Hinterziehung von Umsatzsteuer 9783504387396

Die Hinterziehung von Umsatzsteuer ist in der Praxis eines der Hauptfelder des Steuerstrafrechts. Zugleich zählt sie rec

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Hinterziehung von Umsatzsteuer
 9783504387396

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Heuel Hinterziehung von Umsatzsteuer

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Steuerfragen der Wirtschaft

Band 27

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Hinterziehung von Umsatzsteuer von

Dr. jur. Ingo Heuel 2021

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-64128-3 ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Druck und Verarbeitung: Stückle, Ettenheim Printed in Germany

Vorwort

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Greifswald hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2019/2020 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten bis September 2019 berücksichtigt werden. Ich danke all denen, die mich bei meiner Arbeit auf vielfältige Weise unterstützt haben, mir mit Rat und Tat zur Seite standen oder mir den erforderlichen Freiraum und die notwendige Ruhe zur Erstellung dieser Arbeit gaben. Besonders herzlichen Dank schulde ich meinem leider viel zu früh verstorbenen Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Joecks. Ihm verdanke ich die Themenanregung und eine engagierte und kompetente Betreuung der Arbeit. Besonderer Dank gilt auch meinem Doktorvater, Prof. Dr. Frank Hardtke, der nach dem Tod von Prof. Dr. Wolfgang Joecks die Betreuung der Arbeit übernommen hat. Herrn Prof. Dr. Olaf Hohmann danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Köln, im Dezember 2020

Ingo Heuel

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Inhaltsübersicht

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1. Teil: Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO A. Allgemeines/Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 B. Taterfolg der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 C. Tatbestandsmäßiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 D. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 E. Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 F. Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 G. Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele) . . 169 H. Ergebnis 1. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

2. Teil: Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer A. Grundlagen der Umsatzsteuer mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . 183 B. Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . 199 C. § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 D. Ergebnis 2. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

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3. Teil: Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 B. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 C. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 D. Selbstanzeigemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 E. Ergebnis 3. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

4. Teil: Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer A. Steuerhinterziehung nach § 370 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 B. Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des ­Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . 360 C. Ergebnis 4. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

5. Teil: Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer A. Bedeutung und Abgrenzung der Tatbegriffe: materiell und prozessual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 B. Grundsätzliches zum Verhältnis Umsatzsteuer­voranmeldung zu Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 C. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 D. Prozessuale Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 E. Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . 394 F. Ergebnis 5. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

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6. Teil: Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 B. Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 C. Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO . 435 D. Fristgerechte Nachzahlung, § 371 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . 453 E. Fremdanzeige, § 371 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 F. Ergebnis 6. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

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Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXVII Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1. Teil: Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO A. Allgemeines/Grundfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 I. Umsatzsteuer: Grundlagen und Grundprinzipien . . . . . . . . . 7 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 a) Nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 b) EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 c) Änderungen zum 01.01.2020 und geplante Änderungen 9 2. Besteuerungssystem (UStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 a) Steuerbare Umsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 b) Steuerfreie Umsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 c) Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug . . . 10 d) Umsatzsteuer nach § 14c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 e) Steuerschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 f) Umkehr der Steuerschuldnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 g) Binnenmarktfälle, Drittlandsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 h) Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 aa) Vorsteuerabzugsberechtigter ist Unternehmer . . . . . 13 bb) Ordnungsgemäße Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 cc) Leistender ist Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 dd) Identität Leistender und Rechnungsaussteller . . . . . 18 ee) Leistung erfolgt für das Unternehmen . . . . . . . . . . . 18 ff) Keine Bösglaubigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 gg) Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg, § 163 AO . . . . . . 19 3. Besteuerungsverfahren (UStG, AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 a) Voranmeldungszeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 b) Dauerfristverlängerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 c) Jahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 XI

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d) Verhältnis von Voranmeldungen zur Jahreserklärung . . 23 e) Steueranmeldungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4. Betrugsanfälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 5. Bisherige gesetzgeberische Aktivitäten zur Bekämpfung der Betrugsanfälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 6. Grundprinzipien der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Steuerhinterziehung: Grundlagen und Grundprinzipien . . . . 27 1. Grundtatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Tatbegehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4. Rechtsnatur der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 a) Deliktsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 b) Geschütztes Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 c) Blankettvorschrift oder normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 d) Strafrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . 31 B. Taterfolg der Steuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Abgrenzung der Taterfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. Gegenstand und Begriff der Verkürzung . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Zeitpunkt des Erfolgseintritts bei der Umsatzsteuer . . . . . 36 a) Fälligkeitssteuer oder Veranlagungssteuer . . . . . . . . . . . 36 b) Vollendungszeitpunkt bei der Umsatzsteuer . . . . . . . . . 38 aa) Abgabefall bzw. zu niedrige Festsetzung . . . . . . . . . . 38 (1) Zahllast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 (2) Erstattungsbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 (3) Korrektur von unbilligen Ergebnissen . . . . . . . . . 40 bb) Nichtabgabefall bzw. unterbliebene Festsetzung . . . 41 (1) Umsatzsteuervoranmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . 41 (2) Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . 42 cc) Abweichung bzw. erstmalige Festsetzung durch das Finanzamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Umfang des Verkürzungserfolgs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 a) Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO . . . . . . . 47 aa) Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 cc) Anknüpfungspunkt: „andere Gründe“ . . . . . . . . . . . 49 dd) Einzelfälle zum Kompensationsverbot . . . . . . . . . . . 53 (1) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG – Fremdleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 (2) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG – Einfuhr 65 XII

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  (3) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG – innergemeinschaftlicher Erwerb . . . . . . . . . . . . 70   (4) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG – Reverse-Charge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71   (5) Vorsteuer bei Unterlassungstaten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73  (6) Schätzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77   (7) Besonders schwerer Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78   (8) Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78   (9) In Voranmeldungen erklärte Vorsteuern bei Nichtabgabe/verspäteter Abgabe einer Jahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (10) Umsatzsteuerbefreiungen, § 4 UStG . . . . . . . . . 79 (11) § 14c UStG-Fälle – Scheinrechnungen . . . . . . . . 80 ee) Zwischenergebnis zum Kompensationsverbot . . . . . 81 b) Steuerverkürzung auf Zeit und auf Dauer . . . . . . . . . . . 82 aa) Steuerverkürzung auf Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 bb) Steuerverkürzung auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 c) Steuerverkürzung: Anrechnung von Umsatzsteuervorauszahlungen bei der Jahreserklärung . . . . . . . . . . . . 89 d) Steuerverkürzung: nachträgliche Berichtigungen bzw. Berichtigungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 e) Steuerverkürzung: Fallgruppen zu Art und Umfang der Verkürzung bei der Umsatzsteuerhinterziehung . . . . . . 93 aa) Umsatzsteuervoranmeldung falsch, Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht . . . . . . . . . . 94 bb) Falsche Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung werden in der fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung lediglich wiederholt . . . . . . . . . . . . . 96 cc) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und weitere falsche Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung, die über die falschen Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung hinausgehen . . . . . . . . 97 dd) Umsatzsteuervoranmeldung falsch und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 ee) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

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ff) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatz­steuer­jahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 gg) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 hh) Umsatzsteuervoranmeldungen richtig und fristgerecht, Umsatz­steuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben . . . . . . . . . . . . . 105 ii) Umsatzsteuervoranmeldungen richtig und fristgerecht, keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 III. Nicht gerechtfertigte Steuervorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Begriff des Steuervorteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Nicht gerechtfertigt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IV. Zwischenergebnis zum Taterfolg der Umsatzsteuer­ hinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 C. Tatbestandsmäßiges Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 I. Steuerhinterziehung durch Handeln, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO 112 1. Angaben machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Unterschriebene Steuererklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Elektronische Steuererklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Datenauthentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Unrichtige oder unvollständige Angaben über Tatsachen . 117 a) Abweichende Rechtsauffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Auswirkung steuerlicher Nachweisvorschriften auf den Taterfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Bloße steuerliche Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Nachweiserfordernisse als materielle Voraussetzung 120 cc) Ordnungsgemäße Rechnung und Vorsteuerabzug . . 120 dd) Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftliche Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Steuerlich erhebliche Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Gegenüber Finanz- oder anderen Behörden . . . . . . . . . . . . 124 5. Unkenntnis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal . . . 124 6. Selbstbelastungsverbot hinsichtlich Jahreserklärung bei Verfahrenseinleitung wegen Voranmeldungen . . . . . . . . . . 127 II. Steuerhinterziehung durch Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 1. Erklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Erklärungspflichten in Bezug auf die Umsatzsteuer . . . 129 XIV

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b) Erklärungspflichtige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Unzumutbarkeit, Selbstbelastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Unkenntnis als Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Verletzung der allgemeinen Korrekturpflicht aus § 153 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Verletzung von speziellen umsatzsteuerlichen Korrekturpflichten, §§ 15a, 17 UStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 III. Zwischenergebnis zum tatbestandsmäßigen Verhalten . . . . 134 D. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Deskriptive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Begriffe mit Bezug zu steuerlichen Rechtsfragen . . . . . . . . 137 a) Normative Tatbestandsmerkmale und Steueranspruchslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Blankettmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Kritik an der Steueranspruchslehre und Stellungnahme 138 II. Irrtümer: Abgrenzung Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum 140 1. Tatbestandsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Irrtum über deskriptive Tatbestandsmerkmale . . . . . . . 141 b) Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . 141 c) Irrtum über Blankettmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3. Typische Irrtümer bei der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Irrtum über Erklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Irrtum über Erklärungspflicht bei fristgerechter Zahlung von ­Umsatzsteuervorauszahlungen . . . . . . . . . 145 c) Irrtum über Entstehungszeitpunkt der Umsatzsteuer . . 145 d) Irrtum über Steuersatz: unberechtigter Steuerausweis . 146 e) Irrtum über Kompensationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 f) Irrtum über Vorsteuerabzug aus inhaltlich unzutreffender Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 g) Irrtum über Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 h) Irrtum über die Korrekturpflichten nach § 17 UStG . . . 149 E. Versuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. Abgrenzung tauglicher, untauglicher Versuch und Wahndelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Subjektiver Tatbestand (Tatentschluss) . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 III. Objektiver Tatbestand (unmittelbares Ansetzen zur Tat) . . . 151 1. Abgabefall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Nichtabgabefall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 XV

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IV. Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB; Abgrenzung zur Selbstanzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 F. Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 I. Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Täterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1. Steuerhinterziehung durch Handeln, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 a) Unmittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1, 1. Alt. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Erklärungsherrschaft über Inhalt und Abgabe der Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 bb) Steuerliche Berater als unmittelbare Täter . . . . . . . . 160 b) Mittäterschaft, § 25 Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB . . . . . . 163 2. Steuerhinterziehung durch Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 III. Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Neutrale Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 b) Einzelfälle zur Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 G. Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele) . . 169 I. Einzelne Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, Steuerverkürzung in großem Ausmaß in der Fassung seit 01.01.2008 . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Grenzbestimmung Hinterziehungsbetrag . . . . . . . . . . . . 171 b) Anwendung des Kompensationsverbots . . . . . . . . . . . . . 173 c) Steuerverkürzung auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 d) Mehrere Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 2. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, Steuerverkürzung in großem Ausmaß in der Fassung vom 01.10.2002 bis 31.12.2007 . . 175 3. § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO, banden- und gewerbsmäßige Umsatzsteuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 4. Unbenannter schwerer Fall eines Regelbeispiels . . . . . . . . 177 5. Entkräftung der Indizwirkung, Geringfügigkeit . . . . . . . . . 178 II. „Versuch“ von Regelbeispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 H. Ergebnis 1. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

XVI

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2. Teil: Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer A. Grundlagen der Umsatzsteuer mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . 183 I. Innergemeinschaftliche Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Rechtsgrundlagen der EU zur Mehrwertsteuer . . . . . . . . . 184 2. Technische Umsetzung des Bestimmungslandprinzips . . . 184 3. Rechtsnormen auf EU-Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4. Nationale Rechtsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5. Verhältnis des nationalen Rechts zum EU-Recht . . . . . . . 189 6. Betrugsanfälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 7. Umsatzsteuerkarusselle, Streckengeschäfte, Kettengeschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Steuerrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Steuerstrafrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) Bekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Innergemeinschaftliche sonstige Leistungen . . . . . . . . . . . . . 195 III. Lieferungen mit Drittlandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. Einfuhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 B. Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . 199 I. Innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. sonstige Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Entwicklung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Ältere Rechtsprechung des BFH und des BGH zum Buch- und Belegnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Ältere Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Rechtssache Teleos (EuGH v. 27.09.2007) . . . . . . . . . . . 207 d) Rechtssache Collée (EuGH v. 27.09.2007) . . . . . . . . . . . 210 e) Rechtssache R (EuGH v. 07.12.2010) . . . . . . . . . . . . . . . 215 f) Bewertung der Entscheidung der Rechtssache R in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Subjektive Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 bb) Umsetzung in nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 225 cc) Steuersystematische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 dd) Strafrechtliche Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 ee) Nachträgliche Besteuerung im Bestimmungsland („unterliegen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 ff) Nationale Folgerechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . 229 gg) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 XVII

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g) Jüngere Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . 231 h) Rechtssache Schoenimport Italmoda (EuGH v. 18.12.2014) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 i) Bewertung der Entscheidung Italmoda in der Literatur . 239 aa) Einordnung der Entscheidung in die bisherige Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Vorsteuerversagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 cc) Steuersystematische Bedenken, Rechtsgrundlage der Rechteversagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 dd) Begriff der Steuerhinterziehung, Steuerumgehung, Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 ee) Lieferkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 ff) Objektive Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 gg) Subjektive Elemente; Beteiligung an Lieferkette . . . 246 hh) Strafsteuer; keine Sanktion i.S.d. Grundrechtecharta der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 ii) Spätere Korrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 jj) Umsetzung in nationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 252 (1) Unmittelbare Anwendung der Richtlinie . . . . . . 253 (2) Keine unmittelbare Anwendung der Richtlinie . 257 (3) Nationale Reformüberlegungen: § 25f UStG-E . . 263 kk) Steuerstrafrechtliche Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . 264 2. Stellungnahme zum Komplex innergemeinschaftliche Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 aa) Bedeutung der Entscheidung Italmoda . . . . . . . . . . . 267 bb) Objektive Umstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 cc) Anforderungen an subjektive Elemente . . . . . . . . . . 270 b) Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 bb) Bestimmtheitsgrundsatz, Analogieverbot . . . . . . . . . 272 cc) Mehrfachbelastung als Sanktion; Strafklageverbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 dd) Steuerverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 ee) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (1) Täuschungshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 (2) Fälle der neutralen Beihilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 ff) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 gg) Spätere Korrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 c) Ergebnis zum Komplex innergemeinschaftliche Lieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 XVIII

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II. Lieferungen mit Drittlandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Ausfuhrlieferungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Nachweisvoraussetzungen für die Steuerbefreiung . . . . 282 b) Übertragbarkeit der Rechtsgrundsätze der EuGHRechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 2. Einfuhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 III. Zwischenergebnis zu Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 C. § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 I. Ein- und Ausfuhrabgaben, § 370 Abs. 6 S. 1 AO . . . . . . . . . . 290 II. Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern, § 370 Abs. 6 S. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 III. Rechtsnatur des § 370 Abs. 6 S. 3 AO und Rückwirkung auf Altfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 1. Abschaffung Gegenseitigkeitserfordernis . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 IV. Hinterziehungsumfang bei § 370 Abs. 6 AO . . . . . . . . . . . . . 295 V. § 370 Abs. 7 AO, Durchbrechung Territorialprinzip . . . . . . . 295 1. Straftaten gegen den deutschen Steueranspruch . . . . . . . . 295 2. Auslandsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Vermeidung Doppelbestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 D. Ergebnis 2. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298

3. Teil: Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 B. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 I. In der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . 304 1. Formale Anforderungen an eine Rechnung . . . . . . . . . . . . 305 2. Inhaltliche Anforderungen – Scheinrechnungen, Abdeckrechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 3. Rechnungskorrekturen; Herabsetzung der Steuerschuld . . 311 4. Widerspruch im Fall der Abrechnung per Gutschrift . . . . . 312 5. Sondervorauszahlung bei Dauerfristverlängerung . . . . . . . 313 II. Nichtentrichtung der Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Fälligkeit der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

XIX

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2. Aufrechnung, Stundung, Zahlungsschonfrist, Aussetzung der Vollziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 3. Täter der Nichtentrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 4. Nicht angemeldete Steuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Umsatzsteuervorauszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Jahresabschlusssoll (Umsatzsteuerjahreserklärung bzw. Jahressteuerbescheid) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 5. Begehungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 6. Auswirkungen einer Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit . 316 a) Vorüberlegung: zivilrechtliche Pflicht zur Rechnungsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Kürzung wie bei § 380 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 c) Vergleich mit Voraussetzungen nach § 69 AO . . . . . . . . 318 d) Pflichtwidrige Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit (­omissio ­libera in causa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 e) Vereinnahmte Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 f) Tatsächlicher Vorsteuerabzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 g) Korrekturen bei eingeplanter Zahlungsunfähigkeit . . . 325 7. Sonderproblem 01.01.2009 bis 29.06.2013 . . . . . . . . . . . . . 327 III. Bedeutung der Zahllast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 IV. Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Nichtentrichtung . . . . 328 1. Bandenmäßige Begehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 2. Gewerbsmäßige Begehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 V. Zwischenergebnis zum objektiven Tatbestand . . . . . . . . . . . 331 C. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 D. Selbstanzeigemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 E. Ergebnis 3. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

4. Teil: Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer A. Steuerhinterziehung nach § 370 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 I. Dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Verlängerte Frist: Art des Vorliegens des Regelbeispiels . . 338 2. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 3. Absolute Verjährung: § 78c Abs. 3 S. 2 StGB . . . . . . . . . . . 342 II. Beginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 1. Abgabefall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 a) Umsatzsteuervoranmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 b) Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 XX

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2. Nichtabgabefall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 3. Verjährung: Fallgruppen zum Beginn der Verjährung bei der Umsatzsteuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Umsatzsteuervoranmeldung falsch, Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht . . . . . . . . . . . . . 351 b) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und falsche Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung werden in der Umsatzsteuerjahreserklärung lediglich wiederholt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 c) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und weitere falsche Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung, die über die falschen Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung hinausgehen . . . . . . . . . . . 352 d) Umsatzsteuervoranmeldung falsch und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung . 353 e) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht . 354 f) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 g) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 h) Umsatzsteuervoranmeldungen richtig und fristgerecht, Umsatz­steuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 i) Nachträgliche Abgabe unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärung zur (zunächst) unterlassenen Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 III. Auswirkungen von (Rechnungs)berichtigungen . . . . . . . . . . . 356 IV. Verjährungsunterbrechung nach § 376 Abs. 2 AO . . . . . . . . . 357 V. Ruhen der Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 B. Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des ­Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG . . . . . . . . . . . . . . . . 360 C. Ergebnis 4. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361

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5. Teil: Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer A. Bedeutung und Abgrenzung der Tatbegriffe: materiell und prozessual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 B. Grundsätzliches zum Verhältnis Umsatzsteuer­voranmeldung zu Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 I. Steuerverfahrensrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 II. Strafverfahrensrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 C. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 I. Umsatzsteuerhinterziehung im Verhältnis zu anderen Steuerstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 II. Verhältnis der Umsatzsteuerhinterziehungen untereinander 370 1. Mehrere Unrichtigkeiten in einer Steueranmeldung . . . . . 370 2. Verhältnis zwischen Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Fallgruppen zu Konkurrenzen bei der Umsatzsteuerhinterziehung in Bezug auf das Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 a) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und falsche Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung werden in der Umsatzsteuer­jahreserklärung lediglich wiederholt . 377 b) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und weitere falsche Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung, die über die falschen Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung hinausgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 c) Umsatzsteuervoranmeldung falsch und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung 378 d) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 e) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 4. Wiederholte Umsatzsteuerhinterziehung: nachträgliche Abgabe unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärung zur (zunächst) unterlassenen Umsatzsteuerjahreserklärung . . 380

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III. Verhältnis von § 26c UStG zu § 370 AO . . . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Konkurrenzverhältnis § 26c UStG zu § 370 AO (allgemein) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 2. Konkurrenzverhältnis § 26c UStG zu § 370 AO (Selbstanzeigekonstellation) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 IV. Zwischenergebnis zu Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 D. Prozessuale Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 I. Tatbegriff nach § 264 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 II. Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zu Umsatzsteuer­ jahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 E. Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehung . . . . . . . . . . . . . 394 I. Strafrahmenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 II. Spielraum bei der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 III. Umsatzsteuerliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 1. Kompensationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 2. Hinterziehung auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 3. Typische Konstellationen der Hinterziehung von Umsatzsteuer auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 4. Berichtigungsmöglichkeiten; Scheingeschäfte; unberechtigter Umsatzsteuerausweis, § 14c Abs. 2 UStG 401 5. Treuhandstellung des Unternehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 6. Umsatzsteuerkarussell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 F. Ergebnis 5. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

6. Teil: Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 I. Rechtliche Einordnung von Korrekturerklärungen . . . . . . . . 407 II. Überblick über die Regelung der Selbstanzeige: §§ 371, 398a AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 B. Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 I. Historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 II. Tatbestandsvoraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO . . . . . . . . 415 1. Selbstanzeigezeitraum: zeitliche Vollständigkeit . . . . . . . . 415 2. Steuerart: Spartenvollständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 a) Täterbezogene Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 b) Umsatzsteuer bzw. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben eines anderen EU-Mitgliedstaats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 c) Einfuhrumsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 XXIII

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3. Anzeigeerstatter, verdeckte Stellvertretung . . . . . . . . . . . . 420 4. Berichtigungserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 a) Materiallieferungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 b) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen durch Umsatzsteuerjahreserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 III. Ausnahmen vom Vollständigkeitsgebot, 371 Abs. 2a AO . . . 425 1. Fehlwirkungen durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 2. Versuch der Kompensation durch Verwaltungsanweisungen (AStBV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 3. Gesetzliche Ausnahmen für Umsatzsteuervoranmeldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 4. Einzelne Fallgestaltungen bei der Umsatzsteuer . . . . . . . . 428 a) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen durch fristgerechte und vollständige Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 b) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und von falscher Umsatzsteuerjahreserklärung durch (weitere) richtige Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . . . 430 c) Richtige Umsatzsteuervoranmeldungen, aber verspätete ­Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . . . 430 d) Falsche Umsatzsteuervoranmeldungen werden durch die 12. Umsatzsteuervoranmeldungen korrigiert; sog. „Praktikerlösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 e) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen nach Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung . . . . . . . . . . 431 IV. Zwischenergebnis zum Vollständigkeitsgebot . . . . . . . . . . . . 432 C. Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO . 435 I. Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (§ 371 Abs. 2S. 1 Nr. 1a AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 1. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . 436 2. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 3. Umsatzsteuerliche Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 II. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO) . . . . . . . . . . . . . . . . 438 III. Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 IV. Erscheinen eines Amtsträgers zur Ermittlung einer  Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440

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V. Erscheinen eines Amtsträgers zu einer Umsatzsteuer­nachschau, einer Lohnsteuernachschau oder einer Nachschau  nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 VI. Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO) . . . . . . . . . . . . . . 441 1. Tatentdeckung durch Fristablauf bei Fälligkeitssteuern . . 442 2. Einschränkung für Umsatzsteuervoranmeldungen durch § 371 Abs. 2a S. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 VII. Ausschluss in besonderen Fällen (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO), Absehen von Strafverfolgung in besonderen Fällen (§ 398a AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 1. Anwendung des Kompensationsverbots . . . . . . . . . . . . . . . 444 a) Anwendung des Kompensationsverbots hinsichtlich der 25.000-€-Grenze (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO) . . . . . . 444 b) Ermittlung des Zuschlagtarifs/Prozentsatzes (§ 398a ­Abs. 2 ­AO: Hinter­ziehungsbetrag) . . . . . . . . . . . 445 c) Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Zuschlag (§ 398a Abs. 1 Nr. 2a-c AO: hinterzogene Steuer) . . . . . 446 d) Anwendung des Kompensationsverbots nach der Rechtslage bis 31.12.2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 e) Zuschlag bei geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen 448 2. Zuschlagszahlung durch jeden Tatbeteiligten . . . . . . . . . . 449 3. Steuerhinterziehung auf Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 VIII. Ausschluss bei besonders schwerem Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2–5 AO (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AO), Absehen von Strafverfolgung in besonderen Fällen (§ 398a AO) . . . . . . . . . 451 IX. Zwischenergebnis zu den negativen Wirksamkeits­ voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 D. Fristgerechte Nachzahlung, § 371 Abs. 3 AO . . . . . . . . . . . . . . . . 453 E. Fremdanzeige, § 371 Abs. 4 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 F. Ergebnis 6. Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505

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Abkürzungsverzeichnis

a.A. andere Ansicht ABl. EG Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABl. EU Amtsblatt der Europäischen Union Abs. Absatz AdV Aussetzung der Vollziehung a.E. am Ende AEO zugelassener Wirtschaftsbeteiligter AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a.F. alte Fassung AG Amtsgericht, Die Aktiengesellschaft AktG Aktiengesetz AK-StGB Alternativkommentar zum Strafgesetzbuch AmtshilfeRLUmsG Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung AO-StB AO-Steuerberater Art. Artikel AStBV (St) Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) ATLAS Automatisierte Tarif- und Lokale Zollabwicklung AZ Aktenzeichen BB Betriebsberater BBK Buchführung, Bilanzierung, Kostenrechnung BeckRS Beck online Rechtsprechung BfF Bundesamt für Finanzen BFH Bundesfinanzhof BFHE Entscheidungen des Bundesfinanzhofs BFH/NV Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH BGBl. Bundesgesetzblatt BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BGHR BGH-Rechtsprechung-Strafsachen BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen XXVII

Abkürzungsverzeichnis

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivil­ sachen BMF Bundesministerium der Finanzen BStBl.  Bundessteuerblatt BT-Drs. Bundestagsdrucksache BR-Drs. Bundesratsdrucksache Buchst. Buchstabe BuStra Buß- und Strafsachenstelle BuW Betrieb und Wirtschaft BVerfG Bundesverfassungsgericht BZSt Bundeszentralamt für Steuern bzw. beziehungsweise CCZ

Corporate Compliance Zeitschrift

DB Der Betrieb ders. derselbe dies. dieselbe(n) Diss. Dissertation DOK Dokument DokID Dokumenten-Identifikationsnummer DStR Deutsches Steuerrecht DStRE Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst DStZ Deutsche Steuer-Zeitung DWS-Institut Deutsches wissenschaftliches Institut der Steuerberater e.V. ECOFIN-Rat Rat Wirtschaft und Finanzen EFG Entscheidungen der Finanzgerichte EG Europäische Gemeinschaft EGAO Einführungsgesetz zur Abgabenordnung EG-RL Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft ELSTER Elektronische Steuererklärung EnergieStG Energiesteuergesetz ESt Einkommensteuer etc. et cetera EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EU-UStB EU-Umsatz-Steuer-Berater EUV Vertrag über die Europäische Union EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

FA Finanzamt f. folgende ff. fortfolgende FG Finanzgericht, Festgabe Fn. Fußnote FinMin. NRW Finanzministerium des Landes Nordrhein-West­ falen FR Finanz-Rundschau FS Festschrift GA Goltdammers Archiv GbR Gesellschaft bürgerlichen Rechts gem. gemäß GewSt Gewerbesteuer GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHG Gesetz betreffend die Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbHR GmbH-Rundschau GrCH Charta der Grundrechte der Europäischen Union grds. grundsätzlich GS Gedächtnisschrift GStB Gestaltende Steuerberatung GSSt Großer Senat für Strafsachen HFR Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung HGB Handelsgesetzbuch h.M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben HS. Halbsatz i.H.v. i.S. i.S.d. i.S.v. IStR i.V.m. IWW

in Höhe von im Sinne im Sinne der/des im Sinne von Internationales Steuerrecht in Verbindung mit Institut für Wissen in der Wirtschaft

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Abkürzungsverzeichnis

JR Juristische Rundschau JStG Jahressteuergesetz Juris Juristisches Informationssystem für die Bundes­ republik Deutschland JurisPR-SteuerR juris PraxisReport Steuerrecht JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift KG Kommanditgesellschaft KÖSDI Kölner Steuerdialog LG Landgericht LK-StGB Leipziger Kommentar zum StGB MDR Monatsschrift für Deutsches Recht m.E. meines Erachtens MIAS Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem MK-StGB Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch m.w.N. mit weiteren Nachweisen MwStSystRL Mehrwertsteuersystemrichtlinie MwStR Zeitschrift für das gesamte Mehrwertsteuerrecht MwSt-RL Mehrwertsteuerrichtlinie MZK Modernisierter Zollkodex n.F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift NK-StGB Nomos-Kommentar zum Strafgesetzbuch Nr. Nummer NStZ Neue Zeitung für Strafrecht NStZ-RR NStZ-Rechtsprechungs-Report NWB Neue Wirtschafts-Briefe NV, nv nicht veröffentlicht NZWiSt Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und ­Unternehmensstrafrecht o.g. oben genannt(e(r)) OHG offene Handelsgesellschaft OLG Oberlandesgericht OWiG Ordnungswidrigkeitengesetz PStR XXX

Praxis Steuerstrafrecht

Abkürzungsverzeichnis

RAO Reichsabgabenordnung RegE Regierungsentwurf RG Reichsgericht Rn. Randnummer RReg Reichsregierung Rs. Rechtssache RStGB Reichsstrafgesetzbuch S. Satz, Seite SchwarzArbG Schwarzarbeitsgesetz SchwarzGBekG Schwarzgeldbekämpfungsgesetz SDÜ Schengener (Durchführungs-)Übereinkommen sog. sogenannter, sogenanntes StÄndG Steueränderungsgesetz StBerG Steuerberatungsgesetz StBdirekt Serviceportal der Steuerberaterverbände für ihre Mitglieder StBMag Steuerberater Magazin Stbg Die Steuerberatung StBp Die steuerliche Betriebsprüfung StBW Steuerberater Woche StDÜV Steuerdaten-Übermittlungsverordnung StE Steuereildienst SteuK Steuerrecht kurzgefaßt StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StraFo Strafverteidiger-Forum StRK Steuerrecht in Karteiform StV Strafverteidiger StVBG Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz u.a. unter anderem, unter anderen Univ. Universität Unterabschn. Unterabschnitt UR Umsatzsteuer-Rundschau USt Umsatzsteuer UStAE Umsatzsteueranwendungserlass UStB Umsatzsteuer-Berater UStDV Umsatzsteuerdurchführungsverordnung UStG Umsatzsteuergesetz USt-Ident-Nummer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer XXXI

Abkürzungsverzeichnis

UStR Umsatsteuerrichtlinien u.U. unter Umständen UVR Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht UZK Zollkodex der Union v. von/vom VerbStGÄndG Sechstes Gesetz zur Änderung von Verbrauch­ steuergesetzen vom 16.06.2011 vs. versus VorSt Vorsteuer WiJ wistra

Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht

z.B. zum Beispiel ZfZ Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern ZK Zollkodex ZollVG Zollverwaltungsgesetz ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZWH Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen zugl. zugleich

XXXII

Einleitung

Die Umsatzsteuer ist auf zwei Wegen hinterziehbar: Zum einen durch deren Nichtanmeldung und zum anderen durch die Geltendmachung von nicht abzugsfähiger Vorsteuer. Die Umsatzsteuer ist aufgrund ihres Systems sehr betrugsanfällig. Dies vor allem wegen des Vorsteuerabzugs, der nicht voraussetzt, dass der Rechnungsempfänger die ausgewiesene Umsatzsteuer oder das entsprechende Entgelt gezahlt haben muss. Hinzu kommt, dass die Umsatzsteuer eine Selbstveranlagungssteuer ist und der Unternehmer es selbst in der Hand hat, eine – zunächst weitgehend ungeprüfte – falsche Steueranmeldung abzugeben. Es muss vorweggeschickt werden, dass es nicht „die“ Umsatzsteuerhinterziehung gibt. Die Bandbreite der typischen Umsatzsteuerhinterziehungen reicht von „kleinen Schummeleien“ wie etwa dem unberechtigten Vorsteuerabzug aus privaten Bewirtungskosten oder von kleinsten – bedingt vorsätzlich begangenen – Fehlern auf der einen Seite bis hin zur organisierten Kriminalität durch sog. Umsatzsteuerkarusselle auf der anderen Seite. Durch Umsatzsteuerkarusselle nutzen Steuerhinterzieher dieses System – insbesondere seit dem Wegfall der Grenzkontrollen im Rahmen des Europäischen Binnenmarkts zum 01.01.1993 – europaweit aus. Daher kommt der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung in der Gesetzgebung ein hoher Stellenwert zu; dies sowohl national als auch international, insbesondere auf Ebene der EU. Vor dem Hintergrund der Betrugsanfälligkeit sind auch die Finanzverwaltung und die Ermittlungsbehörden gefordert, etwaige Auffälligkeiten für eine Umsatzsteuerhinterziehung zu erkennen, aufzugreifen und ggf. strafrechtlich zu verfolgen. Dies führt häufig zu Streitigkeiten, die dann zunächst von den steuerlich zuständigen Gerichten entschieden werden. Hierbei erweist sich der EuGH nicht selten als „Motor der Fortentwicklung“ im Umsatzsteuerrecht. In der Folge stellt sich dann die Frage, ob und wie die auf steuerlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen ins Steuerstrafrecht übernommen werden können, was dann nicht selten Straf­ gerichte entscheiden müssen. Schwierig ist hierbei ferner die im sub­ jektiven Tatbestand vorzunehmende Abgrenzung zwischen vorsätzlichem und damit nach § 370 Abs. 1 AO strafbarem Handeln einerseits und nicht vorsätzlichem Handeln andererseits, welches sanktionslos bleibt bzw. allenfalls beim Vorliegen von Leichtfertigkeit als Ordnungswidrigkeit (§ 378 AO) geahndet werden kann. Erschwert wird diese Abgrenzung 1

Einleitung

­ adurch, dass in Unternehmen täglich eine Vielzahl von Entscheidund gen mit umsatzsteuerlichen Auswirkungen zu treffen ist, weil jeder Geschäftsvorfall umsatzsteuerlich gewürdigt werden muss. In diese Entscheidungen ist wiederum – je nach Größe und Struktur des Unternehmens – eine Vielzahl von Personen eingebunden. Strafrechtlich muss dann festgestellt werden, ob und wer jeweils als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt. Die oft steuerlich und dann ggf. auch strafrechtlich im Raum stehenden Beträge bewegen sich in meist ganz erheblichen Größenordnungen, weil – beim Regelsteuersatz – 19 % des fraglichen Umsatzes betroffen sind, die sich sehr schnell aufsummieren, wenn – wie nicht selten – im Unternehmen eine bestimmte Art von Geschäftsvorfällen in Serie – wie sich später herausstellt – falsch gewürdigt wurde. Dies führt zu ganz erheblichen steuerlichen Risiken der Unternehmen und zu entsprechenden strafrechtlichen Risiken für die handelnden Personen. Um diese Risiken in den Unternehmen besser zu beherrschen und um dem Vorwurf von vorsätzlichem Handeln zu begegnen, führen immer mehr Unternehmen sog. Tax-Compliance-Systeme vor allem im Hinblick auf die Umsatzsteuerrisiken ein, die aber im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande erwähnt werden sollen. Bei der Rollen- bzw. Risikoverteilung hinsichtlich der Umsatzsteuer wird häufig kritisiert, dass der Staat diese einseitig auf die Unternehmen bzw. die handelnden Personen abwälzt, die – auch als „Steuereinnehmer“ des Fiskus bezeichnet – die Umsatzsteuer gewissermaßen wie Treuhänder für den Fiskus vereinnahmen. Ohne selbst hiervon einen Nutzen zu haben, tragen die Unternehmen bzw. die handelnden Personen stets das Risiko, eine umsatzsteuerlich falsche Entscheidung getroffen zu haben bzw. schuldlos in eine Umsatzsteuerhinterziehung anderer miteinbezogen zu werden und im Nachhi­ nein durch die Verwaltung bzw. die Ermittlungsbehörden oder durch die Gerichte eines Besseren belehrt zu werden. Auf Seiten der Finanzverwaltung handelt es sich bei der Festsetzung und Erhebung der Umsatzsteuer um ein Massenverfahren, welches inzwischen fast ausschließlich elek­ tronisch abgewickelt wird. Dies erschwert – solange das Risikomanagementsystem der Finanzverwaltung einen Fall nicht zur personellen Bearbeitung aussteuert – die Erkennung von Umsatzsteuerhinterziehungen ganz erheblich, wenn die Täter entsprechend versiert sind und versuchen, das Risikomanagementsystem zu unterlaufen. Die vorliegende Arbeit untersucht – im Rahmen einer Gesamtdarstellung und Analyse aller wesentlichen Fragen auf der Basis des geltenden Rechts, die sich im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehung stellen – die hierzu ergangene Rechtsprechung und Literatur kritisch und unterbreitet eigene Lösungsvorschläge. Seit dem Beitrag von Nöhren zu 2

Einleitung

diesem Thema aus dem Jahre 2005 hat es viele neue Entwicklungen ­gegeben, sodass eine neue Gesamtübersicht geboten erscheint. Die vorliegende Abhandlung folgt zunächst im 1. Teil dem allgemeinen Deliktsaufbau mit der Darstellung und Untersuchung der wesentlichen Streitfragen im Bereich der Hinterziehung von Umsatzsteuer. Zum besseren Verständnis werden hierbei zunächst die umsatzsteuerlichen Grundlagen aufgezeigt, soweit diese für eine Umsatzsteuerhinterziehung relevant sind. Dem schließt sich die Darstellung des Tatbestands der Steuerhinterziehung nach § 370 AO mit umsatzsteuerlichen Besonderheiten an. Hierbei wird unter anderem der Vollendungszeitpunkt der Umsatzsteuerhinterziehung jeweils in Bezug auf Umsatzsteuervoranmeldungen und die Umsatzsteuerjahreserklärung beleuchtet. Intensiv untersucht wird sodann das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO, welches bei der Umsatzsteuerhinterziehung von großer Bedeutung ist. Die hierzu ergangene Rechtsprechung bzw. vorhandene Literatur wird kritisch gewürdigt und es werden eigene Lösungsvorschläge unterbreitet. Ferner wird das Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung in typischen Fallgruppen in Bezug auf Art und Umfang der Hinterziehung untersucht und einer eigenen Würdigung unterzogen. Eine solche Zusammenstellung nebst der Darstellung der rechtlichen Bewertung nach Rechtsprechung und Literatur – im Rahmen dieser Arbeit verbunden mit einer eigenen rechtlichen Bewertung – ist – soweit ersichtlich – bislang nur in Ansätzen vorgenommen worden. Ursächlich hierfür mag sein, dass in der Praxis die Verfolgung meist entweder auf die Umsatzsteuervoranmeldungen oder die Umsatzsteuerjahreserklärung beschränkt wird. Sodann werden die Auswirkungen von (umsatzsteuer­ lichen) Nachweispflichten auf deren strafrechtliche Relevanz hin un­ tersucht. Im Rahmen des subjektiven Tatbestands werden u.a. typische ­Irrtümer bei Behandlung der Umsatzsteuer auf deren strafrechtliche Auswirkungen (Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB bzw. Verbotsirrtum nach § 17 StGB) untersucht. Bei der Versuchsstrafbarkeit wird unter anderem beleuchtet, wann hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen ein unmittelbares Ansetzen zur Tat vorliegt. Der 2. Teil beschäftigt sich mit grenzüberschreitenden Umsatzsteuerhinterziehungen. Auch hier werden – zum besseren Verständnis – zunächst die umsatzsteuerlichen Grundlagen, unterschieden nach dem innergemeinschaftlichen Warenverkehr in der EU und dem Warenverkehr mit Drittstaaten, dargestellt. In Bezug auf innergemeinschaftliche Lieferungen werden die bedeutsamsten Gerichtsentscheidungen mit steuerstrafrechtlichen Auswirkungen in zeitlicher Reihenfolge näher betrachtet 3

Einleitung

und untersucht, deren vorläufigen Höhepunkt die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Schoenimport Italmoda vom 18.12.2014 bildet. Sodann werden die Entscheidungen fokussiert und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung einer eigenen Bewertung dahingehend unterzogen, ob und wieweit die auf steuerlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht haben. Anschließend werden die etwaigen Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH auf Ausfuhrlieferungen beleuchtet. Im 3. Teil wird sodann der Straftatbestand des § 26c UStG, die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens – wieder dem allgemeinen Deliktsaufbau folgend –, untersucht. Hier wird der Frage nachgegangen, welche Voraussetzungen an eine Rechnung im Sinne dieser Vorschrift zu stellen sind und wie sich eine etwaige Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers auswirkt. Anschließend wird im 4. Teil die Strafverfolgungsverjährung der Umsatzsteuerhinterziehung sowohl nach § 370 AO als auch nach § 26c UStG näher untersucht. Dabei werden unter anderem die im 1. Teil bereits dargestellten Fallgruppen im Zusammenspiel von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung unter dem Gesichtspunkt der Verjährung betrachtet. Im 5. Teil wird zunächst das Verhältnis von mehreren Umsatzsteuerhinterziehungen zueinander unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenzen untersucht. Sodann werden die aus dem 1. und 4. Teil bekannten Fallgruppen im Zusammenspiel von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung unter dem Gesichtspunkt der Konkur­ renzen fokussiert und es wird der Frage nachgegangen, wie es sich auswirkt, wenn die gleiche Steuer mehrfach verkürzt wird. Danach wird das konkurrenzrechtliche Verhältnis des § 26c UStG und des § 370 AO zueinander untersucht, bevor anschließend auf die Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehungen eingegangen wird. Sodann werden einige in der Praxis häufig vorkommende und zugleich rechtlich komplexe Fallgestaltungen im Zusammenhang mit korrigierten Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen näher analysiert und bewertet. Der 6. Teil befasst sich schließlich mit der Selbstanzeige nach § 371 AO. Hierbei werden, neben umsatzsteuerspezifischen Besonderheiten, insbesondere die durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.2011 und das AO-Änderungsgesetz vom 22.12.2014 neu aufgeworfenen Fragen behandelt und Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. Dies betrifft vor allem 4

Einleitung

die Frage der Zulässigkeit von Teilselbstanzeigen nach § 371 Abs. 2a AO sowie der Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen durch eine Umsatzsteuerjahreserklärung und etwaiger Auswirkungen auf den sog. Strafzuschlag nach § 398a AO. Am Ende der Arbeit befindet sich eine Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse sowie eine vereinfachte Übersicht über das Verhältnis von Umsatzsteuervoranmeldungen zur Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit.

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1. Teil: Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO Die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO verweist auf die steuerlichen Vorschriften. Eine Umsatzsteuerhinterziehung kann daher nur durch eine gemeinsame Betrachtung der strafrechtlichen und der steuerrechtlichen Normen rechtlich gewürdigt werden. Joecks1 weist zutreffend darauf hin, dass im Steuerstrafrecht das Steuerrecht und das Strafrecht „auf mehrfache Weise [historisch, rechtspolitisch, dogmatisch und verfahrensrechtlich] miteinander verknüpft“ sind. Nachstehend werden daher zuerst die umsatzsteuerlichen Grundlagen dargestellt, bevor anschließend der Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO mit umsatzsteuerlichen Besonderheiten untersucht wird.

A. Allgemeines/Grundfragen I. Umsatzsteuer: Grundlagen und Grundprinzipien Die Umsatzsteuer ist für das deutsche Steueraufkommen von sehr großer Bedeutung. Im Jahr 2016 beliefen sich die deutschen Umsatzsteuereinnahmen auf 217 Milliarden € (mit Einfuhrumsatzsteuer), was 31 % des gesamten Steueraufkommens ausmacht.2 Sie erwirtschaftet damit den größten Teil des Steueraufkommens. Steuerrechtlich wird die Umsatzsteuer durch die Finanzämter besonders intensiv geprüft. Dies insbesondere deshalb, weil die Umsatzsteuer aufgrund der hohen formellen Anforderungen selbst schon sehr fehleranfällig ist. Ferner wirken sich Fehler bei der zutreffenden Erfassung von Geschäftsvorfällen meist auch auf die Umsatzsteuer aus. Letztlich prüfen die Finanzämter die Umsatzsteuer auch deshalb besonders intensiv, weil diese besonders betrugsanfällig ist, was insbesondere für internationale Fallkonstellationen gilt. Die Europäische Kommission schätzt die Mehrwertsteuerlücke 2015 auf 152 Milliarden € in der gesamten EU.3 Für die Bundesrepublik Deutschland schätzt die Kommission Ausfälle von 22 Milliarden €.4 Die deutsche Steuerfahndung sorgte 2015 1 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Einleitung, Rn. 2. 2 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steu​ ern/Steuerschaetzungen_und_Steuereinnahmen/2017-05-05-steuereinnahmen-­nach-­ steuerarten-2010-2016.pdf?__blob=publicationFile&v=5. 3 http://europa.eu/rapid/press-release_IP-17-3441_de.htm. 4 https://ec.europa.eu/taxation_customs/business/tax-cooperation-control/vat-gap_de.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

für etwa 1,4 Milliarden € bestandskräftige umsatzsteuerliche Mehreinahmen.5 Die Palette der Hinterziehungsformen ist hierbei sehr vielfältig und reicht vom schlichten Verschweigen von Umsätzen bis zu international agierenden Banden im Rahmen von sog. Umsatzsteuerkarussellen. Die Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung steht daher seit Jahren im Fokus des Gesetzgebers, der Gerichte und der Verwaltung. Hierbei geraten in erheblichem Umfang auch steuerehrliche Unternehmer ins Visier der Ermittlungsbehörden, während kriminelle Unternehmer nicht selten versuchen, sich auf die geänderten Anforderungen einzustellen. 1. Rechtsgrundlagen a) Nationales Recht Die Rechtsgrundlagen der Umsatzsteuer finden sich im nationalen Recht sowohl im Umsatzsteuergesetz (UStG) als auch in der Umsatzsteuerdurchführungsverordnung (UStDV). Daneben existiert noch der Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE), welcher zum 01.11.2010 die Umsatzsteuerrichtlinien (UStR) ersetzt hat. Der UStAE stellt eine Verwaltungsanweisung dar und ist daher weder für Steuerpflichtige noch für Gerichte bindend. b) EU-Recht Das EU-Recht6 hielt erstmals mit der „Ersten und Zweiten Richtlinie des Rates vom 11.4.1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die USt-MwSt-RL“7 Einzug in das deutsche Umsatzsteuerrecht, welche durch das Umsatzsteuergesetz 19678 umgesetzt wurden.9 Eine weitere Änderung folgte durch die Sechste EG-Richtlinie von 1977 (6. EG-RL)10, in deren Rahmen das Umsatzsteuergesetz 198011 eingeführt wurde, welches inzwischen viermal reformiert wurde.12 Die 5 https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Monatsberichte/2016/11/In​ halte/Kapitel-3-Analysen/3-6-Verfolgung-Steuerstraftaten-und-Steuerordnungswidrig​ keiten-2015.html, Tabelle 3. 6 Siehe S. 183 ff. 7 Erste und Zweite Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer 67/227/EWG v. 11.04.1967, ABl. EG 1967, 1301 und 67/228/EWG v. 11.04.1967, ABl. EG 1967, 1303. 8 Umsatzsteuergesetz v. 29.05.1967, BGBl. I 1967, 545. 9 So im Ergebnis Robisch in Bunjes, vor § 1, Rn. 4. 10 Sechste Richtlinie des Rates zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern v. 17.05.1977, 77/388/EWG, ABl. EG 1977 Nr. L 145, 1. 11 Umsatzsteuergesetz v. 26.11.1979, BGBl. I 1979, 1953. 12 Robisch in Bunjes, vor § 1, Rn. 1.

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A. Allgemeines/Grundfragen

6. EG-RL wurde mit Wirkung zum 01.01.2007 durch die „RL 2006/112/ EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) – vom 28.11.2006“13 neu gefasst, welche ebenfalls inzwischen mehrfach geändert worden ist.14 c) Änderungen zum 01.01.2020 und geplante Änderungen Das gegenwärtige Mehrwertsteuersystem der EU stellt immer noch eine vorläufige Lösung dar. Ziel ist die endgültige Gleichstellung grenzüberschreitender und inländischer Lieferungen und Leistungen, welches möglichst bis zum Jahr 2022 unter Anwendung des Bestimmungslandprinzips erreicht werden soll.15 Um die Mehrwertsteuer weniger missbrauchsanfällig auszugestalten und an die Anforderungen der Globalisierung und Digitalisierung anzupassen, hat die EU einen Mehrwertsteuer-Aktionsplan beschlossen. Im Zuge dessen soll u.a. das aktuelle System der grenz­ überschreitenden innergemeinschaftlichen Lieferungen reformiert werden. Am 02.10.2018 hat der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN-Rat) entsprechende Änderungen beschlossen und am 04.12.2018 als Sofortmaßnahme – vor allem zur Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung – sog. Quick Fixes verabschiedet. Diese Quick Fixes betreffen u.a. auch die Voraussetzungen und Nachweisanforderungen für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen, die allesamt ab 01.01.2020 gelten bzw. national umzusetzen sind.16 Für die Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen werden mit den Quick Fixes zum 01.01.2020 zwei zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzungen eingeführt:17 Einerseits wird die Vorlage der ausländischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Leistungsempfängers materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Andererseits wird die korrekte Abgabe der Zusammenfassenden Meldung durch den Lieferer zusätzliche materiell-rechtliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung. Mit Datum vom 31.07.2019 hat die Bundesregierung unter der amtlichen Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vor-

13 Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem v. 28.11.2006, ABl. EU Nr. L 347, 1. 14 Robisch in Bunjes, vor § 1, Rn. 6. Im 2. Teil dieser Arbeit werden diese Rechtsgrundlagen ausführlicher dargestellt, siehe S. 184 f. 15 Robisch in Bunjes, vor § 1, Rn. 7. 16 Siehe hierzu Scharrer/Schreiber, DB 2019, 18; Höink, BB 2019, 23. 17 Meyer-Burow/Connemann, UStB 2019, 111.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

schriften“ einen Gesetzentwurf18 veröffentlicht, der die sog. Quick Fixes in nationales Recht umsetzen soll. 2. Besteuerungssystem (UStG) a) Steuerbare Umsätze Der Umsatzsteuer unterliegen zum einen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer (§ 2 Abs. 1 UStG) im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG), zum anderen die Einfuhr von Gegenständen im Inland oder in den österreichischen Gebieten Jungholz und Mittelberg (Einfuhrumsatzsteuer, § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG) sowie schließlich der innergemeinschaftliche Erwerb im Inland gegen Entgelt (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG). b) Steuerfreie Umsätze Die §§ 4 ff. UStG enthalten Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen. Von Bedeutung im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit sind insbesondere § 4 Nr. 1a UStG (Ausfuhrlieferung), § 4 Nr. 1b UStG (innergemeinschaftliche Lieferung), § 4 Nr. 4b UStG (die einer Einfuhr vorangehende Lieferung von Gegenständen), § 4b UStG (Steuerbefreiung beim innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen) und § 5 UStG (Steuerbefreiungen bei der Einfuhr). c) Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug Die Umsatzsteuer ist als Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug ausgestaltet.19 Demzufolge findet eine Erfassung der jeweiligen Wertschöpfung auf jeder Handels- bzw. Produktionsstufe mit dem Ergebnis statt, dass lediglich der private Endverbraucher zur Zahlung der Umsatzsteuer verpflichtet ist.20 Auf diese Weise findet nur eine Besteuerung des geschöpften Mehrwerts statt.21 Zur technischen Umsetzung wurde der sog. Vorsteuerabzug eingeführt, nach welchem ein Unternehmer diejenige Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückerhält, welche ihm gegenüber in Rechnungen ausgewiesen wurde.22 Kostenneutral ist die Umsatzsteuer für einen Unternehmer aber 18 BR-Drs. 356/19 v. 09.08.2019. 19 So im Ergebnis Adick in Adick/Bülte, Kap. 17, Rn. 71. 20 Birk/Desens/Tappe, Rn. 1620. 21 Adick in Adick/Bülte, Kap. 17, Rn. 71. 22 Birk/Desens/Tappe, Rn. 1620.

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A. Allgemeines/Grundfragen

nicht. Da diesem die Erhebung der Umsatzsteuer vom Verbraucher obliegt, entstehen entsprechende Verwaltungskosten beim Unternehmer. Der Unternehmer als Steuerschuldner ist somit zwangsverpflichteter „Steuereinnehmer des Staates“.23 d) Umsatzsteuer nach § 14c UStG In § 14c UStG sind zur Sicherung des Umsatzsteueraufkommens zwei Fälle geregelt. Zum einen der unrichtige Steuerausweis in § 14c Abs. 1 UStG. In diesem Fall ist die ausgewiesene Umsatzsteuer höher als die gesetzlich geschuldete Umsatzsteuer. Zum anderen der unberechtigte Steuerausweis in § 14c Abs. 2 UStG. In diesem Fall weist ein leistender Unternehmer unberechtigt Umsatzsteuer aus (z.B. ein Kleinunternehmer), ein Nichtunternehmer rechnet wie ein Unternehmer ab oder ein Unternehmer rechnet nicht erbrachte Leistungen ab.24 Die nach § 14c UStG zwar geschuldete, aber zu Unrecht ausgewiesene Steuer ist nicht als Vorsteuer abzugsfähig, da nach § 15 Abs. 1 UStG nur die gesetzlich für Umsätze geschuldete Steuer abzugsfähig ist.25 Die nach § 14c UStG geschuldeten Beträge sind nach § 16 Abs. 1 S. 4 UStG in den Umsatzsteuervoranmeldungen und in der Umsatzsteuerjahreserklärung anzugeben.26 Maßgebend für die nach § 14c Abs. 1 UStG entstandene Steuer ist der Besteuerungszeitraum, in dem die Rechnung ausgestellt wurde.27 Für die nach § 14c Abs. 2 UStG entstandene Umsatzsteuer ist „in Ermangelung eines steuerbaren Umsatzes nicht bereits“ die Erstellung einer Rechnung, sondern erst der Zeitpunkt der Ausgabe einer Rechnung an den Rechnungsempfänger von Bedeutung.28 e) Steuerschuldner Steuerschuldner ist nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG in den Fällen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG (Umsatzsteuer auf Lieferungen und sonstige Leistungen) und § 14c Abs. 1 UStG (unrichtiger Steuerausweis) – somit in den häufigsten Fällen – der Unternehmer. § 13a Abs. 1 Nr. 2–6 UStG enthalten Sonderfälle, in denen der Erwerber, der Abnehmer, der Aussteller der 23 EuGH v. 21.02.2008 - C-271/06, ECLI:EU:C:2008:105, DStR 2008, 450, 452; Treiber in Sölch/Ringleb, § 6a, Rn. 190; so auch Stadie in Rau/Dürrwächter, Einführung, Rn. 197 ff. 24 Korn in Bunjes, § 14c, Rn. 34.  25 Abschnitt 15.2 Abs. 1 S. 2 UStAE. 26 BGH v. 21.08.2012 - 1 StR 257/12, NZWiSt 2013, 224; Jäger in Klein, § 370, Rn. 45. 27 BGH v. 07.09.2016 - 1 StR 57/16, NZWiSt 2017, 32, 33. 28 BGH v. 11.10.2018 - 1 StR 538/17, NStZ-RR 2019, 79; v. 07.02.2019 - 1 StR 485/18, NZWiSt 2019, 298.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Rechnung (nach § 14c Abs. 2 UStG), der letzte Abnehmer bzw. der Unternehmer, dem die Auslagerung zuzurechnen ist, Steuerschuldner ist. f) Umkehr der Steuerschuldnerschaft Eine Ausnahme hiervon besteht nach § 13b UStG in den dort geregelten Fällen. Diese Vorschrift sieht vor dem Hintergrund der Sicherstellung der Besteuerung eine Umkehr der Steuerschuldnerschaft vor. § 13b Abs. 5 UStG regelt unter Differenzierung zwischen den verschiedenen Fallgruppen dieser Vorschrift, dass der Leistungsempfänger die Steuer schuldet, sofern er Unternehmer ist, u.U. auch sofern es sich hierbei um eine juristische Person handelt. g) Binnenmarktfälle, Drittlandsfälle Die Fallgestaltungen mit Auslandsbezug (Binnenmarktfälle und Drittlandsfälle) werden im 2. Teil dieser Arbeit dargestellt. h) Vorsteuerabzug Der Vorsteuerabzug ist in den §§ 14 Abs. 1, 4; 15 Abs. 1 UStG geregelt. § 15 Abs. 1 S. 1 UStG legt die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs fest. § 15 Abs. 1a, 1b, Abs. 2 UStG enthält sodann Ausnahmen bzw. Einschränkungen hinsichtlich dieser Voraussetzungen. § 15 Abs. 3 UStG beinhaltet wiederum Gegenausnahmen zu § 15 Abs. 2 UStG. Ein Vorsteuerabzug ist zulässig nach § 15 Abs. 1 S. 1 UStG Nr. 1 für die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt; Nr. 2 für die entstandene Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 eingeführt worden sind29; Nr. 3 für die Steuer für den innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen für sein Unternehmen, wenn der innergemeinschaftliche Erwerb nach § 3d S. 1 im Inland bewirkt wird30; Nr. 4 für die Steuer für Leistungen i.S.d. § 13b Abs. 1 und 2, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind; Nr. 5 für die nach § 13a Abs. 1 Nr. 6 geschuldete Steuer für Umsätze, die für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.

29 Siehe S. 198 f. 30 Siehe S. 184.

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A. Allgemeines/Grundfragen

aa) Vorsteuerabzugsberechtigter ist Unternehmer Voraussetzung ist somit zunächst, dass der Vorsteuerabzugsberechtigte, somit der Leistungsempfänger, Unternehmer ist. Unternehmer ist nach § 2 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt. Solange objektive Anhaltspunkte für die Ausübung einer selbstständigen nachhaltigen Tätigkeit bestehen, ist die Unternehmereigenschaft ab Beginn der ersten Vorbereitungshandlungen für eine solche Tätigkeit zu bejahen.31 bb) Ordnungsgemäße Rechnung Für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist darüber hinaus erforderlich, dass der Unternehmer eine ordnungsgemäße Rechnung nach § 14 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 UStG besitzt, die unter anderem die Angabe des leistenden Unternehmers enthält. Die Existenz einer Rechnung mit Vorsteuerausweis stellte früher nach nahezu einhelliger Auffassung kein bloßes Nachweiserfordernis dar, sondern „eine materielle Tatsache im eigentlichen Sinne“.32 Es handelte sich „nicht um den Beweis des materiell-rechtlichen Anspruchs, sondern um eine sachlich-rechtliche Bedingung“.33 Der EuGH34 geht in seiner Senatex-Entscheidung aber davon aus, dass der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung nur eine formelle und keine materielle Voraussetzung für die Geltendmachung des Vorsteueran­ spruchs ist, und ermöglicht hierdurch die steuerliche Rückwirkung bei einer Berichtigung. Nach seiner Ansicht verlangt das Prinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass – auch wenn die formellen Bedingungen nicht erfüllt sind – der Vorsteuerabzug zu gewähren ist, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind.35 Der Unternehmer kann also mit allen zulässigen Beweismitteln den Nachweis erbringen, dass eine Rechnung ursprünglich vorhanden war.36 Sofern der Unternehmer aufgrund etwaiger 31 Birk/Desens/Tappe, Rn. 1692. 32 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 245; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 446; a.A. Keßeböhmer, S. 45 ff. 33 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 446. 34 EuGH v. 15.09.2016 - C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029, 1030; Grötsch, Stbg 2017, 500, 502. 35 Grötsch, Stbg 2017, 500, 502; so im Ergebnis EuGH v. 15.09.2016 - C-518/14, ECLI:​ EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029, 1030. 36 BFH v. 23. 10. 2014 - V R 23/13, BStBl. II 2015, 313; Grötsch, Stbg 2017, 500, 502.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Beanstandungen durch die Finanzverwaltung, eine Rechnung sei nicht ordnungsgemäß, diese bis zum Erlass der Entscheidung über den Vorsteuerabzug vervollständigt, liegt nach dem EuGH37 eine vorsteuererhaltende rückwirkende Korrektur vor. Die bisherige BFH-Rechtsprechung38, welche in dem Besitz eine materielle Voraussetzung sieht, wird daher überprüft werden müssen. Das FG Baden-Württemberg39 lehnt z.B. eine rückwirkende Rechnungsberichtigung dann ab, wenn die Angabe des Leistungsempfängers in der Rechnung fehlt bzw. unzutreffend ist. Allerdings geht auch der EuGH davon aus, dass der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung notwendig (jedoch nicht alternativlos) ist, um den Vorsteueranspruch geltend zu machen. Nach der EuGH-Rechtsprechung40 in der Rechtssache Barlis vom 15.09.2016 darf das Recht auf Vorsteuerabzug aber nicht allein deshalb verweigert werden, „weil die Rechnung, die der Steuerpflichtige besitzt, nicht die Voraussetzungen von Art. 226 Nr. 6 und 7 [MwStSystRL] erfüllt, obwohl die [Finanzbehörden] über alle notwendigen Informationen verfügen, um zu prüfen, ob die materiellen Voraussetzungen für die Ausübung dieses Rechts vorliegen“. Dieses Urteil wird in der Literatur41 zu Recht so verstanden, dass eine ordnungsgemäße Rechnung nur eine Möglichkeit ist, die Vorsteuer geltend zu machen, so dass die Rechnung eine Beweisfunktion hat und der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung nicht zwingend erforderlich ist. Ist eine Rechnung nicht ordnungsgemäß, kann die Vorsteuer nach diesem Verständnis alternativ auch in der Weise geltend gemacht werden, dass der Finanzbehörde sämtliche Informationen bereitgestellt werden, um den Vorsteueranspruch zu überprüfen (ander­ weitiger Nachweis). Reiß42 ist gar der Auffassung, dass in diesen Fällen ganz auf das Vorliegen und den Besitz einer Rechnung verzichtet werden kann. Allerdings ergibt sich aus dieser EuGH-Rechtsprechung43 nicht ausdrücklich, dass auf den Besitz einer Rechnung gänzlich verzichtet werden kann. Nach hier vertretener Ansicht kann allein die Ordnungsmäßigkeit im Einzelfall durch einen anderweitigen Nachweis ersetzt

37 EuGH v. 15.09.2016 - C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029, 1030; Grötsch, Stbg 2017, 500, 502. 38 BFH v. 15.05.2012 - XI R 32/10, BFH/NV 2012, 1863. 39 FG Baden-Württemberg v. 23.3.2017 - 1 K 3704/15, EFG 2018, 328; Nichtzulassungsbeschwerde anhängig beim BFH unter AZ: XI B 54/17. 40 EuGH v. 15.09.2016 - C-516/14, ECLI:EU:C:2016:690, UR 2016, 795. 41 Beyer, NWB 2016, 3854, 3857; ähnlich zur Beweisfunktion bereits Kürzinger in Wannemacher, Rn. 91. 42 Reiß, MwStR 2016, 972, 976. 43 EuGH v. 15.09.2016 - C-516/14, ECLI:EU:C:2016:690, UR 2016, 795.

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A. Allgemeines/Grundfragen

werden.44 Eine ungeklärte Frage ist, ob sich aus einer Gesamtschau der Urteile Senatex und Barlis eine weitergehende Ansicht rechtfertigen lässt, dass keinerlei Rechnungsbesitz erforderlich ist. Die Auswirkungen dieser neuen EuGH-Rechtsprechung auf das deutsche Steuerstrafrecht45 sind durch die nationale Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Die steuerstrafrechtlichen Konsequenzen des Nichtvorliegens einer Rechnung bzw. der Erhalt einer Rechnung erst nach Geltendmachung eines Vorsteuerabzugs werden ebenfalls im Rahmen dieser Arbeit46 untersucht. cc) Leistender ist Unternehmer Ferner ist erforderlich, dass auch der Leistende ein Unternehmer ist. Sofern dies nicht der Fall ist, ist kein Vorsteuerabzug zulässig. Die (steuerliche) Feststellungslast hierfür obliegt dem Steuerpflichtigen.47 Wer Leistender in diesem Sinne ist, bemisst sich nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH48 und des BFH49 am schuldrechtlichen Vertragsverhältnis bzw. der dem Umsatz zugrunde liegenden Vereinbarung.50 Dies gilt auch für Rechnungen eines Buffers oder Missing Traders im Rahmen eines Umsatzsteuerkarussells.51 Insbesondere bei einem Missing Trader ist zu ­prüfen, ob dieser eine eigene unternehmerische Tätigkeit entfaltet oder lediglich steuermissbräuchliche Rechnungen ausstellt.52 Maßgeblich für die Frage, wer Leistender ist, ist dabei, wer sich aus Sicht des Leistungsempfängers als Vertragspartner ausgibt.53 Bestehen Unklarheiten über den Leistenden, ist entscheidend, wer im eigenen Namen auftritt.54

44 Beyer, NWB 2016, 3854, 3858. 45 Siehe S. 199 ff. 46 Siehe S. 120 ff. 47 Janzen in Lippross/Seibel, § 15 UStG, Rn. 47. 48 EuGH v. 20.06.2013 - C-653/11, ECLI:EU:C:2013:409, UR 2013, 628, 632. 49 BFH v. 05.10.1995 - V R 113/92, BStBl. II 1996, 111, 113; v. 28.01.1999 - V R 4/98, BStBl. II 1999, 628, 629; v. 04.09.2003 - V R 9, 10/02, BFH/NV 2004, 149; so auch Janzen in Lippross/Seibel, § 15 UStG, Rn. 56, 67; Steinlein/Meyberg, PStR 2014, 93, 95. 50 Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15, Rn. 311; zu den zivilrechtlichen Kriterien Steinlein/Meyberg, PStR 2014, 93, 95 f. 51 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 105; siehe zum Umsatzsteuerkarussell S. 190 ff. 52 BGH v. 12.10.2016 - 1 StR 210/16, NZWiSt 2018, 103; Madauß, NZWiSt 2017, 310, 311. 53 Stadie in Rau/Dürrwächter, § 15, Rn. 767, 775; im Ergebnis wohl auch Steinlein/ Meyberg, PStR 2014, 93, 95; siehe auch Stadie in Stadie, § 15, Rn. 190. 54 So auch Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15, Rn. 154, 313.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Bei Strohmanngeschäften ist die Frage nach der Unternehmereigenschaft des Strohmanns und damit einhergehend die Frage nach der Vorsteuerabzugsberechtigung des Leistungsempfängers häufig unklar und nur bezogen auf jeden Einzelfall zu beantworten. Die Rechtsprechung hat bislang keine klaren Kriterien hierzu entwickelt.55 Es ist zu klären, ob und zwischen welchen Personen ein Leistungsaustausch stattfindet. Mit Beschluss vom 08.02.201156 hat der BGH – unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH v. 06.07.2006 in der Rechtssache Kittel und Recolta Recycling – zunächst entschieden, dass derjenige nicht Unternehmer i.S.d. § 15 UStG ist, der weiß, dass seine Lieferung, die für ihn ausgeführt wird, Teil eines eigens auf Hinterziehung von Umsatzsteuern angelegten Systems ist. Ob eine unternehmerische Tätigkeit vorliegt, richte sich danach, wie sich die Einbindung in das Geschäft im Vergleich zu einem typischen Händler darstellt. Sofern sich die Tätigkeit auf das Ausstellen von Rechnungen ohne jegliches wirtschaftliches Risiko darstelle, liege ein nichtunternehmerisches Strohmanngeschäft ohne Vorsteuerabzugsberechtigung vor. Mit der Entscheidung des BGH vom 05.02.201457 relativiert dieser die o.g. Entscheidung und stellt klar, dass auch Strohleute als leistende Unternehmer in Betracht kommen. In diesen Fällen komme dem Auftreten der Strohleute nach außen hin eine entscheidende Bedeutung zu. Maßgeblich sei mithin, dass der Strohmann entsprechend seiner zivilrechtlichen Stellung auftritt. Dann – und nur dann – wird er auch umsatzsteuerlich als Leistungsempfänger angesehen. Die Abrechnung im Innenverhältnis ist dabei irrelevant.58 Wulf“59 begrüßt die Entscheidung des BGH vom 05.02.2014. Er sieht in der Entscheidung eine Abkehr von der bisherigen BGH-Rechtsprechung des 1. Strafsenats60 und eine Hinkehr zur FG-Rechtsprechung. So sei es in der Praxis zu Missverständnissen aufgrund des Umstands gekommen, dass wegen des fehlenden „handlungstypischen Verhaltens“ Strohmänner im Rahmen einer Umsatzsteuerhinterziehung nicht als Unternehmer i.S.d. Umsatzsteuerrechts einzustufen seien. Dies wurde so interpre55 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 367. 56 BGH v. 08.02.2011 - 1 StR 24/10, NStZ 2011, 407. 57 BGH v. 05.02.2014 - 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335, 336. 58 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 104; vgl. auch BFH v. 28.11.1990 - V R 31/85, BStBl. II 1991, 381, 382; FG Köln v. 10.06.1999 - 2K 963/93, DStRE 2000, 258, 260. 59 Wulf, Stbg 2013, 353, 355 f. 60 BGH v. 22.05.2003 - 5 StR 520/02, wistra 2003, 344; v. 08.02.2011 - 1 StR 24/10, NStZ 2011, 407.

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A. Allgemeines/Grundfragen

tiert, dass auch der Missing Trader nicht hierunter zu fassen sei, was keine Übereinstimmung mit der BFH- und EuGH-Rechtsprechung habe. Das in Rede stehende BGH-Urteil beinhalte zumindest indirekt die Aussage, dass auch der Missing Trader unter den Unternehmerbegriff des Umsatzsteuerrechts falle. Madauß61 verweist in dem Zusammenhang auf die Entscheidung des EuGH vom 20.06.201362 zum grundsätzlichen Verbot „missbräuchlicher Praktiken“ im Unionsrecht. Hiernach ist es nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH untersagt, einen Steuervorteil zu gewähren, dem Vereinbarungen zugrunde liegen, die „eine rein künstliche Gestaltung darstellen, die mit der wirtschaftlichen und geschäftlichen Realität der Transaktionen nicht übereinstimmt“.63 Der EuGH – so Madauß64 – stelle auf die wirtschaftliche Gesamtsituation und nicht nur – wie der BGH – auf die rechtlichen Bedingungen ab. Bülte65 weist darauf hin, dass der Differenzierung große Bedeutung zukomme, wenn zwar die rechtlichen Folgen, nicht aber die wirtschaftlichen Folgen gewollt sind. Lediglich „vorgeschobene“ Strohmanngeschäfte zwischen einem Strohmann und dem Leistungsempfänger sind aber dann umsatzsteuerlich unbeachtlich, wenn diese nur zum Schein (§ 41 Abs. 2 AO) abgeschlossen wurden. Dies ist dann der Fall, wenn die beiden Vertragsparteien (Strohmann und Leistungsempfänger) übereinstimmend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem Hintermann eintreten sollen.66 Dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.67 Nicht ausreichend ist die Angabe eines Scheinsitzes.68 Ausreichend ist aber eine Briefkastenanschrift, sofern der Unternehmer unter dieser Anschrift erreichbar ist.69 Auch wenn das Gesetz diesbezüglich keinen Gutglaubensschutz kennt, ist es aus Vertrauensschutzgesichtspunkten geboten, dem gutgläubigen 61 Madauß, NZWiSt 2013, 386, 388. 62 EuGH v. 20.06.2013 - C-653/11, ECLI:EU:C:2013:409, UR 2013, 628. 63 EuGH v. 20.06.2013 - C-653/11, ECLI:EU:C:2013:409, UR 2013, 628, 632. 64 Madauß, NZWiSt 2013, 386, 388. 65 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 367c. 66 BGH v. 05.02.2014 - 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335, 336. 67 BGH v. 08.07.2014 - 1 StR 29/14, wistra 2014, 444, 445.  68 BFH v. 27.06.1996 - V R 51/93, BStBl. II 1996, 620, 621; siehe zum Begriff des Scheinsitzes BFH v. 30.04.2009 - V R 15/07, DStR 2009, 1427, 1429; v. 26.03.2009 V S 8/07, BFH/NV 2009, 1467; Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 105. 69 BFH v. 21.06.2018 - V R 28/16, DStR 2018, 1659.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Leistungsempfänger Schutz zu gewähren.70 Eine falsche Anschrift führt selbst bei Gutgläubigkeit des Leistungsempfängers zum Ausschluss des Vorsteuerabzugs.71 dd) Identität Leistender und Rechnungsaussteller Der tatsächlich Leistende im umsatzsteuerlichen Sinne und der Rechnungsaussteller müssen identisch sein.72 ee) Leistung erfolgt für das Unternehmen Schließlich muss die Leistung für das Unternehmen erfolgt sein. Es stellt sich mithin die Frage der Abgrenzung der Fälle, in denen eine Leistung bei Leistungsbezug sowohl für den unternehmerischen Bereich als auch für den nichtunternehmerischen Bereich verwendet wird (sog. gemischte Nutzung). Spätere Änderungen der Verwendung sind nach § 15a UStG (Berichtigung des Vorsteuerabzugs) zu beurteilen. Mangels einer positiven Definition wird der Begriff lediglich negativ abgegrenzt. Es wird also definiert, wann eine unternehmerische Tätigkeit nicht vorliegt.73 Nach der Rechtsprechung des EuGH74 ist zwischen wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit zu differenzieren, wobei es sich bei letzterer um Tätigkeiten handelt, die keine der Umsatzsteuer unterliegenden Umsätze (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c MwStSystRL, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) darstellen. Dies wird damit begründet, dass sie nicht in der entgeltlichen Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen bestehen.75 Grundsätzlich sind die bezogenen Leistungen daraufhin zu untersuchen, ob diese – wie meist bei sonstigen Leistungen – teilbar sind.76 Sofern eine Leistung nicht teilbar ist, wie bei gemischter Nutzung von Gegenstän70 Birk/Desens/Tappe, Rn. 1693; zu etwaigen Billigkeitserwägungen i.S.d. §§ 163, 227 AO hinsichtlich des Vorsteuerabzugs siehe sogleich S. 19 ff. 71 FG Mecklenburg-Vorpommern v. 29.11.2000 - 1 K 40/99, EFG 2001, 395; vgl. auch FG Düsseldorf v. 31.05.2001 - 5 V 7603/00 A (U), EFG 2001, 1626. 72 Vgl. BFH v. 28.01.1999 - V R 4/98, BStBl. II 1999, 628, 629; v. 05.04.2001 - V R 5/00, BFH/NV 2001, 1307; so auch Stadie in Stadie, § 15, Rn. 186; Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 103 f. 73 Heidner in Bunjes, § 15, Rn. 91; siehe auch Stadie in Stadie, § 15, Rn. 100 ff.; ders. in Rau/Dürrwächter, § 15, Rn. 460 ff.; Janzen in Lippross/Seibel, § 15, Rn. 77 ff. 74 EuGH v. 13.03.2008 - C-437/06, ECLI:EU:C:2008:166, BStBl. II 2008, 727; v. 12.02.2009 - C‑515/07, ECLI:EU:C:2009:88, UR 2009, 199. 75 EuGH v. 12.02.2009 - C-515/07, ECLI:EU:C:2009:88, UR 2009, 199; siehe auch BFH v. 26.01.2012 - V R 18/08, UR 2012, 359. 76 Heidner in Bunjes, § 15, Rn. 23.

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A. Allgemeines/Grundfragen

den, besteht für den Unternehmer ein Zuordnungswahlrecht. Er kann wählen, ob er den Gegenstand (ganz oder teilweise) seinem Privatvermögen oder seinem Unternehmensvermögen zuordnet.77 Dies löst umsatzsteuerliche Folgen hinsichtlich des Vorsteuerabzugs, aber auch hinsichtlich des Weiteren umsatzsteuerlichen Schicksals des Gegenstands aus. Der Vorsteuerabzug wird jedoch dann versagt, wenn die Nutzung für das Unternehmen weniger als zehn von hundert beträgt.78 ff) Keine Bösglaubigkeit Bislang ungeklärt ist, ob in der Fallgruppe, in der zwar die (o.g.) objektiven Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gegeben sind, der Leistungsempfänger aber bösgläubig in Bezug auf die Steuerehrlichkeit des Leistenden ist, der Vorsteuerabzug zu versagen ist.79 Wenn der Leistungsempfänger also z.B. „weiß oder hätte wissen können“, dass dieser die Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abführt. Dies ist die Fallgruppe, die der Italmoda-Entscheidung des EuGH80 zugrunde lag und deren Auswirkungen auf das deutsche Umsatzsteuer(straf)recht im 2. Teil dieser Arbeit beleuchtet werden.81 gg) Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg, § 163 AO Falls die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen, der Unternehmer aber gutgläubig war, stellt sich die Frage, ob es einen Vertrauensschutz gibt bzw. ob Billigkeitsregelungen anwendbar sind. Um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu gelangen, muss der Unternehmer die o.g. Voraussetzungen erfüllen (sog. Anspruchsvoraussetzungen82). Wie ausgeführt muss der Unternehmer grds. im Besitz einer Rechnung sein, die der tatsächlich Leistende ausgestellt hat. Wenn diese sog. Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen, weil z.B. Rechnungsaussteller und tatsächlich Leistender auseinanderfallen oder der Leistende nicht über die Unternehmereigenschaft verfügt, ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Anders als im Recht der (steuerfreien) innergemeinschaftlichen Lieferungen (in § 6a Abs. 4 UStG) gibt es im Bereich des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG keinen (gesetzlichen) Gutglaubensschutz.

77 Heidner in Bunjes, § 15, Rn. 99. 78 Heidner in Bunjes, § 15, Rn. 105, 262. 79 Heuermann, Steuerberater-Jahrbuch 2015/2016, S. 425, 437. 80 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106. 81 Siehe S. 242.  82 Begriff nach Heuermann, Steuerberater-Jahrbuch 2015/2016, S. 425, 432.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Nach der Rechtsprechung des BFH83 kann aber in diesen Fällen ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsweg in Betracht kommen. Es handelt sich namentlich um die Fallgruppe, in der die objektiven Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs (z.B. Leistender ist kein Unternehmer) nicht vorliegen, aber bestimmte subjektive Kriterien (guter Glaube) gegeben sind. Dies ist der Fall, wenn der Unternehmer (1) gutgläubig ist und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überzeugen, und (2) er alle Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Umsätze nicht in einen Betrug einbezogen sind.84 Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen wird die Umsatzsteuer in einem gesonderten Billigkeitsverfahren nach § 163 AO abweichend von der im Rahmen der „normal“ festgesetzten Umsatzsteuer (ohne Vorsteuerabzug) im Billigkeitswege (mit Vorsteuerabzug) festgesetzt.85 Soweit die Steuer aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen ist, liegt mangels Steuerverkürzung bereits nicht der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung vor.86 Heuermann87 wirft die – rein steuerrechtliche88 – Frage auf, ob es bei ­dieser Rechtsprechung bleiben kann oder ob nicht die jüngere EuGH-­ Rechtsprechung in den Sachen Mahagebén und Dávid89, Maks Pen90 und Bonik91 vielleicht dazu zwingt, Gutglaubensgesichtspunkte – wie ein weiteres Tatbestandsmerkmal mit Kompensationskompetenz – im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen. Dies in dem Sinne, dass der gute Glaube über das Fehlen einer objektiven Vorsteuerabzugsvoraussetzung hinweghilft. Heuermann selbst verneint dies.92

83 BFH v. 08.10.2008 - V R 63/07, BFH/NV 2009, 1473, 1477; v. 30.04.2009 - V R 15/07, DStR 2009, 1427, 1430 f.; v. 22.07.2015 - V R 23/14, BStBl. II 2015, 914, 918. 84 BFH v. 18.02.2016 - V R 62/14, DStR 2016, 960; Alvermann in Streck/Mack/ Schwedhelm, Rn. 2.94. 85 Heuermann, Steuerberater-Jahrbuch 2015/2016, S. 425, 437; Madauß, NZWiSt 2017, 310, 311. 86 Jäger in Klein, § 370, Rn. 385g. 87 Heuermann, Steuerberater-Jahrbuch 2015/2016, S. 425, 437. 88 Da im Rahmen dieser Arbeit strafrechtliche Aspekte im Vordergrund stehen, wird dieser Frage nicht weiter nachgegangen. 89 EuGH v. 21.06.2012 - C-80/11 und C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373, DStRE 2012, 1336; siehe auch S. 231. 90 EuGH v. 13.02.2014 - C-18/13, ECLI:EU:C:2014:69, BB 2014, 863. 91 EuGH v. 06.12.2012 - C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774, UR 2013, 195; siehe auch S. 232 f. 92 Heuermann, Steuerberater-Jahrbuch 2015/2016, S. 425, 437.

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A. Allgemeines/Grundfragen

In der Rechtssache Geissel/Butin sollte der EuGH93 die ihm vom BFH94 vorgelegte Frage beantworten, ob aus dem Unionsrecht heraus ein Anspruch auf Vorsteuerabzug besteht, wenn zwar nicht alle objektiven Vo­ raussetzungen erfüllt sind, aber der Leistungsempfänger gutgläubig davon ausging.95 Letztlich hat der EuGH diese Frage nicht beantwortet. Der XI. Senat des BFH96 hat in dem Vorlagebeschluss bezweifelt, dass die bisherige Sichtweise des BFH, wonach im Festsetzungsverfahren kein Gutglaubensschutz möglich sei und dieser nur in einem gesonderten Billigkeitsverfahren erfolgen könne, richtig ist. Ferner ist ein Erlass hinsichtlich der nach § 14c UStG97 entstandenen Steuer aus einem unberechtigten Steuerausweis möglich, wenn der in Rede stehende Betrag vom Rechnungssteller zugezahlt und der Vorsteuerabzug rückabgewickelt wurde.98 Zu versagen ist der Vorsteuerabzug aufgrund von sachlichen Billigkeitsgründen hingegen z.B. bei Umsatzsteuerschulden, welche aus berichtigter Vorsteuer nach § 17 Abs. 2 UStG herrühren, sowie in Fällen, in denen zwar eine Erhebung der Umsatzsteuer auf Seiten des leistenden Unternehmers stattgefunden hat, jedoch mangels Rechnungserstellung dem Rechnungsempfänger der Vorsteuerabzug nicht gewährt wurde.99 3. Besteuerungsverfahren (UStG, AO) Hinsichtlich des Besteuerungsverfahrens sieht § 18 UStG Fristen für die Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen (Abs. 1) und der Umsatzsteuerjahreserklärung (Abs. 3) vor.100

93 EuGH v. 15.11.2017 - C-374/16 und C-375/16, ECLI:EU:C:2017:867, DStR 2017, 2544. 94 BFH v. 06.04.2016 - XI R 20/14, DStR 2016, 1532. 95 Vgl. Schumann, DStR 2017, 2719. 96 BFH v. 06.04.2016 - XI R 20/14, DStR 2016, 1532; so im Ergebnis auch Spatscheck/ Stenert, DStR 2015, 104, 106; Grube, jurisPR-SteuerR 13/2011 Anm. 5. 97 Siehe S. 11. 98 BFH v. 25.04.2002 - V B 73/01, BStBl. II 2004, 343; v. 08.03.2001 - V R 61/97, ­BStBl. II 2004, 373, 374. 99 BFH v. 12.03.1993 - V B 215/91, BFH/NV 1994, 220; möglicherweise ändert sich dies durch die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen Senatex (v. 15.09.2016 - C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029) und Barlis (v. 15.09.2016 - C-516/14, ECLI:EU:C:2016:690, UR 2016, 795); siehe zu weiteren Beispielen in Bezug auf die Umsatzsteuer, in denen sachliche Unbilligkeit bejaht bzw. verneint wurde, bei Loose in Tipke/Kruse, § 227 AO, Rn. 84 f. jeweils a.E. 100 Zur Frage, ob es sich bei der Umsatzsteuer um eine Veranlagungs- oder eine Fälligkeitssteuer handelt, siehe S. 36 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

a) Voranmeldungszeitraum Nach § 18 Abs. 1 S. 1 UStG hat der Steuerpflichtige bis zum Ablauf des 10. Tags nach Ablauf jedes Voranmeldezeitraums eine Voranmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz nach Maßgabe der Steuer­ daten-Übermittlungsverordnung zu übermitteln.101 Ebenfalls an diesem Tag ist die Vorauszahlung fällig. § 18 Abs. 2 S. 1 UStG sieht diesbezüglich vor, dass Voranmeldungszeitraum das Kalendervierteljahr ist. Hiervon sehen die folgenden Sätze 2–4 Ausnahmen vor: Sofern die Steuer im vo­ rangegangenen Kalenderjahr mehr als 7.500,00 € betragen hat, ist der Voranmeldungszeitraum nach § 18 Abs. 2 S. 2 UStG der Kalendermonat; sofern sie hingegen weniger als 1.000,00 € betragen hat, kann das Finanzamt den Unternehmer nach § 18 Abs. 2 S. 3 UStG von der Pflicht zur Abgabe von Voranmeldungen befreien. Sofern ein Unternehmer seine Tätigkeit neu aufgenommen hat, ist nach § 18 Abs. 2 S. 4 UStG im laufenden und folgenden Kalenderjahr stets der Kalendermonat Voranmeldungszeitraum. b) Dauerfristverlängerung Nach § 18 Abs. 6 UStG i.V.m. § 46 S. 1 UStDV kann das Finanzamt auf Antrag die Frist für die Entrichtung der Vorauszahlung und die Übermittlung der Umsatzsteuervoranmeldung um einen Monat verlängern (sog. Dauerfristverlängerung). In diesem Fall hat der Unternehmer nach § 47 Abs. 1 S. 1 UStDV eine Sondervorauszahlung auf die Steuer eines jeden Kalenderjahres zu entrichten, welche nach § 47 Abs. 1 S. 2 UStDV ein Elftel der Summe der Vorauszahlungen für das vorangegangene Kalenderjahr beträgt. Der Antrag ist nach § 46 S. 2 UStDV abzulehnen bzw. ein bereits gewährter Anspruch zu widerrufen, wenn der Steueranspruch gefährdet erscheint. Die Sonderzahlung muss nach Abschnitt 18.4 Abs. 3 S. 2 UStAE für jedes Kalenderjahr bis zum 10.02. berechnet, angemeldet und entrichtet werden; der Antrag auf Dauerfristverlängerung muss jedoch nach Abschnitt 18.4 Abs. 3 S. 1 UStAE nicht jährlich wiederholt werden. c) Jahreserklärung Nach § 18 Abs. 3 S. 1 UStG ist der Unternehmer verpflichtet, für das Kalenderjahr oder für den kürzeren Besteuerungszeitraum eine Jahreserklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung 101 Siehe S. 114 f.

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A. Allgemeines/Grundfragen

zu übermitteln. In dieser hat er die zu entrichtende Steuer oder den Überschuss, der sich zu seinen Gunsten ergibt, nach § 16 Abs. 1–4 und § 17 UStG selbst zu berechnen. Nach § 18 Abs. 4 S. 1 UStG sind Umsatzsteuerjahreserklärungen in der Regel fünf Monate nach Ablauf des Besteuerungszeitraums (also bis zum 31.05. des folgenden Kalenderjahres) zu übermitteln (§ 149 Abs. 2 S. 1 AO). Nach § 149 Abs. 2 S. 1 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung sind Steuererklärungen, die sich – wie die Umsatzsteuerjahreserklärung – auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, spätestens sieben Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, also bis zum 31.07. des Folgejahres, abzugeben. Nach Art. 97 § 10a Abs. 4 EGAO gilt die Fristenregelung nach dem Gesetz zur Modernisierung der Besteuerung, welches grds. zum 01.01.2017 in Kraft getreten ist, aber erstmals für Besteuerungszeiträume, die nach dem 31.12.2017 beginnen, mithin also erstmals für die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018.  Für die Abgabe von Steuererklärungen durch steuerliche Berater für ihre Mandanten existiert eine allgemeine Fristverlängerung bis zum 31.12.  Sofern sich in der Jahreserklärung gegenüber den Voranmeldungen ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Finanzamts ergibt, ist dieser Saldo nach § 18 Abs. 4 S. 1 UStG einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig. Sofern das Finanzamt die Steuer abweichend von der Jahreserklärung durch Bescheid festsetzt, ist ein Unterschiedsbetrag zugunsten des Finanzamts einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids fällig (§ 18 Abs. 4 S. 2 UStG). d) Verhältnis von Voranmeldungen zur Jahreserklärung Steuerverfahrensrechtlich nimmt die Jahresfestsetzung die Festsetzung der Vorauszahlungen in sich auf und erledigt diese i.S.d. § 124 Abs. 2 AO.102 Das Verhältnis der Umsatzsteuervoranmeldungen zur Umsatzsteuerjahreserklärung wird an mehreren Stellen dieser Arbeit von steuerstrafrechtlicher Bedeutung sein. Namentlich für den Verkürzungserfolg103, die

102 BFH v. 22.05.2012 - VII R 47/11, BStBl. II 2013, 3. 103 Siehe S. 36 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Abgrenzung des Versuchs zur Vollendung104, den Verjährungsbeginn105 und die Konkurrenzen106. e) Steueranmeldungsverfahren Nach § 155 Abs. 1 AO werden Steuern, „soweit nichts anderes bestimmt ist“, durch Steuerbescheid festgesetzt. § 168 Abs. 1 AO enthält eine Sonderregelung für Steueranmeldungen. Nach der Legaldefinition in § 150 Abs. 1 S. 3 AO sind Steuererklärungen, in denen der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu berechnen hat, Steueranmeldungen. Wie bereits ausgeführt, hat der Unternehmer nach § 18 Abs. 1 UStG die Steuern für den Voranmeldungszeitraum und nach § 18 Abs. 3 UStG für die Jahreserklärung selbst zu berechnen. Es handelt sich mithin um Steueranmeldungen. Nach § 168 S. 1 AO stehen diese Steueranmeldungen (im Zeitpunkt der Abgabe) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Wenn die Steueranmeldung aber zu einer Herabsetzung der bisher fest­ gesetzten Steuer oder zu einer Steuervergütung führt, so gilt dies nach § 168 S. 2 AO erst mit Zustimmung der Finanzbehörde. 4. Betrugsanfälligkeit „Die ‚Umsatzsteuer-Hinterziehung‘ ist so alt wie die Umsatzsteuer, der ‚Umsatzsteuer-Betrug‘ so alt wie der Vorsteuerabzug im Mehrwertsteuersystem“.107 Dennoch lässt sich seit dem Wegfall der Grenzkontrollen im Rahmen des Europäischen Binnenmarkts zum 01.01.1993 mit dem sog. Umsatzsteuerkarussell108 „eine völlig neue Form der Umsatzsteuer-­ Kriminalität“ feststellen.109 International ist die Bezeichnung als „VATfraud“, also „Umsatzsteuerbetrug“, gebräuchlicher.110 Im Verlauf dieser Arbeit werden die Begriffe daher synonym zum Begriff der Umsatzsteuerhinterziehung verwendet. Die Hinterziehungsanfälligkeit ist dem Umsatzsteuersystem immanent. Insbesondere der Vorsteuerabzug stellt ein Einfallstor für Umsatzsteuerhinterziehungen dar,111 indem z.B. das Vorliegen der Voraussetzungen für 104 Siehe S. 151 ff. 105 Siehe S. 343 ff. 106 Siehe S. 370 ff., 376 ff. 107 Widmann, UR 2005, 14. 108 Siehe S. 190 ff. 109 Widmann, UR 2005, 14. 110 Kemper, UR 2006, 569, 574. 111 Vgl. Nöhren, S. 179.

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A. Allgemeines/Grundfragen

einen Vorsteuerabzug lediglich vorgetäuscht wird. Begünstigt wird dies ferner dadurch, dass das Finanzamt die angemeldete Vorsteuer anrechnet bzw. auszahlt, ohne dass der Rechnungsempfänger die ausgewiesene Umsatzsteuer oder das entsprechende Entgelt gezahlt haben muss.112 Es ist daher die Erstattung niemals gezahlter Umsatzsteuer möglich.113 Durch das sog. Umsatzsteuerkarussell machen sich Steuerhinterzieher dieses System europaweit zunutze.114 5. Bisherige gesetzgeberische Aktivitäten zur Bekämpfung der Betrugsanfälligkeit Um der Betrugsanfälligkeit entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen, um insbesondere auch den Missbrauch durch Umsatzsteuerkarusselle einzudämmen. Im Einzelnen wurden unter anderem folgende Maßnahmen ergriffen: Als spezieller Fall der Außenprüfung wurde in § 27b UStG die Umsatzsteuernachschau ein­ geführt. Mit der Einführung der §§ 26b, 26c UStG wurde ein Ordnungswidrigkeiten- und ein Straftatbestand zum Schutz vor der Schädigung des Umsatzsteueraufkommens geschaffen. Schließlich wurde durch die Schaffung des § 13b UStG für bestimmte hinterziehungsanfällige Konstellationen die Umkehr der Steuerschuldnerschaft (sog. Reverse-Charge-­ Ver­fahren) gesetzlich normiert. 6. Grundprinzipien der Umsatzsteuer Der Umsatzsteuer liegen tragende Grundprinzipien zugrunde, die sowohl für ihr Verständnis als auch bei Auslegungsfragen wichtig sind. Bei dem sog. Neutralitätsprinzip handelt es sich nach der Rechtsprechung des EuGH um das Fundamentalprinzip der Mehrwertsteuer.115 Der EuGH verweist hierbei auf die Präambel der MwStRL.116 Der Unternehmer soll einerseits vollständig von der im Preis umgewälzten Umsatzsteuer entlastet werden, was durch den Vorsteuerabzug erfolgt.117 Andererseits sieht der EuGH hierin auch eine Ausprägung des Gebots der

112 Nöhren, S. 179. 113 Fumi in Haas/Müller, § 2, Rn. 150. 114 Siehe S. 190 ff. 115 EuGH v. 20.06.2013 - C-259/12, ECLI:EU:C:2013:414, DStRE 2014, 97, 99; Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 23. 116 Erwägungsgründe 4, 5 und 7 der MwStSystRL. 117 EuGH v. 13.03.2014 - C-204/13, ECLI:EU:C:2014:147, DStR 2014, 592; Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 23.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Wettbewerbsgleichheit.118 Wäger119 weist in seiner Kommentierung des EuGH-Urteils Schoenimport Italmoda vom 18.12.2014120 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass der Umsatzsteuer kein Strafcharakter zukommt. Im UStG finden sich nur wenige Regelungen zum Vertrauensschutz, jedoch wird – wie oben bereits dargestellt121 – dem gutgläubigen Leistungsempfänger Schutz gewährt.122 Bei Nichtvorliegen aller Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs besteht – wie ebenfalls schon aufgezeigt123 – kein Vertrauensschutz; es können lediglich Billigkeitserwägungen im Rahmen der §§ 163, 227 AO zur Anwendung kommen.124 Eine der wenigen normierten Vertrauensschutzregelungen enthält § 6a Abs. 4 UStG für innergemeinschaftliche Lieferungen. Demnach ist eine Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht vorliegen und wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.125 Diese Regelung ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und dient auch der Rechtssicherheit.126 Sie ist jedoch auf Ausfuhrlieferungen nicht analog anwendbar.127 Dem Gegenstand der Besteuerung nach (Steuerobjekt) ist die Umsatzsteuer überwiegend eine Verkehrsteuer, da sie im Wesentlichen an Leistungen anknüpft.128 Träger der Umsatzsteuer ist der Endverbraucher, der Einkommen oder Vermögen für ver­brauchbare Güter oder Dienstleistungen aufwendet.129 Bei der Umsatzsteuer handelt es sich um eine indirekte Steuer, was bedeutet, dass der Steuerschuldner (Unternehmer) lediglich zwangs­ ­ verpflichteter „Steuereinnehmer des Staates“ ist.130 Fehler des Unterneh118 EuGH v. 28.06.2007 - C-363/05, ECLI:EU:C:2007:391, BStBl. II 2010, 573, 576; Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 23. 119 Wäger, UR 2015, 81, 86. 120 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106; siehe S. 235 ff. 121 Siehe S. 19 ff. 122 Birk/Desens/Tappe, Rn. 1693. 123 Siehe S. 19 ff. 124 Siehe jedoch Stadie in Stadie, § 15, Rn. 221 ff. 125 Siehe auch S. 197 f. 126 Stadie in Stadie, § 6a, Rn. 88. 127 Weimann, UStB 2009, 273. 128 Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 20. 129 Englisch, UR 2011, 488, 491 f. 130 Stadie in Rau/Dürrwächter, Einführung, Rn. 197.

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mers in der Rechtsanwendung, fehlende Nachweise sowie das Risiko, auf betrügerische Absichten oder Handlungsweisen seiner Kunden oder Dienstleister sowie Zulieferer hereinzufallen, wirken sich zu Lasten des Unternehmers aus.131 Der Staat wälzt diese Risiken damit zu einem Großteil auf den Unternehmer ab.

II. Steuerhinterziehung: Grundlagen und Grundprinzipien 1. Grundtatbestand § 370 AO regelt den Grundtatbestand der Steuerhinterziehung.132 Demnach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht (Abs. 1 Nr. 1) oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (Abs. 1 Nr. 2) oder pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt (Abs. 1 Nr. 3) und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. Der Versuch einer Steuerhinterziehung ist nach § 370 Abs. 2 AO strafbar. 2. Tatbegehung Eine Tatbegehung ist somit sowohl durch Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) als auch durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AO) möglich. § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO wird im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter betrachtet, da die Erhebung der Umsatzsteuer nicht unter Verwendung von Steuer­ stemplern bzw. Steuerzeichen vorgenommen wird.133 3. Regelbeispiele Neben dem Grundtatbestand in § 370 Abs. 1 AO sind darüber hinaus in § 370 Abs. 3 AO Regelbeispiele normiert, bei deren Vorliegen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren verhängt werden kann. Ein solcher besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung liegt in der Regel vor, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (Nr. 1), seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht (Nr. 2), die Mithilfe eines 131 Höink in Adick/Höink/Kurt, S. 6. 132 Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 179. 133 Nöhren, S. 34.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht (Nr. 3), unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (Nr. 4), als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach § 370 Abs. 1 AO verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchsteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchsteuervorteile erlangt (Nr. 5) oder eine Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 AO, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (Nr. 6). 4. Rechtsnatur der Steuerhinterziehung a) Deliktsnatur Bei der Steuerhinterziehung handelt es sich um ein Erfolgsdelikt, da sie einen von der Tathandlung unterscheidbaren Erfolg voraussetzt.134 Ob es sich hierbei um ein Gefährdungs–delikt oder ein Verletzungsdelikt handelt, ist umstritten. Nach herrschender Ansicht135, welcher auch der BGH136 folgt, handelt es sich um ein Gefährdungsdelikt. Der BGH stellt darauf ab, dass § 370 Abs. 4 S. 1 AO hinsichtlich einer Steuerverkürzung lediglich eine nicht oder nicht in voller Höhe festgesetzte Steuer fordert, nicht aber den Eintritt eines Vermögensverlusts beim Fiskus. Es sei unmaßgeblich, ob das „staatliche Vermögen“ dadurch gemindert worden ist oder letztlich gar keine Zahllast des Steuerpflichtigen festzusetzen ist.137 Darin liege auch der Unterschied zum Betrug, der einen Vermögensschaden voraussetze.138

134 Kuhlen, S. 41. 135 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 27; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 337; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 57; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 12; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 70; kritisch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 11. 136 BGH v. 10.12.2008 - 1 StR 322/08, wistra 2009, 114, 117; v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982, 1983; v. 27.10.2015 - 1 StR 373/15, NZWiSt 2016, 102, 104; siehe Heuel/Beyer, NWB 2016, 616. 137 BGH v. 22.11.2012 - 1 StR 537/12, BGHSt 58, 50, 56 f. 138 BGH v. 27.10.2015 - 1 StR 373/15, NZWiSt 2016, 102, 104.

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b) Geschütztes Rechtsgut Welches Rechtsgut von § 370 AO geschützt wird, ist ebenfalls umstritten.139 Die h.M.140 vertritt die Ansicht, dass das „Steueraufkommen der jeweiligen Steuerart“ bzw. das „öffentliche Interesse am vollständigen und rechtzeitigen Aufkommen der einzelnen Steuern“ Schutzgut des Straftatbestands der Steuerhinterziehung sein soll. Ein sachlicher Unterschied zwischen den beiden Formulierungen besteht nicht.141 Daneben werden zahlreiche weitere Meinungen vertreten. Nach Salditt142 ist die „gerechte und gleichmäßige Lastenverteilung“ das Schutzgut der Steuerhinterziehung, da die Steuerhinterziehung die Bedrohung der Gleichheit der Lastenverteilung unter Strafe stellt. Darüber hinaus wird auch die Auffassung vertreten, dass die steuerlichen Offenbarungspflichten Schutzgut des § 370 AO seien.143 c) Blankettvorschrift oder normative Tatbestandsmerkmale Über den Normcharakter des § 370 AO besteht keine Einigkeit.144 Bei dem Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO handelt es sich nach Teilen in der Literatur sowie der Rechtsprechung des BVerfG145 um eine Blankettvorschrift.146 Hierunter versteht man Straf­ tatbestände, die eine Strafandrohung (mithin alle Tatbestandsmerkmale selbst) beinhalten, jedoch hinsichtlich der diesbezüglichen tatbestandlichen Voraussetzungen zur Vervollständigung der gesetzgeberischen Strafbarkeitsentscheidung auf andere Vorschriften (vorliegend die jeweiligen Einzelsteuergesetze) verweisen. Bei isolierter Betrachtung enthält das Gesetz, dass die Strafandrohung formuliert, keine vollständige Straf139 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Einl. Rn. 8 ff., § 370, Rn. 26; Nöhren, S. 35.  140 RG v. 16.06.1925 - I 188/25, RGSt 59, 258, 262; BGH v. 01.02.1989 - 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100, 102; Hanßen, S. 31; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 29 ff.; Kirchhof, NJW 1985, 2977, 2981; Scheuermann-Kettner in Koch/ Scholtz, § 370, Rn. 8; Krieger, S. 90; Löffler, S. 115; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, § 370 AO, Rn. 13, 17; Wassmann, ZfZ 1987, 162, 165. 141 Kuhlen, S. 37. 142 Salditt in FS Tipke, S. 475, 477 ff.; ders., StraFo 1997, 65, 68; so auch Tipke, Besteuerungsmoral, S. 97. 143 Ehlers, FR 1976, 504, 505; Schulze, DStR 1964, 416, 419; Tiedemann, ZStW 1970, 969, 979. 144 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 41. 145 BVerfG v. 23.06.1994 - 2 BvR 1084/94, NJW 1995, 1883. 146 Vgl. BVerfG v. 16.06.2011 - 2 BvR 542/09, NJW 2011, 3778, 3379; BGH v. 28.01.1987 - 3 StR 373/86, wistra 1987, 139, 142; v. 12.05.2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546, 2547; Jäger in Klein, § 370, Rn. 5; Rolletschke, Rn. 14.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

barkeitsentscheidung.147 Der BGH148 sieht die Blankettvorschrift nicht allein in § 370 Abs. 1 AO, sondern erst in der Gesamtbetrachtung der Vorschrift zusammen mit der Ausfüllungsnorm. Andere bzw. sich im Vordringen befindliche Teile der Literatur sehen in § 370 AO eine Vorschrift mit normativen Tatbestandsmerkmalen,149 jedenfalls in Bezug auf die Merkmale „steuerlich erhebliche Tatsache“, „Steuerverkürzung“ und „nicht gerechtfertigter Steuervorteil“.150 Soweit das verweisende Strafgesetz selbst bereits die vollständige Strafnorm beinhaltet, handelt es sich um normative Tatbestandsmerkmale. Lediglich zur Ausfüllung eines bestimmten Merkmals des Tatbestands wird auf „eine außerhalb des Norminhalts selbst liegende Bewertung (Rechts­ begriff, Rechtsverhältnis etc.) zurückgegriffen, um die Konkretisierung der Strafbarkeit vornehmen zu können“.151 Die Tathandlung nach § 370 Abs. 1 AO und der Taterfolg nach § 370 Abs. 1 und 4 AO sind hiernach anhand der Einzelsteuergesetze näher zu bestimmen. Das Merkmal der „Pflichtwidrigkeit“ nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wird aber auch von den Vertretern dieser Ansicht überwiegend als Blankettvorschrift angesehen.152 Ransiek153 weist zu Recht darauf hin, dass aus der bloßen Benennung des § 370 AO als Blankettvorschrift bzw. als Vorschrift mit normativen Tatbestandsmerkmalen nichts folgt. Dies zumal, da die Begriffe uneinheitlich verwendet werden bzw. zum Teil noch weiter ausdifferenziert werden. So auch Bülte154, welcher die dogmatische Einordnung allenfalls als ein Indiz wertet. Die Auswirkungen des Streits, ob es sich bei § 370 Abs. 1 AO um eine Blankettvorschrift oder um eine Vorschrift mit normativen Tatbestandsmerkmalen handelt, werden bei den sich – insbesondere auch bei der Umsatzsteuerhinterziehung – stellenden Rechtsfragen, namentlich beim

147 Bülte in GS Joecks, S. 365, 368. 148 BGH v. 28.01.1987 - 3 StR 373/86, NJW 1987, 1274, 1276; v. 12.05.2009 - 1 StR 718/08, NJW 2009, 2546, 2547. 149 Dannecker in FS Achenbach, S. 83, 88; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 19; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 27; Bülte in GS Joecks, S. 365, 371 f.; Juchem, wistra 2014, 300, 302 ff.; Schott in Hüls/Reichling, § 370, Rn. 5. 150 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 366. 151 Bülte in GS Joecks, S. 365, 369. 152 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 368; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 107; Bülte in GS Joecks, S. 365, 371 f. 153 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 23. 154 Bülte in GS Joecks, S. 365, 381.

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A. Allgemeines/Grundfragen

Bestimmtheitsgrundsatz nach Art. 103 Abs. 2 GG155 sowie beim Irrtum über die Steuerrechtslage im subjektiven Bereich156, behandelt. Tatsächlich ist der Streit jedoch für die Beantwortung dieser Fragen belanglos und unabhängig davon zu beantworten.157 Es stellt sich – so das BVerfG158 jüngst – im Kern die Frage, ob das Strafgesetz selbst ausgelegt wird oder ob Vorschriften ausgelegt werden, die keine Strafgesetze sind und die im Strafgesetz getroffenen Entscheidungen lediglich konkretisieren. d) Strafrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz Nach Art. 103 Abs. 2 GG ist eine Bestrafung nur dann zulässig, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde (strafrechtlicher Bestimmtheitsgrundsatz). Der Gesetzgeber ist also gehalten, die Voraussetzungen der Strafbarkeit genau und präzise im Gesetz festzulegen.159 Zum einen soll der Einzelne bereits aus dem Gesetz vorhersehen können, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist (Vorhersehbarkeit).160 Zum anderen soll der Gesetzgeber in einem Parlamentsgesetz selbst darüber entscheiden, was (Tatbestand) bei welcher Strafe (Rechtsfolge) verboten sein soll oder nicht (Wesentlichkeitsgrundsatz).161 Die Rechtsprechung leitet „aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot strafbegründender oder strafverschärfender Analogie [ab]. Ausgeschlossen ist dabei jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Der mögliche Wortsinn markiert die äußere Grenze zulässiger richterlicher Interpretation.“162 Im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 1, 2 AO wird hinsichtlich der „steuerlichen Erheblichkeit“, der „Steuerverkürzung“ sowie des „nicht gerechtfertigten Steuervorteils“ auf die Einzelsteuergesetze verwiesen. In § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist zudem das Merkmal der „Pflichtwidrigkeit“ durch die Einzelsteuergesetze ausfüllungsbedürftig. Es stellt sich daher

155 Siehe sogleich und auf den darauffolgenden S. 31 ff. 156 Siehe dazu S. 137 ff. 157 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 24. 158 BVerfG v. 21.09.2016 - 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38 zum Rindfleischettiketierungsgesetz; so auch Bülte in GS Joecks, S. 365. 159 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 25. 160 BVerfG v. 29.04.2010 - 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, wistra 2010, 396, 402; BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 28; Jäger in Klein, § 369, Rn. 11. 161 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 28; Jäger in Klein, § 369, Rn. 11. 162 BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219; BVerfG v. 29.04.2010 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, wistra 2010, 396, 402.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

die Frage, ob auch die ausfüllenden Normen der Einzelsteuergesetze an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen sind. Je nach Einordnung der Verweisung auf steuerliche bzw. vorstrafrechtliche Normen163 ergeben sich in Bezug auf den Bestimmtheitsgrundsatz unterschiedliche Konsequenzen: Fasst man diese als normative Tatbestandsmerkmale164 auf, dann ist § 370 Abs. 1 AO ohne weiteres als ausreichend bestimmt anzusehen. § 370 Abs. 1 AO ist nach dieser Auffassung als vollständiger, mit Hilfe normativer Merkmale definierter, Straftatbestand anzusehen.165 Mithin muss lediglich § 370 Abs. 1 AO selbst, nicht aber die ausfüllenden Normen des Steuerrechts, den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen.166 Aus § 370 Abs. 1 AO ist erkennbar, dass die Vorschrift auf Einzelsteuergesetze verweist, womit von deren Ausgestaltung abhängt, wann eine Steuer verkürzt ist. Sofern man mit der (noch) h.M. § 370 Abs. 1 AO als Blanketttatbestand auffasst, wird dieser typischerweise erst zusammen mit den ausfüllenden Steuergesetzen zum vollständigen Straftatbestand.167 Die ausfüllenden Steuernormen sind damit – so auch das BVerfG – Teil des Strafge­ setzes und unterliegen selbst auch den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG.168 Bülte169 kommt ebenfalls zu dem vorgenannten Ergebnis. Er weist aber darauf hin, dass die zutreffende Begründung hierfür nicht allein sei, dass es sich um normative Tatbestandsmerkmale handelt. Die Einordnung sei allenfalls ein Indiz. Aus der strafrechtsdogmatischen Differenzierung könnten keine Folgen für die Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes abgeleitet werden. Im Zentrum der Betrachtung müsse stehen, „ob das Verweisungsobjekt als Teil des Strafgesetzes im Sinne von Art. 103 Abs. 2 GG anzusehen ist“. Ransiek170 weist insoweit auf die Rechtsprechung des BVerfG hin, welches zwar in einem ersten Schritt hohe Ansprüche 163 Begriff nach Walter in FS Tiedemann, S. 969.  164 So Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 62; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 27.1. 165 Kuhlen, S. 46. 166 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 27; Kuhlen, S. 46; Bülte in GS Joecks, S. 365, 373. 167 Kuhlen, S. 46. 168 BVerfG v. 29.04.2010 - 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, wistra 2010, 396, 402; BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 25.1. 169 Bülte in GS Joecks, S. 365, 373. 170 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 25.3, 28.2.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

aus Art. 103 Abs. 2 GG ableitet, diese dann aber konkret insbesondere in Bezug auf die Umsatzsteuer bei der Auslegung von § 6a UStG nicht einhalte.171 Ebenso Kuhlen172, der darauf hinweist, dass das BVerfG zwar einerseits strenge Bestimmtheitsanforderungen an die (blankettausfüllenden) Steuergesetze stellt, aber andererseits bislang „in keinem Fall die Unbestimmtheit eines aus § 370 Abs. 1 AO und den ihn ausfüllenden Steuergesetzen gebildeten Gesamttatbestands angenommen“ hat.

B. Taterfolg der Steuerhinterziehung Als Taterfolgsalternativen nennt § 370 Abs. 1 AO die Steuerverkürzung173 sowie die Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile174.

I. Abgrenzung der Taterfolge Die Abgrenzung der beiden Taterfolge voneinander ist schwierig und umstritten. Schmitz/Wulf175 konstatieren in diesem Zusammenhang zu Recht, „dass eine überzeugende Abgrenzung wohl nicht möglich ist“. Teilweise wird auch eine Abgrenzung für überflüssig gehalten, weil auch in der Rechtsprechung mitunter eine Steuerverkürzung als Steuervorteil bezeichnet werde. So auch Nöhren176, welche eine Abgrenzung für überflüssig hält, da jeder ungerechtfertigte Steuervorteil zu einer Steuerverkürzung führe und andererseits jede Steuerverkürzung einen Steuervorteil darstelle. Der BGH177 schien – zumindest in der Vergangenheit – nach der Art der Beeinträchtigung des Rechtsguts zu unterscheiden und danach zu fragen, ob ein tatsächlich bestehender Steueranspruch beeinträchtigt wird oder nicht. Eine Steuerverkürzung liegt dann vor, wenn der Täter einen bestehenden Steueranspruch mindert; ein Steuervorteil liegt dann vor, wenn der Täter aus dem staatlichen Vermögen etwas erlangt, ohne dadurch einen Steueranspruch zu mindern.178 171 Siehe S. 229 f. zur Rechtssache R (EuGH v. 07.12.2010 - C‑285/09, ECLI:EU:C:​ 2010:742, BStBl. II 2011, 846) bzw. S. 265 zur Rechtssache Italmoda (EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106). 172 Kuhlen, S. 46. 173 Siehe S. 35 ff. 174 Siehe S. 108 ff. 175 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 75. 176 Nöhren, S. 41. 177 BGH v. 23.03.1994 - 5 StR 91/94, NStZ 1994, 397. 178 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 78.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Schmitz/Wulf179 weisen aber darauf hin, dass sich auch die jüngste Entwicklung der Rechtsprechung „weder in die eine noch in die andere Abgrenzung einpassen“ lässt, nachdem der BGH180 nunmehr das Bewirken eines unrichtigen Feststellungsbescheids als Erlangung eines Steuervorteils gewertet hat. Bezogen auf den Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung wäre die Erlangung von Vorsteuererstattungen für nicht existierende Unternehmen bzw. für erfundene Umsätze eine Erlangung von ungerechtfertigten Steuervorteilen. Dies würde dazu führen, dass „bei einer Umsatzsteuer(vor) anmeldung, in der statt einer Steuerzahlung ein Vorsteuererstattungsanspruch geltend gemacht wird, der Taterfolg in eine Steuerverkürzung und in ungerechtfertigte Steuervorteile aufgespalten würde“.181 Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass vor der Einfügung des § 370 Abs. 4 S. 2 AO umstritten war, ob es sich bei der unberechtigten Inanspruchnahme von Umsatzsteuervergütungen um einen Betrug oder eine Steuerhinterziehung handelte.182 Der BGH183 vertrat diesbezüglich zunächst die Ansicht, dass in den Fällen, in welchen eine Täuschung über den gesamten Geschäftsvorgang vorliegt, die Umsatzsteuervergütungen, welche grds. als Steuervorteil anzusehen seien, keinen solchen Vorteil darstellen würden, sodass § 263 StGB verwirklicht worden sei. Die h.L.184 hingegen vertrat die Auffassung, dass es sich bei Umsatzsteuervergütungen uneingeschränkt um einen Steuervorteil handele. Der BGH passte seine Rechtsprechung bereits mit Entscheidung vom 01.02.1989185 dergestalt an, dass eine Steuerhinterziehung auch bei der Erschleichung von Vorsteuererstattungen einer inaktiven GmbH zu bejahen sei. Ein vollständiger Rechtsprechungswandel vollzog sich dann mit Beschluss vom 23.03.1994186, in welchem der BGH ausführt: „Fälle, in denen die Existenz eines Unternehmens nur vorgetäuscht wird, für das sodann ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze angemeldet 179 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 79. 180 BGH v. 10.12.2008 - 1 StR 322/08, wistra 2009, 114; v. 22.11.2012 - 1 StR 537/12, BGHSt 58, 50, 52.  181 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 78. 182 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 432; siehe auch Müller, NJW 1977, 746; Nöhren, S. 41 f.; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1053 ff. 183 BGH v. 11.04.1972 - 1 StR 45/72, NJW 1972, 1287; v. 28.01.1986 - 1 StR 611/85, wistra 1986, 172; v. 14.01.1987 - 3 StR 473/86, wistra 1987, 177. 184 Felix, NJW 1968, 1219; Lohmeyer, GA 1967, 321, 329; Müller, NJW 1977, 746; a.A. Herdemerten, NJW 1962, 781, 782. 185 BGH v. 01.02.1989 - 3 StR 179/88, wistra 1989, 226 f. 186 BGH v. 23.03.1994 - 5 StR 91/94, NStZ 1994, 397; so auch BGH v. 27.09.2002 5 StR 97/02, NStZ-RR 2003, 20.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

und Vorsteuererstattungen begehrt werden, sind nicht als Betrug, sondern als Steuerhinterziehung zu beurteilen“. Hiermit wurde dem Anwendungsbereich des § 263 StGB die letzte noch vorhandene Konstellation in Bezug auf Erstattungsansprüche entzogen.187 Im Schrifttum wird überwiegend eine Abgrenzung nach Verfahrensabschnitten befürwortet. Sofern ein Steuervorteil im Festsetzungsverfahren erlangt wird, handele es sich um eine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO. Steuervorteile seien nur solche, die außerhalb des Festsetzungsverfahrens erlangt werden.188 Diese Auffassung bietet klare Abgrenzungskriterien und ist daher vorzugswürdig. Vor allem führt sie nicht dazu, dass u.U. – wie oben ausgeführt – innerhalb einer Steueranmeldung nach verschiedenen Taterfolgen zu differenzieren ist.189

II. Steuerverkürzung 1. Gegenstand und Begriff der Verkürzung Der Gegenstand der Verkürzung bezieht sich auf Steuern (§ 3 Abs. 1 AO) sowie nach § 370 Abs. 6 AO190 auch auf Abgaben anderer europäischer Länder. Der Begriff des Verkürzungserfolgs ist insbesondere bei der Abgrenzung des Versuchs von der Vollendung der Steuerhinterziehung von Bedeutung. Dies ist unter anderem auch bei der Abgrenzung zwischen einer Selbstanzeige nach § 371 AO und dem Rücktritt nach § 24 StGB von Bedeutung.191 Die Definition des Verkürzungserfolgs findet sich nach h.M. in § 370 Abs. 4 AO.192 Danach sind Steuern namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden. Ob eine Verkürzung (Taterfolg) eingetreten ist, richtet sich grds. nach den Bestimmungen des materiellen Steuerrechts. Dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt 187 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 432. 188 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 232; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 475. 189 So auch Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 356. 190 Siehe S. 289 ff. 191 Siehe S. 155 ff. 192 BGH v. 10.12.2008 - 1 StR 322/08, wistra 2009, 114; Jäger in Klein, § 370, Rn. 85; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 52; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 391; Rolletschke, Rn. 10.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen. Hinsichtlich der genauen Bestimmung einer Steuerverkürzung i.S.d. § 370 Abs. 4 AO wird überwiegend193 vertreten, dass hierunter das Zurückbleiben der „Ist-Steuer“ hinter der „Soll-Steuer“ zu verstehen ist. Demnach liegt eine Steuerverkürzung im Ergebnis vor, wenn der Steuer­ ertrag durch eine für den Steuergläubiger nachteilige unrichtige Konkretisierung bzw. durch das Fehlen einer Konkretisierung im Bescheid vorliegt. 2. Zeitpunkt des Erfolgseintritts bei der Umsatzsteuer a) Fälligkeitssteuer oder Veranlagungssteuer Hinsichtlich der Frage, wann der Erfolg einer Steuerverkürzung konkret vorliegt, wird in der Literatur oft pauschal danach differenziert, ob es sich um Fälligkeitssteuern oder Veranlagungssteuern handelt.194 Bei Fälligkeitssteuern tritt eine Steuerverkürzung nach h.M.195 grds. dann ein, wenn die Steuer nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zum Fälligkeitstermin angemeldet worden ist. Bei Veranlagungssteuern hingegen ist für den Verkürzungserfolg die Veranlagung durch das Finanzamt maßgeblich.196 Ob die Umsatzsteuer als Fälligkeitssteuer oder als Veranlagungssteuer einzuordnen ist, ist umstritten:197 In der Literatur198 vereinzelt und auch in der früheren Rechtsprechung199 wird ohne vertiefende Begründung vertreten, dass es sich bei der Umsatzsteuer um eine Veranlagungssteuer handelt. Die Vertreter dieser Ansicht führen an, dass der Steuerpflichtige die Umsatzsteuer selbst zu berech193 So im Ergebnis auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 394; Jäger in Klein, § 370, Rn. 85; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 34; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 278. 194 So im Ergebnis Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 189.  195 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 278; Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, § 370, Rn. 52 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 408, 409, 416; Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 190. 196 Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 191. 197 Nöhren, S. 89; zum Streitstand siehe Nöhren, S. 89 ff. 198 Frotscher in Schwarz/Pahlke, Vor §§ 193–203 AO, Rn. 25; Gibhardt, S. 93; Kortschak, Rn. 1056; Löbe, NWB 2011, 2890; Schwarz in Schwarz/Pahlke, § 233a AO, Rn. 1; Völkel/Karg, S. 500; Wenning, NWB DokID: XAAAB-13234. 199 BFH v. 14.11.1968 - V 191/65, BStBl. II 1969, 120, 121, 122; BGH v. 15.12.1982 3 StR 421/82, wistra 1983, 70.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

nen und eine entsprechende Steuererklärung beim Finanzamt einzureichen hat.200 Jedoch erfolgt – soweit erforderlich – eine Steuerfestsetzung durch das Finanzamt mittels Bescheid.201 Die überwiegende steuerstrafrechtliche Literatur202 und die neuere Rechtsprechung203 hingegen qualifizieren die Umsatzsteuer als Fälligkeits- bzw. Anmeldesteuer.204 Nach Nöhren205 finde eine Differenzierung dergestalt statt, dass die steuerrechtliche Literatur206 eine Einordnung als Veranlagungssteuer vornimmt, hingegen die steuerstrafrechtliche Literatur207 die Umsatzsteuer als Fälligkeitssteuer bezeichnet. Mit Schmitz/Wulf208 ist festzuhalten, dass die Differenzierung zwischen Fälligkeits- und Veranlagungssteuer „nicht nur überflüssig, sondern auch irreführend“ ist. Selbstredend existieren Unterschiede zwischen Anmelde- und Veranlagungssteuern, wobei grds. Anmeldesteuern zugleich auch Fälligkeitssteuern sind. Zutreffender – ohne dass damit in rechtlicher Hinsicht etwas gewonnen wäre – ist die Bezeichnung als „Selbstveranlagungssteuer“. Demzufolge ist die Umsatzsteuer als Veranlagungssteuer, und zwar als Selbstveranlagungssteuer zu verstehen, sodass sich im ­Ergebnis kein materieller Unterschied zwischen den Ansichten ergibt, welche lediglich einen anderen Begriff für den gleichen Besteuerungsvorgang wählen. Die Steuerfolgen für den Taterfolg (§ 370 Abs. 4 AO) erge-

200 Gibhardt, S. 93; Kortschak, Rn. 1065. 201 Kortschak, Rn. 1065. 202 Adick in Adick/Bülte, Kap. 17, Rn. 55; Dönmez, NWB 2013, 2866, 2868; Dörn, NWB 1993, 826; Esskandari/Bick, ErbStB 2012, 108, 110; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 301, 303; Gehm, S. 50; Jäger in Klein, § 376, Rn. 35, 38 f.; Grötsch in Wannemacher, Rn. 756; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 408; Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 190; Müller, AO-StB 2004, 371, 374 und AO-StB 2008, 80, 82; Müller, Rn. 512 f.; Nikolaus in Schwarz/Pahlke, § 376, Rn. 9; Nöhren, S. 91; Parsch/Nuzinger, S. 29; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 408; Rolletschke, Rn. 70; Schindhelm, S. 137; Stahl, Rn. 803; Tormöhlen, AO-StB 2011, 27, 29 f.; Wulf, JuS 2008, 206, 208; im Ergebnis auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 38. 203 BGH v. 19.01.2011 - 1 StR 640/10, wistra 2012, 484, 485 mit Anmerkung Heuel, AO-StB 2011, 99 f.; so im Ergebnis auch BGH v. 12.01.2005 - 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 147. 204 Nöhren, S. 43 f., 89 ff. 205 Nöhren, S. 89. 206 König in König, § 3, Rn. 87; Völkel/Karg, S. 500. 207 Jäger in Klein, § 370, Rn. 105; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 408. 208 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 82.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

ben sich nicht aus der Bezeichnung der Umsatzsteuer209, sondern – wie oben210 ausgeführt – schlicht aus der Vorschrift des § 168 AO. Es kann also dahinstehen, ob die Umsatzsteuer (Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuerjahreserklärung) eine Fälligkeitssteuer oder eine (Selbst-)Veranlagungssteuer darstellt. b) Vollendungszeitpunkt bei der Umsatzsteuer Bei Anmeldesteuern nach § 168 AO, wie der Umsatzsteuer211, ist zu differenzieren zwischen dem Fall der Abgabe einer Steueranmeldung mit der Folge einer zu niedrigen Steuerfestsetzung und der Nichtabgabe mit der Folge der fehlenden bzw. nicht rechtzeitigen Festsetzung. Wulf212 spricht in diesen Fällen – sprachlich genauer – von „dem Erfolg der zu niedrigen Festsetzung und dem Erfolg der unterbliebenen Festsetzung (‚Nicht-Festsetzung‘)“. Die diesbezügliche Differenzierung der h.M. sei missverständlich, da die Verhaltensmodalität in keinem notwendigen Zusammenhang zu der Art des Erfolgseintritts stehe. Auch eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen könne zu einer zu niedrigen Festsetzung führen, wenn z.B. die steuerpflichtigen Umsätze nach Nichtabgabe einer Steueranmeldung zu niedrig geschätzt werden. Ebenso könnten unrichtige Angaben den Erfolg einer Nichtfestsetzung herbeiführen, wenn z.B. falsche Angaben zu einer Nichtfestsetzung durch das Finanzamt führen. aa) Abgabefall bzw. zu niedrige Festsetzung Gibt der Steuerpflichtige vor dem Fälligkeitstag213 eine unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung ab214, ist zwischen der Berechnung einer Zahllast und dem Vorliegen eines Erstattungsbetrags zu unterscheiden.

209 Selbst Schauf verwendet in Kohlmann, § 370, Rn. 1357 den Begriff der Veranlagungssteuer hinsichtlich der Jahreserklärung und in § 376, Rn. 81 den Begriff der Fälligkeitssteuer. Dies ist insoweit zutreffend, als sich die Begriffe nicht gegenseitig ausschließen. 210 Siehe S. 24. 211 Müller, AO-StB 2008, 80, 82; Nöhren, S. 91. 212 Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 18. 213 Bei Abgabe nach dem Fälligkeitstag liegt – eine Steuerverkürzung unterstellt – mit Verzeichenlassen des Fälligkeitstags eine vollendete Hinterziehung durch Unterlassen vor. 214 Vorsatz in diesem und in den nachfolgenden Fällen jeweils unterstellt.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

(1) Zahllast Sofern die Abgabe vor dem Fälligkeitstermin erfolgt und der Steuerpflichtige eine Zahllast errechnet hat, tritt nach allgemeiner Ansicht215 Vollendung bereits vor Fälligkeit mit Eingang der unrichtigen Steueranmeldung beim Finanzamt ein. Diese Ansicht verweist darauf, aus § 168 AO folge (ohne weiteres), dass eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehe, sodass bei positiver Zahllast die Umsatzsteuerhinterziehung bereits vollendet sei.216 Bei der elektronischen Abgabe besteht nahezu Deckungsgleichheit zwischen dem Zeitpunkt der Absendung und dem Zeitpunkt des Eingangs beim Finanzamt.217 Für Umsatzsteuervoranmeldungen ist die elektronische Übermittlung für Besteuerungszeiträume, die nach dem 01.01.2004 enden, gesetzlich vorgeschrieben (§ 150 Abs. 7 AO, §§ 18 Abs. 1, 27 Abs. 9 UStG). Für Umsatzsteuerjahreserklärungen ist dies für Besteuerungszeiträume, die nach dem 31.12.2010 enden, der Fall (§ 150 Abs. 7 AO, §§ 18 Abs. 3, 27 Abs. 17 UStG). Peters218 beurteilt den Zeitpunkt der Vollendung in diesen Fällen – in zeitlicher Hinsicht meist geringfügig – anders. Nach Peters ist die Steuerhinterziehung in den vorbezeichneten Fällen erst bei einer Steuerfestsetzung in Form der Akzeptanz der Steueranmeldung seitens des Finanzamts oder einer abweichenden Festsetzung vollendet. Auch bei Anmeldesteuern erfolge eine Prüfung der angemeldeten Steuern, wenn auch meist maschinell durch ein Risikomanagementsystem. Erst wenn der Bearbeiter oder der Rechner die Angaben akzeptiert habe, trete die Steuerverkürzung ein. Dass bei Steueranmeldungen Tathandlung und Taterfolg nicht zusammenfallen, ergebe sich auch aus dem Umstand, dass bei Abweichungen von der Steueranmeldung eine Festsetzung nach § 155 AO erforderlich sei.

215 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 34; Nöhren, S. 109; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 408; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 83; Bülte in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 109; im Ergebnis auch Wiese in Wannemacher, Rn. 511; ohne Bezug auf den Fälligkeitszeitpunkt: Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 93; Gibhardt, S. 153; BGH v. 15.12.1982 - 3 StR 421/82, wistra 1983, 70; v. 05.02.2014 - 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335; BayObLG v. 24.03.1992 - RReg. 4 St 159/91, wistra 1992, 238, 240; Gehm, S. 151 f.; Jäger in Klein, § 370, Rn. 105; Radermacher, StBW 2013, 458, 459; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 396; Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 33; Wagner in Simon/Wagner, S. 26.  216 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 34. 217 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 94. 218 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 534, 535.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Mit Nöhren219 ist der Ansicht von Peters entgegenzusetzen, dass eine (abweichende) Steuerfestsetzung bei Anmeldesteuern nach § 167 S. 1 AO in der Regel nicht vorgenommen wird. Die EDV-mäßige Erfassung stellt dabei keine materiell-rechtliche Prüfung dar. Es handelt sich insbesondere nicht um eine inhaltliche Prüfung des konkreten Falls, sondern lediglich um eine grobe Plausibilitätskontrolle und eine Risikoeinschätzung durch die Verwaltung. Gestützt wird dies zudem durch die Neufassung von § 155 Abs. 4 S. 1 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung, mit dem die bislang praktizierte Vorgehensweise der automatisierten Festsetzung rechtlich abgesichert wurde. Hiernach können die Finanzbehörden Steuerfestsetzungen nunmehr ausschließlich automationsgestützt vornehmen. (2) Erstattungsbetrag Ergibt sich hingegen aus der vor dem Fälligkeitstag eingereichten220 Anmeldung nach den Angaben des Steuerpflichtigen eine Erstattung, liegt nach § 168 S. 2 AO erst dann eine vollendete Steuerhinterziehung vor, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat,221 wobei die Zustimmung an keine besondere Form gebunden ist (§ 168 S. 3 AO). Hierfür genügt auch konkludentes Handeln des Finanzamts, wie z.B. in Form der Überweisung des entsprechenden Betrags.222 Die Zustimmung ist dabei nach Ansicht des BGH223 auch bei Kleinstbeträgen erforderlich. Vor Erteilung der Zustimmung224 bzw. bei fehlender bekanntgegebener Zustimmung225 befindet sich die Tat erst im Versuchsstadium. (3) Korrektur von unbilligen Ergebnissen Da – wie oben dargestellt – hinsichtlich der Frage, ob zur Steuerfest­ setzung nach § 168 S. 2 AO die Zustimmung der Finanzverwaltung erforderlich ist, mithin auf die (eigene) Berechnung des Steuerpflichtigen und 219 Nöhren, S. 109. 220 Andernfalls handelt es sich um einen Nichtabgabefall. 221 BGH v. 10.08.1988 - 3 StR 246/88, wistra 1988, 355; v. 05.02.2014 - 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335; v. 13.10.2015 - 1 StR 354/15 sowie v. 24.11.2015 - 1 StR 366/15, beide in NZWiSt 2016, 350; v. 25.01.2018 - 1 StR 264/17, NStZ-RR 2018, 141; v. 20.09.2018 - 1 StR 512/17, NStZ 2019, 153. 222 Radermacher, StBW 2013, 458, 459; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 397; Nöhren, S. 109. 223 BGH v. 19.03.2013 - 1 StR 318/12, wistra 2013, 463, 468; a.A. Radermacher, StBW 2013, 458. 224 Wiese in Wannemacher, Rn. 511. 225 Radermacher, StBW 2013, 458, 463.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

nicht auf das tatsächliche Ergebnis abzustellen ist, kann dies zu teilweise ungerechten bzw. ungewöhnlichen Ergebnissen führen: So wäre z.B., wenn sich tatsächlich eine hohe Zahllast ergeben hätte, bei einer berechneten Steuer von 0,00 € die Steuerhinterziehung bereits mit Einreichung der Steuererklärung vollendet. Hingegen würde im gleichen Fall bei Anmeldung einer Erstattung (z.B. von 1,00 €), also bei noch „unrichtigeren“ Angaben bzw. „größerem Unrecht“ bzw. „besonders dreistem Vorgehen“226, nur eine versuchte Steuerhinterziehung vorliegen.227 Richtigerweise muss in diesen Fällen im Rahmen der Strafzumessung eine fakultative Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB im Einzelfall unterbleiben, um gerechte Ergebnisse herbeizuführen.228 bb) Nichtabgabefall bzw. unterbliebene Festsetzung Im Fall der Nichtabgabe einer Steueranmeldung ist – wegen der unterschiedlichen Abgabefristen229 – danach zu differenzieren, ob es sich um eine Umsatzsteuervoranmeldung oder eine Umsatzsteuerjahreserklärung handelt. (1) Umsatzsteuervoranmeldung Bei Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung ist zu differenzieren, ob eine monatliche, quartalsweise oder gar keine Voranmeldung abzugeben war. Sofern der Steuerpflichtige von der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen aufgrund von § 18 Abs. 2 S. 3 UStG befreit war, scheitert eine Steuerhinterziehung am Fehlen eines pflichtwidrigen Verhaltens. Eine Tat könnte dann erst in der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung gesehen werden.230 Bei sog. Monats- oder Quartalszahlern tritt hingegen – unabhängig davon, ob ein Erstattungsbetrag231 oder eine Zahllast vorliegt – nach § 18 Abs. 1 S. 1 UStG die Vollendung mit Ablauf des Tags ein, an dem die Steueranmeldung abzugeben war.232 Dies ist bei Mo226 Stahl, NZWiSt 2016, 442.  227 BGH v. 19.03.2013 - 1 StR 318/12, wistra 2013, 463, 468, v. 23.07.2014 - 1 StR 196/14, wistra 2014, 486, 487 f. 228 BGH v. 06.04.2016 - 1 StR 431/15, NZWiSt 2016, 441, 442; Jäger in Klein, § 370, Rn. 196. 229 Siehe S. 21 ff. 230 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 296. 231 Selbstredend muss sich ein Hinterziehungsvolumen (verkürzte Steuer) unter Beachtung des unten dargestellten Kompensationsverbots ergeben. Siehe hierzu S. 47 ff. 232 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 296; Müller, AO-StB 2008, 80, 82; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 536; Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 33 jeweils allgemein zu Fälligkeitssteuern.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

natszahlern dann der Fall, wenn vorsätzlich eine Umsatzsteuervoranmeldung nicht fristgerecht, also mit Ablauf des 10. Tags des Folgemonats, übermittelt wird.233 Ist der Steuerpflichtige hingegen zur quartalsweisen Einreichung verpflichtet, so hat er die erste Umsatzsteuervoranmeldung des Jahres bis zum 10.04. beim Finanzamt einzureichen; eine vorherige Strafbarkeit ist nicht möglich.234 Für Umsatzsteuervoranmeldungen besteht nach § 46 UStDV die Möglichkeit der Fristverlängerung um einen Monat. Selbstredend muss sich ein Verkürzungserfolg nach § 370 Abs. 4 AO (Steuerverkürzung) unter Beachtung des unten235 dargestellten Kompensationsverbots ergeben. Das Kompensationsverbot kann auch in steuerlichen Erstattungsfällen zu einem strafrechtlichen Verkürzungserfolg führen. (2) Umsatzsteuerjahreserklärung Auch bei der Umsatzsteuerjahreserklärung tritt – unabhängig davon, ob ein Erstattungsbetrag236 oder eine Zahllast vorliegt – Vollendung der Steuerhinterziehung mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunkts ein237, sofern der Steuerpflichtige die Jahreserklärung nicht fristgerecht abgegeben hat. (Individuelle oder allgemeine) Fristverlängerungen zur Abgabe von Steuererklärungen bzw. Steueranmeldungen sind nach § 109 AO möglich. Auch bei der Umsatzsteuerjahreserklärung muss sich ein Verkürzungserfolg nach § 370 Abs. 4 AO (Steuerverkürzung) unter Beachtung des unten238 dargestellten Kompensationsverbots ergeben. Nicht beratene Steuerpflichtige müssen ihre Umsatzsteuerjahreserklärungen nach § 149 Abs. 2 S. 1 AO bis zum 31.05. des Folgejahrs beim ­Finanzamt einreichen. In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob der Tag des Ablaufs des Fälligkeitszeitpunkts der 31.05.239 oder der 01.06.240 ist, ob also der Tag des Fristablaufs nicht mitgerechnet wird. Nach An-

233 Siehe Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 247; Müller, AO-StB 2008, 80, 84; im Ergebnis auch Nöhren, S. 110; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 88. 234 So im Ergebnis Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 296. 235 Selbstredend muss sich ein Hinterziehungsvolumen (verkürzte Steuer) unter Beachtung des unten dargestellten Kompensationsverbots ergeben. 236 Selbstredend muss sich ein Hinterziehungsvolumen (verkürzte Steuer) unter Beachtung des unten dargestellten Kompensationsverbots ergeben. 237 Wulf, Stbg 2014, 64, 67. 238 Selbstredend muss sich ein Hinterziehungsvolumen (verkürzte Steuer) unter Beachtung des unten dargestellten Kompensationsverbots ergeben. 239 So wohl Müller, AO-StB 2008, 80, 85. 240 Vgl. BGH, v. 31.5.2011 - 1 StR 189/11, wistra 2011, 346; so auch Jäger in Klein, § 376, Rn. 38.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

sicht des BGH241 muss der 31.05. – der Tag des Fristablaufs – noch verstreichen, sodass die Tat erst am 01.06. vollendet ist. Nach anderer Ansicht242 ist das „Ereignis des ‚Nichteingangs´“ bereits am 31.05., sodass dieser Tag maßgeblich sein soll. Für die erstgenannte Ansicht spricht, dass ein Unterlassen erst mit dem vollständigen Ablauf des letzten Tags des Fristablaufs angenommen werden kann.243 Sofern dem Steuerpflichtigen hingegen eine Fristverlängerung gewährt wurde, ist die Tat mit Ablauf dieser Fristverlängerung beendet. Nach § 149 Abs. 2 S. 1 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung sind Steuererklärungen, die sich – wie die Umsatzsteuerjahreserklärung – auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, spätestens sieben Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, also bis zum 31.07. des Folgejahres abzugeben. Nach Art. 97 § 10a Abs. 4 EGAO gilt die Fristenregelung nach dem Gesetz zur Modernisierung der Besteuerung, welches grds. zum 01.01.2017 in Kraft getreten ist, aber erstmals für Besteuerungszeiträume, die nach dem 31.12.2017 beginnen, mithin also erstmals für die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018.  Wenn ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe mit der Erstellung von Steuererklärungen beauftragt worden ist, sehen die regelmäßig ergehenden gleichlautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder244 eine allgemeine Fristverlängerung auch zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung bis zum 31.12. des Folgejahres vor. Für Steuerpflichtige, die in Hessen zur Abgabe verpflichtet sind, wurde die Frist allgemein ohne weitergehende Fristverlängerungsgesuche sogar bis zum 28. bzw. 29.02. des zweiten auf den Besteuerungs- oder Feststellungszeitraum folgenden Jahres verlängert.245 In einigen Bundesländern (z.B. NRW) findet auf freiwilliger Basis ein sog. Kontingentierungsverfahren Anwendung, wodurch sich die Abgabefristen verändern können. Im Rahmen dieses (freiwilligen) Verfahrens wird die Abgabe von Steuererklärungen durch die von Beratern vertretenen Steuerpflichtigen mit der Festlegung von zeitlich und zahlenmäßig vor241 BGH v. 31.05.2011 - 1 StR 189/11, wistra 2011, 346; Nöhren, S. 110, welche vom „Ablauf des 31.05.“ spricht. 242 Wulf, Stbg 2014, 64, 67. 243 Jäger in Klein, § 376, Rn. 38. 244 Oberste Finanzbehörden der Länder, gleichlautende Ländererlasse v. 02.01.2018, DStR 2018, 81. 245 FM Hessen v. 02.01 2018 - S 0320 A-004-II 11, BeckVerw 351356; Baum, NWB 2016, 2706, 2707.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

gegebenen Kontingenten strukturiert. Maßgeblich sind in NRW gegenwärtig folgende Stichtage und Quoten: zum Stichtag: 30.09. des Folge­ jahres: 40 %; zum 31.12. des Folgejahres: 75 %; zum 28./29.02. des Zweitfolgejahres: 100 %.246 Nach § 149 Abs. 3 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung ist die Umsatzsteuererklärung für das Kalenderjahr grds. spätestens bis zum letzten Tag des Monats Februar des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres abzugeben. Diese gesetzliche Fristverlängerung gilt nach § 149 Abs. 5 AO nicht für Umsatzsteuererklärungen für das Kalenderjahr, wenn die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit vor oder mit dem Ablauf des Besteuerungszeitraums endete, oder für unterjährige Steueranmeldungen. Insoweit ändert sich nichts zu den bisherigen Fristenerlassen. § 149 Abs. 6 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung enthält eine Öffnungsklausel hinsichtlich der Anwendung des o.g. Kontingentierungsverfahrens. Für Berater aus NRW und Bayern ändert sich insofern nichts. Steuerberater aus anderen Bundesländern sind von diesem Verfahren ausgeschlossen, solange die jeweils zuständigen obersten Landesbehörden ein solches Verfahren nicht einrichten (vgl. § 149 Abs. 6 S. 1 AO). Die Einrichtung des Kontingentierungsverfahrens steht im Ermessen der obersten Landesfinanzbehörden und ist nicht einklagbar (vgl. § 149 Abs. 6 S. 3 AO). Nach Art. 97 § 10a Abs. 4 EGAO gilt die Fristenregelung nach dem Gesetz zur Modernisierung der Besteuerung, welches grds. zum 01.01.2017 in Kraft getreten ist, aber erstmals für Besteuerungszeiträume, die nach dem 31.12.2017 beginnen, mithin also erstmals für die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018. Der BGH247 setzt für die Verlängerung der Frist zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung nach den für Steuerberater geltenden Grundsätzen voraus, dass der Steuerberater tatsächlich beauftragt ist. Es sei nicht ausreichend, dass der Steuerpflichtige „in den Vorjahren steuerlich beraten war.“ cc) Abweichung bzw. erstmalige Festsetzung durch das Finanzamt Sofern das Finanzamt nach § 155 AO durch den Erlass eines Steuerbescheids von den Berechnungen des Steuerpflichtigen abweicht, weil dieser die Steuer zu niedrig oder überhaupt nicht angemeldet hat, so hat dies keine Auswirkung auf einen etwaig bereits eingetretenen Verkürzungs246 Heuel/Beyer, AO-StB 2014, 279, 285.  247 BGH v. 08.12.2016 - 1 StR 389/16, wistra 2017, 234.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

erfolg.248 Wie schon ausgeführt, besteht dieser je nach Fallgestaltung in einer vollendeten bzw. versuchten Hinterziehung. Bei einer bislang lediglich versuchten Hinterziehung, z.B. weil der Unternehmer einen (zu hohen) Erstattungsbetrag angemeldet hat und noch keine Zustimmung nach § 168 S. 2 AO erteilt wurde, tritt m.E. ein weiterer Hinterziehungserfolg mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids (Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 AO249) ein, wenn die Festsetzung niedriger als die gesetzlich geschuldete Steuer ist. Diese Festsetzung bewirkt dann eine vollendete Steuerhinterziehung. Zur Veranschaulichung in Zahllastfällen mag folgendes Beispiel dienen: Unternehmer U übermittelt fristgerecht am 30.03.2018 elektronisch seine Umsatzsteuerjahreserklärung 2017. Hierin erklärt er steuerpflichtige Umsätze von netto 100.000,00 € zuzüglich Umsatzsteuer von 19.000,00 €. Vorsteuern sind keine angefallen. Mithin ergibt sich nach seiner Be­ rechnung eine Zahllast von 19.000,00 €. Tatsächlich hat U aber Um­ sätze i.H.v. netto 200.000,00 € getätigt und die Umsatzsteuer beträgt 38.000,00  €. Das Finanzamt kommt dem U aber nur „teilweise auf die Schliche“ und geht von Nettoumsätzen von 150.000,00 € und mithin von einer Umsatzsteuerzahllast von 28.500,00 € aus. Es erlässt daher am 15.04.2018 einen Umsatzsteuerbescheid und fordert den Differenzbetrag von 9.500,00 € (28.500,00 € minus der erklärten 19.000,00 €). Mit Eingang beim Finanzamt tritt schon Vollendung i.H.v. 19.000,00 € (38.000,00 € abzüglich der erklärten 19.000,00 €) durch Festsetzung nach § 168 S. 1 AO ein. Der Erlass des Steuerbescheids hat daher keine strafrechtlichen Konsequenzen. Ein etwaiger weiterer Taterfolg i.H.v. 9.500,00 € (38.000,00  € minus der durch das Finanzamt festgesetzten 28.500,00 €) durch die fehlerhafte abweichende Steuerfestsetzung durch das Finanzamt ist vollständig von dem ersten Taterfolg i.H.v. 19.000,00 € durch die fehlerhafte Erklärung von U umfasst. Die abweichende Festsetzung durch das Finanzamt stellt lediglich eine verfahrensrechtliche Korrektur (nach § 164 Abs. 2 AO) dar. Gleiches würde m.E. auch in Nichtabgabefällen gelten, wenn im Beispiel U keine Jahreserklärung abgegeben hätte und das Finanzamt dann den o.g. Steuerbescheid (Schätzbescheid) erlassen hätte. Bereits mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitstags ist die volle Summe (im Beispiel die Umsatzsteuer von 38.000,00 €) hinterzogen.

248 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 408. 249 Jäger in Klein, § 370, Rn. 90 f.; Madauß, NZWiSt 2015, 141. 

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

In beiden Fällen (Abgabe der falschen Jahreserklärung und Nichtabgabe) ist der Einwand zu bedenken, dass die steuerliche Erklärungspflicht nach § 149 AO bis zum Eintritt der steuerlichen Festsetzungsverjährung fortbesteht, solange keine zutreffende Festsetzung erfolgt. Es könnte sich somit um eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen handeln. In der Literatur ist aber durchaus streitig, ob das „Belassen“ einer zu niedrigen Festsetzung eine Steuerverkürzung darstellen kann.250 Würde eine solche weiterhin strafbewehrte Erklärungspflicht angenommen, könnte das Unterlassen (Verstoß gegen die fortbestehende Pflicht zur Abgabe einer zutreffenden Jahreserklärung) dann als mitbestrafte Nachtat zu werten sein, solange die erste Tat (Abgabe der falschen Jahreserklärung bzw. Nichtabgabe) verfolgbar ist. Meines Erachtens besteht diese Pflicht zur Abgabe einer zutreffenden Jahreserklärung lediglich ­ steuerlich und nicht strafrechtlich fort. Dieser Fall ist daher – weil kein weiterer bzw. zweiter strafrechtlicher Verstoß vorliegt – auch nicht mit einer wiederholten Steuerhinterziehung vergleichbar, auf die im Rahmen dieser Arbeit251 noch näher eingegangen wird. Ein Fortbestehen der Ab­ gabepflicht wäre auch unter dem Gesichtspunkt des nemo-tenetur-­ Grundsatzes unzumutbar. Meiner Auffassung nach ist die Konfliktlage vergleichbar mit dem Fall, dass hinsichtlich des gleichen Besteuerungszeitraums ein Strafverfahren eingeleitet wurde.252 Hier wird allgemein253 – jedenfalls für die Dauer des Strafverfahrens – eine Suspendierung der Erklärungspflichten angenommen. Gleiches muss in den o.g. Fällen auch ohne Einleitung eines Strafverfahrens gelten. Dies insbesondere, wenn – z.B. wegen des Eingreifens von Sperrgründen254 – eine Selbstanzeige ­unwirksam wäre.255 Abgesehen davon hat das Bestehenlassen der unzutreffenden Festsetzung in den Beispielen zudem nur „sichernden Charakter“.256 Ein weiteres Beispiel: Unternehmer U übermittelt fristgerecht am 30.03.2018 elektronisch seine Umsatzsteuerjahreserklärung 2017. Hie­ rin erklärt er keine steuerpflichtigen Umsätze, aber Vorsteuern von 20.000,00  €. Tatsächlich beträgt die abzugsfähige Vorsteuer 5.000,00 €. 250 Vgl. Wulf in FS Samson, S. 619, 624.  251 Siehe S. 380 ff. 252 Siehe S. 127 f. zum Selbstbelastungsverbot hinsichtlich Jahreserklärung bei Verfahrenseinleitung wegen Voranmeldungen sowie S. 131 f. zur Unzumutbarkeit, Selbstbelastung im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. 253 Vgl. Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 309. 254 Siehe S. 435 ff. 255 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 307. 256 Vgl. Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 145, 146, 153. 

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Das Finanzamt verweigert die Zustimmung, weil es irrtümlich von Vorsteuern von 12.000,00 € ausgeht und erlässt daher am 15.04.2018 einen Umsatzsteuerbescheid mit einem Erstattungsbetrag von 12.000,00 €. Mit Eingang der falschen Jahreserklärung liegt (lediglich) eine versuchte Steuerhinterziehung von 15.000,00 € vor, da nach § 168 S. 2 AO die Zustimmung des Finanzamts zur Festsetzung erforderlich ist. Mit Bekanntgabe der abweichenden Festsetzung durch das Finanzamt liegt eine vollendete Steuerhinterziehung von 7.000,00 € (Erstattung von 12.000,00 € abzüglich der zutreffenden Erstattung von 5.000,00 €) vor.257 Nach meiner Meinung geht von der ursprünglich versuchten Hinterziehung von 15.000,00 € ein Teil i.H.v. 7.000,00 € in der vollendeten Steuerhinterziehung als mitbestrafte Vortat auf. Insgesamt bleibt daher neben der vollendeten Hinterziehung von 7.000,00 € eine versuchte Hinterziehung von 8.000,00 € bestehen. 3. Umfang des Verkürzungserfolgs In Abweichung von der oben258 bereits angeführten Definition des Verkürzungserfolgs nach § 370 Abs. 4 S. 1 und 2 AO, als dem Zurückbleiben der „Ist-Steuer“ hinter der „Soll-Steuer“, enthält § 370 Abs. 4 S. 3 AO für Zwecke des Steuerstrafrechts eine Einschränkung von dieser rein steuerlichen Betrachtung. a) Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO Bei der Berechnung des Umfangs des Verkürzungserfolgs ist das in § 370 Abs. 4 S. 3 AO geregelte Kompensationsverbot zu beachten. Nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO sind Steuern auch dann verkürzt, „wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können“. Somit können nachträglich geltend gemachte Ermäßigungsgründe nicht mehr bei der Berechnung des Verkürzungserfolgs berücksichtigt werden.259 Maßgeblich ist hierbei der Vergleich der gesetzlich geschuldeten Steuer mit der festgesetzten Steuer (Ist-Steuer).260 In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine vollendete Steuerhinterziehung auch dann vorliegen kann, wenn es nicht zu einer „echten“ Steuerverkürzung gekommen ist, sodass auch ohne das Vorliegen eines Vermögensschadens des Staats eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung möglich ist. In der Litera257 Einen solchen „Rotbetragsfall“ meint wohl Müller, AO-StB 2008, 80, 82. 258 Siehe S. 35 f. 259 Rolletschke, Rn. 104. 260 Siehe Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 91.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

tur wird dieser Grundsatz auch als „Eigenheit des deutschen Steuerstrafrechts“261 bezeichnet, welche eine „befremdliche Konsequenz“262 haben könne und „in der praktischen Anwendung extrem schwierig“263 sei. aa) Zweck Den Zweck sieht der BGH darin, dass der Strafrichter nicht den gesamten Steuerfall daraufhin überprüfen muss, ob sich aus bisher unberücksichtigten Umständen eine Steuerermäßigung ergibt, welche den durch die Hinterziehung erzielten Vorteil kompensiert.264 Dieser Zweck wird allerdings nicht erreicht. Auf der Ebene der Strafzumessung sind solche Ermäßigungsgründe – insoweit besteht Einigkeit – bei den verschuldeten Auswirkungen der Tat ohnehin zu berücksichtigen.265 Das Argument der Verfahrenserleichterung ist somit hinfällig geworden.266 Darüber hinaus ist die aus der BGH-Rechtsprechung resultierende Prozessstoffbegrenzung erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.267 bb) Bedeutung Dem Kompensationsverbot kommt im Hinblick auf die Umsatzsteuer in der Mehrzahl der Steuerhinterziehungen entscheidende Bedeutung zu, da unter anderem insbesondere fraglich ist, ob bislang nicht geltend gemachte Vorsteuerbeträge dem Kompensationsverbot unterliegen. Nachstehend soll dieser und anderen Fragen des Kompensationsverbots im Hinblick auf eine Umsatzsteuerhinterziehung nachgegangen werden. Zunächst wird das Kompensationsverbot allgemein dargestellt, um im

261 Bülte, NZWiSt 2016, 1. 262 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 157; so auch Bülte, NZWiSt 2016, 1. 263 So auch Bülte, NZWiSt 2016, 1. 264 BGH v. 18.11.1960 - 4 StR 131/60, BStBl. II 1961, 495, 497. 265 BGH v. 25.02.1987 - 3 StR 552/86, wistra 1987, 181, 182; v. 11.11.1987 - 3 StR 445/87, wistra 1988, 109; v. 12.09.1990 - 3 StR 188/90, HFR 1991, 496; v. 23.03.1994 - 5 StR 38/94, wistra 1994, 228, 230; v. 08.01.2008 - 5 StR 582/07, wistra 2008, 153; Müller, AO-StB 2003, 131; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 371, 387; im Ergebnis auch Nöhren, S. 123 f., welche von „Prozessstoffbegrenzung“ spricht und Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 156, 157; Gehm, S. 62; Menke, wistra 2005, 125, 127; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 321; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 157, 170; kritisch dazu Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 512. 266 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 371; Reiß in FS Mehle, S. 497, 501. 267 Vgl. Hardtke, S. 138 f.; Heide, S. 155 ff.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Anschluss daran besondere Problembereiche der Umsatzsteuer näher zu betrachten. Ganz erhebliche Auswirkungen (bzw. Fehlwirkungen) hat das Kompensationsverbot seit der Einführung des § 398a AO im Jahre 2011 auch im Bereich der Selbstanzeige.268 cc) Anknüpfungspunkt: „andere Gründe“ Anknüpfungspunkt des Kompensationsverbots ist der Begriff „andere Gründe“ in § 370 Abs. 4 S. 3 AO, sodass dieser vorab näher untersucht werden soll. Nach der vom RG269 vertretenen subjektiven Auslegung – zum im Wesentlichen unverändert gebliebenen Wortlaut der Vorgängervorschrift des § 359 Abs. 3 RAO 1919 – fallen unter „andere Gründe“ nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO alle dem Steuerpflichtigen im Handlungszeitpunkt unbekannten Gründe, welche die Steuer reduzieren.270 § 359 Abs. 3 RAO 1919 lautete: „Es genügt, daß infolge der Tat ein geringerer Steuerbetrag festgesetzt […] ist; ob der Betrag, der sonst festgesetzt wäre, aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden müssen […] ist für die Bestrafung ohne Bedeutung.“ Nach der Ansicht des RG müssen alle Minderungsgründe zugunsten des Steuerpflichtigen, welche ihm zur Tatzeit bekannt waren, aber in den Steuererklärungen/-voranmeldungen nicht enthalten waren, Berücksichtigung finden, da er insoweit nicht vorsätzlich handelte. Eine Steuerhinterziehung liegt daher nur dann vor, wenn im Tatzeitpunkt die Minderungsgründe dem Steuerpflichtigen nicht bewusst waren. Peters271 versteht das RG so, dass dieses das Kompensationsverbot mit dem Hinterziehungsvorsatz „vermengte“. Das RG habe seine Ausführungen auf den Hinterziehungsvorsatz bezogen und diesen (erst) ausgeschlossen, nachdem es (zuvor) von anderen Gründen ausgegangen sei. Der BGH272 hingegen scheint eine objektive Auslegung der „anderen Gründe“ des § 370 Abs. 4 S. 3 AO zu bevorzugen. Dies vor dem o.g. Hintergrund der Regelung, „dass im Strafverfahren [nicht] der gesamte Steu268 Siehe S. 444 ff. 269 RG v. 06.07.1933 - 2 D 622/33, JW 1933, 2396; v. 02.12.1935 - 5 D 782/35, RGSt 70, 3, 6. 270 So die Lesart von Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 93.  271 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 375. 272 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307; v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

erfall neu aufgerollt und der Steueranspruch des Staates auf seine Berechtigung unter Berücksichtigung neuer Tatsachen hin überprüft werden muss“.273 Nach Ansicht des BGH sind „andere Gründe“ „solche Tatsachen, […], auf die sich der Täter zur Rechtfertigung seines Verhaltens [erst] im Strafverfahren beruft, obwohl er sie im Besteuerungsverfahren nicht vorgebracht hat“.274 Das Kompensationsverbot gilt jedoch nicht ohne Einschränkungen: Der BGH275 macht eine Ausnahme für den Fall, „wenn [der Täter] anstelle der unrichtigen die der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht hätte“ und diese mit den „verschleierten steuererheblichen Tatsachen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang“ stehen.276 Entscheidend beim Begriff des unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs sei, dass es „sich somit insgesamt um die Beurteilung des­ selben steuerlichen Vorgangs handelt“.277 Das wird insbesondere dann angenommen, wenn die Steuerminderungen sich „ohne weiteres von Rechts wegen ergeben hätten, [falls der Täter] anstelle der unrichtigen die der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht hätte“.278 Ein solcher unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang besteht unter anderem bei Aufwendungen für den Einkauf von Pkws auf der einen Seite sowie nicht gebuchten Erlösen aus dem Verkauf dieser Fahrzeuge auf der anderen Seite.279 Darüber hinaus nimmt der BGH280 eine Ausnahme vom Kompensationsverbot ebenfalls für den Fall an, dass eine Tatsache bereits Gegenstand des ordnungsgemäßen Vortrags im Besteuerungsverfahren war.

273 Vgl. BGH v. 18.11.1960 - 4 StR 131/60, BStBl. I 1961, 495, 497; Jäger in Klein, § 370, Rn. 131; Rolletschke, Rn. 104; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 156. 274 BGH v. 28.01.1987 - 3 StR 373/86, wistra 1987, 139, 143. 275 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307; v. 26.06.1984 - 5 StR 322/84, wistra 1984, 183; siehe auch BFH v. 11.04.2013 - V R 29/10, NZWiSt 2014, 356, 358. 276 BGH v. 26.06.1984 - 5 StR 322/84, wistra 1984, 183; siehe auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 133; Kürzinger in Wannemacher, Rn. 329 f.; Rolletschke, Rn. 105; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 150. 277 BGH v. 05.02.2004 - 5 StR 420/03, wistra 2004, 147, 149. 278 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307; so im Ergebnis auch BGH v. 08.05.1979 - 1 StR 51/79, MDR 1979, 772. 279 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307. 280 BGH v. 02.11.2010 - 1 StR 544/09, NZWiSt 2012, 75, 77.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

In der Literatur werden verschiedene Ansichten vertreten: Meine281 schließt sich der Auslegung des RG282 an, nach welcher nur die Gründe ausgeschlossen sind, welche der Täter nicht gekannt hat. Menke283 will § 370 Abs. 4 S. 3 AO lediglich eine deklaratorische Funk­ tion beimessen. Ein strafrechtlicher Erfolg könne nach seiner Verwirklichung nicht mehr durch den Täter rückgängig gemacht werden. Da der Steuerpflichtige seiner Aufklärungspflicht nicht hinreichend nachgekommen sei, mit der Folge einer unrichtigen Steuerfestsetzung, könne dieser Erfolg nicht mehr durch nachträgliche Angaben geändert werden. Die h.M. in der Literatur geht im Kern übereinstimmend davon aus, dass das Kompensationsverbot Situationen erfasst, in denen eine konkrete Gefahr für den gesetzlichen Steueranspruch besteht, die ohne das Kompensationsverbot strafrechtlich nicht geschützt wären. Nach Joecks284 fallen unter § 370 Abs. 4 S. 3 AO Konstellationen, in denen durch die Täuschungshandlung noch kein Steuerschaden (Fiskalschaden) eingetreten ist, jedoch in einem weiteren Schritt ein solcher straflos verursacht werden könnte. Dies z.B.285 in der Konstellation, dass gleichzeitig Einnahmen und Ausgaben in gleicher Höhe weggelassen werden (kein Fiskalschaden und ohne Kompensationsverbot somit keine Tathandlung). Wenn der Steuerpflichtige dann später die nicht erklärten Ausgaben (verfahrensrechtlich z.B. nach § 164 Abs. 2 AO) berücksichtigt haben möchte, mache er keine unrichtigen Angaben und somit läge wiederum keine Tathandlung vor. Das Kompensationsverbot umfasse daher die Fälle, in denen „zwar eine Täuschungshandlung noch keinen Steuerschaden herbeiführt, dies aber die Möglichkeit eröffne[t], in einem […] [weiteren Schritt einen] Steuerschaden durch wahrheitsgemäße Anträge zu verursachen“. Diese im ersten Schritt bewirkte Vermögensgefährdung könne „angesichts der Tatbestandslosigkeit des zweiten Akts einem Vermögensschaden gleichgestellt werden“ (Fall einer schadensgleichen Vermögensgefährdung). Daher treffe der BGH mit dem Kriterium des unmittelbaren Zusammenhangs im Kern „durchaus das Richtige“.

