Heteronormativitätskritische Jugendbildung: Reflexionen am Beispiel eines museumspädagogischen Modellprojekts 9783839442418

Applied critique of heteronormativity: How can it succeed in aesthetic-museum educational work and beyond?

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Heteronormativitätskritische Jugendbildung: Reflexionen am Beispiel eines museumspädagogischen Modellprojekts
 9783839442418

Table of contents :
Inhalt
1. ‚Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt‘, Heteronormativitätskritik und Praxisforschung – Einführende Überlegungen
2. Jugendbildung queer(en) – Zur Relevanz einer heteronormativitätskritischen Pädagogik
3. Museen als Bildungsorte – Queere Inhalte auf dem Weg ins Museum
4. Multiperspektivisch & partizipativ – Zum Forschungsdesign des Praxisforschungsprojekts VieL*Bar
6. Pädagogische Interaktionen und Haltungen – Herausforderungen guter Praxis
7. Where to go on? Mögliche nächste Schritte im Professionalisierungsprozess
8. Praxisforschung aus der Sicht der Beforschten – Das letzte Wort
Literatur & weitere Quellen
Transkriptionsregeln

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Mart Busche, Jutta Hartmann, Tobias Nettke, Uli Streib-Brzič Heteronormativitätskritische Jugendbildung

Pädagogik

Für Christine Holzkamp

Mart Busche (Dipl.-Pol.) ist wiss. Mitarbeiter_in an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Arbeitsschwerpunkte sind Gewaltforschung, Intersektionalität, Gender und Queer Studies. Jutta Hartmann (Dr. phil.) ist Professorin für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind kritisch-dekonstruktive Perspektiven einer Pädagogik vielfältiger Lebensweisen, Bildungs- und Diskursforschung, Gender und Queer Studies. Tobias Nettke (Dr. phil.) ist Professor für Bildung und Vermittlung in Museen im Studiengang Museumskunde (Bachelor) sowie Museumsmanagement und -kommunikation (Master) im Fachbereich Kultur und Gestaltung an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind interaktiv-partizipative Vermittlungsformen, insbesondere in Projekten mit verschiedenen Museen Berlins. Uli Streib-Brzič (Dipl.-Soz.) war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin im Projekt »VieL*Bar: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der Bildungsarbeit – Didaktische Potentiale und Herausforderungen museumspädagogischer Zugänge« tätig. Sie ist Mitgründerin des »ifgg – Institut für genderreflektierte Gewaltprävention« und arbeitet dort als Systemische Therapeutin und Beraterin (SG).

Mart Busche, Jutta Hartmann, Tobias Nettke, Uli Streib-BrziČ

Heteronormativitätskritische Jugendbildung Reflexionen am Beispiel eines museumspädagogischen Modellprojekts

Das Praxisforschungsprojekt »VieL*Bar: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der Bildungsarbeit – Didaktische Potentiale und Herausforderungen museumspädagogischer Zugänge«, in dessen Rahmen die vorliegende Monografie entstand, wurde gefördert vom IFAF – Institut für angewandte Forschung Berlin.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Nadine Platzek / Photocase.de Lektorat & Satz: Ulf Heidel Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4241-4 PDF-ISBN 978-3-8394-4241-8 https://doi.org/10.14361/9783839442418 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1.

‚Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt‘, Heteronormativitätskritik und Praxisforschung – Einführende Überlegungen

Jutta Hartmann | 9 2.

Jugendbildung queer(en) – Zur Relevanz einer heteronormativitätskritischen Pädagogik

Jutta Hartmann | 19 2.1 Gesellschaftliche Entwicklungsprozesse – Ein Motor pädagogischer Innovation | 20 2.2 (Un-)Gleichzeitigkeiten im sozialen Miteinander – Queere Lebensweisen als zunehmend selbstverständlicher Teil jugendkultureller Praxen und anhaltende Diskriminierungserfahrungen von LGBTIQ+-Jugendlichen | 26 2.3 Identitätszwang & Othering, Vielfältigkeit & subjektive Funktionalität – Herausforderungen auf individueller Ebene | 31 2.4 Pädagogische Zugänge zum Themenkomplex – Kristallisationspunkte eines Professionalisierungsprozesses | 37 2.5 Bildung als erschließende Auseinandersetzung mit vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen – Professionalisierungsherausforderungen pädagogischen Handelns | 45 3.

Museen als Bildungsorte – Queere Inhalte auf dem Weg ins Museum

Tobias Nettke | 49 3.1 Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen als Thema der Museumsarbeit | 49 3.2 Ausstellungen zum Aktivieren und Mitgestalten | 55 3.3 Das Modellprojekt All Included! und seine pädagogischen Formate | 58

4.

Multiperspektivisch & partizipativ – Zum Forschungsdesign des Praxisforschungsprojekts VieL*Bar

Mart Busche, Jutta Hartmann | 69 4.1 VieL*Bar – Didaktischen Potenzialen und Herausforderungen auf der Spur | 71 4.2 Critical Fellows – Einen kritisch-dekonstruktiven Blick anbieten | 78 5.

Vermittlungsarbeit mit Ausstellungselementen – Die Werkschau All Included!

Tobias Nettke | 83 5.1 Die Struktur der Werkschau-Ausstellung | 84 5.2 Einbettung der Werkschau in den Ablauf der begleitenden Workshops | 87 5.3 Der Bereich ‚Think Outside the Box‘ und die Station ‚Selbstbild mit Dingen‘ | 90 5.4 Der Bereich ‚Gender Marketing‘ und die Station ‚Duftprobe‘ | 96 5.5 Der Bereich ‚Trans*-Menschen‘ und die Station ‚Gender-Schieber‘ | 100 5.6 Der Bereich ‚Queer Fashion‘ und die Station ‚Design Studio‘ | 107 5.7 Charakterisierung der Partizipationsformen | 112 6.

Pädagogische Interaktionen und Haltungen – Herausforderungen guter Praxis

Mart Busche, Uli Streib-Brzič | 115 6.1 Bedingungen für gelingende pädagogische Arbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt | 116 6.2 Herausforderungen in der pädagogischen Arbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt | 124 6.3 Queerfeindlichkeit? Reflexion des Abwehrverhaltens bei Kindern und Jugendlichen und des pädagogischen Umgangs damit | 131 6.4 „Die waren irgendwo ganz anders“ – Orientierungen im Umgang mit sozialen Differenzen | 150 6.5 Im Spannungsverhältnis von Vielfalt und (Hetero-)Normativitätskritik – Erkenntnisse aus Reflexions-Workshops | 166

7.

Where to go on? Mögliche nächste Schritte im Professionalisierungsprozess

Jutta Hartmann, Mart Busche, Tobias Nettke, Uli Streib-Brzič | 177 7.1 Specific needs: Paradigmatische Herausforderungen | 178 7.2 How to: Orientierungslinien für heteronormativitätskritische Bildungsarbeit | 180 8.

Praxisforschung aus der Sicht der Beforschten – Das letzte Wort

Ellen Roters | 193 Literatur & weitere Quellen | 197

Literatur | 197 Weitere Quellen | 213 Transkriptionsregeln | 217

1. ‚Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt‘, Heteronormativitätskritik und Praxisforschung – Einführende Überlegungen Jutta Hartmann

„Können Trans*-Menschen Kinder bekommen?“ „Wieso heißt es dann Homo sapiens?“ „Welches Geschlecht haben Inter*-Menschen?“

Wenn es um vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen geht, sind die meisten Kinder und Jugendlichen interessiert und stellen viele Fragen – wie beispielsweise die Teilnehmenden im Modellprojekt ‚All Included! Museum und Schule gemeinsam für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ (im Folgenden kurz: ‚All Included!‘). Die Thematisierung dieser Vielfalt ist bisher kein selbstverständlicher Bestandteil von Bildungsangeboten in Schule oder außerschulischer Jugendbildung. Gleichwohl hat der Themenbereich im bildungspolitischen Feld in Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich an Akzeptanz gewonnen und eine bewusste Auseinandersetzung mit der Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen nimmt in der Bildungsarbeit zu. So rief beispielsweise das Land Berlin 2009 das Programm ‚Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt‘ (vgl. Senat von Berlin 2010) ins Leben und reagierte mit dem Aktionsfeld ‚Bildung und Aufklärung stärken‘ auf einen zunehmend festgestellten Handlungsbedarf. Das hat Schule gemacht. Andere Bundesländer zogen nach. Doch bewog die Aufnahme des Themenbereichs ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ in die Bildungspläne in einigen Regionen Eltern unterstützt von rechten und religiösen Gruppierungen dazu, dagegen zu protestieren. Manche suggerierten dabei, für die Mehrheit der Bevölkerung zu sprechen. Eine bevölkerungsrepräsentative Untersuchung im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2017: 144) hat jedoch das Gegenteil belegt: So wiesen 70,6 % der Befragten die Behauptung zurück, das Ansprechen von sexueller

