nöte eines im Übermaß leidenden Menschen vor Augen, sondern zeigt auf, welche Belastung das unverstandene Leid für den Glaubensvollzug bedeutet. Zugleich macht sie deutlich, dass das Thema des Buches Ijob nicht das Leid Ijobs und mit ihm das Leid aller Unglücklichen dieser Welt ist, sondern die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in seiner Weltführung, die durch das Leiden des Gerechten erschüttert zu werden droht. Dem entspricht, dass Ijobs Klage mit einem Fluchwunsch beginnt, der nach den Anfängen seines Lebens greift: Der Tag seiner Geburt und die Nacht seiner Empfängnis sollen rückgängig gemacht und Ijobs Existenz somit ausgelöscht werden (V.3). Nicht ohne Grund klingt sein Wunsch: „Dieser Tag, er sei Finsternis“ (V.4) wie eine Umkehrung der Worte, mit denen das erste Schöpfungswerk Zur Thematik vgl. P. Riede, Trost, der ins Leben führt. Ein Beitrag zum Menschen- und Gottesverständnis des Alten Testaments (BThSt 138), Neukirchen-Vluyn 2013, 5-10.

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von Gott ins Dasein gerufen wurde (Gen 1,3: „Es werde Licht“) und mit dem das nachfolgend Geschaffene ganz und ausschließlich der heilvollen Absicht im Wirken des Schöpfergottes zugeordnet wird. Damit verglichen lehnt sich Ijob, der auf den Tag seiner Geburt und auf die Nacht seiner Empfängnis Finsternis herabruft (V.4.9), nicht einfach nur vehement gegen sein Schicksal auf, sondern fordert als eine Art „Antischöpfer“ das Chaosdunkel zum Sieg über die Schöpfung heraus, weil er weder eine gedeihliche Schöpfungsordnung noch eine heilvolle Geschichtsplanung Gottes erkennen kann. Intensiviert wird diese, sein Leben bis auf den Grund negierende Sicht durch Ijobs Verlangen, dass Finsternis und Dunkel sein Leben als Eigentum beanspruchen (genauer: „auslösen“) sollen (V.5), womit Ijob wie schon zuvor einen bedeutsamen Sachverhalt des Glaubens Israels in sein Gegenteil verkehrt. Denn nach grundlegender Überzeugung Israels ist Jahwe der Löser bzw. Erlöser seines Volkes,7 das er aus den Banden von Gericht und Schuld freikauft und dem er neu die Lebensgemeinschaft mit sich schenkt (Jes 43,18). Spätestens an der das ErlöserVon Haus aus handelt es bei dem hebräischen Verbum gacal „(aus)lösen“ um einen Begriff aus dem Familienrecht. Hiernach soll in fremde Hände gelangtes Sippengut von einem Glied der Sippe, das dazu in der Lage ist, ausgelöst und in den Besitz der Sippe zurückgeführt werden (Lev 25,23ff.). Aufgrund der in diesem Vorgang vorausgesetzten Bindung an das Verlorene greift Deuterojesaja diesen Begriff auf und macht ihn für seine Frohbotschaft von der Begnadigung Israels aus dem Exil fruchtbar: Jahwe ist der Löser bzw. Erlöser, der aus den Banden von Schuld und Gericht freikauft und die chaotischen Kräfte entmachtet (Jes 43,1-3). Diese theologisch gefüllte Begrifflichkeit setzt die nachexilische Ijobdichtung voraus. 8 „Jetzt aber – so spricht der Herr, der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich geformt hat, Israel: Fürchte dich nicht, 7

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tum Gottes nivellierenden Aussage Ijobs wird deutlich, dass hier nicht nur ein Gepeinigter und Verzweifelter klagt, dem alles zum Feind geworden ist, sondern ein Mensch, dem die Fundamente seines Glaubens weggebrochen sind. Der Anlass für Ijobs massive Selbstverfluchung: ein Leben, niedergehalten von Mühsal und Schmach, die er so nie zu erleben dachte. Aus diesem Grund verbindet Ijob seinen Todeswunsch mit der Frage nach dem Sinn seines leidvollen Daseins vor Gott, wodurch seine Klage viel grundsätzlicher ist als die Äußerungen notleidender Menschen, denen das Leiden jeden Lebenswillen raubt. Wozu hat Gott ihn am Leben gelassen? Warum haben sich Menschen um ihn gekümmert und ihn großgezogen? (V.11-12) Denn Ruhe, gemeint ist der Friede eines zur Erfüllung gelangten Daseins, blieb ihm versagt. Also ersehnt Ijob jetzt die Ruhe im Tod, wo seine Leiden aufhören. Sogar das Los einer verscharrten Fehlgeburt (V.16), der ein Lebensvollzug versagt blieb, wäre ihm lieber als sein jetziges Leben. Eine Antwort auf seine Fragen kann ihm der Tod zwar nicht geben, wohl aber seinen körperlichen Leiden und seiner Glaubensanfechtung ein Ende bereiten. Denn der Tod als der große Gleichmacher zwingt alle, von ihrem Treiben abzulassen und hebt die im Leben quälenden Gegensätze auf. Dahin sind die Privilegien des Reichtums (V.14-15), die Gegensätze zwischen Arm und Reich, sogar die zwischen Übeltätern und ihren Opfern (V.17denn ich habe dich erlöst, ich habe dich beim Namen gerufen, mein bist du.“ Vgl. hierzu R. Brandscheidt, Die Frohbotschaft von Gott als Schöpfer und Erlöser nach Jes 43,1-7, in: F. Sedlmeier, Gottes Wege suchend. Beiträge zum Verständnis der Bibel und ihrer Botschaft (FS R. Mosis), Würzburg 2003, 131-151.

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19). In geradezu paradiesischen Bildern malt Ijob die ersehnte Todesruhe aus, bevor die Sinnfrage (V.20.23) erneut aufbricht, jetzt aber verschärft in der Frage nach dem Sinn des Menschenlebens überhaupt. Wozu schenkt Gott Leben, wenn Menschen elend und verbittert in ihrem Herzen dahinvegetieren, sich nach dem Tod sehnen, aber nicht sterben können, sterben dürfen (V.21-22)? Ist das eine Gerechtigkeit Gottes, die dem Menschen zugute kommt? Ist das ein Schöpfungsverlauf, der Gottes Mitsein, so wie es der Gottesname Jahwe als Wesenseigentümlichkeit Gottes in seiner Offenbarung beinhaltet (Ex 3,14: „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘“), zum Ausdruck bringt? Ijobs Klage endet mit einer Bekundung dumpfer Hoffnungslosigkeit, hat doch die Realität all seine Befürchtungen hinsichtlich dessen, was einen Menschen an Leid treffen kann, überholt (V.25-26).

Die Freunde Ijobs: Tröster ohne Trost „Die drei Freunde Ijobs hörten von all dem Bösen, das über ihn gekommen war, und sie kamen, ein jeder von seiner Heimat: Eliphas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zophar aus Naama. Sie vereinbarten hinzugehen, um ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und um ihn zu trösten. Als sie von fern aufblickten, erkannten sie ihn nicht; sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Obergewand; sie streuten Staub auf ihr Haupt gegen Himmel hin. Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte; keiner sprach ein Wort zu ihm; denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war.“ (2,11-13)

Ausgangspunkt für das Handeln der Freunde Ijobs ist das Hören von seinem Unglück, das sie in Bewegung setzt, wohl wissend, dass ein von solchem Geschick Betroffener der Solidarität bedarf. Die Freunde gehen je18

doch nicht jeder für sich, sondern verabreden sich zu einem gemeinsamen Tun, denn sie halten es für ihre Pflicht, den Freund in der Not nicht sich selbst zu überlassen, sondern ihm Teilnahme und Trost zu bezeugen. Als sie ihn sehen, vollziehen sie Trauerriten, machen also die fremde Not zu der eigenen und teilen sein Leid mit ihm. Den Trost durch Worte bezeugen, können sie zunächst nicht, denn sie sehen, dass Ijobs Schmerz sehr groß ist. Ihre Anteilnahme besteht vielmehr darin, dass sie bei Ijob sitzen und schweigen – sieben Tage und sieben Nächte. Eine Solidarität ohne Worte, ohne Geschwätzigkeit. Denn wenn der Schmerz so groß ist, kann oft nur noch das Schweigen bestehen und das schlichte Mitaushalten des Leids. Doch was kommt nach den Tagen und Nächten des Schweigens, wenn der Klagende selbst die Phase des Schweigens aufbricht, wenn aus dem frommen Dulder Ijob der Rebell Ijob wird, der sein Leben verflucht und den Schöpfergott zurückweist, so geschehen in der Eingangsklage Ijobs in Kap. 3? Diese Klage kann von den Freunden nicht stehen gelassen werden. Wie aber sieht jetzt der Trost aus? Als Erster ergreift Elifas von Teman das Wort und entfaltet in seiner Rede die entscheidenden Aspekte der Theologie, die er und die beiden anderen Freunde Ijobs vertreten.9 Vorsichtig und einfühlsam tastet er sich nach Kap. 4-5 an Ijob heran und erinnert ihn an sein früheres Verhalten. Hat er selbst nicht Menschen mit „schlaffen Händen“ und „wankenden Knien“ durch Wort und Tat aufgeholfen?10 Warum also verliert er jetzt den Mut (V.2Vgl. A. Scherer, Lästiger Trost. Ein Gang durch die EliphasReden im Hiobbuch (BThSt 98), Neukirchen-Vluyn 2008. 10 Nach Th. Mende, Das Buch Ijob, Bd. 1 (s. Anm. 2), 85f., ist zu beachten, dass Menschen mit schlaffen Händen und wan9

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5)? Danach kommt Elifas zur Sache und gibt Ijob in Frageform zwar, aber dennoch deutlich zu verstehen, dass Leid mit Schuld zusammenhängt und Ijob somit als ein schuldig Gewordener leidet: „Bedenk doch! Wer geht ohne Schuld zugrunde. Wo werden Redliche im Stich gelassen“ (4,7)? Denn, so Elifas, einen vor Gott Gerechten gibt es nicht, ja selbst die Engel sind vor Gott unrein, umso mehr der vergängliche Mensch, dessen Fundament auf Staub gegründet ist (4,19). Wie also kann ein derart flüchtiges Geschöpf Gott herausfordern und sich vor ihm als schuldlos behaupten (4,17-19; vgl. 15,14ff.; 25,4ff.)? Nach diesen klärenden Worten kehrt Elifas zu seiner eigentlichen Absicht zurück, nämlich Trost zu spenden und einen Weg rechten Verhaltens im Leid aufzuweisen. Der Grundgedanke seiner Unterweisung ist folgender: Wenn sich Ijob vor Gott demütigt und seine Schuld bekennt, dann darf er hoffen, dass der gerechte Gott sein Schicksal wendet: „Ich aber, ich würde Gott befragen und Gott meine Sache vorlegen.“ (5,8) Als Motivation für Ijob, sich Gott anzuvertrauen, weist Elifas auf dessen Allmacht hin, denn Gott kann stürzen, aber auch erhöhen (V.915). Am Schluss formuliert Elifas sogar eine Seligpreisung, die das Leiden als einen Ausdruck göttlicher Erziehung zum Heil wertet, also nicht einfach nur als einen Ausdruck von Strafe ansieht, sondern auch als eine erzieherische Maßnahme Gottes (5,17: „Ja, wohl dem Mann, den Gott zurechtweist. Die Zucht des Allmächtigen verschmähe nicht!“). Danach zieht Elifas die Schlussfolgerungen für Ijob, der, wenn er umkehrt, die Gültigkeit dieser Seligkenden Knien im Alten Testament auch solche sind, die wegen ihrer Sünden unter dem Gericht Gottes stehen (Jes 13,7; 35,3) und deshalb der Zurechtweisung bedürfen, womit Elifas Ijob indirekt in eine Reihe mit solchen Menschen stellt.

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preisung erfahren wird (5,24-26). Mit dem Hinweis auf die göttliche Leidenspädagogik wird die starre Vergeltungslehre, die Elifas zuvor dargeboten hat, in gewisser Weise aufgesprengt. Dadurch aber, dass die Erziehung Gottes durch Leid nach Elifas immer die Schuld des Menschen zur Voraussetzung hat, vermag seine Weisung Ijob keinen Halt im Glauben zu vermitteln, denn dieser kann bei sich keine Schuld entdecken, die eine derartige Züchtigung verdient. Die Theologie des Elifas und seiner Freunde zur Gerechtigkeit Gottes im Leid, die so ausschließlich Leid mit Schuld verknüpft und als Lösung die Abkehr von der Schuld und die Umkehr zu Gott fordert, ist nach Auskunft des Elifas das Ergebnis einer nachdenklichen Erforschung der heilsgeschichtlichen Überlieferung Israels, von der Erfahrung gedeckt und abgesichert (5,27: „Ja, das haben wir erforscht, so ist es. Wir haben es gehört. Nimm auch du es an!“). Ganz von der Hand zu weisen ist sie in der Tat nicht. Denn bewährt hatte sich eine solche Erklärung im babylonischen Exil Israels (586-539 v.Chr.), das nach dem Offenbarungswort der Propheten eine Folge des Scheiterns Israels an der Bundesgemeinschaft mit Gott und somit, was das Gottesvolk dann auch selbst erkannt und bekannt hat, schuldhaft verursacht war.11 In der Aufarbeitung dieser Erfahrung ging es den Theologen des Exils darum, das gerechte Gericht Gottes verständlich zu machen und die Umkehr als den Weg zur Überwindung des Gerichts anzumahnen. 11 Klgl 1,18: „Er, der Herr ist gerecht, ich habe seinem Wort getrotzt“; Klgl 3,42: „Wir haben gesündigt und getrotzt“; Jer 14,20: „Wir erkennen, Herr, unser Unrecht, die Schuld unserer Väter: Ja, wir haben gegen dich gesündigt.“

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Auf der Grundlage eben dieser Theologie argumentiert Elifas. Leid setzt Schuld voraus, also muss sich der Leidende vor Gott demütigen und umkehren. Was für die Bewältigung des Exils richtig war, weil man die Schuld erkennen konnte, wird jetzt losgelöst von der Situation des Exils zu einer starren Vergeltungslehre, die jede Form des Leidens mit Schuld erklärt und die Gott in seiner Gerechtigkeit damit zu einem Funktionär allein der Vergeltung macht. Wenn aber Gott nur noch der Zuteiler von Lohn und Strafe ist, kann von einer Lebensgemeinschaft Gottes mit dem Menschen keine Rede mehr sein. Und weil Elifas – ebenso wie den anderen Freunden Ijobs – in der Argumentation die Schöpferliebe Gottes (Weish 11,26. „Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens“) aus dem Blick gerät, sind sie selbst im Letzten auch unfähig, dem Mitmenschen wahrhaft als Nächste zu begegnen. Aus diesem Grund werden die Reden der Freunde angesichts der Weigerung Ijobs, ihre Ausführungen und Ratschläge anzunehmen, zunehmend kürzer und liebloser; neben Schuld unterstellen sie Ijob Hinterlist (Elifas 15,4-5: „Du brichst sogar die Gottesfurcht, zerstörst das Besinnen vor Gott. Denn deine Schuld belehrt deinen Mund, die Sprache der Listigen hast du gewählt“) und werfen ihm vor, die „Tröstung Gottes“ missachtet zu haben (Elifas 15,11: „Ist zu gering dir Gottes Tröstung, ein Wort, das sanft mit dir verfährt?“), also jene Verheißungen, die die Freunde ihm für den Fall seiner Schuldeinsicht und Umkehr zugesagt haben (5,8ff.; 8,5ff.; 11,13ff.). Selbst Ijobs zu Tode gekommene Kinder werden beschuldigt und die Not Ijobs damit noch vergrößert (Bildad 8,4: „Haben deine Kinder gefehlt gegen ihn, gab er sie der Gewalt ihres Frevels preis“). Ohne Gespür für seine 22

körperlichen und seelischen Leiden wird Ijob als Maulheld verurteilt und seine Klage als Geschwätz und Spott gegen Gott bezeichnet (Zofar 11,2-3: „Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben und soll der Maulheld recht behalten? Dein Geschwätz lässt Männer schweigen, du darfst spotten, ohne dass einer dich beschämt“), er wird aufgrund seiner Reden sogar einem Sünder gleichgestellt, der sich in seinem Zorn gegen Gott zerfleischt und mit seinem unbotmäßigen Reden erst recht das Zorngericht auf sich herabruft (Bildad 18,4: „Du, der sich selbst zerfleischt in seinem Zorn, soll deinetwegen die Erde sich entvölkern, der Fels von seiner Stelle rücken?“). Das einzige Argument, das die Freunde Ijobs in ihren weiteren Reden mehr und mehr entfalten, ist schließlich der Untergang des Frevlers, als den sie Ijob sehen (8,2-22; 11,12-20; 15,19-35; 18,5-21; 20,4-29). Dies alles macht deutlich, dass die Freunde Ijobs eine zu einer bestimmten Zeit der Geschichte Israels einsehbare Erklärung des Leides von der konkreten Situation losgelöst, daraus einen Schlüssel zur Erklärung aller Formen von Leid gemacht und damit nicht nur alles Leiden ausschließlich unter moralischen Kategorien bewertet, sondern auch und vor allem Gott in seinem Verhältnis zum Menschen zu einem Funktionär der Lohnund Strafzuteilung degradiert und die Gerechtigkeit Gottes einseitig mit Vergeltung gleichgesetzt haben. Darum haben sie nicht recht von Gott gesprochen, ein Urteil, das am Schluss des Buches Ijob von Gott bestätigt wird, wenn es heißt: „Mein Zorn ist entbrannt gegen dich [sc. Elifas] und deine beiden Freunde, denn ihr habt nicht von mir recht geredet wie mein Knecht Ijob.“ (42,7)

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Ijob: ungetröstet und unverstanden Ijob können die Trostversuche seiner Freunde nicht erreichen, da das Auseinanderklaffen zwischen seiner untadeligen Lebensführung und dem erlebten Geschick sein Gottesverhältnis grundlegend infrage stellt. Angesichts der Härte seines Freundes Elifas im Beharren auf der von ihm vertretenen Vergeltungslehre bricht Ijob in Kap. 6,14-15 in eine bittere Klage über dessen Versagen als Freund aus: „Dem vor Leid Vergehenden gebührt Mitleid von seinem Freund, auch wenn er die Furcht vor dem Allmächtigen verlässt. Meine Brüder sind trügerisch wie ein Bach, wie Wasserläufe, die verrinnen.“ Eine Ethik der Freundschaft wird an dieser Stelle sichtbar, wie sie in der Weisheitsliteratur auch an anderer Stelle im Alten Testament geschildert wird: „Der Freund erweist Liebe zu jeder Zeit; aber für die Not ist er als ein Bruder geboren.“ (Spr 17,17; vgl. Sir 6,7-17) Doch Ijob verlangt noch mehr, nämlich die Treue des Freundes auch dann, wenn sich der Leidende Gott gegenüber vergisst und die Grenzen überschreitet. Offenbar steht Ijob ein Maßstab für dieses von ihm propagierte Freundschaftsideal vor Augen, über das der Sprachgebrauch in Kap. 6,14 näheren Aufschluss gibt. Denn für „Mitleid“ wird hier der hebräische Begriff chaesaed verwendet, der als Verhältnisbegriff von Menschen und von Gott gebraucht wird. Er meint von Haus aus das, was gemeinschaftsfördernd ist. Dabei handelt es sich vornehmlich nicht um eine Gesinnung, sondern um eine aus der Gesinnung fließende Tat, die lebenserhaltend und lebensfördernd ist und die mit Güte, Huld und Freundlichkeit umschrieben werden kann. Sie geht über das gesetzlich Geregelte hinaus und orientiert sich ausschließ24

lich am Wohl des anderen. Dieser Begriff, der im Kontext der Familie und Sippe seinen ursprünglichen Sitz im Leben hat, wurde auf das Verhältnis Jahwe – Israel übertragen, um die Bindung und den mühevollen Einsatz Gottes im Bund mit Israel zu kennzeichnen (Ex 34,6; Num 14,18; Jer 33,11). Ijobs Ethik der Freundschaft orientiert sich damit nicht an irgendwelchen menschlichen Idealen, sondern an Gottes Handeln im Bund mit Israel. Darauf bezogen fordert Ijob das Mitleiden des Freundes ein, nicht nur in unverschuldeter Bedrängnis, sondern auch dann, wenn er sich gegen Gott erhebt und die Gottesfurcht verletzt, so wie auch Jahwe einem bundbrüchigen Israel die Treue gehalten hat. Kurz gesagt: Beistand will Ijob von seinen Freunden und nicht eine Abspeisung mit einem kalten Vergeltungsschema. In Kap. 21,2-3 fordert er sie darum auf, den belehrenden Vortrag zu unterlassen und ihm geduldig zuzuhören, seine geistige Not mit zu durchdenken und ihm auf diese Weise Trost zu schenken: „Hört, hört doch auf mein Wort, das wäre mir schon Trost von euch. Ertragt mich, so dass ich reden kann. Habe ich geredet, dann könnt ihr spotten.“ Wie sehr Ijob unter den Ausführungen seiner Freunde leidet, zeigt seine Antwort in Kap. 16,2-5: „Ähnliches habe ich schon viel gehört, leidige Tröster seid ihr alle. Sind nun zu Ende die windigen Worte […]? Auch ich könnte reden wie ihr, wenn ihr an meiner Stelle wäret, schöne Worte über euch machen […]. Ich könnte euch stärken mit meinem Mund, nicht sparen das Beileid meiner Lippen.“ (Vgl. 21,34) Leidige Tröster mit windigen Worten sind die Freunde, weil ihr Trost nicht auf den Grund seines Leides zielt, weil sie sein Leid noch vermehren, indem sie seine Rettung an das Eingeständnis einer Schuld knüpfen, die Ijob nicht begangen hat. 25

Mit einem Schwur, in dem er Gott selbst zum Zeugen aufruft, unterstreicht Ijob seine Ablehnung der Freundestheologie und beharrt auf seiner Gerechtigkeit vor Gott, der ihm – so seine Anklage – sein Recht, nämlich das einem Frommen gebührende Lebensglück, entzogen und seine Seele verbittert hat (27,2.5-6: „So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzog, der Allmächtige, der meine Seele quälte: Fern sei es mir, euch Recht zu geben, ich gebe, bis ich sterbe, meine Unschuld nicht preis. An meinem Rechtsein halt ich fest und lass es nicht; mein Herz schilt keinen meiner Tage“; vgl. 34,5). Zum Erweis seiner Unschuld legt Ijob darum in Kap. 31 seine Lebensführung Gott in Form eines „Beichtspiegels“ zur Prüfung vor. Weder hat er mit List und Täuschung agiert, noch sich lüstern gezeigt, das Recht seiner Sklaven hat er gewahrt, Barmherzigkeit den Armen erwiesen, Gastfreundschaft geübt, Frevel und Schuld beim Namen genannt. Warum also trifft ihn ein derartiges Leidensgericht? Weil die Freunde ihm keinen Trost darbieten, versucht Ijob verschiedentlich, selbst für sich Trost zu finden. Wiederholt bittet er Gott um seinen baldigen Tod: „Käme doch, was ich begehre, und gäbe Gott, was ich erhoffe. Und wollte Gott mich doch zermalmen, seine Hand erheben, um mich abzuschneiden. Das wäre noch ein Trost für mich; ich hüpfte auf im Leid, mit dem er mich nicht schont. Denn ich habe die Worte des Heiligen nicht verleugnet.“ (6,8-10) Aus diesen Worten, die den Tod als Ende der Qual herbeisehnen und die sich hierin äußernde Zermalmung durch Gott als Trost empfinden, spricht eine Bitterkeit, wie sie nur ein Mensch verspürt, der einmal mit Ernst und Hingabe sein Leben auf Gott ausgerichtet hat, der aber dann dessen Wege nicht mehr begreift. 26

Einen weiteren Versuch, sich selbst zu trösten, schildert Kap. 7,13-15: „Sagte ich: Mein Lager soll mich trösten, mein Bett trage das Leid mit mir, so quältest du mich mit Träumen, und mit Gesichten jagtest du mich in Angst. Erwürgt zu werden zöge ich vor, den Tod diesem Totengerippe.“ Gelten Bett und Schlaf sonst als Möglichkeit der Ruhe und Erholung, so trifft das auf Ijob nicht zu; seine Leiden sind zu einem Teufelskreis für ihn geworden, aus dem kein Weg hinausführt, es sei denn durch den Tod. Aber dennoch ist die Hoffnung Ijobs auf Gott nicht gänzlich aufgebraucht, denn trotz aller Anklage Gottes und Todessehnsucht wird der Wunsch in Ijob geweckt, zu Gott zu gelangen und ihm seine Unschuld vorzulegen (23,3-7). Daher sagt er am Ende seines Rückblickes auf sein Leben in Kap. 31,35: „Das ist mein Begehr, dass der Allmächtige mir antwortet.“

Der Weise Elihu: Anwalt der Gerechtigkeit Gottes in der Läuterung des Menschen Überraschenderweise tritt nach Beendigung der Reden Ijobs (31,40: „Zu Ende sind die Worte Ijobs“) ein weiterer Freund von ihm auf, von dem zuvor keine Rede war. Es handelt sich um den jungen Elihu, dessen Auftreten angesichts der doppelten Verletzung der Sphäre Gottes, wie sie einerseits durch die Anklage Ijobs und andererseits durch die starre Vergeltungslehre der Freunde geschah, motiviert ist. Der Verfasser der Elihureden (Ijob 32-37)12 stellt deren Redner als inspirierten Weisen dar 12 Es handelt sich bei den Elihureden in Kap. 32-37 um einen Textkomplex, der in spätnachexilischer Zeit (3. Jh. v.Chr.) dem

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und zeichnet damit ein Berufsbild, das sich in der nachexilischen Zeit erst allmählich herausgebildet hat, bevor es dann zum Gegenstand einer eigenen Reflexion wurde. Denn im Unterschied zu den Vertretern der an die Erfahrung gebundenen Weisheit alten Stils (vgl. die drei Freunde Ijobs) tritt der inspirierte Weise mit prophetischer Vollmacht auf und vermag ein Offenbarungswissen mitzuteilen, das die Weltenplanung Gottes als solche zum Gegenstand hat. Darüber hinaus zeigen die Ausführungen des Elihuverfassers ihn als Weisen, der mit den Traditionen des Jahweglaubens bestens vertraut ist. Göttliche Geistbegabung und biblische Schriftgelehrsamkeit sind somit die beiden Charakteristika, die Elihu auszeichnen.13 Den Behauptungen Ijobs von einer feindseligen Haltung Gottes ihm gegenüber (6,4; 7,11-21; 9,17-20; 10,219) hält Elihu in Kap. 33 ein apodiktisches „Da bist du nicht im Recht “ (V.12) entgegen, weil Ijob angesichts der Größe Gottes zu klein von Gott denke und seine menschlichen Maßstäbe von Gerechtigkeit folglich die Hintergründe des göttlichen Handelns in Gerechtigkeit nicht zu fassen vermögen. Wenn aber dem so ist, dann war es nicht richtig von Ijob, gegen Gott zu hadern und Ijobbuch zugewachsen ist und der angesichts der Spaltung und wachsenden Sündhaftigkeit im Innern des Gottesvolkes, die sich im Leiden der Frommen einen Ausdruck verschaffte, eine Wegweisung im Glauben geben will. Vgl. hierzu Th. Mende, Durch Leiden zur Vollendung (s. Anm. 2); dies., Warum leidet der Mensch, wenn es Gott gibt? Der große Konflikt zwischen Mensch und Gott aus der Sicht des Ijobbuches (Rosenberger Geistliche Schriften 2), Waldfischbach-Burgalben 2013, 39-49. 13 Genau diese Charakteristika begegnen als tragende Säulen auch in dem von Sirach gezeichneten Bild des idealen Weisen in Sir 38,24-39,11.

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ihn zu beschuldigen, dass er angesichts der Not des Menschen ungerührt schweige (V.13). Vielmehr, so Elihu, sei zu bedenken, dass Gott auf unterschiedliche Weise in das Lebensschicksal des Menschen hineinspricht, die der Mensch nur deshalb nicht beachtet, weil die göttliche Offenbarung auf eine für den Menschen unerwartete Weise geschieht (V.14). Die erste unbekannte Weise des göttlichen Handelns ist die Zurechtweisung in nächtlichen Traumoffenbarungen (V.15-18). Weil im Traum das Bewusstsein des Menschen ausgeschaltet ist und er nicht willentlich Einfluss nehmen kann, gilt der Traum bei allen Völkern im Bereich des Religiösen als Einfallstor des Göttlichen. Auch Israel partizipiert an der Wertung des Traumes als Offenbarungsmittel (Gen 37,5ff.; 41; 1 Sam 28,6.15; Joel 3,1; Dan 2; 4 u.ö). Ziel der göttlichen Zurechtweisung im Traum ist es nach Kap. 33,16f., den Menschen von seinem bösen Tun abzubringen. Diese Funktion des Offenbarungstraumes hängt mit dem Wissen um die Versehrtheit des Menschen durch das Sündenfallgeschehen zusammen (vgl. Gen 3), infolgedessen sich die Macht des Bösen einen Raum in der Schöpfung verschafft hat, der ihr dem Schöpferwillen nach nicht zusteht.14 Das ist der Grund, warum jeder Mensch als Teil der gefallenen Schöpfung vor Gott als Sünder dasteht und warum die Traumoffenbarung Gottes diesbezüglich die Absicht einer vorbeugenden Warnung verfolgt, denn sie will den Menschen vor dem Hochmut bewahren, jener Haltung, in der sich der von der Macht des Bösen verführte Mensch vor Gott verabsolutieren will (vgl. Gen 3,5-7). 14 Vgl. hierzu R. Brandscheidt, Der Mensch und die Bedrohung durch die Macht des Bösen. Zur Traditionsgeschichte von Gen 3, in: Trierer Theologische Zeitschrift 109 (2000) 1-23.

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In Kap. 33,19-22 nennt Elihu ein zweites Argument gegen Ijobs Anschuldigung, dass Gott schweige und den Menschen seinem Elend überlasse: Gott offenbart sich auf verborgene Weise auch in den Leiden einer schweren Krankheit. Diese Antwort Elihus mutet dem Leidenden ein starkes Maß an Glaubenskraft zu, insofern eine tödliche Krankheit den Menschen natürlicherweise bis ins Mark erschüttert und von ihm als Angriff auf die Sinnhaftigkeit seines Lebens erfahren wird. Elihu hält dem entgegen, dass gerade das, was das Leben des Menschen durchkreuzt, zum Ort des rettenden Handelns Gottes werden kann (vgl. 36,5-15.22). Zum Erweis thematisiert Elihu in Kap. 33,22f. zunächst die Angst vor dem Tod und spricht von den Boten des Todes, um dann als Kontrast hierzu den Mittlerengel15 einzuführen, der vor Gott für die Rettung des menschlichen Lebens eintritt. In seinem Erscheinen wird Gott als derjenige erfahren, der sich des Leidenden erbarmt, ihm den tieferen Sinn seines Leidens erschließt und ihn so vor dem Hadern und dem damit drohenden Verlust der Gottesgemeinschaft bewahrt. So tritt der Engel für den Todgeweihten vor Gott mit der Bitte ein, er möge den Leidenden vor dem Hinabsteigen in die Grube, also vor dem die Heilsgemein15 Hinter der Engellehre steht die Auffassung, dass Gott, der selbst Geist ist und Wesen aus Leib und Geist erschaffen hat, auch reine Geistwesen erschuf, deren Tun mit den Strukturen der Schöpfung verbunden ist. Da sie einen tieferen Einblick in den heilsgeschichtlichen Plan Gottes mit der Menschheit besitzen, sind sie geeignet, als Boten Gottes Mittlerdienste zu leisten. Zur theologischen Bedeutung der Rede von den Engeln, deren Existenz die Offenbarung des Alten und Neuen Testaments mit größter Selbstverständlichkeit bezeugt, vgl. E. Haag, Das hellenistische Zeitalter. Israel und die Bibel im 4. bis 1. Jahrhundert v.Chr. (BE 9), Göttingen 2003, 232-235.