281 Meine, S. 54 ff.; ders., wistra 1982, 129, 131. 282 RG v. 06.07.1933 - 2 D 622/33, JW 1933, 2396; v. 02.12.1935 - 5 D 782/35, RGSt 70, 3, 6; siehe auch S. 49. 283 Menke, wistra 2005, 125, 128 ff.; ders., wistra 2006, 167 f. 284 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 104. 285 Beispiel leicht abgewandelt nach Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 157.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Schmitz/Wulf286 sehen – im Ergebnis wie Joecks – den Zweck ebenfalls im Schutz des staatlichen Vermögens auch gegen abstrakte Schädigungsgefahren. Daher liege im Hinblick auf diesen Sinn und Zweck ein solcher Zusammenhang dann vor, wenn die „anderen Gründe“ nicht nachträglich hätten geltend gemacht werden können, ohne damit auch die zuvor bewirkte Steuerverkürzung zu offenbaren. Auch Peters287 ist im Kern gleicher Ansicht und will solche Gründe ausschließen, auf die sich der Täter hätte berufen können, ohne zugleich die Unrichtigkeit seiner (anderen) Angaben zu offenbaren. Anders (keine „anderen Gründe“) sei dies dann, wenn die wahren steuererhöhenden Angaben als „Kehrseite“ eine steuermindernde Wirkung hätten. Statt des vom BGH verwendeten Begriffs des „unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhangs“288 hält er daher den Begriff des „unmittelbaren steuerlichen Zusammenhangs“ für zutreffender. Auch nach Nöhren289 fallen unter den Begriff der „andere[n] Gründe“ solche, „von denen konkret zu erwarten ist, dass sie durch den Täter später steuerlich geltend gemacht werden können, ohne dass er dadurch eine Aufdeckung der Steuerhinterziehung befürchten“ muss. Bülte290 gelangt zu ähnlichen Ergebnissen und will hinsichtlich der Anwendung des Kompensationsverbots zweistufig prüfen. In einem ersten Schritt sei zu prüfen, ob das Kompensationsverbot eingreift. Dies sei dann der Fall, wenn sich die tatsächlichen Grundlagen des Minderungsgrunds nicht unmittelbar aus den wahrheitsgemäßen Pflichtangaben oder den wahrheitsgemäß konkretisierten Angaben ergeben. Als Zweites folgt sodann eine Prüfung, ob eine konkrete Gefahr für den Steueran­ spruch durch nachträgliche Geltendmachung von Angaben bestehe, wobei schon die bloße Möglichkeit hierzu ausreiche.291 Ransiek292 hält fest, dass durch das Kompensationsverbot jedenfalls klargestellt sei, dass anstelle der unrichtigen (nur) die zutreffenden Angaben (und keine weiteren) eingesetzt werden dürfen.293 In Bezug auf die o.g.

286 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 157. 287 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 372. 288 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307; v. 26.06.1984 - 5 StR 322/84, wistra 1984, 183.  289 Nöhren, S. 129. 290 Bülte, NZWiSt 2016, 1, 5. 291 Bülte, NZWiSt 2016, 52, 57. 292 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 515. 293 Soweit identisch mit Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 372. 

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Auffassungen294 hegt er Zweifel, ob der Gesetzgeber lediglich eine solche „gefahrlose Nachreichung nichterklärter anderer Gründe“ treffen wollte.295 In der Literatur hat sich – ebenso wie in der Rechtsprechung – eine kaum durchdringbare Kasuistik296 zum Kompensationsverbot herausgebildet. Daher wird vor dem Hintergrund des Themas der vorliegenden Arbeit von einer Auseinandersetzung mit den – überwiegend identischen – Ansichten in der Literatur und der Rechtsprechung abgesehen und es werden im Folgenden lediglich die für die Umsatzsteuer bedeutsamen Fallgestaltungen betrachtet. Diese werden dann – soweit erforderlich – jeweils einer kritischen Auseinandersetzung mit eigener Auffassung unterzogen. Bei der konkreten Fallanwendung zeigen sich indes Unterschiede. dd) Einzelfälle zum Kompensationsverbot (1) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG – Fremdleistungen Der wohl bedeutsamste Fall297 des Kompensationsverbots betrifft das Verhältnis von Vorsteuerabzug und hinterzogener (Brutto-)Umsatzsteuer. Der BGH298 lehnte lange Zeit einen „inneren wirtschaftlichen Zusammenhang“ zwischen der im Wareneinkauf enthaltenen Vorsteuer und der auf die Ausgangsumsätze entfallenden Umsatzsteuer strikt ab. Mit Urteil vom 18.04.1978299 hat der BGH entschieden, dass ein Täter, der die auf seine eigenen Umsätze entfallende Umsatzsteuer hinterzogen hat, sich nicht darauf berufen kann, dass diese Steuerschuld durch Vorsteuerabzüge ausgeglichen werden kann. Hierbei sei es unerheblich, ob der Täter unrichtige oder gar keine Steuererklärungen abgegeben hat. Et294 Insbesondere Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 73. 295 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 513. 296 So auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 134. 297 So auch Müller, AO-StB 2003, 131, 134 mit Verweis auf BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152; Nöhren, S. 121, spricht von „große[r] praktische[r] Bedeutung“. 298 Vgl. BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307, noch ohne Begründung; v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152; v. 23.07.1985 - 5 StR 465/85, wistra 1985, 225; v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107, 108; v. 23.03.1994 - 5 StR 38/94, wistra 1994, 228, 229; v. 02.11.1995 - 5 StR 414/95, HFR 1996, 363; v. 21.01.1998 - 5 StR 686/97, wistra 1998, 146; vgl. auch BayObLG v. 15.06.1972 4 St 52/72, UR 1974, 32; v. 16.10.1989 - RReg. 4 St 162/89, wistra 1990, 112; OLG Düsseldorf v. 24.11.1987 - 2 Ss 203/87 - 93/87 III, wistra 1988, 118; siehe auch Nöhren, S. 125 f. 299 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

was anderes ergebe sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BFH300, da dieser lediglich entschieden habe, dass es sich hinsichtlich der Umsatzsteuer auf eigene Umsätze einerseits und der Vorsteuer andererseits um nicht selbstständig anfechtbare Teile der Steuerfestsetzung handele. Der BGH begründet sein Ergebnis im Kern mit dem lockeren Verhältnis von Vorsteuer zu Umsatzsteuer, da erstere unabhängig „vom Einzelumsatz grds. bei allen Umsätzen des Täters ohne die Notwendigkeit inneren Zusammenhangs abgezogen [wird]“. Unmaßgeblich sei dabei, „ob und wann die den Vorsteuerabzug auslösenden Vorumsätze zu eigenen Umsätzen des Unternehmers führen“.301 Mit Urteilen u.a. vom 24.10.1990302, 23.03.1994303, 11.07.2002304, 12.01.2005305 und 08.01.2008306 hat der BGH an der o.g. Rechtsauffassung ausdrücklich festgehalten. Den Urteilen vom 18.04.1978307 und vom 31.01.1978308 kann aber ansatzweise entnommen werden, dass der BGH die Anwendung des Kompensationsverbots dann ablehnt, wenn zwischen den Ausgangsumsätzen und der Vorsteuer ein direkt zuordnungsfähiger unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dies dürfte etwa der Fall sein, wenn Erlöse aus dem Verkauf eines konkreten Gegenstands nicht erfasst sind und gleichzeitig auch die Vorsteuer309 aus dem Kauf dieses konkreten Gegenstands nicht abgezogen wurde (Stoffgleichheit310). Mit Urteil vom 13.09.2018 hat der BGH311 nun seine restriktive Rechtsprechung, dass bei Vorsteuern im Verhältnis zu Umsatzsteuern immer das Kompensationsverbot greift, nach über 40 Jahren312 gelockert. Nach diesem Urteil dürfen Steuervorteile auch strafrechtlich zugunsten des Täters jedenfalls dann nicht außer Betracht bleiben, wenn ihm diese „schon auf Grund seiner richtigen Angaben oder jedenfalls auch dann 300 BFH v. 30.09.1976 - V R 109/73, BStBl. II 1977, 227.  301 Müller, AO-StB 2003, 131, 134. 302 BGH v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107, 108. 303 BGH v. 23.03.1994 - 5 StR 38/94, wistra 1994, 228, 229. 304 BGH v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036. 305 BGH v. 12.01.2005 - 5 StR 301/04, wistra 2005, 145. 306 BGH v. 08.01.2008 - 5 StR 582/07, wistra 2008, 153. 307 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151. 308 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307 zum Zusammenhang zwischen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. 309 Das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung nach § 14 UStG unterstellt. 310 Ibold, wistra 2019, 313, 320 spricht von „Objekteinheit“. 311 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71. 312 Hierauf weisen Görlich/Roggendorf NZWiSt 2019, 74 hin.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

ohne weiteres von Rechts wegen zugestanden hätten, wenn er, anstelle der unrichtigen, die der Wahrheit entsprechenden Angaben gemacht hätte.“ Der BGH ist nunmehr der Auffassung, dass Vorsteuern „bei der Ermittlung des Verkürzungsumfangs unmittelbar mindernd angesetzt ­werden [können], wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz besteht.“ Einen solchen wirtschaftlichen Zusammenhang, welcher zu einer zwangsläufigen Berücksichtigung der steuermindernden Tatsachen führt, hat der BGH bislang abgelehnt und hält nun aber an dieser restriktiven Rechtsprechung – jedenfalls in der entschiedenen Fallgestaltung – nicht mehr daran fest. Wenn „eine nicht erklärte steuerpflichtige Ausgangsleistung eine tatsächlich durchgeführte Lieferung war und die hierbei verwendeten Wirtschaftsgüter unter den Voraussetzungen des § 15 UStG erworben wurden, hat eine Verrechnung von Vorsteuer und Umsatzsteuer stattzufinden.“ Der BGH nimmt zur Begründung sodann auf die EuGH-Rechtsprechung313 – welche der BFH314 übernommen hat – Bezug, wonach sich das Recht zum Vorsteuerabzug danach bestimmt, ob „ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz besteht“.315 Der Vorsteueran­spruch sei nach der EuGH-Rechtsprechung316 davon abhängig, dass die Eingangsleistung der unternehmerischen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zuzurechnen sei und für Zwecke der besteuerten Umsätze verwendet werde. Mithin ziehe die „tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, die Nichtgeltendmachung des an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich.“ Es bestehe mithin ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz und das Kompensationsverbot finde keine Anwendung. Bisher nicht neu entschieden hat der BGH den Fall, der Anwendung des Kompensationsverbots auf Vorsteuern nach § 15 Abs.1 Nr. 1 UStG, für die Fallgruppe des fehlenden direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen. Dies ist etwa bei sog. Gemeinkosten der Fall. Der BFH hat, da das Kompensationsverbot auf steuerlichem Gebiet – z.B. auch bei der Höhe der Hinterziehungszinsen nach § 235 AO – keine Anwendung findet, hierüber im Grundsatz nicht zu entscheiden. Sofern das 313 EuGH v. 06.09.2012 - C-496/11, ECLI:EU:C:2012:557, DStR 2012, 1859, 1862. 314 BFH v. 11.04.2013 - V R 29/10, NZWiSt 2014, 356, siehe S. 57. 315 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71, 72. 316 EuGH v. 13.03.2008 - C-437/06, ECLI:EU:C:2008:166, BStBl. II 2008, 727.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Vorliegen einer Steuerhinterziehung allerdings Voraussetzung für eine steuerliche Frage ist, wie etwa das Eingreifen der verlängerten Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO, so hat der BFH hierüber – wenn auch nach steuerrechtlichen Maßstäben der Abgabenordnung – zu entscheiden. Die Rechtsprechung des BFH zum steuerlichen Verhältnis zwischen der Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze und Vorsteuer kann daher insoweit allenfalls mittelbar Einfluss auf die Anwendung des Kompensationsverbots haben. Da diese Rechtsprechung jedoch von der einen oder anderen Auffassung317 zur Begründung der eigenen Ansicht herangezogen wird, soll sie kurz dargestellt werden. In seinem Urteil vom 30.09.1976318 hat der BFH – worauf der BGH319 hingewiesen hat – „von zwei in § 16 Abs. 1 UStG geschaffenen besonderen Besteuerungsgrundlagen, die beide getrennt festgestellt würden und dann zu saldieren seien“ – gesprochen. Mit Urteil vom 08.08.1991320 hat der BFH im Hinblick auf eine nach § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 2. HS AO mögliche Korrektur von bestandskräftigen Steuerbescheiden den notwendigen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Vorsteuer und Umsatzsteuer bejaht. „Nach der Systematik des UStG ist der ‚Zusammenhang‘ zwischen nachträglich bekannt gewordenen Vorsteuerbeträgen und nachträglich bekanntgewordenen Umsätzen“ dann gegeben, „wenn diese Leistungsbezüge den ausgeführten steuerpflichtigen Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen sind“. Auch dem Beschluss des BFH vom 29.09.1995321 ist zu entnehmen, „dass die abziehbaren Vorsteuerbeträge nicht selbständig festgesetzt werden und ‚Ausgangssteuer‘ und Vorsteuerbeträge nur Besteuerungsgrundlagen bilden, die nach § 157 Abs. 2 AO einen unselbständigen und daher mit Rechtsmitteln nicht selbstständig anfechtbaren Teil des Steuerbescheids bilden“. Aus dieser Systematik folgt nach Auffassung des BFH, dass die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO nur für die Festsetzung der „zu entrichtenden Steuer“ bzw. des „Überschusses“ gilt, der sich nach Saldierung der Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze mit der abziehbaren Vorsteuer ergibt. Das Finanzamt wollte im Streitfall eine Teilverjährung annehmen, da – nach Auffassung des Finanzamts – nur die auf die steuerpflichtigen Umsätze entfallende Steuer hinterzogen worden sei. Hin317 Seit der Entscheidung vom 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71 im Ergebnis auch vom BGH. 318 BFH v. 30.09.1976 - V R 109/73, BStBl. II 1977, 227, 228 f. 319 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152. 320 BFH v. 08.08.1991 - V R 106/88, BStBl. II 1992, 12, 14. 321 BFH v. 29.09.1995 - V B 38/95, BFH/NV 1996, 277 f.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

sichtlich der nicht erklärten Vorsteuerbeträge liege keine Hinterziehung vor, sodass insoweit bereits die Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen sei. Mit Urteil vom 13.01.2011322 stellt der BFH dann Fallgruppen hinsichtlich des Vorsteuerabzugs auf und grenzt die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs ein: Demnach ist die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs (nur) möglich, wenn ein „unmittelbare[r] und direkte[r] Zusammenhang zu einzelnen steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen der wirtschaftlichen Tätigkeit [besteht]“. Sofern der Unternehmer bereits bei Empfang einer Leistung beabsichtigt, „diese ausschließlich und unmittelbar für eine unentgeltliche Entnahme […] zu verwenden, kann er den Vorsteuerabzug […] nicht in Anspruch nehmen, wenn er mittelbar Ziele verfolgt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen.“323 Mit Urteil vom 11.04.2013324 übernimmt der BFH die Grundsätze einer EuGH-Entscheidung vom 21.02.2013325 und stellt in Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung326 klar, dass Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ein „unmittelbare[r] und direkte[r] Zusammenhang zwischen Eingangsleistung und steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen“ ist. Sofern ein solcher „direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen“ fehle, könne „der Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt sein, wenn die Kosten für die Eingangsleistung zu seinen allgemeinen Aufwendungen gehören und als solche Bestandteile des Preises der von ihm erbrachten Leistungen sind. Derartige Kosten hängen direkt und unmittelbar mit seiner wirtschaftlichen Gesamttätigkeit zusammen und berechtigen nach Maßgabe dieser Gesamttätigkeit zum Vorsteuerabzug.“327 In der Literatur werden diverse Ansichten zur Anwendung des Kompensationsverbotes auf Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG vertreten. Es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass sich zahlreiche Autoren bei Redaktionsschluss noch nicht mit der aktuellen BGH-Rechtsprechung auseinandersetzen konnten. Die im Folgenden in diesem Zusammenhang zitierte BGH-Rechtsprechung ist daher zwangsläufig meist die frü322 BFH v. 13.01.2001 - V R 12/08, BStBl. II 2012, 61, 63. 323 BFH v. 13.01.2011 - V R 12/08, BStBl. II 2012, 61, 63. 324 BFH v. 11.04.2013 - V R 29/10, NZWiSt 2014, 356. 325 EuGH v. 21.02.2013 - C-104/12, ECLI:EU:C:2013:99, NJW 2013, 1585. 326 BFH v. 09.12.2010 - V R 17/10, BStBl. II 2012, 53, 54 f.; v. 13.01.2011 - V R 12/08, BStBl. II 2012, 61, 63 f.; v. 27.01.2011 - V R 38/09, BStBl. II 2012, 68, 71; v. 03.03.2011 - V R 23/10, BStBl. II 2012, 74, 75. 327 BFH v. 11.04.2013 - V R 29/10, NZWiSt 2014, 356.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

here restriktive Rechtsprechung, soweit nicht ausdrücklich die aktuelle Rechtsprechung genannt wird. Schindhelm328 sieht in der – jedenfalls früheren restriktiven – BGH-Rechtsprechung einen Widerspruch zu der o.g. Rechtsprechung des EuGH und des BFH, nach der für den Vorsteuerabzug ein „unmittelbarer und direkter Zusammenhang“ zu Ausgangsumsätzen bestehen muss. Der Rechtsprechung sei eine Differenzierung zwischen verschiedenen Umsätzen zu entnehmen: So gebe es einerseits Eingangsumsätze, welche sog. Gemeinkosten nach sich zögen und bei denen eine Zuordnung zu allen Ausgangsumsätzen bestehe und andererseits Eingangsumsätze, bei welchen eine direkte Zuordnung zu konkreten Ausgangsumsätzen möglich sei. Sofern der Unternehmer auch umsatzsteuerfreie Umsätze tätige, sei in ersterem Fall (Gemeinkosten) aber (lediglich) eine Aufteilung der Vorsteuern möglich. Den „unmittelbaren und direkten Zusammenhang“ will Schindhelm auch bei Vorsteuern aus Gemeinkosten nicht in Frage stellen. Damit trägt nach Schindhelm die Begründung des BGH hinsichtlich des fehlenden inneren Zusammenhangs der Vorsteuer mit der Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze nicht. Schindhelm weist ferner auf die oben dargestellte BFH-Rechtsprechung zu § 173 AO hin, welche den notwendigen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Vorsteuer und Umsatzsteuer im Kern bejahe. In zeitlicher Hinsicht verlangt Schindhelm329 allerdings, dass – über den unmittelbaren Zusammenhang hinaus – die Ausgangs- und Eingangsumsätze zudem in den gleichen Besteuerungszeitraum fallen. Anderenfalls seien es „andere Gründe“. Die Strafgerichte seien daher gehalten zu klären, „welche Eingangsumsätze direkt […] den verschwiegenen Ausgangsumsätzen wirtschaftlich und auch zeitlich zuzuordnen sind“. Reiß330 und ihm folgend Ransiek331 sehen wie Schindhelm in der früheren restriktiven BGH-Rechtsprechung einen Widerspruch zur o.g. Rechtsprechung des EuGH und des BFH und lassen im Ergebnis wohl auch eine Kompensation mit Vorsteuern aus Gemeinkosten zu. Reiß332 vertritt die Auffassung, dass für Vorsteuern insoweit eine Ausnahme vom Kompensationsverbot besteht, als es sich um Vorsteuern handelt, „die in die verschwiegenen oder zu niedrig deklarierten steuerpflichtige[n] Ausgangsumsätze desselben Voranmeldezeitraums/Besteuerungszeitraums 328 Schindhelm, S. 144 ff. 329 Schindhelm, S. 146 ff. 330 Reiß in FS Mehle, S. 497, 506. 331 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 529. 332 Reiß in FS Mehle, S. 497, 506. 

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

eingingen, sofern für diese Eingangsleistungen eine Rechnung mit offenem Steuerausweis in diesem Voranmeldezeitraum/Besteuerungszeitraum bereits vorlag“. Ransiek begründet dies zum einen damit, dass es sich im Hinblick auf § 16 Abs. 2 UStG bei der Vorsteuer und der Steuer für den steuerpflichtigen Umsatz um eine Verschmelzung zu einer Einheit i.S.d. § 18 UStG handelt.333 Zum anderen sei die frühere Auffassung des BGH334 unzutreffend, dass die konkrete Zweckverwendung des für das Unternehmen bezogenen Gegenstands unerheblich ist, da der Unternehmer stets vorsteuerabzugsberechtigt hinsichtlich steuerpflichtiger Eingangsumsätze mit direktem und unmittelbarem Bezug zu Ausgangsumsätzen sei.335 Reiß336 sieht die unterschiedlichen Zwecke von § 15 UStG im Besteuerungsverfahren einerseits und von § 370 Abs. 4 S. 3 AO im Strafverfahren andererseits und räumt ein, dass der Begriff des „unmittelbaren Zusammenhangs“ durchaus unterschiedlich verstanden werden kann. Dennoch sieht er im Grundsatz einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze und der Vorsteuer desselben Vor­ anmeldungszeitraums/Besteue­rungs­zeitraums. Dass Vorsteuern aus Eingangsleistungen nicht notwendigerweise im selben Voranmeldungszeitraum anfallen, für den die Steuer aus dem ausgeführten Ausgangsumsatz zu deklarieren ist (keine Stoffgleichheit), ändere nichts an dem unmittelbaren Zusammenhang. Dies sei schlicht der Abschnittsbesteuerung geschuldet. Insofern bestehe auch keine Gefahr, dass Vorsteuern geltend gemacht werden, ohne dass dies zu einer Aufdeckung der verschwiegenen Ausgangsumsätze führen müsse. Der Ansicht von Menke337, wonach der Vorsteuerabzug von einer Antragstellung bzw. Geltendmachung abhänge, was aber nicht mit strafrechtlicher Rückwirkung erfolgen könne, erteilt Reiß338 eine deutliche Absage. Diese enthalte einen erkennbaren Zirkelschluss, da ja gerade fraglich sei, ob ein Verkürzungserfolg eingetreten ist, und nicht, ob der eingetretene Verkürzungserfolg rückgängig gemacht werden kann.

333 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 529. 334 BGH v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107. 335 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 529. 336 Reiß in FS Mehle, S. 497, 506. 337 Siehe S. 51. 338 Reiß in FS Mehle, S. 497, 512.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Für Bülte339 ist die frühere restriktive BGH-Rechtsprechung zu Vorsteuern „konsequent“. So sei, um die Vorsteuern berücksichtigen zu können, nicht lediglich eine Korrektur der unrichtigen Angaben (Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze), sondern eine Ergänzung um weitere Angaben notwendig, welche sich allerdings nicht in einem zwingenden Zusammenhang zu den nicht oder nicht richtig erklärten Angaben befänden. Lediglich die Berichtigung der unrichtigen Angaben sei daher nicht ausreichend. Bülte räumt allerdings ein, dass der BGH lediglich eine Nega­ tivabgrenzung vornimmt, sodass dessen Begründung „unglücklich“ und „irreführend“ sei „und die relevanten Aspekte eher verschleiert werden“. Der Vorsteuerabzug stelle laut BGH einen anderen Grund dar, da Unabhängigkeit zwischen dem Vorsteueranspruch und späteren Umsätzen bestehe. Bei Ertragsteuern auf verschwiegene Gewinne hingegen seien Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben abhängig voneinander. Dies sei aber konsequent, da § 15 Abs. 1 UStG voraussetzt, dass der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird und somit der Zusammenhang zwischen Umsatzsteuer und Vorsteuer weniger eng und unmittelbar als zwischen Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben sei. Die o.g. steuerliche Rechtsprechung des EuGH und des BFH, welche Ransiek und Reiß zur Begründung ihrer Ansichten ins Feld führen, hält Bülte340 für unbeachtlich, da diese Gerichte bei ihren Ausführungen sicher nicht das Kompensationsverbot im Blick gehabt hätten. Wie oben341 ausgeführt, sieht auch Bülte den Zweck des Kompensationsverbots darin, zu verhindern, dass der Täter noch einen Steuerminderungsgrund „in der Hinterhand behalte“, den er später noch geltend machen könne.342 Nach Bülte geht es zu weit, eine solche Möglichkeit – wie Reiß343 – im Grundsatz stets zu verneinen. Das Gegenteil sei der Fall. Aufgrund des Umstands, dass keine Nachweispflicht hinsichtlich der Nutzung der erworbenen Waren besteht, dürfte nach Bülte344 die Geltendmachung der Vorsteuer nur im Einzelfall die Offenbarung der verschwiegenen Ausgangsumsätze erfordern. Daher sei der o.g.345 frühere ­restriktiven BGH-Rechtsprechung zuzustimmen und Ausgangs- und 339 Bülte, NZWiSt 2016, 1, 6; a.A. Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 380; Reiß in FS Mehle, S. 497, 505; Schuhmann, wistra 1992, 208, 210 f. 340 Bülte, NZWiSt 2016, 52, 53. 341 Siehe S. 52 342 Bülte, NZWiSt 2016, 52, 56. 343 Reiß in FS Mehle, S. 497, 510. 344 Bülte, NZWiSt 2016, 52, 56; a.A. Reiß in FS Mehle, S. 497, 510. 345 Siehe S. 53.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Eingangsumsätze stünden grds. nicht in einem wirtschaftlichen Ab­ hängigkeitsverhältnis. Vielmehr stellen seiner Ansicht zufolge „Vor­ steueransprüche […] nicht nur andere Gründe [dar], sondern [sind] auch geeignet eine Gefahr der Steuerschädigung herbeizuführen, wenn sie nachgeschoben werden“. Sofern aber Vorsteueransprüche in einem solch engen Verhältnis zu nicht mitgeteilten Ausgangsumsätzen stehen, dass die Geltendmachung der Vorsteuer nicht möglich ist, ohne zwingend die Ausgangsumsätze aufzudecken, bestehe eine Kompensationsfähigkeit.346 Dies entspricht der aktuellen Rechtsprechung des BGH347. Meine348 kritisiert generell an der BGH-Rechtsprechung, dass diese hinsichtlich des direkten Zusammenhangs zwischen Vorsteuer und Umsatzsteuer einen falschen Bezugspunkt zugrunde legt. Dies, da der BGH diesbezüglich nicht auf die Umsatzsteuerzahllast, sondern auf die Umsatzsteuer der nicht verbuchten Umsätze abstelle. Im Ertragsteuerrecht hingegen sei auch der Gewinn maßgeblich und nicht die Steuern, welche auf die Betriebseinnahmen entfallen. Meine resümiert, dass sich der BGH in eine Sackgasse begibt, die ihm die bekannten Scheinargumente überzeugend erscheinen lassen. Er will daher auf die Umsatzsteuerzahllast, welche die Wertschöpfung widerspiegelt, abstellen und mithin generell eine Kompensation mit Vorsteuern zulassen. Nöhren349 stimmt Meine zwar insoweit zu, als der BGH unterschiedliche Bezugspunkte bei den Ertragsteuern und der Umsatzsteuer wählt. Sie äußert sich jedoch kritisch, was die von Meine gewählte Vergleichsgröße „Umsatzsteuerzahllast“ betrifft: Diese sei eher mit der festzusetzenden Einkommensteuer vergleichbar und nicht mit dem Gewinn und spiegele daher gerade nicht die Wertschöpfung wider. Die Umsatzsteuerzahllast werde schließlich nicht durch Anwendung eines Steuersatzes auf einen Wertschöpfungssaldo ermittelt. In Hinsicht auf den gewählten Bezugspunkt der Umsatzsteuerzahllast sei Meine daher nicht zu folgen, sein Bezugspunkt sei auch nicht besser als der vom BGH gewählte. Nöhren selbst vertritt die Ansicht, dass keine „anderen Gründe“ i.S.d. § 370 Abs. 4 S. 3 AO vorliegen, „sofern Vorsteuerabzugsbeträge bisher nicht erklärt wurden, deren Geltendmachung zwangsläufig zu einer Entdeckung der Steuerverkürzung durch nicht erklärte Umsätze führen würde“. Das Kompensationsverbot finde somit dann keine Anwendung, 346 Bülte, NZWiSt 2016, 52, 57. 347 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71. 348 Meine, S. 38 ff. 349 Nöhren, S. 126 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

wenn eine Missbrauchsgefahr aufgrund eines „einheitlichen Lebenszusammenhangs“ ausgeschlossen sei. Wenn jedoch eine spätere Geltendmachung der Vorsteuerabzugsbeträge ohne Risiko möglich ist, sei das Kompensationsverbot anwendbar. Damit liegt auch die Ansicht von Nöhren in diesem Punkt auf der Linie der aktuellen Rechtsprechung des BGH350. Wenn eine spätere Geltendmachung der Vorsteuerabzugsbeträge ohne Risiko möglich ist, ist das Kompensationsverbot nach Ansicht von Nöhren anwendbar. Hierzu hat sich der BGH aktuell nicht ausdrücklich geäußert. Menke351 lehnt eine „materiell-rechtliche Funktion“ ab, „da sich die Behandlung der ‚anderen Gründe‘ schon aus dem Umstand ergebe, dass z.B. Vorsteuern nur zu berücksichtigen seien, wenn sie auch geltend gemacht wurden“. Peter/Trinks352 weisen ebenfalls darauf hin, dass der Vorsteuerabzug nicht automatisch erfolgt und die Reduzierung der Umsatzsteuerlast eine tatsächliche Ausübung des Anspruchs auf Vorsteuerabzug voraussetze. Sie sind daher der Auffassung, dass eine Kompensation bereits aus diesem Grund ausscheide. Rolletschke353 sieht generell in der BGH-Rechtsprechung zur Anwendung des Kompensationsverbots bei der Berücksichtigung von Vorsteuern einen Widerspruch zur Rechtsprechung hinsichtlich der Berücksichtigung von Betriebsausgaben. Weder Vorsteuerabzug noch Betriebsaus­ gaben würden von Amts wegen berücksichtigt, sondern nur dann, wenn der Steuerpflichtige diese in der Steuererklärung geltend macht. Ferner existiere ein Widerspruch zwischen der o.g.354 BFH-Rechtsprechung, wonach Vorsteuern im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 AO abgezogen werden können, und der BGH-Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug. Madauß355 verweist auf die o.g.356 BFH-Rechtsprechung, wonach der vom BGH geforderte „unmittelbare wirtschaftliche Zusammenhang“ vorliege.

350 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71. 351 Menke, wistra 2005, 125, 131; ders., wistra 2006, 167, 169. 352 Peter/Trinks, PStR 2016, 272, 273. 353 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 312. 354 Siehe S. 56. 355 Madauß, NZWiSt 2015, 41, 50. 356 Siehe S. 57.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Böhme357 merkt an, dass der BGH beim Kompensationsverbot trotz der neuen Rechtsprechung noch einen „beschwerlichen Weg“ vor sich hat. So sei ungeklärt, wie es sich mit Eingangsumsätzen verhält, die in weniger konkretem Zusammenhang mit Ausgangsumsätzen stehen als in der BGH-Entscheidung vom 13.09.2018. Dies sei etwa beim Einkauf von Mehl bei einem Bäcker oder beim Einkauf von Büromaterial durch einen Gerätehersteller der Fall. In diesen Fällen sei in Anlehnung an Bülte eine Abschätzung der Gefährdungswahrscheinlichkeit für den Steueran­ spruch erforderlich. Dieser könne durch isoliertes Nachschieben von Vorsteuern – ohne gleichzeitige Deklaration von etwaig fehlenden Ausgangsumsätzen – gefährdet sein. In der Literatur wurden bisher bereits überzeugende Argumentationslinien vorgezeichnet und die aktuelle BGH-Rechtsprechung ist ein begrüßenswerter wichtiger erster Schritt zur faktischen Abschaffung des Kompensationsverbots im Bereich der Umsatzsteuer. Sollte der BGH künftig Vorsteuern z.B. aus Gemeinkosten dem Kompensationsverbot unterwerfen – wozu er sich in seinem aktuellen Urteil nicht geäußert hat – würde dies nicht überzeugen. Insbesondere nicht im Vergleich mit der Rechtsprechung des BGH zu den Ertragsteuern.358 Hier lässt der BGH359 eine Saldierung von Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben zu und stellt auf den Saldo, also den Gewinn, ab. Die Gefährdungslage ist mit der im Bereich der Umsatzsteuer vergleichbar. Es macht keinen Unterschied, ob der Täter Vorsteuern oder Betriebsausgaben „nachschiebt“. Den Stimmen in der Literatur, die den Vorsteuerabzug als ein „antragsgebundenes“ Recht betrachten, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Auch wenn der Wortlaut des § 15 Abs. 1 UStG in dieser Weise gelesen werden kann (§ 15 Abs. 1 UStG „kann abziehen“), ist diese Lesart nicht zwingend und würde zudem dem o.g.360 Neutralitätsgrundsatz der Umsatzsteuer zuwiderlaufen. In der maßgeblichen EuGH-Rechtsprechung361 wird das Vorsteuerrecht nicht als formal antragsgebunden gesehen. Die Mitteilung von Besteuerungsgrundlagen ist selbstverständlich maßgebend dafür, dass das Finanzamt vom Vorsteueranspruch Kenntnis erlangt. Diese Tatsachenmitteilung ist allerdings keine Wahlrechtsaus357 Böhme, NZWiSt 2019, 104, 106; im Ergebnis ebenso Ibold, wistra 2019, 313, 320. 358 So auch Schott in Hüls/Reichling, § 370, Rn. 246. 359 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307. 360 Siehe S. 25 f. 361 EuGH v. 15.09.2016 - C-516/14, ECLI:EU:C:2016:690, UR 2016, 795, siehe S. 14 kritisch dazu Stadie in Rau/Dürrwächter, § 15, Rn. 124.1 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

übung. Eine gegenteilige Lesart stünde zudem im Widerspruch zu der BGH- und BFH-Rechtsprechung zur Anwendung des Kompensationsverbots im Zusammenhang mit dem Abzug von Vorsteuern bei innergemeinschaftlichen Erwerben.362 Der BGH und der BFH wenden beide in diesen Fällen (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG) das Kompensationsverbot nicht an, obwohl auch diesbezüglich die gleiche Eingangsformulierung des § 15 Abs. 1 UStG („kann abziehen“) gilt. Beide Gerichte gehen daher offenkundig davon aus, dass kein Antrag (ggf. in Form des tatsächlichen Abzugs) für eine Kompensation erforderlich ist. Die meisten Stimmen in der Literatur liegen eng beieinander und gehen im Kern übereinstimmend davon aus, dass das Kompensationsverbot Situationen erfasst, in denen eine konkrete Gefahr für den gesetzlichen Steueranspruch besteht, der ohne das Kompensationsverbot strafrechtlich nicht geschützt wäre. Hinsichtlich des Grads der Gefährdung gehen die Meinungen jedoch – wie oben erkennbar – auseinander. Nöhren363 sieht keine Gefährdung bei „einem einheitlichen Lebenszusammenhang“ und ist damit – wenn auch mit anderer Begründung – im Ergebnis vermutlich364 sehr nah bei der Auffassung des BGH, jedenfalls bei „Stoffgleichheit“ von gekauftem und verkauftem Gegenstand eine Kompensation zuzulassen. Die Sichtweise von Nöhren ist jedoch zu eng. Der Auffassung von Reiß u.a.365 ist zuzustimmen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH, des BFH und der neuen Rechtsprechung des BGH, die einen unmittelbaren Zusammenhang annehmen. Reiß ist ferner zuzustimmen, dass keine Gefahr besteht, dass Vorsteuern „nachgeschoben“ werden, ohne dass dies zu einer Aufdeckung der verschwiegenen Ausgangsumsätze führt. Je nach Fallgestaltung muss derjenige, der Vorsteuern „nachschiebt“, mit einer Betriebsprüfung bzw. Umsatzsteuersonderprüfung rechnen, die in den Blick nimmt, ob ggf. auch Ausgangsumsätze fehlen. Die Forderung von Schindhelm, Reiß u.a., dass es sich für eine Kompensation von der Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze und der Vorsteuer auf Eingangsumsätze um Vorgänge desselben Voranmeldungszeitraums/Besteuerungszeitraums handeln muss, versteht sich von selbst. Dies ist keine Frage des Kompensationsverbots, sondern des materiellen Tatbegriffs (jede Voranmeldung und die Jahreserklärung stellen gesonderte Taten dar366) und ist dem Blankett362 Siehe S. 70 f. 363 Nöhren, S.129. 364 Konkrete Situationen bzw. Beispiele beschreibt Nöhren nicht. 365 Siehe S. 58 f. 366 Siehe S. 370 ff.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

charakter der Steuerhinterziehung geschuldet. Es handelt sich um eine steuerliche Frage, die darüber entscheidet, wann die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG erfüllt sind und, ob diese die Steuer der gleichen materiellen Tat mindert. Unbeachtlich ist daher für die Frage der Unmittelbarkeit – worauf Reiß ausdrücklich hinweist – ob die Eingangsumsätze im selben Besteuerungszeitraum bzw. Tatzeitraum zu Ausgangsumsätzen geführt haben. Es kann daher festgehalten werden, dass Vorsteuern – teils entgegen der BGH-Rechtsprechung – grds. nicht dem Kompensationsverbot unterliegen. Ob sie bei der hinterzogenen Steuer auf Ausgangsumsätze abge­zogen werden können, hängt davon ab, ob die Voraussetzungen für die Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG im gleichen Voranmeldungszeitraum/Besteuerungszeitraum vorliegen. Ungeachtet der Frage, ob das Kompensationsverbot auf Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG anzuwenden ist oder nicht, wird zunehmend mehr die steuerliche Vorfrage Bedeutung erlangen, ob die in Rede stehenden Vorsteuern möglicherweise bereits steuerlich vor dem Hintergrund der Missbrauchsrechtsprechung des EuGH367 bzw. nach § 25f UStG-E368 vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen sind.369 Dies ist dann der Fall, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich an einem Umsatz beteiligt, der von einem anderen Beteiligten auf einer vorhergehenden oder nachgehenden Umsatzstufe in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war. (2) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG – Einfuhr Ob in Bezug auf die Einfuhrumsatzsteuer370 das Kompensationsverbot Anwendung findet, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Mit Urteil vom 24.10.1990371 und Beschluss vom 26.06.2012372 hat der BGH zur Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer klargestellt, dass die Einfuhrumsatzsteuer und der Vorsteuerabzug bei der Weiterveräußerung von Waren auf unterschiedlichen wirtschaftlichen Sachverhalten beruhen, die nicht nur zeitlich auseinanderfallen, sondern auch in unter-

367 Siehe S. 235 ff. 368 Siehe hierzu S. 263 f. 369 So auch Madauß, NZWiSt 2019, 101, 103; Pflaum, wistra 2019, 111, 112.  370 Siehe S. 198 f. 371 BGH v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107. 372 BGH v. 26.06.2012 - 1 StR 289/12, NStZ 2012, 639.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

schiedliche Steueranmeldungen Eingang finden. Die Frage der Anwendung des Kompensationsverbots stelle sich daher nicht. Seine diesbezüglichen Ausführungen vertieft der BGH dann mit Beschluss vom 04.09.2013.373 Die Einfuhrumsatzsteuer werde nach den Vorschriften des Zollrechts in einem Zollverfahren (§ 21 Abs. 2 UStG) festgesetzt, wobei in diesem Verfahren der Vorsteuerabzug gerade nicht stattfinde.374 Dieser werde in einem gesonderten Besteuerungsverfahren nach § 18 UStG festgesetzt. Es handele sich um unterschiedliche wirtschaftliche Sachverhalte. Ungeachtet dessen fielen die beiden Verfahren auch zeitlich auseinander und eine Gefährdung für das Umsatzsteueraufkommen trete bereits mit dem Verstoß gegen die Erklärungspflichten bei der Einfuhr in das Bundesgebiet ein. Auch der BFH375 sah – wie der BGH – hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer und des Vorsteuerabzugs aus der Einfuhr keinen Anwendungsfall des Kompensationsverbots. Ein etwaiger Anspruch auf Vorsteuerabzug könne allenfalls erst nach Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer bestehen. Umstände, die aber erst nach der Festsetzung der Einfuhrumsatzsteuer eintreten können, blieben aber schon nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO außer Betracht. § 370 Abs. 4 S. 3 AO beziehe sich auf die nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO hinterzogene Steuer selbst und schließe nur bestimmte Vorteile wieder aus, die aber nach S. 1 der Vorschrift bereits berücksichtigt sind. In einer jüngeren Entscheidung des BFH vom 21.05.2014376 zur Vorsteuer beim innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG wird aber zum Teil eine Abkehr von dieser Rechtsprechung des BFH dergestalt gesehen, dass der BFH auch hinsichtlich der Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG in Bezug auf die Einfuhrumsatzsteuer seine Rechtsprechung ändern und eine Ausnahme vom Kompensationsverbot annehmen wird.377

373 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102; so auch Schindhelm, S. 151 hinsichtlich eines Saldierungsausschlusses aufgrund zwei verschiedener Steuerarten. 374 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102, 103.  375 BFH v. 12.10.1993 - VI R 44/93, BStBl. II 1994, 438 zur Verzinsung von hinterzogenen Steuern. 376 BFH v. 21.05.2014 - V R 34/13, NZWiSt 2015, 111, 116 (Umsetzung der EuGH-­ Rechtsprechung in der Rechtssache R v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:​ 742, BStBl. II 2011, 846, siehe S. 215 ff.). 377 Siehe dazu S. 70.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Im Fall der Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer ist innerhalb der Literatur umstritten, ob das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO Anwendung findet oder es in diesem Fall gar nicht tangiert wird, weil bereits auf der Ebene des Steuerrechts hinsichtlich der Frage der verkürzten Steuer nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO nicht kompensiert werde. Ransiek378 folgt der Ansicht des BGH. Der Verkürzungserfolg der Einfuhr­ umsatzsteuer trete durch die unrichtige Zollanmeldung ein, obwohl entrichtete Einfuhrumsatzsteuer nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG a.F. als Vorsteuer geltend gemacht werden könne. Hierdurch könne „der bereits eingetretene Hinterziehungserfolg nicht rückwirkend entfallen“ und das Kompensationsverbot sei nicht berührt. Diesbezüglich ergebe sich auch keine andere Beurteilung durch die Änderung von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG, welche die EuGH-Rechtsprechung379 umsetzt, wonach die Einfuhr­ umsatzsteuer bereits mit der Entstehung und nicht erst – wie vorher – mit der Zahlung derselbigen als Vorsteuer abziehbar ist.380 Bülte381 ist der Auffassung, dass der Beschluss des BGH vom 26.06.2012 zu Recht nicht auf einen wirtschaftlichen oder ursächlichen Zusammenhang, sondern auf einen „zwingenden Erklärungszusammenhang“ abstelle. Daher komme ein Ausgleich nur bei der „inneren Umsatzsteuer“ (gemeint ist die Umsatzsteuer beim Weiterverkauf), nicht aber bei der Einfuhrumsatzsteuer in Betracht. Wo aber bereits kein Vorteil besteht, könne eine Verkürzung nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO auch nicht ausgeglichen werden. Bülte wirft allerdings die Frage auf, ob die BGH-Rechtsprechung noch in Einklang mit der jüngeren Rechtsprechung des BFH vom 21.05.2014382 zur Anwendung des Kompensationsverbots bei innergemeinschaftlichen Erwerben383 steht. Die Ausgangslage sei identisch, weil „die Einfuhr und der den Vorsteueranspruch auslösende Eingangsumsatz tatsächlich denselben Sachverhalt“ abbilden. Es gehe nicht um das ­Kompensationsverbot, weil „kein innerhalb des Umsatzsteuerverfahrens kompensationsfähiger Anspruch“ entstehe, da verschiedene Verfahren betroffen seien. Dennoch gelangt Bülte nach seinem Verständnis vom Kompensationsverbot384 zu einem anderen Ergebnis als der BGH. Die Ar378 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 534. 379 EuGH v. 29.03.2012 - C-414/10, ECLI:EU:C:2012:183, DStR 2012, 697.  380 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 534. 381 Bülte, NZWiSt 2016, 52, 57. 382 BFH v. 21.05.2014 - V R 34/13, NZWiSt 2015, 111, sog. Segelyachtentscheidung und Nachfolgeentscheidung zur Teleos-Entscheidung des EuGH v. 27.09.2009 C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548, BStBl. II 2009, 70, siehe S. 207 ff. 383 Siehe sogleich S. 70 f. 384 Siehe S. 52.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

gumentation des BGH sei nicht so stimmig, wie der erste Eindruck vielleicht vermittele. Bülte – der die Norm des § 370 Abs. 1 AO nicht als Blankettvorschrift, sondern als Vorschrift mit normativen Tatbestandsmerkmalen einordnet385 – stuft es als begründungsbedürftig ein, auf die „Formalia des Steuerverfahrensrecht abzustellen“. Der Begriff der Steuerverkürzung sei ein strafrechtliches Tatbestandsmerkmal. Die Argumentation der zwei getrennten Verfahren sei aber eine steuerliche Argumentation und daher „strafrechtlich nicht stichhaltig“. Der Begriff der strafrechtlichen Verkürzung sei „strafrechtlich, also rechtsgutbezogen“, zu fassen. Es sei daher unerheblich, in welchen steuerlichen Verfahren die einzelnen Ansprüche entstehen. § 370 Abs. 4 S. 3 AO sei daher zwar bei der Hinterziehung von Einfuhrumsatzsteuer nicht unmittelbar anwendbar, gebe „aber einen strafrechtlichen Verkürzungsbegriff vor, der die Verrechnung von Einfuhrumsatzsteuer und Vorsteuer [zulässt], sogar verfassungsrechtlich fordert.“ Dies sieht im Kern auch Kirch-Heim386 so. Aufgrund der unmittelbaren Kompensation von Vorsteuer und Einfuhrumsatzsteuer fehle es bereits an einer Steuerverkürzung. Ebenso Beyer387, welcher anführt, dass das Argument der zwei verschiedenen Verfahren eine zu formale Betrachtung darstelle. Wulf388 weist darauf hin, dass für eine Schadenswiedergutmachung zuerst einmal ein Schaden eingetreten sein muss. Dies aber sei spätestens seit der EuGH-Entscheidung vom 29.03.2012 nicht mehr der Fall, da bereits mit der Einfuhr das Recht auf Vorsteuerabzug bestehe. Er sieht daher – wie Bülte – weder eine Schädigung des Fiskalvermögens noch eine Gefährdung des Steueraufkommens und spricht von allenfalls „virtuellen Einfuhrumsatzsteuerverkürzungen“. Ebenso auch Beckschäfer389, der diesbezüglich von einer lediglich „abstrakte[n] Gefährdung des Steueraufkommens“ spricht. Auch Nöhren390 sieht keine Gefährdung für das Steueraufkommen, da die Einfuhrumsatzsteuer und der Vorsteueranspruch miteinander korrespondieren. Sie folgert daraus, dass keine „anderen Gründe“ i.S.d. Kompen­ sationsverbots vorliegen. Es sei nicht denkbar, dass der Erwerber einen

385 Siehe S. 30.  386 Kirch-Heim, NStZ 2014, 104, 105.  387 Beyer, NWB 2016, 772, 775 f. 388 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 117. 389 Beckschäfer, ZWH 2012, 504, 505. 390 Nöhren, S. 130.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

höheren Vorsteueranspruch geltend macht, als er gleichzeitig als Einfuhr­ umsatzsteuer deklariert.391 Schindhelm392 ist – wie der BGH – der Auffassung, dass es sich bei der Vorsteuer betreffend die Einfuhrumsatzsteuer sowie der Einfuhrumsatzsteuer als solcher um zwei verschiedene Steuerarten handelt, welche einer (strafrechtlichen) Verrechnung nicht zugänglich sind. Schon ohne die Anwendung des Kompensationsverbots ergebe sich ein Verrechnungsausschluss. Jedenfalls dann, wenn der Weiterverkauf der eingeführten Waren zutreffend angemeldet und versteuert wird, kann dem Fiskus kein Schaden entstehen. Wenn die Einfuhrumsatzsteuer erklärt wird, kann sie von der Steuer beim Weiterverkauf abgezogen werden. Wurde die Einfuhrumsatzsteuer nicht erklärt, kann sie auch nicht abgezogen werden. Mit Bülte und anderen ist daher der Begriff der „verkürzten Steuer“ nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO im strafrechtlichen Sinne rechtsgutbezogen zu verstehen und die beiden Verfahren (Besteuerungsverfahren nach dem UStG und das Zollverfahren) sind gemeinsam saldierend auf der ersten Stufe in den Blick zu nehmen. Mangels Gefahr für das Steueraufkommen findet sodann auf der zweiten Stufe das Kompensationsverbot des § 374 Abs. 4 S. 3 AO keine Anwendung. Aber auch wenn der Weiterverkauf der eingeführten Waren nicht angemeldet und versteuert wird, besteht jedenfalls „durch die Einfuhr“ keine zusätzliche Gefahr für das Steueraufkommen. Wenn die Einfuhrumsatzsteuer erklärt wird, kann sie von der Steuer beim Weiterverkauf abgezogen werden. Wurde die Einfuhrumsatzsteuer nicht erklärt, kann sie auch nicht abgezogen werden. Hinsichtlich der Einfuhr gilt das oben Gesagte. Strafbar nach § 370 Abs. 1 und Abs. 4 AO bleibt selbstverständlich der unversteuerte Weiterverkauf, was aber nichts mit der Einfuhr zu tun hat. Abgesehen vom Vorstehenden stellt die steuerverfahrensrechtliche Behandlung (Gesetzestechnik) zudem keinen sachgerechten Grund für eine strafrechtliche Differenzierung dergestalt dar, ob ein Verkürzungserfolg vorliegt oder nicht. Die Vorsteuer auf Einfuhren ist daher ebenso zu behandeln wie die Vorsteuer auf einen innergemeinschaftlichen Erwerb (dazu nachstehend).

391 Nöhren, S. 130. 392 Schindhelm, S. 150.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

(3) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG – innergemeinschaftlicher Erwerb Ob beim innergemeinschaftlichen Erwerb das Kompensationsverbot Anwendung findet, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Mit Beschluss vom 04.09.2013393 hat der BGH in einem Obiter Dictum klargestellt, dass er diesbezüglich eine Ausnahme vom Kompensationsverbot annehmen wird, weil bei der Vorsteuer § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG „für den innergemeinschaftlichen Erwerb […] ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang […] besteht“. Auch der BFH hat mit Urteil vom 21.05.2014394 entschieden, dass das Kompensationsverbot „im Hinblick auf die Versteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs und der sich hieraus ergebenden Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG“ nicht gelte, da der innergemeinschaftliche Erwerb und die innergemeinschaftliche Lieferung den gleichen wirtschaftlichen Vorgang darstellen. Bereits vor der BFH-Entscheidung vom 21.05.2014 wurde in der Literatur die Nichtanwendbarkeit des Kompensationsverbots gefordert. Nach Erb395 handelt es sich hierbei nicht um einen „anderen Grund“ i.S.d. § 370 Abs. 4 S. 3 AO. Vielmehr bestehe wegen des gleichzeitigen Entstehens von Steuer- und Erstattungsanspruch ein anderer Zusammenhang als sonst bei Vorsteuern.396 Der für die Annahme einer Aus­ nahme vom Kompensationsverbot erforderliche enge wirtschaftliche Zusammenhang könne somit bejaht werden. In teleologischer Hinsicht führt er an, dass die Saldierung von Steueranspruch und Vorsteuerabzug offenkundig und ein Neuaufrollen des Steueranspruchs im Strafverfahren ohnehin nicht erforderlich sei. Bei den für den Steuerpflichtigen existierenden Aufzeichnungspflichten handele es sich lediglich um formelle Obliegenheiten, welche auf die Saldierung keinen Einfluss haben. Nöhren397 führt zum innergemeinschaftlichen Erwerb aus, dass die Konstellation nicht denkbar sei, in welcher ein höherer Vorsteuerabzug als 393 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102, 105; so verstehen auch Kaiser/ Bangert, PStR 2015, 241, 242 den BGH. 394 BFH v. 21.05.2014 - V R 34/13, NZWiSt 2015, 111, 116 zur Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache R v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:​ 2010:742, BStBl. II 2011, 846; siehe auch S. 215 ff. 395 Erb, PStR 2009, 95, 96; im Ergebnis ebenso Reiß in FS Mehle, S. 497, 521. 396 Erb, PStR 2009, 95, 97, welcher in diesem Kontext von einem liquiditätsneutralen „Nullsummenspiel“ spricht. 397 Nöhren, S. 131.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

der steuerpflichtige Erwerb in Ansatz gebracht wird. Sie schlussfolgert, dass durch besondere diesbezügliche Kontrollmaßnahmen, bei welchen die abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen geprüft werden, eine hohe Tatentdeckungsgefahr bestünde, infolgedessen es sich bei den Vorsteuerabzugsbeträgen nicht um andere Gründe i.S.d. § 370 Abs. 4 S. 3 AO handele, sodass auch das Kompensa­ tionsverbot keine Anwendung finde. Diese Entscheidung des BFH vom 21.05.2014 findet sodann in der Literatur breite Zustimmung.398 Kaiser/Bangert399 weisen darauf hin, dass der Zusammenhang in diesem Fall nicht „unmittelbarer […] sein“ könnte und eine „Ausnahme […] nahezu zwingend“ sei. Gehm400 sieht hierin sogar eine Abkehr von der bisherigen BFH-Rechtsprechung401 und schließt hieraus, dass der BFH auch hinsichtlich der Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG in Bezug auf die Einfuhrumsatzsteuer seine Rechtsprechung ändern und eine Ausnahme vom Kompensationsverbot annehmen wird. Es kann mithin festgehalten werden, dass die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG zu Recht nicht dem Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S.3 AO unterliegt. (4) Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG – Reverse-Charge Wie bereits oben402 ausgeführt, ist in § 13b UStG für einige Fälle eine Umkehr der Steuerschuldnerschaft geregelt, sog. Reverse-Charge-Verfahren. Dies bedeutet, dass der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer – wie eigene Ausgangsumsätze – selbst anmelden muss. Gleichzeitig steht ihm aber nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG der Vorsteuerabzug dafür zu. Mit dem bereits oben im Zusammenhang mit Einfuhren403 und in­ nergemeinschaftlichen Lieferungen404 angesprochenen Beschluss vom

398 Peter/Trinks, PStR 2016, 272, 274; Beyer, NWB 2016, 772, 775; Joecks in Joecks/ Jäger/Randt, § 370, Rn. 105; Beneke, BB 2015, 407, 410. 399 Kaiser/Bangert, PStR 2015, 241, 242. 400 Gehm, NZWiSt 2015, 111, 117. 401 BFH v. 12.10.1993 - VII R 44/93, BStBl. II 1994, 438; siehe S. 66. 402 Siehe S. 12. 403 Siehe S. 66. 404 Siehe S. 70.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

04.09.2013405 hat der BGH in einem Obiter Dictum ebenfalls klargestellt, dass er diesbezüglich eine Ausnahme vom Kompensationsverbot annehmen wird, weil bei der Vorsteuer „für […] das Reverse-Charge-Verfahren […] ein unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang […] besteht“. Der BFH hat sich hierzu noch nicht geäußert. Der o.g.406 BFH-Entscheidung vom 21.05.2014 zum Kompensationsverbot beim innergemeinschaftlichen Erwerb kann aber im Ergebnis entnommen werden, dass der BFH auch hinsichtlich des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 UStG kein Kompensationsverbot annehmen wird. Die wirtschaftliche Verknüpfung und die Ungefährlichkeit für das Steueraufkommen sind in beiden Fällen identisch. Schindhelm407 kommt zu dem Ergebnis, dass vorliegend das Kompensationsverbot nicht eingreife, da „in solchen Fällen von einem Ausgleich zwischen geschuldeter Eingangsumsatzsteuer nach § 13b UStG und Vorsteuerabzugsmöglichkeit derselben ausgegangen werde“. Kaiser/Bangert408 weisen darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Umsatzsteuer und Vorsteuer nicht unmittelbarer sein kann, da beide „im gleichen Moment“ entstünden. Dennoch sehen sie eine Rechtsunsicherheit, da eine Klärung durch den BGH noch ausstünde. So im Ergebnis auch Kaiser/Schwarz409, die anführen, dass sich „der geschuldete Umsatzsteuerbetrag und der abziehbare Vorsteuerbetrag ‚liquiditätsneutral und zeitgleich‘ gegenüber[stehen]“, sodass es sich um einen „wirtschaftlich identische[n] Sachverhalt“ handelt. Hieraus folge, dass – sofern man überhaupt eine Steuerverkürzung unterstellt – eine Ausnahme vom Kompensationsverbot vorliegt. Peter/Trinks410 lehnen im Zusammenhang mit § 13b-Fällen die Anwendbarkeit des Kompensationsverbots ab, da zum einen in der Umkehr der Steuerschuldnerschaft ein innerer Zusammenhang zu sehen sei und zum anderen eine Anwendung konstruiert wirke. Bei diesen Fällen liege aufgrund der unmittelbaren Abzugsfähigkeit der Umsatzsteuer als Vorsteuer eine „unlösbare und direkte Verbindung“ vor.

405 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102, 105; so verstehen auch Kaiser/ Bangert, PStR 2015, 241, 242 den BGH. 406 Siehe S. 70. 407 Schindhelm, S. 152. 408 Kaiser/Bangert, PStR 2015, 241, 242. 409 Kaiser/Schwarz, MwStR 2015, 165, 171. 410 Peter/Trinks, PStR 2016, 272, 275.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Joecks411 merkt kritisch an, dass „auch der BGH […] wohl kaum eine Steuerverkürzung annehmen wolle, wenn der zum Vorsteuerabzug berechtigte Leistungsempfänger die nach §§ 13b Abs. 2, § 18 Abs. 4a UStG gebotene Anmeldung unterlässt“. Für eine Ausnahme vom Kompensationsverbot ebenso Beyer412, Reiß413, von der Meden414 und Hoffmann415. Es kann mithin festgehalten werden, dass die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG zu Recht nicht dem Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO unterliegt. (5) Vorsteuer bei Unterlassungstaten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Ob das Kompensationsverbot auch dann greift, wenn der Täter gar keine Angaben gemacht hat, also eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht, ist umstritten. Dieser Problematik kommt bei der Umsatzsteuer besondere praktische Bedeutung zu, da ­wegen des Charakters der Umsatzsteuer als Fälligkeits- bzw. Anmelde­ steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen besonders häufig vorkommt. Der BGH416 ist – ohne nähere Begründung – der Auffassung, dass das Kompensationsverbot in Bezug auf nicht geltend gemachte Vorsteuern auch dann Anwendung findet, wenn die Steuerhinterziehung durch Unterlassen, also durch Nichtabgabe bzw. verspätete Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen oder Umsatzsteuerjahreserklärungen, begangen wird. In der Entscheidung vom 13.09.2018 hat der BGH417 diese Frage allerdings ausdrücklich offengelassen. Die überwiegende Literatur418 lehnt im Fall der Steuerhinterziehung durch Unterlassen das Vorliegen eines „anderen Grundes“ ab. Begründet 411 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 100. 412 Beyer, NWB 2016, 772, 775. 413 Reiß in FS Mehle, S. 497, 521. 414 Von der Meden, DStR 2019, 600, 602. 415 Hoffmann, MwStR 2019, 167, 168. 416 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152; v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107. 417 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71. 418 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 99; so auch Meine, wistra 1982, 129, 133 f.; Müller, AO-StB 2003, 131, 132; Nöhren, S. 124; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, § 370 AO, Rn. 312; Schindhelm, S. 110, 158 f.; Wagner in Simon/Wagner, S. 72 f.; Schott in Hüls/Reichling, § 370, Rn. 247; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 318; im Ergebnis auch Ibold, wistra 2019, 313, 318; einschränkend Schmitz/

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

wird dies mit dem Argument, dass „andere Gründe“ schon begrifflich nicht in den Fällen vorliegen können, „wo der Täter überhaupt keine Gründe vorgetragen hat“, da es sich bei den nachträglich angeführten nicht um „andere“ handeln kann.419 § 370 Abs. 4 S. 3 AO findet nach dieser Auffassung mithin in den Fällen keine Anwendung, in denen keine Steuererklärung eingereicht wurde. Unter „anderen Gründen“ müssen demnach „andere als die bisher vorgetragenen Gründe“ verstanden werden.420 Joecks421 merkt kritisch an, dass es im diesbezüglichen BGH-Urteil422 an einer entsprechenden Begründung fehlt und es zudem zu der nicht bedachten Konsequenz käme, in Einkommensteuererklärungsfällen ebenso zu verfahren, was dazu führe, dass Gegenstand der Verkürzung nicht mehr die Steuer auf das Einkommen sei, sondern „eine Steuer auf den Gewinn abzüglich zuordenbarer Betriebsausgaben“. Dies müsste zur Folge haben, dass ebenso bei der unterlassenen Abgabe von Einkommensteuererklärungen verfahren werden müsste. Positionen, die erst nach dem Gesamtbetrag der Einkünfte hin zum zu versteuernden Einkommen abzuziehen sind, dürften dann konsequenterweise nicht mehr berücksichtigt werden. Joecks423 kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass nur bei einem tatsächlichen Vortrag von Gründen gegenüber dem Finanzamt von „anderen Gründen“ gesprochen werden kann. Schmitz/Wulf424 ziehen in Erwägung, dass zugunsten der BGH-Rechtsprechung das Argument sprechen könne, „dass der Unternehmer den Steuerabzug vorzunehmen hat (§ 16 Abs. 2 S. 1 UStG)“.425 Dem sei jedoch entgegenzusetzen, dass für den Steuerpflichtigen keine Verpflichtung zum Abzug von Vorsteuerbeträgen oder zur Geltendmachung von WerWulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 159 „für die Fälle, in denen weder eine Steuer­ erklärung abgegeben wurde noch eine Steuerfestsetzung ergangen ist, die als Vergleichsmaßstab für die Bestimmung der angeschlossenen ‚anderen Gründe‘ dienen könnte“. 419 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 99, 102; so auch Beck, wistra 1998, 131, 134; Bilsdorfer, DStZ 1983, 447, 452 f. 420 Schindhelm, S. 159; im Ergebnis auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 102. 421 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 100. So auch Heuel in GS Joecks, S. 497, 511.  422 BGH v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107. 423 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 102. 424 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 160. 425 Siehe auch die Auffassungen von Menke S. 51 sowie Peters S. 52 und Peter/Trinks, PStR 2016, 272, 273 zur Berücksichtigung von Vorsteuern bei der Anwendung des Kompensationsverbots.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

bungskosten besteht.426 Für die Besteuerung maßgeblich sei nach Sinn und Zweck des UStG und des EStG lediglich die Differenz aus Umsatzsteuerbelastung und Vorsteuervergütung bzw. Werbungskosten und Einnahmen. Sie sprechen sich daher ebenfalls gegen die Anwendbarkeit in Fällen aus, in denen keine Festsetzung aufgrund fehlender eingereichter Steuererklärung erfolgt. Wulf/Hinz427 sind der Auffassung, dass die bisherige Rechtsprechung des BGH428 durch das Urteil des BGH429 vom 13.09.2018 überholt ist, da die Grundlage für die bisherige Rechtsprechung entfallen sei. Andere Literaturstimmen430 lehnen diese überwiegende Literaturansicht ab und folgen – mit teils unterschiedlicher Begründung – dem BGH. Begründet wird dies damit, dass der Wortlaut nicht zwingend für die angeführte Auslegung der überwiegenden Literaturansicht spreche, da dieser auch insofern verstanden werden könne, „dass Gründe vorhanden gewesen sein müssen, die den Tatbestandserfolg herbeigeführt haben“.431 Unter diese Gründe fielen alle den Verkürzungserfolg verursachenden Tathandlungen des § 370 Abs. 1 AO und mithin auch die Begehung durch Unterlassen. Unter „andere Gründe“ i.S.d. § 370 Abs. 1 AO sollen daher „solche [fallen], die unabhängig von den Tathandlungen die Steuer hätten ermäßigen können“. Andernfalls wäre im Vergleich der Steuerpflichtige bessergestellt, welcher steuerliche Angaben in Gänze unterlässt zu demjenigen, dessen Angaben nur zum Teil unvollständig sind.432 Darüber hinaus wird zugunsten dieser Auffassung angeführt, dass sich aus dem ­Gesetz auch keine Differenzierung zwischen einer unvollständigen Erklärung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und der Nichtabgabe nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ergebe.433 Reiß434 weist ferner darauf hin, dass im Fall der Nichtabgabe von Steueranmeldungen nicht alle Vorsteuern dem Kompensationsverbot unterliegen. Auch hier sei – wie bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO – zwischen „anderen 426 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 160. 427 Wulf/Hinz, Stbg 2019, 320, 323. 428 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152; v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107. 429 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71. 430 Bülte, NZWiSt 2016, 52, 56 f.; Lilje/Müller, wistra 2001, 205, 209; Peters in ­Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 374; Menke, wistra 2006, 167, 168; Reiß in FS Mehle, S. 497, 510; Wenzel, NWB 2019, 879, 881. 431 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 519. 432 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 520. 433 Reiß in FS Mehle, S. 497, 509; so auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 519 f. 434 Reiß in FS Mehle, S. 497, 509, 510; zustimmend Bülte, NZWiSt 2016, 52, 57.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Gründen“ und „zwingend […] strafrechtlich zu berücksichtigenden Ermäßigungen wegen des unmittelbaren Zusammenhanges“ zu unterscheiden. In der Unterlassensalternative seien mutmaßlich in viel größerem Umfang nicht erklärte steuermindernde Umstände (z.B. Vorsteuern) auch steuerstrafrechtlich zu berücksichtigen, da dem vollständigen Nichterklären aller steuerbegründenden/erhöhenden Tatsachen gegenübersteht, dass alle in unmittelbarem (steuerlichen) Zusammenhang mit diesen Tatsachen stehenden mindernden Tatsachen ebenfalls zu berücksichtigen sind. Im Ergebnis seien daher (nur) die Vorsteuern, die anderen Voranmeldungs- bzw. Besteuerungszeiträumen zuzuordnen sind, sowie Vorsteuern, für die zwar ein Vorsteuerabzug zugelassen ist, die aber mit steuerfreien oder nicht steuerbaren Umsätzen in Verbindung stehen, von der Kompensation ausgeschlossen. Meines Erachtens sollte – wenn man schon mit dem BGH und Teilen der Literatur den Vorsteuerabzug dem Grunde nach dem Kompensationsverbot unterwirft – dies jedenfalls auf die Abgabefälle des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO beschränkt sein. Es ist sprachlich mehr als nachvollziehbar, dass nur bei tatsächlich gegenüber dem Finanzamt vorgetragenen Gründen von „anderen Gründen“ gesprochen werden kann. Hierin mit der Gegenmeinung „für die Besteuerung relevante Gründe“ zu sehen, ist Wortklauberei. Abgesehen davon besteht die typische Gefährdungslage des „straflosen Nachschiebens von Gründen“ in den Unterlassungsfällen nicht. Dies, da das Finanzamt ja gerade noch keine Steuererklärung vorliegen hat und mithin ohnehin den gesamten Fall steuerlich und strafrechtlich (die Unterlassungstat) in den Blick nimmt. Hierzu wird der Täter dann regelmäßig die bislang nicht abgegebene Steueranmeldung nachreichen. Dann aber müsste lo­ gischerweise die Steueranmeldung – um das Hinterziehungsvolumen festzustellen – genauso geprüft werden, als wäre die Steueranmeldung fristgerecht eingereicht worden. Die Gefährdungslage des „straflosen Nachschiebens“ könnte erst dann eintreten, wenn nach der verspätet abgegebenen Steuererklärung nochmals „nachgeschoben“ würde. Zu Ende gedacht, dürften sich die Meinungen in der Literatur vom Ergebnis her aber auch nicht so weit – wie man es auf den ersten Blick vermuten würde – unterscheiden. Betroffen sind – jedenfalls nach Reiß – lediglich zwei Arten von Vorsteuerbeträgen. Erstens die Vorsteuern, die anderen Voranmeldungs- bzw. Besteuerungszeiträumen zuzuordnen sind. Diese sind aber ohnehin nicht geeignet, das Hinterziehungsvolumen für die konkret vorgeworfene Tat zu vermindern. Diesbezüglich handelt es sich nicht um eine Frage des Kompensationsverbots, sondern 76

B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

schlicht um eine steuerliche Vorfrage. Diese Vorsteuern können ohnehin nur das Hinterziehungsvolumen für eine Tat – bei der sich dann die Frage der Anwendung des Kompensationsverbots stellt – in Bezug auf einen anderen Voranmeldungs- bzw. Besteuerungszeitraum mindern. Zweitens die Vorsteuern, für die zwar ein Vorsteuerabzug zugelassen ist, die aber mit steuerfreien oder nicht steuerbaren Umsätzen in Verbindung stehen. Diesbezüglich wäre es aber geradezu widersinnig, gerade diese Vorsteuern, denen bereits begriffsnotwendig keine steuerpflichtigen Umsätze gegenüberstehen können und hinsichtlich derer daher überhaupt keine Gefahr des „straflosen Nachschiebens“ besteht, von der Kompensation auszuschließen. Dieses unsachgerechte Ergebnis mag als weiterer Beleg dafür dienen, die Fälle des Unterlassens nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vom Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO gänzlich auszuschließen. § 370 Abs. 4 S. 3 AO ist daher teleologisch entsprechend zu reduzieren. (6) Schätzungen Auch im Zusammenhang mit Schätzungen im Strafverfahren stellt sich die Frage, ob hier das Kompensationsverbot Anwendung finden kann. Dieser Fall hängt naturgemäß eng mit der Beurteilung des Kompensationsverbots in den o.g. Unterlassungsfällen zusammen. Der BGH hat in der oben bereits genannten Entscheidung vom 18.04.1978435 das Kompensationsverbot in dem zu entscheidenden Schätzungsfall angewendet, ohne dies allerdings in den Urteilsgründen zu erwähnen bzw. zu begründen. Ransiek436, der auch in den Unterlassungsfällen dem BGH folgt und dort das Kompensationsverbot anwenden will, möchte dies – aus seiner Sicht konsequenterweise – auch bei geschätzten Besteuerungsgrundlagen anwenden. Reiß437 will – mit gleicher Begründung wie in den Unterlassungsfällen438 – das Kompensationsverbot nicht anwenden, wenn die Besteuerungsgrundlagen geschätzt wurden.

435 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151; siehe S. 53 f. 436 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 520. 437 Reiß in FS Mehle, S. 497, 511; so wohl auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 101. 438 Siehe S. 75 f.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Schmitz/Wulf439 und Schindhelm440 differenzieren hier nach dem Grund für die Schätzung, also danach, ob der Täter keine oder lediglich eine in Teilen unrichtige bzw. unvollständige Steuererklärung abgegeben hat. Im Fall der Schätzung bei Nichtabgabe sei nichts mitgeteilt worden und das Kompensationsverbot finde keine Anwendung. Im Fall der Schätzung aufgrund von unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben können in dieser Erklärung nicht mitgeteilte steuerermäßigende Tatsachen im ­ Nachhinein ausgeschlossen sein.441 Hiervon ausgenommen seien jedoch Umstände, welche sich auf Tatsachen beziehen, die ohnehin bei der Schätzung Berücksichtigung finden müssen, wie z.B. Vorsteuerbeträge, Betriebsausgaben oder Werbungskosten. Mit der im Rahmen dieser Arbeit vertretenen Auffassung zur Anwendung des Kompensationsverbots in Unterlassungsfällen ist die Ansicht von Schmitz/Wulf und Schindhelm konsequent und zutreffend. (7) Besonders schwerer Fall Die Auswirkungen des Kompensationsverbots auf einen besonders schweren Fall der Umsatzsteuerhinterziehung werden im weiteren Verlauf der Darstellung untersucht.442 (8) Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG Wenn sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz nachträglich ändert, hat der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer und der Empfänger die Vorsteuer entsprechend nach § 17 Abs. 1 bzw. Abs. 2 UStG zu berichtigen. Dies hat für den Besteuerungszeitraum zu erfolgen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. In diesem Zusammenhang wird gelegentlich auch die Frage nach der Anwendung des Kompensationsverbots gestellt. Richtigerweise stellt sich die Frage nach der Anwendung des Kompensationsverbots jedoch nicht, da in diesem Fall auf die Verhältnisse zur Tatzeit abzustellen ist.443 § 17 UStG wirkt nicht zurück und kann so die vollendete Steuerhinterziehung nicht im Nachhinein beseitigen.444 Dies 439 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 161. 440 Schindhelm, S. 157. 441 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 161. 442 Siehe S. 173 f. 443 BayObLG v. 16.10.1989 - RReg. 4 St 162/89, wistra 1990, 112; so auch Wagner in Simon/Wagner, S. 71; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 313. 444 Schindhelm, S. 154.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

sieht auch der BGH445 so. Ebenso Ransiek446, welcher indes zu Recht darauf hinweist, dass dies aber nur für die unrichtige Voranmeldung gilt. Hinsichtlich der – ggf. nach dem Eingreifen von § 17 UStG – hinterzogenen Jahresumsatzsteuer verhalte es sich hingegen so, dass der zu berücksichtigende rückgängig gemachte Umsatz nicht durch das Kompensa­ tionsverbot gesperrt sei, da hierin kein zur Verkürzung führender Umsatz gesehen werden könne. (9) In Voranmeldungen erklärte Vorsteuern bei Nichtabgabe/verspäteter Abgabe einer Jahreserklärung Im Zusammenhang mit dem Kompensationsverbot wird die Frage diskutiert, wie der Verkürzungsbetrag im Zusammenhang mit der Nichtabgabe einer Jahreserklärung zu berechnen ist, wenn richtige Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben wurden. Mit Urteil vom 10.07.2013 hat das AG Stuttgart447 in diesem Zusammenhang schlicht ausgeführt, dass „eine Anrechnung oder Kompensation mit bereits im Rahmen einer Umsatzsteuervoranmeldung erklärten Umsätzen […] nicht in Betracht [kommt]. Dies ergibt sich aus der Selbständigkeit der jeweiligen Erklärungen.“ Im Ausgangspunkt hat das AG Stuttgart Recht und es ist strafrechtlich von (bis zu 13) selbstständigen Taten448 in Bezug auf die Voranmeldungen und die Jahreserklärung auszugehen. Ungeachtet dessen stellt sich die Frage der Anrechnung von vorangemeldeten Beträgen nicht (erst) bei der Frage der Anwendung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO. Die Frage stellt sich bereits bei der Definition der Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO449 und wird nachstehend450 noch ausführlich behandelt. (10) Umsatzsteuerbefreiungen, § 4 UStG Hinsichtlich der in § 4 UStG geregelten Umsatzsteuerbefreiungen besteht Einigkeit451, dass hier das Kompensationsverbot nicht eingreift, 445 BGH v. 17.07.1984 - 5 StR 376/84, wistra 1984, 229, 230; siehe auch Bülte, NZWiSt 2016, 1, 6 f.; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 520. 446 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 530. 447 AG Stuttgart v. 10.07.2013 - 23 Cs 147 Js 95252/12, NZWiSt 2014, 279, 280 zu § 398a AO. 448 Siehe S. 367 f. 449 Siehe S. 35 f. 450 Siehe S. 89 ff. 451 Nöhren, S. 127; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 314; Bülte, NZWiSt 2016, 1, 7.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

weil es sich bei der Frage der Steuerentstehung und der der Steuerfreiheit um die steuerrechtliche Beurteilung desselben Vorgangs handelt. Nach dem BGH-Urteil vom 05.02.2004452 liegt dieser Zusammenhang jedoch dann nicht vor, „wenn der Befreiungstatbestand seinerseits ein weiteres verwaltungsrechtliches Prüfverfahren voraussetzt“ und dieses erst nach der Tat durchgeführt wird. In dem entschiedenen Fall hatte der Steuerpflichtige Bescheinigungen nach § 4 Nr. 21 a bb und b UStG teilweise erst nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens eingereicht. Der BGH bejahte in diesem Fall die Anwendung des Kompensationsverbots, infolgedessen die Bescheinigungen keine Berücksichtigung fanden. Nöhren453 lehnt hingegen die Anwendung des Kompensationsverbots auch in diesen Fällen ab, da ein unmittelbarer Zusammenhang aufgrund eines einheitlichen Vorgangs grds. gegeben sei. Der Steuerbefreiungstatbestand könne nicht geltend gemacht werden, ohne zugleich den Steuer­ entstehungstatbestand zu offenbaren. Diesbezüglich merkt Joecks454 kritisch an, dass „der BGH den Anwendungsbereich des § 370 Abs. 4 S. 3 AO auf die Vermeidung von Lästigkeiten“ reduziere, weil in diesen Fällen nicht das Risiko existierte, dass diese Bescheinigungen ohne Offenbarung der diesbezüglichen Umsätze eingereicht werden können. Ungeachtet dessen stelle sich aber die Frage der Anwendbarkeit des Kompensationsverbots nicht, da es sich – in dem vom BGH entschiedenen Fall – bei den Bescheinigungen um eine materielle Voraussetzung für den Vorsteuerabzug handele, die aber im Zeitpunkt der Tatbegehung nicht vorlagen. Die Ansicht von Joecks ist konsequent. Wenn die materiellen Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung zum Tatzeitpunkt nicht vorliegen, sind die Umsätze als steuerpflichtig zu behandeln und ggf. nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO hinterzogen. Mangels Steuerfreiheit im Tatzeitpunkt stellt sich auch nicht die Frage nach einer Kompensation. (11) § 14c UStG-Fälle – Scheinrechnungen In Fallgestaltungen mit Scheinrechnungen nach § 14c Abs. 2 UStG stellt sich ebenfalls die Frage nach der Anwendung des Kompensationsverbots. Derjenige, der die Umsatzsteuer unberechtigt ausweist, schuldet diese, wobei dem Rechnungsempfänger kein Vorsteuerabzug zusteht. Ein Zu452 BGH v. 05.02.2004 - 5 StR 420/03, wistra 2004, 147, 149. 453 Nöhren, S. 132. 454 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 106.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

sammenhang zwischen der nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldeten Steuer des Rechnungsausstellers und der unberechtigt geltend gemachten Vorsteuer des Rechnungsempfängers ergibt sich aber aus § 14c Abs. 2 S. 3 UStG, wonach die Steuerschuld des Rechnungsausstellers nach § 14c Abs. 2 UStG entfällt, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens durch die Rechnung beseitigt ist. Dies ist nach § 14c Abs. 3 S. 4 UStG der Fall, wenn der Rechnungsempfänger keine Vorsteuer geltend gemacht oder diese zurückgezahlt hat. Dies erfolgt nach § 14c Abs. 3 S. 5 UStG in entsprechender Anwendung von § 17 UStG aber erst für den Besteuerungszeitraum, in dem die Voraussetzungen vorliegen. Die Steuerschuld entfällt also nicht schon steuerlich rückwirkend und es stellt sich – wie in den o.g.455 Fällen des § 17 UStG – bereits nicht die Frage nach der Anwendung des Kompensationsverbots, da auf die Verhältnisse zur Tatzeit abzustellen ist.456 Eine Korrektur wirkt nicht zurück und kann so die vollendete Steuerhinterziehung nicht im Nachhinein beseitigen. Dies hat der BFH mit Urteil vom 08.11.2016457 nochmals bestätigt. Der BGH458 sieht ungeachtet dessen auch keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen der Steuerschuld des Rechnungsausstellers nach § 14c Abs. 2 S. 2 UStG n.F. und dem unerlaubten Geltendmachen der Vorsteuer durch den Rechnungsempfänger. ee) Zwischenergebnis zum Kompensationsverbot Zum Kompensationsverbot kann im Rahmen dieser Arbeit insgesamt festgehalten werden, dass Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG (Fremdleistungen) – teils entgegen der BGH-Recht­sprechung – grds. nicht dem Kompensationsverbot unterliegen, da in der Regel ein unmittelbarer Zusammenhang zu den Ausgangsumsätzen besteht. Auf Vorsteuern bei der Einfuhr nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG ist das Kompensationsverbot ebenfalls nicht anzuwenden. Der Begriff der „verkürzten Steuer“ nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO ist im strafrechtlichen Sinne rechtsgutbezogen zu verstehen und die beiden Verfahren (Besteuerungsverfahren nach dem UStG und das Zollverfahren) sind gemeinsam saldie455 Siehe S. 78 f. 456 BGH v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036, 3037; so auch Reiß in FS Mehle, S. 497, 523. 457 BFH v. 08.11.2016 - VII R 34/15, DB 2017, 525, 526. Es handelt sich nicht um den Fall, dass die Berichtigung einer i.S.d. § 14 UStG unzulänglichen Rechnung zurückwirken kann. 458 BGH v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036; so auch Nöhren, S. 132; Schindhelm, S. 156.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

rend auf der ersten Stufe in den Blick zu nehmen. Mangels Gefahr für das Steueraufkommen findet sodann auf der zweiten Stufe das Kompensa­ tionsverbot des § 374 Abs. 4 S. 3 AO keine Anwendung. Die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG (innergemeinschaftlicher Erwerb) unterliegt ebenso wie die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG (Reverse-Charge-Verfahren) nicht dem Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO. Das Kompensationsverbot ist auf die Abgabefälle des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu beschränken und findet bei Nichtabgabefällen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO keine Anwendung. Im Fall der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aufgrund von unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben (kein Unterlassungsfall) können in dieser Erklärung nicht mitgeteilte steuerermäßigende Tatsachen – je nach Fallgestaltung – im Nachhinein ausgeschlossen sein. Hiervon ausgenommen sind jedoch Umstände, welche sich auf Tatsachen beziehen, die ohnehin bei der Schätzung Berücksichtigung finden müssen, wie z.B. Vorsteuerbeträge. In den Fällen des § 17 UStG (Änderung der Bemessungsgrundlage) und der Korrektur von Scheinrechnungen nach § 14c Abs. 2 UStG stellt sich die Frage nach der Anwendung des Kompensationsverbots nicht, da insofern auf die Verhältnisse zur Tatzeit abzustellen ist. Hinsichtlich der in § 4 UStG geregelten Umsatzsteuerbefreiungen greift das Kompensationsverbot nicht, weil es sich bei der Frage der Steuerentstehung und der der Steuerfreiheit um die steuerrechtliche Beurteilung desselben Vorgangs handelt. Dies gilt aber nur dann, wenn die materiellen Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung zum Tatzeitpunkt vorgelegen haben. b) Steuerverkürzung auf Zeit und auf Dauer Nach der Regelung in § 370 Abs. 4 S. 1, 1. HS AO sind Steuern „namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden“. Das Gesetz stellt mithin die Steuerverkürzung auf Zeit („nicht rechtzeitig“) der Steuerverkürzung der Höhe nach („nicht festgesetzt“) ausdrücklich gleich.459 Damit ist jedoch nur formal bestimmt, wann eine Steuerverkürzung vorliegt, und keine Aussage da­ rüber getroffen, in welchem Umfang eine Steuerverkürzung eintritt. Dies459 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 110.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

bezüglich wird zwischen einer Steuerverkürzung auf Zeit und einer Steuerverkürzung auf Dauer unterschieden. Maßgebend hierfür ist die Dauer, für welche dem Fiskus der Steueranspruch vorenthalten wird, und damit einhergehend, wie hoch der vom Täter verursachte Steuerschaden ist. Eine Steuerverkürzung auf Zeit liegt typischerweise in den Fällen der „nicht rechtzeitigen Festsetzung“ vor.460 Streng begrifflich kann bis zum Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist aber bei einer unzutreffenden Festsetzung der Sache nach nicht von einer Steuerverkürzung auf Dauer die Rede sein, da die Korrektur dieser Festsetzung durch die Finanzbehörden immer noch möglich ist.461 Jede im Rahmen der Festsetzungsfrist entdeckte Steuerstraftat wird meist dazu führen, dass begrifflich ein endgültiger Steuerschaden gerade nicht vorliegt. Sofern aber bereits steuerlich die Festsetzungsverjährung eingetreten ist, wird in der Regel auch Strafverfolgungsverjährung eingetreten sein mit der Folge, dass die Endgültigkeit des Steuerschadens – mangels verfolgbarer Tat – meist belanglos sein wird.462 Sofern § 370 Abs. 4 S. 1, 1. HS AO die unrichtige Festsetzung als eine endgültige Verkürzung ansieht, sind damit auch bloße zeit­liche Verkürzungen erfasst.463 Dies zeigt, wie schwer die Abgrenzung und der Umfang der Steuerverkürzung zu bestimmen sind.464 Die Thematik der Abgrenzung einer Steuerhinterziehung auf Zeit von einer Steuerhinterziehung auf Dauer bzw. die Bestimmung der Steuerverkürzung ist vor allem bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer von großer Relevanz. Dies zum einen wegen des der Jahreserklärung vorgeschalteten Voranmeldungsverfahrens und zum anderen wegen des durch das Steueranmeldungsverfahren nach § 168 AO frühen Festsetzungszeitpunkts auch in Bezug auf die Voranmeldungen. Vor dem Hintergrund verwundert es nicht, dass die maßgebende BGH-Rechtsprechung in diesem Bereich zur Umsatzsteuer ergangen ist. aa) Steuerverkürzung auf Dauer Wenn der Täter beabsichtigt, dem Staat den Steueranspruch auf Dauer vorzuenthalten, liegt eine Steuerverkürzung auf Dauer vor. Der allgemeinen Ansicht entsprechend beläuft sich der Verkürzungserfolg als 460 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 115. 461 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 111; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 493. 462 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 493. 463 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 111; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 115; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 494; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 315 ff. 464 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 111.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Schaden auf die Gesamtsumme der hinterzogenen Steuern, also auf deren Nennwert (Vergleich von Soll- und Ist-Festsetzung).465 bb) Steuerverkürzung auf Zeit Bei der Steuerverkürzung auf Zeit besteht die Steuerverkürzung dagegen in dem Vorenthalten der dem Staat zustehenden Steuern für eine bestimmte Zeitspanne nach der Vorstellung des Täters.466 So stellt die falsche oder unterlassene Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung im Grundsatz lediglich eine Steuerverkürzung auf Zeit dar, welche durch die Einreichung einer falschen oder keiner Umsatzsteuerjahreserklärung zu einer Steuerverkürzung auf Dauer wird.467 Hintergrund ist, dass die in den Umsatzsteuervoranmeldungen enthaltenen Informationen in der jeweiligen Jahreserklärung sodann einer abschließenden Prüfung unter­ zogen werden.468 Der Umfang des Verkürzungserfolgs – insbesondere in Bezug auf Umsatzsteuervoranmeldungen – ist jedoch umstritten. Nach der früheren Rechtsprechung des BGH469 bestand der Umfang des Verkürzungserfolgs bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise lediglich in dem Zinsschaden, der dem Staat entsteht, da er nicht über die Steuereinnahme verfügen kann.470 Berechnet wurde der Verspätungsschaden als Zinsverlust, der – aus Vereinfachungsgründen – unter Beachtung der §§ 235, 238 AO mit 0,5 % je Monat des nicht rechtzeitig festgesetzten Steuerbetrags berechnet wird.471 Andere472 wollen dagegen vom jeweiligen Kapitalmarktzins ausgehen. 465 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 117; siehe S. 35 f. 466 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 118. 467 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1358.1; siehe auch BGH v. 21.01.1998 - 5 StR 686/97, wistra 1998, 146; v. 17.02.1998 - 5 StR 624/97, wistra 1998, 225, 226; v. 19.10.1999 - 5 StR 178/99, wistra 2000, 63, 64; v. 06.02.2002 - 5 StR 443/01, wistra 2002, 185 f.; v. 12.01.2005 - 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 146; v. 17.03.2009 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982. 468 Wulf, Stbg 2014, 64, 65. 469 BGH v. 26.09.1978 - 1 StR 293/78, DB 1979, 1065; v. 10.12.1991 - 5 StR 536/91, BGHSt 38, 165, 171; v. 04.02.1997 - 5 StR 680/96, wistra 1997, 186; v. 22.10.1997 5 StR 223/97, BGHSt 43, 270, 276; v. 21.01.1998 - 5 StR 686/97, wistra 1998, 146; v. 06.02.2002 - 5 StR 443/01, wistra 2002, 185, 186; vgl. auch BGH v. 29.04.1997 5 StR 168/97, wistra 1997, 262, 263; siehe auch Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 322; Müller, AO-StB 2008, 80, 81; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 497 f.; so auch noch in Bezug auf den Schaden Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, § 370, Rn. 112; Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 193. 470 BGH v. 26.09.1978 - 1 StR 293/78, DB 1979, 1065; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 118. 471 BGH v. 22.10.1997 - 5 StR 223/97, BGHSt 43, 270, 276; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 498; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 118. 472 Wagner in Simon/Wagner, S. 94; Rolletschke, DStZ 2001, 671, 671 f.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Es handelte sich um eine sehr schematische und ausschließlich objektive Abgrenzung des BGH473, unabhängig vom Vorstellungsbild des Täters. Bezogen auf die Umsatzsteuerhinterziehung führte die BGH-Rechtsprechung zu zwei Fallgruppen:474 (1) Die Abgabe einer falschen, einer verspäteten oder die Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung führte stets zu einer Steuerverkürzung auf Zeit.475 (2) Die Abgabe einer unrichtigen bzw. die Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung führte stets zu einer Steuerverkürzung auf Dauer.476 Falls der Täter bereits bei Abgabe der unrichtigen Voranmeldung plante, die unzutreffenden Angaben in der Jahreserklärung zu wiederholen, wurde dies (lediglich) im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt.477 Gleiches galt, sofern der Täter bereits bei der verspäteten Abgabe oder der Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldung eine Verkürzung auf Dauer geplant hatte.478 Bereits der 5. Senat des BGH hat daher in den Fällen, in denen der Täter schon bei Abgabe einer falschen Umsatzsteuervoranmeldung beabsichtigte, eine Steuerverkürzung auf Dauer zu bewirken bzw. die Finanzbehörden dauerhaft pflichtwidrig in Unkenntnis über die Umsatzsteuer zu lassen und demzufolge keine Jahreserklärung abgeben wollte, den Nominalbetrag bei der Strafzumessung berücksichtigt.479 Mit Urteil vom 17.03.2009480 hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung zur „Steuerhinterziehung auf Zeit“ – zumindest – in Bezug auf die Umsatzsteuerhinterziehung hinsichtlich der Rechtsfolge der Steuerhinterziehung auf Zeit ausdrücklich aufgegeben. Der 1. Strafsenat des BGH ist nunmehr der Auffassung, dass – unab­ hängig von der Vorstellung des Täters – bei Abgabe einer falschen Umsatzsteuervoranmeldung der Verkürzungserfolg dem Nominalbetrag der

473 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 118; Wulf, Stbg 2011, 445, 446. 474 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 121. 475 BGH v. 04.02.1997 - 5 StR 680/96, wistra 1997, 186, 187. 476 BGH v. 04.02.1997 - 5 StR 680/96, wistra 1997, 186, 187; v. 12.01.2005 - 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 146. 477 BGH v. 21.01.1998 - 5 StR 686/97, wistra 1998, 146; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 322. 478 BGH v. 12.01.2005 - 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 146; Schmitz/Wulf in MKStGB, § 370 AO, Rn. 121. 479 BGH v. 12.01.2005 - 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 146; Wulf, Stbg 2011, 445, 447. 480 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

hinterzogenen Umsatzsteuer entspricht.481 Für den Steuerschaden (Erfolgsunrecht im Sinne der tatbestandlichen Steuerverkürzung) sei nunmehr der Nominalbetrag der verkürzten Steuern entscheidend und nicht (mehr) lediglich die Höhe des Zinsverlusts des Staats.482 Die Vorstellung des Täters (das Handlungsunrecht) – gerichtet auf eine zeitweise oder dauerhafte Steuerverkürzung – ist nach Ansicht des BGH lediglich auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.483 Der BGH begründet das Ergebnis wie folgt: Zwar sei die Intensität der Gefährdung hinsichtlich der Steuerhinterziehung auf Zeit und auf Dauer unterschiedlich, jedoch sei dies lediglich für die Strafzumessung, nicht jedoch für den tatbestandsmäßigen Erfolg von Bedeutung. Der Unterschied liege – unter Bezugnahme auf Joecks484 – nicht im Erfolgs-, sondern im Handlungsunrecht.485 Ob eine Hinterziehung auf Zeit oder auf Dauer vorliegt, ist daher erst bei der Strafzumessung von Bedeutung.486 Bezogen auf die Umsatzsteuerhinterziehung ändert die BGH-Rechtsprechung nichts an den oben zur früheren Rechtsprechung genannten zwei Fallgruppen: (1) Die Abgabe einer falschen, einer verspäteten oder die Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung führt – wie bisher – stets zu einer Steuerverkürzung auf Zeit. (2) Die Abgabe einer unrichtigen bzw. die Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung führt – wie bisher – stets zu einer Steuerverkürzung auf Dauer. Nach der geänderten Rechtsprechung ist aber nunmehr auch in der ersten Fallgruppe der tatbestandliche Verkürzungserfolg mit dem Nominalbetrag der hinterzogenen Umsatzsteuer anzusetzen, nicht mehr nur mit dem Verspätungsschaden. Auf der Ebene der Strafzumessung ist sodann das Vorstellungsbild des Täters bei Abgabe einer falschen, einer verspäteten oder bei der Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung zum Fälligkeitszeitpunkt in den Blick zu nehmen. Sofern sich der Täter in diesen Fällen lediglich einen Liquiditätsvorteil verschaffen wollte, um einen vorübergehenden Liquiditätsengpass zu 481 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982 f.; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 322. 482 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982 f.; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 502; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11; siehe auch Heuel/Beyer, NWB 2016, 616; Wulf, Stbg 2014, 64, 65. 483 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982. 484 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 111. 485 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1983. 486 So im Ergebnis Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

überbrücken, und plante er, im Rahmen der Jahreserklärung zutreffende Angaben zu machen, wird das nach der Auffassung des BGH487 „nur in seltenen Fällen gegeben sein“ und ist „deshalb sorgfältig zu prüfen“. Ziel des Täters sei in diesen Fällen nur eine Schadenswiedergutmachung. Dies relativiert sich jedoch in den Fällen, in welchen bereits die Unmöglichkeit der Nachentrichtung absehbar war. Sofern später tatsächlich eine zutreffende Jahreserklärung abgegeben wird und auch die hinterzogenen Steuern nachgezahlt werden, sind ferner die Voraussetzungen einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO488 zu prüfen.489 Gänzlich ohne Belang ist im Übrigen nach Auffassung des BGH der Umstand, dass das Steueraufkommen mangels ausreichender finanzieller Mittel zur Abführung der geschuldeten Steuern auch bei ordnungsgemäßer Erfüllung der steuerlichen Pflichten geschädigt worden wäre.490 In der Literatur geht die h.M. bislang davon aus, dass zwischen einer Steuerverkürzung auf Zeit und einer solchen auf Dauer nicht objektiv, sondern anhand der Vorstellungen des konkreten Täters entschieden werden müsse.491 Wulf492 hält die aktuelle Rechtsprechung des BGH im Kern für zutreffend, beklagt aber terminologische Unklarheiten. Er weist ferner darauf hin, dass die Steuerverkürzung immer in der Differenz zwischen der Ist-Festsetzung und der Soll-Festsetzung zu sehen ist und daher stets in Höhe des Nennbetrags eintritt. Eine Steuerverkürzung auf Zeit, die lediglich in Höhe eines Zinsbetrags das gesetzliche Tatbestandsmerkmal der Steuerverkürzung ausfülle, sei von vornherein „nicht denkbar“. Hiervon klar zu unterscheiden sei der „strafzumessungsrelevante Verkürzungsbetrag“, für den auf das „verschuldete Unrecht“ abzustellen sei. Diesbezüglich sei die Vorstellung des Täters (das Handlungsziel) in den Blick zu nehmen und somit das Handlungsunrecht festzustellen. Für Letzteres bietet Wulf die Bezeichnung als „zurechenbaren Schaden“ oder „Steuerschaden“ an. Schmitz/Wulf493 halten „weder die subjektive noch eine teilweise (fallgruppenbezogene) objektive Abgrenzung“ für überzeugend. So bleibe bei der subjektiven Abgrenzung unklar, warum die Vorstellung des Täters 487 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1983. 488 Siehe S. 415 ff. 489 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1983. 490 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, 314.  491 Wulf, Stbg 2011, 445, 447; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 120. 492 Wulf, Stbg 2011, 445, 448. 493 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 120 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

über den Umfang des Erfolgsunrechts entscheiden solle, obwohl der Vorsatz grds. nur das Handlungsunrecht der Tat bestimme. Die Vorstellung des Täters könne sich nur „an der Wirklichkeit orientieren, sie aber nicht gestalten“. Schmitz/Wulf schlagen mangels geeigneter Abgrenzungskriterien vor, den „Blickwinkel“ zu verändern: Vor dem Hintergrund einer bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung bei einer Steuerhinterziehung stets noch änderbaren Steuerfestsetzung stelle sich eine „Steuerverkürzung objektiv regelmäßig als eine Verkürzung auf Zeit dar“. Eine „auf eine dauerhafte Steuerhinterziehung gerichtete Vorstellung des Täters“ sei Teil des Handlungsunrechts und – entsprechend der früheren Rechtsprechung des BGH – bei der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen. In Ausnahmefällen sei auch eine Steuerverkürzung auf Dauer denkbar. Dies etwa, wenn der Täter entsprechend seiner Vorstellung einen Totalausfall des Steueranspruchs herbeiführe und auch eine dauernde Vermögenslosigkeit des Täters vor Eintritt der Verfolgungsverjährung feststehe. Peters494 hält die neue Rechtsprechung des BGH nicht für überzeugend, weil der BGH zugleich daran festgehalten habe, „dass die Steuerhinterziehungen durch unrichtige Voranmeldungen und Jahreserklärung in Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehen“. „Auf der Grundlage der These, dass die Umsatzsteuerhinterziehungen durch Abgabe unrichtiger Voranmeldung und Jahreserklärung jeweils auf denselben nominellen Betrag gerichtet“ seien, erscheine es sachwidrig, eine tatmehrheitliche Begehung anzunehmen. Es sei konsequent die Steuerhinterziehung durch die Jahreserklärung als mitbestrafte Nachtat anzusehen. Der BGH hat seine diesbezügliche Rechtsprechung zwischenzeitlich angepasst, geht allerdings anders als Peters davon aus, dass es sich bei den Voranmeldungen um mitbestrafte Vortaten in Bezug auf die Jahreserklärung handelt.495 Ransiek496 hält die neue Rechtsprechung des BGH für zutreffend. Allein der Umstand, dass – wie bei der Umsatzsteuer – neben den Voranmeldungen noch eine Jahreserklärung vorgesehen ist, rechtfertige ohne objektive Anhaltspunkte nicht die Annahme, der Täter habe die unrichtige Voranmeldung in der Jahreserklärung berichtigen wollen. Auch Joecks497 verweist auf das Fortbestehen des staatlichen Steueran­ spruchs bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist und die damit einhergehende schwierige Abgrenzung. Maßgeblich sei allein „eine Quantifizierung 494 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 325. 495 BGH v. 13.07.2017 - 1 StR 536/16, wistra 2018, 43, 46; siehe S. 371 f. 496 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 501. 497 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 111.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

des vom Tatvorsatz getragenen Verkürzungserfolgs“. Die Unterscheidung liege „nicht im Erfolgs-, sondern im Handlungsunrecht durch das entsprechende Vorstellungsbild des Täters“. Die neue Rechtsprechung des 1. Strafsenats ist im Ergebnis zutreffend. Angesichts der Vorläufigkeit des Voranmeldungsverfahrens ist es gerechtfertigt, von einer Steuerverkürzung auf Zeit auszugehen. Die weitere Betrachtung hat sodann zweistufig zu erfolgen: Auf der ersten Stufe besteht der Erfolg der Steuerverkürzung (Erfolgsunrecht bzw. das tatbestandliche Unrecht) darin, dass der Nominalbetrag der Steuern verkürzt ist. Schließlich wird dieser Betrag – und nicht nur der Verzögerungsschaden – dem Fiskus vorenthalten. Auf einer zweiten Stufe ist sodann für Zwecke der Strafzumessung nach der Vorstellung des Täters, also dem Handlungsunrecht, zu fragen und es sind die verschuldeten Auswirkungen der Tat bzw. der Steuerschaden i.S.d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB in den Blick zu nehmen. Diese werden regelmäßig dem Nominalbetrag der Steuern entsprechen. Mit Ransiek498 rechtfertigt nicht allein der Umstand, dass neben den Voranmeldungen noch die Abgabe einer Jahreserklärung vorgesehen ist, die Annahme, der Täter habe die unrichtige Voranmeldung in der Jahreserklärung berichtigen wollen. Nur bei objektiven Anhaltspunkten, die auf eine lediglich beabsichtigte zeitliche Verkürzung hindeuten, ist es gerechtfertigt im Rahmen der Strafzumessung – neben etwaigen anderen Strafzumessungsgesichtspunkten – nur den Verzögerungsschaden als verschuldete Auswirkung anzusehen. c) Steuerverkürzung: Anrechnung von Umsatzsteuervorauszahlungen bei der Jahreserklärung Die Frage, wie sich angemeldete Umsatzsteuervorauszahlungen bei der Feststellung des Taterfolgs nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO auswirken, ist strafrechtlich ungeklärt. Es geht um die Fälle, in denen in Umsatzsteuer­ voranmeldungen zutreffende Besteuerungsgrundlagen (sei es vollständig oder teilweise vollständig) erklärt werden und die Umsatzsteuerjahreserklärung verspätet oder nicht abgegeben wird. Wie oben499 erwähnt hat das AG Stuttgart500 mit Urteil vom 10.07.2013 die Problematik fälschlicherweise im Zusammenhang mit der Zahlung eines Strafzuschlags nach § 398a AO bei der Anwendung des Kompensationsverbots erörtert. Das AG hat schlicht ausgeführt, dass „eine An498 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 501. 499 Siehe S. 79. 500 AG Stuttgart v. 10.07.2013 - 23 Cs 147 Js 95252/12, NZWiSt 2014, 279 zu § 398a AO.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

rechnung oder Kompensation mit bereits im Rahmen einer Umsatzsteuervoranmeldung erklärten Umsätzen […] nicht in Betracht [kommt]. Dies ergibt sich aus der Selbständigkeit der jeweiligen Erklärungen“. Die Verwaltung501 will für Zwecke der Berechnung der Beträge nach § 398a AO502 auf den Nominalbetrag ohne Anrechnung der „vorausgezahlten“ Beträge abstellen. Dies ergebe sich aber nicht aus dem Kompensationsverbot, sondern aus der Definition der Steuerverkürzung in § 370 Abs. 4 S. 1 AO.503 Nach Wulf504 führt die Nichtabgabe der Jahreserklärung nur zur Verkürzung in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den mit den Voranmeldungen angemeldeten und festgesetzten Beträgen und dem sich zutreffend in Bezug auf die Jahreserklärung ergebenden Betrag. Nur dieser Unterschiedsbetrag (Saldo) werde nach § 18 Abs. 4 UStG festgesetzt. Die bereits mit den Voranmeldungen festgesetzten Beträge seien nur noch Rechenpositionen, die verfahrensrechtlich in der Jahreserklärung aufgehen würden. Madauß505 stimmt Wulf zu. Er verweist zudem darauf, dass geschütztes Rechtsgut auch nur der Saldo nach § 18 Abs. 4 UStG sein könne, da kein darüber hinausgehender Zahlungsanspruch existiere. Allein die Verletzung „formeller Erklärungspflichten“ könne keine Strafe rechtfertigen. Selbst wenn man das Kompensationsverbot bei Unterlassungstaten506 dem Grunde nach anwende, handele es sich nicht um verschwiegene Umsätze, sondern um solche, die ordnungsgemäß angemeldet wurden. Diese könnten auch nach den allgemeinen Grundsätzen der BGH-Rechtsprechung507 – ergangen allerdings zum Verlustvortrag bei einer Ge­ werbesteuerhinterziehung – keinen „anderen Grund“ darstellen. Steuervorteile, die dem Täter schon wegen seiner Angaben zustanden, dürfen ihm – so der BGH – im Steuerstrafverfahren nicht vorenthalten werden.

501 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636 mit Kommentierung Heuel, AO-StB 2016, 261; Beyer, AO-StB 2016, 181; Höpfner, PStR 2016, 147, 156; in die AStBV (St) 2017 und 2019 wurde die Regelung jedoch nicht übernommen. 502 Siehe S. 448. 503 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636. 504 Wulf, Stbg 2015, 160, 164.  505 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 24. 506 Siehe S. 73 ff. 507 BGH v. 02.11.2010 - 1 StR 544/09, NZWiSt 2012, 75.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Madauß508 stellt zudem zu Recht in Frage, ob in diesen Fällen überhaupt eine Tathandlung i.S.d. Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vorliegt, da schließlich das Finanzamt aufgrund der richtigen Umsatzsteuervoranmeldung über sämtliche Besteuerungsgrundlagen zutreffend informiert sei. Ferner sei fraglich, ob der Steuerpflichtige in Bezug auf die Umsatzsteuerjahreserklärung vorsätzlich gehandelt hat, da die Umsatzsteuervoranmeldung alle zutreffenden Angaben enthalte.509 Unter Bezugnahme auf Rolletschke510 und unter Verweis auf den Charakter des § 370 AO als Gefährdungsdelikt kommt Madauß511 zu dem Ergebnis, dass die bereits angemeldeten Beträge Berücksichtigung bei der Berechnung des Verkürzungserfolgs finden müssen. Auch das LG Mönchengladbach hat mit Urteil vom 08.09.2014512 die angemeldeten Vorsteuern und Umsätze bei der Berechnung der Steuerverkürzung im Zusammenhang mit der Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung berücksichtigt. Zur Begründung führte das LG aus, dass sich dies aus der Einordnung der Steuerhinterziehung als Gefährdungsdelikt ergibt und hinsichtlich der bereits angemeldeten Beträge keine Gefährdung des Steueraufkommens mehr eintreten kann. Die isolierte Betrachtung der Umsatzsteuerjahreserklärung ist m.E. eine formale Sichtweise, die dem Zweck der Umsatzsteuervoranmeldungen nicht gerecht wird. Die Voranmeldungen haben für die zutreffende Umsatzbesteuerung die verfahrensrechtlich dienende Funktion der bereits unterjährigen Festsetzung und Erhebung der Umsatzsteuer. Dieser Zweck ist hier erfüllt und eine Gefährdung des Steueranspruchs scheidet bei Unterlassen der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung – oder deren verspäteter Abgabe – insoweit aus. Wäre hingegen die Nichtabgabe oder verspätete Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung strafrechtlich relevant, soweit die Besteuerungsgrundlagen bereits durch die Voranmeldungen mitgeteilt wurden, so würde ein bloßer Verwaltungsungehorsam ohne Steuergefährdung pönalisiert werden. Für die bloße Nichterfüllung von Mitwirkungs- und Erklärungspflichten hat die AO aber Spezialregelungen, wie z.B. den Verspätungszuschlag vorgesehen. Dieses Instrumentarium ist hier das geeignete. Eine Gefährdung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts liegt hier nicht vor und eine Bestrafung käme einer 508 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 24; ebenso Grommes, NZWiSt 2017, 201, 203. 509 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 24; so auch Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 749 f; Grommes, NZWiSt 2017, 201, 203. 510 Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn.110. 511 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26. 512 LG Mönchengladbach v. 08.09.2014 - 28 KLs 1/10 502 Js 862/07, nv, zitiert nach Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26, Fn. 47.

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bloßen Förmelei gleich. Meines Erachtens ist daher im Ergebnis der von Madauß und Wulf vertretenen Ansicht zu folgen. Wenn man mit der hier vertretenen Meinung die Umsatzsteuervorauszahlungen anrechnet, besteht insoweit keine Überschneidung der Taterfolge zwischen den Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahresklärung. Anderenfalls stellt sich die Frage der Konkurrenzen.513 d) Steuerverkürzung: nachträgliche Berichtigungen bzw. Berichtigungspflichten Nachträgliche Berichtigungen haben keinen Einfluss auf eine einmal eingetretene Steuerverkürzung. § 371 AO bietet allerdings unter den dort genannten Voraussetzungen dem Täter die Möglichkeit, Straffreiheit durch einen persönlichen Strafaufhebungsgrund zu erlangen bzw. in den Fällen des § 371 Abs. 4 AO (sog. Fremdanzeige) und in den Fällen des § 398a AO ein strafprozessuales Verfahrenshindernis zu begründen. Neben der in § 371 AO vorgesehenen Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige514 sieht die Abgabenordnung in § 153 Berichtigungspflichten vor, die – jedenfalls nach der gegenwärtigen Auffassung des BGH – auch in den Fällen einer bereits eingetretenen – allerdings nur maximal bedingt vorsätzlichen – Steuerverkürzung zu beachten sind. Im Einzelnen gilt Folgendes: Nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO entsteht eine solche Berichtigungspflicht, wenn (vereinfacht) folgende Voraussetzungen erfüllt sind:515 1. unrichtige oder unvollständige Steuererklärung des Steuerpflichtigen, 2. daraus resultierende Steuerverkürzung, 3. nachträgliches Erkennen von 1. und 2. und 4. Nichtablauf der steuerlichen Festsetzungs- bzw. Feststellungsfrist für die fehlerhafte Veranlagung. Die Pflichten nach § 153 Abs. 1 AO entstehen erst in dem Zeitpunkt, in dem der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit tatsächlich erkennt, bloßes „Erkennen müssen“ reicht nicht aus.516 Der Steuerpflichtige hat (steuerrechtlich) unverzüglich anzuzeigen (1. Stufe), dass eine unrichtige Erklärung abgegeben worden ist. Er muss ferner – ohne dass das Gesetz dafür eine Frist bestimmt – eine Berichtigungserklärung abgeben (2. Stufe).517 513 Siehe S. 380 ff. 514 Siehe S. 407 ff.  515 Heuel, wistra 2015, 289, 291. 516 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, 314; Rätke in Klein, § 153, Rn. 9. 517 Heuel, wistra 2015, 289, 291.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Im Fall des Vorliegens einer lediglich bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung, bei der der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit der Steuererklärung nur billigend in Kauf genommen hat (Eventualvorsatz), nimmt der BGH das Bestehen der Pflicht nach § 153 Abs. 1 AO an.518 Ein nachträgliches Erkennen sei – so der BGH – nur dann ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige die Unrichtigkeit sicher gekannt – und nicht nur billigend in Kauf genommen – hat, also in den Fällen des direkten Vorsatzes. Die Abgrenzung zur Selbstanzeige nach § 371 AO erfolgt insofern, dass der Steuerpflichtige bei einer Erklärung i.S.d. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit im Zeitpunkt der Abgabe nicht positiv kannte.519 Dem in den Fällen des Eventualvorsatzes bestehenden Problem der Kollision mit dem Selbstbelastungsverbot (nemo tenetur) könne – so der BGH – durch die Möglichkeit einer Selbstanzeige oder – falls diese ausgeschlossen ist – durch Beweismittelverwertungs- oder Verwendungsverbote Rechnung getragen werden.520 Die Finanzverwaltung hat die Auffassung des BGH in sein BMF-Schreiben zu § 153 AO521 aufgenommen. Die Entscheidung ist mit dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO nicht in Einklang zu bringen522 und in der Literatur523 zu Recht auf breite Kritik gestoßen. Die vom BGH angesprochenen „Verwertungsverbote“ dürften in der Praxis in vielen Fällen wirkungslos bleiben.524 e) Steuerverkürzung: Fallgruppen zu Art und Umfang der Verkürzung bei der Umsatzsteuerhinterziehung Im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung sind im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung unter anderem nachstehende typische Fallgruppen in Bezug auf Art und Umfang der Hinterziehung nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO denkbar und nach der hier vertretenen Ansicht, die der h.M. und – soweit vorhanden – der BGH-Rechtsprechung entspricht, wie folgt zu lösen. Im weiteren 518 Vgl. BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, 313 f.; a.A. Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 337; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 263. 519 Rätke in Klein, § 153, Rn. 7. 520 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, 314. 521 BMF-Schreiben v. 23.05.2016 - IV A 3 - S 0324/15/10001IV A 4 - S 0324/14/10001, BStBl. I 2016, 490.  522 Auch wenn der BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, 313 sich gerade auf den Wortlaut beruft. 523 U.a. Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 337; Seer in Tipke/Kruse, § 153 AO, Rn. 20; Tormöhlen, AO-StB 2010, 141, 142; Weidemann, wistra 2010, 5; Bülte, BB 2010, 607; Stahl, Rn. 37. 524 Vgl. Wulf, PStR 2009, 190, 195.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Verlauf der Arbeit werden die Fallgruppen unter dem Gesichtspunkt der Verjährung525 und hinsichtlich der Konkurrenzen526 untersucht. Am Ende dieser Arbeit527 sind die Untersuchungsergebnisse sämtlicher Fallgruppen in einer Tabelle zusammengefasst. aa) Umsatzsteuervoranmeldung falsch, Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht Fall 1: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. Umsatzsteuervoranmeldungen: In Bezug auf die Voranmeldungen liegt lediglich eine Hinterziehung auf Zeit vor.528 Wegen der Einreichung einer zutreffenden und fristgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung wird diese nicht zu einer Hinterziehung auf Dauer. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. In Fall 1 wurden je Umsatzsteuervoranmeldung 19.000,00 € (in Fall 1 insgesamt 228.000.00 €) verkürzt. Umsatzsteuerjahreserklärung: Hinsichtlich der richtigen und fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung liegt selbstverständlich keine Steuerhinterziehung vor. Es ist zusätzlich in Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1, Abs. 2a AO durch Abgabe der zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung vorliegen.529 Abwandlung Fall 1a: U hatte zur Überzeugung des Gerichts von Anfang an geplant, die falschen Umsatzsteuervoranmeldungen mit der Um­ satzsteuerjahreserklärung zu korrigieren, weil im Zeitpunkt der Abgabe 525 Siehe S. 350 ff. 526 Siehe S. 376 ff.  527 Siehe S. 469 ff.  528 Für sämtliche Hinterziehungen auf Zeit in den Fällen gilt, dass diese – wie oben dargestellt – zu einer Steuerverkürzung in Höhe des Nominalbetrags der Steuern führen. Etwaige subjektive Vorstellungen des Täters bei Tatbegehung sind allenfalls auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen. 529 Siehe S. 422 ff. und S. 426 ff.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

der falschen Umsatzsteuervoranmeldungen feststand, dass bei Abgabe der Jahreserklärung seine vorübergehenden Liquiditätsschwierigkeiten durch die Auszahlung einer Summe aus einem Versicherungsschaden behoben sein würden. Sofern es dem Täter bei Abgabe der falschen Voranmeldung nach seinem Tatplan nachweisbar nur um einen Liquiditätsvorteil bis zur Abgabe der – hier richtigen – Jahreserklärung geht, ist dies lediglich auf der Ebene der Strafzumessung von Bedeutung. In Fall 1a wäre auf der Ebene der Strafzumessung – sofern die Selbstanzeige durch die Umsatzsteuerjahreserklärung im vorliegenden Fall einmal unterstellt unwirksam wäre – hinsichtlich der jeweiligen falschen Umsatzsteuervoranmeldungen daher nur der Verzögerungsschaden530 zu berücksichtigen. Abwandlung Fall 1b: U hat – wie ihm bei der Erstellung der Umsatzsteuerjahreserklärung auffällt – bei Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen vergessen, in den einzelnen Umsatzsteuervoranmeldungen jeweils Vorsteuern von 10.000,00 € (insgesamt also 120.000,00 €) aus der Geschäftsraummiete geltend zu machen. Nach hier vertretener Auffassung531 findet das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG keine Anwendung. Dies hat zur Folge, dass der Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern und mithin eine Steuerverkürzung lediglich in Höhe des Saldos zwischen der Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze und den gesamten Vorsteuern vorliegt. In Fall 1b wurden je Umsatzsteuervoranmeldung also 9.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 10.000,00 €), insgesamt also 108.000,00 € verkürzt. Der BGH532 lehnt einen „inneren wirtschaftlichen Zusammenhang“ zwischen der in Gemeinkosten enthaltenen Vorsteuer (allgemeine Vorsteuer) und der auf die Ausgangsumsätze entfallenden Umsatzsteuer ab und behandelt die Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze und die Vorsteuer im Ergebnis wie zwei verschiedene Steuerarten ohne Kompensation zwischen diesen beiden Größen bei der Bestimmung des Umfangs der Steuerverkürzung. Den Umstand, dass die verschuldeten Auswirkungen der Tat (der Steuerschaden) nach § 46 Abs. 2 StGB geringer sein können, als der Umfang der Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO, berücksichtigt der BGH erst auf der Ebene der Strafzumessung. In Fall 1b ist daher 530 Siehe S. 89. 531 Siehe S. 64 f. 532 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307; v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71; siehe S. 53 f. m.w.N.

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wegen des Kompensationsverbots auf der Grundlage der BGH-Rechtsprechung von einer Steuerverkürzung je Umsatzsteuervoranmeldung i.H.v. 19.000,00 € (in Fall 1b insgesamt 228.000,00 €) auszugehen. Lediglich auf der Ebene der Strafzumessung würde der BGH je Umsatzsteuervoranmeldung von einem Steuerschaden von 9.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 10.000,00 €), insgesamt also von 108.000,00 € ausgehen. bb) Falsche Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung werden in der fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung lediglich wiederholt Fall 2a: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also um 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab und verschweigt auch dort die schon in den Voranmeldungen verschwiegenen Umsätze. Umsatzsteuervoranmeldungen: In Bezug auf die Voranmeldungen liegt – bis zur Abgabe der Jahreserklärung – lediglich eine Hinterziehung auf Zeit vor. Durch die Einreichung der falschen Jahreserklärung wird diese Hinterziehung auf Zeit zu einer Hinterziehung auf Dauer. In Fall 2a wurden je Umsatzsteuervoranmeldung 19.000,00 € (insgesamt 228.000,00 €) verkürzt. Umsatzsteuerjahreserklärung: Hinsichtlich der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung liegt eine Steuerhinterziehung auf Dauer vor. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Es ergibt sich keine Abschlusszahlung (Zahllast abzüglich des Vorauszahlungssolls). Wenn wie im vorliegenden Fall genau die gleichen falschen Angaben in der Umsatzsteuervoranmeldung und in der Umsatzsteuerjahreserklärung fehlen, stellt sich die Frage, ob überhaupt ein weiterer tatbestandsmäßiger Erfolg auf der Ebene der Umsatzsteuerjahreserklärung eintreten kann und – wenn ja – wie das Konkurrenzverhältnis zu den Umsatzsteuervoranmeldungen zu sehen ist. Jede Steueranmeldung (Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung) hat einen eigenen Erklärungswert.533 Durch die Abgabe der falschen Umsatzsteuerjahres­ erklärung ergeben sich m.E. neues Handlungsunrecht und neues Erfolgs-

533 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

unrecht mit einer weiteren Gefährdung des Steueraufkommens.534 In Fall 2a wurden durch die falsche Umsatzsteuerjahreserklärung insgesamt 228.000,00  € Umsatzsteuer – zusätzlich zu den Taten aus den falschen Umsatzsteuervoranmeldungen – verkürzt.535 cc) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und weitere falsche Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung, die über die falschen Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung hinausgehen Fall 2b: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab und verschweigt auch dort die schon in den Voranmeldungen verschwiegenen Umsätze. In der Jahreserklärung macht U ferner vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 50.000,00 € geltend, die in den Voranmeldungen noch nicht geltend gemacht wurden. Insgesamt ergibt sich damit aus der Umsatzsteuerjahreserklärung eine Erstattung von 50.000,00 €, zu der das Finanzamt am 10.04.2018 die Zustimmung erteilt. Umsatzsteuervoranmeldungen: In Bezug auf die Voranmeldungen liegt – bis zur Abgabe der Jahreserklärung – lediglich eine Hinterziehung auf Zeit vor. Durch die Einreichung der falschen Jahreserklärung wird diese Hinterziehung auf Zeit zu einer Hinterziehung auf Dauer. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag (im Fall 2b 228.000,00 €) der verkürzten Steuern. Umsatzsteuerjahreserklärung: Hinsichtlich der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung liegt eine Steuerhinterziehung auf Dauer vor. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Der Saldo in der Jahreserklärung nach § 18 Abs. 4 UStG (verbleibende Umsatzsteuer abzüglich des Vorauszahlungssolls) ist in diesem Fall ein Rotbetrag (im ­Beispiel 50.000,00  €). In diesem Umfang ist die Steuerverkürzung durch die Jahreserklärung höher als die Steuerverkürzung durch die falschen Umsatzsteuervoranmeldungen.536 Durch die Abgabe der falschen Um534 So auch Madauß, NZWiSt 2015, 23, 25. 535 Zur konkurrenzrechtlichen Behandlung siehe S. 377. 536 Zur Anwendung des Kompensationsverbots in Bezug auf nicht vorangemeldete Vorsteuern siehe nachstehend Fall 3.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

satzsteuerjahreserklärung wird m.E. neues Handlungsunrecht und neues Erfolgsunrecht mit einer weiteren Gefährdung des Steueraufkommens (im Beispiel 228.000,00 €) geschaffen.537 Insgesamt beträgt die Steuer­ verkürzung durch die falsche Umsatzsteuerjahreserklärung in Fall 2b 278.000,00 €).538 dd) Umsatzsteuervoranmeldung falsch und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Fall 3: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Umsatzsteuervoranmeldungen: In Bezug auf die Voranmeldungen liegt – bis zum Fristablauf der Ein­ reichung der Jahreserklärung – lediglich eine Hinterziehung auf Zeit vor. Mit Fristablauf zur Einreichung der Jahreserklärung539 wird diese Hin­ terziehung auf Zeit zu einer Hinterziehung auf Dauer. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. In Fall 3 wurden je Umsatzsteuervoranmeldung 19.000,00 € (insgesamt 228.000,00 €) verkürzt. Umsatzsteuerjahreserklärung: Hinsichtlich der verspäteten oder nicht abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung liegt eine Steuerhinterziehung auf Dauer vor. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Diese tatbestandliche Verkürzung der Unterlassungstat ist unter Berücksichtigung der bisher angemeldeten Umsätze und Vorsteuern zu bestimmen.540 Maßgeblich für den Umfang der Steuerverkürzung ist mithin grds. die – sich richt­igerweise ergebende – Abschlusszahlung der verspäteten oder nicht abgegebenen Jahreserklärung nach § 18 Abs. 4 537 So auch Madauß, NZWiSt 2015, 23, 25. 538 Zur konkurrenzrechtlichen Behandlung siehe S. 377 f. 539 Zur Abgabefrist siehe S. 22 f. 540 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26; LG Mönchengladbach v. 08.09.2014 - 28 KLs 1/10 502 Js 862/07, nv, zitiert nach Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26, Fn. 47; a.A. AG Stuttgart v. 10.07.2013 - 23 Cs 147 Js 95252/12, NZWiSt 2014, 279, 280 zu § 398a AO; siehe S. 89 ff.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

UStG.541 Diese Abschlusszahlung (Zahllast abzüglich des Vorauszahlungssolls) entspricht in der Summe den Steuerverkürzungen durch die einzelnen Umsatzsteuervoranmeldungen. Durch die Nichtabgabe bzw. die verspätete Abgabe der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung werden m.E. neues Handlungsunrecht und neues Erfolgsunrecht mit einer weiteren Gefährdung des Steueraufkommens geschaffen. In Fall 3 musste U die Umsatzsteuerjahreserklärung bis zum 31.05.2018 abgeben. Nach § 149 Abs. 3 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung findet Art. 97 § 10a Abs. 4 EGAO erstmals für die Umsatzsteuerjahreserklärung 2018 Anwendung.542 U hat durch die nicht abgegebene bzw. verspätet abgegebene Umsatzsteuerjahreserklärung insgesamt 228.000,00 € Umsatzsteuer – zusätzlich zu den Taten aus den falschen Umsatzsteuervoranmeldungen – verkürzt.543 Nach hier vertretener Auffassung findet das Kompensationsverbot – wie dargestellt544 – in Unterlassungsfällen keine Anwendung. Selbst wenn man mit dem BGH aber auch in Unterlassungsfällen das Kompensationsverbot anwendet545, so unterliegen die in den Voranmeldungen bereits erklärten (!) Vorsteuern – anders als etwaige mit den Voranmeldungen noch nicht erklärte Vorsteuern – auch nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH vom 02.11.2010546 (ergangen allerdings zum Verlustvortrag bei einer Gewerbesteuerhinterziehung) nicht dem Kompensationsverbot in der Jahreserklärung.547 Es handelt sich um keine anderen Tatsachen, da sich der Steuerpflichtige hierauf im Besteuerungsverfahren (Voranmeldungsverfahren) schon berufen hat. Hierauf stellte das LG Mönchengladbach zur Umsatzsteuerjahreserklärung ab548, welches entschieden hat, dass sich in diesen Fällen eine Steuerverkürzung nur bei Vorliegen einer Abschlusszahlung ergebe; nicht jedoch hinsichtlich der bereits angemeldeten Beträge, da diesbezüglich eine Gefährdung des Steueraufkommens nicht mehr möglich sei. 541 Zur Anwendung des Kompensationsverbots in Bezug auf nicht vorangemeldete Vorsteuern siehe Fall 1b S. 95 f. 542 Siehe S. 23. 543 Zur konkurrenzrechtlichen Behandlung siehe S. 378. 544 Siehe S. 73 ff. 545 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152; v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107. 546 BGH v. 02.11.2010 - 1 StR 544/09, NZWiSt 2012, 75. Madauß, NZWiSt 2015, 24, Fn. 23. 547 Siehe S. 50 ff. 548 LG Mönchengladbach v. 08.09.2014 - 28 KLs 1/10 502 Js 862/07, nv, zitiert nach Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26, Fn. 47; dem zustimmend Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Abwandlung Fall 3a: U hat – wie ihm bei der Erstellung der verspäteten Umsatzsteuerjahreserklärung auffällt – bei Abgabe der Umsatzsteuervor­ anmeldungen vergessen – neben den jeweils zutreffend erklärten Vorsteuern von 8.000,00 € – in den einzelnen Umsatzsteuervoranmeldungen jeweils Vorsteuern von 10.000,00 € (insgesamt also 120.000,00 €) aus der Geschäftsraummiete geltend zu machen. Meines Erachtens549 wurden in Fall 3a je Umsatzsteuervoranmeldung 9.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 10.000,00 €), insgesamt also 108.000,00  €, verkürzt. Durch die Nichtabgabe bzw. die verspätete Ab­ gabe der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung wurde das Steueraufkommen erneut gefährdet und (erneut) Umsatzsteuer von 108.000,00 € verkürzt. Die Verkürzung reduziert sich mithin – bezogen auf die Umsatzsteuerjahreserklärung und die Summe der Voranmeldungen – jeweils um 120.000,00 €. In Fall 3a berücksichtigt der BGH550 lediglich die bereits erklärten Vorsteuern von jeweils 8.000,00 € je Umsatzsteuervoranmeldung. Die nicht erklärten Vorsteuern von 10.000,00 € je Umsatzsteuervoranmeldung unterliegen seiner Auffassung nach dem Kompensationsverbot und die Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO liegt wegen der Anwendung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO pro Voranmeldungszeitraum um 10.000,00 € höher als die Abschlusszahlung. Mithin ist nach Auffassung des BGH durch die unterlassene Umsatzsteuerjahreserklärung – wie im Grundfall 3 – Umsatzsteuer von 228.000,00 € verkürzt. ee) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht Fall 4: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Voranmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze mit Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) nicht erklärt. Es sind für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern von 5.000,00 € (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Am 30.03.2018

549 Keine Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b, sowie keine Anwendung des Kompensationsverbots in Unterlassungsfällen, siehe Fall 3.  550 Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b, sowie Anwendung des Kompensationsverbots in Unterlassungsfällen, siehe Fall 3.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

gibt U dann fristgerecht eine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. Umsatzsteuervoranmeldungen: In Bezug auf die Voranmeldungen liegt lediglich eine Hinterziehung auf Zeit vor. Wegen der Einreichung einer zutreffenden und fristgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung wird diese nicht zu einer Hinterziehung auf Dauer. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Meines Erachtens551 wurden in Fall 4 je Umsatzsteuervoranmeldung 14.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 5.000,00 €), insgesamt also 168.000,00 € verkürzt. Der BGH552 berücksichtigt die nicht erklärten Vorsteuern von jeweils 5.000,00  € je Umsatzsteuervoranmeldung nicht. Nach seiner Auffassung wurden je Umsatzsteuervoranmeldung 19.000,00 €, insgesamt also 228.000,00 €, verkürzt. Lediglich auf der Ebene der Strafzumessung geht der BGH je Umsatzsteuervoranmeldung von einem Steuerschaden von 14.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 5.000,00 €), insgesamt also von 168.000,00 € aus. Umsatzsteuerjahreserklärung: Hinsichtlich der richtigen und fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung liegt keine Steuerhinterziehung vor. Es ist zusätzlich in Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen – wie in Fall 1 – zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1, Abs. 2a AO durch Abgabe der zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung vorliegen.553 ff) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatz­ steuer­jahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben Fall 5: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Voranmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze nicht erklärt. Dies ergibt eine nicht erklärte Umsatzsteuer von 551 Keine Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b. 552 Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b. 553 Siehe S. 422 ff.und S. 426 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

jeweils 19.000,00 € (insgesamt für 2017 also 228.000,00 €). Es sind für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern aus der Geschäftsraummiete von 5.000,00 € (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. In dieser macht U vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 50.000,00 € geltend. Er erklärt mithin einen Saldo nach § 18 Abs. 4 UStG von 118.000,00 € (USt 228.00,00 € abzüglich der zutreffenden VorSt von 60.000,00 € und der VorSt aus Scheinrechnungen von 50.000,00 €). Umsatzsteuervoranmeldungen: In Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen liegt lediglich eine Hinterziehung auf Zeit vor. Durch die Einreichung einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung wird diese Hinterziehung auf Zeit nicht zu einer Hinterziehung auf Dauer, wenn die Umsatzsteuerjahreserklärung lediglich in anderen Punkten falsch (z.B. Vorsteuer aus Scheinrechnungen) ist, die nichts mit den unterlassenen Voranmeldungen zu tun haben. Maßgebend ist m.E. eine Fehleridentität, die hier jedoch nicht vorliegt. Nur bei Fehleridentität besteht ein Zusammenhang und eine Hinterziehung auf Zeit kann zu einer Hinterziehung auf Dauer umschlagen. In Fall 5 wird die Steuerhinterziehung auf Zeit durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuervor­anmeldungen wegen der Einreichung einer insoweit zutreffenden und fristgemäßen Umsatzsteuerjahreserklärung nicht zu einer Hinterziehung auf Dauer. Die Umsatzsteuerjahreserklärung enthält lediglich durch die Geltendmachung von Vorsteuer aus Scheinrech­ nungen von 50.000,00 € andere falsche Angaben, die sich nicht mit der Verkürzung durch die nicht abgegebenen Voranmeldungen decken. Der Umfang der Steuerverkürzung auf Zeit durch die Umsatzsteuervoranmeldungen entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Meines Erachtens554 wurden in Fall 5 je Umsatzsteuervoranmeldung 14.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 5.000,00 €), insgesamt also 168.000,00 €, verkürzt. In Fall 5 berücksichtigt der BGH555 die nicht erklärten Vorsteuern von 5.000,00  € je Umsatzsteuervoranmeldung nicht, da diese seiner Auf­ 554 Keine Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b, sowie keine Anwendung des Kompensationsverbots in Unterlassungsfällen, siehe Fall 3.  555 Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b, sowie Anwendung des Kompensationsverbots in Unterlassungsfällen, siehe Fall 3.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

fassung nach dem Kompensationsverbot unterliegen. Nach seiner Ansicht wurden je Umsatzsteuervoranmeldung 19.000,00 €, insgesamt also 228.000,00 €, verkürzt. Lediglich auf der Ebene der Strafzumessung geht der BGH je Umsatzsteuervoranmeldung von einem Steuerschaden von 14.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 5.000,00 €), insgesamt also von 168.000,00 €, aus. Umsatzsteuerjahreserklärung: Hinsichtlich der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung liegt eine Steuerhinterziehung auf Dauer vor. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. In Fall 5 wurde zu Unrecht Vorsteuer aus Scheinrechnungen von 50.000,00 € erklärt und in dieser Höhe – bereits mit Eingang der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung (§ 168 S. 1 AO) – Steuern verkürzt. Es ist zusätzlich in Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1, Abs. 2a AO durch Abgabe der – in anderen Punkten falschen (Vorsteuer aus Scheinrechnungen) – Umsatzsteuerjahreserklärung vorliegen.556 Dies ist m.E. der Fall, da jedenfalls die Taten aus den nicht abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen vollständig korrigiert wurden. Es liegt insoweit auch keine Teilselbstanzeige vor, die nach § 371 Abs. 1, Abs. 2a S. 1 AO auch in Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen wirksam wäre, soweit die Korrektur durch die Jahreserklärung reichen würde. Es stellt sich die Frage, ob es schädlich ist, dass die Umsatzsteuerjahreserklärung weitere bzw. andere Unrichtigkeiten (Vorsteuer aus Scheinrechnungen) enthält. Für eine Schädlichkeit der Unvollständigkeit der Umsatzsteuerjahreserklärung spricht, dass ein Unterlassen nur durch in vollem Umfang richtige Angaben beseitigt werden kann. Zudem hat der Gesetzgeber für die Umsatzsteuerjahreserklärung keine ­Privilegien vorgesehen (vgl. § 371 Abs. 2a S. 3 und 4 AO).557 Durch den insoweit klaren Wortlaut von § 371 Abs. 1, Abs. 2a S. 1 AO ist das Vollständigkeitsgebot in Bezug auf die Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen aber insgesamt und ohne Differenzierung suspendiert. Gegen eine Schädlichkeit in der vorliegenden Konstellation spricht daher der Wortlaut, nach dem es auf den Gegenstand der Korrektur – also auf die Umsatzsteuervoranmeldungen – ankommt. Dann darf es keinen Un­ terschied machen, ob die Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen durch Umsatzsteuervoranmeldungen oder durch eine Umsatzsteuer556 Siehe S. 422 ff. und S. 426 ff. 557 Siehe S. 428.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

jahreserklärung erfolgt. Meines Erachtens liegt daher eine wirksame Selbstanzeige vor. gg) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Fall 6: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Voranmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze nicht erklärt. Diese entsprechen jeweils einer Umsatzsteuer von 19.000,00  € (insgesamt also 228.000,00 €). Es sind für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern aus der Geschäftsraummiete von 5.000,00  € (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U allerdings vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Umsatzsteuervoranmeldungen: In Bezug auf die Voranmeldungen liegt – bis zum Fristablauf der Ein­ reichung der Jahreserklärung – lediglich eine Hinterziehung auf Zeit vor. Mit Fristablauf zur Einreichung der Jahreserklärung558 wird diese Hinterziehung auf Zeit zu einer Hinterziehung auf Dauer. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Meines Erachtens559 wurden in Fall 6 je Umsatzsteuervoranmeldung 14.000,00  € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 5.000,00 €) und damit insgesamt 168.000,00 €, verkürzt. In Fall 6 berücksichtigt der BGH560 die nicht erklärten Vorsteuern von 5.000,00  € je Umsatzsteuervoranmeldung nicht, da diese seiner Auffassung nach dem Kompensationsverbot unterliegen. Nach seiner Auffassung wurden je Umsatzsteuervoranmeldung 19.000,00 €, insgesamt also 228.000,00 €, verkürzt. Lediglich auf der Ebene der Strafzumessung geht der BGH je Umsatzsteuervoranmeldung von einem Steuerschaden von 14.000,00 € (USt 19.000,00 € abzüglich VorSt 5.000,00 €), insgesamt also von 168.000,00 €, aus. 558 Zur Abgabefrist siehe S. 22 f. 559 Keine Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b, sowie keine Anwendung des Kompensationsverbots in Unterlassungsfällen, siehe Fall 3.  560 Anwendung des Kompensationsverbots auch auf „allgemeine“ Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG, siehe Fall 1b, sowie Anwendung des Kompensationsverbots in Unterlassungsfällen, siehe Fall 3.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Umsatzsteuerjahreserklärung: Hinsichtlich der verspäteten oder nicht abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung liegt eine Steuerhinterziehung auf Dauer vor. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Dieser ist, wenn sowohl die Umsatzsteuervoranmeldungen als auch die Umsatzsteuerjahreserklärung nicht abgebeben wurden, stets identisch mit der Gesamtheit der Voranmeldungen und der Jahreserklärung.561 In Fall 6 ist dieser ebenfalls identisch mit den Verkürzungen aus den Voranmeldungen. hh) Umsatzsteuervoranmeldungen richtig und fristgerecht, Umsatz­ steuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben Fall 7: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 fristgerecht zutreffende monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. In dieser macht U vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 50.000,00  € geltend. Er erklärt mithin einen negativen Saldo nach § 18 Abs. 4 UStG von 50.000,00 € (Erstattung). Das Finanzamt erteilt am 10.04.2018 die Zustimmung nach § 168 S. 2 AO. Umsatzsteuervoranmeldungen: Hinsichtlich der richtigen und fristgerechten Umsatzsteuervoranmeldungen liegt selbstverständlich keine Steuerhinterziehung vor. Umsatzsteuerjahreserklärung: Bezüglich der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung liegt eine Steuerhinterziehung auf Dauer vor. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Da die Voranmeldungen zutreffend abgegeben wurden, ergibt sich im Rahmen der Jahreserklärung ein unrechtmäßig festgesetzter Erstattungsbetrag als Hinterziehungsbetrag (Saldo in der Jahreserklärung nach § 18 Abs. 4 UStG: verbleibende Umsatzsteuer abzüglich des Vorauszahlungssolls). Die Tat ist nach § 168 S. 2 AO mit Zustimmung vollendet. In Fall 7 wurde am 10.04.2018 (Erteilung der Zustimmung des Finanzamts) Umsatzsteuer i.H.v. 50.000,00 € verkürzt.

561 Reiß in FS Samson, S. 571, 572.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

ii) Umsatzsteuervoranmeldungen richtig und fristgerecht, keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Fall 8: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 fristgerecht zutreffende monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U allerdings vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Umsatzsteuervoranmeldungen: Hinsichtlich der richtigen und fristgerechten Umsatzsteuervoranmeldungen liegt keine Steuerhinterziehung vor. Umsatzsteuerjahreserklärung: Bezüglich der verspäteten oder nicht abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung liegt eine Steuerhinterziehung auf Dauer vor. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern. Diese tatbestandliche Verkürzung der Unterlassungstat ist unter Berücksichtigung der bisher angemeldeten Umsätze und Vorsteuern zu bestimmen.562 Maßgeblich für den Umfang der Steuerverkürzung ist mithin die Abschlusszahlung der verspäteten oder nicht abgegebenen Jahreserklärung nach § 18 Abs. 4 UStG. Diese beträgt jedoch vor dem Hintergrund der richtigen Umsatzsteuervoranmeldungen 0,00 €. Es liegt mithin keine Steuerverkürzung vor, weil keine Steuer geschuldet wird. Dem Finanzamt wurden sämtliche Besteuerungsgrundlagen im Rahmen des Voranmeldungsverfahrens vollständig bekanntgegeben. Es fehlt neben dem objektiven Tatbestand m.E. auch der subjektive Tatbestand. Denn U weiß, dass dem Finanzamt alle Besteuerungsgrundlagen bekannt sind. Es stellt sich im konkreten Fall bereits vorgelagert die Frage, ob überhaupt eine Tathandlung (pflichtwidriges Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) vorliegt, wenn das Finanzamt die richtigen Besteuerungsgrundlagen – durch die Umsatzsteuervoranmeldungen – kennt. Anders ausgedrückt stellt sich die Frage, ob die Unkenntnis in der Unterlassungsvariante ein Tatbestandsmerkmal darstellt.563 Da in Fall 8 das Finanzamt die zutreffenden Besteuerungsgrundlagen durch die zutref­ fenden Voranmeldungen kennt, liegt m.E. keine Steuerverkürzung vor. 562 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26; Reiß in FS Samson, S. 571, 589; LG Mönchengladbach v. 08.09.2014 - 28 KLs 1/10 502 Js 862/07, nv, zitiert nach Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26, Fn. 47; a.A. AG Stuttgart v. 10.07.2013 - 23 Cs 147 Js 95252/12, NZWiSt 2014, 279, 280 zu § 398a AO. 563 Siehe S. 132.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Unbenommen bleibt dem Finanzamt, den U etwa durch Zwangsmittel nach § 328 AO zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung zu bewegen. Abwandlung Fall 8a: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat aber die jeweilige Steuerschuld aus den Umsatzsteuervoranmeldungen zutreffend berechnet und jeweils fristgerecht an das Finanzamt überwiesen. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Ransiek564 sieht bereits in einer bloßen Zahlung bei Fälligkeitssteuern eine ausreichende Information der Finanzbehörden, wenn auch nicht unter Verwendung der amtlichen Vordrucke. Daher genüge „bei Fälligkeitssteuern das vorsätzliche Unterlassen der rechtzeitigen Abgabe einer Steuer(vor)anmeldung für sich allein“ nicht, um eine Steuerhinterziehung zu begehen. Wenn der Steuerpflichtige bei Fälligkeit zahlt, fehle nicht erst der Verkürzungserfolg, sondern es mangele bereits an einer Tathandlung. Schmitz/Wulf565 und Jäger566 sind der Ansicht, dass diese Auffassung weder mit dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO noch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift vereinbar ist. Der Tatbestand schütze das Vermögen des Staats, indem er den Steuerpflichtigen zwinge, die für eine zutreffende Festsetzung notwendigen Angaben zu erklären. Dazu genüge die Steuerzahlung allein noch nicht.567 Meines Erachtens stellt die Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung in Fall 8a eine Tathandlung (wenn auch ohne Verkürzungserfolg) dar, da die Überweisung allein das Finanzamt jedenfalls nicht über die Zusammensetzung der Besteuerungsgrundlagen informiert. Es wäre eine bloße Fiktion, insoweit eine Erklärung zu unterstellen. Mit Schmitz/ Wulf ist dies nur dann der Fall, wenn sich z.B. aus anderen Umständen wie aus den Angaben in der Überweisung die notwendigen Angaben ergeben. Etwa wenn der Steuerpflichtige dort die Höhe der getätigten Umsätze mitteilt und der Überweisungsbetrag 19 % dieser Umsätze beträgt. Es ist dann von Umsätzen in der genannten Höhe und dem Umstand, dass keine Vorsteuern angefallen sind, auszugehen.

564 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 416. 565 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 48. 566 Jäger in Klein, § 370, Rn. 106. 567 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 48.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

III. Nicht gerechtfertigte Steuervorteile Wie oben568 ausgeführt, kann der Taterfolg einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO auch im Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile liegen. 1. Begriff des Steuervorteils Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung, die der h.M. im Schrifttum569 entspricht, sind „Steuervorteile“ lediglich solche steuerlichen Besserstellungen des Steuerpflichtigen, die außerhalb des Festsetzungsverfahrens (verfahrensrechtliche Betrachtungsweise) gewährt werden. Lange Zeit war umstritten, ob auch Steuervergütungen Steuervorteile darstellen. Steuervergütungen sind gesetzlich vorgesehene Zahlungen von rechtmäßig erhobenen Steuern und werden dann gewährt, „wenn eine Person Steuern infolge einer Überwälzung wirtschaftlich getragen hat, ohne Steuerschuldner zu sein, oder um eine Mehrfachbelastung zu beseitigen.“570 Unstreitig gehören zu den Steuervergütungen die Vergütungen nach § 4a UStG für Körperschaften, welche gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke nach §§ 51–68 AO verfolgen.571 Die Frage, ob Vorsteuererstattungen bei der üblichen Umsatzsteuer(vor)anmeldung nach § 18 UStG als Steuervorteile anzusehen sind, war lange Zeit umstritten. Der BGH nahm dies (Steuervorteil) nur dann an, wenn nicht der gesamte Steuerfall oder Teile davon vorgetäuscht wurden (dann Betrug).572 Durch Einfügung von § 370 Abs. 4 S. 2 AO ist eine Klarstellung dahingehend erfolgt, dass Steuervergütungen ebenfalls Steuervorteile darstellen573, und somit jedenfalls stets der Anwendungsbereich der Steuerhinterziehung und nicht der des Betrugs betroffen ist. Auch nach der Einfügung von § 370 Abs. 4 S. 2 AO hängt die Zuordnung der Vorsteuererstattungen bei der üblichen Umsatzsteuer(vor)anmeldung nach § 18 UStG innerhalb der Steuerhinterziehung von der oben dargestellten Abgrenzung der Steuerverkürzung zum Steuervorteil ab.574

568 Siehe S. 33. 569 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 232, 352. 570 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 134.  571 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 134; Nöhren, S. 41; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 355. 572 Siehe S. 34. 573 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 134; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 432. 574 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 134.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

Bei Anwendung der hier vertretenen Abgrenzung nach Verfahrensabschnitten575 stellen Vorsteuererstattungen stets Steuerverkürzungen und keinen Steuervorteil dar. Dies ungeachtet dessen, dass diese Ansprüche abgabenrechtlich Steuervergütungen sind.576 Die Vertreter der oben aufgezeigten577 Abgrenzung nach der Art der Beeinträchtigung des Rechtsguts unterscheiden danach, ob eine Erstattung angemeldet wird (dann Steuervorteil) oder eine Nachzahlung (dann Steuerverkürzung). Ransiek578 wertet vor dem Hintergrund dieser Ansicht eine nach § 153 AO zwar gebotene, aber dennoch unterlassene Berichtigung einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung als einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil, da der Erfolg der Steuerverkürzung bereits durch die unrichtige Voranmeldung eingetreten sei und dem Täter der Vorteil – durch die Unterlassungstat der Nichtberichtigung – lediglich belassen werde. 2. Nicht gerechtfertigt Ein Steuervorteil ist dann nicht gerechtfertigt, wenn der Steuerpflichtige ihn bei richtiger Rechtsanwendung auf den wirklichen Sachverhalt nicht beanspruchen kann.579 Steuervorteile sind jedoch u.U. von formellen Voraussetzungen abhängig.580 Sofern das Gesetz die Gewährung von Steuervorteilen davon abhängig macht, dass sachliche Voraussetzungen in Form von bestimmten Bescheinigungen, Ausweisen oder Belegen nachgewiesen werden müssen (z.B. § 6 Abs. 4 UStG), ist nach h.M. der Steuervorteil auch dann nicht gerechtfertigt, wenn die materiellen Voraussetzungen vorliegen. Damit stellt sich die Frage, ob es sich um einen formellen Nachweis oder um eine materielle Voraussetzung handelt.581 Andere582 sind der Auffassung, dass Steuervorteile nicht allein deshalb zu Unrecht erlangt sind, weil ein förmlicher Nachweis nicht geführt werden kann.

575 Siehe S. 35. 576 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 134; so auch Peters in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 356. 577 Siehe S. 33 ff. 578 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 336. 579 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 144; BGH v. 04.02.1997 - 5 StR 680/96, wistra 1997, 186. 580 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 444. 581 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 145. 582 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 140; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370, Rn. 489, der in diesem Fall den Steuervorteil immer für gerechtfertigt hält.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Dies betraf nach früherer Rechtsprechung des BGH583 die Zusammenfassende Meldung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und nach noch aktueller Rechtsprechung584 den in § 6 Abs. 4 UStG i.V.m. § 13 UStDV normierten buchmäßigen Nachweis von Ausfuhrlieferungen.585

IV. Zwischenergebnis zum Taterfolg der Umsatzsteuer­ hinterziehung Hinsichtlich der Frage, wann der Erfolg einer Steuerverkürzung konkret vorliegt, wird in der Literatur oft pauschal danach differenziert, ob es sich um Fälligkeitssteuern oder Veranlagungssteuern handelt. Bei Fälligkeitssteuern tritt eine Steuerverkürzung nach h.M. grds. dann ein, wenn die Steuer nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig zum Fälligkeits­ termin angemeldet worden ist. Es wurde festgestellt, dass diese Differenzierung zwischen Fälligkeits- und Veranlagungssteuern – wobei unter Fälligkeitssteuern grds. Anmeldesteuern verstanden werden – für etwaige Rechtsfolgen hinsichtlich des Erfolgs einer Steuerverkürzung bedeutungslos und eher irreführend ist. Zutreffender – ohne dass damit in rechtlicher Hinsicht etwas gewonnen wäre – ist die Bezeichnung als „Selbstveranlagungssteuer“. Demzufolge ist die Umsatzsteuer als Veranlagungssteuer, und zwar als Selbstveranlagungssteuer zu verstehen. Die Steuerfolgen für den Taterfolg (§ 370 Abs. 4 AO) ergeben sich nicht aus der Bezeichnung der Umsatzsteuer, sondern schlicht aus der Vorschrift des § 168 AO. Hinsichtlich des Vollendungszeitpunkts bei der Umsatzsteuerhinterziehung ist nach § 168 AO zu differenzieren zwischen dem Fall der Abgabe einer Steueranmeldung mit der Folge einer zu niedrigen Steuerfestsetzung und der Nichtabgabe mit der Folge der fehlenden bzw. nicht rechtzeitigen Festsetzung: Gibt der Steuerpflichtige vor dem Fälligkeitstag eine unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung mit einer Zahllast ab, tritt Vollendung bereits mit Eingang der unrichtigen Steueranmeldung beim Finanzamt ein. Gibt der Steuerpflichtige hingegen vor dem Fälligkeitstag eine unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung mit ei583 BGH v. 12.05.2005 - 5 StR 36/05, wistra 2005, 308; jetzt anders BGH v. 19.08.2009 1 StR 206/09, wistra 2009, 475, 476. 584 BGH v. 04.01.1989 - 3 StR 415/88, wistra 1989, 190; v. 08.02.1983 - 1 StR 765/82, wistra 1983, 115. 585 Siehe S. 197.

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B.  Taterfolg der Steuerhinterziehung

nem Erstattungsbetrag ab, liegt nach § 168 S. 2 AO erst dann eine vollendete Steuerhinterziehung vor, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat. Vor Erteilung der Zustimmung bzw. bei fehlender bekanntgegebener Zustimmung befindet sich die Tat erst im Versuchsstadium. Im Fall der Nichtabgabe einer Steueranmeldung ist – wegen der unterschiedlichen Abgabefristen – danach zu differenzieren, ob es sich um eine Umsatzsteuervoranmeldung oder eine Umsatzsteuerjahreserklärung handelt: Sofern der Unternehmer zur Abgabe von Umsatzsteuervor­ anmeldungen verpflichtet ist, tritt die Vollendung – unabhängig davon, ob sich ein Erstattungsbetrag oder eine Zahllast ergibt – mit Ablauf des Tags ein, an dem die Steueranmeldung abzugeben war. Im Fall der Nicht­ abgabe bzw. der verspäteten Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung tritt – unabhängig davon, ob ein Erstattungsbetrag oder eine Zahllast vorliegt – Vollendung der Steuerhinterziehung mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunkts ein. Es wurde festgestellt, dass in Fällen, in denen der Unternehmer eine Steueranmeldung mit einer Zahllast abgibt, der Erlass eines von den Berechnungen des Steuerpflichtigen abweichenden Steuerbescheids mit einer höheren Zahllast durch die Finanzverwaltung keine Auswirkungen auf einen etwaig bereits eingetretenen Verkürzungserfolg hat. Der (gesamte) Verkürzungserfolg ist bereits mit Abgabe der falschen Steueranmeldung verwirklicht. Gleiches gilt für den Fall der verspäteten Abgabe bzw. Nichtabgabe einer Steueranmeldung. Sofern der Unternehmer einen (zu hohen) Erstattungsbetrag angemeldet hat und noch keine Zustimmung nach § 168 S. 2 AO erteilt wurde, tritt – zu der bislang lediglich versuchten Hinterziehung – ein weiterer Hinterziehungserfolg mit der Bekanntgabe des Steuerbescheids ein, wenn die Festsetzung niedriger als die gesetzlich geschuldete Steuer ist. Diese Festsetzung bewirkt dann eine vollendete Steuerhinterziehung. Zum Kompensationsverbot wurde festgestellt, dass Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG (Fremdleistungen) grds. nicht dem Kompensationsverbot unterliegen, da in der Regel ein unmittelbarer Zusammenhang zu den Ausgangsumsätzen besteht. Auf Vorsteuern bei der Einfuhr nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG ist das Kompensationsverbot ebenfalls nicht anzuwenden. Die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG (innergemeinschaftlicher Erwerb) unterliegt ebenso wie die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG (Reverse-Charge-Verfahren) nicht dem Kompensationsverbot. Das Kompensationsverbot findet bei Nichtabgabefällen keine Anwendung. Im Fall der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aufgrund von unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben (kein Unterlassungsfall) 111

1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

können je nach Fallgestaltung in dieser Erklärung nicht mitgeteilte steuerermäßigende Tatsachen im Nachhinein aufgrund der Anwendung des Kompensationsverbots ausgeschlossen sein. Die Abgabe einer falschen Umsatzsteuervoranmeldung bzw. deren Nicht­ abgabe stellt – unabhängig von der Vorstellung des Täters – eine Ver­ kürzung auf Zeit dar und der Verkürzungserfolg entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Umsatzsteuer. Etwaige Vorstellungen des Täters – gerichtet auf eine zeitweise oder dauerhafte Steuerverkürzung – sind lediglich auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.

C. Tatbestandsmäßiges Verhalten Die Verwirklichung des tatbestandlichen Erfolgs ist sowohl durch Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) als auch durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2, 3 AO) möglich. Auf die Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO durch Unterlassen wird im Weiteren nicht näher eingegangen, da – wie bereits oben erwähnt – die Erhebung der Umsatzsteuer nicht unter Verwendung von Steuerstemplern bzw. Steuerzeichen vorgenommen wird.