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Vielfalt in der Schule würde Kinder in der Entwicklung ihrer Sexualität verwirren. Demgegenüber stimmten 89,6 % der Aussage zu, dass es „ein Ziel der Schule sein sollte, den Schüler_innen Akzeptanz gegenüber homo- und bisexuellen Personen zu vermitteln“ (ebd.). Auch mit Blick auf den Bildungsort Museum ist eine zunehmende Hinwendung zu einem diverseren Publikum zu verzeichnen, das über immer differenziertere Angebote und Formate der Präsentation und Vermittlung erreicht werden soll. Zur Thematik ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ finden sich im Museum und speziell in der Museumspädagogik in Deutschland jedoch bisher kaum Ansätze, die Diversität in der praktischen Arbeit mit dem (jungen) Publikum umsetzen. Viele Pädagog_innen fragen sich daher, mit welchen Inhalten und auf welche Weise sie diesen Themenbereich am besten angehen können. Modellprojekte bieten die Möglichkeit, Zugänge zu erproben und weiterzuentwickeln. Ein Beispiel ist All Included!, das von 2015 bis 2019 am Jugend Museum in Berlin-Schöneberg durchgeführt wird. Es wird im Rahmen des Bundesprogramms ‚Demokratie leben!‘ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert und wurde 2017 mit dem BKM-Preis1 für Kulturelle Bildung ausgezeichnet. Modellprojekte zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen sind wichtig, denn in der Schule und der außerschulischen Bildungsarbeit werden Kindern und Jugendlichen Vorlagen für ihr geschlechtliches und sexuelles Selbstverständnis vermittelt. Sie erfahren dort von den real existierenden vielfältigen Lebensweisen – oder eben nicht. Und sie entwickeln gerade auch an diesen Bildungsorten ihre Haltungen und Umgangsformen gegenüber unterschiedlichen Lebensweisen. Schule und außerschulische Bildungseinrichtungen sind damit immer schon mit verantwortlich für die Herstellung, Vermittlung und Wirkung von Geschlechter- und Sexualitätsordnungen – und sind nicht erst dann gefragt, wenn Diskriminierung und Gewalt auftreten. Die Auseinandersetzung mit dem Themenbereich ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ stellt auch eine Antwort auf einen aktuellen gesellschaftlichen Konflikt um Differenzen und Differenzverhältnisse dar und reagiert ganz konkret auf: • geschlechtsbezogene Zuschreibungen und heteronormative Normalitätserwar-

tungen • die Diskriminierung von LGBTIQ+2-Lebensweisen 1

BKM = Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

2

Wir nutzen das internationale Akronym LGBTIQ+ um anzuzeigen, dass wir uns auf alle queeren Selbstbezeichnungen und Subjektpositionen beziehen, die derzeit verwendet und gelebt werden (vgl. z.B. GenderAgenda, http://www.genderagenda.net/

‚Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt‘ | 11

• eine nachweisliche Nicht-Thematisierung der real gelebten Vielfalt an ge-

schlechtlichen und sexuellen Lebensweisen in der Pädagogik • eine deutlich Lücke in Bildungsangeboten mit Blick auf den Themenbereich • einen Mangel an Zugängen, die – bezogen auf unser Thema – Ermöglichungs-

bedingungen für ein gutes Leben schaffen. Projekte wie All Included! geben mit der dort geleisteten pädagogischen Arbeit mögliche Anhaltspunkte für die in der aktuellen Fachdebatte diskutierte Frage, wie ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ vor diesem komplexen Hintergrund in der Pädagogik sinnvoll bearbeitet werden kann. Doch noch stehen bildungspolitische Forderungen, theoretische Studien und Erfahrungsberichte aus der Praxis weitgehend unverbunden nebeneinander. Zur Entwicklung qualitativ hochwertiger pädagogischer Zugänge und als Anregung für die vielen Fachkräfte, die sich aufmachen und das Thema neu für sich erschließen, braucht es über diese einzelnen Beiträge hinausweisende Erkenntnisse. In dem von April 2016 bis März 2018 durchgeführten Praxisforschungsprojekt ‚VieL*Bar: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der Bildungsarbeit – Didaktische Potenziale und Herausforderungen museumspädagogischer Zugänge‘, auf dem das vorliegende Buch beruht, stand die Frage einer gelingenden Bildungsarbeit zu diesem Themenkomplex im Zentrum. Mit Blick auf das Modellprojekt All Included! wurde aus einer heteronormativitätskritischen Perspektive nachvollzogen, wie in einer didaktisch im deutschsprachigen definition.htm oder Queensland Government https://www.forgov.qld.gov.au/lgbtiq). Das Akronym umfasst lesbische, schwule (G = gay), bisexuelle, trans*, inter* und insgesamt queere Lebensweisen. ‚Q+‘ weist auf genderqueere, pansexuelle, asexuelle, infragestellende (questioning) und Non-Binary-Lebensweisen hin sowie darauf, dass jeden Tag neue Lebensweisen entstehen können und diese Aufzählung nicht abzuschließen ist. Eve Kosofsky Sedgwick (1990) geht davon aus, dass Menschen, deren Lebensweisen marginalisiert werden, notwendigerweise über einen Reichtum an einstweiligen Bezeichnungen und Kategorien verfügen, um mit deren Hilfe die besonderen Möglichkeiten und Risiken ihres Lebenskontexts zum Ausdruck zu bringen (vgl. LesMigraS 2012: 133). Denn vorherrschende Bezeichnungen sind i.d.R. mit normativen Erwartungen und Zuschreibungen verbunden, die Teil eines beschränkenden Lebenskontexts sind und viele der einschränkenden Bedingungen eher verschleiern. Der Bedarf an alternativen Bezeichnungen steige daher mit der Verletzbarkeit der sozialen Positionierung. Wenn Pädagogik solche Interventionen in die vorherrschenden Bezeichnungsweisen anerkennend mitvollzieht, sie also die subkulturell entwickelten Bezeichnungen wertschätzend aufgreift und mit verwendet, so lässt sich dies als eine Form solidarischen Handelns verstehen (vgl. ebd.).

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Raum einmaligen Weise Bildungsangebote entwickelt und umgesetzt werden, um vermittelt über ästhetisch-museale Bildung mit Kindern und Jugendlichen das Thema ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ zu behandeln. Mittels einer Triangulation von Methoden der qualitativen Sozialforschung wurden pädagogische Interaktionen, Perspektiven der pädagogisch Handelnden wie die (Re-)Aktionen und Projektergebnisse der Kinder und Jugendlichen untersucht. Dabei interessierte uns: Welche Aspekte des Themenbereichs werden wie aufgegriffen? Mit welchen Potentialen und Herausforderungen ist das jeweils verbunden? Welche Bedingungen – Formate, Zugänge, Impulse etc. – erweisen sich als besonders förderlich, um geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der (musealen) Bildung partizipativ in einer heteronormativitätskritischen Weise zu bearbeiten? Damit fokussierte das Forschungsprojekt ebenso auf das Was wie auf das Wie der Bildungsarbeit. Obwohl das Modellprojekt All Included! in erster Linie daran orientiert ist, ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ zu thematisieren, haben wir in der wissenschaftlichen Begleitung eine dezidiert heteronormativitätskritische Perspektive eingenommen. Warum? Der (bildungs-)politische Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘3 ist theoretisch nicht rückgebunden, verwendetet Konzepte wie z.B. ‚Identität‘ oder ‚Geschlecht‘ werden dementsprechend oft nicht explizit geklärt. Für eine professionelle Herangehensweise ist eine theoretische Fundierung jedoch unerlässlich. Der theoretische Hintergrund von VieL*Bar liegt in der Pädagogik vielfältiger Lebensweisen (vgl. Hartmann 2002, 2017) und in einer auf Partizipation ausgerichteten Museumspädagogik (vgl. Nettke 2016a, 2018). Der Begriff der ‚vielfältigen Lebensweisen‘ fußt wiederum den Erkenntnissen der poststrukturalistischen Gender und Queer Studies folgend auf einer Auseinandersetzung mit und Kritik an Heteronormativität.4

3

Mit der Bezeichnung als Topos soll markiert werden, dass es sich bei der Rede um ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ nicht um einen Begriff im Sinne eines wissenschaftlich fundierten Denkwerkzeuges handelt, sondern um eine im letzten Jahrzehnt (bildungs-)politisch und medial beharrlich genutzte Terminologie, die theoretisch nicht ausbuchstabiert ist und daher – in einem gewissen Rahmen – beliebig bleibt. Auch legt die Terminologie für Menschen, die nicht mit der Debatte vertraut sind, Assoziationen nahe, die dem dominanten Diskurs folgend stark an intime körperliche Praktiken, Biologie und Essentialismus gekoppelt sind und daher zu Missverständnissen einladen.