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schaft mit Gott zerbrechenden Tode, bewahren, weil ein Lösegeld „gefunden“ wurde (V.24). Beachtet man, dass einerseits vom „Finden“ des Lösegeldes die Rede ist, das der Engel Gott für die Auslösung des todgeweihten menschlichen Lebens anbieten kann, und dass andererseits sowohl die Zurechtweisung durch die Krankheit als auch die Belehrung des Engels (V.23) zu dem Zweck ergehen, dass der sündige Mensch umkehre, dann ist mit großer Wahrscheinlichkeit das zur Umkehr bereite Bußverhalten des Sünders gemeint, das der Mittlerengel durch seine wegweisende Belehrung in der Not ermöglicht hat und das er nun als Lösegeld vor Gott hinträgt. In V.26-28 schildert Elihu die Konsequenz dessen für den aus der Todesgefahr Geretteten: Betet dieser zu Gott, dann wird Gott ihm die Fülle des Heils schenken (V.26). Der Engel als Wächter über dem Menschenleben und als Wegweiser in der Not vermochte also durch sein fürbittendes Eintreten vor Gott lediglich eine Wende im Geschick des Todgeweihten herbeizuführen, nicht jedoch ihm die Fülle des Heils selbst zu schenken – dies kommt allein Gott zu. Am Menschen liegt es somit, die Chance der Wende zu nutzen und das ihm neu geschenkte Leben auf Gott hin auszurichten. Dann erst wird Gott aus seiner Verborgenheit heraustreten und ihm, wenn er im Gebet seine Flehrufe an ihn richtet, sein Angesicht wieder zuwenden. Abschließend erklärt Elihu, dass Gott das züchtigende Handeln mehrfach wiederholt (V.29), um den Menschen vor einem Scheitern Gott gegenüber zu bewahren und ihm Einsicht zu vermitteln in das, was ein Leben wahrhaft gelingen lässt. Zu beachten ist in Kap. 33,30 die Ausdrucksweise: „um ihm zu leuchten mit dem Licht des Le31

bens“, genauer: „damit er erleuchtet werde im Licht der Lebenden“. Die gleiche Redeweise begegnet in abgewandelter Form in Ps 56,14 („Denn du hast mein Leben dem Tod entrissen, meine Füße bewahrt vor dem Fall. So gehe ich vor Gott meinen Weg im Licht der Lebenden“), wo sowohl diese Aussage als auch der weitere Kontext erkennen lassen, dass mit der Wendung „im Licht der Lebenden“ ein Leben in der Heilsgemeinschaft mit Gott gemeint ist, das im Gegensatz zum Verlöschen im Tod steht. Das bedeutet hier und für Kap. 33,30 im Ijobbuch („um fernzuhalten seine Seele von dem Grab, um ihm zu leuchten mit dem Licht des Lebens“ bzw. wörtlich: „um zurückkehren zu lassen seine Seele von der Grube, damit er erleuchtet werde im Licht der Lebenden“), dass Elihu über die Bewahrung vor dem Tod hinaus an eine dauerhafte Lebensgemeinschaft mit Gott denkt, die dann – eingedenk der Allmacht des Schöpfergottes – auch der Tod nicht begrenzen kann. Die permanente Läuterung des Menschen in seinem Leben dient somit der Vorbereitung auf ein eschatologisches Ziel und hat als letzte und entscheidende Frucht die endgültige Heilsgemeinschaft mit Jahwe im Blick, die jenseits der individuellen Lebensspanne liegt. Wie vergleichsweise ein junger Mensch eine Erziehung benötigt, um das Leben zu meistern, so ist auch der Gläubige aufgerufen, im Leiden standzuhalten, damit er als ein geläuterter Mensch immer tiefer in die Gemeinschaft mit Gott hineinwächst, bis sie am Ende von Gott vollendet wird. Die Botschaft von der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes, die Elihu nach Kap. 33 dem leidenden Ijob vorlegt und die er in seinen nachfolgenden Reden facettenreich entfaltet, enthält nach dem bisher Gesagten folgende Kerngedanken: Es gibt einen die Schöpfung und Geschichte durchwaltenden Plan, nach dem Gott alles zu 32

dem großen Ziel der Vollendung, dem Heimkommen des Geschaffenen zu seinem Schöpfer, lenkt. Wenn aber dem so ist, dann ist auch das Leiden als Gegebenheit der ursündlich gestörten Weltsituation nicht von diesem Schöpfungs- und Geschichtsplan Gottes zu trennen, sondern muss folglich als ein Ort göttlichen Handelns am Menschen einerseits und als ein Ort der Bewährung für den Menschen andererseits angesehen werden. In eben diesem Zusammenhang hat die göttliche Leidenspädagogik Elihus ihren Ort. Dem Menschen, der Teil einer ursündlich geschädigten Schöpfung ist, zeigt Gott nicht einfach nur die Grenzen seiner vergänglichen Existenz auf, vielmehr ist er in den vielfachen Erniedrigungen dem Menschen nahe, läutert ihn durch Leiden auf seine Vollendung hin und macht damit zugleich seine rettende, heilende Absicht in einer dem Chaos preisgegebenen Welt sichtbar.16 Mit dieser, die allgemeine Theodizeefrage weit hinter sich lassenden Glaubensauffassung korrigiert Elihu einerseits die Freunde, die rückwärts gewandt Leiden nur mit der Schuld des Menschen und dem darauf antwortenden Gerichtszorn Gottes erklären, und andererseits Ijob, der die dem Chaos ausgelieferte Weltzeit verloren gibt und im Grunde genommen lediglich als einen „Wartesaal“ für die Endzeit versteht, in der sich Gott schließlich als Erlöser zeigt. Elihu öffnet ihnen gegenüber den Blick für die größeren Zusammenhänge einer universal-eschatologischen Welt- und Menschenlenkung Gottes, angesichts derer die Frommen lernen kön16 Die Leidenspädagogik des Elihu geht zurück auf den Gedanken der Erziehung Israels durch Jahwe, der bereits vorexilisch belegt ist (Hos 7,8-12; Jer 2,30), bevor er dann breit in der exilisch-nachexilischen Prophetie (u.a. Jes 26,16; 30,20; 54,7f.) und der deuteronomisch-deuteronomistischen Theologie enfaltet wird (u.a. Dtn 8,5).

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nen, „das Dunkel ihres eigenen Lebens, das scheinbar gottverlassen und sinnlos den Mächten des Bösen ausgeliefert ist, als Ort intensiver Gottesnähe und engagierter Gottesliebe zu begreifen, einer Liebe, die aufgrund der noch unaufgearbeiteten Sünde in der Welt nur durch große Leiden hindurch zur Vollendung führen kann. Gleichzeitig betont der Elihuverfasser […], dass die Leiden in Not und Armut, die Gott seinen Getreuen zumutet, einen tieferen Sinn besitzen: Sie sind der Ort, an dem Gott die Menschen erzieht und ihnen die Chance der Umkehr gewährt, damit sie am Ende gerettet werden.“17 Somit setzt der Verfasser der Elihureden, wenn er auf den die Gerichtssituation dieser Welt umgreifenden Heilsplan Gottes und auf sein Mitsein im Läuterungsleid des Menschen hinweist, einen Begriff von der Gerechtigkeit Gottes voraus, der sich wesenhaft von dem der Freunde Ijobs und auch von dem Ijobs unterscheidet und an den die Gottesreden als Höhepunkt des Buches Ijob anknüpfen.18

Gottes Selbstoffenbarung: Gerechtigkeit als heilvolle Führung in Schöpfung und Geschichte In der seiner Eingangsklage folgenden Rede in Kap. 7 erneuert Ijob Gott gegenüber die Anklage von Kap. 3, eingebunden in eine Schilderung seiner seelischen und körperlichen Qualen sowie einer Darlegung über die Enttäuschung angesichts der – aus seiner Sicht – MitleidloTh. Mende, Das Buch Ijob, Bd. 2 (s. Anm. 2), 245. Vgl. Th. Mende, Durch Leiden zur Vollendung (s. Anm. 2), 406ff. 17 18

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sigkeit Gottes. Die Elifasrede in Kap. 4-5 hat damit zwar die geforderte Hinwendung Ijobs zu Gott bewirkt, aber nicht im Vertrauen auf den Retterwillen Gottes und im Glauben an seine erzieherische Absicht, sondern in Verzweiflung und Auflehnung angesichts eines Todesleidens, das Ijob seiner Auffassung nach nicht verdient hat. Die Ijobrede in Kap. 12-14 jedoch bringt, nachdem bereits in Kap. 10,9-12 erstmals eine Hoffnung Ijobs auf die Rettermacht Gottes aufgebrochen war, eine Spannung in den Gedankengang der Ausführungen Ijobs, die sich von da an immer stärker eine Bahn bricht, nämlich die „Hoffnung auf Gott gegen Gott“; das heißt: Ijob klagt Gott einerseits in dieser Weltzeit als Feind an (13, 23-28; 14,18-21) und ruft ihn andererseits als den endzeitlichen Retter an (14,13-16). Ähnliches geschieht in Kap. 16, wo Ijob Gott der grausamen Feindschaft gegen ihn beschuldigt (V.7-14) und im gleichen Atemzug seine Hoffnung auf denselben Gott dadurch ausdrückt, dass er ihn zum Zeugen und Anwalt seines Rechtes aufruft (V.18-23). Denn er, der im Himmel thront und deshalb im Unterschied zu den Freunden die Zusammenhänge des Weltgeschehens kennt, muss wissen, dass Ijob zu Unrecht im Strafgericht dieser Welt zugrunde gehen wird. So fleht Ijob zu Gott als seinem Helfer, er möge ihm Recht verschaffen „im Streit mit Gott“: „O Erde, deck mein Blut nicht zu und ohne Ruhestatt sei mein Hilfeschrei! Nun aber, seht, im Himmel ist mein Zeuge, mein Bürge in den Höhen. Da meine Freunde mich verspotten, tränt zu Gott hin mein Auge. Recht schaffe er dem Mann bei Gott und zwischen Mensch und Mensch. Denn nur noch wenig Jahre werden kommen, dann muss ich den Pfad beschreiten, auf dem man nicht mehr wiederkehrt.“ (16,18-22)

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Diese Hoffnung auf ein eschatologisches Endgericht, wo Ijob erwartet, seinem Erlöser zu begegnen, zeigt, dass er davon überzeugt ist, dass die Weltzeit gänzlich unter einem Strafgericht steht, aus dem es kein Entkommen gibt; solange also der Mensch in der Welt lebt, trägt er unweigerlich an den Lasten dieses Gerichtes und erfährt die Feindschaft Gottes. Daher kann Ijob nur noch von einem eschatologischen Endgericht erwarten, was ihm das Leben dieser Weltzeit verweigert, nämlich den Ausgleich für das ungerechte Leiden des Frommen: „Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt, als Letzter erhebt er sich über dem Staub. Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen. Ihn selber werde ich dann für mich schauen; meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“ (19,25-27)

Auf alle Fragen Ijobs nach den Gründen für sein unverdientes Schicksal und nach der Gerechtigkeit Gottes in seiner Lenkung der Geschichte antworten die Gottesreden in Kap. 38-42, auf die die gesamte Anlage des Buches hindrängt. Sie entfalten unterschiedliche Themen. Einerseits geht es um die Schöpfung und die ihr eingestiftete Ordnung, andererseits um das Thema Gerechtigkeit in der Geschichte. In jedem Fall aber ist für Ijob damit eine Änderung seines Blickwinkels verbunden. Denn nachdem er Gott in seinen Reden immer wieder herausgefordert und mit Schmähungen bedacht hat (9,24: „Die Erde ist in Frevlerhand gegeben“; 30,21: „Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich“), geht es jetzt für Ijob um eine neue Wahrnehmung der Welt und ihrer Ordnung, die so ganz anders ist, als Ijob sie sich vorstellt.

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Die Gottesreden beginnen in Kap. 38 mit einer grundsätzlichen Frage Gottes an Ijob, nämlich wie er dazu komme, den Plan zu verdunkeln: „Wer ist es, der den Plan verdunkelt mit Worten ohne Einsicht?“ Was aber ist der Plan? Das ist der für den Menschen und seine Welt konstitutive Schöpfungs- und Geschichtsplan Jahwes, mit dem Gott allem Geschaffenen eine Ordnung gestiftet und es mit sich verbunden hat und dessen Horizont, wie Jes 55 festhält, alles Denken des Menschen überragt (V.8: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“). Jedoch hat diese Feststellung nicht einfach die Unbegreiflichkeit Gottes oder die kurze Reichweite des menschlichen Einblicks im Sinn, vielmehr geht es darum, dass die menschlichen Maßstäbe dem Heilswillen Gottes, der den ganzen Schöpfungsverlauf umgreift, nicht gewachsen sind. In eben diesem Sinn stellen die Gottesreden Ijob eine Schöpfung vor Augen, in der Gott zu jedem Zeitpunkt tätig ist: als derjenige, der im Anfang einen geordneten Kosmos geschaffen hat und ihn im Dasein erhält, als derjenige, der chaotische Kräfte, die in der Welt Raum gewonnen haben und mit ihren Strukturen verbunden sind, in Schranken halten und sie sogar zur Durchsetzung seiner Zwecke instrumentalisieren kann. Die erste Gottesrede macht in ihrem ersten Teil (38,1-38) die von Gott der Schöpfung eingestiftete Naturordnung transparent für die verborgen wirkende heilsgeschichtliche Führung Gottes, in die auch der einzelne Fromme mit seinem persönlichen Geschick aufgehoben ist. Denn so wie sich Gott in den Wundern der unbelebten Schöpfung als derjenige offenbart, der die Macht und die Weisheit besitzt, durch die Erschaffung und Lenkung 37

eines geordneten Kosmos das Chaos zu bannen, wird er sich auch den Frommen zuwenden und sie trotz aller Widrigkeiten zur Vollendung führen. Am Beispiel von wilden Tieren (Löwe und Rabe, Felsenziegen und Hirschkühen, Maultier und Wildesel, Wildochse, Strauß, Pferd, Falke und Geier), die der Mensch nicht domestizieren kann und die im Alten Testament daher den Bereich des Bedrohlichen, Zerstörerischen verkörpern (Lev 26,22; Dtn 32,24; Hos 2,14; Jer 5,6), wird im zweiten Teil der ersten Gottesrede (38,39-39,30) die Ordnungsmacht und Durchsetzungskraft Gottes in der Geschichte geschildert. Dies geschieht aber nicht in der Weise, dass Gott das Anarchisch-Chaotische eliminiert – es sei denn, er würde die Schöpfung vernichten, mit deren Strukturen das Böse verwoben ist –, sondern dadurch, dass er ihm eine Ordnung zuweist und seine bedrohliche Entfaltung fest unter seiner Kontrolle hält. Es gibt also, so die Botschaft der Gottesreden, eine universale Heilsgeschichte, eine Gerechtigkeitsordnung Gottes, in der er als Erlöser tätig ist und in die der einzelne Mensch mit seiner persönlichen Geschichte hineingestellt ist, auch wenn der Verlauf für ihn nicht im Einzelnen durchschaubar ist. Die zweite Gottesrede in Kap. 40,6-41,26 hat direkt den Kampf gegen das Widergöttlich-Chaotische zum Thema. Hier ist die Rede von den Ungeheuern Behemot und Leviathan, die der Verfasser einerseits in Anlehnung an die zoologischen Arten Nilpferd und Krokodil zeichnet, sie andererseits aber derart übersteigert, dass dem Leser deutlich wird: Hier geht es nicht wirklich um Tiere, sondern um chaotische und die Herrschaft Gottes bestreitende Größen. Gleich zu Anfang wird, um einen metaphysischen Dualismus auszuschließen, klärend festge38

stellt, dass Behemot eine geschaffene und ungeachtet seiner gefährlichen Kraft keine gegengöttliche Größe von gottgleichem Rang ist: „Sieh doch den Behemot, den ich geschaffen habe wie dich.“ (40,15) Dass Gott ihn geschaffen hat, bedeutet wiederum nicht, dass Gott ihn als chaotische Kraft gewollt hat, sondern zeigt an, dass hier eine geschaffene Größe ihre Bestimmung verraten hat. Der Mensch kann diesen Gegner nicht besiegen, geschweige denn beseitigen. Eindrucksvoll vermitteln die göttlichen Fragen in Kap. 40,25-32 mit Bezug auf den Leviathan, dass es dem Menschen unmöglich ist, ihn zu fangen (V.25-26). Alles, was der Mensch unternimmt, prallt an ihm ab. Nichts rührt ihn, weder gütliche Versuche noch brutale Waffen. Man kann mit ihm nicht verhandeln, ihn weder in Dienst nehmen noch ihn zum Spiel- oder Handelsobjekt machen (V.27-30) oder ihn mit konventionellen Waffen besiegen (V.31-32). Wohl aber wird er, dessen Gefährlichkeit in Kap. 40-41 als Ausdruck der ihm innewohnenden Macht des Bösen geschildert wird, durch den bloßen Anblick seines Schöpfers niedergestreckt (41,1: „Siehe, seine Erwartung erweist sich als trügerisch. Schon bei seinem [sc. Gottes] Anblick wird er doch wohl hingestreckt?“),19 der es somit nicht gestattet, dass seine Schöpfung den Chaoskräften anheimfällt. Damit wendet sich diese Gottesrede explizit gegen Ijob, der nur das Chaos sehen wollte und der in Kap. 9,24 behauptet hatte: „Die Schöpfung ist in Frevlerhand “, also ausgeliefert der Herrschaft frevlerischer Menschen. Warum aber holen die Gottesreden so weit aus, um Ijob zur Einsicht in die Heil bringende Wirkung der Ge19 So die Übersetzung von Th. Mende, Das Buch Ijob, Bd. 2 (s. Anm. 2), 280.

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rechtigkeit Gottes zu bringen? Weil Ijob das Herrsein Gottes in Schöpfung und Geschichte infrage gestellt hat; darum beziehen auch die Gottesreden die Dimension von Schöpfung und Geschichte mit ein. Denn in einem Punkt hat Ijob recht: Es gibt keinen persönlichen Lebenssinn in einer sinnlosen Welt. Die Krise des einen bedeutet die Krise des anderen, so dass eine wahrhaftige Tröstung immer beide umfassen muss: die persönliche Lebensgeschichte und die universale Weltgeschichte. Indem aber die Gottesreden von dem durch Ijob geleugneten universalen Sinn sprechen und ihm zeigen, wie weit der Horizont reicht, in dem Gott schöpferisch und erhaltend tätig ist, geben sie seinem persönlichen Leiden einen Platz in diesem Gefüge zurück.20 Als Glied der Schöpfung sind der Einzelmensch und seine persönliche Geschichte in eine universale Heilsgeschichte gestellt. Das Leid ist damit nicht aus der Welt geschafft, wohl aber ist es der Erlösertätigkeit Gottes zugeordnet. Damit korrigieren die Gottesreden sowohl den Fragesteller Ijob als auch die Fragestellung Ijobs, der – fixiert auf die eigene Unschuld vor Gott – nur auf das Funktionieren einer im Sinn der distributiven Vergeltung gerechten Weltordnung ausgerichtet ist, dabei aber nicht in Rechnung stellt, welche Gegenkräfte in der Schöpfung walten, die auch den Frommen in Mitleidenschaft ziehen und die überwunden werden müssen, damit die Welt nicht dem Bösen anheimfällt und die Schöpfung des Anfangs (Gen 1,1-2,4a) bleibende Gültigkeit hat. So packen also die Gottesreden das Problem an der Wurzel: Indem sie dem von Ijob behaupteten Nicht-Sinn die Gerechtig-

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Vgl. Th. Mende, Das Buch Ijob, Bd. 2 (s. Anm. 2), 289.

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keits- bzw. Heilsordnung Gottes entgegensetzen,21 geben sie ihm seinen Platz in Gottes Heilsführung zurück. Gott begegnet also nicht, wie Ijob geglaubt hat, dem Menschen als seinem Geschöpf in Feindschaft, sondern steht in letzter Treue und ohne jeden Hintersinn zu seiner Schöpfung und deren Erlösung.

Ijob: getröstet in der Gottesschau Am Ende der ersten Gottesrede fordert Jahwe in Kap. 40,1-2 Ijob explizit zu einer Stellungnahme heraus und öffnet diesem den Blick für das Ungeheuerliche seiner Selbstüberhebung zum Richter über Gott: „Da antwortete der Herr dem Ijob und sprach: Mit dem Allmächtigen will der Tadler rechten? Der Gott anklagt, antworte drauf!“ Ijob antwortet mit einem Schuldbekenntnis; denn angesichts der Tatsache, dass Gott ihm die Augen geöffnet hat für seine heilvolle Führung hinter der Gebrochenheit der Schöpfung – nichts anderes bedeutet ja Gerechtigkeit Gottes –, erkennt Ijob seine Blindheit und auch seine Anmaßung im Streit mit Gott. So nimmt er seine Rede zurück, aber nicht als Kapitulation vor einem überlegenen Gegner, sondern als ein von Gott zu neuem Glauben Befreiter und Aufgerichteter.

21 Der Begriff „Gerechtigkeit“ fungiert im alten Orient als ein Ordnungsbegriff. Gemeint ist die Ordnung, nach der sich Kosmos und Natur entfalten. Auf Jahwe bezogen gewinnt diese Vorstellung von einer Welt, die in einer Ordnung steht, geschichtliche Dimension. Gemeint ist der Sachverhalt einer Heilsordnung, aufgrund derer Jahwe seine Schöpfung zur Vollendung führt.

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40 3Da antwortete Ijob dem Herrn und sprach: 4Siehe, ich bin zu gering. Was kann ich dir erwidern? Ich lege meine Hand auf meinen Mund. 5Einmal habe ich geredet, ich tu es nicht wieder, ein zweites Mal, doch nun nicht mehr.

Die Antwort „Ich bin zu gering, was kann ich dir erwidern“ (V.4a) entspricht hier und an anderer Stelle im Alten Testament der Reaktion von Menschen, die sich in der Begegnung mit dem wahren Gott ihrer Kleinheit bewusst werden. Gott hat Ijob zwar an seine menschlichen Grenzen geführt, aber nicht um ihn hilflos dort stehen zu lassen, sondern um ihn zu weiterer Einsicht zu führen. Aus diesem Grund ist Ijob auch entschlossen, seinen bisherigen Weg nicht mehr weiter zu verfolgen und distanziert sich ausdrücklich von der Anmaßung seiner Reden und seiner verblendeten Selbstsicherheit vor Gott. In seiner Antwort auf die zweite Gottesrede in Kap. 42,1-6 geht Ijob noch einen Schritt weiter und bekennt, infolge der an ihn ergangenen Belehrung die wahre Gestalt Gottes geschaut zu haben. 42 1Da antwortete Ijob dem Herrn und sprach: 2Ich hab’ erkannt, dass du alles vermagst; kein Vorhaben ist dir verwehrt. 3Wer ist es, der den Rat verdunkelt ohne Einsicht? So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, die zu wunderbar und unbegreiflich für mich sind. 4Hör doch, ich will nun reden, ich will dich fragen, du belehre mich! 5Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. 6Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub und Asche.

Ijob formuliert einen Widerruf, aber nicht aus der Position der Niederlage heraus, sondern aus der überwältigenden Erfahrung der Nähe Gottes. Am Anfang steht 42

ein Bekenntnis Ijobs zu Gottes Allmacht und Weisheit, für die es kein „unmöglich“ gibt und die einem Plan folgen, zu dem der Mensch durchaus Zugang finden kann. Danach legt Ijob ein ausdrückliches Schuldbekenntnis ab und bekennt, dass sein bisheriges Reden Ausdruck eines Nichtwissens war. Was genau gemeint ist, deutet V.5 aus: „Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen“, das heißt, er hat von Gott nur gewusst, was Menschen über ihn zu wissen glauben, aber erst in der persönlichen Begegnung mit Gott hat er ihn „geschaut “. Von Bedeutung ist zunächst, dass Ijob „geschaut“ und nicht „durchschaut“ hat. Er hat keine letzte Einsicht in den Schöpfungsplan Gottes erhalten, der ihm den Schlüssel für die Erklärung des Leidens in der Welt böte. Nicht weil Gott dem Menschen ein solches Wissen eifersüchtig vorenthält, sondern weil dies ein Wissen ist, das allein dem Schöpfergott eignet. Was aber hat Ijob dann geschaut? Kurzgefasst: Gottes Anwesenheit im Geschichtsverlauf, nämlich dass Gott in der durch die Ursünde gebrochenen und daher im Zeichen des Gerichtes stehenden Schöpfung als ihr Erhalter und ihr Erlöser gegenwärtig ist. Mit dieser Einsicht hat Ijob seine Auffassung, dass Gott ihm in der Maske des Feindes entgegen kommt, endgültig widerrufen und hinter sich gelassen: „Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub und Asche.“ (V.6) Was genau widerruft Ijob? Nun – die Auffassung, dass sich an seinem Ergehen der Weltenlauf bemesse, sowie die Folgerung, dass dann, wenn er leide, die ganze Welt ein Chaos und Gott ihr Feind sei. Der Ernst des Widerrufs wird dadurch unterstrichen, dass er in „Staub und Asche“ geschieht, nach der Rahmenerzählung eine Um43

schreibung seiner Situation als Leidender (vgl. 2,8: „Ijob setzte sich mitten in die Asche und nahm eine Scherbe, um sich damit zu schaben“). Ijob ändert also seine Einstellung, noch während er in Staub und Asche, im Elend, sitzt. Er verwirft also seine Ansichten nicht, weil er gesund geworden ist und widerlegt damit den Satan als Widersacher Gottes und des Menschen, der nach Auskunft der Rahmenerzählung von dem frommen Dulder Ijob geargwöhnt hat, dass sein Glaube lediglich die Erfüllung eines Vertrags mit Gott ist (vgl. 1,9-11; 2,4-5).22 Nachdem Jahwe zu Ijob gesprochen und dieser geantwortet hat, wendet sich Jahwe den Freunden zu, die wie Ijob aus Gottes Mund ihr Urteil entgegen nehmen müssen. Zweimal werden ihre Reden ausdrücklich als falsch, die des Ijob aber als richtig bezeichnet (42,7f.), denn die Freunde haben mit ihrer starren Vergeltungslehre die Gerechtigkeit Gottes sowie seinen Schöpfungsund Geschichtsplan verblassen lassen, sie haben ein Gottesbild vertreten, das angesichts der aktuellen Notsituation Ijobs keinen Bestand hat und das auch dem Glauben des leidenden Menschen keinen Bestand verleiht, während Ijob ungeachtet seiner Grenzüberschreitung in der Anklage Gottes dennoch eine aufrichtige Gottsuche an den Tag gelegt hat. Erst nach seiner Kehrtwende wird Ijob wiederhergestellt. Alle Güter und Segensgaben erhält er doppelt zurück, dazu Kinder und soziale Anerkennung. Im Ergebnis scheint alles wie zuvor. Und doch ist alles ganz anders, denn obwohl es sich um eine irdische Wiederherstellung Ijobs handelt, besitzt sie eine eschatologische Dimension. Sie weist nämlich darauf hin, dass Gott willens und mächtig ist, den Sieg des Guten einmal endgültig herbeizuführen und alles Lebensfeindliche zu beseitigen. Vgl. hierzu Th. Mende, Das Buch Ijob, Bd. 2 (s. Anm. 2), 294f. 22

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Mit dieser Richtigstellung könnte es sein Bewenden haben. Doch auch hier erweist sich Gottes Gerechtigkeit als Heil bringend, denn die Freunde Ijobs sollen ein Sühnopfer (Num 23,1) darbringen. Ijob wird in diesem Geschehen von Gott neu als „sein Knecht“ (vgl. 1,8; 2,3) in Dienst genommen: Er soll nämlich fürbittend und sühnend für die Freunde eintreten, um den Zorn Gottes von ihnen abzuwenden. Diejenigen also, die – von Gott in ihrer Verkehrtheit getadelt – nach ihrer eigenen Lehre die Verurteilung verdient hätten, werden gerettet durch den, dem sie das Gericht Gottes in Aussicht gestellt hatten. Damit schließt die Gerechtigkeit Gottes die Versöhnung der Menschen untereinander und mit Gott ein, die er durch Ijob, dem er die Rolle des Mittlers und Fürsprechers zugedacht hat, anbietet. So steht Ijob am Ende seines Weges nahe an dem Ort, von dem das Drama des ihm aufgebürdeten Leidensweges seinen Ausgang nahm. Er ist der vorbildlich Fromme, der für andere Opfer darbringt. So wie er eingangs diesbezüglich für seine Kinder Sorge trug, so tritt er jetzt am Ende für seine Freunde ein (1,5; 42,8). Weiterhin ist im Kontext der gesamtbiblischen Offenbarung auch zu bedenken, dass mit dem Hinweis auf den Sühnegedanken Ijobs Leiden einen tieferen Sinn erhält. Ijob musste durch die Not unverdienter Leiden hindurchgehen, um als wahrer Gotteszeuge Sühne leisten zu können für jene, die ihre Aufgabe der Zeugenschaft für Gott verraten haben. So wächst also mit dem Sühnegedanken die Gestalt des leidenden Gottesknechtes Ijob aus christlicher Perspektive über sich selbst hinaus und wird in der Gesamtperspektive der zwei-einen Bibel zum Zeugen Jesu Christi, zum Hinweis auf den leidenden Gottes45

knecht der neutestamentlichen Botschaft von Gottes Gerechtigkeit und Heil.

Folgerungen An Ijob sehen wir, dass der Mensch – anders als das Tier – Leid nicht nur erleidet, sondern ihm gegenübertritt und nach seinem Grund und Sinn fragt. Auch der gläubige und gottergebene Mensch wird auf Dauer unter der Last seiner Leiden nicht schweigen und die Frage nach seinem Grund und Zweck stellen. In seiner Enzyklika Salvifici Doloris über den christlichen Sinn des menschlichen Leidens schreibt Papst Johannes Paul II. hierzu: „In jedem einzelnen Leiden, das der Mensch erfährt, und zugleich an der Wurzel der gesamten Welt der Leiden taucht unvermeidlich die Frage auf: Warum? Es ist eine Frage nach der Ursache und dem Grund, eine Frage nach dem Zweck (wozu?) und letztlich immer eine Frage nach dem Sinn. Sie begleitet nicht nur das menschliche Leiden, sondern scheint geradezu seinen menschlichen Inhalt zu bestimmen, das nämlich, wodurch das Leiden zum menschlichen Leiden wird. Natürlich ist der Schmerz, besonders der körperliche, auch in der Tierwelt weit verbreitet. Doch nur der Mensch weiß im Leiden, daß er leidet, und fragt sich: warum?“ (III,9) Die Frage nach dem Warum des Leidens ist nichts Verwerfliches, sondern eine spezifische Weise der Bewältigung von Leid und der Suche nach einem Sinn. Dies kann aber nur gelingen, wenn der Mensch seine Warumfrage nicht ins Leere schreit, sondern sie wie Ijob an den Gott richtet, der als Schöpfer und Herr der Ge46

schichte die Welt auch des Leidenden umgreift. In diesem Sinn schreibt der Papst weiter: „Der Mensch darf diese Frage an Gott richten mit aller Leidenschaftlichkeit seines Herzens und aller Betroffenheit seines beunruhigten Verstandes; Gott erwartet diese Frage und hört sie an, wie wir an der Offenbarung des Alten Testamentes sehen können. Im Buch Ijob hat die Frage ihren lebendigen Ausdruck gefunden.“ (III,10) An den Freunden Ijobs wird die Versuchung sichtbar, Leiden zu erklären, einzuordnen in Gottes Plan, es in seiner Belastung für den Menschen und seinen Glauben zu neutralisieren. Darum versagen sie Ijob den geduldigen Dialog, das Hinhören auf seine geistige Not. Weil sie aber in ihrer objektivierenden Rede über Gott scheinbar einen Schlüssel zur Leiderklärung anbietet, hat die Theologie der Freunde Ijobs über das Buch Ijob hinaus eine große Wirkung für den Umgang mit Kranken allgemein erhalten, und Ratgeber für die Krankenpastoral beinhalten oft genug Aussagen, die denen der Freunde Ijobs nicht fernstehen: „Der Kranke soll die Erkenntnis gewinnen, daß er ein Sünder ist, der die Strafe Gottes verdient hat. […] Gott läßt Sie jetzt Erfahrungen machen, um die wir sie nachher beneiden werden. […] Wenn wir dem Bauherrn der Welt vertrauen […], merken wir, dass jeder sein Dunkel braucht. Allgemein heißt es, dass Menschen, Tiere und Pflanzen zum Gedeihen viel Sonne nötig haben, was auch wahr ist. Aber wenn wir wüßten, wie sehr die Natur für ihre Lebewesen die dunklen Nächte braucht, wären wir erstaunt. Ohne helles

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Licht kann die Welt nicht sein, aber ohne Dunkel bliebe sie auch nicht bestehen. Nur Sonne macht Wüste.“23 In einer Welt, die als ganze aus der Linie der gottgewollten Entfaltung herausgefallen ist (vgl. das Sündenfallgeschehen in Gen 3,1-19), gibt es sicherlich auch einen Zusammenhang zwischen Leid und Schuld, der manchmal mehr (Kriegstreiben, lasterhaftes Leben u.a.), oft genug aber weniger evident ist. Wenn jedoch ein leidender Mensch seine Krankheit in seine Lebens- und Schuldgeschichte einordnen will und in seinem Leid eine Botschaft von Gott entdeckt (vgl. Ps 38), so ist ihm darin zu folgen und ihm entsprechende Hilfe im Glauben anzubieten (etwa das Beten von Bußpsalmen). Keineswegs aber darf in der Ansprache an einen Kranken ein Zusammenhang zwischen Leid und Schuld einfach von außen her behauptet und damit die Not des Kranken vergrößert werden. Die Bibel jedenfalls geht nicht den Weg, kasuistisch festzustellen, von welcher Einzelschuld etwa der Aussatz, die Blindheit oder anderes herrühren, sondern stellt die Schöpfungswidrigkeit des Leidens heraus und betont die Heilerabsicht Gottes (vgl. Ex 15,26; Joh 9,1-12). Mit der Heiligen Schrift und dem Buch Ijob im Besonderen ist aber auch festzuhalten, dass es für den Lebensweg des Menschen durch eine Welt, die unter dem Einfluss der Macht des Bösen steht, keinen Weg am Leid vorbei gibt. „Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen“ bekennt Paulus in Apg 14,22 und greift damit auch die Auskunft über die Leidenspädagogik Gottes nach den Elihureden im Buch Ijob auf. Ein sol23 J. Brenning u.a., Leid und Krankheit im Spiegel religiöser Traktatliteratur, in: Theologia Practica 7 (1972) 302-315.