I. Steuerhinterziehung durch Handeln, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Eine Steuerhinterziehung durch Handeln setzt voraus, dass gegenüber den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden. 1. Angaben machen Unter „Angaben machen“ „ist eine Handlung zu verstehen, die auf die Psyche eines anderen in der Weise einwirkt bzw. einwirken kann, dass in diesem die Vorstellung von Tatsachen entstehen soll“.586 Hierunter fällt insbesondere die ausdrückliche Abgabe einer mündlichen oder schriftlichen Erklärung587 ebenso wie konkludentes Verhalten oder die Datenfernübertragung und Datenträgerübermittlung588 auch über das

586 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 171. 587 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 171; siehe auch Beyer, NWB 2016, 1508, 1513. 588 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 216; Kürzinger in Wannemacher, Rn. 53; zur Verfassungsmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Pflicht zur elektronischen Übermittlung BFH v. 14.03.2012 - XI R 33/09, BStBl. II 2012, 477, 480 ff.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

„ELSTER-Online“-Verfahren589. Eine ausdrückliche Erklärungsabgabe stellen z.B. die ausdrückliche Äußerung gegenüber einem Steuerprüfer dar oder Angaben, welche in amtliche Steuererklärungsvordrucke eingetragen bzw. als separate Anlage einer Steuererklärung beigefügt worden sind.590 In diesem Zusammenhang ist es ohne Belang, welches Medium vom Täter verwendet wird oder ob eine Verpflichtung zur Abgabe bestand.591 Nach gängiger Auffassung ist nicht Voraussetzung, dass der Täter selbst als Urheber der Erklärung erkennbar ist.592 Die o.g. bisherige Definition des „Angabenmachens“ muss vor dem Hintergrund der vollautomatisierten Veranlagung neu überdacht werden. Eine Einwirkung „auf die Psyche eines anderen“ ist angesichts des Fehlens von Sachbearbeitern in einem solchen Veranlagungsverfahren fernliegend. Allerdings kann bei der Aussteuerung eines Falls zur manuellen Bearbeitung durch einen Sachbearbeiter eine „Wirkung auf die Psyche“ eintreten. Bereits bisher wird daher das „Angabenmachen“ schon weiter verstanden. Unrichtige Angaben macht daher jeder, „der verursacht, dass den Finanzbehörden im Rahmen der Kommunikationsbeziehung fehlerhafte Sachverhaltsinformationen übermittelt werden“.593 Die psychische Einwirkung ist in dieser Definition nicht mehr enthalten. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist kein eigenhändiges Delikt.594 Daher können unrichtige Angaben durch jeden Dritten, auch durch den Nicht-Steuerpflichtigen, wie z.B. den steuerlichen Berater, gemacht werden.595 a) Unterschriebene Steuererklärung Lange Zeit wurden Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen in Papierform und unterschrieben beim Finanzamt eingereicht. Für die Umsatzsteuervoranmeldungen gilt, dass diese nach § 18 Abs. 1, 3 UStG, § 150 Abs. 3, 6, 7 AO auch von jeder bevollmächtigten Person unterzeichnet werden können.596 Die Umsatzsteuerjahreserklärung bedurfte hingegen – bis zum 01.10.2010 – der Unterschrift bzw. der qualifizierten elektronischen Signatur des für die juristische Person

589 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 216. 590 Kürzinger in Wannemacher, Rn. 54. 591 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 96 f. 592 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 219. 593 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 219; so im Ergebnis auch Hellmann in GS Joecks, S. 481, 491.  594 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 216; Bülte, NZWiSt 2015, 237, 239. 595 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 219. 596 So im Ergebnis Gehm, S. 199.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Handelnden bzw. des Unternehmers.597 Die Unterschrift unter einer Steuererklärung dient dazu, dass sich der Steuerpflichtige über Richtigkeit und Vollständigkeit der getätigten Eintragungen bewusst wird und ihm die Wichtigkeit seiner Steuererklärung vor Augen geführt wird598 und er hiermit die Verantwortung für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Steuererklärung übernimmt.599 b) Elektronische Steuererklärung Umsatzsteuervoranmeldungen müssen nach § 18 Abs. 1 UStG seit dem Veranlagungszeitraum 2005 elektronisch übermittelt werden, Umsatzsteuerjahreserklärungen nach § 18 Abs. 3 UStG und Anträge auf Dauerfristverlängerungen seit dem Veranlagungszeitraum 2011. In § 150 Abs. 6 S. 1 AO findet sich eine Verordnungsermächtigung für die Übermittlung von Steuererklärungen durch Datenübertragung (elektronische Steuererklärung), wie es auch – wie oben ausgeführt – für die Umsatzsteuer verpflichtend ist. Eine elektronische Signatur ist inzwischen nicht mehr erforderlich, ausreichend ist seit dem 01.08.2013 für Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen eine Authentifizierung mittels des ELSTER-Verfahrens.600 Einer eigenhändigen Unterschrift bedarf es nur noch in eng begrenzten sog. Härtefällen, sodass dieser Vorschrift nur noch eine geringe Bedeutung zukommt.601 Alternativ zur Datenübermittlung über ELSTER durch den Steuerpflichtigen besteht auch die Möglichkeit, die Steuererklärung durch einen Steuerberater z.B. über DATEV übermitteln zu lassen.602 In diesem Fall ist kein weiteres persönliches Zertifikat des Beraters zur Authentifizierung erforderlich.603 Bei der Abgabe einer elektronischen Umsatzsteuervoranmeldung bzw. Umsatzsteuerjahreserklärung ist – mangels (körperlicher) Unterschrift – fraglich, wem die elektronisch übermittelten Daten zuzurechnen sind;604 597 Gehm, S. 199; Bülte, NZWiSt 2015, 237, 239. 598 Rätke in Klein, § 150, Rn. 35. 599 Beyer, NWB 2016, 1304, 1308; siehe auch BFH v. 22.05.2007 - IX R 55/06, BStBl. II 2007, 857; v. 25.06.1997 - VIII B 35/96, BFH/NV 1998, 8; v. 14.01.1991 - X R 84/95, BFH/NV 1998, 1013, 1014; Rätke in Klein, § 150, Rn. 35; Seer in Tipke/Kruse, § 150 AO, Rn. 12. 600 Siehe auch Stahl, KÖSDI 2015, 19473, 19474; zum ELSTER-Verfahren Musil/ Burchard/Hechtner, DStR 2007, 2290; Seer in Tipke/Kruse, § 150 AO, Rn. 27. 601 So im Ergebnis Rätke in Klein, § 150, Rn. 38. 602 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 98; ders. in GS Joecks, S. 571, 574.  603 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 98. 604 BGH v. 05.09.2017 - 1 StR 198/17, wistra 2018, 263, 265; Seer in Tipke/Kruse, § 150 AO, Rn. 28; Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 38 ff.; siehe auch Wenzel, NWB

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

ob also z.B. der Steuerberater die Erklärung als diejenige seines Mandanten oder als eigene einreicht.605 Es gelten insofern aber ebenso wie bei „analogen Erklärungen“ die allgemeinen Grundsätze.606 Die Antwort auf diese Frage ist eng mit dem Begriff der Täterschaft verbunden und wird dort erörtert.607 Ferner ergeben sich Fragen über die Datenechtheit (Datenauthentizität), also ob die Angaben auch tatsächlich von der Person gemacht wurden, von der sie zu stammen scheinen. c) Datenauthentizität Einen anderen Aspekt betrifft die Frage der Datenauthentizität, also der Zuordnung der Daten zu einer bestimmten Person.608 § 87a Abs. Abs. 6 S. 1 AO (bis zum 31.12.2016 geregelt in § 6 Abs. 2 StDÜV) sieht zwar vor, dass „bei der elektronischen Übermittlung […] ein sicheres Verfahren zu verwenden [ist], das den Datenübermittler authentifiziert und die Vertraulichkeit und Integrität des elektronisch übermittelten Datensatzes gewährleistet“609 Bislang ist aber ungeklärt, ob die technischen Regelungen unter strafrechtlichen Gesichtspunkten genügen, um eine elektronisch übermittelte Erklärung dem jeweiligen Steuerpflichtigen als eigene Erklärung zuzurechnen. Bestreitet der Beschuldigte, die Erklärung übermittelt oder deren Übermittlung veranlasst zu haben, werden die technischen Übermittlungsverfahren einer entsprechenden rechtlichen Überprüfung unterzogen werden müssen. Von Seiten der Finanzverwaltung existieren drei Stufen: ELSTER-Basis (elektronisches Authentifizierungszertifikat mit Kennwort), ELSTER-­ Spezial (USB-Stick mit Sicherheitschip) und ELSTER-Plus (Signaturkarte), welche unterschiedliche Authentizitätsgrade aufweisen.610

2012, 905, 908; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 98a f.; Kürzinger in Wannemacher, Rn. 135, 136; Bülte, NZWiSt 2015, 237, 239. 605 Bülte, NZWiSt 2015, 237, 239. 606 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 216; Hellmann in GS Joecks, S. 481, 493; Rolletschke in GS Joecks, S. 571, 584.  607 Siehe S. 161 f. 608 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 98b; Hellmann in GS Joecks, S. 481, 492.  609 Regierungsentwurf Steuervereinfachungsgesetz 2011, BT-Drs. 17/5125 v. 21.03.2011, S. 16. 610 Beyer, NWB 2016, 1304; Seer in Tipke/Kruse, § 150 AO, Rn. 27; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 98.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Darüber hinaus ist zwischen dem sog. ELSTER-I- und dem sog. ELSTER-­IIVerfahren zu unterscheiden.611 Beim ELSTER-I-Verfahren handelt es sich um die Abgabe einer komprimierten Steuererklärung, wobei zusätzlich neben der erfolgten Datenübermittlung noch die Abgabe einer schriftlichen und vom Steuerpflichtigen unterschriebenen Version dieser Steueranmeldung bei der Finanzbehörde erforderlich ist. Ein Zugriff auf die elektronischen Daten ist nur durch die auf dem Ausdruck dieser Steuererklärung enthaltene Telenummer möglich, wobei eine zulässige Bearbeitung nicht ohne das Vorliegen der schriftlichen Erklärung durchführbar ist.612 Eine wirksame Abgabe der Steuererklärung ist erst mit der Ein­ reichung der komprimierten Erklärung in Papierform gegeben. Beim ­ELSTER-II-Verfahren (sog. authentifizierte Datenübermittlung613) hingegen erfolgt eine einmalige Identifizierung im Vorfeld durch den Erhalt eines persönlichen elektronischen Zertifikats beim ELSTER-Online-Portal. Die Abgabe der Steuererklärung erfolgt papierlos und ohne Unterschrift. Bezüglich der Umsatzsteuer ist insoweit zwischen der Umsatzsteuervoranmeldung und der Umsatzsteuerjahreserklärung zu differenzieren:614 Bei der Umsatzsteuervoranmeldung ist eine Authentifizierung nach vorheriger Registrierung erforderlich (ELSTER II). Anschließend erfolgt als Übermittlungsnachweis der Umsatzsteuervoranmeldung lediglich ein Übertragungsprotokoll. Bei der Umsatzsteuerjahreserklärung hingegen sind sowohl das ELSTER-I- als auch das ELSTER‑II-Verfahren möglich. Die bereits existierenden Authentifizierungsverfahren sind jedoch – wie sämtliche EDV-gestützten Anwendungen – nie zu 100 % manipulationsunanfällig.615 Damit können bestimmte Daten nicht mit letzter Sicherheit einer bestimmten Person zugeordnet werden. Die Daten können ­allenfalls einem bestimmten registrierten Nutzerkonto zugeordnet werden.616 Da ein Zertifikat bzw. Benutzerkonto zudem von verschiedenen Computern genutzt werden kann, könnte die Finanzverwaltung die Zuordnung zu einem bestimmten Computer nur nachweisen, wenn die IP-Adresse als Nachweis vorliegt.617 Diese wird aber durch die Finanzver611 Deutscher Steuerberaterverband, StBdirekt-Nr. 012935, S. 3, 5; zum ELSTER-Verfahren Lewandowski/Ackermann, DStR 2014, 1646; Musil/Burchard/Hechtner, DStR 2007, 2290.; siehe auch Beyer, NWB 2016, 1304; Rolletschke in GS Joecks, S. 571, 573.  612 Deutscher Steuerberaterverband, StBdirekt-Nr. 012935, S. 5. 613 Beyer, NWB 2016, 1304. 614 www.elster.de/untern_info.php. 615 Siehe Hellmann in GS Joecks, S. 481, 492.  616 Beyer, NWB 2016, 1304, 1308; Musil/Burchard/Hechtner, DStR 2007, 2290, 2297. 617 Beyer, NWB 2016, 1304, 1308; DWS-Institut, DStR 2006, 1588; siehe auch Seer in Tipke/Kruse, § 150 AO, Rn. 27.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

waltung nicht dauerhaft gespeichert, was zudem eine unzulässige Vorratsdatenspeicherung darstellen würde.618 Dieses Problem betrifft allerdings nicht nur die elektronische Datenübermittlung; auch bei einer Unterschrift auf einer Steuererklärung in Papierform kann eine Fälschung nicht zu 100 % ausgeschlossen werden, infolgedessen u.U. der Tatverdacht gegen einen Unbeteiligten entsteht. 2. Unrichtige oder unvollständige Angaben über Tatsachen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen sind auch dann unvollständig, wenn wahrheitswidrig bei ansonsten wahrheitsgemäßen Angaben konkludent suggeriert wird, dass auch diese Angaben vollständig sind.619 Unrichtig sind hingegen Angaben, welche hinsichtlich ihrer enthaltenen Aussagen von der Wirklichkeit abweichen.620 Diese Angaben muss der Täter gegenüber Finanzbehörden oder gegenüber anderen Behörden gemacht haben.621 Tatsachen sind reale, dem Beweis zugängliche äußere oder innere Zustände der Vergangenheit oder Gegenwart.622 Diese sind von bloßen Rechtsausführungen bzw. Rechtsansichten abzugrenzen, wobei diese Abgrenzung besonders im Steuerstrafrecht problematisch ist. Die nach den amtlichen Formularen abzugebenden Steuererklärungen (§ 150 Abs. 1 AO) bestehen weit überwiegend aus Zahlen in den dafür vorgesehenen Kennzahlen. Die Ermittlung dieser Zahlen setzt aber eine Rechtsanwendung voraus, womit dann Tatsachen und Rechtsansichten untrennbar miteinander verknüpft sind. Für Zwecke des Steuerstrafrechts ist daher herauszufiltern, „welcher Tatsachenkern aus den zusammengefassten Betragsangaben etc. zu entnehmen ist“.623 a) Abweichende Rechtsauffassungen Nach überwiegender Ansicht in der Literatur624 sind unrichtige Rechtsauffassungen für den Straftatbestand des § 370 AO irrelevant, solange es sich um vertretbare Rechtsauffassungen handelt. Für diese Sichtweise 618 Beyer, NWB 2016, 1304, 1308. 619 Rolletschke, Rn. 25; vgl. auch Gibhardt, S. 150. 620 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 129. 621 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 251. 622 Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 161. 623 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 228. 624 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 235; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 179; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 239; Peters in Hübschmann/ Hepp/Spitaler; § 370 AO, Rn. 205.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

spricht, dass sich die Tathandlung nach dem Wortlaut von § 370 AO auf unzutreffende Tatsachen beziehen muss. Daher ist fraglich, ob das Verschweigen von Rechtsansichten überhaupt diesem Tatbestand unterfällt. Die Gegenansicht625 legt den Empfängerhorizont der Finanzverwaltung zugrunde und ist der Ansicht, dass ein verdecktes – also nicht ausdrücklich offengelegtes – Abweichen von der Rechtsprechung, den Richtlinien der Finanzverwaltung oder der regelmäßigen Verwaltungspraxis zu einer unrichtigen Tatsachenangabe führt. Danach hat der Steuerpflichtige diejenigen Sachverhalte offenzulegen, deren Relevanz objektiv zweifelhaft ist.626 Die Frage, ob auch dann eine Hinweispflicht besteht, wenn der Erklärende eine abweichende Rechtsansicht nur für möglich hält, hat der BGH bislang nicht entschieden.627 Mit Urteil vom 19.12.1990 hat der BGH628 allerdings weitreichende Erklärungspflichten angenommen und die Ansicht vertreten, dass die Pflicht bestehe, sämtliche Tatsachen offenzulegen, die steuerrechtlich erheblich sein könnten. Insbesondere stellt sich diese Frage bei den seit 2017 schrittweise eingeführten sog. qualifizierten Freitextfeldern in elektronischen Steuererklärungen, also vor allem bei Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung (vgl. § 150 Abs. 7 AO).629 Die Zeile 75 (Kennzahl 23) im Umsatzsteuer-Voranmeldungs-Vordruck sowie die Zeile 22 (Kennzahl 123) im Umsatzsteuer-Jahreserklärungs-Vordruck fragen nun seit dem Besteuerungszeitraum 2017 danach, ob „über die Angaben in der Steuer­ anmeldung hinaus weitere oder abweichende Angaben oder Sachver­ halte zu berücksichtigen“ sind. Dort kann eine „1“ eingetragen werden und das Finanzamt auf einem gesonderten Blatt mit der Überschrift „Ergänzende Angaben zur Steueranmeldung“ über die abweichende Rechtsauffassung informiert werden.630 Für die Beantwortung der Frage, ob ­abweichende Rechtsansichten offenzulegen sind, können m.E. die Überlegungen zu den schriftlichen Steuererklärungen analog angewandt werden.631

625 BGH v. 10.11.1999 - 5 StR 221/99, wistra 2000, 137, 139 f.; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 76 ff. 626 Jäger in Klein, § 370, Rn. 44a. 627 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 231; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 206. 628 BGH v. 19.12.1990 - 3 StR 90/90, BGHSt 37, 266, 283 f. 629 Erb, DB 2017, 1469; Beyer, DB 2017, 2196. 630 Erb, DB 2017, 1469; Beyer, DB 2017, 2196.  631 So auch Beyer, DB 2017, 2196; Erb, DB 2017, 1469, 1471. 

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

b) Auswirkung steuerlicher Nachweisvorschriften auf den Taterfolg Hinsichtlich der Auswirkungen steuerlicher Nachweisvorschriften auf den Taterfolg stellt sich die Frage, ob die Verletzung steuerlicher Formund Beweisvorschriften zu unrichtigen Angaben über Tatsachen führen kann. Würde man diese Nachweise als materiell-rechtliche Bedingung auffassen, hätte dies auch eine steuerstrafrechtliche Bedeutung zur Konsequenz. Bei einer entsprechenden Übertragung auf das Strafrecht würde dies bedeuten, dass eine Steuerverkürzung vorläge, wenn kein notwendiger Nachweis für die steuermindernden Tatsachen oder eine Steuerbefreiung geführt werden kann, da der in Rede stehende Nachweis dann eine „steuerlich erhebliche Tatsache“ i.S.d. § 370 Abs. 1 AO darstellt.632 Vor dem Hintergrund der zahlreichen Formvorschriften im stark formalisierten Umsatzsteuerrecht ist diese Problematik gerade im Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung von großer Bedeutung. Hierzu zählen z.B. die Nachweise bei innergemeinschaftlichen Lieferungen nach § 6a Abs. 3 UStG bzw. Ausfuhrlieferungen nach § 6 Abs. 4 UStG sowie nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 UStG hinsichtlich des Besitzes einer Rechnung zum Vorsteuerabzug.633 aa) Bloße steuerliche Formvorschriften Rein formale Nachweispflichten (Beweislast und Vermutungsregeln des Steuerrechts) haben nach der h.M.634 keine strafrechtliche Relevanz. Insoweit geht es lediglich um Fragen der Beweislast.635 Der Vorwurf un­ richtiger Angaben kann mithin nicht darauf gestützt werden, dass der Steuerpflichtige steuermindernde Tatsachen entgegen den steuerlichen Vorschriften nicht nachweisen kann.636 Steuerstrafrechtlich werden Nachweispflichten lediglich formeller Art durch die Vorschriften des Strafprozessrechts (§ 261 StPO; „in dubio pro reo“) verdrängt.637

632 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 172, 237 f. 633 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 172; siehe auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 436, 444. 634 Vgl. BGH v. 24.06.1987 - 3 StR 152/87, wistra 1987, 292, 293; v. 13.10.1994 - 5 StR 134/94, wistra 1995, 67, 69; OLG Düsseldorf v. 26.08.1988 - 3 Ws 512/88, wistra 1989, 72, 76 f.; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 75; Schmitz/Wulf in MKStGB, § 370 AO, Rn. 237 f.; Spriegel, wistra 1998, 241, 243; a.A. Klein, S. 51 ff. 635 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 75. 636 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 238. 637 BGH v. 24.06.1987 - 3 StR 152/87, wistra 1987, 292, 293; Schmitz/Wulf in MKStGB, § 370 AO, Rn. 172, 173; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 74, 75.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

bb) Nachweiserfordernisse als materielle Voraussetzung Anders ist dies, wenn die steuerlichen Vorschriften die Anerkennung einer steuermindernden Tatsache oder einer Steuerbefreiung „kategorisch“ von einer bestimmten Form des Nachweises abhängig machen und eine andere Form des Nachweises unzulässig ist, es sich also um sog. „materielle Voraussetzungen“ der Norm handelt.638 Überwiegend639 wird, wenn in diesen Fällen das Nachweiserfordernis nicht erfüllt ist, die Steuerminderung bzw. die Steuerfreiheit aber geltend gemacht wird, dies als das Angeben von falschen Tatsachen gesehen. Einige Stimmen640 stellen da­ rauf ab, ob die Formvoraussetzungen auch noch nach Abschluss des Veranlagungsverfahrens nachgeholt werden können. Es kommt mithin darauf an, welchen steuerlichen Nachweisregelungen materiell-rechtlicher Charakter zukommt. In Bezug auf die Umsatzsteuer sind dies die folgenden Fallgruppen: cc) Ordnungsgemäße Rechnung und Vorsteuerabzug Die Existenz einer Rechnung mit Vorsteuerausweis641 stellte bislang nach nahezu einhelliger Auffassung kein bloßes Nachweiserfordernis dar, sondern „eine materielle Tatsache im eigentlichen Sinne“.642 Es handelte sich „nicht um den Beweis des materiell-rechtlichen Anspruchs, sondern um eine sachlich-rechtliche Bedingung“.643 Wie oben ausgeführt644, geht der EuGH645 in seiner Senatex-Entscheidung aber davon aus, dass der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung nur eine formelle und keine materielle Voraussetzung für die Geltendmachung des Vorsteueranspruchs ist, und ermöglicht hierdurch die steuerliche Rückwirkung bei einer Berichtigung. Sofern der Unternehmer aufgrund etwaiger Beanstandungen durch die Finanzverwaltung, eine Rechnung sei nicht ordnungsgemäß, diese bis zum Erlass der Entscheidung über den Vorsteuerabzug vervollständigt, liegt nach dem EuGH eine vorsteuererhaltende rückwirkende Korrektur vor.

638 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 239. 639 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 279; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 445; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 68, 77. 640 Keßeböhmer, S. 35 ff.; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 243. 641 Siehe S. 13 ff. 642 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 245; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 446; a.A. Keßeböhmer, S. 45 ff. 643 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 446. 644 Siehe S. 13 f. 645 EuGH v. 15.09.2016 - C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029, 1030.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

Hinsichtlich der Frage der Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug und einer etwaigen Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug646 ist nach Ansicht des BGH647 der Zeitpunkt der Lieferung bzw. sonstigen Leistung, nicht hingegen jener der Abgabe der Steueranmeldung entscheidend. Auch eine nachträgliche Kenntnis von dem Abzug entgegenstehenden Umständen lässt die Vorsteuerabzugsberechtigung nicht rückwirkend entfallen. Sofern der Unternehmer jedoch um seine Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug wusste oder dies hätte wissen müssen, mache er bei Geltendmachung der Vorsteuer unrichtige bzw. unvollständige Angaben, sodass „auch die Umstände offengelegt werden [sollten], die die Annahme fahrlässiger Unkenntnis der Einbindung in das Betrugssystem begründen könnten“.648 Die Auswirkungen dieser neuen EuGH-Rechtsprechung auf das deutsche Steuerstrafrecht sind durch die nationale Rechtsprechung bislang nicht geklärt. Sofern der Unternehmer bereits steuerlich nachweisen kann, dass er bei Leistungsbezug eine den steuerlichen Anforderungen für den Vorsteuerabzug entsprechende Rechnung erhalten hat, liegen nach der EuGH-­ Rechtsprechung die steuerlichen Voraussetzungen für den Vorsteuer­ abzug vor. Gleiches gilt, sofern nach der EuGH-Rechtsprechung eine rückwirkende Rechnungsberichtigung zulässig ist. In beiden Fällen liegt in der Geltendmachung m.E. keine falsche (konkludente) Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen in Bezug auf die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vor. Es stellt sich aber (1) die Frage der Strafbarkeit in den Fällen, in denen der Steuerpflichtige nicht im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist und auch niemals war, er die Leistung aber nachweisbar erhalten und bezahlt hat.649 Diese Frage stellt sich nicht zuletzt auch deshalb, weil der EuGH in seinem Senatex-Urteil ausdrücklich festgestellt hat, dass die nationale Gesetzgebung Sanktionen vorsehen kann, wenn Vorsteuer mit zunächst nicht ordnungsgemäßen Rechnungen geltend gemacht wurde. Während nach der bisherigen Rechtslage das Vorhandensein einer ordnungsgemäßen Rechnung auch nach der jüngeren EuGH-Rechtspre-

646 Siehe zum Vorsteuerabzug S. 12 ff. und S. 242. 647 BGH v. 01.10.2013 - 1 StR 312/13, DStR 2014, 365, 367; v. 05.02.2014 - 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335 f. 648 BGH v. 01.10.2013 - 1 StR 312/13, DStR 2014, 365, 366 f. 649 Grötsch, Stbg 2017, 500, 502.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

chung650 und der BGH-Rechtsprechung651 für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG bzw. Art 178 MwStSystRL erforderlich ist, stellt der EuGH652 dies mit Urteil vom 21.11.2018 in der Rechtssache Vădan deutlich in Frage.653 Der Nachweis der Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug müsse nach dem Unionsrecht auch ohne Vorlage von Rechnungen – etwa durch andere Dokumente – möglich sein.654 Die Frage einer Strafbarkeit stellt sich (2) ebenso, wenn der Unternehmer tatsächlich die Leistung erhalten und bezahlt hat, er zunächst gar keine Rechnung erhält und eine den umsatzsteuerlichen Anforderungen entsprechende Rechnung erst nach der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs erhält. In dieser Fallkonstellation ist eine rückwirkende Rechnungsberichtigung steuerlich nach h.M. unzulässig.655 Die Frage stellt sich (3) ferner, wenn der Unternehmer tatsächlich die Leistung erhalten und bezahlt hat, er eine den umsatzsteuerlichen Anforderungen entsprechende Rechnung aber erst nach Erlass der (steuerlichen) Entscheidung über die Versagung des Vorsteuerabzugs vorlegt. In all diesen Fällen ist für eine Strafbarkeit entscheidend, ob in der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs die (konkludente) Angabe und damit eine steuerlich erhebliche Tatsache gesehen werden kann, sodass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vorliegen. Eine solche Sichtweise führt dazu, dass die Geltendmachung der Vorsteuer in diesen Fällen eine unrichtige Erklärung wäre, welche zu einer zu niedrigen Umsatzsteuerfestsetzung führt (§ 168 S. 1 AO). Mit Götsch656 muss der Unternehmer steuerlich in den genannten Fällen ggf. hinnehmen, dass er keinen bzw. in Fall 2 den Vorsteuerabzug lediglich ex nunc vornehmen darf. Strafrechtlich liegt kein sanktionswürdiges Unrecht vor. Die objektiven Voraussetzungen liegen vor, da lediglich die formellen Nachweispflichten nicht bzw. erst später erfüllt worden sind. Der materielle Steueranspruch ist mithin nicht beeinträchtigt. Eine strafrechtliche Sanktion darf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur ultima Ratio sein. Hartmann657 weist unter Hinweis auf das Urteil des 650 EuGH v. 12.04.2018 - C-8/17, ECLI:EU:C:2018:249, DStR 2018, 787. 651 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71, 73.  652 EuGH v. 21.11.2018 - C-664/16, ECLI:EU:C2018:933, DStR 2018, 2524. 653 Siehe hierzu von Streit/Streit, MwStR 2019, 13; Maunz, MwStR 2019, 34. 654 A.A. Heuermann, StBp 2019, 85, 88. 655 Reiß, MwStR 2016, 972, 978; Prätzler, Steuerberater-Jahrbuch 2017/2018, S. 597, 609. 656 Grötsch, Stbg 2017, 500, 503. 657 Hartmann, UR 2019, 151.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

EuGH in der Rechtssache Vădan658 zu Recht drauf hin, dass hierdurch auch die BGH-Rechtsprechung659 in Frage gestellt wird, die für den tatbestandsmäßigen Vorsteuerabzug eine formell ordnungsgemäße Rechnung verlangt. Dann würde in den Fällen 1–3 ggf. keine Steuerverkürzung vorliegen. dd) Ausfuhrlieferungen und innergemeinschaftliche Lieferungen In Bezug auf innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen war der BGH660 zunächst der Auffassung, es handele sich bei Buchund Belegnachweisen (§ 6a Abs. 3 UStG für innergemeinschaftliche Lieferungen661 und § 6 Abs. 4 UStG für Ausfuhrlieferungen662) um materielle Steuerbefreiungsvoraussetzungen. Mit Entscheidung vom 27.09.2007663 hat der EuGH in der Rechtssache Collée dann klargestellt, dass es sich ausschließlich um die Frage des steuerlichen Nachweises handelt und eine Steuerbefreiung nicht allein wegen des Verstoßes gegen die Formvorschriften versagt werden darf. Mit Entscheidung vom 20.11.2008664 hat der BGH die Ansicht des EuGH für innergemeinschaftliche Liefe­ rungen übernommen und mit Entscheidung vom 19.08.2009665 auch auf Ausfuhrlieferungen übertragen. Insofern ist inzwischen unstreitig666, dass es sich bei dem Buch- und Belegnachweis in Bezug auf innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen nicht um materielle Voraussetzungen handelt und es sich nicht um das Angeben von falschen Tatsachen handelt, wenn diese fehlen. 3. Steuerlich erhebliche Tatsachen Steuerlich erheblich sind solche Tatsachen, die Einfluss auf die Höhe und den Grund oder die Fälligkeit des Steuervorteils oder Steueranspruchs

658 EuGH v. 21.11.2018 - C-664/16, ECLI:EU:C2018:933, DStR 2018, 2524. 659 BGH v. 13.09.2018 - 1 StR 642/17, NZWiSt 2019, 71, 73. 660 BGH v. 12.05.2005 - 5 StR 36/05, wistra 2005, 308, 309; v. 20.11.2008 - 1 StR 354/08, wistra 2009, 159 (jeweils für innergemeinschaftliche Lieferungen); v. 19.08.2009 - 1 StR 206/09, wistra 2009, 475, 476 (für Ausfuhrlieferungen). 661 Siehe S. 185 ff. 662 Siehe S. 196 ff. 663 EuGH v. 27.09.2007 - C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549, UR 2007, 813, 816; siehe S. 210 ff. 664 BGH v. 20.11.2008 - 1 StR 354/08, wistra 2009, 159; siehe S. 215. 665 BGH v. 19.08.2009 - 1 StR 206/09, wistra 2009, 475, 476. 666 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 240; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 448.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

nehmen.667 Steuerlich unerheblich sind hingegen Tatsachen, die sich auf Sachverhalte ohne steuerliche Relevanz beziehen.668 4. Gegenüber Finanz- oder anderen Behörden Nach § 370 Abs. 1 S. 1 AO müssen die Angaben gegenüber „den Finanzbehörden oder anderen Behörden“ gemacht werden. Nach § 6 Abs. 1 AO ist eine Behörde jede Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Finanzbehörden sind die in § 6 Abs. 2 AO aufgelisteten Behörden. Mit dem Tatbestandsmerkmal „gegenüber Finanz- oder anderen Behörden“ sollen bestimmte Handlungen gegenüber Privatpersonen, wie z.B. dem Steuerberater, ausgeschlossen werden.669 5. Unkenntnis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal Es ist umstritten, ob die Unkenntnis der Finanzbehörde tatbestandsausschließend wirkt. Hierbei ist zwischen § 370 Abs. 1 Nr. 1 (dazu nachstehend) und Nr. 2670 AO zu differenzieren. Der BGH hat mit Entscheidungen vom 14.12.2010671 und vom 21.11.2012672, welche beide zum Vorsteuerabzug aus Scheinrechnungen ergangen sind, klargestellt, dass selbst die Kenntnis aller maßgeblichen Umstände beim zuständigen Veranlagungsbeamten einer Tatvollendung nicht entgegensteht. Der Entscheidung vom 21.11.2012 lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem das zuständige Finanzamt angewiesen war, Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft über das Vorliegen eines Umsatzsteuerkarussells und die eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen zu ignorieren. Dies gelte auch, wenn erst das an das Täterhandeln anknüpfende Handeln des Finanzamts – vorliegend die Zustimmung der Finanzbehörde zur Steuererstattung der Vorsteuer nach § 168 Abs. 2 AO – eine zum Taterfolg führende Steuerverkürzung bewirke. Der BGH ist der Ansicht, dass die Finanzbehörden der Ermittlungstaktik Vorrang vor der Verhinderung von einzelnen Straftaten durch Verweigerung der Zustimmung nach § 168 S. 2 AO einräumen dürfen. Straftäter hätten keinen Anspruch darauf,

667 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 186; so auch Rolletschke, Rn. 18. 668 Rolletschke, Rn. 18. 669 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 187. 670 Siehe S. 132. 671 BGH v. 14.12.2010 - 1 StR 275/10, wistra 2011, 186, 188. 672 BGH v. 21.11.2012 - 1 StR 391/12, wistra 2013, 107, 108.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

dass Finanzbehörden rechtzeitig einschreiten, um einen Taterfolg zu verhindern.673 In der Literatur674 wird weit überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Kenntnis der Finanzbehörde auch für Abs. 1 Nr. 1 tatbestandsausschließende Wirkung hat. Hellmann675 und Webel676 sind der Ansicht, dass über eine bloße Unkenntnis hinaus – sowohl bei Nr. 1 als auch bei Nr. 2 des § 370 Abs. 1 AO – ein Irrtum, also eine konkrete Fehlvorstellung des zuständigen Finanzbeamten vorliegen muss. Der Wortlaut „dadurch“ des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zeige, dass der „fehlerhaften Kommunikation gegenüber der Finanzbehörde […] tragende Bedeutung“ zukommt.677 Anderenfalls führe dies zu widersprüchlichen Ergebnissen, da – im Fall von der Finanzbehörde bekannten Angaben – derjenige, der gar keine Erklärung abgibt, bessergestellt sei als derjenige, der nur zum Teil falsche Angaben macht und damit die „zutreffende Besteuerung nur zum Teil vereitelt“. Schmitz/Wulf678 halten dem BGH entgegen, dass es in Massenverfahren, wie z.B. dem Steueranmeldungsverfahren, zu Festsetzungen nach § 168 S. 1 AO kommt, ohne dass es hierzu „der Wahrnehmung durch einen Finanzbeamten bedarf“. Es sei daher auf die Unkenntnis abzustellen. Die Rechtsprechung des 1. Strafsenats setze sich zudem nicht mit dem Argument auseinander, dass es widersprüchlich sei, wenn „unvollständige Angaben gegenüber dem ‚wissenden‘ Finanzbeamten strafbar sein sollen, während hingegen die Nicht-Abgabe von Steuererklärungen in der gleichen Konstellation straffrei bliebe.“ Dies zeige sich besonders deutlich bei den Anmeldesteuern, wie der Umsatzsteuer. Diesbezüglich käme es beim Vorliegen von Kontrollmaterial über steuerpflichtige Umsätze z.B. von 100 anderenfalls darauf an, ob eine Umsatzsteuervoranmeldung mit 0 abgegeben wurde (dann Strafbarkeit) oder keine Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben wurde (dann keine Strafbarkeit wegen Vollendung; aber ggf. strafbarer untauglicher Versuch, wenn der Täter nicht weiß, dass dem Finanzamt die Besteuerungsgrundlagen bereits bekannt sind). Kenntnis der Finanzverwaltung bedeute, dass sich die relevanten Infor673 Jäger in Klein, § 370, Rn. 42. 674 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 169, 413; Joecks in Joecks/ Jäger/Randt, § 370, Rn. 279; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 269 f.; Pflaum, wistra 2019, 62, 63. 675 Hellmann in GS Joecks, 481, 489 f. 676 Webel, wistra 2017, 366, 367. 677 Webel, wistra 2017, 366, 367. 678 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 260, 262, 269, 270.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

mationen in den Akten befinden. Neben dem Akteninhalt seien etwaige zusätzliche Kenntnisse des zeichnungsberechtigten und zuständigen Beamten zu berücksichtigen. Ähnlich auch Joecks679, der dies mit „unerträglichen Spannungen“ zwischen den Tatbestandsalternativen der Nr. 1 und Nr. 2 des § 370 Abs. 1 AO begründet, wenn man die Kenntnis bei Nr. 2 für tatbestandsausschließend halte, bei Nr. 1 aber nicht. Im Übrigen lasse sich nur so der Gefahr begegnen, dass „aus dem Tatbestand der Steuerhinterziehung“ ein abstraktes Gefährdungsdelikt wird. Jäger680 und Ransiek681 sind mit dem BGH – und mit gleicher Begründung – der Auffassung, dass die Kenntnis der Finanzbehörde für Abs. 1 Nr. 1 keine tatbestandsausschließende Wirkung hat. Meines Erachtens ist mit der herrschenden Ansicht in der Literatur eine Kenntnis der Finanzbehörde in der Tatbestandsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO tatbestandsausschließend. Dies jedenfalls, wenn sich die Besteuerungsgrundlagen in den – auch elektronischen – Akten befinden oder dem zuständigen Beamten bekannt sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Neufassung von § 155 Abs. 4 S. 1 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung, mit dem die automatisierte Festsetzung rechtlich abgesichert wurde. Der Gesetzgeber ebnet damit den Weg der automatisierten Festsetzung zum Normalfall in Kenntnis dessen, dass die Finanzverwaltung – vor allem bei den Ertragsteuern – von diversen Stellen immer mehr Daten elektronisch übermittelt bekommt. Zum 01.01.2017 ist ferner § 150 Abs. 7 S. 2 AO in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der Besteuerung in Kraft getreten, wonach die nach § 93c AO von Dritten übermittelten Daten als Angaben des Steuerpflichtigen gelten.682 Hinsichtlich dieser Daten liegt – auch wenn der Steuerpflichtige diese Daten nicht erklärt – keine Steuerhinterziehung vor.683 Ob dies auch dann gilt, wenn der Steuerpflichtige gar keine Erklärung abgibt, ist aber umstritten.684 Es wäre widersprüchlich Daten oder Angaben, die die Finanzbehörde auf anderem Wege (z.B. durch Kontrollmitteilungen durch die Betriebsprü679 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 279, 280; zustimmend Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 409 unter Hinweis auf die praktischen Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO. 680 Jäger in Klein, § 370, Rn. 42. 681 Ransiek in Kohlmann, § 370 Rn. 583, 585.  682 Siehe Schmitz in GS Joecks, S. 615, 616.  683 Häger, wistra, 2017, 369. 684 Bejahend Schmitz in GS Joecks, S. 615, 621; verneinend Roth, wistra 2018, 152. 

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

fung) erhält, anders zu behandeln. Hiergegen könnte man einwenden, dass der Steuerpflichtige bei Daten nach § 93c AO stets von einer Kenntnis durch die Finanzbehörde ausgehen kann, dies aber bei einzelfallbezogenen Kontrollmitteilungen meist nicht der Fall ist.685 Ungeachtet dessen ist der Tatbestand in der Weise teleologisch zu reduzieren, als er um das Merkmal „Unkenntnis der Finanzbehörde von den tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen“ zu ergänzen ist. Anderenfalls würde es zwischen dem – ohnehin im Einzelfall schwer abgrenzbaren – Handeln nach Nr. 1 und dem Unterlassen nach Nr. 2 bei gleichem Handlungs- und Erfolgsunrecht zu ungerechten Ergebnissen kommen. Selbst bei Kenntnis der Finanzbehörden würden falsche Angaben zudem nicht zu einer völligen Straffreiheit führen. Es bliebe immer noch die Versuchsstrafbarkeit. 6. Selbstbelastungsverbot hinsichtlich Jahreserklärung bei Verfahrenseinleitung wegen Voranmeldungen Sofern bereits ein Strafverfahren in Bezug auf die Voranmeldungen eingeleitet worden ist und infolgedessen keine strafbewehrte Pflicht (steuerlich besteht die Pflicht fort686) mehr zur Abgabe einer Jahreserklärung besteht687, stellt sich die Frage, ob der Steuerpflichtige dann auch berechtigt ist, eine den falschen Voranmeldungen entsprechende falsche Jahreserklärung abzugeben. Das LG Frankfurt688 war der Ansicht, dass Straffreiheit auch bei der Abgabe einer unrichtigen, aber den Voranmeldungen entsprechenden Jahreserklärung eintritt. Dies gelte jedenfalls für Jahreserklärungen, die vor der Entscheidung des BGH vom 26.04.2001689 abgegeben wurden. Der BGH hatte mit Beschluss vom 26.04.2001 entschieden, dass bei An­ hängigkeit eines Strafverfahrens wegen der Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen die Strafbarkeit bezüglich der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung während der Dauer des Strafverfahrens entfällt. Das LG Frankfurt690 war daher der Auffassung, eine falsche Erklärung könne zumindest dann nicht strafbar sein, wenn der Beschuldigte keine Kenntnis von dem ihm zustehenden Schweigerecht hatte. 685 Häger, wistra 2017, 369, 372 geht daher in diesem Fall von einer Strafbarkeit aus. 686 Siehe Wulf, S. 76 ff. 687 BGH v. 26.04.2001 - 5 StR 587/00, wistra 2001, 341, 344; v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66, 67; v. 01.08.2018 - 1 StR 643/17, wistra 2019, 112, 113; Grötsch in Wannemacher, Rn. 757; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 99 f.; Wagner in Simon/Wagner, S. 101; siehe auch Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 93. 688 LG Frankfurt v. 31.10.2003 - 5/13/KLs 75/94 Js 9639.0/99, wistra 2004, 78.  689 BGH v. 26.04.2001 - 5 StR 587/00, wistra 2001, 341. 690 LG Frankfurt v. 31.10.2003 - 5/13/KLs 75/94 Js 9639.0/99, wistra 2004, 78.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Das OLG Frankfurt691 hat die Entscheidung des LG Frankfurt mit dem Argument wieder aufgehoben, dass eine aktive Handlung in Form der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung nicht durch den Nemo-tenetur-Grundsatz gedeckt sei. Ebenso der BGH692, welcher in diesen Fällen dann eine erneute Strafbarkeit bejaht. Das Selbstbelastungsverbot (Nemo-tenetur-Prinzip) gewähre kein Recht zur Lüge und damit auch nicht das Recht, erneut falsche Angaben zu machen.

II. Steuerhinterziehung durch Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Eine Steuerhinterziehung ist nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auch durch Unterlassen möglich. Demnach macht sich strafbar, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch den Erfolg herbeiführt. Entscheidendes Merkmal bei der Unterlassungsalternative ist die Verletzung einer Erklärungspflicht.693 Im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelte es sich – nach früherem Verständnis des BGH – um ein Sonderdelikt.694 Mit Entscheidung vom 09.04.2013 hat der BGH695 klargestellt, dass auch § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO grds. von jedermann verwirklicht werden kann. Er hat aber zugleich die Einschränkung des Täterkreises nochmals bestätigt und bekräftigt, dass Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nur der zur Aufklärung Verpflichtete selbst sein kann. Aufgrund des Wortlauts der Vorschrift des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO („pflichtwidrig“) „komme eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen auch dann nicht in Betracht, wenn […] Mittäterschaft vorliegen würde“.696 1. Erklärungspflichten Die Pflichten zur Offenbarung steuerlicher Tatsachen ergeben sich aus der Abgabenordnung sowie aus den jeweiligen Einzelsteuergesetzen.

691 OLG Frankfurt v. 11.07.2005 - 1 Ws 11/04, wistra 2006, 198. 692 BGH v. 17.03.2005 - 5 StR 328/04, wistra 2005, 228, 229; zustimmend Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 93; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 349. 693 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 282. 694 BGH v. 24.10.2002 - 5 StR 600/01, wistra 2003, 100, 102; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 87. 695 BGH v. 09.04.2013 - 1 StR 586/12, NZWiSt 2013, 311, 313. 696 BGH v. 09.04.2013 - 1 StR 586/12, NZWiSt 2013, 311, 314.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

a) Erklärungspflichten in Bezug auf die Umsatzsteuer In Bezug auf die Umsatzsteuer sind insoweit die o.g.697 Abgabefristen des § 18 UStG maßgeblich. Diese Pflichten nach § 18 Abs. 1 und Abs. 3 UStG (Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung) treffen im Grundsatz den Unternehmer nach § 2 UStG. Seit der Einführung von § 18 Abs. 4a und 4b UStG wurde auch für Nicht-Unternehmer eine gesetzliche Pflicht zur Anmeldung von Umsatzsteuer aus Scheinrechnungen nach § 14c UStG geschaffen, sodass deren Verletzung nunmehr auch strafbar ist.698 Die Anmeldepflicht gilt auch für denjenigen, der lediglich Blankorechnungen ausstellt, weil dieser Aussteller der Rechnung ist.699 b) Erklärungspflichtige Personen Bei einem Einzelunternehmen trifft den Unternehmer als natürliche ­Person die Erklärungspflicht. Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften sind nach § 2 UStG selbst Unternehmer und damit Steuersubjekt. Für diese ergibt sich aus § 34 Abs. 1 und 2 AO, dass die Pflichten von den Geschäftsführern bzw. Vorständen der Gesellschaften wahrzunehmen sind. Bei Personengesellschaften ist wie folgt zu differenzieren:700 Bei einer KG ist der Komplementär verpflichtet. Bei einer OHG oder einer GbR sind dies die Personen, die nach dem Gesellschaftsvertrag die Geschäfte nach außen hin führen. Wurde im Gesellschaftsvertrag keine Regelung getroffen, sind sämtliche Gesellschafter nach § 34 Abs. 2 AO zur Abgabe verpflichtet. Die Verpflichtung besteht auch bei fehlender Mitwirkung anderer Mitvorstände bzw. Geschäftsführer sowie bei intern anderer Aufgabenzuteilung.701 Nach § 34 Abs. 2 S. 2 AO kann sich die Finanzbehörde an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Nach § 35 AO haben auch Verfügungsberechtigte, die im eigenen oder fremden Namen auftreten, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters nach § 34 Abs. 1 AO zu erfüllen, soweit sie diese rechtlich und tatsächlich erfüllen können. In § 35 AO sind „für das steuerliche Verfahrensrecht die Voraussetzungen der faktischen Geschäftsführung“ geregelt.702

697 Siehe S. 21 ff. 698 In der Regel liegt auch eine Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung desjenigen vor, der die Vorsteuer unberechtigt geltend macht. 699 BGH v. 15.01.2014 - 1 StR 648/13, BeckRS 2014, 11498. 700 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 325.  701 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 113.1. 702 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 327.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Inwieweit in Strohmannfällen die hinter diesen vorgeschobenen Strohleuten vorhandenen sog. Hinterleute als erklärungspflichtig angesehen werden, ist umstritten und hängt zudem sehr von den Gegebenheiten des Einzelfalls ab. In Ermanglung einer umsatzsteuerrechtlichen Definition des Begriffs des Strohmanns zieht Nöhren703 die diesbezügliche zivilrechtliche Umschreibung heran. Demnach wird bei einem Strohmanngeschäft „jemand als tatsächlich nach außen hervortretender Rechtsinhaber von einem anderen, dem ‚Hintermann’, der – aus welchen Gründen auch immer – nicht als Berechtigter auftreten will oder kann, ‚vorgeschoben’, um zwar im eigenen Namen, aber für Rechnung und im wirtschaftlichen Interesse des Verborgenen ein Recht zu erwerben oder auszuüben.“ Der BGH hat mit Beschluss vom 14.04.2010704 entschieden, dass ein Strohmann (vorliegend der formelle Geschäftsführer) eine täterschaftliche Steuerhinterziehung durch Unterlassen und nicht lediglich eine Beihilfe zur Tat des Hintermanns (vorliegend als faktischer Geschäftsführer) begehen kann. Dies folge aus dem Umstand, dass er nach § 34 AO zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft verantwortlich ist. Dass er weder wirtschaftlicher Nutznießer noch Initiator der Tat war, finde erst bei der Strafzumessung Berücksichtigung. Mit Urteil vom 09.04.2013 hat der BGH705 entschieden, dass auch ein Hintermann Verfügungsberechtigter nach § 35 AO sein und daher gegen steuerliche Erklärungspflichten verstoßen kann. Verfügungsberechtigter in diesem Sinne ist jeder, der nach dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen auftritt706. Die Literatur707 folgt im Wesentlichen der Ansicht des BGH. Kritisiert wird in der Literatur708 allerdings, dass Strafbarkeitslücken (Verurteilung nicht als Täter, sondern allenfalls als Teilnehmer) dann auftreten, wenn 703 Nöhren, S. 213. 704 BGH v. 14.04.2010 - 1 StR 105/10, PStR 2010, 130. 705 BGH v. 09.04.2013 - 1 StR 586/12, NZWiSt 2013, 311, 316.; ebenso BGH v. 23.08.2017 - 1 StR 33/17, wistra 2018, 80; siehe Madauß, NZWiSt 2016, 268; ­Rinjes, NZWiSt 2014, 455.; Wulf, Stbg 2013, 353; Pflaum, wistra 2018, 82.  706 BFH v. 05.08.2010 - V R 13/09, BFH/NV 2011, 81, 84; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 109 ff. 707 Wulf, Stbg 2013, 353, 356 f.; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 329; ­Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 973; Kaiser/Grimm, DStR 2014, 179, 180 ff. 708 Madauß, NZWiSt 2016, 268, 270; für hinnehmbar halten dies Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 325.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

dem Hintermann bei Vorliegen der tatsächlichen Verfügungsmacht die rechtliche Verfügungsmacht fehle, welche indes Voraussetzung für die Anwendung von § 35 AO ist. Gesehen wird in der Literatur709 gleichwohl, dass der BGH darauf hinweist, dass Personen, die vor dem Hintergrund der Deliktsnatur des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nur als Teilnehmer bestraft werden können, obgleich sie Tatherrschaft ausüben, u.U. strenger bestraft werden als der Täter. So kommt nach der BGH-Entscheidung vom 27.01.2015710 auch dann eine Verurteilung des Hintermanns (als Teilnehmer) in einem besonders schweren Fall nach § 370 Abs. 3 AO in Betracht, wenn der Strohmann (als Täter) nicht die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls erfüllt. c) Unzumutbarkeit, Selbstbelastung Das Unterlassen muss sich dabei auf eine für die Sachverhaltsaufklärung geeignete Handlung beziehen, welche dem Steuerpflichtigen möglich und zumutbar ist.711 Sofern jedoch eine Erfüllung dieser Verpflichtung tatsächlich nicht möglich ist, entfällt die Strafbarkeit.712 Häufig kommt es in diesem Zusammenhang zu Konflikten mit dem „Nemo-tenetur“-­ Grundsatz. Die Frage stellt sich in Bezug auf die Umsatzsteuerhinterziehung insbesondere in den Fällen, in denen bereits hinsichtlich Umsatzsteuervoranmeldungen ein Strafverfahren eingeleitet und bekanntgegeben wurde und für diese Besteuerungszeiträume noch eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben ist.713 Der BGH hat mit Beschlüssen vom 26.04.2001714 und vom 17.03.2005715 entschieden, dass bei Anhängigkeit eines Strafverfahrens wegen der ­Abgabe unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen die Strafbarkeit der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung während der Dauer des Strafverfahrens entfällt. Dies beruhe auf dem in § 393 Abs. 1 S. 2 und 3 AO geregelten Zwangsmittelverbot, wonach Zwangsmittel nach § 328 AO im Besteuerungsverfahren unzulässig sind, wenn sich der Steuerpflichtige wegen einer begangenen Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit selbst belasten müsste. Im Bereich der Umsatzsteuer würde er sich entweder nach erfolgter unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldung durch die Abgabe einer richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung selbst belasten 709 Madauß, NZWiSt 2016, 268, 271. 710 BGH v. 27.01.2015 - 1 StR 142/14, NStZ 2015, 466. 711 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 235. 712 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 296. 713 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 349. 714 BGH v. 26.04.2001 - 5 StR 587/00, wistra 2001, 341, 344 f. 715 BGH v. 17.03.2005 - 5 StR 328/04, wistra 2005, 228, 229.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

oder den Steuerschaden durch Einreichung einer falschen Jahreserklärung weiter vertiefen. Sofern wegen der Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, ist der Steuerpflichtige – solange dies andauert – daher nicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtet.716 Eine Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung führt in diesen Fällen nicht zur Strafbarkeit.717 d) Unkenntnis als Tatbestandsmerkmal Eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen setzt ausdrücklich voraus, dass die Finanzbehörde die steuerlich erheblichen Tatsachen nicht kennt.718 Bekannt ist der Finanzbehörde alles, was sich „aus den dort geführten Akten ergibt oder dem zuständigen Bearbeiter sonst bekannt ist.“719 Die Streitfrage ist insbesondere auch bei der Umsatzsteuerhinterziehung von Bedeutung, wie der oben720 beschriebene Fall zeigt, bei dem Umsatzsteuervoranmeldungen vollständig und fristgerecht abgegeben wurden, aber die Umsatzsteuerjahreserklärung nicht oder verspätet abgegeben wird. In diesem Fall liegen dem Finanzamt (konkret der Umsatzsteuervor­ anmeldungsstelle) sämtliche steuerrelevanten Daten vor. Eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet in diesen Fällen aus. 2. Verletzung der allgemeinen Korrekturpflicht aus § 153 AO Eine weitere Konstellation im Rahmen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO mit Bezug zur Umsatzsteuer kann auch aus der Verletzung von § 153 AO resultieren: Nach § 153 Abs. 1 AO trifft den Steuerpflichtigen – wie oben ausgeführt721 – eine An716 So auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1375; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 393, Rn. 56. 717 BGH v.26.04.2001 - 5 StR 587/00, wistra 2001, 341, 344 f. 718 OLG Köln v. 31.01.2017 - III-1 RVs 253/16, wistra 2017, 363, 366; OLG Oldenburg v. 10.07.2018 - 1 Ss 51/18, wistra 2019, 79; Grötsch/Stürzl, wistra 2019, 127; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 257; Jäger in Klein, § 370, Rn. 60; nach Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 575, 576 fehlt es am Zurechnungszusammenhang zwischen Tathandlung und Taterfolg; a.A. LG Aurich v. 08.11.2017 - 12 Ns 310 Js 8712/15 (158/15), NZWiSt 2018, 190, 193; Roth, NZWiSt 2017, 308; Jäger in Klein, § 370, Rn. 60b. 719 OLG Köln v. 31.01.2017 - III-1 RVs 253/16, wistra 2017, 363, 365; ebenso Grötsch/ Stürzl, wistra 2019, 127, 130. 720 Siehe S. 106 f. 721 Siehe S. 92 f.

132

C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

zeigepflicht und Berichtigungspflicht, wenn er vor Ablauf der Festsetzungsfrist nachträglich erkennt, dass eine von ihm abgegebene Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist. Nach § 153 Abs. 2 AO ist hingegen das nachträgliche Entfallen einer Steuervergünstigung oder -befreiung, wie z.B. die nachträgliche Ausübung der Optierung zur Steuerpflicht nach § 9 UStG722, anzeigepflichtig. Wenn der Steuerpflichtige ­seinen Verpflichtungen nach § 153 AO nicht nachkommt, so begeht er – einen entsprechenden Vorsatz unterstellt723 – nach h.M.724 eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. 3. Verletzung von speziellen umsatzsteuerlichen Korrekturpflichten, §§ 15a, 17 UStG Die Begehung einer Umsatzsteuerhinterziehung durch Unterlassen ist insbesondere bei der Rückgängigmachung von Rechtsgeschäften möglich. In diesen Fällen hat der ehemalige Leistungsempfänger die Vor­ steuererstattung an das Finanzamt zurückzuzahlen und der vormals leistende Unternehmer erhält die gezahlte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurück. Hierbei ist zwischen den Fällen zu unterscheiden, in denen der Korrekturpflicht nachgekommen wird, aber ein Ausfall der Umsatzsteuer bei der Rückforderung beim vormaligen Leistungsempfänger zu verzeichnen ist, und den Fällen, in denen bereits die Korrekturpflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt wird.725 Sofern der Steuerpflichtige zwar der Korrekturpflicht ordnungsgemäß nachkommt, jedoch die Rückzahlung der geltend gemachten Vorsteuer nicht vornimmt, ist nach der Auffassung von Nöhren726 bei Vornahme der notwendigen Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG selbst bei kollusivem Zusammenwirken beider Vertragspartner weder eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO, noch der

722 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 99. 723 Wulf weist in PStR 2014, 255, 258 zu Recht darauf hin, dass der Erbe in Bezug auf § 153 AO u.U. nicht vorsätzlich handelt, wenn er als Laie davon ausgeht, dass die weit zurückliegenden Steuerjahre gegenüber dem Vater verjährt und mithin nicht zu korrigieren seien. 724 BGH v. 04.04.1979 - 3 StR 488/78, NJW 1980, 406; BGH v. 25.09.1979 - 1 StR 702/78, NJW 1980, 845; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 266; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 350; Rätke in Klein, § 153 Rn. 21; Jäger in Klein, § 370, Rn. 63; Jesse, BB 2011, 1431, 1441; Radermacher, StBW 2014, 956, 958. 725 So im Ergebnis Nöhren, S. 188. 726 Nöhren, S. 190 f. Dies soll selbst dann gelten, „wenn die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits beabsichtigen, diesen nach der Gewährung des Vorsteuerabzugs durch das Finanzamt wieder rückgängig zu machen“.

133

1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Tatbestand des § 26b UStG bzw. § 26c UStG727 verwirklicht. Es soll keine Steuerhinterziehung vorliegen, da sowohl die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs als auch der spätere Gang der Rückabwicklung jeweils im Zeitpunkt der Geltendmachung gesetzeskonform sind und es daher an einer tauglichen Tathandlung fehlt.728 Für den Fall des „kollusiven Zusammenwirkens“ dürfte diese Rechtsauffassung vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung729 in der Rechtssache R überholt sein. Der BGH730 ist der Ansicht, dass eine Steuerhinterziehung des Leistungsempfängers vorliegt, wenn dieser Vorsteuern geltend macht, obwohl er bei Rechnungsstellung an ihn bereits die Absicht hat, diese nicht zu bezahlen bzw. diese nicht bezahlen kann. Eine entsprechende Kenntnis unterstellt, kann für den Rechnungsaussteller eine Beihilfe nach § 27 StGB in Betracht kommen. Wenn hingegen bereits nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UStG die Korrektur des Vorsteuerabzugs nicht vorgenommen wurde, verwirklicht der Leistungsempfänger eine Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Dies beruht auf dem Umstand, dass es sich bei der Rückgängigmachung eines umsatzsteuerpflichtigen Rechtsgeschäfts um eine steuerlich erhebliche Tatsache handelt und im Fall der Nichtmitteilung das Finanzamt pflichtwidrig über eine solche Tatsache in Unkenntnis gelassen wird. Durch die Anerkennung eines in Wirklichkeit nicht bestehenden Vorsteueranspruchs ist eine Steuerverkürzung gegeben.731

III. Zwischenergebnis zum tatbestandsmäßigen Verhalten Rein formale Nachweispflichten (Beweislast und Vermutungsregeln des Steuerrechts) haben keine strafrechtliche Relevanz. Anders ist dies, wenn die steuerlichen Vorschriften die Anerkennung einer steuermindernden Tatsache oder einer Steuerbefreiung kategorisch von einer bestimmten Form des Nachweises abhängig machen und eine andere Form des Nachweises unzulässig ist, es sich also um sog. „materielle“ Voraussetzungen der Norm handelt. 727 § 26b UStG umfasst nicht die Fälle der Nichtrückzahlung nach § 17 UStG, sondern nur die Nichtzahlung von in Rechnungen ausgewiesener Umsatzsteuer; siehe S. 301 ff. 728 So im Ergebnis Nöhren, S. 190 f. 729 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846; siehe S. 215 ff. 730 BGH v. 22.09.2016 - 1 StR 245/16, NZWiSt 2017, 398.  731 Nöhren, S. 189.

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C.  Tatbestandsmäßiges Verhalten

Mit dem EuGH stellt der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung nur eine formelle und keine materielle Voraussetzung für die Geltendmachung des Vorsteueranspruchs dar. Sofern der Unternehmer bereits steuerlich nachweisen kann, dass er bei Leistungsbezug eine den steuerlichen Anforderungen für den Vorsteuerabzug entsprechende Rechnung erhalten hat, liegen die steuerlichen ­Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug vor. Gleiches gilt, sofern eine rückwirkende Rechnungsberichtigung zulässig ist. In beiden Fällen liegt in der Geltendmachung keine falsche (konkludente) Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen in Bezug auf die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vor. Wenn der Unternehmer zwar eine Leistung bezogen hat, aber nicht im Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist und auch niemals war, oder wenn er tatsächlich die Leistung erhalten hat, er jedoch zunächst gar keine Rechnung erhält und eine den umsatzsteuerlichen Anforderungen entsprechende Rechnung erst nach der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs erhält, ist eine rückwirkende Rechnungsberichtigung steuerlich unzulässig. Ein Vorsteuerabzug ist auch dann unzulässig, wenn der Unternehmer tatsächlich die Leistung erlangt, allerdings eine den (sämtlichen) umsatzsteuerlichen Anforderungen entsprechende Rechnung erst nach Erlass der (steuerlichen) Entscheidung über die Versagung des Vorsteuerabzugs vorlegt. Strafrechtlich liegt dennoch kein sanktionswürdiges Unrecht vor. Die objektiven Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug sind gegeben, da lediglich die formellen Nachweispflichten nicht bzw. erst später erfüllt worden sind. Der materielle Steueranspruch ist nicht beeinträchtigt. Für die Frage der Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug und einer etwaigen Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug ist der Zeitpunkt der Lieferung bzw. sonstigen Leistung, nicht hingegen jener der Abgabe der Steueranmeldung entscheidend. Sofern der Unternehmer jedoch um seine Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug wusste oder dies hätte wissen müssen, macht er bei Geltendmachung der Vorsteuer unrichtige bzw. unvollständige Angaben. Bei Buch- und Belegnachweisen in Bezug auf innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen handelt es sich nicht um materielle Voraussetzungen und es liegen keine falschen Angaben vor, wenn diese fehlen. Die Kenntnis der Finanzbehörde wirkt auch in der Tatbestandsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO tatbestandsausschließend. 135

1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Sofern wegen der Abgabe falscher Umsatzsteuervoranmeldungen bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, ist der Steuerpflichtige – solange dies andauert – zwar steuerlich, nicht aber strafrechtlich, zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtet. Die Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung führt in diesem Fall nicht zur Strafbarkeit.

D. Subjektiver Tatbestand Wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO macht sich nur strafbar, wer vorsätzlich handelt (§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 15 StGB).

I. Vorsatz Vorsatz bedeutet Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung.732 Ausreichend ist bedingter Vorsatz (Eventualvorsatz) in Bezug auf sämtliche Merkmale des objektiven Tatbestands.733 Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenskomponente) sowie dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Ziels wegen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (Wollenskomponente).734 Hinsichtlich des Inhalts des Vorsatzes ist zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen zu differenzieren.735 1. Deskriptive Tatbestandsmerkmale Deskriptive Tatbestandsmerkmale betreffen Umstände, deren Vorhandensein durch schlichte sinnliche Wahrnehmung erkannt werden kann, ohne dass es eines zusätzlich wertenden Akts bedarf.736 Für den Vorsatz ist es ausreichend, wenn der Täter diejenigen tatsächlichen Umstände kennt, die das Tatbestandsmerkmal ausfüllen.737 Bezogen auf die Umsatzsteuer muss sich der Täter bei der Tathandlung (vollständige Anga732 Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 231. 733 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 356; Jäger in Klein, § 370, Rn. 175. 734 BGH v. 16.12.2009 - 1 StR 491/09, BeckRS 2010, 2398; v. 08.09.2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, 161 (jeweils zum Steuerstrafrecht); v. 22.03.2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 (dort bezogen auf einen Tötungsvorsatz). 735 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 53. 736 Roxin, StR AT I, § 10, Rn. 58; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 53. 737 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 53.

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D.  Subjektiver Tatbestand

ben machen) – somit bei Abgabe der Steueranmeldungen – an die tatsächlichen Vorgänge (z.B. Umsätze) erinnern.738 2. Begriffe mit Bezug zu steuerlichen Rechtsfragen In diesem Zusammenhang bereitet im Steuerstrafrecht die Frage, ob der Täter einer Steuerhinterziehung ausreichend Kenntnis von der steuerlichen Rechtslage hatte, besondere Schwierigkeiten. In Bezug auf die Steuerhinterziehung sind so die Begriffe „steuerlich erhebliche Tatsachen“, „Steuerverkürzung“, „nicht gerechtfertigter Steuervorteil“ und „pflichtwidrig“ nur mit Kenntnis von steuerrechtlichen Vorschriften zu be­ stimmen.739 Diese Problematik wurde im Rahmen dieser Arbeit bereits oben740 bei der Rechtsnatur der Steuerhinterziehung und der Frage, ob es sich bei dem Tatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO um eine Blankettvorschrift oder um eine Vorschrift mit normativen Tatbestandsmerkmalen handelt, aufgegriffen. Es stellt sich nunmehr an dieser Stelle die Frage, worauf sich der Vorsatz jeweils beziehen muss. a) Normative Tatbestandsmerkmale und Steueranspruchslehre Normative Tatbestandsmerkmale sind solche, welche aus der Rechtssprache stammen, also solche, bei denen zu den tatsächlichen Umständen noch darauf bezogene Wertungen hinzutreten.741 Vorsatz liegt diesbezüglich vor, wenn der Täter die tatsächlichen Umstände kennt, die den Begriff erfüllen, und – darüber hinaus – auch ungefähr weiß, dass diese Umstände das in Rede stehende normative Merkmal ausfüllen. Entscheidend ist die laienhafte Erfassung des Begriffskerns des normativen Merkmals742; somit – wie auch im allgemeinen Strafrecht – die Parallelwertung in der Laiensphäre, wobei dem Steuerpflichtigen insbesondere das Einwirken auf den Steueranspruch bewusst sein muss (sog. Steueranspruchslehre).743 Die anzuwendenden steuerlichen Vorschriften und ihre Auswirkungen auf den Verkürzungsumfang braucht

738 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 453. 739 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 357, 361. 740 Siehe S. 29 ff. 741 Roxin, StR AT I, § 10, Rn. 58; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 53. 742 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 53. 743 So im Ergebnis Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 200; Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, § 370, Rn. 502 spricht von „Steueranspruchstheorie“; siehe auch OLG Karls­ruhe v. 17.08.1978 - 2 Ss 183/78, juris; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 53; Schindhelm, S. 174 f.; Wiese in Wannemacher, Rn. 390.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

der Täter hingegen nicht zu kennen.744 Diese von Welzel745 begründete Lehre wurde 1953 vom BGH746 übernommen und wird auch von der h.L.747 vertreten, wobei sich deren Grundlagen bereits in der RG-Rechtsprechung finden.748 b) Blankettmerkmale Für den Vorsatz in Bezug auf Blankettmerkmale ist es – wie bei den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen – ausreichend, wenn der Täter diejenigen tatsächlichen Umstände kennt, die das Tatbestandsmerkmal ausfüllen.749 Da das Blankettgesetz und die blankettausfüllende Norm zusammen zu lesen sind, muss sich der Vorsatz mithin auch auf die tatsächlichen Umstände der blankettausfüllenden Norm beziehen, also die Tatbestandsmerkmale der Steuergesetze.750 Der Normbefehl, also das steuerliche Ergebnis der in Bezug genommenen Norm muss nicht vom Vorsatz umfasst sein.751 c) Kritik an der Steueranspruchslehre und Stellungnahme Gegen diese Steueranspruchslehre wird jedoch in der Literatur752 vor­ gebracht, dass bei einem Irrtum keine Differenzierung dahingehend stattfinde, „ob diese Unkenntnis auf einem Irrtum hinsichtlich der tatsächlichen Voraussetzungen (Besteuerungsgrundlagen) oder auf einer ­unzutreffenden Vorstellung hinsichtlich der steuerrechtlichen Zusammenhänge (Besteuerungstatbestand, Steuerschuldnerschaft, Erklärungspflicht) beruht“753. Hintergrund ist die Überlegung, die Rechtsbegriffe des § 370 AO als echte Blankettmerkmale aufzufassen mit der Konsequenz, 744 BGH v. 09.02.1995 - 5 StR 722/94, wistra 1995, 191, 192; v. 17.02.1998 - 5 StR 624/97, wistra 1998, 225, 226; Jäger in Klein, § 370, Rn. 171. 745 Welzel, NJW 1953, 486 f. 746 BGH v. 13.11.1953 - 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90, 92. 747 Bülte, NStZ 2013, 65, 68 ff.; Meine, wistra 2002, 361, 364; Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, § 370, Rn. 533; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 373; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 366 ff.; Tiedemann, ZStW 1969, 869, 875 f.; Krumm in Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 125. 748 Schindhelm, S. 176. 749 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 53; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 357. 750 Wedler, NZWiSt 2015, 99, 100.  751 So Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 44; Wedler, NZWiSt 2015, 99, 100.  752 Allgayer in Graf/Jäger/Wittig, § 369 AO, Rn. 26; so wohl auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 173; die Steueranspruchslehre auch ablehnend Meyberg, PStR 2011, 308, 309 f.; Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 44; Tipke, Steuerrechtsordnung, S. 1732. 753 Allgayer in Graf/Jäger/Wittig, § 369 AO, Rn. 26.

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D.  Subjektiver Tatbestand

dass ein Irrtum – dazu nachstehend – bei der Subsumtion einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB darstellen soll, welcher aufgrund der Möglichkeit der Einholung eines Rechtsrats grds. vermeidbar ist.754 Mit Urteil vom 08.09.2011755 (sog. Winzerurteil) hat der BGH die Kritik gegen die Steueranspruchslehre aufgegriffen756 und offengelassen, ob auch ein Bezug des Vorsatzes auf den Steueranspruch erforderlich ist und wie ein Irrtum über den Steueranspruch aussehe757. Der BGH wirft konkret die Frage auf, ob von einem Tatbestandsirrtum auszugehen sei, wenn die Unkenntnis des Täters „allein auf einer Fehlvorstellung über die Reichweite steuerlicher Normen beruht“.758 Mit Beschluss vom 24.01.2018759 und Urteil vom 10.01.2019760 folgt der BGH allerdings weiter der Steueranspruchstheorie. Die Problematik wird zumeist im Zusammenhang mit Irrtümern behandelt.761 Wie bereits oben ausgeführt, wird in der Literatur762 zu Recht darauf hingewiesen, dass aus der bloßen Benennung des § 370 AO als Blankettvorschrift bzw. als Vorschrift mit normativen Tatbestandsmerkmalen nichts folgt. Dies zumal, da die Begriffe zudem uneinheitlich verwendet bzw. zum Teil noch weiter ausdifferenziert werden. Mit Schmitz/Wulf763 ist daher nach der Normstruktur abzugrenzen: Sofern der Straftatbestand eine „vollständige und in sich geschlossene Verhaltensnorm“ statuiert, handelt es sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal. Ist der Straftatbestand hingegen unvollständig „und ergibt sich eine vollständige Verhaltensanweise erst aus der in Bezug genommenen Regelung“, so handelt es sich um ein strafrechtliches Blankett. Unter Anwendung der dargestellten Abgrenzungskriterien handelt es sich bei den Merkmalen „steuerlich erhebliche Tatsache“, „Steuerverkürzung“ und „nicht gerechtfertigter Steuervorteil“ um normative Tat754 Allgayer in Graf/Jäger/Wittig, § 17 StGB, Rn. 9 ff., § 369 AO, Rn. 28; siehe auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 173. 755 BGH v. 08.09.2011 - 1 StR 38/11 - NStZ 2012, 160, 161; siehe auch BGH v. 13.06.2013 - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471, 472; Beyer, AO-StB 2011, 323; kritisch Wulf, Stbg 2012, 19. 756 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 502. 757 Heuel/Beyer, AO-StB 2015,129, 139. 758 BGH v. 08.09.2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, 161; siehe auch BGH v. 13.06.2013 - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471, 472; Beyer, AO-StB 2011, 323; kritisch Wulf, Stbg 2012, 19. 759 BGH v. 24.01.2018 - 1 StR 331/17, NStZ-RR 2018, 180.  760 BGH v. 10.01.2019 - 1 StR 347/18, NZWiSt 2019, 261. 761 Siehe sogleich S. 140 ff. 762 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 23. 763 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 365.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

bestandsmerkmale. Der Straftatbestand (die Verhaltensnorm) ist „bezogen auf dieses Merkmal in sich vollständig (‚Du sollst keine falschen Angaben machen und dadurch eine Steuerverkürzung verursachen!‘)“. Wie oben dargestellt, muss der Täter nach der „Parallelwertung in der Laiensphäre“ das „Ergebnis der außerstrafrechtlichen, steuerlichen Wertung kennen, um vorsätzlich zu handeln“. Der Täter handelt nur dann vorsätzlich, wenn er weiß, dass dem Staat aus dem „verwirklichten Lebenssachverhalt“ ein Steueranspruch entstanden ist, den der Täter durch sein Erklärungsverhalten verletzt, oder diese Voraussetzungen zumindest billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz). In Bezug auf den ungerechtfertigten Steuervorteil handelt der Täter vorsatzlos, wenn er annimmt, er habe einen Anspruch auf den Steuervorteil.764 Bei dem Merkmal „pflichtwidrig“ in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es sich um ein Blankettmerkmal.765 Der Straftatbestand (die Verhaltensnorm) ist insoweit vollständig („Du sollst die Finanzbehörden in Kenntnis setzen und dadurch Steuerverkürzungen verhindern, wenn du dazu verpflichtet bist!“). Erst unter Einbeziehung der steuerlichen Erklärungspflichten wird der strafrechtliche Tatbestand vollständig beschrieben. Bezogen auf den „Vorsatz bedeutet dies, dass der Täter [nur] die Sachverhaltsumstände kennen muss, welche die steuerliche Erklärungspflicht begründen.“766 Die Rechtspflicht selbst, die sich hieraus ergibt, muss der Täter nicht kennen.

II. Irrtümer: Abgrenzung Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum Irrtümer im Zusammenhang mit steuerlichen Vorschriften – insbesondere im Umsatzsteuerrecht – sind nicht selten. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der komplexen Materie. Es ist zu unterscheiden zwischen einem Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB), welcher vorsatzausschließend wirkt, und einem Verbotsirrtum (§ 17 StGB), der den Vorsatz unberührt lässt und die Schuld nur dann ausschließt, wenn der Irrtum unvermeidbar war. 1. Tatbestandsirrtum Nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB handelt nicht vorsätzlich, „wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand 764 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 366, 367. 765 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 107; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 368. 766 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 368; im Ergebnis ebenso Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 504.

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D.  Subjektiver Tatbestand

gehört“. Selbst wenn der Täter diesen Tatbestandsirrtum vermeiden konnte, ist keine vorsätzliche Tatbegehung gegeben.767 Auch hinsichtlich des Tatbestandsirrtums ist – wie bereits oben dargestellt – zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen zu unterscheiden. a) Irrtum über deskriptive Tatbestandsmerkmale Bei deskriptiven Tatbestandsmerkmalen muss der Vorsatz nur die tatsächlichen Umstände umfassen, die das Tatbestandsmerkmal ausfüllen. Ein Tatbestandsirrtum hinsichtlich eines deskriptiven Tatbestandsmerkmals liegt daher vor, wenn sich der Täter über die Tatsache an sich irrt. Hat der Steuerpflichtige z.B. bei Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldung – unterstellt – tatsächlich vergessen, dass er noch weitere Umsätze getätigt hat, so kannte er die Umstände nicht, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, sodass diesbezüglich kein Vorsatz vorliegt. b) Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale Bei normativen Tatbestandsmerkmalen muss der Vorsatz nicht nur die tatsächlichen Umstände umfassen, die den Begriff erfüllen, sondern der Täter muss darüber hinaus auch den Begriffskern des normativen Merkmals laienhaft erfassen, wobei ihm insbesondere das Einwirken auf den Steueranspruch bewusst sein muss (sog. Steueranspruchslehre). Ein Tatbestandsirrtum hinsichtlich eines normativen Tatbestandsmerkmals liegt daher auch dann vor, wenn der Täter zwar alle Sachverhaltsumstände in allen Einzelheiten kennt, aber unzutreffenderweise davon ausgeht, dass diese den unbestimmten Rechtsbegriff nicht ausfüllen, er also nur die steuerlichen Rechtsfolgen verkennt. „Der rechtliche Irrtum über die Nicht-Existenz des Steueranspruchs führt hier zum Vorsatzausschluss.“768 c) Irrtum über Blankettmerkmale Wie oben ausgeführt, muss bei Blankettmerkmalen – wie bei den deskriptiven Tatbestandsmerkmalen – der Vorsatz nur die tatsächlichen Umstände umfassen, die das Tatbestandsmerkmal ausfüllen. Da das Blankettgesetz und die blankettausfüllende Norm zusammen zu lesen sind, muss sich der Vorsatz mithin auch auf die tatsächlichen Umstände der 767 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 647. 768 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 363, 366.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

blankettausfüllenden Norm beziehen, also die Tatbestandsmerkmale der Steuergesetze. Der Normbefehl, also das steuerliche Ergebnis der in Bezug genommenen Norm, muss nicht vom Vorsatz umfasst sein. Ein Tatbestandsirrtum hinsichtlich eines Blankettmerkmals liegt daher grds. nur dann vor, wenn sich der Täter über die Tatsache an sich irrt. Ein Irrtum über die rechtliche Bedeutung oder die Rechtsfolge stellt bei Blankettmerkmalen lediglich einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB dar.769 Dies wird auch in der Literatur770 teilweise von den Kritikern der Steueranspruchslehre771 so vertreten. Begründet wird dies mit dem Umstand, dass § 370 AO in Gänze eine Blankettvorschrift darstelle, sodass ein Irrtum aufgrund fehlender Steuerrechtskenntnisse dementsprechend einzuordnen sei.772 Ungeachtet des Vorstehenden und ungeachtet des Umstands, dass der BGH § 370 AO pauschal als Bankettstrafgesetz bezeichnet773, vertritt er in ständiger Rechtsprechung774 (seit der sog. Kakaobutter-Entscheidung vom 13.11.1953775) die Auffassung, dass ein Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs einen Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB darstellt. Ebenso das BVerfG.776 Wie oben ausgeführt, hat der BGH im Winzerurteil vom 08.09.2011777 die Frage offengelassen, ob bei einem Irrtum über die Höhe und die Existenz eines Steueranspruchs anstelle eines Tatbestandsirrtums ein Verbotsirrtum gegeben sei. Diese Frage stelle sich erst dann, wenn ein rechtserheblicher Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs festgestellt ist. Ein solcher Irrtum läge aber dann nicht vor, wenn der Erklärungspflichtige hinsichtlich der Verkürzung eines Steueranspruchs mit Eventualvorsatz handelt. Wie bereits erwähnt, folgt der BGH mit Beschluss vom

769 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 364, 366. 770 Allgayer in Graf/Jäger/Wittig, § 369 AO, Rn. 28; Löwe-Krahl, PStR 2012, 66, 70; Meyberg, PStR 2011, 308, 309 f. 771 Siehe S. 138 ff. 772 Allgayer in Graf/Jäger/Wittig, § 369 AO, Rn. 28; Meyberg, PStR 2011, 308; siehe hierzu auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 373.  773 Vgl. Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 371. 774 BGH v. 13.11.1953 - 5 StR 342/53; BGHSt 5, 90; v. 27.11.2002 - 5 StR 127/02, ­wistra 2003, 266, 270 m.w.N.; Rolletschke, Rn. 122b. 775 BGH v. 13.11.1953 - 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90. 776 BGH v. 16.06.2011 - 2 BvR 542/09, DStRE 2012, 379, 381.  777 BGH v. 08.09.2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, 161; siehe auch BGH v. 13.06.2013 - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471, 472; Beyer, AO-StB 2011, 323, 324.

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D.  Subjektiver Tatbestand

24.01.2018778 und Urteil vom 10.01.2019779 allerdings weiter der Steueranspruchstheorie. Das AG Köln ging mit Urteil vom 10.01.2013780 hinsichtlich des Vor­ liegens eines geldwerten Vorteils nach § 8 EStG von einem normativen Tatbestandsmerkmal aus, welches nur aufgrund einer rechtlichen Bewertung der objektiven Umstände ausgefüllt werden könne. Es komme daher lediglich darauf an, dass der Täter insoweit die „richtige Parallelwertung in der Laiensphäre“ vornimmt. Gänzlich unerheblich sei, ob der Täter eine „rechtskonforme Wertung“ vornimmt. Der Irrtum des Täters über die Steuerpflicht betreffe nicht den Vorsatz, sondern sei als vermeidbarer Verbotsirrtum zu werten. Offen bleibt hierbei, ob das AG Köln bewusst die Steueranspruchslehre nicht anwendet oder diese schlicht übersehen hat.781 Mit Urteil vom 30.09.2014782 hat sich das OLG Köln in einem Fall, in dem es um die Möglichkeit der Privatnutzung eines Pkw ging, ausdrücklich zu der Rechtsprechung des BGH zur Steueranspruchslehre bekannt und im Streitfall einen Tatbestandsirrtum angenommen, weil der Täter davon ausging, dass kein Steueranspruch existierte. Kennt der Täter die Sachverhaltsumstände, die eine steuerliche Erklärungspflicht begründen, so gehöre das Erkennen der daraus folgenden Rechtspflicht zur Abgabe von Erklärungen nach einem Teil der Literatur783 nicht zum notwendigen Kenntnisstand. Ein Irrtum des Täters auf rechtlicher Ebene stelle hier nur einen Verbotsirrtum nach § 17 StGB dar.784 So befinde sich lediglich im Verbotsirrtum, wer zwar weiß, dass er steuerpflichtige Umsätze tätigt, aber irrig glaubt, er brauche keine Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben.785 Die überwiegende Ansicht in der Literatur786 setzt hingegen hinsichtlich des Steuerhinterziehungsvorsatzes die Kenntnis über das Bestehen und

778 BGH v. 24.01.2018 - 1 StR 331/17, NStZ-RR 2018, 180.  779 BGH v. 10.01.2019 - 1 StR 347/18, NZWiSt 2019, 261. 780 AG Köln v. 10.01.2013 - 585 Ds 124/12, NZWiSt 2015, 105; kritisch Wedler, NZWiSt 2015, 99. 781 Roth, ZWH 2013, 373. 782 OLG Köln v. 30.09.2014 - III-1 RVs 91/14, BeckRS 2014, 18661. 783 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 505. 784 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 368; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 504 f. 785 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 504 f. 786 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 457; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 665. 

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

auch den Umfang der steuerlichen Erklärungspflichten voraus. Peters787 verweist diesbezüglich darauf, dass die Verletzung der Pflicht Voraussetzung des objektiven Tatbestands ist. Ransiek788 verweist darauf, dass mit der Unkenntnis der Erklärungspflicht meist auch die Unkenntnis des Steueranspruchs einhergeht. 2. Verbotsirrtum Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum, welcher nach § 17 S. 1 StGB die Schuld entfallen lässt, liegt vor, wenn dem Täter das Unrechtsbewusstsein bei Tatbegehung fehlt und er dies auch nicht vermeiden konnte.789 Dieser Irrtum wirkt sich im Gegensatz zum Tatbestandsirrtum auf die Frage des Schuldvorwurfs aus. Sofern der Irrtum vermeidbar war, ist nach § 17 S. 2 StGB eine Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB möglich.790 An die Unvermeidbarkeit werden jedoch hohe Anforderungen gestellt. Diese kann erst dann bejaht werden, „wenn der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat.“791 Im Steuerrecht sind Verbotsirrtümer allerdings meistens vermeidbar, da im Zweifel immer ein sach- und fachkundiger Steuerberater oder Rechtsanwalt eingeschaltet werden kann.792 Je weniger selbstverständlich eine Regelung ist, umso eher ist ihre Nichtbeachtung jedoch entschuldbar. 3. Typische Irrtümer bei der Umsatzsteuer Nachstehend sollen einige häufige Fallgruppen von Irrtümern im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer näher herausgearbeitet werden. Eine pauschalisierende Betrachtung verbietet sich indes, da in jedem konkreten Einzelfall untersucht werden muss, ob sich der Vorsatz auch auf den Steueranspruch bezieht. a) Irrtum über Erklärungspflicht Sofern ein Steuerpflichtiger über die Erklärungspflicht irrt, ist umstritten, ob dieser Irrtum als Tatbestandsirrtum oder als Verbotsirrtum einzu787 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 457. 788 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 670. 789 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 102. 790 Jäger in Klein, § 370, Rn. 182. 791 BGH v. 11.10.2012 - 1 StR 213/10, BGHSt 58, 15; vgl. BGH v. 27.01.1966 - KRB 2/65, BGHSt 21, 18, 20; v. 03.04.2008 - 3 StR 394/07, NStZ-RR 2009, 13. 792 So auch Beyer, NWB 2017, 1459, 1460.

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D.  Subjektiver Tatbestand

ordnen ist. Die überwiegende Ansicht in der Literatur und der Rechtsprechung793 bejaht in diesen Fällen einen Verbotsirrtum794. In der Literatur795 und vereinzelt in der Rechtsprechung796 wird jedoch auch die Ansicht vertreten, es handele sich bei der Kenntnis um die Erklärungspflicht um einen Teil des Tatbestands mit der Folge, dass eine diesbezügliche Unkenntnis zu einem Tatbestandsirrtum führt. b) Irrtum über Erklärungspflicht bei fristgerechter Zahlung von ­Umsatzsteuervorauszahlungen Sofern keine Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben, aber dennoch die Umsatzsteuer fristgerecht gezahlt wurde, wird dies – wie oben ausgeführt – von Teilen der Literatur797 als konkludente Steueranmeldung gewertet, sodass weder eine Tathandlung noch eine Steuerverkürzung ­gegeben sind. Dem ist jedoch – mit Schmitz/Wulf798 – zutreffend entgegenzuhalten, dass in der Zahlung allein in der Regel keine Tätigung von Angaben gesehen werden kann. Es mangelt aber m.E. durch Tilgung der Steueransprüche am Verkürzungserfolg. Dies ungeachtet dessen, dass eine Zahlung (Erhebungsebene) eine unterbliebene Festsetzung nicht beseitigt. Ransiek799 weist zudem darauf hin, dass auch in diesem Fall der Vorsatz (Tatbestandsirrtum) entfallen dürfte. c) Irrtum über Entstehungszeitpunkt der Umsatzsteuer Sofern ein Unternehmer mit Regelbesteuerung glaubt, dass seine Leistungen nicht schon bei Fertigstellung (§ 13 UStG), sondern erst bei Erhalt des Entgelts der Umsatzsteuer unterliegen, unterliegt dieser einem Tatbestandsirrtum, da er über die Fälligkeit des Steueranspruchs irrt.800

793 BGH v. 18.12.1985 - 2 StR 461/85, wistra 1986, 219, 220; BayObLG v. 17.10.1975 4 St 81/75, NJW 1976, 635; FG Münster v. 10.04.2013 - 13 K 3654/10 E, EFG 2013, 1345, 1348; so auch BT-Drs. 17/7133 v. 22.09.2011, S. 5: „mangels Vorsatz keine Steuerhinterziehung“. 794 Siehe Jäger in Klein, § 370, Rn. 182; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 505; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 456; so auch Leise, DStR 1972, 556, 557 f.; siehe auch S. 144. 795 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 667. 796 OLG Bremen v. 26.04.1985 - Ws 111/84, 115/84, 116/84, StV 1985, 282, 283. 797 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 416. 798 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 48. 799 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 318. 800 Wagner in Simon/Wagner, S. 79. 

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

d) Irrtum über Steuersatz: unberechtigter Steuerausweis Sofern ein Steuerpflichtiger eine falsche Rechnung dergestalt ausstellt, dass er den ermäßigten statt den regulären Steuersatz ausweist, schuldet dieser nach der Rechtsprechung des BFH801 die ermäßigte Steuer nach § 14c Abs. 1 UStG neben der Steuer für die tatsächlich ausgeführte Leistung. Wenn der Steuerpflichtige – einmal als wahr unterstellt – davon ausgeht, nur die Differenz zwischen ermäßigtem und vollem Steuersatz zu schulden, befindet er sich in Bezug auf die nach § 14c UStG zusätzlich geschuldete Steuer in einem Tatbestandsirrtum. Von einem steuerlichen Laien kann unter Berücksichtigung der Parallelwertung in der Laiensphäre nicht erwartet werden, zu wissen, dass er mehr schuldet, als wenn die Rechnung ordnungsgemäß erstellt wurde.802 e) Irrtum über Kompensationsverbot Die von wirtschaftlich denkenden Durchschnittsbürgern – nachvollziehbar – häufig vertretene Auffassung, dass die Umsatzsteuer auf Ausgangsumsätze und die anrechenbaren Vorsteuern bei der Frage, ob eine Steuerverkürzung vorliegt, zu saldieren seien, bedeutet – nach der bislang vom BGH vertretenen Auffassung803 – einen Irrtum über das Kompensationsverbot. Für den Fall, dass sich eine Steuerverkürzung ausschließlich deshalb ergibt, weil das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO804 Anwendung findet – diesbezüglich nicht die hier vertretene Auffassung, sondern die des BGH als anwendbar unterstellt805 –, ist nach der Rechtsprechung des BGH806 das Vorliegen des Vorsatzes besonders sorgfältig zu prüfen: Häufig kommt ein „Irrtum über das Bestehen des Steueranspruchs“ daher in Betracht, weil nach § 16 UStG Umsatzsteuer und Vorsteuer unselbstständige Bestandteile des Saldos sind, aus denen sich die Höhe der Umsatzsteuer ergibt807 und der Täter deshalb keine Steueranmeldung 801 BFH v. 08.09.1994 - V R 70/91, BStBl. II 1995, 32 f. 802 Wagner in Simon/Wagner, S. 81. 803 BGH v. 31.01.1978 - 5 StR 458/77, GA 1978, 307; siehe S. 53 f. 804 Siehe S. 47 ff. 805 Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung findet in diesem Fall das Kompensationsverbot schon keine Anwendung. 806 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 168; siehe dies. in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 371 ff. 807 BGH v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107, 108; Schmitz/Wulf in MKStGB, § 370 AO, Rn. 168; Jäger in Klein, § 370, Rn. 182; Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, § 370, Rn. 505; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 467,

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D.  Subjektiver Tatbestand

abgibt, weil er vom Saldo ausgeht. Es liegt dann ein Tatbestandsirrtum vor, wenn der Täter über die Abgabepflicht bzw. den Steueranspruch irrt, weil die Vorsteuern der Umsatzsteuer entsprechen oder diese gar übersteigen.808 Ransiek809 hält in diesem Fall die Verneinung des Tatbestands im Ergebnis für überzeugend, es spreche jedoch dogmatisch vieles dafür, einen (unvermeidbaren) Verbotsirrtum anzunehmen. Dies jedenfalls dann, wenn man mit der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung810 zum Kompensationsverbot entgegen der BGH-Rechtsprechung den objektiven Tatbestand nicht ohnehin verneint. Ransiek verweist darauf, dass wenn der Vorsteuererstattungsanspruch bereits – wegen des Kompensa­ tionsverbots – objektiv ohne Bedeutung für die Bestimmung des Ve­r­ kürzungserfolgs sei, die diesbezügliche subjektive Einschätzung, dies sei doch der Fall, den Tatbestandsvorsatz nicht berühren könne. Sofern der Täter aber z.B. auch für andere Voranmeldungszeiträume, bei denen sich eine Zahllast ergibt, keine Steueranmeldungen abgibt, spricht dies dafür, dass er die Finanzbehörden insgesamt über seine steuerpflichtige Tätigkeit im Unklaren lassen wollte und er deshalb – und nicht wegen eines Irrtums über steuerliche Pflichten – auf die Geltendmachung eines etwaigen Vorsteuerüberhangs verzichtet hat.811 Gibt der Täter hingegen Voranmeldungen ab, in denen er die Steuer nach § 18 Abs. 1 UStG zu niedrig berechnet, ist Peters812 der Auffassung, dass die irrige Annahme, die nicht abgezogenen Vorsteuern würden das Ausmaß des Verkürzungserfolgs verringern, am Hinterziehungsvorsatz nichts ändert. Der BGH813 hingegen – so eine Stimme in der Literatur814 – scheine auch bei dieser Fallgestaltung, bei der nach Abzug der Vorsteuerbeträge noch eine positive Zahllast verbleibt, von einem Vorsatzausschluss (Tatbestandsirrtum) auszugehen, der so weit reiche wie die Steuerminderung. Peters815 verweist darauf, dass der BGH nicht zwingend in diesem Sinne verstanden werden muss. Wenn der Täter wisse, dass er zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen – jedenfalls in Höhe der positiven 469; Peter/Trinks, PStR 2016, 272, 275; Menke, wistra 2006, 167, 170; Spatscheck/ Wimmer, DStR 2019, 777, 778; kritisch Meine, wistra 2002, 361, 363.  808 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 469. 809 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 674. 810 Siehe S. 64 f. 811 BGH v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107, 108; Peters in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 469. 812 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 470. 813 BGH v. 24.10.1990 - 3 StR 16/90, wistra 1991, 107, 108. 814 Meine, wistra 2002, 361, 364. 815 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 470.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Zahllast – verpflichtet ist, bestünden keine Zweifel am Hinterziehungsvorsatz. Eine genaue Vorstellung von der Höhe der verkürzten Steuern müsse der Täter nicht haben.816 Bleibt der Umfang der Steuerverkürzung nach der Vorstellung des Täters hinter dem wirklichen Verkürzungsbetrag zurück, so habe das keine Auswirkung auf den Steuerhinterziehungsvorsatz und sei nur bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.817 Ransiek818 vertritt im Ergebnis die gleiche Auffassung wie Peters. Kennt der Täter hingegen die steuermindernden Umstände (z.B. Vorsteuern), die aber – nach der Rechtsprechung des BGH – dem Kompensationsverbot unterliegen, nicht, so ist die Unkenntnis über die Vorsteuern unbeachtlich. Der objektiv eingetretene Verkürzungserfolg ist dann vom Vorsatz umfasst. Damit können auch die Fälle, in denen sich eine negative Zahllast ergibt, eine vollendete Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ergeben.819 f) Irrtum über Vorsteuerabzug aus inhaltlich unzutreffender Rechnung Ein Tatbestandsirrtum bei der Inanspruchnahme der Vorsteuer liegt dann vor, wenn der Steuerpflichtige eine Rechnung ausstellt, in welcher die Vorsteuer rechnerisch zwar richtig ausgewiesen ist, jedoch die Leistungsbeschreibung nicht hinreichend konkret bzw. zu pauschal ist und der Unternehmer in Verkennung der Anforderungen des BFH die Vorsteuer zieht.820 g) Irrtum über Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Nicht selten irrt ein Steuerpflichtiger über Voraussetzungen der Steuerbefreiung bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Das Tatbestandsmerkmal Steuerverkürzung ist – nach hier vertretener Meinung – als normatives Merkmal einzuordnen, welches einer Bewertung durch den Täter bedarf.821 Dem Täter muss objektiv klar gewesen sein, dass er die Steuerbefreiung nicht beanspruchen kann. Zumindest muss er dies billigend in Kauf genommen haben i.S.d. Eventualvorsatzes. Andern816 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 465, 470; ebenso Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 660. 817 BGH v. 18.04.1978 - 5 StR 692/77, UR 1978, 151, 152; v. 09.02.1995 - 5 StR 722/94, wistra 1995, 191, 192; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 465, 470. 818 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 660. 819 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 468. 820 Wagner in Simon/Wagner, S. 81 f.; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 463. 821 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 131.

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E. Versuch

falls würde ein Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB vorliegen. Der BGH822 gelangt über die Anwendung der Steueranspruchslehre bei Blankettmerkmalen zum gleichen Ergebnis. Bei dem noch ausführlich besprochenen EuGH-Urteil der Rechtssache R823 hätte man R vermutlich im Normalfall nicht widerlegen können, dass er davon ausgegangen war, die Umsatzsteuer nicht entrichten zu müssen (also die Steuerbefreiung in Anspruch nehmen zu können), was ein deutsches Finanzgericht, die Kommission und der Generalanwalt auch angenommen haben.824 Letztlich wurde in der Rechtssache R jedoch aufgrund der Besonderheiten des entschiedenen Falls Vorsatz unterstellt, weil aus beschlagnahmten Unterlagen (einschlägige Rechtsprechung mit von R vorgenommenen Unterstreichungen) erkennbar war, dass R von einer Strafbarkeit ausging. h) Irrtum über die Korrekturpflichten nach § 17 UStG Hinsichtlich des Vorsatzes in Bezug auf die Korrekturpflichten nach § 17 UStG825 ist dem Urteil des BGH vom 18.12.1985826 zu entnehmen, dass für den Fall des Wegfalls einer Steuervergünstigung (wie z.B. dem Vorliegen des Vorsteuerabzugs) der Bevölkerung bekannt ist, dass dann eine Anzeigepflicht besteht, zumal den Umsatzsteuervoranmeldungsvordrucken ein entsprechender Hinweis zu entnehmen ist. Der o.g. BGH-Entscheidung lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Steuerpflichtige in einer Umsatzsteuervoranmeldung Vorsteuern aus einem Kaufvertrag geltend gemacht hat. Der Verkäufer ist später vom Kaufvertrag zurückgetreten. Der Steuerpflichtige hatte aber nicht die nach § 17 UStG erforderlichen Korrekturen vorgenommen, weil er hoffte, das Geschäft noch zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen.

E. Versuch Der Versuch der Steuerhinterziehung ist strafbar. Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Bestimmung in § 370 Abs. 2 AO. Eine versuchte Steuer822 BGH v. 13.11.1953 - 5 StR 342/53, BGHSt 5, 90, 92; siehe S. 137 f. 823 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, 849; siehe S. 215 ff. 824 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 131; siehe auch EuGH v. 07.12.2010 C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846. 825 Siehe S. 78 f. und S. 133 f. 826 BGH v. 18.12.1985 - 2 StR 461/85, wistra 1986, 219, 220; siehe auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 626; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 482.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

hinterziehung liegt vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB).827

I. Abgrenzung tauglicher, untauglicher Versuch und Wahndelikt Allgemein ist zunächst zwischen einem tauglichen und einem untauglichen Versuch zu differenzieren. Ein tauglicher Versuch ist gegeben, wenn ein Abbruch der Vollendung erfolgt, wobei die diesbezüglichen Gründe unerheblich sind.828 Der untaugliche Versuch ist gleichbedeutend mit einem umgekehrten Tatbestandsirrtum.829 Ein solcher liegt vor, wenn von Beginn an klar ist, dass der Versuch scheitern wird, weil Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind, welche der Täter fälschlicherweise für gegeben ansieht830, die sich auf Tatobjekt, Täter oder Tatmittel beziehen können.831 Dies z.B., wenn der Täter annimmt, 300.000,00 € steuerpflichtige Umsätze getätigt zu haben, obwohl er nur 250.000,00 € steuerpflichtige Umsätze getätigt hat, und auch nur diese erklärt. Darüber hinaus ist auch noch das sog. Wahndelikt vom Versuch abzugrenzen, bei welchem der Täter sein Verhalten fälschlicherweise als Steuerhinterziehung einordnet mit der Folge, dass es sich um strafrechtlich irrelevantes Verhalten handelt.832 Schmitz/Wulf833 weisen zu Recht darauf hin, dass die Kompliziertheit des Steuerrechts und die damit einhergehende Wahrscheinlichkeit eines Irrtums zunehmend häufiger die Frage nach der Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt aufwirft. Wenn sich der Irrtum auf tatsächliche Umstände bezieht, liegt unstreitig ein untauglicher Versuch vor. Sofern sich der Irrtum hingegen auf den Umfang des Anwendungsbereichs von § 370 AO bezieht, liegt ein strafloses Wahndelikt vor.834 Ungeklärt835 ist die Rechtslage aber dann, wenn sich der Irrtum nicht auf den Anwendungsbereich von § 370 AO selbst, sondern auf die Steuerrechtslage bezieht, wenn also der Täter z.B. eine Steu-

827 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 692. 828 Wagner in Simon/Wagner, S. 87. 829 BGH v. 01.04.1960 - 4 StR 450/59, NJW 1960, 1820, 1821; Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, § 369, Rn. 108; Wagner in Simon/Wagner, S. 88; siehe auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 100. 830 BGH v. 09.07.1954 - 1 StR 677/53, NJW 1954, 1576; v. 17.10.1996 - 4 StR 389/96, NJW 1997, 750, 751. 831 Wagner in Simon/Wagner, S. 87. 832 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 490. 833 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 418. 834 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 683. 835 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369 AO, Rn. 100.

150

E. Versuch

erpflicht irrtümlich annimmt.836 Dies ist z.B. der Fall, wenn der Täter eine steuerfreie Ausfuhrlieferung irrtümlich (entgegen §§ 4 Nr. 1 und 6 UStG) für steuerpflichtig hält und dennoch nicht in die Umsatzsteuervor­ anmeldungen aufnimmt.837 Die Rechtsprechung838 geht in diesem Fall von einem strafbaren Versuch aus, während Teile der Literatur dieses als strafloses Wahndelikt einordnen.839 Praktisch kommt es in diesen Fällen aber in aller Regel nicht zu einem Strafverfahren840 und der Abgrenzung soll daher nicht weiter nachgegangen werden. Nach § 23 Abs. 2 StGB kann der Versuch milder als die vollendete Steuerhinterziehung bestraft werden (fakultative Strafmilderung).

II. Subjektiver Tatbestand (Tatentschluss) Bezüglich des subjektiven Tatbestands muss der Steuerpflichtige – entsprechend den Regelungen des allgemeinen Strafrechts – Vorsatz hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale des § 370 Abs. 1 AO haben. Ferner muss er in Bezug auf normative Tatbestandsmerkmale841 die erforderliche „Parallelwertung in der Laiensphäre“ vornehmen. Erforderlich ist insbesondere, dass ihm die Beeinträchtigung der Verwirklichung eines Steueranspruchs bewusst ist oder er einen Steuervorteil erlangt, auf den er keinen Anspruch hat.842

III. Objektiver Tatbestand (unmittelbares Ansetzen zur Tat) Hinsichtlich des objektiven Tatbestands ist nach § 22 StGB das unmittelbare Ansetzen zur Tat aus Sicht des Täters erforderlich. Diesbezüglich ist der Versuch von den sog. straflosen Vorbereitungshandlungen abzugrenzen, bei denen der Täter noch nicht unmittelbar zur Tatausführung angesetzt hat. Hierzu gehören die Handlungen, die der Täter vor dem Termin zur Abgabe einer Steuererklärung unternimmt, um die (spätere) tatbestandsmäßige Handlung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Vorbereitungshandlungen, wie z.B. die Nichtverbuchung von Umsätzen, stellen 836 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 683. 837 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 539. 838 BGH v. 21.01.1964 - 1 StR 455/63, juris; BayObLG v. 09.08.1955 - RReg. 2 St. 5a, b/55, NJW 1955, 1567, 1968. 839 Siehe Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 684; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 534, 536; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 423. 840 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 684. 841 Siehe S. 30 und S. 137 f. 842 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 533.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

so lange nicht den Anfang der Steuerhinterziehung dar, wie die Ergebnisse nicht den Finanzbehörden gegenüber zugänglich gemacht werden.843 An einem Versuchsbeginn fehlt es daher, wenn erst weitere Handlungen aus Sicht des Täters erforderlich sind, bis die Finanzbehörde Kenntnis von den Angaben erlangt.844 Da Umsatzsteuer(vor)anmeldungen – wie oben ausgeführt845 – elektronisch abzugeben sind, bedeutet dies, dass der Täter die Erklärung auf elektronischem Weg abgeschickt haben muss.846 Sofern sich der Täter aber eines Steuerberaters zur Abgabe der Steuer­ anmeldungen als gutgläubiges Werkzeug bedient, beginnt der Versuch bereits mit der Übergabe der Unterlagen (unrichtiger Belege), wenn der Steuerberater letztlich ohne weitere Rückfragen die Belege in (unrichtige) Steueranmeldungen umsetzen soll.847 Mit Urteil vom 06.02.2014848 hat der BGH das Versuchsstadium im Bereich der Umsatzsteuer bei der Einbeziehung eines Steuerberaters insoweit vorverlegt, dass regelmäßig bei Übergabe der Belege an den Steuerberater das straflose Vorbereitungsstadium verlassen wird. Wegen der oben849 dargestellten Besonderheiten des Steueranmeldungsverfahrens nach § 168 AO muss hinsichtlich der Umsatzsteuerhinterziehung – ebenso wie bei der Frage nach dem Vollendungszeitpunkt850 – zwischen dem Fall der Abgabe mit der Folge der zu niedrigen Festsetzung und der Nichtabgabe mit der Folge der fehlenden bzw. nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung differenziert werden. 1. Abgabefall Gibt der Steuerpflichtige vor dem Fälligkeitstag851 eine unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung ab852, ist zwischen der Berechnung einer Zahllast und dem Vorliegen eines Erstattungsbetrags zu unterscheiden. 843 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 539, 540. 844 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 428. 845 Siehe S. 21 ff. und S. 114 f. 846 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 428; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 244. 847 BGH v. 07.06.1994 - 5 StR 272/94, wistra 1994, 268; v. 06.02.2014 - 1 StR 577/13, NZWiSt 2014, 432, 436; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 244; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 542. 848 BGH v. 06.02.2014 - 1 StR 577/13, NZWiSt 2014, 432 mit Anmerkung Madauß, NZWiSt 2014, 438. 849 Siehe S. 24.  850 Siehe S. 38 ff.  851 Sonst schon Hinterziehung durch Unterlassen am Fälligkeitstag. 852 Vorsatz in diesem und in den nachfolgenden Fällen jeweils unterstellt.

152

E. Versuch

Bei Vorliegen einer Zahllast ist ein unmittelbares Ansetzen zur Tat bei Anmeldesteuern wie der Umsatzsteuer zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige eine dem Eingang der unrichtigen Steueranmeldung beim Finanzamt vorgelagerte Handlung vornimmt, wie z.B. das Heben der Hand, um die Anmeldung in den Briefkasten des Finanzamts zu werfen.853 Da Umsatzsteuer(vor)anmeldungen – wie oben ausgeführt854 – inzwischen von Härtefällen abgesehen – elektronisch abzugeben sind, bedeutet dies, dass der Täter die Erklärung auf elektronischem Weg abgeschickt haben muss,855 also den elektronischen Versand eingeleitet hat, indem er die erforderlichen Programmfunktionen ausgewählt hat.856 Da wie oben erläutert857 bereits mit Eingang der unrichtigen Steueranmeldung vor Fälligkeit beim Finanzamt sogar wegen § 168 S. 1 AO Vollendung eintritt (= Eintritt des Verkürzungserfolgs), ist das Zeitfenster – insbesondere bei einer elektronischen Abgabe – in diesen Fällen in der Regel sehr klein. Sofern die Steueranmeldung einen Erstattungsbetrag ergibt (Fall des § 168 S. 2 AO858), gilt das oben zur Zahllast Ausgeführte entsprechend. Es kommt also auf die Einleitung des Übertragungsvorgangs an. Ransiek859 will hingegen – ohne nähere Begründung – in diesem Fall auf den zeitlich späteren Eingang und nicht auf das Absenden der Steueranmeldung abstellen. Mit Schmitz/Wulf860 kann dem jedoch nicht gefolgt werden, da der Täter nicht mehr in der Hand – und damit auch nicht in seiner Vorstellung – hat, wann der Erfolg eintritt bzw. eintreten soll. Praktisch dürfte bei der elektronischen Abgabe weniger als eine Sekunde zwischen diesen Rechtsansichten liegen. Im Fall der Anmeldung eines Erstattungsbetrags ist nach § 168 S. 2 AO zur Steuerfestsetzung die Zustimmung des Finanzamts für eine Steuerfestsetzung notwendig.861 Nach zutreffender Ansicht des BGH862 und der 853 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 702; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, § 370 AO, Rn. 387, 395; siehe auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 386; Wiese in Wannemacher, Rn. 505; siehe zu Einzelmeinungen bezüglich des Versuchsbeginns Wiese in Wannemacher, Rn. 506. 854 Siehe S. 21 f. und S. 114. 855 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 428. Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 244, 256. 856 Beyer, NWB 2016, 1508, 1515.  857 Siehe S. 39 f. 858 Siehe S. 24. 859 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 702. 860 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 427. 861 BGH v. 10.08.1988 - 3 StR 246/88, wistra 1988, 355. 862 Vgl. BGH v. 10.08.1988 - 3 StR 246/88, wistra 1988, 355; v. 09.11.2006 - 5 StR 338/06, wistra 2007, 116, 117; v. 21.06.2007 - 5 StR 532/06, juris; v. 17.03.2009 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1981.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Literatur863 befindet sich die Tat daher bis zur Erteilung der Zustimmung im Versuchsstadium.864 Sofern die Tat nur deshalb zu einer Tatvollendung gelangt, weil der Täter einen Erstattungsbetrag nach § 168 S. 2 AO anmeldet, obwohl er richtigerweise eine Zahllast hätte anmelden müssen, liegt es nahe, die fakultative Strafmilderung des Versuchs zu versagen, weil er auf diese Weise die rechtzeitige Festsetzung der Zahllast nach § 168 S. 1 AO verhindert hat.865 Sofern sich der Täter aber eines Steuerberaters zur Abgabe der Steuer­ anmeldungen als gutgläubiges Werkzeug bedient (Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft866), beginnt der Versuch bereits mit der Übergabe der Unterlagen (unrichtiger Belege), wenn der Steuerberater letztlich ohne weitere Rückfragen die Belege in (unrichtige) Steueranmeldungen umsetzen soll.867 2. Nichtabgabefall Liegt hingegen ein Nichtabgabefall vor, so existiert kein Versuchsstadium, weil mit Ablauf der Abgabefrist die Steuerhinterziehung in Form der nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung vollendet ist.868 Dies beruht auf dem Umstand, dass nach § 168 S. 1 AO eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Es handelt sich somit bei dieser Konstellation um ein Zusammenfallen von Versuch und Vollendung. Vom Vorstellungsbild des Täters ist in diesem Zusammenhang abhängig, ob in der nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung im Fall der Nichtabgabe bereits eine Steuerhinterziehung auf Dauer oder nur jene auf Zeit zu sehen ist.869 In diesen Fällen ist allerdings, sofern die Frist – insbesondere hinsichtlich der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung – nur kurz überschritten 863 Muhler, wistra 2009, 1, 2; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 397; vgl. auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 106. 864 Zur Zustimmung siehe die Ausführungen zur Tatvollendung S. 40. 865 Jäger in Klein, § 370, Rn. 196; siehe auch S. 40 f. (Korrektur von unbilligen Ergebnissen). 866 Siehe S. 163 f. 867 BGH v. 07.06.1994 - 5 StR 272/94, wistra 1994, 268; v. 06.02.2014 - 1 StR 577/13, NZWiSt 2014, 432, 436; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 244; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 542; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 432; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 712. 868 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 719; Gehm, S. 153; Peters in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 536. 869 Rolletschke, Rn. 142; zur Steuerverkürzung auf Zeit siehe S. 84 ff.

154

E. Versuch

wurde, der subjektive Tatbestand (Tat­entschluss870) des Täters besonders sorgfältig zu prüfen.871

IV. Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB; Abgrenzung zur Selbstanzeige Solange die Steuerhinterziehung noch nicht beendet ist, kann der Täter nach den allgemeinen Regeln des StGB vom Versuch zurücktreten, wenn die Voraussetzungen des § 24 StGB vorliegen. Nach § 24 Abs. 1 StGB wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Beim sog. unbeendeten Versuch, bei dem der Täter nach seiner Vorstellung noch nicht alle Handlungen vorgenommen hat, die zur Vollendung der Tat erforderlich sind, genügt nach § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. StGB die freiwillige Auf­ gabe der weiteren Tatausführung. Beim sog. beendeten Versuch hat der Täter hingegen schon alles getan, was nach seiner Vorstellung zur Vollendung der Tat erforderlich ist. Straffrei wird der Täter in diesem Fall nur, wenn er nach § 24 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. StGB die weitere Tatausführung verhindert bzw. sich freiwillig und ernsthaft darum bemüht.872 Da es sich bei der Steuerhinterziehung – insbesondere auch bei der Umsatzsteuerhinterziehung – um ein Erklärungsdelikt handelt, liegt mit der Abgabe einer falschen Steueranmeldung ein sog. beendeter Versuch vor, weil der Täter mit Abgabe das „Geschehen aus der Hand gibt“.873 Die Rücktrittsregelungen sind jedoch in Bezug auf die Umsatzsteuerhinterziehung – wie ausgeführt – in Abgabefällen lediglich in Erstattungsfällen in der kurzen Zeitspanne bis zur Erteilung der Zustimmung (§ 168 S. 2 AO) von Bedeutung874, weil ansonsten nach § 168 S. 1 AO mit der Abgabe Vollendung eintritt. Im Fall der Nichtabgabe liegt mit Verstreichenlassen der Frist ebenfalls zugleich Vollendung vor, mit der Folge, dass keine Möglichkeit mehr für einen Rücktritt besteht. Der Rücktritt ist dann ausgeschlossen, wenn es dem Täter aus seiner Sicht nicht mehr möglich ist, die Tatvollendung freiwillig zu verhindern, etwa wenn das Finanzamt auf anderem Wege Kenntnis von den zutreffenden Besteuerungsgrundlagen erlangt hat und der Täter dies weiß (sog. fehlgeschlagener

870 Siehe S. 151.  871 So Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 525. 872 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 726. 873 Vgl. Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 445. 874 Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 288.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Versuch). Sofern der Täter dies nicht weiß, ist ein Rücktritt noch möglich.875 Beim Straftatbestand der Steuerhinterziehung besteht die Möglichkeit, auch nach Vollendung des Delikts durch die in § 371 AO geregelte Selbstanzeige876 Straffreiheit zu erlangen.877 Daher bedarf es der Abgrenzung zwischen dem Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB und der Selbstanzeige, da diese unterschiedliche Voraussetzungen – jeweils teils enger und jeweils teils weiter – haben. So setzt der Rücktritt – enger als die Selbstanzeige – Freiwilligkeit voraus, ist aber – weiter als die Selbstanzeige – nicht bereits dann ausgeschlossen, wenn der Täter bei verständiger Würdigung der Sachlage mit Entdeckung rechnen muss.878 Weit überwiegend wird in der Literatur879 die Auffassung vertreten, dass § 371 AO auch im Versuchsstadium anwendbar ist, da § 371 AO eine Erweiterung und keine Einschränkung der allgemeinen Straffreiheitsvorschriften darstelle. So auch der BGH880 zur Rechtslage vor der Einführung des Vollständigkeitsgebots durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.2011881 in § 371 Abs. 1 AO. Dieser Auffassung ist zuzu­ stimmen. Es ist daher die für den Täter günstigere Norm anzuwenden.882 Rolletschke883 ist der Auffassung, dass sich durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz884 das Verhältnis der beiden Vorschriften zueinander verändert habe. Er sieht die Selbstanzeige als abschließendes Spezialrecht an, weil eine Parallelanwendbarkeit des Rücktrittsrechts den Grundüberlegungen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes – insbesondere dem Vollständigkeitsgebot – zuwiderlaufe.885 Der Rücktritt stellt – wie die Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO – einen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar. Lediglich im Fall der Fremdan-

875 Vgl. Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 445 ff. 876 Siehe S. 407 ff. 877 Jäger in Klein, § 371, Rn. 5. 878 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 65. 879 Jäger in Klein, § 371, Rn. 5 f.; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 415; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 444; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 731; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 563; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 137; Kemper in Rolletschke/Kemper, § 371 AO, Rn. 605, 615, 619; Webel, PStR 2014, 263, 267. 880 BGH v. 19.03.1991 - 5 StR 516/90, NJW 1991, 2844. 881 Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.04.2011, BGBl. I 2011, 676. 882 Jäger in Klein, § 371, Rn. 6; so auch Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 288. 883 Rolletschke, ZWH 2013, 186.  884 Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.04.2011, BGBl. I 2011, 676. 885 Rolletschke, ZWH 2013, 186. 

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F.  Täterschaft und Teilnahme

zeige nach § 371 Abs. 4 AO886 und im Fall des § 398a AO887 besteht als Rechtsfolge einer Selbstanzeige nur ein Strafverfolgungshindernis.

F. Täterschaft und Teilnahme Sofern die Erstellung und Abgabe einer Steuererklärung durch eine einzelne Person erfolgt bzw. die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen nur eine einzelne Person trifft, kommt nur diese als Täter der Steuerhinterziehung in Betracht. Unabhängig von dem Umstand, dass im Fall einer elektronischen Übermittlung der o.g. mit der Unterschrift verfolgte Zweck der eindeutigen Zurechnung hinfällig wird, sind im Rahmen der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen in Unternehmen oftmals mehrere Personen arbeitsteilig betraut, sodass sich im Rahmen der Strafverfolgung Nachweisschwierigkeiten ergeben, welche Person gehandelt hat,888 und fraglich ist, wer Täter bzw. Teilnehmer der Steuerhinterziehung ist.

I. Abgrenzung Täterschaft und Teilnahme In diesem Zusammenhang wird zuweilen die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme bedeutsam, wozu verschiedene Ansichten vertreten werden. Nach der von der Rechtsprechung vertretenen subjektiven Theorie ist Täter, „wer mit seinem Tatbeitrag nicht bloß fremdes Tun fördern will (animus socii), sondern die Tat als eigene will (animus auctoris). […] Wesentliche Anhaltspunkte dafür können der Grad des ­eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Beteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen.“889 Von der h.L.890 wird hingegen die Tatherrschafts886 Siehe S. 456 f. 887 Siehe S. 443 ff. 888 Gehm, S. 199 f.; siehe auch Rätke in Klein, § 150, Rn. 14. 889 Rengier, JuS 2010, 281, 281 f.; siehe auch BGH v. 15.01.1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; BGH v. 29.11.2007 - 4 StR 426/07, NStZ 2008, 273, 275; v. 02.07.2008 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26. 890 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 74; Frister, StR AT, Kap. 26, Rn. 20 ff.; Kühl in Lackner/Kühl, § 25, Rn. 11; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 98; Rengier, JuS 2010, 281; Roxin, StR AT II, 2003, § 25, Rn. 198 ff.; Schünemann in LK-StGB, § 25, Rn. 7 f.; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 806.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

lehre vertreten. Für die Tatherrschaft sei maßgebliches Kriterium, „inwieweit der Täter das tatbestandsmäßige Geschehen in den Händen hält.“ Danach sei derjenige Täter, der als Zentralgestalt des Geschehens die planvoll-lenkende oder mitgestaltende Tatherrschaft besitzt. Tatherrschaft bedeutet, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung nach seinem Willen hemmen oder ablaufen lassen kann.891 Maßgeblich sei hierbei eine wertende Gesamtbetrachtung.892 Entscheidend ist als Erstes, dass der Täter die Herrschaft über den Er­ klärungsinhalt innehat, also ihm eine Zurechnung der in der Steuererklärung getätigten Angaben als Urheber möglich ist.893 Die bloße Ausführung der Tathandlung, also die Abgabe bzw. das Einwerfen der Steuererklärung beim Finanzamt, bzw. das Absenden von Daten mittels Mausklick oder Drücken einer entsprechenden Taste, genügt hierfür nicht, da z.B. ein Bote nur eine fremde Erklärung übermittelt.894

II. Täterkreis Hinsichtlich des in Betracht kommenden Täterkreises ist zwischen der Steuerhinterziehung durch Handeln nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und der durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu unterscheiden. Lediglich in der Unterlassungsvariante erfolgt eine Begrenzung des Täterkreises durch das Merkmal der „Pflichtwidrigkeit“.895 1. Steuerhinterziehung durch Handeln, § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO Der Taterfolg muss gerade auf den unrichtigen oder unvollständigen Angaben beruhen, die der Täter macht.896 Als Täter einer Steuerhinterziehung durch Handeln kommt jeder in Betracht, der Einfluss auf die Vollstreckung, Festsetzung oder Erhebung der geschuldeten Steuer hat, mithin Steuerberater, untergeordnete Angestellte des Steuerpflichtigen oder auch außenstehende Dritte.897

891 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 98. 892 Beyer, NWB 2016, 1304, 1305. 893 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.2. 894 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.2. 895 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 30. 896 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 106. 897 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 31; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 381; Gibhardt, S. 150.

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F.  Täterschaft und Teilnahme

a) Unmittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1, 1. Alt. StGB Die unmittelbare Täterschaft ist hierbei am einfachsten zu umschreiben. Danach ist Täter, „wer bestimmt, für wen und mit welchem Inhalt die Erklärung in den Rechtsverkehr gelangt“ und die Erklärung der zustän­ digen Behörde körperlich zugänglich macht.898 Bezogen auf die Abgabe einer Steuererklärung ist dies gegeben, wenn der Steuerpflichtige die Steuererklärung selbst dem Finanzamt zukommen lässt, nachdem er sie zuvor selbstständig angefertigt und unterzeichnet hat. Entsprechendes gilt, sofern der Täter die unrichtigen oder unvollständigen Angaben in einer elektronischen Erklärung selbst übermittelt. Bei der Involvierung von mehreren Personen bei der Abgabe von unzutreffenden Steuererklärungen – wie dies insbesondere bei der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Umsatzsteuerjahreserklärungen bei Unternehmen meistens der Fall ist – stellt sich die Frage, wem welche Angaben zuzurechnen sind. aa) Erklärungsherrschaft über Inhalt und Abgabe der Erklärung Für die Annahme unmittelbarer Täterschaft ist entscheidend, dass der Täter die Angaben inhaltlich bestimmt, die an die Behörden übermittelt werden, und mithin, dass sie diesem nach der konkreten Rollenverteilung als Urheber zugerechnet werden können. Falsche Angaben macht also lediglich, wer die Entscheidung über den Inhalt der Erklärung trifft und sie deshalb inhaltlich bestimmt. Diese Entscheidungsmacht hat auch derjenige, der sie als seine Erklärung kennzeichnet und für die er daher die Garantie übernehmen will. Entscheidend ist daher nicht, wer die falschen Angaben fertigt – z.B. indem er die Steuererklärung ausfüllt –, sondern „wer die Erklärung als seine Erklärung in den Rechtsverkehr gibt“.899 Im Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit sog. Strohmannfällen900 unterschreibt gelegentlich der Hintermann die Steueranmeldungen bzw. reicht diese selbst elektronisch beim Finanzamt ein und unterschreibt diese mit dem Namen des Strohmanns bzw. erweckt den Eindruck, dass dieser die Steueranmeldung elektronisch eingereicht hat. Es kann jedoch nicht nur derjenige unmittelbarer Täter sein, welcher als Urheber (Einreicher) der Steuererklärung erkennbar ist bzw. sie 898 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.1. 899 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.2, 107.3; so auch Beyer, AO-StB 2018, 153, 155. 900 Siehe S. 16 und S. 130 f.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

mit eigenem Namen unterschreibt. Ausreichend ist das Tätigen falscher oder nicht vollständiger Angaben, wobei nicht zusätzlich der Eindruck erweckt werden muss, dass die Erklärung auch von ihm selbst stammt. Mithin begeht in diesen Fällen der Hintermann eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO als unmittelbarer Täter. Obwohl der Hintermann in den Strohmannfällen das Geschehen beherrscht, kann dieser aber nicht unmittelbarer Täter sein, wenn die formell bestellte Person, also der Strohmann, die unrichtige Steuererklärung selbst unterzeichnet bzw. elektronisch abgibt.901 bb) Steuerliche Berater als unmittelbare Täter Sofern jemand durch eine Unterschrift eine Erklärung nach außen gerichtet als eigene abgibt, macht allein dieser Angaben. Der steuerliche Berater kommt dann – bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen – allenfalls als mittelbarer Täter, Mittäter oder Teilnehmer in Betracht. Sofern der steuerliche Berater im eigenen Namen vorsätzlich unrichtige Angaben für seinen Mandanten macht und die Erklärung bei der Finanzbehörde einreicht, kann dieser unmittelbarer Täter sein. Solange Umsatzsteuervoranmeldungen noch in Papierform abgegeben werden konnten902, kam es nicht selten vor, dass steuerliche Berater – im Rahmen der gesetzlich gewillkürten zulässigen Stellvertretung – Umsatzsteuervoranmeldungen für Mandanten nicht nur erstellt, sondern auch selbst unterschrieben haben und daher als unmittelbare Täter in Betracht kamen. Der Steuerberater tätigt jedoch dann keine falschen Angaben, wenn der Mandant eine vom Steuerberater gefertigte nicht vollständige oder falsche Steuererklärung unterschreibt. Hierbei liegt lediglich eine unmittelbare Täterschaft des Steuerpflichtigen vor. So macht in allen Fällen, in denen jemand eine Steuererklärung unterzeichnet und im Außenverhältnis als eigene mitteilt, auch nur derjenige Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 AO.903 Beyer904 weist zu Recht darauf hin, dass der Unterschreibende aber nicht zwangsläufig (unmittelbarer) Täter ist. Entscheidend ist, ob dem Unterschreibenden die Angaben nach der Erklärungsherrschaft zuzurechnen sind. Die Unterschrift ist allerdings ein Indiz dafür, dass die Erklärung dem Willen der Person entspricht, welche unterschrieben hat. 901 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.5.  902 Siehe S. 113. 903 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107 ff., 109.4, 113.11. 904 Beyer, NWB 2016, 1304, 1309, im Ergebnis ebenso Rolletschke in GS Joecks, S. 571, 584.

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F.  Täterschaft und Teilnahme

Falls eine eingereichte falsche Umsatzsteuerjahreserklärung entgegen den gesetzlichen Vorschriften nicht unterschrieben ist, schließt dies eine Strafbarkeit nicht aus.905 Eine solche Steuererklärung ist zwar unwirksam, allerdings ist der Mangel unbeachtlich, wenn das Finanzamt auf Basis der Steuererklärung einen wirksamen Steuerbescheid erlässt. Bei der Abgabe einer elektronischen Steuererklärung ist fraglich, wem die elektronisch übermittelten Daten906 zuzurechnen sind907; ob also der Steuerberater die Erklärung als diejenige seines Mandanten oder als eigene einreicht.908 Sofern eine elektronische Datenübermittlung stattfindet, hält Ransiek909 die Bezeichnung als Urheber für maßgeblich. In diesen Fällen ist allerdings nicht nachvollziehbar, ob der Steuerpflichtige vor Abgabe Kenntnis von der Steuererklärung erlangt hat, um seine Zustimmung zu erteilen.910 Steuerberater könnten daher aufgrund der Unterstellung „eigener Angaben“ öfter als früher als Täter einer Steuerhinter­ ziehung verdächtigt werden.911 Durch die elektronische Signatur bürgt der Steuerberater jedoch nur für die Erstellung und Übermittlung der Steuererklärung – ähnlich „einem Kanzleistempel auf einer Papiererklärung“912 – nicht hingegen für den Inhalt der Daten.913 Die authentifizierte Übermittlung durch den Steuerberater stellt lediglich eine neue Kommunikationsform dar914, bei welcher der Steuerberater „erkennbar als dienender Bote“ in Bezug auf die Übermittlung der Mandantenerklärung auftritt; eine Änderung hinsichtlich der Steuererklärungspflicht geht hiermit nicht einher.915 Der Steuerberater ist nach § 87d Abs. 3 AO (bis zum 31.12.2016 geregelt in § 6 Abs. 2 StDÜV) (zivilrechtlich) verpflichtet, seinem Auftraggeber die Daten in leicht nachprüfbarer Form zur Überprüfung zur Verfügung zu stellen. Nach dem Beweis des ersten Anscheins ist grds. davon auszugehen, dass die Verantwortlichkeit für die

905 BGH v. 14.01.2015 - 1 StR 93/14, NZWiSt 2015, 263, 270. 906 Siehe S. 114 f. 907 Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 38 ff.; siehe auch Wenzel, NWB 2012, 905; zur Zuordnung (Authentizität der Daten) Rätke in Klein, § 150, Rn. 14; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 98b; Kürzinger in Wannemacher, Rn. 135, 136. 908 Bülte, NZWiSt 2015, 237, 239. 909 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.4. 910 So im Ergebnis Rätke in Klein, § 150, Rn. 14. 911 Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 38. 912 Wenzel, NWB 2012, 905, 909.  913 Im Ergebnis Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 38. 914 Beyer, NWB 2016, 1508. 915 Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 38; siehe auch Stahl, KÖSDI 2015, 19473, 19474. 

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

richtigen Angaben beim Steuerpflichtigen liegt.916 Sofern der Steuerpflichtige diesen Anscheinsbeweis bestreitet, der Steuerberater jedoch bei der Aussage bleibt, dass die Angaben denen des Steuerpflichtigen entsprechen, ist die tatrichterliche Entscheidung maßgeblich.917 Das DWS-­ Institut918 vertritt hingegen die Ansicht, dass hieraus ein Risiko strafrechtlicher Zurechnung erwächst. Mit Beyer919 ist zu differenzieren: Da in steuerrechtlicher Hinsicht der Steuerberater nach § 87d Abs. 3 AO (bis zum 31.12.2016 geregelt in § 6 Abs. 2 StDÜV) verpflichtet ist, die elek­ tronisch übermittelten Daten seinem Mandanten in leicht überprüfbarer Form zur Verfügung zu stellen, und aufgrund der Unterstellung, dass der Steuerberater einen zivilrechtlichen Haftungsanspruch gegen sich vermeiden will, kann grds. davon ausgegangen werden, dass die übermit­ telte Erklärung dem Mandantenwillen entspricht. Eine Erschütterung dieses Anscheinsbeweises ist durch substantiiertes Bestreiten des Mandanten hinsichtlich der Erteilung seiner Zustimmung möglich. In strafrechtlicher Hinsicht existiert aufgrund der hohen strafrechtlichen Anforderungen ein solcher Anscheinsbeweis nicht. Erforderlich ist hier die richterliche Überzeugung von der Verantwortlichkeit des in den Blick genommenen potenziellen unmittelbaren Täters. Ungeachtet dessen kann aber eine mittelbare Täterschaft, Mittäterschaft oder Beihilfe in Betracht kommen. b) Mittäterschaft, § 25 Abs. 2 StGB Mittäterschaft setzt nach § 25 Abs. 2 StGB voraus, dass die Tat gemeinschaftlich begangen wird. Dies erfordert das gleichrangige arbeitsteilige Zusammenwirken mindestens zweier Personen, sodass jeder die Herrschaft über das „Wie“ und „Ob“ der Tat innehat, was bei Vorliegen eines gemeinsamen Tatentschlusses und einer gemeinsamen Tatausführung angenommen wird.920 Maßgeblich für eine Mittäterschaft sind – auch bei Steuerstraftaten – der Wille zur Tatherrschaft und das Interesse an der Tat.921

916 Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 38; so bereits Günther, AO-StB 2008, 78 f.; kritisch auch Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 150 AO, Rn. 36f; a.A. BMF v. 15.01.2007 – IV C 6 – O 2250 - 138/06, DStR 2007, 349; Seer in Tipke/Kruse, § 150 AO, Rn. 28; Stahl, KÖSDI 2015, 19473, 19475. 917 Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 38; so bereits Bülte, NZWiSt 2015, 237, 239.  918 DWS-Institut, DStR 2006, 1588, 1590. 919 Beyer, NWB 2016, 1304, 1308.  920 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 113. 921 BGH v. 06.10.1989 - 3 StR 80/89, NStZ 1990, 80, 81.

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F.  Täterschaft und Teilnahme

Für den Tatentschluss ist ein Einvernehmen der Mittäter erforderlich, dessen Herstellung nach Ansicht des BGH922 weder zeitgleich noch vor der Tatausführung erfolgen muss und auch noch in Form der sukzessiven Mittäterschaft bis zur Tatbeendigung möglich ist. Mittäterschaftliches Handeln des Steuerberaters bei dessen Einbeziehung in ein Umsatzsteuerkarussell liegt z.B. dann vor, wenn er im Zuge dessen für den Mandanten falsche Umsatzsteuervoranmeldungen erstellt und unterzeichnet oder wenn er durch falsche Auskünfte über den Mandanten dessen Firmengeflecht im Rahmen einer Umsatzsteuersonderprüfung verschleiert. Neben dem darin liegenden arbeitsteiligen Verhalten bilden diese Voranmeldungen eine Einheit mit den von den anderen Mittätern abgegebenen Erklärungen.923 In den Strohmannfällen kann der Hintermann auch dann Mittäter sein, wenn allein die formell bestellte Person, also der Strohmann, die un­ richtige Steuererklärung selbst unterzeichnet bzw. elektronisch abgibt. Wenn der Hintermann faktisch den Inhalt und die Abgabe der Erklärung mitbeherrscht, kann dies als eigener Tatbeitrag angesehen werden.924 c) Mittelbare Täterschaft, § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB Mittelbare Täterschaft liegt nach § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB vor, wenn die Tat durch einen anderen begangen wird, also die fremde Steuererklärung wie eine eigene zugerechnet wird. Erforderlich hierfür ist, dass der Vordermann nicht voll verantwortlich handelt, aber vom Hintermann, welcher die Tathandlung als eigene festlegt, wie ein Werkzeug hierfür genutzt wird.925 Insbesondere wenn Steuerberater vom Unternehmer mit der Erstellung von Umsatzsteuer(vor)anmeldungen beauftragt wurden, wird Umsatzsteuer häufig auch in mittelbarer Täterschaft hinterzogen. Dies z.B. dann, wenn der Unternehmer dem gutgläubigen Steuerberater unvollständige Informationen über die ausgeführten Leistungen gibt oder diesen nicht informiert, dass es sich bei bestimmten Eingangsrechnungen um elektronische Rechnungen nach § 14 Abs. 3 UStG handelt, bei denen

922 BGH v. 24.04.1952 - 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 345; a.A. bezüglich der sukzes­ siven Mittäterschaft Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 113.4. 923 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 114.4. 924 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.5, 113.11. 925 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 110.

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aber die dort genannten Voraussetzungen zum Vorsteuerabzug nicht vorliegen.926 Sofern z.B. ein Unternehmer selbst Umsatzsteuerrückerstattungsanträge beim Finanzamt einreicht, und diesbezügliche Belege zuvor von seinen Mitarbeitern mit seinem Wissen und entsprechender Duldung vervollständigt worden sind, verwirklicht dieses Verhalten aufgrund der Erklärungsherrschaft des Arbeitgebers dessen unmittelbare Täterschaft927; bei Einwurf durch die Mitarbeiter selbst müsste eine Zurechnung des Verhaltens des Arbeitgebers über § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB erfolgen oder ihn eine Verpflichtung treffen, den Eintritt eines Verkürzungserfolgs durch die Mitteilung falscher Angaben abzuwenden.928 Ebenso kann nach der BFH-Rechtsprechung929 eine Umsatzsteuerhin­ terziehung in mittelbarer Täterschaft begehen, wer eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis ungerechtfertigt gegenüber einem anderen, gutgläubigen Unternehmer ausstellt.930 Der BFH begründet dies damit, dass vorherbestimmt ist, dass der Unternehmer als Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug geltend machen werde, da er anderenfalls durch die Umsatzsteuer wirtschaftlich belastet wird.931 Im Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit sog. Strohmannfällen932 wird der Hintermann als mittelbarer Täter in Betracht kommen, wenn ein gutgläubiger Strohmann die Steueranmeldungen abgibt. Dem Hintermann wird eine fremde Erklärung zugerechnet; er selbst macht aber keine Angaben.933 2. Steuerhinterziehung durch Unterlassen, § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO „kann nur derjenige sein, […] [der nach dem Gesetz zum] Handeln verpflichtet ist“, da die Vorschrift „pflichtwidriges“ Verhalten und damit einen Verstoß gegen die Erklärungspflichten des Steuerrechts vo­ raussetzt.934 Sowohl unmittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1, 1. Alt StGB), mit926 Kürzinger in Wannemacher, Rn. 135, 136. 927 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 112.6; siehe BayObLG v. 26.10.1987 - RReg. 4 St 164/87, wistra 1988, 76, 79. 928 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 112.6. 929 BFH v. 31.07.1996 - XI R 82/95, BStBl. II 1996, 554, 556. 930 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 389. 931 BFH v. 31.07.1996 - XI R 82/95, BStBl. II 1996, 554, 556. 932 Siehe S. 16 und S. 130 f. 933 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 107.4. 934 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 382.

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F.  Täterschaft und Teilnahme

telbarer Täter (§ 25 Abs. 1, 2. Alt StGB) als auch Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) kann nach der ständigen Rechtsprechung des BGH935 nur sein, wer Träger der steuerlichen Handlungspflicht ist.936 Dies sind sowohl die nach den Steuergesetzen (wie dem UStG und der AO) verpflichteten Personen937 wie auch Personen, die den strafrecht­ lichen Erweiterungen des § 14 StGB (Organ- und Vertreterhaftung938) ­unterliegen.939 Eine Strafbarkeit eines Steuerberaters nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ergibt sich nur dann, wenn diesen eine eigene Verpflichtung trifft, Angaben zu machen. Allein aus seiner beruflichen Stellung heraus ist er jedoch kein Garant i.S.d. § 13 StGB.940 Ransiek941 hält die Vorschriften der Einzelsteuergesetze und der AO für abschließend und will die Verpflichtung nicht über § 14 StGB erweitern, wodurch ansonsten auch Steuerberater oder Compliance Officer zum Kreis der verpflichteten Personen gehören würden. Dies könnten z.B. Steuerberater sein, die im Beratungsvertrag mit dem Mandanten die Pflicht zur Erstellung und Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldungen – was allerdings nur selten vorkommt – als eigene Pflicht i.S.d. § 14 StGB übernommen haben. Wie oben ausgeführt942, ist die Übernahme dieser Pflicht durch Steuerberater steuerrechtlich zulässig. Peters943 hingegen will § 13 StGB auch im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO anwenden. Zu den verpflichteten Personen gehören mithin auch – wie oben erläutert944 – „faktische Geschäftsführer“ als sog. Hinterleute, wenn diese als Verfügungsbefugte nach § 35 AO anzusehen sind. In diesem Fall trifft den Hintermann die Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen. Bei fehlender Abgabe – was in der Praxis häufig vorkommt – begehen sowohl der Strohmann als Verpflichteter nach § 34 AO als auch der Hintermann als Verpflichteter nach § 35 AO eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO.945 Beide sind verpflich935 BGH v. 12.11.1986 - 3 StR 405/86, wistra 1987, 147; v. 20.11.1990 - 3 StR 259/90, BeckRS 1990, 31083379, v. 26.10.1998 - 5 StR 746/97, wistra 1999, 103, 107; v. 24.10.2002 - 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52, 58. 936 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 382. 937 Siehe S. 129 ff.  938 Kürzinger in Wannemacher, Rn. 136. 939 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 387. 940 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 185, 189; so im Ergebnis auch Kürzinger in Wannemacher, Rn. 136; a.A. Rätke in Klein, § 153, Rn. 6. 941 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 293. 942 Siehe S. 158 ff.  943 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 139. 944 Siehe S. 129. 945 Nöhren, S. 226.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

tet, etwa Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen abzugeben.946 Insbesondere bei Scheinlieferungen sind die vorgenannten Personen nach § 14c Abs. 2 UStG zur Abführung der unberechtigt ausgewiesenen Umsatzsteuer und zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und -jahreserklärungen verpflichtet.

III. Teilnahme Hinsichtlich der Hinterziehung von Umsatzsteuer kann – falls eine Täterschaft nicht vorliegt – eine Teilnahme (Anstiftung nach § 26 StGB bzw. Beihilfe nach § 27 StGB) in Betracht kommen. 1. Anstiftung Anstiftung nach § 26 StGB setzt neben dem Vorliegen einer vorsätzlichen rechtswidrigen Haupttat eine vorsätzliche Bestimmung zu eben jener voraus.947 Ein Bestimmen zu einer Haupttat ist dann gegeben, „wenn der Anstifter beim Täter den Tatentschluss hervorruft“.948 Jemand, der bereits fest zur Begehung einer konkreten Tat entschlossen ist, kann nicht mehr angestiftet werden, jedoch ist auch umgekehrt ausreichend, dass die Tatbestimmung eine Ursache neben anderen setzt.949 Schmitz/ Wulf950 weisen darauf hin, dass echte Anstiftungskonstellationen im Steuerstrafrecht selten vorkommen, da „der Entschluss des Steuerpflichtigen zu Einsparung von Steuern“ zumeist nicht von außen hervorgerufen werden muss. Im Zusammenhang mit der Hinterziehung von Umsatzsteuer kommen Anstiftungsfälle insbesondere in den sog. Strohmannfällen951 in Betracht, bei denen sich die beherrschenden Personen im Hintergrund halten und das Tatgeschehen über Strohleute steuern. Wenn die Hinterleute in diesen Fällen nicht die Voraussetzungen einer täterschaftlichen Begehung aufweisen (etwa durch Handeln nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO oder als Verfügungsbefugte nach § 35 AO und damit durch Unterlassen nach § 370

946 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 374. 947 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 120. 948 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 881. 949 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 141. 950 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 396. 951 Siehe S. 16 und S. 130 f.

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F.  Täterschaft und Teilnahme

Abs. 1 Nr. 2 AO), wird häufig eine Anstiftung zu den vorsätzlichen Steuerhinterziehungen des Strohmanns in Betracht kommen.952 2. Beihilfe Beihilfe nach § 27 StGB begeht, wer die Begehung der Tat durch einen anderen fördert, die Tat also psychisch oder physisch fördert.953 Anders als die Anstiftung kommen Beihilfekonstellationen im Steuerstrafrecht – insbesondere auch bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer – wegen der Involvierung von mehreren Personen in den Steuerdeklarationsvorgang sehr häufig vor. a) Neutrale Handlungen Besondere Schwierigkeiten bereitet im Steuerstrafrecht – und insbesondere auch bei der Umsatzsteuerhinterziehung – die Abgrenzung von „legalem Alltagsverhalten“ zur strafbaren Beihilfe, welche in Rechtsprechung und Literatur unter dem Begriff „objektiv neutrale Handlung“ diskutiert wird.954 Dies betrifft vor allem das Verhalten von Angestellten des Unternehmers und das Verhalten des Steuerberaters des Unternehmers. Diesbezüglich hat sich ein nahezu unüberschaubares Meinungsspek­ trum955 herausgebildet, welches sowohl an objektive als auch an subjektive Kriterien anknüpfen will. An dieser Stelle soll lediglich die BGH-­ Rechtsprechung hierzu aufgezeigt werden, die subjektiv abgrenzt. Nach der Rechtsprechung des BGH956 – der sich auf den Lösungsansatz von Roxin957 bezieht – ist bei neutralen Handlungen bzw. bei berufstypischem Verhalten im Rahmen der sog. Drei-Stufen-Theorie wie folgt abzugrenzen: (1) Ein Tatbeitrag sei als Beihilfehandlung zu werten, wenn „das Handeln des Haupttäters ausschließlich [darauf] ab[zielt], eine strafbare Handlung zu begehen, und […] der Hilfeleistende [dies weiß] […]. In diesem Fall verliert sein Tun stets den ‚Alltagscharakter‘“. (2) „Weiß der Hilfeleistende [aber] nicht, wie sein Beitrag vom Haupttäter genutzt 952 Madauß, NZWiSt 2016, 268, 271. 953 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 397. 954 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 165 ff. 955 Siehe Joecks in MK-StGB, § 27 StGB, Rn. 49 ff. 956 BGH v. 01.08.2000 - 5 StR 624/99, wistra 2000, 340, 345; v. 22.01.2014 - 5 StR 468/12, wistra 2014, 176, 178; v. 21.12.2016 - 1 StR 112/16, NStZ 2017, 337; Jäger in Klein, § 370, Rn. 224. Das LG Leipzig v. 16.10.2017 - 15 Ns 202 Js 49069/15, ­juris schloss sich dem BGH für das Steuerstrafrecht an. 957 Roxin, StR AT II, § 26, Rn. 218 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

wird, hält er es also lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, sei sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen. (3) Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn das vom Hilfeleistenden erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass er sich „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ.958 b) Einzelfälle zur Beihilfe Die bloße Mitarbeit in einem Unternehmen, in dem die verantwortlichen Geschäftsleiter Steuern hinterziehen, stellt noch keine Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung dar. Die Grenze zur strafbaren Beihilfe ist aber dann überschritten, wenn der Arbeitnehmer wissentlich an der Erstellung der falschen Umsatzsteuervoranmeldungen mitwirkt oder wenn er weiß, dass die Tätigkeit des Unternehmens ausschließlich darauf abzielt, Umsatzsteuerhinterziehungen zu begehen.959 Nach der Rechtsprechung des BGH960 kann beim angeblichen Verkäufer (Gutschriftenempfänger) eine Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung (Vorsteuer) des angeblichen Käufers (Aussteller der Gutschriften) in Betracht kommen. Dies, wenn der Verkäufer in seiner Umsatzsteuervoranmeldung zum Vorsteuerabzug berechtigende steuerpflichtige Umsätze anmeldet statt der tatsächlich vorliegenden Scheinbeträge, die der Verkäufer zwar nach § 14c Abs. 2 UStG schuldet, die aber den Leistungsempfänger nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen. Nach der Rechtsprechung des BFH961 liegt Beihilfe z.B. vor, sofern ein Steuerberater für einen Gastronomen Umsatzsteuervoranmeldungen aufgrund von geschätzten Zahlen abgibt, weil keine ordnungsgemäßen Aufzeichnungen vorhanden sind, und der Steuerberater dabei erkennbar zu niedrige Rohgewinnaufschlagssätze verwendet. Die Literatur962 weist darauf hin, dass – auch nach den o.g. Kriterien des BGH963 – die Beauftragung eines steuerunehrlichen Unternehmers recht958 BGH v. 01.08.2000 - 5 StR 624/99, wistra 2000, 340, 345; v. 22.01.2014 - 5 StR 468/12, wistra 2014, 176, 178; v. 21.12.2016 - 1 StR 112/16, NStZ 2017, 337; v. 19.12.2017 - 1 StR 56/17, NStZ 2018, 328, 329. 959 BGH v. 13.04.1988 - 3 StR 33/88, wistra 1988, 261; v. 14.12.2010 - 1 StR 421/10, wistra 2011, 185; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 183. 960 BGH v. 03.12.2013 - 1 StR 579/13, wistra 2014, 144. 961 BFH v. 13.08.2007 - VII B 345/06, BFH/NV 2008, 23. 962 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 410; Peters in Hübschmann/Hepp/­ Spitaler, § 370 AO, Rn. 431; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 182. 963 BGH v. 23.06.1992 - 5 StR 75/92, wistra 1992, 299.

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G.  Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele)

lich neutral ist. Der bloßen Beauftragung fehle jeglicher deliktische Sinnbezug zwischen der Erteilung des Auftrags und der späteren Nichtversteuerung. Dies gelte selbst dann, wenn der Auftraggeber – z.B. wegen einer fehlenden Rechnung – sichere Kenntnis von der Nichtversteuerung durch den Auftragnehmer hat. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob diese Auffassung vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Italmoda964 von der nationalen Rechtsprechung geteilt wird. Hieran habe sich auch durch § 14b UStG in der Fassung ab 2004 nichts geändert, wonach z.B. bei Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken auch Privatpersonen nach § 14b Abs. 1 S. 5 UStG zur Aufbewahrung von erhaltenen Rechnungen verpflichtet sind.965 Schließlich bestehe keine Pflicht des Leistungsempfängers, sich eine Rechnung ausstellen zu lassen.966 Wer also auf das Angebot eines Handwerkers eingehe, „ohne Rechnung“ zu arbeiten, begehe damit noch keine Beihilfe zu einer Umsatzsteuerhinterziehung.967 Anders sehen dies die Rechtsprechung968 und auch Schmitz/Wulf969 bei einem gewerblichen Zwischenhändler, da dieser als Leistungsempfänger bereits beim bloßen Vereinbaren einer Leistung „ohne Rechnung“ gegen seine gesetzlichen Aufzeichnungspflichten verstoße und das Verhalten als solches somit nicht mehr rechtlich neutral sei.

G. Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele) In § 370 Abs. 3 S. 2 AO sind spezielle Regelbeispiele der Steuerhinterziehung aufgeführt, welche nach § 370 Abs. 3 S. 1 eine Strafrahmenerweiterung der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsehen. Nachstehend soll untersucht werden, wann die Voraussetzungen eines Regelbeispiels in Bezug auf die Umsatzsteuerhinterziehung erfüllt sind.970 Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Gesetze vom 19.12.2001971 wurde 964 Siehe S. 235 ff. 965 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 410. 966 Spatscheck/Wulf/Fraedrich, DStR 2005, 131.  967 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 402. 968 BFH v. 08.09.2004 - XI R 1/03, wistra 2004, 313. 969 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 402, 410. 970 Die konkrete Strafzumessung im Einzelfall wird im 5. Teil behandelt, siehe S. 394 ff. 971 Gesetz zur Bekämpfung von Steuerverkürzungen bei der Umsatzsteuer und zur Änderung anderer Gesetze v. 19.12.2001, BGBl. I 2001, 3922, 3923 f.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

zunächst § 370a AO a.F.972 als Verbrechenstatbestand in die Abgabenordnung eingefügt. Danach wurde – vereinfacht ausgedrückt – mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft, wer gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, Steuern in großem Ausmaß verkürzt hat. Nach massiver Kritik wurde diese Vorschrift durch Art. 3 Nr. 3 des „­Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG“ vom 21.12.2007 aufgehoben. Durch dieses Gesetz wurde zum 01.01.2008 § 370 Abs. 3 AO dergestalt geändert, dass die Vorschrift um eine Nr. 5 ergänzt und die Regelung in Nr. 1 neu gefasst wurde.973 Darüber hinaus fand durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 23.06.2017974, welches zum überwiegenden Teil am 25.06.2017 in Kraft getreten ist, eine Ergänzung des § 370 Abs. 3 um eine Nr. 6 statt. Diese Vorschrift bezieht sich auf sog. Drittstaatengesellschaften und ist hinsichtlich der Hinterziehung von Umsatzsteuer nicht von spezieller Bedeutung. Bei den Regelbeispielen handelt es sich nicht um Tatbestandsmerkmale, sondern um sog. Strafzumessungsmerkmale.975 Die Regelbeispiele der besonders schweren Fälle nach § 370 Abs. 3 S. 2 AO sind im Rahmen eines dreistufigen Verfahrens zu prüfen:976 Auf der ersten Ebene ist zu prüfen, ob der Sachverhalt unter ein Regelbeispiel subsumiert werden kann. Auf der zweiten Ebene ist zu prüfen, ob daraus ein besonders schwerer Fall folgt und der erweiterte Strafrahmen Anwendung finden soll. Ggf. ist je nach den Umständen des Einzelfalls der Strafrahmen des Grunddelikts anzuwenden. Auf der dritten Ebene findet dann die individuelle Strafzumessung für die jeweilige Tat innerhalb des vorab bestimmten Strafrahmens statt.977 Sofern die Prüfung auf der ersten Stufe nicht zum Vorliegen eines Regelbeispiels führt, kann u.U. den972 Siehe Nöhren, S. 45 ff. 973 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG v. 21.12.2007, BGBl. I 2007, 3198, 3209; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 562. 974 Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz v. 23.06.2017, BGBl. I 2017, 1682, 1686. 975 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 472. 976 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 466; Peters in Hübschmann/Hepp/­ Spitaler, § 370 AO, Rn. 474; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 545. 977 Siehe S. 394.

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G.  Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele)

noch ein sog. unbenannter schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 S. 1 AO vorliegen. Das Vorliegen eines besonders schweren Falls ist für jeden Täter und Teilnehmer gesondert zu prüfen, da es sich um eine Strafzumessungsvorschrift handelt.978

I. Einzelne Regelbeispiele Die Hinterziehung von Umsatzsteuer führt häufig dazu, dass die Regelbeispiele der Nr. 1 (Steuerverkürzung in großem Ausmaß) sowie der Nr. 5 (bandenmäßige Umsatz- und Verbrauchsteuerhinterziehung) erfüllt sind. Seit dem 25.12.2008 sind die Regelbeispiele darüber hinaus auch im Hinblick auf die verlängerte Strafverfolgungsverjährung nach § 376 AO979 von besonderer Bedeutung. 1. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, Steuerverkürzung in großem Ausmaß in der Fassung seit 01.01.2008 Nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO liegt ein besonders schwerer Fall in der Regel vor, wenn der Täter „in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“. Dabei findet jene Fassung Anwendung, welche im Zeitpunkt der Tat galt.980 Hinsichtlich des Begriffs des „großen Ausmaßes“ muss zunächst die maßgebliche Grenze bestimmt werden und sodann, wie diese zu berechnen ist, insbesondere ob das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO anzuwenden ist. a) Grenzbestimmung Hinterziehungsbetrag Zunächst herrschte Unklarheit über diese Begriffsbestimmung. Die Meinungen in der Literatur bewegten sich in einem Rahmen von 50.000,00 € bis zu mehreren Millionen €.981 Mit Urteil vom 02.12.2008982 hat der BGH erstmals geklärt, was genau unter dem Begriff „in großem Ausmaß“ zu verstehen ist. Demnach 978 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 466. 979 Siehe S. 337 ff. 980 Rolletschke, Rn. 253. 981 Welnhofer-Zeitler in Wannemacher, Rn. 1450. 982 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, wistra 2009, 107; siehe zu den Folgeentscheidungen zwischen 2010–2012 Wulf, Stbg 2012, 366.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

wird hierunter grds. ein Hinterziehungsbetrag von 50.000,00 € verstanden.983 Soweit es jedoch nur zu einer Gefährdung des Steueranspruchs kommt, ging der BGH984 von einer Grenze für das „große Ausmaß“ von 100.000,00  € aus. Sofern beide Varianten innerhalb eines Falls anzutreffen sind, sei maßgeblich, ob sich im Saldo ein Guthaben bzw. eine Vorsteuer von mindestens 50.000,00 € ergibt. Andernfalls sei die Grenze von 100.000,00 € maßgeblich.985 Es sei jedoch eine Gesamtabwägung im Einzelfall erforderlich, da diese Zahlen keine starren Grenzen darstellen.986 Ob eine Schadenswiedergutmachung stattgefunden habe, sei dabei unerheblich.987 Mit Urteil vom 27.10.2015988 hat der BGH dann entschieden, dass das „große Ausmaß“ einheitlich bei 50.001,00 € beginnt, unabhängig von dem Umstand, ob es sich um ein Tun oder ein Unterlassen handelt. Er begründet dies mit der Ähnlichkeit der beiden Fallvarianten: So führe auch das Unterlassen zu einem typischerweise zu erwartenden Schaden. Zudem sei bei dem Tatbestand der Steuerhinterziehung im Vergleich zum Betrug lediglich eine Vermögensgefährdung erforderlich, während beim Betrug auch in den Fällen der „schadensgleichen Vermögensgefährdung“ bereits dem Wortlaut nach der Eintritt eines Vermögensschadens erforderlich sei. Aufgrund der qualitativen Vergleichbarkeit sei „eine einheitliche Wertgrenze sachgerecht“ und in der Praxis eine Abgrenzung beider Fallvarianten oft nicht rechtssicher möglich. Darüber hinaus sei der Begriff „in großem Ausmaß“ erfolgsbezogen zu verstehen, sodass Anknüpfungspunkt nicht das manipulative Verhalten, sondern die beitragsmäßig verkürzte Steuer sei.989 In der Literatur990 wird die Widersprüchlichkeit in der Urteilsbegründung kritisiert: So orientiere sich das Gericht hinsichtlich der Grenze zum „großen Ausmaß“ zwar an § 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB, obwohl es die struk983 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, wistra 2009, 107, Rn. 24; siehe auch BGH v. 12.07.2011 - 1 StR 81/11, wistra 2011, 396; Heuel/Beyer, AO-StB 2013, 140, 151; Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 96. 984 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, wistra 2009, 107, 111. 985 BGH v. 15.12.2011 - 1 StR 579/11, wistra 2012, 191; kritisch Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 96, Fn. 20. 986 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, wistra 2009, 107, Rn. 50; so auch Welnhofer-­ Zeitler in Wannemacher, Rn. 1450.  987 BGH v. 15.12.2011- 1 StR 579/11, wistra 2012, 191; so auch Rolletschke, Rn. 254. 988 BGH v. 27.10.2015 - 1 StR 373/15, NZWiSt 2016, 102; Heuel/Beyer, NWB 2016, 616; noch zur früheren Rechtsprechung Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 96. 989 So auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 281a. 990 Heuel/Beyer, NWB 2016, 616, 617 f.; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 504.

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G.  Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele)

turellen Unterschiede zwischen Steuerhinterziehung und Betrug hervorhebt. Stimmiger wäre es jedoch von Seiten des Gerichts vor diesem Hintergrund gewesen, unterschiedliche Grenzen festzulegen. Zudem bestehe in Bezug auf den strafrechtlichen Handlungsunwert ein Unterschied, ob der Steuerpflichtige durch aktives Tun eine erneute Schädigung des Fiskus herbeiführt oder durch ein Unterlassen den Steueranspruch lediglich gefährdet. Rolletschke/Roth991 haben bereits vor dem BGH-Urteil einen „einheitlichen Schwellenwert von 50 000 Euro“ für die Anwendung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO gefordert. Peters992 kritisiert das alleinige Abstellen auf das Ausmaß des Hinterziehungsbetrags und fordert für das Vorliegen des Regelbeispiels zudem eine Differenzierung nach Steuerarten und Steuerehrlichkeit. Ein Betrag i.H.v. 50.000,00 € im betrieblichen Konzern sei nicht vergleichbar mit einer gleichartigen Summe in kleinen Unternehmen. b) Anwendung des Kompensationsverbots Bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze stellt sich die Frage, ob das Kompensationsverbot993 des § 370 Abs. 4 S. 3 AO Anwendung findet. Mit Urteil vom 23.03.1994994 hat der BGH entschieden, dass das Kompensationsverbot auf der Ebene der Strafzumessung keine Anwendung findet, da der endgültig hinterzogene Betrag maßgeblich sei. Zu der Frage, ob dies bereits bei der Bestimmung des „großen Ausmaßes“ Auswirkungen auf die Berechnung hat oder ob dies erst bei der individuellen Strafzumessung nach § 46 StGB („verschuldete Auswirkungen der Tat“) im konkreten Fall zu erfolgen habe, hat sich der BGH nicht geäußert. Dass dies aufgrund von § 46 Abs. 2 S. 2 StGB spätestens bei der individuellen Strafzumessung zu berücksichtigen ist, hat der BGH995 mehrfach bestätigt und wird auch von der Literatur996 geteilt. Im o.g. Urteil des BGH vom 27.10.2015997 hat der BGH das Kompensationsverbot bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze des schweren Falls 991 Rolletschke/Roth, wistra 2012, 216. 992 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 511, 514.  993 Siehe S. 47 ff. 994 BGH v. 23.03.1994 - 5 StR 38/94, wistra 1994, 228. 995 BGH v. 11.11.1987 - 3 StR 445/87, wistra 1988, 109; v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036; v. 05.02.2004 - 5 StR 420/03, wistra 2004, 147, 149; v. 08.01.2008 5 StR 582/07, wistra 2008, 153. 996 Heuel/Beyer, NWB 2016, 616, 619; Beyer, NWB 2016, 772, 775; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 387; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 157, 170. 997 BGH v. 27.10.2015 - 1 StR 373/15, NZWiSt 2016, 102.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

angewendet. Dies allerdings, ohne in irgendeiner Weise in der Urteilsbegründung hierauf einzugehen. Insofern bleibt unklar, ob dies bewusst erfolgt ist oder das Gericht die Problematik schlichtweg übersehen hat. Nach Teilen in der Literatur998 findet das Kompensationsverbot auch bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze keine Anwendung. Andere999 sprechen sich für eine Anwendung des Kompensationsverbots bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze aus. Eine „Korrektur auf der zweiten Ebene“ der Strafzumessung – bei der Entscheidung über den Strafrahmen – sei ausreichend.1000 Schmitz/Wulf1001 weisen zu Recht darauf hin, dass für die Frage der Strafzumessung letztlich entscheidend ist, dass bei der Strafzumessung eine Korrektur wegen der Anwendung des Kompensationsverbots erfolgt. Für die Frage, ob die verlängerten Verjährungsfristen nach § 376 AO1002 Anwendung finden, die auf § 370 Abs. 3 AO verweisen, ist die Frage aber mitunter von entscheidender Bedeutung. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei Regelbeispielen im Ergebnis um Strafzumessungsvorschriften handelt, findet bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze m.E. das Kompensationsverbot keine Anwendung. c) Steuerverkürzung auf Zeit Auch bei einer Steuerverkürzung auf Zeit1003 stellt sich die Frage, ob bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze vom nominellen Verkürzungsbetrag oder vom strafzumessungsrelevanten Fiskalschaden auszugehen ist. Teile der Literatur1004 wollen lediglich den Zinsschaden berücksichtigen. Andere1005 wollen dies erst auf der zweiten Ebene der Strafzumessung berücksichtigen. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei Regelbeispielen 998 Wulf, DStR 2009, 459; Heuel/Beyer, NWB 2016, 616, 619; Beyer, NWB 2016, 772, 775; Pflaum, wistra 2012, 376, 377; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 570, 572; Wagner in Simon/Wagner, S. 129; Ochs/Wargowske, NZWiSt 2012, 369, 373. 999 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 481; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 501. 1000 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 481; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 501; so auch Meyberg, PStR 2012, 55, 56; Rolletschke, NZWiSt 2016, 81, 84; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1034; wohl auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 281a; Krumm in Tipke/Kruse, § 370 AO, Rn. 201, 216. 1001 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 481. 1002 Siehe S. 337 ff. 1003 Siehe S. 84 ff.  1004 Wulf, DStR 2009, 459; Pflaum, wistra 2012, 376, 377; Wagner in Simon/Wagner, S. 129; Ochs/Wargowske, NZWiSt 2012, 369, 374. 1005 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 481; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 501; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1104.

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G.  Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele)

im Ergebnis um Strafzumessungsvorschriften handelt, ist bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze m.E. lediglich auf den Zinsschaden abzustellen. d) Mehrere Taten Sofern mehrere Taten vorliegen, ist das Ausmaß des jeweiligen Taterfolgs bei mehrfacher tateinheitlicher Verwirklichung1006 des Tatbestands nach Auffassung des BGH1007 zu addieren. Joecks1008 und Schauf1009 wollen auf die jeweilige Steuerart abstellen, weil das Abstellen auf eine tat­ einheitliche Begehungsweise zu zufälligen Ergebnissen führe. e) Zwischenergebnis Nach hier vertretener Auffassung ist zur Bestimmung der 50.000-€-Grenze nicht vom nominellen Verkürzungsbetrag, sondern vom strafzumessungsrelevanten Fiskalschaden auszugehen. Das Kompensationsverbot findet insofern keine Anwendung und bei der Hinterziehung auf Zeit ist lediglich vom Zinsschaden auszugehen. 2. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, Steuerverkürzung in großem Ausmaß in der Fassung vom 01.10.2002 bis 31.12.2007 In der Fassung vom 01.10.2002 bis 31.12.2007 war für die Verwirklichung des Tatbestands von § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO neben dem „großen Ausmaß“ auch das „Handeln aus grobem Eigennutz“ notwendig.1010 Die Vorschrift lautete seinerzeit: „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.“ Zum 01.01.2008 wurde § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO – wie oben ausgeführt – geändert und das unten noch näher dargestellte Tatbestandsmerkmal des „groben Eigennutzes“ gestrichen. Vor dem Hintergrund der langen Verjährungsfristen des § 376 AO1011 kann die Vorschrift aber in Altfällen von Bedeutung sein und soll kurz beleuchtet werden.