4

Heteronormativität ist ein im Kontext der poststrukturalistischen Gender und Queer Studies entwickelter Struktur- und Analysebegriff. ‚Poststrukturalismus‘ steht für Theorierichtungen, in denen kritische Überlegungen zu Differenz/Identität, Subjekt und Sprache eine entscheidende Rolle spielen. Dabei wird Differenz nicht einfach als

‚Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt‘ | 13

Heteronormativität stellt ein in den USA Anfang der 1990er Jahre entwickeltes Konzept dar, das im deutschsprachigen Raum vor allem in den Kultur- und Sozialwissenschaften aufgegriffen worden ist und hier spätestens seit den 2000er Jahren breit diskutiert wird. Ähnlich wie die Begriffe Rassismus oder Ableismus markiert das Konzept der Heteronormativität eine machtkritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Differenzordnungen. Dabei stellt es nicht nur die dominante Form von Sexualität, sondern auch die dominante Form von Geschlecht in Frage. Im Zentrum der Untersuchung steht die vorherrschende Ordnung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit, die entlang der Differenzkategorien Geschlecht und Sexualität sowohl an der Konstitution von Subjektivität als auch an der Strukturierung des Sozialen beteiligt ist. Kurz gefasst lässt sich sagen, dass die dem Konzept der Heteronormativität inhärente Kritik einer gesellschaftlichen Ordnung gilt, in der Heterosexualität als natürlich gesetzt und mit Privilegien verbunden ist, in der Geschlechter innerhalb einer heterosexuellen Matrix hervorgebracht, Geschlechtsidentitäten als kohärent entworfen, Geschlechterverhältnisse ausschließlich in Beziehungen zwischen ‚Männern‘ und ‚Frauen‘ repräsentiert und weitere geschlechtliche und sexuelle Identitäten marginalisiert bzw. auf binär-hierarchisierte Kategorien wie die von ‚homosexuell‘ vs. ‚heterosexuell‘ reduziert werden. (Hartmann 2016a: 107) Vor diesem Hintergrund markiert der Begriff der vielfältigen Lebensweisen ein macht- und identitätskritisches Verständnis von Geschlecht und Sexualität. Geschlechtliche und sexuelle Identität verstehen wir damit als gesellschaftlichkulturell hervorgebracht und betonen somit zugleich ihren Prozesscharakter und das Dynamische im Unterschied zum Festen und fertig Geformten. Jeder Mensch muss sich im Laufe des Lebens immer wieder mit den Fragen ‚Wer will und kann ich sein bzw. werden?‘ und ‚Wie will und kann ich mich und mein Leben gestalten?‘ beschäftigen. Identität kann dabei kein festgeschriebener, unveränderlicher Besitz sein, den mensch – einmal erworben – für immer behält. Einem in diesem Sinne kritisch-dekonstruktiven Verständnis von Geschlecht und

gegebener Unterschied gefasst, sondern als eine dynamische Beziehung, über die Identitäten erst hervorgebracht werden. Entsprechend wird das Subjekt als durch vielfältige Machtbeziehungen konstituiert begriffen und nicht länger als autonom gesetzt. Dies geschieht nicht zuletzt durch Diskurse. Diese sind als eine Verbindung von Wissen und Macht konstitutiv an der Hervorbringung von Welt und damit auch von uns Subjekten beteiligt. So gesehen sind es Machtverhältnisse, die u.a. in Form von Normativitäten unsere Existenz bestimmen, denen wir jedoch nicht machtlos ausgeliefert, sondern an deren Hervorbringung, Reproduktion und möglichen Verschiebung wir beteiligt sind. (Vgl. auch Kap 2.5)

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Sexualität folgt das VieL*Bar-Team auch in der Pädagogik. Konkret bedeutet dies für uns, dass die sich dem Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ widmende Bildungsarbeit aus heteronormativitätskritischer Perspektive gesehen nur dann gelingen kann, wenn nicht zugleich vorherrschende Normalitätsvorstellungen, Naturalisierungen, Dualitäten und Hierarchien reproduziert werden. Wir fragten daher: Finden Elemente eines solchen Ansatzes Eingang in die pädagogische Praxis und wenn ja, wie werden sie konkret umgesetzt? Inwiefern werden heteronormativitätskritische Impulse gesetzt und inwieweit gelingt es, Heteronormativität – auch wider bessere Absicht – nicht erneut zu (re-)produzieren?5 Gleichzeitig wollten wir wissen: Welche Gelingensbedingungen und Herausforderungen thematisieren Praktiker_innen? Inwiefern spielen kritisch-dekonstruktive Perspektiven für sie überhaupt eine Rolle? Daran anschließend interessierte uns weiter: Wie lassen sich mögliche Divergenzen zwischen Theorie und Praxis produktiv bearbeiten? Welche neuen Erkenntnisse und Perspektiven entstehen, wenn Unterschiede zwischen wissenschaftlichem Wissen und praktischem Erfahrungswissen in einem gemeinsamen Reflexionsprozess fruchtbar zusammengeführt werden? Wir begreifen eine solche Zusammenführung als einen Beitrag zur Professionalisierung der pädagogischen Arbeit zum Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘. Wie ein solcher Beitrag konkret aussehen kann ist Inhalt des vorliegenden Bandes. Es versteht sich eigentlich von selbst, gleichwohl soll es gleich zu Anfang festgehalten werden: Bei unseren Reflexionen über pädagogische Praxis kann es nicht um ein Richtig- oder Falsch-Machen gehen, sondern darum, sowohl förderlichen Zugängen als auch vorherrschenden hetero-normierenden Mechanismen auf die Spur zu kommen und durch deren Erkennen eine Weiterentwicklung im pädagogischen Diskurs zu ermöglichen. Wir fokussieren nicht auf individuelle Professionalität, sondern interessieren uns für einen kollektiven Professionalisierungsprozess im Feld der pädagogischen Auseinandersetzung mit vielfältigen

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Erkenntnisse der poststrukturalistischen Gender und Queer Studies haben insbesondere mit Bezug auf Michel Foucault und Judith Butler nachvollziehbar gezeigt, dass es kein außerhalb von Machtverhältnissen und damit kein völliges Heraustreten aus heteronormativen Verhältnissen gibt – zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt in den meisten Gesellschaften der (Post-)Moderne nicht. Doch lässt sich die eigene Verstrickung in heteronormative Machtverhältnisse reflektieren. Aus heteronormativitätskritischer Perspektive stellt es daher ein Qualitätsmerkmal dar, normative Machtverhältnisse selbst zu thematisieren, bewusst zu machen, für deren Funktionsweisen im Sinne eingespielter Mechanismen zu sensibilisieren – bzw. in ständiger Selbstreflexion dieser Mechanismen zu versuchen, sie zu minimieren. (Vgl. Hartmann 2012)

‚Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt‘ | 15

geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen. Das vorliegende Buch stellt daher nicht allein das Modellprojekt All Included! oder die Analyse seiner Arbeit in den Mittelpunkt. Es nimmt All Included! und VieL*Bar vielmehr zum Anlass konzeptuelle Fragen zu reflektieren und heteronormativitätskritische Bildung anzuregen. Damit würdigt es Vorhaben und Potenziale von All Included!, trägt pädagogische Erfahrungen weiter und weist zugleich über diese hinaus. Dank Das Bildungsprojekt All Included! beforschen zu können, war eine einmalige Gelegenheit, für die wir sehr dankbar sind. Gleich zu Beginn wollen wir dem Schöneberger Jugend Museum, dessen Leitung – Petra Zwaka und Ellen Roters – wie dem pädagogischen und kuratorischen Team, unseren Dank aussprechen für den expliziten Wunsch und das Vertrauen, sich wissenschaftlich beforschen zu lassen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das Jugend Museum hat seine Türen geöffnet, um unserem Forschungsteam einen Einblick in die pädagogische Arbeit im Modellprojekt All Included! zu gewähren und um mit uns erste Beobachtungen und Erkenntnisse zu diskutieren. Damit war das Jugend Museum offen für die seltene Möglichkeit, dass Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen gemeinsam nachdenken über die Potenziale und Herausforderungen, die die konkrete Bildungsarbeit zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen mit sich bringt. Es hat die Chance gesehen, dass, wenn es gut läuft, – und wir meinen, es ist gut gelaufen – Wissenschaft und Praxis zusammen neue Erkenntnisse hervorbringen können. Dabei ist die Großzügigkeit und Bereitschaft des All Included!-Teams hoch einzuschätzen, sich nicht nur aktiv in den Praxisforschungsprozess zu begeben, sondern durch Begrüßen von Veröffentlichungen über diesen Prozess auch Interessierten von außerhalb des Teams die Möglichkeit zu geben, in dessen Nachvollzug zu lernen und an den Erkenntnissen zu partizipieren. VieL*Bar war ein Kooperationsprojekt der Alice Salomon Hochschule Berlin mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Es wurde von Jutta Hartmann, Professorin für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit der ASH Berlin, und Tobias Nettke, Professor für Museumspädagogik der HTW Berlin, geleitet und von den beiden wissenschaftlich Mitarbeitenden Mart Busche und Uli Streib-Brzič durchgeführt sowie in der inhaltsanalytischen Auswertung vor allem durch Ute Koop unterstützt. Wir danken Ute Koop sowie der Gruppe studentischer Mitarbeitender, die im Laufe der Zeit in der Zusammensetzung leicht verändert dem VieL*Bar-Team bei der Datenerfassung und Auswertung, der Durchführung und Dokumentation von Projekttreffen sowie der Organisation