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cher, dem Frommen zur Läuterung auferlegter Leidensweg vollzieht sich aufgrund der Schöpferliebe Gottes (Weish 11,26: „Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens“) und vor allem der Menschwerdung des Logos in Jesus Christus, in dem sich die Gerechtigkeit Gottes vollendet (Röm 3,25f.; vgl. 1,7; 8,3), nicht in Gottferne, sondern in Schicksalsgemeinschaft mit Gott als Erlöser. Darum kann nach dem Zeugnis des Neuen Testaments Paulus die Frohbotschaft für den Leidenden als Trost, der zum Leben führt, verkünden: „Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Wohin wir auch kommen, tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird.“ (2 Kor 4,8-10)

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WERNER SCHÜSSLER

Hiob – philosophisch gespiegelt 1. Das philosophische Theodizeeproblem: eine Hinführung „Wenn immer sich in unserer Zeit eine Tragödie oder Naturkatastrophe ereignet, können wir sicher sein, auf eine Gruppe von Männern oder Frauen zu stoßen, die handgemalte Transparente mit dem bedeutungsschwangeren Wort ‚Warum?‘ in die Höhe halten. Diese Menschen sind nicht auf der Suche nach faktischen Erklärungen. Sie wissen sehr gut, dass Erdbeben durch plattentektonische Prozesse tief im Erdinneren ausgelöst werden oder dass der Mord die Tat eines Serienkillers war, der zu früh aus der Haft entlassen wurde. ‚Warum?‘ heißt nicht: ‚Was war die Ursache?‘ Es ist mehr Klage als Frage. Ein Protest gegen einen quälenden Mangel an Logik in der Welt. Eine Reaktion auf eine offenbar rohe Sinnlosigkeit der Dinge.“ Mit diesen Worten leitet Terry Eagleton das dritte und letzte Kapitel seines lesenswerten Buches über Das Böse ein, das die Überschrift trägt „Hiobs Tröster“.1 Diese Hiobsfrage, die sich hier artikuliert, stellt sich, seit es Menschen gibt. Mythos, Kunst, Literatur, Religion, Philosophie, Einzelwissenschaften – sie alle haben durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder versucht, 1

T. Eagleton, Das Böse, Berlin 2012, 161.

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eine Antwort auf diese brennendste aller Menschheitsfragen zu geben.2 Bis heute ist diese Frage nicht verstummt, rührt sie doch letztlich an das tiefste Geheimnis des Seins. „Warum, Gott,“ so hat es der bekannte Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini einmal formuliert, „warum, Gott, zum Heil die fürchterlichen Umwege, das Leid der Unschuldigen, die Schuld?“3 Seit der große deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) sein bekanntes Werk gleichen Titels veröffentlicht hat,4 ist diese Fragestellung auch bekannt unter dem Stichwort „Theodizee“. Abgeleitet vom Griechischen „theos“ (Gott) und „dike“ (Rechtfertigung) geht es bei der Theodizee um die Frage, wie die Vorstellung eines vollkommenen, d.h. allgütigen und allmächtigen Gottes mit der Erfahrung von Unheil und Bösem in der Welt zu vereinbaren ist, ist letztere doch, wie Georg Büchner in seinem Drama „Dantons Tod“ zu Recht sagt, der „Fels des Atheismus“. Aber es gibt auch gegenteilige Beispiele, dass nämlich Menschen trotz der Erfahrung unermesslichen Leids ihren Gottesglauben nicht Vgl. dazu W. Schüßler / M. Röbel (Hg.), HIOB – transdisziplinär. Seine Bedeutung in Theologie und Philosophie, Kunst und Literatur, Lebenspraxis und Spiritualität (= Herausforderung Theodizee: Transdisziplinäre Studien, hg. von W. Schüßler u. H.-G. Janßen, Bd. 3), Münster/Berlin 2013; W. Schüßler / C. Görgen, Gott und die Frage nach dem Bösen. Philosophische Spurensuche: Augustin – Scheler – Jaspers – Jonas – Tillich – Frankl (= Herausforderung Theodizee: Transdisziplinäre Studien, hg. von W. Schüßler u. H.-G. Janßen, Bd. 1), Berlin 2011. 3 Zit. nach E. Biser, Interpretation und Veränderung, Paderborn 1979, 132f. 4 G. W. Leibniz, Die Theodizee von der Güte Gottes, der Freiheit des Menschen und dem Ursprung des Übels (1710), hg. von H. Herring, Darmstadt 1985. 2

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aufgegeben haben; und eine solche Haltung begegnet uns auch in der Gestalt des Hiob aus dem gleichnamigen biblischen Buch. Schaut man sich die Geschichte der Philosophie an, so findet sich hier nicht „die“ Lösung des Theodizeeproblems. Vielmehr reihen sich Versuche des Umgangs mit diesem merkwürdigen Phänomen, auf das man von verschiedenen Zusammenhängen her immer wieder stößt, zu einem nicht homogenen, unfertigen Ganzen aneinander. Dass Philosophie zu keiner einheitlichen Antwort auf diese Frage findet, liegt daran, dass es ihr immer um die Prinzipien geht, d.h. um die letzten Voraussetzungen von allem. Diese Prinzipien sind selbst aber nicht mehr zu begründen, können rational nicht mehr eingeholt werden; sie sind letztlich Sache der Entscheidung, aber keiner willkürlichen, steht doch hier die Frage im Hintergrund: Welcher Weltdeutung will ich mich anschließen – einer, wo die Teleologie eine zentrale Rolle spielt oder einer, wo die Dysteleologie Prinzip des Kosmos ist? Was die verschiedenen Antworten der Philosophie in Bezug auf die Theodizeefrage miteinander verbindet, ist, dass sie Gründe für sich haben, sie also nicht irrational sind, sondern „be-gründet“, und das heißt: vernünftig, rational sind, selbst dann, wenn eine Antwort auf diese Frage – aus philosophischen Gründen – abgewiesen wird. Bei allem Fortschritt in Einzelwissenschaft und Technik ist das Unheil und Böse in der Welt nicht weniger geworden – ganz im Gegenteil! Im 20. Jahrhundert scheint die Theodizeefrage drängender denn je geworden zu sein, denken wir nur an die Grauen der beiden Weltkriege, den Holocaust, an das Morden in Ruanda oder auf dem Balkan, an den 11. September 2001 oder den 53

derzeitigen weltweiten Terrorismus! Diese Beispiele, die beliebig vermehrt werden könnten, wenn man sich die Geschichte der Menschheit anschaut, machen deutlich, dass keine Aufklärung und keine Pädagogik es vermag, den Menschen auf den unaufhaltsamen Weg zu fortschreitender sittlicher Besserung zu führen. Wo Freiheit herrscht, greift das einfache Fortschrittsschema nicht, gehört dieses doch zum technischen Weltbegriff. Wenn sich auch Fortschritt in Bezug auf die Inhalte der Moral und im Grade der moralischen Erziehung findet, so bleibt der moralische Akt immer gleich. Philosophie fragt bis auf die Wurzeln, sie fragt „radikal“. In Bezug auf unsere Frage heißt dies: Sie fragt nach dem letzten Grund und Wesen von Unheil und Bösem. Damit ist diese Frage immer auch schon bezogen auf das erste Prinzip, religiös gesprochen auf Gott. Selbst wenn man theologisch an der Existenz des Teufels festhält, so ist dieser keine letzte Antwort auf unsere Frage, denn der Teufel ist ja – mythologisch gesprochen – ein gefallenes Geschöpf und kein Gegengott. Das heißt, es bleibt die Frage offen, woher denn der Teufel kommt. Oder man begnügt sich mit einer dualistischen Weltsicht, der zufolge es neben dem göttlichen Prinzip ein dunkles, gegengöttliches Prinzip gibt. Eine solche Antwort führt aber in mehr Probleme hinein, als sie zu lösen vorgibt. Der Manichäismus oder manche Formen der Gnosis greifen auf eine solche Denkfigur zurück. Laktanz (250-325) hat uns den folgenden Text überliefert, der das Problem der Theodizee auf den Punkt bringt: „Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht, oder er kann es und will es nicht, oder er kann es nicht und will es nicht, oder er kann es und will 54

es. Wenn er nun will und nicht kann, so ist er schwach, was auf Gott nicht zutrifft. Wenn er kann und nicht will, dann ist er missgünstig, was ebenfalls Gott fremd ist. Wenn er nicht will und nicht kann, dann ist er sowohl missgünstig als auch schwach und dann auch nicht Gott. Wenn er aber will und kann, was allein sich für Gott ziemt, woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht weg?“5 Atheisten haben aus der Existenz von Unheil und Bösem in der Welt auf die Nicht-Existenz Gottes geschlossen, mit der Begründung, dass im anderen Fall Gott Unheil und Böses verhindern müsse, weil er ja allgütig und allmächtig sei. In seiner Summa theologiae6 diskutiert der heilige Thomas von Aquin genau dieses Problem, kommt aber zu einem entgegen gesetzten Ergebnis: Wenn das Übel existiert, gibt es Gott.7 War Thomas etwa realitätsfern? Leibniz hat einige Jahrhunderte später noch in derselben Richtung gesagt, dass wir in der „besten aller möglichen Welten“, im mundus optimus lebten, und er hat das auch zu begründen versucht. Sind das Aussprüche „hinterweltlerischer“ Metaphysiker – um mit Nietzsche zu sprechen? Jedenfalls kommen uns solche Behauptungen heute nicht mehr so leicht über die Lippen. An dieser Stelle sei dazu nur soviel angedeutet: Zwischen Gut und Böse muss trotz allem ein eigenartig beziehungsreiches Verhältnis bestehen. Denn wie anders sollten wir das Übel als Übel erkennen, wenn wir nicht einen Maßstab in uns hätten, der uns diese Einsicht überLaktanz, De ira Dei 13, 20f. Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae I, 2, 3, obi. 1. 7 Vgl. Thomas von Aquin, Summa contra Gentiles III 71. 5 6

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haupt erst ermöglicht? Und dieser Maßstab kann nur das Gute sein. Wenn wir das Gute mit dem Göttlichen in Beziehung setzen, dann wird sofort deutlich, dass die Aussage des Thomas nicht ganz so absurd zu sein scheint, wie es vielleicht auf den ersten Blick hin aussehen mag. Augustins sog. Privationslehre wird das weiter erhellen. Wir haben zwischen Unheil und Bösem unterschieden; das soll noch etwas näher erläutert werden. Unter Unheil wird in der Regel das physische oder natürliche Übel (lat.: malum physicum) verstanden, wie unabwendbare Krankheiten, Seuchen und Naturkatastrophen; unter dem Bösen das moralische Übel (lat.: malum morale) oder religiös gesprochen die Sünde, also alles das, was auf unmoralisch-schuldhaftes Handeln des Menschen zurückgeht und mit seiner Freiheit zu tun hat, wie Hass, Grausamkeit, Neid, Habgier, Mord, Folter, Selbstsucht usw. Welches dieser Übel schwieriger zu ertragen ist, kann wohl kaum entschieden werden. Aber oft erscheint uns das, was Menschen Menschen zufügen, schmerzlicher als das, was uns die „Natur“ zufügt. Eines jedoch haben beide Formen der Übel gemeinsam: Sie werden beide erlebt als etwas, das nicht sein sollte, können wir doch oft nicht einsehen, welchen Zweck sie erfüllen. Und was für uns keinen Zweck hat, das scheint auf den ersten Blick eben sinnlos zu sein. Allerdings ist die Verwobenheit dieser beiden Formen von Übeln oft nur sehr schwer zu entwirren; denken wir zum Beispiel an den Klimawandel. Dass moralisches Übel in der Regel physisches und/oder psychisches Leid bewirkt, braucht nicht eigens betont zu werden. Ein gewisses Maß an Leid und Schmerz ist immer schon mit dem Weltsein gegeben. C. S. Lewis meint da56

zu: „Sogar wenn ein Kieselstein da liegt, wo ich möchte, dann kann er nicht da liegen, wo du möchtest; es sei denn, wir hätten denselben Wunsch.“8 Und doch spüren wir sofort, dass es sich hier um eine andere Art von Leid handelt, als wenn Menschen durch einen Unfall oder durch andere Menschen schweres Leid erfahren. Ohne Frage ist auch manches Leid gerechtfertigt; dazu zählen z.B. Schmerzen im Sinne einer Warnfunktion. Und manche Menschen suchen geradezu bestimmte Formen von Leid, die sie für unerlässlich halten in Bezug auf ein intensives Leben, denken wir beispielsweise an Extremsportarten. Daneben finden sich aber auch Leiden, die nicht mehr zu rechtfertigen sind, wie z.B. unsinnige Schmerzen nach Verbrennungen oder unsinnige Qualen, die Menschen durch andere Menschen erleiden. Es gibt genügend Beispiele hierfür. Das heißt, das bloße Vorhandensein von Leid mag ja noch mit der Existenz eines allmächtigen und allgütigen Gottes vereinbar sein, aber es stellt sich die Frage, ob das Leben einer solchen Fülle an Leid bedarf. Damit wird auch schon deutlich, dass eine Naturkatastrophe als solche noch kein Übel ist; sie wird erst da zu einem Übel, wo empfindungsfähige Wesen berührt werden. Dass der Mensch – gegenüber den Tieren – dasjenige Lebewesen ist, das ein Höchstmaß an Leid erfahren kann, was sich in Phänomenen wie Angst oder auch Trauer niederschlägt oder auch im Sich-Sorgen um die Zukunft, ist dabei wohl kaum in Abrede zu stellen. Bleibt noch die Frage, ob der Tod ein Übel ist. Nicht selten wird dieser als das Übel schlechthin angesehen. Es ist keine Frage, dass der Tod eines geliebten Menschen 8

C. S. Lewis, Über den Schmerz, Olten 1954, 38.

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Trauer verursacht und so ein Übel darstellt. Und ohne Frage kann man auch die Angst vor dem Tod oder vor dem Leid, das mit dem Sterben verbunden sein kann, als ein Übel ansehen. Aber die Endlichkeit irdischen Lebens schon als solche als ein Übel anzusehen, scheint mehr als fraglich. Viktor E. Frankl erklärt dazu: „Wäre unser Dasein zeitlich unbegrenzt, so könnten wir mit Recht jede einzelne Handlung beliebig hinausschieben, es käme nie darauf an, sie eben jetzt zu tun, denn sie könnte geradesogut morgen oder übermorgen oder in hundert Jahren geschehen. Gerade die Tatsache einer letzten Grenze des Lebens, also der Handlungsmöglichkeit, ist es ja, die uns zwingt, die Zeit auszunützen und eine Handlungsgelegenheit nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. Es ist also gerade der Tod, der so dem Leben und unserem Dasein als etwas Einmaligem Sinn verleiht.“9 Im Folgenden möchte ich in einem ersten Schritt Antworten auf die Theodizeefrage aus der griechischen Philosophie vorstellen, um dann in einem zweiten solche unter christlichem Vorzeichen am Beispiel von Augustinus und Leibniz darzulegen. In einem dritten Schritt will ich vier Denker vorstellen, die ihre eigene philosophische Position im Hiobbuch allegorisch ausgedrückt sehen: Immanuel Kant, Karl Jaspers, Viktor E. Frankl und Paul Ricœur. In einem vierten und letzten Punkt ziehe ich ein kurzes Resümee.

V. E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse, München 1987, 24.

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2. Antworten aus der griechischen Philosophie Schon vor Platon haben Philosophen versucht, eine Antwort auf die Theodizeefrage zu geben. Es handelt sich hierbei um erste tastende Versuche, die dem Phänomen aber nur bedingt gerecht werden. So versteht beispielsweise Heraklit von Ephesos (540-480 v.Chr.) das Weltganze im Sinne einer Harmonie, die dem endlichen Menschen verborgen bleibt, ein Gedanke, der später immer wieder aufgegriffen wird. Oder Empedokles von Akragas (492-432 v.Chr.) nimmt zwei Grundprinzipien an: Unter dem Namen „Hass“ (griech.: neikos) hält er ein radikal Böses für gleich ursprünglich mit der „Liebe“ (griech.: philotes). Bestand im vorweltlichen Urzustand Harmonie unter der Herrschaft der Liebe, so herrscht in der jetzigen Weltzeit ein Gegensatz von Liebe und Hass vor. Die Herkunft der menschlichen Übel deutet er als Strafe für eine Urschuld. Für Demokrit (460-371 v.Chr.) sind demgegenüber die Leiden keine Strafen, und er kennt auch kein böses Grundprinzip. Vielmehr haben sich ihm zufolge die Menschen alle Übel selbst zuzuschreiben, wobei der Grund hierfür in ihrer Unvernunft zu suchen ist. Es ist Platon (428-348 v.Chr.), der als erster das Theodizeeproblem in seiner ganzen Tiefe erfasst hat. Allerdings ist seine Antwort auf diese Frage nicht einheitlich. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur auf zwei Aspekte aufmerksam machen. Die platonische Kosmogonie im späten Dialog Timaios gibt eine mögliche Antwort auf diese Frage, wenn hier davon gesprochen wird, dass dem Demiurgen, dem göttlichen Urheber des Kosmos, als Unterlage für sein weltschaffendes Handeln das „Notwendige“ (griech.: ananke) vorausgehe, und mit diesem 59

bringt Platon das Übel in Zusammenhang.10 Sachlich erinnert dieses „Notwendige“ in vielem an die aristotelische hyle, die erste, ungeformte Materie. Und im Zusammenhang mit der Frage nach dem moralischen Übel nennt Platon in der Politeia, seiner umfangreichen Schrift über den Staat, die Leiblichkeit des Menschen selbst schon ein Übel.11 Während bei Aristoteles (384-322 v.Chr.) die Frage der Theodizee in den Hintergrund tritt, geht es bei den Stoikern und Epikureern, bei aller Gegensätzlichkeit, wesentlich um die Begründung einer Ethik der Leidvermeidung. Der wichtigste Neuplatoniker Plotin (204-270), der sich den Vorgaben Platons anschließt, hat diesem Problem eine eigene Schrift gewidmet,12 in der er das Übel mit der ganz formlosen Materie, also dem in der Seinsordnung Untersten, identifiziert und diese als Mangel (griech.: steresis; lat.: privatio) an Gutem begreift.13 Hier liegt der erste Versuch vor, das Übel durch seine Bezogenheit auf das Gute zu bestimmen. Plotins Theodizee gibt ohne Zweifel die ideengeschichtliche Basis für alle nachfolgenden christlichen wie nichtchristlichen Platoniker ab. Zwei entscheidende Unterschiede zu späteren christlichen Denkern dürfen allerdings nicht übersehen werden: Durch die Lehre von der creatio ex nihilo, der Schöpfung aus dem Nichts, wird im christlichen Denken selbst der ersten ungeformten Materie das Gutsein zugesprochen, denn was von dem absolut guten Gott stammt, kann immer nur gut und nicht Vgl. Platon, Timaios 42 a. Vgl. Platon, Politeia 611 c. 12 Vgl. Plotin, Enneade I 8. 13 Vgl. ebd., I 8, 1, 17. 10 11

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ein Übel sein. Und es kommt im Christentum noch eine weitere Akzentuierung hinzu, die das Theodizeeproblem noch einmal verschärft: Der christliche Gott ist ein Gott der Liebe im Sinne der neutestamentlichen agape. Ein solcher Gedanke war griechischem Denken völlig fremd, bedeutet eros, der umfassende Begriff für Liebe bei den Griechen, doch nach platonischem Verständnis Bedürftigkeit.14 Gott aber ist unbedürftig, er ist vielmehr die Fülle selbst. Hier stellt sich aber nun die folgende Frage: Wie aber kann ein Gott der Liebe auch nur zulassen, dass ein einziges unschuldiges Kind leidet und stirbt? Das ist nicht nur die entscheidende Frage Dostojewskis in seinem Roman „Die Brüder Karamasow“. Das heißt, die Theodizeefrage stellt sich nicht erst bei einem so entsetzlichen Geschehen, wie es mit dem Namen „Auschwitz“ verbunden ist, sondern sie stellt sich prinzipiell, gehört doch Leid notwendig zum Leben dazu.

3. Philosophische Antworten unter christlichem Vorzeichen: von Augustinus zu Leibniz Augustinus (354-430) ist der erste, der auf die durch die beiden genannten christlichen Prämissen veränderte Ausgangssituation mit begrifflichen Mitteln zu antworten suchte, war es doch jetzt nicht mehr möglich, das Übel mit der ersten ungeformten Materie in Verbindung zu bringen, da alles, was Gott geschaffen hat, von Natur aus gut sein muss, würde es doch im anderen Fall auf den 14

Vgl. Platon, Symposion 203d-e.

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Schöpfer selbst zurückfallen. Doch bevor Augustinus hierauf mit der sog. Privationslehre eine befriedigende Antwort vorgelegt hat, gehörte er neun Jahre den Manichäern an. Der materialistische Dualismus dieser Lehre schien ihm wohl eine befriedigende Lösung der Theodizeefrage zu bieten. Denn wenn man zwei Urwesen, ein gutes und ein böses Prinzip, annimmt, wie das der Manichäismus lehrt, dann hat man das Theodizeeproblem wirklich „gelöst“, fällt doch jetzt alles Übel auf das böse Prinzip zurück. Und es kommt noch ein weiterer Vorteil hinzu, bedeutet doch diese Lehre vor allem auch eine große Entlastung des eigenen Gewissens. Augustinus konnte jetzt glauben, dass nicht er es ist, der da sündigt, sondern dass es eine andere Natur in ihm ist, die sündigt, und damit war er selbst nicht schuldig.15 In Buch VII der Confessiones, das vornehmlich dem Problem des Übels gewidmet ist, macht Augustinus die Problemsituation noch einmal deutlich, wenn es hier heißt: „Sieh, da ist Gott, und sieh, da ist das, was Gott erschaffen hat. Gott ist gut, und er überragt voller Kraft und bei weitem dies alles. Und doch hat er, da er gut war, dieses Gute erschaffen, und sieh, wie er es umgibt und ausfüllt – aber wo ist dann das Übel? Woher stammt es, und wie ist es hier eingedrungen? Was ist seine Wurzel oder sein Same? Oder existiert es überhaupt nicht? Aber warum fürchten und vermeiden wir etwas, das nicht existiert? Wenn wir es grundlos fürchten, dann ist doch mindestens diese Furcht etwas Übles, weil sie grundlos unser Herz aufjagt und quält. Sie ist ein um so größeres Übel, als es dann das, was wir fürchten, nicht 15

Vgl. Augustinus, Confessiones V, 10, 18; IV, 3, 4.

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gibt und wir es dennoch fürchten. Daher gilt: Entweder existiert das Übel, das wir fürchten, oder das Übel besteht darin, dass wir fürchten. Woher stammt es also, wo doch der gute Gott all diese Dinge gut gemacht hat? Das höhere und höchste Gut hat zwar geringere Güter gemacht, aber der Schöpfer ist dennoch gut, und alles Erschaffene ist gut. Woher das Übel?“ Und Augustinus bekennt: „Solche Gedanken wälzte ich in meinem elenden Herzen. Dabei plagte mich die brennende Sorge, ich könnte sterben, ohne die Wahrheit gefunden zu haben.“16 – Wenn das Übel aber keine Substanz ist, was ist es dann? Denn Augustinus zweifelt ja in keiner Weise an dessen Realität. Um diese Frage zu beantworten, geht Augustinus von der alltäglichen Erfahrung des Übels aus, die dieses als Verderbnis (lat.: corruptio) versteht. Nun besteht aber für Augustinus mit der ganzen platonischen Tradition kein Zweifel darüber, dass das Unverderbbare besser ist als das Verderbbare. Gott ist aber auf der Seite des Unverderbbaren. Demgegenüber wird das Übel gemeinhin im Sinne einer Verderbnis verstanden: „Wo ist das Übel, d.h. woher kommt die Verderbnis selbst?“ „Verderbtwerden“ ist für Augustinus „nicht gut“. Gott ist aber gerade Gott, weil er eine nicht verderbbare Substanz ist.17 Und nun folgt ein Gedankengang, der zwar auf den ersten Blick geradezu paradox erscheint, der aber doch die notwendige Konsequenz dieser Überlegungen darstellt: „Und es wurde mir klar, dass die Dinge, die verderbt werden können, gut sind. Wären sie das höchste Gut, könnten sie nicht verderbt werden, aber auch nicht, 16 17

Ebd., VII, 5, 7. Vgl. ebd., VII, 4, 6.

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wenn sie nicht gut wären. Denn sie wären unverderbbar, wenn sie das höchste Gut wären, und wenn sie überhaupt nichts Gutes hätten, dann gäbe es nichts, das verderbt werden könnte. Es schadet nämlich die Verderbnis. Wenn sie das Gute nicht schmälerte, würde sie nicht schaden. Also schadet die Verderbnis nicht, was unmöglich ist, oder, und das ist gewiss, alles, was verderbt wird, wird des Guten beraubt (omnia, quae corrumpuntur, privantur bono). Wenn aber die Dinge alles Guten beraubt würden, wären sie überhaupt nicht mehr. [...] Folglich sind die Dinge gut, solange sie sind. Folglich ist alles, was ist, gut, und jenes Übel, dessen ‚Woher‘ ich suchte, ist nicht eine Substanz, denn wäre es eine Substanz, wäre es gut.“18 Bei der sog. Privationslehre, die nicht selten missverstanden wird, geht es somit um den Versuch, das Übel ontologisch, d.h. seinsmäßig so zu deuten, dass dadurch nicht das prinzipielle Gutsein der Schöpfung in Frage gestellt ist. Wird das physische wie moralische Übel als Privation, d.h. als Beraubung des Guten (lat.: privatio boni) verstanden, dann ist damit ja nicht dessen Realität geleugnet, wie manche Kritiker fälschlich meinen, sondern nur dessen Substanzcharakter. In diesem Sinne kommt dem Übel immer nur ein parasitärer Charakter zu. Am Beispiel einer Krankheit kann man dies gut verdeutlichen: Wenn der Organismus gesundet ist, ist die Krankheit nicht an einem anderen Ort, sondern sie ist nicht mehr da. Das heißt, das Übel ist selbst nicht etwas Positives, Substanzhaftes – und doch ist es nicht nichts. Der letzte große Verfechter der Privationslehre ist der große deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1746-1816). Neben dem Neologismus „Theodizee“ und 18

Ebd., VII, 12, 18.

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der Einführung des Begriffs des metaphysischen Übels (lat.: malum metaphysicum), worunter er die Unvollkommenheit der Geschöpfe versteht, die diese schon im Zustand der reinen Möglichkeit im göttlichen Verstand haben,19 hat er diesem Fragenkomplex aber noch eine weitere Eigentheorie hinzugefügt, die – vielleicht wie keine andere – die Gemüter immer wieder erhitzt hat, nämlich sein Theorem, wir lebten in „der besten aller möglichen Welten“.20 Die Beweisführung hierfür lässt sich so zusammenfassen: Wäre die bestehende Welt unter allen möglichen nicht die beste, so hätte Gott entweder die beste Welt nicht gekannt oder sie nicht erschaffen wollen oder sie nicht erschaffen können. Da Gott aber die höchste Weisheit, Güte und Macht besitzt, sind alle drei Annahmen unhaltbar. Gott kennt also alle möglichen Welten; seine Güte verlangt von ihm, dass er die beste will; seine Macht erlaubt es ihm, dass er die beste erschaffen kann. Also ist die bestehende Welt die beste aller möglichen Welten. Diese Sicht geht somit vom Gottesbegriff aus, nicht von der Erfahrung von Unheil und Bösem in der Welt, eine Erfahrung, die zur Zeit von Leibniz sicherlich nicht geringer war als heutzutage. Ohne Zweifel kann man gegen diese Argumentation philosophische Gründe ins Feld führen, aber sie kann sicherlich nicht durch Tatsachenfeststellungen erschüttert werden. Und es darf auch nicht übersehen werden, dass zur „besten aller möglichen Welten“ eben auch das Übel dazugehört. Es geht hierbei primär nicht um eine ethische, sondern um eine 19 Vgl. G. W. Leibniz, Die Theodizee (s. Anm. 4), I § 21 (240f./ 241f.). 20 Vgl. ebd., I § 7-10 (216ff./217ff.).

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ontologische Qualifizierung, die das Ganze, also Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, im Blick hat.

4. Hiob und die philosophische Frage nach Unheil und Bösem a) Die Aufrichtigkeit des Herzens: Immanuel Kant Es findet sich in der Philosophie kaum ein zweites Lehrstück, das durch die Jahrhunderte hindurch einen so weitreichenden und expliziten Konsens gefunden hat wie die Privationslehre. Neben Augustinus und Leibniz haben u.a. Pseudo-Dionysius Areopagita (2. Hälfte 5. Jh.), Boethius (480-524), Anselm von Canterbury (1033-1109), Albertus Magnus (1200-1280), Duns Scotus (1265-1308), Cusanus (1401-1464) und Suárez (1548-1617) diese Lehre vertreten. Diesem Konsens, der viele Jahrhunderte überdauerte, steht allerdings spätestens seit Immanuel Kant (1724-1804) eine fast einhellige Ablehnung gegenüber. Im Jahr 1791 veröffentlichte Kant seinen bekannten Aufsatz Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee. Mit diesem Titel ist eine Zäsur gegeben, wie es sie bisher nicht gab. Aber bis dahin sollte es noch ein weiter Weg sein, denn zunächst bewegte sich Kant in Bezug auf die Theodizeefrage noch ganz in den Bahnen von Leibniz’ Lösungsversuch. Selbst das verheerende Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755, bei dem auf einen Schlag mindestens 30.000, wenn nicht sogar an die 100.000 Menschen den Tod fanden, scheint bei ihm in dieser Hinsicht keine Änderung der Sichtweise bewirkt zu haben, was demgegenüber bei Voltaire (1694-1778) 66

der Fall war. Ist dieser nämlich anfänglich auch noch ein Anhänger der Leibnizschen Theodizee, so wandelt sich sein Standpunkt nach dem Erdbeben von Lissabon völlig. Als Reaktion darauf verfasst Voltaire 1756 sein bekanntes Poème sur le désastre de Lisbonne, ou examen de cet axiome: Tout est bien.21 Drei Jahre später schreibt er – als Antwort auf einen Brief von Rousseau – den Roman Candide ou l’optimisme: Trotz der schrecklichen Erfahrungen, die die Welt gemacht hat, bleibt der Philosoph Pangloss bei seinem Optimismus. Als er dann zum Schluss zu beweisen versucht, dass alles Unglück, das die Welt erlebt, notwendig war, weil ja in der besten aller möglichen Welten alle Ereignisse miteinander verknüpft sind, genau in dem Moment fällt ihm Candide, der Held des Romans, mit der folgenden Bemerkung ins Wort: „Cela est bien dit [...] mais il faut cultiver notre jardin.“22 Mit diesen Worten, mit denen der Roman endet, will Voltaire auf den Segen der Arbeit und die tätige Überwindung des Übels hinweisen, dem man letztendlich nicht entgehen kann. Arbeit und tätige Überwindung des Übels als Heilmittel gegen den Pessimismus! In diesem Sinne heißt es nur wenige Zeilen zuvor: „Travaillons sans raisonner [...] c’est le seul moyen de rendre la vie supportable.“23 Für Kant scheint das Erdbeben von Lissabon – wie schon angedeutet – noch kein Grund gewesen zu sein, vom Standpunkt Leibnizens abzurücken, denn er schreibt noch 1756 geologische Aufsätze, in denen er dieses Er21 Vgl. Voltaire, Œuvres complètes, Bd. IX, Paris 1877, 470478. 22 Ebd., Bd. XXI, Paris 1878, 137-218, 218. 23 Ebd., 217.