1006 Siehe S. 365 ff. 1007 BGH v. 11.11.1987 - 3 StR 445/87, wistra 1988, 109. 1008 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 574. 1009 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1099.3. 1010 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 96. 1011 Siehe S. 337 ff.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Nach der Rechtsprechung des BGH1012 handelte „grob eigennützig […], wer sich bei seinem Verhalten von dem Streben nach eigenem Vorteil in besonders anstößigem Maße leiten lässt“. Dabei müsse das Streben hinsichtlich des eigenen Vorteils des Täters erheblich größer sein als sein Gewinnstreben.1013 Maßgeblich hierbei seien die Gesamtumstände der Tat, wie z.B. der mit der Tat verfolgte Zweck, die aus der Tat resultie­ renden Vorteile sowie schließlich Intensität, Art und Häufigkeit der Tätigkeiten.1014 Ein Handeln aus grobem Eigennutz sei jedoch auch dann gegeben, „wenn sich der Täter durch seine Straftat (Erschleichung von Vorsteuerabzugsbeträgen) Mittel zum Ausgleich derjenigen Steuerschulden beschaffen will, denen er sich durch Ausstellung von Scheinrechnungen i.S.d. § 14 III UStG a.F. ausgesetzt hat“.1015 Joecks1016 möchte dies dahingehend einschränken, dass maßgeblich ist, ob dem Steuerpflichtigen auch ohne die Tat die Entrichtung der entsprechenden Beiträge finanziell möglich gewesen oder ob die Tat notwendig für die Beitragsentrichtung war. Grober Eigennutz ist laut BGH1017 jedoch zu verneinen, sofern einem von mehreren Tätern im Verhältnis zu den anderen nur ein kleiner wirtschaftlicher Vorteil aus der Tat erwächst. Die beiden Tatbestandsmerkmale „grober Eigennutz“1018 und „in großem Ausmaß“ standen seinerzeit in einem Wechselwirkungsverhältnis zueinander mit der Folge, dass die Verwirklichung lediglich einer Voraussetzung nicht zur Bejahung des Regelbeispiels führte.1019 3. § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO, banden- und gewerbsmäßige Umsatzsteuerhinterziehung Neben der Steuerverkürzung in großem Ausmaß nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO ist im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung auch das Regelbeispiel der bandenmäßigen Umsatz- und Verbrauchsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO von Bedeutung. Es soll der Bekämpfung von 1012 BGH v. 20.11.1990 - 1 StR 548/90, wistra 1991, 106; v. 24.07.1985 - 3 StR 191/85, wistra 1985, 228. 1013 BGH v. 01.08.1984 - 2 StR 220/84, NJW 1985, 208, 209; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1090. 1014 BGH v. 13.01.1993 - 5 StR 466/92, wistra 1993, 109, 110. 1015 BGH v. 17.12.1986 - 3 StR 494/86, wistra 1987, 148. 1016 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 565. 1017 BGH v. 16.03.2004 - 5 StR 346/03, wistra 2004, 229, 230; so auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 469. 1018 Zur Erforderlichkeit des Vorliegens des Tatbestandsmerkmals „grober Eigennutz“ für die verlängerte Verjährungsfrist in Altfällen siehe S. 341 f. 1019 BGH v. 13.06.2013 - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471, 472; so auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 470.

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G.  Besonders schwere Fälle des § 370 Abs. 3 AO (Regelbeispiele)

organisierten Verbrauchsteuerverkürzungen und Umsatzsteuerkarussellen entgegenwirken.1020 Der Begriff der Bande erfordert „drei Personen, die sich mit dem Willen zusammengeschlossen haben, zukünftig für eine gewisse Dauer Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstypus zu begehen“.1021 Nicht erforderlich hierfür sind ein gefestigter Bandenwille1022, festgelegte Strukturen oder eine konkrete Organisation.1023 Diese Bande muss sich „zur fortgesetzten Begehung von […] [Taten nach § 370 Abs. 1 AO] verbunden haben“.1024 Diese Voraussetzung ist bei der Begehung von mindestens zwei selbstständigen Taten erfüllt.1025 Sofern weitere Begehungen geplant sind, kann schon die erste Tat das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO erfüllen.1026 Täter des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO muss dabei zwingend ein Bandenmitglied sein1027, nicht erforderlich ist aber, dass es selbst steuerliche Pflichten hat.1028 Darüber hinaus begrenzt die Vorschrift die Strafbarkeit auf die Verkürzung von Umsatz- und Verbrauchsteuern oder die Erlangung nicht gerechtfertigter Umsatz- oder Verbrauchsteuervorteile. Nicht umfasst hiervon ist die bloße Nichtzahlung dieser Steuern. Die bandenmäßige Hinterziehung anderer Steuerarten ist zwar vom Wortlaut des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO nicht umfasst, kann jedoch im Rahmen der Gesamtwürdigung aller Strafzumessungstatsachen als sog. unbenannter schwerer Fall gewertet werden.1029 4. Unbenannter schwerer Fall eines Regelbeispiels Der Katalog der Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 AO ist nicht abschließend; es kommen daher auch sog. unbenannte Regelbeispiele in Betracht.1030 Ein unbenannter schwerer Fall eines Regelbeispiels ist dann zu bejahen, wenn der zu entscheidende Fall einem Regelbeispiel sehr ähn1020 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 490. 1021 BGH v. 22.03.2001 - GSSt 1/00, NJW 2001, 2266; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 545; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1123. 1022 BGH v. 11.09.2003 - 1 StR 146/03, NStZ 2004, 398, 399. 1023 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370, Rn. 545. 1024 Schauf in Kohlmann, § 370 AO, Rn. 1123, 1124 ff. 1025 Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 209. 1026 BGH v. 17.06.2004 - 3 StR 344/03, NJW 2004, 2840, 2842; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1125.1. 1027 Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 209. 1028 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1125. 1029 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1126.1, 1089. 1030 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 476.

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1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

lich ist und nur in geringem Maße vom Regelbeispiel abweicht1031 oder die Art und Weise der Steuerhinterziehung dies rechtfertigt1032. Im Bereich der Umsatzsteuerhinterziehung sind hier Fälle denkbar, in denen die Voraussetzungen einer Bande nicht nachgewiesen werden können oder Strohleute eingeschaltet werden1033, allerdings dürfte dann auch meist die 50.000-€-Grenze (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO) erreicht sein. 5. Entkräftung der Indizwirkung, Geringfügigkeit Umgekehrt zu den unbenannten schweren Fällen kann die Indizwirkung durch besondere strafmildernde Umstände entkräftet bzw. kompensiert werden. Hierbei ist entscheidend, dass das Tatbild aufgrund einer Gesamtabwägung von Tat und Täter nicht die erforderliche Schwere erreicht hat.1034 Vor dem Hintergrund, dass die Regelbeispiele der Nr. 2–6 keinen bestimmten Umfang der Steuerverkürzung voraussetzen, wird die Auffassung vertreten, dass eine Grenze der Geringfügigkeit zu beachten ist, wobei meist Beträge zwischen 50,00 € und 5.000,00 € angegeben werden.1035 Schmitz/Wulf1036 weisen darauf hin, dass – im Rahmen des Regelbeispiels nach Nr. 1 – daher die Fälle ausscheiden müssen, bei denen es nur wegen des Eingreifens des Kompensationsverbots zu einer Steuerverkürzung kommt.

II. „Versuch“ von Regelbeispielen Wie der „Versuch“ von Regelbeispielen rechtlich zu behandeln ist, ist umstritten. Hierbei sind drei Konstellationen denkbar. So kann zum einen das Grunddelikt versucht, aber das Regelbeispiel vollendet sein oder umgekehrt das Regelbeispiel versucht und das Grunddelikt vollendet. Schließlich ist auch der Fall der „doppelten Versuchskombination“1037 von Grunddelikt und Regelbeispiel denkbar. Bei allen Varianten wird dem Täter eine fakultative Strafmilderung nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 1031 Rüping/Ende, DStR 2008, 13, 16. 1032 Jäger in Klein, § 370, Rn. 281a. 1033 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 477, 478. 1034 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 481, 483. 1035 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 497; Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 723. 1036 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 498. 1037 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1094 ff.; ebenso Peters in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 370 AO, Rn. 496.

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H.  Ergebnis 1. Teil

StGB gewährt, sofern der Strafrahmen des § 370 Abs. 3 AO Anwendung findet.1038 Bei der versuchten Steuerhinterziehung ist auch für die Indizwirkung des Regelbeispiels auf die subjektive Tatseite abzustellen.1039 (1) Täter vollendet die Steuerhinterziehung, aber das Regelbeispiel versucht er nur zu verwirklichen: In dem Fall, dass die Steuerhinterziehung vollendet ist, aber das Regelbeispiel lediglich versucht wurde, verneint ein Großteil der Literatur die Wirkung des Regelbeispiels und wendet den Strafrahmen des Grunddelikts an.1040 Es kommt allenfalls ein „unbenannter schwerer Fall“ in Betracht.1041 (2) Täter versucht die Steuerhinterziehung, wobei er das Regelbeispiel realisiert: Sofern die Steuerhinterziehung im Versuch stecken bleibt, jedoch das Regelbeispiel vollendet wird, findet das Regelbeispiel nach h.M.1042 Anwendung.1043 Hierbei handelt es sich um eine versuchte Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall. (3) Täter versucht die Steuerhinterziehung und das Regelbeispiel: Schließlich ist auch die Variante möglich, dass sowohl Grunddelikt als auch Regelbeispiel nur versucht sind. In diesem Fall nimmt der BGH1044 ebenfalls eine versuchte Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall an, sofern ein unmittelbares Ansetzen zum Regelbeispiel gegeben ist.1045

H. Ergebnis 1. Teil Es wurde festgestellt, dass die Differenzierung zwischen Fälligkeits- und Veranlagungssteuern für etwaige Rechtsfolgen bedeutungslos ist. Ungeachtet dessen ist die Umsatzsteuer als Veranlagungssteuer, und zwar als Selbstveranlagungssteuer zu verstehen. Die Steuerfolgen für den Tater1038 BGH v. 28.07.2010 - 1 StR 332/10, wistra 2010, 449, 450; Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, § 370, Rn. 586; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1096. 1039 Jäger in Klein, § 370, Rn. 277a. 1040 Lübbersmann, PStR 2010, 256; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 586; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1095.  1041 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 498. 1042 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 586; Lübbersmann, PStR 2010, 256, 257; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1095. 1043 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1095. 1044 BGH v. 28.07.2010 - 1 StR 332/10, wistra 2010, 449 mit Kommentierung Beyer, UStB 2011, 9 f.; so wohl auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 277a; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370  AO, Rn. 497; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 586; kritisch Lübbersmann, PStR 2010, 256, 258. 1045 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1095.

179

1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

folg (§ 370 Abs. 4 AO) ergeben sich nicht aus der Bezeichnung der ­Umsatzsteuer, sondern wie ausgeführt schlicht aus der Vorschrift des § 168 AO. Hinsichtlich des Vollendungszeitpunkts bei der Umsatzsteuerhinterziehung ist zu differenzieren: Gibt der Steuerpflichtige vor dem Fälligkeitstag eine unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung mit einer Zahllast ab, tritt Vollendung bereits mit Eingang der unrichtigen Steueranmeldung beim Finanzamt ein. Gibt der Steuerpflichtige hingegen vor dem Fälligkeitstag eine unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung mit einem Erstattungsbetrag ab, liegt nach § 168 S. 2 AO erst dann eine vollendete Steuerhinterziehung vor, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat. Vor Erteilung der Zustimmung bzw. bei fehlender bekanntgegebener Zustimmung befindet sich die Tat erst im Versuchsstadium. Im Fall der Nichtabgabe einer Steueranmeldung tritt die Vollendung hinsichtlich der Hinterziehung in Bezug auf Umsatzsteuervoranmeldungen mit Ablauf des Tags ein, an dem diese abzugeben war. Im Fall der Nicht­ abgabe bzw. der verspäteten Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung ist die Steuerhinterziehung mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunkts vollendet. Es wurde festgestellt, dass in Fällen, in denen der Unternehmer vorsätzlich eine falsche Steueranmeldung mit einer Zahllast abgibt bzw. verspätet oder nicht abgibt, der Erlass eines von den Berechnungen des Steuerpflichtigen abweichenden Steuerbescheids keine Auswirkungen auf den Verkürzungserfolg hat. Bezüglich des Kompensationsverbots wurde festgestellt, dass Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG (Fremdleistungen) grds. nicht dem Kompensationsverbot unterliegen, da in der Regel ein unmittelbarer Zusammenhang zu den Ausgangsumsätzen besteht. Auf Vorsteuern bei der Einfuhr nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG ist das Kompensationsverbot ebenfalls nicht anzuwenden. Die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG (innergemeinschaftlicher Erwerb) unterliegt ebenso wie die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG (Reverse-Charge-Verfahren) nicht dem Kompensationsverbot. Das Kompensationsverbot findet bei Nichtabgabefällen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) keine Anwendung. Im Fall der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aufgrund von unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben (kein Unterlassungsfall) können in dieser Erklärung nicht mitgeteilte steuerermäßigende Tatsachen – je nach Fallgestaltung – im Nachhinein 180

H.  Ergebnis 1. Teil

ausgeschlossen sein. Hiervon ausgenommen sind jedoch Umstände, welche sich auf Tatsachen beziehen, die ohnehin bei der Schätzung Berücksichtigung finden müssen, wie z.B. Vorsteuerbeträge. Es wurden typische Fallgruppen in Bezug auf Art und Umfang der Hin­ terziehung im Zusammenspiel von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung untersucht und – anhand der vorher gefundenen Ergebnisse – rechtlich bewertet. Eine Gesamtzusammenfassung befindet sich am Ende dieser Arbeit. Rein formale Nachweispflichten (Beweislast und Vermutungsregeln des Steuerrechts) haben keine strafrechtliche Relevanz. Anders ist dies, wenn die steuerlichen Vorschriften die Anerkennung einer steuermindernden Tatsache oder einer Steuerbefreiung „kategorisch“ von einer bestimmten Form des Nachweises abhängig machen und eine andere Form des Nachweises unzulässig ist, es sich also um sog. „materielle“ Voraussetzungen der Norm handelt. Mit dem EuGH stellt der Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung nur eine formelle und keine materielle Vo­ raussetzung für die Geltendmachung des Vorsteueranspruchs dar. Bei Buch- und Belegnachweisen in Bezug auf innergemeinschaftliche Lieferungen und Ausfuhrlieferungen handelt es sich nicht um materielle Vo­ raussetzungen und es liegen keine falschen Angaben vor, sofern diese fehlen sollten. Eine Kenntnis der Finanzbehörde wirkt auch in der Tatbestandsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO tatbestandsausschließend. Des Weiteren wurde festgestellt, dass vor dem Hintergrund der Steuer­ anspruchslehre Irrtümer im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer häufig bei bestimmten Fallgruppen auftreten; dies insbesondere in Bezug auf das Kompensationsverbot. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat ist bei Anmeldesteuern wie der Umsatzsteuer bei Vorliegen einer Zahllast anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige den elektronischen Versand eingeleitet hat, indem er die erforderlichen Programmfunktionen ausgewählt hat. Da bei Anmeldung einer Zahllast bereits mit Eingang der unrichtigen Steueranmeldung beim Finanzamt wegen § 168 S. 1 AO Vollendung eintritt, ist das Zeitfenster bei einer elektronischen Abgabe in der Regel unbedeutend klein. Sofern die Steueranmeldung einen Erstattungsbetrag ergibt, befindet sich die Tat daher bis zur Erteilung der Zustimmung nach § 168 S. 2 AO im Versuchsstadium. Falls sich der Täter eines Steuerberaters zur Abgabe der Steueranmeldungen als gutgläubiges Werkzeug bedient, beginnt der Versuch bereits mit der Übergabe der Unterlagen (unrichtiger Belege), wenn der 181

1. Teil:  Die Umsatzsteuerhinterziehung im Kontext des § 370 AO

Steuerberater letztlich ohne weitere Rückfragen die Belege in (unrichtige) Steueranmeldungen umsetzen soll. Sofern die Tat nur deshalb zur Vollendung gelangt, weil der Täter einen Erstattungsbetrag nach § 168 S. 2 AO anmeldet, obwohl er richtigerweise eine Zahllast hätte anmelden müssen, liegt es nahe, die fakultative Strafmilderung des Versuchs zu versagen, weil er auf diese Weise die rechtzeitige Festsetzung der Zahllast nach § 168 S. 1 AO verhindert hat. Liegt hingegen ein Nichtabgabefall vor, so existiert kein Versuchsstadium, weil mit Ablauf der Abgabefrist die Steuerhinterziehung in Form der nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung vollendet ist (§ 168 S. 1 AO). Hinsichtlich des Regelbeispiels nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO (Steuerverkürzung in großem Ausmaß) wurde festgestellt, dass zur Bestimmung der 50.000-€-Grenze nicht vom nominellen Verkürzungsbetrag, sondern vom strafzumessungsrelevanten Fiskalschaden auszugehen ist. Das Kompensationsverbot findet insofern keine Anwendung. Bei der Hinterziehung auf Zeit ist lediglich vom Zinsschaden auszugehen.

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2. Teil: Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Da die Steuerhinterziehung in § 370 Abs. 1 AO auf die steuerlichen Vorschriften verweist, kann eine Umsatzsteuerhinterziehung im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Sachverhalten nur durch eine gemeinsame Betrachtung der strafrechtlichen und der steuerrechtlichen Normen rechtlich gewürdigt werden. Nachstehend werden daher zuerst die umsatzsteuerlichen Grundlagen bei grenzüberschreitenden Sach­ verhalten dargestellt, bevor anschließend Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug untersucht werden.

A. Grundlagen der Umsatzsteuer mit Auslandsbezug Hinsichtlich der internationalen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse kommt im Mehrwertsteuerrecht (in Deutschland und in Österreich Umsatzsteuer genannt1046) das sog. Herkunftslandprinzip bzw. Ursprungslandprinzip oder das sog. Bestimmungslandprinzip in Betracht. Für den internationalen Warenhandel hat sich weltweit das Bestimmungslandprinzip durchgesetzt, welches auf den Ort der Verwendung des jeweiligen Guts abstellt. Insofern kann auch vom Verbrauchsortprinzip gesprochen werden, was auch angemessen ist, da es sich bei der Umsatzsteuer um eine Verbrauchsteuer handelt.1047 Die Mehrwertsteuer steht damit dem Staat zu, in dem der Endverbrauch stattfindet.1048 Bei der umsatzsteuerlichen Behandlung ist zunächst zwischen dem innergemeinschaftlichen Warenverkehr in der EU und dem Warenverkehr mit Drittstaaten zu unterscheiden.

I. Innergemeinschaftliche Lieferungen Durch das Inkrafttreten des EG-Binnenmarkts zum 01.01.1993 wurde die Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer im Warenverkehr zwischen den 1046 Vgl. Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125; im Folgenden werden daher die Begriffe synonym verwendet. Ebenso die Begriffe „Umsatzsteuerhinterziehung“, „Umsatzsteuerbetrug“, „Mehrwertsteuerhinterziehung“ und „Mehrwertsteuerbetrug“, die im Ergebnis sämtlich das Gleiche bedeuten. 1047 Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 345, 393, 394. 1048 Zu den geplanten Reformen siehe S. 9 f. 

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

EG-Mitgliedstaaten durch die Zollverwaltungen abgeschafft. Um das Steueraufkommen zu sichern, wurde ein Kontrollverfahren eingeführt, das auf einem EU-weiten Informationsaustausch von Daten beruht, die in Deutschland beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) gespeichert werden. Zur Teilnahme am EU-Binnenmarkt ist die Benutzung der sog. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, die vom Bundeszentralamt für Steuern vergeben wird, erforderlich. Für den Bereich der Umsatzsteuer sind sowohl EU-rechtliche als auch nationale Vorschriften zu beachten, die nicht immer nahtlos aufeinander abgestimmt sind. 1. Rechtsgrundlagen der EU zur Mehrwertsteuer Die Mehrwertsteuer ist in der EU durch die bis 2006 geltende 6. EG-RL harmonisiert worden1049, die 2007 durch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL)1050 abgelöst wurde. 2. Technische Umsetzung des Bestimmungslandprinzips Die Umsetzung des Bestimmungslandprinzips erfolgt in der EU technisch dadurch, dass innergemeinschaftliche Lieferungen im Ausgangsmitgliedstaat von der Mehrwertsteuer befreit werden, der Lieferer aber gleichzeitig den Vorsteuerabzug aus der vorangegangenen Lieferung an ihn geltend machen kann. Korrespondierend mit der Steuerbefreiung muss der Abnehmer der Lieferung im Bestimmungsland einen sog. innergemeinschaftlichen Erwerb versteuern. Diese Steuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb kann der Abnehmer als Vorsteuer abziehen, womit insgesamt zunächst keine Mehrwertsteuer abzuführen ist. Erst dann, wenn der Abnehmer die Ware weiterveräußert, muss er selbst Mehrwertsteuer in Rechnung stellen und diese an das Finanzamt zahlen. 3. Rechtsnormen auf EU-Ebene Im Ausgangsmitgliedstaat ist die Lieferung der Ware nach Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL (früher Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. MwSt-RL) von der Mehrwertsteuer befreit. Im Bestimmungsmitgliedstaat hat der Abnehmer der Lieferung nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 20 MwStSystRL (früher Art. 28a Abs. 1

1049 Richtlinie 77/388/EWG des Rates v. 17.05.1977, ABl. L 145, 1. 1050 Richtlinie 2006/112/EG des Rates v. 28.11.2006, ABl. L 347, 1.

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A.  Grundlagen der Umsatzsteuer mit Auslandsbezug

Buchst. a der 6. MwSt-RL) einen sog. innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern und kann diese Steuer sofort als Vorsteuer abziehen. Nach der Missbrauchsverhinderungsvorschrift des Art. 131 MwStSystRL (früher: Art. 28c Teil A Buchst. a der 6. MwSt-RL) wird die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung – wie auch andere Steuer­ befreiungen – „unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen“. Durch diese General­ermächtigung können die Mitgliedstaaten die Gewährung einer Steuerbefreiung vom Nachweis der Voraussetzungen durch den Unternehmer abhängig machen, um damit einem Umsatzsteuerbetrug entgegenzuwirken. Um zu gewährleisten, dass die Erwerbsteuer im Bestimmungsland auch erhoben wird, ist ein entsprechender elektronischer Informationsaustausch implementiert worden. Dieser basiert auf Art. 17 ff. der Zusammenarbeits-Verordnung im elektronischen Datenaustausch.1051 Nach Art. 262 MwStSystRL muss der Lieferant eine sog. Zusammenfassende Meldung abgeben, die den Erwerber der steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung und dessen Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer enthält. Nach Art. 22 der Zusammenarbeits-Verordnung kann jeder Mitgliedstaat auf die Daten zugreifen. 4. Nationale Rechtsnormen Nach dem deutschen UStG ist die Lieferung in ein EU-Land von der Umsatzsteuer befreit, sofern es sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung nach §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1 UStG handelt.1052 Hiernach ist Voraussetzung, dass (1) der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet (Nr. 1), (2) der Abnehmer ein Unternehmer ist, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat (Nr. 2a), und (3) der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt (Nr. 3). Darüber hinaus muss der Lieferant nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV auch besondere Nachweisvoraussetzungen in Form des Beleg-

1051 Verordnung EU Nr. 904/2010 des Rates v. 28.11.2006, ABl. L 268, 1. 1052 Wagner in Simon/Wagner, S. 14.

185

2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

und des Buchnachweises erfüllen.1053 Bei einem Buchnachweis handelt es sich um einen Nachweis, welcher mittels Aufzeichnungen oder Büchern in Verbindung mit Belegen geführt wird. Bei einem Belegnachweis hingegen müssen die zu belegenden Tatsachen durch Belege nachgewiesen werden.1054 Hinsichtlich der Erbringung des Buchnachweises ergibt sich aus § 17c Abs. 1 S. 2 UStDV, dass sich sowohl die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers als auch die Bedingungen der Steuerbefreiung leicht und eindeutig aus der Buchhaltung ergeben müssen.1055 Zudem enthält § 17c Abs. 2–4 UStDV weitere Vorgaben für die Erbringung des Buchnachweises. Eine Nachholung ist bis zum Abgabezeitpunkt der Umsatzsteuervoranmeldung für die entsprechende innergemeinschaftliche Lieferung möglich.1056 Bei einem rechtzeitig geführten Buchnachweis können fehlende oder fehlerhafte Aufzeichnungen bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht ergänzt bzw. berichtigt werden.1057 In der Rechtssache Collée1058 hat der EuGH allerdings entschieden, dass die Steuerbefreiung nicht allein wegen der nicht rechtzeitigen Vorlage des Buchnachweises versagt werden darf. Es sei im Einzelfall zu prüfen, ob der verspätete bzw. korrigierte Buchnachweis zu einer Gefährdung des Steueraufkommens führen kann und ob die Steuerbefreiung rechtsmissbräuchlich begehrt wird. Nicht geklärt ist hingegen, ob eine Ergänzung bzw. Berichtigung Rückwirkung entfaltet.1059 Für den Belegnachweis ist hingegen erforderlich, dass der Unternehmer einen leicht nachprüfbaren und eindeutigen Nachweis über die Beförderung oder Lieferung i.S.d. § 6 Abs. 1a UStG vorlegt, wobei für die Einzelheiten der Nachweisführung § 17a Abs. 2 UStDV maßgeblich ist.1060 Meist geschieht dies über den sog. CMR-Frachtbrief. Bei diesem handelt

1053 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 369; im Ergebnis auch Wagner in Simon/Wagner, S. 14.  1054 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1405 ff. 1055 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 369a; siehe auch Wagner in Simon/ Wagner, S. 14.  1056 BFH v. 28.05.2009 - V R 23/08, BStBl. II 2010, 517; a.A. Frye in Rau/Dürrwächter, § 6a, Rn. 578 f., welcher auf den Schluss der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. 1057 BFH v. 28.05.2009 - V R 23/08, BStBl. II 2010, 517. 1058 EuGH v. 27.09.2007 - C-184/05, ECLI:EU:C:2007:550, UR 2007, 813, siehe S. 210 ff. 1059 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 72 bejaht dies. 1060 So im Ergebnis Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 369; Wagner in Simon/ Wagner, S. 14. 

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A.  Grundlagen der Umsatzsteuer mit Auslandsbezug

es sich um einen internationalen Frachtbrief im Straßengüterverkehr.1061 Der maßgebliche Zeitpunkt für eine potenzielle Nachholung ist grds. der Schluss der mündlichen Verhandlung.1062 Im Zusammenhang mit den Nachweispflichten waren mit Wirkung zum 01.01.2012 insbesondere Verschärfungen bei den Regelungen hinsichtlich der innergemeinschaftlichen Lieferungen geplant, welche einen Wechsel von Sollvorschriften in Mussvorschriften sowie die Gelangensbestätigung als Standardnachweis vorsahen. Weitere Nachweismöglichkeiten neben dieser Bestätigung in Form von Versendungsbelegen sah die Neuregelung nicht vor.1063 Allerdings wurden mehrere diesbezügliche Übergangsregelungen verlängert und die Neuregelung durch die Finanzverwaltung mittels BMF-Schreiben vom 01.06.20121064 ausgesetzt, sodass sie nie Gültigkeit erlangt hat.1065 Mit Wirkung zum 01.01.2013 wurde § 17a UStDV durch die Elfte Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung vom 25.03.20131066 erneut geändert. Demnach setzen sich die zu erbringenden Nachweise aus zwei Komponenten zusammen. Zum einen handelt es sich nach § 17a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStDV um das Rechnungsdoppel (§§ 14, 14a UStDV) und zum anderen um eine weitere Bestätigung1067 nach § 17a Abs. 2 Nr. 2–5 UStDV. Die nun in § 17a Abs. 2 Nr. 2 normierte Gelangensbestätigung stellt dabei nur eine von mehreren möglichen Nachweisformen dar.1068 Daneben werden unter bestimmten Voraussetzungen als weitere Nachweise akzeptiert: der Frachtbrief oder Konnossement (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 1a UStDV), die Spediteurbescheinigung (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 1b UStDV), das Versendungsprotokoll eines Kurierdienst1061 Geregelt ist dieser durch die Convention Relative au Contrat de Transport International de Marchandises par Route (CMR) (Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr) von 1956 in der durch das Protokoll vom 05.07.1987 geänderten Fassung. Er gilt als Beweisurkunde, die vom Absender auf der Grundlage eines Frachtvertrags ausgestellt wird und den Auftrag an den Frachtführer bescheinigt, die Ware an den im Frachtbrief benannten Empfänger auszuliefern. 1062 BFH v. 28.05.2009 - V R 23/08, BStBl. II 2010, 517; so auch Frye in Rau/Dürrwächter, § 6a, Rn. 576. 1063 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 65a ff. 1064 BMF-Schreiben v. 01.06.2012 - IV D 3 - S 7141/11/10003-06, BStBl. I 2012, 619. 1065 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 65c. 1066 Elfte Verordnung zur Änderung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung v. 25.03.2013, BGBl. I 2013, 602 f.; siehe auch BMF-Schreiben v. 16.09.2014 - IV D 3 S 7141/13/10001, BStBl. I 2013, 1192. 1067 Alefs/Geberth, DB 2013, 839, 840; Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 65 f. 1068 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 65f f.; siehe zu den weiteren Nachweisformen Alefs/ Geberth, DB 2013, 839, 840 ff.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

leisters (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 1c UStDV), die Empfangsbescheinigung e­ ines Postdienstleisters (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 1d UStDV), die Spediteurversicherung (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 UStDV), die Bestätigung der Abgangsstelle (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 3 UStDV), die EMCS-Eingangsmeldung (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 4a UStDV), die dritte Ausfertigung des vereinfachten Begleitdokuments (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 4b UStDV) sowie der Zulassungsnachweis (§ 17a Abs. 3 S. 1 Nr. 5 UStDV).1069 Wenn die Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, wird die Lieferung nach § 6a Abs. 4 UStG dennoch als steuerfrei behandelt, wenn (1) der Unternehmer sie als steuerfrei behandelt hat, (2) die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und (3) der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte. Art. 262 der MwStSystRL, welcher den Informationsaustausch regelt, wird durch § 18a UStG in das deutsche Umsatzsteuerrecht übertragen. Hiernach muss der deutsche Unternehmer, der steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen tätigt, neben der Umsatzsteuervoranmeldung an das Finanzamt zusätzlich eine sog. Zusammenfassende Meldung an das BZSt auf elektronischem Weg nach Maßgabe der Steuerdaten-Übermittlungsverordnung übermitteln und dabei die Umsatzsteuer-Identifika­ tionsnummer jedes Erwerbers enthalten. Für Meldezeiträume ab dem 01.07.2010 ist die Abgabe bis zum 25. Tag nach Ablauf jedes Meldezeitraums (in der Regel der Kalendermonat) verpflichtend. Eine vom Finanzamt gewährte Dauerfristverlängerung1070 erfasst seit diesem Zeitpunkt nicht mehr die Zusammenfassende Meldung. „Unrichtige[…] Angaben über den Erwerber gegenüber dem deutschen Bundeszentralamt für Steuern in den Meldungen nach § 18a Abs. 1 Satz 1 UStG sind keine Straftat, sondern [stellen] lediglich eine Ordnungswidrigkeit nach § 26a Abs. 1 Nr. 5 UStG“ dar.1071 Nach § 18b S. 1 Nr. 1 UStG muss der Unternehmer zudem die Bemessungsgrundlagen seiner innergemeinschaftlichen Lieferungen gesondert für jeden Voranmeldungs- und Besteuerungszeitraum gegenüber dem zuständigen Finanzamt erklären. Hierdurch „bringt der Unternehmer gegenüber dem Finanzamt zum Ausdruck, dass die vorgenommenen Lieferungen nach § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG umsatzsteuerfrei sind, der 1069 Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.29. 1070 Siehe S. 22.  1071 BGH v. 07.07.2009 - 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688, 1692.

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A.  Grundlagen der Umsatzsteuer mit Auslandsbezug

Unternehmer mithin keine Umsatzsteuer für diese Lieferungen schuldet“.1072 Unrichtige Angaben dergestalt, dass eine Lieferung als steuerfrei behandelt wird, obwohl die Voraussetzungen der Steuerfreiheit nicht vorliegen und die Lieferung mithin steuerpflichtig ist, sind eine taugliche Tathandlung nach § 370 Abs. 1 AO. 5. Verhältnis des nationalen Rechts zum EU-Recht Die Umsatzsteuer ist nach Art. 113 AEUV (früher Art. 93 EGV) eine sog. harmonisierte Steuer der Europäischen Union. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten ihre jeweiligen nationalen umsatzsteuerlichen Regelungen angleichen, um Steuerwettbewerb zu vermeiden und den Handel im Binnenmarkt zu verbessern. Maßstab für die Angleichung sind die zen­ tralen Vorgaben der EU durch Richtlinien.1073 Diese sind nach Art. 288 Abs. 3 AEUV (früher Art. 249 Abs. 3 EGV) für jeden Mitgliedstaat verbindlich, bedürfen aber der Umsetzung in nationales Recht, soweit einem Bürger Rechte und Pflichten auferlegt werden. Die Richtlinien selbst begründen daher keine unmittelbaren Pflichten des Bürgers.1074 Bei Widersprüchen zwischen den nationalen Regelungen und den EU-Richtlinien sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die nationalen Regelungen an die Richtlinien anzupassen. Sofern die Mitgliedstaaten dies versäumen, kann sich der Bürger hinsichtlich einer ihn begünstigenden Regelung unmittelbar auf die Vorschrift der EU-Richtlinie berufen. Die Mitgliedstaaten sind ferner nach Art. 4 Abs. 3 EUV (früher Art. 10 EGV) verpflichtet, die nationalen Vorschriften in Übereinstimmung und im Sinne der EU-Richtlinien auszulegen, sog. richtlinienkonforme Auslegung. Sofern Zweifel an der Auslegung der EU-Richtlinien bestehen, sind die nationalen Gerichte nach Art. 267 AEUV (früher Art. 234 EGV) dazu verpflichtet, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, sog. Vorabentscheidungsersuchen. Hierbei entscheidet der EuGH aber lediglich über die Auslegung der Richtlinie und nicht da­rüber, wie das nationale Recht in dem Zusammenhang auszulegen ist. Dies haben die nationalen Gerichte im Lichte der Entscheidung des EuGH zu entscheiden.

1072 BGH v. 07.07.2009 - 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688, 1691. 1073 Siehe S. 184 f.  1074 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 112.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

6. Betrugsanfälligkeit Wie ausgeführt1075, ist die Umsatzsteuer wegen ihrer Ausgestaltung als Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug sehr betrugsanfällig. Der Binnenmarkt mit der Abschaffung der physischen Steuergrenzen wirkt nach Wäger1076 wie ein „Katalysator“ für die Umsatzsteuerhinterziehung. Ein „Schwarzhändler“ habe hierdurch die Möglichkeit zum „steuerfreien Wareneinkauf“, bei dem er zwar zur Vornahme der Erwerbsbesteuerung verpflichtet sei, die aber ebenso wenig erfolge wie die Versteuerung der nachfolgenden Inlandslieferung. Um der Betrugsanfälligkeit entgegenzuwirken, kam es ab dem Jahr 2002 zu zahlreichen Gesetzesänderungen, so insbesondere zur Schaffung der §§ 26b, 26c UStG1077 und zur Streichung des § 370 Abs. 6 S. 3 AO.1078 Die Finanzverwaltung hat ein „Merkblatt zur Umsatzsteuer“1079 mit dem Untertitel „Beachtung des gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchs­ verbot“ (sog. Berliner Liste1080) erstellt und lässt sich von einigen Un­ ternehmern den Erhalt des Merkblattes quittieren. Offenbar sollen Unternehmer hierdurch bösgläubig gemacht werden1081, was aber an der Pauschalität des Merkblatts scheitert.1082 7. Umsatzsteuerkarusselle, Streckengeschäfte, Kettengeschäfte Die Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer machen sich einige Steuerhinterzieher im Wege des systematischen Missbrauchs im Rahmen von organisierter Kriminalität durch sog. Umsatzsteuerkarusselle zunutze.1083 Obwohl Umsatzsteuer-Karussellgeschäften eine zentrale Rolle im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung zukommt1084, existiert keine gesetzliche Definition. Auch wenn sich in Verwaltungsanweisungen, Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Beschreibungen herausgebildet haben, ist das Umsatzsteuerkarussell durch folgende Merkmale gekenn1075 Siehe S. 24 f. 1076 Wäger, UR 2015, 81. 1077 Zu § 26c UStG siehe S. 301 ff. 1078 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1395; siehe S. 292 ff. 1079 Abdruck bei Adick/Höink/Kurt, S. 299. 1080 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 408a. 1081 Weimann, GStB 2015, 68, 72. 1082 Meyer-Burow/Connemann, UStB 2014, 356, 360; Höink/Adick, ZWH 2014, 220, 221; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 408 f. 1083 Siehe Dathe, S. 10.  1084 Vgl. Liebau, BB 2005, 415; Nieuwenhuis, UR 2005, 177; Kemper in Wannemacher, § 370, Rn. 1133 ff.

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A.  Grundlagen der Umsatzsteuer mit Auslandsbezug

zeichnet. Die Funktionsweise besteht darin, dass Ware über viele Händler in verschiedenen Mitgliedländern der EU im Kreis geliefert wird und im Ergebnis mit jedem Durchlauf durch das Karussell immer preiswerter wird, weil einer der Lieferanten die von ihm in einer Rechnung ausgewiesene Steuer nicht entrichtet.1085 Vereinfacht dargestellt geschieht dies so:1086 Erfolgt z.B. die erste Lieferung des Exporteurs (E) an einen Abnehmer (z.B. MT=Missing Trader) in einen anderen EU-Mitgliedstaat (z.B. Deutschland), dann ist dieser Umsatz im Ausgangsstaat steuerfrei nach den dort geltenden Parallelvorschriften zu § 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a UStG. Ware im Wert von z.B. 1.000,00 € wird also netto geliefert und auch so in Rechnung gestellt. Der Abnehmer (MT) hat, wie oben dargestellt, einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern und kann diese Erwerbsteuer zugleich als Vorsteuer abziehen, sodass aus diesem Liefervorgang im Ergebnis keine Umsatzsteuer anfällt. Die Weiterveräußerung von MT an einen Abnehmer (B=Buffer) im selben Land unterliegt der Umsatzsteuer. MT meldet (vorliegend1087) die Umsatzsteuer auf diesen Umsatz zwar beim zuständigen Finanzamt an, hat aber nicht die Absicht, die Umsatzsteuer abzuführen. Die so aus Sicht des MT „eingesparte“ Umsatzsteuer kann MT also in das Karussell „einspeisen“ und die für 1.000,00 € netto eingekaufte Ware für 1.000,00 € brutto weiterveräußern. Der neue Nettowert der Ware beträgt mithin 840,33 € (1.000,00 €:1,19). Die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer i.H.v. 159,67 € meldet MT zwar beim Finanzamt an, führt diese jedoch nicht ab. Sein Abnehmer B zieht diese aber als Vorsteuer nach § 15 UStG ab. B kann dann die Ware z.B. für 840,33 € zuzüglich 159,67 € USt an einen Distributor (D) weiterveräußern und dieser wiederum liefert die Ware umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a UStG an den Exporteur (E) im Ausgangsmitgliedstaat zurück. Damit schließt sich der Kreis und die Ware mit einem Ursprungswert von 1.000,00  € hat sich auf einen Wert von 840,33 € „verbilligt“, was genau dem Betrag der von MT nicht abgeführten Umsatzsteuer entspricht. Ohne Gewinnaufschläge1088 wird die Ware somit bei jedem Durchlauf durch das Umsatzsteuerkarussell um die von MT nicht abgeführte Umsatzsteuer verbilligt. B erklärt die Umsatzsteuer (159,67 €) gemindert um 1085 Nöhren, S. 252. 1086 EuGH v. 12.01.2006, C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133, 134; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 395; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1397; Nacke, NWB 2015, 3396.  1087 Oft wird diese auch nicht angemeldet. 1088 Meist werden in der Praxis zumindest geringe Gewinnaufschläge vorgenommen.

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die von MT in Rechnung gestellte Vorsteuer (159,67 €), woraus sich eine Zahllast von null ergibt. D erklärt eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung an E und lässt sich die von D in Rechnung gestellte Vorsteuer (159,67 €) erstatten. Selbstverständlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Missing Trader den Finanzbehörden – oft durch sprunghaft hohe Umsätze in kurzer Zeit – auffällt. Dieser taucht daher meist nach kurzer Zeit ab und wird gegen einen anderen Missing Trader ausgetauscht. Der Distributor wird in der Praxis meist zudem durch mehrere Buffer (Buffer I, Buffer II etc.) abgeschirmt, damit ihm das Verhalten des Missing Traders nicht zugerechnet werden kann. Bei den Buffern handelt es sich oft um seriöse Unternehmen, die in das Hinterziehungssystem nicht eingeweiht sind. Diese seit ca. 1995 anzutreffende Form der Umsatzsteuerhinterziehung haben die Täter im Laufe der Zeit zunehmend verfeinert bzw. verkompliziert, wobei die grundsätzliche Vorgehensweise aber beibehalten wurde. Umsatzsteuerkarusselle funktionieren nach dem gleichen System auch ohne Auslandsbezug. Die internationale Gestaltung dient lediglich der Verschleierung unter Ausnutzung internationaler Informationsdefizite.1089 Wird die Ware nicht wie im dargestellten Umsatzsteuerkarussell im Kreis gehandelt und gelangt nicht wieder an den Distributor zurück, so wird von Streckengeschäften bzw. Reihengeschäften bzw. Kettengeschäften1090 gesprochen. Die Funktionsweise ist aber im Kern die gleiche wie beim Umsatzsteuerkarussell. Sofern die Lieferung der Waren nicht stattfindet, ist auch von Luftkarussellen die Rede.1091 Die steuerrechtlichen und steuerstrafrechtlichen Folgen hängen von der jeweiligen Fallgestaltung ab. 1092 Selbstverständlich ist jeder Einzelfall anders gelagert. Ungeachtet dessen ergibt sich grob skizziert in der oben vereinfacht beschriebenen Funktionsweise unter Anwendung der noch darzustellenden bzw. zu untersuchenden Rechtsprechung1093 der deutschen Gerichte und des EuGH nachstehendes Bild1094. Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung der

1089 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 394. 1090 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 411. 1091 Rolletschke, UR 2006, 189, 190. 1092 Siehe Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 397, 399. 1093 Siehe S. 199 ff. 1094 Vgl. Gehm, StraFo 2015, 441, 443.

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Rechtsprechung sowie eine kritische Auseinandersetzung mit dieser erfolgen im Anschluss an diesen Grobüberblick. a) Steuerrechtliche Folgen Meist ist der Missing Trader nicht als liefernder Unternehmer an den Buffer anzusehen, weil er entweder kein Unternehmer (§ 2 UStG) ist, da er nur im Rahmen des Umsatzsteuerkarussells tätig1095 oder nicht Leistender i.S.d. UStG ist.1096 Die dennoch in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer schuldet er nach § 14c UStG1097. Dieser Steueranspruch wird entweder nicht erfüllt oder erst gar nicht angemeldet. Der Buffer macht daher einen unberechtigten Vorsteuerabzug geltend. Sofern der Distributor im Zeitpunkt der Lieferung wusste bzw. hätte wissen können, dass er sich mit seiner Lieferung an einem Umsatzsteuer­ betrug beteiligt hat, verliert er – nach der unten näher untersuchten EuGH-Rechtsprechung – seinen Anspruch auf Vorsteuerabzug vom Buffer und darf die Lieferung an den Exporteur auch nicht als steuerfrei behandeln. Sofern der Distributor dies im Zeitpunkt der Lieferung nicht wusste bzw. nicht hätte wissen können, bleiben sein Anspruch auf den Vorsteuerabzug und die Steuerfreiheit der Lieferung bestehen. Der Exporteur tätigt – nach der unten näher untersuchten EuGH-Rechtsprechung1098 – wegen seiner Bösgläubigkeit keine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Ausgangsmitgliedstaat. b) Steuerstrafrechtliche Folgen Der Missing Trader ist stets bewusst in das Umsatzsteuerkarussell eingebunden. Die für den Missing Trader handelnden Personen machen sich allein schon durch die Nichtabführung der Umsatzsteuer nach den §§ 26b und 26c UStG1099 strafbar. Wird die Umsatzsteuer (ggf. die Steuer nach § 14c UStG1100) nicht erklärt, so machen sich die handelnden Personen nach § 370 Abs. 1 AO strafbar. Ferner kommt eine Teilnahme an der Steuerhinterziehung des Buffers in Betracht, sofern dieser vorsätzlich die Vorsteuer unberechtigt geltend macht, oder es liegt sogar eine Mittäter1095 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 398. 1096 Gehm, StraFo 2015, 441, 443; siehe zur sog. Strohmannrechtsprechung S. 16 und S. 130 f. 1097 Siehe S. 11. 1098 Siehe S. 199 ff. 1099 Siehe dazu S. 301 ff. 1100 Siehe S. 11.

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schaft vor. Sofern der Buffer unvorsätzlich handelt, kommt eine mittelbare Täterschaft des Missing Traders in Betracht. Sofern der Buffer vorsätzlich die Vorsteuer bei Abgabe der Steueranmeldung unberechtigt geltend macht, liegt eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vor. Sofern der Buffer aber nicht zumindest bedingt vorsätzlich handelt, macht er sich nicht strafbar. Auch für den Buffer kommt eine Teilnahme bzw. Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft hinsichtlich des Vorsteuerabzugs des Distributors in Betracht. Sofern der Distributor vorsätzlich die Vorsteuer unberechtigt geltend macht bzw. zu Unrecht eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung erklärt, liegt eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vor. Sofern der Distributor nicht zumindest bedingt vorsätzlich handelt, macht er sich nicht strafbar. Auch für den Distributor kommt eine Teilnahme bzw. Mittäterschaft hinsichtlich des Vorsteuerabzugs des Exporteurs1101 in Betracht. Ferner kommt eine Teilnahme an der Steuerhinterziehung des Exporteurs im Ausgangsmitgliedstaat in Betracht, sofern dieser vorsätzlich die Vorsteuer aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb unberechtigt geltend macht, oder es liegt sogar eine Mittäterschaft vor. Ob sich der bösgläubige Exporteur im Ausgangsmitgliedstaat strafbar gemacht hat, weil er seine Lieferung an den MT zu Unrecht als steuerfrei behandelt hat, richtet sich nach den Vorschriften dieses Staats sowie in Deutschland nach § 370 Abs. 6 AO.1102 c) Bekämpfung Zur Bekämpfung von Umsatzsteuerkarussellen hat der Gesetzgeber in § 13b UStG bestimmte Fallgruppen gebildet, in welchen das Reverse-­ Charge-Verfahren1103, also die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, Anwendung findet. Hierbei kommt es zum Zusammenfallen von Vorsteuerabzugsberechtigung und Umsatzsteuerschuld, da anstelle des Leistenden der Leistungsempfänger Steuerschuldner der Umsatzsteuer ist.1104 § 13b UStG wurde dabei in den letzten Jahren stetig ausgeweitet, weil die Steuerhinterzieher immer wieder versuchen, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu unterlaufen.1105 Um auf neue Fallgruppen der Um1101 Ggf. unter Anwendung von § 370 Abs. 6 AO, siehe S. 289 ff. 1102 Siehe S. 289 ff. 1103 Siehe S. 12. 1104 So im Ergebnis Leonard in Bunjes, § 13b, Rn. 1 f. 1105 Zum Handel mit Edelmetallen siehe Bühler, wistra 2017, 375.

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satzsteuerhinterziehung künftig schneller – als durch die zeitintensive Gesetzesänderung des § 13b UStG – reagieren zu können, wurde das BMF mit Wirkung zum 01.01.20151106 in § 13b Abs. 10 UStG ermächtigt, „durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats den Umfang der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers kurzfristig zu er­ weitern“ (Einführung des sog. EU-Schnellreaktionsmechanismus). „Die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ist (zunächst) zeitlich beschränkt auf maximal neun Monate. Bestätigt der Europäische Rat im regulären Verfahren nach Art. 395 MwStSystRL die Erweiterung, so darf Deutschland unbefristet daran festhalten. Verweigert der Rat die Ermächtigung, endet die Maßnahme spätestens nach […] [neun] Monaten.“1107

II. Innergemeinschaftliche sonstige Leistungen In der Literatur und der Rechtsprechung sind zumeist innergemeinschaftliche Lieferungen im Zusammenhang mit der organisierten Umsatzsteuerhinterziehung anzutreffen. Diese Betrügereien fallen oft durch die Verfolgung des Warenwegs auf, der nicht den Rechnungswegen entspricht. Meist wird die Ware nur verkürzt oder überhaupt nicht bewegt. Bei sonstigen Leistungen erfolgen keine Warenbewegungen. Die Abgrenzung der Steuerhoheiten zugunsten des Staats, in dem die Leistung in einen Endverbrach mündet, kann daher allein über den Ort der sonstigen Leistung erfolgen.1108 Seit 2011 sind innergemeinschaftliche sonstige Leistungen den innergemeinschaftlichen Lieferungen gleichgestellt (Änderung von § 3a UStG), womit auch diese im o.g. Sinne betrugsanfällig sind. Mangels Warenbewegungen sind diese Betrügereien noch schwerer zu erkennen. Ermittlungsbehörden berichten, dass bereits versucht wurde, entsprechende Umsatzsteuerkarusselle mit z.B. Telefonminuten zu implementieren.

1106 Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2417, 2428. 1107 Stellungnahme des Deutschen Handwerks e.V. und der Arbeitgeberverbände e.V. zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung der AO an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, Wortprotokoll der 26. Sitzung des Finanzausschusses, Protokoll Nr. 18/26, 87. 1108 Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 431.

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III. Lieferungen mit Drittlandsbezug Im grenzüberschreitenden Handel mit Drittstaaten findet noch der klassische Grenzausgleich zur Umsetzung des Bestimmungslandprinzips statt.1109 1. Ausfuhrlieferungen Ausfuhrlieferungen sind – ebenso wie die oben dargestellten innergemeinschaftlichen Lieferungen – nach § 4 Nr. 1a i.V.m. § 6 UStG steuerfrei, was zur Umsetzung des Bestimmungslandprinzips dient. Im Bestimmungsland ist daher entsprechend Einfuhrumsatzsteuer vom Erwerber zu entrichten. Voraussetzung ist, dass der liefernde Unternehmer den Liefergegenstand in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet, wobei der Abnehmer kein ausländischer Abnehmer nach § 6 Abs. 2 UStG sein muss (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 UStG) oder der ausländische Abnehmer den Liefergegenstand abholt und in das Drittlandsgebiet befördert oder versendet (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Hierbei stellen sich ähnliche Fragen wie bei der innergemeinschaftlichen Lieferung nach §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1 UStG. So ist für die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung erforderlich, dass der Unternehmer den Beleg- und Buchnachweis nach § 6 Abs. 4 UStG i.V.m. §§ 8–13 UStDV erbringt.1110 Hierbei ist vor allem nachzuweisen, dass der Gegenstand tatsächlich das Gemeinschaftsgebiet verlassen hat, was bei Grenzkontrollen festgehalten wird.1111 Für den Belegnachweis1112 sind die §§ 8 ff. UStDV maßgeblich. Die Vorschriften für den Belegnachweis wurden dabei zum 01.01.2012 dergestalt neu geregelt, dass sie zum einen nunmehr als Mussvorschriften formuliert sind und zum anderen sowohl in Versendungs- als auch in Beförderungsfällen beim elektronischen ATLAS-Verfahren die Nachweisführung durch elektronischen Ausgangsvermerk erforderlich ist. Andernfalls ist weiterhin ein Nachweis durch eine Ausfuhrbestätigung (Beförderungsfälle), ein Versendungsbeleg oder eine Spediteurbescheinigung (Versen-

1109 Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 404. 1110 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 372; im Ergebnis auch Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.10. 1111 Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 405. 1112 Siehe Robisch in Bunjes, § 6, Rn. 24 ff.; Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.11; Stadie in Stadie, § 6, Rn. 33 ff.; Tehler in Rau/Dürrwächter, § 6, Rn. 571 ff.; Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 105 ff.

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dungsfälle) möglich.1113 Allgemein sind in § 9 UStDV die konkreten Anforderungen an Nachweise in Beförderungsfällen enthalten, § 10 UStDV normiert dies entsprechend für Versendungsfälle. §§ 11, 12 UStDV betreffen die Nachweispflichten bei Lohnveredelung an Gegenständen sowie Be- und Verarbeitungsfälle. Die Anforderungen an den Buchnachweis sind in § 13 UStDV geregelt.1114 Erforderlich ist nach § 13 Abs. 1 S. 2 UStDV eine leichte und eindeutige Nachprüfbarkeit der Steuerfreiheit in der Buchführung und sonstigen Unterlagen1115, sodass eine Vornahme der Aufzeichnungen laufend und unmittelbar nach Ausführung des jeweiligen Umsatzes zu erfolgen hat.1116 Die Nachweiserbringung ist jedoch nach Abschnitt 6.10 Abs. 4 S. 2 UStAE in besonders begründeten Einzelfällen auch auf andere Weise möglich. Insbesondere müssen Angaben zu Name und Anschrift des Abnehmers bzw. Auftraggebers, Tag der Lieferung, Menge des Gegenstands der Lieferung, vereinbartes Entgelt, Art und Umfang einer Verarbeitung sowie der Tag der Ausfuhr enthalten sein.1117 Besondere Voraussetzungen gelten nach § 17 UStDV für Ausfuhrlieferungen im nicht kommerziellen Reiseverkehr.1118 Es existiert keine Vertrauensschutzregelung, wie diese für innergemeinschaftliche Lieferungen in § 6 a Abs. 4 UStG vorgesehen ist. § 6a Abs. 4 AO ist auch nicht analog auf Ausfuhrlieferungen anwendbar. Dies beruht zum einen auf dem engen Zusammenhang zwischen § 6a Abs. 4 S. 2 UStG und § 6a Abs. 4 S. 1 UStG, zum anderen besteht bei der Ausfuhrlieferung auch die Nachweismöglichkeit mittels der Ausfuhrbelege.1119 Ungeachtet dessen hat der BFH in seinem Urteil vom 30.07.20081120 ausgeführt, „dass die Steuerfreiheit einer Ausfuhrlieferung nicht versagt werden darf, wenn der liefernde Unternehmer die Fälschung des Ausfuhrnachweises, den der Abnehmer ihm vorlegt, auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht hätte erkennen können“.

1113 So Robisch in Bunjes, § 6, Rn. 24, 27.  1114 Tehler in Rau/Dürrwächter, § 6, Rn. 572. 1115 Siehe auch Robisch in Bunjes, § 6, Rn. 30; Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 140. 1116 A.A. Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 142. 1117 Siehe Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 144 ff. 1118 Siehe auch Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.11; Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 135 ff. 1119 Weimann, UStB 2009, 273. 1120 BFH v. 30.07.2008 - V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; so auch FG Berlin-Brandenburg v. 04.06.2013 - 5 V 5022/13, DStRE 2014, 364; Schaumburg in Schaumburg/ Peters, Rn. 17.15; Tehler in Rau/Dürrwächter, § 6, Rn. 577.

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Die diesbezügliche Beurteilung erfolgt im Billigkeitsverfahren1121 nach den §§ 163, 227 AO1122, wobei das Ermessen auf null reduziert ist, wenn der Betroffene alle ihm gebotenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, um sich nicht an einer Steuerhinterziehung zu beteiligen.1123 Somit wird auf diesem Wege im Ergebnis für Ausfuhren eine ähnliche Rechtslage wie für innergemeinschaftliche Lieferungen (§ 6a Abs. 4 UStG) hergestellt.1124 2. Einfuhren Die Einfuhr von Waren aus dem Drittlandsgebiet nach Deutschland unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG der Umsatzsteuer (sog. Einfuhrumsatzsteuer). Die Besteuerung der Einfuhr dient ebenfalls dem weltweiten Prinzip1125 der Besteuerung im Bestimmungsland und korrespondiert mit der Ausfuhrbefreiung im Ursprungsland.1126 Es handelt sich hierbei um eine besondere Art der Umsatzsteuer1127 bzw. selbstständige Form der Umsatzsteuer.1128 Bei der Einfuhrumsatzsteuer handelt es sich um eine Verbrauchsteuer (vgl. § 21 Abs. 1 UStG) und um eine Einfuhrabgabe nach dem Zollrecht (vgl. § 21 Abs. 2 UStG). „Diese wird [daher] nicht im Besteuerungsverfahren nach § 18 UStG festgesetzt, sondern nach den Vorschriften des Zollrechts in einem Zollverfahren (§ 21 Abs. 2 UStG).“1129 Die Einfuhrbesteuerung verhindert, dass eingeführte Waren ohne Umsatzsteuer an den Endverbraucher gelangen. Zur Gewährleistung der steuerlichen Neutralität der Umsatzsteuer können Unternehmer die Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG bei der Finanzverwaltung abziehen und die Einfuhrumsatzsteuer kann mit der Umsatzsteuer aus dem Weiterverkauf verrechnet werden.1130 Nach der Véleclair-Entscheidung des EuGH entsteht die Vorsteuerabzugsberechti1121 BFH v. 30.07.2008 - V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; Abschnitt 6.5, Abs. 6 UStAE; so auch Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.15; Tehler in Rau/Dürrwächter, § 6, Rn. 577; siehe auch Robisch in Bunjes, § 6, Rn. 34. 1122 Siehe S. 19 ff. 1123 So im Ergebnis BFH v. 30.07.2008 - V R 7/03, BStBl. II 2010, 1075; Abschnitt 6.5, Abs. 6 UStAE; so auch Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.15. 1124 Englisch in Tipke/Lang, § 17, Rn. 405; Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.15; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 372. 1125 Siehe S. 183. 1126 Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.48. 1127 Jäger in Klein, § 370, Rn. 151a. 1128 Kuhr/Schrömbges, MwStR 2016, 14. 1129 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102, 103. 1130 Jäger in Klein, § 370, Rn. 151a; Kuhr/Schrömbges, MwStR 2016, 14; Bülte, NZWiSt 2016, 54. 

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

gung nicht erst dann, „wenn die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet wird, sondern bereits dann, wenn sie für die Einfuhr geschuldet wird.“1131

B. Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug I. Innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. sonstige Leistungen Wie schon ausgeführt, hat die Schaffung des Binnenmarkts in Europa zu neuen Mehrwertsteuerhinterziehungsmöglichkeiten geführt, was enorme Steuerausfälle bewirkt. Schätzungen von Europol zufolge soll den Mitgliedstaaten durch den innergemeinschaftlichen Umsatzsteuerbetrug jährlich ein Schaden von ca. 200 Milliarden € entstehen, wovon allein auf Deutschland ca. 14 Milliarden € entfallen sollen.1132 1. Entwicklung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur Umsatzsteuerhinterziehungen waren schon häufig Gegenstand von EuGH-Entscheidungen. Diese haben sowohl die deutsche Rechtsprechung als auch die deutsche Gesetzgebung geprägt. Hierbei handelt es sich überwiegend (mit Ausnahme der sog. Rechtssache R1133) um Entscheidungen auf dem Gebiet des Steuerrechts, die aber wegen des Blankettcharakters des § 370 Abs. 1 AO1134 bei entsprechendem Vorsatz auch strafrechtliche Auswirkungen haben können. Gleiches gilt für die zahlreichen Entscheidungen des BFH, die sich mit den Einzelheiten aus­ einandersetzen, wie z.B., ob die Voraussetzungen für eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung bzw. für einen Vorsteuerabzug erfüllt sind. Der vorläufige Höhepunkt einer längeren Entwicklung ist die jüngste Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Schoenimport Italmoda vom 18.12.20141135, deren Tendenz sich aber bereits in sehr frühen Entscheidungen abgezeichnet hat. Im Sinne einer Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung beschränkt der EuGH seinen Blick hierbei nicht nur auf die Ausgangsseite des Unternehmers, also auf die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung, sondern stellt auch auf der Eingangsseite 1131 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102. 1132 So die Erwartung der Bundesregierung für das Jahr 2007, BT-Drs. 16/9295 v. 26.05.2008; siehe auch Treiber, MwStR 2015, 626 für das Jahr 2011; Erdbrügger, MwStR 2018, 685 für das Jahr 2017. 1133 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, siehe S. 215 ff. 1134 Siehe S. 29 ff. 1135 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, siehe S. 235 ff.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

des Unternehmers den Vorsteuerabzug in Frage. Gleichwohl müssen die Besonderheiten des Strafrechts berücksichtigt werden, weswegen die Entscheidungen nicht ohne weiteres ins Steuerstrafrecht übertragen werden können. Im Folgenden sollen die bedeutsamsten Entscheidungen mit steuerstrafrechtlichen Auswirkungen in zeitlicher Reihenfolge näher dargestellt und untersucht werden. Die Betrachtung der Rechtsprechungshistorie ist für das Verständnis der Entscheidung in der Rechtssache Schoenimport Italmoda von Bedeutung, da der EuGH in dieser Entscheidung mehrfach auf frühere Entscheidungen verweist. Die Historie ist ferner für das steuerliche Verständnis der Gesamtthematik sowie für die Auslegung etwaig noch nicht entschiedener Fragen notwendig. Ferner muss stets untersucht und bewertet werden, ob und inwieweit die auf steuerlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht haben. Insofern ist zu untersuchen, ob die auf steuerlichem Gebiet geäußerte Kritik möglicherweise strafrechtlich durchschlägt. Bei sämtlichen Entscheidungen geht es im Kern um die zunächst steuerliche Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen bei mit Steuerhinterziehungen bemakelten Umsätzen Steuerbefreiungen für innergemeinschaftliche Lieferungen bzw. ein Vorsteuerabzug versagt werden dürfen bzw. müssen. Es sind die hierfür notwendigen objektiven und subjektiven Anforderungen herauszuarbeiten und es ist die Frage zu beantworten, ob und wie die Anforderungen des EuGH in das nationale Steuerrecht übernommen werden können und ob dem ggf. steuersystematische Bedenken entgegenstehen. Sodann ist zu untersuchen, ob und ggf. mit welchen Einschränkungen diese steuerlichen Grundsätze in das Steuerstrafrecht übernommen werden können. Diesbezüglich ist unter anderem herauszuarbeiten, ob und welche objektiven und subjektiven Anforderungen strafrechtlich für eine Versagung der Begünstigungen zu stellen sind, ob und in welchem Umfang eine Übernahme in das nationale Strafrecht zulässig ist und ob ggf. strafrechtliche Grundsätze (z.B. vom Steuerrecht abweichende Beweisgrundsätze, Bestimmtheitsgrundsatz, Verbot der Mehrfachbestrafung) dem entgegenstehen. Ferner stellt sich nach der Feststellung des „Ob“ einer Hinterziehung auch die Frage nach dem Umfang etwaiger Steuerverkürzungen sowie den strafrechtlichen Auswirkungen von etwaigen steuerlichen Korrekturen. Eine eigene Bewertung der Entscheidungen erfolgt im Wesentlichen nicht im Anschluss an die jeweiligen Entscheidungen, sondern erst nach Darstellung sämtlicher Entscheidungen im Rahmen einer Gesamtwürdigung, da die Entscheidungen ineinandergreifen bzw. aufeinander aufbauen. 200

B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

a) Ältere Rechtsprechung des BFH und des BGH zum Buch- und Belegnachweis In der älteren Rechtsprechung war der BFH1136 der Auffassung, dass der Buch- und Belegnachweis „materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung“ ist.1137 Das bedeutet, dass die Steuerbefreiung in diesen Fällen selbst dann zu versagen ist, wenn feststeht, dass die Ware tatsächlich an unternehmerisch tätige Abnehmer ins EU-Ausland gelangt ist. Hinsichtlich des Belegnachweises war es jedoch möglich, diesen bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nachzureichen.1138 In der älteren Rechtsprechung schloss sich der BGH1139 in Bezug auf das Steuerstrafrecht dieser Rechtsprechung des BFH an: „Für die Steuerbefreiung der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG erforderlich, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nachgewiesen sind. Dies muss durch entsprechende Belege buchmäßig leicht nachzuprüfen sein (§ 17a Abs. 1 Satz 2 UStDV).“ Nach dieser Rechtsprechung erklärt der Steuerpflichtige mit Abgabe der Steueranmeldung, in der die Umsätze als steuerfrei behandelt werden, zumindest konkludent, dass der Buch- und Belegnachweis den Vorschriften der §§ 17a ff. UStDV entsprechend erbracht ist. Ist dies nicht der Fall, macht der Steuerpflichtige diesbezüglich unrichtige Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, weil es an einer materiell-rechtlichen Voraussetzung für die Steuerbefreiung mangelt. b) Ältere Rechtsprechung des EuGH Mit Urteil vom 12.01.2006 hat der EuGH in der Rechtssache Optigen1140 entschieden, dass ein Recht auf Vorsteuerabzug auch dann besteht, wenn ein Steuerpflichtiger (Buffer) – ohne dass er es wusste oder hätte wissen müssen – Teil eines Umsatzsteuerkarussells ist. Mit dieser Entscheidung

1136 Seit BFH v. 02.04.1997 - V B 159/96, BFH/NV 1997, 629; bis zuletzt BFH v. 30.03.2006 - V R 47/03, BStBl. II 2006, 634. 1137 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1406. 1138 BFH v. 10.02.2005 - V R 59/03, BStBl. II 2005, 537, 538; nachgehend EuGH v. 27.09.2007 - C‑146/05, ECLI:EU:C:2007:549, UR 2007, 813, 816; BFH v. 06.12.2007 - V R 59/03, BStBl. II 2009, 57, 60; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1406. 1139 BGH v. 12.05.2005 - 5 StR 36/05, wistra 2005, 308. 1140 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

hat sich der EuGH erstmals zum Verlust des Vorsteuerabzugs aufgrund einer Steuerhinterziehung geäußert.1141 Die drei klagenden Händler von Mikroprozessoren waren, ohne es zu wissen oder wissen zu können, in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen, bei dem der Missing Trader „eine ‚entwendete‘ Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendete, […] [also] eine Nummer, die einem anderen gehört“.1142 Die englische Finanzverwaltung lehnte den Vorsteuerabzug mit dem Argument ab, dass es sich bei den Lieferungen als Teil einer betrügerischen Lieferkette nicht um Lieferungen i.S.d. Mehrwertsteuergesetzes handelte. Zudem verneinte sie das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit, da in objektiver Hinsicht die An- und Verkäufe ohne wirtschaftliche Substanz gewesen seien. Der nach erfolgloser Klage angerufene High Court of Justice legte diese Frage sodann dem EuGH vor. Der EuGH hingegen widersprach dieser Ansicht und stellte fest, dass es sich bei den durch die Kläger getätigten Umsätzen um Lieferungen von Gegenständen gehandelt hat. Aufgrund des Umstands, dass die objektiven Kriterien der 6. EG-RL verwirklicht sind, liegt auch eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Richtlinie vor. Die betrügerische Absicht eines anderen Lieferanten in der Lieferkette sei für den betreffenden Steuerpflichtigen unschädlich, sofern er diese Absicht weder kannte noch kennen konnte. Eine vorangehende oder nachfolgende Umsatzsteuerhinterziehung in der Lieferkette wirke sich nicht auf den Vorsteuerabzug des Steuerpflichtigen aus, dessen Umsatz nicht betrugsbehaftet ist. Mit Urteil vom 21.02.2006 hat der EuGH in der Rechtssache Halifax1143 entschieden. Bei Halifax handelt es sich um eine Bank in Großbritannien, deren Leistungen überwiegend von der Mehrwertsteuer befreit sind. Durch geschickte Steuergestaltung mit zivilrechtlich wirksamen Verträgen wollte Halifax den Vorsteuerabzug durch Zwischenschaltung von weiteren Gesellschaften vergrößern. Ihren steuerlichen Pflichten gegenüber der Finanzverwaltung sind sämtliche Gesellschaften nachgekommen. Es handelte sich mithin nicht um ein betrügerisches System. Der EuGH musste nun klären, ob und welchen Schranken die Gestaltungsfreiheiten von Halifax unterliegen. Nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Halifax1144 haben Unternehmer im Grundsatz das Recht auf eine ihnen steuerlich günstige 1141 Wäger, UR 2015, 81, 93. 1142 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133, 134. 1143 EuGH v. 21.02.2006 - C‐255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420. 1144 EuGH v. 21.02.2006 - C‐255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

­ estaltung der Geschäftsbeziehungen. Allerdings ist „eine betrügerische G oder missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht erlaubt“. Die Anwendung des Gemeinschaftsrechts dürfe nicht dazu führen, dass „missbräuchliche Praktiken von Wirtschaftsteilnehmern gedeckt“ werden. Denjenigen „Umsätzen, die nicht im Rahmen normaler Handelsgeschäfte, sondern nur zu dem Zweck getätigt werden, missbräuchlich in den Genuss von im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen“, seien diese Vorteile zu versagen. Das demnach im Gemeinschaftsrecht verankerte „grundsätzliche Verbot missbräuchlicher Praktiken“ gelte dabei „auch auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer“. „Die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen sei ein Ziel, das von der 6. EG-RL anerkannt und gefördert“ werde. Eine missbräuchliche Praxis sei dabei dann gegeben, wenn die „Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der 6. EG-RL und des zu ihrer Umsetzung ­erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe“, und wenn anhand „objektiver Anhaltspunkte ersichtlich [sei], dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein (systemwidriger) Steuervorteil bezweckt“ wird. Ob „im Wesentlichen ein [solcher] Steuervorteil bezweckt [werde], müsse aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein.“ Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis dürfe aber nicht zu einer Sanktion führen, da für eine solche eine klare und unzweideutige Rechtsgrundlage erforderlich sei. Im Ergebnis stellt der EuGH damit § 42 AO auf eine (zusätzliche) europäische Grundlage. Mit Urteil vom 11.05.2006 hat der EuGH in der Rechtssache Federation of Technological Industries1145 entschieden. Federation of Technological Industries ist ein Interessenverband von Händlern mit Mobilfunktelefonen und Computerprozessoren in Großbritannien. Es ging um einen dem § 25d UStG vergleichbaren Haftungstatbestand im britischen Recht. Diesbezüglich hat der EuGH festgestellt, dass Art. 205 MwStSystRL als Ermächtigungsgrundlage für eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht kommt. Voraussetzung sei aber, dass der Haftende im Zeitpunkt der Lieferung an ihn „wusste oder für ihn hinreichende Verdachtsgründe dafür bestanden, dass die aufgrund dieser oder einer früheren oder späteren Lieferung der betreffenden Waren fällige Mehrwertsteuer ganz oder teilweise unbezahlt bleibt.“ Dies werde vermutet, „wenn der von ih[m] 1145 EuGH v. 11.05.2006 - C-384/04, ECLI:EU:C:2006:309, DStR 2006, 897.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

zu zahlende Preis niedriger war als der niedrigste Preis, dessen Erzielung für diese Waren auf dem freien Markt vernünftigerweise erwartet werden könnte, oder niedriger war als der Preis für eine frühere Lieferung derartiger Waren. Diese Vermutung kann durch den Beweis widerlegt werden, dass der niedrige Preis der Waren auf Umstände zurückzuführen war, die mit der Nichtabführung der Mehrwertsteuer nicht im Zusammenhang standen.“ Andererseits stellt der EuGH auch unter Bezugnahme auf die Entscheidung in der Sache Optigen1146 Folgendes klar: „Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht zu einer Lieferkette gehören, die einen mit einem Mehrwertsteuerbetrug behafteten Umsatz einschließt, müssen nämlich auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können dürfen“. Sie setzen sich daher nicht der Gefahr aus, „für die Zahlung der von einem anderen Steuerpflichtigen geschuldeten Steuer gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen zu werden.“1147 Die Rechtssache Kittel und Recolta Recycling betrifft zwei verbundene Verfahren, über welche der EuGH mit Urteil vom 06.07.20061148 entschieden hat. Im Verfahren C-439/04 hat die AG Ang Computime ­Belgium EDV-Komponenten ge- und verkauft. Die späteren Rechtsstreitig­ keiten führte der Konkursverwalter Kittel. Die Finanzverwaltung vertrat die Auffassung, dass eine wissentliche Beteiligung dieser Firma an einem Mehrwertsteuerkarussell vorlag, bei welchem für die fiktive mehrfache Lieferung der gleichen Ware die in den jeweiligen Rechnungen ­ausgestellte Mehrwertsteuer erstattet werden sollte. Computime legte gegen den von der Mehrwertsteuereinzugsstelle ausgestellten Zahlungsbescheid einen Rechtsbehelf ein, welcher ebenso wie das Berufungsurteil negativ beschieden wurde. Im Verfahren C-440/04 erwarb die Firma Recolta Luxusfahrzeuge von einem Herrn Ailliaud, der keine Mehrwertsteuer an den belgischen Staat abgeführt hat. Dieser hatte die Fahrzeuge von der Gesellschaft Auto-Mail bezogen, mit der er zusammen in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden war. Recolta hat dann die Fahrzeuge aufgrund einer Exportverkaufsgenehmigung steuerfrei an dieselbe Gesellschaft, die Auto-Mail, verkauft. 1146 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133. 1147 EuGH v. 11.05.2006 - C-384/04, ECLI:EU:C:2006:309, DStR 2006, 897, 900. 1148 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Laut Aktenlage hatten Herr Ailliaud und die Auto-Mail ein Umsatzsteuerkarussell errichtet, in welches Recolta einbezogen war. Gegen den von der Mehrwertsteuereinzugsstelle erlassenen Zahlungsbescheid legte Recolta einen Rechtsbehelf ein, welcher positiv beschieden wurde, da Recolta die Einbeziehung in das Mehrwertsteuerkarussell weder kannte noch hätte kennen müssen. Hiergegen legte wiederum der belgische Staat Rechtsmittel mit der Begründung ein, dass die zugrundeliegenden Verträge nichtig seien, sodass die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht vorliegen. Der EuGH hat entschieden, dass das Recht zum Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist, wenn der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte, dass sein Umsatz in ein Umsatzsteuerkarussell einbezogen war. In Fortführung der Rechtsprechung in der Sache Optigen1149 hat das Gericht damit klargestellt, dass bei der Einbeziehung in ein Umsatzsteuerkarussell lediglich Bösgläubigkeit in Bezug auf den Vorsteuerabzug schädlich ist. Sofern der Unternehmer jedoch alle Maßnahmen zur Vermeidung einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung getroffen habe, dürfe er auf die Rechtmäßigkeit der Umsätze vertrauen, da eine Einschränkung des Vorsteuerabzugs im Hinblick auf dessen „integrale[n] […] Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer“1150 grds. nicht möglich sei. Die Nichtigkeit des zugrunde liegenden Kaufvertrags sei hinsichtlich der Frage des Vorsteuerabzugs unerheblich. Der BFH1151 hat sich den EuGH-Urteilen Optigen1152 und Kittel und Recolta Recycling1153 angeschlossen und mit Urteil vom 19.04.2007 entschieden, dass Wirtschaftsteilnehmer ohne die Gefahr des Verlusts des Vorsteuerabzugs auf die Rechtmäßigkeit ihrer Umsätze vertrauen dürfen, sofern sie alle Maßnahmen zur Sicherstellung der Vermeidung der Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung treffen, welche vernünftigerweise zu verlangen sind. Hinsichtlich der Beweisverteilung verhalte es sich so, dass der Steuerpflichtige, welcher sich auf § 15 UStG berufe, auch das Vorliegen dieser Voraussetzungen beweisen müsse, was „grundsätzlich auch für das Wissen oder Wissenkönnen vom Tatplan ei1149 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133. 1150 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274, 1277. 1151 BFH v. 19.04.2007 - V R 48/04, BFHE 217, 194, 205. 1152 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133. 1153 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274.

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nes Vor- oder Nachlieferanten“ gilt. Ob diese Bedingung gegeben ist, obliegt im Wesentlichen der tatsächlichen Würdigung des Finanzgerichts. „Denjenigen, der sich auf das Nichtvorliegen von Tatsachen oder Umständen beruft, [könne] die Feststellungslast ohnehin nur treffen, wenn der Gegner – hier das FA – substantiiert Tatsachen oder Umstände vorgetragen hat, die für das Vorliegen des Positivums sprechen.“ Das Finanzgericht hatte lediglich festgestellt, dass der betroffene Unternehmer keine positive Kenntnis von der Umsatzsteuerhinterziehung hatte, in die er eingebunden war, nicht indes, ob er dies hätte wissen können. Das Recht zum Vorsteuerabzug wurde jedoch mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs zu Lasten des Steuerpflichtigen nicht feststellbar ist, da erhebliche Gründe für die Einbeziehung in ein Umsatzsteuerkarussell sprechen. Der BFH hat die Sache daher zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Das Finanz­ gericht hat den BFH zudem noch unter Berufung auf die Entscheidung Halifax des EuGH darauf hingewiesen, wie zu verfahren ist, falls der Steuerpflichtige von dem Mehrwertsteuerbetrug Kenntnis hat. Dies hätte „zwar zur Folge, dass dem Steuerpflichtigen der Vorsteuerabzug aus den ‚Eingangslieferungen’ nicht zusteht, dementsprechend aber auch die Steuern für die entsprechenden ‚Ausgangsumsätze’ nicht zu erfassen sind.“ In der Rechtssache Twoh International BV1154 hat der EuGH zu den Nachweispflichten der §§ 17a ff. UStDV Stellung genommen. Dieser Entscheidung lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde: Ein niederländisches Unternehmen verkaufte an ein in Italien ansässiges Unternehmen Computerteile. Im Kaufvertrag war die Lieferung „ab Werk“ vorgesehen, sodass der Transport nach Italien in den Verantwortungsbereich des Käufers fiel. Der Verkäufer ging davon aus, dass es sich um innergemeinschaftliche Lieferungen handelte, erhielt jedoch vom Käufer nicht die in den Niederlanden hierzu erforderlichen Nachweise. Dennoch wies er in den Rechnungen weder Umsatzsteuer aus, noch führte er diese ab. Der EuGH hat diesbezüglich entschieden, dass es grds. Aufgabe des Lieferers ist, die entsprechenden Nachweispflichten zu erfüllen. Darüber seien „die Finanzbehörden eines Mitgliedstaats in den Fällen, in denen der Versand oder die Beförderung von Gegenständen im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung in diesem Mitgliedstaat beginnt, nicht verpflichtet […], die Finanzbehörden des vom Lieferanten angegebene Bestimmungsmitgliedstaats um Auskunft zu ersuchen“.1155 1154 EuGH v. 27.09.2007 - C-184/05, ECLI:EU:C:2007:550, UR 2007, 782. 1155 Siehe auch Kemper in Wannemacher, Rn. 1145.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

c) Rechtssache Teleos (EuGH v. 27.09.2007) Der vom EuGH entschiedene Fall Teleos1156 betrifft die Frage, ob ein Lieferant, welcher nicht erkennt und nicht erkennen konnte, dass er Teilnehmer eines Umsatzsteuerkarussells ist, für die Umsatzsteuer in Anspruch genommen werden kann, weil ihm die Steuerfreiheit versagt wird. Fraglich war also, ob für die Steuerfreiheit nach §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1 UStG die Ware zwangsläufig auch über die Grenze transportiert werden muss. Dieser Entscheidung lag der Sachverhalt zugrunde, dass Teleos von einem spanischen Unternehmen Mobiltelefone veräußerte, mit der Maßgabe des Verkaufs „ab Werk“, sodass Teleos lediglich die Verpflichtung der Bereitstellung der Telefone in einem Lager im Ursprungsland traf. Wenige Tage nach jedem einzelnen Verkauf erhielt Teleos den unterzeichneten und gestempelten CMR-Frachtbrief1157, welcher auch den ­Namen des Fahrers, das Kennzeichen des Fahrzeugs, den gelieferten Gegenstand sowie die Lieferadresse beinhaltete. Bei späteren Kontrollen stellten sich Manipulationen der CMR-Frachtbriefe heraus. So wurden manche Warenbewegungen gar nicht durchgeführt, die in den Briefen angeführten Frachtführer existierten nicht oder der Bestimmungsort war falsch bezeichnet. Die Finanzverwaltung versagte daraufhin die zunächst gewährte Steuerbefreiung. Der EuGH hat diesbezüglich entschieden, dass für die Steuerbefreiung zwangsläufig eine Bewegung der Ware über die Grenze Voraussetzung ist. Die Auslegung des Begriffs „versandt“ sei dabei in dem Sinne vorzunehmen, dass die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung erst dann zur Anwendung komme, „wenn das Recht, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu verfügen, auf den Erwerber übertragen worden ist und der Lieferant nachweist, dass der Gegenstand in einen anderen Mitgliedstaat versandt oder befördert worden ist und aufgrund dieses Versands oder dieser Beförderung den Liefermitgliedstaat physisch verlassen hat“. Jedoch sei es umgekehrt nicht möglich, dass Finanzbehörden einen gutgläubigen Lieferanten zur Zahlung der Umsatzsteuer verpflichten, wenn dieser Nachweise eingereicht habe, die nach dem ersten Anschein eine Befreiung nach den §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1 UStG rechtfertigen würden, sich diese indes später als falsch herausstellen, aber eine Beteiligung des Lieferanten an der Steuerhinterziehung nicht bewiesen werden kann. Eine solche Handhabe würde die Neutralität der Mehrwertsteuer in Zwei1156 EuGH v. 27.09.2007 - C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548, BStBl. II 2009, 70. 1157 Siehe S. 185 ff.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

fel ziehen. Sie würde zudem einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit in den Fällen darstellen, in denen ein Mitgliedstaat die eingereichten Dokumente zwar zunächst anerkennt, jedoch – wenn sich im Nachgang herausstellt, dass der Liefergegenstand im Rahmen einer Umsatzsteuerhinterziehung das Land nie verlassen hat und der Lieferant dies weder wusste noch wissen konnte – ihn zur nachträglichen Zahlung der Umsatzsteuer verpflichtet. Das Risiko könne in diesen Fällen zwischen dem Lieferanten und der Finanzverwaltung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dergestalt aufgeteilt werden, dass es ausreichen müsse, wenn der Lieferant alles unternommen hat, um sich durch die in Rede stehende innergemeinschaftliche Lieferung nicht an einer Steuerhinterziehung zu beteiligen. Hierzu verweist der EuGH dann auch auf die Entscheidungen Federation of Technological Industries1158 und Kittel und Recolta Recycling.1159 In dieser Entscheidung stellt der EuGH klar, dass es für das Bejahen der §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1 UStG zwingend notwendig ist, dass der zu befördernde Gegenstand das Land des Mitgliedstaats verlassen hat.1160 Diese Belege müssen sich jedoch nicht auf die Ankunft der Ware beziehen.1161 Insbesondere ist die Vorlage von Nachweisen ausreichend, welche auf den ersten Anschein den Eindruck erwecken, das Recht zur Steuerfreiheit in Bezug auf eine innergemeinschaftliche Lieferung einzuräumen.1162 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Lieferant alles ihm Zumutbare unternommen hat, um eine eigene Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung im Rahmen dieser innergemeinschaftlichen Lieferung zu vermeiden.1163 Hieraus folgt, dass einem an einer Umsatzsteuerhinterziehung nicht beteiligten gutgläubigen Unternehmer nicht die Zahlung der Umsatzsteuer auferlegt werden kann.1164 Hinsichtlich der geforderten Sorgfaltspflichten hat der Unternehmer insbesondere zur Feststellung, ob die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer1165 seines Vertragspartners registriert ist, das qualifizierte Bestäti1158 EuGH v. 11.05.2006 - C-384/04, ECLI:EU:C:2006:309, DStR 2006, 897; siehe S. 203 f. 1159 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274, siehe S. 204 f. 1160 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 19. 1161 EuGH v. 27.09.2007 - C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548, BStBl. II 2009, 70; Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 19. 1162 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 19. 1163 So im Ergebnis Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 405. 1164 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 19. 1165 Siehe S. 183 f.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

gungsverfahren nach § 18e UStG durchzuführen.1166 Bei verbleibenden Zweifeln ist der Unternehmer zur aktiven Aufklärung verpflichtet. Zwar ist eine anlasslose Prüfung nicht erforderlich, jedoch kann der Lieferant eine fiktive Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch das qualifizierte Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG ausschließen, sodass eine Überprüfung mittels dieses Verfahrens immer angestrebt werden muss.1167 Hat der Unternehmer allerdings sorgfältig gehandelt und sich an den Vorgaben der UStDV orientiert, können auch durch die Finanzbehörden entdeckte inhaltliche Fehler der Nachweise nicht mehr zu einer Versagung der Steuerbefreiung führen.1168 Umstritten ist indes, ob der Fall, in welchem eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer „entwendet“ worden ist, noch in den Anwendungsbereich des § 6a Abs. 4 UStG fällt.1169 In diesem Fall gibt der Abnehmer unberechtigt unter dem Namen eines registrierten Unternehmens eine Bestellung auf. Eine Ansicht1170 verneint die Anwendung von § 6a Abs. 4 UStG mit dem Hinweis darauf, dass nach dem Wortlaut des § 6a Abs. 4 UStG lediglich Bezug auf die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG genommen wird, nicht jedoch auf die diesbezüglichen Nachweise, sodass ein Vertrauen hierauf nicht geschützt werden kann. Die h.M.1171 hingegen bejaht auch in diesen Fällen mit Verweis auf die o.g. Teleos-Entscheidung1172 den Vertrauensschutz. Da nach dieser Entscheidung der sorgfältige, gutgläubige und auf die Angaben des Abnehmers vertrauende Unternehmer, welcher einen Irrtum insbesondere durch das qualifizierte Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG auszuschließen versucht hat, ­geschützt werden solle, könne es keinen Unterschied machen, ob der Unternehmer darauf vertraue, dass der Abnehmer Unternehmer ist oder darauf, ob die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ihm auch wirklich erteilt wurde.1173 Steuerstrafrechtlich ergeben sich aus der Entscheidung folgende Konsequenzen: Ein der o.g. Rechtsprechung entsprechend sorgfältig handeln1166 Vgl. Bülte, CCZ 2009, 98, 100; so auch ders. in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 405a; siehe auch Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370, Rn. 478. 1167 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 405d. 1168 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 19. 1169 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 406. 1170 FG Bremen v. 18.08.2003 - 2 V 593/02-2 V 594/02, EFG 2003, 1737; FG München v. 07.10.1996 - 3 V 2490/96, UVR 1997, 18, 20; Kräusel, UR 2005, 187, 190. 1171 FG Niedersachsen v. 17.08.2004, 5 V 84/04, EFG 2004, 1876; v. 20.02.2009 - 16 K 311/08, DStRE 2009, 1069 f.; FG Münster v. 05.02.2004, 15 V 5805/03, EFG 2004, 1172; Bülte, CCZ 2009, 98, 100; Winter, UR 2005, 248 f.; wohl auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 408 f.; Treiber in Sölch/Ringleb, § 6a, Rn. 190 ff. 1172 EuGH v. 27.09.2007 - C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548, BStBl. II 2009, 70. 1173 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 408.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

der Unternehmer, der aber im Zeitpunkt der Lieferung getäuscht wurde, behält den (steuerlichen) Anspruch auf die Steuerfreiheit und macht keine falschen Angaben i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, wenn er die Steuerbefreiung in der entsprechenden Steueranmeldung geltend macht. Sofern jedoch ein nicht ausreichend sorgfältig handelnder Unternehmer bei Geltendmachung der Steuerbefreiung (Abgabe der Steueranmeldung) weiß oder es für möglich hält (Vorsatz), dass er im Zeitpunkt der Lieferung getäuscht worden ist bzw. sein könnte, macht er sich einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO schuldig.1174 d) Rechtssache Collée (EuGH v. 27.09.2007) In der Rechtssache Collée1175 hatte der EuGH auf Vorlage des BFH über die vom BFH und BGH bis dahin bereits ohne vorherige Anrufung des EuGH beantwortete1176 Frage zu entscheiden, ob die Finanzverwaltung die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nur deshalb versagen kann, weil der Buchnachweis nicht rechtzeitig erbracht, jedoch die Steuerfreiheit zweifelsfrei gegeben ist. Darüber hinaus sollte der EuGH klären, ob für diese Beantwortung relevant ist, dass zunächst eine bewusste Verschleierung der innergemeinschaftlichen Lieferung von Seiten des Lieferanten vorgenommen wurde. Der Rechtssache Collée lag der Sachverhalt zugrunde, dass ein deutscher Fahrzeughändler zur Sicherung seines Provisionsanspruchs nach Be­ stellung von Fahrzeugen durch einen belgischen Abnehmer einen deutschen Zwischenhändler pro forma zwischenschaltete und an diesen mit Umsatzsteuerausweis lieferte. Der belgische Fahrzeughändler erhielt sodann Rechnungen ohne Umsatzsteuerausweis von dem Zwischenhändler. Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung versagte das Finanzamt dem Zwischenhändler dann den Vorsteuerabzug. Hieraufhin stornierte der deutsche Händler die Rechnungen an den deutschen Zwischenhändler und nahm eine „Umbuchung“ als innergemeinschaftliche Lieferung an den Endabnehmer nach Belgien vor. Diese Umsatzsteuerbefreiung versagte das Finanzamt dann mit der Begründung, „dass die erforderlichen Aufzeichnungen nicht laufend und unmittelbar nach Ausführung des jeweiligen Umsatzes vorgenommen worden“ sind. Der EuGH hat diesbezüglich festgestellt, dass für eine Steuerbefreiung grds. die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen müssen. Aus 1174 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 409. 1175 EuGH v. 27.09.2007 - C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549, UR 2007, 813. 1176 Siehe S. 201 ff. 

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität ergebe sich jedoch, dass die Steuerbefreiung auch dann zu erteilen ist, wenn zwar die materiellen, aber nicht die formellen Nachweispflichten erfüllt sind. Hierfür müssen objektive Umstände als Nachweis dafür existieren, dass keine Zweifel am Vorliegen der materiellen Bedingungen bestehen. Dies gelte nur dann nicht, wenn der fehlende Nachweis der formellen Nachweispflichten zu einer Verhinderung des eindeutigen Nachweises der materiellen Bedingungen führen würde. Sofern jedoch kein Nachweis vorgelegt wird, finde keine Steuerbefreiung statt. Darüber hinaus sei eine Umsatzsteuerbe­ freiung bei einer tatsächlich ausgeführten Lieferung bei Auslegung von Art. 28c Teil A Buchst. A Unterabschn. 1 der 6. EG-RL 77/388/EWG nicht allein mit der Begründung zu versagen, dass es an der rechtzeitigen Erbringung der erforderlichen Nachweise dieser Lieferung fehlt. Bei den Buch- und Belegnachweisen nach den §§ 17a, c UStDV handele es sich nicht um materielle Voraussetzungen der Steuerbefreiung. Die grundsätzliche Verpflichtung zur Vorlage dieser Nachweise sei jedoch mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Der Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung könne auch durch die objektive Beweislage, insbesondere auch nachträglich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung, geführt werden. Für eine Korrektur der Buchführung, um die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu erlangen, würden die gleichen Regeln wie bei einer Rechnungsberichtigung gelten. Eine Rechnungsberichtigung sei jedoch (nur) möglich bei einer vollständigen und rechtzeitigen Beseitigung der Gefährdung des Steueraufkommens oder Gutgläubigkeit des Steuerpflichtigen. Die bewusste Verschleierung einer innergemeinschaftlichen Lieferung durch den Steuerpflichtigen finde nur dann Berücksichtigung – mit der Folge der Versagung der Steuerbefreiung –, sofern eine Gefährdung des Steueraufkommens eintritt oder eine rechtsmissbräuchliche Steuerbefreiung eingefordert wird. Die Nichterhebung von Mehrwertsteuer auf eine innergemeinschaftliche Lieferung, die zunächst zu Unrecht als im Inland ausgeführte Lieferung qualifiziert wurde, kann das Steueraufkommen in diesem Staat per se nicht gefährden, da das Steueraufkommen dem EU-Mitgliedstaat des Endverbrauchers zusteht. Dieses Urteil bedeutet eine grundlegende Änderung der bisherigen Rechtsprechung. Danach obliegt es den EU-Mitgliedstaaten, die Nachweispflichten gesetzlich festzulegen, wobei materiell-rechtliche Einschränkungen der Steuerbefreiung nicht zulässig sind.1177 Diese Anforde1177 Schwarz in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 6a, Rn. 191.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

rungen ergeben sich aus Art. 138 MwStSystRL. Den Rahmen für die von den Mitgliedstaaten selbst zu regelnden formellen Voraussetzungen bildet hingegen Art. 131 MwStSystRL.1178 Durch diese Entscheidung ist klargestellt, dass der Buch- und der Belegnachweis lediglich eine formale Voraussetzung darstellt. Dies bedeutet eine Abkehr sowohl von der früheren Einordnung des Belegnachweises als materielle Voraussetzung als auch von der früher geforderten kurzfristigen Vornahme des Buchnachweises.1179 Vereinzelt wird daher in der Literatur1180 hieraus geschlossen, dass nunmehr auch Buchnachweise bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht nachgereicht werden können. Dem hat der BFH mit Urteil vom 28.05.20091181 aber eine Absage erteilt. Er ist der Ansicht, dass der Buchnachweis bis zu dem Zeitpunkt zu führen ist, zu dem die Umsatzsteuervoranmeldung für die Ausfuhrlieferung abzugeben ist. Dieser Nachweis kann aber bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ergänzt oder berichtigt werden. Nichts anderes gilt für innergemeinschaftliche Lieferungen. Hinsichtlich der Rechtsnatur der Nachweispflichten hat sich seit der Collée-Entscheidung des EuGH auch in der BFH-Rechtsprechung1182 ein Wandel vollzogen: Zuvor wurden der Beleg- und auch der Buchnachweis als materielle Voraussetzung der Steuerbefreiung eingestuft.1183 Durch das Urteil erfolgt eine Änderung dahingehend, dass es sich hierbei nur um Bestimmungen über das „Ob“ und „Wie“ der Nachweiserbringung1184 handelt. Zwar ist die Finanzverwaltung befugt, die Beleg- und Buchnachweise zu überprüfen und den sich ggf. ergebenden Anscheinsbeweis zu entkräften und infolgedessen die Steuerbefreiung zu versagen. Jedoch ist eine Steuerbefreiung auch dann zu erteilen, wenn das Vorliegen der Vo­ raussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG aufgrund objektiver Beweislage festgestellt worden ist.1185

1178 Siehe S. 185. 1179 Moosburger, Stbg 2009, 366, 367. 1180 Fumi in Haas/Müller, § 2, Rn. 203; Wagner in Simon/Wagner, S. 14.  1181 BFH v. 28.05.2009 - V R 23/08, BStBl. II 2010, 517, 519. 1182 BFH v. 08.11.2007 - V R 72/05, BStBl. II 2009, 55; v. 06.12.2007 - V R 59/03, ­BStBl. II 2009, 57, 59; siehe auch Moosburger, Stbg 2009, 260; Nieskens, SteuerConsultant 2009, 16; Wulf, Stbg 2009, 313. 1183 BFH v. 30.03.2006 - V R 47/03, BStBl. II 2006, 634; siehe auch Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 53; Schwarz in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 6a, Rn. 192. 1184 BFH v. 08.11.2007 - V R 72/05, BStBl. II 2009, 55; v. 06.12.2007 - V R 59/03, ­BStBl. II 2009, 57, 60; Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 53; Schwarz in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 6a, Rn. 192; kritisch Frye in Rau/Dürrwächter, § 6a, Rn. 567. 1185 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 54, 57.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Nach der Rechtsprechung des BFH1186 hat der Unternehmer das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung nachzuweisen. Bülte1187 folgert aus diesen Entscheidungen für § 370 AO eine Beweislastumkehr insofern, als das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung dem Lieferanten auch in dem Fall bewiesen werden müsse, wenn er nicht die vorschriftsmäßigen Nachweise vorlegt, da im Steuerstrafrecht der strafprozessuale Beweismaßstab gelte. Der BFH stellt jedoch an eine andere Beweisführung sehr hohe Anforderungen.1188 Nieskens1189 kritisiert in diesem Zusammenhang, dass die beiden Folgeurteile des BFH vom 08.11.20071190 keine Angaben dazu machen, welche anderweitigen Möglichkeiten zur Erbringung des Nachweises der Steuerpflichtige hat. Jedoch ergebe sich durch das EuGH-Urteil in der Rechtssache Collée insoweit keine Änderung, als dass weiterhin die Beibringung eines Nachweises notwendig sei.1191 Robisch1192 führt hingegen als ausreichende Nachweise eine amtliche Bescheinigung an, aus welcher sich ergibt, dass sich der Gegenstand im Ausland befindet, oder bei Pkw-Lieferungen z.B. einen ausländischen Pkw-Zulassungsschein. Darüber hinaus können sich die erforderlichen Feststellungen auch durch Ermittlungen der Fahndungs- und Finanzbehörden ergeben. Der älteren steuerstrafrechtlichen Sichtweise des BGH1193 wurde der steuerliche Boden entzogen. In der Literatur1194 wurde unmittelbar nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Collée die Auffassung vertreten, dass der Buch- und Belegnachweis für die steuerstrafrechtliche Beurteilung gänzlich unerheblich ist, da einen Beschuldigten im Steuerstrafverfahren keinerlei (lediglich formelle) Nachweispflichten treffen. Es obliege den Strafverfolgungsbehörden nachzuweisen, dass die Inanspruchnahme einer Steuerbefreiung unberechtigt erfolgt ist, also die Ware nicht ins Ausland gelangt ist bzw. der Abnehmer kein Unternehmer ist. So liege eine Strafbarkeit schon 1186 BFH v. 08.11.2007 - V R 72/05, BStBl. II 2009, 55; v. 06.12.2007 - V R 59/03, ­BStBl. II 2009, 57, 60. 1187 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 371.  1188 BFH v. 08.11.2007 - V R 72/05, BStBl. II 2009, 55, 57; v. 06.12.2007 - V R 59/03, BStBl. II 2009, 57, 60; siehe auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 176. 1189 Nieskens, SteuerConsultant 2009, 16, 20. 1190 BFH v. 08.11.2007 - V R 72/05, BStBl. II 2009, 55. 1191 Nieskens, SteuerConsultant 2009, 16, 21. 1192 Robisch in Bunjes, § 6a, Rn. 56.  1193 BGH v. 12.05.2005 - 5 StR 36/05, wistra 2005, 308, siehe S. 152. 1194 Wulf, Stbg 2008, 328, 330; Schauf/Höink, PStR 2009, 58; Bülte in Graf/Jäger/ Wittig, § 370 AO, Rn. 371.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

dann nicht vor, wenn lediglich die Möglichkeit besteht, dass die Ware an einen ausländischen Unternehmer geliefert worden ist.1195 Dies sieht der BGH in seiner Entscheidung vom 20.10.20111196 allerdings anders, wo­ rauf Joecks1197 und Schauf1198 hinweisen. Indes macht sich ein Lieferant, wenn nach objektiver Beweislage die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung feststehen, nicht wegen Steuerhinterziehung nach § 370 AO strafbar1199, da es sich – wie nun auch der BGH anerkennt – bei den Nachweisvorschriften lediglich um formelle Steuerbefreiungsvoraussetzungen handelt.1200 Dies gilt selbst dann, wenn der Lieferant weiß, dass ihm die entsprechenden Buchnachweise nicht vorliegen. Mit der Entscheidung vom 08.11.20071201 gab der BGH dann erstmals ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach der Buch- und Belegnachweis materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, und setzte damit die EuGH-Entscheidung Collée um. Der BFH gewährte die Steuerbefreiung in diesem Fall, obwohl der ausländische Erwerber seinen dortigen Erklärungspflichten nicht nachgekommen ist. Der Entscheidung lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob der deutsche Lieferant Kenntnis von den betrügerischen Absichten seines spanischen Abnehmers hatte. Der Entscheidung kann aber entnommen werden, dass es nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen steht, für den Fall von Straftaten im Bestimmungsland den deutschen Lieferanten durch die Festsetzung von Umsatzsteuer auf die nachweislich nach Spanien gelangten Fahrzeuge in Anspruch zu nehmen. Mit der Entscheidung vom 06.12.20071202 gab der BFH dann erneut ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidung Collée auf. Aus der Entscheidung ergibt sich, dass es nicht erforderlich ist, dass der innergemeinschaftliche Erwerb im anderen Mitgliedstaat tatsächlich besteuert worden ist. Der BFH sieht 1195 Wulf, Stbg 2008, 328, 330. 1196 BGH v. 20.10.2011 - 1 StR 41/09, wistra 2012, 114; siehe zu dieser Entscheidung S. 229. 1197 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 357. 1198 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1410.  1199 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 370a. 1200 BGH v. 20.11.2008 - 1 StR 354/08, wistra 2009, 159, 160; v. 19.08.2009 - 1 StR 206/09, wistra 2009, 475; siehe auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 369a; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 177 ff.; siehe auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 379. 1201 BFH v. 08.11.2007 - V R 72/05, BStBl. II 2009, 55. 1202 BFH v. 06.12.2007 - V R 59/03, BStBl. II 2009, 57, 59.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

z­ udem im vorliegenden Fall – trotz der Verschleierung der tatsächlich ausgeführten Lieferung – keine Gefährdung des (deutschen) Steueraufkommens, weil die Einnahmen aus der Umsatzsteuer für die Lieferung dem Mitgliedstaat zustehen, in dem der Endverbrauch erfolgt. Mit dieser Entscheidung1203 hat der BGH die EuGH-Entscheidung Collée ausdrücklich übernommen. Mit der Entscheidung vom 20.11.20081204 gab der BGH dann ebenfalls ausdrücklich seine bisherige Rechtsprechung auf, wonach der Buch- und Belegnachweis materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, und setzt damit die EuGH-Entscheidung Collée um. Er nahm jedoch gleichzeitig und zunächst noch ohne Anrufung des EuGH an, dass bei einem kollusiven Zusammenwirken der Beteiligten nach wie vor eine Steuerhinterziehung vorliegt und dies unabhängig davon, ob sämtliche Tatbestandsmerkmale des § 6a UStG erfüllt sind. Er berief sich hierzu auf die Entscheidungen des EuGH in den Sachen Halifax und Kittel. Die Steuerfreiheit einer Lieferung sei zu versagen, wenn die Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet in dem Bewusstsein erfolgt, dass dies dem Empfänger die Hinterziehung von Mehrwertsteuer ermöglicht. Eine betrügerische oder missbräuchliche Ausnutzung des Gemeinschaftsrechts sei unzulässig. Bei kollusivem Zusammenwirken von Lieferant und unternehmerischem Abnehmer zur Verschleierung der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland sei das Tatbestandsmerkmal des „Unterliegens“ des Erwerbs des Liefergegenstands nach den Vorschriften der Umsatzbesteuerung in einem anderen Mitgliedstaat nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht erfüllt. Sofern der Steuerpflichtige in einem solchen Fall die Steuerbefreiung geltend macht, gebe er eine falsche Steueranmeldung i.S.d. § 370 AO ab und mache sich strafbar. Diese Auslegung von § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG genüge auch den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes nach Art. 103 Abs. 2 GG, da Tragweite und Anwendungsbereich „bereits aus dem Gesetz heraus erkennbar [sind] und durch Auslegung ermittelt und konkretisiert werden“ könnten.1205 e) Rechtssache R (EuGH v. 07.12.2010) Im Rahmen der Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach §§ 6a, 4 Nr. 1b UStG war fraglich, ob die entsprechenden Tatbestandsvoraussetzungen lediglich objektiv vorliegen müssen oder ob trotz 1203 BGH v. 18.09.2009 - 1 StR 206/09, wistra 2009, 475.  1204 BGH v. 20.11.2008 - 1 StR 345/08, DStR 2009, 577. 1205 BGH v. 20.11.2008 - 1 StR 354/08, DStR 2009, 577, 579.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

deren Vorhandensein die Steuerbefreiung zu versagen ist, wenn in einem Zusammenwirken von Lieferanten und tatsächlichem Abnehmer eine Lieferung an einen anderen ausländischen Händler vorgetäuscht wird. Dem LG Mannheim1206 lag mit dem später vom EuGH als Rechtssache R1207 bezeichneten Fall folgender Sachverhalt vor:1208 Der angeklagte Portugiese R war Geschäftsführer einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft, welche an portugiesische Fahrzeughändler Pkws verkaufte. Dabei nahm er eine Vielzahl an Manipulationen vor, insbesondere durch die Ausstellung von Scheinrechnungen an Scheinkäufer, indem er auf den Rechnungen die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der Scheinkäufer mit dem Hinweis „steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung nach § 6a UStG“ vermerkte. Die tatsächlichen Erwerber der Fahrzeuge wurden hierüber in Kenntnis gesetzt, die Scheinkäufer waren tatsächlich existierende portugiesische Unternehmen, welche teilweise über die Vorgänge informiert waren. Hierdurch erzielte er den Eindruck einer Besteuerung in Portugal, obwohl die Umsatzsteuer (Erwerbsbesteuerung) durch die portugiesischen Händler hinterzogen wurde. R selbst „konnte […] die Fahrzeuge zu einem günstigeren Preis verkaufen und erzielte ­höhere Gewinne“. Die Fahrzeuge wurden in Portugal von dem tatsächlichen Erwerber an private Endabnehmer weiterveräußert, wobei weder die angefallene Erwerbsteuer gezahlt noch den Finanzbehörden ein innergemeinschaftlicher steuerpflichtiger Erwerb angezeigt wurde. Zur Verhinderung der Bekanntgabe der tatsächlichen Erwerber durch das ­ Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem der Europäischen Union1209 gab R bei den Zusammenfassenden Meldungen die Namen der Scheinkäufer an. Darüber hinaus trug er diese Verkäufe bei seinen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen als steuerfreie ­innergemeinschaftliche Lieferungen ein. Das LG Mannheim1210 stellte insbesondere fest, dass es sich vorliegend nicht um steuerfreie inner­ gemeinschaftliche Lieferungen handelte, da infolge der Manipulationen in Portugal eine Steuerverkürzung entstand, welche den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verzerrte. R wurde daher am 17.09.2008 wegen Steuerhinterziehung verurteilt. 1206 LG Mannheim v 17.09.2008 - 25 KLs 605 Js 7769/08 - AK 8/08, IWW Abrufnummer 114151. 1207 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846. 1208 Siehe auch Grube, jurisPR-SteuerR 13/2011 Anm. 5; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, § 370 AO, Rn. 495; ders., Stbg 2011, 404, 405 f.; Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 126. 1209 Siehe S. 185. 1210 LG Mannheim v 17.09.2008 - 25 KLs 605 Js 7769/08 - AK 8/08, IWW Abrufnummer 114151.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Gegen dieses Urteil legte R Revision beim BGH ein. Er wandte sich insbesondere gegen die Ablehnung einer steuerfreien innergemeinschaft­ lichen Lieferung, da tatsächlich Pkw-Lieferungen an gewerblich tätige Erwerber in Portugal stattgefunden haben. Da das deutsche Umsatzsteueraufkommen nicht geschädigt worden sei, müssten die Verschleierungsmaßnahmen bezüglich der Besteuerung in Portugal als unerheblich gewertet werden.1211 Der BGH1212 vertrat hingegen bislang die gleiche Auffassung wie das LG Mannheim und entschied, dass eine Steuerbefreiung versagt werden kann, wenn die o.g. Täuschung bei kollusivem Zusammenwirken von Lieferanten und tatsächlichem Abnehmer zum Zwecke der Steuerhinterziehung genutzt wird, auch wenn die Fahrzeuge tatsächlich nach Portugal geliefert worden sind. Im parallel dazu laufenden Besteuerungsverfahren hat das FG Baden-­ Württemberg in seinem Beschluss vom 11.03.20091213 ernsthaft in Zweifel gezogen, dass ein kollusives Zusammenwirken von Lieferant und Empfänger eine Steuerfreiheit ausschließen kann.1214 Maßgeblich sei vielmehr, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 6a, 4 Nr. 1b UStG erfüllt sind. Darüber hinaus existierten in Bezug auf die Ansicht des BGH Unstimmigkeiten, da diese den „gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze[n] der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Territorialität entgegen[stünden]“1215. Infolgedessen gewährte das FG Baden-Württemberg die beantragte Aussetzung der Vollziehung.1216 Im diesbezüglich angestrengten Beschwerdeverfahren folgte der BFH1217  – allerdings zeitlich nach dem Vorlagebeschluss des BGH – der Ansicht des FG Baden-Württemberg1218 und bejahte die Aussetzung der Vollziehung ebenfalls. Begründet hat der BFH dies damit, dass die Ablehnung der Steuerbefreiung aufgrund Rechtsmissbrauchs nicht auf das Gemeinschaftsrecht gestützt werden könne, da die Fälschung der Belege lediglich eine Umsatzsteuerhinterziehung im Empfängerstaat von Seiten der Abnehmer verursache. Das in diesem Zusammenhang ebenfalls angerufene BVerfG1219 äußerte – wie auch die vorgenannten Gerichte und ebenfalls zeitlich nach dem 1211 Füllsack in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 387. 1212 BGH v 20.11.2008 - 1 StR 354/08, wistra 2009, 159; siehe S. 215. 1213 FG Baden-Württemberg v. 11.03.2009 - 1 V 4305/08, StE 208, 325. 1214 Siehe Jäger in Klein, § 370, Rn. 381. 1215 FG Baden-Württemberg v. 11.03.2009 - 1 V 4305/08, StE 208, 325. 1216 Siehe auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1408.1. 1217 BFH v. 29.07.2009 - XI B 24/09, DStR 2009, 1693; siehe auch Winter, DB 2009, 1843, 1845. 1218 Füllsack in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 389. 1219 BVerfG v. 23.07.2009 - 2 BvR 542/09, BeckRS 2009, 36279.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Vorlagebeschluss des BGH – Zweifel an der BGH-Entscheidung. Kritisch wurde dabei insbesondere die Überschreitung der Wortgrenze des § 6a UStG angeführt. Infolgedessen wurde die Vollstreckung der vom BGH1220 verhängten Freiheitsstrafe einstweilig ausgesetzt. Aufgrund dieser widersprechenden Entscheidung des in diesem Fall zuständigen FG Baden-Württemberg legte der BGH1221 dem EuGH folgende bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend geklärte Rechtsfrage1222 als Vorabentscheidungsersuchen vom 07.07.2009 zur Entscheidung vor1223: „Ist Art. 28c Teil A Buchst. A der Sechsten Richtlinie in dem Sinne auszulegen, dass bei einer Lieferung von Gegenständen im Sinne dieser Vorschrift die Befreiung von der Mehrwertsteuer zu versagen ist, wenn die Lieferung zwar tatsächlich ausgeführt worden ist, aber aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der steuerpflichtige Verkäufer 1. wusste, dass er sich mit der Lieferung an einem Warenumsatz beteiligt, der darauf angelegt ist, Mehrwertsteuer zu hinterziehen, der 2. Handlungen vorgenommen hat, die darauf abzielten, die Person des wahren Erwerbers zu verschleiern, um diesem oder einem Dritten zu ermöglichen, Mehrwertsteuer zu hinterziehen?“ Damit stellte der BGH seine Entscheidung vom 20.11.20081224 auf den Prüfstand. In dem Vorlagebeschluss machte der BGH aber mehr als deutlich, dass er die vorbezeichnete Entscheidung nach wie vor für richtig hielt. Es handelt sich – wie oben ausgeführt – um die bislang einzige strafrechtliche Vorlage des BGH an den EuGH zum Themenkomplex der innergemeinschaftlichen Lieferung. Der EuGH hatte somit über die Frage zu befinden, ob eine Umsatzsteuerbefreiung nach den §§ 4, 6a UStG zu versagen ist, wenn eine Identitätsverschleierung des Erwerbers durch den Lieferanten zur Ermöglichung einer Umsatzsteuerhinterziehung vorliegt.1225 Der spanische Generalanwalt Villalón1226 schloss sich in seinen Schlussanträgen nicht der BGH-­ Auffassung an, sondern teilte dort mit, dass das Umsatzsteueraufkommen vor betrügerischen Handlungen auf andere Weise als durch eine 1220 BGH v. 20.11.2008 - 1 StR 354/08, wistra 2009, 159. 1221 BGH v. 07.07.2009 - 1 StR 41/09, DStR 2009, 1688.  1222 Vgl. Grube, jurisPR-SteuerR 13/2011 Anm. 5. 1223 Füllsack in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 390; Jäger in Klein, § 370, Rn. 381. 1224 BGH v. 20.11.2008 - 1 StR 354/08, wistra 2009, 159. 1225 Siehe Bürger/Paul, BB 2011, 540, 541 ff.; Höink/Adick, PStR 2011, 37; Walter/ Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 126; siehe auch Spatscheck/Höll, Steueranwaltsmagazin 2011, 64 f. 1226 Bülte, DB 2011, 442; Spatscheck/Höll, Steueranwaltsmagazin 2011, 64, 65, Fn. 10.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Versagung der im System festgelegten Steuerbefreiung geschützt werden muss.1227 Der EuGH entschied auf die ihm gestellte Frage mit Urteil vom 07.12.20101228, dass eine Umsatzsteuerbefreiung nach den §§ 4, 6a UStG zu versagen ist, wenn eine Identitätsverschleierung des Erwerbers durch den Lieferanten zur Ermöglichung von Umsatzsteuerhinterziehung gegeben ist. Hierbei handele es sich allerdings um eine Ausnahme von der ansonsten geltenden Regel, dass beim Nachweis einer Lieferung grds. Steuerfreiheit eintrete. Im Einzelnen führt der EuGH in dieser Entscheidung aus, dass „unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, wenn also eine innergemeinschaftliche Lieferung von Gegenständen tatsächlich stattgefunden hat, der Lieferer jedoch bei der Lieferung die Identität des wahren Erwerbers verschleiert hat, um diesem zu ermöglichen, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung […] die Mehrwertsteuerbefreiung für diesen Umsatz versagen [kann]“. In seiner Begründung stützt er dieses Ergebnis auf folgende Feststellungen: Zwar habe R – so der EuGH – bewiesen, dass „die gelieferten Gegenstände tatsächlich das deutsche Hoheitsgebiet verlassen haben, die Rechnungen und Erklärungen jedoch, die er der Finanzverwaltung als Beweise für innergemeinschaftliche Umsätze zukommen ließ, [waren] bewusst sachlich falsch.“ Dies könne das ordnungsgemäße Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems in Frage stellen. „Demzufolge verwehrt das Unionsrecht es den Mitgliedstaaten nicht, die Ausstellung unrichtiger Rechnungen als Steuerhinterziehung anzusehen und in einem solchen Fall die Befreiung zu versagen“. „Die Verweigerung der Befreiung in dem Fall, dass eine nach dem nationalen Recht vorgesehene Verpflichtung nicht eingehalten wurde – hier die Verpflichtung zur Angabe des wahren Empfängers der innergemeinschaftlichen Lieferung“ – habe – was der EuGH deutlich hervorhebt – „eine abschreckende Wirkung, die die Durchsetzung dieser Verpflichtung gewährleisten und Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen verhüten soll.“

1227 Jäger in Klein, § 370, Rn. 382. 1228 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, 850 ff.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Der EuGH stellt fest, dass „der Ausgangsmitgliedstaat der innergemeinschaftlichen Lieferung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die Steuerbefreiung gestützt auf die Befugnisse versagen [kann], die ihm nach […] der Sechsten Richtlinie zur Gewährleistung einer kor­ rekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch eingeräumt sind.“ „In bestimmten Fällen jedoch, in denen ernsthafte Gründe zu der Annahme bestehen, dass der mit der fraglichen Lieferung zusammenhängende innergemeinschaftliche Erwerb im Bestimmungsland – trotz gegenseitiger Amtshilfe und Zusammenarbeit zwischen den Finanzbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten – der Zahlung der Mehrwertsteuer entgehen könnte, muss der Ausgangsmitgliedstaat grundsätzlich dem Lieferer der Gegenstände die Befreiung verweigern und ihn verpflichten, die Steuer nachzuentrichten, um zu vermeiden, dass der fragliche Umsatz jeglicher Besteuerung entgeht.“ Der EuGH stellt weiter fest, „dass weder die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Rechtssicherheit noch der Grundsatz des Vertrauensschutzes den vorstehend getroffenen Feststellungen entgegenstehen. Ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer Steuerhinterziehung beteilige und das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährde, könne sich nicht mit Erfolg auf diese Grundsätze berufen.“ f) Bewertung der Entscheidung der Rechtssache R in der Literatur Der EuGH bestätigt damit die Sanktionierung dolosen Handelns selbst dann, wenn die Bedingungen des § 6a Abs. 1 UStG gegeben sind. Mit dieser Entscheidung hat sich der EuGH nicht – wie sonst weitgehend üblich – dem Schlussantrag des Generalanwalts angeschlossen.1229 Dieser hatte im Hinblick auf die andernfalls entstehenden Grundsatzverletzungen der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Territorialität Ausnahmen der Steuerbefreiung auch im Fall des kollusiven Zusammenwirkens abgelehnt. Die Ablehnung der Steuerbefreiung stelle eine Verletzung der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Grundsätze der Territorialität dar, da eine Doppelbesteuerung für den Fall entstehe, dass die Finanzbehörden im Bestimmungsland die dort zu entrichtende Steuer einziehen könnten. 1229 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1409.1; im Ergebnis auch Grube, jurisPR-­ SteuerR 13/2011 Anm. 5. 

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Das unterschiedliche Ergebnis beruht auf dem Umstand, dass der Generalanwalt der Fragestellung nachgeht, ob Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie auch subjektive Anforderungen für eine Steuerbefreiung vorsieht, der EuGH hingegen sich diese Frage überhaupt nicht stellt.1230 Dieser fokussiert den Aspekt, dass das physische Verlassen des Mitgliedstaats vom Steuerpflichtigen nachgewiesen werden müsse, und da die Richtlinie diesbezüglich keine Angaben enthalte, sei es Aufgabe der Mitgliedstaaten diese festzulegen. Zudem sei in der Rechtssache Twoh International BV1231 entschieden worden, dass es dem Steuerpflichtigen obliege, die Nachweise für das Vorliegen der Steuerbefreiung nach Art. 28c Teil A Buchst. a der Richtlinie zu erbringen.1232 Für die Festlegung dieser Nachweise gilt jedoch nach Art. 28c Teil A Buchst. a, 1. HS der Richtlinie die Maßgabe, dass diese der „Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie [der] Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch“ dienen. Die Prüfung hinsichtlich der Umsatzsteuerbefreiung hat daher in einem dreistufigen Verfahren zu erfolgen: Der Steuerpflichtige hat zunächst – auf einer ersten Stufe – die Buch- und Belegnachweise vorzulegen, welchen ein Anscheinsbeweis zukommt. So spricht bei deren vollständigem Vorliegen zunächst eine Beweisver­ mutung für die Erfüllung der Befreiungsbedingungen, welche allerdings vom Finanzamt bei entsprechenden Anhaltspunkten erschüttert werden kann.1233 In diesem Fall kann sich der Steuerpflichtige jedoch auf die Vertrauensschutzregel des § 6a Abs. 4 S. 1 UStG berufen, sofern Buch- und Belegnachweis vollständig erbracht worden sind.1234 Die zweite Stufe ist durch die Entscheidung in der Rechtssache Collée1235 entstanden, nach welcher die Steuerbefreiung nicht mit der Begründung abgelehnt werden kann, dass die formellen Nachweisvoraussetzungen nicht vorliegen; ausreichend ist der Nachweis der materiellen Bedingungen.1236

1230 Bürger/Paul, BB 2011, 540, 541. 1231 EuGH v. 27.09.2007 - C-184/05, ECLI:EU:C:2007:550, UR 2007, 782, siehe S. 206. 1232 Zustimmend hinsichtlich der Beweislastverteilung Bürger/Paul, BB 2011, 540, 541. 1233 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 112. 1234 BFH v. 15.07.2004 - V R 1/04, BFH/NV 2005, 81; v. 12.05.2011 - V R 46/10, DStR 2011, 1709; so auch Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 113. 1235 EuGH v. 27.09.2007 - C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549, UR 2007, 813; siehe S. 210 ff. 1236 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 113.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Die dritte Stufe schließlich stellt die Rechtssache R dar, nach welcher die Steuerbefreiung im Fall des kollusiven Zusammenwirkens ausgeschlossen ist. Der Finanzverwaltung obliegt jedoch die diesbezügliche Beweislast.1237 Das Gericht differenziert – auf der dritten Stufe – zwischen einer „Muss“und einer „Kann“-Besteuerung. Wenn der Lieferant dem Erwerber lediglich hilft, die Mehrwertsteuer zu hinterziehen, indem er die Identität verschleiert, darf der Ausgangsmitgliedstaat die Steuerfreiheit versagen.1238 Die Steuerbefreiung ist hingegen zwingend zu versagen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass die innergemeinschaftliche Warenlieferung sonst „jeglicher Besteuerung entgeht“. Die Möglichkeit der Versagung besteht hingegen in den Fällen, in denen durch eine Identitätsverschleierung des Erwerbers Steuern im Ausgangsmitgliedstaat hinterzogen werden. 1239 Ob in der Rechtssache R neben den Voraussetzungen der Kann-Besteuerung auch jene der Muss-Besteuerung gegeben sind, oblag der Entscheidung des BGH. Dieser1240 hat im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 07.12.2010 entschieden, dass in dieser Rechtssache auch die „Muss“-Besteuerung bejaht werden kann. Der EuGH1241 lässt die Versagung der Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung ausdrücklich nur deshalb zu, weil die Mitgliedstaaten nach der Generalklausel zur Missbrauchsverhinderung1242 die Bedingungen „zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch“ selbst festlegen dürfen. Diese Bedingungen können z.B. in Nachweisen oder aber in Angaben, Mitteilungen oder Erklärungen bestehen. Es stellt sich daher die Frage, ob der Verstoß gegen eine Erklärungspflicht oder gegen eine Nachweispflicht maßgeblich für die Besteuerung des R ist. Walter/Lohse/Dürrer1243 vertreten zu Recht die Ansicht, dass der EuGH sich im Urteil zur Rechtssache R für eine solche Verletzung ausgesprochen hat. Zur Begründung führen sie Rn. 50 des Urteils an, in welchem die „Verpflichtung zur Angabe des Empfängers“ erwähnt wird. Ein Verstoß von Seiten des R erfolgte durch 1237 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 113. 1238 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 126. 1239 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, 851 f.; siehe auch Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 126; Bülte, DB 2011, 442, 443; so im Ergebnis bezogen auf Deutschland Bülte, StBW 2011, 169, 172. 1240 BGH v. 20.10.2011 - 1 StR 41/09, wistra 2012, 114. 1241 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, 851. 1242 Art. 28c Teil A der 6. EG-RL (heute: Art. 131 MwStSystRL). 1243 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 126.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

„die Ausstellung unrichtiger Rechnungen“ (Rn. 47, 49). Sofern dieser Verpflichtung nicht entsprochen wird, kann ein Mitgliedstaat die Steuerbefreiung versagen, da es sich hierbei um eine Voraussetzung von Art. 131 MwStSystRL handelt. Allerdings finden sich in den Rn. 41, 46 und 48 des Urteils in der Rechtssache R auch Hinweise darauf, dass für den EuGH der ordnungsgemäße Nachweis des Erwerbers maßgeblich ist, wobei hieraus jedoch nicht zwingend folgt, dass den Belegnachweisen materiell-­ rechtlicher Gehalt zukommt. Seit der Rechtssache Collée1244 ist es gestattet, die Nachweise auch in Form von nicht in der UStDV aufgeführten Mitteln zu erbringen, und auch für den BGH1245 stellt die Entscheidung der Rechtssache R keine Änderung diesbezüglich dar.1246 Bürger/Paul1247 kritisieren, dass der EuGH im Zuge der von ihm beantworteten Frage eine im deutschen Umsatzsteuerrecht nicht vorhandene „Verpflichtung zur Empfängerbenennung“ statuiert. aa) Subjektive Anforderungen Höink/Adick1248 weisen darauf hin, dass es sich bei dem vom EuGH entschiedenen Fall um eine Sonderkonstellation handelt und die Aussagekraft der Entscheidung daher gering ist. So beziehe sich die Entscheidung auf einen eindeutig vorsätzlich handelnden Täter. Zudem beinhalten die meisten Konstellationen gerade keine Anhaltspunkte für kollusives Zusammenwirken. Bülte1249 ist der Ansicht, dass aus den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Optigen1250 und Kittel1251 hervorgeht, dass bewusstes und fahrlässiges Verhalten die gleichen Rechtsfolgen auslöst wie vorsätzliches Handeln. Nach Wulf1252 ist es völlig offen, welche Unterfallgruppen auf der o.g. dritten Stufe als rechtsmissbräuchlich anzusehen sind und somit die Versagung der Befreiung rechtfertigen. Dies betreffe „zum einen die Frage, 1244 EuGH v. 27.09.2007 - C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549, UR 2007, 813; siehe S. 210 ff. 1245 BGH v. 20.10.2011 - 1 StR 41/09, wistra 2012, 114. 1246 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 127. 1247 Bürger/Paul, BB 2011, 540, 543. 1248 Höink/Adick, PStR 2011, 37, 38 f. 1249 Bülte, DB 2011, 442, 443. 1250 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, 355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133. 1251 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274. 1252 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 115.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

ob der besondere Versagungsgrund auch dann gilt, wenn der [deutsche] Lieferant nicht bewusst mit seinem steuerunehrlichen Abnehmer zusammenwirkt, sondern lediglich fahrlässig handelt und hätte wissen können oder müssen, dass zum Schein ein [anderer Empfänger] zwischengeschaltet wurde.“ Bülte1253 sieht dies ebenso und merkt an, dass der EuGH lediglich auf die zweite Vorlagefrage eingeht und insofern keine Antwort auf die Frage gibt, ob auch bei einer vorsätzlichen Durchführung eines der Steuerhinterziehung dienenden Geschäfts keine Befreiung von der Umsatzsteuer erteilt werden darf, wenn der Lieferant keinen Beitrag dazu leistet, die tatsächlichen Lieferwege zu verschleiern. Eine Prognose dieser ausge­ bliebenen Antwort sei auch nicht ohne weiteres zu tätigen und ergebe sich auch nicht aus den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Optigen1254 und Kittel1255. Bürger/Paul1256 sehen darüber hinaus eine Divergenz zwischen dem Leitsatz und der Urteilsbegründung, da nach Ersterem für eine Versagung der Steuerbefreiung bereits die Absicht der Ermöglichung einer Steuerhinterziehung ausreiche, sich jedoch aus der Urteilsbegründung ergebe, dass diesbezüglich eine entsprechende Beteiligung erforderlich sei. So sei in Bezug auf die Praxisrelevanz fraglich, ob eine Beteiligung an einer mindestens versuchten Steuerhinterziehung vorliegen müsse oder bereits eine dementsprechende Absicht genüge. Darüber hinaus ist nach Bürger/ Paul die Schlussfolgerung zu kurz gegriffen, dass jemand, welcher eine unrichtige Rechnung ausstellt, auch Beteiligter an einer Steuerhinterziehung ist. Eine Steuerbefreiung, welche wegen einer nicht zutreffenden Rechnung versagt wird, führe auch zum Vorliegen einer Steuerverkürzung i.S.d. § 370 AO, jedoch sei mit der falschen Rechnungsausstellung noch keine Steuerhinterziehung verwirklicht bzw. könne darauf noch keine Versagung einer Steuerbefreiung gestützt werden. Sie mutmaßen, dass die Finanzbehörden infolge des Urteils in der Rechtssache R vermehrt Versagungen von Steuerbefreiungen aussprechen würden, sofern es Anhaltspunkte für unzutreffende Rechnungen gibt, da sich das Urteil nicht nur auf Konstellationen beziehe, in denen der Vorsatz bewiesen worden ist.1257 1253 Bülte, DB 2011, 442, 443. 1254 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, 355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133. 1255 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274. 1256 Bürger/Paul, BB 2011, 540, 544. 1257 A.A. zum letzten Aspekt Küffner/Streit, DStR 2010, 2575, 2576.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Das Hessische FG1258 sowie der BFH1259 fordern ein vorsätzliches Zusammenwirken für den Fall der Versagung der Steuerbefreiung, nach Ansicht des FG Münster1260 soll hingegen auch bei fahrlässigem Handeln die Steuerbefreiung ausgeschlossen sein. bb) Umsetzung in nationales Recht Damaschke1261 kritisiert, dass die Frage, ob im vorliegenden Fall die Umsatzsteuerbefreiung zu versagen ist, vom EuGH unbeantwortet blieb, da dieser lediglich darlegte, dass der Ausgangsmitgliedstaat die Steuerbefreiung versagen könne. Nach Damaschke ist relevant, auf welche Weise und zu welcher Zeit die Nachweise für die Steuerbefreiung zu erbringen sind und ob gesetzliche Gründe für die Versagung der Steuerbefreiung bei Vorliegen einer Straftat vorhanden sein sollen. So werde in der Literatur die Ansicht vertreten, dass sich eine Versagung der Steuerbefreiung nicht allein aufgrund des Urteils des EuGH ergibt. Dies verlange ein Tätig­ werden des Gesetzgebers. Zwar sei zwischenzeitlich der Regelungsinhalt von § 370 AO erweitert worden1262, so dass nach § 370 Abs. 6 Satz 3 und 4 AO eine Steuerhinterziehung ab dem 01.01.2011 in Deutschland auch dann gegeben ist, wenn das Handeln auf eine Hinterziehung der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsland ausgerichtet ist. Die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen könne dennoch ohne valide Rechtsgrundlage nicht versagt werden. Nach dieser Auffassung wäre nach der bis zum 31.12.2010 geltenden Rechtslage eine innergemeinschaftliche Lieferung immer dann steuerfrei zu belassen, wenn feststeht, dass die Lieferung in einem anderen Staat der EU erfolgt ist, und wenn dort die Voraussetzungen für eine Erwerbsbesteuerung gegeben sind. Nach Bürger/Paul1263 führen die vom EuGH angenommenen, aber nicht im nationalen Recht normierten Voraussetzungen zu erheblicher Rechtsunsicherheit, welcher nicht mit dem Argument begegnet werden könne, dass nur rechtstreuen Steuerpflichtigen Rechtssicherheit zukomme. Folglich könne nicht aus dem Schreiben falscher Rechnungen auf die Versagung der Steuerbefreiung mit den entsprechenden strafrechtlichen 1258 FG Hessen v. 14.04.2011 - 6 K 1390/09 nv, zitiert nach Wulf, Steueranwalt 2013/​ 2014, S. 85, 114. 1259 BFH v. 17.02.2011 - V R 30/10, DStR 2011, 1310. 1260 FG Münster v. 02.09.2010 - 5 K 1129/05 U, EFG 2011, 185. 1261 Damaschke, StBW 2011, 169, 171.  1262 Siehe S. 292 f. 1263 Bürger/Paul, BB 2011, 540, 543.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Konsequenzen geschlossen werden, ohne dass eine entsprechende Rechtsgrundlage gegeben ist. cc) Steuersystematische Bedenken Küffner/Streit1264 sehen in der Entscheidung des EuGH zur Rechtssache R einen Verstoß gegen die Systematik der Umsatzsteuer. Die Ablehnung der Steuerbefreiung verstoße gegen die Aufteilung des Besteuerungsrechts zwischen den beiden involvierten Mitgliedstaaten. Durch die ­Besteuerung des Umsatzes im Ausgangsstaat erhält die Steuererhebung einen Sanktionscharakter, welcher dem Wesen der Umsatzsteuer unbekannt sei. Bürger/Paul1265 erachten es als problematisch, dass die objektiv durchzuführende Prüfung, ob die Bedingungen der §§ 4, 6a UStG erfüllt sind, von subjektiven Merkmalen abhängig gemacht werden. Dies sei mit den Grundsätzen der Neutralität und Territorialität nicht zu vereinbaren. Auch die im Urteil in der Rechtssache R getroffene Aussage des EuGH, dass sich ein an einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung Beteiligter nicht auf die Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Neutralität und der Rechtssicherheit berufen kann, stößt bei Bürger/Paul auf Missfallen. So sei diese Aussage insbesondere im Hinblick auf den Neutralitätsgrundsatz nicht nachvollziehbar, da nach dem Schlussantrag des General­ anwalts Villalón – losgelöst vom Tätigkeitsergebnis – eine vollständige Entlastung des Lieferanten von der entrichteten oder geschuldeten Umsatzsteuer zu erfolgen habe. Darüber hinaus werde durch die Einräumung eines Besteuerungsrechts des Ausgangsmitgliedstaats der Territorialitätsgrundsatz erheblich in Zweifel gezogen. Sie sprechen sich dagegen aus „die Geltung der dem Mehrwertsteuersystem immanenten objektiven Grundsätze zum Spielball einzelstaatlicher finanzverwaltungsrechtlicher und gerichtlicher Einzelfallbeurteilung zu machen“. dd) Strafrechtliche Bedenken In der Literatur stößt die Entscheidung auf zahlreiche Kritik1266. So bestehen in strafrechtlicher Hinsicht Zweifel an der Einhaltung von Art. 103 Abs. 2 GG, da das Merkmal „kollusives Handeln“ § 6a UStG nicht zu

1264 Küffner/Streit, DStR 2010, 2575; kritisch auch Korf, IStR 2011, 30.  1265 Bürger/Paul, BB 2011, 540, 543 f.; so auch Füllsack/Braun in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 392. 1266 Siehe zur Rechtssache R unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung von BFH und BVerfG Reiß in FG List, S. 148, 159 f.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

entnehmen sei.1267 Diese Vorschrift werde um das subjektive Merkmal des „wissen oder hätte wissen müssen“ ergänzt, welches mit ihrem Wortlaut nicht vereinbar sei.1268 Bülte1269 weist darauf hin, dass das EuGH-Urteil zu potenziellen strafrechtlichen Folgen hingegen keine Angaben macht. Er mutmaßt ebenfalls, dass das BVerfG eine Strafbarkeit wegen Umsatzsteuerhinter­ ziehung mit Verweis auf einen Verstoß gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG ablehnen würde. Darüber hinaus ließe sich für eine Straffreiheit auch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Halifax1270 anführen, nach welcher für Sanktionen, die über die Steuerrückzahlungspflicht hinausgehen, eine eindeutige Rechtsgrundlage erforderlich sei. Dies habe jedoch die Konsequenz, dass es nach jeder durch den EuGH vorgenommenen Auslegung unionsrechtlich harmonisierter Vorschriften das Steuerrecht betreffend einer Umsetzung in der nationalen Gesetzgebung bedarf, um Divergenzen zwischen Steuerstrafrecht und Steuerrecht zu vermeiden. Infolgedessen sei es in Erwägung zu ziehen, eine mögliche Strafe mit Hinweis auf die Missbrauchsrechtsprechung des EuGH nicht an fehlender Bestimmtheit scheitern zu lassen. Bürger/Paul1271 weisen darauf hin, dass sich in strafrechtlicher Hinsicht ein Einfallstor öffnet, da als Gründe für eine Ablehnung der Umsatzsteuerbefreiung nun auch die von der Rechtsprechung entwickelten und nicht in Gesetz oder Richtlinie niedergelegten Bedingungen herangezogen werden könnten. Bülte1272 fragt ferner danach, ob denn überhaupt „Steuern verkürzt“ sind. Dem Wortlaut der Entscheidung in der Rechtssache R sei der Begriff der „abschreckenden Maßnahme“ im Zusammenhang mit der Verweigerung der Steuerbefreiung zu entnehmen, sodass dies möglicherweise als eine Form von Strafe gewertet werden könnte. Die Versagung der Steuerbefreiung sei eine sanktionsähnliche Maßnahme durch den EuGH. § 370 AO schütze aber nur das Steueraufkommen und nicht die Durchsetzung eines staatlichen Sanktionsanspruchs. Dies gelte auch dann, wenn dieser von der Höhe der Steuerschuld bestimmt ist und untrennbar damit zusammenhängt. Wer aber einen Steuerbefreiungsanspruch geltend macht, 1267 Bülte, BB 2010, 1759; Höink/Adick, PStR 2011, 37, 40; Wagner in Simon/Wagner, S. 15; a.A. Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 128. 1268 Bülte, BB 2010, 1759, 1764; Höink/Adick, PStR 2011, 37, 40. 1269 Bülte, DB 2011, 442, 443 f. 1270 EuGH v. 21.02.2006 - C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420. 1271 Bürger/Paul, BB 2011, 540, 544. 1272 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 393.

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obwohl ihm dieser aus Sanktionsgründen nicht zusteht, der verkürze keine Steuern, weil Sanktionen nun einmal keine Steuern i.S.v. § 370 AO sind. Für diesen Fall bedürfte es eines eigenen Straftatbestands. ee) Nachträgliche Besteuerung im Bestimmungsland („unterliegen“) Fraglich ist, ob und unter welchen Voraussetzungen das „Unterliegen“ im Bestimmungsland nachträglich herbeigeführt werden kann. Von der Bejahung dieser Voraussetzungen (Muss- bzw. Kann-Besteuerung) kann nach einer Literaturauffassung aber in den Fällen Abstand genommen werden, in denen nachträglich eine Besteuerung des Empfängers im Bestimmungsland oder eine Benennung des Empfängers erfolgt.1273 Eine Besteuerung des Empfängers bedeute in diesem Fall, dass es den Finanzbehörden im Bestimmungsland gelingt, die Steuern von den tatsäch­ lichen Erwerbern zu erlangen. Ausreichend sei dabei, dass an den tatsächlichen Erwerber ein Verwaltungsakt ergeht, welcher sich auf den innergemeinschaftlichen Erwerb bezieht. Hierbei könne die Voraussetzung des Unterliegens i.S.d. § 6a Abs. 1 Nr. 3a UStG nachträglich bejaht werden, sodass aufgrund einer Sachverhaltsänderung die bereits entstandene Steuerschuld nachträglich entfällt. Die nachträgliche Benennung des Empfängers erfasse die Konstellation, dass der Lieferant im Nachhi­ nein den wahren Empfänger auf den Zusammenfassenden Meldungen und Rechnungen angibt. Aufgrund des Umstands, dass die Erfüllung der Bedingungen des § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG fristlos möglich ist, sei diese Konstellation so zu werten, als wäre von Anfang an der richtige Erwerber mitgeteilt worden. Strafrechtlich betrachtet sind zwei Folgen möglich: Einerseits ist nach erfolgter Verurteilung ein Wiederaufnahmeverfahren nach § 359 Nr. 5 StPO möglich; andererseits kann das Verfahren vor der Verurteilung ­mittels eines Strafaufhebungsgrunds beendet werden. Letzteres scheitert allerdings an dem Umstand, dass die Vollendung der Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 4 AO bereits mit Zugang der falschen Umsatzsteuervoranmeldung beim Finanzamt gegeben ist. Daher ist eine Strafbefreiung lediglich in Form einer Selbstanzeige nach § 371 AO möglich, die indes engen Voraussetzungen unterliegt.1274 Eine Strafmilderung würde dies aber dennoch bewirken.

1273 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125.  1274 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 128; zur Selbstanzeige siehe S. 407 ff.

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ff) Nationale Folgerechtsprechung Im Anschluss an das Urteil des EuGH v. 07.12.2010 hat der BGH mit Beschluss vom 20.10.20111275 die Revision verworfen und die Verur­ teilung bestätigt.1276 Hierbei hat der BGH – wie auch in einer weiteren Entscheidung vom 19.03.20131277 – als weitere Fallgruppe neben dem kollusiven Zusammenwirken auch die „einseitige Verschleierung des wahren Leistungsempfängers durch den inländischen Lieferanten“ durch die Ausstellung von Rechnungen auf falsche Erwerberfirmen anerkannt.1278 Diese Rechtsprechung des EuGH übernahm dann das BVerfG mit Entscheidung vom 16.06.20111279 zu einer Verfassungsbeschwerde – ent­ gegen der Entscheidung des BVerfG im einstweiligen Rechtsschutz. So verwarf das BVerfG die Verfassungsbeschwerde als unbegründet und begründete seine Entscheidung damit, dass vorliegend kein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG angenommen werden könne, und stellte darüber hinaus fest, dass die Grenzen des Wortlauts von § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG noch gewahrt sind. Im Übrigen entspreche die Auslegung durch den BGH der inzwischen verbindlichen Auslegung durch den EuGH, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Auch der BFH1280 hat sich der Rechtsprechung des EuGH1281 angeschlossen und lehnt eine Steuerbefreiung ab, wenn der Lieferant „die Identität des wahren Erwerbers durch unrichtige Angaben zum Abnehmer“ verschleiert hat, um es diesem zu ermöglichen, die „Mehrwertsteuer [im Bestimmungsland] zu hinterziehen.“ Die Nichterklärung der Umsatzsteuer auf den innergemeinschaftlichen Erwerb im Bestimmungsland1282 oder alleine die Kenntnis oder das Kennenmüssen von einer Steuer­ hinterziehung des Erwerbers1283 soll allerdings noch nicht reichen, um 1275 BGH v. 20.10.2011 - 1 StR 41/09, wistra 2012, 114. 1276 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 495; siehe auch Adick, PStR 2012, 9. 1277 BGH v. 19.03.2013 - 1 StR 318/12, wistra 2013, 463. 1278 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 114. 1279 BVerfG v. 16.06.2011 - 2 BvR 542/09, NJW 2011, 3778; siehe ferner Adick/Höink, PStR 2011, 280.; Treiber, MwSt 2015, 626, 632. 1280 BFH v. 17.02.2011 - V R 28/10, BFH/NV 2011, 1448; v. 11.08.2011 - V R 50/09, BFHE 235, 32; v. 11.08.2011 - V R 19/10, BFHE 235, 50; v. 09.03.2012 - V S 21/11, BFH/NV 2012, 1191; so auch BFH v. 24.06.2014 - XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584, 1586. 1281 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, 850 ff. 1282 BFH v. 17.02.2011 - V R 30/10, DStR 2011, 1310. 1283 BFH v. 21.05.2014 - V R 34/13, NZWiSt 2015, 111.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

die Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zu versagen, was jedoch von Treiber1284 im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH1285 kritisiert wird. gg) Fazit Abschließend lässt sich feststellen, dass durch das Urteil in der Rechtssache R1286 die Möglichkeit der Steuerversagung in den Fällen geschaffen wird, in welchen der Erwerber eine ernsthafte Gefährdung der Umsatz­ besteuerung im Bestimmungsland durch die Verschleierung in Form von Scheinrechnungen und Falschangaben verursacht. Dies ist möglich durch die europarechtskonforme einschränkende Auslegung des in § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG enthaltenen Begriffs des „Unterliegens“. In strafrechtlicher Hinsicht liegt sowohl eine Steuerhinterziehung zum Nachteil des Bestimmungslands (keine Erwerbsbesteuerung des wahren Empfängers) als auch zum Nachteil von Deutschland (keine Steuerbefreiung der Lieferung) vor. Durch die fehlende Benennung des tatsächlichen Erwerbers macht sich der deutsche Exporteur allerdings lediglich wegen eines Unterlassungsdelikts (unterlassene Benennung des wahren Empfängers in der Zusammenfassenden Meldung) strafbar, nicht wegen einer Tat durch aktives Tun, wobei hinsichtlich Letzterer das Strafbarkeitsrisiko nach Ansicht von Walter/Lohse/Dürrer1287 erheblich zugenommen hat. Ihrer Ansicht nach entsteht durch die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch die Tätigung von falschen Angaben in Deutschland eine Asymmetrie zwischen Strafrecht und Steuerrecht, da der deutsche Exporteur sich lediglich die Verletzung einer Erklärungspflicht zu Schulden kommen lässt, hingegen das Bestimmungsland den Steuerverlust erleidet. Stimmig sei hingegen eine Strafbarkeit einer Teilnahme an der Steuerhinterziehung im Bestimmungsland. Aufgrund des Umstands, dass die Asymmetrie ihre Ursache zum einen in der für die Exporteure vorteilhaften Öffnung der innereuropäischen Grenzen habe und sie zum anderen die Asymmetrie selbst beeinflussen können, sei das Vorliegen dieses Umstands jedoch akzeptabel.

1284 Treiber, MwStR 2015, 626, 633. 1285 EuGH v. 06.09.2012 - C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547, UR 2012, 796, siehe nachstehend S. 231 f.; v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, siehe S. 235 ff. 1286 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846. 1287 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 132.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

g) Jüngere Rechtsprechung des EuGH In der Rechtssache Mahagében und Dávid hat der EuGH mit Urteil vom 21.06.20121288 entschieden, dass Einschränkungen des Vorsteuerabzugs, welcher ein „integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer“ ist, grds. nicht zulässig sind. Dies insbesondere nicht wegen Unregelmäßigkeiten beim Rechnungsaussteller. Der Vorsteuerabzug sei jedoch dann zu verweigern, wenn der Steuerpflichtige hinsichtlich des vorsteuerrelevanten Umsatzes von der Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung wusste oder hätte wissen müssen. Zwar bestehe von Seiten des Steuerpflichtigen eine Nachforschungspflicht, sofern Unregelmäßigkeiten vorliegen, die Steuerbehörde kann jedoch nicht generell eine Prüfung auf Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehungen auf der Vorstufe des Umsatzes verlangen, da der Steuerbehörde selbst die Durchführung von Kontrollen1289 sowie die Nachweispflicht der Kenntnis bzw. des Kennenmüssens des Steuerpflichtigen obliegen. Die Rechtssache Mecsek-Gabona (EuGH-Urteil vom 06.09.20121290) betrifft unter anderem die Frage, ob es für die Steuerfreiheit vom Standpunkt des Veräußerers genügt, „dass er überprüft, ob die veräußerte Ware mit Fahrzeugen abgeholt wird,“ die ein im Ausland zugelassenes Kennzeichen haben, „und er über CMR-Frachtbriefe verfügt, oder ob er sich darüber hinaus zu vergewissern hat, dass die veräußerten Gegenstände die Grenze überschritten haben und die Beförderung innerhalb des Gemeinschaftsgebiets erfolgt ist.“ Dem von der ungarischen Finanzverwaltung aufgestellten Erfordernis, dass der Unternehmer sich vergewissern muss, dass die Ware im Bestimmungsland angekommen ist, entsprach der EuGH nicht. Einen solchen Nachweis könne der Unternehmer in der Regel nicht erbringen und es sei unverhältnismäßig, einen solchen zu verlangen.1291 Zudem sei der Unternehmer in Abholfällen von den Abgaben des Erwerbers abhängig. Ferner führt der EuGH aus, dass für die Erlangung der Steuerbefreiung nicht Voraussetzung ist, dass der Erwerber zum Zeitpunkt der Lieferung im Besitz einer Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ist. Es handele sich hierbei „um ein formelles Erfordernis, das den Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung nicht in Frage stellen kann, sofern die materiellen Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllt sind“. Zwar habe im vorliegenden Fall eine gültige 1288 EuGH v. 21.06.2012 - C-80/11 und C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373, DStRE 2012, 1336, 1340. 1289 Siehe auch Madauß, NZWiSt 2013, 109, 110. 1290 EuGH v. 06.09.2012 - C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547, UR 2012, 796. 1291 EuGH v. 06.09.2012 - C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547, UR 2012, 796, 799 f.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Umsatzsteuer-Identifikationsnummer existiert, jedoch sei es auch unschädlich, wenn diese rückwirkend gelöscht wurde, da Registerunregelmäßigkeiten nicht zur Versagung der Steuerbefreiung führen könnten. Andernfalls liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. In der Rechtssache Bonik EOOD1292 hat der EuGH entschieden, dass – sofern der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte, dass seine Lieferung in eine Lieferkette eingebunden war, bei welcher bei irgendeiner nachfolgenden oder vorangehenden Lieferung eine Umsatzsteuerhinterziehung vorgelegen habe – der Vorsteuerabzug zu versagen ist. Die Finanzbehörde müsse jedoch dabei die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen dem Steuerpflichtigen nachweisen. Bei der Rechtssache Traum EOOD1293 hatte der EuGH über den Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zu entscheiden. Diesem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die bulgarische Firma Traum EOOD lieferte Waren an die griechische Gesellschaft Evangelos gaitadzis. Diesbezüglich trug sie in ihre Steuererklärungen zwischen dem 01.09. und 31.10.2009 steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen ein. Die zuständige Steuerbehörde gewährte die begehrte Steuerbefreiung nach Vorlage zweier Rechnungen mit den nach bulgarischem Mehrwertsteuerrecht erforderlichen Unterlagen für die Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung. Dies waren die internationalen Frachtbriefe, eine Bescheinigung über den Erwerb der Waren sowie Übergabe- und Annahmeprotokolle. Eine Überprüfung der griechischen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer durch die bulgarischen Steuer­ behörden mittels der elektronischen Datenbank des Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystems (MIAS) am 07.10.2009 ergab, dass seit dem 15.11.2005 für Evangelos eine gültige Mehrwertsteuernummer vorlag. Allerdings zeigte Evangelos keinen innergemeinschaftlichen Erwerb an. Im Rahmen einer späteren Steuerprüfung stellte die gleiche bulgarische Steuerbehörde nachträglich fest, dass für diese Gesellschaft seit dem 15.01.2006 eine Erfassung für Mehrwertsteuerzwecke fehlte, da diese rückwirkend aus dem Register gelöscht wurde. Daraufhin erfolgte am 17.05.2011 eine Steuerfestsetzung durch die bulgarischen Steuerbehörden, in welcher sie die Verkaufsumsätze der Traum EOOD gegenüber der Evangelos im Nachhinein besteuerte. Hinsichtlich der von der Traum EOOD vorgelegten Unterlagen kritisierte sie, dass diese weder Auskunft über Position, Vertretungsmacht und Identität der die Ware annehmen1292 EuGH v. 06.12.2012 - C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774, UR 2013, 195. 1293 EuGH v. 09.10.2014 - C-492/13, ECLI:EU:C:2014:2267, MwStR 2014, 795.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

den Person bei Evangelos noch die genaue Anschrift enthielten. Darüber hinaus bemängelte die Steuerbehörde, dass es an einer schriftlichen Annahmebestätigung vom Erwerber sowie an einem Nachweis der Beförderung des Gegenstands fehlt. Der EuGH hat entschieden, dass eine einmal erteilte Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung, welche den Vorgaben des jeweiligen nationalen Rechts entspricht, aus Vertrauensschutzgesichtspunkten sowie nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit nicht im Nachhinein wieder mit der Begründung entzogen werden kann, dass die zunächst vorgelegten Dokumente nunmehr nicht mehr ausreichend sind. Umgekehrt müsse eine Steuerbefreiung erteilt werden, sofern der Steuerpflichtige die diesbezüglichen nationalen Nachweispflichten erbringt. Darüber hinaus liege ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor, wenn ein Lieferant nur deshalb die Mehrwertsteuer zu entrichten hat, weil es zu einer rückwirkenden Löschung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Erwerbers gekommen ist. Etwas anderes gelte nur, wenn die Traum EOOD von ihrer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung wusste oder hätte wissen müssen und keine entsprechenden ihr zumutbaren und zur Verfügung stehenden Verhinderungsmaßnahmen unternommen hat. Zudem hat der EuGH in dieser Entscheidung festgestellt, dass ein Steuerpflichtiger sich direkt auf die Vorschrift des Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL beziehen kann, da diese als begünstigende Regelung unmittelbare Wirkung entfaltet. Grube1294 sieht in dem Urteil zunächst eine Bestätigung der bisherigen EuGH-Rechtsprechung. Demnach beinhalte die Vorschrift des Art. 131 Abs. 1 MwStSystRL1295 sowohl eine Ermächtigung zur selbstständigen Festlegung der Nachweispflichten hinsichtlich der Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen als auch eine Verpflichtung, dass diese Vorschriften den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, des Vertrauensschutzes sowie der Rechtssicherheit genügen müssen. Nach Ansicht von Grube entspricht die deutsche Rechtslage diesen Vorgaben, insbesondere seien die die Nachweispflichten regelnden §§ 17a ff. UStDV zum 01.10.2013 neu formuliert worden und Abschnitt 6a.8. UStAE beinhalte eine Vertrauensschutzregelung nach Maßgabe des EuGH-Urteils in der Rechts­sache Traum EOOD.

1294 Grube, MwStR 2014, 799 f. 1295 Siehe S. 185.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Spatscheck/Stenert1296 weisen darauf hin, dass aus der EuGH-Entscheidung hervorgeht, dass über das nationale Recht hinausgehende Ver­ pflichtungen gegenüber dem Steuerpflichtigen nicht zulässig sind. Es bedürfe hierzu einer Änderung der BFH-Rechtsprechung, welche bisher eine Steuerbefreiung in den Fällen versagte, in denen eine Überprüfung der Nachweise Fehler aufdeckte bzw. die Richtigkeit der Angaben zweifelhaft erschien. Dies gelte selbst dann, wenn in formeller Hinsicht der Beleg- und Buchnachweis ordnungsgemäß erbracht worden ist. Bei der Einschränkung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes, wenn der Steuerpflichtige „wusste oder hätte wissen müssen, dass der von [ihm] bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung der Erwerberin verknüpft war und [er] nicht alle [ihm] zur Verfügung stehenden zumut­ baren Maßnahmen ergriffen hat, um diese zu verhindern“1297, ist nach Ansicht von Spatscheck/Stenert1298 auf das Wort „und“ besonderes Augenmerk zu legen. Die Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns sei erst dann von Bedeutung, wenn zwischen dem Umsatz des Steuerpflichtigen eine Verbindung zu einer Steuerhinterziehung bestand und er hiervon zumindest hätte Kenntnis haben müssen. Darüber hinaus stelle der EuGH fest, dass es primär Aufgabe der Finanzbehörden sei, die Verhinderung der Umsatzsteuerhinterziehung zu gewährleisten. Die Einbeziehung des Steuerpflichtigen in diese Aufgabe sei nur im Rahmen der gesetzlich normierten Vorgaben möglich, soweit kein Wissen oder Wissenmüssen von der Umsatzsteuerhinterziehung gegeben ist. Nach Ansicht von Grube1299 hat der BFH1300 unter Bezugnahme auf den EuGH bereits in der Vergangenheit und entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung entschieden, dass das Fehlen der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer alleine nicht zur Versagung der Steuerbefreiung ausreicht, sofern der Erwerber gutgläubig ist, er alles ihm Zumutbare zur Erlangung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer unternommen hat und er schließlich Nachweise dafür erbringt, dass es sich bei ihm um einen Steuerpflichtigen handelt und er in dieser Eigenschaft bei dem Erwerbsvorgang aufgetreten ist. Spatscheck/Stenert1301 weisen darauf hin, dass selbst dann, wenn eine Steuerhinterziehung vorliegt, Vertrauensschutz nicht bereits dann zu 1296 Spatscheck/Stenert, DStR 2015, 104, 105 f. 1297 EuGH v. 09.10.2014 - C-492/13, ECLI:EU:C:2014:2267, MwStR 2014, 795, 799. 1298 Spatscheck/Stenert, DStR 2015, 104, 106. 1299 Grube, MwStR 2014, 799, 800. 1300 BFH v. 28.05.2013 - XI R 11/09, MwStR 2013, 549, 550. 1301 Spatscheck/Stenert, DStR 2015, 104, 106.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

versagen ist, wenn der Unternehmer unsorgfältig gewesen ist. Vielmehr komme es darauf an, ob der Steuerpflichtige von der Steuerhinterziehung des Erwerbers wusste oder hätte wissen müssen. In Begrifflichkeiten des nationalen Steuerrechts gesprochen bedeute dies: Der Steuerpflichtige müsse die Steuerhinterziehung nicht nur fahrlässig („wissen können“), sondern mindestens aus Leichtfertigkeit i.S.v. § 378 AO nicht erkannt haben. Leichtfertig handele der, dem sich aufdrängen muss, „dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft ist“.1302 Grube1303 erachtet es schließlich als besonders praxisrelevant, dass eine Berufung auf Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL unmittelbar möglich ist, sollten die nationalen Vorgaben nicht mit den europarechtlichen deckungsgleich sein. h) Rechtssache Schoenimport Italmoda (EuGH v. 18.12.2014) In der Rechtssache Schoenimport Italmoda1304 ging es um die Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Fall der Beteiligung an einem Umsatz, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen ist. Der Entscheidung des EuGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Das niederländische Unternehmen Schoenimport Italmoda war eigentlich im Schuhgeschäft tätig, handelte aber 1999 und 2000 auch mit Datenverarbeitungsmaterial. Dieses erwarb es in den Niederlanden und in Deutschland. Für die – für die Entscheidung nicht weiter erheblichen –niederländischen Waren machte Italmoda die Vorsteuer in den entsprechenden Steuererklärungen geltend und führte alle notwendigen Anmeldungen durch. Den deutschen Lieferanten gegenüber verwendete Italmoda die niederländische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und ließ die Ware direkt nach Italien zu den dortigen Abnehmern transportieren, die alle Unternehmer waren. Diesbezüglich erklärte Italmoda jedoch weder in Deutschland eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (nach den Niederlanden) noch in den Niederlanden einen innergemeinschaftlichen Erwerb. Da auch die Erwerber in Italien keine Anmeldung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs vornahmen und auch keine Mehrwertsteuer entrichteten, versagten die italienischen Behörden den Erwerbern das Recht auf Vorsteuerabzug. Die niederländischen Steuerbehörden waren der Ansicht, „Italmoda sei wissentlich an einem Steuerbetrug beteiligt gewesen, mit dem in Ita1302 EuGH v. 06.09.2012 - C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547, UR 2012, 796. 1303 Grube, MwStR 2014, 799, 800. 1304 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

lien Mehrwertsteuer habe hinterzogen werden sollen“. Sie versagten Italmoda daher sowohl die Steuerbefreiung für die Lieferungen nach Italien als auch das Recht auf Vorsteuerabzug (aus dem innergemeinschaftlichen Erwerb der Lieferung aus Deutschland) und das Recht auf Erstattung für die auf Waren aus Deutschland gezahlte Mehrwertsteuer. Mit Urteil vom 18.12.2014 hat der EuGH1305 entschieden, „dass die nationalen Behörden und Gerichte einem Steuerpflichtigen im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Recht auf Vorsteuerabzug, auf Mehrwertsteuerbefreiung oder auf Mehrwertsteuererstattung versagen müssen, sofern anhand objektiver Umstände nachgewiesen ist, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung des betreffenden Rechts beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat.“ Dies gelte auch, wenn das na­ tionale Recht keine Bestimmungen enthalte, die eine solche Versagung vorsehen. Der EuGH hat ferner entschieden, dass in diesen Fällen „diese Rechte ungeachtet der Tatsache versagt werden können, dass die Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat als dem begangen wurde, in dem diese Rechte beansprucht werden.“ Dies gelte auch dann, wenn „der Steuerpflichtige in letzterem Mitgliedstaat die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen formalen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Rechte erfüllt hat.“ Als Begründung für seine Entscheidung führt der EuGH1306 an, „dass eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht nicht erlaubt ist“ und die „Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen ein Ziel ist, das von der 6. EG-­ Richtlinie anerkannt und gefördert wird“. Eine betrügerische oder missbräuchliche Berufung auf das Unionsrecht sei nicht erlaubt. Er verweist hierzu auf seine Entscheidungen in den Sachen Halifax1307, Kittel und Recolta Recycling1308 sowie Mahagében und Dávid1309.