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der VieL*Bar-Tagung im Januar 2018 tatkräftig zur Seite stand: Franzi Fiene, Martin Giessler, Maria Korbizki, Hannah Meyer und Katharina Ossen. Studentische Partizipation im Forschungsprojekt war darüber hinaus insofern gegeben, als zum einen Studierende zweier Praxisprojekt-Seminare der HTW Berlin bei der teilnehmenden Beobachtung und Studierende des Masterstudiengangs Museumsmanagement und -kommunikation bei der Organisation der VieL*BarTagung beteiligt waren. Zum anderen verfassten Franzi Fiene und Hannah Meyer eine Masterarbeit über das Projekt im Studiengang ‚Praxisforschung in Pädagogik und Sozialer Arbeit‘ an der ASH Berlin. VieL*Bar wurde vom Institut für angewandte Forschung in Berlin (IFAF) finanziert. Das IFAF ist ein Zusammenschluss der vier staatlichen Hochschulen Berlins, der das Ziel verfolgt, angewandte Forschung in Verbundprojekten zu fördern. Um Interdisziplinarität anzuregen, forschen in IFAF-Projekten immer mindestens zwei Hochschulen zusammen und kooperieren dabei mit regionalen Praxiseinrichtungen. Für VieL*Bar war es ein großer Gewinn, im Projektverlauf außer mit dem Jugend Museum auch mit der Bildungsinitiative QUEERFORMAT, dem Institut für genderreflektierte Gewaltprävention (ifgg) und dem Schwulen Museum* kooperieren zu können und von deren jeweiliger fachlichen Expertise zu profitieren. Konkret flossen diese Expertisen in drei ReflexionsWorkshops ein, in denen Beobachtungen, Erkenntnisse und Fragen des Forschungsprojekts diskutiert wurden. Auch hierfür sagen wir herzlichen Dank. VieL*Bar und das vorliegende Buch hätte es ohne die vernetzende Power und das jahrelange inhaltliche Engagement von Christine Holzkamp, Professorin für Psychologie der TU Berlin im Ruhestand, nicht gegeben. „Ihr müsst euch unbedingt treffen!“, rief sie begeistert, einmal zu Ellen Roters und einmal zu mir, Jutta Hartmann, als sie von der Bewilligung von All Included! hörte. Nach einem ersten Gedankenaustausch im Jugend Museum, wie eine wissenschaftliche Begleitung aussehen könnte, nahm ich am Kick-off mit Kooperationseinrichtungen von All Included! teil. Als ich dort meinen Kollegen Tobias Nettke von der HTW in der Runde entdeckte, war die Idee geboren: Wir beantragen ein IFAFProjekt zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen in der Bildungsarbeit und erforschen didaktische Potenziale und Herausforderungen museumspädagogischer Zugänge! Christine Holzkamp liegt der Themenbereich schon lange am Herzen und sie hat es in ihren Diskussionsbeiträgen immer wieder eingebracht und vorangetrieben. Neben Uniseminaren oder Lehrer_innenfortbildungen zum Thema gestaltete sie die vom Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen der Berliner Senatsverwaltung für Jugend und Familie in den Jahren 1992 und 1997 ausgerichteten pädagogischen Fachkongresse „Lebensformen und Sexualität. Was heißt

‚Geschlechtliche & sexuelle Vielfalt‘ | 17

hier normal?“ maßgeblich mit. Der Titel der Tagungen weist auf einen wichtigen Aspekt hin, der es nicht in den bildungspolitischen Hauptstrom geschafft hat und beständig in Erinnerung zu rufen ist: die Infragestellung von Normalitätserwartungen. Dass die Tagungen mittlerweile vor mehr als 20 Jahren stattfanden und es in erziehungswissenschaftlicher Theorie wie pädagogischer Praxis immer noch keine gesicherten Orte für den Themenkomplex gibt, weist wiederum darauf hin, welch langer Atem hier notwendig ist. Darauf hat Christine Holzkamp auch als Teilnehmerin bei der VieL*Bar-Tagung im Januar 2018 nochmals aufmerksam gemacht. Sie ist für uns ein lebendiges Beispiel für gelebte Heteronormativitätskritik. Viele ehemalige Studierende werden sich an die Irritation bei sich und anderen erinnern, als Christine Holzkamp sich selbst als heterosexuell lebende Frau vorstellte. Damit entzog sie so manches Mal dem vermeintlich Selbstverständlichen – der Heterosexualität – die Selbstverständlichkeit. Zugleich gelang es ihr so, die gängige Spaltung zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen zu unterwandern. Denn: Betroffen von der gesellschaftlichen Norm Heterosexualität sind wir alle, unabhängig von unserer Lebensweise. Sich damit kritisch auseinanderzusetzen ist auch eine Aufgabe der Allgemeinen Pädagogik und darf nicht einfach nur denen überlassen werden, die quer zur Norm leben und den Status einer Art Sonderpädagogik zugesprochen bekommen. Als besonderes Dankeschön für die vielen anregenden Gedanken und unermüdlichen Impulse widmen wir dieses Buch Christine Holzkamp. Zum Aufbau des Buches Die Inhalte des vorliegenden Bandes sind vom VieL*Bar-Team gemeinsam entwickelt und diskutiert und von den jeweils angegebenen Autor_innen verfasst.6 Wir verstehen sie als Ergebnisse einer intensiven gemeinsamen Arbeit. Nach diesem ersten einführenden Kapitel gibt das zweite Kapitel Einblicke in gesellschaftlich-kulturelle, soziale und individuelle Zusammenhänge und Diskursfelder, die die Relevanz heteronormativitätskritischer Bildungsarbeit begründen und zugleich wichtige Hinweise für deren Ausgestaltung liefern. Quasi als Momentaufnahmen von im Prozess befindlichen Grundlagen umreißen wir hier den theoretischen Hintergrund des analytischen Denkens im Forschungsprojekt. Das dritte Kapitel zeigt Lücken bei der Thematisierung vielfältiger Lebensweisen im musealen Kontext auf und stellt als einen Beitrag, der diese Lücken verkleinert,

6

An dieser Stelle bedanken wir uns auch sehr bei Ulf Heidel, der mit einem wunderbaren Gespür für Sprache und inhaltlich mitdenkend das Lektorat sowie den Satz des Bandes übernommen hat.

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das vom Jugend Museum erarbeitete Modellprojekt All Included! mit seinen pädagogischen Formaten vor. Es skizziert, wie einige Museen sowie insbesondere das Jugend Museum durch All Included! Inhalte zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen anbieten, und auch partizipative Formen des Ausstellens und Vermittelns verwirklichen, und auf diese Weise ihrem Bildungsauftrag nachkommen. Anschließen stellen wir im vierte Kapitel das Forschungsprojekt VieL*Bar mit seinen methodischen Herangehensweise dar und skizzieren unser Selbstverständnis als eine Art Critical Fellows. Im fünften Kapitel geht es um die Analyse der musealen Kommunikation zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen in der ‚All Included!‘Werkschau. Hier stellen wir ausgewählte Stationen der Werkschau vor, die die Besucher_innen zum Mitmachen animieren sollten und die auch während der pädagogischen Arbeit in Schüler_innen-Workshops genutzt wurden. Das sechste Kapitel beinhaltet die Auswertung des im Rahmen von VieL*Bar generierten Datenmaterials: Feldprotokolle aus der teilnehmenden Beobachtung, Einzelinterviews mit Mitarbeitenden des Jugend Museums und Gruppendiskussionen aus dem Transferprozess. Dabei geht es um Gelingensbedingungen und Herausforderungen der Bildungsarbeit in All Included! aus Sicht der Pädagog_innen, um den Umgang mit Abwehrreaktionen und Queerfeindlichkeit bei Kindern und Jugendlichen, um pädagogische Handlungsorientierungen in Interaktionen mit der Zielgruppe und um die Relationierung unterschiedlicher Wissensbestände aus Praxis und Wissenschaft in einem gemeinsamen Reflexionsprozess. Von den Erkenntnissen der vorausgegangenen Kapitel angeregt haben wir im Kapitel 7 Orientierungslinien für die pädagogische Praxis erarbeitet, die ein an Heteronormativitätskritik ausgerichtetes Handeln im Themenfeld unterstützen und bei der konzeptuellen Entwicklung und Planung von Bildungseinheiten behilflich sein können. Wir verstehen diese als ein Angebot für pädagogische Fachkräfte, die das Thema in ihrem jeweiligen pädagogischen Kontext – Museum, außerschulische Jugendbildungsarbeit, Schule – aufgreifen wollen. Mit dem vorliegenden Buch versuchen wir, Heteronormativitätskritik als eine begründete Perspektive in der Jugendbildung zum Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ zu entfalten und Anregungen zu geben, wie bestehende Ansätze partizipativ und heteronormativitätskritisch weiterentwickelt werden können. Ein weiteres Ziel des Bandes ist es, Mut zu machen, sich wie All Included! auf den Weg hin zu einer heteronormativitätskritischen Pädagogik vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen zu begeben. Wie das ‚All Included!‘Team den gemeinsamen Prozess mit unserem VieL*Bar-Team erlebt hat – dazu baten wir deren Leitung, Ellen Roters, das Schlusswort zu diesem Buch zu übernehmen.