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eignis aus natürlichen Ursachen zu erklären sucht und so implizit die Position von Leibniz verteidigt.24 Selbst noch drei Jahre später verteidigt er in seinem Versuch einiger Betrachtungen über den Optimismus25 die These von der besten aller möglichen Welten. Der kritische Standpunkt Kants, wie er in den drei großen Kritiken – der Kritik der reinen Vernunft (1781, 2. Aufl. 1787), der Kritik der praktischen Vernunft (1788) und der Kritik der Urteilskraft (1790) – zum Ausdruck kommt, ändert sein Verhältnis zur Frage der Theodizee völlig. Aufgrund seiner neuen erkenntniskritischen Prämissen kann es im Grunde genommen keine Theodizee mehr geben, die sich auf Vernunftbeweise stützt. Diese Position wird unmissverständlich deutlich in dem bereits genannten Aufsatz Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee von 1791, der geradezu als Anwendungsfall seiner kritischen Philosophie gelesen werden kann. Leibniz’ Antwort auf die Theodizeefrage qualifiziert er jetzt „als die Sache unserer anmaßenden, hierbei aber ihre Schranken verkennenden Vernunft“.26 Kant bezeichnet solche unmöglichen Versuche, die für ihn „die eigentliche Theodizee“ ausmachen, nämlich die Einsicht in „die Endabsicht Gottes“ unabhängig von der Erfahrung „herauszuvernünfteln“, als „doktrinal“. Der doktrinalen Theodizee stellt er die „authentische Theodizee“ gegenüber, bei der „Gott durch unsre Vernunft

24 Kant’s Werke (= Akademie-Ausgabe), Bd. I, Berlin 1910, 417-472, 459. 25 Vgl. I. Kant, Werke in sechs Bänden, hg. von W. Weischedel, Bd. I, Darmstadt 1966, 585-594, 593f. 26 Ebd., Bd. VI, Darmstadt 1970, 105.

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selbst der Ausleger seines durch die Schöpfung verkündigten Willens“ wird.27 Eine solche „authentische Theodizee“ sieht Kant im Hiobbuch geradezu „allegorisch ausgedrückt“.28 Während die Freunde Hiobs Kant zufolge „a priori“ urteilen, indem sie alle Übel in der Welt „aus der göttlichen Gerechtigkeit, als so vieler Strafen für begangene Verbrechen“ erklären, „erklärt sich [Hiob] für das System des unbedingten göttlichen Ratschlusses“.29 Die Freunde sind also für Kant typische Vertreter einer doktrinalen Theodizee, da sie Dinge behaupten, die sie nicht einsehen, d.h. theoretisch nicht wissen können, wohingegen die von Hiob vertretene authentische Theodizee auf die „für uns unerforschlichen Wege“ Gottes hinweist.30 Kant resümiert: „Also nur die Aufrichtigkeit des Herzens, nicht der Vorzug der Einsicht, die Redlichkeit, seine Zweifel unverhohlen zu gestehen, und der Abscheu, Überzeugung zu heucheln, wo man sie doch nicht fühlt, vornehmlich nicht vor Gott [...]: diese Eigenschaften sind es, welche den Vorzug des redlichen Mannes, in der Person Hiobs, vor dem religiösen Schmeichler im göttlichen Richterspruch entschieden haben.“31 Bei einer „authentischen Theodizee“ kommt es Kant zufolge somit „nicht so viel aufs Vernünfteln“ an, sondern vielmehr „auf Aufrichtigkeit in Bemerkung des Unvermögens unserer Vernunft, und auf die Redlichkeit“.32

Ebd., 116. Ebd. 29 Ebd., 117. 30 Ebd., 118. 31 Ebd., 119. 32 Ebd. 27 28

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b) Die Ungeborgenheit philosophischen Glaubens: Karl Jaspers Auch der Existenzphilosoph Karl Jaspers (1883-1969) knüpft in seinen Überlegungen zur Frage nach dem Übel an die biblische Gestalt des Hiob an, wenn auch unter anderen Vorzeichen als Kant. Für Jaspers sind die eigentlichen „Gegenstände“ der Philosophie „Existenz“ und „Transzendenz“ – um mit Augustinus zu sprechen: die Seele und Gott.33 Allerdings lehnt Jaspers die konkrete Religion, die er als Offenbarungsreligion versteht, mit der Begründung ab, sie vernichte auf der einen Seite menschliche Freiheit und verendliche auf der anderen Seite Gott. So bleibt für ihn nur als Ausweg der „philosophische Glaubens“, dem zufolge Gott absolut verborgen ist. Auch die Sprache der Chiffern oder Symbole offenbart Jaspers zufolge die Gottheit nicht; sie sagt vielmehr etwas über „Existenz“ aus. Von daher wird verständlich, wenn Jaspers’ Grundaxiom lautet: „Es ist genug, daß Gott ist.“34 Wenn auch die Chiffern nichts über die Gottheit aussagen, so lenken sie nach Jaspers doch, je auf ihre Weise mehr oder weniger ansprechend, gleichsam den Weg für Existenz. Das aber bedeutet, dass die Chiffern etwas über Existenz aussagen, nicht aber über Transzendenz. In diesem Sinne sagt Jaspers auch ausdrücklich: „Die Weise, wie der Mensch in den je besonderen Chiffern

33 Vgl. dazu W. Schüßler, Jaspers zur Einführung, Hamburg 1995, bes. 71-99. 34 K. Jaspers, Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München 41984, 360.

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sich ansprechen läßt, wird Moment seines Lebens. Wie er die Chiffer Gottes denkt, nach diesem Bilde wird er selbst.“35 Jaspers beschäftigt sich zwar schon in seinem frühen dreibändigen Werk Philosophie (1932) mit der Theodizeefrage, aber erst in seinem späten Hauptwerk Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung von 1962 kommt er in diesem Zusammenhang auf Hiob zu sprechen. Hier wird das Theodizeeproblem innerhalb der Darlegungen zum Chiffernbegriff unter der Überschrift „Chiffern der existentiellen Situationen (das Unheil und das Böse)“ ausführlich behandelt, wobei die Auseinandersetzung mit dem Hiobbuch den umfangreichsten Teil ausmacht. Nachdem Jaspers schematisch verschiedene Beispiele von Chiffern bzw. Symbole des Bösen in der Geschichte – im indischen und chinesischen Denken, bei den Vorsokratikern, bei Platon, bei Aeschylos, Sophokles und Euripides – vorgestellt und dualistische Lösungen als wenig hilfreich abgelehnt hat, kommt er auf den persönlichen Gott zu sprechen, denn hier wird – wie Jaspers richtig sieht – die Theodizeefrage „zu einer unüberbietbaren Kraft gesteigert“, weil die beiden folgenden Voraussetzungen gegeben sind: „Erstens: der Ursprung von allem ist Eines, Ein Sein. Alles Gegensätzliche, sei es dualistisch oder polar, ist sekundär. Zweitens: Dieses Eine ist der eine persönliche Gott, allmächtig, allgütig, allwissend, Ursprung der ethischen Forderung.“36 Jaspers zufolge gibt es im biblischen Denken auf diese Frage „eine ‚Lösung‘ [...] in zweierlei Gestalt“: nämlich „im Denken Hiobs und in der Prädestinationslehre“: „Beide denken den persönlichen Gott als übermächtig 35 36

Ebd., 249. – Herv. von mir! Ebd., 331.

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und als unbegreiflich und unterwerfen sich. Das Ungerechte, das ethisch Unmögliche wird hingenommen als unerforschlich. Es bleibt keine Frage mehr an Gott und keine Anklage.“37 Aber diese „Lösung“, nämlich „das Aussprechen der Unlösbarkeit“, dass es also „keine Lösung“ gibt, ist nach Jaspers kein „einfaches Nichtwissen“, sondern dieses muss existentiell errungen, ja erkämpft werden – und dies immer wieder aufs Neue.38 Steht nach Jaspers am Anfang der Hiobdichtung die „kindlich fraglose Frömmigkeit Hiobs“, so steht am Ende die „Rückkehr in die Frömmigkeit der ursprünglichen Gottesgewißheit“, die aber jetzt eine verwandelte ist, da sie „über die Vertiefung der Anklage gegen Gott, den er sucht und nicht findet“, gegangen ist: „Wenn es für die anklagende Reflexion keine Lösung gab, ist nun eine Umkehr vollzogen, aus der die Helligkeit der Existenz entspringt, die ohne jene Reflexion nicht eintreten konnte.“39 Diese durch die Reflexion hindurchgegangene, wiedererlangte Frömmigkeit ist „nicht gedanklich begründet, sondern Sprache einer Grundverfassung, die, wenn sie noch einmal sich selbst begreifen möchte, nur als Sichgeschenkt-Werden grundlos erfahren werden kann“.40 Was ermöglicht es Hiob, zu diesem zweiten Stadium der Frömmigkeit zu gelangen, ohne zu verzweifeln? Jaspers deutet im Sinne seines Chifferndenkens: „Das Maß der Spannung zwischen Vertrauen und Empörung, zwischen der geglaubten gottentsprungenen sittlichen Weltordnung und der für Wahrhaftigkeit unentrinnbaren AnEbd., 332. Ebd. 39 Ebd., 333. 40 Ebd., 345. 37 38

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erkennung der Realität des Gegenteils mußte zum Zerreißen führen, aber nicht der Frömmigkeit, sondern der Leibhaftigkeit der Chiffer.“41 Jaspers will damit sagen, dass Hiob diese Situation nur dadurch durchstehen konnte, weil er die Chiffer des persönlichen Gottes nicht hat „leibhaftig“, d.h. objektiv werden lassen, denn in diesem Fall wäre die Transzendenz für ihn nicht zu rechtfertigen. „Gott zeigt nicht ein Gesicht, sondern mehrere, miteinander nicht vereinbare. Diese Situation hat das Hiob-Buch verwirklicht.“42 Im Hiobbuch geht es somit Jaspers zufolge letztlich um „den Kampf zwischen Dogmatik und Freiheit“, der sich konkretisiert „unter der Spannung zwischen der theologischen Selbstgewißheit [der Freunde Hiobs] und des erschüttert suchenden Wahrheitswillens Hiobs“.43 „Die Theologen meinen die Unterwerfung unter die menschliche Autorität, die sich als Wahrheit Gottes ausgibt; Gott meint die Verfassung der Bescheidung in der Freiheit des menschlichen Suchens.“44 Der „Kampf zwischen Hiob und den Theologen“ wird so für Jaspers zum „Kampf zweier inkarnierter Mächte, deren Ursprung im Grunde der menschlichen Möglichkeiten liegt“.45 Das bedeutet, dass sich im Verständnis von Jaspers im Hiobbuch letztlich philosophischer und religiöser Glaube gegenüberstehen. Auf der einen Seite die Ungeborgenheit philosophischen Glaubens (Hiob), auf der anderen die Geborgenheit religiösen Glaubens (die Freunde/Theologen), aber um den Preis, die Freiheit zugunsEbd., 346. Ebd. 43 Ebd., 347. 44 Ebd., 348. 45 Ebd., 349. 41 42

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ten einer Dogmatik aufzugeben. Auf der einen Seite die Sprache der Chiffern, auf der anderen deren „Verleiblichung“, d.h. Objektivierung, die für Jaspers notwendig mit einer Verendlichung der Transzendenz einhergeht: „Der Dichter des Hiob denkt den Gott, der Wahrheit will, nicht blinden Gehorsam – den Gott, der Freiheit will und Hingabe, aber nicht fraglose Hingabe in der Unterwerfung unter eine Instanz und Lehre in der Welt.“46 Wenn das Hiobbuch ein „Ergebnis“ hat, dann ist es Jaspers zufolge dieses, dass der Mensch begreifen soll, „in allem Wahrheitssuchen nicht in Trotz zu verfallen, sondern an der Grenze vor der Transzendenz etwas wie Hingabe, Sichbescheiden oder wie man es nennen will, zu vollziehen“.47

c) Der Glaube ist bedingungslos: Viktor E. Frankl Auschwitz stellt für viele eine Zäsur in der Theodizeefrage dar. So hat Theodor W. Adorno (1903-1969) gemeint, dass man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne.48 Später hat er dieses Diktum aber wieder etwas relativiert, wenn er meint, „dass es solange, wie es ein Bewusstsein von Leiden unter den Menschen gibt, eben auch Kunst als die objektive Gestalt dieses Bewusstseins geben müsse“.49 Der jüdische Philosoph und Schriftsteller Günther Anders (1902-1992) meinte sogar, Ebd., 350. K. Jaspers, Chiffren der Transzendenz, hg. von H. Saner, 41984, 31f. 48 Vgl. T. W. Adorno, Kulturkritik und Gesellschaft (1949), Frankfurt/M., 21996, 30. 49 T. W. Adorno, Metaphysik. Begriff und Probleme (1965), hg. von R. Tiedemann, Frankfurt/M. 2006, 172. 46 47

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dass nach Auschwitz und Hiroshima nur noch Gedankenlose an Gott glauben könnten.50 Demgegenüber will der jüdische Philosoph Hans Jonas (1903-1993) den Glauben an Gott zwar nicht aufgeben, er meint aber, dass der Gottesbegriff nach Auschwitz neu zu überdenken und auf die alte Hiobsfrage eine neue Antwort zu suchen sei.51 Die Lösung sieht er darin, dass das Attribut der göttlichen Allmacht aufzugeben sei, hat doch ihm zufolge Auschwitz gezeigt, dass Gott nicht eingreifen konnte. Damit ist die Theodizeefrage quasi „gelöst“, indem ihr die Spitze abgebrochen ist – ich erinnere an das von Laktanz überlieferte Diktum. Diese Lösung ist aber um einen recht hohen Preis erkauft, denn es stellt sich jetzt die Frage: Ist denn ein nicht allmächtiger Gott überhaupt noch Gott? Der Psychiater, Psychotherapeut und Philosoph Viktor E. Frankl (1905-1997) zieht diese Konsequenz aus Auschwitz in Bezug auf den Gottesgedanken nicht, obwohl er und seine ganze Familie wegen ihrer jüdischen Abstammung furchtbare Jahre in verschiedenen Konzentrationslagern verbringen mussten, wo auch seine Ehefrau und seine nächsten Angehörigen den Tod fanden;52 er kündigt seinen Glauben an Gott trotzdem nicht auf. Die Erfahrung unvorstellbaren Leids hat ihn weder am Glauben an den Sinn noch am Glauben an Gott zweifeln lassen.

50 Zit. nach G. Schiwy, Abschied vom allmächtigen Gott, München 1985, 9. 51 Vgl. H. Jonas, Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme, Frankfurt/M. 1987, 14. 52 Vgl. V. E. Frankl, …trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, München 161997.

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Das wird in seiner Schrift Der unbewußte Gott deutlich, wo er der Aussage des amerikanischen Rabbiners Richard Lowell Rubenstein (*1924) entschieden entgegentritt, der – im Gegensatz zu Frankl – selbst nicht in Auschwitz war, in seinem Buch After Auschwitz53 aber die Meinung vertritt, dass angesichts des Holocaust das überkommene Bild eines allgütigen und allmächtigen Gottes nicht mehr aufrecht zu erhalten sei. Frankl schreibt dazu: „Wie ich es sehe, ist der Glaube an Gott entweder ein bedingungsloser, oder es handelt sich nicht um einen Glauben an Gott. Ist er bedingungslos, so wird er auch standhalten, wenn sechs Millionen dem Holocaust zum Opfer gefallen sind, und ist er nicht bedingungslos, so wird er – um mich der Argumentation von Dostojewski zu bedienen – angesichts eines einzigen unschuldigen Kindes, das im Sterben liegt, aufgegeben; denn handeln können wir mit Gott nicht, wir können nicht sagen: Bis zu sechstausend oder von mir aus einer Million Holocaust-Opfer erhalte ich meinen Glauben an dich aufrecht; aber von einer Million aufwärts ist nichts zu machen, und – es tut mir leid – ich muß meinen Glauben an dich aufkündigen. Die Fakten sprechen dafür, daß sich ein Aphorismus von La Rochefoucauld bezüglich der Auswirkung der Trennung auf die Liebe variieren läßt: Gleich dem kleinen Feuer, das vom Sturm gelöscht wird, während das große Feuer von ihm angefacht wird, wird der schwache Glaube von Katastrophen geschwächt, während der starke Glaube aus ihnen gestärkt hervorgeht.“54 53 Vgl. R. L. Rubenstein, After Auschwitz. History, Theology, and Contemporary Judaism, Indianapolis 1966. 54 V. E. Frankl, Der unbewußte Gott. Psychotherapie und Religion, München 21994, 98.

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Frankls Kernaussage, dass der Glaube bedingungslos ist und wir mit Gott nicht handeln können, scheint mir der Intention des Hiobbuches recht nahe zu kommen. Er macht in diesem Zusammenhang auch selbst auf die biblische Gestalt des Hiob aufmerksam, wenn er schreibt: „Die einzige dem Menschen angemessene Haltung angesichts der Problematik einer [...] Theodizee ist die Einstellung des Hiob: der sich vor dem Geheimnis beugte – und, darüber hinaus, die Haltung des Sokrates, der zwar zu wissen vorgab, aber nur: daß er nichts weiß.“55 Und als Antworten in diesem „Hiobisch-Sokratischen Geist“ führt er diejenigen zweier UNO-Soldaten an, die in Korea verwundet wurden und im Lazarett auf die Fragen eines „metaphysisch fürwitzigen Reporters“ geantwortet haben sollen: „People ask for too much.“ Und: „God has his idea of what he wants to do with us.“ „Es gibt nun einmal Fragen,“ kommentiert Frankl dazu, „die falsch gestellt sind – und einen Glauben, der jede mögliche Antwort in den Schatten stellt.“56 Mit Kant und Jaspers hält auch Frankl schon die bloße Fragestellung der Theodizee für einen Anthropomorphismus, weil hier „menschliche Maßstäbe [...] an die Motivation des Schöpfers“ angelegt würden.57 Wurde schon bei diesen beiden Denkern deutlich, dass es ihnen darum geht, die Theodizee an den Leidenden selbst anzubinden, so gerät dieser Aspekt bei Frankl mit einer ganz neuen Intensität in den Mittelpunkt der Überlegungen. In diesem Sinne geht es ihm geradezu um eine „kopernikani55 V. E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse (s. Anm. 9), 138. 56 Ebd., 139. 57 V. E. Frankl, Der leidende Mensch, Bern 21996, 240.

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sche Wende“: „Wer [...] nach dem Sinn des Leidens fragt, der geht daran vorbei, daß das Leiden selber eine Frage ist, daß [...] wir es sind, die da gefragt werden, daß der leidende Mensch, der Homo patiens, der Befragte ist: er hat nicht zu fragen, sondern er hat zu antworten, er hat die Frage zu beantworten, er hat die Prüfung zu bestehen – er hat das Leiden zu leisten.“58 Im „Wie“ des Leidens liegt für Frankl das „Wozu“ des Leidens. Das heißt, „alles kommt auf die Haltung an, auf die Einstellung zum Leiden“.59 Um diese ganz neue Sicht auf das Leiden zu verstehen, die für Frankl in einer Ablösung der Theodizeefrage durch eine sog. Pathodizee, eine Rechtfertigung des Leidens, besteht, muss kurz ein Blick auf das Menschenbild der Existenzanalyse, wie sie Frankl der von ihm begründeten psychotherapeutischen Richtung der Logotherapie zugrunde gelegt hat, geworfen werden. Der Mensch ist nach Frankl wesentlich ausgezeichnet durch seine Geistigkeit. Mit dem Geistbesitz sind zwei fundamentale Charakteristika des Menschen verbunden: erstens seine Fähigkeit zur Selbst-Distanzierung, zweitens seine Fähigkeit zur Selbst-Transzendenz. In beiden Fähigkeiten dokumentiert sich letztlich die Freiheit, durch die der Geist wesentlich charakterisiert ist. Allerdings ist diese Freiheit nach Frankl nicht absolut, sondern endlich. Das heißt, Freiheit steht immer in Polarität zum Schicksal. Unter dem Begriff des Schicksals versteht Frankl die biologischen, psychologischen und soziologischen Bedingungen unseres Daseins; also das Erbe, die Triebe, die Umwelt. Als freies Wesen sind wir diesen 58 59

Ebd., 241. Ebd.

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Bedingungen aber nie blind ausgeliefert, sondern wir können uns von diesen immer auch „distanzieren“, d.h. ihnen gegenüber Stellung nehmen.60 Aufgrund seiner Freiheit ist es dem Menschen somit möglich, sich über all seine Bedingtheit hinauszuschwingen und selbst den ärgsten und härtesten Gegebenheiten und Umständen kraft dessen entgegenzutreten, was Frankl die „Trotzmacht des Geistes“ nennt.61 Ich kann also kraft des Geistes von meiner Leiblichkeit abrücken und mich in fruchtbare Distanz zu ihr stellen. Der Mensch hat somit aufgrund seiner Geistigkeit die Möglichkeit, über sein Sein frei zu entscheiden, wobei dieses Entscheiden sogar die Möglichkeit der Selbstvernichtung miteinschließt.62 Das zweite fundamentale Charakteristikum des Menschen sieht Frankl in seiner Fähigkeit zur Selbst-Transzendenz, worunter er den grundlegenden anthropologischen Tatbestand versteht, dass Menschsein immer über sich selbst hinaus auf anderes verweist, das nicht wieder es selbst ist, wobei dies ein Werk, aber auch eine andere Person sein kann.63 Und in diesem Über-sich-Hinausweisen geschieht Sinn-Erfüllung. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist somit für Frankl nicht Ausdruck eines pathologischen Zustandes, wie das noch Freud meinte,64 sondern „eigentlicher Ausdruck des Menschseins schlechthin – Ausdruck nachge60 Vgl. dazu W. Schüßler, Was ist der Mensch? „Mensch sein“ und „Mensch werden“ aus philosophischer Sicht, in: R. Brandscheidt / J. Brantl / M. Overdick-Gulden / W. Schüßler, Herausforderung „Mensch“. Philosophische, theologische und medizinethische Aspekte, Paderborn 2012, 11-52, bes. 32-36. 61 V. E. Frankl, Ärztliche Seelsorge, Frankfurt/M. 41997, 46. 62 Vgl. ebd., 121. 63 Vgl. ebd., 201f. 64 Vgl. S. Freud, Briefe 1873-1939, Frankfurt/M. 1960, 429.

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rade des Menschlichsten im Menschen“65. Frankl meint mit dieser Frage aber weder die Frage nach dem Sinn der Welt im Ganzen noch die Frage nach einem „letzten“ Sinn, einem „Über-Sinn“, wie er dazu auch sagt.66 Das sind für Frankl Fragen, denen gegenüber theoretische Antwortversuche notwendig scheitern müssen und auf die allein die Religion eine mögliche Antwort bereithält. Die Frage nach dem Sinn meint für ihn immer nur die Frage nach dem Sinn eines Teilgeschehens. In Bezug auf diese Frage sagt Frankl, dass es nicht einen Sinn für alle, sondern dass es für jeden einen ganz eigenen Sinn gibt. Das hat mit der Einzigartigkeit der menschlichen Person und der Einmaligkeit jeder einzelnen ihrer Lebenssituationen zu tun.67 Sinn ist relativ im strikten Sinne des Wortes: relativ auf die jeweilige Person und Situation, in der diese Person lebt und handelt. Jeder Einzelne hat in der jeweiligen Situation somit seinen Sinn zu erspüren und zu finden. Auf die Frage: Was ist der Sinn für mich? kann der Außenstehende somit keine Antwort geben. Und doch gibt Frankl eine gewisse Hilfe an die Hand, wenn er zwischen drei verschiedenen sog. „Sinn-Universalien“ unterscheidet, die sich auf die condition humaine als solche beziehen. Es handelt sich hierbei um umfassende Sinnmöglichkeiten, die Frankl auch Werte nennt. Er unterscheidet drei solcher Wertkategorien: schöpferische Werte, Erlebniswerte und Einstellungswerte.68 Wird die erste Kategorie durch ein Tun verwirklicht, so die zweite durch ein Erleben, BeV. E. Frankl, Ärztliche Seelsorge (s. Anm. 61), 56. Vgl. V. E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse (s. Anm. 9), 140f. 67 Vgl. V. E. Frankl, Ärztliche Seelsorge (s. Anm. 61), 75f. 68 Vgl. ebd., 145-147. 65 66

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gegnen oder Lieben. Von entscheidender Bedeutung ist für Frankl die dritte Gruppe der Einstellungswerte, deren Verwirklichung darin liegt, wie der Mensch sich zu einer Einschränkung seines Lebens „einstellt“. Für Frankl gibt es folglich keine Lebenssituation, die wirklich sinnlos wäre, denn die Freiheit der Einstellung zur konkreten Situation verliert der Mensch nie: „Die Freiheit ‚hat‘ man nicht – wie irgend etwas, das man auch verlieren kann –, sondern die Freiheit ‚bin ich‘.“69 Was haben diese Überlegungen mit der Frage nach dem Leid zu tun? Auch dort, wo wir mit einem Schicksal konfrontiert sind, das sich nicht ändern lässt, sei dies beispielsweise eine unheilbare Krankheit oder ein behindertes Kind, ja gerade dort lässt sich nach Frankl das Leben immer noch sinnvoll gestalten. Hier können wir sogar das „Menschlichste im Menschen“ verwirklichen, nämlich „seine Fähigkeit, auch eine Tragödie – auf menschlicher Ebene – in einen Triumph zu verwandeln“.70 Kann die Ursache eines Leidens aus der Welt geschafft werden, dann ist es natürlich das einzig Sinnvolle, dies zu tun und auf diesem Wege das Leiden selbst zu beseitigen. Ist der Mensch aber von einem unabwendbaren Schicksal betroffen, dann besteht auch hier immer noch die Möglichkeit, Sinn zu verwirklichen – im Sinne der Einstellungswerte; wobei „der wirkliche Sinn einer Krankheit“ nicht „im Daß des Krankseins“, sondern „im Wie des Leidens“ liegt, das heißt, der Sinn muss der Krankheit jeweils erst gegeben werden.71 Ebd., 306. V. E. Frankl, Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn, München 1985, 47. 71 V. E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse (s. Anm. 9), 82. 69 70

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Zwar kann ich in einem solchen Fall die Situation nicht mehr ändern, aber ich kann immer noch meine Einstellung dieser Situation gegenüber ändern. Das eben ist die Grundthese von Frankl, dass das menschliche Leben „bis zu seinem letzten Atemzug“ sinnhaft ist – und es gilt nur, diesen Sinn zu entdecken. Gerade in einer schicksalhaften Situation, einer Situation, die wir nicht ändern können, „gerade dort ist uns abverlangt, uns selbst zu ändern, nämlich zu reifen, zu wachsen, über uns selbst hinauszuwachsen“, wie Frankl sagt. „Und das ist bis in den Tod möglich.“72 Es ist also weniger die Last, die uns erdrückt, sondern vielmehr die Art, in der wir sie ertragen. In diesem Zusammenhang erwähnt Frankl gerne die folgenden Worte des israelischen Malers und Bildhauers Yehuda Bacon, der schon als Kind nach Auschwitz kam und sich nach seiner Befreiung fragte, was für einen Sinn diese grauenvollen Jahre gehabt haben mochten. Er schreibt: „Als Knabe dachte ich, ich werde der Welt schon sagen, was ich in Auschwitz gesehen habe – in der Hoffnung, die Welt würde einmal eine andere werden; aber die Welt ist nicht anders geworden, und die Welt wollte von Auschwitz nichts hören. Erst viel später habe ich wirklich verstanden, was der Sinn des Leidens ist. Das Leiden hat nämlich dann einen Sinn […], wenn du selbst ein anderer wirst.“73 Den Sinn des Leidens an sich kann der Mensch nicht fassen, aber es ist ihm möglich, den Sinn für sich zu fassen. Und es ist weder der homo faber, der Mensch als 72 V. E. Frankl, Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn (s. Anm. 70), 48. – Herv. von mir! 73 Ebd., 49.

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Handwerker, der schöpferische Werte verwirklicht, noch der homo amans, der liebende Mensch, der Erlebniswerte verwirklicht, nein, es ist der homo patiens, der leidende Mensch, der Frankl zufolge zu höchster Sinnerfüllung gelangt, und diese Sinnerfüllung kann sich selbst noch im Scheitern vollziehen.74 Denn hier geht es nicht mehr um Erfolg oder Misserfolg, sondern um Erfüllung oder Verzweiflung. Und nur der Mensch verzweifelt, dem eines über alles geht, denn letztlich ist „alle Verzweiflung […] Vergötzung – Verabsolutierung eines einzigen Wertes“.75 Frankl sagt nicht, dass Leiden notwendig ist für die Sinnfindung. Er will aber darauf aufmerksam machen, dass Sinn trotz Leidens möglich ist, das heißt, er sieht im Leiden immer auch eine Chance, eine äußerste Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Diese grundsätzliche Möglichkeit sollte man allerdings in äußerster Behutsamkeit aufzeigen. Denn „verlangen darf man den Heroismus solcher Selbstverwirklichung in Grenzsituationen nur von einem, und das ist – man selbst“.76 Kehren wir noch einmal zu Hiob zurück. „Es gibt nun einmal [...] einen Glauben,“ so hatte ich Frankl zu Anfang zitiert, „der jede mögliche Antwort in den Schatten stellt“.77 Dass Frankl mit Hiob sagen kann: Der Glaube ist bedingungslos, beruht auf seiner anthropologischen Voraussetzung, der zufolge es keine Lebenssituation geben kann, die völlig sinnlos wäre. Vgl. V. E. Frankl, Das Leiden am sinnlosen Leben. Psychotherapie für heute, Freiburg/Br. 81997, 82. 75 V. E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse (s. Anm. 9), 124. 76 V. E. Frankl, Was nicht in meinen Büchern steht. Lebenserinnerungen, München 21995, 59. 77 V. E. Frankl, Logotherapie und Existenzanalyse (s. Anm. 9), 139. 74

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d) Gott ist ohne Grund zu lieben: Paul Ricœur Der französische Philosoph Paul Ricœur (1913-2005) hat sich nach eigenem Bekunden sein Leben lang mit dem Problem des Bösen auseinandergesetzt. Für unser Interesse ist eine kleine Schrift von ihm besonders aufschlussreich, die auf einen Vortrag zurückgeht, den er 1985 in Lausanne zum Thema Das Böse. Eine Herausforderung für Philosophie und Theologie gehalten hat, kommt er doch hier auch auf Hiob zu sprechen. In einem ersten Teil dieser Schrift macht Ricœur auf die Komplexität des Themas aufmerksam, die darin besteht, dass begangenes Böses und erlittenes Leid oft unlösbar miteinander verflochten sind, wobei aber immer wieder versucht wurde, dieses Knäuel zu entwirren. Nach Ricœur kann man in Bezug auf diese Versuche fünf verschiedene Diskursebenen unterscheiden, die sich allmählich herausgebildet haben und die er in einem zweiten Teil diskutiert: den Mythos, die Weisheit, die Gnosis und die antignostische Gnosis, die Theodizee sowie die gebrochene Dialektik. Hat der Mythos, bei allen Ambivalenzen und Paradoxien, die sich hier bei der Frage nach dem Ursprung des Bösen ergeben, letztlich doch „eine Ordnung stiftende Funktion“,78 indem „die Klage des Flehenden in den Rahmen eines riesigen Universums“ gestellt wird,79 so sucht die Weisheit nach Ricœur auf die Frage des Einzelnen: „Warum ich?“ zu antworten. Die nachhaltigste Erklärung ist hier die Theorie der Vergeltung, wie sie 78 P. Ricœur, Das Böse. Eine Herausforderung für Philosophie und Theologie, Genf 42004, 22. 79 Ebd., 24.