1305 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 113. 1306 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 110. 1307 EuGH v. 21.02.2006 - C‐255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420, siehe S. 202 f. 1308 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274, siehe S. 204 f. 1309 EuGH v. 21.06.2012 - C-80/11 und C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373, DStRE 2012, 1336, siehe S. 231.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Er habe – so der EuGH1310 – „in ständiger Rechtsprechung zum Vorsteuerabzugsrecht aus der 6. EG-Richtlinie hergeleitet, dass die nationalen Behörden und Gerichte dieses Recht zu versagen haben, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass es in betrügerischer Weise geltend gemacht wird.“ Hierzu verweist der EuGH unter anderem auf seine Entscheidungen in den Sachen Kittel und Recolta Recycling sowie Bonik1311. Der EuGH1312 verweist zudem darauf, dass er bereits in den Urteilen R1313 und Mecsek-Gabona1314 ausgeführt hat, „dass ein Missbrauch oder Betrug diese Folge grundsätzlich auch für das Recht auf Mehrwertsteuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung hat“. Ferner – so der EuGH1315 – haben die nationalen Behörden und Gerichte in den Fällen der missbräuchlichen oder betrügerischen Berufung auf solche Rechte diese generell zu versagen. Dem stehe auch die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht entgegen. Dies gelte nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Kittel und Recolta Recycling1316 sowie Bonik1317) „nicht nur dann, wenn der Steuerpflichtige selbst eine Steuerhinterziehung begeht, sondern auch, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligte, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war“. Diese Verpflichtung treffe die nationalen Behörden und Gerichte selbst dann, wenn die nationale Rechtsordnung keine entsprechenden Sonderbestimmungen enthält. In rechtstechnischer Hinsicht führt der EuGH1318 zum einen an, dass die nationalen Gerichte zur richtlinienkonformen Auslegung dergestalt verpflichtet sind, „das nationale Recht so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und der Zielsetzung der betreffenden Richtlinie auszulegen, um das mit dieser verfolgte Ziel zu erreichen“. Somit obliege dem nationalen Gericht die Feststellung, ob sich im nationalen Recht Regelungen

1310 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 110. 1311 EuGH v. 06.12.2012 - C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774, UR 2013, 195, siehe S. 232. 1312 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 110. 1313 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, siehe S. 215 ff. 1314 EuGH v. 06.09.2012 - C-273/11, ECLI:EU:C:2012:547, UR 2012, 796, siehe S. 231 f. 1315 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 111 ff. 1316 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274. 1317 EuGH v. 06.12.2012 - C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774, UR 2013, 195. 1318 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 112.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

zu Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder dem Verbot des Rechtsmissbrauchs finden, welche im Lichte des Unionsrechts auszulegen sind. Sofern das nationale Recht aber keine solchen konform auslegbaren Regeln enthält, ist nach Ansicht des EuGH das EU-Recht unmittelbar anzuwenden. Er begründet dies damit, dass eine bloße Rechtsversagung für den Betroffenen keine Verpflichtung begründet. Da der Steuerpflichtige eine Steuerhinterziehung hinsichtlich des in Rede stehenden Umsatzes begangen habe, könne er nicht die Rechte aus der 6. EG-Richtlinie für sich beanspruchen, „da diese Konsequenz als diesem System inhärent anzusehen ist“. „Da missbräuchliche oder betrügerische Tätigkeiten kein in der Unionsrechtsordnung vorgesehenes Recht begründen können, bedeutet die Versagung eines sich hier aus der Sechsten Richtlinie erge­ benden Vorteils nicht, dass dem Einzelnen eine Verpflichtung auferlegt wird“. Die Versagung sei vielmehr „die schlichte Folge der Feststellung, dass die objektiven Voraussetzungen für die Erlangung des angestrebten Vorteils, die in dieser Richtlinie in Bezug auf dieses Recht vorgeschrieben sind, in Wirklichkeit nicht erfüllt sind“. Hierzu verweist der EuGH auf die Entscheidung Kittel und Recolta Recycling1319. Schließlich sei es von Seiten eines Steuerpflichtigen im Hinblick auf die Rechtsversagung nicht möglich, sich auf die Rechtssicherheit oder den Vertrauensschutz berufen zu können, sofern dieses Recht nur aufgrund seines betrügerischen Handelns entstanden ist.1320 Da „die Versagung eines sich aus dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem ergebenden Rechts im Fall der Beteiligung des Steuerpflichtigen an einer Steuerhinterziehung die schlichte Folge dessen ist, dass die insoweit nach den einschlägigen Bestimmungen der Sechsten Richtlinie vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, hat diese Versagung […] nicht den Charakter einer Strafe oder Sanktion.“ Es gebe – so der EuGH – keinen objektiven Grund, dies anders zu sehen, „nur weil sich die von der Steuerhinterziehung betroffene Lieferkette auf zwei oder mehr Mitgliedstaaten erstreckte oder der Umsatz, durch den die Mehrwertsteuerhinterziehung begangen wurde, in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte“. Ebenso unerheblich sei es, dass „die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen formalen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Rechte erfüllt“ sind. Mehrwertsteuerhinterziehungen des Typs „Karussell“ seien häufig dadurch gekennzeichnet, 1319 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274, siehe S. 204 f. 1320 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 113.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

dass sie im Rahmen innergemeinschaftlicher Lieferungen begangen werden und aus der Sicht eines Mitgliedstaats die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Rechte erfüllt scheinen. Der betrügerische Charakter dieser Umsätze ergebe sich erst aus ihrer Gesamtheit. 1321 i) Bewertung der Entscheidung Italmoda in der Literatur In der Literatur1322 wird die Entscheidung sehr unterschiedlich aufgenommen, wobei sich insbesondere Richter der beiden Umsatzsteuersenate beim BFH (Heuermann1323, Vorsitzender Richter im V. Senat des BFH; Treiber1324, Richter im XI. Senat des BFH; Wäger1325, Richter im V. Senat des BFH; Nacke1326, Richter im XI. Senat des BFH) in der Bewertung und vor allem über die Umsetzung in nationales Recht alles andere als einig sind. Dabei richtet sich die Hauptkritik nach Treiber1327 gegen den Umstand, „dass sich der EuGH im Fall einer ‚Steuerhinterziehung‘ von allen systemtragenden Prinzipien der Umsatzsteuer (Neutralität, vollständige Entlastung des Unternehmers von der gezahlten Vorsteuer, Bestimmungslandprinzip) löst, aber gleichzeitig einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung, die Rechtssicherheit und den Vertrauensschutz verneint“. Insbesondere Wäger1328 hat sich intensiv mit diesem Urteil aus­ einandergesetzt. Nach seiner Ansicht ist die Rechtsauffassung des EuGH „durch eine besondere Wortlautferne vom auszulegenden Recht“ gekennzeichnet. Mit dieser Entscheidung stoße „der EuGH in neue Dimensionen bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen vor“. Reiß1329 nimmt zusätzlich zu der Rechtssache Italmoda die Rechtssache Euro Tyre Portugal1330 in den Blick: während in der Rechtssache Italmoda1331 trotz Vorliegen der ob­ jektiven Voraussetzungen die Rechte des Steuerpflichtigen wegen schäd1321 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 114. 1322 Drüen, MwStR 2015, 841; Hummel, BB 2015, 549; Lembke, SteuK 2015, 215; Nacke, NWB 2015, 3346; Nieskens, EU-UStB 2015, 5; Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15, Rn. 57; Wäger, UR 2015, 81; Winter, DStR 2015, 578 f.; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1413.1 f. 1323 Heuermann, DStR 2015, 1416. 1324 Treiber, MwStR 2015, 626. 1325 Wäger, UR 2015, 81. 1326 Nacke, NWB 2015, 3396, 3400. 1327 Treiber, MwStR 2015, 626, 634. 1328 Wäger, UR 2015, 81. 1329 Reiß, UR 2017, 254. 1330 EuGH v. 09.02.2017 - C-21/16, ECLI:EU:C:2017:106, UR 2017, 271. 1331 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

licher Kenntnis versagt wurden, seien diese in der Rechtssache in der Euro Tyre Portugal gewährt worden, obwohl die materiellen Voraussetzungen nicht vorlagen, der Steuerpflichtige dies aber ernsthaft geglaubt hat. Er kritisiert, dass der EuGH solche Rechtsfolgen „freischöpferisch schlicht aus den Grundsätzen der Rechtssicherheit und Verhältnismäßigkeit“ ableitet und dabei „bei weitem die Kompetenzen, die der Union hinsichtlich der Vorgaben für die Gesetzgebung durch die Mitgliedsstaaten zusteht“ überschreitet. Auch Wäger1332 ist der Ansicht, dass das vor allem der Vorsteuerabzug zunehmend aus „Gründen des Unionsrechts durch subjektive Kriterien“ geprägt wird. Kemper1333 sieht eine Zweck­ entfremdung des Umsatzsteuerrechts, da dieses „zu einer Art Nebenstrafrecht“ werde, aber das „Bestrafen dem Strafrecht“ vorbehalten bleiben soll. Nachstehend sollen die Ansatzpunkte der Kritik, aber auch die Zustimmung in der Literatur näher untersucht werden, bevor diese einer eigenen Wertung unterzogen werden: aa) Einordnung der Entscheidung in die bisherige Rechtsprechung des EuGH Heuermann1334 weist darauf hin, dass die Entscheidung nun Reaktionen ermöglicht, „die weit über das hinausgingen, was bis dahin denkbar war und praktiziert wurde“. Neu – i.S.v. bisher noch nicht ausgeführt – sei aber lediglich die Wirkung des Missbrauchs in der Lieferkette, da ansonsten jeder Umsatz für sich zu betrachten sei. Neu sei also, dass die Ausgangsseite die Eingangsseite (also den Vorsteuerabzug) infiziert.1335 Dies sieht auch Nacke1336 so. Dem schließt sich Treiber1337 an. Der Unterschied des Urteils Italmoda1338 im Vergleich zu den bisherigen Urteilen des EuGH liege darin, dass der Steuerpflichtige einen kompletten Rechtsverlust sowohl hinsichtlich der Versagung des Vorsteuerabzugs als auch hinsichtlich der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung erleidet. Gehm1339 bezeichnet die Entscheidung des EuGH i.S. Italmoda als „radikaler“ als bisherige Entscheidungen, da sie neben der Versagung der Steuerbefreiung und des Vorsteuerabzugs die „Infektion der gesam1332 Wäger, UR 2017, 41. 1333 Kemper, UR 2017, 449, 455. 1334 Heuermann, DStR 2015, 1416. 1335 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1419. 1336 Nacke, NWB 2015, 3396, 3400. 1337 So im Ergebnis Treiber, MwStR 2015, 626, 628. 1338 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106. 1339 Gehm, StraFo 2015, 441, 443.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

ten Lieferkette“ verursache. Ähnlich Schauf1340, der in der Entscheidung eine „erhebliche Verschärfung der Rechtslage“ sieht. Eine Begrenzung und Ergänzung erfährt das Urteil nach Heuermann1341 durch die EuGH-Entscheidung Optigen1342. In dieser Entscheidung habe der EuGH klargestellt, dass „jeder Umsatz für sich zu betrachten [ist]; vorausgehende oder nachfolgende Ereignisse ändern nichts am Charakter eines bestimmten Umsatzes in der Lieferkette.“ Diesem Fall liegt jedoch zugrunde, dass der Steuerpflichtige die Hinterziehungsabsichten des anderen nicht kannte oder hätte kennen müssen und es sich um Umsätze handelte, welche nicht vom Missbrauch betroffen waren. Madauß1343 führt an, dass das Urteil Italmoda für die Fälle der „neutralen Beihilfe“1344 eine Klärung dahingehend gebracht hat, dass es bereits bei Wissen oder Wissenmüssen der Einbeziehung eines Unternehmers in eine Umsatzsteuerhinterziehung ohne eine zusätzlich hinzutretende aktive Verschleierung zu einem Verlust von Vorsteuerabzug und Steuerbefreiung kommt. Unter „neutrale Beihilfe“ sind jene Fallkonstellationen zu fassen, bei denen ein Unternehmer, ohne eine Täuschung über die Identität des Abnehmers vorzunehmen, weiß, dass er in eine Steuerhinterziehung involviert ist. Das sieht auch Grube1345 so. Kaiser1346 hebt hervor, dass im Unterschied zum EuGH-Urteil1347 in der Rechtssache R somit zur Versagung der Steuerbefreiung nicht das Wissen oder Wissenmüssen der Verschleierung einer Umsatzsteuerhinterziehung im Rahmen der Lieferkette erforderlich ist, sondern nur das Wissen oder Wissenmüssen um die bloße Beteiligung an einer solchen reicht. Durch das Urteil Italmoda erfolgt nach Nieskens1348 eine Klarstellung des EuGH dahingehend, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs auch bei Begehung des Missbrauchs in einem anderen Land als dem des Mitgliedstaats vorgenommen wird.

1340 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1411. 1341 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418. 1342 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133; siehe S. 201 f. 1343 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 418. 1344 Siehe S. 167 ff. 1345 Grube, MwStR 2015, 93. 1346 Kaiser, PStR 2015, 163, 164; siehe auch Heuermann, DStR 2015, 1416, 1417. 1347 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, siehe S. 215 ff. 1348 Nieskens, EU-UStB 2015, 5, 6; siehe auch Grube, MwStR 2015, 93.

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bb) Vorsteuerversagung Wäger1349 weist darauf hin, dass im Fall des Wissens oder Wissenmüssens der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung nach der Rechtsprechung Italmoda – neben der Steuerbefreiung – auch der Vorsteuerabzug nicht zu gewähren ist. Wie bei der Steuerbefreiung gelte dies unabhängig davon, ob sich im nationalen Recht diesbezügliche Versagungsbestimmungen finden oder ob die nationalen Voraussetzungen zur Gewährung des Vorsteuerabzugs vorliegen. Hierzu führt der EuGH die gleiche Begründung wie zur Versagung der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher ­Lieferungen an. Darüber hinaus wird vom EuGH mit Art. 17 Abs. 3 der 6. EG-Richtlinie (Art. 169 MwStSystRL) die Norm herangezogen, die das grundsätzliche Recht auf Vorsteuerabzug einräumt. Aber auch diese Norm enthalte kein Verbot der Vorsteuerabzugsversagung für den Fall einer Steuerhinterziehung. Wäger sieht in dem gleichzeitigen Verlust von Steuerfreiheit und Vorsteuerabzug ein „gewisses Spannungsverhältnis, wenn nicht sogar einen Widerspruch zum Optigen-Urteil1350, nach dem jeder Umsatz für sich zu betrachten ist und vorausgehende oder nachfolgende Ereignisse nichts am Charakter eines bestimmten Umsatzes in der Lieferkette ändern“. Hier sei die notwendige Bestimmtheit der steuerrechtlichen Tatbestände fraglich. Zu beachten sei, dass nach der Logik des EuGH der Vorsteuerabzug auch bei einer steuerpflichtigen Inlandslieferung und dem Wissen oder Wissenmüssen über eine Steuerhinterziehung des Abnehmers zu versagen sei. Nach Madauß1351 ist dem Urteil Italmoda auf der Eingangsseite eine vollumfängliche Versagung der Vorsteuern sowie der Steuerbefreiung auf der Ausgangsseite zu entnehmen, infolgedessen aufgrund dieser Wechselwirkung auch dann keine Vorsteuererstattung möglich sei, wenn diese Position „nicht missbrauchsbelastet“ ist. Er wirft aber die Frage auf, ob nur die Vorsteuern nicht abzugsfähig sind, bei denen ein direkter Zusammenhang mit den betrugsbehafteten Ausgangsumsätzen besteht, oder ob ein mittelbarer Zusammenhang ausreicht (Vorsteuern aus Gemeinkosten). cc) Steuersystematische Bedenken, Rechtsgrundlage der Rechteversagung Die Versagung sowohl des Vorsteuerabzugs als auch der Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung bei Fehlen einer entsprechen1349 Wäger, UR 2015, 81, 96 f. 1350 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und 484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133, siehe S. 201 f. 1351 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 420.

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den Rechtsgrundlage empfindet Wäger1352 „als störend“. Er verweist da­ rauf, dass es auch im Sanktionssystem der EU i.S.d. Bestimmtheitsprinzips erforderlich ist, dass ein Täter das Recht hat, bei Begehung einer Tat die Folgen seines Handelns kennen zu dürfen. Auch im Steuerrecht finde sich ein aus § 3 Abs. 1 AO abgeleitetes Tatbestandsmäßigkeitsprinzip, sodass Wäger merkt, dass nicht allein der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie „Missbrauch“, „Steuerhinterziehung“ oder „Steuerumgehung“ genügen darf, „denjenigen, denen diese Vorwürfe gemacht werden, jegliche Rechte zu versagen“. Dies gelte insbesondere, da sich die Rechte aus für sich genommen eindeutigen Regelungen ergäben, die keine solchen Vorbehalte vorsähen. Nach Wäger1353 speist sich das „als von der Richtlinie anerkannte Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch […] aus nur zwei spärlichen Quellen, die sich zudem nicht an den Rechtsanwender des Unionsrechts, sondern an die Mitgliedstaaten selbst richten“. Drüen1354 spricht in diesem Zusammenhang von einer „dürftigen Ableitung aus dem Richtlinientext und einer globalteleologischen Deduktion aus einem selbstgeschaffenen Begriffswald zur Bekämpfung betrügerischer Praktiken“. Wäger1355 führt hierzu weiterhin an, dass nach Art. 273 Abs. 1 MwStSystRL eine Ermächtigung der Mitgliedstaaten besteht, Pflichten zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen zu regeln. Darüber hinaus sehe Art. 131 MwStSystRL vor, dass Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Steuerbefreiungen Voraussetzungen zur Ver­ meidung von Steuerhinterziehungen schaffen können. Dies stelle den Ursprung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels der Bekämpfung der Steuerhinterziehung dar. Wäger zieht jedoch in Zweifel, „ob zwei an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigungen ausreichen, das Steuerrecht der EU derart umzuinterpretieren, dass der Person, die nicht selbst Steuern hinterzieht, aber ‚wusste‘ oder ‚hätte wissen müssen‘, dass sie sich mit ihrer Tätigkeit an einer Umsatzkette mit Steuerhinterziehungscharakter beteiligt, ein völliger Rechtsverlust zugemutet wird“. Insbesondere Heuermann1356 teilt die Bedenken Wägers nicht, da sich das Verbot des Rechtsmissbrauchs bereits aus dem Unionsprimärrecht ergebe.

1352 Wäger, UR 2015, 81, 86. 1353 Wäger, UR 2015, 81, 86; dem zustimmend auch Drüen, MwStR 2015, 841, 850. 1354 Drüen, MwStR 2015, 841, 853 f. 1355 Wäger, UR 2015, 81, 86. 1356 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1419. 

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dd) Begriff der Steuerhinterziehung, Steuerumgehung, Missbrauch Grundlage zur Versagung des Vorsteuerabzugs im nationalen Recht soll nach Ansicht Oelmaiers1357 § 42 AO sein. Dies sieht Heuermann1358 anders, da es in den vorliegenden Fällen nicht um Gestaltung gehe. Hinsichtlich des Rechtsgrunds für die Vorsteuerversagung weist Nacke1359 darauf hin, dass der BFH1360 in der Vergangenheit einen entsprechenden „eigenständigen Versagungsgrund“ kreiert hat. Um die Abgrenzung zu § 42 AO zu vermeiden, habe der BFH bislang auch nicht von „Missbrauch“ des Vorsteuerabzugs gesprochen. Der BGH gehe bislang einen anderen Weg bei der Vorsteuerversagung und lehne – jedenfalls beim Buffer – bereits eine unternehmerische Tätigkeit ab. Treiber1361 weist darauf hin, dass die Begriffe der Steuerhinterziehung, der Steuerumgehung sowie des Missbrauchs vom EuGH bisher noch nicht geklärt worden sind. Diesbezüglich habe der EuGH bisher nur fallweise Aussagen getroffen.1362 Treiber stellt fest, dass der EuGH1363 die Definition dieser Begriffe grds. den Mitgliedstaaten übertragen hat, wobei sich die bisherige nationale Rechtsprechung diesbezüglich an § 370 AO orientiere. Er kritisiert jedoch, dass dieser Begriff zu weit ist, da nach deutschem Recht u.U. bereits eine verspätete Einreichung von Jahreserklärung oder Voranmeldung hierunter zu fassen sei, was jedoch nach dem Unionsrecht1364 keine Steuerhinterziehung sei.1365 Treiber1366 verweist allerdings auch auf eine Definition durch den EuGH: „Sie setze zum einen voraus, dass der fragliche Umsatz trotz Einhaltung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen der Mehrwertsteuerrichtlinie und des zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Rechts einen Steuervorteil zum Ergebnis hat, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe, und zum anderen, dass sich aus einer Reihe objek1357 Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15, Rn. 65. 1358 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1421.  1359 Nacke, NWB 2015, 3396, 3398. 1360 BFH v. 12.09.2014 - VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161. 1361 So im Ergebnis Treiber, MwStR 2015, 626, 634. 1362 Wäger, UR 2015, 81, 95. 1363 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, 847, siehe S. 215 ff. 1364 EuGH v. 20.06.2013 - C-259/12, ECLI:EU:C:2013:414, MwStR 2013, 443. 1365 Treiber, MwStR 2015, 626, 635; so auch Madauß, NZWiSt 2015, 417, 420. Siehe auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Einleitung, Rn. 119, § 370, Rn. 110; Heuel in GS Joecks, S. 497, 505. 1366 Treiber, MwStR 2015, 626, 635 mit Verweis auf EuGH v. 12.07.2012 - C-284/11, ECLI:EU:C:2012:458, UR 2012, 642.

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tiver Anhaltspunkte ergibt, dass mit dem fraglichen Umsatz im Wesentlichen ein Steuervorteil erlangt werden soll.“ Gehm1367 bezieht sich auf Sens1368, nach welchem der Begriff in die Richtung geht, dass damit alle diejenigen rechtswidrigen Praktiken gemeint sind, die – ggf. unter Täuschung der zuständigen Behörden bzw. in unlauterer Weise – darauf abzielen, den Steueranspruch des jeweiligen Fiskus innerhalb der EU bzw. dessen Durchsetzung zu vereiteln bzw. in betrügerischer Weise Vorsteuer geltend zu machen, da eine betrügerische oder sonst missbräuchliche Berufung auf Gemeinschafts- respektive Unionsrecht verboten ist. Kemper1369 weist darauf hin, dass neben dem Begriff der Steuerhinterziehung auch der Begriff des „Missbrauchs“ in den Blick zu nehmen ist. Auch dieser müsse „in das Wissen der beteiligten Unternehmer eingegangen sein“. ee) Lieferkette Heuermann1370 merkt an, dass der Begriff der „Lieferkette“ noch einer Definitionsbestimmung von Seiten des EuGH bedarf. Seiner Ansicht nach kann es an der „Kettenhaftigkeit“ fehlen, wenn der Gegenstand derart bearbeitet wird, dass man von einem neuen (anderen) Gegenstand auszugehen hat. Auch Kemper1371 fordert die Klärung des Begriffs „Lieferkette“, wobei seines Erachtens „nur deren ‚betrügerische Elemente‘ umfasst sein“ dürften. Wäger1372 erwägt die Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung des EuGH-Urteils. Er schlägt vor hiervon im Zusammenhang mit der innergemeinschaftlichen Lieferung bei dem Begriff der „Lieferkette“ Gebrauch zu machen. Der EuGH selbst definiert diesen Begriff in dem in Rede stehenden Urteil nicht. Daher schlägt Wäger vor, diese nur bei Vorliegen eines „echten“ Karussellgeschäfts anzunehmen, also, „wenn der Unternehmer die an den Steuerhinterzieher nach allgemeinen Grundsätzen

1367 Gehm, StBW 2015, 826, 827. 1368 Sens, NZWiSt 2014, 463, 464. 1369 Kemper, NZWiSt 2015, 441, 444. 1370 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418; siehe auch Madauß, NZWiSt 2015, 417, 420. 1371 Kemper, NZWiSt 2015, 441, 444. 1372 Wäger, UR 2015, 81, 87.

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steuerfrei gelieferte Ware von diesem oder einer ihm nahestehenden Person erworben hatte“. Auch in Bezug auf den Vorsteuerabzug sieht Wäger1373 eine Begrenzungsmöglichkeit des Begriffs der Lieferkette dergestalt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs nur bei Identität von gelieferter und gekaufter Ware eingreifen soll. Darüber hinaus könne von der Versagung des Vorsteuerabzugs in den Fällen Abstand genommen werden, in denen eine ordnungsgemäße Versteuerung der Lieferung stattfindet. Gehm1374 wirft die Frage auf, ob eine Vorsteuerversagung bzw. Versagung der Steuerbefreiung im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch gerechtfertigt ist, wenn sich ein in der Kette weit von der Steuerhinterziehung entfernter Unternehmer auf diese Vergünstigungen beruft. ff) Objektive Umstände Nach Ansicht Hummels1375 wird aus dem Tatbestand der Entscheidung des EuGH „nicht ansatzweise deutlich“, dass für die Versagung objektive Umstände beim Kläger vorgelegen haben, die der EuGH selbst aber fordert. In Anbetracht der unten dargestellten Sanktionswirkungen des Urteils fordert Winter1376 „hohe sachlich begründbare Hürden“ für den „Nachweis der Kenntnis“. gg) Subjektive Elemente; Beteiligung an Lieferkette Treiber1377 kritisiert, dass es auch an einer Definition des Begriffs „Wissenmüssen“ mangelt. Insbesondere fehle ein diesbezüglicher Maßstab, welchen die Gerichte anzulegen hätten.1378 Als Varianten führt er „einfache Fahrlässigkeit (vgl. § 122 Abs. 2 BGB), Leichtfertigkeit (vgl. § 378 AO) oder grobe Fahrlässigkeit sowie bedingter Vorsatz“ an. Treiber fordert hier eine Definition von Seiten des EuGH, da ansonsten das „Ent­ stehen einer Kasuistik in den Mitgliedstaaten [droht], die für alle Rechtsanwender unbefriedigend ist“. Er mahnt zudem an, „bei autonomen Ausweitungen der EuGH-Rechtsprechung Vorsicht walten zu lassen, bei 1373 Wäger, UR 2015, 81, 97. 1374 Gehm, StraFo 2015, 441, 443. 1375 Hummel, BB 2015, 549. 1376 Winter, DStR 2015, 573, 579. 1377 Treiber, MwStR 2015, 626, 634 f.; siehe auch Madauß, NZWiSt 2015, 417, 419. 1378 So auch Schuska, MwStR 2016, 768, 789. 

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der Anwendung des Unionsrechts auf Einzelfälle zurückhaltend zu sein und bei ‚wissen müssen‘ auf die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu achten“. Heuermann1379 weist darauf hin, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen der Versagungstatbestände in das nationale Recht zu übertragen, wobei die Finanzgerichte diesbezüglich eine „maßgebliche Entscheidungsprärogative“ innehaben. Wäger1380 sieht eine weitere Einschränkungsmöglichkeit des Urteils Italmoda im Zusammenhang mit dem „Vorsatz“ auf steuerlicher Ebene. Die Formulierung des EuGH „wusste oder hätte wissen müssen“ umfasse sowohl Fahrlässigkeit als auch den bedingten Vorsatz. Wäger vermutet jedoch unabhängig von der Frage, ob der EuGH einer solchen Differenzierung überhaupt zugänglich ist, dass im Zweifel Fahrlässigkeit ausreiche. Schließlich bestehe hinsichtlich des Vorsteuerabzugs die Möglichkeit, eine Einschränkung beim subjektiven Tatbestand dahingehend vorzunehmen, dass der Vorsteuerabzug demjenigen Unternehmer versagt wird, welcher von der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung schon beim Abschluss des Warenerwerbs bzw. beim Erwerb der Ware wusste oder hätte wissen müssen1381 und dies nicht erst nach Erwerb der Ware erfahren hat.1382 Für Schauf1383 geht eine Einbeziehung von Fahrlässigkeit zu weit. Unter Verweis auf den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer hält er eine Beschränkung auf Fälle der grob fahrlässigen Unkenntnis für sinnvoll. Madauß1384 hebt hervor, dass es sich beim „Wissenmüssen“ um ein subjektives Element im objektiven Tatbestand des § 370 AO handelt und daher im subjektiven Tatbestand zusätzlich vorsätzliches Handeln erforderlich ist. Zum Grad der Sorgfaltspflichtverletzung führt er an, dass der deutschen Übersetzung des Urteils Italmoda nicht zu entnehmen ist, „dass der Verlust der Rechte aus dem Gemeinschaftsrecht nur dann greift, wenn der Unternehmer in grober Achtlosigkeit (Leichtfertigkeit

1379 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1420. 1380 Wäger, UR 2015, 81, 87. 1381 Wäger, UR 2015, 81, 97. 1382 So inzwischen der BGH v. 29.01.2015 - 1 StR 216/14, NStZ 2015, 283, 284.  1383 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1415; ebenso Ismer/Schwarz, MwStR 2019, 348, 350. 1384 Madauß, NZWiSt 2017, 177, 178.

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iSd § 378 AO) seine Sorgfaltspflichten verletzt hat“.1385 In diesem Zusammenhang verweist er1386 auf Weber1387, welcher ausführt, dass der EuGH auf die Verwendung von Fachbegriffen aus der englischen Rechtssprache gezielt verzichtet, um „den nationalen Gerichten die jeweilig anzuwendende Auslegung zu belassen“, sodass jede Fahrlässigkeitsform genüge. Der BFH habe mit Urteil vom 13.10.20141388 mit Verweis auf die ständige EuGH-Rechtsprechung entschieden, dass der Gutglaubensschutz selbst bei fahrlässiger Unkenntnis hinsichtlich der Einbeziehung in eine Steuerhinterziehung entfällt. Nach Madauß1389 ist eine Einschränkung hiervon für Fälle grober Fahrlässigkeit aus dem Urteil nicht ersichtlich. Kemper1390 konstatiert, dass die Phrase „hätten wissen müssen“ eine grob fahrlässige Handlung „auf irgendeiner Stufe der ‚Lieferkette‘“ vo­ raussetzt. Hummels1391 kritisiert, dass die Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung mehr als lediglich eine Involvierung in eine solche im Rahmen einer Lieferkette voraussetzt, sodass seiner Ansicht zufolge die EUGH-Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug nur in Fällen des kollusiven Zusammenwirkens zur Anwendung kommt. Andernfalls bedeute dies das Ende des freien Europäischen Binnenmarkts. Bärenweiler1392 bezieht sich für das „Kennenmüssen“ auf die Entscheidung des BFH1393 zu § 25d UStG, welche auf die vorliegende Fallkon­ stellation übertragbar sei. In dieser Entscheidung vertrat der BFH die Auffassung, dass die Kenntnis von strafrechtlichen Ermittlungen beim Vertragspartner nicht bedeutet, dass bei künftigen Umsätzen Umsatzsteuer hinterzogen wird. Für die Kenntnis stellt der BGH1394 mit Urteil vom 15.05.2018 bei einer Kapitalgesellschaft – steuerlich – nicht nur auf das Wissen der Organe, 1385 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 419; zu den Kriterien der Gut- bzw. Bösgläubigkeit ders., NZWiSt 2017, 177. 1386 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 419. 1387 Weber, BB 2012, 2540. 1388 BFH v. 13.10.2014 - V B 19/14, BFH/NV 2015, 243 f. 1389 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 419 f. 1390 Kemper, NZWiSt 2015, 441, 445; ders., UR 2017, 449, 453. 1391 Hummel, BB 2015, 549. 1392 Bärenweiler, UStB 2018, 242, 245. 1393 BFH v. 10.08.2017 - V R 2/17, DStR 2017, 2664, 2665. 1394 BGH v. 15.05.2018 - 1 StR 159/17, wistra 2019, 63; ebenso BGH v. 29.01.2015 1 StR 216/14, NStZ 2015, 283, 285; OLG Karlsruhe v. 16.03.2015 - 1 (4) Ss 560/14 AK 206/14, NZWiSt 2015, 233; Bülte, NZWiSt 2015, 237; a.A. Bühler, wistra 2017, 375, 379. 

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

sondern – in analoger Anwendung von § 166 BGB – auch auf das Wissen sonstiger Mitarbeiter ab, wenn diese ihr Wissen „im Rahmen der Zuständigkeit“ für die Kapitalgesellschaft erlangt haben. hh) Strafsteuer; keine Sanktion i.S.d. Grundrechtecharta der EU Winter sieht in der „Kumulation der Sanktion“ (kein Vorsteuerabzug, keine Steuerbefreiung)1395 eine Neuerung und Perfektionierung des Sanktionsmechanismus, wobei es sich jedoch „nicht um eine Strafe oder Sanktion i.S.d. Grundrechtecharta der Europäischen Union“, sondern lediglich um eine Konsequenz der Rechtsverletzungen handele. Er kritisiert allerdings, dass der EuGH die Begründung dieser Sanktionen schuldig bleibt, stattdessen lediglich auf den „Geist der Richtlinie“ verweist und damit ein „nicht legitimiertes eigenes Umsatzsteuerstrafrecht“ schafft, welchem ein Korrekturmechanismus bei Schadenswiedergutmachung fehlt und bei dem die Steuerneutralität außen vor bleibt. Auch die zusätzliche Versagung des Vorsteuerabzugs ergibt sich nach Ansicht des EuGH „aus dem Geiste der Richtlinie“1396, jedoch nach Ansicht Winters „nicht aus deren Rechtssätzen“. Unter Berücksichtigung des deutschen UStG trete neben die Versagung der Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung und des Vorsteuerabzugs auch nach § 25d Abs. 1 UStG die Haftung für die schuldhaft nicht abgeführte Steuer, sodass es zu einer dreifachen Sanktionierung des Steuerpflichtigen kommt. Oelmaier1397 stuft im Hinblick darauf, dass der Steuerpflichtige selbst bei einem Wissenmüssen sämtliche Rechte aus dem EU-Recht verliert, die Umsatzsteuer als „Strafsteuer“ ein. Auch Hummel1398 sieht, dass aufgrund der Versagung des Vorsteuerabzugs bei einer Mehrzahl von Personen innerhalb der Lieferkette die Folge eintritt, dass sich das europäische Steueraufkommen trotz des Vorliegens lediglich eines Schadens erhöhen wird. Treiber1399 missfällt die Inkaufnahme einer „definitiven Doppel- und sogar Mehrfachbesteuerung (Kaskaden)“ durch den EuGH, da dies zu einem fast doppelt so hohen Steuerschaden und damit einer entsprechend höheren Strafe führe. Daher überzeuge es nicht, wenn der EuGH konsta1395 Winter, DStR 2015, 573, 579; kritisch allerdings Madauß, NZWiSt 2015, 417, 419. 1396 Winter, DStR 2015, 573, 579 mit Verweis auf EuGH v. 18.12.2014 - C 131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 112. 1397 Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15, Rn. 57. 1398 Hummel, BB 2015, 549. 1399 Treiber, MwStR 2015, 626, 630, 634.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

tiere, dass es sich nicht um eine Doppelbesteuerung handelt. Der EuGH distanziere sich mit der Rechtsprechung von seiner diesbezüglichen Rechtsprechung in anderen Fällen. So gehe der EuGH im Verbrauch­ steuerrecht davon aus, dass eine Mehrfachbesteuerung zur Vermeidung von Steuerhinterziehungen nicht erforderlich sei. In der – zeitlich nach der Italmoda-Entscheidung ergangenen – Prankl-Entscheidung vom 05.03.20151400 führt der EuGH aus „eine solche Erhebung der Verbrauchsteuer in den Durchgangsmitgliedstaaten, die zu einer Mehrfachbesteuerung führen könnte, ist nicht zur Verhinderung von Missbräuchen und Steuerhinterziehung erforderlich, da sowohl der Einfuhrmitgliedstaat als auch der Bestimmungsmitgliedstaat bekannt sind und feststeht, dass die Waren in den letztgenannten Staat geliefert worden sind“. Wie Winter1401 kritisiert auch Klenk1402, dass es durch die u.U. mehrfache Versagung des Vorsteuerabzugs zu einer „vielfachen MwSt-Kumulation kommen [kann], die der Neutralität der MwSt krass widerspricht“, was der EuGH im Zuge der Steuerhinterziehung gezielt miteinkalkuliert. Madauß1403 hält die entstehende und von Hummel1404 kritisierte „Mehrfachbesteuerung (Kaskaden)“ als gezielt durch den EuGH in Kauf genommen und erwartet keine Änderung der bisherigen von der Finanzverwaltung praktizierten Handhabe. Es sei allerdings noch nicht abzusehen, ob die Finanzverwaltung entsprechend dem Urteil Italmoda zukünftig nun auch bei einem ordnungsgemäß versteuerten Eingangsumsatz, aber einer Steuerhinterziehung betreffend den Ausgangsumsatz den Vorsteuerabzug versagen werde.1405 Kaiser/Hummel1406 thematisieren den Aspekt der Umsatzsteuer als Strafsteuer in den Fällen der gleichzeitigen Steuerfestsetzung beim Leistenden und Versagung der Vorsteuer beim Leistungsempfänger. Hierdurch ergebe sich eine erhebliche Überkompensation auf Seiten des Staats, da er „ein faktisches Umsatzsteueraufkommen in Höhe eines mehrfachen Betrags des möglichen wirtschaftlichen Schadens“ erziele. Nach Ansicht von Kaiser/Hummel ist zwar noch plausibel, dass die Unternehmen für Straftaten durch Geschäftsführer oder Angestellte eines 1400 EuGH v. 05.03.2015 - C-175/14, ECLI:EU:C:2015:142, wistra 2016, 19.  1401 Winter, DStR 2015, 578, 579. 1402 Klenk, HFR 2015, 203; im Ergebnis ebenso Ismer/Schwarz, MwStR 2019, 348, 351. 1403 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 419. 1404 Hummel, MwStR 2015, 626, 634. 1405 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 419. 1406 Kaiser/Hummel, PStR 2015, 265.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Unternehmens den Umsatzsteuerausfall beseitigen müssen. Dass jedoch „die Unternehmen […] dergestalt sanktioniert werden, dass mehr als der dreifache Betrag des entstandenen Schadens durch sie beseitigt wird, erscheint weder im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das Neutralitätsprinzip des Mehrwertsteuerrechts noch den Verbrauchs­ charakter der Umsatzsteuer zutreffend“. Sie kritisieren, dass es auf diese Weise zu einer mehrfachen Geltendmachung von Seiten des Staats bei unterschiedlichen Unternehmern/Personen kommt. Zudem komme es zu einer Verstärkung dieser „‚Schieflage‘ […] je länger die Leistungskette ist“. Dies führe insgesamt zu einer „verdeckte[n] Steueraufkommenserhöhung zulasten der involvierten Unternehmer“, nicht hingegen zu einer Schadensbeseitigung. ii) Spätere Korrekturen In der Praxis stütze sich die Finanzverwaltung laut Kaiser/Hummel1407 gerne auf die BGH-Entscheidung vom 08.02.20111408 und verneine bei den Unternehmen im Rahmen einer Umsatzsteuerhinterziehung die Unternehmereigenschaft mangels wirtschaftlicher Tätigkeit. Der BGH habe aber seine Ausführungen hierzu mittlerweile in mehreren Entscheidungen relativiert und gehe nach der sog. Strohmann-Rechtsprechung1409 davon aus, dass auch die wissentliche Einbindung in umsatzsteuerliche Betrugsgeschäfte nicht zu einer Verneinung der Unternehmereigenschaft führt. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung1410 sei diese Frage der Unternehmereigenschaft umstritten. Kaiser/Hummel1411 vertreten diesbezüglich unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH1412 die Auffassung, dass § 14c Abs. 2 UStG stets unmittelbar oder entsprechend anwendbar sein muss. In diesem Zusammenhang sehe § 14c Abs. 2 Abs. 3 UStG vor, dass der nach den Sätzen 1 und 2 des § 14c Abs. 2 UStG geschuldete Steuerbetrag berichtigt werden könne, wobei den Finanzbehörden nach Ansicht von Kaiser/Hummel1413 trotz eines entsprechenden Wortlauts kein Ermessen diesbezüglich zusteht. Dies folge aus dem Umstand, dass nur diese Auslegung konform 1407 Kaiser/Hummel, PStR 2015, 265, 268. 1408 BGH v. 08.02.2011 - 1 StR 24/10, NStZ 2011, 407 f. 1409 Siehe S. 16. 1410 BFH v. 12.09.2014 - VII B 99/13, BFH/NV 2015, 161; BGH v. 08.02.2011 - 1 StR 24/10, NStZ 2011, 407 f.; FG Düsseldorf v. 21.06.2013 - 1 K 2550/11 U, BeckRS 2014, 96132. 1411 Kaiser/Hummel, PStR 2015, 265, 268. 1412 EuGH v. 31.01.2013 - C-642/11, ECLI:EU:C:2013:54, PStR 2013, 86. 1413 Kaiser/Hummel, PStR 2015, 265, 269.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

mit der Rechtsprechung von BFH1414 und EuGH1415 ist, da nach dem Neutralitätsgrundsatz im Fall einer Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs auch die unberechtigterweise in der Rechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer korrigiert werden muss, sogar „ohne dass eine Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der betreffenden Rechnung abhängig gemacht werden darf“. Auch wenn die Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung besteht, raten Kaiser/Hummel1416 von dieser Inanspruchnahme ab, sofern ein Steuerstrafverfahren anhängig ist, da durch die Berichtigungsdurchführung das betroffene Unternehmen einräume, keine Lieferung oder sonstigen Leistungen ausgeführt zu haben bzw. nicht als Unternehmer einzuordnen sei, wobei Ersteres „eine […] Bösgläubigkeit hinsichtlich der durchgeführten Lieferungen nach sich ziehen“ kann. Kaiser/Hummel stellen fest, dass sich der Steuerpflichtige in diesen Fällen in einer „Zwickmühle“ befindet, was in der Praxis nicht selten dazu führe, dass der wirtschaftliche Schaden bei Umsatzsteuerkarussellen und Umsatzsteuerkettengeschäften in der Tat im Vergleich zum grundsätzlich möglichen Umsatzsteuerschaden nicht unerheblich überkompensiert wird. Madauß1417 sieht keine Möglichkeit einer nachträglichen Rechnungsberichtigung nach (analog) § 14c Abs. 2 UStG. Da ein tatsächlicher Leistungsaustausch stattgefunden habe, komme allein die Möglichkeit einer Korrektur nach § 17 Abs. 1 UStG in Betracht. jj) Umsetzung in nationales Recht Ungeachtet dessen, wie man zu der Entscheidung des EuGH steht, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Entscheidung des EuGH auf das nationale Recht hat bzw. ob und wie die Entscheidung in das deutsche Recht umgesetzt werden kann. Die sich hierum rankenden Fragen sind in der Literatur stark umstritten, aber eines der Hauptprobleme im Umgang mit der Italmoda-Entscheidung. Insbesondere diesbezüglich vertreten Richter aus beiden Umsatzsteuersenaten des BFH (V. und XI. Senat) divergierende Auffassungen.

1414 BFH v. 17.05.2001 - V R 77/99, DStRE 2001, 999. 1415 EuGH v. 19.09.2000 - C-454/98, ECLI:EU:C:200:469, DStRE 2000, 1166. 1416 Kaiser/Hummel, PStR 2015, 265, 269. 1417 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 418; ders., NZWiSt 2017, 310.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

(1) Unmittelbare Anwendung der Richtlinie Heuermann1418 vertritt die Ansicht, „dass die Maßstäbe [des Urteils Italmoda] durchaus im nationalen Recht umgesetzt werden können – und auch müssen“, da das Urteil „eingebettet in eine kontinuierliche Entwicklung der Rechtsprechung“ sei, in dem die „Maßstäbe aus dem Telos der MwStSystRL“ herausgearbeitet werden und es „kein Solitär“ darstelle. Aus den vielen Verweisungen fußend auf der Auslegung der Grundfreiheiten schließt Heuermann, dass sich der „Begründungsduktus“ aus dem Primärrecht herleiten lässt. Nach dem EuGH1419 ist das betrügerische oder missbräuchliche Berufen auf Unionsrecht nicht zulässig, was sich aus einem unionsrechtlichen Prinzip ergebe. Dies folge darüber hi­ naus auch aus dem Sekundärrecht in Form der MwStSystRL. Somit handele es sich um eine „folgerichtige Ausprägung der primärrechtlich gefundenen Prinzipien im Sekundärrecht“, dem auch nicht entgegenstehe, dass den einzelnen Mitgliedstaaten die Festlegung der weiteren Pflichten und Bedingungen obliegt, um eine missbrauchsfreie Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten. Ferner weist Heuermann1420 auf die Kompetenz der „Rechtsfortbildung‚ im Wege methodisch gebundener Rechtsprechung“1421 hin, sodass „nach seiner Rechtsprechung […] die Bekämpfung der Steuerhinterziehung (auch) ein allgemeines Prinzip [ist], das dem Mehrwertsteuersystem inhärent oder immanent ist“. Der EuGH habe die Herrschaft über die Auslegung der Richtlinie, was auch die Rechtsfortbildung „im Wege methodisch gebundener Rechtsprechung“ umfasse. Insofern könne der EuGH selbstverständlich kein Recht mit politischen Gestaltungsspielräumen setzen, sondern lediglich – methodisch fundiert – fortbilden. Heuermann1422 verweist dabei darauf, dass sich sowohl der nationale Gesetzgeber als auch Gesetzanwender an der Auslegung durch den EuGH orientieren und eine Übertragung ins nationale Recht vornehmen müsse. Wie dies zu geschehen hat, habe der EuGH vorgegeben. Nunmehr sei es

1418 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418. 1419 EuGH v. 12.05.1998 - C-367/96, ECLI:EU:C:1998:222, DB 1998, 1222; v. 03.12.1974 - C-33/74, ECLI:EU:C:1974:131, NJW 1975, 1095; v. 21.02.2006 C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420; v. 03.03.2005 - C-32/03, ECLI:​ EU:C:2005:128, DStRE 2005, 596. 1420 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418; so auch Nacke, NWB 2015, 3396, 3400. 1421 BVerfG v. 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06, NJW 2010, 3422. 1422 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418 f.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Aufgabe der nationalen Instanzen, insbesondere des BFH, die Maßstäbe des EuGH in das nationale Recht zu übertragen. Heuermann1423 bringt dabei unter Bezugnahme auf Larenz1424 den Begriff der „nachträgliche[n] verdeckte[n] Lücke“ ins Spiel, da § 4 Nr. 1b UStG i.V.m. § 6a UStG nicht dem Ziel der MwStSystRL entspreche, weil die Vorschrift eine Steuerbefreiung auch vorsieht, „wenn der Unternehmer erkennen muss, dass er sich mit seiner Leistung an einer Steuerhinterziehung eines Wirtschaftsteilnehmers in der Kette beteiligt“. Eine verdeckte Lücke liegt nach Larenz1425 vor, „wenn eine gesetzliche Regel entgegen ihrem Wortsinn, aber gemäß der immanenten Teleologie des Gesetzes einer Einschränkung bedarf, die im Gesetzestext nicht enthalten ist. Wir füllen eine solche Lücke, indem wir die sinngemäß gebotene Einschränkung hinzufügen.“ Bisher habe der Gesetzgeber die systeminhärente Vorteilsversagung nicht vorgesehen. Beziehe man diese Ausführungen auf die vorliegende Lücke, so ergebe sich, dass für das Ziel des UStG die MwStSystRL maßgeblich sei. Sofern der Unternehmer wusste oder wissen musste, dass er mit seinem Umsatz an einer Lieferkette beteiligt ist, bei welcher auf einer vorangehenden oder nachfolgenden Stufe eine Umsatzsteuerhinterziehung vorlag, sei es dem Mehrwertsteuersystem „inhärent oder immanent, dass Rechte nicht wahrgenommen werden“. Um dies hinsichtlich des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung umzusetzen, bedürfe es einer einschränkenden Auslegung der §§ 4 Nr. 1b, 6a, 15 Abs. 1 UStG. Jedoch erachtet auch Heuermann1426 die Forderung nach einer direkten Anwendung der Richtlinie als „reichlich kühn“, dieser bedürfe es aber auch nicht. Auch Treiber1427 führt an, dass dem EuGH eine „Rechtsfortbildung im Wege methodisch gebundener Rechtsprechung“ gestattet ist und das BVerfG1428 Entscheidungen dieses Gerichts auch als verbindlich anerkennt. Sofern Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen außerhalb der übertragenen Kompetenzen ergangen sein könnten, bestehe für das BVerfG die Möglichkeit einer sog. „Ultra-vires-Kontrolle“, von

1423 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1419. 1424 Larenz, S. 377. 1425 Larenz, S. 377; Heuermann, DStR 2015, 1416, 1420. 1426 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1419; siehe auch Drüen, MwStR 2015, 841, 854. 1427 Treiber, MwStR 2015, 626, 630. 1428 BVerfG v. 14.01.2014 - 2 BvE 13/13, BvR 2728/13, 2 BvR 2729/13, 2 BvR 2730/13, 2 BvR  2731/13, BVerfGE 134, 366.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

welcher jedoch nur zurückhaltend Gebrauch gemacht wird.1429 Insbesondere für den Bereich der Mehrwertsteuer existiere eine Entscheidung des BVerfG1430 zur grundsätzlichen Befugnis des EuGH, bindendes Recht im Inland mittels Richtlinienrecht festzulegen. Sofern mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen, sei im Hinblick auf das Optimierungsgebot diejenige zu wählen, mit welcher sich das Richtlinienziel am besten verwirklichen lässt. Der nationale Richter habe auch im Steuerrecht1431 die Befugnis zur „Rechtsfortbildung und ‚schöpferischen Rechtsfindung‘“1432, sodass sich eine nationale Rechtsfortbildung und die „vom EuGH auferlegte Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung bis zur Wortgrenze“ mit dem Grundsatz der Unionstreue decken. Eine endgültige Grenze stelle jedoch das nach „innerstaatliche[r] Rechtstradition methodisch Erlaubte“ dar. Eine Rechtsfortbildung, die „den klaren Wortlaut des Gesetzes hinten anstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein“. Sofern hingegen keine richtlinienkonforme Fortbildung oder Auslegung möglich sei, würde dies für Finanzgerichtsbarkeit und -verwaltung „zu einem echten Zielkonflikt zwischen Unionstreue und Gesetzesbindung“ führen. Meines Erachtens ist Treiber jedenfalls insofern zuzustimmen, als diese verfassungsrechtliche bzw. EU-rechtliche Frage, ob und in welchem Umfang Kompetenzen an die EU übertragen werden können, untersucht werden sollte. Das gehört aber nicht zum Gegenstand dieser Arbeit. Treiber1433 ist vor diesem Hintergrund der Ansicht, dass bereits aus dem nationalen Recht, aus den §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1, 15 Abs. 1 UStG, die komplette Rechtsversagung – wie vom EuGH vorgegeben – durch eine entsprechende Auslegung möglich ist. In diesem Zusammenhang verweist er auf die Rechtsprechung des BFH: Dieser habe bereits mehrfach entschieden, dass „‚im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts‘ der Vorsteuerabzug zu versagen ist, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem 1429 BVerfG v. 06.07.2010 - 2 BvR 2661/06, NJW 2010, 3422; so auch Treiber, MwStR 2015, 626, 630. 1430 BVerfG v. 08.04.1987 - 2 BvR 687/85, BVerfGE 1975, 223. 1431 BVerfG v. 22.12.1992 - 1 BvR 1333/89, DStR 1993, 603. 1432 BVerfG v. 14.02.1973 - 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221. 1433 Treiber, MwStR 2015, 626, 631.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war“.1434 Unter Befolgung der ständigen Rechtsprechung des EuGH habe der BGH1435 die Einhaltung der Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG bejaht. Treiber1436 bejaht die Frage der möglichen Umsetzung dieser Rechtsprechung in Deutschland mit Verweis auf zwei Entscheidungen von Bundesobergerichten. In Bezug auf die Versagung der Steuerbefreiung bei einer innergemeinschaftlichen Lieferung verweist er darauf, dass bis­ lang lediglich Teile der EuGH-Rechtsprechung übernommen wurden. Hinsichtlich des Vorsteuerabzugs liege aber bereits „eine Vollübernahme durch BFH und BGH“ vor. Bezugnehmend auf Gegenansichten, welche sich gegen eine Umsetzbarkeit in der nationalen Rechtsprechung aussprechen, wirft er die Frage auf, „ob das nationale Recht wirklich günstiger“ sei, und verneint dies. Weder dem nationalen Recht noch dem geschriebenen Unionsrecht sei eine explizite Regelung zu entnehmen. Treiber sieht mit Verweis auf entsprechende Bundestagsdrucksachen1437 eine gewollte ganz genaue Umsetzung des Unionsrecht in den §§ 6a Abs. 1, 15 Abs. 1 UStG, wobei der Gesetzgeber unsinnigerweise nicht die Richtlinie wörtlich abgeschrieben habe. Das nationale Recht sei daher stets so zu lesen wie das Unionsrecht. Das gelte auch für subjektive Tatbestandsmerkmale, die in das Unionsrecht hineingelesen würden. Dies sei lediglich dann anders, wenn der nationale Gesetzgeber positiv normiert hätte, dass trotz Steuerhinterziehung der Vorsteuerabzug bzw. die Steuerfreiheit zu gewähren seien. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des BFH1438 fordert Treiber daher eine unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung richtlinienkonforme Auslegung der §§ 6a, 15 UStG. Ungeachtet der Kritik an der Entscheidung des EuGH sei es den nationalen Gerichten nicht erlaubt, der Rechtsprechung des EuGH nicht zu folgen, da in diesem Fall eine Nichtvorlage an den EuGH einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG darstellen würde. 1434 BFH v. 17.06.2010 - XI B 88/09, BFH/NV 2010, 1875. Siehe auch EuGH v. 12.01.2006 - C‑354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133. 1435 BGH v. 20.10.2011 - 1 StR 41/09, wistra 2012, 114, siehe S. 229. 1436 Treiber, MwStR 2015, 626, 631 ff. 1437 Z.B. BT-Drs. 12/2463 v. 27.04.1992, S. 20, 30 f. zu § 6a UStG; 8/1779 v. 05.05.1779, 41 ff. zu § 15 UStG. 1438 BFH v. 25.04.2013 - V R 28/11, BFHE 242, 77; v. 22.08.2013 - V R 30/12, BFHE 243, 35.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Nacke1439 stimmt im Ergebnis Heuermann1440 und Treiber1441 zu und ergänzt in diesem Zusammenhang, dass die Rechtsprechung die Vorgaben des EuGH im Notfall im Wege der Rechtsfortbildung in Form der einschränkenden Anwendung von § 4 Nr. 1b UStG i.V.m. § 6a UStG sowie § 15 Abs. 1 UStG durch teleologische Reduktion durchsetzen muss. Auf das Urteil Italmoda hat der BGH in seinem Beschluss vom 02.09.2015 Bezug genommen und führt in Bezug auf Umsatzsteuerkarussellgeschäfte aus, dass „der Vorsteuerabzug dann zu versagen [ist], wenn der Steuerpflichtige – im unionsrechtlichen Sinne – selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, und er deswegen als an dieser Hinterziehung Beteiligter anzusehen ist“. (2) Keine unmittelbare Anwendung der Richtlinie Wäger1442 hat sich eingehend mit der Entscheidung des EuGH und den Möglichkeiten der Umsetzung in nationales Recht auseinandergesetzt. Wäger1443 weist darauf hin, dass von Seiten des EuGH lediglich erforderlich ist, dass „die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang steht“. Bei der Auslegung einer Richtlinie sei somit erforderlich, dass dies unter Hinzuziehung der nationalen Auslegungsmethoden durchführbar ist, wobei dies auch zu Lasten des Steuerpflichtigen möglich ist. Die Grenzen dieser Auslegung lägen allerdings dort, wo „dem Einzelnen durch die Richtlinie selbst und unabhängig von einem nationalen Umsetzungsakt Verpflichtungen auferlegt werden oder eine strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die der Richtlinie zuwiderhandeln, bestimmt oder verschärft werde“.1444

1439 Nacke, NWB 2015, 3396, 3400. 1440 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418, siehe S. 253 f. 1441 Treiber, MwStR 2015, 626, 630. 1442 Wäger, UR 2015, 81. 1443 Wäger, UR 2015, 81, 88 f. 1444 EuGH v. 05.07.2007 - C-321/05, ECLI:EU:C:2007:408, GmbHR 2007, 880. 

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Wäger1445 spricht sich dagegen aus, das Urteil bei einer richtlinienkonformen Auslegung zu berücksichtigen. Er begründet dies mit dem Umstand, dass sich diese Auslegung am Wortlaut zu orientieren hat und eine solche Auslegung mit dem möglichen Wortsinn unvereinbar ist. Letztlich führe das Urteil Italmoda zu einer Erweiterung des § 6a Abs. 1 S. 1 UStG um eine nicht normierte Nr. 4, nach welcher Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist, „dass der Unternehmer mit seiner Lieferung weder eine Steuerhinterziehung begeht noch wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Lieferung an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt“.1446 Diese Formulierung würde m.E. bedeuten, dass die Feststellungslast den Steuerpflichtigen trifft. Zutreffender wäre es, wenn in einer nicht normierten Nr. 4 hineingelesen würde, dass „die Rechte versagt werden können, wenn der Unternehmer mit seiner Lieferung weder eine Steuerhinterziehung begeht noch wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Lieferung an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt“. Bei dieser Formulierung trifft die Feststellunglast m.E. – zutreffenderweise1447 – das Finanzamt. Darüber hinaus existiere auch kein allgemeiner Rechtssatz im nationalen Recht, mit welchem die Aussagen des EuGH in diesem Urteil begründet werden könnten. § 42 AO könne dazu nicht herangezogen werden. Letzteres sieht auch Heuermann1448 so. Wäger1449 weist auf eine Besonderheit des Urteils hinsichtlich des Vorsteuerabzugs hin. Die Versagung des Vorsteuerabzugs beruhe nicht auf Gründen, die mit der bezogenen Leistung zusammenhängen. Entscheidend sei vielmehr ein Umstand, welcher dem Ausgangsumsatz nachfolge. Maßgeblich sei allein das Wissen oder Wissenmüssen um die Beteiligung an einer Steuerhinterziehung. Eine Versagung des Vorsteuerabzugs aufgrund der Auslegung der Richtlinie sei daher nicht möglich, hierzu wäre das Vorliegen eines Vorsteuerversagungsgrunds erforderlich.1450 1445 Wäger, UR 2015, 81, 89; allgemein gegen bindende Vorgaben durch die Richtlinie: Reiß in FG List, S. 148, 163 ff. 1446 A.A. Schrömbges, wistra 2017, 422, 426, welcher der Ansicht ist, dass es sich bei der Betrugsbekämpfungsklausel des Art. 131 MwStSystRL nicht um eine nega­ tive Steuerbefreiungsvoraussetzung, sondern schlicht um die Rechtsfolge einer Steuerhinterziehung handelt. 1447 Vgl. BFH v. 18.02.2016 - V R 62/14, DStR 2016, 960. 1448 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1421.  1449 Wäger, UR 2015, 81, 89; allgemein gegen bindende Vorgaben durch die Richtlinie Reiß in FG List, S. 148, 163 ff. 1450 So im Ergebnis Wäger, UR 2015, 81, 98.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Ihm zufolge scheidet eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung i.S.v. Italmoda aus, da es sich bei dieser Konstellation weder um eine plan­ widrige Regelungslücke handele, noch hiermit ein „vom Gesetzgeber festgelegter Normzweck möglichst zuverlässig zur Geltung“ gebracht werden soll. Darüber hinaus seien die Ermächtigungen nach Art. 131 und Art. 273 MwStSystRL durch § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV sowie § 26c UStG umgesetzt worden, sodass auch in dieser Hinsicht nicht von einer Regelungslücke gesprochen werden kann. Nach Auffassung Wägers schenkt der EuGH hierbei dem Wortlaut des Gesetzes wenig Beachtung und beabsichtigt „seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers“ zu setzen. So sei diese Auslegung nach Unionsrecht zwar noch vertretbar, bei Berücksichtigung des nationalen Rechts fehlten allerdings Bedingungen, welche für eine Rechtsfortbildung vorliegen müssten. Weiterhin sei auch für die Versagung des Vorsteuerabzugs das Vorliegen einer Regelungslücke erforderlich. Ob eine solche vorliege, sei unter Berücksichtigung der Haftungsvorschrift des § 25d UStG zu entscheiden.1451 Eine Rechtsfortbildung des § 15 UStG im Sinne der Richtlinie scheitere an diesem Punkt, da der Gesetzgeber mit § 25d UStG den Zielen der Rechtsprechung in Sachen Italmoda bereits vorab Rechnung getragen ­habe.1452 Darüber hinaus resultieren aus dieser Vorschrift nach Ansicht Wägers auch die sachgerechteren Ergebnisse, da bei Anwendung der Rechtsprechung des Urteils Italmoda auch bei einer Versteuerung durch den Lieferanten der Vorsteuerabzug versagt wird, sodass im Fall von ordnungsgemäß abgeführter Umsatzsteuer kein Vorsteuerabzug gewährt wird. Eine unmittelbare Anwendung des Primärrechts ziehe nicht einmal der EuGH als Rechtsgrundlage in Sachen Italmoda heran1453, womit vorliegend allenfalls eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie in Betracht komme.1454 Einer Richtlinie komme allerdings nur unmittelbare Wirkung in Form eines Anwendungsvorrangs zugute, sofern sie positive Auswirkungen für den Steuerpflichtigen habe. Jedoch können Richtlinien nach der Rechtsprechung des EuGH1455 keine unmittelbare Wirkung

1451 Siehe auch Reiß in FG List, S. 148, 168 f. 1452 Wäger, UR 2015, 81, 98. 1453 So aber Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418, siehe S. 253 f. 1454 Wäger, UR 2015, 81, 91. 1455 EuGH v. 05.10.2004 - C-397/01 bis C-403/01, ECLI:EU:C:2004:584, DB 2004, 2270.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

zum Nachteil eines Steuerpflichtigen entfalten, woran er auch in dem Urteil Italmoda festhalte. Gleichwohl sei der EuGH der Auffassung, „dass die Versagung der Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung als systeminhärente Vorteilsversagung für den Betroffenen keine Verpflichtungen begründe, da ‚in Wirklichkeit‘ die objektiven Voraussetzungen nicht erfüllt sind“, weil es nicht möglich sei, das Unionsrecht in missbräuchlicher oder betrügerischer Weise das Unionsrecht für sich ins Feld zu führen. Wäger kritisiert dies und führt dies auf eine fehlerhafte Auslegung des existierenden Regelungszusammenhangs zwischen dem nationalen Recht einerseits und der Richtlinie andererseits zurück: So lege der EuGH hierbei eine Atomisierung dergestalt zugrunde, dass Steuerpflicht und Steuerbefreiung zwei zerlegte unverbundene Einzelteile eines Ganzen darstellen würden, was jedoch nicht das Verhältnis zwischen nationalem Recht und Richtlinie richtig wiedergebe. Die Steuerfreiheit resultiere bereits aus dem nationalen Recht. Diesbezüglich fehle dem EuGH zudem nach der Rechtsprechung des BVerfG1456 die Interpretationsbefugnis. Im Vergleich zu dieser sich aus dem nationalen Recht ergebenden Steuerfreiheit wirke die vom EuGH angenommene Vorteilsversagung sehr wohl belastend. Darüber hinaus hätten die nationalen Gerichte darüber zu befinden, „ob die unmittelbare Anwendung der Richtlinie im Vergleich zum nationalen Recht vorteilhaft oder nachteilig ist“. Eine Inlandsbesteuerung sei somit mangels unmittelbarer Richtlinienanwendung, wie sie das Urteil Italmoda vorsieht, nicht möglich. Nach Wäger1457 ist auch eine Versagung des Vorsteuerabzugs somit nur durch eine direkte Anwendung des EU-Rechts möglich, was jedoch aus den gleichen Gründen wie bei der Versagung der Steuerfreiheit nicht möglich sei. Als Tatbestandsmerkmal, welches unionsrechtskonform ausgelegt werden könne, kommt nach Wäger1458 allenfalls der Begriff des Unternehmers in Betracht. Da die Steuerehrlichkeit keine Voraussetzung für die Unternehmereigenschaft nach § 2 UStG sei, könne dies nur durch eine „normspezifische Auslegung der Unternehmereigenschaft im Anwendungsbereich des § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG“ dergestalt erfolgen, dass die „Leistung nicht von irgendeinem Unternehmer, sondern von einem erhebungstechnisch greifbaren Unternehmer“ erbracht sein muss. Wie beim Vorsteuerabzug könne auch der Unternehmerbegriff bei inner1456 Siehe BVerfG v. 26.09.2011 - 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07, NJW 2012, 669; v. 11.07.2012 - 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BVerfGE 132, 99. 1457 Wäger, UR 2015, 81, 98; siehe auch Drüen, MwStR 2015, 841, 854. 1458 Wäger, UR 2017, 41, 43 ff.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

gemeinschaftlichen Lieferungen dergestalt normspezifisch einschränkend auszulegen sein, dass es „zusätzlich auf die Steuerehrlichkeit des Abnehmers ankommt, um die mit der Steuerfreiheit korrespondierende Erwerbsbesteuerung sicherzustellen“. Nach der objektivierten Empfängersicht sei beim Vorsteuerabzug auf die Sicht des Leistungsempfängers und bei der Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen auf die Sicht des Lieferers abzustellen. Mit einer solchen Auslegung werde aber nicht die vollständige Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung erreicht, der auf einer Hinterziehung irgendwo in der Lieferkette abstellt. Die normspezifische Auslegung beschränke sich auf die „jeweiligen am Leistungsaustausch beteiligten Personen“. Wäger1459 sieht in dem Urteil Italmoda eine Verselbstständigung des „propagierte[n] Kampf[s] gegen Steuerhinterziehungen […], ohne dass hierfür hinreichende gesetzliche Grundlagen bestehen“. Er kritisiert die Unterwerfung eines fahrlässig in eine Steuerhinterziehung eingebundenen Unternehmers unter eine „Übermaßbesteuerung mit Versagung von Vorsteuerabzug und Steuerfreiheit.“ Der zukünftige Weg der Rechtsprechung ist nach Ansicht Wägers kaum prognostizierbar. Drüen1460 nimmt Bezug auf die Ausführungen von Wäger1461 zu § 25d UStG, welcher die Ansicht vertritt, dass eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung des § 15 UStG aufgrund der Existenz des § 25d UStG nicht möglich ist. Er stellt dabei die Frage, ob § 25d UStG diese „lückenausschließende Sperrfunktion“ noch übernehmen kann oder es als eine „unionsrechtliche Untererfüllung anzusehen sei“.1462 Vor dem Hintergrund, dass „der erkennbare gesetzgeberische Wille [die] absolute Grenze des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts“ darstellt, könnte in Betracht gezogen werden, dass der deutsche Gesetzgeber im Hinblick auf die seit 2006 ergangene EuGH-Rechtsprechung auch die Vorsteuerversagung von seinem Willen umfasst hat. Dieses Ergebnis erachtet er jedoch nicht als zwangsläufig, was ebenso für die „Annahme eines fortbestehenden sperrenden Vorrangs eines weiterhin als ineffektiv eingestuften In­ struments“ gelte. Das diesbezügliche Gegenargument der leerlaufenden Haftung nach § 25d UStG sei jedoch im Hinblick auf die „Folgefrage der kumulativen Sanktionierung“ nicht stichhaltig. Die von ihm vorgenommene Analyse in verfassungs-, unionsrechtlicher und rechtsmodischer Hinsicht führt zu keinem eindeutigen Ergebnis, aber zu Zweifeln an der 1459 Wäger, UR 2015, 81, 99. 1460 Drüen, MwStR 2015, 841, 852 f. 1461 Wäger, UR 2015, 81, 98. 1462 So im Ergebnis auch Heuermann, DStR 2015, 1416, 1419.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

bisherigen Rechtsprechung des BFH, der „einen eigenständigen, ungeschriebenen Vorsteuerversagungsgrund“ neben der Existenz von § 25d UStG annehme. Anders als Wäger1463 und gleich wie Heuermann1464 zieht Drüen1465 es in Erwägung, „dass der EuGH nicht bloß auf eine sekundärrechtliche Quelle rekurriert, sondern vielmehr auf einen primärrechtlichen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Rechtsmissbrauchs von unionsrechtlichen Rechten und Vorteilen Bezug nimmt“. Nach Ansicht von Hummel1466 handelt es sich bei der Aussage des Urteils Italmoda um die erste umsatzsteuerliche Entscheidung, in welcher zum Nachteil eines Steuerpflichtigen die unmittelbare Anwendung einer EU-Richtlinie bejaht wurde. Als „falsch“ bezeichnet Hummel die Aussage des EuGH, dass auch bei einer günstigeren Regelung im nationalen Recht die EU-Richtlinie Vorrang haben soll. Als „völlig „deplatziert“ stuft er die Ausführungen des Gerichts ein, „wonach betrügerische Tätigkeiten kein in der Unionsordnung vorgesehenes Recht begründen können, so dass die Versagung eines solchen dem Einzelnen keine Verpflichtung aus der Richtlinie auferlegen würde“. Maßgeblich sei hier das nationale Recht und nicht die Verpflichtung, welche auf der Richtlinie basiert. Hummel zufolge macht sich der EuGH dadurch unglaubwürdig, dass „keine ausdrückliche Erlaubnis erforderlich sei, damit nationale Behörden ein subjektives Recht versagen können“, da aufgrund der Gesetzesbindung erforderlich ist, dass für die Versagung eines Rechts eine gesetzliche Grundlage vorhanden ist. Er misst diesem Urteil eine große Bedeutung bei, „wenn diese ohnehin problematische Entscheidung nicht auf ihren Tenor begrenzt wird“. Sofern man eine solche Begrenzung vornehme, komme dieser in Staaten, welche wie Deutschland mit § 25d UStG bereits entsprechende Regelungen über die Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung geschaffen haben, keine Bedeutung zu. Sofern man keine solche Sperrwirkung annehme, sieht Hummel darin eine endgültige Grenzüberschreitung der durch das Unionsrechts zuläs­ sigen Rechtsfortbildung, somit „als ‚ultra vires‘ im Sinne der Rspr. des BVerfG“. Reiß1467 ist der Auffassung, dass die Rechtsprechung des EuGH unvereinbar ist mit der Kompetenzverteilung zwischen Gerichten und Gesetzge1463 Wäger, UR 2015, 106, siehe S. 195. 1464 Heuermann, DStR 2015, 1416, 1418, siehe S. 253 f. 1465 Drüen, MwStR 2015, 841, 851. 1466 Hummel, BB 2015, 549. 1467 Reiß in FG List, 149, 164.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

bung auf Unionsebene und nationaler Ebene. Der EuGH betätige sich als Unionsgesetzgeber. (3) Nationale Reformüberlegungen: § 25f UStG-E Mit Datum vom 31.07.2019 hat die Bundesregierung unter der amtlichen Bezeichnung „Entwurf eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ einen Gesetzentwurf1468 veröffentlicht. Mit diesem Gesetzentwurf sollen die dargestellten Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung, nach der das Recht auf Vorsteuerabzug und Steuerbefreiung entfällt, wenn der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass der in Rede stehende Umsatz in eine Umsatzsteuerhinterziehung eingebunden war, durch Einführung des neuen § 25f UStG-E in nationales Recht übertragen werden. Die bisherige Haftungsnorm des § 25d UStG soll wegfallen. § 25f UStG-E ermöglicht der Finanzverwaltung schärfere Sanktionen als der bisherige § 25d UStG. § 25d UStG sah lediglich eine Haftung des Leistungsempfängers für vom Leistenden nicht abgeführte Umsatzsteuer vor und verlangte eine Ermessensentscheidung der Finanzverwaltung. Auffällig ist, dass der Gesetzgeber sich trotz umfangreicher Diskussionen in der Literatur nicht erkennbar mit dem subjektiven Element (Wissenmüssen oder Kenntnis) auseinandersetzt. Er spricht in der Gesetzesbegründung sogar lückenhaft nur von der „wissentlichen Einbindung“1469. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch die Behauptung, dass die Neuregelung „dem Bestimmtheitsgrundsatz und den Anforderungen der Praxis“ entspricht. Das Gegenteil ist der Fall: Die EuGH-Rechtsprechung hat – wie ausgeführt – zu kontroversen Diskussionen und Unklarheiten für um Steuerehrlichkeit bemühte Unternehmen geführt. Nach § 25f Abs. 1 UStG-E hat die Finanzverwaltung bei Kenntnis oder Kennenmüssen des Unternehmers, dass er sich an einem Umsatz beteiligt, der von einem anderen Beteiligten auf einer vorhergehenden oder nachgehenden Umsatzstufe in eine Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 AO oder einer Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach §§ 26b, 26c UStG einbezogen war, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 1b i.V.m. § 6a UStG sowie den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3 und 4 UStG versagen. Die Intention des Gesetzgebers ist es, der Finanz1468 BR-Drs. 356/19 v. 09.08.2019. 1469 BR-Drs. 356/19 v. 09.08.2019, S. 183.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

verwaltung eine nationale Rechtsgrundlage für die Versagung der Steuerbefreiung und des Vorsteuerabzugs ohne Rückgriff auf die EuGH-Rechtsprechung zu geben. Ungeachtet dessen ist jedoch jede nationale Norm des Umsatzsteuerrechts anhand des Gemeinschaftsrechts und der hierzu ergangenen EuGH-Rechtsprechung auszulegen. Mangels Ermessens ist die Finanzverwaltung bei Vorliegen der Voraussetzungen hierzu verpflichtet. Im Gegensatz zu § 25d UStG definiert § 25f UStG-E den Begriff des Kennenmüssens nicht und überlässt dies der Rechtsprechung. § 25d Abs. 2 UStG stellt für das Kennenmüssen bislang auf die fehlende Markt­ üblichkeit des Entgelts ab. Die Gesetzesbegründung1470 zu § 25f UStG-E weist darauf hin, dass die Vorschrift „der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetruges insbesondere in Form von Ketten- oder Karussellgeschäften“ dient. Das subjektive Element des Tatbestands sollte daher eng ausgelegt werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Referentenentwurf vom 08.05.2019 ist „die Versagung der Rechte […] der Höhe nach auf die Höhe des in der Leistungskette entstandenen Steuerschadens begrenzt.“1471 § 25f UStG-E ist, da der Tatbestand keine Beschränkung enthält, ebenfalls auf Ausfuhrlieferungen1472 und auch auf rein nationale Leistungen ohne Auslandsbezug anwendbar. Nach § 27 Abs. 30 UStG-E soll § 25f UStG-E erstmals auf Voranmeldungs- und Besteuerungszeiträume anzuwenden sein, die nach dem 31.12.2019 enden. kk) Steuerstrafrechtliche Anmerkungen In Abhängigkeit davon, ob und wie man steuerliche Schlussfolgerungen aus der Italmoda-Entscheidung zieht, stellt sich vor dem Hintergrund des Blankettcharakters des § 370 Abs. 1 AO1473 zwangsläufig die Frage der Auswirkungen der Entscheidung auf das Steuerstrafrecht.1474 Madauß1475 sieht auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit – wohl wegen des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 2 AO – in der Mehrfachbelastung keine Probleme bei der Umsetzung der Entscheidung und spricht sich im Ergebnis dafür aus, sämtliche nicht zutreffend festgesetzten Steuern als Hinterziehungsvolumen anzusehen.

1470 BR-Drs. 356/19 v. 09.08.2019, S. 183. 1471 https://www.steuerberater-center.de/media/JStG_2019_RefE.pdf; zur möglichen Kumulation von Schäden siehe S. 188; der Regierungsentwurf enthält diesen Hinweis nicht mehr. 1472 Siehe hierzu S. 283 ff.  1473 Siehe S. 29 ff. 1474 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1416 ff. 1475 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 420.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Kemper1476 äußert sich zusammenfassend kritisch hinsichtlich der „schlichte[n] strafrechtliche[n] ‚Übernahme‘ des steuerlichen Mehrergebnisses“, da „es den strafrechtlich relevanten Steuerschaden deutlich erhöht“. Schrömbges1477 sieht in der Betrugsbekämpfungsklausel des Art. 131 MwStSystRL und der damit nach der Rechtsprechung des EuGH verbunden Versagung aller Rechte des Steuerpflichtigen keine negative Steuerbefreiungsvoraussetzung, sondern die Rechtsfolge/Sanktion einer Steuerhinterziehung. Es sei daher „keine erklärungspflichtige und -fähige Tatsache“, wenn jemand an einen Missing Trader liefert, da sich eine solche Verpflichtung nicht aus dem Gesetz ergebe, sondern lediglich auf Richterrecht beruhe. Ungeachtet dessen, sei nach Art. 6 Abs. 2 EMRK auch niemand verpflichtet, Angaben zu machen, die einen Anfangsverdacht nach § 152 StPO für eine Straftat begründen können. Kemper1478 fordert, diesen Aspekt der Mehrfachbelastung bereits im subjektiven Tatbestand in Form einer Prüfung des Vorsatzes in Bezug auf die nicht anerkannte Vorsteuer und nicht erst auf der Strafzumessungsebene zu berücksichtigen. Infolgedessen dürfte in Bezug auf die Vorsteuer der Vorsatz häufig nicht vorliegen. Treiber weist darauf hin, dass die Strafverfolgungsbehörden aufgrund von Art. 103 Abs. 2 GG nicht die Möglichkeit hätten, das Unionsrecht zu befolgen.1479 Unter Befolgung der ständigen Rechtsprechung des EuGH habe der BGH1480 – so das BVerfG in der Rechtssache R – die Einhaltung der Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG bejaht. Insgesamt gesehen spricht sich Treiber für eine Kodifizierung „im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG und des § 370 AO“ aus. Jäger1481 weist auf das Spannungsverhältnis hin, welches sich daraus ergibt, dass einerseits die Steuerhinterziehung einen Verstoß gegen Steuergesetze voraussetzt, im Rahmen dessen das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung anzuwenden ist, und andererseits das Verbot strafbegründender Analogie besteht. Mit der Entscheidung in der Rechtssache M.A.S. und M.B.1482 habe der EuGH den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Strafrecht ausdrücklich bestätigt. Hierbei sei der Grundsatz der uni1476 Kemper, NZWiSt 2015, 441, 445. 1477 Schrömbges, wistra 2017, 422, 428. 1478 Kemper, NZWiSt 2015, 441, 445. 1479 Treiber, MwStR 2015, 626, 631 ff. 1480 BGH v. 20.10.2011 - 1 StR 41/09, wistra 2012, 114, siehe S. 229. 1481 Jäger in GS Joecks, S. 513, 514 ff. 1482 EuGH v. 05.12.2017 - C-42/17, ECLI:EU:C:2017:936, NZWiSt 2018, 172.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

onsrechtskonformen Auslegung (Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 325 Abs. 1, Abs. 2 AEUV) wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts auch bei der Auslegung „einer blankettausfüllenden Steuerrechtsnorm“ zu beachten. Allerdings sei die „Auslegung und Anwendung der den Straftatbestand der Steuerhinterziehung ausfüllenden steuerrechtlichen Vorschriften am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen“. Unabhängig davon müsse die Auslegung zudem dem „verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genügen“. Letzterer ergebe sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit nach Art. 40 GrCH. Sofern einer unionsrechtskonformen Auslegung der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit entgegenstehe, könne es zu einer „Normspaltung“1483, also „einer voneinander abweichenden steuerrechtlichen und steuerstrafrechtlichen Auslegung“, mit der Folge kommen, dass ein Steueran­ spruch bestünde, der strafrechtlich nicht geschützt ist.1484 Dies zu beheben sei Aufgabe des Gesetzgebers. Jäger nimmt nicht ausdrücklich zu der Fallkonstellation der Rechtssache Italmoda Stellung, spricht diese aber an. Er verweist darauf, dass es „eine bislang noch nicht abschließend geklärte Frage ist, ob ein Verstoß gegen die Wortlautgrenze im Sinne des Art. 103 Abs. 2 GG auch dann denkbar ist, wenn sich aus dem Gesetzeswortlaut Rechte ergeben, welche aber gesetzesimmanenten Einschränkungen unterliegen, die im Wortlaut des Gesetzes nicht ausdrücklich benannt werden“. Wenn „die vom Gericht vorgenommene Auslegung für den Rechtsunterworfenen nicht vorhersehbar [war], ist sie mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht zu vereinbaren.“ Dies sieht Bülte1485 im Ergebnis ebenso. Die Bundesrepublik Deutschland sei zwar verpflichtet, „wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Maßnahmen zur Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung zu ergreifen“1486, aber eine Verletzung der Wortlautgrenze sei im Strafrecht unzulässig. Auf der Ebene der Strafzumessung sieht auch Madauß1487, dass hier eine Vorsteuer, die aus einem vom Lieferer ordnungsgemäß versteuerten Eingangsumsatz resultiert, zu berücksichtigen ist. Er stellt hierzu auf das

1483 Ebenso Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 388. 1484 So auch Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 283. 1485 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 393.  1486 Nach Art. 325 AEUV; vgl. EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846; EuGH v. 05.12.2017 - C-42/17, ECLI:EU:C:2017:936, NZWiSt 2018, 172. 1487 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 420.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

BGH-Urteil vom 30.04.20091488 und die nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB verschuldeten Auswirkungen der Tat ab. Kemper1489 zufolge führt die Versagung sowohl der Steuerbefreiung als auch des Vorsteuerabzugs zur „Auferlegung einer Form von ‚Strafzahlung‘ oder eines ‚Zuschlags‘“, welche zumindest im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden müsse. Madauß1490 weist schließlich auf eher praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Italmoda-Entscheidung vor dem Hintergrund des – unten1491 näher dargestellten – § 370 Abs. 6 S. 2 AO hin, weil die hiernach ggf. in Deutschland strafbare Hinterziehung der Umsatzsteuer in einem anderen EU-Mitgliedstaat nach den EuGH-Entscheidungen vom 08.09.20151492 in der Rechtssache Taricco sowie vom 05.12.2007 in der Rechtssache M.A.S. und M.B.1493 konsequent auch in Deutschland geahndet werden müsse. 2. Stellungnahme zum Komplex innergemeinschaftliche Lieferungen Vor dem Hintergrund, dass die Italmoda-Entscheidung nahezu die gesamte Rechtsprechung des EuGH im Bereich der innergemeinschaftlichen Lieferung zusammenfasst, soll nachstehend die Rechtsprechungsentwicklung in diesem Bereich im Wesentlichen anhand dieser Entscheidung einer eigenen Bewertung unterzogen werden. In Anbetracht des Themas der Arbeit liegt der Schwerpunkt dieser Betrachtung nicht auf den steuerlichen, sondern auf den strafrechtlichen Konsequenzen. In diesem Zusammenhang sei vorweggeschickt, dass subjektive Elemente sowohl auf der steuerlichen Ebene (wusste oder hätte wissen müssen) als auch auf der strafrechtlichen Ebene (Vorsatz) zu prüfen sind. a) Steuerrecht aa) Bedeutung der Entscheidung Italmoda Meines Erachtens hat der EuGH in den Entscheidungen, auf die er in seiner Begründung ausdrücklich hinweist, – wie oben ausgeführt – schon 1488 BGH v. 30.04.2009 - 1 StR 342/08, NStZ 2009, 637; siehe auch S. 394 ff. 1489 Kemper, NZWiSt 2015, 441, 445. 1490 Madauß, NZWiSt 2015, 417, 421. 1491 Siehe S. 291. 1492 EuGH v. 08.09.2015 - C-105/14, ECLI:EU:C:2015:555, NZWiSt 2015, 390; vgl. Kaiser, PStR 2015, 219. 1493 EuGH v. 05.12.2017 - C-42/17, ECLI:EU:C:2017:936, NZWiSt 2018, 172.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

vor der Entscheidung Italmoda die nationalen Behörden und Gerichte dazu verpflichtet den Vorsteuerabzug bzw. die Steuerbefreiung zu versagen, wenn der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seiner Lieferung an einer Lieferkette beteiligte, bei der bei einem vorausgegangenen oder nachfolgenden Umsatz Mehrwertsteuer hinterzogen wurde. Nichts anderes gilt für die grenzüberschreitende Betrachtung. Selbst die unmittelbare Versagung der Rechte durch die Richtlinie hat sich bereits in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH (Kittel und Recolta Recycling) angedeutet. Im Ergebnis fasst der EuGH daher in Italmoda – jedenfalls im Wesentlichen – seine bisherige Rechtsprechung zusammen. Die „Puzzleteile“ der oben im Einzelnen dargestellten Entscheidungen fügt der EuGH mit Italmoda sodann zu einem Gesamtbild zusammen. Die Tragweite der einzelnen Entscheidungen wird nun in ihrer Gesamtschau mehr als deutlich. Ungeklärt waren aber vor Italmoda die Fälle der sog. neutralen Beihilfe, also die Fälle, in denen der Unternehmer keine aktive Unterstützung geleistet hat, sondern lediglich Kenntnis von den unlauteren Absichten der Abnehmer hatte bzw. hätte haben müssen. bb) Objektive Umstände Hier – in der Beantwortung dieser Tatfrage – liegt der Dreh- und Angelpunkt der praktischen Auswirkung der gesamten Rechtsprechung des EuGH: Liegt „Wissen oder Wissenmüssen“ vor, so verliert der betreffende Unternehmer nach der Entscheidung Italmoda sämtliche Rechte. Liegt „Wissen oder Wissenmüssen“ nicht vor, so verliert der betreffende Unternehmer nach der Entscheidung Optigen1494 diese Rechte nicht. Es ist dann jeder Umsatz für sich zu betrachten. Diesbezüglich haben der BFH1495 und das FG Köln1496 entschieden, dass die Finanzverwaltung die (steuerliche) Feststellungslast dafür trägt, dass der Unternehmer vom Steuerbetrug wusste bzw. hätte wissen müssen. Ebenso Gehm1497, Reiß1498 und Alvermann1499, die vor dem Hintergrund

1494 EuGH v. 12.01.2006 - C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16, DStR 2006, 133, 136, siehe S. 201 f. 1495 BFH v. 12.08.2009 - XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259.  1496 FG Köln v. 20.09.2016 - 8 K 1527/14, UStB 2016, 360, 361. 1497 Gehm, StraFo 2015, 441, 442. 1498 Reiß in FG List, 148, 173. 1499 Alvermann, AG 2014, 776, 778.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

der Entscheidungen des EuGH in den Sachen Mahagében1500 und Bonik EOOD1501 fordern, dass die Behörde objektive Anhaltspunkte darlegt, warum von einem Wissen oder Wissenmüssen ausgegangen wird, damit sich der Unternehmer dann entlasten kann.1502 In Abgrenzung hierzu trifft den Steuerpflichtigen die Feststellungslast für Voraussetzungen zur Inanspruchnahme von Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG als auch für Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163, 227 AO.1503 Zum Umfang der erforderlichen Nachforschungen durch den Unternehmer hat das FG Sachsen-Anhalt1504 festgestellt, das bei „Anhaltspunkte[n] für Zweifel an der Richtigkeit der Angaben des Abnehmers […], der Unternehmer verpflichtet [ist], Nachforschungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit anzustellen. Unter diesen Umständen genügen […] nicht die […] Einholung einer Bestätigung der USt-Ident-Nummer sowie die Abfragen der Handelsregister-Eintragung oder Gewerbeanmeldung der vermeintlichen Abnehmerfirma.“ Es ist allerdings bislang unklar, welche „objektiven Umstände“ hinsichtlich der subjektiven Elemente vorliegen müssen, damit die Versagung sämtlicher Rechte in Betracht kommt. Um den Steuerbehörden nicht Tür und Tor zu öffnen, sollten die nationalen Tatsachengerichte, die hierüber zu befinden haben, hohe Anforderungen hieran stellen. Unklar ist ferner, welchen Grad von Überzeugungsbildung (z.B. zulässige Verringerung des Beweismaßes durch Anscheinsbeweise) die Finanzbehörden bzw. Gerichte haben müssen, welcher Maßstab (z.B. Vorsatz, Leichtfertigkeit, Fahrlässigkeit) anzulegen ist und welche Indizien vorliegen müssen. Diese Schwierigkeiten sind umso größer, als sich die geforderten objektiven Umstände auf subjektive Elemente, also innere Tatsachen, des „Wissens oder Hätte-wissen-Müssens“ beziehen. Insbesondere um auch der Gefahr einer retrospektiven Betrachtung im Sinne eines „nachher ist man immer schlauer“ nicht zu erliegen, sind hier hohe Anforderungen zu stellen.

1500 EuGH v. 21.06.2012 - C-80/11 und C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373, DStRE 2012, 1336, siehe S. 231. 1501 EuGH v. 06.12.2012 - C-285/11, ECLI:EU:C:2012:774, UR 2013, 195, siehe S. 232. 1502 Siehe auch Meyer-Burow/Connemann, UStB 2014, 204; Schrömbges, wistra 2017, 422, 425. 1503 Siehe S. 19 ff. 1504 FG Sachsen-Anhalt v. 30.06.2018 - 3 V 506/17, BeckRS 2017, 136852; siehe auch Bärenweiler, UStB 2018, 242, 245 ff.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

cc) Anforderungen an subjektive Elemente Zunächst ist zu konstatieren, dass der EuGH seine gesamte Argumen­ tationskette zur Be–gründung der Rechteversagung in seiner Entscheidung auf dem Fall des „Wissens“ aufbaut und dann eher beiläufig und ohne tiefergehende Begründung der Entscheidung feststellt, dass dies (die Versagung aller Rechte) auch für den Fall des „Wissenmüssens“ gilt.1505 Er verweist auf frühere Entscheidungen, die aber ebenfalls keine Begründung für die Versagung sämtlicher Rechte auf der Eingangs- und Ausgangsseite des Umsatzes des Steuerpflichtigen liefern. Der EuGH schafft damit allenfalls die Illusion einer Begründung. Vor diesem Hintergrund sind m.E. an subjektive Elemente hohe Anforderungen zu stellen. Die Anknüpfung an subjektive Elemente ist dem deutschen Steuerrecht nicht fremd. Hieran knüpft z.B. die Einkünfteerzielungsabsicht in Abgrenzung zur Liebhaberei an. Meines Erachtens sollte – mit Wäger1506 – das „Wissenmüssen“ mit der Konsequenz der Versagung aller Rechte auf der steuerlichen Ebene dem bedingten Vorsatz nach deutschem (Straf)Recht entsprechen, um zu sachgerechten und verhältnismäßigen Ergebnissen zu gelangen. Dies deshalb, da der EuGH in diesen Fällen ganz offensichtlich eine „abschreckende Strafbesteuerung“ – freilich unter dem Deckmantel der Prävention – in Kauf nimmt bzw. sogar beabsichtigt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit gelangt man nur so zu einer angemessenen Risikoverteilung zwischen dem Fiskus, dem das Steueraufkommen zusteht, und dem Unternehmer, der eine fremde Steuer wie ein „Beliehener“ des Staats für diesen vereinnahmt und dann an diesen abzuführen hat. Volck1507 kritisiert zu Recht – allerdings in einem ganz anderen Zusammenhang –, dass der Gesetzgeber Beweisschwierigkeiten gerne dadurch aus dem Wege geht, dass „der Beweis subjektiver Befindlichkeiten durch eine normative Ableitung aus dem objektiven Geschehen ersetzt wird (‚hätte sich aufdrängen müssen‘)“. Das vom EuGH anvisierte Ziel, Missbräuche durch eine abschreckende Wirkung auch in den Fällen einfacher Fahrlässigkeit zu vermeiden, wird in Deutschland bereits über die oben von Wäger1508 mehrfach angesprochene Haftungsnorm des § 25d UStG erreicht.

1505 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106 f. 1506 Wäger, UR 2015, 81, 87. 1507 Volck in FS Streck, S. 597, 604. 1508 Wäger, UR 2015, 81, 98, siehe S. 257 ff.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

b) Strafrecht Die Auswirkungen der oben dargestellten Entscheidungen, insbesondere der Italmoda-Entscheidung, auf das deutsche Steuerstrafrecht sind – wie die steuerlichen Auswirkungen – ebenfalls alles andere als geklärt. Es ist zunächst danach zu fragen, ob und wie sich die Beteiligten in den vorstehend beschriebenen Fallkonstellationen (insbesondere den Rechtssachen R und Italmoda) mög­licherweise strafbar gemacht haben können. aa) Tathandlung In den vorbezeichneten Fällen stehen in der Regel folgende Tathandlungen bzw. Umsatzsteuerhinterziehungsdelikte nach deutschem Strafrecht im Raum: Eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO liegt in diesen Fällen häufig vor, wegen der unberechtigten Geltendmachung einer Steuerbefreiung für eine innergemeinschaftliche Lieferung, die nach der Rechtsprechung des EuGH nicht steuerfrei ist, oder wegen der unberechtigten Geltendmachung von Vorsteuern, die nach der Rechtsprechung des EuGH nicht geltend gemacht werden dürfen. Ebenso liegt eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO vor, wenn in Deutschland steuerpflichtige innergemeinschaftliche Erwerbe nicht erklärt werden. In den Fällen des kollusiven Zusammenwirkens mit dem tatsächlichen Empfänger, um dessen Identität zu verschleiern, und auch in den Fällen der einseitigen Identitätstäuschung durch den liefernden Unternehmer kommt eine in Deutschland strafbare Beihilfehandlung zur Hinterziehung der Steuern (innergemeinschaftlicher Erwerb) des ausländischen Abnehmers in Betracht. Es stellt sich die Frage, was der EuGH darunter versteht, dass sich der Steuerpflichtige „an einer Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt“ hat. In der Rechtssache Italmoda hat der Steuerpflichtige – anders als in der Rechtssache R – keine Verschleierungshandlungen vorgenommen und der EuGH nur auf den Informationsstand (Wissen oder Wissenmüssen) des Steuerpflichtigen abgestellt. Damit ist klar, dass der EuGH für die von ihm in den Blick genommenen steuerlichen Zwecke des Umsatzsteuerrechts, nicht auf eine Beihilfehandlung im strafrechtlichen Sinne – insbesondere nicht auf die des § 27 StGB des nationalen Rechts – abstellt. Ohne dies zu erläutern, scheint der EuGH die Beteiligung eher in einem 271

2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

kausalen („aufgrund seines betrügerischen Handelns“1509) – und nicht im finalen – Sinne zu verstehen und diese mit dem Informationsstand (Wissen oder Wissenmüssen) gemeinsam zu betrachten. Dies sind – nach Maßstäben des nationalen Rechts – die Fälle der „neu­ tralen Beihilfe“. In diesen Fällen ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine Beihilfehandlung1510 (§ 27 StGB) vorliegt. Dieser Frage wird unten1511 nachgegangen. bb) Bestimmtheitsgrundsatz, Analogieverbot Es stellt sich die Frage, ob eine Strafbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Ein Anwendungsvorrang des Unionsrechts steht einer eventuellen Straf­ losigkeit jedenfalls nicht entgegen.1512 Dies sieht auch der EuGH selbst so. In der o.g. Entscheidung Halifax1513 fordert er eine klare und eindeutige Rechtsgrundlage für Sanktionen. Im Fall der Rechtssache R hat das BVerfG mit Entscheidung vom 16.06.20111514 die Auslegung des EuGH vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG in Bezug auf den Wortlaut von § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG so gerade noch als gewahrt angesehen. Dies betraf aber einen Fall mit Täuschungshandlung durch den Täter. Aus der Entscheidung des BVerfG wird nicht deutlich, welchen Wortlaut genau das BVerfG in den Blick nimmt. Dies kann aber der BGH-Entscheidung vom 20.11.20081515 entnommen werden. Gemeint ist, dass der Erwerb nach § 6a Abs. 1 Nr. 3 UStG beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung „unterliegt“. Diese Voraussetzung soll – wohl – nicht erfüllt sein, wenn die Nichtversteuerung auf Verschleierungshandlungen beruht, der Umsatz also nicht nur steuerbar ist, sondern tatsächlich nicht besteuert wird. Meines Erachtens ist auch in diesen Fällen dem Bestimmtheitsgebot nicht Genüge getan. Wie bereits oben aus­ geführt1516, sind die steuerrechtliche Vorschrift und § 370 AO zusammen 1509 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 113. 1510 Siehe S. 167 f. 1511 Siehe S. 278 ff. 1512 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 389; so auch Treiber, MwStR 2015, 626, 631. 1513 EuGH v. 21.02.2006 - C‐255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420, siehe S. 202 f. 1514 BVerfG v. 16.06.2011 - 2 BvR 542/09, NJW 2011, 3778, siehe S. 229. 1515 BGH v. 20.11.2008 - 1 StR 354/08, wistra 2009, 159, siehe S. 215. 1516 Siehe S. 32.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

zu lesen und ergeben erst gemeinsam den „vollständigen Straftatbestand“1517. Daher müssen die den § 370 AO ausfüllenden steuerlichen Vorschriften „ebenso den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG genügen wie […] [§ 370 AO] selbst“.1518 Das Gesetz muss folglich im Sinne einer Normenklarheit sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist.1519 Der Rechtsunterworfene muss anhand des Wortlautes und ggf. unter Hinzuziehung der Auslegung durch die Gerichte erkennen können, „welche Handlungen und Unterlassungen seine strafrechtliche Verantwortlichkeit begründen“.1520 Eine über den Wortlaut der steuerrechtlichen Vorschrift hinausgehende Auslegung ist danach unzulässig.1521 Zur Bestimmung des „möglichen Wortsinns können gesetzessystematische und teleologische Erwägungen von Bedeutung sein“.1522 Für den Unternehmer lässt sich in den hier in Rede stehenden Fällen nicht durch Auslegung ermitteln, was strafbar ist und was nicht. Die vom EuGH1523 vorgenommene Rechteversagung für den Fall, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat, mag zwar auf der Linie seiner bishe­ rigen Rechtsprechung in den Sachen Halifax1524, Kittel und Recolta Re­ cycling1525 sowie Mahagében und Dávid1526 liegen. Die Versagung der Steuerbefreiung geht aber nicht nur über den o.g. Wortlaut der Vorschrift des § 6a UStG hinaus, diese Auslegung durch den EuGH findet nicht einmal andeutungsweise einen Anklang im Wortlaut der Richtlinie.1527 Hier liegt auch der Unterschied zur Beurteilung des BGH1528 zur Auslegung des Begriffs des „ähnlichen Rechts“ nach § 3a Abs. 4 Nr. 1 UStG a.F. 1517 Kuhlen, S. 46. 1518 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 25.1. 1519 BVerfG v. 23.06.2010 - 2 BvR 2559/08, 2 BvR 105/09, 2 BvR 491/09, BVerfGE 126, 170, 195; BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219. 1520 Jäger in GS Joecks, S. 513, 516. 1521 BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219. 1522 BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219. 1523 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 113. 1524 EuGH v. 21.02.2006 - C‐255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420, siehe S. 202 f. 1525 EuGH v. 06.07.2006 - C-439/04 und C-440/04, ECLI:EU:C:2006:446, DStR 2006, 1274, siehe S. 204 f. 1526 EuGH v. 21.06.2012 - C-80/11 und C-142/11, ECLI:EU:C:2012:373, DStRE 2012, 1336, siehe S. 231. 1527 Ebenso Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 391a. 1528 BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Dort war – so der BGH1529 – die Bedeutung des Begriffs der „Ähnlichkeit“ aus dem Zusammenhang des Normgefüges zu ermitteln.1530 Ein solcher Begriff, der in diesem Sinne ausgelegt werden könnte, existiert im Fall Italmoda weder in den nationalen Vorschriften noch in der Richtlinie. Vor dem Hintergrund der einschneidenden Rechtsfolge, der Strafbarkeit als der „schärfsten […] Waffe“ des Rechtsstaats1531 sind gesetzesimmanente Einschränkungen allein – ohne Bezugspunkt im Wortlaut – nicht geeignet, eine Vorhersehbarkeit nach Art. 103 Abs. 2 GG zu begründen. Dies gilt erst recht in Bezug auf den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG, da dessen Wortlaut – anders als in § 6a UStG durch das Verb „unterliegt“ – überhaupt keinen Ansatzpunkt für eine Versagung bietet. Es kommt zu der von Jäger1532 angesprochenen Normspaltung mit der Folge, dass die steuerstrafrechtliche Auslegung von der steuerlichen Auslegung durch den EuGH abweicht. Die Versagung der Rechte verbunden mit den entsprechenden steuerlichen und strafrechtlichen Folgen geht erst recht in den Fällen der neutralen Beihilfe über den Wortlaut der Vorschriften der §§ 6a bzw. 15 UStG hinaus. Dieses „Konstrukt“ des EuGH vermögen schon versierte Steuerrechtler schwer zu fassen, wie die obigen Anmerkungen in der Literatur1533 zeigen. Würde man dies anders sehen, könnte der EuGH – durch die Hintertüre des Steuerrechts – Steuerstraftatbestände einführen. In den Fällen der sog. neutralen Beihilfe wird vermutlich auch das BVerfG davon ausgehen müssen, dass anders als in den Fällen der Täuschungshandlung („so gerade noch“1534) jedenfalls den Grundsätzen des Bestimmtheitsgebots „schon nicht mehr“ entsprochen wird. Meines Erachtens können die steuerlichen Folgen der o.g. EuGH-Rechtsprechung in den Rechtssachen R und Italmoda wegen der Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes nicht in das Strafrecht übernommen werden. cc) Mehrfachbelastung als Sanktion; Strafklageverbrauch Nach Art. 50 GrCH ist die Bestrafung oder Verfolgung wegen einer Straftat verboten, für die der Betroffene innerhalb der EU „nach dem Gesetz 1529 BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 219. 1530 Ebenso Bülte, NZWiSt 2017, 161.  1531 BVerfG v. 25.02.1975 - 1 BvF 1-6/74, NJW 1975, 573, 576. 1532 Jäger in GS Joecks, S. 513, 517 f., siehe S. 265 f. 1533 Siehe S. 220 ff. 1534 Siehe S. 229 f.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist“. Der EuGH hat die Erforderlichkeit einer strafrechtlichen Verurteilung in seinen Entscheidungen zu Art. 54 SDÜ eingegrenzt und versteht hierunter auch durch Behörden verhängte Sanktionen wie z.B. Bußgelder und strafähnliche Maßnahmen. Jedoch fordert der EuGH eine Rechtskraftwirkung dergestalt, dass erneute Ermittlungen aufgrund des gleichen Sachverhalts gehindert sind.1535 Die o.g. steuerliche Mehrfachbelastung mit sanktionsähnlichem Charakter hindert daher keine „zusätzliche“ Bestrafung nach den Regeln des Strafrechts nach dem Grundsatz „Ne bis in idem“, da die Mehrfachbelastung weder nach deutschem Recht (Art. 103 Abs. 2 GG) noch nach dem insoweit weiteren europäischen Begriff der Rechtskraft (Art. 50 EU-GRC; Art. 54 SDÜ) eine solche Sperrwirkung für neue Ermittlungen entfaltet. dd) Steuerverkürzung Bülte1536 ist darin zuzustimmen, dass in den Fällen, in denen – wie in der Rechtssache R und Italmoda – dem Unternehmer sämtliche Rechte versagt werden, keine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 AO vorliegt. Bei ordnungsgemäßem Ablauf im Fall der Rechtssache R1537 kann der deutsche Unternehmer, der ins EU-Ausland weiterliefert, die Steuerfreiheit in Anspruch nehmen und die Vorsteuer seines Lieferanten geltend machen. Steuern werden in den Fällen der vorliegenden Art lediglich im Ausland hinterzogen (Nichterklärung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs), wobei sich eine Strafbarkeit solcher Teilnahmehandlungen in Deutschland für den Unternehmer bereits aus § 370 Abs. 6 AO ergibt. In Fällen, wie z.B. der Rechtssache Italmoda (innergemeinschaftliches Dreiecksgeschäft, § 25b UStG) war das niederländische Steueraufkommen bei ordnungsgemäßem Ablauf ebenfalls nicht tangiert. Die (bewegte) Lieferung aus Deutschland in die Niederlande stellte eine bzw. die steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in diesem Dreiecksgeschäft dar. Italmoda hatte in den Niederlanden vorübergehend einen innergemeinschaftlichen Erwerb zu versteuern. Diese Steuerpflicht entfällt aber auflösend bedingt (mithin rückwirkend), sobald Italmoda die Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs in dem Land nachweist, wo 1535 Bülte, NZWiSt 2014, 321, 323. 1536 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 393; ebenso Peters in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 286. 1537 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, siehe S. 215 f.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

die Ware letztlich hingelangt, also in Italien.1538 In Italien ist wiederum ein innergemeinschaftlicher Erwerb zu versteuern, wobei diese Steuer gleichzeitig als Vorsteuer abzugsfähig ist. Bis hierhin wird weder das Steueraufkommen von Deutschland noch den Niederlanden oder Italien tangiert. Dem steht auch strafrechtlich nicht – wie oben ausgeführt1539 – das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO entgegen, da dieses in Bezug auf die innergemeinschaftliche Lieferung mit gleichzeitigem Vorsteuerabzug nicht greift. Entsprechend dem Bestimmungslandprinzip kommt erst dann eine Beeinträchtigung des Steueraufkommens in Betracht, wenn die Ware in Italien schwarz weiterverkauft wird. Diesbezügliche (Beihilfe‑)Straftaten wären im Fall Italmoda aber im deutschen Steuerstrafrecht über § 370 Abs. 6 AO strafbar. Damit ist sowohl im Fall der Rechtssache R als auch im Fall Italmoda geklärt, dass es sich bei den Steuern, welche aufgrund der Rechteversagung durch den EuGH geschuldet werden, nicht um Steuern i.S.d. § 3 Abs. 1 AO, sondern um Sanktionen durch den EuGH handelt.1540 Die Wirkung als Sanktion1541 ändert sich auch nicht dadurch, dass der EuGH selbst in der Entscheidung Italmoda in Abrede stellt, dass es sich um eine Sanktion handele. Vor diesem Hintergrund verweist der EuGH1542 auf eine Schranke, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht selbst ergebe. Wenn dem so wäre, könnte argumentiert werden, dass dem Steuerpflichtigen die Rechte nie zugeständen hätten mit der Folge, dass ihm diese nicht genommen werden, weil er sie nie besaß und damit keine Sanktion vorliegt. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht auf die Verortung, sondern auf die Wirkung, die Doppel- oder gar Mehrfachbesteuerung, abzustellen ist. Mithin handelt es sich – jedenfalls soweit eine steuerliche Doppeloder Mehrfachbelastung vorliegt – um eine Sanktion. Treiber1543 weist zu Recht auf die Rechtsprechung des EuGH1544 in der Prankl-Entscheidung hin, in welcher es der EuGH im Verbrauchsteuerrecht zur Verhinderung von Missbräuchen und Steuerhinterziehungen nicht für erforderlich hält, eine Mehrfachbelastung vorzunehmen. Wa­ rum dies bei der Umsatzsteuer – die darauf abzielt, im Ergebnis nur den

1538 Art. 41 Abs. 2 MwStSytRL; EuGH v. 22.4.2010 - C-536/08 und C-539/08, ECLI:​ EU:C:2010:217, DStR 2010, 926. 1539 Siehe S. 70 f. 1540 Ebenso Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 393. 1541 So auch Reiß in FG List, S. 148, 164. 1542 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, 110. 1543 Treiber, MwStR 2015, 626, 634. 1544 EuGH v. 05.03.2015 - C-175/14, ECLI:EU:C:2015:142, wistra 2016, 19. 

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Endverbrauch steuerlich zu belasten1545 – anders sein soll, erläutert der EuGH nicht und kann m.E. nur als Sanktion verstanden werden. So auch Oelmaier1546, der ebenfalls von einer „Strafsteuer“ spricht, die aber keine Strafe i.S.d. europäischen Rechts sei. In der Rechtssache R hat der EuGH selbst von einer „abschreckenden Wirkung“ und damit von einer generalpräventiven Wirkung gesprochen, die Steuern grds. fremd ist und Sanktionen zukommt. Unter § 370 Abs. 1 AO fallen aber nur falsche Angaben zu steuerlich erheblichen Tatsachen, zu denen nicht falsche oder unterlassene Angaben zu Sanktionen zählen. Die Versagung der Steuerbefreiung und auch des Vorsteuerabzugs ist eine sanktionsähnliche Maßnahme durch den EuGH. Da § 370 AO nur das Steueraufkommen und nicht die Durchsetzung eines staatlichen Sanktionsanspruchs schützt,1547 liegt – jedenfalls in Höhe der Doppel- oder gar Mehrfachbesteuerung – keine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 AO vor. ee) Subjektiver Tatbestand Kritischer Bezugspunkt für das Vorliegen des Vorsatzes ist der Grad der Kenntnis des Unternehmers über die Beteiligung an einer betrügerischen Lieferkette. Ferner das Bestehen eines Steueranspruchs. Nach der – oben dargestellten1548 – Steueranspruchslehre muss sich der Vorsatz des Täters nicht nur auf die objektiven Umstände beziehen. Der Täter muss den Steueranspruch dem Grund und der Höhe nach kennen oder zumindest für möglich halten und ihn auch verkürzen wollen.1549 (1) Täuschungshandlungen In den Fällen des kollusiven Zusammenwirkens mit dem tatsächlichen Empfänger, um dessen Identität zu verschleiern, und auch in den Fällen der einseitigen Identitätstäuschung durch den liefernden Unternehmer ist es m.E. gerechtfertigt hinsichtlich des Vorsatzes die allgemeinen Grundsätze1550 anzuwenden. Dies bedeutet, dass der Täter hinsichtlich aller Elemente des objektiven Tatbestands und auch hinsichtlich des Be1545 Siehe S. 26. 1546 Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 15, Rn. 57. 1547 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 393. 1548 Siehe S. 137 f. 1549 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 502. 1550 Siehe S. 136 ff.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

stehens des Steueranspruchs zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt haben muss, was jeweils Tatfrage ist. (2) Fälle der neutralen Beihilfe In den Fällen der o.g. neutralen Beihilfe1551 stellt sich die Frage nach der Strafbarkeit dieser Personen in besonderem Maße. Dies sind die Fälle, in denen es bereits wegen des Wissens oder Wissenmüssens der Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung ohne eine zusätzlich hinzutretende aktive Verschleierung zu einem Verlust von Vorsteuerabzug und Steuerbefreiung kommt. Vor dem Hintergrund der Italmoda-Entscheidung sind in diesen Fällen die Steuerbefreiung und/oder der Vorsteuerabzug zu versagen. Den für die Strafbarkeit erforderlichen bedingten Vorsatz einmal unterstellt (Wissen bzw. billigendes in Kauf nehmen), würden sich die Unternehmer durch Geltendmachung der Steuerbefreiung bzw. des Vorsteuerabzugs strafbar machen. Diese Fragen der „neutralen Beihilfe“ sind dem deutschen Steuerstrafrecht nicht fremd1552 und in Zusammenhang mit der Strafbarkeit von Bankmitarbeitern oder auch Berufsträgern, wie z.B. Steuerberatern, bekannt und werden auch als sog. berufstypische neutrale Handlungen bezeichnet. Einigkeit über die Behandlung dieser Fallkonstellationen besteht dahingehend, dass es solche straffreien Verhaltensweisen trotz ihres tatfördernden Effekts geben muss.1553 Unklar ist aber, wie man zu dem Ergebnis der Straffreiheit gelangt. Zum Teil wird argumentiert, „dass sozialadäquates Verhalten von vornherein kein Unrecht darstellt, weil kein rechtlich relevantes, sondern ein erlaubtes Risiko geschaffen wird, das sich im Rahmen der normalen, geschichtlich gewordenen sozialen Ordnung des Lebens hält, so dass ein deliktischer Sinnbezug fehlt“.1554 Die Grundsätze zu den „berufstypischen neutralen Handlungen“ hat der BGH1555 auch auf neutrale Alltagshandlungen übertragen, die keinen berufstypischen Bezug aufweisen.

1551 Siehe S. 167 f. 1552 Siehe Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 165; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 514. 1553 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 166. 1554 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 167. 1555 BGH v 18.06.2003 - 5 StR 489/02, NStZ 2004, 41.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Nach der diesbezüglichen Rechtsprechung des BGH1556 gilt Folgendes: „(1) Zielt das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und weiß dies der Hilfeleistende, so ist sein Tatbeitrag als strafbare Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliert sein Tun stets den Alltagscharakter. Es ist als Solidarisierung mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als sozialadäquat anzusehen (sog. deliktischer Sinnbezug). (2) Weiß der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag verwendet wird, hält er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung einer Straftat genutzt wird, so ist sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung zu beurteilen. (3) Dies gilt aber wiederum dann nicht, wenn das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ.“ Mit Hilfe dieser Drei-Stufen-Lösung versucht der BGH einer „konturlosen Beihilfestrafbarkeit“1557 durch die Begrenzung des Beihilfevorsatzes entgegenzuwirken, bleibt aber gerade auf der dritten Stufe mit dem Begriff „angelegen sein“ dennoch konturenlos. Letztlich sind die Fälle der neutralen Beihilfe („hätte wissen müssen“) im Zusammenhang mit Auslandsachverhalten im Kern bzw. vom Unrechtsgehalt her meist Beihilfehandlungen der betroffenen Unternehmer zur Steuerhinterziehung des im Ausland sitzenden Empfängers, deren Strafbarkeit in Deutschland sich allenfalls über § 370 Abs. 6 AO1558 ergibt. Dafür muss aber zumindest die Grenze der psychischen Beihilfe überschritten sein. Die täterschaftliche Begehungsweise basiert letztlich nur auf dem gekünzelten Konstrukt des EuGH durch die Italmoda-Entscheidung. Diese Fälle der neutralen Beihilfe sind mithin vom Unrechtsgehalt her mit den Fällen der neutralen Beihilfe von Bankmitarbeitern bzw. Steuerberatern vergleichbar. Daher sind diese Fälle strafrechtlich gleich zu behandeln. Die o.g. Grundsätze des BGH sollten deshalb auch in Fällen wie in der Rechtssache Italmoda herangezogen werden, wenn insoweit eine „neutrale Beihilfe“ vorliegt. Dann sollte danach gefragt werden, ob der Unternehmer, dem die Rechte der Steuerbefreiung bzw. 1556 BGH v. 20.09.1999 - 5 StR 729/98, wistra 1999, 459; v. 01.08.2000 - 5 StR 624/99, wistra 2000, 340, 342; Jäger in Klein, § 370, Rn. 224; siehe S. 167 f. 1557 Jäger in Klein, § 370, Rn. 224. 1558 Siehe S. 289 ff.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

auf Vorsteuerabzug versagt werden, sich im Sinne der o.g. Rechtsprechung mit den anderen in der Lieferkette solidarisiert und sich deren Zielen verschrieben hat. Ist dies nicht der Fall (keine Solidarisierung), ist der subjektive Tatbestand hinsichtlich dieser steuerlich ungerechtfertigten Geltendmachung dieser Rechte jedenfalls aus diesem Grunde zu verneinen, weil es in Bezug auf das objektive Tatbestandsmerkmal des „Wissenmüssens“ am subjektiven Tatbestand mangelt. Steuerlich liegen in diesem Fall ggfs. objektive Anhaltspunkte für eine (fahrlässige) Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug vor (Wissenmüssen), strafrechtlich liegt aber kein bedingter Vorsatz des Gehilfen hinsichtlich der fahrlässigen Einbeziehung in einen Umsatzsteuerbetrug vor. Abgesehen vom Vorstehenden dürfte der Vorsatz hinsichtlich des Bestehens eines Steueranspruchs1559 gerade in den Fällen der neutralen Beihilfe regelmäßig nicht vorliegen. In den Fällen des bloßen „Wissenmüssens“, bei denen der Unternehmer aber den Umstand der Beteiligung an einer betrügerischen Lieferkette nicht einmal billigend in Kauf genommen hat, scheidet eine Strafbarkeit mangels Vorsatz ohnehin aus. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands gelten die allgemeinen Grundsätze. In den Fällen der neutralen Beihilfe ist – sofern überhaupt bedingter Vorsatz in Bezug auf den Steueranspruch vorliegt – zusätzlich erforderlich, dass eine Solidarisierung des betroffenen Unternehmers mit den Steuerhinterziehern bzw. Betrügern in der Lieferkette vorliegt. ff) Strafzumessung Auf der Strafzumessungsebene (§ 46 Abs. 2 StGB) sind sämtliche Aspekte wie auch der Grad der Kenntnis und die Nähe des „Beteiligten“ zur Hinterziehung in der Lieferkette zu berücksichtigen. Auf dieser Ebene ist zudem nur der tatsächliche Fiskalschaden unter Außerachtlassung des Kompensationsverbots entscheidend. Es kommt mithin darauf an, welche Steuerlast bei ordnungsgemäßem Verhalten entstanden wäre, und nicht darauf, in welchem Umfang die Finanzverwaltung steuerliche Nachforderungen stellt bzw. diese nach der EuGH-Rechtsprechung bestehen. Die o.g. „Strafsteuereffekte“ sind mithin spätestens bei der Strafzumessung herauszurechnen.

1559 Siehe S. 137 f.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

Diese Strafsteuereffekte führen bereits zu einer Sanktion, die jedenfalls strafmildernd zu berücksichtigen sind. gg) Spätere Korrekturen Etwaige spätere – in der Literatur diskutierte1560 – steuerliche Korrekturen haben auf bereits verwirklichte Straftatbestände nur unter den Vo­ raussetzungen einer Selbstanzeige nach § 371 AO1561 bzw. unter denen des Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB Bedeutung.1562 c) Ergebnis zum Komplex innergemeinschaftliche Lieferungen Rechtspolitisch ist die Entscheidung des EuGH über die steuerlichen Auswirkungen nachvollziehbar. Rechtsdogmatisch ist diese aber dennoch falsch. Wenn auf der EU-Ebene ein Binnenmarkt geschaffen wird, dann ist es systemgerecht und sachgerecht, die Probleme dort zu lösen, wo sie entstehen. Dies bedeutet, dass nach dem Bestimmungslandprinzip die Besteuerung im Bestimmungsland sichergestellt werden muss.1563 Der EuGH versucht dies über den Umweg der Versagung sämtlicher Rechte der in der nämlichen Lieferkette handelnden Unternehmer. Man mag dies bei aktiven Verschleierungshandlungen der Unternehmer noch hinnehmen können. In den Fällen der sog. neutralen Beihilfe kommt dies einer „Gruppenhaft“ gleich und ist nicht hinnehmbar. Gerade in diesen Fällen ist es nicht sachgerecht, Unternehmer für die steuerlichen Ver­ fehlungen anderer Unternehmer zu sanktionieren. Ungeachtet dessen sind Steuerhinterziehungen – systemgerecht – nicht mit den Mitteln des Steuerrechts zu sanktionieren, sondern mit denen des Strafrechts bzw. des Ordnungswidrigkeitenrechts. Strafrechtlich können die steuerlichen Folgerungen der EuGH-Rechtsprechung aus den o.g. Gründen nicht übernommen werden. Da über § 370 Abs. 6 AO ein ausreichender inländischer strafrechtlicher Schutz für Hinterziehungen im Bestimmungsland besteht, ist dies auch zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken nicht notwendig. Ist hingegen nicht feststellbar, dass der Liefergegenstand in das EU-Ausland gelangt ist, dann liegen die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung nicht vor und es wird ggf. deutsche Umsatzsteuer hinterzogen.

1560 Siehe S. 251 f. 1561 Siehe S. 407 ff. 1562 Siehe S. 155 ff. 1563 So im Ergebnis auch Reiß in FG List, S. 148, 165.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

II. Lieferungen mit Drittlandsbezug 1. Ausfuhrlieferungen Auch hinsichtlich der Umsatzsteuerhinterziehung stellen sich bei Ausfuhrlieferungen ähnliche Probleme wie bei der innergemeinschaftlichen Lieferung nach §§ 4 Nr. 1b, 6a Abs. 1 UStG. a) Nachweisvoraussetzungen für die Steuerbefreiung Wie bei der innergemeinschaftlichen Lieferung handelt es sich auch bei den Nachweis­ voraussetzungen der Ausfuhrlieferung nicht (mehr) um materiell-rechtliche Voraussetzungen der Steuerbefreiung.1564 Der BFH1565 hat die Collée-Rechtsprechung1566 auch auf Ausfuhrlieferungen übertragen.1567 Sofern die entsprechenden Nachweispflichten nicht erfüllt sind, tritt Steuerfreiheit dennoch ein, wenn „aufgrund der objektiven Beweislage feststeht“, dass die Voraussetzungen der Ausfuhrlie­ ferung vorliegen.1568 Maßgeblich ist somit die tatsächliche Ausfuhr.1569 Eine Nachreichung des Belegnachweises ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung möglich; der Buchnachweis muss zwar im Zeitpunkt der Umsatzsteuervoranmeldung vorliegen, jedoch ist eine nachträgliche Ergänzung oder Berichtigung möglich.1570 Auch der BGH1571 hat die o.g. Collée-Rechtsprechung auf Ausfuhrlieferungen übertragen. Damit liegt keine Steuerhinterziehung vor, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen für die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung vorliegen. Der formelle Buch- und Belegnachweis ist auch strafrechtlich insoweit ohne Belang.

1564 Jäger in Klein, § 370, Rn. 384; Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.156; Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.10; Robisch in Bunjes, § 6, Rn. 25; Tehler in Rau/Dürrwächter, § 6, Rn. 573.4; Wagner in Simon/Wagner, S. 16. 1565 BFH v. 28.05.2009 - V R 23/08, BStBl. II 2010, 517; Nachfolgeentscheidung zum EuGH v. 27.09.2007 - C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549, UR 2007, 813.  1566 EuGH v. 27.09.2007 - C-146/05, ECLI:EU:C:2007:549, UR 2007, 813, siehe S. 210 ff. 1567 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 373. 1568 BFH v. 28.05.2009 - V R 23/08, BStBl. II 2010, 517, 520. 1569 BFH v. 28.05.2009 - V R 23/08, BStBl. II 2010, 517, 520; so auch Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.146; Schaumburg in Schaumburg/Peters, Rn. 17.14; Tehler in Rau/Dürrwächter, § 6, Rn. 573.5; Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 103, 142. 1570 Wagner in Simon/Wagner, S. 16. 1571 BGH v. 19.08. 2009 - 1 StR 206/09, wistra 2009, 475.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

b) Übertragbarkeit der Rechtsgrundsätze der EuGH-Rechtsprechung Es stellt sich bereits die Frage, ob die oben1572 geschilderte Rechtsprechung überhaupt steuerrechtlich übertragen werden kann. Höchst­ richterliche Rechtsprechung hierzu existiert bislang nicht.1573 In Bezug auf die entsprechende Anwendung des EuGH-Urteils in der Rechtssache R1574 hat sich Prätzler1575 in einer Anmerkung zum Urteil des BFH vom 11.08.20111576 ohne nähere Begründung hierfür ausgesprochen. Sterzinger1577 verweist darauf, dass das allgemeine Ziel der MwStSystRL, die „Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen über die Landesgrenzen hinaus“, für eine Übertragbarkeit der in der Rechtssache R1578 dargelegten Grund­sätze spricht. Darüber hinaus würde eine Ungleichbehandlung hinsichtlich der Versagung von Steuerbefreiungen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen und Ausfuhrlieferungen nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Mazak in der Rechtssache C-271/061579 einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstellen. Im Übrigen habe der EuGH1580 die Grundsätze des Vertrauensschutzes zur innergemeinschaftlichen Lieferung auf die Ausfuhrlieferung übertragen. Gegen eine Übertragung spricht nach Sterzinger1581 der Neutralitätsgrundsatz, da dieser besagt, dass für die Gewährung der Mehrwertsteuerbefreiung lediglich die Erfüllung der formellen Voraussetzungen erforderlich ist, nicht jedoch die der materiellen. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn es infolge des Verstoßes gegen die formellen Bedingungen nicht mehr möglich ist, den Nachweis der Erfüllung der materiellen Anforderungen zu führen. Gegen eine Übertragung der Grundsätze führt Sterzinger darüber hinaus unter Verweis auf die EuGH-Urteile vom 18.11.20101582 und vom 27.09.20071583 an, dass es sich um einen „identi1572 Siehe S. 199 ff. 1573 Ebenso Kessens, EFG 2019, 1243. 1574 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, siehe S. 215 ff. 1575 Prätzler, jurisPR-SteuerR 7/2012 Anm. 5. 1576 BFH v. 11.08.2011 - V R 19/10, BFHE 235, 50. 1577 Sterzinger, DStR 2015, 2641, 2642. 1578 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, 850 ff. 1579 EuGH v. 21.02.2008 - C-271/06, ECLI:EU:C:2008:105, DStR 2008, 450; siehe hierzu Langer/Zugmaier, DStR 2008, 453. 1580 EuGH v. 21.02.2008 - C-271/06, ECLI:EU:C:2008:105, DStR 2008, 450; siehe auch EuGH v. 27.09.2007 - C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548, BStBl. II 2009, 70. 1581 Sterzinger, DStR 2015, 2641, 2643. 1582 EuGH v 18.11.2010 - C-84/09, ECLI:EU:C:2010:693, IStR 2010, 910. 1583 EuGH v 27.09.2007 - C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548, BStBl. II 2009, 70.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

schen wirtschaftlichen Vorgang“ zwischen der Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs und der damit einhergehenden Umsatzsteuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung handelt, unabhängig von dem Umstand, dass sich aus diesem Vorgang unterschiedliche Rechte und Pflichten sowohl der Finanzbehörden als auch der Geschäftspartner in den jeweiligen Mitgliedstaaten ergeben. Im Fall einer Ausfuhrlie­ferung seien potenzielle Steuerhinterziehungen lediglich dem „Rechtskreis des betroffenen Drittstaats“ zuzuordnen und befinden sich somit „außerhalb des gemeinsamen Besteuerungssystems“, „obwohl die Steuerbefreiung der Ausfuhrlieferung selbst Teil des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist“. Darüber hinaus untersage das Unionsrecht missbräuchliche oder betrügerische Praktiken, wobei hiervon lediglich solche Umsätze erfasst seien, „die nur deswegen getätigt werden, um missbräuchlich in den Genuss von im Unionsrecht vorgesehenen Vorteilen zu kommen“.1584 Bei Ausfuhrlieferungen hingegen sei im Gegensatz zu innergemeinschaftlichen Lieferungen für die Steuerbefreiung nicht Voraussetzung, „dass die Lieferung im Bestimmungsstaat der Erwerbsbesteuerung unterliegt“. Schließlich stünden nach dem Bestimmungslandprinzip und dem steuerlichen Territorialitätsgrundsatz1585 die Einnahmen durch die Mehrwertsteuererhebung im Ursprungsland grds. dem Land zu, in welchem der Endverbrauch stattfindet, wobei diese Prinzipien erst recht zu beachten seien, wenn es um Steuereinnahmen geht, die außerhalb der EU und damit des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems der EU anfallen. Sterzinger1586 kommt somit insgesamt zu dem Ergebnis, dass keine Übertragung der für die innergemeinschaftliche Lieferung entwickelten Grundsätze in der Rechtssache R zur Versagung der Steuerbefreiung auf Ausfuhrlieferungen möglich ist. Hinsichtlich des EuGH-Urteils Italmoda1587 führt Treiber1588 unter Verweis auf das EuGH-Urteil in der Rechtssache BDV Hungary Trading Kft. vom 19.12.20131589 an, dass eine entsprechende Anwendung grds. möglich ist. Die Steuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen werde – wie die für innergemeinschaftliche Lieferungen – nur bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 131 MwStSystRL1590 gewährt. Insofern sei eine Übertra1584 Siehe auch EuGH v. 21.02.2006 - C-255/02, ECLI:EU:C:2006:121, DStR 2006, 420. 1585 EuGH v. 27.09.2007 - C-409/04, ECLI:EU:C:2007:548, BStBl. II 2009, 70, 71. 1586 Sterzinger, DStR 2015, 2641, 2644. 1587 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106. 1588 Treiber, MwStR 2015, 626, 634. 1589 EuGH v. 19.12.2013 - C-563/12, ECLI:EU:C:2013:854, HFR 2014, 182. 1590 Siehe S. 185.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

gung der Rechtsgrundsätze des EuGH möglich und im Hinblick auf die Missbrauchsbekämpfung auch zu befürworten.1591 Dagegen spricht jedoch nach Treiber1592, dass bei Ausfuhrlieferungen keine Gefährdung des Mehrwertsteuersystems aufgrund von Hinterziehung der Einfuhrumsatzsteuer eintreten kann, da „die definitive Nichtbesteuerung von Ausfuhrlieferungen […] systemkonform“ ist und zudem auch Zollbelege vorhanden sind. Darüber hinaus führt er zur Begründung den Leitsatz 2 des EuGH-Urteils Italmoda1593 an, nach welchem „nur eine Steuerhinterziehung in einem (anderen) Mitgliedstaat für die Versagung aller Rechte genüg[e]“.1594 Schließlich diene die Steuerbefreiung bei Ausfuhrlieferungen der Vermeidung der Mehrwertsteuerzahlung von Verbrauchern in Nichtmitgliedstaaten, welche nur Verbraucher der Union tragen sollen, sodass hier eine vollkommen andere Zweckverfolgung vorliege. Steuerstrafrechtlich weist Treiber1595 zudem darauf hin, dass eine solche Auslegung gegen den in Art. 103 Abs. 2 GG normierten Bestimmtheitsgrundsatz verstößt und eine im deutschen Strafrecht unzulässige Analogie zulasten des Täters darstellt. Das FG Köln1596 ist ohne weitere Begründung der Auffassung, dass die Rechtsgrundsätze der EuGH-Rechtsprechung zu innergemeinschaftlichen Lieferungen auf Ausfuhrlieferungen übertragbar sind. Eine Berufung des Steuerpflichtigen auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes scheide aus. Ebenso treten systemtragende Prinzipien der Umsatzsteuer wie die Grundsätze der Neutralität und Territorialität sowie das Bestimmungslandprinzip hinter das Ziel der Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und etwaigen Missbräuchen über die Landesgrenzen der Mitgliedstaaten hinaus zurück. Meines Erachtens ist die Rechtsprechung des EuGH – sowohl im Fall der Rechtssache R als auch im Fall Italmoda – bereits steuerlich nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar. Bei Ausfuhrlieferungen liegt schon der innere Zusammenhang zwischen der steuerfreien Ausfuhr nach § 4 Nr. 1a i.V.m. § 6 UStG und der entsprechenden steuerpflichtigen Einfuhr­ 1591 Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 39. 1592 Treiber in Sölch/Ringleb, § 6, Rn. 39. 1593 EuGH v. 18.12.2014 - C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2455, UR 2015, 106, siehe S. 235 ff. 1594 Treiber, MwStR 2015, 626, 634. 1595 Treiber, MwStR 2015, 626, 634. 1596 FG Köln v. 19.02.2019 - 8 K 2906/16, EFG 2019, 1236 (Revision anhängig beim BFH unter AZ: V R 20/19).

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

umsatzsteuer im Bestimmungsland nicht vor. Die Vorgänge sind wirtschaftlich nicht identisch.1597 Ungeachtet dessen ist eine Übertragbarkeit bereits steuerlich nicht notwendig, um die Funktionsfähigkeit des Mehrwertsteuersystems innerhalb der EU zu gewährleisten. In strafrecht­ licher Hinsicht gelten die oben1598 in der Sache Italmoda geäußerten ­Bedenken gleichermaßen. Einer Übernahme der steuerlichen Rechtsprechung steht bereits der Bestimmtheitsgrundsatz entgegen. 2. Einfuhren Die sofortige Abzugsfähigkeit der Einfuhrumsatzsteuer als Vorsteuer bedeutet nicht, dass diese nicht hinterzogen werden könnte.1599 Die Einfuhr­ umsatzsteuer wird in einem Zollverfahren nach den Vorschriften des Zollrechts und damit außerhalb des Besteuerungsverfahrens nach § 18 UStG festgesetzt.1600 Im Besteuerungsverfahren nach § 18 UStG kann aber ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG hieraus geltend gemacht werden. In diesem Verfahren kann es zu Steuerhinterziehungen kommen. In der Regel begründen die Pflichtverletzungen bei der Einfuhr den Tatbestand des Schmuggels nach § 373 Abs. 1 AO, der nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist. Eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO entsteht aber in aller Regel durch die gegenüber den Finanzbehörden nicht erklärte Weiterveräußerung der Ware.

III. Zwischenergebnis zu Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug Eine Untersuchung der bedeutsamsten Entscheidungen zur Umsatzsteuerhinterziehung mit Auslandsbezug hat ergeben, dass die auf steuerlichem Gebiet geäußerte Kritik strafrechtlich – hinsichtlich der Frage, ob der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung vorliegt – durchschlägt. Steuerrechtlich kann festgehalten werden, dass der EuGH nach der Entscheidung Italmoda die nationalen Behörden und Gerichte verpflichtet, einem Steuerpflichtigen im Rahmen einer innergemeinschaftlichen Lieferung das Recht auf Vorsteuerabzug, auf Mehrwertsteuerbefreiung 1597 Siehe auch die entsprechenden Ausführungen zur Anwendung des Kompensationsverbots bei der Einfuhr von Gegenständen S. 65 ff. 1598 Siehe S. 271 ff. 1599 Jäger in Klein, § 370, Rn. 151b. 1600 BGH v. 26.06.2012 - 1 StR 289/12, NStZ 2012, 639, 640; Jäger in Klein, § 370, Rn. 151b.

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B.  Umsatzsteuerhinterziehungen mit Auslandsbezug

oder auf Mehrwertsteuererstattung zu versagen, sofern anhand objektiver Umstände nachgewiesen ist, dass dieser Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch den Umsatz, auf den er sich zur Begründung des betreffenden Rechts beruft, an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat. Dies gilt nach dem EuGH ungeachtet der Tatsache, dass die Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat als dem begangen wurde, in dem diese Rechte beansprucht werden. Liegt „Wissen oder Wissenmüssen“ nicht vor, so verliert der betreffende Unternehmer nach der Entscheidung Optigen diese Rechte nicht. Es ist dann jeder Umsatz für sich zu betrachten. Insgesamt hat die Prüfung hinsichtlich der Umsatzsteuerbefreiung wie folgt in mehreren Stufen zu erfolgen: (1) Der Steuerpflichtige hat zunächst die Buch- und Belegnachweise vorzulegen, welchen ein Anscheinsbeweis zukommt, der aber vom Finanzamt bei entsprechenden Anhaltspunkten erschüttert werden kann. Die steuerliche Feststellungslast, um den Anscheinsbeweis zu erschüttern, liegt beim Finanzamt. (2) In diesem Fall kann sich der Steuerpflichtige jedoch auf die Vertrauensschutzregel des § 6a Abs. 4 S. 1 UStG berufen, sofern Buch- und Belegnachweis vollständig erbracht worden sind. Die steuerliche Feststellungslast hinsichtlich der Umstände, die das Vertrauen begründen, liegt beim Steuerpflichtigen. (3) Wenn die Voraussetzungen der ersten Stufe vorliegen, kann das Finanzamt auf einer dritten Stufe objektive Umstände vortragen, die ein kollusives Zusammenwirken des Steuerpflichtigen mit dem Empfänger belegen. Das Finanzamt kann ebenso objektive Umstände dafür vortragen, dass der Unternehmer von einem Steuerbetrug in der Lieferkette wusste bzw. hätte wissen müssen. Für diese Umstände auf der dritten Stufe trägt das Finanzamt die Feststellungslast. Die Prüfung hinsichtlich der Geltendmachung eines Vorsteuerabzugs hat insgesamt wie folgt in mehreren Stufen zu erfolgen: (1) Der Steuerpflichtige hat zunächst die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG einzuhalten. Die Feststellungslast für die den Vorsteuerabzug begründende Umstände trägt der Steuerpflichtige.1601 (2) Wenn die Prüfung der ersten Stufe zu Lasten des Steuerpflichtigen ausfällt, kann dieser sich nicht auf eine Vertrauensschutzregel berufen, sondern allenfalls Billigkeitsregelungen nach §§ 163, 227 AO in Anspruch nehmen. Die steuerliche Feststellungslast hinsichtlich der Umstände, die das Vertrauen begründen, liegt beim Steuerpflichtigen. (3) Wenn die Voraussetzungen der 1601 BFH v. 13.12.2018 - V R 65/16, BeckRS 2018, 38970.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

ersten Stufe vorliegen, kann das Finanzamt auf einer dritten Stufe objektive Umstände dafür vortragen, dass der Unternehmer von einem Steuerbetrug in der Lieferkette wusste bzw. hätte wissen müssen. Für diese Umstände auf der dritten Stufe trägt das Finanzamt die Feststellungslast. Im Ergebnis sind auf der dritten Stufe nach der Rechtsprechung des EuGH auch die Fälle der sog. neutralen Beihilfe erfasst, also die Fälle, in denen der Unternehmer keine aktive Unterstützung geleistet hat, sondern lediglich Kenntnis von den unlauteren Absichten der Abnehmer hatte bzw. diese hätte haben müssen. Unklar ist bislang, welche „objektiven Umstände“ jeweils auf der dritten Stufe hinsichtlich der subjektiven Elemente vorliegen müssen. Diesbezüglich sind hohe Anforderungen zu stellen. Diese subjektiven Elemente auf der steuerlichen Ebene der dritten Stufe (wusste oder hätte wissen müssen) sind abzugrenzen von den für das Vorliegen von § 370 Abs. 1 AO erforderlichen subjektiven Elementen auf der strafrechtlichen Ebene (Vorsatz). Ungeachtet dessen ist hinsichtlich des Vorliegens von „Wissenmüssen“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung auf der steuerlichen Ebene das Vorliegen von bedingtem Vorsatz nach deutschem (Straf)Recht zu fordern. Hinsichtlich der Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung, insbesondere der Italmoda-Entscheidung, auf das deutsche Steuerstrafrecht wurde festgestellt, dass diese auf steuerlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen allenfalls mit Einschränkungen in das Steuerstrafrecht übernommen werden können. Einer uneingeschränkten Übertragbarkeit steht bereits der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. Im Fall der Rechtssache R hat das BVerfG die Auslegung des EuGH vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG in Bezug auf den Wortlaut von § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG im Hinblick auf den Begriff „Unterliegen“ so gerade noch als gewahrt angesehen. Im Rahmen dieser Arbeit wurde festgestellt, dass – selbst in diesen Fällen des kollusiven Zusammenwirkens – dem Bestimmtheitsgebot nicht Genüge getan ist und die Versagung der Steuerbefreiung über den o.g. Wortlaut der Vorschrift des § 6a UStG hinausgeht. Das gilt erst recht im Fall der Rechtssache Italmoda, in der der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch seinen Umsatz an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt. Ganz besonders gilt dies in Bezug auf den Vorsteuer­ abzug nach § 15 UStG, da dessen Wortlaut – anders als § 6a UStG durch das Verb „unterliegt“ – überhaupt keinen Ansatzpunkt für eine Versagung 288

C.  § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit

bietet. Gleiches gilt für die Fälle der neutralen Beihilfe, da der Steuerpflichtige hier ebenfalls keine Täuschungshandlung vornimmt. Bei den Steuern, die – sowohl im Fall der Rechtssache R als auch im Fall Italmoda – aufgrund der Rechteversagung durch den EuGH geschuldet werden, handelt es sich nicht um Steuern i.S.d. § 3 Abs. 1 AO, sondern um Sanktionen durch den EuGH. Da § 370 AO nur das Steueraufkommen und nicht die Durchsetzung eines staatlichen Sanktionsanspruchs schützt, liegt keine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 AO vor. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung gelten die allgemeinen Grundsätze. In den Fällen der neutralen Beihilfe ist – sofern überhaupt bedingter Vorsatz in Bezug auf den Steueranspruch vorliegt – zusätzlich erforderlich, dass eine Solidarisierung des betroffenen Unternehmers mit den Steuerhinterziehern bzw. Betrügern in der Lieferkette vorliegt. Die Rechtsprechung des EuGH – sowohl im Fall der Rechtssache R als auch im Fall Italmoda – ist bereits steuerlich nicht auf Ausfuhrlieferungen übertragbar. In strafrechtlicher Hinsicht steht einer Übernahme der steuerlichen Rechtsprechung zudem der Bestimmtheitsgrundsatz entgegen.

C. § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit § 370 Abs. 1 AO wird auf ausländische Steuern nicht unmittelbar angewendet.1602 Jedoch erweitert § 370 Abs. 6 S. 1 AO – welcher zum 01.01.2011 neu gefasst wurde1603 – den sachlichen Anwendungsbereich des § 370 Abs. 1–5 AO auf Ein- und Ausfuhrabgaben, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staaten zustehen1604. Daneben sieht § 370 Abs. 6 S. 2 AO vor, dass dies ebenso für eine Tat gilt, die sich auf 1602 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 17; Heine in Graf/Jäger/ Wittig, § 370 AO, Rn. 197; im Ergebnis auch Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO, Rn. 285. 1603 Spatscheck/Höll, Steueranwaltsmagazin 2011, 64, 65; dessen Neufassung hätte nach Ansicht von Höink/Adick, PStR 2011, 37, 40 zur Schließung von Strafbarkeitslücken genügt. 1604 So im Ergebnis Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 254; ders. in Schaumburg/Peters, Rn. 10.142; siehe auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 57 ff.; Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 42.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

Umsatzsteuern oder auf harmonisierte Verbrauchsteuern für die in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25.02.1992 (ABl. EG Nr. L 76 S. 1) genannten Waren bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften verwaltet werden. Um die Tat ahnden zu können, ist jedoch erforderlich, dass die Steueransprüche nach Maßgabe des Rechts des jeweiligen Mitgliedstaats auch existieren, wobei insbesondere Steuerbefreiungen oder andere Besonderheiten berücksichtigt werden müssen.1605 Hinsichtlich der praktischen Bedeutung „der weiteren Reichweite“ von § 370 Abs. 6 AO ist Wulf1606 skeptisch. Die Strafgerichte hätten in aller Regel schon Probleme „mit der prozessordnungsgemäßen Feststellung inländischer Steuerhinterziehungen“. Es sei schwer vorstellbar, „wie eine Strafkammer oder sogar ein Amtsgericht in der Lage sein soll, eine Verkürzung ausländischer Umsatzsteuer entsprechend den Feststellungs- und Darlegungsanforderungen des BGH revisionssicher herbeizuführen.“ Vor dem Hintergrund der Entscheidung in der Rechtssache R1607, nach welcher die Steuerbefreiung im Fall des kollusiven Zusammenwirkens ausgeschlossen ist, werden diese Fälle in der Rechtsprechung des BGH1608 direkt über § 370 Abs. 1 AO gelöst, womit es keines Rückgriffs auf § 370 Abs. 6 AO bedarf.

I. Ein- und Ausfuhrabgaben, § 370 Abs. 6 S. 1 AO Unter Einfuhrabgaben i.S.d. § 370 Abs. 6 S. 1 AO fallen nach Art. 4 Nr. 10 ZK „Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren sowie Abschöpfungen und sonstige bei der Einfuhr erhobene Abgaben“.1609 Voraussetzung hierfür ist ein Einfuhrvorgang.1610 Unter Einfuhr versteht man „das unmittelbare Verbringen der Ware aus dem Drittlandsgebiet in das Gebiet der Europäischen Union“1611 sowie „das Verbringen der Ware außerhalb eines gemeinschaftlichen Zollverfahrens

1605 Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 129. 1606 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 116. 1607 Siehe S. 215 ff. 1608 BGH v. 02.02.1999 - 5 StR 596/96, wistra 1999, 193; v. 12.05.2005 - 5 StR 36/05, wistra 2005, 308; v. 20.11.2008 - 5 StR 354/08, DStR 2009, 577. 1609 Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1, 3; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 551; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 330 ff.; siehe auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 41.  1610 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373, Rn. 16; Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.146. 1611 BGH v. 06.09.2011 - 1 StR 21/11, BeckRS 2011, 16672; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 373, Rn. 16; so auch Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.146.

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C.  § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit

von einem Mitgliedstaat in den anderen“.1612 Dabei kommt es nur einmal nach Art. 215 Abs. 1, 202 Abs. 1a ZK am Ort der erstmaligen Verbringung bzw. im als Erstes betretenen EU-Land zur Entstehung der Zollschuld und der mit der Einfuhr verbundenen Steuern sowie der Einfuhrabgaben.1613 Für Ausfuhrabgaben ist nach Art. 4 Nr. 11 ZK das Gleiche maßgeblich.1614 Zu den bei der Einfuhr zu erhebenden ausländischen Verbrauchsteuern zählt auch die Einfuhrumsatzsteuer, sofern es sich um die erstmalige EU-Einfuhr handelt.1615 Die Einfuhrumsatzsteuer ist zwar nicht in Art. 4 Nr. 10 ZK aufgeführt, zählt jedoch nach § 1 Abs. 1 S. 3 ZollVG ebenso wie besondere Verbrauchsteuern (Steuern auf Branntwein, Schaumwein, Energieerzeugnisse, Bier und Tabak) zu den Einfuhrabgaben.1616

II. Umsatzsteuern und harmonisierte Verbrauchsteuern, § 370 Abs. 6 S. 2 AO Durch § 370 Abs. 6 S. 2 AO sollen das Umsatzsteueraufkommen der EU-Mitgliedstaaten sowie das harmonisierte Verbrauchssteueraufkommen geschützt werden.1617 Diese Erweiterung der Vorschrift erfolgte durch das USt-Binnenmarktgesetz1618, welches am 01.01.1993 in Kraft getreten ist, womit auf die aus der Schaffung des EG-Binnenmarkts re­ sultierende Freizügigkeit und damit einhergehende neue Varianten der Umsatzsteuerhinterziehung durch unterschiedliche Steuersätze in den verschiedenen Ländern reagiert werden sollte.1619 Hinsichtlich des Umsatzsteueraufkommens bezieht sich der Schutz auf das EU-Land, in welches die Ware ausgeführt wird.1620 Die Tathandlung wird zumeist durch die falsche Angabe zur Warenbeschaffenheit oder zu deren Wert beim innergemeinschaftlichen Erwerb nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 UStG begangen oder indem der Steuerpflichtige falsche Steuererklärungen abgibt.1621

1612 BGH v. 18.01.2011 - 1 StR 561/10, NStZ 2011, 410; Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.146. 1613 Siehe auch Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.146. 1614 Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 200. 1615 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 552. 1616 Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.145. 1617 Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 204, 206; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, § 370, Rn. 335. 1618 Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetz v. 01.01.1993, BGBl. I 1992, 1548, 1560. 1619 Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 204, 206. 1620 Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.147. 1621 So im Ergebnis Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 205.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

III. Rechtsnatur des § 370 Abs. 6 S. 3 AO und Rückwirkung auf Altfälle 1. Abschaffung Gegenseitigkeitserfordernis § 370 Abs. 6 S. 3 AO, welcher durch das JStG 2010 mit Wirkung zum 14.10.20101622 abgeschafft wurde1623, sah als Verfolgungsvoraussetzung für eine Straftat nach § 370 Abs. 6 S. 2 AO das sog. Prinzip der Gegenseitigkeit vor.1624 Demnach war ein Schutz des Umsatzsteuer- und Verbrauchsteueraufkommens der anderen EU-Staaten nur dann möglich, wenn dieser Schutz sich umgekehrt auch in diesen EU-Staaten auf das Umsatzsteuer- bzw. harmonisierte Verbrauchsteueraufkommen von Deutschland erstreckte.1625 Erforderlich hierzu war jedoch nach § 370 Abs. 6 S. 4 AO eine Rechtsverordnung, welche aber nie erlassen wurde. De facto war damit eine Verfolgung von Taten, welche das Umsatz- und Verbrauchsteueraufkommen betrafen, nicht möglich, sofern sie nicht unter § 370 Abs. 6 S. 1 AO fielen.1626 Durch die Streichung des § 370 Abs. 6 S. 3, 4 AO ist nun nicht mehr erforderlich, dass die o.g. Gegenseitigkeit i.S.d. § 370 Abs. 6 S. 3 AO zur Verfolgung der Umsatzsteuerhinterziehung vorliegt. Infolgedessen ist auch die Hinterziehung ausländischer Umsatzsteuer nach deutschem Strafrecht verfolgbar1627, womit eine Strafbarkeitslücke geschlossen wurde.1628 Darüber hinaus war mit der Gesetzesänderung beabsichtigt, die grenzüberschreitende Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung zu verbessern und durch Umsatz-

1622 JStG v. 13.12.2010, BGBl. I 2010, 1768, 1793. 1623 Siehe Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1395; Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO, Rn. 291; Grube, jurisPR-SteuerR 13/2011 Anm. 5; Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.148; Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 116; Walter/­Lohse/ Dürrer, wistra 2012, 125, 128; siehe zu § 370 Abs. 6 S. 3 AO auch Hentschel, DStR 2009, 1076. 1624 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557; vgl. auch Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, § 370 AO, Rn. 335. 1625 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557; so im Ergebnis auch Heine in Graf/Jäger/ Wittig, § 370 AO, Rn. 209. 1626 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557; so im Ergebnis auch Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 15; Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 130. 1627 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557; Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO, Rn. 291; Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 130; Wulf, Steuer­ anwalt 2013/2014, S. 85, 116; Flore in Flore/Tsambikakis, § 370 AO, Rn. 607; Spatscheck/Höll, Steueranwaltsmagazin 2011, 64, 65; Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 128.  1628 Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 131.

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C.  § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit

steuerhinterziehung hervorgerufene Wettbewerbsverzerrungen aufzuheben.1629 2. Rechtsnatur Wie § 370 Abs. 6 S. 3 AO a.F. verfahrensrechtlich einzuordnen war, war umstritten1630, ist für Altfälle aber noch von Bedeutung. Einerseits wurde vertreten, es handele sich um eine Prozessvoraussetzung.1631 Diese Ansicht zieht historische, grammatikalische, systematische und teleologische Betrachtungen heran, aus welchen hervorgehe, dass ein Vergleich mit der Vorbildnorm des § 104a StGB, welche eine objektive Strafbarkeitsbedingung ist, ins Leere gehe.1632 So habe es sich insbesondere zwar bei der Vorläuferregelung von § 104a StGB – dem § 102 Abs. 1 RStGB – um eine objektive Strafbarkeitsbedingung gehandelt, jedoch seien sodann bei der Fassung des § 104a StGB Umgestaltungen vorgenommen worden, die auf eine Abkehr hin zur Prozessvoraussetzung hindeuten, welche auch im Gesetzgebungsverfahren1633 bei der Neufassung von § 370 Abs. 6 AO zum Ausdruck gekommen sei. Zudem lasse die Hinzuziehung der Rechtsprechung des RG1634 zu den §§ 102 ff. RStGB keine andere Auslegung zu.1635 Nach der h.L. stellte die Vorschrift hingegen eine objektive Strafbarkeitsbedingung dar.1636 Für diese Ansicht wird angeführt, dass es sich bei § 104a StGB um eine objektive Strafbarkeitsbedingung handele und keine sachlichen Unterschiede zu § 370 Abs. 6 S. 3 AO bestünden, sodass es sich auch bei letzterer Vorschrift um eine objektive Strafbarkeitsbedin1629 Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 131; Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 209. 1630 Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 131; siehe auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557. 1631 Jäger in Klein, § 370, Rn. 159; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 47; Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 131; Tully/Merz, wistra 2011, 121, 125; ­Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 128; siehe zur Abgrenzung objektive Strafbarkeitsvoraussetzung vs. Prozessvoraussetzung Tully/Merz, wistra 2011, 121, 122 ff. 1632 Tully/Merz, wistra 2011, 121, 122 ff. 1633 BT-Drs. 12/2906 v. 24.06.1992, S. 45; 12/2691 v. 27.05.1992, S. 5. 1634 RG v. 06.05.1905 - Rep. 5634/04, RGSt 38, 75. 1635 So im Ergebnis Tully/Merz, wistra 2011, 121, 123; so auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 159. 1636 Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1, 4, 5, 7; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 64; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557; so auch Heine in Graf/Jäger/ Wittig, § 370 AO, Rn. 210; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 335.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

gung handeln müsse. Darüber hinaus verweist diese Ansicht darauf, dass inhaltlicher Regelungsgegenstand der staatliche Strafanspruch in Form des Schutzumfangs dieser Vorschrift ist.1637 Vor dem Hintergrund dieses Meinungsstreits werden auch unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, ob die Streichung von § 370 Abs. 6 S. 3, 4 AO auf Altfälle zurückwirkt oder nicht. So vertreten Joecks1638, Meyer1639, Tully/Merz1640, Walter/Lohse/Dürrer1641, Schmitz/Wulf1642 und im Ergebnis auch Jäger1643 die Ansicht, dass es sich bei dieser Vorschrift um Prozessrecht handelt, für welches weder das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG noch das Rückwirkungsverbot aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG Wirkung entfaltet. Nicht die Verfolgbarkeit müsse nach Art. 103 Abs. 3 GG bestimmt sein, sondern die Strafbarkeit.1644 Die Änderung sei daher auch auf Alt­ fälle übertragbar.1645 Zudem solle die Gegenseitigkeitsverbürgung Partnerländer zum Erlass ähnlicher Regelungen animieren und ziele nicht darauf ab, Täter zu schützen.1646 Damit liege in der rückwirkenden Anwendung auch keine Verletzung der aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierenden Rechtssicherheit vor, da kein schutzwürdiges Vertrauen auf Nichtverfolgung für Täter existiere.1647 Andere1648 gehen von einer objektiven Strafbarkeitsbedingung aus und befürworten die Anwendbarkeit des Rückwirkungsverbots nach Art. 103 Abs. 2 GG und daher die Anwendbarkeit der Neuregelung nur für solche Taten, die nach dem 14.12.2010 begangen wurden.1649 Die Ansicht beruft

1637 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557. 1638 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 47. 1639 Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 131. 1640 Tully/Merz, wistra 2011, 121; befürwortend wohl auch Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 116.  1641 Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 128, 131. 1642 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 65. 1643 Jäger in Klein, § 370, Rn. 159. So auch Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 210. 1644 Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.153. 1645 Jäger in Klein, § 370, Rn. 159; Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125, 128. 1646 Tully/Merz, wistra 2011, 121, 125; so auch Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125,128. 1647 Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 131. 1648 Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1, 3; Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.153; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557; Walter/Lohse/Dürrer, wistra 2012, 125; so auch Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 335. 1649 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 557.

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C.  § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit

sich darauf, dass der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung1650 mit der Streichung des § 370 Abs. 6 S. 3, 4 AO die Schließung einer Strafbarkeitslücke beabsichtigte. Zudem sei aus dem Umstand, dass die Gegenseitigkeitsverbürgung in dieser Vorschrift geregelt war, zu schließen, dass auch Schutzumfang und Strafanspruch hierin geregelt worden seien.1651

IV. Hinterziehungsumfang bei § 370 Abs. 6 AO Bei der Berechnung des Hinterziehungsumfangs bei § 370 Abs. 6 AO muss berücksichtigt werden, dass es sich bei § 370 AO um eine Blankettvorschrift1652 handelt, durch welche auch die Verbrauchsteuergesetze des jeweiligen EU-Landes anzuwenden sind.1653 Gerichte und Staatsanwaltschaften müssen sich daher selbst mit den jeweiligen einschlägigen Steuervorschriften auseinandersetzen.1654 Ein Verweis auf die Berechnung der ausländischen Finanzverwaltung, insbesondere in der Urteilsbegründung, ist nicht ausreichend.1655

V. § 370 Abs. 7 AO, Durchbrechung Territorialprinzip § 370 Abs. 7 AO stellt eine Durchbrechung des sog. Territorialprinzips dar, infolgedessen das deutsche Strafrecht in den dort genannten Fällen, unabhängig davon, ob ein Inlandsbezug vorliegt, Anwendung findet.1656 1. Straftaten gegen den deutschen Steueranspruch In der Regel bestimmt das in § 3 StGB geregelte Territorialprinzip die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts. Demnach findet deutsches Strafrecht auf Inlandstaten, also für gegen den deutschen Steueranspruch gerichtete Taten, Anwendung, sofern nicht eine Ausnahme nach den §§ 4 ff. StGB vorliegt.1657 Zur Verfolgung dieser Taten bedarf es daher nicht der Regelung in § 370 Abs. 7 AO.

1650 BT-Drs. 17/2249 v. 21.06.2010, S. 88. 1651 Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.153. 1652 Siehe S. 29 ff.  1653 BGH v. 01.02.2007 - 5 StR 372/06, NStZ 2007, 590; v. 19.04.2007 - 5 StR 549/06, NStZ 2007, 595; v. 19.08.2009 - 1 StR 314/09, NStZ 2010, 338. 1654 Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.149. 1655 So im Ergebnis Peters in Schaumburg/Peters, Rn. 10.149. 1656 Bornheim/Kröber, S. 160. 1657 Rotsch in Graf/Jäger/Wittig, § 3 StGB, Rn. 1.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

2. Auslandsstraftaten Bei § 370 Abs. 7 AO handelt es sich daher um eine Norm, welche die §§ 3 ff. StGB ergänzt und im Kern § 6 StGB entspricht.1658 § 370 Abs. 1–6 AO erlangt somit unabhängig vom Recht des Tatorts Gültigkeit.1659 Da jedoch nach § 9 Abs. 1 StGB „eine Tat […] an jedem Ort begangen [ist], an dem der Täter gehandelt hat oder im Fall des Unterlassens hätte handeln müssen oder an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder nach der Vorstellung des Täters eintreten sollte“, ergibt sich die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts im Fall einer Steuerhinterziehung zumeist schon – wie oben ausgeführt – aus § 3 StGB1660, sodass im Hinblick darauf die Bedeutung von § 370 Abs. 7 AO umstritten ist.1661 Schmitz/Wulf1662 und Keßeböhmer/Schmitz1663 sind der Auffassung, dass die Anwendung von § 370 Abs. 7 AO jedenfalls bei Unterlassungsdelikten problematisch ist, da in der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO das In-Unkenntnis-Lassen einer „Finanzbehörde“ erforderlich ist. Der Begriff der Finanzbehörde sei aber in § 6 Abs. 2 AO abschließend legal definiert und umfasse keine ausländischen Behörden. Dem wird entgegengehalten, dass auch in diesen Fällen der Verkürzungserfolg im Inland – oder ggf. nach § 370 Abs. 6 AO im Ausland – eintritt, was nach § 9 Abs. 1 StGB ausreicht.1664 Die Vorschrift laufe aufgrund des fehlenden Anwendungsbereichs weitgehend leer.1665 3. Vermeidung Doppelbestrafung Bei Sachverhalten dieser Art besteht die Möglichkeit der Doppelbestrafung, da der in Art. 103 Abs. 3 GG normierte Grundsatz „Ne bis in idem“ 1658 Jäger in Klein, § 370, Rn. 160; Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 269; so auch Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 132 hinsichtlich der 2. Aussage. 1659 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 560; siehe auch Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 212 ff. 1660 So im Ergebnis Jäger in Klein, § 370, Rn. 160; Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 214; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 39; siehe auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 48; auch Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO, Rn. 295 befürworten eine direkte Anwendung von § 370 Abs. 1 Nr.1–5 AO mit Hinweis auf den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs. 1661 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 39. 1662 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 355. 1663 So im Ergebnis Keßeböhmer/Schmitz, wistra 1995, 1, 7. 1664 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 48; Heine in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 214. 1665 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 48.

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C.  § 370 Abs. 6 AO, Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit

nur auf deutsche Strafbestimmungen Anwendung findet1666; ausländische Verurteilungen sind hingegen möglich.1667 So ist es durch die oben angeführte Rechtsprechung des EuGH1668 möglich, dass sich ein Steuerpflichtiger durch die vorsätzliche Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung in einem Land der EU sowohl wegen einer Teilnahme an einer Steuerhinterziehung ausländischer Steuern als auch wegen Täterschaft an einer Hinterziehung deutscher Steuern strafbar macht und diese Taten beide in Deutschland verfolgt werden können.1669 Ob diesbezüglich – insbesondere in der Konstellation des Sachverhalts in der Rechtssache R1670 – eine Tat im prozessualen Sinne hinsichtlich der eigenen Steuerhinterziehung (keine Steuerfreiheit der Lieferung) und der Beteiligung an der Steuerhinterziehung des tatsächlichen Abnehmers (Vermeidung der Besteuerung eines innergemeinschaftlichen Erwerbs) vorliegt, ist streitig. Tully/Merz1671 nehmen eine einheitlich prozessuale Tat an, womit das Verbot der Doppelbestrafung nach Art. 103 Abs. 3 GG greift. Spatscheck/Höll1672 gehen nicht von einer einheitlichen Tat aus, sodass das Verbot der Doppelbestrafung nicht eingreift. Hinsichtlich des Verhältnisses dieser Straftaten zueinander, schlagen sie die Möglichkeit der Konsumtion dergestalt vor, dass die Tat mit Beteiligung hinter der täterschaftlichen Begehung als schwächeres von beiden Delikten zurücktritt. Zur Vermeidung der Doppelbestrafung für im Ausland strafbare Delikte, welche nach Art. 54 SDÜ des Durchführungsabkommens Schengen II1673 und Art. 6 EUV i.V.m. Art. 50 GrCH untersagt ist1674, existieren im deutschen Strafrecht durch § 51 Abs. 3 StGB nach ergangener Verurteilung und im Ermittlungsverfahren mit § 153c StPO Möglichkeiten, dem zu

1666 Dumke/Webel in Schwarz/Pahlke, § 370 AO, Rn. 297. 1667 BVerfG v. 17.01.1961 - 2 BvL 17/60, BVerfGE 12, 62. 1668 Siehe S. 199 ff. und S. 193 f. 1669 Spatscheck/Höll, Steueranwaltsmagazin 2011, 66, 67, 68. 1670 EuGH v. 07.12.2010 - C-285/09, ECLI:EU:C:2010:742, BStBl. II 2011, 846, siehe S. 215 ff. 1671 Tully/Merz, wistra 2011, 121, 126. 1672 Spatscheck/Höll, Steueranwaltsmagazin 2011, 66, 67. 1673 Durchführungsabkommen Schengen II v. 23.07.1993, BGBl. II 1993, 1013. 1674 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 561; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385, Rn. 1359; Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 42.

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2. Teil:  Grenzüberschreitende Hinterziehung von Umsatzsteuer

begegnen.1675 § 51 Abs. 3 StGB sieht für den Fall einer Verurteilung vor, dass „auf die neue Strafe die ausländische angerechnet [wird], soweit sie vollstreckt ist“, wenn „der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden ist“. Eine rechtskräftige Aburteilung in diesem Sinne stellt darüber hinaus sowohl eine Einstellung gegen Auflagen dar als auch die von ausländischen Institutionen verhängten eigenständigen Sanktionen.1676 Daneben beinhaltet Art. 50 GrCH den „Ne bis in idem“-­ Grundsatz.1677 Dieser erfährt allerdings durch Art. 54 SDÜ eine zulässige Einschränkung, welche nach Art. 52 Abs. 1 GrCH möglich ist.1678 Die Staatsanwaltschaft kann in diesem Zusammenhang nach § 153c Abs. 2 StPO „von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn wegen der Tat im Ausland schon eine Strafe gegen den Beschuldigten vollstreckt worden ist und die im Inland zu erwartende Strafe nach Anrechnung der ausländischen nicht ins Gewicht fiele oder der Beschuldigte wegen der Tat im Ausland rechtskräftig freigesprochen worden ist“. Hierbei handelt es sich um eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip.1679 Der umgekehrte Fall, dass der Taterfolg im Ausland eingetreten ist, jedoch die Handlung im Inland stattgefunden hat, fällt nicht unter § 153c StPO.1680 Sofern bereits Klage erhoben ist, besteht für die Staatsanwaltschaft nach § 153c Abs. 4 StPO die Möglichkeit der Klagerücknahme in den Fällen des § 153 Abs. 1 Nr. 1 StPO, wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde oder wenn der Verfolgung sonstige überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.