2. Jugendbildung queer(en) – Zur Relevanz einer heteronormativitätskritischen Pädagogik Jutta Hartmann

Warum heteronormativitätskritische Jugendbildung? Einführend skizzieren wir, wie sich die Relevanz einer Auseinandersetzung mit vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen in der Jugendbildung entlang gesellschaftlicher, sozialer und individueller Herausforderungen begründet und welche Prämissen sich aus diesen Bedingungen für die pädagogische Arbeit ableiten lassen (Kap. 2.1-2.3). Ansätze eines beginnenden Professionalisierungsprozesses zeigen sich im Feld queerer Bildung auf paradigmatischer, organisationsbezogener, politisch-struktureller und konzeptuell-didaktischer Ebene. Sie sind nicht nur daran orientiert, geschlechtliche und sexuelle Vielfalt sichtbar zu machen und antidiskriminierend zu wirken, sondern qualifizieren sich unseres Erachtens vielmehr auch dadurch, vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen zu ermöglichen, indem sie die hegemonialen Normen auf diesem Gebiet in Frage stellen und somit eine entnormalisierende Wirkung zeitigen (Kap. 2.4). Um für Qualitäten der pädagogischen Bearbeitung des Themenfeldes zu sensibilisieren, entfalten wir vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen als ein Schlüsselthema, dessen Bildungsrelevanz einen reflektierten Professionalisierungsprozess mit begründeten didaktischen Entscheidungen erfordert und für das Heteronormativitätskritik als ein die pädagogische Bearbeitung fundierendes Konzept gelten kann (Kap. 2.5).

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2.1 Gesellschaftliche Entwicklungsprozesse – Ein Motor pädagogischer Innovation Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen sind in Deutschland gesellschaftliche Realität; ein paar Beispiele zum Einstieg: Manche Jugendliche wachsen in Regenbogenfamilien auf, in Familien also, die aus zwei Müttern oder aus zwei Vätern bestehen; oder aus zwei Müttern und einem Vater oder einem Frauen- und einem Männerpaar oder aus Eltern, bei denen sich z.B. der Vater entschieden hat, als Frau zu leben. Andere Jugendliche wachsen bei alleinerziehenden Eltern oder in Mutter-Vater-Kind-Familien auf. Jugendliche, die miteinander befreundet sind und/oder gemeinsam in die Schule gehen, können so mit vielfältigen Familienformen in Kontakt kommen. Manche Jugendliche verstehen sich als Mädchen, manche als Jungen, manche haben das Gefühl, ein anderes Geschlecht zu sein als das, das ihnen bei ihrer Geburt zugesprochen wurde; wieder andere verstehen sich mal mehr als das eine, mal mehr als das andere Geschlecht und wiederum andere mögen sich gar nicht in diesem Raster verorten. Manche Jugendliche verlieben sich in Peers des anderen, manche in Peers des gleichen Geschlechts; manche mal in das eine, mal in das andere Geschlecht und wiederum andere in queere Jugendliche, die sich geschlechtlich und/oder sexuell quer zu den vorherrschenden Kategorien begreifen, oder sie verlieben sich in Trans*- oder in Inter*-Jugendliche. Manche pädagogische Fachkräfte leben in LGBTIQ+-Partnerschaften oder haben Kolleg_innen, die dies mehr oder weniger offen tun und die dabei unterschiedlich gute oder schlechte Erfahrungen im Kollegium, mit Jugendlichen und mit Eltern machen. Viele leben als Single, in heterosexuellen Beziehungen oder haben Kolleg_innen, die dies mehr oder weniger reflektiert tun und explizit benennen. Viele leben mit Kindern in unterschiedlichen Familienformen.

Diese Beispiele könnten und müssten weitergeführt werden. Sie verdeutlichen: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen sind Teil der sozialen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen wie von pädagogischen Fachkräften. Als solche wirken sie in Schule und außerschulische Bildungseinrichtungen hinein. Darüber hinaus sind LGBTIQ+-Lebensweisen in den letzten Jahren und Jahrzehnten kulturell sichtbarer und zunehmend enttabuisiert geworden. In Recht und Kunst, Medien und Politik, im familiären und sozialen Leben sind sie neben heterosexuellen und cis-geschlechtlichen Lebensweisen präsent und haben auch auf diese Weise Eingang in die Alltagswelt von Jugendlichen gefunden. Beispielhaft erwähnt seien auf der Ebene des Rechts das Allgemeine Gleichbehand-

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lungsgesetz (AGG), mit dem Benachteiligungen explizit auch aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Identität verhindert bzw. beseitigt werden sollen; die Novellierung des Transsexuellengesetzes (TSG), die zu einem verstärkten Schutz der Selbstbestimmung und körperlichen Unversehrtheit von Trans*-Menschen beiträgt sowie die Änderung des Personenstandsgesetzes (PStG), das für intergeschlechtlich geborene Kinder die Möglichkeit vorsieht, von einem Eintrag des Geschlechts in der Geburtsurkunde abzusehen. Auf völkerrechtlicher Ebene sei auf die Charta der UNESCO zu kultureller Vielfalt und auf die Aufnahme sexueller Selbstbestimmung in das internationale Menschenrechtsschutzsystem hingewiesen, womit u.a. das Recht eines jeden Menschen bekräftigt wird, über die eigene geschlechtliche und sexuelle Identität selbst bestimmen zu können (vgl. Leicht 2015: 21).1 Im Jahr 2017 wurde in Deutschland weiterhin die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet sowie vom Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass neben ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ eine dritte positive Bezeichnung des Geschlechts für den Eintrag im Geburtenregister eingeführt werden müsse. All diese Rechte stehen für eine anhaltende und dabei immer auch viel diskutierte und umkämpfte gesellschaftliche Entwicklung hin zu mehr Gleichberechtigung und Diskriminierungsfreiheit sowie gegen Bestrebungen, die soziale Realität geschlechtlicher und sexueller Vielfalt abzustreiten und sie ihrer Legitimität zu berauben (vgl. ebd.). Zugleich sind Ausgrenzung und Diskriminierung jedoch nach wie vor Teil der Alltagsrealität (vgl. Kap. 2.2). Öffentliche Outings haben Hochkonjunktur.2 Doch entgegen der vorherrschenden Praxis, die mit dem Outing nach außen getragene geschlechtliche und/oder sexuelle Identität als eigentliche und schon immer in dieser Weise da gewesene zu präsentieren, sind auch hier Veränderungen sichtbar. So stellt sich z.B. die US-amerikanische Schauspielerin Cynthia Nixon mit ihrem Wechsel von heterosexuellem zu lesbischem Leben nicht nur gegen die Norm heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit, sondern mit diesem mit Nachdruck als Wahl vertretenen Wandel auch gegen die fest mit dieser Norm verschweißte „Megaregel

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Mit Blick auf die internationale Entwicklung der letzten Jahre sei der in Dänemark eingeführte legale Geschlechtswechsel ohne klinische Diagnose hervorgehoben, der im katholischen Irland mit überwältigender Mehrheit getroffene Volksentscheid für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe sowie das Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, nach dem alle Bundesstaaten auch Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Partner_innen zulassen müssen.

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Erinnert sei zum Beispiel an das im Sommer 2015 medienwirksam in Szene gesetzte transgeschlechtliche Outing Caitlyn Jenners, die bis dahin als Zehnkampf-Olympiasieger Bruce Jenner bekannt gewesen war.

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der Monosexualität“ (Schmidt 1996: 114) – einem essentialistischen Verständnis sexueller Identität, das diese als biologisch gegeben und/oder psychogenetisch festgelegt entwirft und tief im Innern des Individuums verankert. Mit ihrer Aussage „… but for me it’s a choice, and you don’t get to define my gayness for me“ (zit. n. Witchel 2012) transportiert sie weit mehr als einen Hinweis auf das Recht zur geschlechtlichen und sexuellen Selbstdefinition. Vielmehr stellt sie zu Wahrheiten geronnene Überzeugungen in Frage, die zu den Grundlagen der auf Geschlecht und Sexualität bezogenen dominanten soziokulturellen Ordnung westlicher Gesellschaften zählen: die Natürlichkeit und Unveränderbarkeit heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit, auf die sich gegenwärtig auch viele derjenigen berufen, die für eine Aufnahme des Themenkomplexes geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in die Schule und Jugendbildung eintreten. (Hartmann 2015: 27f) Der Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ ist zu einem diskursiven Ereignis geworden. Dabei wird jedoch auf ganz unterschiedliche Weise mit den auf geschlechtliche und sexuelle Identitäten bezogenen Normen gearbeitet und um Durchsetzung der eigenen Sichtweise gestritten. Treffend spricht Ines Pohlkamp (2015: 76) von einer „Auseinandersetzung um Diskurshegemonien zur Anerkennung geschlechtlicher und sexueller Existenz- und Lebensweisen“. Diese Auseinandersetzung ist intersektional mit Fragen des Zusammenlebens in der Migrationsgesellschaft verwoben. Zum einen erhöht Zuwanderung die Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Selbstverständnisse und Lebensweisen. Zum anderen entzünden sich an diesen wiederum fragwürdige Debatten, die zunehmend überkommene Vorstellungen von Geschlechterordnung, Sexualitätskonzepten und familialen Lebensformen reaktivieren und – auf zugleich sexualisierende Weise – rassistische Vorurteile legitimieren (vgl. Sielert/Marburger/Griese 2017: I). Zumeist werden als muslimisch markierten Menschen Frauenfeindlichkeit und Homophobie zugeschrieben (vgl. Çetin 2017: 76), während ihre Vielfalt an nicht-heterosexuellen Lebensweisen nicht wahrgenommen wird. Es ist eine Tendenz der Mehrheitsgesellschaft festzustellen, Modernität und Fortschrittlichkeit – und damit verbunden Emanzipation, Pluralisierung, Säkularität und Demokratie – den westlichen Kulturen zuzuschreiben, Traditionalismus und Rückständigkeit – und damit Patriarchat, Religiosität, Diktatur und stellenweise auch Unzivilisiertheit – hingegen den Kulturen der Migrant_innen, vor allem aus muslimischen Kontexten. Dies lässt sich als Externalisierung eines im Hinblick auf den eigenen Kulturkreis überwunden geglaubten Phänomens lesen, das nun als durch Migrant_innen importiert angenommenen wird (vgl. Thielen 2017: 174). Zülfukar Çetin vertritt die These, dass in westlichen Gesellschaften nicht nur die Akzeptanz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen „als Ausdruck einer