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auch von den drei Freunden Hiobs vertreten wird.80 Allerdings gerät sie spätestens dann ins Wanken, wenn der Gerechtigkeitssinn höher entwickelt ist. Das Stadium der Gnosis sieht Ricœur im Manichäismus verwirklicht, dasjenige der antignostischen Gnosis bei Augustinus, die er bei ihm mit der Privationslehre, der Ethisierung des Übels sowie der „Erbsündenlehre“ in Verbindung bringt und als „rationalisierten Mythos“ deutet.81 Für das Stadium der Theodizee stehen Ricœur zufolge paradigmatisch Leibniz und Hegel. Karl Barth ist für ihn demgegenüber der typische Vertreter einer gebrochenen Dialektik, die im Gegensatz zu Hegel auf jede systematische Totalität verzichtet und christologisch verortet ist. – Zu diesen Einordnungen wäre im Einzelnen Kritisches anzumerken, besonders zu Ricœurs Deutung Augustins, was aber hier zu weit weg führte von unserem eigentlichen Thema. Ricœur will mit diesen Ausführungen deutlich machen, „dass die Unmöglichkeit, das Problem denkerisch zu bewältigen, immer tiefer erfasst wird“.82 Das heißt, die verschiedenen Versuche führen immer tiefer in eine Aporie hinein: „Von der alten Theorie der Vergeltung bis zu Hegel und Barth hat sich die Denkarbeit immer mehr angereichert, angespornt von der Frage nach dem Warum, die in den Klagen der Opfer enthalten ist.“83 Zunächst verweist diese denkerische Aporie nach Ricœur auf das Handeln, das heißt, sie bedeutet für den Menschen eine Aufforderung, gegen das unerklärbare Vgl. ebd., 25f. Ebd., 32. 82 Ebd., 10. 83 Ebd., 52. 80 81

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Böse anzukämpfen. Aber Ricœur gesteht auch zu, dass hier eine praktische Antwort allein nicht ausreicht, denn es gibt ja auch Leiden, das seinen Ursprung in Naturkatastrophen, Krankheiten und Epidemien, Alter und Tod hat.84 Aus diesem Grunde ist Ricœur zufolge über diese praktische Antwort hinaus eine „existentielle Aneignung der Aporie“ gefordert, die ihren Sinn in einer „spirituellseelsorgerlichen Verarbeitung der Trauer“ bekommt85 und sich in der Klage und Anklage ausdrückt.86 Allerdings sollten die damit verbundenen Gefühle eine Transformation durchmachen, die letztlich zu einem „schrittweisen Loslassen aller Bindungen“ führt, wie das Freud in Bezug auf die Trauerarbeit beschrieben hat.87 In diesem Sinne unterscheidet Ricœur drei Stadien einer „Spiritualisierung der Klage“, die im Sinne einer Stufung zu lesen sind: In einem ersten Stadium geht es darum, „das Scheitern der Theorie der Vergeltung auf spekulativer Ebene“ in die Trauerarbeit einzubeziehen: „Angesichts der Tendenz Überlebender, sich für den Tod ihres Liebesobjektes schuldig zu fühlen, oder schlimmer noch, angesichts der Tendenz der Opfer, sich selbst Vorwürfe zu machen und das grausame Spiel des Sühneopfers mitzuspielen, müssen wir entgegnen können: Nein, Gott hat das nicht gewollt, und viel weniger noch hat er mich bestrafen wollen.“88 Das heißt, wir gestehen uns hier ein, dass wir den Grund des Leids nicht kennen.

Vgl. ebd., 55. Ebd., 11. 86 Vgl. ebd., 55. 87 Ebd., 56. – Vgl. S. Freud, Trauer und Melancholie, in: Ders., Studienausgabe, Bd. 3, Frankfurt/M. 1975, 193-212. 88 Ebd., 57. 84 85

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Ein zweites Stadium der Spiritualisierung der Klage liegt nach Ricœur dann vor, wenn diese sich zur Anklage gegen Gott auswächst. Als Beispiel verweist er in diesem Zusammenhang auf das dichterische Werk von Elie Wiesel: „Die Anklage Gottes ist hier die Ungeduld der Hoffnung. Sie hat ihren Ursprung im Schrei des Psalmisten: ‚Bis wann, Herr?‘“89 Das dritte Stadium der Spiritualisierung der Klage ist Ricœur zufolge schließlich dann erreicht, wenn eingesehen wird, „dass die Gründe, an Gott zu glauben, nichts mit dem Bedürfnis zu tun haben, den Ursprung des Leidens zu erklären“.90 Damit ist letztlich ein Verzicht auf die Klage verbunden. Und hier sind noch einmal drei verschiedene Stufen zu unterscheiden: Erstens kann man im Leiden „einen pädagogischen und läuternden Wert“ entdecken – aber immer nur für sich selbst!91 Zweitens können manche Trost in dem Gedanken finden, dass Gott in Jesus Christus selbst gelitten hat.92 Die höchste Form einer Spiritualisierung der Klage sieht Ricœur aber in dem „Verzicht auf den Wunsch, für seine Tugenden belohnt zu werden“, in dem „Verzicht auf das Verlangen, vom Leiden verschont zu bleiben“. Und eine derartige Weisheit zeichnet sich ihm zufolge „am Ende des Buches Hiob ab, wenn es heißt, dass es Hiob gelungen sei, Gott ohne Grund zu lieben, so dass Satan seine anfängliche Wette verliert“: „Gott grundlos lieben bedeutet, völlig aus dem Kreislauf der Vergeltung he-

Ebd., 58. Ebd. 91 Ebd., 59. 92 Ebd., 60. 89 90

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rauszutreten, in dem die Klage noch gefangen ist, solange sich das Opfer über sein ungerechtes Los beklagt.“93

5. Resümee Alle vier behandelten Denker lehnen die Theodizee in ihrer klassischen Form ab, wie sie von Augustinus bis Leibniz vertreten wurde, da sie meinen, dass hier menschliche Maßstäbe an Gott angelegt würden. Demgegenüber betonen sie, dass auf diesem Gebiet mit „Verünfteln“ nichts zu erreichen sei. Ihre eigene Position sehen sie in der biblischen Gestalt des Hiob allegorisch ausgedrückt. Ob diese Denker mit ihrem Anthropomorphismus-Vorwurf der klassischen Position gerecht werden, wage ich zu bezweifeln, hat doch Leibniz immer wieder betont, dass es hier nur darum ginge, zu zeigen, dass der absolut vollkommene Gott und die Erfahrung von Unheil und Bösem keine unvereinbaren Größen seien. Er hat also nicht behauptet, zu erkennen, wie diese beiden Größen zu vereinbaren sind. Im Einzelnen könnte man die hier vorgestellten Positionen sehr wohl kritisieren; ich deute nur einige mögliche Kritikpunkte an: Gegenüber der Position Kants kann man zu Recht die Frage stellen, ob denn unsere Erkenntnis wirklich auf den Bereich möglicher Erfahrung einzuschränken ist, womit alle Fragen einer natürlichen Theologie, mithin auch diejenigen einer Theodizee außen vor bleiben. Mit Jaspers vom absolut verborgenen Gott zu sprechen, impliziert eine gewisse Selbstwidersprüch93

Ebd.

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lichkeit. Denn dann dürfte er im strikten Sinne auch nicht mehr ohne weiteres das „Dass“ Gottes behaupten. Die Pathodizee Frankls löst die Theodizee m.E. nicht ab, wie dieser meint, sondern sie ist eine sinnvolle Ergänzung. Und Ricœur wird weder der Position Augustins noch derjenigen Leibnizens wirklich gerecht. Aber es geht mir hier weniger darum, die Positionen der vier behandelten Denker zu kritisieren, sondern ich wollte vielmehr deutlich machen, dass sie diese in der Gestalt des biblischen Hiob allegorisch ausgedrückt sehen. Mit Bezug auf Hiob wird hier somit ein philosophischer Standpunkt vertreten, den man als „agnostisch“ bezeichnen könnte. Das heißt, es wird das „Aussprechen der Unlösbarkeit“ betont, um mit Jaspers zu sprechen. Mit Hiob geht es allen vier Denkern wesentlich um den Ausbruch aus jeder Art von Vergeltungslogik, die hier nicht weiterhilft, sondern – ganz im Gegenteil – in neue, ja tiefere Probleme hineinführt. Wenn ich auch persönlich davon überzeugt bin, dass die klassische Theodizee immer noch bedenkenswert ist, so zeigen die sich an Hiob anlehnenden philosophischen Positionen doch eine mögliche Haltung in Bezug auf diese tiefste aller Menschheitsfragen. Besonders das Diktum Frankls, dass der Glaube bedingungslos sei, ist für den religiösen Menschen immer wieder neu zu bedenken, besteht doch die ständige Gefahr des Glaubens darin, in einen Götzenglauben abzufallen, d.h. magisch zu werden, indem Gott innerweltlich „verrechnet“ wird.94 94 Vgl. dazu W. Schüßler, Das Gebet – zwischen Konkretheit und Unbedingtheit Gottes. Eine philosophische Annäherung, in: J. Brantl / H.-G. Gradl / M. Schaeidt / W. Schüßler, Das Gebet – „die Intimität der Transzendenz“, Würzburg 2014, 11-50.

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Ricœur hat das ähnlich gesehen, wenn er sagt, dass Gott ohne Grund zu lieben sei. Hierbei handelt es sich um ein tiefes, aber auch schweres Wort, denn wer von uns könnte schon von sich behaupten, dass er dieses zu jeder Zeit und unter allen Umständen einlösen könnte? Und doch drückt sich hierin eine Wahrheit aus, vor der der gläubige Mensch seine Augen nicht verschließen sollte.

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CHRISTINE GÖRGEN

Sinn des Leidens – Sinn im Leiden Viktor E. Frankl im Anschluss an Hiob Das Leben ist nicht frei von Leid! Ein Blick in die Zeitung genügt: Berichte von Naturkatastrophen wie das Erdbeben in Japan vom 11. März 2011 und damit verbunden die Angst vor einer atomaren Katastrophe, die Zerstörung von New Orleans durch den Hurrikan Katrina im August 2005; Leiden, die uns unverschuldet treffen und selbstverschuldetes Leid aufgrund von Fahrlässigkeit und Verantwortungslosigkeit, deren Folgen das Leben vieler Menschen langfristig beeinträchtigen wie die Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko 2010; das Leiden unzähliger Menschen an Krankheit, Hunger und Seuchen, teilweise verursacht durch veränderte Lebensgewohnheiten in den reichen Ländern der Erde, durch Raubbau an der Natur oder ungerechte Verteilung der Güter; das Leiden der Menschen in Krisen- und Kriegsgebieten, Flüchtlinge und aus ihren Ländern vertriebene Menschen; das Leiden an schweren, unheilbaren Krankheiten und kaum erträglichen Schmerzen; die Lebensbeeinträchtigung aufgrund eines Unfalls, einer Behinderung; Einbußen der Lebensperspektive durch den Verlust des Arbeitsplatzes; materielle und seelische Not; Sinnverlust durch Krankheit oder den Tod eines geliebten Menschen. Die vorgenommene Darstellung kann nur skizzenhaft sein. Manche Leiden entziehen sich sogar ganz der Beschreibbarkeit.

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I. Homo patiens – der leidende Mensch Was ist es, was Leiden allgemein ausmacht? Was ist es, woran wir leiden, wenn wir leiden? Leiden ist immer das Erleben bzw. Erleiden eines Verlustes, der „Verlust eines geliebten Menschen, einer Hoffnung, eines Lebensziels, einer Sache“, der Verlust der Gesundheit, frei zu sein von Beeinträchtigungen und Schmerzen.1 Wir haben bestimmte Vorstellungen von uns und unserem Leben.2 „Wenn essentielle Bedürfnisse, Erwartungen und Hoffnungen nicht erfüllt werden und dies als ein Versagen, eine Verhinderung oder als ein Nicht-Gewähren empfunden wird“, erleben wir dies Sandra Gehnke zufolge „als schmerz- und leidvoll“.3 Der überwiegende Teil unserer Wahrnehmung und Orientierung beruht auf Vergleichen. Auch im Leiden neigen wir dazu. Allerdings gelangt die Vergleichsmöglichkeit hier schnell an Grenzen. Zwar können „Schmerzen an physiologischen Reaktionen“ gemessen und dar-

S. Gehnke, Sinnerfahrung und Todesbewusstsein. Der Mensch in der Auseinandersetzung mit Leiden, Sterben und Tod. Die notwendige Kompetenz der Leidensfähigkeit auf der Grundlage der Logotherapie sowie Chancen und Perspektiven für die Hospizbewegung, Frankfurt/M. 2004, 294. – Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine leicht veränderte und gekürzte Fassung der ersten vier Abschnitte aus Kap. 4 des Zweiten Teils meiner Untersuchung: Pathodizee statt Theodizee? Mensch, Gott und Leid im Denken Viktor E. Frankls (= Herausforderung Theodizee. Transdisziplinäre Studien, hg. von W. Schüßler u. H.-G. Janssen, Bd. 2), Münster 2013. 2 Vgl. B. Shoshanna, Krankheit lehrt uns leben. Ein Wegweiser in Krisenzeiten, München 2001, 51-53. 3 S. Gehnke, Sinnerfahrung und Todesbewusstsein (s. Anm. 1), 294. 1

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um miteinander verglichen werden.4 Dies gilt jedoch nicht für das Leiden. Leiden ist immer „etwas Subjektives“, wir „erfahren“ es jeweils „nur an [uns] selbst“.5 Der Psychiater, Psychotherapeut und Philosoph Viktor Emil Frankl (1905-1997), der Begründer der sog. Logotherapie und Existenzanalyse, macht auf diese Differenzierung aufmerksam, wenn er das Leiden von der „Krankheit“ abgrenzt. „Der Mensch kann leiden, ohne krank zu sein und er kann krank sein, ohne zu leiden.“6 Leiden und Schmerzen sind nicht das Gleiche. Oft entfremden sich Menschen im Leiden voneinander, es werden zwischenmenschliche Beziehungen auf die Probe gestellt, weil sich der leidende Mensch nicht wahrgenommen fühlt, weil sein Leiden in der Beurteilung gegenüber dem Leid eines anderen als geringer eingeschätzt wird. Der Vergleich ist das Problematische und Ursache von mitunter tiefen Verletzungen.7 Darum ist es unerlässlich, das Leiden jedes einzelnen Menschen als ein ganz individuelles Empfinden zu würdigen. U. Eibach, Der leidende Mensch vor Gott. Krankheit und Behinderung als Herausforderung unseres Bildes von Gott und dem Menschen, Neukirchen-Vluyn 1991, 124. 5 Ebd. 6 SiP, 101. – Die Werke Frankls werden wie folgt abgekürzt: ÄS = Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse, Frankfurt/M. 71998; LE = Logotherapie und Existenzanalyse – Texte aus sechs Jahrzehnten, Weinheim/ Basel 2002; LM = Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der Psychotherapie, Bern 21996; MFS = Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn. Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk, München 91993; SiP = Die Sinnfrage in der Psychotherapie, München 1981; UG = Der unbewußte Gott. Psychotherapie und Religion, München 51999; WS = Der Wille zum Sinn. Ausgewählte Vorträge über Logotherapie, München 41997. 7 Vgl. S. Sontag, Das Leiden anderer betrachten, München/ Wien 2003, 131. 4

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1. Die Situation des leidenden Menschen Die Formen von Leiden sind ähnlich vielfältig, wie es individuelle Lebenssituationen gibt. Wie sich das Leiden auch immer äußert, es führt an menschliche Grenzen heran. Das bisherige Leben verändert sich. Gewohnte, lieb gewonnene Verhaltensweisen müssen aufgegeben werden. Das Leben wird oft von heute auf morgen völlig auf den Kopf gestellt. Dies können und wollen wir nicht hinnehmen. Wir lehnen uns gegen das Schicksal auf, wollen in der Verzweiflung mitunter sogar, dass alles ein Ende hat. Das Leiden lässt uns der Endlichkeit des Lebens ansichtig werden. Dabei werden wir vom Leiden in umso größerem Maße erschüttert, je weniger wir einen Sinn darin erkennen (können). Frankl hat sich intensiv mit dem Leiden befasst, und in diesem Zusammenhang hat er auch auf das Hiobbuch verwiesen: Bevor ich auf seine zentrale Aussage eingehe, möchte ich Viktor E. Frankl kurz vorstellen, denn sein Werk ist eng mit seinem Leben verbunden, und gewisse Aussagen erschließen sich im Besonderen aus seiner Lebenserfahrung heraus. Am 26. März 1905 als zweites von drei Kindern jüdischer Eltern in Wien geboren, konnte ihn sein Beruf als Arzt während des Zweiten Weltkrieges letztlich nicht vor der Deportation durch die Nationalsozialisten bewahren. Frankls erste Frau Tilly und seine Eltern kamen im Konzentrationslager um, er selbst brachte drei Jahre in vier verschiedenen Konzentrationslagern zu. Nach solchem Leid könnte man annehmen, dass gerade für Frankl, der in dieser Zeit alles verloren hat, bis auf sein eigenes Leben, der Glaube an Gott zutiefst erschüttert wurde. Das Bemerkenswerte ist aber, dass er nach dem Erlebten wei94

ter an Gott festhält und er gerade im Glauben an Gott die einzige Stütze sieht, die dem Menschen auch angesichts größten Leids noch bleibt. Frankl formuliert in Bezug auf das Hiobbuch: „Angesichts der Aporie jeder Theodizee ist die dem Menschen einzig angemessene Haltung die des Hiob, der mit Gott gehadert hat, dem Gott dann ein paar Dutzend Fragen gestellt hat und der dann die Hand auf den Mund gelegt hat, um zu schweigen im vorweggenommenen sokratischen Wissen darum, dass er nichts weiß.“8 Anstelle einer Theodizee plädiert Frankl für eine „Pathodizee“, d.h. eine Rechtfertigung des Leids in dem Sinne, dass wir nicht nach dem „Woher?“ oder der Kompatibilität des Leids mit einem absolut vollkommenen, d.h. allmächtigen und allgütigen Gott fragen sollen, sondern „daß wir es sind, die zu antworten haben […] und daß das Leben selbst eine Frage ist – eine Frage, die wir nur dadurch beantworten können, daß wir unser Leben verantworten.“9 In diesem Sinne ist Frankl davon überzeugt, dass wir trotz Leids Sinn finden können, Leid und Sinn also nicht inkompatibel sind. In Bezug auf das Leiden differenziert Frankl zwischen Leiden, das vermeidbar bzw. veränderbar ist und Leiden, das nicht beseitigt werden kann. Dabei gilt der Grundsatz: Vermeidbares Leiden ist sinnloses Leiden. So ist es beispielsweise angezeigt, das Leiden an einer Krankheit durch eine Operation zu lindern bzw. zu beenden, wenn dies möglich ist. Sich in einem solchen Fall nicht operieren zu lassen und das Leiden weiterhin zu

8 9

LM, 240; vgl. LE, 138. LM, 241.

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ertragen, es sozusagen „als Selbstzweck“ zu „intendieren“, würde nach Frankl „Masochismus“ bedeuten.10 Unabwendbares Leiden dagegen ist Teil der von Frankl sogenannten „tragischen Trias“11. Hierzu zählt er neben „unvermeidbarem Leid“ die „unausweichliche Schuld“ und den „unentrinnbaren Tod“.12 Mit ihnen sieht sich jeder Mensch in seinem Leben, in welcher Form auch immer, „konfrontiert“.13 Frankl ist sich sicher: „Das Leiden, die Not gehört zum Leben dazu, wie das Schicksal und der Tod. Sie alle lassen sich vom Leben nicht abtrennen, ohne dessen Sinn nachgerade zu zerstören. Not und Tod, das Schicksal und das Leiden vom Leben abzulösen, hieße dem Leben die Gestalt, die Form zu nehmen. Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an ihm, gewinnt das Leben Form und Gestalt.“14 Mit anderen Worten: Eine Welt ohne Leiden wäre, so die Überzeugung Frankls, nicht mehr diese Welt. Wollte der Mensch das Leiden „vermeiden“, würde er versuchen, „das Leben zu vermeiden“.15

2. „Kraft des Geistes“ – die Einstellungsänderung Das oberste Ziel in unserer an Leistung orientierten Gesellschaft scheint zunehmend darin zu bestehen, das Leiden, wenn schon nicht ganz zu vermeiden, so doch weitestgehend zu verringern. Die Forschung sucht nach immer neuen Möglichkeiten, uns das Leben zunehmend LE, 138; vgl. LM, 212f. LM, 51; vgl. LE, 142. 12 LM, 51. 13 Ebd. 14 ÄS, 150. 15 S. Gehnke, Sinnerfahrung und Todesbewusstsein (s. Anm. 1), 299. 10 11

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leidfrei zu gestalten. Wir selbst geben uns der Vorstellung hin, Leiden aus unserem Leben aussperren zu können. Weder sind wir dazu bereit, eigenes Leid anzunehmen, noch wollen wir das Leiden anderer Menschen an uns heranlassen. Dabei ist die Fähigkeit, sich Kraft der eigenen Einstellung einer leidvollen Situation gegenüberzustellen bzw. sich mit dieser auseinanderzusetzen, eine Fähigkeit, die den Menschen nach Frankl in besonderer Weise auszeichnet. Kraft des Geistes kann sich der Mensch von seiner Leiblichkeit distanzieren. Damit ist ihm die Freiheit der eigenen Einstellung prinzipiell gegeben. „Die geistige Person ist“ nach Frankl „dasjenige im Menschen, was allemal und jederzeit opponieren kann! Zur Fähigkeit des Menschen, über den Dingen zu stehen, gehört nun auch die Möglichkeit, über sich selber zu stehen.“16 Auch wenn dem Leiden selbst dadurch (zunächst) nichts genommen werden kann, so verändert sich doch durch die geänderte Einstellung das Empfinden ihm gegenüber. Denn: „Wie einer das ihm auferlegte Leiden auf sich nimmt – darin, in diesem Wie des Leidens, liegt die Antwort auf das Wozu des Leidens. Alles kommt auf die Haltung an, auf die Einstellung zum Leiden“.17 So verändert sich bei Klinikpatientinnen und -patienten durch die Wahrnehmung des Leidens der Mitpatienten erwiesenermaßen das eigene Leidempfinden. Das eigene Leiden tritt für eine gewisse Zeit in den Hintergrund, und es tröstet die Gewissheit, mit und in der leidvollen Situation nicht alleine zu sein. Auch Märchen oder andere Erzählungen können dazu beitragen, sich vom Leiden inner16 17

LE, 94. LM, 241.

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lich zu distanzieren und es möglicherweise neu zu deuten. Hinsichtlich des unabänderlichen Leidens wird aus logotherapeutischer Sicht unterschieden zwischen Leiden, das zeitlich begrenzt ist, bei dem Hoffnung auf Besserung oder sogar eine mögliche Heilung besteht, Leiden, das andauert – beispielsweise bei einer Querschnittslähmung – und Leiden, wo die Lebenszeit stark eingegrenzt ist und das unweigerlich ins Sterben mündet. Aus dieser Differenzierung ergeben sich entsprechende Konsequenzen für die (logotherapeutische) Sinnsuche: Es ist viel leichter, den leidenden Menschen auf Sinn hin anzusprechen und zum Er-Tragen des Leidens und zu einer positiven Einstellung ihm gegenüber zu motivieren, wenn zum einen ein Mensch oder eine Aufgabe auf ihn wartet und wenn zum anderen in Aussicht steht, dass seine Leidenssituation nur eine vorübergehende ist. Ist das Leiden dagegen von Dauer, so ist ein grundlegender Einstellungswandel gefordert. Am schwersten fällt dieser angesichts des bevorstehenden Todes. Aber sogar für den leidenden Menschen, dessen Lebenstage gezählt sind, bietet nach Frankl jeder neue Tag die Möglichkeit, die verbleibende Zeit als sinnerfüllt zu erleben.

3. „Pati aude – wage es, zu leiden“ Der Mensch muss nach Frankl lernen, das Leiden zu „intendieren“ und damit zu „akzeptieren“, um es schließlich „annehmen“ zu können.18 „Nur das intendierte Leiden hört auf, Leiden zu sein. […] Allein, um das Leiden intendieren zu können, muß ich es transzendieren. Mit an18

LM, 209.

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deren Worten, ich kann das Leiden nur intendieren, ich kann nur sinnvoll leiden, wenn ich um eines Etwas, eines Jemand willen leide.“19 Mit Hilfe der Logotherapie ist es nach Frankl nicht möglich, den Menschen vor dem Traurigsein zu bewahren – das kann auch nicht das Ziel sein –, aber es kann gelingen, den Menschen vor der Verzweiflung zu bewahren, die nach Ansicht Frankls dadurch entsteht, dass der Mensch einen „relativen Wert“ zum absoluten erhebt.20 Der Fokus Frankls ist darauf gerichtet, nicht das Leiden aus dem Leben zu beseitigen, „seine krankhaften Symptome“ zu behandeln und gegebenenfalls wegzutherapieren,21 sondern den Menschen zur Leidensbewältigung zu befähigen. Angesichts des unumgänglichen Leidens appelliert Frankl an den Menschen, sich diesem entgegenzustellen. So führt er aus: „Dem Homo sapiens [sc. dem klugen, weisen Menschen] setzen wir den Homo patiens [sc. den leidenden Menschen] entgegen. Dem Imperativ ‚sapere aude‘ stellen wir einen anderen entgegen: pati aude – wage es, zu leiden. Dieser Wagemut, der Mut zum Leiden – dies ist es, worauf es ankommt. Es gilt, das Leiden anzunehmen, das Schicksal zu bejahen, sich ihm zu stellen. Auf diesem Wege allein kommen wir an die Wahrheit heran, kommen wir ihr nahe“.22 Hier zeigt sich Frankls hoher Anspruch. Er weiß: „So ist denn das Leiden in mancherlei Hinsicht der Test schlechthin: Wir haben geEbd. LM, 226. 21 J. Riemeyer, Die Logotherapie Viktor Frankls. Eine Einführung in die sinnorientierte Psychotherapie, Gütersloh 22002, 159. 22 LM, 209. 19 20

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sehen, daß es das experimentum crucis, den Prüfstein, die Bewährungsprobe darstellt im Leben eines Menschen: sein Leben hat sich im Leiden zu bewähren. Und nun zeigt sich, daß das Leiden ein Test ist auch für die Lehre vom Menschen: sie hat sich in der Sinndeutung des Leidens zu bewahrheiten.“23 Frankl ruft den Menschen dazu auf, Leiden (wieder neu) zu erlernen und das Leben in all seinen Facetten, den Licht- und Schattenseiten anzunehmen.

4. Leiden als Leistung Der leidende Mensch vollbringt nach Frankl durch sein Leiden eine „Leistung“.24 Der Mensch, der gegenüber seinem Schicksal nicht resigniert, sondern selbst im Leiden versucht, Werte zu verwirklichen, „leistet“ etwas Besonderes. Für Frankl, dessen Wertskala dem Verständnis unserer sogenannten Leistungsgesellschaft diametral entgegensteht, ist gerade die Verwirklichung von Einstellungswerten die höchste Leistung, die ein Mensch vollbringen kann. Die Möglichkeit, im Leiden Sinn zu verwirklichen, hält Frankl für geradezu unbegrenzt. Warum ist die Sinnerfüllbarkeit im Leiden unbegrenzt? Schöpferische Werte und Erlebniswerte können „ausgeschöpft“ werden. Beispielsweise kann man sich am Naturerleben oder dem Betrachten eines Bildes irgendwann „erschöpfen“. Aber das Leiden lässt den Menschen nicht mehr los. Er ist permanent zu einer Stellungnahme seinem unabänderlichen Schicksal gegenüber aufgerufen. Dabei scheint 23 24

LM, 220. LM, 205; vgl. WS, 132.

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die Leistungsfähigkeit bzw. Leidensfähigkeit des Menschen ins Unermessliche gesteigert werden zu müssen. In seiner Einstellung ist der Mensch nicht mehr „von der Situation her bedingt“.25 Er macht sich vielmehr „unabhängig […] gegenüber aller äußerlich situativen Bedingtheit“.26 Weil die Leidensfähigkeit erworben bzw. erlitten werden kann und muss, steht die Möglichkeit dazu immer offen. Fehlende Leidensfähigkeit kann der Mensch nicht durch den Hinweis auf mangelndes Talent entschuldigen. Hier zeigt sich nach Frankl „die dimensionale Differenz […] zwischen der Sinnmöglichkeit, die das Leiden birgt, und den anderen Sinnmöglichkeiten. Der Mensch bewegt sich in der Regel auf einer horizontalen Ebene zwischen den Polen Erfolg und Misserfolg. […] Aber senkrecht dazu steht die Dimension des Homo patiens, des leidenden Menschen, des sein Leiden ‚leistenden‘ Menschen, des selbst noch im Leiden Sinn erfüllenden und sich verwirklichenden Menschen.“27 Das kann zu der Frage führen: Was macht uns als Menschen eigentlich aus? In den Augen Frankls ist es jedenfalls nicht die eine Rolle, auf die wir gerne festgelegt werden bzw. uns selber festlegen. Anschaulich wird dies an einem von Frankl angeführten Beispiel, einer Frau, die den Wert und Sinn ihres Lebens darin sieht, Ehefrau und Mutter zu werden, der dieser Wunsch jedoch verwehrt bleibt. Frankl macht deutlich, dass es ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens sein kann, eine Familie zu gründen, dass dies aber nicht der einzige Lebensinhalt ist. Wenn sich erweist, dass dieser Weg verstellt ist, sind LM, 223. Ebd. 27 SiP, 68. 25 26

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wir dazu angehalten, einen anderen Weg einzuschlagen. Denn: „Man kann dem Leben keine Bedingungen stellen.“28 An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es ist, sich nicht auf bestimmte Vorstellungen und Pläne festzulegen; denn umso schmerzlicher ist es dann, sich wieder davon zu verabschieden. Die Kunst besteht vielmehr darin, offen zu bleiben für Entwicklungen und Veränderungen, die zum Leben dazugehören und sie mitzuvollziehen in einer Haltung grundsätzlicher Offenheit. Aus dem Dargelegten könnte der Eindruck entstehen, dass nur ein leidender Mensch zur wahren Sinnverwirklichung fähig ist. Was ist aber mit den Menschen, die nicht mit Leiden konfrontiert werden? Müssen diese sich das Leid suchen? Darauf würde Karl Jaspers antworten, dass Leiden zu den Grenzsituationen gehört und jeder Mensch letztlich „irgendwie“ damit konfrontiert wird. Er braucht sich das Leiden nicht erst zu suchen. Ganz in diesem Sinne ist es Frankls Intention, deutlich zu machen, „daß Sinn möglich ist trotz des Leidens“, aber nicht „Leiden notwendig“ ist, „um Sinn zu finden“.29

II. Sinn des Leidens – Sinn im Leiden Erfahrungen von Krankheit, Leid und Tod lassen unweigerlich die Frage nach deren Sinn aufkommen. Wie dies aber für den Sinn des Lebensganzen gilt, so bleibt auch die Frage nach dem Sinn des Leidens als solchem offen. „Der jeweilige Sinn ist“ nach Frankl „einer ad per28 29

LM, 226. UG, 88.

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sonam et ad situationem“.30 Er „bezieht sich sowohl auf die Einzigartigkeit jeder Person als auch auf die Einmaligkeit jeder Situation“, in die ein Mensch gestellt ist.31 Dies gilt, so Frankl, auch für das Leiden. Es ist als „eine ganz einmalige Aufgabe“ zu verstehen. „Niemand kann es ihm [sc. dem Menschen] abnehmen, niemand kann an seiner Stelle dieses Leid durchleben. Darin aber, wie er selbst, der von diesem Schicksal Betroffene, dieses Leid trägt, darin liegt auch die einmalige Möglichkeit zu einer einzigartigen Leistung, einem unbedingten Sinn.“32 Die Sinnfrage, so Frankl, „scheitert“ dagegen, „sobald sie aufs Ganze geht“.33 Denn das Sinnganze entzieht sich nach Frankl der Einsichtsfähigkeit des Menschen. Aufgrund seines endlichen Verstandes kann er diesen Sinn des Ganzen, den Über-Sinn nicht erfassen. Um dies zu veranschaulichen, bedient sich Frankl der Analogie Mensch – Tier.34 „Der Mensch verhält sich Gott gegenüber daher eher wie ein Tier dem Menschen gegenüber: so wie ‚die‘ Welt des Menschen die ‚Umwelt‘ des Tieres umgreift, so wird die Welt des Menschen von der Überwelt umfaßt.“35 So wie das Tier nur seine Lebenswelt wahrnimmt und ihm die höher liegende Welt des Menschen verschlossen bleibt, so gilt dies auch bezüglich der Relation des menschlichen Bereichs zur Transzendenz.