D. Ergebnis 2. Teil Eine Untersuchung der bedeutsamsten Entscheidungen zur Umsatzsteuerhinterziehung mit Auslandsbezug hat ergeben, dass die auf steuerlichem Gebiet geäußerte Kritik strafrechtlich – hinsichtlich der Frage, ob der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung vorliegt – durchschlägt.

1675 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 561; siehe auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 45. 1676 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 45. 1677 Siehe Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 563. 1678 LG Aachen v. 08.12.2009 - 52 Ks 9/08, StV 2010, 237; so auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 563. 1679 Jäger in Klein, § 370, Rn. 161. 1680 Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 132.

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D.  Ergebnis 2. Teil

An die sog. „objektiven Umstände“, die belegen, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch seinen Umsatz an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat, sind hohe Anforderungen zu stellen. „Wissenmüssen“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung auf der steuerlichen Ebene bedeutet nach nationalen Maßstäben das Vorliegen von bedingtem Vorsatz nach deutschem (Straf)Recht. Hinsichtlich der Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung – insbe­ sondere der Italmoda-Entscheidung – auf das deutsche Steuerstrafrecht wurde festgestellt, dass diese auf steuerlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen allenfalls mit Einschränkungen in das Steuerstrafrecht übernommen werden können: (1) Einer uneingeschränkten Übertragbarkeit steht bereits der Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG entgegen. Dies gilt sowohl in ­Konstellationen mit Täuschungshandlung wie der Rechtssache R (des kollusiven Zusammenwirkens der Beteiligten) als auch in denen der schädlichen Kenntnis von Umständen, wie der Rechtssache Italmoda (des – einseitigen – „Wissens“ oder „Hätte-Wissen-Müssens“ durch den Steuerpflichtigen). Selbst wenn der Steuerpflichtige in diesen Fällen – steuerlich gesehen – ungerechtfertigt eine Steuerbefreiung oder einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat, hat er sich nicht nach § 370 Abs. 1 AO strafbar gemacht. (2) Bei den Steuern, die – sowohl im Fall der Rechtssache R als auch im Fall Italmoda –aufgrund der Rechteversagung durch den EuGH geschuldet werden, handelt es sich nicht um Steuern i.S.d. § 3 Abs. 1 AO, sondern um Sanktionen durch den EuGH. Da § 370 AO nur das Steueraufkommen und nicht die Durchsetzung eines staatlichen Sanktionsanspruchs schützt, liegt keine Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 AO vor. Hinsichtlich des subjektiven Tatbestands einer Steuerhinterziehung gelten die allgemeinen Grundsätze. Falls in Konstellationen wie in der Rechtssache Italmoda dem Steuerpflichtigen lediglich eine sog. neutrale Beihilfe vorzuwerfen ist – sofern überhaupt bedingter Vorsatz in Bezug auf den Steueranspruch vorliegt – ist zusätzlich erforderlich, dass eine Solidarisierung des betroffenen Unternehmers mit den Steuerhinterziehern bzw. Betrügern in der Lieferkette vorliegt.

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3. Teil: Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

A. Allgemeines § 26c UStG stellt die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens unter Strafe. Nach dieser Vorschrift wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fällen des § 26b UStG gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Handlungen verbunden hat, handelt. Der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 26b UStG wird mithin durch eine Verschärfung zu einem Straftatbestand, wenn seine Begehung als Mitglied einer Bande oder gewerbsmäßig erfolgt. § 26b UStG regelt den Tatbestand der Schädigung des Umsatzsteueraufkommens. Ordnungswidrig handelt nach dieser Vorschrift, wer die in einer Rechnung i.S.v. § 14 UStG ausgewiesene Umsatzsteuer zu einem in § 18 Abs. 1 S. 4 oder Abs. 4 S. 1 oder 2 genannten Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet. Es handelt sich daher in beiden Fällen um Unter­ lassungsdelikte1681 und um den einzigen Ausnahmefall, in welchem die bloße Nichtentrichtung von Steuern unter Strafe gestellt ist1682. Die Vorschriften der §§ 26b und c UStG wurden durch das Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz vom 19.12.20011683 in das UStG eingefügt und sind am 01.01.2002 in Kraft getreten. Sofern in dieser Arbeit nachstehend Ausführungen zu § 26b UStG enthalten sind, beziehen sich diese wegen der o.g. Struktur der beiden Vorschriften § 26b und § 26c UStG zwangsläufig immer auf die Vorschrift des § 26c UStG, dessen Betrachtung Gegenstand dieses Teils der Arbeit ist. Mit der Einführung dieser beiden Normen sollten Strafbarkeitslücken bei Umsatzsteuer­karussellen1684 geschlossen werden, welche zuvor bewusst von Steuerpflichtigen ausgenutzt wurden.1685 Diese Lücke wurde 1681 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 752; so auch Rolletschke, Rn. 433. 1682 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 3. 1683 Steuerverkürzungsbekämpfungsgesetz v. 19.12.2001, BGBl. I 2001, 3922. 1684 Siehe S. 24 f. und S. 190. 1685 Grieser, S. 177.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

darin gesehen, dass Täter im Rahmen solcher Umsatzsteuer­karusselle zwar richtige Steueranmeldungen abgeben und somit nicht in den Anwendungsbereich von § 370 AO fallen, aber durch die – bis dahin nicht strafbare – Nichtzahlung der angemeldeten Steuern erhebliche Steuerausfälle durch die Geltendmachung der entsprechenden Vorsteuer herbeiführen.1686 Seit der Einführung des § 26c UStG wird die Nichtzahlung geschuldeter Umsatzsteuer unter den dort genannten Voraussetzungen strafrechtlich sanktioniert.1687 Zuvor konnte die Finanzverwaltung die verspätete Zahlung lediglich durch die Auferlegung von Säumniszuschlägen nach § 240 Abs. 1 AO ahnden.1688 Es war jedoch kaum möglich, so agierende Missing Trader1689 strafrechtlich zu belangen, weil diese keine Täter nach § 370 AO waren und auch eine Verfolgbarkeit wegen einer Beihilfehandlung zu § 370 AO des die Vorsteuer geltend machenden Unternehmers schwierig war, da die Ermittlungen gegen die Haupttäter oft einen Aufwand in kaum zu rechtfertigendem Ausmaß verursacht hätten.1690 Die Vorschriften der §§ 26b und c UStG sollen hier einen geeig­ neten Ermittlungsansatz (Auffangtatbestand1691) für die Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich des zuerst auffällig werdenden Missing Traders bieten.1692 Der Anwendungsbereich des § 26c UStG umfasst jedoch nicht nur Umsatzsteuerkarusselle, sondern jede in einer Rechnung i.S.v. § 14 UStG ausgewiesene Umsatzsteuer, die nicht entrichtet worden ist.1693 Es wird im Rahmen dieser Arbeit auch die Frage untersucht, ob der Sinn und Zweck der Vorschrift die Erfassung jeglicher Nichtzahlung von Umsatzsteuer ist oder nur die Nichtzahlung trotz Anmeldung der Umsatzsteuer. Es stellt sich ferner die Frage, auf welche Gefährdungslage1694 § 26c UStG abstellt: auf die Gefahr der Nichtzahlung der Umsatzsteuer durch den Rechnungsaussteller oder die Gefahr der Geltendmachung des 1686 Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 225; Müller, AO-StB 2008, 80, 83; siehe auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 1; kritisch zum Vorliegen einer Regelungslücke Reiß, UR 2002, 561, 566. 1687 Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 225; so im Ergebnis auch Joecks in Joecks/ Jäger/Randt, § 370, Rn. 742; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 1; Müller, AO-StB 2008, 80, 83. 1688 Nöhren, S. 65. 1689 Siehe S. 193 f. 1690 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1199.2. 1691 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 12. 1692 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1199.2. 1693 Nöhren, S. 66. 1694 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 3 und Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 21, 36, § 26c UStG, Rn. 12b sprechen von einem abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt. Abstrakt durch die bloße Herstellung und konkret durch das In-den-Verkehr-Bringen der Rechnung.

302

A. Allgemeines

Vorsteuerabzugs durch den Leistungsempfänger, obwohl der Rechnungsaussteller die Umsatzsteuer nicht zahlt.1695 Die Gesetzesmaterialien1696 belegen, dass die Neutralität der Umsatzsteuer in der Unternehmerkette gewahrt werden soll. Zweck ist m.E. mithin die Verhinderung einer straflosen Liquiditätsschöpfung dergestalt, dass Vorsteuern geltend gemacht werden, während die entsprechende Umsatzsteuer (schuldhaft) nicht entrichtet wird. Dies hat auch Auswirkungen auf die Frage, ob man jede Rechnung i.S.d. § 14 UStG im Rahmen des § 26c UStG ausreichen lässt oder ob eine den strengen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entsprechende Rechnung vorliegen muss. Auch dieser Frage wird in der vorliegenden Abhandlung nachgegangen. Im Ergebnis ist § 26c UStG mithin als eine Art „Auffangtatbestand“1697 für die Fälle eingeführt worden, in denen § 370 AO nicht greift, obwohl das Umsatzsteueraufkommen, wie oben beschrieben, gefährdet wird. Dies wiederum hat Auswirkungen auf das Verhältnis der Vorschriften des § 26c UStG zu § 370 AO, dem auch in dieser Arbeit nachgegangen wird.1698 Ob dieser Zweck erreicht wird, darf aber mehr als bezweifelt werden, da gerade banden- oder gewerbsmäßig agierende Täter oft schon keine entsprechende Umsatzsteuer anmelden.1699 Getroffen werden damit mithin vornehmlich solche Unternehmer, die schlichtweg häufig mit der Zahlung in Verzug geraten (typische einfache Vollstreckungsschuldner)1700, was dann in der Praxis gelegentlich als Gewerbsmäßigkeit angesehen wird. Die bislang geringe Bedeutung der Vorschrift des § 26b UStG in der Praxis zeigt sich zudem darin, dass bis dato hierzu keine Gerichtsentscheidungen ergangen sind.1701 Roth1702 weist aber darauf hin, dass die Zahl der Bußgeldbescheide nach § 26b UStG inzwischen zunimmt, weil die Norm als „erweiterte Säumniszuschlagsregelung“ gegen die persönlich Verantwortlichen angewandt wird. Die Strafvorschrift des § 26c

1695 So Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 744; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 3. 1696 BT-Drs. 14/7471 v. 23.11.2001, S. 8. 1697 So auch Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 12.  1698 Siehe S. 333 ff. und S. 383 ff. 1699 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 11. 1700 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 4, 12, § 26c UStG, Rn. 10. 1701 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 36. 1702 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 12: für das Jahr 2014 existieren 877 rechtskräftige Bußgeldbescheide.

303

3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

UStG wurde hingegen nach den Meldungen an das BMF in den Jahren 2010 bis 2013 offenkundig in keinem einzigen Fall angewendet.1703 Geschützte Rechtsgüter der §§ 26b, 26c UStG sind das staatliche Steueraufkommen sowie der Schutz redlicher Unternehmer (keine Wettbewerbsverzerrungen)1704, wobei nur das deutsche Umsatzsteueraufkommen geschützt ist, da es an einer § 370 Abs. 6 AO entsprechenden Vorschrift fehlt.1705 Teilweise wird in der Literatur die Verfassungswidrigkeit von § 26c UStG wegen eines Verstoßes gegen das in Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG geregelte Zitiergebot mit der Folge der Nichtigkeit von § 26c UStG angezweifelt.1706

B. Objektiver Tatbestand I. In der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer Der Straftatbestand des § 26c UStG sieht mit der Verweisung auf § 26b UStG als erste Voraussetzung das Vorliegen einer in einer Rechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer vor. Maßgeblich ist hierbei, dass es sich um eine Rechnung i.S.d. § 14 UStG handelt.1707 Nach § 14 Abs. 1 S. 1 UStG ist der Begriff „Rechnung“ definiert „als jedes Dokument, mit dem über eine Lieferung oder sonstige Leistung abgerechnet wird, gleichgültig wie dieses Dokument im Geschäftsverkehr bezeichnet wird“. Daneben ist nach § 14 Abs. 5 UStG auch eine Gutschrift als Rechnung anzusehen, mit der ein Unternehmer über eine steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung abrechnet, die an ihn ausgeführt wird. Es kommt mithin also nicht darauf an, ob Umsatzsteuer gesetzlich geschuldet ist, sondern lediglich darauf, dass die Umsatzsteuer in einer Rechnung ausgewiesen ist.

1703 BT-Drs. 18/3242 v. 19.11.2014, S. 8; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 9. 1704 BT-Drs. 14/7471 v. 23.11.2001, S. 8; siehe auch Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 5. 1705 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 5. 1706 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 12e; ders., wistra 2017, 1; ders., wistra 2019, 18; Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 26c, Rn. 3.1; a.A. Gmeiner, wistra 2019, 17. 1707 Bornheim/Kröber, S. 73; siehe zur systematischen, historischen und teleologischen Auslegung des Rechnungsbegriffs Nöhren, S. 72 ff.

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B.  Objektiver Tatbestand

1. Formale Anforderungen an eine Rechnung Es ist jedoch umstritten, ob das Vorliegen der Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 1 UStG bei einer Rechnung i.S.d. § 26b UStG ausreicht1708 oder ob zusätzlich die Eignung zum Vorsteuerabzug erforderlich ist, womit die Pflichtangaben des § 14 Abs. 4 UStG in der Rechnung enthalten sein müssen1709. Zugunsten der Ansicht, die keine Eignung der Rechnung zum Vorsteuerabzug fordert, wird geäußert, dass bei jedem Abrechnungspapier die Gefahr besteht, als Rechnung aufgefasst und daher zum Vorsteuerabzug verwendet zu werden.1710 Ferner führt diese Ansicht die 2011 geänderte Rechtsprechung des BFH1711 zu § 14c Abs. 2 UStG für sich an. So sei der Begründung dieses Urteils zu entnehmen, dass § 14c UStG ebenfalls – wie § 26c UStG – der Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens und dem missbräuchlichen Ausstellen von Rechnungen entgegenwirken soll. Für den Vorsteuerabzug ist zwar nach § 15 UStG eine Rechnung nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 1–9 UStG erforderlich. Für eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens genügen nach Ansicht des BFH (zu § 14 Abs. 3 UStG, heute § 14c Abs. 2 UStG) hingegen bereits Dokumente, welche die Hauptmerkmale einer Rechnung erfüllen oder den Anschein erwecken, sie zu erfüllen, und eine Vorsteuerabzugsberechtigung beim Rechnungsempfänger suggerieren.1712 Im Gegensatz zur früheren Rechtsprechung sei daher für eine Umsatzsteuerschuldnerschaft nach § 14c Abs. 2 UStG nicht mehr das Vorliegen einer zum Vorsteuerabzug geeigneten1713 und die diesbezüglichen Vorgaben beinhalten1708 Jäger in Klein, § 370, Rn. 474; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 754; Rolletschke, Rn. 435; Nöhren, S. 78; Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 26b, Rn. 5.1; ders., UVR 2006, 207, 210; Wilhelm, UR 2005, 474; im Ergebnis auch Bielefeld, BB 2004, 2441, 2442; Küffner/Hoffmann in Hartmann/Metzenmacher, § 26b, Rn. 19; offengelassen von Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, § 26b, Rn. 13. 1709 Gehm, S. 198; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 26 ff. mit der Einschränkung, dass ein Vorsteuerabzug durch die Rechnung zumindest möglich sei; Kemper in Wannemacher, Rn. 1185; Leonard in Bunjes, § 26b, Rn. 4; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b, Rn. 10; Niesken in Rau/Dürrwächter, § 26b, Rn. 17; Stadie in Stadie, § 26c, Rn. 2; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 9, 11.  1710 Jäger in Klein, § 370, Rn. 474; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 754; Nöhren, S. 79; im Ergebnis auch Bielefeld, BB 2004, 2441, 2442; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 16; Küffner/Hoffmann in Hartmann/Metzenmacher, § 26b, Rn. 17; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 25, 28 sieht diese Gefährdung zwar, führt jedoch einschränkend aus, dass dies für sich genommen nicht die Rechtfertigung für die Anwendung von § 26b UStG darstellt. 1711 BFH v. 17.02.2011 - V R 39/09, DStR 2011, 969. 1712 BFH v. 17.02.2011 - V R 39/09, DStR 2011, 969; Rolletschke, Rn. 435. 1713 BFH v. 27.01.1994 - V R 113/91, BFHE 173, 466.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

den1714 Urkunde erforderlich. Rolletschke1715 schlussfolgert hieraus, dass die „Möglichkeit der Geltendmachung des Vorsteuerabzugs“ in einem Massenverfahren maßgeblich ist, sodass daher – ebenfalls im Rahmen des § 26b UStG – der Gefährdungsgedanke dominiert, welcher auch von Rechnungen ausgehen kann, die nicht alle gesetzlichen Bedingungen erfüllen. Andere fordern eine Eignung der Rechnung zum Vorsteuerabzug. Diese führen an, dass das Ziel von § 26b UStG die Sicherung des Umsatzsteueraufkommens ist, für welches erforderlich sei, dass die Rechnung die Mindestanforderungen beinhaltet, die für einen Vorsteuerabzug erforderlich sind; nicht jedoch alle Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 UStG.1716 Das Gefährdungspotenzial, welches die erste Ansicht zu ihren Gunsten anführt, stelle noch keine Rechtfertigung des § 26b UStG dar.1717 Vor der Schaffung des § 26b UStG habe auch keine Regelungslücke bestanden, die es zu schließen galt, da der Vorsteuerabzug aus unrichtigen oder unvollständigen Rechnungen bei entsprechendem Wissen eine Steuerhinterziehung des Leistungsempfängers dargestellt habe; bei Kenntnis des Leistenden läge zumindest eine Beihilfe von ihm vor.1718 Auch diese Auffassung führe das Urteil des BFH vom 17.02.20111719 zu § 14c UStG für sich ins Feld, welchem zu entnehmen sei, dass es im Hinblick auf § 14c Abs. 2 UStG genügt, wenn die Rechnung gewisse Mindestanforderungen erfüllt; nicht erforderlich sei hingegen, dass alle Pflichtangaben des § 14 Abs. 4 UStG vorliegen würden.1720 Bülte1721 erkennt an, dass dem Wortlaut nach eine Auslegung dergestalt möglich ist, dass die Rechnung nicht die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs erfüllt, da in § 26b UStG lediglich von einer „Rechnung im Sinne von § 14“ die Rede sei, in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG hingegen von einer „nach den §§ 14, 14a ausgestellten Rechnung“. Er kritisiert jedoch, dass hierdurch der Begriff der Rechnung sehr weit wird, sodass nur solche Rechnungen erfasst werden sollten, welche die Voraussetzungen von

1714 BFH v. 30.01.2003 - V R 98/01, BFHE 201, 550. 1715 Rolletschke, Rn. 435. 1716 So im Ergebnis Gehm, S. 198; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 16. 1717 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 25, 29. 1718 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 10. 1719 BFH v. 17.02.2011 - V R 39/09, DStR 2011, 969. 1720 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 27. 1721 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 11.

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B.  Objektiver Tatbestand

§ 14 Abs. 4 UStG erfüllen.1722 Die Rechnung müsse daher zum Vorsteuerabzug geeignet sein.1723 Das ist jedenfalls insoweit richtig, als der Gesetzgeber einen Zusammenhang zwischen der fehlenden Steuerentrichtung und dem offenen Steuerausweis, welcher zum Vorsteuerabzug berechtigt, herstellt. Sanktionswürdig seien daher nur die Fälle, in denen sich die Nichtzahlung der Steuer und der Vorsteuerabzug unausgeglichen gegenüberstehen.1724 Als weiteres Argument führt diese Auffassung an, dass es sich bei § 26b UStG um ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt handelt, dessen Gefährdung – sofern die Mindestangaben in einer Rechnung nicht vorliegen – überwiegend aus der unrichtigen Gesetzesanwendung durch die Finanzbehörden resultiere.1725 Hierfür spreche auch die Überschrift des § 26b UStG (Schädigung und nicht bloße Gefährdung) sowie die – inzwischen allerdings geänderte1726 – BFH-Rechtsprechung1727 zu § 14c UStG, welcher zu der Vorgängernorm § 14 Abs. 3 UStG a.F. entschieden hatte, dass eine Steuerschuld nach dieser Vorschrift nur bei Erfüllung aller formellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gegeben sei.1728 Dass auf die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nicht verzichtet werden kann, ergebe sich auch schon aus dem Zweck von § 26b UStG, welcher in der Verhinderung der Geltendmachung von Vorsteuerabzügen bestehe, bezüglich derer dem Staat die entsprechenden Umsatzsteuerzahlungen fehlten. Das von der ersten Ansicht angeführte Gefährdungspotenzial bestehe nicht, sofern diese Voraussetzung nicht erfüllt ist.1729 Roth1730 engt diese Auffassung ein wenig ein. Er fordert, dass die Rechnungen zwar nicht zwingend den hohen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügen müssen, aber dennoch einen Vorsteuerabzug möglich erscheinen lassen. Diese müssten daher nur grds. den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügen. Lediglich Rechnungen, die in keiner Weise zur Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs berechtigen (z.B. fehlender 1722 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 11. So im Ergebnis Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 16; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 23; Küffner/Hoffmann in Hartmann/Metzenmacher, § 26b, Rn. 19; Nieskens in Rau/Dürrwächter, § 26b, Rn. 17. 1723 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 23. 1724 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 16; Reiß, UR 2002, 561, 567. 1725 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 11. 1726 Siehe S. 81. 1727 BFH v 18.01.2001 - V R 83/09, BFHE 194, 483, 487. 1728 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 11. 1729 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 10. 1730 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 27 ff.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

Rechnungsaussteller), seien nicht ausreichend. Diese würden faktisch keine Möglichkeit zum Vorsteuerabzug eröffnen. Roth ist daher im Ergebnis der Ansicht, dass fehlerhafte Rechnungen ausreichen, wenn der Fehler nicht offensichtlich erkennbar oder durch Nachforschungen des Leistungsempfängers feststellbar ist. Dies sei z.B. bei einer fehlenden fortlaufenden Rechnungsnummer oder einer unzutreffenden Steuernummer der Fall. Solche Rechnungen würden die Möglichkeit zum Vorsteuerabzug faktisch eröffnen. Vor dem Hintergrund des Gesetzeszwecks, Umsatzsteuergefährdungen zu vermeiden, ist – jedenfalls im Ansatz – der Auffassung von Roth zuzustimmen. Meines Erachtens müssen die Rechnungserfordernisse des § 14 Abs. 4 UStG nicht sämtlich vorliegen. Gerade in einem Massenverfahren wie der Umsatzsteuer besteht sowohl auf Seiten des Rechnungsempfängers als auch auf Seiten der Verwaltung stets die Gefahr der Schädigung des Umsatzsteueraufkommens sowie von Wettbewerbsverzerrungen im Fall von Schein- bzw. Abdeckrechnungen. Insbesondere das Argument der Gegenauffassung, dass die Gefährdung bei Rechnungen, die nicht den Mindestanforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügen, in der fehlerhaften Rechtsanwendung durch Finanzbeamte besteht, überzeugt nicht. Die meisten Rechnungen werden im Massenverfahren der Umsatzsteuer nie von einem Finanzbeamten gesehen und auf die Tauglichkeit zum Vorsteuerabzug hin beurteilt. Dies erfolgt durch die Steuerpflichtigen selbst bzw. durch deren steuerliche Berater im Rahmen der Buchhaltung. Allenfalls hier – oder in einer späteren Betriebsprüfung1731 – findet eine fehlerhafte Rechtsanwendung statt. Mithin ist im Grundsatz jede Rechnung i.S.d. § 14 Abs. 1 UStG, die einen Vorsteuerabzug als möglich erscheinen lässt, hinsichtlich der Anwendung von § 26b UStG ausreichend. Diese entspricht auch dem oben1732 dargestellten Sinn und Zweck der Vorschrift. Es soll eine straflose Gefährdung der Neutralität der Umsatzsteuer durch die Inanspruchnahme eines Vorsteuerabzugs vermieden werden, wenn nicht gleichzeitig die Umsatzsteuer entrichtet wird. Die Auffassung von Roth1733 ist aber in einem Punkt zu modifizieren. Es ist m.E. unerheblich, ob es sich um einen für den Leistungsempfänger offenkundigen und überprüfbaren Fehler handelt oder nicht. Bei einer 1731 So auch Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 24. 1732 Siehe S. 301 f. 1733 Nach Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 27 gehört eine Rechnungsnummer nicht zu den erforderlichen Angaben für die Anwendung von § 26b UStG.

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B.  Objektiver Tatbestand

gänzlich fehlenden Rechnungsnummer würde nach Roth ein offenkundiger und überprüfbarer Fehler vorliegen. Roth lehnt daher eine Anwendung von § 26b UStG ab. Auch in solchen Fällen wird in der Praxis häufig insbesondere von kleineren und unberatenen Steuerpflichtigen – nicht immer vorsätzlich – die Vorsteuer gezogen. Mithin liegt daher auch in diesem Fall zumindest eine Gefährdung (und häufig auch ein Schaden) vor, womit solche Rechnungen in den Anwendungsbereich einbezogen werden müssen. Anderenfalls würde dem Willen des Gesetzgebers1734, Strafbarkeitslücken durch die Einführung von § 26 UStG zu schließen, nicht entsprochen.1735 Dies jedenfalls dann, wenn der Rechnungsaussteller zumindest nicht bedingt vorsätzlich eine solche Rechnung ausstellt und sich später darauf berufen könnte, dass der Anwendungsbereich von § 26b bzw. § 26c UStG nicht eröffnet ist. Sofern der Rechnungsempfänger nicht zumindest bedingt vorsätzlich handelt, scheidet auch eine Beihilfe zu einer Tat des Rechnungsempfängers aus. Eine Beihilfe zu der Tat des Rechnungsempfängers scheidet im Übrigen mangels Haupttat auch dann aus, wenn dem Rechnungsempfänger der Vorsteuerabzug nach den geltenden Verwaltungsanweisungen1736 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gewährt wird, was insbesondere dann der Fall ist, wenn der Rechnungsempfänger bestimmte Inhalte der Rechnung nicht überprüfen kann, wie z.B. die Angabe der richtigen Steuernummer. Anders ist dies lediglich dann, wenn die Rechnung – was die Ausnahme sein dürfte – so dilettantisch abgefasst ist (fehlender Rechnungsaussteller), dass auch für einen steuerlichen Laien auf den ersten Blick erkennbar ist, dass diese Rechnung nicht den formalen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügt und daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. In diesen Fällen liegt keine ernsthafte vom Täter geschaffene Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens vor. Wenn der Leistungsempfänger in diesen Fällen einen Vorsteuerabzug in Anspruch nimmt, wird man ihm dies vorwerfen können. Es wird dann häufig bedingter Vorsatz vorliegen, womit das Steueraufkommen wiederum ausreichend geschützt ist. 2. Inhaltliche Anforderungen – Scheinrechnungen, Abdeckrechnungen Es ist zu untersuchen, ob die in der Rechnung bezeichnete Leistung auch tatsächlich ausgeführt worden sein muss oder ob auch im Fall von Scheinrechnungen bzw. Abdeckrechnungen § 26b UStG greift. In Bezug 1734 BT-Drs. 14/7471 v. 23.11.2001, S. 8. 1735 Rolletschke, Rn. 437, welcher darauf hinweist, dass gerade solche Fälle Anlass für die Einführung von § 26b UStG waren. 1736 Abschnitt 15.2a Abs. 6 UStAE.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

auf Abdeckrechnungen stellt sich diese Frage allerdings nur hinsichtlich des tatsächlich nicht erfolgten, aber zu Abdeckzwecken abgerechneten Geschäfts. Für dieses Scheingeschäft entsteht die Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG.1737 In Bezug auf die abgedeckte Leistung liegt schon keine Rechnung vor, womit insoweit § 26b UStG bereits aus diesem Grunde keine Anwendung findet.1738 In der Literatur werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Teils wird vertreten, dass auch eine Rechnung über eine nicht ausgeführte bzw. nicht ernsthaft vereinbarte Leistung (Scheinrechnung) für die Bejahung des § 26b UStG ausreichend ist.1739 Die Vertreter dieser Ansicht bringen vor, dass eine andere Auslegung sowohl den Willen des Gesetzgebers1740 als auch die Tatsache unberücksichtigt lässt, dass sich der Begriff des Unternehmers seit dem StÄndG 2003 nicht mehr im Gesetzestext des § 14 UStG befindet. So sei der Vorschrift des § 14 Abs. 2 S. 1 UStG eine redaktionelle Trennung des „Rechts zur Ausstellung einer Rechnung“ und einer „Rechnung“ zu entnehmen. Schließlich sei nicht notwendig, dass über eine erbrachte Leistung abgerechnet werde, ausreichend sei die Abrechnung „über eine Leistung“.1741 Nach anderer Ansicht ist hingegen eine Rechnung über eine tatsächlich erbrachte Leistung eines Unternehmers erforderlich.1742 Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich zum Teil auf den Grundsatz, dass die Rechnung einen Vorsteuerabzug möglich erscheinen lassen muss. Dies sei aber bei Schein- oder Abdeckrechnungen wegen des Inhalts der abgerechneten Leistung und nicht bloß wegen der Formalien nach § 14 Abs. 4 UStG nicht der Fall.1743 Einer Scheinleistung liege eben keine Leistung zugrunde, womit es begriffsnotwendig auch keinen Empfänger gebe und damit auch keine Rechnung i.S.d. UStG gestellt werden könne.1744 Im 1737 Siehe S. 11. 1738 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 756.  1739 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 13, 14; so im Ergebnis auch Nöhren, S. 78 f.; Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 26b, Rn. 5.1 f. 1740 BT-Drs. 14/7471 v. 23.11.2001, S. 8. 1741 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 14; so im Ergebnis auch Nöhren, S. 79. 1742 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 35; Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, § 26b, Rn. 13; kritisch im Hinblick auf das von Scheinrechnungen ausgehende Gefährdungspotenzial Gehm, S. 198; Bielefeld, BB 2004, 2441, 2443; Wilhelm, UR 2005, 474, 476; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 21. 1743 So im Ergebnis Rolletschke, Rn. 437; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 34 f. 1744 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 21, 22.

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B.  Objektiver Tatbestand

Fall von Abdeckrechnungen liege für die tatsächlich ausgeführte Leistung zudem keine Rechnung vor.1745 Andere1746 begründen ihre Auffassung damit, dass – zumindest im Fall von Abdeckrechnungen – keine Regelungslücke besteht. Werde der tatsächlich ausgeführte Umsatz (abgedecktes Geschäft) nicht in der Steueranmeldung erfasst, sei der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt.1747 Da erfahrungsgemäß auch die für das Abdeckungsgeschäft geschuldete Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG nicht erklärt werde, sei auch insoweit der Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllt.1748 Für die zweite Ansicht spricht, dass sich der bösgläubige Rechnungsempfänger von Scheinrechnungen ohnehin nach § 370 AO strafbar macht, wenn er einen Vorsteueranspruch aus Scheinrechnungen geltend macht. Auch der bösgläubige Rechnungsaussteller begeht in diesen Fällen zumindest eine Beihilfe zu der Tat des Rechnungsempfängers. Eines Rückgriffs auf § 26c UStG bedarf es daher nicht. Ungeachtet dessen liegt m.E. in den Fällen von Scheinrechnungen eine Rechnung i.S.d. § 26b UStG vor. Hier besteht – wie in den Fällen der Ausstellung einer Rechnung, die nicht den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügt – dennoch eine ähnliche Gefährdung wie in diesen Fällen. Weder dem Gesetzeswortlaut noch dem gesetzgeberischen Willen1749 kann eine Einschränkung dergestalt entnommen werden, dass nur ein „echter“ Unternehmer i.S.d. § 2 UStG unter den Anwendungsbereich von § 26b UStG fallen soll. Gleiches gilt für die Frage, ob eine tatsächliche Leistung erbracht worden ist. Zudem setzt die o.g. Strafbarkeit nach § 370 AO den oft schwer zu erbringenden Nachweis des subjektiven Tatbestands voraus. 3. Rechnungskorrekturen; Herabsetzung der Steuerschuld Rechnungskorrekturen haben nur dann Einfluss auf die Fälligkeit, wenn sie vor der Fälligkeit der Steuer erfolgen.1750 Dies entspricht dem strafrechtlichen Prinzip des Erfolgseintritts und der strafrechtliche Erfolg der Nichtzahlung trotz Fälligkeit ist eingetreten (Gefährdung der Neutralität der Umsatzsteuer). Spätere Korrekturen sind allenfalls unter dem Ge1745 Rolletschke, Rn. 437. 1746 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 21. 1747 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 34 f. 1748 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 21 1749 BT-Drs. v. 14/7471 v. 23.11.2001, S. 8. 1750 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 757; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/ Söhn/Lange, § 26b, Rn. 20; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 37.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

sichtspunkt eines Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB bzw. einer Selbstanzeige nach § 371 AO zu messen. Sofern deren Voraussetzungen nicht vorliegen, sind etwaige Rechnungskorrekturen bzw. Herabsetzungen der Steuerschuld aber auf der Strafzumessungsebene zu berücksichtigen. Hieran ändert auch die kürzlich ergangene Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Senatex1751 nichts, wonach es möglich ist, Rechnungen rückwirkend zu korrigieren. Diese Entscheidung hat nur steuerliche Konsequenzen, wie etwa für den Zinslauf, lässt aber den tatbestandsmäßigen Erfolg des § 26c UStG nicht rückwirkend entfallen. 4. Widerspruch im Fall der Abrechnung per Gutschrift Nach einem Widerspruch gegen eine Rechnung im Gutschriftverfahren nach § 14 Abs. 2 S. 2 UStG verliert die Gutschrift die Wirkung einer Rechnung, sobald der Empfänger der Gutschrift dem ihm übermittelten Dokument widerspricht (§ 14 Abs. 2 S. 3 UStG).1752 Insofern stellt sich bei einem Widerspruch nach Fälligkeit1753 die Frage, ob in diesem Fall eine Rechnung i.S.d. § 26b UStG vorliegt und der Widerruf rückwirkend (ex tunc) oder lediglich ex nunc wirkt. Der BFH1754 nimmt steuerlich keine Rückwirkung, sondern eine Wirkung ex nunc an. Leipold1755 will das Urteil „mit Vorsicht betrachten“ und nimmt eine Wirkung ex tunc an. Leipold ist zuzugestehen, dass Art. 224 Abs. 1 S. 1 der MwStSystRL vom „Verfahren der Akzeptierung“ spricht. Hieraus kann man folgern, dass eine Gutschrift stets erst wirksam wird, wenn sie akzeptiert wird. Nach dem Wortlaut der nationalen Regelung in § 14 Abs. 2 S. 3 UStG dürfte m.E. aber keine steuerliche Rückwirkung bestehen. Das nationale Recht sieht in § 14 Abs. 2 S. 3 UStG ein Widerspruchsverfahren vor. Das spricht m.E. dafür, dass ein Widerspruch erst dann Wirkung entfaltet, wenn er erfolgt ist. Auch der Wortlaut des § 14 Abs. 2 S. 2 UStG spricht von „sobald“. Auch in diesem Fall ändert sich durch die kürzlich ergangene Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Senatex1756 nichts, wonach es möglich ist, Rechnungen rückwirkend zu korrigieren. Diese Entscheidung hat nur steuerliche Konsequenzen, wie etwa für den Zinslauf, lässt aber den tatbestandsmä1751 EuGH v. 15.09.2016 - C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029, 1030 f. 1752 BFH v. 23.01.2013 - XI R 25/11, BStBl. II 2013, 417, 419. 1753 Bei einem Widerspruch vor Fälligkeit scheidet der Tatbestand des § 26c UStG bereits mangels Fälligkeit aus. 1754 BFH v. 19.05.1993 - V R 110/88, BStBl. II 2993, 779.  1755 Leipold in Sölch/Ringleb, § 14, Rn. 201. 1756 EuGH v. 15.09.2016 - C-518/14, ECLI:EU:C:2016:691, HFR 2016, 1029, 1030 f.

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B.  Objektiver Tatbestand

ßigen Erfolg des § 26c UStG nicht rückwirkend entfallen. Ein Widerspruch nach Fälligkeit ist danach lediglich auf der Strafzumessungsebene zu berücksichtigen. 5. Sondervorauszahlung bei Dauerfristverlängerung Sofern dem Steuerpflichtigen eine Dauerfristverlängerung1757 gewährt wurde, muss dieser nach § 47 UStDV eine Sondervorauszahlung leisten. Die Nichtentrichtung dieser Sonder­vorauszahlung zum Fälligkeitszeitpunkt fällt nicht unter § 26b UStG, da dieser keine Umsätze zugrunde liegen, die in Rechnungen ausgewiesen wurden.1758 Bei der Umsatzsteuersondervorauszahlung handelt es sich um eine Steuerzahlung mit der Folge, dass eine unrichtige Sondervorauszahlung den Tatbestand des § 370 Abs. 1 AO erfüllen kann.1759 Die Anmeldung der Sondervorauszahlung stellt eine eigene Steueranmeldung dar.1760

II. Nichtentrichtung der Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt Als weitere Bedingung sieht § 26c UStG vor, dass der Täter die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer bei Fälligkeit nicht oder nicht rechtzeitig entrichtet hat.1761 1. Fälligkeit der Umsatzsteuer Die Fälligkeit der Umsatzsteuervorauszahlungen ergibt sich aus § 18 Abs. 1 S. 4 UStG, wonach grds. der 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldezeitraums maßgeblich ist.1762 Bei Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung sieht § 18 Abs. 4 S. 1 UStG vor, dass die angemeldete Abschlusszahlung einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig wird. Sofern eine Festsetzung der Umsatzsteuer durch Bescheid erfolgt, ist nach § 18 Abs. 4 S. 2 UStG die Steuer hingegen einen Monat, nachdem der entsprechende Steuerbescheid bekannt gegeben worden ist, fällig.

1757 Siehe S. 22. 1758 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 42a. 1759 Jesse, FR 2015, 673, 684.  1760 BFH v. 07.07.2005 - V R 63/04, DStR 2005, 1527, 1529. 1761 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 752; so auch Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 22 f., § 26c UStG, Rn. 9. 1762 So zutreffend auch Fahl, wistra 2003, 10, 11. 

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

Etwas anderes gilt bei Dauerfristverlängerungen i.S.d. § 46 UStDV1763: In diesen Fällen erfolgt eine Verlängerung um einen Monat für Entrichtungs- und Voranmeldungspflichten.1764 2. Aufrechnung, Stundung, Zahlungsschonfrist, Aussetzung der Vollziehung Die Fälligkeit der Zahlung bestimmt sich nach den §§ 224 ff. AO.1765 Liegt somit im Fälligkeitszeitpunkt eine Aufrechnungslage nach § 226 AO vor, ist die Nichtzahlung der Umsatzsteuer als Aufrechnungserklärung aufzufassen.1766 Eine verspätete Zahlung liegt nicht vor, sofern eine Stundung nach § 222 AO ab Fälligkeit gewährt wurde.1767 Gleiches gilt für den Fall der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung der Steuerschuld nach §§ 361 AO, 69 FGO.1768 Jedoch hindert die in § 240 Abs. 3 S. 1 AO normierte Schonfrist eine Tatbestandsverwirklichung nicht.1769 3. Täter der Nichtentrichtung Als Täter kommt nur in Betracht, „wer eine steuerrechtliche Pflicht zur Entrichtung der Umsatzsteuer gem. § 18 [UStG] hat, die ein Korrelat zum Ausweis der Umsatzsteuer in einer Rechnung ist“.1770 Es handelt sich somit um ein Sonderpflichtdelikt.1771 Als natürliche Person kommt hierfür der die Rechnung ausstellende Unternehmer in Betracht1772; bei 1763 Siehe S. 22. 1764 Jäger in Klein, § 370, Rn. 475; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 42a; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 28. 1765 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 759. 1766 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 18; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 759; a.A. wohl Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 26b, Rn. 12; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 44b, welcher eine ausdrückliche Aufrechnungserklärung verlangt. 1767 Rolletschke, Rn. 439; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 36. 1768 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 37; Roth in Rolletschke/ Kemper, § 26b UStG, Rn. 42a. 1769 Nöhren, S. 80; so im Ergebnis Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 18; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 45a; Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/ Langer, § 26b, Rn. 9, a.A. Wilhelm, UR 2005, 474, 476; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 23, § 26c UStG, Rn. 9.  1770 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 4. 1771 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 4. 1772 Kemper in Wannemacher, Rn. 1183 vertritt daher die Ansicht, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 26b UStG sei das Vorliegen der Unternehmereigenschaft i.S.d. § 2 UStG.

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B.  Objektiver Tatbestand

einer juristischen Person der gewillkürte oder gesetzliche Vertreter nach §§ 34, 35 AO, dem die Erfüllung der steuerlichen Pflichten obliegt.1773 In den Fällen des § 13b UStG (Umkehr der Steuerschuldnerschaft1774) ist die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 5 durch den Leistungsempfänger zu entrichten. Daher kommt dieser dann als Täter in Betracht. 4. Nicht angemeldete Steuer In der Literatur ist umstritten, ob als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu fordern ist, dass die Steuer nicht nur fällig, sondern auch wirksam festgesetzt (Steueranmeldung, Steuerbescheid) sein muss. Diesbezüglich ist zu differenzieren zwischen Umsatzsteuervorauszahlungen und dem Jahresabschlusssoll: a) Umsatzsteuervorauszahlungen Wie oben ausgeführt, werden Umsatzsteuervorauszahlungen unabhängig vom Vorliegen einer Steueranmeldung oder einer Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörde durch Steuerbescheid am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig. Hier stellt sich die Frage, ob es dennoch für den Anwendungsbereich des § 26c UStG einer Steuerfestsetzung (Steueranmeldung, Steuerbescheid) bedarf: Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass nur die angemeldete und nicht entrichtete Umsatzsteuer § 26b UStG unterliegt.1775 Diese Auffassung stützt sich im Kern darauf, dass in den Fällen der unterlassenen oder verspäteten Voranmeldung bereits ein strafbares Verhalten nach § 370 Abs. 1 AO vorliegt und demzufolge keine Regelungslücke besteht, die nach § 26c UStG zu schließen ist. Andere1776 sind der Meinung, dass dies nicht erforderlich ist, da nach dem Wortlaut nicht die Fälligkeit der angemeldeten Umsatzsteuerschuld, sondern lediglich die Nichtentrichtung zum Fälligkeitszeitpunkt Tatbestandsmerkmal sei. Die Umsatzsteuergefährdung hänge nicht von der Anmeldung der Steuer ab, sondern von der Ermöglichung des Vorsteuerabzugs. 1773 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 5, 28. 1774 Siehe S. 12. 1775 Nöhren, S. 67; Joecks, wistra 2002, 201; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 16. 1776 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 19; Muhler, wistra, 2009, 1, 4; Fahl, wistra 2003, 10, 11; so wohl auch Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 26.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

Der zweiten Meinung ist in Ansehung des klaren Wortlauts zuzustimmen, auch wenn dem Grunde nach kein Bedarf für einen strafrechtlichen Schutz durch § 26c UStG besteht, da die Nichtanmeldung der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO strafbar ist. Gleiches gilt für eine verspätete Anmeldung, wobei dann in diesem Fall das Vorliegen einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 AO zu prüfen ist. Beim Vorliegen einer wirksamen Selbstanzeige bzw. Teilselbstanzeige (§ 371 Abs. 2a AO) stellt sich dann die unten1777 thematisierte Frage, ob diese auch für § 26c UStG wirkt. Sofern man dies verneint, hat der vorliegende Streit auch praktische Konsequenzen, da dann eine Strafbarkeit nach § 26c UStG bestehen bleibt. b) Jahresabschlusssoll (Umsatzsteuerjahreserklärung bzw. Jahressteuerbescheid) Wie oben ausgeführt, wird eine entsprechende Zahlung bei Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung erst einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig. Wird die Umsatzsteuer durch Bescheid festgesetzt, ist die Steuer hingegen einen Monat, nachdem der entsprechende Steuerbescheid bekannt gegeben worden ist, fällig. Dies bedeutet, dass in Bezug auf ein Jahresabschlusssoll die Steuerfestsetzung (durch Steueranmeldung bzw. Steuerbescheid) Tatbestandsvoraussetzung ist, da andernfalls die Jahressteuer nicht fällig ist.1778 5. Begehungsformen Als Begehungsformen der Nichtentrichtung der Umsatzsteuer existieren drei Varianten1779: die Nichtentrichtung (1) der Vorauszahlung (nach hier vertretener Auffassung unabhängig vom Vorliegen einer Steueranmeldung oder eines Steuerbescheids), (2) der laut Jahreserklärung zu leistenden Zahlung und (3) der ausweislich des Umsatzsteuerbescheids zu zahlenden Umsatzsteuer. 6. Auswirkungen einer Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit Nach dem klaren Gesetzeswortlaut ist der Tatbestand des § 26c UStG verwirklicht, wenn der Steuerpflichtige bei Fälligkeit nicht zahlt. Es ist 1777 Siehe S. 333 ff. 1778 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 21; Fahl, wistra 2003, 10, 11; so wohl auch Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 32 ff. 1779 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 15; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 42.

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B.  Objektiver Tatbestand

jedoch nahezu einhellig anerkannt, dass eine etwaige Zahlungsunfähigkeit nicht gänzlich unbeachtlich ist, weswegen in der Literatur Ausnahmen gefordert werden, die unterschiedlich verortet und begründet werden und zudem teils an objektive und teils an subjektive Elemente anknüpfen.1780 Dies ist der wohl umstrittenste Punkt bei der Anwendung von § 26c UStG. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei § 26c UStG um einen Unterlassungstatbestand handelt, den nur derjenige verwirklichen kann, der auch die tatsächliche Möglichkeit zur Erfolgsabwendung hat, wird in der Literatur die Zahlungsfähigkeit als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal angesehen.1781 Zugmaier/Bangert1782 und Roth1783 verweisen in diesem Zusammenhang zudem auf den Sinn und Zweck von § 26b UStG, Druck auf den Steuerpflichtigen dergestalt auszuüben, dass er die fällige Umsatzsteuer zahlt. Bei Zahlungsunfähigkeit sei die Erhebung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig. Diese Situation sei insoweit mit dem Anfallen von Säumniszuschlägen nach § 240 AO vergleichbar, deren Erhebung sachlich unbillig sei, wenn der Schuldner gar nicht zahlen kann. Eine generelle Nichtanwendung von § 26c UStG für die Fälle der Zahlungsunfähigkeit wird jedoch in der Literatur allgemein als zu weitgehend empfunden. Dies bedeute im Ergebnis sogar, dass ein sog. Missing Trader, der seine Zahlungsunfähigkeit vorsätzlich herbeiführt, auch privilegiert wird. Daher wird in der Literatur das Eingreifen von verschiedenen Gegenausnahmen diskutiert bzw. die Frage aufgeworfen, wie zu ermitteln ist, ob die Zahlung der Umsatzsteuer dem Unternehmer trotz knapper Mittel noch möglich ist. Nachstehend wird daher untersucht, ob und wie der Tatbestand des § 26b UStG einschränkend auszulegen ist. a) Vorüberlegung: zivilrechtliche Pflicht zur Rechnungsstellung Ungeachtet der Überlegungen, ob und wie man § 26b UStG im Fall einer Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit einschränken möchte, ist stets zu beachten, dass – worauf vor allem Zugmaier/Bangert und Roth hinweisen – der Unternehmer zu der Ausstellung einer Rechnung mit offenem Steu1780 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 45. 1781 Rolletschke, Rn. 440; so im Ergebnis auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 23; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 27, § 26c UStG, Rn. 9; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 760; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 49. 1782 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 46 f. 1783 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 49 ff.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

erausweis zivilrechtlich verpflichtet ist, wenn er an einen Unternehmer bzw. an eine juristische Person leistet (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 UStG). Ferner, wenn er eine Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück ausführt (§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG). Diese rechtlich gebotene Tätigkeit könne man ihm nicht automatisch zum Vorwurf machen, da er auch dann zur Rechnungsstellung verpflichtet sei, wenn die Zahlungsunfähigkeit droht. Joecks1784 weist zu Recht darauf hin, dass der Vorwurf insofern nicht lauten kann, der Unternehmer habe eine Rechnung mit offenem Steuerausweis erteilt, obwohl er wusste, dass er die damit entstandene Steuer (bei Versteuerung nach vereinbarten Entgelten) nicht werde leisten können. Ein Vorwurf könne nur erhoben werden, wenn der Steuerpflichtige keine Möglichkeit zu pflichtgemäßem Alternativverhalten hatte und er auch sein Unvermögen nicht vorwerfbar herbeigeführt hat.1785 b) Kürzung wie bei § 380 AO Zur Einschränkung des Tatbestands des § 26b UStG (genauer: zur Einschränkung der Ausnahme der Zahlungsunfähigkeit) wird daher in der Literatur1786 die Frage aufgeworfen, ob nicht die zu § 38 Abs. 4 EStG entwickelten Kriterien zur anteiligen Lohnkürzung bei Unfähigkeit zur Zahlung der Lohnsteuer auf § 26b UStG übertragen werden können. Die Frage, wie dies in der Praxis geschehen soll, bleibt meist unbeantwortet. Dies würde wohl bedeuten, dass der Unternehmer nur in dem Umfang umsatzsteuerpflichtig leisten dürfte, wie er bei der Versteuerung nach vereinbarten Entgelten zur Vorfinanzierung der Umsatzsteuer in der Lage wäre. Bei der Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten stellt sich das Problem ohnehin nicht. Dies wird aber dann – zu Recht – wieder mit dem Argument verworfen, dass die Umsatzsteuer – anders als die Lohnsteuer – eine eigene Steuerschuld des Unternehmers darstellt und auch eine dem § 38 Abs. 4 EStG entsprechende Regelung fehlt.1787 c) Vergleich mit Voraussetzungen nach § 69 AO Zur Einschränkung des Tatbestands des § 26b UStG (genauer: zur Einschränkung der Ausnahme der Zahlungsunfähigkeit) wird in der Litera-

1784 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 761. 1785 So auch Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 46. 1786 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 51; Roth in Rolletschke/ Kemper, § 26b UStG, Rn. 51; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 760; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 27. 1787 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 51; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 51.

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B.  Objektiver Tatbestand

tur1788 ferner die Frage aufgeworfen, inwieweit Kriterien des § 69 AO zur Verpflichtung der anteilsmäßigen Befriedigung von Steuerschulden anwendbar sind bzw. beachtet werden müssen. Mit anderen Worten braucht der Unternehmer zur Abwendung von § 26b UStG nur die gleiche Quote wie anderen Gläubigern zu zahlen. Wenn dem so wäre, ist dem Unternehmer (nur) die Zahlung einer höheren Quote auf die Umsatzsteuer (rechtlich) unmöglich. Nach § 69 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Nach den in Bezug auf diese Vorschrift entwickelten „Grundsätze[n] über die quotale Befriedigung aller Gläubiger“1789 ist für einen Geschäftsführer anerkannt, dass eine Haftung für Steuern lediglich dann in Frage kommt, wenn dieser die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht in gleichem Maße zur Steuertilgung nutzt, wie er die übrigen vorhandenen Forderungen bedient.1790 Dies würde bezogen auf die Umsatzsteuer bedeuten, dass die Zahlung dieser Steuer nur anteilig in der Höhe der Befriedigung der anderen Gläubiger zu erfolgen hat.1791 Es ist jedoch umstritten, ob diese Verpflichtung der anteilsmäßigen Befriedigung von Steuerschulden i.S.d. § 69 AO auch generell auf § 26c UStG Anwendung findet.1792 Zugmaier/Bangert1793 lehnen dies für § 26b UStG mit dem Hinweis ab, dass „sich ein Vertreter nicht auf das Fehlen ausreichender liquider ­Mittel zur Tilgung aller Verbindlichkeiten berufen“ kann. Ferner sei die Neutralität der Umsatzsteuer nicht gewahrt, wenn sich die Zahlung der Umsatzsteuer und die Erstattung der Vorsteuer nicht ausgewogen gegenüberstünden. § 26b UStG wolle den, der über eine Leistung abrechnet, zur Mittelvorsorge zwingen. Wenn nicht ausreichend Mittel zur Ver­ fügung stehen, könne allenfalls für eine sehr kurze Zeit der Pflicht­ widrigkeitsvorwurf entfallen und ein Geschäftsführer müsse notfalls 1788 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 59; Roth in Rolletschke/ Kemper, § 26b UStG, Rn. 52; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 761. 1789 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 761. 1790 BFH v. 26.04.1984 - V R 128/79, BStBl. II 1984, 776, 779; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 59; Rüsken in Klein, § 69, Rn. 58 ff.; so auch Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 27, § 26c UStG, Rn. 9; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 761; im Ergebnis auch Nöhren, S. 81. 1791 Nöhren, S. 81. 1792 Rolletschke, Rn. 442. 1793 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 59.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

­zurücktreten. Roth1794 sieht dies ebenso mit der Begründung, dass der Gesetzgeber durch die Bußgeldbewehrung zum Ausdruck gebracht hat, dass es sich um eine vorrangige Schuld handele. Dies insbesondere für den Fall, dass der Täter die Umsatzsteuer tatsächlich vom Leistungsempfänger erhalten hat. Andere in der Literatur schließen die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung nicht grds. aus. Gaede1795 will den Grundsatz generell auch im Rahmen des § 26b UStG anwenden. Joecks1796 weist darauf hin, dass mit der Schaffung des § 26b UStG keine vorrangige Forderungsbedienung normiert werden sollte1797, sondern dies lediglich in den Fällen gerechtfertigt sei, welche die Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten betreffen oder in denen bereits ein Zufluss des Steuerbetrags auf Seiten des Unternehmers erfolgt ist.1798 Meines Erachtens gehen die Auffassungen von Zugmaier/Bangert und Roth, die sich vor allem auf den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer beziehen, fehl. In diesem Zusammenhang geht es nicht um die Frage des Steueraufkommens oder um Wettbewerbsvorteile, worauf sich die Neutralität der Umsatzsteuer bezieht. Es geht um die Frage, ob ein sanktionswürdiges Unrecht vorliegt, was wiederum mit der Frage einer vorwerfbaren Handlung und damit wiederum mit der Frage einer Mittelverwendung einhergeht. Meiner Ansicht nach ist zu differenzieren: Sofern der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht vereinnahmt hat, findet der Grundsatz der anteiligen Tilgung Anwendung. Steuerforderungen genießen insoweit keinen grundsätzlichen Vorrang. Dem Unternehmer ist damit (nur) die Zahlung einer höheren Quote auf die Umsatzsteuer als an andere Gläubiger (rechtlich) unmöglich. Dann allerdings, wenn (genauer: insoweit) die Umsatzsteuer tatsächlich vereinnahmt wurde, ist die Anwendung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung ausgeschlossen. Insofern vereinnahmt der Unternehmer, ähnlich wie ein Treuhänder1799, bei wirtschaftlicher Betrachtung fremdes Geld. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die Umsatzsteuer – jedenfalls bei der Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich – wie ein durchlaufender Posten behandelt wird.

1794 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 53. 1795 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 27. 1796 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 761; so auch Nöhren, S. 85. 1797 Vgl. Ehrig, GmbHR 2003, 1174, 1177. 1798 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 338; Wilhelm, UR 2005, 474, 477. 1799 Steuerlich wendet der BFH allerdings auch bei der Umsatzsteuer den Grundsatz der anteiligen Tilgung an, siehe BFH v. 26.08.1992 - VII R 50/91, BFHE 169, 13, 16.

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B.  Objektiver Tatbestand

d) Pflichtwidrige Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit (­omissio ­libera in causa) Eine weitere allgemeine Einschränkungsmöglichkeit (genauer: zur Einschränkung der Ausnahme der Zahlungsunfähigkeit) sieht die Literatur dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit vorsätzlich herbeigeführt worden ist. Dann besteht mittels der Rechtsfigur omissio libera in causa1800 ein Anknüpfungspunkt für vorwerfbares Verhalten des Steuerpflichtigen.1801 Der Vorwurf besteht dabei in der vorsätzlichen1802 Verursachung eines Vorverhaltens, welches die Zahlungsunfähigkeit herbeigeführt hat.1803 Es findet somit eine Vorverlagerung des pflichtwidrigen Verhaltens des Steuerpflichtigen statt1804, welche in Rechtsprechung und Literatur nicht unumstritten und nicht unerheblicher Kritik ausgesetzt ist.1805 Die Anwendung dieses Grundsatzes würde bedeuten, dass der Steuerpflichtige zwar nicht zahlungsfähig ist, man ihm dieses aber vorwerfen kann. Hinsichtlich des § 266a StGB, welcher mit § 26c UStG insofern vergleichbar ist, als die Nichtzahlung strafbar ist, hat der BGH1806 in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass der Steuerpflichtige im Fall pflichtwidrigen Verhaltens hinsichtlich der Verursachung seiner Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit dennoch sowohl haftungs- als auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Folglich habe der Steuerpflichtige im Fall von Zahlungsschwierigkeiten Sicherungsmaßnahmen zu treffen, um die notwendigen Geldbeträge bei Fälligkeit der Zahlungen zur Verfügung stehen zu haben. Gegen die Anwendung der omissio libera in causa auf § 26c UStG wird angeführt, dass hierdurch die Verwirklichung des Tatbestands auf einen 1800 Bereits im Strafrecht umstritten: Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 29, § 26c UStG, Rn. 9; siehe Baier, GA 1999, 272, 279 ff.; Gaede in NK-StGB, § 13, Rn. 13; speziell zu § 26b UStG: Kemper in Wannemacher, § 26b, Rn. 1190; eine Anerkennung durch die Rechtsprechung in Bezug auf die §§ 26b, c UStG ist noch nicht erfolgt, siehe Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 29, § 26c UStG, Rn. 9.  1801 So im Ergebnis Rolletschke, Rn. 424, 440. 1802 Webel, PStR 2013, 20, 21 lässt sogar Leichtfertigkeit ausreichen. 1803 Burger, wistra 2002, 1, 3; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 28, § 26c UStG, Rn. 9; Grieser, S. 173; so im Ergebnis auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 23; Nöhren, S. 82; siehe auch Kemper in Wannemacher, Rn. 1190; Rolletschke, Rn. 424, 440; vgl. OLG Hamm v. 07.10.2002 - 2 Ss 795/02, wistra 2003, 73.  1804 Kemper in Wannemacher, Rn. 1190. 1805 Nöhren, S. 82. 1806 BGH v. 28.05.2002 - 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 321; v. 11.12.2001 - VI ZR 123/00, NJW 2002, 1122; v. 21.01.1997 - VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 308.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

Zeitpunkt vorgezogen wird, welcher sich nicht aus dem Gesetz ableiten lässt. So sei das „vorsätzliche Außer-Stande-Setzen“ hinsichtlich der fristgerechten Steuerentrichtung nicht das Gleiche wie die bloße Nichtzahlung bei Fälligkeit. Folglich komme es zu einer unzulässigen Tatbestandserweiterung.1807 Im Sozialversicherungsrecht wird gegen die Anwendung des Grundsatzes zudem eingewandt, dass die Anknüpfung an die (aktive) Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit einen absoluten Vorrang von Beitragsansprüchen bedeuten würde. Selbst früher fällig gewordene Forderungen seien nachrangig. Für einen solchen Vorrang gebe es aber keine gesetzliche Grundlage.1808 Gleiches gilt dann nach den Vertretern dieser Auffassung für Umsatzsteuerforderungen, soweit diese in Rechnungen ausgewiesen sind. Ferner habe der Gesetzgeber § 26c UStG weder explizit noch vergleichbar der Systematik in § 266a Abs. 1, 2 und Abs. 6 StGB gesetzlich geregelt.1809 Gegen eine Vorverlagerung der Verantwortlichkeit wird des Weiteren die Regelung des § 25d UStG angeführt, in welcher der Gesetzgeber die Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Steuern geregelt hat. In § 25d UStG habe der Gesetzgeber ausdrücklich auch den Fall des sich „vorsätzlich außer Stande gesetzt haben“ geregelt. Daraus folge, dass der Gesetzgeber bei § 26b UStG eine solche Regelung gerade nicht wollte.1810 Darüber hinaus zeige dies, dass der Gesetzgeber eine bewusste Trennung zwischen dem Außerstande setzen zur Entrichtung der Steuer und der Steuernicht­ entrichtung vorgenommen habe1811 und er ersteren Aspekt auch in § 26c UStG hätte aufnehmen können, wohingegen dieser gerade nicht von der Nichtentrichtung des § 26c UStG umfasst sei.1812 Fraglich ist, ob dann etwas anderes gilt, sofern der Unternehmer erst zum Fälligkeitszeitpunkt zahlungsunfähig war, nicht jedoch schon bei Rechnungsstellung.1813 Kemper1814 ist gegen eine grundsätzliche Vorverlage1807 So im Ergebnis auch Kemper in Wannemacher, Rn. 1191. 1808 Nöhren, S. 82. 1809 Ehrig, GmbHR 2003, 1174, 1177.  1810 So im Ergebnis Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 29; so auch Traub in Wannemacher, 5. Auflage 2004, Rn. 1361; Kemper in Wannemacher, Rn. 1188 ff. führt die Argumentation nicht mehr an; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 47; Kaiser/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26c, Rn. 14; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 761. 1811 Nöhren, S. 85 f. 1812 Traub in Wannemacher, 5. Auflage 2004, Rn. 1361; Kemper in Wannemacher, Rn. 1188 ff. führt die Argumentation nicht mehr an; wie Traub auch Nöhren, S. 86. 1813 Rolletschke, Rn. 441. 1814 Kemper in Wannemacher, Rn. 1191.

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B.  Objektiver Tatbestand

rung der Strafbarkeit und vertritt die Ansicht, dass „ein sanktionswürdiges Unrecht nur [vorliegen kann], wenn der Unternehmer bei Abgabe seiner Erklärung oder danach tatsächlich dazu in der Lage war oder ist, die Steuer bei Fälligkeit zu zahlen“. Zugunsten der Anwendung des Grundsatzes der omissio libera in causa wird angeführt, dass die Vorrangigkeit der Ansprüche des § 266a Abs. 1 StGB aus dem „strafbewehrten Normbefehl“ resultiert, welcher auch das nicht fristgerechte Nachkommen von Zahlungsverpflichtungen umfasse.1815 Gleiches müsse dann für § 26c UStG gelten. Das von den Vertretern der ersten Auffassung angeführte Argument der unzulässigen Tatbestandsausweitung sei nicht stichhaltig, weil „die Einschränkung des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals der Unzumutbarkeit naturgemäß nicht in einem Konflikt mit der Wortlautgrenze stehen“1816 könne. Meines Erachtens sind die Grundsätze der omissio libera in causa nicht – jedenfalls nicht uneingeschränkt1817 – anwendbar. Hierfür spricht insbesondere der o.g. Wortlautvergleich zwischen § 25d und § 26b UStG. Selbst wenn man im Allgemeinen keine überzogenen Erwartungen an die Vorstellungen bzw. Erwartungen des Gesetzgebers haben sollte, sprechen die Regelungsnähe und die gleiche Zielrichtung der Vorschriften der Bekämpfung der Umsatzsteuerhinterziehung vorliegend dafür, dass der Gesetzgeber sich in diesem Fall – ausnahmsweise – des Problems bewusst war und dies nicht regeln wollte. Jedenfalls hätte die gegenteilige Auffassung, wenn schon nicht im Wortlaut, dann zumindest in den Gesetzesmaterialien irgendwie Anklang finden müssen. Abgesehen hiervon existiert für die „Kunstfigur“ der omissio libera in causa keine Rechtsgrundlage. e) Vereinnahmte Umsatzsteuer Ein Teil der Literatur will in Bezug auf § 26c UStG und die Frage der Auswirkung einer Zahlungsunfähigkeit teilweise differenzieren, ob die Umsatzsteuer vereinnahmt wurde oder nicht. Joecks1818 nimmt eine absolute Priorität der Umsatzsteuer jedenfalls dann an, wenn der Steuerpflichtige die Beträge nicht nur in Rechnung 1815 Nöhren, S. 82 f. 1816 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 23. 1817 Zu Ausnahmen bei der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten siehe nachstehend und auf den darauffolgenden S. 323 ff. und bei Umsatzsteuerkarussellen siehe S. 325 ff. 1818 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 761.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

gestellt, sondern auch vereinnahmt hat. Dem stimmen auch Zugmaier/ Bangert1819 zu. Auch Nöhren1820 sieht im Fall der Versteuerung nach vereinnahmten Entgelten im Rahmen des § 26c UStG einen grundsätzlichen Vorrang der Umsatzsteuerforderungen gegenüber den Forderungen von anderen Gläubigern. So bestehe bei den vereinnahmten Entgelten zwischen den dem Steuerschuldner zur Verfügung stehenden Geldern und der zu zahlenden Steuer ein vergleichbares Verhältnis wie zwischen Lohnsteuer und Arbeitslohn, sodass in diesem Fall eine vorrangige Bedienung dieser Umsatzsteuer zu bejahen sei.1821 Stadie1822 sieht in der Vereinnahmung der Umsatzsteuer sogar ein un­ geschriebenes Tatbestandsmerkmal. Er verweist darauf, dass der Unternehmer „als zwangsverpflichteter Gehilfe des Staates bei der Umsatzbesteuerung“ nicht zur „Vorfinanzierung der Umsatzsteuer“ gezwungen werden darf. Nach dieser Auffassung muss der Steuerpflichtige – anders als bei Joecks und Nöhren – auch nicht anteilig im Sinne einer oben dargestellten Quote nach § 69 AO leisten, wenn er die Umsatzsteuer nicht vereinnahmt hat. Dies stellt dann im Ergebnis eine Nachrangigkeit der Umsatzsteuer dar, solange diese nicht vereinnahmt wurde. Die h.L.1823 ist der Ansicht, dass es für die Anwendung von § 26b UStG ohne Bedeutung ist, ob die Umsatzsteuer tatsächlich vereinnahmt wurde. Roth1824 und Gaede1825 führen dazu an, dass dies dem sog. Soll-Prinzip der Umsatzsteuer entgegensteht, weil die Steuer nach § 13 UStG bereits mit der Ausführung der Leistung entstehe. Ferner biete der Gesetzeswortlaut keinen Anknüpfungspunkt, eine Vereinnahmung zu fordern.1826 Die Auffassung von Stadie wirkt auf den ersten Blick überzeugend und nachvollziehbar. Diese würde aber zumindest für § 26c UStG das Grundprinzip der Sollversteuerung aushebeln. Ob das Prinzip der Sollversteuerung richtig ist, ist eine andere Frage, der hier nicht nachgegangen werden soll. Gegenwärtig jedenfalls liegt dem UStG als Grundprinzip die Sollversteuerung zugrunde. Vor dem Hintergrund erscheint die Auffas1819 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 47. 1820 Nöhren, S. 85. 1821 So im Ergebnis Nöhren, S. 85. 1822 Stadie in Stadie, 26c, Rn. 4. 1823 Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langner; § 26b Rn. 7.1.  1824 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 53. 1825 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 26. 1826 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 44c; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 26.

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B.  Objektiver Tatbestand

sung von Stadie als nicht systemgerecht und daher als zu weitgehend. Als Korrekturmöglichkeit der Sollversteuerung für den Fall der Uneinbringlichkeit einer Forderung bzw. des Ausbleibens der Gegenleistung steht im UStG § 17 (Änderung der Bemessungsgrundlage) zur Verfügung. Dies freilich mit recht hohen Hürden, was meist zumindest eine zeitweilige Pflicht zur Vorfinanzierung bedeutet. Joecks und Nöhren ist aber darin zuzustimmen, dass der gewissermaßen treuhänderisch vereinnahmten Umsatzsteuer – wie Fremdgeld – abso­ lute Priorität gegenüber anderen Verbindlichkeiten zukommt. Es wäre sachwidrig und auch der Umsatzsteuer systemwidrig, wenn andere Gläubiger an bereits vereinnahmter Umsatzsteuer partizipieren könnten. f) Tatsächlicher Vorsteuerabzug Für eine weitere Einschränkung plädieren Küffner/Hoffmann1827, indem sie für die Anwendung von § 26b UStG fordern, dass das Umsatzsteueraufkommen tatsächlich dadurch geschädigt sein muss, dass der Rechnungsempfänger einen Vorsteuerabzug in Anspruch genommen hat. Dem wird jedoch zu Recht entgegengehalten, dass der Gesetzgeber keine Schädigung verlangt, sondern eine Gefährdung genügen lässt.1828 Im ­Übrigen würde sonst die Strafbarkeit vom Verhalten eines Dritten abhängen.1829 g) Korrekturen bei eingeplanter Zahlungsunfähigkeit Fraglich ist, ob auch bei einem Umsatzsteuerkarussell wiederum (gegenläufige) Korrekturen erforderlich sind, weil – wie oben dargestellt – bei Zahlungsunfähigkeit und mangels Verstoßes gegen den Grundsatz der anteiligen Befriedigung § 26c UStG nicht greift, es sei denn, die in Rede stehende Umsatzsteuer wurde tatsächlich vereinnahmt. Bei der Figur des sog. Missing Trader stehen dessen fehlende Bereitschaft und (auch nur anteilige) Fähigkeit zur Zahlung der Umsatzsteuerschuld grds. schon mit Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung fest.1830 Damit führen die oben dargestellten Einschränkungen auch zu einer Einschränkung der Strafbarkeit nach § 26c UStG zugunsten der Teilnehmer eines Umsatzsteuerkarussells. Da aber die strafrechtliche Heranziehung des Missing 1827 Küffner/Hoffmann in Hartmann/Metzenmacher, § 26b, Rn. 10 f. 1828 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 26; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 44c. 1829 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 44c. 1830 So im Ergebnis Kemper in Wannemacher, Rn. 1193; siehe auch Gaede in Flore/ Tsambikakis, § 26b, Rn. 28; Nöhren, S. 86; Rolletschke, Rn. 440. 

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

Traders mit der Schaffung der §§ 26b, 26c UStG beabsichtigt war, ist es vom Gesetzgeber nicht gewollt, gerade den Missing Trader von der Strafbarkeit nach diesen Vorschriften auszunehmen.1831 Nöhren1832 schlägt daher vor, § 26c UStG insofern einzuschränken, als dass eine Strafbarkeit entfällt, wenn von Seiten des Unternehmers die Absicht der Zahlungsunfähigkeit bereits von Anfang an bestand und auch – erkennbar z.B. durch eine geringe Kapitalausstattung – bewusst eingeplant war. Auch Kemper1833 und Roth1834 weisen darauf hin, dass die Schaffung der §§ 26b, 26c UStG gerade dazu dient, den Problemen der Feststellung der Verantwortlichen in Umsatzsteuerkarussellen zu begegnen, sodass es ein ungewöhnliches Ergebnis darstellen würde, den Missing Trader aus der Verantwortlichkeit nach § 26c UStG auszunehmen. Maßgeblich soll der Umstand sein, ob tatsächlich eine Vereinnahmung der ausgewiesenen Umsatzsteuer stattgefunden hat, sowie das Verschuldenserfordernis. So habe der Missing Trader durch seine eigene „Preisgestaltung“ seinen Liquiditätsengpass verursacht. Hierin sei ein schuldhaftes Verhalten zu sehen, da ein redlicher Kaufmann solche Geschäfte nicht getätigt hätte. Ein vorwerfbares Verhalten i.S.d. § 26b UStG sei daher gegeben, wenn ein Unternehmer von Anfang an geplant hat, Steuern nicht zu entrichten. Roth sieht die Schwierigkeit, eine solche Absicht zu beweisen, und auch die Problematik der Abgrenzung von Fällen der Insolvenz, in denen ein Unternehmer nicht mehr finanziell in der Lage ist, Umsatzsteuer für Ware zu entrichten, welche er zuvor bereits unterpreisig verkaufen musste. Als Abgrenzungskriterium könne dabei lediglich dienen vom „Pflichtwidrigkeitsvorwurf“, für die geringe Zeit bis zur Antragstellung zur ­Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. zum Rücktritt von seiner Geschäftsführertätigkeit, abzusehen. Vor dem Hintergrund des o.g. Gesetzeszwecks erscheint es – bei allen Beweisschwierigkeiten – zwar sachgerecht mit Nöhren, Zugmaier/Bangert, Kemper und Roth für den Fall der eingeplanten Zahlungsunfähigkeit die Pflichtwidrigkeit der Zahlungsunfähigkeit zu unterstellen, obwohl der Unternehmer bereits bei Abgabe der Steueranmeldung (sofern diese erfolgt ist) zahlungsunfähig war. Das gilt selbstverständlich nicht nur für Karussellgeschäfte oder ähnliche Geschäfte, sondern in allen Fällen der eingeplanten Zahlungsunfähigkeit. Dennoch findet eine solche 1831 Kemper in Wannemacher, Rn. 1193. 1832 Nöhren, S. 86. 1833 Kemper in Wannemacher, Rn. 1193. 1834 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 54 f.

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B.  Objektiver Tatbestand

Auslegung keine Stütze im Gesetzeswortlaut und ist daher vor dem Hintergrund des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes1835 abzulehnen. Eine etwaige Nachbesserung ist Sache des Gesetzgebers und kann nicht über den Wortlaut hinaus durch Auslegung erfolgen. 7. Sonderproblem 01.01.2009 bis 29.06.2013 Gaede1836 weist darauf hin, dass sich für Taten, die zwischen dem 01.01.2009 und dem 29.06.2013 begangen worden sind, die Frage stellt, ob in diesem Zeitraum § 26b UStG wegen eines fehlerhaften Verweises auf die Fälligkeit der Vorauszahlung in einer Neufassung der Vorschrift insoweit überhaupt anwendbar ist. Zum 30.06.2013 wurde dieser fehlerhafte Verweis dann kommentarlos berichtigt. Auch wenn das Redaktionsversehen des Gesetzgebers leicht erkennbar war, wird man hierin mit Gaede und Jäger1837 dennoch insoweit einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz annehmen müssen, da der mögliche Wortsinn die äußerste Grenze darstellt und die Verweisung zu unbestimmt war, weil nicht klar war, welche Fälligkeit der Gesetzgeber meinte.

III. Bedeutung der Zahllast Der Wortlaut des § 26b UStG stellt – im Gegensatz zu § 240 AO (Säumniszuschläge) – auf die Nichtzahlung der „in einer Rechnung […] ausgewiesene[n] Umsatzsteuer“ und damit nicht auf die Zahllast ab, die sich aus der gesamten Umsatzsteuer auf ausgeführte Umsätze nach Abzug der Vorsteuern ergibt. In der Steueranmeldung (Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung) erscheint diese Zahl (die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer) jedoch nicht explizit. Diese entspricht nur dann der „Umsatzsteuer auf ausgeführte Umsätze“ in der entsprechenden Steueranmeldung, wenn für alle getätigten Umsätze auch eine Rechnung gestellt wurde, was aber insbesondere bei Barumsätzen des täglichen Lebens an Privatpersonen nicht immer der Fall ist. Die Vorsteuerbeträge erlangen im Rahmen des § 26b UStG in zweifacher Hinsicht Bedeutung: Da der Unternehmer seine Zahllast und nicht die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zur Anmeldung bringt, ist auch die Konstellation denkbar, 1835 Siehe S. 31 ff. 1836 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 17; ebenso Roth in Rolletschke/ Kemper, § 26b UStG, Rn. 6, § 26c UStG, Rn. 11a. 1837 Jäger in Klein, § 370, Rn. 478.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

dass sich ein Erstattungsbetrag oder eine Zahllast von null ergibt, sodass der in der Überschrift des § 26b UStG verfolgte Zweck, die Schädigung des Umsatzsteueraufkommens unter Strafe zu stellen, in diesen Fällen fehlgeht.1838 Sofern sich eine Zahllast ergibt und gleichzeitig nicht für alle Umsätze eine Rechnung mit Steuerausweis erteilt wurde, stellt sich die Frage, mit welchem Teil der Umsätze etwaige Vorsteuern zu verrechnen bzw. zu kompensieren sind:1839 mit den Beträgen, hinsichtlich derer eine Rechnung erstellt wurde und die unter § 26b UStG fallen können, oder mit den Beträgen, für die keine Rechnung erstellt wurde und die nicht unter § 26b UStG fallen. Hier wird in der Literatur allgemein das sog. Lästigkeitsprinzip oder Günstigkeitsprinzip angewandt und eine vorrangige Verrechnung mit den in Rechnung gestellten Beträgen befürwortet.1840 Unter Berücksichtigung dieser beiden Konstellationen ist der Tatbestand des § 26b UStG daher nur erfüllt, sofern sich aus der formal in Rechnung gestellten Umsatzsteuer ein höherer Betrag als die ordnungsgemäßen Vorsteuern ergibt.1841 Dies stellt eine ganz erhebliche Einschränkung des Anwendungsbereichs dar. Dies insbesondere für Unternehmer, die neben „betrügerischen“ Umsätzen „normale“ Umsätze tätigen, welche vorrangig mit den nach § 26b UStG in Rechnungen ausgewiesenen Steuern verrechnet werden.1842

IV. Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Nichtentrichtung Weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 26c UStG ist, dass die Schädigung des Umsatzsteueraufkommens banden- oder gewerbsmäßig aus­ merkmale wurden bereits im geübt worden ist.1843 Diese Tatbestands­ Rahmen des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO1844 dargestellt, wobei die dortigen Definitionen nur begrenzt verwendbar sind.1845 1838 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 762; so auch Nöhren, S. 80; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 41. 1839 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 763. 1840 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 763; Nöhren, S. 80; Gaede in Flore/ Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 23; Jäger in Klein, § 370, Rn. 474; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 41; Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/ Lange, § 26b, Rn. 19. 1841 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 764; Nöhren, S. 80. 1842 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 41. 1843 So im Ergebnis Rolletschke, Rn. 444; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26b UStG, Rn. 41. 1844 Siehe S. 176 f. 1845 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 772.

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B.  Objektiver Tatbestand

Es handelt sich in beiden Fällen (Gewerbsmäßigkeit und bandenmäßige Nichtentrichtung) um ein persönliches Merkmal i.S.d. § 28 Abs. 1 StGB, welches die Strafe begründet.1846 Liegt dieses bei einem Beteiligten nicht vor, kann allenfalls Teilnahme zu § 26c UStG und keine Täterschaft vorliegen.1847 Die Abführungspflicht nach § 26c UStG ist hingegen kein besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB.1848 1. Bandenmäßige Begehung Um eine Bande handelt es sich, „wenn sich eine Gruppe von Personen zur Verübung fortgesetzter, im Einzelnen noch ungewisser Straftaten verbunden hat“1849. Dabei muss die Bande entsprechend der Rechtsprechung des BGH1850 aus mindestens drei Personen bestehen.1851 Es muss sich bei § 26c UStG daher um eine Tätergruppe handeln, die sich darauf „spezialisiert“ hat, „ordentliche“ Rechnungen i.S.d. § 14 UStG auszustellen und die darauf entfallenden Steuerbeträge nicht zu entrichten.1852 Es reicht aus, wenn die Begehung solcher Taten Nebenzweck der Bande ist.1853 In der Literatur wurde ein „bandenmäßiges Unterlassen“ bereits von der Begrifflichkeit her kritisch betrachtet.1854 Dies ist allerdings unbegründet, da § 26c UStG seine Rechtfertigung nicht aus dem bloßen Untätigbleiben herleitet, sondern aus dem (aktiven) Zusammenwirken des nicht zahlenden Unternehmers und der Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs durch einen anderen Unternehmer.1855

1846 BGH v. 16.11.1995 - 4 StR 579/95, NStZ 1996, 128 zur Bandeneigenschaft; so auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 29; Wagner in Simon/Wagner, S. 45; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 11, 20; Roth in Rolletschke/ Kemper, § 26c UStG, Rn. 12d. 1847 Vgl. BGH v. 10.09.1986 - 3 StR 292/86, wistra 1987, 30; v. 17.07.2008 - 3 StR 193/08, StraFo 2008, 434; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 29; so auch Wagner in Simon/Wagner, S. 46. 1848 Jäger in Klein, § 370, Rn. 484. 1849 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 773. 1850 BGH v. 22.03.2001 - GSSt 1/00, BGHSt 46, 321; v. 22.08.2001 - 3 StR 287/01, wistra 2002, 21.  1851 Rolletschke, Rn. 444. 1852 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 773.  1853 Kaiser/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26c, Rn. 20. 1854 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 40. 1855 Kaiser/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26c, Rn. 17; a.A. Gaede in Flore/ Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 25.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

2. Gewerbsmäßige Begehung Nach der herkömmlichen Definition handelt gewerbsmäßig, wer in der Absicht handelt, sich durch wiederholte Begehung von Straftaten eine fortgesetzte Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen.1856 Dabei ist die Gewerbsmäßigkeit bereits bei Ausführung der ersten Tathandlung gegeben, sofern der Täter schon zu diesem Zeitpunkt die Gewinnerzielung beabsichtigt.1857 Die Übertragung dieser Definition auf § 26c UStG ist problematisch, da die „Einnahmequelle“ bereits sprachlich nicht im Nichtabführen der Umsatzsteuer an das Finanzamt gesehen werden kann, sondern allenfalls im Vereinnahmen der in Rechnung gestellten Umsatzsteuer. Dann aber muss nach Joecks1858 § 26c UStG so verstanden werden, dass es verboten ist, Umsatzsteuer in Rechnung zu stellen, wenn man nicht gleichzeitig die Absicht hat, diese Umsatzsteuer auch tatsächlich abzuführen. Allerdings ist der Unternehmer – unabhängig von dieser Absicht – gesetzlich verpflichtet für eine tatsächlich erbrachte Leistung eine Rechnung nach § 14 UStG zu erteilen. Zum Teil wird daher in der Literatur die Auffassung vertreten, dass sich die Gewerbsmäßigkeit des Täters auf den Willen beziehen muss, sich Einnahmen durch fingierte Vorsteuern zu verschaffen, da bereits der allgemeine Sprachgebrauch einen tatsächlichen Zufluss voraussetze, der nicht in der bloßen Absicht liegen könne, Steuern zu sparen.1859 Andere vertreten eine weitergehende Auffassung und sind der Ansicht, dass es ausreichend ist, wenn sich der Täter Vermögensvorteile durch wiederholte faktische Steuerersparnis aufgrund der Nichtentrichtung der Umsatzsteuer verschaffen will.1860 Ähnlich sehen dies auch Joecks1861 und Bülte1862, die § 26c UStG auf solche Fälle beschränken wollen, in denen der Kern des Vorwurfs darin liegt, dass der Täter das Umsatzsteu1856 Vgl. BGH v. 21.05.1996 - 1 StR 125/96, NStZ 1996, 495 zu § 244 StGB; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 17. 1857 BGH v. 11.10.1994 - 1 StR 522/94, NStZ 1995, 85; v. 11.09.2003 - 4 StR 193/03, wistra 2003, 460, 461; so auch Wagner in Simon/Wagner, S. 46. 1858 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 775; so auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 31. 1859 Nöhren, S. 87; Kemper in Wannemacher, Rn. 1195; Spatscheck/Wulf, NJW 2002, 2983, 2986.  1860 Kaiser/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26c, Rn. 13; Roth in Rolletschke/ Kemper, § 26c UStG, Rn. 21. 1861 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 775. 1862 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 31.

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B.  Objektiver Tatbestand

ersystem gezielt zur Liquiditätsschöpfung ausnutzt („Wertschöpfung durch Umsatzsteuer“ als Gewerbe). Dies sei nicht bereits bei einer Verkürzung auf Zeit der Fall, sondern lediglich, wenn der Täter nie beabsichtigt hat, die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer zu zahlen. Unternehmer, die aufgrund von Zahlungsschwierigkeiten fortgesetzt die Umsatzsteuer nicht zahlen, gelangen damit auch nach dieser Ansicht nicht unverschuldet in den Anwendungsbereich von § 26c UStG, da die Gewerbsmäßigkeit nicht nur Vorsatz, sondern Absicht voraussetzt.1863

V. Zwischenergebnis zum objektiven Tatbestand Hinsichtlich der formalen Anforderungen an eine Rechnung wurde festgestellt, dass die Rechnungserfordernisse des § 14 Abs. 4 UStG nicht sämtlich vorliegen müssen. Mithin ist im Grundsatz jede Rechnung i.S.d. § 14 Abs. 1 UStG, die einen Vorsteuerabzug möglich erscheinen lässt, für die Anwendung von § 26b UStG ausreichend. Bei nach § 14 Abs. 4 UStG fehlenden Rechnungsangaben ist es unerheblich, ob es sich um einen für den Leistungsempfänger offenkundigen und überprüfbaren Fehler (wie z.B. bei einer gänzlich fehlenden Rechnungsnummer) handelt oder nicht. Eine Rechnung i.S.d. § 26b UStG liegt aber dann nicht vor, wenn die Rechnung – was die Ausnahme sein dürfte – so dilettantisch abgefasst ist (fehlender Rechnungsaussteller), dass auch für einen steuerlichen Laien auf den ersten Blick erkennbar ist, dass diese Rechnung nicht den formalen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügt und daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. § 26b UStG setzt nicht voraus, dass die in der Rechnung bezeichnete Leistung auch tatsächlich ausgeführt worden ist. Auf Scheinrechnungen bzw. Abdeckrechnungen findet § 26b UStG daher ebenfalls Anwendung. Umsatzsteuervorauszahlungen werden unabhängig vom Vorliegen einer Steueranmeldung oder einer Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörde mittels Steuerbescheid am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig. Für den Anwendungsbereich des § 26c UStG bedarf es daher keiner Steuerfestsetzung (Steueranmeldung, Steuerbescheid). Ein etwaiges Jahresabschlusssoll wird bei Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung erst einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig bzw., wenn Umsatzsteuer durch Bescheid festgesetzt wird, einen Monat nachdem der entsprechende Steuerbescheid bekanntgegeben worden ist. Für 1863 Kaiser/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26c, Rn. 10b; Bülte in Graf/Jäger/ Wittig, § 26c UStG, Rn. 31.

331

3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

ein Jahresabschlusssoll ist daher für die Anwendung von § 26c UStG eine Steuerfestsetzung (Steueranmeldung, Steuerbescheid) erforderlich. Der wohl umstrittenste Punkt bei der Anwendung von § 26c UStG ist die Frage, wie sich eine etwaige Zahlungsunfähigkeit auswirkt. Eine generelle Nichtanwendung von § 26c UStG für die Fälle der Zahlungsun­ fähigkeit ist jedoch zu weitgehend. Es wurde festgestellt, dass die Verpflichtung der anteilsmäßigen Befriedigung von Steuerschulden i.S.d. § 69 AO auf § 26c UStG (nur) Anwendung findet, sofern der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht vereinnahmt hat. Die Grundsätze der Rechtsfigur omissio libera in causa als Anknüpfungspunkt für den Vorwurf der vorsätzlichen Verursachung der Zahlungsunfähigkeit sind im Grundsatz nicht anwendbar. Anders – Anwendung von § 26b UStG – ist dies nur dann der Fall, wenn die Umsatzsteuer – gewissermaßen treuhänderisch – tatsächlich vereinnahmt wurde. Für den Fall der eingeplanten Zahlungsunfähigkeit ist es auch vor dem Hintergrund des klaren Gesetzeszwecks nicht möglich, die Pflichtwidrigkeit der Zahlungsunfähigkeit zu unterstellen, da dies der Gesetzeswortlaut nicht zulässt.

C. Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert – mangels anderweitiger Regelung – zumindest bedingten Vorsatz1864, wobei sich der Vorsatz auch auf die qualifizierenden Merkmale erstrecken muss.1865 Der Vorsatz in Bezug auf die Nichtzahlung muss nicht bereits zum Zeitpunkt der Ausstellung der Rechnung vorgelegen haben. Es genügt, dass der Täter bei Fälligkeit der Umsatzsteuer weiß, dass eine Rechnung i.S.d. § 26b UStG vorliegt.1866 Tormöhlen1867 fordert hinsichtlich der Gewerbsmäßigkeit oder der bandenmäßigen Begehung zutreffenderweise Absicht (dolus directus 1. Grades), „denn der Täter muss zielgerichtet mit Wiederholungsabsicht eine Einnahmequelle schaffen wollen bzw. in der Alternative der bandenmäßigen Begehung einer Verbindung mit Deliktsbegehungsabsicht angehören wollen“.

1864 Siehe S. 136. 1865 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 776; Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 28; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 47. 1866 Zugmaier/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26b, Rn. 43. 1867 Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 26c, Rn. 12.

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D. Selbstanzeigemöglichkeit

D. Selbstanzeigemöglichkeit Unklar und umstritten ist, ob bei Vorliegen des Straftatbestands des § 26c UStG der Steuerpflichtige wie auch bei § 370 AO eine Selbstanzeige erstatten kann.1868 Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass § 370 AO und § 26c UStG gleichzeitig Anwendung finden.1869 Anderenfalls stellt sich diese Rechtsfrage nicht. Teilweise wird in der Literatur aufgrund einer existierenden Regelungslücke die analoge Anwendung von § 371 AO bejaht.1870 Dies insbesondere, da sich aus den Gesetzesmaterialien kein eindeutiger Nichtanwendungshinweis ergebe und eine nahezu vergleichbare Interessenlage wie bei der Steuerhinterziehung nach § 370 AO gegeben sei. So sei die Strafbarkeit nach den §§ 26b, 26c UStG als „vorverlagernde Abrundung des § 370 AO“ aufzufassen, zu welchem die Selbstanzeigevorschrift einen „integralen Bestandteil“1871 darstelle. Darüber hinaus seien auch verfassungsrechtliche Aspekte für diese Handhabung anzuführen, insbesondere Wertungswidersprüche zur Erlangung der Straffreiheit nach § 370 AO, nicht aber nach § 26c UStG bei Hinterziehung der Umsatzsteuer.1872 Demgegenüber lehnen große Teile der Literatur die Möglichkeit der Selbstanzeige im Rahmen des § 26c UStG ab.1873 Hierfür spreche bereits der Gesetzeswortlaut („wird … nicht nach § 370 bestraft“).1874 § 371 AO verweise ausdrücklich auf § 370 AO und § 26c UStG stelle einen Sonderstraftatbestand dar, zu welchem kein Bezug von § 371 AO aus hergestellt werden könne.1875 Eine Analogie sei nicht zwingend erforderlich, da die §§ 379, 380 AO ebenfalls nicht die Möglichkeit der Selbstanzeige vorsehen1876 bzw. ein 1868 Klinger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 225. 1869 So im Ergebnis Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 778; siehe auch S. 383 ff.  1870 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 33; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 778; Kaiser/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26c, Rn. 47b; a.A. Kemper in Schwarz/Widmann/Radeisen, § 26c, Rn. 82 f. 1871 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 33. 1872 So im Ergebnis Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 778. 1873 Bornheim/Kröber, S. 74; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 40; Grieser, S. 183; Jäger in Klein, § 371, Rn. 26; Kemper in Wannemacher, Rn. 1205; Schüler-­ Täsch in Sölch/Ringleb, § 26c, Rn. 5; Nöhren, S. 69 ff.; Rolletschke, Rn. 449; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 70. 1874 Jäger in Klein, § 371, Rn. 26; im Ergebnis auch Kemper in Wannemacher, Rn. 1205. 1875 Heerspink, AO-StB 2002, 88, 90; so auch Bornheim/Kröber, S. 74.  1876 Rolletschke, Rn. 449; lediglich mit Verweis auf § 380 AO Bülte in Graf/Jäger/ Wittig, § 26c UStG, Rn. 40; eine Analogie ablehnend auch Jäger in Klein, § 371, Rn. 26.

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

Vergleich mit § 370 AO an der Mehrzahl1877 bzw. Andersartigkeit an ­ atbestandsvoraussetzungen bei § 26c UStG scheitere. Darüber hinaus T spreche gegen eine analoge Anwendung der Umstand, dass „bei ordnungsgemäßer Anmeldung eine Berichtigung unrichtiger oder Ergänzung unterlassener oder unvollständiger Angaben von vornherein nicht möglich“1878 sei, da in diesem Anwendungsfall des § 26c UStG eine (richtige) Anmeldung vorliege, aber lediglich nicht gezahlt wird. Daher könne auch der Zweck der Selbstanzeige – die Erschließung neuer Steuerquellen – bei der Nichtentrichtung von Steuern nach § 26c UStG nicht erreicht werden, weil diese Steueransprüche durch die (richtige) Steueranmeldung ja bekannt seien. Darüber hinaus spreche der mutmaßliche Wille des Gesetzgebers für diese Auffassung, welcher zwar in § 370a S. 2 AO a.F. nachträglich die Möglichkeit einer Selbstanzeige normierte1879, hiervon aber für die §§ 26b, 26c UStG keinen Gebrauch gemacht habe.1880 Jäger1881 verweist zutreffend auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut („wird […] nicht nach § 370 bestraft“), der dafür spricht, dass § 371 AO bei § 26c UStG keine Anwendung findet. Zutreffend ist ferner, dass gegen eine analoge Anwendung auf den ersten Blick der Zweck der Selbstanzeige zu sprechen scheint, welcher der Erschließung neuer Steuerquellen dient. Sofern also dem Verstoß gegen § 26c UStG angemeldete Steuerbeträge zugrunde liegen1882 – was nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung aber keine Tatbestandsvoraussetzung ist –, sind diese Steueransprüche durch die (richtige) Steueranmeldung dem Fiskus bekannt. Es besteht daher kein Grund, diese in den Anwendungsbereich des § 371 AO einzubeziehen. Lediglich wenn dem Verstoß gegen § 26c UStG nicht angemeldete Steuerbeträge zugrunde liegen, sind dem Fiskus die Steuerbeträge nicht bekannt und die Vorschriften des § 370 AO und § 26c UStG sind – nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung – beide erfüllt, wobei dann § 26c UStG subsidiär ist.1883 In diesem Fall werden dann im Wege der Selbstanzeige neue Steuerquellen erschlossen, die der Steuerhinterzieher ohne 1877 Grieser, S. 183. 1878 Jäger in Klein, § 371, Rn. 26. 1879 Fünftes Gesetz zur Änderung des Steuerbeamten-Ausbildungsgesetzes und zur Änderung von Steuergesetzen v. 26.07.2002, BGBl. I 2002, 2715, 2722.  1880 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 40; Nöhren, S. 70. 1881 Jäger in Klein, § 371, Rn. 26; im Ergebnis auch Kemper in Wannemacher, Rn. 1205. 1882 Siehe S. 315 f. 1883 Siehe S. 387 f.

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E.  Ergebnis 3. Teil

Einbeziehung des § 26c UStG in die Möglichkeit einer Selbstanzeige nicht straffrei offenbaren könnte. Inzwischen sieht der BGH1884 aber in der Rückkehr in die Steuerehrlichkeit einen wesentlichen Berechtigungsgrund für § 371 AO. Insgesamt ist es m.E. daher trotz des klaren Wortlauts gerechtfertigt, die Möglichkeit einer Selbstanzeige nach § 371 AO auf die Fälle des § 26c UStG auszudehnen. Da dies begünstigend wirkt, steht dem nicht das Bestimmtheitsgebot entgegen. Zwar könnte man mit einem Beweisverwertungsverbot vor dem Hintergrund des sog. Nemo-tenetur-Grundsatzes zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen. Allerdings müsste sich der Betroffene dann darauf verlassen, dass er mit dem Beweisverwertungsverbot durchdringt, was ihm nicht zuzumuten ist.

E. Ergebnis 3. Teil Nach § 26c UStG wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer in den Fällen des § 26b UStG gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Handlungen verbunden hat, handelt. Nach § 26b UStG handelt ordnungswidrig, wer die in einer Rechnung i.S.v. § 14 UStG ausgewiesene Umsatzsteuer zu einem in § 18 Abs. 1 S. 4 oder Abs. 4 S. 1 oder 2 genannten Fälligkeitszeitpunkt nicht oder nicht vollständig entrichtet. Umsatzsteuervorauszahlungen werden, ohne dass es einer Steuerfestsetzung (Steueranmeldung, Steuerbescheid) bedarf, am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums fällig. Hinsichtlich eines Jahresabschlusssolls ist hingegen für die Anwendung von § 26c UStG eine Steuerfestsetzung (Steueranmeldung, Steuerbescheid) erforderlich. Hinsichtlich der Frage, auf welche Gefährdungslage § 26c UStG abstellt, wurde konstatiert, dass der Zweck von § 26c UStG die Verhinderung einer straflosen Liquiditätsschöpfung dergestalt ist, dass Vorsteuern ­ geltend gemacht werden, ohne dass die entsprechende Umsatzsteuer ­ (schuldhaft) entrichtet wird. Jede Rechnung i.S.d. § 14 Abs. 1 UStG, die einen Vorsteuerabzug möglich erscheinen lässt, ist für die Anwendung von § 26b UStG ausreichend. Es müssen nicht sämtliche Rechnungserfordernisse des § 14 Abs. 4 UStG vorliegen. Eine Rechnung i.S.d. § 26b UStG liegt aber dann nicht vor, wenn die Rechnung so dilettantisch abgefasst ist (fehlender Rechnungs1884 BGH v. 20.5.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180. 

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3. Teil:  Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG

aussteller), dass auch für einen steuerlichen Laien auf den ersten Blick erkennbar ist, dass diese Rechnung nicht den formalen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügt und daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. § 26b UStG setzt nicht voraus, dass die in der Rechnung bezeichnete Leistung auch tatsächlich ausgeführt worden ist. Bei § 26c UStG handelt es sich um einen Unterlassungstatbestand, welchen grds. nur derjenige verwirklichen kann, der auch die tatsächliche Möglichkeit zur Erfolgsabwendung hat, der also bei Fälligkeit zahlungsfähig ist. Sofern der Unternehmer bei Fälligkeit nicht in vollem Umfang zahlungsfähig ist, findet der Grundsatz der anteiligen Tilgung Anwendung, soweit der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht vereinnahmt hat. Soweit der Unternehmer die Umsatzsteuer aber nicht nur in Rechnung gestellt, sondern auch vereinnahmt hat, genießt die – gewissermaßen treuhänderisch – vereinnahmte Umsatzsteuer absolute Priorität gegenüber anderen Verbindlichkeiten. Die anderweitigen Verpflichtungen können jedenfalls dann keine Einschränkung des Tatbestands oder einen Rechtfertigungsgrund darstellen. Die Rechtsfigur der omissio libera in causa (schuldhafte Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit) ist im Grundsatz nicht anwendbar. Hierfür spricht insbesondere der o.g. Wortlautvergleich zwischen § 25d und § 26b UStG. Die Möglichkeit einer Selbstanzeige nach § 371 AO ist auch auf die Fälle des § 26c UStG auszudehnen.

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4. Teil: Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Hinsichtlich der Verjährung ist zwischen der Verjährung der Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO und der Verjährung der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG zu unterscheiden. Der Umfang dieser Verjährungen soll nachstehend untersucht werden.

A. Steuerhinterziehung nach § 370 AO Die Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 AO unterliegt – wie jeder Straftatbestand mit der Ausnahme von Mord – der Verjährung, welche ein Verfahrenshindernis darstellt1885. Die Verjährung schließt nach § 78 Abs. 1 StGB die Ahndung einer Tat und die Anordnung von Maßnahmen i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB aus. Hinsichtlich der Verjährung einer Steuerhinterziehung ist zwischen der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung nach §§ 78 ff. StGB, § 376 AO und der steuerrechtlichen Festsetzungsverjährung nach §§ 169 ff. AO zu unterscheiden. Letztere ist nicht Gegenstand dieser Arbeit. Die Verjährung ist u.a. auch im Hinblick auf die in § 371 AO geregelte Selbstanzeige1886 von Bedeutung, da nach § 371 Abs. 1 AO u.a. alle nicht (strafrechtlich) verjährten Steuern der jeweiligen Steuerart nacherklärt werden müssen.

I. Dauer Das Gesetz sieht in § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB und § 376 Abs. 1 AO strafrechtliche Verjährungsfristen von fünf bzw. zehn Jahren vor. Bei der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO beläuft sich die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB auf fünf Jahre. Die schwere Steuerhinterziehung1887 nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–6 AO verjährt nach § 376 Abs. 1 AO nach zehn Jahren. Eingefügt wurde diese

1885 Vgl. Jäger in Klein, § 376, Rn. 5; Rolletschke, Rn. 450. 1886 Siehe S. 407 ff. 1887 Siehe S. 169 ff.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Vorschrift zum 01.01.2009 durch das JStG 20091888 und ist anwendbar auf Fälle schwerer Steuerhinterziehungen, bei welchen bei Inkrafttreten zum 25.12.2008 die fünfjährige Verfolgungsverjährung nach § 78 StGB noch nicht eingetreten war.1889 Nachstehend soll insbesondere der zeitliche und sachliche Anwendungsbereich von § 376 Abs. 1 AO untersucht werden. Der Wortlaut von § 376 Abs. 1 AO benennt als sachlichen Anwendungsbereich die Fälle des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–6 AO. Es ist jedoch zu beachten, dass es sich hierbei lediglich um Regelbeispiele und nicht um Tatbestandsmerkmale handelt. Dies bedeutet einerseits, dass – obwohl keines der Regelbeispiele Anwendung findet – ein sog. unbenannter besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung vorliegen kann. Andererseits, dass trotz der Verwirklichung eines Regelbeispiels dennoch kein besonders schwerer Fall gegeben sein kann.1890 Unstreitig ist in diesem Zusammenhang, dass § 376 Abs. 1 AO lediglich die in § 370 Abs. 3 S. 2 AO benannten Regelbeispiele umfasst, nicht jedoch die unbenannten schweren Fälle.1891 1. Verlängerte Frist: Art des Vorliegens des Regelbeispiels Es ist zu untersuchen, ob das Regelbeispiel nur (abstrakt) vorliegen muss oder sich die Tat nach Gesamtwürdigung aller Umstände im konkreten Einzelfall als besonders schwer darstellen muss. So stellt z.B. das Überschreiten der Grenze zum „großen Ausmaß“ nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO nur ein Indiz für die Verwirklichung des Regelbeispiels dar. Dem Gericht obliegt eine Gesamtwürdigung des Falls, sodass auch bei Überschreiten dieser Grenze das Vorliegen eines besonders schweren Falls im konkreten Einzelfall abgelehnt werden kann.1892 Nach der sog. Strafzumessungs- bzw. Ahndungslösung1893 ist es erforderlich, dass tatsächlich – im konkreten Einzelfall – ein besonders schwerer Fall vorliegt. Für die

1888 JStG v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794, 2828; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 1, 16. 1889 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 17. 1890 Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 19. 1891 Jäger in Klein, § 376, Rn. 12; Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 7; Samson/ Brüning, wistra 2010, 1; Rolletschke/Jope, Stbg 2009, 213, 214 f. 1892 Jäger in Klein, § 376, Rn. 11; so auch LG München II v. 13.03.2014 - W 5 KLs 68 Js 3284/13, wistra 2015, 77.  1893 Bender, wistra 2009, 215, 218; Heuel/Beyer, AO-StB 2013, 140, 145; Pelz, NJW 2009, 470; Samson/Brüning, wistra 2010, 1, 2; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 20; Spatscheck/Albrecht, Stbg 2012, 501, 502.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Tatbestands- bzw. Begehungs(weisen)lösung1894 ist es hingegen ausreichend, dass der Täter eine Straftat nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–5 AO begeht. Die Strafzumessungs- bzw. Ahndungslösung1895 verweist im Wesentlichen auf den Wortlaut der Vorschrift, da in § 376 Abs. 1 AO von „den in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–6 genannten Fällen besonders schwerer Steuerhinterziehung“ die Rede ist1896. Darüber hinaus wird zudem die Gesetzeshistorie herangezogen.1897 So heißt es in den Gesetzesmaterialien1898 unter anderem: „In besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung kann die Tat allerdings mit Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet werden (§ 370 Abs. 3 Satz 1 AO).“ Die Verjährungsfrist für die Verfolgung der Steuerhinterziehung soll nach dem neuen § 376 Abs. 1 AO künftig zehn Jahre betragen, sofern eine der in § 370 Abs. 3 S. 2 AO namentlich aufgezählten Begehungsweisen der besonders schweren Steuerhinterziehung vorliegt. Allerdings zeigt die Verwendung der Formulierung „Begehungsweise“ in den Gesetzesmaterialien, dass die Ahndungslösung nicht zwingend ist. Auch die Tatbestands- bzw. Begehungs(weisen)lösung1899, die auch vom BGH1900 vertreten wird, führt für sich den Wortlaut ins Feld, welchem nicht zu entnehmen sei, dass § 370 Abs. 3 S. 2 AO auch wirklich angewendet sein muss. Dies habe zur Folge, dass § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–5 AO im Rahmen des § 376 AO seine Eigenschaft als Regelbeispiel verliert, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift zu Tatbestandsvoraussetzungen umfunktioniert werden.1901 Zugunsten der Ansicht wird darüber hinaus

1894 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 41 f.; Jäger in Klein, § 376, Rn. 11; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 24; Rolletschke in Graf/Jäger/ Wittig, § 376 AO, Rn. 8; ders. in Rolletschke/Kemper, § 376 AO, Rn. 12; Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 6; Wenzler in Flore/Tsambikakis, § 376 AO, Rn. 10 f. 1895 Bender, wistra 2009, 215, 218; Heuel/Beyer, AO-StB 2013, 140, 145; Pelz, NJW 2009, 470, 471; Samson/Brüning, wistra 2010, 1, 2; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 20; Spatscheck/Albrecht, Stbg 2012, 501, 502. 1896 Bender, wistra 2009, 215, 218. 1897 Pelz, NJW 2009, 470; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 21; kritisch allerdings Samson/Brüning, wistra 2010, 1, 2. 1898 JStG v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794, 2828; BT-Drs. 16/10189 v. 02.09.2008, S. 7; siehe auch Rolletschke/Jope, Stbg 2009, 213. 1899 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 41 f.; Jäger in Klein, § 376, Rn. 11; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 24; Rolletschke in Graf/Jäger/ Wittig, § 376 AO, Rn. 8; ders. in Rolletschke/Kemper, § 376 AO, Rn. 12; Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 6; Wenzler in Flore/Tsambikakis, § 376 AO, Rn. 10 f. 1900 BGH v. 05.03.2013 - 1 StR 73/13, wistra 2013, 280 f. 1901 Wulf, DStR 2009, 459, 459 f.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

der Bericht des Finanzausschusses vom 27.11.20081902 angeführt, welcher im Rahmen der Gesetzesbegründung die „in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 5 AO namentlich aufgeführten Begehungsweisen“ erwähnt.1903 Die Konsequenz dieser Ansicht ist, dass die zehnjährige Verjährungsfrist auch in den Fällen Anwendung finden würde, in denen im Einzelfall einmal kein Regelbeispiel, sondern lediglich eine einfache Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO angenommen werde.1904 Innerhalb der Tatbestands- oder Begehungs(weisen)lösung fordern einige Vertreter im Schrifttum1905, solche Fälle aus dem Anwendungsbereich herauszunehmen, bei denen nur ein geringfügiger Schaden entstanden ist, wie der Verspätungsschaden bei der Hinterziehung auf Zeit. Ebenso für die Fälle, bei denen zwar der Steuerschaden kein großes Ausmaß erreicht, jedoch auf Tatbestandsebene ein großes Ausmaß verwirklicht ist, wie z.B. bei Fällen des Kompensationsverbots1906. Jäger1907 spricht sich gegen solche Einschränkungen aus, da sie im Gesetz keinen Anknüpfungspunkt fänden. Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung1908, dass es sich bei den Regelbeispielen im Ergebnis um Strafzumessungskriterien handelt, ist bei der Berechnung der 50.000-€-Grenze der Steuerverkürzung in großem Ausmaß bei einer Hinterziehung auf Zeit lediglich auf den Zinsschaden abzustellen und auch das Kompensationsverbot findet keine Anwendung. Die genannten Fälle fallen daher bereits aus diesem Grund aus dem Anwendungsbereich der zehnjährigen Strafverfolgungsverjährung nach § 376 Abs. 1 AO heraus. Die Vertreter der Tatbestands- bzw. Begehungs(weisen)lösung betonen zu Recht, dass die Strafzumessungs- bzw. Ahndungslösung zu erheblichen weiteren Problemen führt.1909 So könne der Täter u.U. durch sein Nachtatverhalten die Verjährungsfrist beeinflussen und es stehe mitunter erst am Ende der Beweisaufnahme/Hauptverhandlung fest, welche

1902 BT-Drs. 16/11108 v. 27.11.2008, S. 47. 1903 Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 8; a.A. Samson/Brüning, wistra 2010, 1, 2. 1904 Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 21. 1905 Spatscheck/Albrecht, Stbg 2012, 501, 502; vgl. Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 11; Rolletschke/Jope, Stbg 2009, 213, 214. 1906 Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 11; anders wohl BGH v. 27.10.2015 - 1 StR 373/15, NJW 2016, 965; siehe S. 173 f. 1907 Jäger in Klein, § 376, Rn. 16. 1908 Siehe S. 174 f. 1909 Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 6; Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 42.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Verjährungsfrist zu beachten sei.1910 Ebenso sei unklar, wie ein Richter in einem frühen Verfahrensstadium etwa hinsichtlich eines Beschlusses über die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen zu entscheiden hat, da erst am Ende des Verfahrens feststehe, welche Verjährungsfrist maßgebend ist.1911 Die Tatbestands- bzw. Begehungs(weisen)lösung ist m.E. daher vorzugswürdig. 2. Zeitlicher Anwendungsbereich Neben diesen Unklarheiten über den sachlichen Anwendungsbereich von § 376 Abs. 1 AO bestehen auch Auslegungsschwierigkeiten in zeitlicher Hinsicht. So sieht Art. 97 § 23 EGAO vor, dass § 376 AO „für alle bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen“ gilt. Unstreitig ist, dass Steuerhinterziehungen, welche bis zum 25.12.2003 beendet wurden, also nach fünf Jahren, somit am 25.12.2008 verjährt waren, nicht von der Neuregelung betroffen sind. Weiterhin unstreitig ist, dass von der Verjährungsverlängerung am 25.12.2008 noch nicht verjährte Taten erfasst werden, die sowohl nach altem (bis zum 31.12.2007 geltenden) als auch nach neuem (ab dem 01.01.2008 geltenden) Recht als „besonders schwer“ einzuordnen sind. Es ist zu untersuchen, welche Verjährungsfrist für Taten gilt, die zum Tatzeitpunkt noch kein Regelbeispiel erfüllten, aber – wie durch die Änderung von § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO mit Wirkung zum 01.01.2008 – durch Wegfall des Merkmals „grober Eigennutz“1912 das Regelbeispiel erfüllen. In der Fassung vom 01.10.2002 bis 31.12.2007 war für die Verwirklichung des Tatbestands von § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO neben dem „großen Ausmaß“ auch das „Handeln aus grobem Eigennutz“ notwendig. Mit anderen Worten: Sofern es sich um einen Altfall des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO von vor dem 01.01.2008 handelt, ist umstritten, ob zusätzlich das Tatbestandsmerkmal „grober Eigennutz“ vorliegen muss. Gleiches gilt für das Regelbeispiel von § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO (Handeln als Mitglied einer Bande), welches mit Wirkung zum 01.01.2008 neu geschaffen wurde.

1910 So im Ergebnis Jäger in Klein, § 376, Rn. 11; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 22, Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 8; ders. in Rolletschke/ Kemper, § 376 AO, Rn. 12; Samson/Brüning, wistra 2010, 1, 3 f.; Rolletschke/ Jope, Stbg 2009, 213, 214. 1911 Wegner, PStR 2009, 33, 34. 1912 Siehe S. 175 f. 

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Nach Ansicht des BGH1913 und Stimmen in der Literatur1914 ist nicht maßgeblich, ob bei Tatbegehung ein Regelbeispiel verwirklicht wurde, sondern dass noch keine Verjährung der Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des geänderten § 376 AO eingetreten ist. Begründet wird dies mit dem Umstand, dass § 376 AO auf § 370 Abs. 3 AO in der derzeit geltenden Fassung verweist. Für die Frage der Verjährung einer beim Inkrafttreten von § 376 Abs. 1 AO noch nicht verjährten Tat sei daher allein von Bedeutung, ob sie nach geltendem Recht ein Regelbeispiel erfüllt. Einer anderen Ansicht1915 zufolge ist hingegen erforderlich, dass für die Anwendung der verlängerten Verjährungsfrist das Tatbestandsmerkmal „grober Eigennutz“ zusätzlich verwirklicht worden ist. Diesbezüglich wird angeführt, dass Art. 97 § 23 EGAO festlegt, in welchen Konstellationen § 376 Abs. 1 AO Anwendung findet, welcher wiederum die Fälle der verlängerten Festsetzungsverjährung festlegt. Bei diesem Verweis auf § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–5 AO sei jedoch zu unterscheiden: Der Verweis des § 376 Abs. 1 AO beziehe sich nur auf ab dem 01.01.2008 begangene Fälle des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO; auf Fälle, welche vor dem 01.01.2008 begangen worden sind, verweise § 376 Abs. 1 AO gerade nicht. Die Fälle des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2–4 AO sind von dieser Problematik nicht betroffen, da diese zwischenzeitlich nicht geändert wurden. In diesen Fällen ist § 376 Abs. 1 AO auf alle Fälle anwendbar, welche zum 25.12.2008 noch nicht verjährt waren. Wenn man § 376 Abs. 1 AO als eigenständige Verjährungsregelung auffasst, welche die zuvor neu gefassten Merkmale von § 370 Abs. 3 AO in sich aufnimmt,1916 dann erscheint die erste Auffassung vorzugswürdig zu sein. Dies insbesondere, da auch aus den Gesetzesmaterialien ersichtlich ist, dass ein gespaltener Verjährungslauf in Bezug auf § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 5 AO einerseits und § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2–4 AO andererseits beabsichtigt war. 3. Absolute Verjährung: § 78c Abs. 3 S. 2 StGB Unabhängig von den o.g. Fristen, welche bei jeder Verjährungsunterbrechung von neuem zu laufen beginnen, setzt § 78c Abs. 3 S. 2 StGB eine 1913 BGH v. 05.03.2013 - 1 StR 73/13, wistra 2013, 280 f.; v. 13.06.2013 - 1 StR 226/13, wistra 2013, 471. 1914 Jäger in Klein, § 376, Rn. 14b; so auch Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 10; wohl auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 22. 1915 So im Ergebnis Spatscheck/Albrecht, Stbg 2012, 501, 506. 1916 Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 14.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Höchstgrenze in Form einer absoluten Verjährungsfrist. Danach ist die Tat spätestens verjährt, wenn seit dem Verjährungsbeginn nach § 78a StGB das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist. Für die Verjährung der Steuerhinterziehung bedeutet dies, dass die schwere Steuerhinterziehung nach zwanzig Jahren endgültig verjährt und die sog. einfache Steuerhinterziehung nach § 78c Abs. 3 S. 2 StGB nach zehn Jahren. Eine zwanzigjährige Verjährungsfrist liegt in den Fällen vor, in denen eine Begehungsweise i.S.d. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–6 AO gegeben ist.

II. Beginn Maßgeblich für den Beginn der Verjährung ist nach § 78a StGB die Beendigung der Tat. Hiervon zu unterscheiden ist die Tatvollendung, somit der Zeitpunkt, an dem die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung verwirklicht sind.1917 Beendet ist die Tat, „wenn der Taterfolg eingetreten ist und das Tatunrecht seinen tatsächlichen Abschluss erreicht hat“.1918 Bei der Umsatzsteuer muss zum einen unterschieden werden, ob es sich um die Verjährung von Steuerhinterziehungen mittels Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. Umsatzsteuerjahreserklärung handelt. Ferner ist danach zu differenzieren, auf welche Weise die Hinterziehung (aktives Tun bzw. pflichtwidriges Unterlassen) begangen wird. Nachstehend wird untersucht, wann die Verjährungsfrist bei Umsatzsteuerhinterziehungen zu laufen beginnt. Bei der Verjährung der Hinterziehungen mittels Umsatzsteuervoranmeldungen und/oder Umsatzsteuerjahreserklärung sind verschiedene Fallkonstellationen zu betrachten, insbesondere, ob die Hinterziehung durch Tun oder Unterlassen erfolgt und ob eine Zahllast oder ein Erstattungsbetrag vorliegt. 1. Abgabefall Sofern eine unrichtige Umsatzsteuererklärung abgegeben wird, ist zunächst zu differenzieren, ob es sich um eine Umsatzsteuervoranmeldung oder eine Umsatzsteuerjahreserklärung handelt. Es ist – je nach Rechtsauffassung – darüber hinaus zu unterscheiden, ob sich eine Zahllast ergibt oder ob eine Steuervergütung bzw. ein Erstattungsbetrag vorliegt. Hinsichtlich der Frage der Berechnung, die sich naturgemäß nur im Ab-

1917 Siehe S. 38 ff. 1918 Jäger in Klein, § 376, Rn. 20.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

gabefall stellt, sind nicht die tatsächlichen Verhältnisse, sondern die Berechnung des Steuerpflichtigen maßgebend.1919 a) Umsatzsteuervoranmeldung Der Beginn des Laufs der Verjährungsfrist hinsichtlich der Steuerhinterziehung durch Einreichung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen ist umstritten. Der BGH1920 und größere Teile der Literatur1921 vertreten die Auffassung, dass bei einer Umsatzsteuerhinterziehung das Geschehen erst dann abgeschlossen ist, wenn sich die Hinterziehungen der Voranmeldungen in der Jahreserklärung manifestiert haben. Die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung führe somit noch nicht zur Tatbeendigung, da es noch an einer dauerhaften Sicherung der Vorteile aus der Tat in Form der jährlichen Festsetzung fehlt.1922 Aufgrund der engen Verbindung von Voranmeldung und Jahreserklärung trete die Beendigung der Tat und damit der Verjährungsbeginn erst mit der Abgabe der Jahreserklärung (wenn die falschen Angaben aus den Voranmeldungen lediglich wiederholt werden) oder dem pflichtwidrigen Unterlassen der Abgabe der Jahreserklärung ein.1923 Sofern die Umsatzsteuerjahreserklärung einen Rotbetrag ausweist (Fall des § 168 Abs. 2 AO), trete die Tatvollendung und -beendigung in Bezug auf die Jahreserklärung und damit die Tatbeendigung in Bezug auf die inhaltsgleich falschen Voranmeldungen ein, sobald die Zustimmung des Finanzamts erteilt worden ist.1924 Insgesamt kann festgehalten werden, dass diese Ansicht für die Tatbeendigung der Voranmeldungen auf die Tatbeendigung durch die Jahreserklärung abstellt. 1919 Siehe S. 38 ff.; dies zeigt sich z.B. auch darin, dass es für den Tatentschluss eines Versuchs der Hinterziehung auf die subjektive Vorstellung ankommt. 1920 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979; v. 26.10.2017 - 1 StR 279/17, AO-StB 2018, 43. 1921 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 112; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 376 AO, Rn. 53; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 84, 99; im Ergebnis auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 38; Grötsch in Wannemacher, Rn. 757. 1922 BGH v. 15.12.1982 - 3 StR 421/82, wistra 1983, 70; Jäger in Klein, § 376, Rn. 39. 1923 BGH v. 15.12.1982 - 3 StR 421/82, wistra 1983, 70; v. 03.03.1989 - 3 StR 552/88, NJW 1989, 2140, 2141; v. 05.04.2000 - 5 StR 226/99, wistra 2000, 219, 222; v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982; Bülte in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 376 AO, Rn. 112. Jäger in Klein, § 376, Rn. 39; Müller, AO-StB 2008, 80, 84; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 84. 1924 BGH v. 03.03.1989 - 3 StR 552/88, NJW 1989, 2140; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 84, 86; Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 117.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Nach der Gegenansicht1925 existieren bei Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung verschiedene Beendigungszeitpunkte. Als Begründung diesbezüglich wird von Nöhren1926 der Umstand an­ geführt, dass es sich bei der Abgabe bzw. Nichtabgabe der Voranmeldungen und der Jahreserklärung um jeweils selbstständige Taten handelt, sodass eine eigenständige Ermittlung des jeweiligen Verjährungsbeginns erforderlich sei. Die Gegenauffassung beruhe offenkundig auf dem vom BGH1927 1994 aufgegebenen Rechtsinstitut des Fortsetzungszusammenhangs, nach welchem die Umsatzsteuerhinterziehung über mehrere Besteuerungszeiträume als eine fortgesetzte einzelne Handlung eingestuft wurde. Darüber hinaus verweist Grommes1928 auf den Umstand, dass Umsatzsteuervoranmeldungen nach § 168 S. 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichstehen und mithin die Tat sonst auch mit der Erstattung bzw. Steuerfestsetzung als beendet gelte. Zudem sei die bisherige Rechtsprechung nicht mit § 78a StGB in Einklang zu bringen, nach welchem Verjährungsbeginn der Zeitpunkt der Beendigung der Tat ist bzw. bei späterem Eintritt des Erfolgs nach § 78a S. 2 StGB dieser Zeitpunkt. Sofern man jedoch der Umsatzsteuervoranmeldung einen eigenen Taterfolg zuordne, wäre § 78a S. 2 StGB gerade nicht erfüllt. Im Fall der Beabsichtigung einer Steuerverkürzung auf Zeit zur Schaffung eines vorübergehenden Liquiditätsvorteils komme es bei Abgabe einer richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung gerade nicht zur Verwirklichung des § 78a S. 2 StGB. Sofern jedoch eine Steuerhinterziehung auf Dauer geplant ist, trete der (volle tatbestandsmäßige) Erfolg in Höhe des Nominalbetrags nach § 78a S. 2 StGB schon mit der Abgabe der falschen Voranmeldungen ein und nicht erst mit der entsprechenden Umsatzsteuerjahreserklärung. Nach Rolletschke1929 ist wie folgt zu differenzieren: Wenn eine im Zusammenhang mit einer Umsatzsteuervoranmeldung begangene Steuerhinterziehung als oder wie eine Steuerverkürzung auf Dauer behandelt 1925 OLG Frankfurt v. 11.07.2005 - 1 Ws 11/04, wistra 2006, 198, 199; Gribbohm/ Utech, NStZ 1990, 209, 213; Grommes, NZWiSt 2017, 201, 204; Nöhren, S. 112; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 376 AO, Rn. 45; ähnlich auch Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 26. 1926 Nöhren, S. 111 f. 1927 BGH v. 10.12.1991 - 5 StR 536/91, wistra 1992, 93 f. 1928 Grommes, NZWiSt 2017, 201, 204. 1929 Rolletschke, Rn. 488; ders. in Rolletschke/Kemper, § 376 AO, Rn. 45.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

wird, sei der volle tatbestandliche Erfolg bereits verwirklicht. Sofern der Täter also mit der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen eine Steuerverkürzung auf Dauer beabsichtigt, trete schon mit der Abgabe dieser Voranmeldung die Beendigung ein. Als Beispiel hierzu führt Rolletschke einen Missing Trader an, der nicht daran denkt, mit der Jahreserklärung eine Korrektur vorzunehmen. In diesem Fall sei die Tat bereits „zur Ruhe“ und zu einem endgültigen Abschluss gekommen, sodass keine Veranlassung für eine Trennung von Beendigungs- und Vollendungszeitpunkt bestehe.1930 Auch für den Fall, dass es sich nur um eine Steuerhinterziehung auf Zeit handelt, bei der der Steuerpflichtige lediglich einen vorübergehenden Liquiditätsvorteil erlangen wollte, gelte nichts anderes. Der Täter habe bereits durch die Tat in Bezug auf die Voranmeldung sein angestrebtes Ziel erreicht, sodass auch hier das Geschehen „zur Ruhe gekommen“ sei. Rolletschke weist ferner darauf hin, dass die h.M. zu Widersprüchlichkeiten führt: Sofern man mit der Rechtsprechung des BGH1931 in Zusammenhang mit einer falschen Voranmeldung (Hinterziehung auf Zeit) auf der Strafzumessungsebene zu Lasten des Täters von einer Verkürzung in Höhe des Nominalbetrags ausgehe (was im Ergebnis einer dauerhaften Verkürzung entspricht), sei der Rechtsgutangriff vollständig abgeschlossen. Dann aber könne man auf der Ebene des Verjährungsbeginns nicht so tun, als sei das Geschehen noch nicht zum Abschluss gekommen. Das OLG Frankfurt1932 führt in diesem Zusammenhang an, dass einer Umsatzsteuerjahreserklärung keine weitere Bedeutung für das Zusammenfallen von Vollendung und Beendigung zukommt, da die diesbezügliche Hinterziehung durch die Voranmeldung in Tatmehrheit zur Hinterziehung durch die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung stehe. Auch Wulf1933 neigt zu dieser Ansicht mit dem Verweis auf die Tatmehrheit zwischen diesen beiden Steuerhinterziehungen durch die Voranmeldungen und die Jahreserklärung. Wulf zufolge ist in Fällen, in denen eine Zahllast gegeben ist, der Eingang der Steueranmeldung beim Finanzamt maßgeblich für den Verjährungsbeginn. Er weist zutreffend darauf hin, dass eine Teilverjährung von Umsatzsteuervoranmeldungen in der Praxis ohnehin kaum eine Bedeutung hat, da in der Regel noch wegen der durch die Abgabe der Jahreserklärung begangenen Tat bestraft werden könne. 1930 So auch OLG Frankfurt v. 11.07.2005 - 1 Ws 11/04, wistra 2006, 198, 199; Nöhren, S. 112. 1931 Siehe S. 85 ff. 1932 OLG Frankfurt v. 11.07.2005 - 1 Ws 11/04, wistra 2006, 198, 199; befürwortend Grommes, NZWiSt 2017, 201, 204. 1933 Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 26.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Gegen die Ansicht der eigenständigen Beendigung der Voranmeldungen wendet Bülte1934 zu Recht ein, dass auch im Fall einer auf Dauer angelegten Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Abgabe von falschen oder Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen lediglich eine Gefährdung des Steueranspruchs vorliegt. Endgültig werde dieser Steuerschaden erst bei Nichtkorrektur in der Jahreserklärung bzw. wenn die Frist zur Abgabe der Jahreserklärung abgelaufen ist. Dies ist m.E. zutreffend; denn erst dann haben die Hinterziehungen durch die Voranmeldungen ihren endgültigen Abschluss gefunden, mit der Folge, dass die Beendigung der Taten aus den Voranmeldungen eintritt und der Lauf der Verjährungsfrist beginnt. Abzustellen ist hierbei auf den tatsächlichen Abschluss des Geschehens, und dieser liegt jedenfalls so lange nicht vor, wie der Steuerpflichtige die richtigen Angaben in der Jahreserklärung vornehmen kann. Rechtliche Überlegungen – wie etwaige Konkurrenzverhältnisse zwischen den Voranmeldungen und der Jahreserklärung – spielen hierbei keine Rolle. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn bereits ein Strafverfahren in Bezug auf die Voranmeldungen eingeleitet worden ist und infolgedessen keine strafbewehrte Pflicht (steuerlich besteht die Pflicht fort1935) mehr zur Abgabe einer Jahreserklärung besteht.1936 Nach mehreren Literaturstimmen1937 beginnt in diesen Fällen die Verjährung mit dem Wegfall der strafbewehrten Verpflichtung zur Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärung. b) Umsatzsteuerjahreserklärung Für den Beginn der Verjährungsfrist einer fristgemäß abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung ist zu differenzieren1938, ob die Jahreserklärung selbst – also nach Abzug der jeweiligen Beträge (Zahllasten oder Erstattungsbeträge) aus etwaigen Voranmeldungen – eine Zahllast oder einen Erstattungsbetrag ausweist.

1934 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 115. 1935 Vgl. OLG Frankfurt v. 11.07.2005 - 1 Ws 11/04, wistra 2006, 198, 199; Wulf, S. 76 ff. 1936 BGH v. 26.04.2001 - 5 StR 587/00, wistra 2001, 341, 344; v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66; Grötsch in Wannemacher, Rn. 757; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 99; Wagner in Simon/Wagner, S. 101; Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 93. 1937 Grötsch in Wannemacher, Rn. 757; Wagner in Simon/Wagner, S. 101; wohl auch Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 376 AO, Rn. 46. 1938 Vgl. Heersprink in Kohlmann, § 376, Rn. 84.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Sofern der Steuerpflichtige eine unrichtige Umsatzsteuerjahreserklärung abgibt, welche eine Zahllast ausweist, tritt die Beendigung bei Abgabe vor dem Fälligkeitstag (sonst Nichtabgabefall, siehe unten) nach § 168 S. 1 AO mit dem Eingang der Anmeldung ein.1939 Dieser Zeitpunkt ist bei elektronischer Übermittlung nahezu deckungsgleich mit demjenigen der Versendung der Erklärung.1940 In diesem Fall ist der Zeitpunkt der Beendigung identisch mit dem Zeitpunkt der Vollendung.1941 Sollte die Jahreserklärung gegenüber den Voranmeldungen allerdings keine weiteren unrichtigen Angaben enthalten, so stellt sich die vorgelagerte Frage, ob in Bezug auf die Jahreserklärung überhaupt eine Hinterziehung als Taterfolg vorliegt.1942 Ergibt sich hingegen aus der vor dem Fälligkeitstag eingereichten1943 Jahreserklärung nach den Angaben des Steuerpflichtigen eine Erstattung, liegt nach § 168 S. 2 AO erst dann eine vollendete und gleichzeitig auch beendete Steuerhinterziehung vor, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat1944, wobei die Zustimmung an keine besondere Form gebunden ist (§ 168 S. 3 AO). Auch in diesem Fall ist der Zeitpunkt der Beendigung deckungsgleich mit dem Zeitpunkt der Vollendung.1945 Ein – eher seltener – Sonderfall ergibt sich in Bezug auf die Jahreserklärung, wenn diese einen Rotbetrag ausweist und die Zustimmung hierzu vom Finanzamt noch nicht erteilt wurde. Vor Erteilung der Zustimmung1946 bzw. bei fehlender bekanntgegebener Zustimmung1947 befindet sich die Tat erst im Versuchsstadium. Dies ist einer der seltenen Fälle der möglichen Versuchsstrafbarkeit bei Fälligkeitssteuern wie der Umsatzsteuer. Ein solcher liegt vor, wenn die Umsatzsteuerjahreserklärung weitere – über etwaig falsche Angaben in den Voranmeldungen hinausgehende – falsche Angaben enthält.1948 Beispiel: Der Unternehmer macht in der 1939 Jäger in Klein, § 376, Rn. 37; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 84; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 38. 1940 Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 94. 1941 Siehe S. 39 f. 1942 Siehe S. 96 f.  1943 Andernfalls handelt es sich um einen Nichtabgabefall. 1944 BGH v. 10.08.1988 - 3 StR 246/88, wistra 1988, 355; v. 05.02.2014 - 1 StR 422/13, NStZ 2014, 335; v. 13.10.2015 - 1 StR 354/15 sowie v. 24.11.2015 - 1 StR 366/15 beide in NZWiSt 2016, 350; Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 117; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 34; Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 23; Jäger in Klein, § 376, Rn. 36. 1945 Siehe S. 42. 1946 Wiese in Wannemacher, Rn. 511. 1947 Radermacher, StBW 2013, 458, 463. 1948 Siehe S. 97 f.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Jahreserklärung zusätzliche Vorsteuer aus Scheinrechnungen geltend, die in den Voranmeldungen noch nicht geltend gemacht wurden. Das Finanzamt erkennt diese Vorsteuern nicht an, verweigert mithin die Zustimmung nach § 168 S. 2 AO und erlässt daher einen von der Jahres­ erklärung abweichenden Steuerbescheid (§ 167 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 155 Abs. 1 S. 1 AO). Es stellt sich dann die Frage nach dem Beginn der Verjährung in diesem Fall. Nach h.M.1949 ist auf den Abschluss der Tathandlung abzustellen, mithin auf die Abgabe der fristgerechten, aber falschen Steueranmeldung, welche einen Rotbetrag ausweist. Bülte1950 will auf das Scheitern der Möglichkeit zur Tatvollendung durch den Täter abstellen. Mithin auf den Zeitpunkt, in dem es aus der Sicht des Täters nicht mehr zur Vollendung kommen kann. Ähnlich auch Wagner1951, welcher aber für diesen Fall ohne nähere Begründung auf die Bestandskraft des von der Steueranmeldung abweichenden Steuerbescheids abstellt. Meines Erachtens ist es mit Bülte sachgerecht hinsichtlich der subjektiv ausgestalteten Versuchsstrafbarkeit, auf die Sichtweise des Täters abzustellen und die Kriterien des fehlgeschlagenen Versuchs nach § 24 StGB heranzuziehen. Regelmäßig dürfte dem Täter bereits mit Bekanntgabe (und nicht erst mit Bestandskraft) des von der Steueranmeldung abweichenden Steuerbescheids klar sein, dass es nicht mehr zur Vollendung kommen kann. Es ist daher im Grundsatz auf die Bekanntgabe des abweichenden Steuerbescheids abzustellen. Sofern das Finanzamt zu einer fristgerechten Umsatzsteuervoranmeldung mit Rotbetrag die Zustimmung verweigert und einen von der Voranmeldung abweichenden Steuerbescheid erlässt, gilt das Vorstehende m.E. entsprechend. Da das deliktische Geschehen in diesem Fall nicht erst mit der Jahreserklärung zum Abschluss kommt, sondern bereits mit der Bekanntgabe des von der Voranmeldung abweichenden Steuerbescheids, beginnt die Verjährung – unabhängig von der Jahreserklärung – zu diesem Zeitpunkt. 2. Nichtabgabefall Sofern keine Umsatzsteuererklärung abgegeben wird, ist wiederum zu differenzieren, ob es sich um eine Umsatzsteuervoranmeldung oder eine Umsatzsteuerjahreserklärung handelt.

1949 Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 49; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 54; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 103. 1950 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 67. 1951 Wagner in Simon/Wagner, S. 101.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Für die Umsatzsteuervoranmeldung führt – entsprechend der Regelung im Abgabefall – nach Auffassung einiger in der Literatur1952 und auch der hier vertretenen Auffassung1953 die fehlende Abgabe noch nicht zur Tatbeendigung, sondern erst das Verstreichenlassen der jährlichen Abgabefrist der Umsatzsteuerjahreserklärung.1954 Die Gegenansicht1955 stellt für den Beginn der Verjährung auf den Ablauf der gesetzlichen Erklärungsfrist für die jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldungen ab.1956 Sofern jedoch bereits ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, entfällt die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung, sodass die Verjährung im Zeitpunkt des Wegfalls der Verpflichtung zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung beginnt1957. Hinsichtlich der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung ist für den Beginn der Verjährung der Ablauf der gesetzlichen Erklärungspflicht für die Jahreserklärung maßgeblich.1958 Auch in diesem Fall ist der Zeitpunkt der Beendigung deckungsgleich mit dem Zeitpunkt der Vollendung.1959 3. Verjährung: Fallgruppen zum Beginn der Verjährung bei der Umsatzsteuerhinterziehung Im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung sind im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung unter anderem nachstehende typische Fallgruppen in Bezug auf den Beginn der Verjährungsfrist denkbar und nach der hier vertretenen Ansicht, die der h.M. und – soweit vorhanden – der BGH-Rechtsprechung entspricht, wie folgt zu lösen. Oben wurden die Fallgruppen bereits auf

1952 Jäger in Klein, § 376, Rn. 39; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 99.  1953 Siehe S. 347. 1954 Zur Abgabefrist der Umsatzsteuerjahreserklärung siehe S. 22 f. 1955 Grommes, NZWiSt 2017, 201, 205; Nöhren, S. 112; Rolletschke in Rolletschke/ Kemper, § 376 AO, Rn. 52; ähnlich auch Wulf in MK-StGB, § 376 AO, Rn. 32; Müller, AO-StB 2008, 80, 84; Tormöhlen, AO-StB 2011, 27, 30; Grieser, S. 90. 1956 Zur Abgabefrist der Umsatzsteuervoranmeldung siehe S. 22. 1957 Grötsch in Wannemacher, Rn. 757; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 99; Wagner in Simon/Wagner, S. 101; siehe S. 347.  1958 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 118; Grötsch in Wanne­ macher, Rn. 761; Jäger in Klein, § 376, Rn. 38; Müller, AO-StB 2008, 80, 85; ­Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 99; Tormöhlen, AO-StB 2011, 27, 30. 1959 Siehe S. 42. 

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Art und Umfang der Hinterziehung1960 untersucht und werden dies im weiteren Verlauf der Arbeit noch hinsichtlich der Konkurrenzen.1961 a) Umsatzsteuervoranmeldung falsch, Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht Fall 11962: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. Umsatzsteuervoranmeldungen: Meines Erachtens tritt auch in diesem Fall die Beendigung hinsichtlich der Umsatzsteuervo­ranmeldung mit dem Eingang der (in diesem Fall zutreffenden) Umsatzsteuerjahreserklärung ein. Mit Eingang der Jahreserklärung kommt das Geschehen zur Ruhe. Im Fall 1 tritt Beendigung mit Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung am 30.03.2018 ein. Ungeachtet dessen ist in Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1, Abs. 2a AO durch Abgabe der zutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung vorliegen.1963 Umsatzsteuerjahreserklärung: Bei der richtigen und fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung besteht selbstverständlich keine Steuerhinterziehung. b) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und falsche Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung werden in der Umsatzsteuerjahreserklärung lediglich wiederholt Fall 2a1964: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € 1960 Siehe S. 93 ff. 1961 Siehe S. 376 ff.; am Ende dieser Arbeit sind die Untersuchungsergebnisse sämtlicher Fallgruppen in einer Tabelle zusammengefasst, siehe S. 469 ff. 1962 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 94 ff. 1963 Siehe S. 422 ff. 1964 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 96 f.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

(insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab und verschweigt auch dort die schon in den Voranmeldungen verschwiegenen Umsätze. Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung: Bei Wiederholung der falschen Angaben der Umsatzsteuervoranmeldung in der Umsatzsteuerjahreserklärung tritt nach h.M.1965, die der hier vertretenen Ansicht entspricht, die Beendigung sowohl hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung als auch der Umsatzsteuerjahreserklärung erst mit dem Eingang der Umsatzsteuerjahreserklärung ein. In Fall 2a tritt die Beendigung mit Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung am 30.03.2018 ein. Sofern es jedoch nach den Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung insgesamt zu einer Steuererstattung oder -herabsetzung kommt1966, liegt der Beendigungszeitpunkt später. In diesen Fällen gilt allgemein die Zustimmung der Finanzbehörde als Beendigungszeitpunkt.1967 c) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und weitere falsche Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung, die über die falschen Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung hinausgehen Fall 2b1968: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Um­ satzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflich­ tigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab und verschweigt auch dort die schon in den Voranmeldungen verschwiegenen Umsätze. In der Jahreserklärung macht U ferner vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 50.000,00 € geltend, die in den Vor­ anmeldungen noch nicht geltend gemacht wurden. Insgesamt ergibt sich damit aus der Umsatzsteuerjahreserklärung eine Erstattung von 50.000,00  €, zu der das Finanzamt am 10.04.2018 die Zustimmung erteilt.

1965 Siehe S. 347. 1966 Z.B. aus anderen Gründen, die mit der Hinterziehung durch die Umsatzsteuervor­ anmeldungen nichts zu tun haben. 1967 Siehe S. 348. 1968 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 97 f.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung: Bei Wiederholung der falschen Angaben der Umsatzsteuervoranmeldung in der Umsatzsteuerjahreserklärung tritt nach h.M.1969, die der hier vertretenen Ansicht entspricht, die Beendigung sowohl hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen als auch der Umsatzsteuerjahreserklärung erst mit dem Eingang der Umsatzsteuerjahreserklärung ein. In diesem Fall wird es regelmäßig wie in Fall 2b – durch die zusätzlich falschen Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung – zu einer Steuererstattung oder -herabsetzung kommen. Beendet ist die Tat dann in der Regel mit der Zustimmung der Finanzbehörde.1970 In Fall 2b tritt die Beendigung erst mit Zustimmung des Finanzamts am 10.04.2018 ein. Sofern jedoch die (zusätzlich) falschen Angaben ohne Erfolg bleiben und die Tat hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung im Versuchsstadium bleibt, tritt die Beendigung und damit Verjährungsbeginn in Bezug auf die Jahreserklärung nach hier vertretener Ansicht mit Bekanntgabe des von der Jahreserklärung abweichenden Steuerbescheids ein.1971 d) Umsatzsteuervoranmeldung falsch und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Fall 31972: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U allerdings vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung: In diesem Fall tritt nach h.M.1973, die der hier vertretenen Ansicht entspricht, die Beendigung sowohl hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung als auch der Umsatzsteuerjahreserklärung mit dem Verstreichenlassen der Abgabefrist der Umsatzsteuerjahreserklärung ein.1974 Nach

1969 Siehe S. 347. 1970 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 116.  1971 Vgl. Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 67; siehe S. 348 f. 1972 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 98 ff. 1973 Siehe S. 349 f. 1974 Zur Abgabefrist der Umsatzsteuerjahreserklärung siehe S. 22 ff.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Ansicht des BGH1975 muss der 31.05. – der Tag des Fristablaufs – noch verstreichen, sodass die Tat erst am 01.06. vollendet ist. In Fall 3 tritt die Beendigung mit Ablauf der Abgabefrist des 31.05.2018 ein und die Tat ist am 01.06.2018 beendet. e) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung richtig und fristgerecht Fall 41976: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Voranmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze mit Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) nicht erklärt. Es sind für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern von 5.000,00 € (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. Meines Erachtens tritt in diesem Fall die Beendigung hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen mit dem Eingang der (in diesem Fall zutreffenden) Umsatzsteuerjahreserklärung ein. In Fall 4 tritt die Beendigung mit Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung am 30.03.2018 ein. Sofern es jedoch nach den Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung zu einer Steuererstattung oder -herabsetzung kommt, gilt die Zustimmung der Finanzbehörde als Beendigungszeitpunkt. f) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben Fall 51977: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Vor­ anmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze nicht erklärt. Dies ergibt eine nicht erklärte Umsatzsteuer von jeweils 19.000,00 € (insgesamt für 2017 also 228.000,00 €). Es sind für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern aus der Geschäftsraummiete von 5.000,00  (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. In dieser macht U vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 50.000,00 € geltend. Er erklärt mithin einen Saldo nach § 18 1975 BGH v. 31.05.2011 - 1 StR 189/11, wistra 2011, 346; so auch Nöhren, S. 110, welche vom „Ablauf des 31.05.“ spricht. 1976 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 100 f. 1977 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 101 ff.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

Abs. 4 UStG von 118.000,00 € (USt 228.00,00 € abzüglich der zutreffenden VorSt von 60.000,00 € und der VorSt aus Scheinrechnungen von 50.000,00 €). Die Beendigung sowohl hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen als auch hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung tritt mit dem Eingang der Umsatzsteuerjahreserklärung ein. In Fall 5 tritt die Beendigung mit Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung am 30.03.2018 ein. Sofern es jedoch nach den Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung zu einer Steuererstattung oder -herabsetzung kommt, gilt die Zustimmung der Finanzbehörde als Beendigungszeitpunkt. g) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Fall 61978: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Voranmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze nicht erklärt. Diese entsprechen jeweils einer Umsatzsteuer von 19.000,00  € (insgesamt also 228.000,00 €). Es sind für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern aus der Geschäftsraummiete von 5.000,00  € (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U allerdings vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Die Beendigung sowohl hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung als auch hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung tritt mit dem Verstreichenlassen der Abgabefrist der Umsatzsteuerjahreserklärung ein.1979 In Fall 6 tritt die Beendigung mit Ablauf der Abgabefrist des 31.05.2018 ein und die Tat ist am 01.06.2018 beendet. h) Umsatzsteuervoranmeldungen richtig und fristgerecht, Umsatz­ steuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben Fall 71980: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 fristgerecht zutreffende monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. In dieser macht U vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 1978 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 104 f. 1979 BGH v. 27.10.1992 - 5 StR 517/92, NJW 1993, 476, 477; v. 02.12.2008 - 1 StR 344/08, wistra 2009, 189, 190; v. 31.05.2011 - 1 StR 189/11, wistra 2011, 346; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 332. 1980 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 105.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

50.000,00  € geltend. Er erklärt mithin einen negativen Saldo nach § 18 Abs. 4 UStG von 50.000,00 € (Erstattung). Das Finanzamt erteilt am 10.04.2018 die Zustimmung nach § 168 S. 2 AO. Die Beendigung hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung tritt mit dem Eingang der Umsatzsteuerjahreserklärung ein. Sofern es jedoch nach den Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung zu einer Steuererstattung oder -herabsetzung kommt, gilt die Zustimmung der Finanzbehörde als Beendigungszeitpunkt. In Fall 7 tritt die Beendigung erst mit Zustimmung des Finanzamts am 10.04.2018 ein. i) Nachträgliche Abgabe unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärung zur (zunächst) unterlassenen Umsatzsteuerjahreserklärung Sofern zunächst keine Umsatzsteuerjahreserklärung und sodann verspätet eine unrichtige Erklärung abgegeben wird, ist hinsichtlich des Verjährungsbeginns zu differenzieren, ob die Unterlassungstat bereits verjährt ist.1981 Ist dies noch nicht der Fall, richtet sich der Verjährungsbeginn nach der Unterlassungstat, andernfalls ist die Falschabgabe hierfür maßgeblich.1982 Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass durch Letztere der Lauf einer neuen Verjährungsfrist beginnt.

III. Auswirkungen von (Rechnungs)berichtigungen Fraglich ist, ob allein die Möglichkeit der Rechnungsberichtigung nach den §§ 14c Abs. 1 S. 2, 14c Abs. 2 S. 3 UStG Veränderungen hinsichtlich des Beendigungszeitpunkts nach sich zieht. Sofern hiervon Gebrauch gemacht wird, hätte dies dann das Entfallen der Umsatzsteuerschuld nach § 14c Abs. 1 S. 1 bzw. § 14c Abs. 2 S. 1 UStG zur Folge. Die Option der Rückgängigmachung des tatbestandlichen Erfolgs könnte herangezogen werden, um im Fall einer Steuerhinterziehung durch vorsätzliche unberechtigte bzw. unrichtige Ausweisung von Umsatzsteuer mit dem Vorliegen einer nur versuchten Steuerhinterziehung zu argumentieren.1983 Das BayObLG1984 hat diesbezüglich entschieden, dass sich aus der Möglichkeit einer Rechnungskorrektur keine Änderungen des Beendigungs1981 Zu der in diesem Fall im Rahmen dieser Arbeit vertretenen sog. Konkurrenzlösung siehe S. 380 ff. 1982 Gehm, S. 318. 1983 Nöhren, S. 113.  1984 BayObLG v. 09.01.2002 - 4 St RR 132/2001, wistra 2002, 231, 232; so auch Nöhren, S. 113; Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 112; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 376 AO, Rn. 50.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

zeitpunkts ergeben. Da der Hinterziehungsschaden im Zeitpunkt der Beendigung entscheidungserheblich sei, sei es ohne Bedeutung, wenn es nach der Tatbeendigung noch zu einer Korrektur der Rechnung kommen sollte.1985 Nöhren1986 kritisiert, dass das Gericht keine Aussage zum Vollendungszeitpunkt getroffen hat, da dieser ihrer Ansicht nach von Re­ levanz für die Ermittlung des Hinterziehungsschadens ist. Sofern hingegen eine Berichtigung vor dem Zeitpunkt der Beendigung vorgenommen wird, wirkt sich dies strafrechtlich lediglich dann aus, wenn sie als Selbstanzeige nach § 371 AO oder – bei einer Berichtigung vor Vollendung – als Rücktritt vom Versuch nach § 24 StGB zu werten ist.

IV. Verjährungsunterbrechung nach § 376 Abs. 2 AO Die Vorschriften des Strafgesetzbuchs, welche sich auf die Strafverfolgungsverjährung der §§ 78–78c StGB beziehen, finden nach § 369 Abs. 2 AO auch auf Steuerstrafverfahren Anwendung. Etwas anderes gilt nur, soweit sich aus den Steuergesetzen etwas anderes ergibt. In § 78c StGB ist die Unterbrechung der Verjährung geregelt, welche nach § 78 Abs. 3 S. 1 StGB bewirkt, dass die Verjährung nach jeder Unterbrechung von neuem zu laufen beginnt. In § 78c Abs. 1 StGB findet sich ein Katalog von zwölf Unterbrechungsakten betreffend Maßnahmen des Richters, der Staatsanwaltschaft, der Finanzbehörden oder der Polizei während des Ermittlungsverfahrens oder während des Haupt- oder Strafbefehlsverfahrens sowie sonstige an keinen bestimmten Verfahrensabschnitt gebundene richterliche Handlungen.1987 Es handelt sich hierbei aber um keine steuerstrafrechtsspezifischen Tatbestände, weswegen im Rahmen dieser Arbeit nicht näher darauf eingegangen wird. Eine Sondervorschrift für die Steuerhinterziehung, die Unterbrechung der Verjährung betreffend, findet sich in § 376 Abs. 2 AO. Dort ist geregelt, dass die Verfolgungsverjährung einer Steuerstraftat auch dadurch unterbrochen wird, dass dem Beschuldigten die Einleitung eines Bußgeldverfahrens bekanntgegeben oder diese Bekanntgabe angeordnet wird. Hintergrund der Schaffung dieser Vorschrift war der Umstand, dass zu Beginn eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens oft nicht erkennbar ist, ob eine Steuerstraftat oder eine Ordnungswidrigkeit vor-

1985 BayObLG v. 09.01.2002 - 4 St RR 132/2001, wistra 2002, 231, 232. 1986 Nöhren, S. 113 f. 1987 Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 147.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

liegt. Die praktische Bedeutung der Vorschrift ist jedoch gering, da nicht selten zu Beginn des Verfahrens (bedingter) Vorsatz unterstellt wird.1988

V. Ruhen der Verjährung Wenn die Verjährung ruht, verschiebt dies den Beginn einer Frist oder hemmt den Weiterlauf einer begonnenen Frist.1989 Anders als bei der Unterbrechung verfällt der bereits abgelaufene Teil der Frist nicht. Im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerhinterziehung sind folgende Ruhens­ tatbestände von Bedeutung: Nach § 396 Abs. 1 AO kann das Strafverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt werden. In diesem Fall ruht die Verjährung während der Aussetzung nach § 396 Abs. 3 AO und auch der Ablauf der absoluten Verjährungsfrist wird gehemmt.1990 Nach § 78b Abs. 4 StGB ruht für den Fall, dass die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht erfolgt, die Verjährung für die Dauer des Verfahrens, aber höchstens für fünf Jahre. Voraussetzung ist, dass eine Straftat nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB vorliegt, also eine solche, die im Höchstmaß mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, was bei der Steuerhinterziehung der Fall ist. Zusätzlich muss für besonders schwere Fälle eine erhöhte Freiheitsstrafe von über fünf Jahren vorgesehen sein, was bei der Steuerhinterziehung wegen § 370 Abs. 3 AO der Fall ist. Hierbei ist allein auf die abstrakte Strafandrohung abzustellen und es ist unmaßgeblich, ob eine Anklage oder Verurteilung wegen eines besonders schweren Falls erfolgt oder auch nur in Betracht kommt.1991 Damit verschiebt sich die Grenze der absoluten Verjährung auf 15 Jahre und in den Fällen des § 367 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 3 AO auf 25 Jahre.1992 Allerdings ist – seit Einführung der verlängerten Verjährungsfrist durch § 376 Abs. 1 AO – das Verhältnis zwischen § 78b Abs. 4 StGB und § 376 Abs. 1 AO nicht geklärt. § 78b Abs. 4 StGB ordnet an, dass die Verjährung „in den Fällen des § 78 Abs. 3 Nr. 4“ ab Eröffnung des Hauptverfahrens ruht.

1988 Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 11. 1989 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 95. 1990 Jäger in Joecks/Jäger/Randt, § 396, Rn. 57; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 172. 1991 BGH v. 08.02.2011 - 1 StR 490/10, wistra 2010, 181; Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 174; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376, Rn. 97. 1992 Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 174.

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A.  Steuerhinterziehung nach § 370 AO

So wird vertreten, dass es sich bei den Fällen einer schweren Steuerhinterziehung gerade nicht um einen Fall des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, sondern um einen Fall des § 376 Abs. 1 AO handelt.1993 Diese Vorschrift gehe als lex specialis der Generalvorschrift des § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB vor und verdränge Letztere. § 78b Abs. 4 StGB finde daher – vor dem Hintergrund der Schaffung des § 376 Abs. 1 AO – auch bei einer sog. einfachen Steuerhinterziehung keine Anwendung mehr. Bülte1994 ist der Ansicht, dass § 78b Abs. 4 StGB und § 376 Abs. 1 AO nebeneinander anwendbar sind. § 376 Abs. 1 AO gelte nur für die Begehungsweisen des § 370 Abs. 3 AO, wohingegen § 78b Abs. 4 StGB allein daher anwendbar sei, weil ein – unabhängig von der konkreten Begehungsweise – besonders schwerer Fall überhaupt abstrakt gesetzlich geregelt sei. Baumhöfener/Madauß1995 und Mitsch1996 sind der Ansicht, dass § 78b Abs. 4 StGB lediglich noch die unbenannten Fälle1997 einer schweren Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 S. 1 AO umfasst, bei denen sich die Verfolgungsverjährung gerade nicht nach § 376 Abs. 1 AO auf zehn Jahre verlängere. In Fällen einfacher Steuerhinterziehung und beim Vorliegen eines Regelbeispiels nach § 370 Abs. 3 S. 2 AO finde § 78b Abs. 4 StGB keine Anwendung.1998 Ebner1999 ist der Ansicht, dass diese beiden Vorschriften des § 78b Abs. 4 StGB und § 376 Abs. 1 AO nicht miteinander kombinierbar sind. § 78b Abs. 4 StGB finde dann keine Anwendung, wenn § 376 Abs. 1 AO eingreift. In Fällen einfacher Steuerhinterziehung bleibe § 78b Abs. 4 StGB daher anwendbar. Der BGH hat in seinem Urteil vom 26.10.20162000 diese Frage aufgrund von Entscheidungsunerheblichkeit offengelassen. Es ist der Ansicht von Bülte2001 zu folgen. Richtigerweise sind beide Vorschriften nebeneinander anwendbar, da sie unterschiedliche Punkte regeln. Während § 78b Abs. 4 StGB das Ruhen der Verjährung betrifft, trifft 1993 Heerspink in Kohlmann, § 376, Rn. 174. 1994 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 49, 198. 1995 Baumhöfener/Madauß, NZWiSt 2017, 27. 1996 Mitsch, NZWiSt 2015, 8, 13. 1997 Siehe S. 177 f. 1998 Baumhöfener/Madauß, NZWiSt 2017, 27, 28; Mitsch, NZWiSt 2015, 8, 13. 1999 Ebner, ZWH 2017, 44, 45. 2000 BGH v. 26.10.2016 - 1 StR 172/16, wistra 2017, 196. 2001 Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 376 AO, Rn. 49, 198.

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4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

§ 376 AO eine Regelung für die Dauer der Verjährung. Es ist daher aufgrund der Gesetzessystematik kein Ausschlussverhältnis anzunehmen.

B. Gewerbsmäßige oder bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG Bei dem Tatbestand der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG2002 ist ebenfalls die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB maßgeblich.2003 Der Verjährungsbeginn ist jedoch umstritten.2004 Die Verjährung beginnt nach § 78a StGB, sobald die Tat beendet ist. Bei sog. echten Unterlassungsdelikten – zu denen auch § 26c UStG gehört2005 – ist eine Tat erst dann beendet, wenn die strafbewehrte Pflicht zum Handeln – vorliegend also die Pflicht zur Zahlung der Umsatzsteuer – nicht mehr besteht.2006 Einige Stimmen in der Literatur2007 halten auch im Rahmen des § 26c UStG an dieser Sichtweise fest, da weder die Gesetzessystematik noch kriminalpolitische Bedürfnisse Anhalts­punkte für einen früheren Verjährungsbeginn böten. Für den Verjährungsbeginn sei maßgeblich, dass die Pflicht zur Zahlung der Umsatzsteuer erloschen ist. Nach dieser Auffassung tritt die Verfolgungsverjährung – wenn kein anderer Erlöschungsgrund des Steueranspruchs vorliegt – bei § 26c UStG vor dem Hintergrund der fünfjährigen Zahlungsverjährung (§ 228 S. 2, § 47 AO) frühestens zehn Jahren nach der Vollendung ein. Andere Autoren2008 befürworten eine tatbestandsspezifische Auslegung und vertreten, dass das „Verstreichenlassen des Fälligkeitstermins“ maßgeblich ist. Bei Zugrundelegung der ersten Ansicht würden sich Wertungswidersprüche ergeben, da ein leicht durchsetzbarer Zahlungsanspruch (geschützt durch § 26c UStG) hierdurch längeren Schutz erfahre als der Festsetzungsanspruch. 2002 Siehe S. 301 ff. 2003 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 43; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370 AO, Rn. 781. 2004 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26c UStG, Rn. 42. 2005 Siehe S. 301. 2006 Fischer in Fischer, StGB, § 78a, Rn. 14; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 63. 2007 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 43; Kaiser/Bangert in Offerhaus/ Söhn/Lange, § 26c, Rn. 50b; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 63; Rolletschke, Rn. 491. 2008 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370 AO, Rn. 781; so im Ergebnis wohl auch Wagner in Simon/Wagner, S. 102. 

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C.  Ergebnis 4. Teil

Meines Erachtens ist mit der zweiten Auffassung eine tatbestandsspe­ zifische Auslegung vorzunehmen und auf das Verstreichenlassen des Fälligkeitstermins abzustellen. Neben dem o.g. Wertungswiderspruch ­ kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Problematik schlichtweg übersehen hat. Zehnjährige Verjährungsfristen existieren im Regelfall – und nicht nur im konkreten Einzelfall – nur bei schweren Straftatbeständen (vgl. § 376 Abs. 1 AO i.V.m. § 370 Abs. 3 AO). Im Rahmen des § 26c UStG mag eine solche Konstellation im Einzelfall vorliegen, aber eben nicht im Regelfall. Es besteht kein sachlicher Grund, die Nichtzahlung einer geringfügigen Umsatzsteuer von z.B. einigen 100 € stets erst nach zehn Jahren verjähren zu lassen.

C. Ergebnis 4. Teil Hinsichtlich der Verjährung ist zwischen der Verjährung der Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO und der Verjährung der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG zu unterscheiden. Die Umsatzsteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO verjährt nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB regelmäßig nach fünf Jahren. Liegt eine schwere Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–5 AO vor, so verjährt diese nach § 376 Abs. 1 AO nach zehn Jahren. Dies gilt jedoch nur für die in § 370 Abs. 3 S. 2 AO benannten Regelbeispiele und nicht für die unbenannt schweren Fälle. Es wurde herausgearbeitet, dass die sog. Tatbestands- bzw. Begehungs(weisen)lösung anzuwenden ist, nach der es ausreicht, dass der Täter eine Straftat nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–5 AO begeht. Es ist nicht erforderlich, dass im konkreten Einzelfall – nach Abwägung aller Gesamtumstände – ein besonders schwerer Fall vorliegt. In zeitlicher Hinsicht gilt § 376 Abs. 1 AO nicht für Steuerhinterziehungen, welche bis zum 25.12.2003 beendet wurden, also nach fünf Jahren, somit am 25.12.2008 verjährt waren. Von der Vorschrift umfasst sind aber am 25.12.2008 noch nicht verjährte Taten, die sowohl nach altem (bis zum 31.12.2007 geltenden) als auch nach neuem (ab dem 01.01.2008 geltenden) Recht als „besonders schwer“ einzuordnen sind. Diesbezüglich wurde festgestellt, dass nicht maßgeblich ist, ob bei Tatbegehung ein Regelbeispiel verwirklicht wurde, sondern dass noch keine Verjährung der Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des geänderten § 376 AO eingetreten ist. 361

4. Teil:  Verfolgungsverjährung der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Unabhängig von den o.g. Fristen setzt § 78c Abs. 3 S. 2 StGB eine Höchstgrenze in Form einer absoluten Verjährungsfrist. Danach ist die Verfolgung spätestens verjährt, wenn seit dem Verjährungsbeginn nach § 78a StGB das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist verstrichen ist. Es wurde festgestellt, dass im Fall der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung, die Beendigung der Tat und damit der Verjährungsbeginn erst mit der Abgabe der Jahreserklärung (wenn die falschen An­ gaben aus den Voranmeldungen lediglich wiederholt werden) oder dem pflichtwidrigen Unterlassen der Abgabe der Jahreserklärung eintritt. Gleiches gilt auch im Fall der Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen. Falls bereits ein Strafverfahren in Bezug auf die Voranmeldungen eingeleitet worden ist, besteht keine strafbewehrte Pflicht mehr zur Abgabe einer Jahreserklärung. Dann beginnt die Verjährung mit dem Wegfall der strafbewehrten Verpflichtung zur Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärung. Sofern die (abgegebene) Umsatzsteuerjahreserklärung einen Rotbetrag ausweist (Fall des § 168 Abs. 2 AO), tritt die Tatbeendigung in Bezug auf die Jahreserklärung und damit in Bezug auf die inhaltsgleich falschen Voranmeldungen ein, sobald die Zustimmung des Finanzamts erteilt worden ist. Vor Erteilung der Zustimmung bzw. bei fehlender bekanntgegebener Zustimmung befindet sich die Tat erst im Versuchsstadium. Diesbezüglich ist auf das Scheitern der Möglichkeit zur Tatvollendung durch den Täter abzustellen; mithin auf den Zeitpunkt, in dem es aus der Sicht des Täters nicht mehr zur Vollendung kommen kann. Es ist daher im Grundsatz auf die Bekanntgabe des abweichenden Steuerbescheids abzustellen. Sofern das Finanzamt hinsichtlich einer fristgerechten Umsatzsteuervoranmeldung mit Rotbetrag die Zustimmung verweigert und einen von der Voranmeldung abweichenden Steuerbescheid erlässt, gilt das Vorstehende entsprechend. Das deliktische Geschehen kommt in diesem Fall nicht erst mit der Jahreserklärung zum Abschluss, sondern bereits mit der Bekanntgabe des von der Voranmeldung abweichenden Steuerbescheids. Hinsichtlich der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung ist für den Beginn der Verjährung der Ablauf der gesetzlichen Erklärungspflicht für die Jahreserklärung maßgeblich. Es wurden typische Fallgruppen in Bezug auf die Verjährung im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung untersucht und – anhand der vorher gefundenen Ergebnisse – rechtlich bewertet. Eine Gesamtzusammenfassung befindet sich am Ende dieser Arbeit.