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‚Zivilisationsüberlegenheit‘ speziell gegenüber muslimischen Gesellschaften“ (Çetin 2015: 36) instrumentalisiert, sondern zugleich Homophobie eingesetzt werde, um rassistische Ausgrenzungen zu legitimieren (vgl. Çetin 2017: 71).3 Mittels homogenisierender, oft auch stigmatisierender Zuschreibungen findet eine Kulturalisierung von Homofeindlichkeit statt. Unüberbrückbare Grenzen zwischen verschiedenen ethnischen Geschlechter- und Sexualitätskulturen werden behauptet und zu errichten versucht. Dabei bleiben notwendige Differenzierungen nach Alter, Milieu, politischen und sozialen Bedingungen außer Acht, die einen nicht unwesentlichen Einfluss darauf haben, inwieweit sich individuelle Identitätsentwicklung an traditionellen und/oder modernen Mustern orientiert. Für vom öffentlichen Sektor getragene Dienstleistungen ist das Konzept ‚Interkulturelle Öffnung‘ und damit der Auftrag, das Leben in der Einwanderungsgesellschaft als Gestaltungsaufgabe zu begreifen und „Vielfalt und gleichberechtigte Teilhabe als gelebte Selbstverständlichkeit“ umzusetzen (Griese/Marburger 2017: 4), zu einer zentralen Struktur- und Handlungsmaxime geworden, die zugleich zu begrüßen und kritisch weiter zu entwickeln ist (vgl. ebd.: 22ff). Einem erweiterten Kulturbegriff folgend gehen inter- und transkulturelle Perspektiven davon aus, dass Menschen sich im Laufe ihrer Sozialisation in gesellschaftliche und gruppenspezifische Orientierungssysteme einarbeiten, die ihr Denken und Handeln beeinflussen, und damit bestimmte Normalitätsannahmen und Lebensweisen übernehmen. Dies tun sie, um in einer komplexen Welt besser zurechtzukommen, um sich in soziale Strukturen integrieren und Zugehörigkeit erfahren zu können. Inter- und transkulturelle Perspektiven machen zudem auf die Gefahr aufmerksam, Angehörige anderer Kulturen depersonalisiert wahrzunehmen und ihre Zugehörigkeit kulturalistisch überzuinterpretieren. Da Zugehörigkeiten häufig mit symbolischen und materiellen Privilegien verbunden sind, besteht zugleich die Gefahr, mit kulturalisierenden Zuschreibungen machtvolle Differenzordnungen zu reproduzieren. Häufig werden Menschen dabei über ein ‚Othering‘ (Spivak 1985), einem Prozess der ‚VerAnderung‘, des ‚Different-Machens‘, überhaupt erst als ‚Andere‘ hervorgebracht und im Rahmen binärer Gegensätzlichkeiten identitär festgeschrieben. Zugrunde liegt eine machtvolle, in der Regel aber unausgesprochen bleibende ‚Normalität‘. Diese ist wiederum mit defizitären Negativfolien verbunden, mittels derer ‚Andere‘ ausgeschlossen oder auf ei-

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Homofeindlichkeit rassistisch zu externalisieren, entlastet Angehörige westlicher Gesellschaften zugleich von der historischen Verantwortung, dass Homofeindlichkeit von den Kolonialmächten in die Kolonien exportiert wurde – eine Verantwortung, aus der sich die Notwendigkeit ableiten lässt, sich heute für die Anerkennung vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen einzusetzen.

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nen marginalisierten Platz verwiesen werden (vgl. Riegel 2016: 51ff; Griese/ Marburger 2017: 23f).4 Zentral erscheint es daher, die dynamischen Prozesse von Austausch, Aushandlung und Transformation im Zusammenleben zu erkennen und, statt Grenzen zu markieren, gerade in der Jugendbildung auf die transkulturellen oder auch postmigrantischen Entwicklungen in der Einwanderungsgesellschaft zu fokussieren. Denn auch geschlechtliche und sexuelle Selbstverständnisse und Lebensweisen wandeln und durchmischen sich. Zum einen hebt Uwe Sielert (2017: 40) auf Grundlage des aktuellen Forschungsstands hervor, dass die wenigsten (Enkel-)Kinder von Migrant_innen den in der Herkunftskultur ihrer Familie vorherrschenden Vorstellungen und Wertungen zu Sexualität und Zusammenleben treu bleiben und die meisten von ihnen vielmehr einen „Mittelweg zwischen den tradierten Auffassungen ihrer Familie und dem postmodernen Selbstverwirklichungskonzept, das viele ihrer Freund*innen leben“, wählen. Zum anderen hat Marc Thielen (2017) dynamische Transformationsprozesse bereits im Zuge der Migration rekonstruiert, wonach im Herkunftskontext verwirklichte geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen weder unverändert im Zielland weitergelebt noch einfach an das hier Vorgefundene angepasst werden. Thielen rekonstruiert mit Blick auf gleichgeschlechtlich begehrende Männer biografische Transformationen, „in denen aus der Synthese von Erfahrungen vor und in der Migration bisherige Lebensweisen zur Disposition gestellt, mit neuen Bedeutungen versehen oder gar umfassend verändert wurden“ (ebd.: 177f). Dabei waren die im Kontext der Migration gestalteten Um- und Neuorientierungen oft eng mit Bildungsprozessen verbunden. Entsprechend den gesellschaftlichen Veränderungen und Herausforderungen besteht in pädagogischen Fachkreisen wie auf bildungspolitischer Ebene weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit, geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in respektvoll aufklärender Weise als Bildungsinhalt aufzugreifen (vgl. FriedrichEbert-Stiftung 2013; Hartmann 2002, 2014a; Huch/Lücke 2015; Sozialmagazin

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Mittels der sprachlichen Verfremdung im Begriff Othering/VerAnderung wird hervorgehoben, wie macht- und gewaltvoll der Prozess verläuft, in dem eine Differenz markiert wird: „Othering kann mit Said in Bezug auf Foucault als Wechselspiel von Subjektivierung (als Prozess der Hervorbringung und Anrufung als Andere) und Objektivierung (durch Zuschreibung, Festschreibung, Ausgrenzung) gelesen werden. Die soziale Wirkkraft hegemonialer Diskurse zeigt sich u.a. daran, dass diejenigen, die als Andere markiert werden, sich auch selbst in diesen Diskurs einfügen und auf Konstruktionen und Zuschreibungen zurückgreifen, die sie zu Anderen machen.“ (Riegel 2016: 53)