LE, 122. Ebd. 32 J. Riemeyer, Die Logotherapie Viktor Frankls (s. Anm. 21), 64. 33 LM, 200; vgl. ÄS, 95f. 34 Vgl. LM, 91f., 184; ÄS, 62f.; WS, 117. 35 LM, 92; vgl. ÄS, 62f. 30 31

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Allerdings deutet Frankl an, dass nach seiner Auffassung einem mit Vernunft begabten Wesen ein Zugang zum Sinn des individuellen Lebens und damit auch des individuellen Leidens durchaus möglich ist. Er begründet dies so: „Wenn nichts Sinn hätte, müßte ich das irgendwie einsehen können; aber wenn alles Sinn hat, wenn überall Übersinn ist, muß ich das keineswegs einsehen können – ‚alles‘ kann ich ja niemals überblicken“.36 Der Sinn liegt allem bereits zugrunde. Muss uns der „Instinkt“ des Tieres und die „Intelligenz“ des Menschen, die jeweils nicht aus ihnen selbst hervorgehen, nicht dazu führen, eine Größe anzunehmen, die beides „eingepflanzt hat“?37 Der Verweis auf den Über-Sinn kann dazu beitragen, den Sinn des eigenen Leidens – zumindest in Teilen – zu erschließen. Uns bleibt, darauf zu vertrauen, dass alle unsere Schwächen und Grenzen, alle Not und alles Leid von Gott aufgenommen sind und er diese überwinden wird. Mögliche „letzte“ Antworten sind somit nur unter Bezugnahme auf die Transzendenz zu finden. Welcher Sinn kann im Leiden liegen? Frankl gibt darauf mehrere Antworten, die im Einzelnen zu betrachten sind. Dabei sollen die Chancen aufgezeigt werden, die die Logotherapie mit ihrem Ansatz eröffnet. Es ist aber auch auf mögliche Missverständnisse aufmerksam zu machen. Das Leiden, das muss immer wieder betont werden, ist an sich nicht gut; es richtet sich vielmehr gegen das Gute. Frankl nennt es „das, was nicht sein soll“.38 Denn LM, 201. ÄS, 63f. 38 ÄS, 147. 36 37

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es ist gegen das Leben gerichtet. Würde dem Leiden als solchem ein Sinn zugesprochen, so würde aus einem Übel vorschnell ein Gut gemacht. Allerdings kann die Konfrontation mit Leiden zu Konsequenzen führen, die sehr wohl Sinn in sich tragen können. Bernhard Grom hat darum angeregt, die Formulierung „das Leiden hat einen Sinn“ dahingehend zu modifizieren, dass das Leben „trotz des Leidens einen unbedingten Sinn“39 behält.40 Dies will auch Frankl deutlich machen. Jedoch irritiert, dass er beide Formulierungen heranzieht und dabei nicht konsequent zwischen „Sinn des Leidens“ und Sinn „im Leiden“ unterscheidet.41

1. Im Leiden wachsen, reifen, reicher werden An der Grenze stehend, entwickelt sich der Mensch in ganz besonderem Maße weiter. Nicht die ruhigen Zeiten im Leben sind es, die uns zu uns selbst führen und reich machen an Erfahrung, sondern gerade die Krisen und Grenzsituationen. So muss der Mensch auch im Leiden immer neue Potentiale in sich freisetzen. Frankl spricht die Möglichkeiten an, die dem Menschen auch im Leiden verbleiben: Indem er sich nicht von seinem Leiden erdrücken lässt, sondern sich über sein Schicksal erhebt, wächst er darüber hinaus. Angesichts unumgänglicher Gegebenheiten, etwa einer Krankheit, die wir „nicht ändern können, gerade dort ist uns abverlangt, uns selbst zu ändern, nämlich zu reifen, zu wachsen, über uns

ÄS, 144. B. Grom, Im Leiden an Gott glauben?, in: Stimmen der Zeit 210 (1992) 707-716, 711. 41 ÄS, 145. 39 40

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selbst hinauszuwachsen! Und das ist bis in den Tod möglich.“42 Das Leiden bietet dem Menschen Frankl zufolge die größtmögliche Chance der Selbstentwicklung, der „Selbstgestaltung. Denn die Erwerbung der Leidensfähigkeit ist ein Akt der Selbstgestaltung.“43 Der Mensch ist dazu angehalten, sich immer mehr zu dem hin zu entwickeln, als der er (von Gott) gewollt ist.44

2. Leiden als Vertiefung des Lebens Durch das Leiden eröffnet sich dem Menschen eine neue Perspektive auf die Welt. Oftmals werden die Werte, die sich im Laufe der Zeit verschoben haben, neu überprüft, und es kristallisiert sich heraus, was in der augenblicklichen Situation wirklich Bestand hat. Möglicherweise kommt es zum Nachdenken über eine höher liegende, weiter reichende Dimension. Von Joseph B. Fabry wird dies folgendermaßen beschrieben: „In unserem Leid sind wir aller Äußerlichkeiten entkleidet, wir kümmern uns nicht mehr darum, welchen WS, 243; vgl. LM, 208f. LM, 203. 44 Im Leiden kann der Mensch nach Frankl Zeugnis davon ablegen, wie er „imstande ist, eine persönliche Tragödie in einen menschlichen Triumph umzusetzen“ (LE, 270). Hiermit unterstreicht Frankl die Würde und Größe des Menschen. Allerdings lässt sich fragen, ob „Triumph“ der treffende Terminus ist. Vermutlich wäre eine Differenzierung bzw. Erläuterung dahingehend angebracht, dass am Ende des Leidensweges möglicherweise ein „triumphales“ Gefühl stehen kann, das Gefühl, etwas Großes vollbracht zu haben. „Triumph“ klingt demgegenüber sehr konfrontativ und lässt Frankls Anliegen nicht ausreichend deutlich werden, das Leiden als Bestandteil in das Leben zu integrieren. 42 43

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Eindruck wir auf andere Menschen machen, wir befassen uns nicht mehr mit Kompromissen oder mit Plänen für die Zukunft. Die leidvolle Erfahrung führt uns zu den Wurzeln unseres Lebens zurück und kann zu einem Wendepunkt werden, an dem wir uns gegen alles Oberflächliche entscheiden und dem Wesentlichen zuwenden. Nur angesichts einer tragischen Situation erweist es sich, ob die Sinngehalte, denen wir uns unser Leben lang gewidmet haben, Gültigkeit besitzen.“45 Wenn der Mensch eine leidvolle Situation gemeistert hat, verfügt er über besondere Ressourcen, eine erneute Konfrontation dieser Art zu bestehen. Ein Mensch, der vom Leiden bisher verschont blieb, wird durch einen Schicksalsschlag ganz anders getroffen als ein Mensch, der bereits erfahren hat, dass wir zwar Zukunftspläne entwerfen, dass diese aber zerschlagen werden können und das Leben letztlich nicht planbar ist.

3. Leiden als Beispiel-Geben Der Sinn des Leidens kann weiterhin darin bestehen, dass der Mensch ein Beispiel dafür gibt, wozu er als Mensch in der Lage ist. Hoffnung und Mut, die der kranke Mensch durch einen beispielhaften Umgang mit seinem Schicksal anderen Menschen vermittelt, sind in ihrer Wirkung nicht hoch genug einzuschätzen. Es ist sehr wertvoll, im eigenen Leid um Menschen zu wissen, die eine derartige Situation bereits durchgestanden haben. Leidensgenossinnen und -genossen können eine große Stütze und Kraftquelle sein. Der Aspekt des Beispiel-Gebens darf jedoch nicht überbetont werden. Wenn 45 J. B. Fabry, Das Ringen um Sinn. Eine Einführung in die Logotherapie, Freiburg i.Br. 21980, 62.

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das Leiden nur noch auf diese Funktion reduziert wird, droht es, in seiner beeinträchtigenden Wirkung verkannt, bagatellisiert und (für einen bestimmten Zweck) instrumentalisiert zu werden.

4. Das Leiden erhält die Empfindsamkeit Wie das Leiden in Form von Schmerzen dem Körper meldet, dass etwas nicht stimmt, so bewahrt das Leiden auf der Ebene des Seelisch-Geistigen vor der Empfindungslosigkeit. „Schon auf der biologischen Ebene“, so Frankl, „stellt der Schmerz einen sinnvollen Wächter und Warner dar. Im seelisch-geistigen Bereich hat er nun eine analoge Funktion.“46 Uns ist daran gelegen, „seelisch ‚rege‘ zu sein und zu bleiben“.47 Dazu zählt, den Schmerz und das Leid eines anderen Menschen wahrzunehmen. Wenn dagegen alles an uns abprallt, uns nichts mehr wirklich erschüttern kann, ist unser Inneres hart und tot geworden. In der heutigen Zeit stehen wir mehr denn je in der Gefahr, in diese „seelische Totenstarre“ zu verfallen.48 Weil wir permanent mit Bildern überflutet werden, ist es kaum mehr möglich, das ganze Ausmaß an Leid und Schrecken an uns heranzulassen. Dies kann jedoch schnell dazu führen, dass uns gar nichts mehr berührt und wir völlig abstumpfen. Durchaus treffend bemerkt Sandra Gehnke: „Eine leidensunfähige und leidunwillige Gesellschaft ist leidstiftend. […] Menschliche Beziehungen verlieren mit abnehmender Empfindungsfähigkeit Tiefe, Wert und ÄS, 149. ÄS, 150. 48 ÄS, 149. 46 47

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Sinn. Daher ist statt A-Pathie eine breite gesellschaftlich angelegte Sym-Pathie eine Not-Wendigkeit.“49 Frankl hat hierzu einen entscheidenden Beitrag geleistet, indem er uns dazu anhält, uns die Empfindsamkeit zu bewahren.

5. Die „metaphysische Relevanz“ des Leidens Nach Frankl hat das Leiden nicht nur „ethische Dignität“, sondern auch „metaphysische Relevanz“: „Das Leiden macht den Menschen hellsichtig und die Welt durchsichtig. Das Sein wird transparent hinein in eine metaphysische Dimensionalität. Das Sein wird durchsichtig: der Mensch durchschaut es, es eröffnen sich ihm, dem Leidenden, Durchblicke auf den Grund. Vor den Abgrund gestellt, sieht der Mensch in die Tiefe, und wessen er auf dem Grunde des Abgrunds gewahr wird, das ist die tragische Struktur des Daseins. Was sich ihm erschließt, das ist: daß menschliches Sein zutiefst und zuletzt Passion ist – daß es das Wesen des Menschen ist, ein leidender zu sein: Homo patiens.“50 Auch wenn der Mensch die Frage nach dem Sinn des Leidens nicht beantworten kann, ist es jedoch entscheidend, die Sinnfrage in der Transzendenz verankert zu wissen. Der Sinn des Leidens ist nur aus der Rückgebundenheit an die Transzendenz zu erschließen. Leiden ohne diese metaphysische Dimension könnte wohl nur bedingt bestanden werden, antwortet der leidende Mensch auf die Frage nach dem Wozu des Leidens doch durch das Wie des Leidens. Hierzu ist er aber nur in der Lage, 49 S. Gehnke, Sinnerfahrung und Todesbewusstsein (s. Anm. 1), 303. 50 LE, 136f.

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wenn er auf eine transzendente Größe hoffen kann, in der, christlich gesprochen, das Leiden letztlich aufgenommen, aufgehoben ist. Die Frage nach dem Wozu des Leidens dagegen kann uns letztlich nur von der Transzendenz her beantwortet werden.

III. Eine kritische Auseinandersetzung mit V. E. Frankls „Versuch einer Pathodizee“ Das Leiden ist Teil des Lebens. Wir können ihm nicht ausweichen, sondern wir sind nach Frankl dazu angehalten, uns ihm gegenüber einzustellen, uns letztlich über das Leiden zu stellen und es zu bewältigen. Das Bild, das Frankl vom Leidensprozess zeichnet, ist durchaus positiv und soll an dieser Stelle kritisch beleuchtet werden. Die Einwände und Einschränkungen beziehen sich hier zum einen auf den Prozess der Leidensannahme. Zum anderen soll ein Nachdenken darüber angestoßen werden, ob die Auseinandersetzung mit dem Leiden den Menschen nicht (auch) überfordern kann.

1. Leidensannahme als Prozess Nach Frankl ist das Leiden „nicht auf den Wegen der Flucht und Furcht“ zu bewältigen.51 Vielmehr versteht er das Leiden als „Rohstoff“, aus dem der Mensch durch einen Prozess der Auseinandersetzung Energie freisetzen kann.52 Hier stellt sich die Frage: Ist diese Sichtweise nicht zu idealistisch? Ist es in der Realität nicht so, dass 51 52

LM, 209. LM, 206.

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Konfrontation mit dem Leiden zuerst einmal belastet, lähmt, die Handlungsfähigkeit hemmt und Flucht und Furcht die zunächst naheliegenden Reaktionen sind? Wird das Leiden als unabänderlich angenommen (nicht hingenommen), so bleibt die Möglichkeit, es aus dieser oder jener Perspektive zu betrachten, was das ErTragen des Schicksals erleichtern kann. In der Rückschau betrachtet, fällt es leicht(er), festzustellen, dass das Leiden, das wir erfahren und durchlitten haben, uns in unserer persönlichen Entwicklung vorangebracht hat und uns hat reifen lassen. Es bedarf jedoch einer Phase der Auseinandersetzung, um sich dem Leiden aufrichtig stellen und ihm bewusst und kraftvoll gegenübertreten zu können. Frankl geht aber zu wenig auf diese Anfangssituation ein, die zunächst einmal bewältigt werden will. Zudem ist sein Konzept ausschließlich auf Zukunft hin ausgerichtet. Dies ist unerlässlich, muss aber nicht ein völliges Ausblenden der Vergangenheit bedeuten. Nach Jörg Riemeyer muss das „Durcharbeiten der Lebensgeschichte, wie es von den tiefenpsychologischen Richtungen praktiziert wird, […] nicht immer schädliche Hyperreflexion sein, sondern kann auch notwendige Voraussetzung für eine Neuorientierung bedeuten“.53 Es drängt sich jedoch der Eindruck auf, dass Frankl jede Rückschau und Bearbeitung des Vergangenen bewusst vermeiden möchte.

53 J. Riemeyer, Die Logotherapie Viktor Frankls (s. Anm. 21), 158.

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2. Leiden in Würde – eine Überforderung? Das Denken in Kategorien der Machbarkeit ist angesichts des unabänderlichen Leidens nicht mehr sinnvoll. Allerdings sind Frankls Äußerungen an dieser Stelle missverständlich, und er scheint einer gewissen Machbarkeit im Leiden zuzuneigen. Wenn Frankl beispielsweise vom „Aktiv-werden“54 spricht, dann versteht er die Aktivität des Leidenden in einer Weise, die mit innerer Aktivität umschrieben werden müsste. Richtig ist, dass der Mensch in dem Sinne aktiv werden muss, dass er gegenüber dem Leiden nicht resigniert und sich diesem kampflos hingibt. Möglicherweise könnte es dem besseren Verständnis dienen, wenn in diesem Zusammenhang von geistig aktiver Haltung oder Ähnlichem gesprochen würde. Mit der Annahme des Leidens kann nach Frankl „eine revolutionäre Spannung“55 entstehen, welche es ermöglicht, das Schicksal innerlich zu bewältigen. Wenn das Leiden, so Frankl, angenommen wird, braucht es nicht mehr bekämpft zu werden. Verweigert sich der Mensch jedoch der leidvollen Situation, in die er gestellt ist, führt dies zu einem inneren Kampf, der das Ertragen nur erschwert. Ulrich Eibach wendet jedoch ein, dass wir gegenüber dem „optimistischen Konzept“ durchaus skeptisch werden sollten, „wonach der Mensch auch in schwersten Krisen über sich hinauswachsen und die Kräfte haben wird, seine Würde zu wahren“.56 Dabei lässt er offen, welches Konzept er im Blick hat. Aber sein Einwand lieLM, 59f.; vgl. UG, 88. ÄS, 147. 56 U. Eibach, Der leidende Mensch vor Gott (s. Anm. 4), 144. 54 55

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ße sich durchaus auch auf die Logotherapie beziehen. Eibach betrachtet es eher als Hypothek und Belastung für den leidenden Menschen und keineswegs als Ansporn oder Hoffnungszeichen, dazu aufgerufen zu sein, seine Krankheit in Würde zu tragen und über sich hinauszuwachsen. Trauernde und leidende Menschen sähen sich, so Eibach, im eigenen, ganz individuell empfundenen Leiden zunehmend mit gewissen Schemata konfrontiert, an denen sich ihr Leidens-, Sterbe- oder Trauerverlauf zu orientieren habe. Eibach ist darin zuzustimmen, dass das individuelle Leiden nicht in einen schematischen Verlauf gepresst werden kann und darf. Einem leidenden Menschen diesen Eindruck zu vermitteln, wäre sehr fragwürdig. Allerdings wird es im Blick auf diese Schemata vor allem auf deren jeweilige Vermittlung ankommen und auf die Frage, zu welchem Zweck sie herangezogen werden. In der Begleitung trauernder Menschen können die Ergebnisse der Trauerforschung und damit auch Phasenverläufe (nach Elisabeth Kübler-Ross, Ruth-Mareike Smeding u.a.) durchaus hilfreich sein, wenn sie dazu dienen, dass der trauernde Mensch seine Empfindungen besser versteht. Darüber hinaus kann anhand dieser Grundlage ein Ausblick gewagt werden: Wie könnte sich die eigene Trauer fortentwickeln? Wobei es sich hier um eine bloße Möglichkeit handelt; „Ausblick“ meint dabei nicht, die eigene Trauer einem bestimmten Modell bzw. Schema anzupassen. Die Phasenverläufe sollen vielmehr dazu beitragen, Hoffnung zu wecken bzw. wiederzufinden, die zunächst unwiederbringlich verloren scheint.

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3. Leiden ist nicht zu deuten „Der Mensch erlebt die Dinge von außen ganz anders als von innen. Für den Außenstehenden ist es so gut wie unmöglich, sich in den Betroffenen hineinzuversetzen, sich in mich hineinzuversetzen.“57 Dies sind die Einleitungsworte Sophie van der Staps zu ihrem Buch Heute bin ich blond. Mit 22 Jahren wird bei der jungen Frau Lungenkrebs diagnostiziert. Ein langer Leidensweg beginnt, den sie rückblickend in ihrem Buch dokumentiert hat.58 Sie erinnert daran, dass im Leiden allen Menschen, außer dem Betroffenen, (zunächst) die Beobachterrolle zukommt. Demnach verbietet es sich, aus der Perspektive des Außenstehenden eine leidvolle Situation zu deuten. Und doch sehen sich Menschen im Leid immer wieder mit unterschiedlichsten Leidensdeutungen konfrontiert, was an die „Freunde“ Hiobs erinnert. Menschen neigen dazu, sich ein Wissen über die Gründe bzw. Ursachen für das Leiden anzumaßen. Dies lässt sich zum Teil damit erklären, dass sie oft an der Unerklärbarkeit des Geschehenen leiden, sich sprachlos fühlen und bei den Tröstungsversuchen gegenüber dem leidenden Menschen vor allem eine Erklärung für sich selbst suchen. Es mag sein, dass ein Mensch so sehr vom 57 S. van der Stap, Heute bin ich blond. Das Mädchen mit den neun Perücken, München 2008, 6. – Die niederländische Originalausgabe erschien unter dem Titel: Meisje met negen pruiken, Amsterdam 2006. 58 Sophie van der Stap gewährt einen Einblick, wie sie diese Leidenszeit gemeistert hat. Neun Perücken, denen sie Namen gibt, werden zu ihren Begleiterinnen. Mit ihnen kann sie in unterschiedliche Rollen schlüpfen und ihre Stimmungen während der (Chemo-)Therapie zum Ausdruck bringen bzw. sich auch mit Hilfe der verschiedenen Charaktere in einen schützenden Raum zurückziehen.

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Leiden des anderen betroffen ist, dass dies so viel Angst in ihm auslöst, dass er sich in standardisierte Erklärungen flüchtet. Das Leiden wirkt aber „nicht mehr bedrohlich und unverständlich“, wenn „man gute Gründe für das Unglück mancher Menschen zu kennen meint“.59 Um diese Hintergründe und Erklärungszusammenhänge zu wissen, heißt nicht, derartiges Verhalten zu rechtfertigen, aber das Wissen darum kann für den leidenden Menschen möglicherweise entlastend sein. Aufgrund des medizinischen Fortschritts gelingt es zunehmend, die Ursachen einer Erkrankung zu ermitteln. Das verleitet dazu, sich angesichts eines kranken Menschen zu fragen, was er wohl „falsch gemacht“ haben muss, dass er beispielsweise an Krebs erkrankt. Durch derartige Betrachtungen des Leids und Rückschlüsse auf mögliche Gründe wird bei dem betroffenen Menschen das Schuldempfinden jedoch noch zusätzlich verstärkt. Dabei leidet ein kranker Mensch ohnehin an Fragen und Selbstzweifeln. In eindrücklichen Worten beschreibt Susan Sontag am Beispiel ihrer eigenen Krebserkrankung die schmerzlichen Erfahrungen, die sie mit unangemessenen Leidensdeutungen machen musste.60 Oder Menschen werden an die übermäßige Liebe Gottes erinnert, der einem Menschen nicht mehr auferlegt, als er (er)tragen kann. Auch Frankl selbst erliegt der Gefahr der Leidensdeutung. Bei einem tief religiösen Menschen geht er in der Therapie einmal (sogar) so weit, 59 P. Fonk, Gegen-Finalitäten – die Ethik des gelingenden Lebens vor der Frage nach dem Leiden, in: G. Höver (Hg.), Leiden. 27. Internationaler Fachkongress für Moraltheologie und Sozialethik (Sept. 1995, Köln/Bonn), Münster 1997, 73-93, 76. 60 Vgl. S. Sontag, Das Leiden anderer betrachten (s. Anm. 7), bes. 30-36, 50f.

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das Leiden des Patienten als etwas „‚Gottgewolltes‘“ zu interpretieren.61 Damit verstößt Frankl gegen seine eigenen Grundsätze, wonach nur der Mensch selbst die Frage nach dem Sinn in seinem Leben für sich beantworten kann und der Therapeut diesen nicht vorgeben darf. Nur der leidende Mensch kann für sich selbst entscheiden, ob ihm die Zusage der Nähe Gottes im Leiden weiterhelfen kann oder ob er in anderen Vorstellungen Halt findet. Das Herantragen eines fremden Sinns an den leidenden Menschen käme einer Anmaßung gleich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Gott den Menschen auch Prüfungen aussetzt. Aber dies ist eine bloße Vermutung. Sie entstammt unseren menschlichen Vorstellungen, die wir auf Gott übertragen. Wir wissen dies nicht. Daher sollten wir uns darauf beschränken, das Leiden als etwas Unausweichliches zu sehen. Der leidende Mensch kann bzw. muss es „annehmen“ bzw. sich ihm gegenüber einstellen.62 Damit bliebe die Vorstellung Gottes als des Unergründlichen unangetastet, wobei wir hoffen, dass sich uns zu einem späteren Zeitpunkt alle Zusammenhänge erschließen werden. Zudem wird auf diese Weise vermieden, die Krankheit als verdientes Schicksal misszuverstehen. Denn in der Deutung liegen Prüfung und Strafe nahe beieinander. Schnell könnte der Eindruck erweckt werden, dass es wohl seine Gründe hat, wenn einen Menschen ein bestimmtes Schicksal trifft. Eine derartige (Fehl-)Deutung muss unbedingt vermieden werden. Jede Form, Leiden zu deuten, verbietet

ÄS, 218. Vgl. S. Gehnke, Sinnerfahrung und Todesbewusstsein (s. Anm. 1), 330. 61 62

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sich, da es sich beim Leiden immer um ein ganz persönliches Erleben handelt.

4. Im bzw. am Leiden scheitern Bei allen Argumenten dafür, durch das Leiden wachsen und reifen zu können, darf nie der Schmerz und die Not vergessen werden, die den Menschen treffen und der Kampf, den er mit sich selbst austrägt. Es ist durchaus möglich, dass ein Mensch diesen Kampf nicht besteht und im bzw. am Leiden scheitert. Not und Leid formen den Menschen nicht nur in einer positiven Weise, sondern er kann sehr wohl auch daran zerbrechen, sei es, dass die Umstände so unerträglich sind, sei es, dass er die selbsttranszendente Haltung, die zu einer gelingenden Leidensbewältigung gehört, nicht aufbringen kann. Dies darf ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Zwar ist der Mensch das Wesen, das seine Grenzen immer weiter überschreiten kann, aber er ist ebenso das Wesen, das (daran) scheitern kann. Die Möglichkeit des Scheiterns wird von Frankl jedoch kaum oder so gut wie gar nicht thematisiert. Dies mag mit Frankls positiver Grundausrichtung zusammenhängen. Nach seiner Auffassung würde er den Menschen klein machen, wenn er zunächst bzw. zu schnell die Möglichkeit des Scheiterns in den Blick nähme. Als Therapeut ist es ja gerade sein Ziel, den Menschen auf seine Potentiale aufmerksam zu machen, ihm Mut zu machen und ihm die Kraft zuzusprechen, die Situation, in die er gestellt ist, zu meistern. Damit erweckt Frankl allerdings den Eindruck, sein Blick auf das Leiden sei ausschließlich positiv.

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5. Die katalytische Wirkung der Klage Im Aneignungsprozess der eigenen Situation kommt der Klage besondere Bedeutung zu. Sie kann wie eine Art Katalysator (griech. katálysis, Reinigung, Auflösung) im Leiden wirken, wobei die katalytische, reinigende Wirkung darin besteht, eine deutliche Veränderung der inneren Verfassung des leidenden Menschen zu bewirken. „In der Klage verleiht der Mensch“, so Eibach, „seinen Schmerzen, seiner Angst, dem Gefühl der Sinn- und Aussichtslosigkeit und der Sehnsucht nach Heilung und Erlösung mit Worten Ausdruck, statt die Krankheit ‚apathisch‘ über sich ergehen zu lassen.“63 Eibach verweist hier auf Dorothee Sölle, die die Klage als Mittel versteht, den Menschen aus seinem isolierten Zustand herauszuführen, über das Klagen (wieder) zur „Kommunikation“ zu finden und dadurch seine Situation zu verändern. Auf die Klage geht Frankl jedoch nicht ein. Er übergeht, wie an anderer Stelle bereits deutlich wurde, in gewisser Weise die Phase der Auseinandersetzung und gelangt sehr schnell bzw. zu schnell zur Annahme des Leidens. An dieser Stelle sei angemerkt, dass in der Begegnung mit einem leidenden Menschen immer darauf zu achten ist, wie wir ihm gegenübertreten. „Wenn wir jemanden als krank, schwach und hilflos betrachten, beginnt diese Person sich in unserer Gegenwart genauso zu fühlen. Je kränker uns der andere vorkommt, je schlechter fühlt er sich.“64 Dagegen können wir Potentiale zur Leidensbewältigung (bis hin zur inneren Heilung) wecken bzw.

63 64

U. Eibach, Der leidende Mensch vor Gott (s. Anm. 4), 136. B. Shoshanna, Krankheit lehrt uns leben (s. Anm. 2), 113.

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stärken, wenn wir den leidenden Menschen trotz seines Leidens als heil und ganz begreifen. Ein Mensch muss immer als kranker Mensch gesehen und behandelt und darf nicht auf seine Krankheit reduziert werden. Denn trotz aller bedingenden Faktoren bewahrt er als geistige Person seine menschliche Würde. Dem kann auch dadurch Rechnung getragen werden, dass nicht von dem Kranken gesprochen wird, womit unweigerlich eine Festlegung auf die Krankheit verbunden ist, sondern von einem kranken Menschen, d.h. von einem Menschen, der eine Krankheit hat, aber den diese Erkrankung nicht alleine ausmacht.

6. Das Leiden (er)tragen im Mit-Leiden Leiden hat nur dann einen Sinn, wenn es nicht um seiner selbst willen intendiert wird, sondern der Mensch das Leiden um jemandes oder etwas willen auf sich nimmt. In der Darstellung zum Leiden ist bereits deutlich geworden, dass der leidende Menschen, um sein Leiden zu bestehen, sein Leiden nach Frankl „leisten“ zu können, über viel innere Stärke verfügen muss. Darum ist es wichtig, dass der leidende Mensch die Nähe anderer erfährt. Frankl spricht „den leidenden Mitmenschen, den mitleidenden Menschen“ an und fordert ihn zum „Mitvollzug“ des Leidens auf.65 Denn im Mitleiden sieht er eine so wichtige Aufgabe wie im Leiden selbst. Frankl gebraucht in diesem Zusammenhang auch den Terminus „letzte Hilfe“,66 was möglicherweise Assoziationen zur Sterbehilfe hervorruft. Darum geht es Frankl jedoch nicht. 65 66

LM, 241. UG, 79.

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Der Begriff „letzter Hilfe“, den er in Anlehnung an „Erste Hilfe“ formuliert, soll dem Arzt in Erinnerung rufen, „dass ihm die Ausübung der Letzten Hilfe genauso vertraut sein sollte wie die der Ersten Hilfe“.67 Frankl führt dazu aus, was er unter „letzter Hilfe“ versteht: „Wenn ich im rechten, nämlich aufrechten Leiden noch eine letzte und doch die höchste Möglichkeit zur Sinnfindung sichtbar mache, dann leiste ich nicht erste, sondern letzte Hilfe.“68 Neben der „Heilung“ ist nach Frankl die „Tröstung der Kranken“ die vordringliche Aufgabe eines jeden Arztes. Hier ließe sich ergänzen: Letztlich ist dies die Aufgabe eines jeden Menschen. Dem Mitleiden kommt ein hoher Wert zu. Denn in ihm kann eine positive Kraft freigesetzt werden, die dem Menschen hilft, seine Leidenszeit zu bestehen. Auch Sophie van der Stap hat von der positiven Energie gesprochen, die andere Menschen, z.B. ihre Schwester ihr vermittelten. Aufgrund der zunehmenden „Beziehungslosigkeit und Vereinzelung“ nehmen wir jedoch am Leiden des anderen immer seltener (An-)Teil.69 Dabei bietet das Mitleiden auch die Möglichkeit zur Sinnfindung und Sinnverwirklichung im eigenen Leben. Darüber hinaus kann die Erfahrung aus dem Begleiten eines leidenden Menschen dazu beitragen, auch eigenes Leiden besser zu bewältigen.

67 K. Biller / M. de Lourdes Stiegeler, Wörterbuch der Logotherapie und Existenzanalyse, Wien/Köln/Weimar 2008, 174. 68 UG, 79. 69 S. Gehnke, Sinnerfahrung und Todesbewusstsein (s. Anm. 1), 302.

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7. „Erfülltes“ Schweigen Wie bereits erörtert wurde, sieht sich der leidende Mensch mit unterschiedlichen Formen der Leidensdeutung konfrontiert. Die deutenden Worte werden jedoch meist als wenig tröstlich empfunden. Das führt zu der Frage, ob das Schweigen nicht die angemessenere Form ist, dem leidenden Menschen zu begegnen. Es sollen hier die beiden folgenden Formen des Schweigens unterschieden werden: zum einen Schweigen als Sprachlosigkeit, als „der Versuch, existentieller Kommunikation auszuweichen“, was für den leidenden Menschen nur sehr schwer zu ertragen ist;70 zum anderen Schweigen als Signal, die Situation mit dem betroffenen Menschen aushalten zu wollen, für ihn da zu sein. Dies mag für den Betroffenen tröstlich sein. Allerdings hat Ulrich Eibach seine Zweifel, ob das Schweigen im Leiden die adäquate Reaktion ist. Das Schweigen des begleitenden Menschen dürfe nicht als quälend empfunden werden. Entscheidend ist dabei: Wer ist es, der da schweigt, und was ist seine Motivation? Fehlen ihm einfach die Worte? Wie signalisiert ein Mensch, dass es zwar keine Antwort auf die bedrängenden Fragen gibt und er darum schweigt, dass er mitleidet, sich vom Leid des Anderen betreffen lässt und seine Sprachlosigkeit bzw. sein Schweigen nicht bedeutet, dass er sich der Situation entziehen möchte? Hierfür hat Jaspers den Begriff des „erfüllten Schweigens“ geprägt.71 Es ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen sehr genau spüren, mit welcher Haltung ihnen begegnet Ebd., 404. K. Jaspers, Der philosophische Glauben angesichts der Offenbarung, Darmstadt 31984, 195. 70 71

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wird, ob jemand trösten, da sein oder vertrösten möchte. Dazu zählt auch, sich im Leiden ernst- und damit wahrgenommen zu fühlen. Die Empfindungen des leidenden Menschen dürfen nicht unterdrückt oder überdeckt werden. Letztlich mag das Schweigen und auch das Ringen um Worte und die Sprachlosigkeit vom leidenden Menschen selbst wohl als redlicher erlebt werden als der vorschnelle Trost, der mitunter eher einer Vertröstung gleicht. Im „erfüllten“ Schweigen kann letztlich deutlich werden, dass unser Wissen an unüberwindliche Grenzen stößt, aber der Raum offengehalten wird für eine Antwort am Ende der Zeit. *

*

*

Durch sein Verständnis des Leidens, das immer noch Raum zur Sinnfindung und Sinnverwirklichung lässt, eröffnet Frankl kranken und leidenden Menschen eine Dimension der Hoffnung. Selbst in den dunklen Zeiten des Lebens bleibt der Mensch geistig frei, frei zur eigenen Einstellung. Frankls These, dass im Leiden Sinn entdeckt werden kann, ist als ein Appell zu verstehen, das Leiden nicht nur hinzunehmen, sondern es anzunehmen. Die Aufforderung Frankls zum aufrechten Leiden könnte eine Anregung sein, uns in unserer Gesellschaft (wieder) mit dem Faktum auseinanderzusetzen, dass das Leiden – in welcher Weise es uns auch begegnen mag – zum Leben als solchem dazugehört und wir als Mensch dazu aufgerufen sind, auf Leiden mit unserem besonderen Potential, der Leidensfähigkeit, zu reagieren. Dies kann uns dazu ermutigen, Menschen, die mit Leiden in ihrem Leben konfrontiert sind, beizustehen und selber mitleidsfähig zu werden. Darüber hinaus könnte sich 122

Frankls Blick auf den Homo patiens in den gesellschaftlichen Kontext hinein positiv auswirken. Dies gilt besonders, wenn es um die Frage geht, ob das Leiden bzw. leidende Menschen in unserer an Leistung orientierten Gesellschaft noch einen Platz haben. Der von Frankl vorgenommene Perspektivenwechsel, seine veränderte Sicht auf das Leiden, ist ein Aufruf an uns, unser Menschenbild zu überprüfen und darüber nachzudenken, was den Wert und die Würde eines Menschen im Letzten ausmacht.