362

C.  Ergebnis 4. Teil

Die Möglichkeit der Rechnungsberichtigung nach den §§ 14c Abs. 1 S. 2, 14c Abs. 2 S. 3 UStG hat keine Auswirkung auf den Beendigungszeitpunkt. In Bezug auf das ungeklärte Verhältnis zwischen § 78b Abs. 4 StGB (Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht) und § 376 Abs. 1 AO wurde festgestellt, dass diese beiden Vorschriften nebeneinander anwendbar sind. Bei dem Tatbestand der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG ist ebenfalls die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB maßgeblich. Für den Beginn der Verjährung ist das „Verstreichenlassen des Fälligkeitstermins“ maßgeblich.

363

5. Teil: Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung von Umsatzsteuer

A. Bedeutung und Abgrenzung der Tatbegriffe: materiell und prozessual Im Steuerstrafrecht wird zwischen zwei Tatbegriffen unterschieden: dem materiellen und dem prozessualen Tatbegriff. Nach dem materiellen Tatbegriff stellt die Hinterziehung von Steuern nach § 370 Abs. 1 AO für jede Steuerart, jeden Besteuerungszeitraum und jeden Steuerpflichtigen eine selbstständige Tat dar.2009 Maßgeblich für den materiell-rechtlichen Tatbegriff sind mithin die steuerlichen Erklärungspflichten.2010 Einige Stimmen in der Literatur2011 wollen hinsichtlich des Tatbegriffs auf die einzelne Einkunftsquelle abstellen. Dies unter anderem mit der Begründung, dass der Tatbegriff zu weit gefasst sei, weil in einer Steuererklärung Sachverhalte zu gänzlich verschiedenen Lebenssachverhalten zu erklären sind. Der materielle Tatbegriff hat unter anderem Bedeutung im Bereich der Selbstanzeige. Dies ist z.B. der Fall beim Vollständigkeitsgebot nach § 371 Abs. 1 AO hinsichtlich der Frage, ob sich dieses auf die einzelne materielle Tat (sog. isolierte Betrachtung bzw. tatbezogene Betrachtung)2012 oder auf den gesamten Berichtigungsverbund nach § 371 Abs. 1 AO (sog. Gesamtbetrachtung) bezieht.2013 Der materielle Tatbegriff hat ebenso Bedeutung für die Frage des Umfangs der Tatentdeckung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO.2014

2009 BGH v. 05.04.2000 - 5 StR 226/99, wistra 2000, 219, 225 f.; so auch Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 291. 2010 BGH v. 27.04.2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310. 2011 Schwartz, wistra 2011, 81, 86; Radermacher, AO-StB 2011, 58, 88; Heuel, ­AO-StB 2010, 246. 2012 So Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200, 201 f. 2013 So Heuel/Beyer, StBW 2011, 315, 316; Hunsmann, NJW 2011, 1482. 2014 Jäger in Klein, § 371, Rn. 73.

365

5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Er bildet aber vor allem die Grundlage für die Konkurrenzlehre.2015 Der Tatbegriff des materiellen Rechts findet sich in den §§ 52 f. StGB.2016 In § 52 StGB ist die Tateinheit, in § 53 StGB die Tatmehrheit geregelt. Nach § 52 Abs. 1 StGB wird auf nur eine Strafe erkannt, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals verletzt. Sofern mehrere Strafgesetze verletzt sind, wird nach Abs. 2 die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen. § 53 StGB sieht hingegen vor, dass auf eine Gesamtstrafe erkannt wird, sofern jemand mehrere Straftaten begangen hat, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt werden. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit ist, ob dieselbe Handlung zu der mehrfachen Gesetzesverletzung geführt hat.2017 Bedeutung erlangt die Unterscheidung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit für die Frage der Strafzumessung in Bezug darauf, ob eine Gesamtstrafe oder mehrere Einzelstrafen gebildet werden müssen.2018 Der prozessuale Tatbegriff2019 ist in § 264 StPO geregelt. Demnach ist „Gegenstand der Urteilsfindung […] die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt“. Der prozessuale Tatbegriff umreißt den Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung, wohingegen der materielle Tatbegriff die Strafzumessung regelt.2020 Bei Tateinheit liegt stets auch eine Tat im prozessualen Sinne vor; bei Tatmehrheit handelt es sich grds. um mehrere prozessuale Taten, u.U. kann jedoch auch nur eine prozessuale Tat gegeben sein.2021 Bei der Umsatzsteuer ergeben sich aufgrund der Koexistenz von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung Sondersituationen, welche im Folgenden näher untersucht werden sollen.

2015 Radermacher, AO-StB 2011, 58, 61. 2016 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 867; siehe auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 860 ff.; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 900 ff.; Radermacher, AO-StB 2011, 58, 61. 2017 Jäger in Klein, § 370, Rn. 230. 2018 So im Ergebnis Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 860.  2019 Siehe S. 392. 2020 Andrejtschitsch in Wannemacher, Rn. 697. 2021 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 496; im Ergebnis auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 867; siehe auch BGH v. 15.05.1997 - 1 StR 233/96, BGHSt 43, 96, 99; v. 05.05.1998 - 1 StR 635/96, BGHSt 44, 91, 94; v. 06.06.2008 - 2 StR 189/08, StraFo 2008, 383, 384.

366

B.  Verhältnis Umsatzsteuer­voranmeldung zu Umsatzsteuerjahreserklärung

B. Grundsätzliches zum Verhältnis Umsatzsteuer­ voranmeldung zu Umsatzsteuerjahreserklärung Bei der Beurteilung der Hinterziehung von Umsatzsteuer ergeben sich besondere Schwierigkeiten daraus, dass hier insbesondere zwischen der steuerlichen und der strafrechtlichen Relevanz der Umsatzsteuerjah­ reserklärung und der etwaigen Umsatzsteuervoranmeldungen zu unterscheiden und ihr Verhältnis zueinander zu klären ist.

I. Steuerverfahrensrechtlich Steuerverfahrensrechtlich nimmt die Jahreserklärung die Umsatzsteuervoranmeldungen in sich auf und es wird nach § 18 Abs. 3 UStG mit der Jahreserklärung nur noch der verbleibende (Rest-)Saldo festgesetzt. Ein Umsatzsteuer-Jahresbescheid erledigt mithin die Festsetzungen der Vo­ rauszahlungsbescheide i.S.d. § 124 Abs. 2 AO, ohne diese aufzuheben oder zu ändern2022. Die Vorauszahlungsbescheide werden durch die Jahresfestsetzung abgelöst und verlieren – soweit sie noch nicht vollzogen sind – ihre Wirksamkeit. Ungeachtet dessen bleiben jedoch die Rechtswirkungen bestehen, die der Vorauszahlungsbescheid in der Vergangenheit ausgelöst hat. Künftige Verwirklichungen von Steueransprüchen sind aber allein auf die Jahresfestsetzung zu stützen.2023 Die Umsatzsteuervoranmeldungen sind aber keiner Bestandskraft in Bezug auf die Jahressteuer dergestalt fähig, als bereits die Voranmeldungen Bindungswirkung für die Jahressteuer entfalten würden.2024

II. Strafverfahrensrechtlich Bei der Umsatzsteuer besteht strafverfahrensrechtlich die Besonderheit, dass es sich bei dem Umsatzsteuerjahresverfahren und dem Umsatz­ steuervoranmeldungsverfahren um zwei parallel zueinander verlaufende Verfahren handelt, welchen jeweils eine strafverfahrensrechtlich selbstständige Bedeutung zukommt. Insoweit ist unerheblich, ob die Festset-

2022 BFH v. 22.05.2012 - VII R 47/11, BStBl. II 2013, 3, 4; Reiß in FS Samson, S. 571, 582. 2023 Reiß in FS Samson, S. 571, 582. 2024 BFH v. 07.07.2011 - V R 21/10, BStBl. II 2014, 81; v. 24.04.2013 - XI R 25/10, ­BStBl. II 2014, 346. 

367

5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

zung der Vorauszahlung nach Ergehen der Jahresfestsetzung steuerlich als „formeller Rechtsgrund“ bestehen bleibt oder nicht.2025 Weder lässt die Abgabe von inhaltlich zutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen die Pflicht zur Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung entfallen2026, noch entbindet umgekehrt eine ordnungsgemäße Umsatzsteuerjahreserklärung von der Pflicht zur Abgabe von inhaltlich zutreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen.2027 Es handelt sich nach h.M. und der Rechtsprechung des BGH2028 materiell um bis zu 132029 verschiedene Taten je Kalenderjahr. Prozessual liegt hingegen nach h.M. und der BGH-Rechtsprechung eine einheitliche Tat vor.2030

C. Konkurrenzen Im Steuerstrafrecht gelten hinsichtlich der Konkurrenzen die Regeln des allgemeinen Strafrechts. Neben den beiden echten Konkurrenzarten Tat­ einheit und Tatmehrheit gibt es auch noch Fälle der unechten Konkurrenz (Gesetzeseinheit). Sofern Handlungseinheit vorliegt, kann es sich um Spezialität, Subsidiarität oder Konsumtion handeln, bei Handlungsmehrheit hingegen um die mitbestrafte Vor- oder Nachtat.2031

I. Umsatzsteuerhinterziehung im Verhältnis zu anderen Steuerstraftaten Sofern die Umsatzsteuererklärung zusammen mit anderen ebenfalls unrichtigen Steuererklärungen abgegeben wird (z.B. USt 01 und ESt 01),

2025 Reiß in FS Samson, S. 571, 584. 2026 So im Ergebnis Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1364. 2027 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1981. 2028 BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66; v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1981 f.; v. 13.07.2017 - 1 StR 536/16, wistra 2018, 43, 45 ff.; v. 25.10.2018 - 1 StR 7/18, wistra 2019, 203, 204; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1365. 2029 Reiß in FS Samson, S. 571, 575 weist darauf hin, dass in Konstellationen bei denen bei zunächst bedingt vorsätzlicher Hinterziehung und anschließend unterlassener Berichtigung nach § 153 AO nach der Rechtsprechung des BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, 315 theoretisch bis zu 26 Taten vorliegen können. 2030 BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1371; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 724, 726; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO. 2031 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 1278 ff.

368

C. Konkurrenzen

liegt grds. Tatmehrheit vor.2032 Dies galt nach der früheren Rechtsprechung nur dann nicht, wenn verschiedene Steuererklärungen im äußeren Vorgang (z.B. Abgabe zum selben Zeitpunkt) zusammenfielen, welche teilweise deckungsgleich falsche Angaben beinhalteten (z.B. übereinstimmend verschwiegene Betriebseinnahmen bei ESt, USt und GewSt).2033 Mit Urteil vom 24.11.2004 hat der BGH2034 in einem Fall, bei dem die Täter für insgesamt 456 verschiedene Scheinfirmen fingierte Betriebs­ anmeldungen unter gleichzeitiger Geltendmachung von Vorsteuererstattungen erstellt haben und alle Anträge während einer Nacht in zwei Schüben in denselben Briefkasten geworfen haben, 456 tatmehrheitlich begangene Steuerhinterziehungen angenommen. Es lagen in diesem Fall keine deckungsgleich falschen Angaben vor. In der Literatur2035 wird diese Rechtsprechung des BGH kritisch gewürdigt, da der gleichzeitige Versand mehrerer Erklärungen „eine Handlung im natürlichen Sinne“ darstellt, demzufolge nach § 52 StGB Tateinheit gegeben ist2036. Joecks weist ferner darauf hin, dass die Abgabe mehrerer Steuererklärungen in einem Umschlag heute vor dem Hintergrund der elektronischen Übermittlung – welche mehrere Handlungen nötig mache – zwar nicht mehr vorkommt, jedoch sei das Problem dadurch trotzdem noch existent, da durch eine Anweisung des mittelbaren Täters (z.B. gegenüber dem Steuerberater2037) eine Mehrzahl von Steuerhinterziehungen auf den Weg gebracht werden kann, für die § 52 StGB gelte. Mit Beschluss vom 22.01.2018 hat der BGH2038 auf die Kritik in der Literatur2039 reagiert und seine Rechtsprechung geändert. Er hat entschieden, 2032 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 528; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 723.  2033 BGH v. 28.02.1978 - 5 StR 432/77, BB 1978, 1302; v. 21.03.1985 - 1 StR 583/84, wistra 1985, 189; v. 26.05.1993 - 5 StR 134/93, wistra 1993, 222 f.; v. 21.09.1994 - 5 StR 114/94, wistra 1995, 21, 22; v. 20.09.1995 - 5 StR 197/95, wistra 1996, 62; v. 05.03.1996 - 5 StR 73/96, wistra 1996, 231; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 723; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 528; so auch Hilgers-­ Klautzsch in Kohlmann, § 385, Rn. 1327; Jäger in Klein, § 370, Rn. 231; Rolletschke, Stbg 2011, 404, 407; a.A. Meine, BB 1978, 1309. 2034 BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 220/04, wistra 2005, 56; siehe auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 528 und Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 724.  2035 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 724; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 905; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1030; so auch Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 528 f. 2036 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 529. 2037 Siehe S. 163 f. 2038 BGH v. 22.01.2018 - 1 StR 535/17, NZWiSt 2019, 28. 2039 In der Literatur findet die Entscheidung daher Zustimmung: Rolletschke, wistra 2019, 133; ders. in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1031; Gehm, NZWiSt 2019, 31, 33; Bittmann, NStZ 2019, 156, 157.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

dass das bloße zeitliche Zusammenfallen von mehreren Steuererklärungen, die rechtlich nicht miteinander verknüpft sind, auch dann keine Tateinheit begründen, wenn die Abgabe in einem äußeren Akt zusammenfällt. Im Fall des Unterlassens bestand schon vor der Änderung der BGH-Rechtsprechung Tatmehrheit zwischen der Verkürzung anderer Steuerforderungen und der Verletzung der Erklärungspflicht unabhängig davon, ob die Begehung einer dieser Taten ebenfalls durch Handeln oder Unterlassen erfolgte.2040

II. Verhältnis der Umsatzsteuerhinterziehungen untereinander 1. Mehrere Unrichtigkeiten in einer Steueranmeldung Mehrere Unrichtigkeiten innerhalb derselben Steuererklärung sind Teile ein- und derselben Tat im materiellen Sinne.2041 So stellt „die Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Nichtanmeldung von Ausgangsumsätzen einerseits und durch unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuern andererseits […] für jeden Voranmeldungszeitraum eine einheitliche Tat der Steuerhinterziehung im materiell-rechtlichen Sinn dar“.2042 Konkret bedeutet dies die unrichtige Abgabe von mehreren Teilerklärungen.2043 2. Verhältnis zwischen Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung Im Folgenden soll das Verhältnis zwischen den Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung bei demselben Besteuerungszeitraum hinsichtlich der Konkurrenzen untersucht werden. Der 5. Strafsenat des BGH2044 vertrat diesbezüglich die Auffassung, dass es sich weder bei der Umsatzsteuervoranmeldung um eine straflose Vortat noch bei der Umsatzsteuerjahreserklärung um eine mitbestrafte Nachtat handelt, sondern jeweils um Taten mit selbstständigem Unrechtsgehalt. Es lägen in diesen Fällen mehrere Hinterziehungen und so2040 BGH v. 28.10.2004 - 5 StR 276/04, wistra 2005, 30, 31; Schmitz/Wulf in MKStGB, § 370 AO, Rn. 531; im Ergebnis auch Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1038. 2041 BGH v. 27.04.2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310; Jäger in Klein, § 370, Rn. 230. 2042 BGH v. 27.04.2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310. 2043 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 721.  2044 BGH v. 17.03.2005 - 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517, 518.

370

C. Konkurrenzen

mit Tatmehrheit i.S.d. § 53 StGB vor.2045 Auch wenn von beiden Erklärungen dasselbe Steueraufkommen und dieselbe Steuerart eines Jahres betroffen sind, so seien doch beiden Erklärungsarten jeweils eigenständige Erklärungswerte beizumessen, deren Deckungsgleichheit sich auch nicht durch den zusammenfassenden Charakter der Jahreserklärung herstellen lasse.2046 Dies gelte auch für den Fall, dass gar keine Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben wird.2047 Nach dieser Rechtsprechung nahm der 5. Strafsenat des BGH somit das Vorliegen von bis zu 13 selbstständigen Taten an.2048 Wegen der regelmäßig vorliegenden „Teilidentitäten im Unrechtsgehalt“ sei jedoch regelmäßig eine Beschränkung der Strafverfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO vorzunehmen.2049 Der 1. Strafsenat des BGH2050 vertrat zunächst die gleiche Ansicht wie der früher für das Steuerstrafrecht zuständige 5. Strafsenat. Dies aber mit der Modifizierung, dass er bei der Verkürzung auf Zeit2051 den Nominalbetrag – und nicht nur den Zinsschaden – als hinterzogen ansieht, was er mit der Selbstständigkeit der Verfahren begründet. Dies nahm der 5. Strafsenat des BGH2052 nur dann an, wenn der Täter bereits bei Unterlassen der Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung bzw. bei deren unrichtiger Abgabe eine Hinterziehung auf Dauer geplant hatte, weil er dies auch nicht mit der Jahreserklärung korrigieren wollte. In diesen Fällen stelle die nicht eingereichte bzw. falsche Umsatzsteuerjahreserklärung keine Vertiefung des Unrechts dar. Mit Urteil vom 13.07.2017 hat der 1. Strafsenat des BGH2053 dann einen Rechtsprechungswechsel2054 dergestalt vollzogen, dass es sich bei der Hinterziehung hinsichtlich einer Umsatzsteuervoranmeldung um eine mitbestrafte Vortat handelt, da die Umsatzsteuervoranmeldung lediglich 2045 BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66 f.; v. 17.03.2005 - 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517, 518; so auch Webel, PStR 2008, 109, 110 f. 2046 BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66 f. 2047 BGH v. 17.03.2005 - 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517, 518. 2048 BGH v. 01.11.1995 - 5 StR 535/95 wistra 1996, 105, 106; v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1981 f. 2049 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982.  2050 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1981 f.; befürwortend auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 351; siehe auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 895. 2051 Siehe S. 84 ff. 2052 BGH v. 12.01.2005 - 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 146. 2053 BGH v. 13.07.2017 - 1 StR 536/16, wistra 2018, 43, 46, v. 25.10.2018 - 1 StR 7/18, wistra 2019, 203, 204; siehe Beyer, NWB 2018, 970, 971 f.; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1018; Wengenroth, PStR 2018, 29 f. 2054 Der 1. Strafsenat selbst spricht in der Entscheidung von einer „Weiterentwicklung“ seiner Rechtsprechung.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

ein Durchgangsstadium zur Umsatzsteuerhinterziehung auf Dauer durch die Umsatzsteuerjahreserklärung sei. Die Hinterziehung betreffend die Umsatzsteuerjahreserklärung – durch Handeln nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO oder durch Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO – stelle hingegen keine mitbestrafte Nachtat in Bezug auf die Tat im Zusammenhang mit der Voranmeldung dar, da der Unrechtsgehalt der Umsatzsteuerjahreserklärung mit dem der Umsatzsteuervoranmeldungen nicht hinreichend erfasst werde. In der Literatur werden verschiedene Ansichten vertreten: Nach Schauf2055, Peters2056 und Grommes2057 liegt – sofern in der Jahreserklärung nur die falschen Angaben aus den Voranmeldungen wiederholt bzw. unterlassen werden und keine weitere Steuerverkürzung eintritt – eine mitbestrafte Nachtat vor. Es bleibe unklar, inwiefern es bei Wiederholung der Angaben zu einer weiteren Steuerverkürzung kommt, da sich diese Wiederholung weder „finanzkassentechnisch“ auswirke noch die Höhe des Umsatzsteueranspruchs ändere.2058 Gegen die Annahme von mitbestraften Vortaten spreche, dass der Unrechtsschwerpunkt bei den Voranmeldungen liegt. Bereits durch die Voranmeldungen werde die unrechtmäßige Vergütung bzw. unterlassene Geltendmachung von Steuern durch das Finanzamt bewirkt und der Täter erlange den Vorteil schon durch die Voranmeldungen. Diesen sichere er anschließend nur noch durch die Jahreserklärung, soweit eine reine Wiederholung der falschen Angaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen vorliegt. Würden mit einer Umsatzsteuerjahreserklärung im Vergleich zu den Voranmeldungen noch weitergehend Steuern hinterzogen, so sei als eigenständiger Hinterziehungsbetrag ausschließlich auf diese Differenz zu den Voranmeldungen abzustellen, da nur insoweit eine eigenständige neue Tat vorliege.2059 Bülte2060 differenziert: Sofern der Steuerpflichtige bei Abgabe der Umsatzsteuervor­anmeldungen bereits den Entschluss gefasst hat, auch eine unrichtige Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben und somit eine endgültige Steuerverkürzung herbeizuführen, soll eine mitbestrafte Nachtat vorliegen. In diesen Fällen stelle die Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärung keine weitere Verletzung des von § 370 AO ge2055 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1368; ebenso wohl Nöhren, S. 117, 119.  2056 Peters in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 370 AO, Rn. 326. 2057 Grommes, NZWiSt 2017, 201, 202; so im Ergebnis auch Nöhren, S. 101. 2058 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1368. 2059 Grommes, NZWiSt 2017, 201, 202. 2060 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 353 ff.

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C. Konkurrenzen

schützten Rechtsguts dar, sondern lediglich eine Sicherung der langfristigen Vorteile aus der Tat, sodass in diesen Fällen eine mitbestrafte Nachtat gegeben ist. Hatte der Täter zunächst beabsichtigt, die falschen Umsatzsteuervoranmeldungen durch die Umsatzsteuerjahreserklärung zu korrigieren, jedoch hiervon wieder Abstand genommen und die falschen Angaben auch in die Jahreserklärung eingetragen, so liegen nach Bülte mitbestrafte Vortaten vor. Es liege in diesem Fall ein Wandel der Steuerverkürzung auf Zeit hin zu einer solchen auf Dauer vor, infolgedessen das gleiche Rechtsgut einen intensiveren Angriff erfahre. Sofern in einer Umsatzsteuerjahreserklärung über die in den (falschen oder nichtabgegebenen) Voranmeldungen hinausgehende Verkürzungen enthalten sind, stünden diese beiden Taten zueinander in Tatmehrheit. Ransiek2061 vertritt hingegen die Auffassung, die nunmehr auch der BGH vertritt. Es handele sich bei den Umsatzsteuervoranmeldungen im Verhältnis zur Umsatzsteuerjahreserklärung um mitbestrafte Vortaten. Dies begründet er zum einen damit, dass die Umsatzsteuerjahreserklärung als Zusammenfassung der zuvor eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen gesehen werden kann2062, und zum anderen damit, dass es durch die Jahreserklärung nicht zur Bewirkung eines weitergehenden, neuen Schadens kommt. Darüber hinaus sei die Umsatzsteuer eine auf das Kalenderjahr bezogene Steuer und die Beendigung der Steuerhinterziehung trete ohnehin erst mit der Umsatzsteuerjahreserklärung ein. Joecks2063 ist der Ansicht, dass die Figur des Fortsetzungszusammenhangs2064, deren Anwendung der Große Senat des BGH mit Beschluss vom 03.05.19942065 aufgegeben hat, in diesen Fällen noch Anwendung findet, sodass Tateinheit gegeben sein soll. Er begründet dies mit Verweis auf den Beschluss des Großen Senats, welcher ausführt, dass das Institut des Fortsetzungszusammenhangs noch Anwendung finden soll, wenn dies zur sachgerechten, d.h. dem Sinn des Gesetzes entsprechenden Erfassung des durch die mehreren Verwirklichungen des Tatbestands begangenen Unrechts und der Schuld unumgänglich ist.2066 Da nach Joecks 2061 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 892 f; so auch Pflaum, wistra 2018, 47 unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH v. 13.07.2017 - 1 StR 536/16, wistra 2018, 43. 2062 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 893. 2063 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 725 f.; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1368 a.E. 2064 Siehe Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 874. 2065 BGH v. 03.05.1994 - GSSt 2/93, 3/93, wistra 1994, 185, 191; dem folgend der 5. Senat des BGH v. 20.06.1994 - 5 StR 595/93, BGHSt 40, 195. 2066 BGH v. 03.05.1994 - GSSt 2/93, 3/93, wistra 1994, 185, 191.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

„Unrecht und Schuld der Umsatzsteuerhinterziehung […] nur in ihrer Gesamtheit als Summe aus unrichtigen Voranmeldungen und Jahreserklärung erfasst werden“ können, sei im Hinblick auf den Wortlaut des o.g. BGH-Beschlusses2067, nach welchem der spezielle Deliktscharakter maßgeblich sein soll, vorliegend die Figur des Fortsetzungszusammenhangs noch anwendbar. Sofern die Jahreserklärung jedoch neue Unrichtigkeiten enthält, könne ein Fortsetzungszusammenhang nur angenommen werden, wenn der Täter dies bereits bei Abgabe der unrichtigen Voranmeldungen so geplant hat (Gesamtvorsatz). Grieser2068 widerspricht dieser Ansicht von Joecks jedoch mit dem Hinweis darauf, dass sie im expliziten Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH steht, welcher mit Beschluss vom 20.06.19942069 eindeutig für die Umsatzsteuerhinterziehung das Gegenteil festgelegt hat. Schmitz/Wulf2070 stimmen der Ansicht Joecks’ im Ergebnis zu, sprechen jedoch statt von der Figur des Fortsetzungszusammenhangs von einem „Fall der tatbestandsspezifischen Bewertungseinheit“, da „das Ergebnis nicht von den besonderen Voraussetzungen des Fortsetzungszusammenhangs (‚Gesamtvorsatz von Beginn an‘ und ‚gleichartige Begehungsweise‘) abhängig“ sei. Ebenso Reiß2071, welcher zwar einräumt, dass „eine weitere (natürliche) Handlung bei Abgabe einer unrichtigen Jahreserklärung [vorliegt], bzw. […] eine gebotene Erklärung über steuererhebliche Tatsachen erneut unterlassen [wird]“. Es finde aber keine Vertiefung des Erfolgsunrechts statt, woran auch die Verpflichtung zur Abgabe einer zutreffenden Jahreserklärung nichts ändere. Den Umständen, dass erstens der „verpönte Erfolg“ lediglich aufrechterhalten werde und zweitens Voranmeldung und Jahreserklärung materiell verzahnt seien, sei dadurch Rechnung zu tragen, dass auch „materiell lediglich von einer Straftat ausgegangen wird“. Dies jedenfalls, soweit sich das Unrecht decke. Reiß verwendet diesbezüglich den Begriff „einheitliche Steuerverkürzung“.

2067 BGH v. 03.05.1994 - GSSt 2/93, 3/93, wistra 1994, 185, 191. 2068 Grieser, S. 102. 2069 BGH v. 20.06.1994 - 5 StR 595/93, BGHSt 40, 195; siehe allgemein zur Nicht­ anwendung des Fortsetzungszusammenhangs bei Steuerhinterziehungen BGH v. 11.10.1994 - 5 StR 546/94, StV 1995, 130. 2070 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 536 f. 2071 Reiß in FS Samson, S. 571, 591 ff.

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C. Konkurrenzen

Rolletschke2072 ist der Ansicht, dass zwischen der Hinterziehung im Zusammenhang mit Umsatzsteuervoranmeldungen und der Hinterziehung im Zusammenhang mit der Umsatzsteuerjahreserklärung ein „Unrechtsgefälle“ existiert, welches zum Ausschluss der Figur der mitbestraften Nachtat führe. Dies entspricht der o.g. Rechtsprechung des 5. Strafsenats und der früheren Rechtsprechung des 1. Strafsenats des BGH. Jedoch handele es sich um eine mitbestrafte Nachtat in den Fällen, in welchen die Steuerhinterziehungen durch die Voranmeldungen bereits als Steuerhinterziehung auf Dauer und nicht auf Zeit einzuordnen sind, da es in diesen Fällen an einer Unrechtsvertiefung fehle.2073 Ebner2074 weist darauf hin, dass die neuere Rechtsprechung des BGH lediglich die Fälle betrifft, in denen entweder durchgängig falsche Vor­ anmeldungen und auch eine falsche Jahreserklärung abgegeben werden oder durchgängig weder Voranmeldungen noch eine Jahreserklärung abgegeben werden. Anders sei der Fall zu beurteilen, in dem falsche Voranmeldungen eingereicht werden, aber keine Jahreserklärung abgegeben wird sowie der Fall, in dem keine Voranmeldungen abgegeben werden, aber eine falsche Jahreserklärung abgegeben wird. In diesen beiden Fällen liege kein bloßes Durchgangsstadium vor und es sei von einer tatmehrheitlichen Begehungsweise auszugehen und ggf. nach § 154 Abs. 2 StPO zu verfahren. Mit dem 1. Strafsenat des BGH2075 und mit Ransiek2076 handelt es sich m.E. bei Taten im Zusammenhang mit Umsatzsteuervoranmeldungen um mitbestrafte Vortaten. Dies jedenfalls dann, wenn – wie im Regelfall – in der Jahreserklärung nur die falschen Angaben aus den Voranmeldungen wiederholt bzw. unterlassen werden und keine weitere Steuerverkürzung eintritt. Dies gilt m.E. auch ungeachtet der Willensrichtung des Täters bei Abgabe bzw. Nicht­abgabe der Voranmeldungen, also ungeachtet des Umstands, ob der Täter bereits bei Abgabe der Voranmeldungen eine Steuerhinterziehung auf Zeit oder auf Dauer geplant hat. Hier2072 Rolletschke, Rn. 172; ders. in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 447 f. stimmt dem BGH insoweit zu, sofern nicht „alle Steuerhinterziehungen als Steuerverkürzungen auf Zeit oder als Steuerverkürzungen auf Dauer anzusehen“ sind. 2073 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1017; so auch Grommes, NZWiSt 2017, 201. 2074 Ebner, jurisPR-SteuerR 5/2018 Anm. 6; im Ergebnis ebenso Wulf/Gomes, ZHW 2018, 319, 320 sowie Madauß, NZWiSt 2019, 174, 177. 2075 BGH v. 13.07.2017 - 1 StR 536/16, wistra 2018, 43; v. 25.10.2018 - 1 StR 7/18, wistra 2019, 203, 204; siehe Beyer, NWB 2018, 970, 971 f.; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 1018; Wengenroth, PStR 2018, 29 f. 2076 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 892, 893, 896.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

für sprechen die umsatzsteuerrechtliche Systematik und die dazu oben dargestellte2077 BFH-Rechtsprechung zum Verhältnis zwischen Umsatzsteuerjahreserklärung und Umsatzsteuervoranmeldungen und der fehlenden materiell-rechtlichen Bindungswirkung der Voranmeldungen in Bezug auf die Jahressteuer. Materiell-rechtlich und auch faktisch wird über den Umsatzsteueranspruch und damit über den von § 370 AO geschützten Anspruch des Steuergläubigers erst durch die Jahresfest­ ­ setzung entschieden und dann der Saldo nach § 18 Abs. 3 und 4 UStG festgesetzt. Die Erklärungspflicht hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung steht eigenständig neben den Erklärungspflichten in Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen und kann m.E. nicht durch Abgabe von Umsatzsteuervor­anmeldungen erfüllt werden. Ferner ist die Umsatzsteuer eine Jahressteuer. Dies spricht ebenfalls dafür, mit dem BGH auch wertungsmäßig den Schwerpunkt des Unrechts in der Jahreserklärung zu sehen. Sofern der Verkürzungsbetrag der Jahreserklärung den Betrag von 50.000,00 € übersteigt, liegt zudem in der Regel ein schwerer Fall nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO vor, auch wenn die Verkürzungsbeträge der Voranmeldungen jeweils diese Schwelle nicht erreichen. Damit lässt sich das Unrecht der Tat zutreffender erfassen, als wenn man von einer mitbestraften Nachtat ausgehen würde.2078 3. Fallgruppen zu Konkurrenzen bei der Umsatzsteuerhinterziehung in Bezug auf das Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldung und Umsatzsteuerjahreserklärung Im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung sind im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung unter anderem nachstehende typische Fallgruppen in Bezug auf die Konkurrenzen nach § 370 Abs. 4 S. 1 AO denkbar und nach der hier vertretenen Ansicht, die der BGH-Rechtsprechung entspricht, wie dargestellt zu lösen. Oben wurden die Fallgruppen bereits auf Art und Umfang der Hinterziehung2079 sowie hinsichtlich der Verjährung2080 untersucht. Am Ende dieser Arbeit2081 sind die Untersuchungsergebnisse sämtlicher Fallgruppen in einer Tabelle zusammengefasst. Dabei ist im Hinblick auf die Konkurrenzen insbesondere von Relevanz, ob bei abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen die falschen Angaben 2077 Siehe S. 367. 2078 So im Ergebnis auch Madauß, NZWiSt 2015, 23, 26. 2079 Siehe S. 93 ff. 2080 Siehe S. 350 ff. 2081 Siehe S. 469 ff.

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C. Konkurrenzen

aus den Umsatzsteuervoranmeldungen lediglich wiederholt werden, ob zusätzliche falsche Angaben in der Jahreserklärung gemacht werden oder ob die Jahreserklärung nicht bzw. verspätet abgegeben wird. In Nicht­ abgabefällen von Umsatzsteuervoranmeldungen ist für die Konkurrenzen von Belang, ob die Jahreserklärung falsche Angaben enthält oder ob die Jahreserklärung nicht bzw. verspätet abgegeben wird. Selbstredend können diese verschiedenen Fallgestaltungen (Grundfälle) auch in Kombination miteinander auftreten. Dies etwa dergestalt, dass z.B. teilweise richtige, teilweise falsche und teilweise keine bzw. verspätete Voranmeldungen abgegeben werden und die Jahreserklärung dann wiederum die falschen Angaben wiederholt oder zusätzlich falsche Angaben enthält bzw. nicht oder verspätet abgegeben wird. a) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und falsche Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung werden in der Umsatzsteuer­ jahreserklärung lediglich wiederholt Fall 2a2082: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab und verschweigt auch dort die schon in den Voranmeldungen verschwiegenen Umsätze. Wie oben2083 erörtert, stellen nach hier vertretener Ansicht, die der Rechtsprechung des BGH entspricht, die Umsatzsteuervoranmeldungen mitbestrafte Vortaten der Umsatzsteuerjahreserklärung dar. Dies gilt auch im Fall 2a. b) Fristgerechte Umsatzsteuerjahreserklärung und weitere falsche Angaben in der Umsatzsteuerjahreserklärung, die über die falschen Angaben aus der Umsatzsteuervoranmeldung hinausgehen Fall 2b2084: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Am 30.03.2018 gibt U dann frist2082 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 96 f. 2083 Siehe S. 375 f. 2084 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 97 f.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

gerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab und verschweigt auch dort die schon in den Voranmeldungen verschwiegenen Umsätze. In der Jahreserklärung macht U ferner vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 50.000,00 € geltend, die in den Voranmeldungen noch nicht geltend gemacht wurden. Insgesamt ergibt sich damit aus der Umsatzsteuerjahreserklärung eine Erstattung von 50.000,00 €, zu der das Finanzamt am 10.04.2018 die Zustimmung erteilt. Wie oben2085 aufgezeigt, stellen nach hier vertretener Ansicht und der Rechtsprechung des BGH die Umsatzsteuervoranmeldungen – auch in diesem Fall – mitbestrafte Vortaten der falschen Umsatzsteuerjahreserklärung dar.2086 Dies gilt auch im Fall 2b. c) Umsatzsteuervoranmeldung falsch und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Fall 32087: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 monatliche Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben und die zu 19 % steuerpflichtigen Umsätze vorsätzlich jeweils um 100.000,00 € (insgesamt also 1.200.000,00 €) zu gering ausgewiesen und mithin jeweils Umsatzsteuer von 19.000,00 € (insgesamt also 228.000,00 €) verkürzt. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U allerdings vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Nach hier vertretener Ansicht und der Rechtsprechung des BGH stellen die Umsatzsteuer­voranmeldungen mitbestrafte Vortaten der nicht bzw. verspätet abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung dar.2088 Dies gilt auch im Fall 3.  d) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung zwar fristgerecht, aber mit falschen Angaben Fall 52089: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Vor­ anmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze nicht erklärt. Dies ergibt eine nicht erklärte Umsatzsteuer von jeweils 19.000,00 € (insgesamt für 2017 also 228.000,00 €). Es sind für 2085 Siehe S. 375 f. 2086 So auch Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 896. 2087 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 98 ff. 2088 Zur Höhe des Hinterziehungsvolumens und der Anwendung des Kompensa­ tionsverbots siehe S. 98 f. 2089 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 101 ff.

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C. Konkurrenzen

die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern aus der Geschäftsraummiete von 5.000,00 € (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Am 30.03.2018 gibt U dann fristgerecht eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 ab. In dieser macht U vorsätzlich Vorsteuern aus Scheinrechnungen von 50.000,00 € geltend. Er erklärt mithin einen Saldo nach § 18 Abs. 4 UStG von 118.000,00 € (USt 228.00,00 € abzüglich der zutreffenden VorSt von 60.000,00 € und der VorSt aus Scheinrechnungen von 50.000,00 €). Sofern die Umsatzsteuerjahreserklärung zwar fristgerecht abgegeben wurde, aber falsche Angaben enthält und zuvor keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht wurden, muss m.E. unterschieden werden, ob es sich wertungsmäßig lediglich um eine Wiederholung der falschen bzw. in Umsatzsteuervoranmeldungen unterlassenen Angaben in der Jahreserklärung (z.B. durch Verschweigen von steuerpflichtigen Umsätzen) oder um zusätzliche unrichtige Angaben (z.B. durch Geltendmachung von Vorsteuern aus Scheinrechnungen) handelt. Sofern es sich – zumindest wertungsmäßig – um keine Unrechtsvertiefung handelt, sondern nur um eine Wiederholung der falschen bzw. in den Umsatzsteuervoranmeldungen unterlassenen Angaben in der Jahreserklärung (z.B. durch Verschweigen von steuerpflichtigen Umsätzen), stellen nach hier vertretener Ansicht die Nichtabgaben der jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldungen mitbestrafte Vortaten in Bezug auf die abgegebene Umsatzsteuerjahreserklärung dar. Ob der BGH dies auch so sehen wird, bleibt abzuwarten. Er hatte darauf abgestellt, dass „nach den Erfahrungen […] des Senats […] Täter, die auf Dauer Umsatzsteuern hinterziehen wollen, regelmäßig bereits in den Umsatzsteuervoranmeldungen unrichtige Angaben [machen] und [diese] dann in der Jahreserklärung [wiederholen], um keinen Steuerforderungen der Finanzverwaltung ausgesetzt zu sein“.2090 Aufgrund des Zwecks der Umsatzsteuervoranmeldungen, die Festsetzung der Umsatzsteuer für das gesamte Jahr zu sichern, weist eine Umsatzsteuervoranmeldung bei wertender Betrachtung bereits deshalb den Charakter eines Durchgangsstadiums auf. Dies ist aber der typische Fall einer mitbestraften Vortat. Sofern es sich – zumindest wertungsmäßig wegen des weiteren Entschlusses, Unrecht zu begehen (Unrechtsvertiefung) – um zusätzliche unrichtige Angaben (z.B. durch Geltendmachung von Vorsteuern aus Scheinrechnungen) handelt, stehen m.E. die Taten der Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen in Bezug auf die falsche Umsatzsteuer2090 BGH v. 13.07.2017 - 1 StR 536/16, wistra 2018, 43, 46.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

jahreserklärung in Tatmehrheit nach § 53 StGB, ohne dass die eine oder andere Tat zurücktritt. In Fall 5 stehen die Taten in Bezug auf die Umsatzsteuervoranmeldungen – sofern keine wirksame Selbstanzeige vorliegt – zu der Tat durch die Umsatzsteuerjahreserklärung in Realkonkurrenz nach § 53 StGB. e) Keine Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und keine oder verspätete Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Fall 62091: U hat für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 vorsätzlich keine monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben. Er hat in den Voranmeldungszeiträumen jeweils 100.000,00 € zu 19 % steuerpflichtige Umsätze nicht erklärt. Diese entsprechen jeweils einer Umsatzsteuer von 19.000,00  € (insgesamt also 228.000,00 €). Es sind für die Zeiträume 01/17 bis 12/17 jeweils Vorsteuern aus der Geschäftsraummiete von 5.000,00  € (insgesamt also 60.000,00 €) angefallen. Bis zum Ablauf des 31.05.2018 hat der steuerlich nicht beratene U vorsätzlich keine Umsatzsteuerjahreserklärung für 2017 abgegeben. Werden vom Steuerpflichtigen keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht und wird die Umsatzsteuerjahreserklärung nicht oder verspätet abgegeben, stellen nach hier vertretener Ansicht und der Rechtsprechung des BGH die Umsatzsteuervoranmeldungen mitbestrafte Vortaten der nicht bzw. verspätet abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung dar. Im Fall 6 sind die Taten durch die Umsatzsteuervoranmeldungen daher mitbestrafte Vortaten der Umsatzsteuerjahreserklärung. 4. Wiederholte Umsatzsteuerhinterziehung: nachträgliche Abgabe unrichtiger Umsatzsteuerjahreserklärung zur (zunächst) unterlassenen Umsatzsteuerjahreserklärung Die Bewertung der Fallkonstellation, dass die Umsatzsteuerjahreserklärung2092 zunächst nicht abgegeben und nachträglich eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben wird, ist umstritten.

2091 Wiederholung aus dem 1. Teil, siehe S. 104 f. 2092 Die gleiche Frage kann im Übrigen auch im Verhältnis von Voranmeldungen zur Jahreserklärung gestellt werden, wird dort aber vor dem Hintergrund der Besonderheiten des vorläufigen Charakters des Voranmeldungsverfahrens in der Regel nicht thematisiert. Siehe S. 375 f.

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C. Konkurrenzen

Nach der von der Rechtsprechung2093 und der h.L.2094 vertretenen Konkurrenzlösung liegt in diesen Fällen eine weitere Steuerhinterziehung vor.2095 Im Ergebnis handelt es sich hierbei um zwei Steuerhinterziehungen, welche zueinander in Tatmehrheit stehen, wobei die Steuerhinterziehung in Form der Einreichung der unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung dabei eine mitbestrafte Nachtat darstellt.2096 Hierbei ist jedoch erforderlich, dass die Nachtat die erlangten Vorteile aus der Unterlassungstat sichern soll. Wenn der Unrechtsgehalt der Tat aufgrund der Abgabe der falschen Erklärung den der Unterlassungstat übersteigt, indem der Täter z.B. mit der falschen Erklärung einen ungerechtfertigten Vorsteuerabzug nach § 15 UStG vornimmt oder aufgrund von anderen falschen Angaben einen Erstattungsbetrag in der Erklärung ausweist, liegt keine mitbestrafte Nachtat vor und es ist von Tatmehrheit auszugehen.2097 Madauß2098 gibt zu bedenken, dass die Nichtabgabe lediglich ein passives Verhalten darstellt, während der Täter mit der Abgabe der falschen Erklärung zu einem täuschenden, aktiven Verhalten übergeht. Hierin liege ein besonderes Handlungsunrecht, welches gegen die Wertung der falschen Jahreserklärung als mitbestrafte Nachtat spreche. Dies insbesondere, da der Täter mit der Abgabe der falschen Jahreserklärung den Eindruck einer vollständigen Selbstanzeige bei den Finanzbehörden erwecke. Bülte2099 – der beim Verhältnis von Umsatzsteuervoranmeldungen zur Umsatzsteuerjahreserklärung die Willensrichtung bei der Abgabe der ersten Steueranmeldung berücksichtigt2100 – möchte dies auch in der vorliegenden Konstellation tun. Wenn der Steuerpflichtige bei der Unterlassung der Abgabe einer fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung – z.B. vor dem Hintergrund der Schaffung eines Liquiditätsvorteils – geplant hatte, im Nachhinein eine richtige Umsatzsteuerjahreserklärung einzureichen, liege Tatmehrheit – und keine mitbestrafte Nachtat – vor, soweit sich das Unrecht der Taten nicht deckt. Hintergrund dieser Überlegung von Bülte ist der Umstand, dass es sich bei der Unterlassungstat um 2093 BGH v. 27.10.1992 - 5 StR 517/92; NJW 1993, 476; v. 26.05.1993 - 5 StR 190/93; NJW 1993, 2692. 2094 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 27; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 354; Jäger in Klein, § 370, Rn. 105. 2095 Nöhren, S. 114. 2096 BGH v. 26.05.1993 - 5 StR 190/93, NJW 1993, 2692; Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 354; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 895; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1367. 2097 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 27. 2098 Madauß, NZWiSt 2015, 23, 27. 2099 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 354. 2100 Siehe S. 372 f. 

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

eine Hinterziehung auf Zeit handelt und sich in diesem speziellen Fall das Hinterziehungsvolumen ausnahmsweise nur auf die Höhe der Zinsen und nicht des Nominalbetrags beläuft. Bei der zweiten Steuerhinterziehung durch die Abgabe der falschen Jahreserklärung handelt es sich um eine Steuerhinterziehung auf Dauer. Insofern liegt – nach Bülte – ein höherer Unrechtsgehalt in der zweiten Tat. Sofern die abgegebene Jahreserklärung keine Umsatzsteuerschuld ausweist, sondern einen Rotbetrag, will Bülte in der unterlassenen Jahreserklärung eine mitbestrafte Vortat sehen. Sofern man zu einer mitbestraften Nachtat gelangt, ist wiederum umstritten, ob diese stets straflos bleibt oder nur dann, wenn die erste Tat tatsächlich abgeurteilt werden kann. Davon hängt auch die Beantwortung der Frage ab, ob die Nachtat einer eigenen Verjährung unterliegt.2101 Nach der von Witte2102 vertretenen Tatbestandslösung, handelt es sich hingegen bei dieser Fallkonstellation lediglich um eine einzige Steuerhinterziehung. Die Falschabgabe stelle nur eine Zweithandlung dar, welche allenfalls nach § 258 StGB strafbar sein könne. Die Ansicht von Witte wird in der Literatur2103 zu Recht nahezu einhellig abgelehnt. Mit der un­richtigen Jahreserklärung begeht der Täter eine (weitere) Tathandlung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Sowohl hinsichtlich der Tat nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO als auch der nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist nach § 370 Abs. 4 AO jeweils die Ist-Steuer mit der Soll-Steuer zu vergleichen. Der Umfang der Steuerverkürzung entspricht dem Nominalbetrag der hinterzogenen Steuern (Zahllast abzüglich des Vorauszahlungssolls). Hierbei ist bei der zweiten Tat der Verkürzungserfolg durch die erste (Unterlassens-)Tat nicht zu berücksichtigen.2104 Sodann sind die Verkürzungserfolge der beiden Taten zu vergleichen. Sofern keine Schadensvertiefung eintritt, ist dies auf der Ebene der Konkurrenzen zu berücksichtigen und die zweite Tat stellt – bei Deckungsgleichheit – eine mitbestrafte Nachtat dar. In dem Fall, dass die abgegebene Jahreserklärung keine Umsatzsteuerschuld ausweist, sondern einen Rotbetrag, will Bülte2105 in der unterlassenen Jahreserklärung eine mitbestrafte Vortat sehen. Meines Erachtens 2101 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 149. 2102 Witte, S. 74 ff. 2103 Nöhren, S. 115; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 154; Wulf in FS Samson, S. 619, 631. 2104 So zutreffend auch Nöhren, S. 116. 2105 Wie dargestellt Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 354. 

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C. Konkurrenzen

kommt es in diesem Fall nicht auf den Ausweis einer Erstattung in der Steueranmeldung an, sondern darauf, welcher Ausweis richtig gewesen wäre. Der Ausweis einer Erstattung hat lediglich Auswirkung auf die Frage, ob § 168 S. 1 AO (Zahllast) oder § 168 S. 2 AO (Rotbetrag) Anwendung findet und ob bereits mit Eingang der Steueranmeldung eine Steuerfestsetzung und damit eine Verkürzung – oder lediglich ein Versuch bis zur Zustimmung durch die Finanzbehörde – vorliegt.2106 Die Frage, ob eine Steuerverkürzung vorliegt, ist nach § 370 Abs. 4 AO durch den Vergleich der Soll-Steuer mit der Ist-Steuer zu beantworten.2107 Es ist daher zu differenzieren: Soweit in diesem Fall die abgegebene Jahreserklärung zutreffenderweise eine Erstattung ausweist, liegt – nach hier vertretener Auffassung – auch in Bezug auf die Unterlassungstat keine Steuerverkürzung vor. Etwaige in den Umsatzsteuervoranmeldungen deklarierte Beträge sind zu berücksichtigen2108 und das Kompensationsverbot findet nach hier vertretener Auffassung in Unterlassungsfällen keine Anwendung.2109 Soweit die abgegebene Jahreserklärung fälschlicherweise eine Erstattung ausweist, weil diese z.B. anders als in den Voranmeldungen (erstmals) einen ungerechtfertigten Vorsteuerabzug nach § 15 UStG vornimmt, liegt hierin ein eigenständiges Unrecht und die falsche Jahreserklärung stellt keine mitbestrafte Nachtat in Bezug auf die unterlassene Jahreserklärung dar. Sofern auch hinsichtlich der unterlassenen Jahreserklärung eine Steuerverkürzung vorliegt, stehen beide Taten m.E. in Tatmehrheit.

III. Verhältnis von § 26c UStG zu § 370 AO 1. Konkurrenzverhältnis § 26c UStG zu § 370 AO (allgemein) Sofern man der in dieser Arbeit vertretenen Meinung2110 ist, dass § 26c UStG jedenfalls hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen nicht die Anmeldung der nicht entrichteten Steuer zur Voraussetzung hat, können sich insoweit die Anwendungsbereiche von § 26c UStG und § 370 AO überschneiden. Es stellt sich daher die Frage nach dem Kon­ kurrenzverhältnis, wozu unterschiedliche Ansichten in der Literatur vertreten werden. Konkurrenzschwierigkeiten tauchen ebenfalls in der

2106 Siehe S. 40. 2107 Siehe S. 35 f.  2108 Siehe S. 89 ff. 2109 Siehe S. 76 f. 2110 Siehe S. 315 f.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Konstellation auf, dass die Jahresumsatzsteuer sowohl nicht entrichtet als auch der Höhe nach unrichtig angemeldet wurde.2111 Jäger2112 zufolge ist aufgrund der Subsidiarität des § 26c UStG lediglich § 370 AO anwendbar, sofern die Tatbestandsvoraussetzungen des § 370 AO erfüllt sind. Er begründet dies mit der Gesetzeshistorie, da die Einführung des § 26c UStG die Schließung der Regelungslücke als Zweck verfolgte, dass ordnungsgemäß erklärte Umsatzsteuer dennoch nicht abgeführt wird.2113 Auch Schmitz/Wulf2114 sprechen sich für eine Subsidiarität des § 26c UStG im Verhältnis zu § 370 AO aus. Nach Stahl2115 ist eine Konsumtion von § 370 AO in Bezug auf § 26c UStG gegeben. Auch Gehm2116 spricht sich dafür aus, dass § 26c UStG von § 370 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 Nr. 5 AO konsumiert wird. Er begründet seine Auffassung mit dem Umstand, dass beide Straftatbestände verwirklicht worden sind: So seien die Voraussetzungen des § 26c UStG mit dem Verstreichenlassen der Zahlungsfrist nach § 18 Abs. 1 S. 4 UStG erfüllt; diejenigen des § 370 AO mit der fehlenden Einreichung der Steuererklärung im Fälligkeitszeitpunkt nach § 18 Abs. 1 S. 1 UStG fällig i.S.d. § 26c UStG, aber nicht hinterzogen. Kaiser/Bangert2117 verneinen – entgegen der Auffassung in dieser Arbeit – eine Konkurrenz zwischen den §§ 26b, 26c UStG und § 370 AO in Fällen, in denen es der hinterzogenen Steuer aufgrund fehlender Anmeldung an ihrer Fälligkeit fehlt. Bei dieser Konstellation liege lediglich eine Strafbarkeit nach § 370 AO vor. Nöhren2118 spricht sich ebenfalls dafür aus, dass § 26c UStG nur einschlägig ist, sofern die Steuer angemeldet worden ist. Sie führt hierzu aus, dass bei keiner oder bei einer unrichtigen Steueranmeldung (lediglich) der Tatbestand des § 370 AO einschlägig ist.

2111 Fahl, wistra 2003, 10, 11; so im Ergebnis auch Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 66; Kemper in Wannemacher, Rn. 1202; Rolletschke, Rn. 447. 2112 Jäger in Klein, § 370, Rn. 477, 483. 2113 Jäger in Klein, § 370, Rn. 483; vgl. zum Zweck der Einführung des § 26c UStG: BT-Drs. 14/7471 v. 23.11.2001, S. 8. 2114 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 542. 2115 Stahl, Rn. 55.  2116 Gehm, S. 167 f. 2117 Kaiser/Bangert in Offerhaus/Söhn/Lange, § 26c, Rn. 44.  2118 Nöhren, S. 68 f.

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C. Konkurrenzen

Fahl2119 und ihm folgend auch Kemper2120, Roth2121 und Rolletschke2122 differenzieren – mit der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung – zwischen der Umsatzsteuervoranmeldung und der Umsatzsteuerjahreserklärung: So folge hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldung aus § 18 Abs. 1 S. 3 UStG, dass diese am 10. Tag nach Ablauf des Voranmeldezeitraums fällig wird, sodass im Fall der Abgabe keiner oder einer unrichtigen Erklärung sowohl die §§ 26b, 26c UStG als auch eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO verwirklicht sind.2123 Diese Taten stehen nach Ansicht von Rolletschke2124 in Tatmehrheit zueinander. Für die Umsatzsteuerjahreserklärung gelte hingegen, dass sich keine Strafbarkeit nach den §§ 26b, 26c UStG ergibt, sofern überhaupt keine Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben wird.2125 Dies resultiere aus dem Umstand, dass nach § 18 Abs. 4 S. 1 UStG die Fälligkeit einer potenziellen weiteren Steuerschuld nach Ablauf von einem Monat ab Einreichung der Steueranmeldung eintritt, sodass die §§ 26b, 26c UStG mangels Steueranmeldung gar nicht vorliegen können. Es liege nur eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO vor. Dies gelte auch für die Fälle, in denen eine unrichtige Umsatzsteuerjahreserklärung abgegeben wird, da in Bezug auf den nicht erklärten Überschuss der Eintritt der Fälligkeit gar nicht möglich und hinsichtlich des angemeldeten Betrags keine Hinterziehung gegeben sei.2126 Anders ausgedrückt ist der nach § 370 AO hinterzogene Betrag nicht fällig i.S.d. § 26c UStG. Der angemeldete Betrag hingegen ist zwar fällig i.S.d. § 26c UStG, aber nicht hinterzogen nach § 370 AO.2127 In diesen Fällen liege dann Tatmehrheit vor2128, da verschiedene

2119 Fahl, wistra 2003, 10, 11; Nöhren, S. 68, Fn. 184 konstatiert in diesem Zusammenhang zutreffend, dass Fahl mit keiner seiner angeführten Lösungsmöglichkeiten zufrieden ist. 2120 Kemper in Wannemacher, Rn. 1202 ff. 2121 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 65 ff. 2122 Rolletschke, Rn. 446 ff. 2123 Fahl, wistra 2003, 10, 11; im Ergebnis für den Fall des Vorliegens einer Steuer­ anmeldung auch Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 68; Kemper in Wannemacher, Rn. 1203; Rolletschke, Rn. 448. 2124 Rolletschke, Rn. 448. 2125 Fahl, wistra 2003, 10, 11; so auch Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 66; Kemper in Wannemacher, Rn. 1202; Rolletschke, Rn. 446. 2126 Fahl, wistra 2003, 10, 11; so auch Rolletschke, Rn. 447; Kemper in Wanne­ macher, Rn. 1202. 2127 Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 66. 2128 So im Ergebnis Fahl, wistra 2003, 10, 11; Roth in Rolletschke/Kemper, § 26c UStG, Rn. 66; Kemper in Wannemacher, Rn. 1202; Rolletschke, Rn. 447.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Steuerbeträge einer Steuerart betroffen sind, die aber prozessual eine Tat bilden, da der gleiche Steueranspruch verletzt sei.2129 Gaede2130 ist in den Ergebnissen der vorgenannten Ansicht ähnlich, unterscheidet jedoch nur, ob die Umsatzsteuer angemeldet wurde oder nicht. Sofern keine Umsatzsteueranmeldung erfolgt, soll – entgegen der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung – lediglich § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und nicht zusätzlich § 26c UStG verwirklicht sein. Ist es jedoch zur Anmeldung einer zu geringen Umsatzsteuer und infolgedessen zu einer Steuerverkürzung gekommen, liege eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vor. Im Fall der zusätzlichen Nichtzahlung der Umsatzsteuer sei daneben auch eine Strafbarkeit nach § 26c UStG gegeben. Sofern dies der Fall ist, liege Tatmehrheit zwischen § 370 AO und § 26c UStG vor, weil die in beiden Tatbeständen beinhalteten strafbewehrten Handlungen verschiedene Angriffe auf das Rechtsgut Steueraufkommen bedeuten. Nach Bülte2131 soll hingegen Tateinheit zwischen § 370 AO und § 26c UStG vorliegen, sofern es sich nicht um einen Fall des § 370 Abs. 3 Nr. 5 AO handelt. Fahl2132 tendiert, für den inzwischen abgeschafften § 370a AO (gleiches dürfe für § 370 AO gelten) im Verhältnis zu § 26c UStG, bei Überschneidungen ebenfalls zur Annahme von Idealkonkurrenz. Hierfür soll es – nach Fahl – unter Berufung auf den BGH2133 ausreichen, „dass mehrere im Wesentlichen gleichartige Verhaltensweisen von einem einheitlichen Willen getragen werden“ und das Geschehen „bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches [zusammengehörendes] Tun erscheint“. Schüler-Täsch2134 sieht § 26c UStG lediglich in den Fällen als erfüllt an, in denen § 370 AO nicht einschlägig ist. Dies betrifft die Konstellationen der Steueranmeldung, da bei falscher oder fehlender Anmeldung eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gegeben ist. Ransiek2135 äußert sich nicht eindeutig zu der von ihm präferierten Ansicht. So führt er einmal an, dass es sich vor dem Hintergrund des Tatbestandsmerkmals der Nichtentrichtung der Umsatzsteuer in beiden Vor2129 BGH v. 02.12.1997 - 5 StR 404/97, wistra 1998, 152. 2130 Gaede in Flore/Tsambikakis, § 26b UStG, Rn. 42. 2131 Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 26c UStG, Rn. 42. 2132 Fahl, wistra 2003, 10, 13. 2133 BGH v. 23.01.1957 - 2 StR 565/56, BGHSt 10, 230; v. 19.11.1997 - 3 StR 574/97, BGHSt 43, 312.  2134 Schüler-Täsch in Sölch/Ringleb, § 26c, Rn. 5; so auch Wilhelm, UR 2005, 474. 2135 Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 889.

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C. Konkurrenzen

schriften, bei den §§ 26b, 26c UStG im Verhältnis zu § 370 AO, um eine mitbestrafte Nachtat handelt. Andererseits sei für ihn plausibel aus Gründen der Klarstellung keine verdrängende Wirkung von § 370 AO anzunehmen und stattdessen Tatmehrheit oder Tateinheit zu bejahen. Bei Überschneidungen sollen nach Grieser2136 § 370 AO und § 26c UStG nebeneinander verwirklicht sein und zueinander in Tatmehrheit stehen, da die erhöhte kriminelle Energie durch die Begehung von zwei Steuerhinterziehungen auch in der Strafe zum Ausdruck kommen muss. Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung2137 ist es hinsichtlich der Umsatzsteuervor­auszahlungen für das Vorliegen von § 26c UStG nicht erforderlich, dass diese angemeldet werden. Es kommt also zu möglichen Überschneidungen zwischen § 370 AO und § 26c UStG. Wie oben ausgeführt2138, wird das Jahresabschlusssoll im Fall der Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung erst einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig. Im Fall der Nichtabgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung wird das Jahresabschlusssoll (zunächst) nicht fällig und es liegt daher lediglich eine Strafbarkeit nach § 370 AO und keine nach § 26c UStG vor. Wird die Umsatzsteuer aber im Fall der Nichtabgabe durch Bescheid im Wege der Schätzung festgesetzt, ist die Steuer insoweit einen Monat, nachdem der entsprechende Steuerbescheid bekanntgegeben worden ist, fällig. Insoweit kann es also zu Überschneidungen zwischen § 370 AO und § 26c UStG kommen. Mit Fahl2139 und Rolletschke2140 liegt aber in den Fällen Tatmehrheit vor, in denen sich die Delikte nach § 370 AO und nach § 26c UStG auf verschiedene Steuerbeträge beziehen. Beispielhaft sei hier die Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung (nicht der Jahreserklärung)2141 zusammen mit einer Nichtzahlung der Beträge genannt. Für die zu gering angemeldeten Beträge und die nicht gezahlten Beträge sind § 370 AO und § 26c UStG nebeneinander anwendbar, wobei § 26c UStG aber insoweit subsidiär ist. Für den richtig angemeldeten Betrag liegt lediglich § 26c UStG vor, welcher zu § 370 AO für den zu gering angemeldeten 2136 Grieser, S. 182. 2137 Siehe S. 315 f. 2138 Siehe S. 316. 2139 Fahl, wistra 2003, 10, 12. 2140 Rolletschke, Rn. 446 ff. 2141 Wie auf S. 313 f. ausgeführt, werden nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung die Umsatzsteuervorauszahlungen (anders als das Jahresvorauszahlungssoll) kraft Gesetzes nach § 18 Abs. 1 S. 4 UStG mit Ablauf des Fälligkeitstags fällig, ohne dass es der Abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung bedarf.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Betrag m.E. in Tatmehrheit steht, da verschiedene Steuerbeträge betroffen sind. Diese bilden aber prozessual eine Tat, da es sich um den gleichen Steueranspruch handelt.2142 Zudem fehlt es m.E. sowohl im Fall der Nichtabgabe als auch im Fall der Abgabe einer falschen Umsatzsteuer­ voranmeldung an einer für das Vorliegen von Tateinheit erforderlichen Handlungseinheit.2143 Im Fall der Abgabe der falschen Voranmeldung liegt eine Handlung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO vor, während § 26c UStG durch Unterlassen (Nichtzahlung) erfüllt wird. Im Fall der Nichtabgabe der Voranmeldung liegt eine Handlung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO vor, während § 26c UStG durch weiteres bzw. anderes Unterlassen (Nichtzahlung) erfüllt wird. Bei den Überschneidungen zwischen § 370 AO und § 26c UStG – wenn also der gleiche Steuerbetrag betroffen ist – ist m.E. mit der Ansicht von Jäger2144 und Schmitz/Wulf2145 von einer Subsidiarität von § 26c UStG auszugehen, da der Gesetzgeber erkennbar lediglich Strafbarkeitslücken schließen wollte. Insbesondere sollten die Schwierigkeiten des Nach­ weises einer Steuerhinterziehung (auch im subjektiven Tatbestand in Bezug auf das Erklärungsverhalten) vermieden werden, indem durch die Ermittlungsbehörden nur ein überschaubarer Tatbestand (vorsätzliche Nichtzahlung) bewiesen werden muss. Eine Konsumtion scheitert m.E. daran, dass § 26c UStG in den Fällen des § 370 AO regelmäßig bzw. typischerweise mitverwirklicht wird. In bestimmten Konstellationen, wie z.B. bei Umsatzsteuervoranmeldungen, mag dies so sein. Bei der Jahressteuer ist dies aber gerade nicht der Fall. 2. Konkurrenzverhältnis § 26c UStG zu § 370 AO (Selbstanzeigekonstellation) Für den Fall, dass eine wirksame Selbstanzeige nach § 371 AO2146 abgegeben worden ist und man die Anwendbarkeit von § 371 AO auf die Fälle des § 26c UStG verneint, stellt sich die Frage, ob sich das Konkurrenzverhältnis zwischen § 370 AO und § 26c UStG in diesem Fall anders darstellt.

2142 BGH v. 02.12.1997 - 5 StR 404/97, wistra 1998, 152.  2143 A.A. Fahl, wistra 2003, 10, 11, 13, der darauf hinweist, dass das gesamte Tätigwerden für einen Dritten als ein einheitliches, zusammengehöriges Tun erscheine. 2144 Jäger in Klein, § 370, Rn. 483. 2145 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 542. 2146 Zu § 371 AO siehe S. 407 ff. und zur Selbstanzeigemöglichkeit bei Vorliegen der §§ 26b, 26c UStG S. 333 ff.

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C. Konkurrenzen

Nach Jäger2147, dessen Ansicht der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung entspricht, wonach die §§ 26b und c UStG gegenüber der Steuerhinterziehung subsidiär sind,2148 soll die Anwendbarkeit von § 26b (und damit auch § 26c) UStG wieder aufleben, sofern nach § 370 AO aufgrund einer wirksamen Selbstanzeige nicht mehr geahndet werden kann. Zur Begründung führt er an, dass die Bestrafung wegen der Begehung einer Ordnungswidrigkeit in diesen Fällen auch hinsichtlich § 380 AO wieder möglich ist.2149 Stahl2150 als Vertreter der Konsumtion von § 370 AO in Bezug auf § 26c UStG ist der Ansicht, dass sich die Selbstanzeige auf den konsumierten Tatbestand des § 26c UStG bezieht. Sofern verschiedene Steuerbeträge betroffen sind, liegt wie ausgeführt m.E. Tatmehrheit zwischen § 370 AO und § 26c UStG vor und die Frage eines etwaigen Wiederauflebens stellt sich nicht. Sofern – wie im Fall von Umsatzsteuervoranmeldungen – § 26c UStG und § 370 Abs. 1 AO nebeneinander anwendbar sind und § 26c UStG – wie nach hier vertretener Ansicht – subsidiär ist, lebt § 26c UStG m.E. im Fall einer Selbstanzeige nach § 371 AO im Grundsatz wieder auf. Mit Joecks2151 und Ransiek2152 muss man in diesen Fällen aber § 371 AO analog auch auf § 26c UStG anwenden, da § 371 AO im Grundsatz stets auf sämtliche Steuerarten anwendbar ist und der Gesetzgeber bei Schaffung von § 26c UStG hieran nichts ändern wollte. Die Regelungslücke ist wegen der „Hektik“ des Gesetzgebungsverfahrens entstanden.2153 Hierfür spricht auch der Zweck der Selbstanzeige nach § 371 AO2154, dem Staat bislang verheimlichte „Steuerquellen zu erschließen und dem Steuerpflichtigen einen Anreiz zu geben, in die Steuerehrlichkeit zurückzukehren“. Diese Möglichkeit würde dem Steuerpflichtigen – ohne einen entsprechend erkennbaren Willen des Gesetzgebers2155 – genommen, wenn man § 371 AO nicht auch auf § 26c UStG anwenden würde. 2147 Jäger in Klein, § 370, Rn. 477; so auch Tormöhlen in Reiß/Kraeusel/Langer, § 26b, Rn. 17. 2148 Siehe S. 334 f. 2149 Jäger in Klein, § 370, Rn. 477 mit Hinweis auf Jäger/Ebner in Joecks/Jäger/Randt, § 380, Rn. 47, welche allerdings keinen Verweis auf die §§ 26b, 26c UStG nehmen. 2150 Stahl, Rn. 55. 2151 Joecks, wistra 2002, 201, 203.  2152 Ransiek in Kohlmann, § 370 Rn. 890.  2153 So im Ergebnis Joecks, wistra 2002, 201, 203. 2154 BGH v. 20.05.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180. 2155 Mit der Einführung der §§ 26b, c UStG sollten lediglich Strafbarkeitslücken bei Umsatzsteuerkarussellen geschlossen werden, welche zuvor bewusst von Steuerpflichtigen ausgenutzt wurden; vgl. BT-Drs. 25/7471 v. 23.11.2001, S. 8.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

IV. Zwischenergebnis zu Konkurrenzen Eine Umsatzsteuerhinterziehung steht im Verhältnis zu anderen Steuerhinterziehungen grds. in Tatmehrheit (§ 53 StGB). Das gilt auch dann, wenn die Umsatzsteuerklärung zusammen mit anderen ebenfalls unrichtigen Steuererklärungen abgegeben wird. Tateinheit liegt auch dann nicht vor, sofern verschiedene Steuererklärungen im äußeren Vorgang (z.B. Abgabe zum selben Zeitpunkt) zusammenfallen, welche teilweise deckungsgleiche falsche Angaben beinhalten. Im Fall einer Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Unterlassen besteht stets Tatmehrheit zwischen der Umsatzsteuerhinterziehung und den anderen Steuerhinterziehungen. Mehrere Unrichtigkeiten innerhalb derselben Steueranmeldung sind Teile ein und derselben Tat im materiellen Sinne. Zum Verhältnis zwischen den Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung in Bezug auf denselben Besteuerungszeitraum wurde festgestellt, dass es sich bei der Hinterziehung betreffend eine Umsatzsteuervoranmeldung um eine mitbestrafte Vortat handelt, da die Umsatzsteuervoranmeldung lediglich ein Durchgangsstadium zur Umsatzsteuerhinterziehung auf Dauer durch die Umsatzsteuerjahreserklärung darstellt. Dies jedenfalls dann, wenn – wie im Regelfall – in der Jahreserklärung nur die falschen Angaben aus den Voranmeldungen wiederholt bzw. Angaben unterlassen werden und keine weitere Steuerverkürzung eintritt. Sofern die Umsatzsteuerjahreserklärung zwar fristgerecht abgegeben wurde, aber falsche Angaben enthält und zuvor keine Umsatzsteuervoranmeldungen eingereicht wurden, muss unterschieden werden, ob es sich wertungsmäßig lediglich um eine Wiederholung der falschen bzw. wiederholtes Verschweigen der in Umsatzsteuervoranmeldungen getätigten bzw. unterlassenen Angaben in der Jahreserklärung (z.B. durch Verschweigen von steuerpflichtigen Umsätzen) oder um zusätzliche unrichtige Angaben (z.B. durch Geltendmachung von Vorsteuern aus Scheinrechnungen) – also eine Unrechtsvertiefung – handelt. Im ersten Fall stellen die Taten durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen mitbestrafte Vortaten in Bezug auf die abgegebene Umsatzsteuerjahreserklärung dar. Im zweiten Fall handelt es sich – zumindest wertungsmäßig wegen des weiteren Entschlusses, Unrecht zu begehen – um zusätzliche unrichtige Angaben. In diesem Fall stehen die Taten der Nichtabgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen in Bezug auf die falsche Umsatzsteuerjahreserklärung in Tatmehrheit nach § 53 StGB. 390

C. Konkurrenzen

Zur Fallkonstellation, dass die Umsatzsteuerjahreserklärung zunächst nicht abgegeben und nachträglich eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben wird, wurde festgestellt, dass in diesen Fällen zwei Steuerhinterziehungen vorliegen, welche zueinander grds. in Tatmehrheit stehen. Hinsichtlich beider Taten ist nach § 370 Abs. 4 AO jeweils die Ist-Steuer mit der Soll-Steuer zu vergleichen. Hierbei ist bei der zweiten Tat der Verkürzungserfolg durch die erste (Unterlassens-)Tat nicht zu berücksichtigen. Sodann sind die Verkürzungserfolge der beiden Taten zu vergleichen. Sofern keine Schadensvertiefung eintritt, ist dies auf der Ebene der Konkurrenzen zu berücksichtigen und die zweite Tat stellt – bei Deckungsgleichheit – eine mitbestrafte Nachtat dar. Eine Schadensvertiefung ist in diesem Zusammenhang nur gegeben, wenn zu Unrecht eine Erstattung geltend gemacht wird. Aus der Untersuchung des Konkurrenzverhältnisses des § 26c UStG und des § 370 AO zueinander ergibt sich (nach der in dieser Arbeit vertretenen Meinung zu § 26c UStG), dass jedenfalls bei Umsatzsteuervoranmeldungen nicht die Anmeldung der nicht entrichteten Steuer für die Anwendung von § 26c UStG erforderlich ist. Daher können sich insoweit die Anwendungsbereiche von § 26c UStG und § 370 AO überschneiden. Das Jahresabschlusssoll wird hingegen nur im Fall der Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung einen Monat nach Eingang der Steueranmeldung fällig. In Bezug auf die Jahreserklärung bestehen Konkurrenzschwierigkeiten daher nur in der Konstellation, dass die Jahresumsatzsteuer sowohl nicht entrichtet als auch der Höhe nach unrichtig angemeldet wurde. Tatmehrheit liegt in den Fällen vor, in denen sich die Delikte nach § 370 AO und nach § 26c UStG auf verschiedene Steuerbeträge beziehen. § 26c UStG hinsichtlich eines richtig angemeldeten, aber nicht gezahlten Betrags steht mithin zu § 370 AO hinsichtlich des zu gering angemeldeten Betrags in Tatmehrheit, da verschiedene Steuerbeträge betroffen sind. Bei den Überschneidungen – wenn also der gleiche Steuerbetrag betroffen ist – ist zwischen § 370 AO und § 26c UStG von einer Subsidiarität des § 26c UStG auszugehen. Sofern – wie im Fall von Hinterziehungen im Zusammenhang mit Umsatzsteuervoranmeldungen – § 26c UStG und § 370 Abs. 1 AO nebenei­ nander anwendbar sind und § 26c UStG – wie nach hier vertretener Ansicht – subsidiär ist, lebt § 26c UStG im Fall einer Selbstanzeige nach § 371 AO im Grundsatz wieder auf. In diesem Fall ist aber § 371 AO analog auch auf § 26c UStG anzuwenden.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

D. Prozessuale Tat I. Tatbegriff nach § 264 StPO Der prozessuale Tatbegriff ist in § 264 StPO geregelt und grds. unabhängig vom materiellen Tatbegriff.2156 Nach § 264 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Unter Tat i.S.d. Vorschrift versteht man den „vom Eröffnungsbeschluss betroffenen Vorgang einschließlich aller damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse, die geeignet sind, das in diesen Bereich fallende Tun des Angeklagten unter irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt als strafbar erscheinen zu lassen“.2157 Ebenso wie im Rahmen der Diskussion um den materiellen Tatbegriff2158, möchten einige Literaturstimmen2159 auch den prozessualen Tatbegriff enger fassen und einzelne unrichtige Besteuerungsgrundlagen als eigene prozessuale Tat ansehen.2160 Der Begriff der prozessualen Tat ist in mehrfacher Hinsicht relevant: So erlangt dieser Bedeutung bei der Verfolgungskompetenz der Finanz­ behörden nach § 386 Abs. 2 AO, für das in § 393 AO normierte Auskunftsverweigerungsrecht des Steuerpflichtigen2161, die Verjährungsunterbrechung2162, die Rechtshängigkeit der Anklage2163 sowie für den Strafklageverbrauch, sofern es zu einer rechtskräftigen Entscheidung gekommen ist2164, und schließlich für die in § 78c StGB i.V.m. § 171 Abs. 5 AO geregelte Verjährung. Speziell im Rahmen der Steuerhinterziehung kommt diesem Begriff Relevanz bei der Selbstanzeige zu2165, da das LG Stuttgart2166 der Auffassung ist, die in § 371 Abs. 2 AO normierten Ausschlussgründe beziehen sich auf die prozessuale Tat. 2156 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385, Rn. 1315. 2157 BGH v. 02.12.1997 - 5 StR 404/97, wistra 1998, 152, 153.  2158 Siehe S. 365 f.  2159 Radermacher, AO-StB 2011, 58 sowie AO-StB 2011, 88. 2160 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385, Rn. 1319 f. 2161 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385, Rn. 1317; siehe auch Radermacher, AOStB 2011, 58, 62 ff. 2162 Rolletschke/Roth, wistra 2019, 228, 229. 2163 Rolletschke/Roth, wistra 2019, 228, 229. 2164 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 385, Rn. 1316; siehe auch Andrejtschitsch in Wannemacher, Rn. 700 ff. 2165 Siehe S. 407 ff.  2166 LG Stuttgart v. 16.04.1985 - 8 KLs 306/84, wistra 1985, 203 f.; a.A. Hilgers-­ Klautzsch in Kohlmann, § 385, Rn. 1318; LG Verden v. 27.03.1986 - KLs 10 Js 5127/85, wistra 1986, 228 f.; LG Hamburg v. 04.03.1987 - (50) 187/86 Ns, wistra 1988, 317, 318 f.; v. 22.02.1989 - (50) 7/89 Ns, wistra 1989, 238, 239, welche die

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D.  Prozessuale Tat

II. Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zu Umsatzsteuer­ jahreserklärung Nach Ansicht des BGH2167 und der h.L.2168 handelt es sich bei der Abgabe einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung und der Umsatzsteuervoranmeldungen desselben Jahres zutreffenderweise um eine Tat i.S.d. § 264 StPO. Grundsätzlich ist das Vorliegen von Tatmehrheit nach § 53 AO ein Indiz dafür, dass auch mehrere Taten im prozessualen Sinne vorliegen.2169 Dieses Indiz ist jedoch widerlegt, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrundeliegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden wird.2170 Dies nimmt der BGH2171 hinsichtlich der Voranmeldungen und der entsprechenden Jahreserklärung an. Die Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung eines Jahres seien nach dem materiellen Steuerrecht und der strafrechtlichen Bedeutung so eng miteinander verknüpft, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einzelnen Taten nur in der Zusammenschau richtig gewürdigt werden könne. Ein Sonderfall ergibt sich bei der Einfuhrumsatzsteuer, da dort eine Zäsur besteht: Hier liegen zwei prozessuale Taten vor, wenn nach zunächst erfolgter Einfuhr­ umsatzsteuerhinterziehung aus dem folgenden Weiterverkauf Umsatzsteuer hinterzogen wird.2172

Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO auf die materiell-rechtliche Tat beziehen wollen. 2167 BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66; v. 12.01.2005 - 5 StR 271/04, wistra 2005, 145, 147; v. 17.03.2005 - 5 StR 328/04, NStZ 2005, 517; v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982. 2168 Madauß, NZWiSt 2015, 23; Meyer in Beermann/Gosch, § 370 AO, Rn. 133; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO, Rn. 444; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 555; Wagner in Simon/Wagner, S. 35; Webel, PStR 2008, 109, 112 f.; Nöhren, S. 100. 2169 BGH v. 07.09.2016 - 1 StR 422/15, NZWiSt 2017, 74.  2170 BGH v. 11.09.2007 - 5 StR 213/07, wistra 2008, 22, 25; v. 07.09.2016 - 1 StR 422/15, NZWiSt 2017, 74. 2171 BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66, 67. 2172 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, wistra 2014, 25, 26 f.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Dieser Tatbegriff nach § 264 AO hinsichtlich des Verhältnisses von Voranmeldungen und Jahreserklärung hat unter anderem zur Folge, dass mit der Verurteilung bezüglich einer Umsatzsteuervoranmeldung alle Voranmeldungen und die Jahresanmeldung dieses Jahres mit­­abgeurteilt sind. Mithin tritt Strafklageverbrauch für die Umsatzsteuerjahreserklärung und alle weiteren Umsatzsteuervoranmeldungen desselben Jahres ein, wenn der Steuerpflichtige für eine falsche Umsatzsteuervoranmeldung verurteilt wird.2173 Ferner kann – nach einem Hinweis auf § 265 StPO – ggf. auf eine unterlassene oder unrichtige Voranmeldung zurückgegriffen werden, sofern sich im Verfahren betreffend die Jahreserklärung herausstellt, dass wegen der Jahreserklärung keine Möglichkeit zur Verurteilung besteht und darüber hinaus die Voranmeldungen keinen Niederschlag in der Anklageschrift gefunden haben.2174

E. Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehung Der BGH-Rechtsprechung folgend geschieht die Strafzumessung generell in drei Stufen.2175 Auf Stufe 1 (Strafrahmen) ist der im konkreten Einzelfall anzuwendende Strafrahmen zu bestimmen. Auf Stufe 2 (Spielraum) findet nach der sog. Spielraumtheorie2176 innerhalb der äußeren Grenzen des Strafrahmens der Stufe 1 die Bestimmung des im konkreten Einzelfall bestehenden „Spielraum[s]“ statt.2177 Schließlich ist vom Tatgericht auf einer dritten Stufe (Strafzumessung i.e.S.) anhand von für und gegen den Täter sprechenden Strafzumessungstatsachen die konkrete Strafe festzusetzen.

I. Strafrahmenbestimmung Der Strafrahmen ergibt sich aus den Strafvorschriften des § 370 Abs. 1 AO und des § 26c UStG, welche jeweils eine Spanne von Geldstrafe auf der einen Seite bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren auf der anderen Seite vorsehen.

2173 Siehe auch Webel, PStR 2008, 109, 113. 2174 Webel, PStR 2008, 109, 113; siehe auch BGH v. 24.11.2004 - 5 StR 206/04, wistra 2005, 66, 67; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 555. 2175 Schauf, Kohlmann, § 370, Rn. 1026. 2176 BGH v. 24.06.1954 - 4 StR 893/53, NJW 1954, 1416; v. 07.11.2007 - 1 StR 164/07, wistra 2008, 58, 59; v. 07.02.2012 - 1 StR 525/11, StV 2012, 473, 475; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1005. 2177 BGH v. 07.02.2012 - 1 StR 525/11, StV 2012, 473, 475.

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E.  Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehung

Für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung sieht § 370 Abs. 3 AO2178 einen erhöhten Strafrahmen vor, der von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reicht. Nach § 49 StGB besteht die Möglichkeit, die Strafrahmengrenzen nach unten zu verschieben, wobei einzelne Vorschriften des StGB auf § 49 StGB verweisen. Sofern eine Tat lediglich versucht wird, bestimmt § 23 Abs. 2 StGB, dass die Strafe nach § 49 Abs. 1 StGB milder ausfallen kann. Es findet also eine – in das Ermessen des Tatgerichts gestellte – Strafrahmenverschiebung statt (fakultative Strafmilderung). Wie ausgeführt2179, ist z.B. bei einer berechneten Steuer von 0,00 € die Steuerhinterziehung bereits mit Einreichung der Steuererklärung vollendet. Hingegen würde im gleichen Fall bei Anmeldung einer Erstattung (z.B. von 1,00 €), also bei noch „unrichtigeren“ Angaben bzw. „größerem Unrecht“ bzw. „besonders dreistem Vorgehen“2180, nur eine versuchte Steuerhinterziehung vorliegen.2181 Richtigerweise muss in diesen Fällen im Rahmen der Strafzumessung eine fakultative Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 StGB im Einzelfall unterbleiben, um gerechte Ergebnisse herbeizuführen.2182 Im Fall einer Strafbarkeit wegen Beihilfe bestimmt § 27 Abs. 2 S. 2 StGB, dass die Strafe zwingend zu mildern ist. Es findet also eine Strafrahmenverschiebung statt (obligatorische Strafmilderung). Nach der Rechtsprechung des BGH „kann ein Tatgericht den Umstand, dass eine nur als Gehilfe strafbare Person Tatherrschaft hatte, im Rahmen des nach erfolgter Strafrahmenverschiebung nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB eröffneten Strafrahmens erheblich strafschärfend werten“.2183

II. Spielraum bei der Strafzumessung Entsprechend der Rechtsprechung des BGH sind die Tatgerichte bei der Bemessung der Strafe (Einzelstrafe) nicht völlig frei, sondern müssen sich bei einer Bewertung der einzelnen Taten an die gesetzgeberischen Wertungen halten, die insbesondere in den Regelbeispielen einen besonderen 2178 Siehe S. 169 ff. 2179 Siehe S. 40 f. 2180 Stahl, NZWiSt 2016, 442.  2181 BGH v. 19.03.2013 - 1 StR 318/12, wistra 2013, 463, 468; v. 23.07.2014 - 1 StR 196/14, wistra 2014, 486, 487 f. 2182 BGH v. 06.04.2016 - 1 StR 431/15, NZWiSt 2016, 441; Jäger in Klein, § 370, Rn. 196. 2183 BGH v. 09.04.2013 - 1 StR 586/12, NJW 2013, 2449, 2452. 

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Unrechtsgehalt ausdrücken. In diesen Fällen des § 370 Abs. 3 AO liegt mithin bereits die Untergrenze des Strafrahmens im Freiheitsstrafenbereich (sechs Monate Mindestfreiheitsstrafe). Allgemein ist für die Strafzumessung nach § 46 Abs. 1 StGB die persönliche Schuld des Täters maßgebend. Selbst das Vorliegen eines der o.g. Regelbeispiele hat – wie oben ausgeführt2184 – lediglich Indizcharakter dafür, dass ein besonders schwerer Fall besteht. Diese Indizwirkung kann im Einzelfall widerlegt werden.2185 Nach § 46 Abs. 2 StGB sind im Rahmen einer Gesamtwürdigung die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Um eine möglichst einheitliche Strafzumessung durch die Instanzgerichte zu ermöglichen, hat der BGH in jüngerer Zeit versucht Leitlinien für die Strafzumessung anhand von Hinterziehungsvolumina festzulegen und die Höhe der verkürzten Steuern als bestimmenden Strafzumessungsgrund angesehen.2186 Dabei hat der BGH aber stets betont, dass dies nur Indizien sind und die Strafzumessung nach § 46 Abs. 2 StGB nicht schematisch anhand der Hinterziehungsvolumina erfolgen darf. Auch bei der Bemessung der Gesamtstrafe ist die gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, nach der die Regelbeispiele einen besonderen Unrechtsgehalt ausdrücken.2187 Hierbei muss die Gesamtstrafe höher sein als die höchste Einzelstrafe (sog. Einsatzstrafe), darf aber die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen (§ 54 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 StGB). Sofern bei einer der angeklagten Taten eine Steuerhinterziehung in einem großen Ausmaß vorliegt, hat dies nach der BGH-Rechtsprechung für die festzulegende Höhe der Gesamtstrafe folgende Indizwirkung: (1) „Jedenfalls bei einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag wird die Verhängung einer Geldstrafe nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen noch schuldangemessen sein“.2188 Möglicherweise wird der BGH hier nach seiner Entscheidung vom 27.10.20152189 ebenfalls von 50.000,00 € ausgehen.2190 Ist keine der angeklagten Taten eine besonders schwere Steuerhinterziehung, übersteigt aber die Summe der hinterzogenen Beträge 50.000,00 €, entfällt die Indizwirkung.2191 (2) „Bei Hinterziehungs2184 Siehe S. 178. 2185 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, NJW 2009, 528, 532 f.; v. 05.05.2011 - 1 StR 116/11, wistra 2011, 347; v. 12.07.2011 - 1 StR 81/11, wistra 2011, 396.  2186 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, NJW 2009, 528, 532. 2187 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1089. 2188 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, NJW 2009, 528, 532. 2189 BGH v. 27.10.2015 - 1 StR 373/15, NZWiSt 2016, 102, siehe S. 172. 2190 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.3 a.E. 2191 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 504; Gehm, S. 288.

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E.  Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehung

beträgen in Millionenhöhe kommt eine aussetzungsfähige Freiheits­strafe [= Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren] nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht“.2192 Abzustellen ist hier – anders als bei der Prüfung, ob ein großes Ausmaß nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO vorliegt – auf die Summe der Hinterziehungsbeträge aller angeklagten Taten.2193 Innerhalb der o.g. Vorgaben (Bemessung der Einzelstrafe und Bemessung der Gesamtstraffe) hat das Tatgericht sodann die konkrete Strafe unter Beachtung von § 46 StGB festzusetzen.2194

III. Umsatzsteuerliche Besonderheiten Bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer erfolgt die Strafzumessung nach den allgemeinen Grundsätzen des § 46 StGB, bei denen insbesondere die „verschuldeten Auswirkungen“ der Tat, also der Steuerschaden, von Bedeutung sind. Daneben sind auf der Strafzumessungsebene einige typische Besonderheiten zu berücksichtigen, deren Auswirkungen nachfolgend untersucht werden sollen. 1. Kompensationsverbot Bei der Strafzumessung im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung werden die dem Kompensationsverbot2195 unterfallenden steuerreduzierenden Gegebenheiten, die ja bei der Bemessung der Höhe der Steuerverkürzung nach § 370 Abs. 4 S. 3 nicht berücksichtigt werden, strafmildernd – bei den verschuldeten Auswirkungen der Tat nach § 346 Abs. 2 S. 2 StGB – berücksichtigt.2196 2. Hinterziehung auf Zeit Darüber hinaus wird gerade die Umsatzsteuer – häufiger als andere Steuerarten – oft nur auf Zeit und nicht auf Dauer hinterzogen. Zwar ist in beiden Fällen der Taterfolg identisch, da jeweils eine Verkürzung des no2192 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, NJW 2009, 528, 532; v. 07.02.20012 - 1 StR 525/11, StV 2012, 473, 475. 2193 BGH v. 02.12.2008 - 1 StR 416/08, NJW 2009, 528, 532; v. 22.05.2012 - 1 StR 103/12, wistra 2012, 350, 353, Rn. 37; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 508; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.6 a.E. 2194 Zu den einzelnen Strafzumessungstatsachen siehe Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029 ff. 2195 Siehe S. 47 ff. 2196 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 170.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

minellen Steuerbetrags entsteht.2197 Jedoch unterscheiden sich die beiden Konstellationen in der Qualität des Rechtsgutsangriffs, was auch bei der Strafzumessung Berücksichtigung findet.2198 Seit der Änderung der Rechtsprechung durch das Urteil des BGH vom 17.03.20092199 ist für die Ermittlung des Hinterziehungsbetrags nicht mehr maßgeblich, ob es sich um eine Steuerhinterziehung auf Zeit oder eine Steuerhinterziehung auf Dauer handelt. Maßgeblich ist nunmehr stets der Nominalbetrag der verkürzten Steuern.2200 Bei der Abgrenzung der Steuerhinterziehung auf Zeit von der Steuerhinterziehung auf Dauer komme es darauf an, ob der Täter bei Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldungen vorhatte, sich einen Steuervorteil von Dauer zu verschaffen.2201 Ob eine Hinterziehung auf Zeit oder auf Dauer vorliegt, ist daher – nach der o.g. Rechtsprechung des BGH und auch der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht2202 – erst bei der Strafzumessung von Bedeutung.2203 Welcher Schaden bei der Hinterziehung auf Zeit maßgeblich ist, ist umstritten. Von der herrschenden Lehre2204 wird vertreten, dass (stets) der Verspätungsschaden zugrunde zu legen ist. Dieser setzt sich zusammen aus Verkürzungsbetrag, Verzögerungsdauer und den monatlichen Verzugszinsen, für welche die §§ 235, 238 AO herangezogen werden. Müller2205 sieht hier sogar eine „aus dem Gesetz heraus […] erforderliche Strafmilderung“, da der Tatbestand des § 370 AO als Tathandlung die dauerhafte Hinterziehung von Veranlagungssteuern beschreibe, sodass eine Steuerhinterziehung auf Zeit zwangsläufig zu einer Strafmilderung führen müsse, weil in diesen Fällen ein erheblich geringerer Schuldvorwurf im Raume stehe. Rübenstahl2206 führt zur Begründung dieser Ansicht an, 2197 Rolletschke, NZWiSt 2012, 18, 21; im Ergebnis auch Jäger in Klein, § 370, Rn. 387; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11; Welnhofer-Zeitler in Wannemacher, Rn. 1461; siehe S. 85 f. 2198 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982; so auch Rolletschke, NZWiSt 2012, 18, 21. 2199 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979. 2200 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11. 2201 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982 f. 2202 Siehe S. 89. 2203 So im Ergebnis Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11. 2204 Müller, AO-StB 2008, 80, 85; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11; Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 75; Rolletschke, NZWiSt 2012, 18, 21; Rübenstahl in Flore/Tsambikakis, § 46 StGB, Rn. 133; siehe auch Webel, PStR 2008, 109 f.; Wulf, Stbg 2011, 445, 448; so im Ergebnis auch Kemper in Wannemacher, Rn. 1112. 2205 Müller, AO-StB 2008, 80, 85. 2206 Rübenstahl in Flore/Tsambikakis, § 46 StGB, Rn. 133.

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E.  Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehung

dass es sich bei der Steuerhinterziehung auf Zeit um einen „Schaden […] anderer Art“2207 handelt und die endgültige Steuerverkürzung erst durch die Einreichung der unrichtigen Umsatzsteuerjahreserklärung bzw. durch die fehlende Abgabe einer Jahreserklärung herbeigeführt wird. Die verschuldeten Auswirkungen der Tat bzw. der Steuerschaden i.S.d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB2208 wird hierbei regelmäßig dem Nominalbetrag der Steuern entsprechen. Allein der Umstand, dass neben den Voranmeldungen noch die Abgabe einer Jahreserklärung vorgesehen ist, rechtfertigt nicht im Grundsatz die Annahme, der Täter habe die unrichtige Voranmeldung in der Jahreserklärung berichtigen wollen. Nur bei objektiven Anhaltspunkten, die auf eine lediglich beabsichtigte zeitliche Verkürzung hindeuten, ist es gerechtfertigt, im Rahmen der Strafzumessung – neben etwaigen anderen Strafzumessungsgesichtspunkten – nur den Verzögerungsschaden als verschuldete Auswirkung anzusehen. In diesem Fall ist als Verspätungsschaden der Zinsverlust anzusetzen, welcher sich im Grundsatz „nach Maßgabe der Vorschriften über die Hinterziehungszinsen (§§ 235, 238 AO) mit 0,5 % des nicht rechtzeitig festgesetzten Steuerbetrags pro Monat errechnet“2209. Angesichts des ­aktuell niedrigen Zinsniveaus ist gegenwärtig zusammen mit einigen Stimmen in der Literatur2210 dagegen vom jeweiligen Kapitalmarktzins auszugehen. So hat inzwischen auch der BFH Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen ab dem Jahr 2015. Er hat daher mit Beschluss vom 25.04.20182211 im Streitfall Aussetzung der Vollziehung gewährt. 3. Typische Konstellationen der Hinterziehung von Umsatzsteuer auf Zeit Lipsky2212 (im Jahr 2009) und Buse2213 (im Jahr 2010) haben die möglichen Konstellationen auf der Strafzumessungsebene nach der neuen BGH-­ Rechtsprechung aufgelistet. Diese stellen sich – angepasst an die aktuelle

2207 So noch BGH v. 10.12.1991 - 5 StR 536/91, BGHSt 38, 165, 171. 2208 Siehe S. 85 f. 2209 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982; Rolletschke, NZWiSt 2012, 18, 21. Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 498; Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 118; Nöhren, S. 94. 2210 Wagner in Simon/Wagner, S. 98; Rolletschke, DStZ 2001, 671 f. 2211 BFH v. 25.04.2018 - IX B 21/18, NJW 2018, 2349. 2212 Lipsky, PStR 2009, 150, 151.  2213 Buse, UR 2010, 325, 331.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Rechtslage zur Selbstanzeige und um weitere Konstellationen ergänzt – wie folgt dar: Berichtigt der Täter – wie bei der Hinterziehung in Gestalt der Voranmeldung geplant – mit der Jahreserklärung die zunächst hinterzogenen Steuern und liegen sämtliche Voraussetzungen einer wirksamen strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO vor, so stellt sich die Frage einer Strafzumessung nicht. Tritt in diesem Fall trotz Selbstanzeige z.B. wegen des Vorliegens von Sperrgründen oder wegen der Verletzung des Vollständigkeitsgebots keine Strafbefreiung ein und zahlt der Täter die hinterzogenen Steuern nach, so ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Vorsatz nur auf eine Verkürzung auf Zeit gerichtet war und dass der Täter den Schaden wieder gutgemacht hat.2214 Scheitert in diesem Fall die vom Täter ursprünglich beabsichtigte Schadenswiedergutmachung nach wahrheitsgemäßer Umsatzsteuerjahreserklärung aus finanziellen Gründen, liegt eine dauerhafte Steuerverkürzung vor. Im Rahmen der Strafzumessung ist zu berücksichtigen, dass eine spätere Schadenswiedergutmachung beabsichtigt war. Hierbei sind die Wiedergutmachungsabsicht und die finanzielle Möglichkeit nach Auffassung des BGH sorgfältig zu prüfen. Sofern von Anfang an ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung standen, dürfte eine bloße Liquiditätsbeschaffung als Motiv ausscheiden. Berichtigt der Täter die ursprüngliche Hinterziehung durch die Voranmeldungen entgegen seinem ursprünglichen Tatplan nicht durch die Umsatzsteuerjahreserklärung, ist die als Verkürzung „auf Zeit“ geplante Hinterziehung in eine solche „auf Dauer“ übergegangen. Auf der Straf­ zumessungsebene erfolgt keine Korrektur des mit den Voranmeldungen verwirklichten Erfolgsunrechts. Es kann allenfalls die ursprüngliche Schadenswiedergutmachungsabsicht bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden.2215 Kommt es in diesem Zusammenhang aus finanziellen Gründen bei der Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung nicht zu der zunächst geplanten Schadenswiedergutmachung, wirkt sich die anfangs bestehende Absicht zur Wiedergutmachung zwar strafmildernd aus, relativiert sich jedoch aufgrund des Motivs der fehlenden Liquidität wieder.2216 Mit der falschen Jahreserklärung schafft der Täter aber neues 2214 Im Ergebnis auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11, 1359. 2215 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11, 1359. 2216 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1983; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.11, 1359. 

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E.  Strafzumessung bei Umsatzsteuerhinterziehung

Erfolgsunrecht und neues Handlungsunrecht. Wie oben ausgeführt, wird die Fallgestaltung nach der neuen Rechtsprechung des BGH konkurrenzrechtlich dergestalt gelöst, dass die Voranmeldungen mitbestrafte Vortaten darstellen. Sofern der Steuerpflichtige aufgrund eines bereits eingeleiteten Strafverfahrens unter strafrechtlichen Gesichtspunkten nicht mehr zur Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung verpflichtet ist (strafrechtliche Sus­ pen­dierung der Erklärungspflicht)2217 und auch keine Jahreserklärung abgibt, muss hierfür der Grund ermittelt und differenziert werden, ob er eine Steuerhinterziehung auf Dauer begehen oder sich lediglich einen Liquiditätsvorteil verschaffen wollte.2218 4. Berichtigungsmöglichkeiten; Scheingeschäfte; unberechtigter Umsatzsteuerausweis, § 14c Abs. 2 UStG In den Fällen des unrichtigen oder unberechtigten Umsatzsteuerausweises nach § 14c UStG beläuft sich der Steuerschaden auf die nach § 14c Abs. 2 UStG ausgewiesene und geschuldete Umsatzsteuer.2219 Bei der Strafzumessung für die nach § 14c UStG geschuldete Steuer handelt es sich „nicht um eine Steuer minderer Qualität“.2220 Bei der Strafzumessung kann aber zugunsten des Täters gewertet wenn, wenn aus dessen „Sicht der deutsche Staat im Ergebnis höhere Steuereinnahmen erzielte, als ihm bei korrekter Fakturierung und steuerlichen Anmeldung zugestanden hätte“.2221 In Fallgestaltungen mit Scheinrechnungen nach § 14c Abs. 2 UStG2222 wurde oben untersucht, ob das Kompensationsverbot Anwendung findet. Ein Zusammenhang zwischen der nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldeten Steuer des Rechnungsausstellers und der unberechtigt geltend gemachten Vorsteuer des Rechnungsempfängers ergibt sich aus § 14c Abs. 2 S. 3 UStG, wonach die Steuerschuld des Rechnungsausstellers nach § 14c Abs. 2 UStG entfällt, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens durch die Rechnung beseitigt ist. Diese Beseitigung der Gefährdung durch Rechnungskorrektur erfolgt nach § 14c Abs. 3 S. 5 UStG in entsprechender Anwendung von § 17 UStG aber erst für den Besteuerungszeitraum, 2217 Siehe S. 127 f. 2218 BGH v. 10.11.1999 - 5 StR 221/99, wistra 2000, 137, 140; Kemper in Wanne­ macher, Rn. 1115. 2219 Gehm, S. 296. 2220 BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 222.  2221 BGH v. 10.10.2017 - 1 StR 447/14, wistra 2018, 214, 222.  2222 Siehe S. 11 und S. 80 f.

401

5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

in dem die Voraussetzungen vorliegen, und damit nicht rückwirkend; die Frage nach der Anwendung des Kompensationsverbots stellt sich daher nicht.2223 Sofern der Aussteller einer Scheinrechnung die in dieser Rechnung gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt hat, welche der Rechnungsempfänger als Vorsteuer geltend gemacht hat, kann dies strafmildernd zu berücksichtigen sein.2224 Dies jedenfalls dann, wenn der Rechnungsaussteller eine solche Abführung von Anfang an vorhatte und der Rechnungsempfänger dies wusste. „In diesem Fall ist die Tat nicht auf eine dauerhafte Gefährdung des Steueraufkommens gerichtet, sofern die Verwendung von Scheinrechnungen nicht – wie es etwa bei einem Umsatzsteuerkarussell der Fall sein kann – an anderer Stelle zu Steuerverkürzungen führen soll.“2225 Dies entspricht auch dem Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer. Die nominale Steuerverkürzung entsteht in diesem Fall lediglich dadurch, dass die Abführung der Umsatzsteuer und die Erstattung der Vorsteuer steuerverfahrensrechtlich getrennt sind.2226 5. Treuhandstellung des Unternehmers Ferner ist für die Strafzumessung relevant, dass „der Unternehmer die Umsatzsteuer letztlich nur für den Steuerfiskus verwaltet“.2227 Hinsichtlich der vom Rechnungsempfänger gezahlten Umsatzsteuer für den ­Fiskus agiert der Unternehmer treuhänderisch „wie ein Steuereinsammler“. Daher stellt die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmers bei Empfang der Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger auch keinen Strafmilderungsgrund mit der Begründung dar, dass der Steueranspruch schon bei Tatbegehung wirtschaftlich wertlos war.2228 6. Umsatzsteuerkarussell Darüber hinaus bestehen auch Besonderheiten bei der Strafzumessung in Umsatzsteuerkarussellfällen. Wenn in diesem Fall der jeweilig Beteiligte 2223 Siehe S. 80 f. 2224 BGH v. 20.03.2002 - 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963, 1965 f.; v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036, 3038; v. 19.08.2015 - 1 StR 178/15, wistra 2015, 476, 477; Nöhren, S. 156; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.12; Joecks in Joecks/ Jäger/Randt, § 369, Rn. 147. 2225 BGH v. 20.03.2002 - 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963, 1966.  2226 Schmitz/Wulf in MK-StGB, § 370 AO, Rn. 511.  2227 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, 314. 2228 Vgl. Dörn, wistra 1992, 129, 132; so auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 336. 

402

F.  Ergebnis 5. Teil

Kenntnis über deren Funktionsweise und Struktur hat, bemisst sich seine Strafe am Gesamtschaden im Karussell2229. Somit wird die Kenntnis bei den entsprechenden Beteiligten strafschärfend berücksichtigt.2230 Eine auf das „Scheinrechnungsverhältnis beschränkte Betrachtung“ werde dem Gesamtunrechtsgehalt nicht gerecht.2231 Bei Gehilfen in Umsatzsteuerkarussellen ist bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der von dem Täter „schon verursachte Steuerschaden“ sich durch das Verhalten des Gehilfen in der Regel „nur fortsetzt und sich allenfalls vergrößert.“2232 „Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass das Steueraufkommen nicht in der Summe der beiden Hinterziehungshandlungen gefährdet ist, sondern lediglich im Umfang des jeweils höheren Hinterziehungsbetrages“.2233

F. Ergebnis 5. Teil Es wurde festgestellt, dass sich für die Beurteilung der Hinterziehung von Umsatzsteuer besondere Schwierigkeiten daraus ergeben, dass hier insbesondere zwischen der steuerlichen und der strafrechtlichen Relevanz der Umsatzsteuerjahreserklärung und der etwaigen Umsatzsteuervoranmeldung zu unterscheiden ist: Steuerverfahrensrechtlich nimmt die Jahreserklärung die Umsatzsteuervoranmeldungen in sich auf und es wird nach § 18 Abs. 3 UStG mit der Jahreserklärung nur noch der verbleibende (Rest)Saldo festgesetzt. Eine Umsatzsteuerjahresfestsetzung erledigt mithin die Festsetzungen der Vorauszahlungsbescheide i.S.d. § 124 Abs. 2 AO, ohne diese aufzuheben oder zu ändern. Dem Umsatzsteuerjahresverfahren und dem Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren kommt jeweils strafverfahrensrechtlich eine selbstständige Bedeutung zu.

2229 BGH v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036; v. 11.12.2002 - 5 StR 212/02, wistra 2003, 140, 141; v. 12.10.2016 - 1 StR 210/16, NZWiSt 2018, 103; so auch Bülte in Graf/Jäger/Wittig, § 370 AO, Rn. 340; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 369, Rn. 147; Kemper in Wannemacher, Rn. 1150; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1029.13, 1029.15, 1418; siehe auch Gehm, S. 194; Nöhren, S. 284. 2230 BGH v. 20.03.2002 - 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963, 1966; v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036; Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1418; Nöhren, S. 284 ff. 2231 BGH v. 11.07.2002 - 5 StR 516/01, NJW 2002, 3036; v. 11.12.2002 - 5 StR 212/02, wistra 2003, 140; v. 20.03.2003 - 5 StR 448/01, NJW 2002, 1963. 2232 Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1413; Nöhren, S. 286; BGH v.11.12.2002 - 5 StR 212/02, juris. 2233 BGH v. 11.12.2002 - 5 StR 212/02, wistra 2003, 140, 141; so auch Schauf in Kohlmann, § 370, Rn. 1418.

403

5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Anschließend wurde das Verhältnis von mehreren Umsatzsteuerhinterziehungen zueinander untersucht: Eine Umsatzsteuerhinterziehung steht im Verhältnis zu anderen Steuerhinterziehungen grds. in Tatmehrheit (§ 53 StGB). Tateinheit liegt auch dann in Abgabefällen nicht vor, bei denen verschiedene Steuererklärungen im äußeren Vorgang (z.B. Abgabe zum selben Zeitpunkt) zusammenfallen, welche teilweise deckungsgleiche falsche Angaben beinhalten. Im Fall einer Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Unterlassen besteht stets Tatmehrheit zwischen der Umsatzsteuerhinterziehung und den anderen Steuerhinterziehungen. Danach wurde das Verhältnis zwischen den Umsatzsteuervoranmel­ dungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung in Bezug auf denselben ­Besteuerungszeitraum hinsichtlich der Konkurrenzen untersucht. Die Hinterziehung hinsichtlich einer Umsatzsteuervoranmeldung ist eine mitbestrafte Vortat in Bezug auf die Umsatzsteuerjahreserklärung. Es wurden typische Fallgruppen in Bezug auf die Konkurrenzen im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung untersucht und anhand der vorher gefundenen Ergebnisse rechtlich bewertet. Eine Gesamtzusammenfassung befindet sich am Ende dieser Arbeit. Wird die Umsatzsteuerjahreserklärung zunächst nicht abgegeben und nachträglich eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben, liegen zwei Steuerhinterziehungen vor, welche zueinander grds. in Tatmehrheit stehen. Sofern keine Schadensvertiefung eintritt, ist dies auf der Ebene der Konkurrenzen zu berücksichtigen. Die zweite Tat stellt – bei Deckungsgleichheit – eine mitbestrafte Nachtat dar. Zwischen § 26c UStG und § 370 AO liegt Tatmehrheit in den Fällen vor, in denen sich die Delikte nach § 370 AO und nach § 26c UStG auf verschiedene Steuerbeträge beziehen. § 26c UStG hinsichtlich eines richtig angemeldeten, aber nicht gezahlten Betrags steht mithin zu § 370 AO bezüglich des zu gering angemeldeten Betrags in Tatmehrheit, da verschiedene Steuerbeträge betroffen sind. Bei Überschneidungen – wenn also der gleiche Steuerbetrag betroffen ist – ist zwischen § 370 AO und § 26c UStG von einer Subsidiarität des § 26c UStG auszugehen. Bei der falschen bzw. unterlassenen Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung und falschen bzw. unterlassenen Umsatzsteuervoranmeldungen desselben Jahres handelt es sich um eine Tat i.S.d. § 264 StPO. Die Strafzumessung erfolgt in drei Stufen: Auf Stufe 1 (Strafrahmen) ist der im konkreten Einzelfall anzuwendende Strafrahmen zu bestimmen. 404

F.  Ergebnis 5. Teil

Die Strafrahmen des § 370 Abs. 1 AO und des § 26c UStG sehen jeweils eine Spanne von Geldstrafe auf der einen Seite bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren auf der anderen Seite vor. Für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung sieht § 370 Abs. 3 AO einen erhöhten Strafrahmen vor, der von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe reicht. Auf Stufe 2 (Spielraum) findet nach der sog. Spielraumtheorie innerhalb der äußeren Grenzen des Strafrahmens der Stufe 1 die Bestimmung des im konkreten Einzelfall bestehenden „Spielraums“ bei der Bemessung der Einzelstrafe und auch bei der Bemessung der Gesamtstrafe statt. Nach § 46 Abs. 2 StGB sind dabei im Rahmen einer Gesamtwürdigung die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen. Schließlich ist vom Tatgericht auf einer dritten Stufe (Strafzumessung i.e.S.) anhand von für und gegen den Täter sprechenden Strafzumessungstatsachen die konkrete Strafe unter Beachtung von § 46 StGB festzusetzen. Neben den allgemeinen Grundsätzen des § 46 StGB der Strafzumessung sind bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer auf der Strafzumessungs­ ebene einige typische Besonderheiten zu berücksichtigen: Bei den verschuldeten Auswirkungen der Tat nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB findet das Kompensationsverbot keine Anwendung. Die Umsatzsteuer wird oft nur auf Zeit und nicht auf Dauer hinterzogen. Der Taterfolg sowie der Steuerschaden, welcher regelmäßig dem Nominalbetrag der Steuern entspricht, sind zwar in beiden Fällen identisch. Liegen allerdings objektive Anhaltspunkte vor, die auf eine lediglich beabsichtigte zeitliche Verkürzung hindeuten, ist es gerechtfertigt im Rahmen der Strafzumessung nur den Verzögerungsschaden als verschuldete Auswirkung anzusehen. Es wurden sodann die typischen Konstellationen der Umsatzsteuerhinterziehung auf Zeit und ihre Auswirkungen auf die Strafzumessung untersucht und rechtlich bewertet. In den Fällen des unrichtigen oder unberechtigten Umsatzsteuerausweises nach § 14c UStG beläuft sich der Steuerschaden auf die nach § 14c Abs. 2 UStG ausgewiesene und geschuldete Umsatzsteuer. Sofern der Aussteller einer Scheinrechnung die in dieser Rechnung gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt hat, welche der Rechnungsempfänger als Vorsteuer geltend macht, kann dies strafmildernd zu berücksichtigen sein.

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5. Teil:  Strafverfahrensrechtliche Behandlung der Hinterziehung

Bei der Strafzumessung in Umsatzsteuerkarussellfällen bemisst sich die diesbezügliche Strafe, wenn in diesem Fall der jeweils Beteiligte Kenntnis über dessen Funktionsweise und Struktur hat, am Gesamtschaden im Karussell. Bei Gehilfen in Umsatzsteuerkarussellen ist das Steueraufkommen nicht in der Summe der beiden Hinterziehungshandlungen gefährdet, sondern lediglich im Umfang des jeweils höheren Hinterziehungsbetrags zwischen Gehilfen und Haupttäter.

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6. Teil: Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

A. Allgemeines Im Rahmen der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und gelegentlich auch bei Umsatzsteuerjahreserklärungen ergibt sich insbesondere bei größeren Unternehmen häufig ein Korrekturbedürfnis dieser Anmeldungen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Oft wird z.B. (nachträglich) festgestellt, dass bestimmte Umsatzsteuersachverhalte rechtlich falsch gewürdigt wurden. Hier kann es sich unter anderem um Fehler handeln, die im täglichen Massengeschäft der Umsatzsteuer nun einmal passieren, die dann Eingang in Umsatzsteuervor–anmeldungen finden und schließlich erst im Rahmen der Jahresabschlussarbeiten auffallen. Es handelt sich aber auch nicht selten um Fehler im Zusammenhang mit Auslandssachverhalten oder um Korrekturen, weil z.B. im Rahmen von Organschaftsverhältnissen korrigierte Ergebnisse von (diversen) Organtöchtern beim Organträger einfließen. Der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO ist dann in der Regel gegeben. Die sich dann stellende Frage, wie diese Korrekturen (straf-)rechtlich einzuordnen sind, entscheidet sich im häufig sehr konturenlosen und schwer greifbaren subjektiven Tatbestand2234. Im Folgenden soll im Hinblick auf das Thema der Arbeit nur auf die strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO näher eingegangen werden. Die Betrachtung steuerlicher Korrekturerklärungen nach § 153 AO und bußgeldbefreiender Selbstanzeigen nach § 378 Abs. 3 AO ist nicht Gegenstand dieser Arbeit; sie werden nur insoweit herangezogen, als dies zur Abgrenzung zur strafbefreienden Selbst­ anzeige nach § 371 AO von Belang ist.

I. Rechtliche Einordnung von Korrekturerklärungen Die rechtliche Einordnung einer Korrekturerklärung hängt selbstredend nicht von der Bezeichnung der Erklärung ab. Zur Abgrenzung ist der subjektive Tatbestand entscheidend; d.h. maßgebend ist die Qualität des nacherklärten Sachverhalts. Es ist zu prüfen, ob der objektive Tatbe2234 Siehe S. 136 ff.

407

6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

stand2235 schuldhaft (vorsätzlich bzw. leichtfertig) oder gar schuldlos erfüllt wurde. Dies bedeutet im Einzelnen: War die ursprüngliche Erklärung vorsätzlich unzutreffend bzw. verspätet nach § 370 AO, so ist die Korrekturerklärung als eine strafbefreiende Selbstanzeige nach § 371 AO zu werten. War die ursprüngliche Erklärung „nur“ leichtfertig unzutreffend bzw. verspätet nach § 378 AO, dann ist die Korrekturerklärung als eine bußgeldbefreiende Selbstanzeige nach § 378 Abs. 3 AO zu werten, deren rechtliche Voraussetzungen deutlich geringer sind als die der strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO. War die ursprüngliche Erklärung „lediglich“ fahrlässig oder gar schuldlos unrichtig oder verspätet, so ist die Korrekturerklärung eine schlichte steuerliche Berichtigungserklärung nach § 153 AO2236. Die Abgrenzung zwischen den für die vorliegende Arbeit interessierenden Schuldformen des Eventualvorsatzes und der Leichtfertigkeit erfolgt im Überblick wie folgt:2237 Eventualvorsatz (bedingten Vorsatz)2238 hat der Täter immer dann, wenn er den Eintritt des strafbewehrten Erfolgs (z.B. Steuerverkürzung) für möglich hält und trotzdem handelt („und wenn schon“). In diesem Fall liegt eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vor und der Täter geht nur bei einer vollständigen Selbstanzeige straffrei aus. Der BGH hat seine Rechtsprechung zum Eventualvorsatz vor einiger Zeit verschärft und statuiert Erkundigungspflichten des Steuerpflichtigen „für sein Gewerbe“.2239 „Leichtfertig handelt, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den besonderen Umständen des Falls und seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen verpflichtet und imstande ist, obwohl sich ihm auf-

2235 Siehe S. 112 ff. 2236 Vor dem Hintergrund der BGH-Entscheidung v. 17.03.2009 - 1 StR 479/08, wistra 2009, 312, nach der auch im Fall des Vorliegens von „nur“ bedingtem Vorsatz eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO besteht, kann es allerdings in diesem Bereich zu Überschneidungen zwischen einer Selbstanzeige nach § 371 AO und der Berichtigungserklärung nach § 153 AO kommen. 2237 Vgl. Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 55; Heuel/Beyer, AO-StB, 2013, 140; siehe auch dies., UStB 2011, 288; dies., BBK 2015, 741; Beyer, BB 2016, 987. 2238 Siehe S. 136. 2239 Vgl. BGH v. 08.09.2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, 161.

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A. Allgemeines

drängen musste, dass dadurch eine Steuerverkürzung eintreten wird“.2240 Zusammengefasst wird unter Leichtfertigkeit im strafrechtlichen Sinne eine „an Vorsatz grenzende grobe Fahrlässigkeit“2241 verstanden.2242 Leichtfertigkeit knüpft somit an einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit an.2243 In diesem Fall liegt nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 378 AO (leichtfertige Steuerverkürzung) vor. Sofern zwar eine Steuerhinterziehung vorliegt, diese aber noch nicht vollendet ist, sich das Delikt also noch im Versuchsstadium befindet, unterliegt die Korrekturerklärung nicht den Vorgaben der Selbstanzeige nach § 371 AO, sondern den deutlich weniger restriktiven „Spielregeln“ des Rücktritts vom Versuch nach § 24 StGB, die aber im Gegensatz zur Selbstanzeige nach § 371 AO Freiwilligkeit erfordern.2244 Sofern § 371 AO und § 24 StGB in Konkurrenz zueinander treten, findet die für den Täter günstigste Regelung Anwendung.2245 Die Rücktrittsregeln spielen allerdings im Bereich der Fälligkeitssteuern wie der Umsatzsteuer regelmäßig nur in einem kurzen Zeitfenster eine Rolle, so z.B. bei zustimmungsbedürftigen Anmeldungen nach § 168 S. 2 AO bis zur Erteilung der Zustimmung.2246 Bis zum Ergehen des BGH-Beschlusses vom 20.05.20102247 bzw. der Änderung der Selbstanzeige durch das sog. Schwarzgeldbekämpfungsgesetz2248 war die Abgrenzung zwischen einer strafbefreienden Selbstanzeige, einer bußgeldbefreienden Selbstanzeige und einer (bloßen) steuerlichen Berichtigungserklärung weitgehend bedeutungslos, so dass jedenfalls Straffreiheit eintrat, soweit die in der Nacherklärung aufgeführten Besteuerungsgrundlagen zutreffend waren und die nachzuzahlenden Steuern gezahlt wurden, was insbesondere bei Korrekturen im Bereich der Umsatzsteuer in der Regel der Fall war.2249 Da sich die vorliegende Arbeit ausschließlich mit der (strafbaren) Umsatzsteuerhinterziehung und mithin mit vor2240 BGH v. 08.09.2011 - 1 StR 38/11, NStZ 2012, 160, 161; v. 17.12.2014 - 1 StR 324/14, wistra 2015, 191, 194; Jäger in Klein, § 378, Rn. 20; Heuel in Kohlmann, § 378, Rn. 61. 2241 Siehe Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 378, Rn. 35 unter Hinweis auf die in „unterschiedliche Richtungen“ verlaufende Rechtsprechung. 2242 Jäger in Klein, § 378, Rn. 20. 2243 Krumm in Tipke/Kruse, § 378 AO, Rn. 14. 2244 Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2013, 140, 141; Wenzel, StBW 2011, 657. 2245 Jäger in Klein, § 371, Rn. 6; siehe S. 119. 2246 Vgl. Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 288; Müller, AO-StB 2008, 80; siehe auch S. 155 ff. 2247 BGH v. 20.05.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180. 2248 Siehe S. 412 f. 2249 Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 289.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

sätzlichem Verhalten befasst, wird im Folgenden lediglich die strafbefreiende Selbstanzeige mit dem Schwerpunkt der Umsatzsteuerhinterziehung dargestellt. Da eine Umsatzsteuervoranmeldung nach §§ 150 Abs. 1 S. 3, 168 S. 1 i.V.m. § 18 Abs. 1 S. 1 UStG einer Festsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht2250, ist bereits bei nicht rechtzeitiger oder unrichtiger Abgabe einer Voranmeldung der objektive Tatbestand2251 einer Steuerhinterziehung erfüllt.2252 Bei einer verspätet eingereichten Voranmeldung bzw. Jahreserklärung2253 handelt es sich mithin um eine Selbstanzeige.2254

II. Überblick über die Regelung der Selbstanzeige: §§ 371, 398a AO Durch die in § 371 AO geregelte strafbefreiende Selbstanzeige kann ein Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO Straf­ freiheit erlangen. Nach § 371 Abs. 1 AO wird wegen Steuerstraftaten nach § 370 AO nicht bestraft, wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre (sog. Vollständigkeitsgebot). Es handelt sich um einen persönlichen Strafaufhebungsgrund. Die Selbstanzeige hat insoweit eine Ausnahmestellung inne, als sie die Möglichkeit der Erlangung der rückwirkenden Straffreiheit auch dann noch ermöglicht, wenn die Tat vollendet ist. § 371 Abs. 2a AO sieht für die Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen Ausnahmen von diesem Vollständigkeitsgebot vor und lässt unter gewissen Voraussetzungen wieder eine sog. Teilselbstanzeige zu.

2250 Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 290; Tormöhlen, AO-StB 2014,158, 159. 2251 Eine entsprechende Steuerschuld unter Beachtung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO unterstellt. 2252 Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 290; siehe auch Heuel/Rau, KÖSDI 2012, 17932, 17938; Wulf, Stbg 2014, 64. 2253 Ein in aller Regel vorliegendes Fristversäumnis unterstellt. 2254 OLG Hamburg v. 02.06.1992 - 1 Ss 119/91, wistra 1993, 274, 275; siehe auch Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 290; Heuel/Rau, KÖSDI, 2012, 17932, 17938; Kohler in MK-StGB, § 371 AO, Rn. 72; Ransiek in Kohlmann, § 370, Rn. 417; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 168, 673.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

Sofern die Steuerverkürzung bereits eingetreten ist oder Steuervorteile schon erlangt sind, sieht § 371 Abs. 3 AO als weitere Tatbestandsvoraussetzung vor, dass Strafbefreiung für den an der Tat Beteiligten nur dann eintritt, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet. In § 371 Abs. 2 AO sind umfangreiche Sperrgründe normiert, bei deren Vorliegen die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige nicht mehr möglich ist. Die Möglichkeit einer Selbstanzeige zugunsten Dritter, die sog. Fremd­ anzeige, sieht § 371 Abs. 4 AO vor. § 398a AO eröffnet die Möglichkeit, dass sich der Betroffene durch Zahlung eines Zuschlags „freikaufen“ kann, wenn seine Selbstanzeige nur deswegen unwirksam ist, weil die verkürzte Steuer pro Tat einen Betrag von 25.000,00 € übersteigt (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO). Gleiches gilt nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AO, wenn ein in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2–6 AO genannter besonders schwerer Fall2255 vorliegt. Die Vorschrift des § 398a AO regelt lediglich ein strafprozessuales Strafverfolgungshindernis und stellt – im Gegensatz zu § 371 AO – keinen persönlichen Strafaufhebungsgrund dar.

B. Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO I. Historische Entwicklung Nach dem Wortlaut des § 371 Abs. 1 AO in der bis zum 02.05.2011 geltenden Fassung wurde ein Täter insoweit nicht nach § 370 AO wegen einer Steuerhinterziehung bestraft, wie er bei der Finanzbehörde die unrichtigen oder unvollständigen Angaben berichtigte, ergänzte oder unterlassene Angaben nachholte. Der BGH hat im Rahmen seiner Beschlüsse in den Jahren 19582256 und 1987 sowie 19982257 den Gesetzestext und damit insbesondere das Wort „insoweit“ zunächst anders ausgelegt, als in seinem späteren – nachstehend dargestellten – Beschluss aus dem Jahr 2255 Siehe S. 169 ff. 2256 BGH v. 11.11.1958 - 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100, 101, zu § 410 RAO: „insoweit“ beziehe sich auf den Umfang der Strafbefreiung. 2257 BGH v. 12.08.1987 - 3 StR 10/87, BGHSt 35, 36, 37 f.; v. 13.10.1998 - 5 StR 392/98, NStZ 1999, 38 f. zu § 371 AO.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

2010. Mit Beschluss vom 12.08.19872258 und vom 13.11.19982259 hatte der BGH entschieden, dass der Wortlaut der Vorschrift eindeutig ist und das Wort „insoweit“ den Umfang der gemachten Angaben betrifft. Das bedeutete, dass der Täter in dem Umfang strafbefreit wurde, wie seine nachträglich gemachten Angaben reichten. Nur bezüglich weiterer hinterzogener Steuern konnte er also wegen Steuerhinterziehung bestraft werden. Der Gesetzgeber sah im Jahr 20112260 dann in der Möglichkeit einer wirksamen Teilselbstanzeige ein Instrument einer Hinterziehungsstrategie, welches von Steuerhinterziehern angeblich gezielt im Sinne einer sog. Salamitaktik ausgenutzt und damit missbraucht wurde. Hiernach konnte der Täter bei der Annahme der Gefahr der Entdeckung seiner Steuerhinterziehung zumindest diesen Teil der Hinterziehung im Rahmen einer Selbstanzeige offenbaren und war insoweit straffrei, also der Gefahr einer Sanktion seines diesbezüglich unehrlichen steuerlichen Verhaltens entgangen. Durch den Beschluss des BGH vom 20.05.20102261 wurde die Möglichkeit einer wirksamen Teilselbstanzeige abgeschafft. Der BGH entschied überraschend und offenkundig ergebnisorientiert, dass sich das Wort „insoweit“ auf den Umfang der Strafbefreiung bezieht, nicht hingegen auf den Umfang der gemachten Angaben. Die Formulierung solle zum Ausdruck bringen, dass der Täter bei einer wirksamen Selbstanzeige nur bezüglich der Steuerstraftat strafbefreit wird. Lediglich weitere mitverwirklichte Straftaten seien von der Straffreiheit nicht betroffen, sodass der Täter weiterhin wegen zugleich mit der Steuerhinterziehung verwirklichter anderer Delikte (z.B. Urkundenfälschung etc.) belangt werden konnte. Das führte im Rahmen der Selbstanzeige dazu, dass ein Täter nur noch dann strafbefreit wurde, wenn er eine vollständige Selbstanzeige bei der Finanzbehörde erstattete. Die Selbstanzeige wurde damit verschärft und es galt fortan das sog. „Alles-oder-nichts-Prinzip“. Der Täter musste nach dieser Rechtsprechung insgesamt „reinen Tisch“ machen. Im Anschluss an den o.g. Beschluss des BGH vom 20.05.2010 hat der Gesetzgeber sodann durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.20112262 die Selbstanzeige insgesamt neu geregelt. Die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige wurde gesetzlich ausgeschlossen und die Voraus2258 BGH v. 12.08.1987 - 3 StR 10/87, BGHSt 35, 36, 37. 2259 BGH v. 13.10.1998 - 5 StR 392/98, NStZ 1999, 38, 39. 2260 BT-Drs. 17/4802 v. 17.02.2011, S. 1. 2261 BGH v. 20.05.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 213. 2262 Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.04.2011, BGBl. I 2011, 676.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

setzungen einer Selbstanzeige durch einen neuen gesetzlichen Vollständigkeitsbegriff deutlich verschärft, welcher in vielen Fällen eine kaum zu überspringende Hürde für die Wirksamkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige darstellt. Fortan kann der Täter nur dann nicht wegen einer Steuerstraftat nach § 370 AO bestraft werden, wenn er gegenüber der Finanzbehörde für alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Er verliert durch die Neuregelung die Straffreiheit für den gesamten strafrechtlich nicht verjährten Zeitraum, wenn die Selbstanzeige unvollständig ist. Das Vollständigkeitsgebot nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz fasst alle auf eine Steuerart bezogenen nicht verjährten Taten zu einer erweiterten sog. Berichtigungseinheit zusammen.2263 Die Belange der Unternehmen, insbesondere im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen2264, sind im Rahmen dieser Diskussion nicht berücksichtigt worden. Dies führte insbesondere im Bereich der Umsatzsteuer zu erheblichen Schwierigkeiten2265 mit einem Maß an Kriminalisierung, welches so vermutlich nicht beabsichtigt worden war2266, da es – aufgrund der Möglichkeit der Abgabe von Teilselbstanzeigen2267 – zuvor ohne straf- oder bußgeldrechtliche Konsequenzen möglich gewesen war, Umsatzsteuervoranmeldungen zu korrigieren.2268 Der Anwendungszeitraum des § 371 Abs. 1 AO a.F. nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz ist in Art. 97 § 24 EG AO geregelt.2269 Danach ist die Möglichkeit einer wirksamen Teilselbstanzeige – also die Rechtslage in der Auslegung vor dem BGH-Beschluss vom 20.05.2010 – bis zum 28.04.2011 anzuwenden. Selbstanzeigen, die vor diesem Zeitpunkt abgegeben wurden und unvollständig sind, führen als sog. wirksame Teilselbstanzeigen „insoweit“ zur Straffreiheit. Eine Bestrafung kann nur im Rahmen des „vergessenen“ und nicht bereits nacherklärten Umfangs erfolgen. Der Täter genießt für die Selbstanzeigen, die bei der Finanzbehörde bis zum 28.04.2011 abgegeben wurden, einen Vertrauensschutz. Die Entscheidung des BGH vom 20.05.2010 wird damit ausgehebelt, soweit sie eine wirksame Teilselbstanzeige verneinte. 2263 Vgl. Zanzinger, DStR 2011, 1397, 1398. 2264 Vgl. Heuel/Beyer, UStB 2011, 287; dies., BBK 2015, 740. 2265 Vgl. Heuel/Rau, KÖSDI 2012, 17932, 17938; Wulf, Stbg 2014, 64. 2266 Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 159. 2267 Wulf, Stbg 2014, 64, 70. 2268 Heuel/Rau, KÖSDI 2012, 17932, 17938; im Ergebnis auch Wulf, Stbg 2014, 64, 70. 2269 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 216. 

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz ist durch Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 03.05.2011 in Kraft getreten. Das bedeutet, dass zwischen dem 28.04.2011 und dem 03.05.2011 die Rechtsprechung des BGH vom 20.05.2010 gilt. Damit bestehen drei Zeiträume, in denen verschiedene Regelungen existieren, die erheblichen Einfluss auf die Voraussetzungen der Selbstanzeige haben.2270 Das anwendbare Recht bestimmt sich nicht danach, für welchen Zeitraum Steuern hinterzogen wurden bzw. wann die Taten begangen wurden, sondern ausschließlich danach, wann die Selbstanzeige erstattet wird. Zum 01.01.2015 wurde die Selbstanzeige abermals verschärft durch das „Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014“2271, welches am 01.01.2015 in Kraft getreten ist. Die Neuregelungen betreffen insbesondere die Ausdehnung des Vollständigkeitsgebots auf zehn Jahre, die Erweiterung der Sperrgründe, Erleichterungen im Bereich der Steueranmeldungen sowie eine Verschärfung des Zuschlags nach § 398a AO. Die Neuregelung gilt für Selbstanzeigen, die ab dem 01.01.2015 abgegeben werden (Art. 3 des AO-Änderungsgesetzes). Mangels gesetzlicher Anwendungsregelung stellt sich die Frage, welche Regelungen anwendbar sind, wenn eine Selbstanzeige vor dem 01.01.2015 abgegeben worden ist, jedoch erst nach dem 31.12.2014 über die Wirksamkeit entschieden wird.2272 Die Regierungskoalition und das FinMin. NRW sind der Ansicht, dass in diesem Fall die jeweils günstigste Regelung gilt.2273 Für diese Lösung spricht m.E. die Regelung des § 2 Abs. 3 StGB, wonach im Strafrecht die jeweils mildeste Regelung anzuwenden ist.2274 Nach zutreffender Ansicht sind §§ 371, 398a AO Normen des materiellen Strafrechts, so dass der Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 StGB eröffnet ist.2275 Zudem wollte der Gesetzgeber zum 01.01.2015 unter anderem auch Defizite der bisherigen Regelung des § 371 AO beseitigen und dem Betroffenen keine neuen „Steine in den Weg legen“.2276 Dieser Ansicht ist 2270 Vgl. Hechtner, NWB 2011, 1139. 2271 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 f. 2272 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129; Hunsmann, NJW 2015, 113, 118. 2273 So der Bericht des Finanzausschusses BT-Drs. 18/3439 v. 03.12.2014; FinMin. NRW v. 09.02.2015 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 295965, im Nachgang zu FinMin. NRW v. 09.02.2015 - S 0702 - 8f - V A 1, DB 2014, 408. Die Justiz ist allerdings an keinen Erlass eines Finanzministers gebunden. 2274 Buse, DB 2015, 89,94; Geuenich, NWB 2015, 29, 30; Hunsmann, NJW 2015, 113, 118; Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19168. 2275 Joecks in DStR 2014, 2261, 2267; Hunsmann, NJW 2015, 113, 118. 2276 Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 757.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

auch die Regierungskoalition.2277 Dies kann Vorteile haben, wie etwa für den Anwendungsbereich des § 371 Abs. 2a AO, wonach Voranmeldungen rückwirkend als wirksame Teilselbstanzeigen behandelt werden müssen, aber auch Einschränkungen wie z.B. für die Anwendung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO. Meines Erachtens2278 sprechen die o.g. Gründe für die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 StGB. Eine Selbstanzeige wird dann unter Hinweis auf § 2 Abs. 3 StGB bezogen auf den jeweiligen Tatbeteiligten geprüft. Dies geschieht in der Weise, dass die Selbstanzeige nach beiden Alternativen (altes/neues Recht) vollständig geprüft wird und das insgesamt günstigere Recht Anwendung findet (hingegen gilt nicht das sog. Rosinenprinzip, d.h. der Betroffene darf sich nicht die jeweils günstigsten Regelungen kombiniert heraussuchen).2279

II. Tatbestandsvoraussetzungen des § 371 Abs. 1 AO Hinsichtlich des Inhalts der Selbstanzeige schreibt § 371 Abs. 1 AO vor, dass sich die Berichtigung der zuvor unvollständig gemachten oder unterlassenen Angaben in vollem Umfang auf alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart zu erstrecken hat. Die Selbstanzeige muss dabei nach § 371 Abs. 1 S. 2 AO Angaben zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre enthalten.2280 1. Selbstanzeigezeitraum: zeitliche Vollständigkeit Demzufolge existieren nun – seit 01.01.2015 – zwei Zeiträume: erstens die strafrechtliche Verfolgungsverjährung und zweitens die fiktive Mindestfrist des § 371 Abs. 1 S. 2 AO. Die Berechnung der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung wurde bereits oben2281 dargestellt. Die genaue Berechnung der sog. Mindestfrist ist streitig. Zunächst ist ungeklärt, auf welche Zeiträume abzustellen ist. Hierzu werden in der Li­ teratur zwei Auffassungen vertreten. Die einen sind der Ansicht, dass damit die zurückliegenden zehn Besteuerungszeiträume (z.B. Veranlagungszeiträume) gemeint sein könnten, sog. Besteuerungszeitraumlö2277 Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 18/3439 v. 03.12.2014. 2278 Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129. 2279 Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 757. 2280 Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 130. 2281 Siehe S. 337 ff.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

sung2282. Diese Auslegung muss sich entgegenhalten lassen, dass sie mit dem Wortlaut der Vorschrift, wenn überhaupt, nur schwer vereinbar ist. Der Wortlaut spricht von „allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre“. Zu Jahresbeginn vor Ablauf der steuerrechtlichen Erklärungsfristen kann allerdings noch keine Steuerstraftat des vorangegangenen Kalenderjahres vorliegen.2283 Eine solche feste fiktive Frist war vom Gesetzgeber offenbar gewollt und wäre aus Gründen der Rechtsklarheit sinnvoll gewesen.2284 Wegen des insoweit aber eindeutigen Wortlauts ist hingegen auf die Begehung der Steuerstraftaten innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre abzustellen (sog. Straftatenlösung).2285 Innerhalb der Straftatenlösung ist dann die Frage zu klären, welches Stadium der Tat (Versuch, Vollendung oder Beendigung) für die Fristberechnung maßgeblich ist. Auch hier hilft der Gesetzeswortlaut nicht weiter. Demnach könnte man auf die Tathandlung oder auf die Tatbeendigung abstellen, wobei dann auch ggf. die zeitlich früher liegende Versuchsstrafbarkeit einzubeziehen wäre.2286 Letztere beginnt – wie ausgeführt2287 – nach §§ 22, 23 StGB bereits mit dem unmittelbaren Ansetzen zu der Tat nach der Vorstellung des Täters. Diese Versuchsstrafbarkeit kann später in die Vollendung und Beendigung hineinwachsen, wobei dann die Beendigung ggf. innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre liegt.2288 Hiernach können dann u.U. frühere Handlungen (Versuch) in den Zehn-Jahres-­ Zeitraum einbezogen werden. Die Vertreter der Straftatenlösung müssen ferner die Frage beantworten, von welchem Zeitpunkt aus die zehn Jahre zurückzurechnen sind, also ob die Berechnung der zehn Jahre stichtagsbezogen zum Zeitpunkt der

2282 Begriff nach Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 130; so Schwartz, PStR 37, 38; im Ergebnis auch Wulf, wistra 2015, 166, 167; uneindeutig Joecks, DStR 2014, 2261, 2262. 2283 So auch Fuchs, PStR 2014, 285. 2284 Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 130. 2285 Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19169; siehe auch Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2267, 2268; so im Ergebnis auch Hunsmann, NJW 2015, 113, 114; so auch der Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636 und die AStBV 2019 (Nr. 11 Abs. 3), Oberste Finanzbehörden der Länder v. 18.12.2018 - S 0720, BStBl. I 2018, 1235. 2286 Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2267, 2268; für das Abstellen auf die Tatbegehung Geuenich, NWB 2015, 29, 31; für das Abstellen auf die Tatbeendigung Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2267, 2268; Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19169. 2287 Siehe S. 151 ff. 2288 Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 130.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

Abgabe der Selbstanzeige2289 und damit unterjährig oder mit Ablauf des der Selbstanzeige vorausgehenden Kalenderjahres beginnt.2290 Für die erste Ansicht spricht die Gesetzesbegründung, nach der der Beginn für die Fristberechnung die Abgabe der Selbstanzeige ist.2291 Andere2292 sind der Auffassung, dass es sich um abgeschlossene bzw. volle Kalenderjahre handeln muss, sodass die Selbstanzeige auf die letzten zehn dem Jahr der Abgabe der Selbstanzeige vorausgehenden abgeschlossenen Kalenderjahre zu beziehen ist.2293 Dem ist zuzustimmen, da der Gesetzeswortlaut von „Kalenderjahren“ und nicht von „Jahren“ spricht.2294 An der Einführung des Mindestzeitraums ist ferner kritisch, dass der Steuerpflichtige Angaben zu strafrechtlich verjährten Zeiträumen machen und sich damit selbst belasten muss.2295 Mit Erlass vom 12.01.20162296 hat sich das FinMin. NRW in Punkt 4 hinsichtlich der Mindestfrist im Ergebnis ebenfalls der Straftatenlösung angeschlossen und stellt in Abgabefällen auf die Erklärungsabgabe ab (Versuchsbeginn) sowie in Nichtabgabefällen auf die Tatvollendung. Warum hier differenziert wird, erläutert die Verwaltung nicht und ist auch nicht ersichtlich.2297 Ferner sei keine taggenaue Berechnung erforderlich, sondern es seien die letzten zehn vollen Kalenderjahre maßgeblich. Für eine vollständige Selbstanzeige sei darüber hinaus zusätzlich erforderlich, dass die im Jahr der Abgabe der Selbstanzeige begangenen Straftaten ebenfalls nacherklärt werden.

2289 Rübenstahl, WiJ 2014, 190, 193. 2290 Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 130. 2291 BT-Drs. 18/3018 v. 03.11.2014, S. 10 f.; so auch Fuchs, PStR 2014, 285; Spatscheck/ Wimmer, Steueranwaltsmagazin 2014, 198, 199.  2292 Buse, DB 2015, 89; Joecks, DStR 2014, 2261, 2262; ders. in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 78; siehe auch Hunsmann, NJW 2015, 113, 114; Schwartz, PStR 2015, 37, 38. So auch die Finanzverwaltung NRW, Erlass v. 12.01.2016 zu Einzel­ fragen der §§ 371, 398a AO - S 0702 - 8f - VA 1, FR 2015, 244 und die AStBV 2019 (Nr. 11 Abs. 3), Oberste Finanzbehörden der Länder v. 18.12.2018 - S 0720, BStBl. I 2018, 1235.  2293 Vgl. Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 130. 2294 So auch Jäger in Klein, § 371, Rn. 57.  2295 Wulf, Stbg 2014, 271, 274; so auch Spatscheck/Wimmer, Steueranwaltsmagazin 2014, 198, 199. 2296 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636 und AStBV 2019 (Nr. 11 Abs. 3), Oberste Finanzbehörden der Länder v. 18.12.2018 - S 0720, BStBl. I 2018, 1235.  2297 Heuel, AO-StB 2016, 261, 263.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

2. Steuerart: Spartenvollständigkeit Das Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO bezieht sich nicht nur auf die Vollständigkeit in zeitlicher Hinsicht. Zur Wirksamkeit der Selbstanzeige ist ebenso erforderlich, dass die Angaben je Steuerart vollständig zu berichtigen bzw. nachzuholen sind. Erforderlich ist somit eine sog. Spartenlebensbeichte.2298 Den Begriff der Steuerart hat der Gesetzgeber allerdings nicht definiert. In Bezug auf die Umsatzsteuer stellt sich damit die Frage, wie weit der Begriff der Steuerart „Umsatzsteuer“ vor dem Hintergrund des § 371 Abs. 1 AO zu verstehen ist. a) Täterbezogene Betrachtung Das deutsche Strafrecht sieht keine Strafbarkeit von Unternehmen vor. Strafbar machen können sich lediglich die hinter diesen Unternehmen stehenden bzw. für das Unternehmen handelnden Personen. Hinsichtlich des Vollständigkeitsgebots ist daher bei einer Selbstanzeige zur Umsatzsteuer nicht auf die Vollständigkeit bezüglich der Angaben des betroffenen Unternehmens abzustellen, sondern – was häufig übersehen wird – auf die Vollständigkeit bezüglich der Angaben der jeweiligen natürlichen Person (des Täters) hinsichtlich der Umsatzsteuer.2299 Eine Selbstanzeige ist eine personenbezogene Erklärung.2300 Die jeweilige Person muss daher sämtliche Umsatzsteuerhinterziehungen offenlegen, die zeitlich von § 371 Abs. 1 AO noch erfasst sind. Hierbei ist unerheblich, für welche Unternehmen bzw. in welchem Zusammenhang diese Umsatzsteuerhinterziehungen begangen wurden und auch, ob die betreffende Person als Täter bzw. lediglich als Teilnehmer gehandelt hat.2301 Joecks2302 hingegen befürwortet für diesen Fall eine Differenzierung nach Steuersubjekten2303, also hinsichtlich der Umsatzsteuer ein separates Vollständigkeitsgebot für jedes Unternehmen. Ein solches Verständnis wäre sehr praxistauglich. Dem ist m.E. aber nicht zu folgen. Weder der Gesetzeswortlaut noch die Gesetzesbegründung bieten hierfür einen Anhaltspunkt. Schwerer wiegt indes, dass dies dem Täter insoweit die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige eröffnen würde. „Reue nach dem Stand

2298 Begriff nach Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200. 2299 Haase, NWB 2015, 3043, 3044. 2300 Beyer, BB 2016, 2527, 2529. 2301 Jäger in Klein, § 371, Rn. 44; so auch Haase, NWB 2015, 3043, 3047.  2302 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 80. 2303 Siehe auch Buse, DB 2015, 89. 

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

der Ermittlungen“ bzw. eine Salamitaktik wollte der Gesetzgeber2304 aber gerade vermeiden. b) Umsatzsteuer bzw. Einfuhr- und Ausfuhrabgaben eines anderen EU-Mitgliedstaats Hier ist insbesondere ungeklärt, ob die Umsatzsteuer eines anderen EU-Mitgliedstaats die gleiche Steuerart darstellt wie die „deutsche“ Umsatzsteuer. Dies ist deshalb von Belang, weil die Hinterziehung dieser – ausländischen – Umsatzsteuer in Deutschland nach § 370 Abs. 6 S. 2 AO strafbar sein kann.2305 Die Frage stellt sich ebenso in Bezug auf die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben nach § 370 Abs. 6 S. 1 AO, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden. Jäger2306 ist der Auffassung, dass die in § 370 Abs. 6 AO genannten Abgaben als jeweils selbstständige Steuerarten zu behandeln sind. Hiergegen könnte zwar eingewandt werden, dass das Umsatzsteuerrecht sämtlicher Mitgliedstaaten auf verbindlichen unionsrechtlichen Vorgaben beruht. Jedoch würde eine solche Sichtweise für strafrechtliche Zwecke zu kurz greifen. In diesem Zusammenhang muss gesehen werden, dass das Strafrecht immer noch national geprägt ist. Unter diesem Blickwinkel ist daher m.E. entscheidend, dass die Umsatzsteuer bzw. die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben eines anderen EU-Mitgliedstaats einem anderen Steuergläubiger zustehen und demzufolge eine andere Steuerart darstellen. c) Einfuhrumsatzsteuer Wie oben ausgeführt2307, unterliegt auch die Einfuhr von Waren aus dem Drittlandsgebiet nach Deutschland nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG der Umsatzsteuer (sog. Einfuhrumsatzsteuer). Es handelt sich hierbei um eine besondere Art der Umsatzsteuer2308 bzw. eine selbstständige Form der Umsatzsteuer.2309 Die Einfuhrumsatzsteuer ist eine Verbrauchsteuer im Sinne der Abgabenordnung (vgl. § 21 Abs. 1 UStG) und eine Einfuhrab­ gabe i.S.d. Zollrechts (vgl. § 21 Abs. 2 UStG). „Diese wird [daher] nicht im Besteuerungsverfahren nach § 18 UStG festgesetzt, sondern nach den Vorschriften des Zollrechts in einem Zollverfahren (§ 21 Abs. 2 ­UStG).“2310 Soweit ersichtlich, ist bislang weder in der Rechtsprechung 2304 BT-Drs. 17/4182 v. 14.12.2010, S. 4.  2305 Siehe S. 291. 2306 Jäger in Klein, § 371, Rn. 21.  2307 Siehe S. 10 und S. 198 f. 2308 Jäger in Klein, § 370, Rn. 151a. 2309 Kuhr/Schrömbges, MwStR 2016, 14. 2310 BGH v. 04.09.2013 - 1 StR 374/13, NStZ 2014, 102, 103.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

noch in der Literatur thematisiert worden, ob die Einfuhrumsatzsteuer die „gleiche Steuerart“ darstellt wie die „sonstige“ Umsatzsteuer des Unternehmers, wie etwa die aus Lieferungen und sonstigen Leistungen. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Verfahren (Zollzuständigkeit und verfahrensrechtliche Verselbstständigung) sowie des Umstands, dass das UStG für die Einfuhrumsatzsteuer zahlreiche Sonderregelungen (z.B. in § 1 Abs. 1 Nr. 4, § 4 Nr. 4b, § 11, § 13 Abs. 2, § 15 Abs. 1 Nr. 2, § 16 Abs. 2 Nr. 3, § 16 Abs. 7, § 17 Abs. 3, § 22 Abs. 2 Nr. 6 UStG) vorsieht (rechtliche Verselbstständigung), ist es m.E. gerechtfertigt, die Einfuhrumsatzsteuer ebenfalls als jeweils selbstständige Steuerart zu behandeln. Diese Sichtweise entspricht auch dem Zweck des Vollständigkeitsgebots, „reinen Tisch“ zu machen. Denn der BGH und der Gesetzgeber stellen sich hierbei offenbar vor, dass es für den Unternehmer zumutbar ist, die Berichtigung in einem Zug vorzunehmen.2311 Je mehr Sonderregelungen jedoch bestehen, desto weniger ist dieser eine Zug praktikabel. Daher rechtfertigen die zahlreichen Sonderregelungen, die Einfuhrumsatzsteuer im vorliegenden Zusammenhang als eigene Steuerart zu werten. 3. Anzeigeerstatter, verdeckte Stellvertretung Eine Selbstanzeige muss nicht zwingend vom Täter selbst abgegeben werden; er kann sich auch im Wege der (offenen) Stellvertretung anderer Personen bedienen, welche vor Abgabe zumindest mündlich bevollmächtigt worden sind.2312 Umstritten – und im Unternehmensbereich insbesondere in Bezug auf die Umsatzsteuer oft von Bedeutung – ist die Frage der Zulässigkeit einer verdeckten Stellvertretung. Diese soll nach einigen Vertretern in der Literatur ebenfalls möglich sein und kommt insbesondere in den Fällen in Frage, in denen der Täter die Selbstanzeige zugleich für einen Dritten mit abgibt.2313 Dabei werden weder Vollmachten, Vollmachtgeber noch der Umstand, dass die Selbstanzeige (zugleich) für einen Dritten mit abgegeben wird, dem Finanzamt mitgeteilt. Der Vorteil besteht darin, dass gegen den verdeckt Vertretenen kein Strafverfahren eingeleitet wird. Im Hinblick auf die Festsetzung der nachzuzahlenden Steuern sollte der verdeckt Vertretene jedoch im Nachhinein bekannt gegeben werden müssen, da andernfalls der Vertretene die gesetzte Frist gegen sich gelten lassen muss.2314 Kritisch an einer 2311 Siehe S. 412. 2312 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 109; Jäger in Klein, § 371, Rn. 100. 2313 Stahl, Rn. 100. 2314 Stahl, Rn. 101.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

verdeckten Stellvertretung dürfte aber seit Einführung von § 398a AO der Umstand sein, dass den Ermittlungsbehörden nicht nur ein zur Nachzahlung nach § 371 Abs. 3 AO zusätzlich Verpflichteter, sondern in entsprechenden Fällen auch ein potenzieller Schuldner nach § 398a AO ­vorenthalten wird.2315 Jäger2316 hält deshalb – m.E. zutreffend – eine verdeckte Stellvertretung nur für möglich, wenn noch keine Steuerverkürzungen eingetreten oder Steuervorteile erlangt worden sind. 4. Berichtigungserklärung § 371 Abs. 1 S. 1 AO sieht als Handlungsalternativen die Berichtung ­unrichtiger Angaben, die Ergänzung unvollständiger Angaben und die Nachholung unterlassener Angaben vor. a) Materiallieferungspflicht Der Anzeigeerstatter muss also eine Tätigkeit entfalten, die auf eine Berichtigung und Ergänzung der bisherigen Angaben oder eine Nachholung bisher unterlassener Angaben zielt (Materiallieferung).2317 Die Berichtigungserklärung muss ausreichend Zahlen und Sachverhaltsangaben enthalten, anhand derer die Finanzbehörde ohne weitere langwierige Nachforschungen und Mitwirkung durch den Anzeigeerstatter die Sachlage ermitteln und die Steuer richtig festsetzen kann.2318 Die Anzeige muss aber nicht sämtliche Besteuerungsgrundlagen in Zahlen ausgedrückt derart erschöpfend enthalten, dass das Finanzamt die (Berichtigungs)Veranlagung auf der Stelle durchführen kann.2319 Wichtig für den „wesentlichen Beitrag“ des Steuerpflichtigen ist es, dass er – soweit es ihm möglich ist – den zutreffenden Sachverhalt aufdeckt und in unaufklärbaren Bereichen Schätzungen (§ 162 AO) vornimmt.2320 Der Inhalt der Berichtigungserklärung muss grds. denselben Anforderungen genügen, denen der Anzeigeerstatter bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner steuerrechtlichen Offenbarungspflichten schon früher hätte entsprechen müssen.2321

2315 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 138. 2316 Jäger in Klein, § 371, Rn. 100; so im Ergebnis auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 110 ff. 2317 Füllsack in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 463; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 154. 2318 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 60; Jäger in Klein, § 371, Rn. 50. 2319 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 59 unter Berufung auf BGH v. 13.11.1952 3 StR 398/52, BGHSt 3, 373, 376 („ohne langwierige größere Nachforschungen“). 2320 Jäger in Klein, § 371, Rn. 53. 2321 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 58 unter Berufung auf BGH v. 11.11.1958 - 1 StR 370/58, BGHSt 12, 100. 

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

b) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen durch Umsatzsteuerjahreserklärungen Oft werden Umsatzsteuerverfehlungen, bei denen das Vorliegen von bedingtem Vorsatz bei der Abgabe der entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungen nicht ausgeschlossen werden kann, im Rahmen der Jahres­ abschlussarbeiten festgestellt. Dann stellt sich die praktisch bedeutsame Frage, ob es zur Korrektur (Selbstanzeige) ausreichend ist, eine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung einzureichen, oder ob jede einzelne Vor­ anmeldung (Tat im materiellen Sinne2322) korrigiert werden muss. Nach einer älteren Entscheidung des BGH2323 müssen die Angaben in einer Umsatzsteuerjahreserklärung – sofern diese auch als Selbstanzeige für Umsatzsteuervoranmeldungen fungieren soll – so detailliert sein, als hätte der Steuerpflichtige die Voranmeldungen und die Jahreserklärung direkt ordnungsgemäß eingereicht.2324 In jüngerer Zeit hat der BGH2325 für die Rechtslage bis zum 02.05.2011 festgestellt, dass die Abgabe einer fehlerfreien und vollständigen Umsatzsteuerjahreserklärung als Selbstanzeige in Bezug auf zuvor fehlerhafte oder fehlende Umsatzsteuervor­ anmeldungen zu werten ist2326, wobei nicht erforderlich sei, dass die ­fehlenden Voranmeldungen eingereicht oder eine Aufschlüsselung nach den einzelnen Voranmeldezeiträumen vorgenommen wird.2327 Ebenso stellt die verspätete Abgabe einer noch fehlenden Jahreserklärung eine Selbstanzeige dar.2328 Joecks2329 erachtet die derzeitige Ansicht des BGH als nicht unkritisch, seit dieser mit Beschluss vom 03.05.19942330 die Figur der fortgesetzten Handlung aufgegeben hat. Aufgrund dieser Figur wurde bis dahin eine Einordnung der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung und der Um-

2322 Siehe S. 365 f. und S. 367 f. 2323 BGH v. 11.05.1982 - 5 StR 181/82, NStZ 1982, 335; so auch Garbers, wistra 1984, 49 f. 2324 Siehe Kemper in Rolletschke/Kemper, § 371 AO, Rn. 95 f. 2325 BGH v. 13.10.1998 - 5 StR 392/98, NStZ 1999, 38; siehe auch OLG Hamburg v. 12.02.1985 - 1 Ss  91/84, wistra 1985, 166. 2326 So auch Jäger in Klein, § 371, Rn. 80; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 94; Müller, AO-StB 2008, 80, 81; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 168; Webel, PStR 2008, 109, 111; nun auch BGH v. 20.11.2018 - 1 StR 349/18, NZWiSt 2019, 142. 2327 OLG Hamburg v. 12.02.1985 - 1 Ss 191/84, wistra 1985, 166; so auch Nöhren, S. 104; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 168; im Ergebnis auch Webel, PStR 2008, 109, 111.  2328 Jäger in Klein, § 371, Rn. 80; im Ergebnis auch Webel, PStR 2008, 109, 111.  2329 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 94.  2330 BGH v. 03.05.1994 - GSSt 2/93, 3/93, wistra 1994, 185.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

satzsteuerjahreserklärung als einheitliche Tat vorgenommen.2331 Seit der Aufgabe dieser Rechtsfigur hätte es – nach Joecks2332 – nicht ferngelegen eine isolierte Betrachtung von bis zu 13 einzelnen (materiellen) Taten2333 bestehend aus einer Jahreserklärung und zwölf Voranmeldungen vorzunehmen, die dann jeweils zu korrigieren wären. Die Zuordnung der Umsätze zu einzelnen Monaten nach Ablauf des Veranlagungszeitraums sei jedoch aufgrund des Umstands, dass es sich bei der Umsatzsteuer um eine Jahressteuer handele, nicht erforderlich und eine „übertriebene Förmelei“2334. Notwendig sei dies nur für die (steuerliche) Festsetzung von Hinterziehungszinsen, wobei die Selbstanzeige solche Angaben nicht beinhalten müsse, da die Nachzahlung von Hinterziehungszinsen bis zum 31.12.2014 keine Voraussetzung für ihre Wirksamkeit war.2335 Das Fortgelten der bereits vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz bestehenden BGH-Rechtsprechung war angesichts des in § 371 Abs. 1 AO normierten Vollständigkeitsgebots zwar zunächst zweifelhaft2336, wurde aber in der Literatur2337 nahezu einhellig befürwortet. Hierfür wurde angeführt, dass der in einer Jahreserklärung erfasste Unwertgehalt auch den Unwertgehalt einer Voranmeldung mit beinhaltet.2338 Auch die AStBV (St) 20142339 in der Fassung vom 01.11.2013 sehen in Nr. 132 Abs. 2 vor, dass „die Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung als Selbstanzeige hinsichtlich unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben in den zuvor abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen dieses Jahres gewertet werden. Für die Wirksamkeit der Selbstanzeige bedarf es dann keiner gesonderten Korrektur des einzelnen Vor­anmeldezeitraums.“ Die aktuell gültigen AStBV

2331 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 725. 2332 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 94. 2333 Siehe S. 367 f. 2334 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 95; im Ergebnis auch Kohler in MKStGB, § 371 AO, Rn. 73; Beyer, BB 2016, 987. 2335 Siehe Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 94; so im Ergebnis auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 168. 2336 Heuel/Rau, KÖSDI 2012, 17932, 17939. 2337 Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 293; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 168; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO, Rn. 65; Wulf, Stbg 2014, 64, 66; wohl auch Stahl, Rn. 143; Müller, Rn. 411 rät hingegen, eine Auflistung der korrigierten Umsatzsteuervoranmeldungen beizufügen. 2338 Heuel/Beyer, UStB 2011, 287, 293. 2339 Oberste Finanzbehörden der Länder v. 01.11.2013 - S 0720, BStBl. I 2013, 1394, 1428.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

(St) 20192340 in der Fassung vom 18.12.2018 enthalten diesbezüglich keine Regelung mehr. Die Literatur2341 ist der Auffassung, dass auch nach Inkrafttreten des AO-­ Änderungsgesetzes die Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung als Selbstanzeige hinsichtlich unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben in den zuvor abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen dieses Jahres gewertet werden kann. Dem ist zuzustimmen. Zwar ist die Zahlung der Nachzahlungszinsen bzw. der Hinterziehungszinsen seit dem 01.01.2015 Wirksamkeitsvoraussetzung nach § 371 Abs. 3 AO, sofern nicht die Ausnahmevorschrift des § 371 Abs. 2a i.V.m. Abs. 3 S. 2 AO (keine Pflicht zur Zahlung bei der Korrektur von Voranmeldungen) greift. Dies könnte gegen eine bloße „Förmelei“ sprechen. Dennoch hat diese Zahlungsverpflichtung aber keinen Einfluss auf die Erklärungspflicht hinsichtlich des Vollständigkeitsgebots. Es ist Sache der Finanzbehörden, die Höhe der Zinsen (ggf. im Wege der Schätzung) zu ermitteln. Ob es aus Vorsichtsgründen oder zur Vermeidung eines etwaigen Zuschlags nach § 398a AO sinnvoll ist, besser die Voranmeldungen selbst, statt diese durch eine Umsatzsteuerjahreserklärung zu korrigieren, ist eine andere Frage.2342 Eine Selbstanzeige – auch in Form der Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung – wirkt allerdings insgesamt nicht strafbefreiend, wenn sie selbst wieder neue, erhebliche Unrichtigkeiten enthält.2343 Vor dem Hintergrund des oben dargestellten2344 Spartenvollständigkeitsgebots sind Teilselbstanzeigen ohnehin grundsätzlich unwirksam. Auswirkungen hat die Sichtweise des BGH nach § 371 Abs. 2a AO2345 aber im Bereich der Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen. Hier sind grundsätzlich Teilselbstanzeigen möglich. Wenn aber eine Selbstanzeige in Hinsicht auf eine Umsatzsteuervoranmeldung selbst wieder neue, erhebliche Unrichtigkeiten enthält, die über die bisherigen falschen Angaben hinausgehen, so stellt dies – unabhängig von der Möglichkeit einer Teilselbstanzeige nach § 371 Abs. 2a AO – nach der Sichtweise des BGH insgesamt bereits keine wirksame Berichtigungserklärung – also auch nicht hin2340 AStBV (St) 2019, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 18.12.2018 - S 0720, ­BStBl I. 2018, 1235. 2341 Beyer, NWB 2015, 769, 778; Haase, NWB 2015, 3043, 3048; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 168. 2342 Beyer, NWB 2015, 769, 778; Haase, NWB 2015, 3043, 3048; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 169.  2343 BGH v. 20.11.2018 - 1 StR 349/18, NZWiSt 2019, 142. 2344 Siehe S. 418 ff. 2345 Siehe S. 426 ff.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

sichtlich der korrigierten Besteuerungsgrundlagen – dar.2346 Rolletschke2347 nimmt in dem Fall, dass die Angaben teilweise korrigiert werden, aber die Korrekturerklärung neue Unrichtigkeiten enthält, hingegen eine wirksame Korrekturerklärung für die korrigierten Besteuerungsgrundlagen an. Für die neuen Unrichtigkeiten liege eine selbstständig zu sanktionierende weitere Steuerhinterziehung vor.