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2014; Timmermanns/Tuider 2008). In der Praxis geschieht dies an einzelnen Orten schon lange – z.B. durch Aufklärungsprojekte der LGBTIQ+-Communities (vgl. Timmermanns 2003) –, an manchen Orten wird sich der Thematik beherzt zugewandt und mit ihr experimentiert (vgl. z.B. Breckenfelder 2015), an weiteren sich vehement dagegen verwehrt (Stichwort ‚Bildungsplan Baden-Württemberg‘, vgl. Hartmann 2017) (vgl. Kap. 2.4). Die öffentliche Debatte zu ‚geschlechtlicher und sexueller Vielfalt‘ in der Pädagogik verläuft kontrovers, zum Teil polarisiert. Eindeutig lauten demgegenüber die gesellschaftlichen Aufträge. So fordert z.B. das EU-Parlament (2013: D.iii) in seiner „Roadmap against homophobia and discrimination on grounds of sexual orientation and gender identity“ u.a. die Entwicklung und den Austausch „of good practice throughout Member States’ youth and education sectors, including youth welfare services and social work“. Die UNESCO hebt in ihrer aktualisierten Richtlinie zur „comprehensive sexuality education“ die Notwendigkeit eines positiven Zugangs zu Sexualität hervor, situiert diesen im Rahmen der Menschenrechte und Geschlechtergleichheit und unterstützt ein Lernen „about sex and relationships in a manner that is positive, affirming, and centered on the best interest of the young person“ (Azoulay 2018: 3). Und in den Yogyakarta-Prinzipien, die seit 2006 die Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität konkretisieren, heißt es im Prinzip 16 mit Blick auf das Recht auf Bildung jedes Menschen, dass dieses Recht „unter Berücksichtigung seiner sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität und ohne aufgrund dessen diskriminiert zu werden“ (Hirschfeld-Eddy-Stiftung 2008: 26) umgesetzt werden muss. Dies bedeutet weiter u.a. „sicherzustellen, dass Lehrmethoden, Lehrpläne und Lehrmaterialien das Verständnis und den Respekt für unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten fördern“ (ebd.). Doch wie kann das geschehen und was ist dabei zu beachten? Angesichts dessen, dass die hier verhandelten Differenzen von Existenz- und Lebensweisen häufig mit sie diskreditierenden und diskriminierenden Praxen verbunden sind und soziale Ungleichheiten konstituieren, wird im Rahmen einer kritischen Pädagogik die Notwendigkeit hervorgehoben, die Thematisierung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt mit einer kritischen Reflexion von Normalitätserwartungen, konkret von hegemonialer Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, zu verbinden (z.B. Hartmann 2002, 2013, 2015; Timmermanns/Tuider 2008; Busche et al. 2010; Recla/Schmitz-Weicht 2015). Damit ist der Versuch verbunden, Differenzen weder zu leugnen noch diese unreflektiert anzunehmen und festzuschreiben. Denn Erkenntnisse der poststrukturalistischen Gender und Queer Studies zeigen auf, wie Geschlecht und Sexualität als gesellschaftliche Ordnungskategorien begriffen werden können, über die nicht nur soziale An-

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erkennung und Teilhabechancen für verschiedene Lebensweisen verhandelt und auf unterschiedliche Weise gewährt werden. Vielmehr werden die Identitäten, die den Lebensweisen zugrunde liegen, selbst machtvoll in Prozessen normativer Differenzierung zugewiesen und hervorgebracht (vgl. Hartmann 2016b: 366ff). Entsprechend zielen pädagogische Zugänge, die den Erkenntnissen der poststrukturalistischen Gender und Queer Studies folgen, nicht einfach auf eine Anerkennung der Lebensweisen innerhalb der bestehenden Ordnung, sondern vielmehr auf eine Infragestellung der (hetero-)normativen Grundlagen dieser Ordnung. Hinsichtlich des Thematisierens einer geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt weisen solche Zugänge – über kritische Perspektiven der Antidiskriminierung und bejahende des Zulassens einer Vielfalt hinausgehend – auch auf dekonstruktive Perspektiven, die Vorstellungen kohärenter Identitäten und binäre Codierungen überschreiten und ein vielfältiges Non-Binary eröffnen. Aufgrund dieses öffnenden und ermöglichenden Potenzials und der damit gegebenen Überschneidungen mit bildungstheoretischen Überlegungen (vgl. Kap. 2.5) machen wir in den weiteren Ausführungen heteronormativitätskritische Perspektiven stark und empfehlen diese für eine theoretisch fundierte Jugendbildung. 2.2 (Un-)Gleichzeitigkeiten im sozialen Miteinander – Queere Lebensweisen als zunehmend selbstverständlicher Teil jugendkultureller Praxen und anhaltende Diskriminierungserfahrungen von LGBTIQ+-Jugendlichen Wie sehen nun jugendliche Lebenswelten hinsichtlich vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen aus? In einer Studie des Deutschen Jugendinstituts nutzen 24 % der befragten Jugendlichen im Alter von 14 bis 27 Jahren für sich Selbstbeschreibungen jenseits binärer Definitionen wie ‚transgender‘, ‚queer‘ oder ‚genderfluid‘ (vgl. Krell/Oldemeier 2015: 16). Weitere 6 % lehnen eine identitätsbezogene Definition und Zuordnung ab, indem sie die Antwortmöglichkeit „Ich will mich nicht kategorisieren“ wählen (ebd.). Dass queere Lebensweisen ein zunehmend selbstverständlich werdender Teil jugendkultureller Praxen wird, zeigt auch ein Blick ins Internet: Hier machen diverse geschlechtliche und sexuelle Positionierungen deutlich, wie queere Lebensrealitäten, Fragen und Denkweisen ganz konkret in Alltag und Kultur auftreten. Auf Youtube zeigen Selbstpräsentationen, wie Begriffe wie ‚non-binary‘ und ‚pansexuell‘ mit jugendlichem Leben gefüllt werden. Weiter finden sich zahlreiche Videos und Kanäle von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die eigene Erfahrungen und Überlegungen zu queeren Themen wie Coming-out, Transition oder Beziehun-

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gen teilen.5 Gleichzeitig finden sich Kanäle von queeren Youtuber_innen, deren Fokus auf ganz anderen Themen liegen, z.B. Lifestyle oder Animationen.6 Ein Beispiel dafür ist die lesbisch lebende Youtuberin Melina Sophie, deren Kanal Life mehr als 1,85 Millionen Menschen abonniert haben.7 Weiterhin lassen sich ausgezeichnete queere Rapper_innen finden, die relativ unbekannt sind, wie trans*weibliche Teilnehmerinnen bei Germanys next Topmodel, die von einer breiten Masse wahrgenommen werden. In Jugendkulturen, die z.B. in Musikszenen wie HipHop oder Punk ihren Ausdruck finden, ist das Spektrum an sozialen und politischen Haltungen breit. Sexismus und Homofeindlichkeit werden ebenso transportiert wie ihnen engagiert entgegengetreten wird (vgl. Archiv der Jugendkulturen 2017). So betreibt z.B. der Netzfeminist Tarik Tesfu einen Youtube-Kanal, auf dem er Heteronormativität wie Rassismus und Rechtspopulismus kritisch aufgreift und sein junges Publikum zum Engagement dagegen anregt. Damit will er auch „die erreichen, die Feminismus und Gender-Themen total bescheuert finden“ (ebd.: 31). Beachtenswert ist auch Sookee, eine queer-feministische, politisch motivierte Rapperin, die aufgrund ihrer Infragestellung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit auch ‚Quing of Berlin‘ genannt wird. Sie rappt z.B. über ‚queere Tiere‘, die sie insofern beneidet, als ihnen niemand eine Rolle vorschreibt. Mit dem Refrain „Ja wenn jetzt plötzlich alle schwul sind, dann stirbt die Menschheit aus“ möchte sie die Beschränktheit entsprechend verkürzter Denkweisen hervorheben.8 Auch die trans*female Rapperin FaulenzA will „die Zweigeschlechter/Hetero-Normalität wegfetzen und Menschen Mut machen sie selbst zu sein“.9 In ihren Rap-Texten

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Ein Kanal, auf dem verschiedene Youtuber_innen Videos zum Thema Trans*-Sein einstellen, ist z.B. Trans*Planet: https://www.youtube.com/channel/UCDCHy-CaBq2 fxtAauzrbrYQ/featured (25.05.2018); ein Kanal, auf dem verschiedene Youtuber_innen Videos zu Themen sexueller Vielfalt einstellen, ist TheNosyRosie: https://www. youtube.com/user/TheNosyrosie/featured (25.05.2018).

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Beispiele dafür sind Mrvyn Macnificent, https://www.youtube.com/user/marvyn macnificent/featured (25.05.2018) oder Darkviktory, https://www.youtube.com/user/ darkvikt0ry/about (25.05.2018).

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Melina Sophie: https://www.youtube.com/user/LifeWithMelina (25.05.2018).

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Tariks Genderkrise: Papperlapapp und Schabernack mit Sookee (dbate): https://www. youtube.com/watch?v=CL7iyEmErDA (15.05.2018); Interview von Oliver Marquart mit Sookee auf rap.de, https://www.youtube.com/watch?v=tcpP4Md9RBw (15.05. 2018).

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FaulenzA: „Julian oder Juliane“, auf: Mein Testgelände. Das Gendermagazin, 21.6. 2017, https://www.meintestgelaende.de/2017/06/julian-oder-juliane/ (25.05.2018).