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MIRIJAM SCHAEIDT

„Ich weiß: Mein Erlöser lebt!“ Hiob nach Ostern gelesen „Doch ich weiß: Mein Erlöser lebt; und als der Letzte wird er über dem Staub stehen. Und nachdem man meine Haut so zerschunden hat, werde ich doch aus meinem Fleisch Gott schauen. Ja, ich werde ihn für mich sehen, und meine Augen werden ihn sehen, aber nicht als Fremden.“ (Hiob 19,25-27)

Leiden Menschen, die an die Auferstehung glauben, anders als andere? Karl Marx würde die Frage vermutlich bejahen, aber mit einem negativen Vorzeichen. Ja, natürlich, würde er wohl sagen, nämlich apathischer, resignierter – zumindest im Hinblick auf diese Welt, die ihnen angeblich nichts mehr bedeutet. Er bezeichnete die Religion als Opium für das Volk, weil sie durch ihre Vertröstungen auf eine künftige himmlische Welt uns daran hindere, Leidenssituationen in dieser Welt zu verändern. Sie betäube uns, und leider gibt es tatsächlich Menschen, die im Namen des Glaubens jede mögliche Mitverantwortung an ihrem Befinden oder am Befinden anderer permanent von sich weisen und lieber apathisch vor sich hin leiden oder leiden lassen. Lebendig glaubende Menschen sagen dagegen: Unser Osterglaube bewahrt uns vor Verzweiflung und ermöglicht uns zu erkennen, wo wir etwas ändern können und sollten, und wo es gilt, unvermeidliches Leid in Geduld anzunehmen oder mitzutragen. Wo die einen Apathie vermuten, 125

empfinden die anderen Gelassenheit, wo die einen fürchten, durch den Glauben am Handeln gehindert zu werden, spüren andere die Freisetzung ihrer Kräfte zur Mitgestaltung dieser Welt, gerade aus dem Osterglauben heraus. Verstehen diese beiden möglichen Einstellungen angesichts des Leidens den Osterglauben ausschließlich als eine Art Arznei, ob Schmerzmittel oder Vitaminspritze, so trifft keine von beiden das, was Ostern wirklich ist. Welche Rolle spielt ein authentischer, gereifter Osterglaube im Leiden? Denn dass wir auch als nachösterliche Menschen leiden, das ist klar.

Hiob – eine Ostergeschichte Das Buch Hiob stammt aus dem Alten Testament. Ostern spielt dort noch keine Rolle, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie wir Ostern feiern. Aber es erzählt die Geschichte einer Befreiung, einer Erlösung, wie sehr viele Geschichten des Alten Testamentes. Zur Erinnerung sei sie hier knapp wiedergegeben: Hiob, ein frommer Mann, der seinen Glauben und die Verantwortung für sein Leben sehr ernst nimmt, erlebt eines Tages völlig unvermittelt, wie in seinem Leben nichts mehr bleibt, wie es ist. Alles, was ihm bis dahin Halt gab und Glück bedeutete, bricht wie ein Kartenhaus zusammen. Was ist geschehen? In der Vorgeschichte, von der aber nur die Leser des biblischen Buches erfahren, heißt es, der Satan sei eines Tages vor Gott hingetreten und habe sinngemäß zu ihm gesagt, nachdem dieser Hiobs Gutsein hervorgehoben hatte: „Hiob ist nur deswegen so fromm und gerecht, weil er es so gut hat. Du packst ihn ja in Watte! Der weiß gar nicht, wie schwer das Leben sein kann. Lass ihn mal ein

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bisschen leiden, dann wirst du sehen, wie er dir ins Gesicht flucht!“1 Daraufhin erlaubt Gott dem Satan, Hiob zu erproben, allerdings unter der Bedingung, dass er sein Leben nicht auslösche. Nun trifft den ahnungslosen Mann wie aus heiterem Himmel ein Unglück nach dem anderen. Er verliert in kurzer Zeit Kinder, Güter, alles. Zunächst reagiert er gefasst und versucht, trotz der schweren Verluste weiterhin Gott zu loben. Er spricht, vielleicht etwas gebetsmühlenartig, doch mit bestem Willen, den tapferen Satz: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.“2 Dann aber, als auch noch seine Gesundheit schwer in die Zange genommen wird, redet er nicht mehr nur von Verlusten, sondern vom „Bösen“, das ihn getroffen hat. Doch es gelingt ihm zu Beginn der Erkrankung immer noch, selbst dieses Unglück anzunehmen, dankbar für alles Gute, das er zuvor im Leben geschenkt bekommen hat. Er scheint gleich intuitiv zu begreifen, was nach dem unbeschwerten Genießen all des Guten und Schönen in seinem Leben jetzt für ihn dran ist: die Bewährung im unbedingten Gottvertrauen. Offenbar will er Gott in der Tat bedingungslos dienen. Aber das nicht aufhörende Unglück holt seine edle Haltung schneller ein, als er meint. Er erfährt, wie entsetzlich ein Mensch leiden und wie zerschlagen er sich körperlich und seelisch fühlen kann, so dass er sogar vor seinen kostbarsten inneren Werten kapituliert und der Glaube an einen guten Gott ihm zu versiegen droht. Er erkennt sich selbst nicht mehr wieder, und auch anderen ergeht es so mit ihm. Seine Freunde besuchen ihn, wollen ihn trösten. Zunächst verharren sie eine ganze Woche schweigend bei ihm, dann versuchen sie, ihn mit Worten aufzurichten. Diese rauschen aber an Hiobs Situation vorbei. Denn das einzige, was die Freunde wirklich zu interessieren scheint, ist die Schuldfrage. Hiob dagegen spürt, dass er an seinem Leiden keine Schuld trägt und verteidigt vehement seine Unschuld. Es folgt eine heftige Diskussion zwischen ihm und seinen Freunden, die immer wieder von erschütternden Klagegebeten des Leidenden unterbrochen wird. Allein Gott schweigt, und Hiobs Gottvertrauen wird damit auf die äußerste Probe gestellt. Dennoch hört er nicht auf, sich der Auseinandersetzung zu stellen und nach seinem Gott zu schreien. Er gibt die Beziehung zu ihm nicht auf, auch wenn sie ihm äu1 2

Vgl. Hiob 1,9-11. Hiob 1,21.

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ßerst schmerzhaft und fragwürdig geworden ist, was er auch offen und hemmungslos zum Ausdruck bringt. Erst am Ende des Buches, nach langem Ringen, antwortet Gott. Er erklärt aber nicht den Sinn des Leidens, wie man erwarten könnte, sondern lässt quasi die Schöpfung für sich sprechen. Er weist auf die unfassbar vielen Details, die alle sorgfältig aufeinander abgestimmt sind, auf die Ordnung, die allem zugrunde liegt, auch wenn der Mensch höchstens Bruchstücke davon erfasst. Während der Leser erstaunt dieses Panorama vor seinem inneren Auge vorbeiziehen lässt, vielleicht auch enttäuscht, immer noch keine vernünftige Antwort auf die Leidensfrage erhalten zu haben, ist Hiob tief berührt. Wie ein Wunder erfasst er die sinnvoll ordnende und führende Präsenz Gottes in der Schöpfung, in der Hiob selbst seinen unverwechselbaren Platz hat, auch wenn er nicht alle Zusammenhänge versteht. Er findet zu einem neuen Vertrauen. Noch mitten im Leid spricht er den wunderschönen Satz: „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen.“3 Gott rehabilitiert ihn vor seinen Freunden, trägt ihm auf, für sie zu beten und schenkt ihm schließlich die Gesundheit und alles andere, was er verloren hat, im Übermaß zurück. Das größte Geschenk ist aber die erneuerte Gottesbeziehung, das so schmerzlich vermisste und nun wiederhergestellte ursprüngliche, inzwischen gereifte und geläuterte Vertrauen in seinen Schöpfer und Erlöser.

Der Weg der Erlösung Die Erlösung, von der in dieser Geschichte die Rede ist, ist nicht eine, die eine kaputte, willenlose Gestalt am Schopf packt und aus dem Elend herauszieht. Auch übergeht oder eliminiert sie das Leiden nicht. Es ist eine Art von Erlösung, die den Menschen sehr ernst nimmt. Sie geht Schritt für Schritt mit ihm, zunächst mitten in seine „Leidensgrube“ hinein, in den Abgrund seines Herzens, wo der Mensch mit der Wahrheit konfrontiert wird in 3

Hiob 42,5.

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einer bislang unbekannten Tiefe. Dieser Abgrund erweist sich aber schließlich nicht als bodenloses Loch, sondern wird in eine Brunnenstube neuen Lebens verwandelt. Die erlösende Wahrheit führt in eine neue Freiheit, in ein neues Vertrauen, in eine neue Sicht Gottes und des Lebens, in eine neue Lebensfülle. Erlösung geschieht durch die Annahme des Kreuzes, der Realitäten, die uns bedrängen, einschließlich der tiefsten Machtlosigkeit und des Todes, nicht durch ihre Verdrängung. Die Annahme des Kreuzes gehört wesentlich zu unserer christlichen Botschaft. Der Mensch ist dabei – trotz des Geschenkcharakters der Erlösung – nicht bloß passives Objekt, sondern ganz aktiv, auch (oder gerade!) wenn er sich erlösen lässt. Er ist aktiv im Wahrnehmen und Anerkennen seines Schmerzes, in seinem Ringen – ja, auch im Klagen, wie wir es in den Psalmen und eben auch bei Hiob finden –, im Stehen zu seiner Sehnsucht, in seiner Bereitschaft zur Konfrontation mit der erfahrenen Ohnmacht. Wir müssen hier aber auch hinzufügen, was genauso zur christlichen Botschaft gehört und manchmal vergessen wird: Der Mensch ist ebenso aktiv dabei in der nicht weniger von Gottes Geist bewirkten Wahrnehmung des verbleibenden Spielraums zur Linderung von manchem eigenen und fremden Leid, in der Wahrnehmung seiner Ressourcen, die ebenso zur Wirklichkeit gehören wie das Leid.4 Er ist dabei im UnDenken wir nur an die Erzählung der wunderbaren Brotvermehrung (Joh 6,2-14), bei der Menschen zunächst einbringen, was sie haben, um Not zu lindern, auch wenn es noch so wenig ist. Von Linderung des Leidens sprechen in der christlichen Tradition nicht zuletzt die berühmten „Werke der Barmherzigkeit“, die man – auch im übertragenen Sinn verstanden – letztlich auf alle Leidsituationen betroffener Menschen anwen-

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terscheiden und Abwägen, wo er gerufen ist, etwas zu ändern, und wo es gilt, unvermeidliches Leid auf sich zu nehmen oder für andere mitzutragen. Er ist schließlich ganz dabei in seinem Schreien zu Gott aus tiefster Bedrängnis und in seinem gewachsenen und geläuterten Vertrauen, Aufatmen und Wiedererstehen. Das Buch Hiob gibt davon Zeugnis. Insofern kann man es im weitesten Sinn durchaus als österliches Buch bezeichnen, ähnlich wie die Geschichte des Auszugs des Volkes Israel aus Ägypten, die jedes Jahr in unseren Osternachtfeiern vorgelesen wird. Für uns Christen ist allerdings entscheidend, wer mit uns diesen Weg der Erlösung geht, nämlich der Mensch gewordene Gott selbst. Als österliche, an Christus glaubende Menschen brauchen wir den Weg nicht so einsam zu gehen wie Hiob. Der christliche Weg der Erlösung ist kein therapeutisches Programm, er ist eine Beziehungsgeschichte. Das trifft auf den Weg des Hiob auch schon zu. Denn das Buch, das seinen Namen trägt, erzählt ebenso die Geschichte einer Beziehung. Uns Christen erinnert vieles in diesem Buch an den Weg Jesu, der uns teilnehmend die Hand reicht auf unseren eigenen Leidenswegen. Müssten wir dann nicht auch „österliche Töne“ in dieser Beziehungsgeschichte zwischen Hiob und Gott hören, und zwar nicht nur am Ende? Was wie in einem musikalischen Oratorium als strahlendes Finale erklingt, ist ja nicht vom Himmel gefallen, auch wenn es Gottes Heilshandeln bezeugt, sondern wird während des Werden kann: Hungrige speisen, Durstige tränken, Fremde beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Tote bestatten.

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kes schon vorbereitet und klingt sogar bereits in der Ouvertüre an. Was ist es, was da anklingt, durchklingt und schließlich – wenn auch nicht alle Fragen beantwortend – hell und feierlich ausklingt?

Das Wohlwollen Gottes So fremd und dunkel uns die Vorgeschichte der Erzählung auch erscheinen mag, wenn der Satan auftritt und Gott bittet, den gerechten Hiob auf die Probe stellen zu dürfen, so überstrahlt das Wohlwollen Gottes doch das Ganze, wenn auch über weite Strecken hinter Wolken verborgen. Nirgendwo wird gesagt, Gott wolle den Hiob tatsächlich quälen.5 Noch mehr: Das göttliche Wohlwollen und nicht Satans Plan ist auch der Grundton des ganzen Werkes, selbst wenn die „Dominante“ über lange Zeit die schreckliche Erprobung bleibt. Wer Ahnung von Musik hat, weiß: Grundton und Dominante sind nicht dasselbe. Sie sind aufeinander bezogen, aber das Fundament bildet der Grundton. Er ist der Ton, bei dem Sie das Gefühl haben: Hier hat die Melodie und Harmonie ihr Fundament und ihr Ziel, hier findet sie Halt, hier kommt sie an. Es ist meist auch der Schlusston, aber der Grundton bildet normalerweise schon während des ganzen Stückes das Fundament, auch wenn eine andere Funktion „dominiert“ und damit das Stück in Spannung hält. Genau diese „Dominante“ ist es aber, die durch ihre Spannung zum Grundton hinweist und überleitet. Hiobs Klage und „Anklage“ kann man hier nicht als „Information“ nehmen, sondern sie sind Ausdruck der Fassungslosigkeit angesichts seines erschütternden Schmerzes.

5

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Zwar lässt Gott die Prüfung zu, doch er setzt ihr auch klare Grenzen. Hiob soll sich in ihr bewähren, nicht an ihr zugrunde gehen. Trotz des schwer zu ertragenden Schweigens Gottes und aller verbleibenden Fragen wissen wir als Leser um diesen Hintergrund und um die Grenzen, die der Prüfung von vornherein gesetzt sind. Wir können aus der Metaperspektive erahnen, wie Gott den Weg des geprüften Hiob achtsam begleitet und Satans Treiben sorgsam in Schranken hält. Das Wohlwollen Gottes umfängt seinen schweren Weg wie ein unsichtbarer Lichtbogen, der ihn durch seine leidvollen Erfahrungen hindurch begleitet, ihn vor endgültig vernichtenden Mächten schützt und die Chance zu seiner Bewährung und Befreiung garantiert. Während des Weges nimmt Hiob bestenfalls ab und zu einen verblassenden Lichtschimmer davon wahr. Allerdings ist er, zumal als fiktive Person, ja auch nicht der Adressat des Buches, sondern wir Leser sind es. Wir sollen durch das Wissen um die Vorgeschichte auch um das Wohlwollen Gottes wissen und unsere eigenen Leiden darin aufgehoben sehen. Was heißt das? Sollen wir in unserem Leben auch von einer solchen „Vorgeschichte“ ausgehen und aus der Metaebene unsere Leidenswege betrachten? Kann uns das zufriedenstellen? Oder entstehen nicht genau dadurch neue bedrängende Fragen? Wie kann ein dem Menschen wohl gesonnener Gott dem Satan solche Macht lassen, auch wenn sie nicht endgültig ist? Hat er es denn nötig, dessen dämonische Behauptungen, von denen in der Vorgeschichte die Rede ist, zu widerlegen – und den Menschen ungefragt dafür bezahlen zu lassen, auch wenn dieser am Ende den größten Gewinn aus der Prüfung zieht? 132

So wie das ganze Buch eine Erzählung und kein Tatsachenbericht ist, selbst wenn sie einen historischen Kern haben mag – den hat sie in jedem leidenden Gerechten dieser Welt –, so ist natürlich auch der Satansauftritt nicht wörtlich zu verstehen. Aber er ist auch nicht einfach aus der Luft gegriffen, sondern spiegelt menschliche Erfahrungen wider, die wir nur allzu gut kennen. Das hebräische Wort „Satan“ bedeutet „Feind“ oder „Ankläger“. Wer auch immer das ist, der uns feindlich gesonnen ist und uns „anklagt“ – oft übernehmen Menschen diese Rolle und nicht selten sogar wir selber –, wir kennen die Erfahrung: Wir sind glücklich und zufrieden, haben einen guten Weg für uns gefunden, vieles gelingt uns, es öffnet sich uns eine wunderbare Perspektive, doch irgendjemand scheint es uns nicht gönnen zu wollen. Es taucht von innen oder von außen der misstrauische oder auch missgünstige Vorwurf auf: „Da geht nicht alles mit rechten Dingen zu!“ Es werden uns weiß Gott woher Steine in den Weg gelegt. Wir kennen ebenso Erschütterungen im Leben, die uns völlig aus der Bahn werfen, wo wir am liebsten sagen würden: „Das ist wie verhext!“ Oder: „Das ist gemein, dass mir das jetzt passieren muss!“ Mit diesem Ausdruck verraten wir unsere Angst vor fremd gesteuertem Schaden, von dem wir nicht genau wissen, woher er kommt. Schlimmstenfalls erleben wir solches Unglück als Barriere, die den weiteren Weg unpassierbar macht, jedenfalls auf der Ebene, auf der wir bislang unterwegs waren. Sind uns solche schockierenden Erfahrungen nicht fremd – erleben wir dann auch das göttliche Wohlwollen, das uns mitgegeben ist und uns Wege zu neuem Leben aufzeigt, die wir mitten im Leiden noch nicht sehen? 133

Unsere Vorgeschichte Noch einmal zur Vorgeschichte. Die, die wir haben, ist kein Satansauftritt, der uns in einen völlig ergebnisoffenen Bewährungskampf treibt, sondern es ist der Kampf zwischen Leben und Tod, den in Christus das Leben bereits gewonnen hat. Das Leben hat sich bewährt, die Liebe Gottes, die sich nicht gescheut hat, Mensch zu werden und menschliches Schicksal bis in den Tod auf sich zu nehmen, hat sich bewährt. Jesus Christus hat sich bewährt in seinem bedingungslosen Anhangen an den Vater, in seiner ihm dankbar zugewandten Liebe, die sich vor allem in der barmherzigen Liebe zu den Menschen zeigt. Sie hat über alle tödlichen Mächte, über alles Misstrauen und über allen Hass gesiegt. Die Bewährung, die uns als Christen ansteht, ist die Bewährung im Glauben an diesen Sieg, an den Sieg des Guten, der Liebe, des Erbarmens, das uns durch Christus geschenkt worden ist und mit dessen Zeichen wir besiegelt wurden: dem Zeichen des Kreuzes. Mit dieser österlichen Vorgeschichte, die uns mit der Taufe tief ins Herz eingraviert wurde und als Grundton in unser persönliches Leben eingeht, sind wir gleich in eine Beziehung und in eine Gemeinschaft hineingestellt, in die Zusage von Gottes unbedingter Liebe, die durch nichts vernichtet werden kann. Sie überstrahlt längst unsere Abgründe, während wir noch die ersten Schritte auf steinigen Wegen üben. Das ist etwas anderes als Vertröstung auf später… Ganz im Gegenteil! Unser Blick wird gelenkt auf das, was schon ist! Das ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Aspekt dessen, was wir „leibliche Auferstehung“ nennen: dass sie bereits jetzt in meinem irdi134

schen Leben wirksam werden kann. Mein irdisches Leben, auch mein Leib, hat bereits Anteil an der Auferstehung Jesu, weil ich durch die Taufe als ganze Person in diese österliche Dimension hineingenommen bin. Damit gehe ich mit einer anderen Voraussetzung in Grenzsituationen hinein. Das Leiden mag noch aktuell und zeitweise sogar dominierend sein, es strebt aber mit aller Spannungskraft seiner Dissonanz dem Grundton zu, der mein christliches Leben bestimmt. Und dieser Grundton heißt nicht: „Verflixt noch mal!“ sondern: „Halleluja!“ Die Ausweglosigkeit im Leiden ist vorbei. Der giftige Stachel des Leidens und des Todes ist gebrochen, weil wir in der Beziehung zu dem stehen, der Leid und Tod überwunden hat und an unserem Leben teilnimmt. Wer das glaubt, ist ein österlicher Mensch. Kreuzesnachfolge ist, christlich verstanden, immer auch und zuerst Nachfolge des Auferstandenen. Der Evangelist Johannes geht so weit zu sagen, dass wir vom Tod ins Leben hinübergegangen sind, wenn wir uns auf diese nie versiegende Liebe einlassen, die uns geschenkt ist.6 Sie ist stärker als der Tod. Wir haben die Drohkulisse des Todes hinter uns! Es ist fast so, als würden wir unser Leben im Rückblick leben, mit dem Wissen um den guten Anfang und den guten Ausgang. Im letzten Buch der Bibel sagt Christus: „Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende.“7 Wir sehen in unserem Erlöser den, der nicht erst am Ende unserer Tage, wenn alles in Staub zerfällt, sondern gleich zu Beginn unserer Existenz an unseren staubigen Lebenswegen

6 7

Vgl. Joh 5,24. Offb 21,6.

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steht, um mit uns zu gehen.8 Natürlich leben wir nicht im Rückblick, wir leben im Jetzt, aber unseren Weg gehen wir im österlichen Jetzt Jesu, der den Tod besiegt hat. Jesus selbst, seine Präsenz ist unser Weg.9 Er hat durch seinen Tod und seine Auferstehung unser in sich geschlossenes raum-zeitliches Dasein gesprengt in die Dimension von Gottes ewiger Liebe hinein, die uns ins Dasein geliebt und nie aufgehört hat, uns zu suchen und zu lieben – auch dann, als wir ihr nur Misstrauen entgegenbrachten. Sie ist ewig aktuell. Daher kommt es nicht mehr so sehr darauf an, ob unsere irdischen Wünsche erfüllt werden oder nicht, es kommt auf die neue Perspektive an, auf unsere wiederhergestellte Gottesbeziehung, die weit über die ursprüngliche paradiesische Vertrautheit mit Gott hinausgeht. Wir dürfen aus der Metaebene von Ostern unseren Weg anschauen – und ihn von dorther auch gestalten. Schön klingt das. Aber wenn das Leid richtig drückt, ist die Kluft zwischen Glauben und Realität erst einmal groß. Der Glaube – oder was wir dafür hielten – fühlt sich schnell nichtssagend und schal an, als hätte er mit unserem Leben nichts mehr zu tun. Doch so leer wir ihn in seiner uns bislang vertrauten Gestalt auch empfinden, wenn alles über uns zusammenbricht – er muss genau in diese Kluft hinabsteigen und sich bewähren, nicht stehenbleiben oder aufgeben. Glaube ist nur real inmitten der Realität. Wenn wir die Kluft spüren, dann ist das keine Katastrophe, sondern eine Chance. Denn genau sie ist Teil des Abgrundes, der sich im Leiden aufgetan hat, den anzunehmen wir uns schwer tun. Aber nur im Anneh8 9

Vgl. Hiob 19,25. Vgl. Joh 14,6.

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men werden wir weiterkommen. Nur so wird aus diesem Abgrund die Quelle neuen Lebens hervorsprudeln. Dieser Schritt ist zunächst ein Sprung ins Dunkel – mit der Osterkerze in der Hand. Es lohnt sich! „Ich bin alle Tage bei euch bis zum Ende der Welt“10, sagt Jesus. Es gibt nach wie vor genug Mächte aller Art in unserem Leben, die dem zu widersprechen scheinen und immer wieder versuchen werden, uns anzuklagen und einzureden, es ginge nicht alles mit rechten Dingen zu, wir würden belogen, einer Illusion erliegen usw. Doch noch einmal – das ist der Inhalt unseres österlichen Glaubens: Wir sind beschenkt mit der Vorgeschichte von Gottes bedingungsloser Liebe zu uns, die den Tod überwunden hat. Das macht uns zu österlichen Menschen.

Licht auf dunklen Pfaden Kehren wir zu Hiob zurück. Wir haben uns seine Vorgeschichte angeschaut, von der er wohlgemerkt nichts weiß. Nun geht er seinen schweren Weg. Wo finden wir Licht auf diesen dunklen Pfaden, damit wir wenigstens einen Schimmer des erwähnten Wohlwollens Gottes auf dem Antlitz des Leidenden erkennen? In der Auseinandersetzung mit seinem Leiden bringt Hiob grundehrlich zum Ausdruck, wie er sich fühlt. Und nicht etwa, weil er mit Verständnis und wohltuender Tröstung rechnen kann! Im Gegenteil! Er klagt gegen die arrogante Meinung der Freunde, die sich am liebsten die 10

Mt 28,20.

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Ohren zuhalten würden, er streitet mit ihnen und sogar mit Gott, von dem er sich ebenso wenig verstanden fühlt. Aber er hört nicht auf, sich an ihn zu wenden. Er macht weder sich, noch den anderen etwas vor, schon gar nicht Gott. Er mutet sich mit seiner erschütternden Klage ihm und seinen Freunden zu, auch wenn es zusätzliche Kraft kostet und er damit noch verletzbarer wird. Das spricht für ein tiefes Vertrauen ins Leben – trotz allem. Und natürlich spricht es für eine letztlich unerschütterliche Gottesbeziehung, die nichts ausspart. Ohne es zu ahnen, ist Hiob längst dabei, sich zu bewähren. Woher hat er diese Kraft? Zu einem Gott, der ihm wirklich feindlich gesonnen wäre, würde er es niemals wagen, so zu reden. Es hätte auch keinen Sinn... In dieser kurz skizzierten Beschreibung von Hiobs Auseinandersetzung finde ich wichtige Aspekte für unseren Umgang mit Gott in der Bedrängnis. Ich weiß nicht, wer uns Christen eingeredet hat, wir dürften nicht klagen, wir müssten immer alles brav schlucken. Gott sei Dank haben wir uns von dieser Einstellung inzwischen wieder etwas distanziert, aber sie schwirrt immer noch in den Hinterköpfen nicht weniger frommer Menschen herum, die sich im stummen Stillhalten angesichts des Leidens oft unter unvorstellbaren Druck setzen. Soll eine solche Implosion unserer Gefühle mitten in der Drangsal, die unser Herz unter dem hausgemachten Verbot jeder ehrlichen Äußerung des Schmerzes fast ersticken lässt, „österliches Leben“ sein? Ostern ist doch Wahrheit, Ostern ist Freiheit, Ostern ist Freimut! Natürlich hat Jesus auch vom Kreuztragen und von der Sanftmut gesprochen, von der Selbstverleugnung und vom Vergeben, vom Gewinnen im Verlieren und vom Leben im 138

Tod. Aber das alles hat nur von Ostern her Sinn, vom Glauben an den Sieg der Liebe, mit der wir unendlich geliebt werden. Nur vom Osterglauben her finden wir zu jener Souveränität, die sich durch nichts überrollen lässt. Das bedeutet aber nicht automatisch, immer nur brav stillzuhalten und alles sofort zu schlucken. Schon gar nicht immer gleich Halleluja singen – mit einem Kloß im Hals?! Selbst Jesus hat das nicht automatisch und in allen Situationen getan! „Geschluckt“ hat er schon gar nicht, höchstens geschwiegen und verziehen, wenn Worte an ihr Ende kamen. Vor allem stand er zu seinem Weg, zu seiner Beziehung zum Vater, zur unerschütterlichen Liebe zu den Menschen. Das hat ihn das Leben gekostet. Doch wenn es ihm auf diesem Weg zum Klagen und Weinen zumute war, dann klagte und weinte er, noch bis zum Vorabend vor seinem Tod im Garten Getsemani. Vertrauende machen einander nichts vor. Eng mit dem Mut zur Klage verbunden ist Hiobs Liebe zur Wahrheit. Er lässt sich einfach nicht etwas in die Schuhe schieben, das ihm als falsch erscheint. Er sagt unverstellt das, was er fühlt und meint. Auch Jesus tat das. Er ist die Wahrheit in Person. In seiner Nachfolge haben wir es nicht nötig, die starken Helden zu spielen – und uns im Endeffekt als Duckmäuser unseres ÜberIchs zu erweisen, die sich nur nicht trauen zu klagen. Wer kam auf die Idee, Vertrauen und stummes Erdulden ohne jede Unterscheidung als Synonyme zu benutzen? Wäre nicht die Wahrheit viel angebrachter als Schwester des Vertrauens angesehen zu werden – und wenn es die Wahrheit meiner Verzweiflung ist, die ich vor Gott hinausschreie? Wir haben allen Grund, ehrlich und selbstbewusst unsere Bedrängnis vor Gott zum Ausdruck zu 139

bringen, denn der, der uns liebt, dessen Liebe das Leid umfängt und längst überwunden hat, kennt und versteht uns wie kein anderer. Nur fehlen uns manchmal die Worte, weil niemand uns gelehrt hat, so grundehrlich mit Gott zu sprechen. Da können die Psalmen helfen. Manche von ihnen spiegeln in ihren sprechenden Bildern so sehr die leidende Seele wider, dass es geradezu Wunder wirkt, mit diesen vertrauensvollen Klagen vor Gott hinzutreten wie ein Kind, das seiner Mutter sein Herz ausschüttet. Die Worte der Psalmen bringen überdies nicht nur die Bedrängnis zum Ausdruck, sondern lenken den Blick durch das Chaos der Gefühle hindurch ganz sanft und ohne jede Gewalt bereits auf das rettende Wirken Gottes hin, auf die Befreiung und Erlösung. In schweren Grenzerfahrungen kann es helfen, mehrere Tage hintereinander immer denselben Klagepsalm zu beten, der sich auf diese Weise tief einprägt. Leiden wir durch das verletzende Verhalten von Menschen, so kann es auch schon mal ein sogenannter Fluchpsalm sein. Ja, Sie haben richtig gehört: ein Fluchpsalm. Es geht aber nicht um alltägliches ordinäres Fluchen, schon gar nicht darum, einen bestimmten Menschen im Gebet zu verfluchen – Gott bewahre uns davor! Es geht darum, das Feindbild von einem Menschen, das sich durch seelische Verletzungen im Kopf eingenistet hat, Gott zu übergeben. Dies können wir mit ehrlichen und, wenn es sein muss, auch harten Worten tun. Sie brauchen nicht erst das „Nihil obstat“ unseres Über-Ichs, solange sie an das „Du“ Gottes gerichtet bleiben. Wir dürfen ungehemmt zu Gott schreien, meinetwegen auch, dass er unseren Feind zertrete und ihm die Zähne ausschlage – hier greife ich Worte 140

auf, die Sie in Psalm 58,7 nachlesen können –, wenn dieses entstandene Feindbild uns am Leben hindert. Noch einmal: Es ist nicht der Mitmensch, der uns am Leben hindert, sondern das Feindbild dieses Menschen, das sich im Kopf eingenistet hat, das natürlich nicht von ungefähr entstanden ist. Es können schon reale Verletzungen dahinter stehen und möglicherweise auch Bosheit. Manchmal ist es aber auch eigene Überempfindlichkeit. Jedenfalls verbirgt sich hinter dem Feindbild immer noch ein Mensch, der in meinem Bewusstsein wieder neu erstehen soll, und kein Monster. Wer Anstoß nimmt an dieser Art des Betens, sollte bedenken: Es ist immer noch besser, einen sogenannten Fluchpsalm zu beten, als einem Menschen ins Gesicht zu fluchen, ihn hinter seinem Rücken zu verleumden oder sich an ihm zu rächen. Ich habe Gott sei Dank nicht allzu oft Grund, in dieser Weise zu beten, und ich hoffe, auch Sie nicht. Manchmal tue ich es aber stellvertretend für andere, wenn ich z.B. in den Nachrichten etwas über das unerträgliche Leiden der Menschen in Syrien höre oder erschütternde Bilder von verhungernden Kindern sehe, die buchstäblich am Leben gehindert werden. Demgegenüber sind meine eigenen Verletzungen lächerlich, aber es gibt sie auch. Wenn ich in einem Psalm meine Wut zum Ausdruck bringe, ist es mir, als würde der Psalm alle Bedrängnis aus mir heraussaugen und vor Gott ausschütten. Da öffnet sich wirklich eine neue Dimension. Und erstaunt stelle ich danach fest – nicht immer sofort, aber bald: Der Mensch, der mich bedrängt hat, ist in den Augen meines Herzens wieder Mensch geworden! Zart, wie neugeboren, mit neuen Zügen, die mich überraschen. Er ist kein Monster mehr, vor dem 141

ich mich fürchten muss, sondern erneut ein DU, ein sehr zerbrechliches, verborgen unter einer rauen, manchmal giftigen Schale, das sich genauso nach Liebe, Angenommen-Sein, Erbarmen und vielleicht auch nach einem Neuanfang sehnt wie ich. So keimt auch wieder Hoffnung auf in Bezug auf die Befreiung anderer bedrängter Menschen und in Bezug auf die Umkehr derjenigen, die sie bedrängen.