III. Ausnahmen vom Vollständigkeitsgebot, 371 Abs. 2a AO 1. Fehlwirkungen durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz Um unter anderem den Fehlwirkungen durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz2348 im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen zu be­ gegnen, wurde die Selbstanzeige durch das „Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung“ ­ (AO-­ Änderungsgesetz) vom 22.12.2014 auch in diesem Bereich geändert.2349 Eine unbeabsichtigte Folge bestand im Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen bislang darin, dass in diesem Bereich keine strafbefreiende Teilselbstanzeige mehr möglich war. 2. Versuch der Kompensation durch Verwaltungsanweisungen (AStBV) Aufgrund der Änderung der Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz verschärfte das BMF im Jahr 2011 mit Nr. 132 AStBV (St) 20122350 eine diesbezügliche Verwaltungsanweisung.2351 Nr. 132 Abs. 1 S. 4 AStBV (St) 2011, welche vorsah, dass verspätet abgegebene Voranmeldungen nicht an die BuStra weitergeleitet werden sollten, wurde mit der Konsequenz gestrichen, dass eine Weiterleitung sämtlicher verspätet abgegebener Anmeldungen erfolgen musste.2352 Mit der Fassung der AStBV (St) 2014 vom 01.11.2013 wurde diese Problematik jedoch durch die Neufassung von Nr. 132 Abs. 2 AStBV (St) wieder ent-

2346 Ebenso Gehm, NZWiSt 2019, 144, 145. 2347 Rolletschke, wistra 2019, 342, 343. 2348 Siehe S. 412 ff. 2349 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetztes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 f. 2350 AStBV (St) 2012, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 31.10.2011 - S 0720, ­BStBl. I 2011, 1000. 2351 AStBV (St) 2011, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 31.10.2010 - S 0720, ­BStBl. I 2010, 1434; siehe auch Heuel/Rau, KÖSDI, 2012, 17932, 17939. 2352 Heuel/Rau, KÖSDI, 2012, 17932, 17939.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

schärft.2353 Dort heißt es nun: „Bei der Umsatz- und Lohnsteuer sind berichtigte oder verspätet abgegebene Steuer(vor)anmeldungen nur in begründeten Einzelfällen an die BuStra weiterzuleiten. Kurzfristige Terminüberschreitungen und geringfügige Abweichungen sind unschädlich, es sei denn, es bestehen zusätzliche Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung. Liegen derartige Anhaltspunkte vor, kann die Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung als Selbstanzeige hinsichtlich unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben in den zuvor abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen dieses Jahres gewertet werden“.2354 Im Ergebnis hat sich damit die Praxis bis zur Einführung von § 371 Abs. 2a AO contra legem damit beholfen, dass sie bei der Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen im Regelfall unvorsätzliches Verhalten unterstellt hat, ohne dies näher zu prüfen.2355 Die aktuell gültigen AStBV (St) 20192356 in der Fassung vom 18.12.2019 enthalten diesbezüglich in Nr. 132 Abs. 2 folgende Regelung: „Bei der Umsatz- und Lohnsteuer sind berichtigte oder verspätet abgegebene Steuer(vor)anmeldungen nur in begründeten Einzelfällen (Nichtzahlung der Steuer, Sperrgründe i.S.d. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 AO) an die BuStra weiterzuleiten.“ 3. Gesetzliche Ausnahmen für Umsatzsteuervoranmeldungen Zur Schaffung von Rechtssicherheit soll durch die Neuregelung wieder der Rechtszustand vor Inkrafttreten des SchwarzGBekG für den Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen hergestellt werden.2357 Durch die Einfügung eines Abs. 2a in § 371 AO sind daher für den eng begrenzten Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen wieder Teilselbstanzeigen unter den dort genannten Voraussetzungen wirksam.2358 § 371 Abs. 2a S.1 AO sieht vor, dass – soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung begangen worden ist – Straffreiheit abweichend von § 371 Abs. 1 2353 Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 159; Wulf, Stbg 2014, 64, 70; im Ergebnis auch ders., Steueranwalt 2013/2014, S. 85, 101. 2354 AStBV (St) 2014, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 01.11.2013 - S 0720, ­BStBl. I 2013, 1394, 1428. 2355 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370, Rn. 113. 2356 AStBV (St) 2019, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 18.12.2018 - S 0720, ­BStBl. I 2018, 1235. 2357 Begründung im RegE v. 24.09.2014, 13. 2358 Siehe auch Begründung im RegE v. 24.09.2014, 13; Heuel/Beyer, BBK 2015, 740; Wulf, Stbg 2014, 271, 275. 

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

AO (Vollständigkeitsgebot) und von § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO (25.000-€-Sperre2359) in dem Umfang eintritt, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Damit ist unter anderem für den Bereich der Umsatzsteuervoranmeldung wieder die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige gesetzlich zugelassen und es fällt in diesen Fällen auch kein Strafzuschlag nach § 398a AO an.2360 Dies bedeutet eine erhebliche Verminderung des Strafbarkeitsrisikos hinsichtlich der fehleranfälligen kurzfristig monatlich einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen. Dem Wortlaut zufolge ist eine Teilselbstanzeige jedenfalls dann möglich, wenn eine Umsatzsteuervoranmeldung verspätet abgegeben wurde. Nicht abschließend geklärt ist jedoch, ob davon auch der Fall umfasst ist, in dem eine rechtzeitige, aber inhaltlich falsche Umsatzsteuervoranmeldung eingereicht wurde.2361 Diesbezüglich wird – unter Berufung auf die insoweit eindeutige Gesetzesbegründung – nahezu einhellig vertreten, dass es sich hierbei um einen verunglückten Wortlaut handelt, welcher unbeachtlich ist.2362 Eine wirksame Teilselbstanzeige nach § 371 Abs. 2a S.1 und 4 AO kann auch dann vorliegen, wenn der Hinterziehungsumfang einer unrichtigen Jahreserklärung hinter dem Hinterziehungsumfang der unrichtigen Voranmeldungen zurückbleibt.2363 Im Ergebnis ist damit (wieder) eine mehrfache Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen möglich. Nach der Rechtslage zwischen dem 03.05.2011 und dem 31.12.2014 waren Mehrfachkorrekturen von Umsatzsteuervoranmeldungen, sofern zumindest bedingter Vorsatz vorlag, wegen des strengen Vollständigkeitsgebots unwirksam. § 371 Abs. 2a S. 2 AO stellt klar, dass der Sperrgrund der Tatentdeckung2364 nicht greift, „wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung […] nachgeholt oder berichtigt wurde“, sog. Tat­entdeckungsprivileg. Ohne diese Regelung würde z.B. eine Selbstanzeige in Bezug auf eine Umsatzsteuervoranmeldung zur Entdeckung die2359 Siehe dazu S. 443 ff.  2360 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 132; siehe auch Seer in Tipke/Lang, § 23, Rn. 57; Wulf, Stbg 2014, 271, 272, 275. 2361 Schwartz, PStR 2015, 37, 40; so auch Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 132. 2362 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 132; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 352; Schwartz, PStR 2015, 37, 40; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 206. 2363 BGH v. 20.11.2018 - 1 StR 349/18, NZWiSt 2019, 142; Gehm, NZWiSt 2019, 144, 145; Madauß, NZWiSt 2019, 174, 177; Wulf/Gomes, ZWH 2018, 319, 321. 2364 Siehe S. 441 ff.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

ser Tat führen und über die sog. Infizierungslösung2365 („eine der Steuerstraftaten […] entdeckt“) zur Sperre wegen Tat­entdeckung in Bezug auf die gesamte Steuerart Umsatzsteuer führen.2366 Sofern die Entdeckung – unabhängig von der Korrektur – auf anderen Gründen, wie z.B. Kontrollmaterial beruht, liegt aber eine Sperre wegen Tatentdeckung vor.2367 Nach § 371 Abs. 2a S. 3 AO gelten die Sätze 1 (Vollständigkeitsgebot) und 2 (kein Strafzuschlag nach § 398a AO2368) von Abs. 2a jedoch „nicht für Steueranmeldungen, die sich auf das Kalenderjahr beziehen“, wie z.B. die Umsatzsteuerjahreserklärung.2369 § 371 Abs. 2a S. 4 AO sieht schließlich vor, dass für die Vollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer auf das Kalenderjahr bezogenen Steueranmeldung (also einer Jahreserklärung) die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen, nicht erforderlich ist. Damit braucht die Berichtigung einer Umsatzsteuerjahreserklärung durch eine weitere Umsatzsteuerjahreserklärung für das Vorjahr – in Abweichung vom Vollständigkeitsgebot nach Abs. 1 – nicht Berichtigungen für die Umsatzsteuervoranmeldungen des laufenden Jahres zu umfassen (§ 371 Abs. 2a S. 4 AO; „Festschreibung“ mit der Jahreserklärung).2370 Beispiel2371: Umsatzsteuervoranmeldung in 02 ist bereits unrichtig, unabhängig davon kann aber noch die Umsatzsteuerjahreserklärung 01 als (vollständige) Selbstanzeige (in Bezug auf die falschen Voranmeldungen für 01) gewertet werden. 4. Einzelne Fallgestaltungen bei der Umsatzsteuer Nachfolgend sollen einige in der Praxis häufig vorkommende und zugleich rechtlich komplexe Fallgestaltungen im Zusammenhang mit korrigierten Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärungen näher untersucht werden. Jeweils zumindest bedingt vorsätzliches Handeln wird bei den Fallgestaltungen unterstellt. 2365 Siehe S. 435 ff.  2366 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 714. 2367 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 207; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 132. 2368 Siehe dazu S. 443 ff. 2369 Spatscheck/Wimmer, Steueranwaltsmagazin 2014, 198, 201; so auch Heuel/ Beyer, AO-StB 2015, 129, 132; Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19175. 2370 Grommes, NZWiSt 2017, 201, 206; Geuenich, NWB 2015, 29, 38; Spatscheck/ Wimmer, Steueranwaltsmagazin 2014, 198, 201; so auch Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19175. 2371 Nach BT-Drs. 18/3018 v. 03.11.2014, S. 12.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

a) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen durch fristgerechte und vollständige Umsatzsteuerjahreserklärung Sofern Umsatzsteuervoranmeldungen durch die Umsatzsteuerjahreserklärung korrigiert werden, stellt dies – wie oben ausgeführt2372 – strafrechtlich eine Selbstanzeige hinsichtlich der Umsatzsteuervoranmeldungen dar. Nach § 371 Abs. 1 AO gilt für die Umsatzsteuerjahreserklärung das sog. Vollständigkeitsgebot (§ 371 Abs. 2a S. 3 AO) mit Ausnahme für die Vor­anmeldungen, die der Jahreserklärung nachfolgende Berichtigungszeiträume betreffen (§ 371 Abs. 2a S. 4 AO). Es stellt sich die Frage, ob in dieser Fallgestaltung der – nachstehend noch näher zu untersuchende2373 – Strafzuschlag nach § 398a AO anfällt. § 371 Abs. 2a S. 1 AO sieht vor, dass soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung begangen worden ist, Straffreiheit abweichend von § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO (25.000-€-Sperre2374) in dem Umfang eintritt, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Entscheidend ist m.E. nicht, ob eine Selbstanzeige in Form der Umsatzsteuerjahreserklärung erfolgt, sondern dass Gegenstand der Selbstanzeige Umsatzsteuervoranmeldungen sind.2375 Die oben dargestellte Rechtsprechung des BGH, wonach eine Selbstanzeige für Umsatzsteuervoranmeldungen auch in der Form einer Umsatzsteuerjahreserklärung erfolgen kann, soll eine Erleichterung für den Betroffenen sein, so dass die Erleichterungen der Neuregelung der Selbstanzeige dann auch für Umsatzsteuervoranmeldungen gelten müssen. Die Notwendigkeit zur Korrektur der Umsatzsteuervoranmeldungen wäre in diesem Fall reine Förmelei, auch wenn dies in der Praxis der sicherste Weg zur Vermeidung eines Zuschlags ist. Hinsichtlich der Umsatzsteuerjahreserklärung selbst liegt keine Tat vor, wenn diese fristgerecht und inhaltlich zutreffend abgegeben wurde.

2372 Siehe S. 424.  2373 Siehe S. 443 ff. und S. 451 f. 2374 Siehe dazu S. 443 ff. 2375 Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 759; so auch Haase, NWB 2015, 3043, 3048; Grommes, NZWiSt 2017, 201, 207.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

b) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und von falscher Umsatzsteuerjahreserklärung durch (weitere) richtige Umsatzsteuerjahreserklärung Wenn jedoch die falschen Angaben in Umsatzsteuervoranmeldungen bereits in einer ebenfalls unzutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung wiederholt wurden, ist Gegenstand der Korrektur auch die Umsatzsteuerjahreserklärung mit der Folge, dass der Zuschlag nach § 398a AO anfällt.2376 Das gilt auch in den Fällen, in denen die Steuerhinterziehung dadurch eingetreten ist, dass die Umsatzsteuerjahreserklärung verspätet abgegeben wurde. Die verspätete Umsatzsteuerjahreserklärung stellt eine Selbstanzeige dar, da mit dem vorsätzlichen Verstreichenlassen der Abgabefrist bereits eine vollendete Steuerhinterziehung durch Unterlassen eintritt.2377 c) Richtige Umsatzsteuervoranmeldungen, aber verspätete ­Umsatzsteuerjahreserklärung Die verspätete Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung stellt eine Selbstanzeige nach § 371 AO dar, da mit dem vorsätzlichen Verstreichenlassen der Abgabefrist bereits eine vollendete Steuerhinterziehung durch Unterlassen eintritt.2378 Nach § 371 Abs. 2a S. 3 AO gilt die Privilegierung hinsichtlich des Strafzuschlags nach § 398a AO2379 von Abs. 2a nicht für die Umsatzsteuerjahreserklärung.2380 Der Strafzuschlag wird nachstehend2381 noch näher untersucht. d) Falsche Umsatzsteuervoranmeldungen werden durch die 12. Umsatzsteuervoranmeldungen korrigiert; sog. „Praktikerlösung“ Wenn in der Praxis nach Ablauf eines Kalenderjahres Fehler in Bezug auf eine oder mehrere Umsatzsteuervoranmeldungen festgestellt werden, werden häufig nicht die falschen Umsatzsteuervoranmeldungen korrigiert, sondern es wird – aus Vereinfachungsgründen – oft die letzte Umsatzsteuervoranmeldung des Kalenderjahres, mithin bei monatlicher ­Abgabe die für Dezember, korrigiert. Wenn die Fehler in den Umsatzsteuervoranmeldungen zumindest bedingt vorsätzlich begangen wurden, 2376 Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 759; Grommes, NZWiSt 2017, 201, 206.  2377 Sofern eine Steuerverkürzung vorliegt, siehe S. 35 ff. 2378 Sofern eine Steuerverkürzung vorliegt, siehe S. 35 ff. 2379 Siehe S. 428. 2380 Spatscheck/Wimmer, Steueranwaltsmagazin 2014, 198, 201; so auch Heuel/ Beyer, AO‑StB 2015, 129, 132; Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19175. 2381 Siehe S. 443 ff. 

430

B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

stellt sich die Frage, ob mit der korrigierten Vor–anmeldung für Dezember andere Voranmeldungen des gleichen Kalenderjahres korrigiert werden können. Jeder Voranmeldungszeitraum stellt grds. eine eigene materielle Tat dar.2382 Eine Selbstanzeige muss sich daher grds. auf diese jeweilige Tat beziehen (Korrektur der jeweils unzutreffenden Umsatzsteuervoranmeldung). Wie oben2383 ausgeführt, ist eine Selbstanzeige für eine Umsatzsteuervoranmeldung allerdings durch die Abgabe einer richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung zulässig. Dogmatisch ist eine Korrektur einer Umsatzsteuervoranmeldung durch eine Umsatzsteuervoranmeldung für einen anderen Voranmeldungszeitraum nicht möglich. Es gibt aber m.E. keinen überzeugenden Grund, eine Korrektur im Rahmen der letzten Umsatzsteuervoranmeldung nicht zuzulassen. Bei der Umsatzsteuer handelt es sich um eine Jahressteuer und es kann daher keinen Unterschied machen, ob die Umsätze in der Umsatzsteuerjahreserklärung oder einer späteren Umsatzsteuervoranmeldung des gleichen Kalenderjahres korrigiert werden.2384 e) Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen nach Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung Ungeklärt ist, ob nach Abgabe einer falschen Umsatzsteuerjahreserklärung, die lediglich die falschen Angaben aus Umsatzsteuervoranmeldungen wiederholt, die Voranmeldungen noch – unter Inanspruchnahme der Privilegien nach § 371 Abs. 2a AO (u.a. kein Strafzuschlag nach § 398a AO) – korrigiert werden können. Dies wäre durch die Abgabe korrigierter Umsatzsteuervoranmeldungen sowie durch die Abgabe einer korrigierten Umsatzsteuerjahreserklärung (mittelbare Korrektur der Voranmeldungen) denkbar. Wie bereits oben dargestellt2385, besteht strafverfahrensrechtlich die Besonderheit, dass es sich bei dem Umsatzsteuerjahresverfahren und dem Umsatzsteuervoranmeldungsverfahren um zwei parallel zueinander verlaufende Verfahren handelt, welchen jeweils eine strafverfahrensrechtlich selbstständige Bedeutung zukommt. Grommes2386 weist zu Recht 2382 Siehe S. 365 ff. und S. 367 f. 2383 Siehe S. 424. 2384 Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 761; so auch Wulf, wistra 2015, 166, 170, der auf den „Geist der Regelung“ abstellt und Hüls/Reichling in Hüls/Reichling, § 370, Rn. 246. 2385 Siehe S. 367 f. 2386 Grommes, NZWiSt 2017, 201, 207.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

darauf hin, dass der Wortlaut es zulässt, zunächst die Umsatzsteuervoranmeldungen und dann die Umsatzsteuerjahreserklärung zu berichtigen. Allerdings bestünden die Gründe für eine Privilegierung der Voranmeldungen, die in einem „fehleranfälligen Verwaltungsverfahren“ lägen, nach Abgabe einer Jahreserklärung nicht mehr fort. Grommes räumt ein, dass der Gesetzeswortlaut dies zulässt. Sie weist aber darauf hin, dass eine Korrektur der Voranmeldungen keine Auswirkungen auf die Höhe des Strafzuschlages nach § 398a AO hat, da neben den Voranmeldungen die Jahreserklärung korrigiert werden müsse, für die ein Strafzuschlag nach § 398a AO anfalle. In der Literatur2387 wird aber darauf hingewiesen, dass bei einer bloßen Wiederholung der falschen Angaben aus den Vor­ anmeldungen in der Jahreserklärung für die Bemessung des Strafzuschlags wegen der falschen Jahreserklärung nicht auf die Gesamtsumme der Fehler in den Umsatzsteuervoranmeldungen abzustellen ist, da es sich um eine bloße Wiederholung der Fehler handelt. Auf die Gesamtsumme sei dann abzustellen, wenn in der Jahreserklärung weitere falsche Angaben enthalten sind, die über die falschen Angaben in den Voranmeldungen hinausgehen. Meines Erachtens ist mit Grommes für die Bemessung des Strafzuschlags der Jahreserklärung auch bei einer bloßen Wiederholung der falschen Angaben in den Voranmeldungen auf die Gesamtsumme der Fehler in der Jahreserklärung abzustellen, die identisch ist mit den Fehlern in den Voranmeldungen. Anderenfalls bestünden die Privilegierungen nach § 371 Abs. 2a AO für die Umsatzsteuervoranmeldungen zeitlich unbefristet, was dem Gesetzeszweck2388, der Verminderung des Strafbarkeitsrisikos hinsichtlich der fehleranfälligen kurzfristig monatlich einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen, zuwiderliefe.

IV. Zwischenergebnis zum Vollständigkeitsgebot Das hier gefundene Ergebnis zum Vollständigkeitsgebot in Bezug auf Selbstanzeigen bei Umsatzsteuerhinterziehungen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Bis zum Beschluss des BGH vom 20.05.20102389 bzw. der Änderung der Selbstanzeige durch das sog. Schwarzgeldbekämpfungsgesetz waren 2387 Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 759 f. 2388 So der Bericht des Finanzausschusses BT-Drs. 18/3439 v. 03.12.2014, S. 5 f.; Grommes, NZWiSt 2018, 313, 316. 2389 BGH v. 20.05.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 213.

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B.  Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO

Selbstanzeigen im Bereich der Umsatzsteuer weitgehend unproblematisch möglich. Das durch den o.g. Beschluss des BGH sowie durch das sog. Schwarzgeldbekämpfungsgesetz in § 371 Abs. 1 AO implementierte Vollständigkeitsgebot führte zu einer erheblichen Verschärfung für Selbstanzeigen im Bereich der Umsatzsteuer. Insbesondere Umsatzsteuervoranmeldungen konnten wegen der Unwirksamkeit von Teilselbstanzeigen in der Regel nicht mehrfach korrigiert werden. Zum 01.01.2015 wurde die Selbstanzeige durch das „Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014“2390, welches am 01.01.2015 in Kraft getreten ist, erneut verschärft. Gleichzeitig wurden aber auch Erleichterungen im Bereich der Steueranmeldungen eingeführt. Eine Selbstanzeige muss sich in vollem Umfang auf alle strafrechtlich unverjährten Umsatzsteuerhinterziehungen erstrecken, mindestens aber auf alle Umsatzsteuerhinterziehungen innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre (sog. Mindestfrist). Die genaue Berechnung der sog. Mindestfrist ist streitig. Wegen des insoweit eindeutigen Wortlauts ist aber auf die innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen abzustellen (sog. Straftatenlösung). Die Berechnung dieser Frist erfolgt nicht stichtagsbezogen (unterjährig) zum Zeitpunkt der Abgabe der Selbstanzeige, sondern beginnt mit Ablauf des der Selbstanzeige vorausgehenden Kalenderjahres. Es handelt sich mithin um abgeschlossene bzw. volle Kalenderjahre, sodass eine Selbstanzeige auf die letzten zehn dem Jahr der Abgabe der Selbstanzeige vorausgehenden abgeschlossenen Kalenderjahre zu beziehen ist. Dem Vollständigkeitsgebot entsprechend ist für eine vollständige Selbst­ anzeige darüber hin­aus zusätzlich erforderlich, dass die im Jahr der Abgabe der Selbstanzeige begangenen Umsatzsteuerhinterziehungen (bezüglich Umsatzsteuervoranmeldungen) ebenfalls nacherklärt werden. Hinsichtlich des Vollständigkeitsgebots ist bei einer Selbstanzeige zur Umsatzsteuer nicht auf die Vollständigkeit der Erklärungen des betroffenen Unternehmens abzustellen, sondern auf die Vollständigkeit der Erklärungen hinsichtlich derer die jeweilige natürliche Person (als Täter oder Teilnehmer) eine strafbewehrte Pflicht vorsätzlich verletzt hat. Mit anderen Worten: Eine Selbstanzeige ist personen- und nicht unternehmensbezogen. Die jeweilige Person muss daher sämtliche Umsatzsteuerhinterziehungen offenlegen, die zeitlich von § 371 Abs. 1 AO noch er2390 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 f.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

fasst sind. Hierbei ist unerheblich, für welche Unternehmen bzw. in welchem Zusammenhang diese Umsatzsteuerhinterziehungen begangen wurden und auch, ob die betreffende Person als Täter bzw. lediglich als Teilnehmer gehandelt hat. Hiervon ausgenommen sind die Umsatzsteuer bzw. die Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben eines anderen EU-Mitgliedstaats (§ 370 Abs. 6 S. 1 und 2 AO), die einem anderen Steuergläubiger zustehen. Diese sind als jeweils selbstständige Steuerarten zu behandeln. Gleiches gilt für die Einfuhrumsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG. Die Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung ist als Selbstanzeige hinsichtlich unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben in den zuvor abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen dieses Jahres2391 zu werten. Zur Vermeidung eines etwaigen Zuschlags nach § 398a AO empfiehlt es sich, besser die Voranmeldungen selbst zu korrigieren. Nach § 371 Abs. 2a S. 1 AO (in der Fassung des Änderungsgesetzes zum 01.01.2015) ist für den Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen (nicht der Jahreserklärung) wieder die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige gesetzlich zugelassen. Dies bedeutet eine erhebliche Verminderung des Strafbarkeitsrisikos hinsichtlich der fehleranfälligen, kurzfristig monatlich einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen. Nach § 371 Abs. 2a S. 2 AO greift zudem der Sperrgrund der Tatentdeckung nicht, wenn diese darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung (nicht die Jahreserklärung) nachgeholt oder berichtigt wurde. Sofern eine Umsatzsteuerjahreserklärung als Selbstanzeige in Bezug auf eine auf das Kalenderjahr bezogene Steueranmeldung (also eine Jahreserklärung) dienen soll, braucht diese nach § 371 Abs. 2a S. 4 AO – in Abweichung vom Vollständigkeitsgebot nach § 371 Abs. 1 AO – nicht Berichtigungen für die Umsatzsteuervoranmeldungen des laufenden Jahres zu umfassen. Im Rahmen der Untersuchung von typischen Fallgestaltungen wurde zudem Folgendes festgestellt: Sofern durch Umsatzsteuervoranmeldungen begangene Steuerhinterziehungen durch die Abgabe einer zutreffenden und fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung korrigiert werden, fällt kein Strafzuschlag nach § 398a AO an. Nach § 371 Abs. 2a S. 1 AO ist nicht entscheidend, ob eine Selbstanzeige in Form der Umsatzsteuerjahreserklärung erfolgt, sondern 2391 AStBV (St) 2014, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 01.11.2013 - S 0720, ­BStBl. I 2013, 1394, 1428.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

dass Gegenstand der Selbstanzeige Umsatzsteuervoranmeldungen sind. Dies gilt nicht, wenn die falschen Angaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen bereits in einer ebenfalls unzutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung wiederholt wurden, diese andere falsche Angaben enthält oder die Umsatzsteuerjahreserklärung verspätet abgegeben wurde. In der Praxis werden nach Ablauf eines Kalenderjahres Fehler in Bezug auf eine oder mehrere Umsatzsteuervoranmeldungen häufig – aus Vereinfachungsgründen – in der letzten Umsatzsteuervoranmeldung des Kalenderjahres, mithin bei monatlicher Abgabe in der für Dezember, korrigiert. Dogmatisch ist eine Korrektur einer Umsatzsteuervoranmeldung durch eine Umsatzsteuervoranmeldung für einen anderen Voranmeldungszeitraum nicht möglich. Nach der hier vertretenen Auffassung gibt es aber vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips keinen überzeugenden Grund, eine Korrektur im Rahmen der letzten Umsatzsteuervoranmeldung des jeweiligen Kalenderjahres nicht zuzulassen.

C. Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO In § 371 Abs. 2 AO ist geregelt, wann eine wirksame Selbstanzeige ausgeschlossen ist. Durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz2392 wurden die Sperrgründe unter anderem durch die Einführung einer sog. Infizierungslösung verschärft. Diese besteht darin, dass die Sperrwirkung sämtliche noch nicht verjährten Steuerstraftaten der betroffenen Steuerart umfasst. Das bedeutet, dass ein für ein Jahr der jeweiligen Steuerart verwirklichter Sperrgrund auf alle unverjährten Steuerstraftaten in Bezug auf diese Steuerart durchschlägt mit der Folge, dass Straffreiheit hinsichtlich dieser Steuerart für den Gesamtzeitraum nicht in Betracht kommt.2393 Ausgenommen hiervon ist nur der zeitgleich neu eingeführte Sperrgrund der 50.000-€-­Grenze nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO in der Fassung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes. Infolge der erneuten Änderung zum 01.01.2015 durch das „Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014“2394 wurde diese Infizierungslösung für die 2392 Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.04.2011, BGBl. I 2011, 676; siehe S. 412 f. 2393 Wessing/Biesgen in Flore/Tsambikakis, § 371 AO, Rn. 85. 2394 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 f., siehe 414 f.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Sperrgründe im Zusammenhang mit einer Außenprüfung (§ 371 Abs. 2 S. 2 Nr. 1a und Nr. 1c AO) allerdings auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung beschränkt.2395 Nachstehend soll der Umfang der Sperrgründe, die – zwar mit unterschiedlicher Bedeutung, aber dennoch sämtlich – für die Hinterziehung von Umsatzsteuer relevant sind, untersucht werden.

I. Bekanntgabe der Prüfungsanordnung (§ 371 Abs. 2S. 1 Nr. 1a AO) Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO ist die Abgabe einer Selbstanzeige ­gesperrt, wenn „dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekanntgegeben“ worden ist. Dieser Sperrgrund ist naturgemäß vor allem im Unternehmensbereich und damit auch für die Umsatzsteuer von Bedeutung. 1. Persönlicher Umfang der Sperrwirkung Neben den strafrechtlich bekannten Kategorien wie Tätern, Anstiftern und Gehilfen sind seit dem 01.01.20152396 nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO auch „Begünstigte im Sinne des § 370 AO“ und somit auch (ehemalige) Mitarbeiter von Unternehmen, welche nicht selbst Adressat der Prüfungsanordnung sind, von der Sperrwirkung mit umfasst.2397 Die Sperrwirkung greift unabhängig davon, ob die genannten Personen von der Prüfungsanordnung Kenntnis erlangt haben.2398 Dies betrifft insbesondere ausgeschiedene Geschäftsführer oder Mitarbeiter der Steuerabteilung, die nicht mehr sicher beurteilen können, ob ihrem ehemaligen Unternehmen gerade eine Prüfungsanordnung bekanntgegeben worden ist. Der Gesetzeswortlaut lässt nicht erkennen, wer Begünstigter nach § 370 Abs. 1 AO ist.2399 Nach der Gesetzesbegründung soll dies jedenfalls der Nachzahlungspflichtige i.S.d. § 371 Abs. 3 AO sein.2400 Nach dem 2395 Wessing/Biesgen in Flore/Tsambikakis, § 371 AO, Rn. 85. 2396 Durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415.  2397 Schwartz, PStR 2015, 37, 40; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 430. 2398 Begründung im RegE v. 24.09.2014, 10 f.; siehe auch Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19171; kritisch zum fehlenden Erfordernis der Kenntnis im Hinblick auf die übrigen Sperrgründe Thonemann-Micker/Kanders, DB 2014, 2125, 2127. 2399 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 430.  2400 Buse, DB 2015, 89, 90; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 430; offengelassen von Joecks, DStR 2014, 2261, 2263.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

Willen des Gesetzgebers geht die Sperrwirkung allerdings noch weiter und die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an das Unternehmen schließt eine Selbstanzeige eines jeden Organs oder Mitarbeiters bezüglich der betroffenen Steuerarten aus. Dies soll unabhängig davon gelten, ob es sich um Nachzahlungspflichtige i.S.d. § 371 Abs. 3 AO handelt oder nicht.2401 2. Sachlicher Umfang der Sperrwirkung Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a, letzter HS. AO ist der sachliche Umfang der Sperrwirkung seit dem 01.01.20152402 „beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung“. § 371 Abs. 2 S. 2 AO sieht eine entsprechende Ausnahme vom Vollständigkeitsgebot vor. Hiernach kann – sofern kein anderer Sperrgrund eingreift – bei der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung eine Selbstanzeige für die Zeiträume abgegeben werden, die nicht von der Sperrwirkung erfasst sind.2403 3. Umsatzsteuerliche Prüfungen Da bei einer Umsatzsteuersonderprüfung eine Prüfungsanordnung i.S.d. § 196 AO bekanntgegeben wird, löst die Bekanntgabe einer solchen Prüfung die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 S. 2 Nr. 1a AO aus.2404 Die Erforderlichkeit der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung ist in § 197 Abs. 1 AO geregelt. Bis zum 31.12.2014 war streitig, ob unter den Begriff der Prüfung i.S.d. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO – wozu es an einer Legaldefinition mangelte – auch die Umsatzsteuernachschau i.S.d. § 27b UStG fiel.2405 Nach Ansicht der Finanzverwaltung2406 und einiger Literaturstimmen2407 sollte auch eine Umsatzsteuernachschau unter § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO fallen. Dies wurde damit begründet, dass aufgrund der fehlenden Konkretisierung des Begriffs der „steuerlichen Prüfung“ auch Prüfungen hierunter zu fassen

2401 Begründung im RegE v. 24.09.2014, 12; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 133. 2402 Durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415. 2403 Begründung im RegE v. 24.09.2014, 12; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129. 2404 Stahl, Rn. 267, 269 f. 2405 Heuel/Rau, KÖSDI 2012, 17932, 17941. 2406 FinMin. NRW v. 05.05.2011 - S 702-8-VA 1, AO-StB 2011, 174. 2407 Jäger in Klein, 12. Auflage 2014, § 371, Rn. 57. In der 13. Auflage stellt Jäger in Klein, § 371, 13. Auflage 2016, Rn. 140 zu Recht fest, dass sich dieser Streit erledigt hat; Beyna/Roth, UStB 2010, 310.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

sind, die einer Prüfungsanordnung i.S.d. § 196 AO nicht bedürfen.2408 Die überwiegende Ansicht in der Literatur2409 lehnte es hingegen ab, § 27b UStG ebenfalls unter den Prüfungsbegriff dieses Sperrgrunds zu fassen. Dies wurde damit begründet, dass es sich um keine steuerliche Prüfung i.S.d. § 371 Abs. 2 Nr. 1c AO2410 und keine Prüfung i.S.d. §§ 193 ff. AO handelt.2411 Jedoch ist im Sperrgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO seit dem 01.01.20152412 die Umsatzsteuernachschau nach § 27b UStG normiert2413, sodass sich dieser Streit im Kern erledigt hat.2414 Offen ist indes der sachliche Umfang der Sperrwirkung.2415

II. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO) § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1b AO regelt den Sperrgrund der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, welcher die Abgabe einer Selbstanzeige in diesen Fällen für den „an der Tat Beteiligten“ sperrt. Hierunter fallen neben dem Täter auch der Anstifter oder der Gehilfe, wenn dem Täter dieser Steuerhinterziehung die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wurde.2416 Diese Sperrgrunderweiterung ist jedoch nicht aus dem Wortlaut der Vorschrift abzuleiten, welcher nicht von „einem“ an der Tat Beteiligten, sondern von „dem“ an der Tat Beteiligten spricht.2417 Darüber hinaus tritt die Sperrwirkung nur gegenüber demjenigen ein, gegenüber dem die Einleitung eines Straf- oder Bußgeld2408 FinMin. NRW v. 05.05.2011 - S 702-8-VA 1, AO-StB 2011, 174. 2409 Müller in Haas/Müller, § 2, Rn. 72; Müller, Rn. 1102; Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 160; vgl. auch Joecks in Franzen/Gast/Joecks, 7. Auflage 2009, § 371, Rn. 140a (noch zur Fassung vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz zum Erscheinen des Prüfers zur Umsatzsteuernachschau); Niesgen, UR 2002, 53, 74 und Stahl, Rn. 681, welche die Einordnung der Umsatzsteuernachschau als Prüfung i.S.d. §§ 193 ff. AO ablehnen; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 542. 2410 Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 160.  2411 Siehe auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 542. 2412 Eingefügt durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 f., siehe S. 414 f. 2413 Siehe S. 440 f. 2414 So auch Jäger in Klein, § 371, Rn. 140. 2415 Siehe S. 440 f. 2416 Begründung im RegE v. 24.09.2014, 10 f. 2417 Thonemann-Micker/Kanders, DB 2014, 2125, 2127; so auch Hunsmann, NJW 2015, 113, 115; Joecks, DStR 2014, 2261, 2263; Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19171, welcher diese Auslegung als nicht zwingend erachtet.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

verfahrens bekanntgegeben worden ist,2418 da es sich bei der Verfahrens­ einleitung um eine täterbezogene und nicht um eine tatbezogene Maßnahme handelt.2419 Nachdem der Gesetzgeber die vorhergehende Regelung durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz zum 01.01.2015 bewusst geändert hat, dürfte sich der Streit2420 zum Umfang der Sperrwirkung dergestalt erledigt haben, dass die gesamte Steuerart, für die das Strafverfahren eingeleitet wurde, gesperrt ist.2421 Der Gesetzeswortlaut „wegen der Tat“ (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 AO a.F.) wurde in „bei einer […] der Steuerstraftaten“ (§ 371 Abs. 2 Nr. 1 AO in der Fassung nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz) geändert.

III. Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO) Dem Sperrgrund des Erscheinens eines Amtsträgers (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO) kommt nur eine geringe Bedeutung zu, da eine Außenprüfung nach § 196 AO in aller Regel angekündigt wird und somit der Sperrtatbestand des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO2422 bei Erscheinen des Prüfers bereits eingetreten sein wird. Eigenständige Bedeutung hat der Sperrgrund des Erscheinens des Amtsträgers daher nur als Auffangtatbestand.2423 Seit dem 01.01.20152424 ist der Sperrgrund des Erscheinens wegen einer steuerlichen Prüfung (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO) – ebenso wie der Sperrgrund der Bekanntgabe einer Prüfungsanordnung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO – auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung beschränkt worden. Damit hat sich der bisherige Streit über den Umfang der Sperrwirkung einer Außenprüfung2425 erledigt.

2418 So auch Geuenich, NWB 2015, 29, 33. 2419 Joecks, DStR 2014, 2261, 2264; im Ergebnis auch Hunsmann, NJW 2015, 113, 115, ebenfalls mit der Kritik der fehlenden Kenntniserlangung. 2420 Siehe Stahl, Rn. 273 zur Fassung nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz. 2421 FinMin. NRW v. 05.05.2011 - S 702-8-VA 1, AO-StB 2011, 174 zur Fassung nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz. 2422 Siehe S. 436 ff.  2423 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 447.  2424 Siehe S. 414 f. 2425 Siehe zum Streitstand Madauß, NZWiSt 2015, 41, 44.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

IV. Erscheinen eines Amtsträgers zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d AO) Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d AO ist für den Fall, dass der Amtsträger wegen der Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erscheint, der sachliche Umfang der Sperrwirkung umstritten. Die Sperrwirkung besteht in dem Umfang, so weit der Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörden reicht und „erstreckt sich auch auf […] Taten, die mit dem bisherigen Ermittlungsstand in sachlichem Zusammenhang stehen“.2426

V. Erscheinen eines Amtsträgers zu einer Umsatzsteuer­ nachschau, einer Lohnsteuernachschau oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO) Durch das AO-Änderungsgesetz2427 wurden die Sperrgründe der Selbst­ anzeige unter anderem durch § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO ergänzt. Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO tritt Straffreiheit nicht ein, wenn bei einer zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftat vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuernachschau nach § 27b UStG, einer Lohnsteuernachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften (z.B. der mit Wirkung zum 01.01.2018 eingeführten Kassennachschau nach § 146b AO) erschienen ist und sich ausgewiesen hat. Maßgeblich hierbei ist das Erscheinen des Prüfers.2428 Voraussetzung der Sperrwirkung ist zudem, dass sich der Amtsträger auch entsprechend ausgewiesen hat, da es ansonsten für den Steuerpflichtigen nicht ohne weiteres erkennbar ist, ob eine Nachschau vorgenommen wird oder nicht.2429 Der sachliche Umfang der Sperrwirkung ist nicht klar geregelt.2430 Meines Erachtens ist nur die jeweils einschlägige Steuerart, somit bei einer Umsatzsteuernachschau nur die Umsatzsteuer – allerdings für alle Zeiträume – gesperrt, da die Vorschrift hinsichtlich der gesperr2426 BGH v 20.05.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180, 184, Rn. 15; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 533; Jäger in Klein, § 371, Rn. 136; Stahl, Rn. 372. 2427 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415, siehe S. 414 f. 2428 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 134. 2429 Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 753. 2430 Joecks, DStR 2014, 2261, 2264.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

ten Zeiträume keine Beschränkung enthält.2431 So auch Jäger2432 für den Fall, dass die Nachschau nicht erkennbar auf bestimmte Zeiträume beschränkt wird. Mangels formeller Prüfungsanordnung, auf die hinsichtlich einer zeitlichen Beschränkung abgestellt werden könnte, ist von ­einer zeitlich begrenzten Sperre auszugehen, die endet, wenn der Amts­ träger die Geschäftsräume verlassen hat.2433 Nach Abschluss der Umsatzsteuernachschau ist es möglich, dass dann ein anderer Sperrgrund vorliegt, weil z.B. nach § 27b Abs. 3 UStG – ohne Prüfungsanordnung – zu einer Außenprüfung übergegangen wird, was die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO (Erscheinen zur steuerlichen Prüfung) auslöst. Die Sperrwirkung tritt zu dem Zeitpunkt ein, in dem die Benachrichtigung nach § 27b Abs. 3 S. 2 AO bekanntgegeben wird.2434 Ebenso kommt eine Tatentdeckung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO in Betracht. Der Sperrgrund tritt auch dann ein, wenn das Finanzamt die Nachschau in der Form durchführt, dass der Prüfer beim Steuerberater erscheint, da nach § 27b UStG der Ort der Prüfung unerheblich ist.2435

VI. Tatentdeckung (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO) Als weiteren Sperrgrund sieht § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO vor, dass Straffreiheit dann nicht eintritt, wenn eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. An das subjektive Element der Tat­entdeckung knüpft jedoch der BGH seit seinem Beschluss vom 20.05.20102436 nur noch geringe Anforderungen.2437 Nachstehend sollen die Auswirkungen dieses Sperrgrunds auf Umsatzsteuerhinterziehungen untersucht werden.

2431 Buse, DB 2015, 89, 91; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 134; Joecks, DStR 2014, 2261, 2264; so auch BT-Drs. 17/14821 v. 11.10.2013, S. 20; Erb/Erdel, NZWiSt 2014, 327; Hunsmann, NJW 2015, 113, 115; Rübenstahl, WiJ 2014, 190, 201; Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 1917; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 546. 2432 Jäger in Klein, § 371, Rn. 142. 2433 Müller, Rn. 1106; Schauf in Kohlmann, § 371 Rn. 545; Stahl, Rn. 398; Heuel/ Beyer, AO-StB 2015, 129, 134. 2434 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 545. 2435 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 544; Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 S 0702 - 8f – V A 1, BeckVerw 333636; a.A. Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 753.  2436 BGH v. 20.05.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180, 186 ff. 2437 Stahl, Rn. 403; siehe auch Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 231; Heuel/Matthey, AO-StB 2016, 161, 164.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

1. Tatentdeckung durch Fristablauf bei Fälligkeitssteuern Bezüglich der Umsatzsteuerhinterziehung erlangt dieser Sperrgrund vor allem Relevanz bei der Frage, ob eine Tatentdeckung bereits bei der Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung vorliegt, da dem Finanzamt anhand der Aktenlage bewusst sein muss, dass der Steuerpflichtige zur Abgabe von Voranmeldungen verpflichtet ist2438, und dies auch regelmäßig anhand der Liste der offenen Fälle2439 erkennt. Das OLG Celle2440 hat dies mit der Begründung verneint, dass aufgrund der Möglichkeit des automatischen Besteuerungsverfahrens und der Delegierung von Aufgaben in größeren Unternehmen bei einer unterlassenen Umsatzsteuervoranmeldung nicht zwangsläufig von einem vorsätzlichen Handeln des Unternehmers ausgegangen werden kann. Erforderlich sei vielmehr das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für ein eigenes vorsätzliches Handeln durch den Unternehmer.2441 Ähnlich das OLG Hamburg2442, welches zur Begründung anführt, dass – auch wenn die verspätete Abgabe den Akten anhand der Erklärungsfrist entnommen werden kann – dies noch nicht für eine Tatentdeckung reicht, da andernfalls die Selbstanzeige gerade für die mildeste Tatbegehungsform – die Nichtabgabe – ausgeschlossen ist. Tatentdeckung liege erst bei sicherer Kenntnis des Finanzamts von der Existenz einer Steuerhinterziehung vor. Wenn bei einer verspäteten Einreichung einer Steuererklärung kein Strafverfahren eingeleitet wird, fehle es auf Seiten der ­Finanzbehörde an der Kenntnis der erforderlichen Umstände einer Steuerhinterziehung.2443 Ähnlich auch Schauf2444, Jäger2445 und Joecks2446, die zu Recht davon auszugehen, dass aus der Kenntniserlangung von der Säumnis noch nicht auf eine Tatentdeckung geschlossen werden kann. „Entdeckt“ bedeutet

2438 Siehe zur Rechtslage vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz Nöhren, S. 103 f. 2439 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 673.  2440 OLG Celle v. 24.01.1984 - 1 Ss 367/83, NStZ 1984, 323; Beckemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 371 AO, Rn. 178; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 649; Schmedding in Wannemacher, Rn. 2145 f. 2441 OLG Celle v. 24.01.1985 - 1 Ss 367/83, NStZ 1984, 323. 2442 OLG Hamburg v. 27.01.1970 - 2 Ss 191/69, NJW 1970, 1385; siehe auch Herdemerten, NJW 1970, 1385; Kopacek, NJW 1970, 2098; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 673 f. 2443 So im Ergebnis OLG Hamburg v. 27.01.1970 - 2 Ss 191/69, NJW 1970, 1385. 2444 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 674.  2445 Jäger in Klein, § 371, Rn. 163. 2446 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 308.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

mehr als nur in Verdacht geraten zu sein.2447 Es steht in diesen Fällen regelmäßig weder objektiv noch subjektiv eine Steuerhinterziehung fest, weil möglicherweise gar keine steuerpflichtigen Umsätze erzielt worden sind oder das Versäumnis vielleicht unverschuldet erfolgte oder lediglich auf Fahrlässigkeit bzw. Leichtfertigkeit beruht.2448 Sofern man diesbezüglich eine andere Auffassung vertreten sollte, würde zudem die zum 01.01.20152449 wieder eingeführte Möglichkeit der Teilselbstanzeige (Mehrfachkorrekturen von Voranmeldungen) ins Leere laufen, da regelmäßig sonst eine Tatentdeckung vorliegt. Die zum 01.01.2015 neu geschaffene Privilegierung für Steueranmeldungen nach § 371 Abs. 2a S. 2 AO erfasst diesen Fall nicht, da die Entdeckung in diesem Fall nicht da­ rauf beruht, „dass eine Umsatzsteuervoranmeldung […] nachgeholt oder berichtigt wurde.“2450 2. Einschränkung für Umsatzsteuervoranmeldungen durch § 371 Abs. 2a S. 2 AO Wie oben ausgeführt2451, findet der Sperrgrund nach der seit dem 01.01.20152452 geltenden Rechtslage auf Umsatzsteuervoranmeldungen nur mit der einschränkenden Maßgabe nach § 371 Abs. 2a S. 2 AO Anwendung, dass er nicht greift, wenn „die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung […] nachgeholt oder berichtigt wurde“: Hierdurch ist die Möglichkeit der Teilselbstanzeige bei Umsatzsteuervoranmeldungen weitgehend wieder eingeführt worden.2453

VII. Ausschluss in besonderen Fällen (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO), Absehen von Strafverfolgung in besonderen Fällen (§ 398a AO) Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO tritt Straffreiheit auch dann nicht ein, wenn die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25.000,00 € je Tat übersteigt. Nach § 398a Abs. 1 AO wird jedoch von 2447 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 635, 651. 2448 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 674. 2449 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 f. 2450 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 675. 2451 Siehe S. 427 f.  2452 Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014, BGBl. I 2014, 2415 f. 2453 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 206. 

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen, wenn der an der Tat Beteiligte innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist (1) die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, entrichtet und (2) einen Geldbetrag gestaffelt nach der Höhe der hinterzogenen Steuern zugunsten der Staatskasse zahlt. Sofern der Hinterziehungsbetrag 100.000,00 € nicht übersteigt, beläuft sich dieser Betrag auf 10 % der hinterzogenen Steuern, zwischen 100.000,01 € und 1.000.000,00 € auf 15 % und schließlich oberhalb von 1.000.000,00 € auf 20 % Hinterziehungsbetrag. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Auswirkungen dieser Sperrgrund auf Umsatzsteuerhinterziehungen hat. In Bezug auf eine Steuerhinterziehung durch die Einreichung von un­ richtigen oder verspäteten Umsatzsteuervoranmeldungen findet die 25.000-€-­Grenze jedoch nach § 371 Abs. 2a S. 1 AO2454 („[…] abweichend von den Absätzen […] 2 Nummer 2 […]“) keine Anwendung. 1. Anwendung des Kompensationsverbots Wie so oft im Zusammenhang mit der Hinterziehung von Umsatzsteuer stellt sich auch bei diesem Sperrgrund an mehreren Stellen die Frage, ob das – oben beschriebene2455 – Kompensationsverbot Anwendung findet. Diesbezüglich sind im Rahmen des § 398a AO drei Begriffe auf ihren Bedeutungsinhalt zu untersuchen: „verkürzte Steuer“ i.S.d. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO, „Hinterziehungsbetrag“ i.S.d. § 398a AO (Ermittlung Prozentsatz) und „hinterzogene Steuer“ i.S.d. § 398a AO (Ermittlung Bemessungsgrundlage). a) Anwendung des Kompensationsverbots hinsichtlich der 25.000-€-Grenze (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO) Hinsichtlich der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO („verkürzte Steuer“) ist umstritten, ob hier das Kompensationsverbot Anwendung findet.

2454 Siehe dazu auch S. 426 ff. 2455 Siehe S. 47 ff.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

Eine Ansicht2456 in der Literatur bejaht die Anwendung des Kompensationsverbots. Zur Begründung wird der Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO angeführt, welcher von der „nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte[n] Steuer“ spreche, für welche das Kompensationsverbot eindeutig Anwendung finde.2457 Eine andere Auffassung2458 lehnt dies hingegen ab. Der Gesetzgeber habe in § 398a Abs. 2 AO nur klargestellt, wie das Kompensationsverbot im Rahmen des § 398a AO anzuwenden ist. Eine Aussage dahingehend, dass der für die Sperrwirkung maßgebliche Verkürzungsbetrag nach § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO ebenfalls vom Kompensationsverbot beeinflusst werden soll, sei weder dem eindeutigen Wortlaut der Gesetzesreform noch der Gesetzesbegründung zu entnehmen. Zwar seien § 371 AO und § 398a AO für die Frage der Wirksamkeit der Selbstanzeige eng miteinander verknüpft, es seien aber zwei voneinander unabhängige Prüfungen durchzuführen. Für die Frage, ob die verkürzte Steuer 25.000,00 € überschreitet, seien die Grundsätze zu den Regelbeispielen2459 anzuwenden, bei denen das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO nicht gelte.2460 Angesichts des klaren Gesetzeswortlauts in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO („verkürzte Steuer“) und der klaren Definition in § 370 Abs. 4 AO ist m.E. das Kompensationsverbot bei der 25.000-€-Grenze anzuwenden. b) Ermittlung des Zuschlagtarifs/Prozentsatzes (§ 398a ­Abs. 2 ­AO: Hinter­ziehungsbetrag) Zur Ermittlung des Tarifs (Prozentsatz) stellt der Wortlaut des § 398a Abs. 2 AO auf den „Hinterziehungsbetrag“ ab. Diesbezüglich stellt § 398a Abs. 2 AO ausdrücklich klar, dass sich dieser nach den Grundsätzen des § 370 Abs. 4 AO richtet; wozu auch das Kompensationsverbot in § 370 Abs. 4 S. 3 AO gehört. Damit gilt für die Höhe des Prozentsatzes das Kompensationsverbot. Dies bedeutet, dass nicht zugunsten des Steuer-

2456 Schauf in Kohlmann, § 398a, Rn. 28; Webel in Schwarz/Pahlke, § 398a, Rn. 17; so im Ergebnis auch Höpfner, PStR 2016, 147, 156. 2457 Schauf in Kohlmann, § 398a, Rn. 28; so im Ergebnis auch Jäger in Klein, § 371, Rn. 190. 2458 Radermacher, PStR 2014, 324; so auch Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 753; im Ergebnis auch Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 347; zweifelnd Stahl, KÖSDI 2015, 19167, 19173; offengelassen von Buse, DB 2015, 89, 92. 2459 Siehe S. 169 ff. 2460 Radermacher, PStR 2014, 324.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

pflichtigen saldiert werden darf und auf den Nominalbetrag abgestellt wird.2461 Mit Erlass vom 12.01.20162462 hat das FinMin. NRW in Punkt 18 hinsichtlich des Begriffs „Hinterziehungsbetrag“ festgehalten, dass „für die Bestimmung der 25.000 EUR-Betragsgrenze […] das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 AO [gilt]“. Ebenso die aktuell gültigen AStBV (St) 20192463 in der Fassung vom 18.12.2018 in Abschnitt 82 Abs. 4. c) Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Zuschlag (§ 398a Abs. 1 Nr. 2a-c AO: hinterzogene Steuer) Die „hinterzogene Steuer“ i.S.d. § 398a Abs. 1 Nr. 2a-c AO stellt die „Bemessungsgrundlage des Geldbetrags“ dar, auf welchen die Prozentsätze (10 %, 15 %, 20 %) Anwendung finden. Hierzu wird in der Literatur2464 vertreten, dass das Kompensationsverbot nicht anwendbar ist. Zur Begründung wird zum einen der unterschiedliche Wortlaut von „hinterzogener Steuer“ und „Hinterziehungsbetrag“ angeführt, den der Gesetzgeber gebraucht. Da § 398a Abs. 2 AO nur von Letzterem spricht, könne dies nicht ohne weiteres auf die Berechnung der „hinterzogenen Steuern“ übertragen werden. Darüber hinaus sei auch die Systematik zugunsten dieser Auslegung anzuführen: So sei sowohl in § 398a Abs. 1 Nr. 1 als auch in dessen Nr. 2 von „hinterzogenen Steuern“ die Rede; Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift ist mit § 371 Abs. 3 AO vergleichbar, für welchen das Kompensationsverbot nicht gelte, sodass die Nichtanwendung Kompensationsverbots folglich auch für § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO gelten müsse.2465 Eine andere Literaturauffassung2466, das LG Hamburg2467 sowie der Parlamentarische Staatssekretär im BMF-Schreiben2468 befürworten hingegen 2461 So auch die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs im BMF, BT-Drs. 18/3888 v. 30.01.2015, S. 17. 2462 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636. 2463 AStBV (St) 2019, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 18.12.2018 - S 0720, ­BStBl. I 2018, 1235. 2464 Beneke, DB 2015, 407, 409; Beyer, NWB 2015, 769, 776; Geuenich, NWB 2015, 29, 36; Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 135; Pegel, Stbg 2011, 348; Schauf in Kohlmann, § 398a, Rn. 27; Webel in Schwarz/Pahlke, § 398a, Rn. 38; Talaska in Streck/Spatscheck/Talaska, Rn. 356. 2465 Schauf in Kohlmann, § 398a, Rn. 27. 2466 Habammer/Pflaum, DStR 2014, 2267, 2270; Hunsmann, NZWiSt 2015, 130, 132; Roth, wistra 2017, 304; wohl auch Gehm, StBW 2015, 105, 109. 2467 LG Hamburg v. 20.03.2017 - 620 Qs 10/17, wistra 2017, 284, 286. 2468 BT-Drs. 18/3888 v. 30.01.2015, S. 17.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

auch diesbezüglich eine Anwendbarkeit des Kompensationsverbots – dies vor allem unter Berufung auf den sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Willen des Gesetzgebers – und unterstellen ein „untechnisches Verständnis“2469 der Begriffe durch den Gesetzgeber. Das LG Hamburg führt zudem an, dass bei einer anderen Betrachtung in Erstattungsfällen kein Zuschlag zu zahlen ist, was dem Gesetzeszweck, also der Schärfung der Voraussetzungen der Selbstanzeige, zuwiderlaufe. Das FinMin. NRW hat in seinem Erlass vom 12.01.20162470 in Punkt 11 nun für die Verwaltung klargestellt, dass das Kompensationsverbot diesbezüglich unberücksichtigt bleiben soll. Maßgeblich sei der wirtschaftliche Schaden, also die „tatsächlich entstandene Steuerschuld“.2471 Ebenso die aktuell gültigen AStBV (St) 20192472 in der Fassung vom 18.12.2018 in Abschnitt 82 Abs. 4. Das LG Hamburg2473 betont ausdrücklich, dass es nicht an diese Auffassung der Verwaltung gebunden ist. Wenn der Gesetzgeber in einem Satz einer Vorschrift (§ 398 Abs. 1 Nr. 2a bis c AO) zwei verschiedene Begriffe verwendet, dann darf davon ausgegangen werden, dass diese Begriffe nicht ein und dasselbe meinen. Dies gilt umso mehr, wenn für nur einen dieser beiden Begriffe (Hinterziehungsbetrag) in der gleichen Vorschrift eine Definition gegeben wird. Wenn man Verhältnismäßigkeitserwägungen berücksichtigt, dann spricht das zusätzlich gegen eine Anwendung des Kompensationsverbots hinsichtlich der Ermittlung der „hinterzogenen Steuer“ i.S.d. § 398a Abs. 1 AO. In einem Fall, in dem nach Strafzumessungskriterien oder bei wirtschaftlicher Betrachtung nur ein geringer Schaden oder mangels Zahllast auch gar kein Schaden entstanden ist, ist es unverhältnismäßig einen – gemessen am hohen Nominalbetrag – erheblichen Zuschlag zu verlangen. Ungeachtet dessen spricht für diese Auslegung, dass der Gesetzgeber in der gleichen Vorschrift (§ 398a Abs. 1 AO) ebenfalls den Begriff „hinterzogene Steuer“ verwendet und hier völlig unstreitig ist, dass das Kompensationsverbot nicht anzuwenden ist.

2469 Hunsmann, NZWiSt 2015, 130, 132. 2470 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636; Beyer, BB 2016, 987, 990. 2471 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636. 2472 AStBV (St) 2019, Oberste Finanzbehörden der Länder v. 18.12.2018 - S 0720, ­BStBl. I 2018, 1235. 2473 LG Hamburg v. 20.03.2017 - 620 Qs 10/17, wistra 2017, 284, 286; kommentiert von Webel, wistra 2017, 286 und Roth, PStR 2017, 244 f.

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d) Anwendung des Kompensationsverbots nach der Rechtslage bis 31.12.2014 Hinsichtlich der Berechnung der verkürzten Steuer war seit der Geltung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes umstritten, ob das in § 370 Abs. 4 S. 3 AO normierte Kompensationsverbot2474 Anwendung findet oder nicht. Teile der Literatur2475 sowie das AG Stuttgart2476 bejahten dies. Die Gegenansicht finde weder in Gesetzesmaterialien noch im Wortlaut des § 398a AO eine Stütze.2477 Andere Teile der Literatur2478 lehnten dies ab. Zur Begründung wird angeführt, dass das Kompensationsverbot auch im Rahmen der Nachentrichtungspflicht des § 371 Abs. 3 AO nicht herangezogen wird.2479 Darüber hinaus handele es sich nicht um eine reelle Steuerschuld.2480 e) Zuschlag bei geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen Hinsichtlich der Berechnung der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO in Bezug auf eine Umsatzsteuerjahreserklärung bei bezahlten Umsatzsteuervoranmeldungen findet nach Auffassung der Verwaltung (Erlass vom 12.01.20162481) das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO Anwendung. Das bedeutet, dass – so der genaue Wortlaut – „Vorauszahlungen“ nicht gegengerechnet werden. Höpfner2482 stimmt dem zu. Ursächlich hierfür sei aber nicht das Kompensationsverbot, sondern die Definition der Steuerverkürzung in § 370 Abs. 4 S. 1 AO. Diesbezüglich komme es auf die Festsetzung an, so dass die Bezahlung von Steuern unerheblich für die Höhe der Steuerverkürzung sei.

2474 Siehe S. 47 ff. 2475 Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 398a AO, Rn. 30; Jäger in Klein, § 398a, Rn. 12. 2476 AG Stuttgart v. 10.07.2013 - 23 Cs 147 Js 95252/12, NZWiSt 2014, 279 mit Anmerkung Gehm, NZWiSt 2014, 280. 2477 Jäger in Klein, 12. Auflage 2014, § 398a, Rn. 12.  2478 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 398a, Rn. 14; Madauß, NZWiSt 2014, 21; Pegel, Stbg 2011, 348; Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200, 205; Schmedding in Wannemacher, Rn. 2180; Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 161; Wulf/Kamps, DB 2011, 1711, 1715. 2479 Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 161; so im Ergebnis auch Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200, 205, welche ebenfalls auf § 371 Abs. 3 AO verweisen. 2480 Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 161. 2481 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636 in Punkt 18. 2482 Höpfner, PStR 2016, 147, 156.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

Dies entspricht der Ansicht des AG Stuttgart2483, welches von einer nominalen Steuerverkürzung2484 in Höhe des Jahressteuergesamtbetrags ohne Berücksichtigung der vorangemeldeten Steuern ausgeht. In der Praxis verfahren die Finanzämter richtigerweise aber oft so, dass sie zwar nicht die – wie es im Erlass wörtlich heißt – „bezahlte UmsatzsteuerVor­anmeldungen“ abziehen, sondern die angemeldeten (!) Beträge aufgrund einer Umsatzsteuervoranmeldung.2485 Wulf2486 weist darauf hin, dass keine Steuerhinterziehung vorliegt, da der Anspruch des Fiskus durch die Vorauszahlungen bereits getilgt ist. Dem stünde auch nicht entgegen, dass die Anrechnung verfahrensrechtlich von der Festsetzung im Steuerbescheid getrennt ist. Die Umsatzsteueransprüche – so zutreffend Wulf – entstehen nach § 13 UStG bereits unterjährig, wobei Umsatzsteuer und Vorsteuer miteinander zu verrechnen sind. Sie stellen deshalb im Rahmen der Jahreserklärung – zumindest steuerlich2487 – nur noch Rechenpositionen dar. Mit der Umsatzsteuerjahreserklärung werde daher nach § 18 Abs. 4 UStG lediglich noch der Unterschiedsbetrag (Saldo) festgesetzt. Dies ist m.E. zutreffend.2488 Die bereits steuerlich durch Zahlung getilgten Steueransprüche können strafrechtlich nicht mehr verkürzt werden. Madauß2489 verneint schon eine Tathandlung i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Im Übrigen scheide in der Praxis der Vorsatz bei Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung aus, da bereits zutreffende Umsatzsteuervoranmeldungen vorliegen würden und das Finanzamt dementsprechend richtig informiert ist. 2. Zuschlagszahlung durch jeden Tatbeteiligten Der Gesetzeswortlaut schreibt vor, dass der Zuschlag durch denjenigen gezahlt werden muss, „der an der Tat beteiligt“ ist (§ 398a Abs. 1 AO). Die hinterzogene Steuer und die Nachzahlungs- und Hinterziehungszinsen müssen hingegen nur durch den Beteiligten gezahlt werden, zu dessen Gunsten die Hinterziehung erfolgte (§ 398a Abs. 1 Nr. 1 AO). 2483 AG Stuttgart v. 10.07.2013 - 23 Cs 147 Js 95252/12, NZWiSt 2014, 279, mit Anmerkung Gehm, NZWiSt 2014, 280. 2484 Siehe zum Hinterziehungsvolumen auch S. 82 ff. 2485 Heuel, AO-StB 2016, 261, 269. 2486 Wulf, Stbg 2015, 160, 164; so auch Beyer, NWB 2015, 769, 776; Heuel/Beyer, BBK 2015, 740, 759. 2487 BFH v. 22.05.2012 - VII R 47/11, BStBl. II 2013, 3. 2488 Heuel, AO-StB 2016, 261, 269. 2489 Madauß, NZWiSt 2015, 23.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Umstritten ist aber, ob der Zuschlag mehrfach – also durch jeden Tatbeteiligten – zu zahlen ist oder insgesamt nur einmal. Da in Unternehmen gerade auch im Hinblick auf die Umsatzsteuer oft mehrere Personen involviert sind, hat die Frage auch große praktische Relevanz. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass der Gesetzgeber den Zuschlag für typisiertes Verschulden festgelegt hat.2490 Da Verschulden personenbezogen sei, spreche dies dafür, dass der Zuschlag von jedem Tatbeteiligten zu zahlen ist, wenn er jeweils ein Absehen von Strafverfolgung nach § 398a AO herbeiführen will. Das FinMin. NRW vertritt in seinem Erlass vom 12.01.20162491 in Punkt 13 unter Berufung auf eine Entscheidung des LG Aachen2492 (zu § 398a AO a.F.) ebenfalls die Auffassung, dass der Zuschlag von jedem Tatbeteiligten zu zahlen ist. Die Gegenmeinung2493 ist der Auffassung, dass die mehrfache Zahlungsverpflichtung unverhältnismäßig ist und der Zuschlag eine Art Kompensation für nicht ausreichende Hinterziehungszinsen darstellt und dieser daher insgesamt pro Tat nur einmal zu zahlen ist. 3. Steuerhinterziehung auf Zeit Hinsichtlich der wegen des Charakters als Fälligkeitssteuer bei Umsatzsteuervoranmeldungen häufig vorkommenden Steuerhinterziehung auf Zeit ist ungeklärt, in welcher Höhe ein Zuschlag zu entrichten ist. Wie bereits ausgeführt2494, bemisst sich nach der BGH-Rechtsprechung2495 auch in diesen Fällen die Höhe der hinterzogenen Steuer nach dem Nominalbetrag der nicht festgesetzten Steuer und nicht nur nach dem Zinsschaden. Letzterer ist nur im Rahmen der Strafzumessung von Bedeutung. Im Rahmen des § 398a AO stellt sich nun die Frage, ob der Zuschlag daher vom Nominalbetrag oder vom Zinsschaden ausgehend zu berechnen ist.

2490 Jäger in Klein, § 398a, Rn. 63; offengelassen von Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 398a, Rn. 19. 2491 Erlass des FinMin. NRW v. 12.01.2016 - S 0702 - 8f - V A 1, BeckVerw 333636. 2492 LG Aachen v. 27.08.2014 - 86 Qs 11/14, wistra 2014, 493. 2493 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 136; Külz/Maurer, PStR 2013, 150, 152; Schauf in Kohlmann, § 398a, Rn. 12. 2494 Siehe S. 82 ff. 2495 BGH v. 17.03.2009 - 1 StR 627/08, NJW 2009, 1979, 1982.

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C.  Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen nach § 371 Abs. 2 AO

Ausgehend vom Gesetzeswortlaut des § 398a AO, der auf die hinterzogene Steuer abstellt, wird von einigen in der Literatur2496 vertreten, dass der Nominalbetrag die Bemessungsgrundlage für den Zuschlag darstellt. Die Gegenauffassung in der Literatur2497 beruft sich – zu Recht – darauf, dass ein Abstellen auf den Nominalbetrag im Widerspruch zum Schuldprinzip nach § 46 Abs. 1 S. 1 StGB steht, wonach die Schuld des Täters Grundlage für die Strafzumessung ist. Dem Einwand, dass es dem Täter unbenommen ist, sich durch Verweigerung der Zuschlagszahlung „einem Strafverfahren zu stellen“2498 und die „Flucht in das Strafverfahren“2499 anzutreten, ist entgegenzutreten. Zum einen ist ein Strafverfahren die „schärfste […] Waffe“ des Rechtsstaats2500 und kann nur ultima Ratio sein. Zum anderen hat der Gesetzgeber durch die Möglichkeit einer Selbstanzeige in Kombination mit einer Geldzahlung nach § 398a AO dem Steuerpflichtigen einen Weg eingeräumt, der zumutbar – ohne die Unwägbarkeiten der Durchführung eines Steuerstrafverfahrens – zu beschreiten sein muss. Bei der Selbstanzeige handelt es sich unter anderem um eine Einladung zur Rückkehr in die Steuerehrlichkeit2501, die dem Anzeigeerstatter nicht durch unzumutbar hohe Anforderungen faktisch unmöglich gemacht werden darf. Anderenfalls wäre es nur eine „Scheineinladung“. Insbesondere der Verweis auf das Strafverfahren erscheint vor diesem Hintergrund unzumutbar. Zudem spricht gegen eine Berücksichtigung des Nominalbetrags, dass die Rechtsprechung auch unter anderen Gesichtspunkten das Schuldprinzip berücksichtigt. So ist z.B. bei mehreren Selbstanzeigeerstattern von jedem der Geldbetrag nach § 398a AO zu zahlen.2502

VIII. Ausschluss bei besonders schwerem Fall nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2–5 AO (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AO), Absehen von Strafverfolgung in besonderen Fällen (§ 398a AO) Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AO tritt in den Fällen einer schweren Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Nr. 2–5 AO eine Sperrwirkung ein. 2496 Jäger in Klein, § 398a, Rn. 12. 2497 Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf, wistra 2011, 281, 286; Külz/Maurer, PStR 2013, 150; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 398a AO, Rn. 59, 61, 62; Schauf in Kohlmann, § 398a, Rn. 26. 2498 Jäger in Klein, § 398a, Rn. 3. 2499 Schauf in Kohlmann, § 398a, Rn. 5. 2500 BVerfG v. 25.02.1975 - 1 BvF 1-6/74, NJW 1975, 573, 576. 2501 BGH v. 20.05.2010 - 1 StR 577/09, BGHSt 55, 180, 181. 2502 Siehe S. 449 f.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

Auch in diesen Fällen kann unter den o.g. Voraussetzungen von der Strafverfolgung nach § 398a AO abgesehen werden. Bei einer schweren Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO (großes Ausmaß) greift die Zuschlagsregelung bereits wegen der Betragsüberschreitung. Keine Sperrwirkung entfaltet hingegen ein unbenannter schwerer Fall i.S.d. § 370 Abs. 3 S. 2 AO, da eine Einbeziehung von unbenannten Regelbeispielen einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG darstellt.2503 Der Wortlaut des Gesetzes verweist explizit nur auf die benannten Regelbeispiele.2504

IX. Zwischenergebnis zu den negativen Wirksamkeits­ voraussetzungen Das hier gefundene Ergebnis zu den Sperrgründen bei Umsatzsteuerhinterziehungen lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Abgabe einer Selbstanzeige ist nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1a AO gesperrt, wenn „dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i.S.d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsan­ ordnung nach § 196 AO bekanntgegeben“ worden ist. Das ist bei einer Umsatzsteuersonderprüfung der Fall. Bis zum 31.12.2014 war streitig, ob unter den Begriff der Prüfung i.S.d. § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO – wozu es an einer Legaldefinition mangelte – auch die Umsatzsteuernachschau i.S.d. § 27b UStG fiel. Seit 01.01.2015 ist dieser Streit hinfällig geworden, da in § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO die Umsatzsteuernachschau nach § 27b UStG als Sperrgrund aufgenommen worden ist. Dieser Sperrgrund greift in Bezug auf Umsatzsteuerhinterziehungen, wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuernachschau nach § 27b UStG erschienen ist und sich ausgewiesen hat. Gesperrt sind sämtliche Umsatzsteuerhinterziehungen (und nur diese) für sämtliche Zeiträume. Die Sperrwirkung endet, wenn der Amtsträger die Geschäftsräume verlassen hat und sofern kein Anschlusssperrgrund vorliegt. Dies wäre z.B. der Fall, wenn nach § 27b Abs. 3 UStG zu einer Außenprüfung übergegangen (Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1c AO) und dies dem Steuerpflichtigen nach § 27b Abs. 3 S. 2 AO bekanntgegeben wird.

2503 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129. 2504 Hunsmann, NJW 2015, 113, 116.

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D.  Fristgerechte Nachzahlung, § 371 Abs. 3 AO

Es wurde festgestellt, dass der Sperrgrund der Tatentdeckung nach § 370 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO nicht bei der Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung eingreift, wenn das Finanzamt anhand der Aktenlage (Liste der offenen Fälle) erkennt, dass der Steuerpflichtige seine Voranmeldung nicht fristgerecht eingereicht hat. Der Sperrgrund findet nach der seit dem 01.01.2015 geltenden Rechtslage auf Umsatzsteuervoranmeldungen zudem keine Anwendung, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde. In Bezug auf Steuerhinterziehungen durch die Einreichung von unrich­ tigen oder verspäteten Umsatzsteuervoranmeldungen findet der Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO (25.000-€-Grenze) nach § 371 Abs. 2a S. 1 AO keine Anwendung und es fällt demzufolge kein Strafzuschlag nach § 398a AO an. Bei Steuerhinterziehungen in Bezug auf Umsatzsteuerjahreserklärungen ist der Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO (25.000-€-Grenze) anwendbar. Diesbezüglich kann nach § 398a AO von der Verfolgung abgesehen werden. Dies setzt unter anderem voraus, dass der Steuerpflichtige einen Geldbetrag gestaffelt nach der Höhe der hinterzogenen Steuern zugunsten der Staatskasse zahlt. Bei der Anwendung des Kompensationsverbots hinsichtlich der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO („verkürzte Steuer“) findet das Kompensationsverbot Anwendung. Zu der Bestimmung des Tarifs (Prozentsatz) nach § 398a Abs. 2 AO ist der Hinterziehungsbetrag ebenfalls unter Anwendung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO zu ermitteln. Die „hinterzogene Steuer“ i.S.d. § 398a Abs. 1 Nr. 2a-c AO (Ermittlung der Bemessungsgrundlage) wird nicht unter Anwendung des Kompensationsverbots ermittelt. Bei der Berechnung der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO in Bezug auf eine Umsatzsteuerjahreserklärung sind angemeldete Beträge aufgrund einer Umsatzsteuervor­anmeldung mindernd zu berücksichtigen. Das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO findet diesbezüglich keine Anwendung.

D. Fristgerechte Nachzahlung, § 371 Abs. 3 AO § 371 Abs. 3 S. 1 AO sieht vor, dass, wenn die Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt sind, Straffreiheit für den an der Tat Beteiligten nur dann eintritt, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 453

6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet. Im Rahmen der Umsatzsteuerhinterziehung ist insbesondere das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO von Bedeutung. Hierbei entfaltet der Unterschied zwischen dem Begriff „verkürzte Steuern“ in § 370 Abs. 4 AO und dem Begriff „hinterzogene Steuern“ in § 371 Abs. 3 AO Relevanz.2505 Sofern eine Steuerverkürzung nur aufgrund der Anwendung des Kompensationsverbots bejaht werden kann, ergibt sich mangels Steuerschuld kein Nachzahlungsbetrag.2506 Auch bei Fälligkeitssteuern, wie der Umsatzsteuer, hat der Steuerhinterzieher einen Anspruch auf eine angemessene Nachzahlungsfrist.2507 Nach § 371 Abs. 3 S. 2 AO ist jedoch die Wirksamkeit von Selbstan­ zeigen, welche Umsatzsteuervoranmeldungen betreffen, nicht von der Nachzahlung der Zinsen nach § 233a AO oder § 235 AO abhängig.2508 Daneben ist umsatzsteuerrechtlich die Steuerverkürzung auf Zeit in diesem Kontext relevant, welche sich insbesondere bei der Umsatzsteuerhinterziehung häufig aufgrund des Charakters der Umsatzsteuer als ­Fälligkeitsteuer ergeben kann.2509 Hierbei ist umstritten, ob für die Nachzahlung der Nominalbetrag relevant ist2510, also der Taterfolg i.S.d. § 370 Abs. 1, Abs. 4 S. 1, 2 AO2511, oder lediglich der Zinsschaden.2512 Zugunsten der ersten Ansicht wird angeführt, dass dem Steuerpflichtigen nicht nur der Vorteil aus der nachträglichen Zahlung, sondern auch der aus der Nichtentrichtung der Steuern finanziell zugutegekommen ist.2513 Eine Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung auf Zeit und auf Dauer

2505 Siehe Schmedding in Wannemacher, Rn. 2213 f.; Stahl, Rn. 234 f. 2506 FG Köln v. 25.05.1988 - 6 K 289/83, wistra 1988, 316; Jäger in Klein, § 371, Rn. 216; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 150; Rolletschke, Rn. 638; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 328; Wessing in Flore/Tsambikakis, § 371 AO, Rn. 153; so auch Schmedding in Wannemacher, Rn. 2214; Stahl, Rn. 234 f. 2507 Schauf in Kohlmann, § 371 Rn. 343; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 155.  2508 Heuel/Beyer, AO-StB 2015, 129, 135. 2509 Siehe Stahl, Rn. 235.  2510 Jäger in Klein, § 371, Rn. 215; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 149; Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200, 205; Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 371 AO, Rn. 157; Roth, NZWiSt 2012, 174, 175; Stahl, Rn. 235; Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 161. 2511 Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200, 205; wohl auch Müller, AO-StB 2008, 80, 81. 2512 Albrecht, DB 2006, 1696; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 330. 2513 Jäger in Klein, § 371, Rn. 215.

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D.  Fristgerechte Nachzahlung, § 371 Abs. 3 AO

sei lediglich auf der Strafzumessungsebene vorzunehmen.2514 Andere sind der Auffassung, dass der „unmittelbare“ Vorteil des Täters nur in der Höhe des Zinsvorteils besteht und für die Wirksamkeit der Selbstanzeige nur der Zinsschaden zu entrichten ist.2515 Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise ist interessengerecht, da für die im Rahmen des § 371 AO anzustellende strafrechtliche Betrachtung nur der inkriminierte Vorteil gemeint sein kann. Selbstverständlich ist es dem Fiskus unbenommen, den Nominalbetrag beizutreiben, aber nicht flankiert von der „Sanktion“ einer bei Nichtzahlung des Nominalbetrags unwirksamen Selbstanzeige, was insbesondere bei zwischenzeitlich eingetretener Vermögenslosigkeit von Bedeutung ist. Auch hier zeigt sich einmal mehr, dass zwischen der strafrechtlichen und der steuerlichen Ebene zu unterscheiden ist. Joecks2516 weist daher zu Recht darauf hin, dass sich bei einer verspätet eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung die Nach­ ­ zahlungspflicht nicht auf die gesamte Zahllast bezieht, sondern auf den Schaden des Fiskus. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang fraglich, wie die Leistung von Teilzahlungen einzuordnen ist, ob also das „Alles-oder-nichts-Prinzip“2517 von § 371 Abs. 1 und 2 AO auch auf § 371 Abs. 3 AO Anwendung findet. Einerseits wurde zur Regelung nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vertreten, dass bei § 371 Abs. 3 AO auf die einzelne materielle Tat abzustellen ist, sodass im Fall einer Teilzahlung Straffreiheit für jene Taten eintritt, bei denen eine vollständige Entrichtung der hinterzogenen Steuern gegeben ist2518. Andererseits wird vertreten, dass eine Teilzahlung nicht mehr zur teilweisen Straffreiheit führen soll.2519 Diese sei nur noch bei Entrichtung der gesamten Nachzahlung innerhalb der von der Finanzbehörde vorgegebenen Frist möglich. Zugunsten der ersten Ansicht wird zum einen der Wortlaut der Vorschrift angeführt2520, welcher – so auch in der Fassung ab dem 01.01.2015 – von der Tat spricht. Darüber hinaus wird auch die Gesetzesbegründung angeführt2521, in der 2514 Rolletschke in Graf/Jäger/Wittig, § 371 AO, Rn. 157. 2515 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 330; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 149. 2516 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 149. 2517 Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 162. 2518 Kemper in Rolletschke/Kemper, § 371 AO, Rn. 404; Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200, 204; Schmedding in Wannemacher, Rn. 2212; Stahl, Rn. 243; Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 162; Zanzinger, DStR 2011, 1397, 1402. 2519 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 404; so auch Buse, StBp 2011, 153, 157; Hunsmann, NJW 2011, 1482, 1486. 2520 Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 162. 2521 Rolletschke/Roth, Stbg 2011, 200, 204; Tormöhlen, AO-StB 2014, 158, 162.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

von „Straffreiheit für die jeweilige einzelne Tat“2522 die Rede ist. Die zweite Ansicht führt hingegen an, dass infolge des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes der Wortlaut dahingehend geändert wurde, dass Straffreiheit eintritt, „wenn […]“, wohingegen die Altfassung an dieser Stelle das Wort „soweit“ enthielt.2523 Im Einklang mit der Abschaffung der Teilselbstanzeige solle daher auch eine Teilzahlung nicht mehr für eine wirksame Selbstanzeige ausreichend sein. Hinsichtlich der Nachzahlungsverpflichtung nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO findet das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO keine Anwendung. Auch bei Fälligkeitssteuern wie der Umsatzsteuer hat der Steuerhinterzieher einen Anspruch auf eine angemessene Nachzahlungsfrist. Die Wirksamkeit von Selbstanzeigen, welche Umsatzsteuervoranmeldungen betreffen, ist nicht von der Nachzahlung der Zinsen nach § 233a AO oder § 235 AO abhängig (371 Abs. 3 S. 2 AO). Bei einer Steuerverkürzung auf Zeit ist nicht die Zahlung des Nominalbetrags der Steuern erforderlich. Ausreichend ist die Entrichtung des Zinsschadens.

E. Fremdanzeige, § 371 Abs. 4 AO Neben der in § 371 Abs. 1 AO geregelten Selbstanzeige ist in § 371 Abs. 4 AO die – im Unternehmensbereich praktisch sehr bedeutsame – Selbstanzeige zu Gunsten Dritter (sog. Fremdanzeige) geregelt. Danach wird ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen bzw. unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, wenn die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß erstattet wird, sofern nicht ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekanntgegeben worden ist. Hierdurch soll vermieden werden, dass jemand, der eine Erklärung nach § 153 AO nachholt oder berichtigt, einen Dritten, welcher diese Erklärung nicht oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, der Gefahr der Strafverfolgung aussetzt.2524 Im Gegensatz zur Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO kennt § 371 Abs. 4 AO als Sperrgrund nur die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens, nicht jedoch – wie bei der Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO – Tat­ entdeckung, Prüfungsanordnung, Umsatzsteuernachschau, Lohnsteuernachschau, Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften 2522 BT-Drs. 17/5067 (neu) v. 16.03.2011, S. 21. 2523 Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 404. 2524 Füllsack/Bürger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 639.

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F.  Ergebnis 6. Teil

oder Erscheinen eines Betriebsprüfers. Daher kann auch noch bei laufender Betriebsprüfung z.B. durch einen Geschäftsführerwechsel Straffreiheit durch die Fremdanzeige erlangt werden.2525 Die Fremdanzeige stellt lediglich ein Strafverfolgungshindernis bei dem von der Anzeige betroffenen Dritten dar. Nur diesen trifft auch nach § 371 Abs. 4 S. 2 AO die Nachzahlungspflicht, sofern ein Handeln zum eigenen Vorteil gegeben ist.2526 Voraussetzung für die Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO ist lediglich die Anzeige der unrichtig abgegebenen Steuererklärung, nicht jedoch deren Richtigstellung.2527 Die Anzeige muss rechtzeitig, also ohne schuldhaftes Zögern, erstattet werden, nachdem der Anzeigepflichtige positive Kenntnis von der unrichtigen, unvollständigen oder fehlenden Erklärung des Dritten erlangt hat oder sich ihm die diesbezügliche Erkenntnis hätte aufdrängen müssen. § 371 Abs. 4 AO sieht als Rechtsfolge ein Strafverfolgungshindernis vor, wobei dessen Reichweite umstritten ist. So wird sowohl vertreten, dass hiervon nur der Berichtigungsunterlasser2528 (der, der seine Pflichten nach § 153 AO verletzt hat), als auch, dass daneben der Ursprungshinterzieher2529 umfasst ist.2530

F. Ergebnis 6. Teil Im Bereich der Umsatzsteuer besteht oft die Notwendigkeit der Korrektur von Umsatzsteuervoranmeldungen und gelegentlich auch von Umsatzsteuerjahreserklärungen. Dies ist insbesondere bei größeren Unternehmen der Fall. Da die Abgabefristen sehr kurz bemessen sind, kommt es zudem – vor allem bei kleineren Unternehmen – häufig zur verspä­ teten Abgabe von Umsatzsteueranmeldungen, insbesondere Umsatzsteuervoranmeldungen. Da in den vorbezeichneten Fällen der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 AO vorliegt, entscheidet sich die Frage, ob die Voraussetzungen einer Selbstanzeige nach § 371 AO zur Erlangung von Straflosigkeit erfüllt sind, im sehr konturenlosen und schwer greifbaren subjektiven Tatbestand. Hierbei kommt

2525 Siehe hierzu Aue, PStR 2011, 269. 2526 Füllsack/Bürger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 639 f.; Stahl, Rn. 475. 2527 Jäger in Klein, § 371, Rn. 243. 2528 Jäger in Klein, § 371, Rn. 242; Schauf in Kohlmann, § 371, Rn. 856. 2529 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 371, Rn. 410.  2530 Zum Streitstand siehe Füllsack/Bürger in Quedenfeld/Füllsack, Rn. 644 ff.

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6. Teil:  Selbstanzeige im Kontext der Hinterziehung von ­Umsatzsteuer

es darauf an, ob die Steuerverkürzung (zumindest bedingt) vorsätzlich erfolgte. Seit dem 01.01.2015 muss sich eine Selbstanzeige in vollem Umfang auf alle unverjährten Umsatzsteuerhinterziehungen erstrecken, mindestens aber auf alle Umsatzsteuerhinterziehungen der letzten zehn Kalenderjahre (sog. Mindestfrist). Hinsichtlich des Vollständigkeitsgebots ist festgestellt worden, dass bei einer Selbstanzeige zur Umsatzsteuer nicht auf die Vollständigkeit bezüglich der Angaben des betroffenen Unternehmens abzustellen ist, sondern auf die Vollständigkeit bezüglich der Angaben der jeweiligen natürlichen Person (des Täters) hinsichtlich der Umsatzsteuer. Die Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung ist als Selbstanzeige unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben in den zuvor abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen dieses Jahres zu werten. Nach § 371 Abs. 2a S. 1 AO ist für den Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen (nicht der Jahreserklärung) wieder die Möglichkeit einer Teilselbstanzeige gesetzlich zugelassen, nachdem diese durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz vom 28.04.2011 zwischenzeitlich abgeschafft worden war. Nach § 371 Abs. 2a S. 2 AO greift zudem nicht der Sperrgrund der Tatentdeckung, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervor­anmeldung (nicht die Umsatzsteuerjahreserklärung) nachgeholt oder berichtigt wurde. Fungiert eine Umsatzsteuerjahreserklärung als Selbstanzeige für eine auf das Kalenderjahr bezogene Steueranmeldung (also eine Jahreserklärung), braucht diese nach § 371 Abs. 2a S. 4 AO nicht die Berichtigungen für die Umsatzsteuervoranmeldungen des laufenden Jahres zu umfassen. Sofern durch Umsatzsteuervoranmeldungen begangene Steuerhinterziehungen durch die Abgabe einer zutreffenden und fristgerechten Umsatzsteuerjahreserklärung korrigiert werden, fällt kein Strafzuschlag nach § 398a AO an. Dies gilt jedoch nicht, wenn die falschen Angaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen bereits in einer ebenfalls unzutreffenden Umsatzsteuerjahreserklärung wiederholt wurden, diese andere falsche Angaben enthält oder die Umsatzsteuerjahreserklärung verspätet abgegeben wurde. Die Umsatzsteuernachschau nach § 27b UStG stellt einen Sperrgrund dar (§ 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO), wenn ein Amtsträger erschienen ist und sich ausgewiesen hat. Gesperrt sind Selbstanzeigen für sämtliche Umsatzsteuerhinterziehungen und Zeiträume. Die Sperrwirkung endet, wenn der Amtsträger die Geschäftsräume verlassen hat. Der Sperrgrund 458

F.  Ergebnis 6. Teil

der Tatentdeckung nach § 370 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO greift nicht bei der Nichtabgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung, selbst wenn das Finanzamt anhand der Aktenlage (Liste der offenen Fälle) erkennt, dass der Steuerpflichtige seine Voranmeldung nicht fristgerecht eingereicht hat. Die Tatentdeckung findet auf Umsatzsteuervoranmeldungen zudem keine Anwendung, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde. In Bezug auf Steuerhinterziehungen durch die Einreichung von unrichtigen oder verspäteten Umsatzsteuervoranmeldungen findet der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO (25.000-€-Grenze) nach § 371 Abs. 2a S. 1 AO keine Anwendung und es fällt demzufolge kein Strafzuschlag nach § 398a AO an. Bei Steuerhinterziehungen in Bezug auf Umsatzsteuerjahreserklärungen ist der Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO (25.000-€-Grenze) anwendbar. Bei der Anwendung des Kompensationsverbots hinsichtlich der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO („verkürzte Steuer“) findet das Kompensationsverbot Anwendung. Zur Ermittlung des Tarifs (Prozentsatz) nach § 398a Abs. 2 AO ist der Hinterziehungsbetrag ebenfalls unter Anwendung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO zu ermitteln. Die „hinterzogene Steuer“ i.S.d. § 398a Abs. 1 Nr. 2a-c AO (Ermittlung der Bemessungsgrundlage) wird hingegen nicht unter Anwendung des Kompensationsverbots ermittelt. Bei der Berechnung der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO in Bezug auf eine Umsatzsteuerjahreserklärung sind die durch Umsatzsteuervoranmeldungen angemeldeten Beträge mindernd zu berücksichtigen. Das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO findet diesbezüglich keine Anwendung. Bezüglich der Nachzahlungsverpflichtung nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO ist das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO ebenfalls nicht anwendbar. Auch bei Fälligkeitssteuern wie der Umsatzsteuer hat der Steuerhinterzieher einen Anspruch auf eine angemessene Nachzahlungsfrist. Die Wirksamkeit von Selbstanzeigen, welche Umsatzsteuervoranmeldungen betreffen, ist nicht von der Nachzahlung der Zinsen nach § 233a AO oder § 235 AO abhängig (371 Abs. 3 S. 2 AO). Bei einer Steuerverkürzung auf Zeit ist nicht die Zahlung des Nominalbetrags der Steuern erforderlich. Ausreichend ist hier die Entrichtung des Zinsschadens.

459

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, wie schwierig oft bereits auf einer ersten Stufe das Zusammenspiel zwischen dem Umsatzsteuerstrafrecht (den verweisenden Normen des § 370 AO bzw. des § 26c UStG) und dem nationalen – komplexen und sehr formalen – Umsatzsteuerrecht (UStG, UStDV) ist. Erschwerend kommt hinzu, dass auf einer zweiten Stufe zusätzlich das vorrangige EU-Recht der MwStSystRL zu beachten ist. Dabei sind die EU-rechtlichen Vorschriften – über deren Auslegung der EuGH im harmonisierten Umsatzsteuerrecht (vgl. Art. 113 AEU-Vertrag) zu entscheiden hat – und die nationalen Vorschriften des Steuerrechts nicht immer nahtlos aufeinander abgestimmt. Ungeachtet dessen entscheidet der EuGH inzwischen – in nahezu allen Bereichen – zumindest mittelbar auch durch Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts. In der Folge stellt sich dann auf einer dritten Stufe die Frage, ob und wie die auf steuerlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen ins Steuerstrafrecht übernommen werden können. Zusammengefasst sind somit das Umsatzsteuerrecht (nationales Recht und EU-Recht) und das steuerliche Verfahrensrecht (im Wesentlichen in der AO geregelt) einer gemeinsamen Betrachtung aus dem Blickwinkel des Strafrechts (materielles Recht und Strafverfahrensrecht) zu unterziehen. Vor diesem Hintergrund hat die vorliegende Arbeit – im Rahmen einer Gesamtdarstellung – alle wesentlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit Umsatzsteuerhinterziehung stellen, auf der Basis des geltenden Rechts untersucht und hierbei im Wesentlichen folgende Ergebnisse erzielt: Im 1. Teil wurde zunächst herausgearbeitet, dass hinsichtlich des Vollendungszeitpunkts bei der Umsatzsteuerhinterziehung wie folgt zu dif­ ferenzieren ist: Gibt der Steuerpflichtige vor dem Fälligkeitstag eine ­unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung mit einer Zahllast ab, tritt Vollendung bereits mit Eingang der unrichtigen Steueranmeldung beim Finanzamt ein. Gibt der Steuerpflichtige hingegen vor dem Fälligkeitstag eine unvollständige bzw. unrichtige Umsatzsteuervoranmeldung oder Umsatzsteuerjahreserklärung mit einem Erstattungsbetrag ab, liegt nach § 168 S. 2 AO erst dann eine vollendete Steuerhinterziehung vor, wenn die Finanzbehörde zugestimmt hat. Vor Erteilung der Zustimmung bzw. bei fehlender bekanntgegebener Zustimmung befindet sich die Tat erst im Versuchsstadium. 461

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Im Fall der Nichtabgabe einer Steueranmeldung tritt die Vollendung hinsichtlich der Hinterziehung in Bezug auf Umsatzsteuervoranmeldungen mit Ablauf des Tags ein, an dem diese abzugeben war. Im Fall der Nicht­ abgabe bzw. der verspäteten Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung ist die Steuerhinterziehung mit Ablauf des Fälligkeitszeitpunkts vollendet. Es wurde festgestellt, dass in Fällen, in denen der Unternehmer vorsätzlich eine falsche Steueranmeldung mit einer Zahllast abgibt bzw. ver­ spätet oder gar nicht abgibt, der Erlass eines von den Berechnungen des Steuerpflichtigen abweichenden Steuerbescheids keine Auswirkungen auf den Verkürzungserfolg hat. Bezüglich des Kompensationsverbots wurde festgestellt, dass Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG (Fremdleistungen) grds. nicht dem Kompensationsverbot unterliegen, da in der Regel ein unmittelbarer Zusammenhang zu den Ausgangsumsätzen besteht. Auf Vorsteuern bei der Einfuhr nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG ist das Kompensationsverbot ebenfalls nicht anzuwenden. Die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG (innergemeinschaftlicher Erwerb) unterliegt ebenso wie die Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG (Reverse-Charge-Verfahren) nicht dem Kompensationsverbot. Das Kompensationsverbot findet bei Nichtabgabefällen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) keine Anwendung. Im Fall der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen aufgrund von unrichtigen bzw. unvollständigen Angaben (kein Unterlassungsfall) können in der betreffenden Erklärung nicht mitgeteilte steuerermäßigende Tatsachen – je nach Fallgestaltung – im Nachhinein ausgeschlossen sein. Hiervon ausgenommen sind jedoch Umstände, welche sich auf Tatsachen beziehen, die ohnehin bei der Schätzung Berücksichtigung finden müssen, wie z.B. Vorsteuerbeträge. Es wurden typische Fallgruppen in Bezug auf Art und Umfang der Hinterziehung im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung untersucht und rechtlich – anhand der vorher gefundenen Ergebnisse – bewertet. Rein formale Nachweispflichten (Beweislast und Vermutungsregeln des Steuerrechts) haben nur dann strafrechtliche Relevanz, wenn die steuerlichen Vorschriften die Anerkennung einer steuermindernden Tatsache oder einer Steuerbefreiung „kategorisch“ von einer bestimmten Form des Nachweises abhängig machen und eine andere Form des Nachweises unzulässig ist, es sich also um sog. „materielle“ Voraussetzungen der Norm handelt.

462

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Eine Kenntnis der Finanzbehörde wirkt auch in der Tatbestandsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO tatbestandsausschließend. Des Weiteren wurde festgestellt, dass vor dem Hintergrund der Steueranspruchslehre Irrtümer im Zusammenhang mit der Umsatzsteuer häufig bei bestimmten Fallgruppen auftreten; dies insbesondere in Bezug auf das Kompensationsverbot. Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat im Sinne der Versuchsstrafbarkeit ist bei Anmeldesteuern wie der Umsatzsteuer bei Vorliegen einer Zahllast anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige den elektronischen Versand eingeleitet hat, indem er die erforderlichen Programmfunktionen ausgewählt hat. Da bei Anmeldung einer Zahllast bereits mit Eingang der unrichtigen Steueranmeldung beim Finanzamt wegen § 168 S. 1 AO Vollendung eintritt, ist das Zeitfenster bei einer elektronischen Abgabe in der Regel unbedeutend klein. Sofern die Steueranmeldung einen Erstattungsbetrag ergibt, befindet sich die Tat bis zur Erteilung der Zustimmung nach § 168 S. 2 AO im Versuchsstadium. Falls sich der Täter zur Abgabe der Steueranmeldungen eines Steuerberaters als gutgläubiges Werkzeug bedient, beginnt der Versuch bereits mit der Übergabe der Unterlagen (unrichtiger Belege), wenn der Steuerberater letztlich ohne weitere Rückfragen die Belege in (unrichtige) Steueranmeldungen umsetzen soll. Sofern die Tat nur deshalb zur Vollendung gelangt, weil der Täter einen Erstattungsbetrag nach § 168 S. 2 AO anmeldet, obwohl er richtigerweise eine Zahllast hätte anmelden müssen, liegt es nahe, die fakultative Strafmilderung des Versuchs zu versagen, weil er auf diese Weise die rechtzeitige Festsetzung der Zahllast nach § 168 S. 1 AO verhindert hat. Liegt hingegen ein Nichtabgabefall vor, so existiert kein Versuchsstadium, weil mit Ablauf der Abgabefrist die Steuerhinterziehung in Form der nicht rechtzeitigen Steuerfestsetzung vollendet ist (§ 168 S. 1 AO). Hinsichtlich des Regelbeispiels nach § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO (Steuerverkürzung in großem Ausmaß) wurde festgestellt, dass zur Bestimmung der 50.000-€-Grenze nicht vom nominellen Verkürzungsbetrag, sondern vom strafzumessungsrelevanten Fiskalschaden auszugehen ist. Das Kompensationsverbot findet insofern keine Anwendung. Bei der Hinterziehung auf Zeit ist lediglich vom Zinsschaden auszugehen. Eine Untersuchung der bedeutsamsten Entscheidungen zur Umsatzsteuerhinterziehung mit Auslandsbezug im 2. Teil hat ergeben, dass die auf steuerlichem Gebiet geäußerte Kritik strafrechtlich – hinsichtlich der Frage, ob der objektive Tatbestand einer Steuerhinterziehung vorliegt – durchschlägt. 463

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

An die sog. „objektiven Umstände“, die belegen, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch seinen Umsatz an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat, sind hohe Anforderungen zu stellen. „Wissenmüssen“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung auf der steuerlichen Ebene bedeutet nach nationalen Maßstäben das Vorliegen von bedingtem Vorsatz nach deutschem (Straf)Recht. Hinsichtlich der Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung, insbesondere der Italmoda-Entscheidung, auf das deutsche Steuerstrafrecht wurde festgestellt, dass diese auf steuerlichem Gebiet ergangenen Entscheidungen allenfalls mit Einschränkungen in das Steuerstrafrecht übernommen werden können. Falls in Konstellationen wie in der Rechtssache Italmoda dem Steuerpflichtigen lediglich eine sog. neutrale Beihilfe vorzuwerfen ist – sofern überhaupt bedingter Vorsatz in Bezug auf den Steueranspruch vorliegt –, ist zusätzlich erforderlich, dass eine Solidarisierung des betroffenen Unternehmers mit den Steuerhinterziehern bzw. -betrügern in der Lieferkette vorliegt. Im 3. Teil wurde hinsichtlich der Frage, auf welche Gefährdungslage § 26c UStG abstellt, festgestellt, dass der Zweck von § 26c UStG die Verhinderung einer straflosen Liquiditätsschöpfung dergestalt ist, dass Vorsteuern geltend gemacht werden, ohne dass die entsprechende Umsatzsteuer (schuldhaft) entrichtet wird. Jede Rechnung i.S.d. § 14 Abs. 1 UStG, die einen Vorsteuerabzug möglich erscheinen lässt, ist für die Anwendung von § 26b UStG ausreichend. Es müssen nicht sämtliche Rechnungserfordernisse des § 14 Abs. 4 UStG vorliegen. Eine Rechnung i.S.d. § 26b UStG liegt aber dann nicht vor, wenn die Rechnung so dilettantisch abgefasst ist (fehlender Rechnungsaussteller), dass auch für einen steuerlichen Laien auf den ersten Blick erkennbar ist, dass diese Rechnung nicht den formalen Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG genügt und daher nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Sofern der Unternehmer bei Fälligkeit nicht in vollem Umfang zahlungsfähig ist, findet der Grundsatz der anteiligen Tilgung Anwendung, soweit der Unternehmer die Umsatzsteuer nicht vereinnahmt hat. Soweit der Unternehmer die Umsatzsteuer aber nicht nur in Rechnung gestellt, sondern auch vereinnahmt hat, genießt die – gewissermaßen treuhänderisch – vereinnahmte Umsatzsteuer absolute Priorität gegenüber anderen 464

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Verbindlichkeiten. Die anderweitigen Verpflichtungen können jedenfalls dann keine Einschränkung des Tatbestands oder einen Rechtfertigungsgrund darstellen. Die Rechtsfigur der omissio libera in causa (schuldhafte Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit) ist im Grundsatz nicht anwendbar. Die Möglichkeit einer Selbstanzeige nach § 371 AO ist auch auf die Fälle des § 26c UStG auszudehnen. Im 4. Teil wurde herausgearbeitet, dass in Bezug auf die Verjährung die sog. Tatbestands- bzw. Begehungs(weisen)lösung anzuwenden ist, nach der es ausreicht, dass der Täter eine Straftat nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–5 AO begeht. Es ist nicht erforderlich, dass im konkreten Einzelfall – nach Abwägung aller Gesamtumstände – ein besonders schwerer Fall vorliegt. Hinsichtlich des Anwendungszeitpunkts der besonderen Verjährungsregelung nach § 376 Abs. 1 AO wurde festgestellt, dass es nicht maßgeblich ist, ob bei Tatbegehung ein Regelbeispiel verwirklicht wurde, sondern dass noch keine Verjährung der Tat zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des geänderten § 376 AO eingetreten ist. Es wurde zudem konstatiert, dass im Fall der Abgabe einer unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldung die Beendigung der Tat und damit der Verjährungsbeginn erst mit der Abgabe der Jahreserklärung (wenn die falschen Angaben aus den Voranmeldungen lediglich wiederholt werden) oder dem pflichtwidrigen Unterlassen der Abgabe der Jahreserklärung eintritt. Gleiches gilt auch im Fall der Nichtabgabe von Umsatzsteuer­ voranmeldungen. Falls bereits ein Strafverfahren in Bezug auf die Vor­ anmeldungen eingeleitet worden ist, beginnt die Verjährung mit dem Wegfall der strafbewehrten Verpflichtung zur Einreichung der Umsatzsteuerjahreserklärung, also mit der Verfahrenseinleitung. Sofern die (abgegebene) Umsatzsteuerjahreserklärung einen Rotbetrag ausweist (Fall des § 168 Abs. 2 AO), tritt die Tatbeendigung in Bezug auf die Jahreserklärung und damit hinsichtlich der inhaltsgleich falschen Vor­ anmeldungen ein, sobald die Zustimmung des Finanzamts erteilt worden ist. Vor Erteilung der Zustimmung bzw. bei fehlender bekanntgegebener Zustimmung befindet sich die Tat erst im Versuchsstadium. Diesbezüglich ist auf das Scheitern der Möglichkeit zur Tatvollendung durch den Täter abzustellen; mithin auf den Zeitpunkt, in dem es aus der Sicht des Täters nicht mehr zur Vollendung kommen kann. Es ist daher im Grundsatz auf die Bekanntgabe des abweichenden Steuerbescheids abzustellen. Sofern das Finanzamt einer fristgerechten Umsatzsteuervor­ anmeldung mit Rotbetrag die Zustimmung verweigert und einen von der 465

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Voranmeldung abweichenden Steuerbescheid erlässt, gilt das Vorstehende entsprechend. Bei der Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung ist für den Beginn der Verjährung der Ablauf der gesetzlichen Erklärungspflicht für die Jahreserklärung maßgeblich. Es wurden typische Fallgruppen der Verjährung im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung untersucht und – anhand der vorher gefundenen Ergebnisse – rechtlich bewertet. Bei dem ungeklärten Verhältnis zwischen § 78b Abs. 4 StGB (Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht) und § 376 Abs. 1 AO wurde festgestellt, dass diese beiden Vorschriften nebeneinander anwendbar sind. Die Verjährungsfrist der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG beginnt mit dem „Verstreichenlassen des Fälligkeitstermins“. Im 5. Teil wurde sodann das Verhältnis von mehreren Umsatzsteuerhinterziehungen zueinander untersucht: Eine Umsatzsteuerhinterziehung steht im Verhältnis zu anderen Steuerhinterziehungen grds. in Tatmehrheit (§ 53 StGB). Tateinheit liegt auch dann in Abgabefällen nicht vor, bei denen verschiedene Steuererklärungen in einem äußeren Vorgang (z.B. Abgabe zum selben Zeitpunkt) zusammenfallen, welche teilweise deckungsgleiche falsche Angaben beinhalten. Im Fall einer Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Unterlassen besteht stets Tatmehrheit zwischen der Umsatzsteuerhinterziehung und den anderen Steuerhinterziehungen. Die Hinterziehung hinsichtlich einer Umsatzsteuervoranmeldung ist in der Regel eine mitbestrafte Vortat in Bezug auf die Umsatzsteuerjahreserklärung. Es wurden typische Fallgruppen der Konkurrenzen im Zusammenspiel zwischen Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung untersucht und – anhand der vorher gefundenen Ergebnisse – rechtlich bewertet. Wird die Umsatzsteuerjahreserklärung zunächst nicht abgegeben und nachträglich eine unrichtige oder unvollständige Erklärung abgegeben, liegen zwei Steuerhinterziehungen vor, welche zueinander grds. in Tatmehrheit stehen. Sofern keine Schadensvertiefung eintritt, ist dies auf der Ebene der Konkurrenzen zu berücksichtigen. Die zweite Tat stellt – bei Deckungsgleichheit – eine mitbestrafte Nachtat dar. 466

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Zwischen § 26c UStG und § 370 AO liegt Tatmehrheit in den Fällen vor, in denen sich die Delikte nach § 370 AO und nach § 26c UStG auf verschiedene Steuerbeträge beziehen. § 26c UStG hinsichtlich eines richtig angemeldeten, aber nicht gezahlten Betrags steht zu § 370 AO bezüglich des zu gering angemeldeten Betrags in Tatmehrheit, da verschiedene Steuerbeträge betroffen sind. Bei Überschneidungen – wenn also der gleiche Steuerbetrag betroffen ist – ist § 26c UStG subsidiär zu § 370 AO. Bei der falschen bzw. unterlassenen Abgabe einer Umsatzsteuerjahreserklärung und falschen bzw. unterlassenen Umsatzsteuervoranmeldungen desselben Jahres handelt es sich um eine prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO. Neben den allgemeinen Grundsätzen des § 46 StGB der Strafzumessung sind bei der Hinterziehung von Umsatzsteuer auf der Strafzumessungsebene einige typische Besonderheiten zu berücksichtigen: (1) Bei den verschuldeten Auswirkungen der Tat nach § 46 Abs. 2 S. 2 StGB findet das Kompensationsverbot keine Anwendung. (2) Sofern Umsatzsteuer nur auf Zeit hinterzogen wird, entspricht der Taterfolg dem Nominalbetrag der Steuern. Falls allerdings objektive Anhaltspunkte vorliegen, die auf eine nur beabsichtigte zeitliche Verkürzung hindeuten, ist im Rahmen der Strafzumessung lediglich der Verzögerungsschaden als verschuldete Auswirkung anzusehen. Es wurden sodann die typischen Konstellationen der Umsatzsteuerhinterziehung auf Zeit nebst den Auswirkungen auf die Strafzumessung untersucht und – anhand der vorher gefundenen Ergebnisse – rechtlich bewertet. Bei der Strafzumessung in Fällen von Umsatzsteuerkarussellen bemisst sich die Strafe, wenn im entsprechenden Fall der jeweils Beteiligte Kenntnis über seine Funktionsweise und Struktur hat, am Gesamtschaden im Karussell. Bei Gehilfen in Umsatzsteuerkarussellen ist das Steueraufkommen nicht in der Summe der beiden Hinterziehungshandlungen (des Haupttäters und des Gehilfen) gefährdet, sondern lediglich im Umfang des jeweils höheren Hinterziehungsbetrags. Im 6. Teil wurde herausgearbeitet, dass die Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuerjahreserklärung als Selbstanzeige unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Angaben in den zuvor abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen dieses Jahres zu werten ist. In diesem Fall fällt zudem kein Strafzuschlag nach § 398a AO an. Dies gilt jedoch nicht, wenn die falschen Angaben aus den Umsatzsteuervoranmeldungen bereits in einer ebenfalls unzutreffenden Umsatzsteuerjahreserklä467

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

rung wiederholt wurden, diese andere falsche Angaben enthält oder die Umsatzsteuerjahreserklärung verspätet abgegeben wurde. Der Sperrgrund der Umsatzsteuernachschau nach § 27b UStG i.V.m. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1e AO sperrt sämtliche Umsatzsteuerhinterziehungen und Zeiträume und endet, wenn der Amtsträger die Geschäftsräume verlassen hat. Der Sperrgrund der Tatentdeckung nach § 370 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO greift nicht bei der Nicht­abgabe einer Umsatzsteuervoranmeldung ein, selbst wenn das Finanzamt anhand der Aktenlage (Liste der offenen Fälle) erkennt, dass der Steuerpflichtige seine Voranmeldung nicht fristgerecht eingereicht hat. Der Sperrgrund der Tatentdeckung findet auf Umsatzsteuervoranmeldungen zudem keine Anwendung, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde. Bei Steuerhinterziehungen in Bezug auf Umsatzsteuerjahreserklärungen ist der Sperrgrund nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO (25.000-€-Grenze) anwendbar. Hinsichtlich der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO („verkürzte Steuer“) findet das Kompensationsverbot Anwendung. Zur Ermittlung des Tarifs (Prozentsatz) nach § 398a Abs. 2 AO ist der Hinterziehungsbetrag ebenfalls unter Anwendung des Kompensationsverbots nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO zu ermitteln. Die „hinterzogene Steuer“ i.S.d. § 398a Abs. 1 Nr. 2a-c AO (Ermittlung der Bemessungsgrundlage) wird hingegen nicht unter Anwendung des Kompensationsverbots ermittelt. Bei der Berechnung der 25.000-€-Grenze nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 AO für eine Umsatzsteuerjahreserklärung sind die durch Umsatzsteuervoranmeldungen angemeldeten Beträge mindernd zu berücksichtigen. Das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO findet dabei keine Anwendung. Bei der Nachzahlungsverpflichtung nach § 371 Abs. 3 S. 1 AO ist das Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO ebenfalls nicht anwendbar. Die Wirksamkeit von Selbstanzeigen, welche Umsatzsteuervoranmeldungen betreffen, ist nicht von der Nachzahlung der Zinsen nach § 233a AO oder § 235 AO abhängig (§ 371 Abs. 3 S. 2 AO). Bei einer Steuerverkürzung auf Zeit ist nicht die Zahlung des Nominalbetrags der Steuern erforderlich. Ausreichend ist hier die Entrichtung des Zinsschadens. Nachstehend befindet sich eine vereinfachte Übersicht über das Verhältnis von Umsatzsteuervoranmeldungen zur Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen dieser Abhandlung. 468

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Übersicht: Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldungen zur Umsatzsteuerjahreserklärung Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung: VA falsch, JE richtig Hinter­ und frist­ ziehung auf Zeit gerecht

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

1:

Beendigung mit dem Eingang der Jahres­ (zutreffenerklärung: Jahres­ den) Umerklärung: Keine Hin- satzsteuerterziehung jahreserkläIst richtig und fristge- und damit rung keine Steurecht und Jahres­ damit kei- erverkürerklärung: ne Steuer- zung Keine Hinverkürzung Fundstelle terziehung, Fundstelle in Arbeit: da JE richtig in Arbeit: und fristgeS. 94 recht S. 94 Nominalbetrag

Fundstelle in Arbeit: S. 351

Frage stellt sich nicht, da materiell und prozessual nur eine Tat je VA und keine Tat durch JE

Voranmeldung: Selbstanzeigevoraussetzungen in Bezug auf VA prüfen. Vor allem, ob wirksame Selbstanzeige bzw. Teilselbstanzeige nach § 371 Abs. 2a AO vorliegt: − Selbstanzeige durch JE nach BGH und AStBV − kein Strafzuschlag nach § 398a AO, da materiell mit JE die falschen VA korrigiert werden. Falls keine wirksame Selbstanzeige, dann bei der Strafzumessung berücksichtigen, falls der Vorsatz nur auf eine Verkürzung auf Zeit gerichtet war Fundstelle in Arbeit: S. 429

469

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

2a: VA falsch, JE fristgerecht und gleiche falsche Angaben in JE: Falsche Angaben aus VA werden ­lediglich in JE wiederholt

Voran­ meldung:

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung:

Voran­ meldung und Jahreserklärung:

Bis Abgabe Nominalder JE Hin- betrag terziehung Jahres­ auf Zeit erklärung: Mit EinNominalgang JE betrag dann Hinterziehung Wiederholauf Dauer te falsche Angaben Jahreseraus VA in klärung: JE HinterzieFundstelle hung auf in Arbeit: Dauer S. 96 f. Fundstelle in Arbeit: S. 96 f.

470

Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

VA und JE mit Eingang JE beendet. Wenn JE Rotbetrag ausweist, dann mit Zustimmung des FA Fundstelle in Arbeit: S. 351 f.

Materiell: VA mitbestrafte Vortaten in Bezug auf die JE Fundstelle in Arbeit: S. 377 Prozessual: VA und JE eines Jahres bilden eine einheitliche prozessuale Tat nach § 264 StPO Fundstelle in Arbeit: S. 393 f.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

2b: VA falsch, JE fristgerecht und weitere falsche Angaben in JE, die über die falschen Angaben aus VA hinausgehen

Voran­ meldung:

Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung:

Voranmeldung und Jahres­ erklärung:

Bis Abgabe Nominalder JE Hin- betrag terziehung Jahres­ auf Zeit erklärung: Mit EinNominalgang JE betrag dann Hin(Summe terziehung aus wiederauf Dauer holten falschen AnJahres­ erklärung: gaben aus VA in JE Hinterzieund zuhung auf sätzlich Dauer falschen Fundstelle Angaben in JE) in Arbeit: S. 97 f.

Fundstelle in Arbeit: S. 97 f.

Materiell:

Aus den VA wiederholte falsche Angaben in der JE VA und JE mit Eingang und die in der JE beendet. JE zusätzlichen falschen Wenn JE Angaben stelRotbetrag len eine Tat ausweist, dar. dann mit ZustimSoweit sich mung des die falschen FA Angaben in VA und JE Fundstelle ­decken, sind in Arbeit: VA mitbestrafS. 352 f. te Vortaten in Bezug auf die JE Fundstellen in Arbeit: S. 377 f. Prozessual: VA und JE ­eines Jahres bilden eine einheitliche prozessuale Tat nach § 264 StPO Fundstelle in Arbeit: S. 393 f.

471

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung: VA falsch, Bis Frist­ keine JE ablauf zur bzw. verspätete JE Abgabe der JE Hinterziehung auf Zeit

Voran­ meldung:

Voran­ meldung und Jahreserklärung:

3:

Mit Frist­ ablauf zur Abgabe der JE dann Hinterziehung auf Dauer Jahreserklärung: Hinterziehung auf Dauer mit Fristablauf Fundstelle in Arbeit: S. 98 f.

Nominalbetrag Jahreserklärung: Sich richtigerweise ergebende Abschlusszahlung der verspäteten oder nichtabgegebenen JE. Abschlusszahlung (Zahllast abzüglich des Vorauszahlungssolls) entspricht Summe der Verkürzungen durch VA Fundstelle in Arbeit: S. 98 f.

472

Materiell:

VA mitbestrafte Vortaten in Bezug auf die Mit Fristab- JE lauf JE beFundstelle endet in Arbeit: Fundstelle S. 378 in Arbeit: Prozessual: S. 353 f. VA und JE ­eines Jahres bilden eine einheitliche prozessuale Tat nach § 264 StPO Fundstelle in Arbeit: S. 393 f.

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

4: keine VA, JE fristgerecht und richtig

Voran­ meldung:

Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

Beendigung mit dem Eingang der Jahres­ (zutreffenerklärung: Jahres­ den) Umerklärung: satzsteuerIst richtig und fristge- jahreserkläIst richtig rung und fristge- recht und damit keirecht und Jahres­ damit kei- ne Steuererklärung: ne Steuer- verkürzung Keine Hinverkürzung Fundstelle terziehung, Fundstelle in Arbeit: da JE richtig in Arbeit: und fristgeS. 100 f. recht S. 100 f. Hinterziehung auf Zeit

Nominalbetrag

Fundstelle in Arbeit: S. 354

Frage stellt sich nicht, da materiell und prozessual nur eine Tat je VA und keine Tat durch JE

Voranmeldung: Selbstanzeigevoraussetzungen in Bezug auf VA prüfen. Vor allem, ob wirksame Selbstanzeige bzw. Teilselbstanzeige nach § 371 Abs. 2a AO ­vorliegt − Selbstanzeige durch JE nach BGH und ­AStBV − kein Strafzuschlag nach § 398a AO da materiell mit JE die ­falschen VA korrigiert werden Falls keine wirksame Selbstanzeige, dann bei der Strafzumessung berücksichtigen, falls der Vorsatz nur auf eine Verkürzung auf Zeit gerichtet war Fundstelle in Arbeit: S. 429

473

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

Hinterziehung auf Zeit

Nominalbetrag

Voran­ meldung und Jahreserklärung:

Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

5: keine VA; JE fristgerecht und falsche Angaben in dieser E

Jahres­ erklärung: Hinterziehung auf Dauer Fundstelle in Arbeit: S. 101 ff.

Jahres­ erklärung: Nominalbetrag (Summe falscher Angaben in JE) Fundstelle in Arbeit: S. 101 ff.

(unterlassene) VA und JE mit Eingang JE beendet. Wenn JE Rotbetrag ausweist, dann mit Zustimmung des FA Fundstelle in Arbeit: S. 354 f.

Materiell: Lediglich Wiederholung von in VA unterlassenen Angaben (z.B. durch Verschweigen von steuerpflichtigen Umsätzen): VA mitbestrafte Vortaten in Bezug auf die JE Anderenfalls (z.B. durch Geltendmachung von Vorsteuern aus Scheinrechnungen): Tatmehrheit nach § 53 StGB Fundstelle in Arbeit: S. 378 ff. Prozessual: VA und JE ­eines Jahres bilden eine einheitliche prozessuale Tat nach § 264 StPO Fundstelle in Arbeit: S. 393 f.

474

(Teil)selbst­ anzeige in ­Bezug auf die VA prüfen: § 371 Abs. 2a AO

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

Bis Fristablauf zur Abgabe der JE Hinterziehung auf Zeit

Nominalbetrag

Voran­ meldung und Jahreserklärung:

Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

6: keine VA, keine JE bzw. JE verspätet

Jahreserklärung:

Nominalbetrag (deMit Frist­ ckungs­ ablauf zur gleich mit Abgabe der Summe JE, dann aus unterHinterzielassenen hung auf VA) Dauer Fundstelle Jahreserin Arbeit: klärung: S. 104 f. Hinterziehung auf Dauer mit Fristablauf

Mit Frist­ ablauf JE beendet Fundstelle in Arbeit: S. 355

Materiell: VA mitbestrafte Vortaten in Bezug auf die JE Fundstelle in Arbeit: S. 380 Prozessual: VA und JE ­eines Jahres bilden eine einheitliche prozessuale Tat nach § 264 StPO Fundstelle in Arbeit: S. 393 f.

Fundstelle in Arbeit: S. 104 f.

475

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

Keine Hinterziehung, da VA richtig und fristgerecht

Keine Hinterziehung, da VA richtig und fristgerecht

Keine Hinterziehung, da VA richtig und fristgerecht

Jahres­ erklärung:

Jahres­ erklärung:

Jahres­ erklärung:

Hinterziehung auf Dauer

Nominalbetrag: ­Negativer Saldo in der Jahreserklärung nach § 18 Abs. 4 UStG

JE mit Eingang JE beendet, es seidenn JE führt zu Rotbetrag. Dann ZTP später und bis zur Zustimmung lediglich Versuch in Bezug auf JE.

Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

7: VA richtig, JE fristgerecht und falsche Angaben in dieser JE

Fundstelle in Arbeit: S. 105

Fundstelle in Arbeit: S. 105

Fundstelle in Arbeit: S. 355 f.

476

Frage stellt sich nicht, da materiell und prozessual nur eine Tat

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

Vereinfachte Übersicht über das Verhältnis Umsatzsteuervoranmeldung zur ­Umsatzsteuerjahreserklärung nach den Untersuchungsergebnissen in dieser Arbeit Steuerverkürzung (Hinter­ ziehungsvolumen)

Beendigung; Konkurrenzen Besonderheiten Verjährung VA zu JE

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

Voran­ meldung:

Keine Hinterziehung, da VA richtig und fristgerecht

Keine Hinterziehung, da VA richtig und fristgerecht

Keine Hinterziehung, da VA richtig und fristgerecht

Jahres­ erklärung:

Jahres­ erklärung:

Jahres­ erklärung:

Keine Hinterziehung, da zutreffende Besteuerungsgrundlagen durch richtige VA bekannt

Keine Hinterziehung, da zutreffende Besteuerungsgrundlagen durch richtige VA bekannt

Keine Hinterziehung, da zutreffende Besteuerungsgrundlagen durch richtige VA bekannt

Fundstelle in Arbeit:

Fundstelle in Arbeit:

S. 106 f.

S. 106 f.

Fallgruppe Art der Hinter­ ziehung

8: VA richtig; keine JE bzw. JE verspätet

Frage stellt sich nicht, da materiell und prozessual nur eine Tat

477

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ders.: Zur Pflichtwidrigkeit bei der arbeitsteiligen Umsatzsteuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 I Nr. 2 AO) – zugleich Anmerkung zu BGH vom 9.4.2013, 1 StR 586/12 –, Stbg 2013, 353–357. ders.: Umsatzsteuerhinterziehung – Systematische Grundlagen und aktuelle Verteidigungsansätze in: Steueranwalt 2013/2014, hrsg. vom Deutschen Anwaltverein/ Arbeitsgemeinschaft Steuerrecht, Stuttgart, München u.a. 2013, S. 85–117 (zitiert: Wulf, Steueranwalt 2013/2014, S.). ders.: Praxisprobleme der Selbstanzeige nach Verletzung der Anzeigeund Berichtigungspflicht aus § 153 AO, PStR 2014, 255–262. ders.: Grundlagen und Praxisprobleme der Umsatzsteuerhinterziehung, Stbg 2014, 64–70. ders.: Strafbefreiende Selbstanzeige – nach der Reform ist vor der Reform – Anmerkungen zur rechtspolitischen Diskussion, Stbg 2014, 271–277. ders.: Praxishinweise zum Anwendungsbereich der „Selbstanzeige zweiter Klasse“ bei Beträgen von mehr als 25.000 € (§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO), Stbg 2015, 160–165. ders.: Reform der Selbstanzeige – Neue Klippen auf dem Weg zur Strafbefreiung, wistra 2015, 166–175. ders./Hinz, Fridtjof: Neue Vorgaben des BGH zur Reichweite von § 370 Abs. Satz 3 AO („Kompensationsverbot“) in Fällen der Umsatzsteuerhinterziehung, Stbg 2019, 320–325. ders./Kamps, Heinz-Willi: Berichtigung von Steuererklärungen und strafbefreiende Selbstanzeige im Unternehmen nach der Reform des § 371 AO, DB 2011, 1711–1717. ders./Gomes, Cristian Esteves: Konkurrenzverhältnis bei Steuerhinterziehungen durch Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung – Zugleich Besprechung von BGH-Urteil v. 13.7.2017 – 1 StR 536/16, ZWH 2018, 319–321. Zanzinger, Dieter: Die Einschränkungen der Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz – Klärung erster Zweifelsfragen, DStR 2011, 1397–1403.

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Stichwortverzeichnis Ausfuhr – Abgaben   289 – Begriff   291 – Buch- und Belegnachweis – als formelle Nachweispflicht   123, 282 – Anforderungen   197 – Steuerbefreiung   196, siehe auch Einfuhrumsatzsteuer – Anwendbarkeit des § 25f UStG-E auf Ausfuhrlieferungen   264 – Bestimmungslandprinzip   196, siehe auch dort Auslandstaten – s. Territorialprinzip Besteuerungsverfahren – Abgabefristen   21 – Dauerfristverlängerung   22 – Jahreserklärung   22 f. – Steueranmeldungsverfahren   24 – Verhältnis von Voranmeldung zur Jahreserklärung   23 f., 89 f., 367 – Voranmeldungszeitraum   22 – Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug   10 f. – Steuerbare Umsätze/Steuerschuldner   10 ff. Bestimmtheitsgrundsatz, ­strafrechtlicher – Vorhersehbarkeit   31 – Wesentlichkeitsgrundsatz   31 – Innergemeinschaftliche Lieferungen   226 ff., 265 ff., 272 ff. Bestimmungslandprinzip – Ausfuhrlieferung   196 – Einleitung   9 – Grenzausgleich   196

– Technische Umsetzung   184 – Verbrauchsortprinzip 183 f. Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer – Einleitung   1, 7 – Gesetzgeberische Aktivitäten zur Bekämpfung   25 – Ordnungswidrigkeitentat­ bestand   25 – Reverse-Charge-Verfahren   25 – Straftatbestand   25 – Umsatzsteuerhinterziehung vs. „Umsatzsteuerbetrug“   24 – Umsatzsteuerkarussell   24 – Umsatzsteuernachschau   25 – VAT-fraud   24 – Wegfall der Grenzkontrollen   24, 190 Buffer – Rechnung   15 – Umsatzsteuerkarussell   191 ff., siehe auch dort Daten – Fernübertragung   112 – Trägerübermittlung   112 DATEV – Übermittlung der Steuererklärung   114 Distributor   191 ff. Drittland – Lieferungen mit Drittlands­ bezug   196 ff. – Ausfuhrlieferungen   196 ff. – Einfuhren   198 Einfuhr – Abgaben   289 505

Stichwortverzeichnis

– Begriff   290 – Einfuhrumsatzsteuer   198 – Einfuhr und Kompensations­ verbot   65 – Vorsteuerabzug   198 Elster-Online-Verfahren – Authentifizierung   114 – Datenübermittlung   113 – ELSTER-Basis   115 – ELSTER-Plus   115 – ELSTER-Spezial   115 – ELSTER I-Verfahren   116 – ELSTER II-Verfahren   116 Erlangung nicht gerechtfertigter Steuervorteile – Nicht gerechtfertigt   109 – Steuervergütung   108 – Steuervorteil, Begriff   108 EuGH – Barlis-Entscheidung   14 – Bonik EOOD-Entscheidung   232 – Collée-Entscheidung   210 ff., 221, 282 – Federation of Technological Industries-Entscheidung   203 – Geissel/Butin-Entscheidung   21 – Halifax-Entscheidung   202 – Kittel und Recolta RecyclingEntscheidung   204 – Mahagében und Dávid-Entscheidung S.231 ff. – Mecsek-Gabona-Entscheidung   231 – Motor der Fortentwicklung im Umsatzsteuerrecht   1 – Optigen-Entscheidung   201, 204 – R-Entscheidung   133, 199, 215 ff., 220, 222, 230 – Schoenimport Italmoda-Entscheidung   199 f., 235 ff., 239 ff., 267 ff. 506

– Senatex-Entscheidung   13, 121 – Teleos-Entscheidung   207 ff. – Traum EOOD-Entscheidung   232 – Twoh International BV-Entscheidung   206 Fremdanzeige – Begriff   456 Geltendmachung nicht abzugs­ fähiger Vorsteuer – Ordnungsgemäße Rechnung   120 – Irrtum über Vorsteuerabzug aus inhaltlich unzutreffender Rechnung   148 Grenzüberschreitende Hinter­ ziehung – Ausfuhrabgaben   289 ff., siehe auch Ausfuhr – Betrugsanfälligkeit   190 – Billigkeitsregelung   287 – Durchbrechung Territorial­ prinzip   295 – Einfuhrabgaben   289 ff., siehe auch Einfuhr – Feststellungslast   287 – Gegenseitigkeitserfordernis   292 ff. – Gleichwertigkeit   289 ff. – Gutglaubensschutz bei innergemeinschaftlicher Lieferung   232 – Hinterziehungsumfang bei § 370 Abs. 6 AO   295 – Innergemeinschaftliche Lieferung – Entwicklung der Rechtsprechung und Bewertung in der Literatur   199 ff. – Ältere Rechtsprechung des BFH und BGH zum Buch- und Belegnachweis   201

Stichwortverzeichnis

– Ältere Rechtsprechung des EuGH   201 ff., siehe auch EuGH – Jüngere Rechtsprechung des EuGH   231 ff., siehe auch EuGH – Nationale Folgerechtsprechung   229 – Rechtssache Collée   210 ff. – Rechtssache R   215 ff., Bewertung in der Literatur   220 ff. – Rechtssache Schoenimport Italmoda   235 ff., Bewertung in der Literatur   239 ff., 240 ff., Umsetzung in nationales Recht   252 ff., nationale Reformüberlegungen   263 ff. – Rechtssache Teleos   207 ff. – Innergemeinschaftliche Lieferungen – Ergebnis zum Komplex   281 – Innergemeinschaftliche Lieferungen – Stellungnahme 267 ff. – Analogieverbot   272 – Anforderungen an subjektive Elemente   270 – Bestimmtheitsgrundsatz   272 – Korrekturen, spätere   281 – Mehrfachbelastung als Sank­ tion   274 – Objektive Umstände   268 – Steuerrecht, Bedeutung der Entscheidung Schoenimport Italmoda   267 f. – Steuerverkürzung   275 ff. – Strafklageverbrauch   274 – Strafrecht   271 ff. – Strafzumessung   280 – Subjektiver Tatbestand   277 ff., siehe auch dort – Tathandlung   271

– Innergemeinschaftliche sonstige Leistungen   195 ff., 199 ff. – Kettengeschäfte   190 – Kollusives Zusammenwirken   217, 222 – Lieferungen mit Drittlands­ bezug   196 ff., 282 ff. – Ausfuhrlieferungen   196 ff., 282 ff. – Ausfuhrlieferung, Nach­ weisvoraussetzungen für die Steuerbefreiung   282 – Collée-Entscheidung des EuGH   282 – Einfuhren   198, 286 – R-Entscheidung des EuGH   283 – Schoenimport Italmoda-­ Entscheidung   284 – Nachträgliche Besteuerung im Bestimmungsland   228 – Nachweisvoraussetzungen   185 ff., 210, siehe auch Nachweisvorschriften, steuer­ liche – Rechtsgrundlagen der EU zur Mehrwertsteuer   184 – Rechtsnormen auf EU-Ebene   184 – Rechtsnormen auf nationaler Ebene   185 – Steuersystematische Bedenken 226, 242 – Strafbarkeitsvoraussetzung der Gleichwertigkeit   289 ff. – Strafrechtliche Bedenken   226, 264 – Streckengeschäfte   190 – Subjektive Anforderungen   223 – Technische Umsetzung des Bestimmungslandprinzips   184 – Territorialprinzip   295 507

Stichwortverzeichnis

– Umsatzsteuerbefreiung, drei­ stufiges Verfahren   221, 287 – Umsatzsteuerkarussell   190 ff., siehe auch dort – Umsatzsteuer-Identifikationsnummer   208 f. – Umsetzung in nationales Recht   225 – Warenbewegung über die ­Grenze   207 – Wissen oder Wissen-Müssen von Einbeziehung in Steuerhinterziehung   231, 234, 236, 242, 299 – Verhältnis des nationalen Rechts zum EU-Recht   189 – Vertrauensschutz   233 f., 287 – Vorsteuerabzug   287 – Vorsteuerversagung   242 – Zusammenfassende Meldung   188 Irrtum – Abgrenzung Tatbestands- und Verbotsirrtum   140 – über Entstehungszeitpunkt der Umsatzsteuer   145 – über Erklärungspflicht   144 – über Erklärungspflicht bei fristgerechter Zahlung von Umsatzsteuervorauszahlungen   145 – über Kompensationsverbot   146 ff. – über Korrekturpflichten nach § 17 UStG   149 – über Steuerbefreiung bei innergemeinschaftlicher Lieferung   148 – über Steuersatz   146 – Tatbestandsirrtum   140 f. – Blankettmerkmale   141

508

– Deskriptive Tatbestandsmerkmale   141 – Normative Tatbestandsmerkmale   141 – Verbotsirrtum   144 – über Vorsteuerabzug aus inhaltlich unzutreffender Rechnung 148 Kompensationsverbot – 25.000 €-Grenze   444, 448 – Anknüpfungspunkt „andere Gründe“   49 ff. – Bedeutung   48 – Begriff   47 – Einzelfälle   53 ff. – Änderung der Bemessungsgrundlage nach § 17 UStG   78 f. – Schätzungen   77 f., 180 – Scheinrechnungen   80 – Umsatzsteuerbefreiungen, § 4 UStG   79 – In Voranmeldung erklärte Vorsteuer bei Nichtabgabe/ verspäteter Abgabe einer ­Jahreserklärung   79 – Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG (Fremdleistungen)   53 ff., 180 – Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 UStG (Einfuhr)   65 ff., 180 – Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG (innergemeinschaftlicher Erwerb)   70 f., 180 – Vorsteuer nach § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG (Reverse-­ Charge)   71 ff., 180

Stichwortverzeichnis

– Vorsteuer bei Unterlassungstaten nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO   73 ff., 180 – Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Zuschlag   446 – Ermittlung des Zuschlagtarifs/ Prozentsatzes   445 – Selbstanzeige   444 ff. – Steuerverkürzung in großem Ausmaß   173 – Zuschlag bei geleisteten Vorauszahlungen   448 – Zweck   48 Missing Trader – Rechnung   15 – Umsatzsteuerkarussell   191 ff., siehe auch dort Nachweisvorschriften, steuerliche – Ausfuhrlieferungen   123, 135, 196 f., 282 – Auswirkungen auf den Tat­ erfolg   119 – Belegnachweis   186, 221 – Bloße steuerliche Formvorschriften   119, 134, 181, 212, 221 – Buchnachweis   186, 221 – EuGH-Rechtsprechung – Collée   210 ff., 221 – Twoh International BV   206 – Innergemeinschaftliche Lieferungen   123, 135, 185 ff., 206, 210 ff. – Kenntnis der Finanzbehörde   135 – Nachweiserfordernisse als materielle Voraussetzungen   120, 134, 181, 211, 221 – Rechnung, ordnungsgemäße 120 ff. – Rechtsnatur   212

– Steuerbefreiung   211, 214 – Vertrauensschutz   197 Neutralitätsprinzip – Grundprinzip der Umsatz­ steuer   13, 25 – Im grenzüberschreitenden ­Verkehr   198 – In den Argumentationen des EuGH erwähnt   208 f., 210 f., 237 – FG Baden-Württemberg   217 – Kritik an der Rechtsprechung des EuGH   239, 247, 249, 250, 251 – Spätere Korrekturen   251 f. – Lieferung mit Drittlandsbezug, Übertragung der Rechtsgrundsätze des EuGH   283 ff. – Rechtssache R   220 – Kriterium i.R.d. § 26c UStG 303, 308, 311, 319 f. – Im Rahmen der Strafzumessung 402 Nichtanmeldung von Umsatz­ steuer – s. Unterlassen   27, 128 ff., 164 Ordnungswidrigkeit – s. Ordnungswidrigkeitentat­ bestand   25 Quick-Fixes – ECOFIN-Rat   9 – Entwurf eines Gesetzes zur ­weiteren steuerl. Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften   9 – Nachweise für steuerfreie ­innergemeinschaftliche Lieferungen   9 509

Stichwortverzeichnis

– Voraussetzungen für steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen   9 Rechnung – Abdeckrechnung   309 f. – In Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer   304 ff. – Begriff   304 – Berichtigung   13 – Besitz   13 f. – Beweisfunktion   13 – Billigkeitsregelung   19 – EuGH-Entscheidung Barlis   14 – EuGH-Entscheidung Senatex   13, 121 – EuGH-Entscheidung Vădan 122 – Formale Anforderungen   305 ff. – Gutschrift   304 – Herabsetzung der Steuerschuld   311 – Inhaltliche Anforderungen 309 ff. – Korrekturen   311 ff. – Nachweiserfordernisse, steuer­ liche   120 – Pflichtangaben   305 – Scheinrechnung   309 f. – Sondervorauszahlung bei Dauerfristverlängerung   313 – Voraussetzung für die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs   13 f., 120 ff. – Widerspruch im Fall der Abrechnung per Gutschrift   312 Reverse-Charge-Verfahren – Umkehr der Steuerschuldnerschaft   12 – Umsatzsteuerkarussell   194

510

Schädigung des Umsatzsteueraufkommens nach § 26c UStG – Allgemeines   301 – Auffangtatbestand   302 f. – Aufrechnung   314 – Aussetzung der Vollziehung   314 – Bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens   301, 328 f., siehe auch Täterschaft – Bedeutung der Zahllast   327 ff. – Begehungsformen   316 – Fälligkeit   313 ff. – Gefährdungslage   302, 306 – Geschütztes Rechtsgut   304 – Gewerbsmäßige   301, 328, 330, siehe auch Täterschaft – Konkurrenz zur Steuerhinter­ ziehung   383 ff., 388 ff. – Missing Trader   302 – Neutralität der Umsatzsteuer   303 – Nichtzahlung der angemeldeten Steuer   302, 315 – Jahressteuerbescheid   316 – Umsatzsteuervorauszahlung   315 – Umsatzsteuerjahreserklärung   316 – Nichtzahlung von Umsatz­ steuer   302 ff., 313 ff. – Objektiver Tatbestand   304 – In Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer   304 ff., siehe auch Rechnung – Nichtentrichtung der Umsatzsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt   313 ff. – Selbstanzeigemöglichkeit   333 ff.

Stichwortverzeichnis

– Sicherung des Umsatzsteuer­ aufkommens   306 – Sonderproblem 01.01.2009 bis 29.06.2013   327 – Stundung   314 – Subjektiver Tatbestand   332 ff., siehe auch dort – Täter der Nichtentrichtung   314 f. – Umsatzsteuerkarussell   301, siehe auch dort – Verfolgungsverjährung   360 f., siehe auch dort – Verjährungsfrist   360 f. – Vorsteuerbeträge   327 – Zahllast, Bedeutung   327 – Zahlungsschonfrist   314 – Zahlungsunfähigkeit bei Fälligkeit   316 – Korrekturen bei eingeplanter Zahlungsunfähigkeit   325 – Kürzung wie bei § 380 AO   318 – Pflichtwidrige Herbeiführung 321 ff. – Tatsächlicher Vorsteuerabzug   325 – Vereinnahmte Umsatzsteuer 323 – Vergleich mit Voraussetzungen nach § 69 AO   318 – Zivilrechtliche Pflicht zur Rechnungsstellung   317 Selbstanzeige – Abgrenzung zum Rücktritt vom Versuch   156 – Allgemeines   407 f. – Anzeigeerstatter   420 – Ausnahmen vom Vollständigkeitsgebot   425 ff.

– Einzelne Fallgestaltungen 428 ff. – Fehlwirkungen des SchwarzgeldbekämpfungsG   425 – Gesetzliche Ausnahmen für Voranmeldungen   426 – Versuch der Kompensation durch Verwaltungsanwei­ sungen   425 – Berichtigungserklärung   421 ff. – Korrektur von Voranmeldung durch Jahreserklärung   422 – Materiallieferungspflicht   421 – Fristgerechte Nachzahlung   453 ff. – Fremdanzeige   456 – Kompensationsverbot   444, siehe auch dort – Korrekturerklärungen, rechtliche Einordnung   407 – Nachzahlung, fristgerechte   453 ff. – Negative Wirksamkeitsvoraussetzungen   435 ff. – Absehen von Strafverfolgung in besonderen Fällen   443 ff., 451 ff. – Ausschluss in besonderen Fällen   443 – Ausschluss bei besonders schwerem Fall   451 – Bekanntgabe der Einleitung eines Straf-/Bußgeldverfahrens   438 f. – Bekanntgabe der Prüfungsanordnung   436 – Erscheinen eines Amtsträgers zur Ermittlung   440 – Erscheinen eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung   439

511

Stichwortverzeichnis

– Erscheinen eines Amtsträgers zur Umsatzsteuer-/Lohnsteuernachschau oder anderen Nachschau   440 – Infizierungslösung   435 – Tatentdeckung   441 ff. – Rücktritt vom Versuch   409 – SchwarzgeldbekämpfungsG 412 ff., 423, 425, 435 – Spartenvollständigkeit   418 – Ausfuhrabgaben eines anderen EU-Mitgliedstaats   419 – Einfuhrabgaben eines anderen EU-Mitgliedstaats   419 – Einfuhrumsatzsteuer   419 – Täterbezogene Betrachtung   418 – Umsatzsteuer   419 – Sperrwirkung   435 ff. – Persönlicher Umfang   436 – Sachlicher Umfang   437 – Umsatzsteuerliche Prüfung 437 – Steuerhinterziehung auf Dauer/ auf Zeit   450 – Überblick über die Regelung 410 – Verdeckte Stellvertretung   420 – Verspätet eingereichte Voranmeldung/Jahreserklärung   410 – Vollständigkeitsgebot § 371 Abs. 1 AO   411 – Ausnahmen   425 ff. – Historische Entwicklung   411 – Tatbestandsvoraussetzungen   415 ff. – Zeitraum (zeitliche Vollständigkeit)   415 – Zugunsten Dritter   456 ff., siehe auch Fremdanzeige – Zuschlagszahlung durch jeden Tatbeteiligten   449 512

Selbstveranlagungssteuer  36 Steuerberater – Unmittelbarer Täter der Steuerhinterziehung   160 f., 165 Steuererklärung – Angaben machen   113 – Elektronische   114, 161 – Frist   22 – Unterschriebene   113, 161 – Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und -­Jahreserklärung   21 ff. – Steueranmeldungsverfahren   21 ff. Steuerhinterziehung – Auslandsbezug   183 ff., siehe auch Grenzüberschreitende Hinterziehung – Bandenmäßige   176 ff. – Besonders schwerer Fall   27, 169 ff. – Erfolgsdelikt   28 – Gewerbsmäßige   176 ff. – Grenzüberschreitende   183 ff., siehe auch Grenzüberschrei­ tende Hinterziehung – Grundtatbestand   27 – Konkurrenzen   368 ff., 388 ff., siehe auch strafverfahrensrechtliche Behandlung – Konkurrenz zu § 26c UStG   383 ff. – Rechtsnatur   28 – Bestimmtheitsgrundsatz, strafrechtlicher   31, siehe auch dort – Blankettvorschrift   29, 32 – Deliktsnatur   28 – Geschütztes Rechtsgut   29 – Normative Tatbestandsmerkmale   29, 32

Stichwortverzeichnis

– Regelbeispiele   27, 169 ff., 338 ff. – Dreistufiges Verfahren   170 – Einzelne Regelbeispiele 171 ff. – Entkräftung der Indizwirkung 178 – Geringfügigkeit   178 – Unbenannter schwerer Fall   177 – Versuch   178 – Strafzumessung   394, siehe auch strafverfahrensrechtliche Behandlung – Strafzumessungsmerkmale   170 – Tatbegehung   27, siehe auch tatbestandsmäßiges Verhalten – Tun   27 ff. – Unterlassen   27, 128 ff., siehe auch dort – Taterfolg   33 ff., siehe auch Taterfolg der Steuerhinterziehung – Täterkreis   158 ff., siehe auch Täterschaft und Teilnahme – Unterlassen   164 – Verfolgungsverjährung   337 ff., siehe auch dort – Versuch   27 – Vollendung   180 – Vorsatz   180, siehe auch sub­ jektiver Tatbestand Steuerverkürzung – Abweichung durch das Finanzamt   44 ff. – Anrechnung von Umsatzsteuervorauszahlungen bei der Jahreserklärung   89 ff. – Begriff der Verkürzung   35 – Berichtigung, nachträgliche   92 – Berichtigungspflichten   92 – Auf Dauer/auf Zeit   83 ff. – Erstmalige Festsetzung durch das Finanzamt   44 ff.

– Fallgruppen zu Art und Umfang 93 – Falsche Angaben aus Voranmeldung werden in fristgerechter Jahreserklärung lediglich wiederholt   96 f. – Fristgerechte Jahreserklärung und weitere falsche Angaben in der Jahreserklärung, die über falsche Angaben aus der Voranmeldung hinausgehen   97 – Keine Voranmeldungen, Jahreserklärung fristgerecht, aber mit falschen Angaben   101 ff. – Keine Voranmeldungen, Jahreserklärung richtig und fristgerecht   100 f. – Keine Voranmeldungen, keine oder verspätete Jahreserklärung   104 f. – Voranmeldung falsch, keine oder verspätete Jahreserklärung   98 ff. – Voranmeldung falsch, Jahreserklärung richtig und fristgerecht   94 ff. – Voranmeldung richtig und fristgerecht, Jahreserklärung fristgerecht aber falsch   105 – Voranmeldung richtig und fristgerecht, keine oder verspätete Jahreserklärung   106 f. – Gegenstand   35 – In großem Ausmaß   171 ff. – Anwendung des Kompen­ sationsverbots   173 – Fassung v. 01.10.2002 bis 31.12.2007   175 – Grenzbestimmung Hinter­ ziehungsbetrag   171 513

Stichwortverzeichnis

– Mehrere Taten   175 – Steuerverkürzung auf Zeit   174 – Regelbeispiel   171 – Umfang des Verkürzungserfolgs   47 – Kompensationsverbot d. § 370 Abs. 4 S. 3 AO   47 ff., siehe auch dort – bei Steuerhinterziehung auf Zeit/Dauer   82 ff. – Zeitpunkt des Erfolgseintritts bei der Umsatzsteuerhinterziehung   36 ff. – Abgabefall   38 – Erstattungsbetrag   40 – Fälligkeits- oder Veranlagungssteuer   36 ff. – Korrektur von unbilligen ­Ergebnissen   40 – Zahllast   39 – Nichtabgabefall   41 ff. – Zu niedrige Festsetzung   38 – Umsatzsteuervoranmeldung   41 – Unterbliebene Festsetzung 41 ff. – Vollendungszeitpunkt   38 Strohmanngeschäft – Anstiftung   166 – Begriff   130 – Erklärungspflichten   130 – Täterkreis   159 f. – Unterlassen   130, 165 – Unternehmereigenschaft   16 f. Strafverfahrensrechtliche Behandlung – Grundsätzliches zum Verhältnis Voranmeldung zu Jahreserklärung   367 – Steuerverfahrensrechtlich   23 f., 367 514

– Strafverfahrensrechtlich   367 – Konkurrenzen   268 ff. – Fallgruppen in Bezug auf Zusammenspiel zw. Voranmeldung und Jahreserklärung   376 ff. – Umsatzsteuerhinterziehung im Verhältnis zu anderen Steuerstraftaten   368 – Verhältnis der Umsatzsteuerhinterziehungen untereinander   370 ff. – Verhältnis von § 26c UStG zu § 370 AO   383 ff., 388 ff. – Materieller Tatbegriff   365 ff. – Prozessualer Tatbegriff   365 ff., 392 ff. – Tatbegriff nach § 264 StPO   392 – Verhältnis Voranmeldung zu Jahreserklärung   393 f. – Strafzumessung   394 – Berichtigungsmöglichkeiten   401 – Hinterziehung auf Zeit/auf Dauer   397, 399 – Kompensationsverbot   397 – Scheingeschäfte   401 – Spielraum bei der Strafzumessung   395 – Strafrahmenbestimmung 394 – Treuhandstellung des Unternehmers   402 – Umsatzsteuerliche Besonderheiten   397 – Umsatzsteuerkarussell   402 – Unberechtigter Steuerausweis   401 Subjektiver Tatbestand – Bedingter Vorsatz   136, 140, 332, 408

Stichwortverzeichnis

– Begriffe mit Bezug zu steuerlichen Rechtsfragen   137 – Beihilfe, neutrale   278 f. – Blankettmerkmale   138 f., 140 – Deskriptive Tatbestandsmerkmale   136 f. – Eventualvorsatz   408 – Innergemeinschaftliche Lieferung   277 ff. – Irrtum   140 ff., siehe auch dort – Korrekturerklärung   407 – Leichtfertiges Handeln   1, 408 – Nicht gerechtfertigter Steuervorteil   137, 139 – Normative Tatbestandsmerk­ male   137 – Pflichtwidrig   137, 140 – Qualifizierende Merkmale bei § 26c UStG   332 – Steueranspruchslehre   137 ff. – Steuerlich erhebliche Tatsache   137, 139 – Steuerverkürzung   137, 139 – Tatbestandsirrtum   139 – Täuschungshandlung   277 – Vorsatz   1, 136 ff., 180, 332 – Bei § 26c UStG   332 Tatbegriff – s. strafverfahrensrechtliche ­Behandlung Tatbestandsmäßiges Verhalten – Angaben machen   112 – Datenauthentizität   115 – Elektronische Steuererklärung   114 – Unterschriebene Steuererklärung   113 – Auswirkung steuerlicher Nachweisvorschriften auf den Tat­ erfolg   119, siehe auch Nachweisvorschriften

– Gegenüber Finanz- oder anderen Behörden   124 – Handeln   112 ff. – abweichende Rechtsauffassungen   117 f. – Selbstbelastungsverbot hinsichtlich Jahreserklärung bei Ver­ fahren wegen Voranmeldungen   127 – Steuerlich erhebliche Tatsachen   123 – Tatbegehung durch Tun oder Unterlassen   27 – Tatsachen   117 – Unkenntnis als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal   124 ff. – Unrichtige oder unvollständige Angaben über Tatsachen   117 – Unterlassen   128 ff., siehe auch dort Taterfolg der Steuerhinterziehung – Abgrenzung der Taterfolge   33 f. – Abgrenzung nach Verfahrens­ abschnitten   35 – Betrug vs. Steuerhinterziehung   34 – Erlangen nicht gerechtfertigter Steuervorteile   33, 108 ff., siehe auch dort – Steuerverkürzung   33, 35 ff., siehe auch dort Täterschaft – Abgrenzung zur Teilnahme   157 f. – Bandenmäßige Begehung   329 – Faktischer Geschäftsführer   165 – Gewerbsmäßige Begehung   330 – Mittäterschaft   162 f. – Mittelbare Täterschaft   163 f. – Nichtentrichtung der Umsatzsteuer   314 – Selbstanzeige   410 ff. 515

Stichwortverzeichnis

– Sonderpflichtdelikt   314 – Steuerberater   160 f., 165 – Steuerhinterziehung durch ­Handeln   158 – Steuerhinterziehung durch ­Unterlassen   164 – Steuerlicher Berater   160 – Täterkreis   158 – Unmittelbare Täterschaft   159 – Abgabe der Erklärung   159 – Erklärungsherrschaft über Inhalt   159 – Steuerlicher Berater   160 – Unterlassen   164, 317 Teilnahme – Abgrenzung zur Täterschaft 157 f. – Anstiftung   166 – Beihilfe   167 – Einzelfälle   168 – Neutrale Handlung   167 – Selbstanzeige   410 Territorialprinzip – Auslandsstraftaten   296 – Durchbrechung   295 – Straftaten gegen den deutschen Steueranspruch   295 – Vermeidung Doppelbestrafung 296 Umsatzsteuer – Besteuerungssystem – Allphasen-Netto-Umsatz­ steuer mit Vorsteuerabzug   10 – Binnenmarktfälle   12 – Drittlandsfälle   12 – Steuerbare Umsätze   10 – Steuerfreie Umsätze   10 – Steuerschuldner   11 – Umkehr der Steuerschuldnerschaft   12 516

– Umsatzsteuer nach § 14c UStG   11 – Vorsteuerabzug   12 ff. s.a. Vorsteuerabzug – EU-Mitgliedstaaten   291 f. – Fälligkeit   313 – Grundlagen   7 ff. – Grundprinzipien   7, 25 ff. – Harmonisierte Verbrauch­ steuer   291 f. – Indirekte Steuer   26 – Rechtsgrundlagen   8 ff. – Änderungen zum 01.01.2020 und geplante Änderungen   9 – EU-Recht   8 – Nationales Recht   8 – Selbstveranlagungssteuer   36 – Träger   26 – Veranlagungssteuer   36 – Verkehrssteuer   26 Umsatzsteuer-Identifikationsnummer – Entwendung   209 – Qualifiziertes Bestätigungs­ verfahren   208 – Sorgfaltspflicht des Unternehmers   208 – Voraussetzung für die Steuer­ befreiung   231 Umsatzsteuerkarussell – Begriff   190 – Bekämpfung   194 – Betrugsanfälligkeit der Umsatzsteuer   1, 190 – Buffer   191 ff. – Distributor   191 ff. – Einleitung   1 – EuGH-Rechtsprechung   201 ff., 207 – Innergemeinschaftliche sonstige Leistungen   195

Stichwortverzeichnis

– Merkmale   191 – Missing Trader   191 ff., 302 – Schädigung des Umsatzsteueraufkommens   301 ff. – Steuerrechtliche Folgen   193 – Steuerstrafrechtliche Folgen 193 f. – Strafbarkeitslücken   301 – Strafzumessung   402 Umsatzsteuerjahreserklärung – Beginn der Verjährung – Abgabefall   347 ff. – Nichtabgabefall   350 – Erklärungspflichtige Personen 129 – Pflicht zur Abgabe   22 f. – Pflicht zur Abgabe elektronischer Steuererklärung   114 – Selbstbelastungsverbot, Suspendierung der strafbewehrten Pflicht zur Abgabe   127 – Taterfolg, Anrechnung von Vorauszahlungen   89 ff. – Verhältnis zu Voranmeldungen, steuerlich   23 f., 367 – Verhältnis zu Voranmeldungen, strafrechtlich, siehe auch strafverfahrensrechtliche Behandlung – Fallgruppen zu Art und Umfang der Verkürzung   93 ff. – Fallgruppen zum Beginn der Verjährung   350 ff. – Fallgruppen zu Konkurrenzen 376 ff. – Fallgruppen zur Selbstanzeige 428 ff. – Konkurrenz zu Voranmeldung, allgemein   370 ff. – Fallgruppen, Übersicht   469 ff.

– Konkurrenz zu Voranmel­ dungen, prozessualer Tat­ begriff   393 f. – Wertung als Selbstanzeige, allgemein   422 ff. – Zeitpunkt des Taterfolgs – Abgabefall   38 ff. – Nichtabgabefall bzw. unterbliebene Festsetzung   42 f. Umsatzsteuervoranmeldung – Ausnahmen vom Vollständigkeitsgebot, Selbstanzeige   426 – Beginn der Verjährung – Abgabefall   344 ff. – Nichtabgabefall   350 – Bemessung des Steuerschadens anhand des Nominalbetrags   85 f. – Berücksichtigung des Vorstellungsbilds i.R.d. Strafzumessung   86 f., 397 ff. – Erklärungspflichtige Personen 129 – Pflicht zur Abgabe   22 – Pflicht zur Abgabe elektronischer Steuererklärung   114 – Steuerverkürzung auf Zeit   84 ff., 450 f. – Verhältnis zur Jahreserklärung, siehe Umsatzsteuerjahreser­ klärung – Zeitpunkt des Taterfolgs   41 – Abgabefall   38 ff., siehe auch Umsatzsteuerjahreserklärung – Nichtabgabefall bzw. unterbliebene Festsetzung   41 f. Unrichtiger/unberechtigter ­Steuerausweis – Erlass   21 – Auswirkungen von Rechnungsberichtigungen   356 517

Stichwortverzeichnis

– Berichtigungsmöglichkeiten 401 – Scheinrechnungen   80 – Steuerschuldner   11 – Missing Trader   193 – Irrtum über Steuersatz   146 Unterlassen – Anmeldepflicht   129 – Anzeigepflicht   132 f. – Begriff   128 – Berichtigungspflicht   133 – Erklärungspflichten   128 ff. – In Bezug auf die Umsatz­ steuer   129 – Erklärungspflichtige Personen 129 – Selbstbelastung   131 – Steuerhinterziehung   164 – Strohmann   130 – Täter   128 – Unkenntnis der Finanzbehörde als Tatbestandsmerkmal   132 – Unternehmer   129 – Unzumutbarkeit   131 – Verfügungsberechtigte   129 ff. – Verletzung der allgemeinen Korrekturpflicht aus § 153 AO   132 – Verletzung einer Erklärungspflicht   128 – Verletzung von speziellen umsatzsteuerlichen Korrekturpflichten   133 Unternehmer – Abgrenzung unternehmerischer/ nichtunternehmerischer Bereich   18 – Briefkastenanschrift   17 – Erklärungspflicht   129 – Kapitalgesellschaft   129 – Leistender   15 – Personengesellschaft   129 – Scheinsitz   16 518

– Strohmanngeschäft   16 f. – Treuhandstellung   402 Verfolgungsverjährung – Ahndungslösung   338 f. – Beginn   343 – Abgabefall   343 ff. – Fallgruppen   350 ff. – Nichtabgabefall   349 f. – Umsatzsteuerjahreserklärung 347 ff., 351 ff. – Umsatzsteuervoranmeldung   344 ff., 351 ff. – Begehungs(weisen)lösung   339 f. – Gewerbsmäßige oder banden­ mäßige Schädigung des UStAufkommens nach § 26c UStG   360 f. – Rechnungsberichtigungen, ­Auswirkungen   356 ff. – Ruhen der Verjährung   358 – Steuerhinterziehung nach § 370 AO   337 ff., siehe auch dort – Absolute Verjährung   342 – Dauer der Verjährungsfristen 337 – Verlängerte Frist   338 – Zeitlicher Anwendungs­ bereich   341 f. – Strafzumessungslösung   338 f. – Tatbestandslösung   339 f. – Unterbrechung nach § 376 Abs. 2 AO   357 – Verfahrenshindernis   337 Versuch – Abgabe einer falschen Steuer­ anmeldung   155 – Beendeter   155 – Fehlgeschlagener   155 – Objektiver Tatbestand   151

Stichwortverzeichnis

– Regelbeispiel   178 f. – Rücktritt   155 f. – Selbstanzeige   155 f. – Strafbarkeit   149 – Subjektiver Tatbestand   151 – Tauglicher/Untauglicher   150 – Unbeendeter   155 – Unmittelbares Ansetzen zur Tat   151 – Abgabefall   152 ff. – Nichtabgabefall   154 f. – Vorsatz   151 – Wahndelikt   150 Vertrauensschutz – Billigkeitserwägungen   26 – Gutgläubiger Leistungsempfänger   17, 26 – Innergemeinschaftliche Lieferungen   26

Vorsteuerabzug – Berechtigter   13 – Billigkeitsregelung   19 – Bösgläubigkeit, keine   19 – Einleitung   1 – Gemeinkosten   55 ff., 242 – Identität Leistender und Rechnungsaussteller   18 – Irrtum   148 – Kompensationsverbot, siehe dort – Leistender ist Unternehmer   15 f. – Leistung für das Unternehmen   18 – Rechnung, ordnungsgemäße   13 – Umsatzsteuerhinterziehung   24 – Vertrauensschutz   17 – Voraussetzungen   12 ff.

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