Begleitung durch Menschen Vielleicht haben Sie sich gewundert, dass ich Klage- und sogar Fluchpsalmen mit Ostern in Verbindung bringe. Aber wenn Sie das Neue Testament lesen, werden Sie feststellen, dass die ersten Christen, die sehr stark aus dem Osterglauben lebten, keineswegs ständig Halleluja singend durch die Lande zogen, sondern immer wieder in große Bedrängnis kamen und sich in Kerkern neben Schwerverbrechern wiederfanden. Viele bezahlten ihren Osterglauben mit dem Tod, weil man ihr Anderssein nicht ertrug. Der „feindliche Ankläger“ war fast ständig präsent und sparte nicht mit Vorwürfen und Quälereien aller Art. Da war die Kraft, die sie im Gebet fanden, lebensnotwendig. Ich kann mir vorstellen, dass zumindest die Judenchristen dann auch gern Klagepsalmen zur Hand nahmen – und vielleicht auch an Hiob dachten. Der Unterschied zu ihm war nur, dass sie um ihre „Vorgeschichte“, wussten, die zudem höchst positiv war: die Botschaft der Auferstehung. Sie glaubten daran, dass ihr Erlöser ständig bei ihnen ist und selbst ihr Weg ist, weil er selbst erprobt wurde und sich in seiner Liebe zu den 142

Menschen bewährt hat. Es war ihnen natürlich klar, dass sie gerade deswegen leiden mussten, weil sie an diesem Glauben festhielten. Aber um nichts in der Welt hätten sie ihn aufgegeben. Lieber verwandelten sie in Gemeinschaft mit ihm ihr eigenes Leiden ebenso in Lieben und nahmen so am Weg ihres Erlösers teil. Darüber werde ich nachher noch mehr sagen. Nicht weniger wichtig war aber die gegenseitige Unterstützung. Auch diesen Aspekt finden wir bei Hiob. Er suchte Hilfe bei seinen Freunden, leider vergeblich, aber nicht sinnlos. Möglicherweise hielt ihn trotz des erfahrenen Unverständnisses die freimütige Auseinandersetzung mit ihnen am Leben. Sie bewahrte ihn davor, stehen zu bleiben und sich in die depressive Ecke zu verkriechen. Und immerhin konnten die Freunde durch seine und ihre eigene Bereitschaft zur Auseinandersetzung am Ende eines Besseren belehrt werden. Nein, Hiob ließ sich nicht einschüchtern, vielmehr entwickelte er so etwas wie heiligen Trotz, der nicht bereit ist, sich von den zwar gut gemeinten, aber unerfahrenen Gedanken anderer überrollen oder gar verjagen zu lassen. Worauf ich hier hinaus will: Es ist ein Irrtum zu meinen, nur Gott wäre zuständig, um uns zu helfen, und daher müssten wir uns als Leidende von den Menschen zurückziehen. Der Wunsch ist zwar bei besonders schwerem Leid verständlich, manchmal hat er auch mit Scham und Sprachlosigkeit zu tun. Es gibt Schicksale, die kann niemand verstehen, der nicht selbst Ähnliches erlebt hat. Das macht einsam. Aber sollen wir deshalb alle Kontakte abbrechen? Natürlich können wir letztlich nur auf Gott bauen. Es ist jedoch wichtig, dass wir gerade auch im Leid die Gemeinschaft mit den anderen nicht aufgeben, 143

auch wenn sie schwieriger geworden ist. Soweit es möglich ist, sollten wir immer wieder einmal über das sprechen, was uns bedrückt, wenn auch nicht mit jedem beliebigen Menschen und nicht über alles unterschiedslos. Vieles wird zunächst ungesagt bleiben, weil es uns buchstäblich sprachlos gemacht hat und wir Zeit brauchen, Worte dafür zu finden. Aber grundsätzlich dispensiert uns der Osterglaube nicht von der Kommunikationsbereitschaft, als wären wir nicht mehr ganz auf dieser Welt. Das wäre in der Tat Opium! Im Gegenteil, er befähigt uns geradezu zum Anteilgeben, weil er uns zum Vertrauen befähigt – nicht nur zum Vertrauen auf Gott, sondern auch zum Vertrauen zueinander. Das ist ein wesentlicher Aspekt der Communio, die uns durch die Auferstehung Christi geschenkt ist. Der nach jahrelangem Krebs verstorbene Franziskaner-Pater Matthias Utters (1934-1986) aus Hermeskeil pflegte zu sagen: „Es interessiert die anderen, wie du dein Leid bewältigst!“ Und manchmal finden wir tatsächlich Verständnis und Trost. Gott schenkt uns nicht nur im Gebet Trost, sondern auch durch Mitmenschen, wobei man realistisch hinzufügen muss: Menschlicher Trost ist manchmal kurzatmig. Es kann sein, dass uns ein Mensch einmal hervorragend versteht und echten Trost spendet, und derselbe Mensch lässt uns wenige Wochen später kaltblütig hängen, weil er gerade mit anderen Dingen beschäftigt ist. Wir brauchen unser Vertrauen nicht wie im Ausverkauf herzugeben und uns damit unnötig verletzbar machen. Nicht jeder ist dem Leid, das wir ihm anvertrauen wollen, gewachsen oder jederzeit in gleicher Weise belastbar. Aber wenn wir uns in vorauseilender Angst vor möglichen Enttäuschungen permanent verschließen, dann las144

sen wir uns von unserer Angst bestimmen und nicht von Ostern. Das bringt uns nicht weiter. Sehr wichtig finde ich vor allem bei länger andauerndem Leid, das uns vor Entscheidungssituationen stellt, die „Geistliche Begleitung“. Da können wir in der Regel davon ausgehen, ein offenes Ohr zu finden und einen Menschen, der Zeit hat. Sollten Sie sich für eine solche Begleitung entscheiden, wünsche ich Ihnen bessere Begleiter als die Freunde Hiobs. Es ist nicht selbstverständlich, sie zu finden, aber es gibt sie. Eine Garantie für lückenloses Verständnis wird es wohl nie geben. Das ist vielleicht sogar gut so, damit wir selbst auf den Beinen bleiben und das eigene Denken nicht verlernen. Doch es ist schon viel gewonnen, wenn wir Leidenswege etwas entspannter und zuversichtlicher gehen, weil ein Mensch in der Nähe ist, der uns Zeit und Aufmerksamkeit schenkt und uns grundsätzlich versteht, auch wenn er nicht jedes Detail unseres Leidens bis ins Kleinste nachvollziehen kann.

Solidarität mit anderen Auf einen weiteren „Osterfunken“ auf Hiobs Leidensweg möchte ich hinweisen, der mir als der wichtigste erscheint: seine solidarische Öffnung gegenüber anderen Leidenden. Was ich hier als „Osterfunken“ bezeichne, kann bis zu einem gewissen Grad eine ganz normale psychologische Entwicklung im Prozess der Leidensbewältigung sein, ist hier aber mehr, wie mir scheint. Wer leidet, entwickelt mit der Zeit natürlich leichter Verständnis für andere Leidende. Er kann sich aber auch 145

verheddern im Kreisen um sich selbst. Hiob verheddert sich nicht, zumindest nicht auf Dauer. Bei ihm werden die Knoten der Bitterkeit zu Banden der Solidarität mit anderen, wenn auch damit der Leidensdruck noch nicht genommen wird. Es beginnt, sich ganz zaghaft so etwas wie Sinn zu zeigen. Wodurch ist aber die Wende gekommen? Ich meine, sie hat mit dem wunderschönen Bekenntnis zu tun, das quasi zur Türangel in die neue Perspektive wird: „Doch ich weiß: Mein Erlöser lebt; und als der Letzte wird er über dem Staub stehen. Und nachdem man meine Haut so zerschunden hat, werde ich doch aus meinem Fleisch Gott schauen. Ja, ich werde ihn für mich sehen, und meine Augen werden ihn sehen, aber nicht als Fremden.“11 Hiob spricht diese beeindruckenden Sätze nach einem besonders schmerzhaften Tiefpunkt. Er hat gerade massiv erlebt, wie sich Menschen von ihm abkehren, die ihm bisher nahe standen: Neben seinen verständnislosen Freunden, die zwar noch anwesend, aber innerlich weit weg sind, sind es Verwandte, Vertraute, Schutzbefohlene, Mägde und Knechte. Sie kommen nicht mehr vorbei, vergessen ihn und behandeln ihn wie Luft. Sogar seine Frau und seine Geschwister ekeln sich vor ihm, Kinder wenden sich ab, sobald er erscheint.12 Bald ist ihm nur noch die Einsamkeit vertraut. In dieser tiefsten Finsternis, unter der er vermutlich noch mehr leidet als unter den körperlichen Beschwerden, erkennt er plötzlich ein DU: seinen Erlöser. Was er genau erlebt hat, wissen wir nicht, aber seine Worte deuten auf eine personale, ja prophetische Erfahrung. Wenn wir uns noch einmal den Lichtbogen des Wohlwollens 11 12

Hiob 19,25-27. Vgl. Hiob 19,13-18.

146

Gottes vergegenwärtigen, von dem ich zu Anfang sprach, leuchtet an dieser Stelle das Licht besonders stark auf. Er begegnet seinem Erlöser im Glauben, obwohl noch nichts erkennbar für seine Erlösung spricht. Er glaubt bedingungslos, aber dass er das kann, deutet auf die tiefere Kraft des Wohlwollens Gottes, die ihn trägt und führt, obwohl er ja nichts von ihr „weiß“, keine unmittelbaren Vorteile davon hat und von den Freunden gleich wieder zu hören bekommt, seine Zuversicht sei eine Illusion. Nach diesem Bekenntnis hört Hiob überraschend auf, in endlosen Klagelitaneien immer neue Details seines eigenen Leidens aufzuzählen, sondern er lenkt seinen Blick zum ersten Mal auf die unzählige Schar derer, die ähnlich oder vielleicht sogar noch mehr leiden als er. Aber nicht sich selbst beschwichtigend, nach dem Motto: „Nimm dich nicht so wichtig, die haben’s ja auch schwer“, sondern nachdenklich und solidarisch empört wegen der Achtlosigkeit, mit der man an diesen Ärmsten vorbeigeht, als ginge es hier nicht um Menschen. Die jetzt minutiös erwähnten Details ihrer Leiden deuten auf regen Kontakt mit ihnen. Hiob weiß offensichtlich, wo ihnen der Schuh drückt, er kennt ihren unsagbar harten Alltag, er vernimmt den lautlosen Schrei ihrer geplagten Seele und bringt nun mit seiner Klage auch ihre vor Gott und vor das Bewusstsein seiner „Freunde“ – und Leser. Keine einzige seiner Fragen ist gelöst – im Gegenteil! Aber in seiner wachen Anteilnahme zeigt sich ein Gegenbild zum fassungslosen einsamen Klagen zuvor. Aus den brennenden Fragen angesichts eigenen Leids ist ein Brennen der Anteilnahme für andere geworden – das genauso nach Antwort schreit. Das ist ganz wichtig: Die Öffnung ist kein Rezept, um eigenen Leidensdruck zu reduzieren, 147

sondern echte Anteilnahme, geteiltes Leid im besten Sinn des Wortes. Aus brennenden Fragen wird Brennen für andere, aus Einsamkeit wird Beziehung. Es ist sicher kein Zufall, dass zwischen diesen beiden Perspektiven das Erkennen und Bekennen des Erlösers steht. Ich brauche dazu nicht viel zu erklären. Ich hoffe, wir müssen nicht so dramatisch leiden wie Hiob, um solche Wenden zu erfahren. Aber es gibt wohl keinen von Ihnen, der nicht Einsamkeit und „Nullpunkt“-Erfahrungen kennt. Da ist es wichtig, uns an unseren Erlöser Jesus Christus zu wenden. Wir können ihm ruhig mit Hiobs Worten sagen: „Ich weiß, dass Du, mein Erlöser, lebst – und bei mir bist.“ Auch wenn das Leid davon nicht verschwindet, wird es aufgefangen von dem, der uns unendlich liebt, dessen Liebe uns allein erlösen kann. Diese Beziehung steht nun im Vordergrund und trägt uns liebevoll. Aus ihr heraus – auch wenn sie „nur“ im Glauben angenommen wird – wird es uns möglich sein, in die Beziehung zu anderen leidenden Menschen zu treten und ihnen etwas von dieser Liebe weiterzugeben.

Unfreiwilliges Leiden wird zu freiwilligem Lieben Ich habe vorhin von der Verfolgungssituation der ersten Christen gesprochen, die in Gemeinschaft mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen ihr Leiden in Lieben verwandelten – besser: von seinem Geist verwandeln ließen. Es war nun nicht mehr Schicksal oder gar Strafe, was sie erlitten, es war freiwilliges Lieben. Sie waren nicht mehr „Todeskandidaten“, sie litten „Geburtswehen“. Bei einer 148

Geburt geht es um Leben. Das ist eine ganz andere Perspektive. Was „geboren“ wurde, war nicht unmittelbar sichtbar, es war nicht in den Kategorien von Raum und Zeit zu fassen. Aber als „Liebe“ war es wirksam – für andere. Davon waren sie überzeugt. In einem MärtyrerLied von Marie-Louise Thurmair, das sie 1940 geschrieben hat, heißt es: „Ihr Leben haben sie verloren, zur Erde fiel es samengleich. Aus ihrem Blute sind geboren die neuen Zeugen für Dein Reich.“13 Diese Überzeugung ist bis heute so stark, dass Märtyrer in der Kirche als Heilige gelten und keines weiteren „Beweises“ dafür brauchen. Nicht das Leiden an sich ist aber der „Samen“ für neues Leben im Reich Gottes, sondern die von Gottes Geist gewirkte Liebe, die im Leiden standgehalten und sich bewährt hat und aufgrund der ihr eigenen Dynamik nicht anders kann, als fruchtbar zu werden – selbst im Tod, wo ihr alle natürlichen Wirkungsbereiche genommen sind. In der Ostkirche kennt man zusätzlich zum Märtyrer den Heiligentypus des „Leidensträgers“. Das waren Christen, die zwar nicht für ihren Glauben sterben mussten, aber als Christen aufrichtig und vom Osterglauben her ins Leid und in den unausweichlichen Tod gingen. Für sie gilt dasselbe. Was die „Solidarität“ angeht, wird es vielen Leidenden wohl kaum möglich sein, etwa Obdachlose unter einer Brücke zu besuchen und sich ihr quälendes Leid anzuhören oder ähnliche Aktionen zu unternehmen. Hiob war es offenbar trotz seiner Beschwernisse möglich, wie seine detaillierte Kenntnis der Entbehrungen und Qualen der Ärmsten vermuten lässt. Es gibt aber viele andere Möglichkeiten, unserem Leid eine Intention zum Wohl anderer mitzugeben. Wichtig ist nur, dass wir unserem 13

Gotteslob (1975), Nr. 611, 2. Strophe.

149

Leiden einen Sinn geben, wie wir oben in dem Beitrag von Christine Görgen lesen können. Das muss nicht ein unmittelbar plausibler Sinn sein. Den gibt es ja meistens gerade nicht, denn im Leiden leiden wir ja vor allem an der gefühlten Sinnlosigkeit unserer Qualen. Was unmittelbar Sinn macht – zum Beispiel ein Zahnschmerz, der uns zum nötigen Zahnarztbesuch drängt, oder auch die Mühen eines Studiums –, ist eigentlich kein Leid mehr. Wo echtes Leid uns trifft, haben wir große Freiheit darin, wie wir uns ihm stellen, aus welchem Motiv wir es tragen. Wir können – um ein Bild zu benutzen – in das bedrohliche, rollende Ungetüm, das uns zu überrollen drohte, selbst einsteigen und es lenken, d.h. Verantwortung übernehmen für uns und andere – ob wir uns etwa in einer Selbsthilfegruppe engagieren oder das Leid auch „nur“ innerlich in Liebe für andere tragen, weil Wege nach außen versperrt sind. Wir verlagern damit die quälende Frage nach der Verantwortung von der Vergangenheit in die Zukunft. Ich frage nicht mehr: Wer ist an meinem Leid schuld? Auch nicht: Bin ich selber schuld? Sondern: Wie kann ich mit diesem Leid und sogar mithilfe dieses Leids Verantwortung für mich und andere auf Zukunft hin übernehmen? Von dieser Möglichkeit ist niemand ausgeschlossen, der bei Bewusstsein ist und nach „Sinn“ fragen kann – selbst dann, wenn alle Wege nach außen versperrt sind. Früher sprach man ganz selbstverständlich vom „Aufopfern“ für andere. Das ging, meine ich, in diese Richtung. Als Ausdruck der Liebe verstanden – nicht als pseudo-spiritueller „Hochleistungssport“ und ohne Momente der Klage kategorisch auszuschließen – kann es tatsächlich ein wunderbarer Ausdruck der Liebe sein und nicht ohne Frucht bleiben. Es geht um 150

Freiheit, es geht um Ressourcenorientierung – und welch schönere „Ressource“ könnte es geben als den Osterglauben? Es geht um Liebe, die sich durch nichts überrollen lässt. Da sind uns keine Grenzen gesetzt. Weil Liebe an keine Grenzen gebunden ist.

Das Ziel Nun habe ich noch kaum etwas vom Ziel Hiobs gesprochen, von den erlösenden Gottesreden, von seinem wiederhergestellten Glück, von der Art, wie Gott ihn schließlich erlöst hat, von der Rolle, die die Schöpfung dabei spielt. Für uns heute ist natürlich dieses positive Finale ganz wichtig, in dem das Wohlwollen Gottes endlich ungetrübt zum Ausdruck kommt. Ich will mich hier dennoch knapp fassen, weil ich das Wesentliche zum Thema meines Beitrages schon gesagt habe: Sind wir auch als an die Auferstehung glaubende Menschen auf Erden noch nicht leidfrei, so tragen wir in uns durch die Taufe bereits das Geschenk der Auferstehung, das Geschenk der Beziehung zu unserem Erlöser als unsere christliche „Ressource“ schlechthin. Sie sprengt den Horizont unseres Daseins und führt uns in die Freiheit. Das Ziel ist die vollendete Herrlichkeit, die Erfüllung bei Gott, wo jede Träne weggewischt sein wird.14 Aber das Ziel gehört nicht erst zum Ende, es ist das Ziel jeden Tages, nämlich das, was wir schon auf Erden als erfüllend empfinden und uns später ganz und gar erfüllen wird: die Liebe.

14

Vgl. Offb 7,17.

151

Die erlösenden Gottesreden im Buch Hiob erinnern mich an die biblische Schöpfungserzählung. Vermutlich geht es gar nicht darum, in den Reden eine Antwort auf das Leid zu finden, sondern zum paradiesischen Vertrauen des Ursprungs zurückzufinden, zur ungetrübten Vertrautheit des Menschen mit Gott, zum Vertrauen in seine alles ordnende Liebe und Weisheit, die in der Schöpfung verborgen ist. Aber jetzt eben nicht mehr in der kindhaften Naivität des Nicht-Wissens, sondern nach einer langen Odyssee, bei der der Mensch durch zahlreiche Kämpfe und Leiden hindurch an der Hand seines Erlösers zu einer neuen Freiheit gefunden hat. Mit dieser Freiheit der Liebe antwortet er nun auf Gott, der die Liebe selbst ist: „Vom Hörensagen hatte ich Dich gekannt, jetzt aber hat mein Auge Dich gesehen.“15

15

Hiob 42,5.

152

 

Personenregister Adorno, T. W. 74 u. A. 48, 74 A. 49 Aeschylos 71 Albertus Magnus 66 Anders, G. 74 Anselm von Canterbury 66 Aristoteles 60 Augustinus 56, 58, 61, 62 u. A. 15, 63, 66, 70, 85, 88 Bacon, Y. 82 Barth, K. 85 Biller, K. 120 A. 67 Biser, E. 52 A. 3 Boethius 66 Brandscheidt, R. 17 A. 8, 29 A. 14, 79 A. 60 Brantl, J. 79 A. 60, 89 A. 94 Brenning, J. 48 A. 23 Büchner, G. 52 Cusanus s. Nikolaus von Kues Demokrit 59 Dostojewski, F. M. 61, 76 Duns Scotus 66 Eagleton, T. 51 u. A. 1 Ebach, J. 12 A. 2 Eibach, U. 93 A. 4, 112 u. A. 56, 113, 118 u. A. 63, 121 Empedokles von Akragas 59 Euripides 71 Fabry, J. B. 106, 107 A. 45

Fohrer, G. 12 A. 2 Fonk, P. 115 A. 59 Frankl, T. 94 Frankl, V. E. 58 u. A. 9, 74-83, 88, 89, 91-123 Freud, S. 79 u. A. 60, 86 u. A. 87 Gehnke, S. 92 u. A. 1, 92 A. 3, 96 A. 15, 108, 109 A. 49, 116 A. 62 Görgen, C. 52 A. 2, 150 Gradl, F. 12 A. 2, 12 A. 3 Gradl, H.-G. 89 A. 94 Grom, B. 105 u. A. 40 Guardini, R. 52 Haag, E. 12 A. 2, 30 A. 15 Hegel, G. W. F. 85 Heraklit von Ephesos 59 Herring, H. 52 A. 4 Hesse, F. 12 A. 2 Hirsch, E. 13 A. 4 Horst, F. 12 A. 2 Höver, G. 115 A. 59 Janßen, H.-G. 52 A. 2, 92 A. 1 Jaspers, K. 58, 70-74, 77, 88, 89, 102, 121 u. A. 71 Jesus Christus 49, 87, 130, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 148 Johannes (Evangelist) 135 Johannes Paul II. 46 Jonas, H. 75 u. A. 51 Kant, I. 58, 66-69, 70, 77, 88 Kierkegaard, S. 13 u. A. 4 Kübler-Ross, E. 113

153

 

Laktanz 54, 55 A. 5, 75 Leibniz, G. W. 52 u. A. 4, 55, 58, 61, 64, 65 u. A. 19, 66, 68, 85, 88 Lewis, C. S. 56, 57 A. 8 Lorenz, C. F. 11 A. 1 Lourdes-Stiegeler, M. de 120 A. 67 Lux, M. 12 A. 2 Marx, K. 125 May, K. 11 A 1 Mende, T. 12 A. 2, 14 A. 5, 19 A. 10, 28 A. 12, 34 A. 17, 34 A. 18, 39 A. 19, 40 A. 20, 44 A. 22 Müller, H.-P. 12 A. 2 Nietzsche, F. 55 Nikolaus von Kues 66 Oeming, M. 12 A. 2 Overdick-Gulden, M. 79 A. 60 Paulus 48, 49 Platon 59, 60 u. A. 10, 60 A. 11, 61 A. 14, 71 Plotin 60 u. A. 12 Ps.-Dionysius Areopagita 66 Ricœur, P. 58, 84-87, 88, 89 Riede, P. 15 A. 6 Riemeyer, J. 99 A. 21, 103 A. 32, 111 u. A. 53 Röbel, M. 12 A. 2, 52 A. 2 Rochefoucauld, F. de la 76

154

Rousseau, J. J. 67 Rubenstein, R. L. 76 u. A. 53 Schaeidt, M. 89 A. 94 Scherer, A. 19 A. 9 Schiwy, G. 75 A. 50 Schmid, K. 12 A. 2 Schüßler, W. 12 A. 2, 52 A. 2, 70 A. 33, 79 A. 60, 89 A. 94, 92 A. 1 Sedlmeier, F. 17 A. 8 Shoshanna, B. 92 A. 2, 118 A. 64 Smeding, R.-M. 113 Sokrates 77 Sölle, D. 118 Sontag, S. 93 A. 7, 115 u. A. 60 Sophokles 71 Spieker, H. 12 A. 2 Stap, S. van der 114 u. A. 57, 114 A. 58, 120 Steinwendtner, B. 12 A. 2 Strauss, H. 12 A. 2 Suárez, F. 66 Thomas von Aquin 55 u. A. 6, 55 A. 7, 56 Thurmair, M.-L. 149 Tiedemann, R. 74 A. 49 Utters, M. 144 Voltaire 66, 67 u. A. 21 Weischedel, W. 68 Wiesel, E. 86 Wolde, E. van 12 A. 2

 

Sachregister Agape 61 Agnostizismus 89 Anthropomorphismus 77, 88 Atheismus/Atheisten 52, 55 Auschwitz 74, 75, 76, 82 Beste aller möglichen Welten 65, 68 Böses 53, 56, 59 Chiffer 70; des persönlichen Gottes 73; des Bösen 71; Leibhaftigkeit der 73 Creatio ex nihilo 60 Dogmatik und Freiheit 73 Dysteleologie 53 Einstellungswerte 81 Empfindsamkeit 108f. Erdbeben von Lissabon 66, 67 Erlösung 128-131 Existenz 70 Existenzanalyse 78 Fortschritt 54 Freiheit 54, 78, 81 Geist 78; Trotzmacht des 79 Glaube, philosophischer 70, 73; religiöser 73; ist bedingungslos 74, 76, 77, 83, 89 Gnosis 54, 85 Gott passim; absolut verborgen 70; allgütig/allmächtig 75, 76, 95; persönlicher 71; verborge-

ner 88; der Liebe 61; als Du 140; Erlösertum 16f., 36, 40, 43; Gerechtigkeit 15, 18f., 21, 23, 28f., 32f., 34, 36, 38, 39f., 45, 49; Schöpfungsund Geschichtsplan 16, 37f., 40, 43; Schweigen 132; Wohlwollen 131133, 147, 151; ist ohne Grund zu lieben 84, 87, 89; Gottesgewissheit 72; Gottvertrauen 127; göttliche Heilspädagogik 20f., 30-34, 48 Götzenglaube 89 Grenzsituation 102, 105 Gut und Böse 55 Hiob passim; Freunde 18, 23, 69, 73, 84, 114, 127 Hiobsfrage 51 Homo amans 82 Homo faber 82 Homo patiens 78, 82, 92102, 109, 122 Homo sapiens 99 Klage/Anklage 86, 87, 118f., 129, 131 A. 5, 140; Spiritualisierung der 86, 87 Kommunikation, existentielle 121 Kopernikanische Wende 77f. Leid und Schuld 20f., 22, 33, 48 Leiden passim; freiwilliges/freiwilliges 148-

155

 

151; gerechtfertiges 57; unerträgliches 141; unvermeidliches 130; Sinn des 78, 82, 91-123, 128, 150; Wie/Wozu des 78, 97, 109; als Leistung 100-102; in Würde 112f.; Mut zum 99; s. Sinn Leidensannahme 110f. Leidensdeutung 114-117; Leidvermeidung, Ethik der 60 Liebe 59, 149, 151; bedingungslose 137; Freiheit der 152 Logotherapie 78, 104 Malum metaphysicum 65; morale 56; physicum 56; s. Übel Manichäismus 54, 62, 85 Materie, ungeformte 60 Mensch, kranker 119 Mit-Leiden 119f. Mundus optimus 55 Mythos 84 Osterglaube 125f., 139, 142, 144 Pathodizee 78, 88, 95, 110-123 Philosophie, griechische 59-61 Prädestinationslehre 71 Privationslehre 56, 62, 64, 66, 85 Satan 44, 133 Scheitern 117 Schicksal 78, 81, 96, 99, 105 Schöpfung, Gutsein der 64 Schweigen, erfülltes 121123

156

Selbst-Distanzierung 78 Selbstgestaltung 106 Selbst-Transzendenz 78, 79 Sinn, Frage nach dem 80; trotz Leidens 83; des Lebens 79; Sinn-Erfüllung 79, 83; Sinnfrage 103, 109; s. Über-Sinn Sinn-Universalien 80 Solidarität 145-148, 149 Sünde 56 Sündenfall 29f., 33, 48 Teleologie 53 Teufel 54 Theodizee 77, 85, 88, 89, 95; authentische 68, 69; doktrinale 68, 69; Begriff 64; Theodizeefrage 78; Theodizeeproblem 51-58 Theologie, natürliche 88 Tier 103f. Tod 57f. Transzendenz 70, 104, 109, 110 Trauer 86, 113 Trost/trösten 14f., 18, 19, 20, 25-27, 40f., 49 Übel, moralisches 60; Ethisierung des 85; als corruptio 63; s. Malum Über-Ich 140 Über-Sinn 80, 103f. Unheil 53, 56 Vergeltung, Theorie der 84, 85, 86; Vergeltungslehre 14, 21-23, 40, 44, 47; Vergeltungslogik 89 Verzweiflung 99, 125 Weisheit 84 Weltganzes als Harmonie 59

2015.010

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Echter Verlag, Würzburg Brantl: Das Gebet 85 × 155 mm, schwarzweiß

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Das Gebet Die Beiträge des Buches nähern sich dem Gebet unter einem philosophischen, einem biblischen, einem systematisch-theologischen und einem spirituellen Aspekt. Sie machen zugleich deutlich, dass es beim Sprechen über das Beten immer auch schon um das „Wie“ des Betens geht. Von daher führen die Überlegungen nicht nur zu einem vertieften Verständnis des Gebets, sondern auch zu einer tieferen Gebetspraxis selbst.

Johannes Brantl Hans-Georg Gradl Mirijam Schaeidt Werner Schüßler Das Gebet „die Intimität der Transzendenz“ 152 Seiten · Broschur ISBN 978-3-429-03699-7 Das Buch erhalten Sie in Ihrer Buchhandlung.

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Echter Verlag, Würzburg Schaeidt: Hindurch ins Licht 85 × 155 mm, schwarzweiß

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Hindurch ins Licht Die Benediktinerin Mirijam Schaeidt hat sich nach einer Krise von den Grundimpulsen ihrer Ordensregel neu inspirieren lassen und diese in ihre eigene Sprach- und Erfahrungswelt übersetzt. Die große Entdeckung dabei ist: Die Regel ist nichts, was man „befolgen“ kann. Sie ist mehr Raum als eindimensionale Richtschnur, mehr wie ein Experimentierlabor oder wie eine Landkarte.

Mirijam Schaeidt Hindurch ins Licht Wege der Hoffnung im Geist der Benediktusregel 132 Seiten · Broschur ISBN 978-3-429-03484-9 Das Buch erhalten Sie in Ihrer Buchhandlung.

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Renate Brandscheidt, Dr. theol. habil., ist Professorin für Exegese des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät Trier. Christine Görgen, Dr. theol., ist Pastoralreferentin im Bistum Trier und ausgebildete Logotherapeutin. Sr. Mirijam Schaeidt OSB, ist Priorin im Benediktinerinnen-Kloster Bethanien in Trier. Werner Schüßler, Dr. phil. habil., Dr. theol., ist Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät Trier.

www.echter-verlag.de ISBN 978-3-429-03817-5

Renate Brandscheidt, Christine Görgen, Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler  ·  Hiob  Gott – Mensch – Leid

Wie sind das Unheil und das Böse in der Welt mit der Vorstellung eines allmächtigen und allgütigen Gottes zu vereinbaren? Auf diese „Hiobsfrage“ geht der Band aus unterschiedlicher Perspektive ein. Renate Brandscheidt behandelt die im Hiobbuch dargebotenen Formen der Auseinandersetzung mit dem unschuldigen Leiden sowie der Suche nach Trost. Werner Schüßler geht dem philosophischen Ringen um diese Frage nach, um schließlich Denker vorzustellen, die ihre eigene philosophische Position im Hiobbuch allegorisch ausgedrückt sehen. Christine Görgen sucht im Rückgriff auf Viktor E. Frankl aufzuzeigen, dass es dem Menschen trotz Leids immer noch möglich ist, Sinn zu finden und zu verwirklichen. Mirijam Schaeidt nähert sich dem Hiobbuch vom Osterereignis her als Geschichte einer Befreiung, welche nie durch Verdrängung, sondern nur durch die Annahme der uns bedrängenden Realitäten geschieht.

Renate Brandscheidt, Christine Görgen, Mirijam Schaeidt, Werner Schüßler

Hiob

Gott – Mensch – Leid

echter