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setzt sie sich mit ernsten Themen wie Transmisogynie und Diskriminierung auseinander und rappt zugleich über Hoffnung und Spaß.10 Sie veröffentlicht Songs u.a. auf der Plattform Mein Testgelände, wo neben ihr weitere jugendliche Autor_innen und Künstler_innen aktiv sind und Texte, Songs, Comics und Videos teilen, in denen es um „Geschlechter, Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Beteiligung und Vielfalt“ geht.11 Deutlich zeigt sich an den genannten Beispielen, wie queere Inhalte und Lebensweisen Eingang in die aktuelle Jugendkultur gefunden und dort eine Strahlkraft entfaltet haben. Doch auch wenn entsprechende Entwicklungen und Errungenschaften den Eindruck einer zunehmend unproblematischen Pluralität geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen entstehen lassen, muss festgehalten werden, dass nach wie vor negative Einstellungen von Jugendlichen und Erwachsenen gegenüber gleichgeschlechtlichem Begehren und Trans- und Intergeschlechtlichkeit dominieren und LGBTIQ+-Jugendliche Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren, nicht zuletzt in Bildungseinrichtungen. Dabei lassen sich empirisch auch widersprüchliche Phänomene beobachten, z.B. wenn Jugendliche sich in ihren Einstellungen aufgeschlossen zeigen, ihre konkreten Äußerungen und affektiven Reaktionen gegenüber gleichgeschlechtlichen Orientierungen jedoch negativ ausfallen oder wenn Studienteilnehmer_innen einerseits die Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Paaren befürworteten und andererseits zugleich angeben, homofeindliche Schimpfwörter verwendet und sich über gendernonkonformes Verhalten lustig gemacht zu haben (vgl. Klocke 2012: 4). Vorliegende Untersuchungen zu Diskriminierungserfahrungen beziehen sich vorwiegend auf das sexuelle, weniger auf das geschlechtliche Selbstverständnis der befragten Jugendlichen. Eine der ersten deutschsprachigen Studien wurde von Sabine Hark (1997) für das Land Nordrhein-Westfalen erstellt. Viele von ihren Erkenntnissen haben nichts an Gültigkeit verloren: In Jugendgruppen sind diejenigen verletzungsmächtiger, die gesellschaftlichen Geschlechternormen entsprechen; als vulnerabler erweisen sich diejenigen, die diese nicht erfüllen können oder wollen bzw. die als abweichend konstruiert werden. Bettina Kleiner (2015: 34f) fasst nach Sichtung der relevanten Studien die Erkenntnisse zur Situation der befragten Jugendlichen wie folgt zusammen: „Nicht nur haben sie mit fehlenden Vorbildern und unter Umständen mit Selbstzweifeln und Scham aufgrund des gefühlten Andersseins zu tun, sondern auch mit der Angst vor Ausgrenzung und Ablehnung sowie mit homo* und trans*phoben Haltungen im ei-

10 Vgl. http://faulenza.blogsport.de/ueber-mich/ (25.05.2018). 11 Home/Das sind wir auf: Mein Testgelände. Das Gendermagazin: https://www.mein testgelaende.de/das-sind-wir/autor-innen/ (25.05.2018).

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genen z.B. freundschaftlichen, familiären und schulischen Umfeld“. Üble Nachrede, Beschimpfungen in öffentlichen Räumen, Rückzug von Freund_innen und eine wiederkehrende Konfrontation mit Situationen, „die eine hohe Unsicherheit in Bezug auf die Reaktionen anderer implizieren“ (ebd.: 35), kennzeichnen die Erfahrungen. Die Gründe dafür, dass Eltern mit ihren trans* oder geschlechtervariablen Kindern eine Beratungsstelle aufsuchen, liegen vorwiegend in den massiven Konflikten, die die Kinder in ihrem sozialen Umfeld haben. In der Pilotstudie des Deutschen Jugendinstituts gaben 85 % der befragten LGBTIQ+Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, Diskriminierung aufgrund ihrer Lebensweise erfahren zu haben (vgl. Krell 2013: 10). Die 2012 von LesMigraS12 veröffentlichte Studie zu Gewalt gegen und Mehrfachdiskriminierung von lesbischen, bisexuellen Frauen und Trans*-Menschen in Deutschland wendet sich explizit gegen die häufig angetroffene Annahme, muslimische Menschen seien heterosexuell und homophob. Sie macht deutlich, wie (junge) lesbische und bisexuelle Frauen und Trans* alltäglich Diskriminierung und Gewalt erleben und sensibilisiert insbesondere für die erfahrenen Mehrfachdiskriminierungen von Trans* und People of Colour: Diese sind „aufgrund ihrer Sichtbarkeit einem höheren Diskriminierungsniveau ausgesetzt“ (LesMigraS 2012: 4f). Neben körperlicher Gewalt betont die Studie vor allem die Alltäglichkeit von erfahrenen Abwertungen und Beleidigungen. Schulen, aber auch Familien können für die Betroffenen in hohem Maße gewaltsame Orte sein. Gleichzeitig zeigt sich rassistische Gewalt auch innerhalb der LGBTIQ+Community, wo lesbischen und bisexuellen Frauen oder Trans* of Color z.B. die Erfahrung machen, dass ihnen die Wahrhaftigkeit ihrer geschlechtlichen und/ oder sexuellen Lebensweise abgesprochen wird. Insgesamt weist die Studie bei Trans* eine erhöhte Gewalterfahrung nach, die mit der sichtbaren Gender-Performanz in Zusammenhang steht, die normative Geschlechtervorstellungen provoziert. Weiter zeigt sich eine erhöhte Gewaltbelastung und Vulnerabilität bei migrantischen lesbischen und bisexuellen Frauen oder Trans* bzw. Frauen und Trans* of Color: „Das Konzept der Verletzungsoffenheit deutet dabei an, dass es Unterschiede in den Erfahrungen und dem Erleben von Gewalt je nach sozialer Positionierung differenter sozialer Gruppen gibt. Generell lässt sich sagen, dass je weniger ein Individuum mit Privilegien ausgestattet ist, desto verletzungsoffener ist dieses und desto mehr erfährt sich dieses auch als sozial verletzlich. Gewalt ist demnach nicht nur eine Sache der direkten Erfahrung, sondern auch

12 LesMigraS steht für den Antidiskriminierungs- und Antigewaltbereich der Lesbenberatung Berlin e.V. Ursprünglich stand die Abkürzung für lesbische und bisexuelle Migrant_innen, Schwarze Lesben und Trans*.

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des subjektiven Empfindens, welches sich allerdings aus sozialen Realitäten und Wissen um Gewaltverhältnisse speist. Sprich: Wenn sich differente Gruppen bedrohter fühlen als andere, so haben wir es nicht mit phantasmagorischen Erscheinungen zu tun, sondern mit Effekten ungleicher sozialer Positionierungen.“ (Ebd.: 116) Professionelles pädagogisches Handeln erfordert Wissen über jugendliche Lebenswelten als Hintergrund für das eigene pädagogische Handeln und als Ansatzpunkt möglicher Thematisierung. Da Themen über Zugänge konstituiert werden, erscheint es eher als kontraproduktiv, die notwendige Auseinandersetzung mit Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen von LGBTIQ+-Menschen als Einstieg in die Thematisierung vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen in der Jugendarbeit zu wählen. Auch wenn die zugrunde liegende Zielsetzung ist, damit Empathie zu wecken, bringt eine solche zugleich, so geben die Affect Studies zu bedenken, eine hierarchische Strukturierung der verhandelten Positionen hervor (vgl. Baier et al. 2014: 26). Entsprechend einseitige Zugänge laufen Gefahr – entgegen besserer Absicht – an einer Art „doing social problems“ teilzuhaben (Groenemeyer zit. n. Riegel 2016: 96). Diskriminierung sollte daher nicht zum zentralen Ansatzpunkt der pädagogischen Auseinandersetzung oder gar zur einzig beachteten Lebensrealität von LGBTIQ+-Jugendlichen werden. Einen angemessenen Raum brauchen auch Lust und Lebensfreude, Kreativität und Handlungsmächtigkeit, die mit LGBTIQ+-Lebensweisen verbunden sind. Zugleich muss es in der pädagogischen Praxis darum gehen, zum einen wo immer möglich durch Interventionen gegen Gewalt und Diskriminierung klare Grenzen zu setzen – und dabei die subjektive Funktionalität von Gewalt und Diskriminierung im Kontext komplexer Machtverhältnisse im Blick zu halten (vgl. Kap. 2.3) – und zum anderen queere Lebensrealitäten selbstverständlich und mit einer gewissen Leichtigkeit zu vermitteln. Diskussionswürdig bleibt zugleich die Frage, wie der Umgang mit gegebener erhöhter Verletzungsoffenheit bei einigen Jugendlichen und gegebenenfalls ausgeübter Verletzungsmächtigkeit derjenigen Jugendlichen konkret umgegangen werden kann, die die vorherrschenden Normen unhinterfragt hochhalten (vgl. Kap. 6.3).

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2.3 Identitätszwang & Othering, Vielfältigkeit & subjektive Funktionalität – Herausforderungen auf individueller Ebene Häufig erweist sich ein gendernonkonformes Verhalten als Ausgangspunkt von Diskriminierung. Viele auf Schule bezogene Studien belegen, dass sich Gewalt gegen Kinder und Jugendliche oft gegen die richten, die den gängigen GenderErwartungen nicht entsprechen. Dies sind oft, aber keineswegs ausschließlich Kinder und Jugendliche, die sich als LGBTIQ+ begreifen oder in der Zukunft als LGBTIQ+ leben werden. Es lässt sich daher auch andersherum formulieren: Kinder und Jugendliche, die in Erscheinung und Verhalten gängige Geschlechtszuweisungen nicht befolgen, laufen Gefahr, in diskreditierender Weise eine abweichende, nicht-heterosexuelle Identität unterstellt zu bekommen. Dies macht zum einen die einsozialisierende Funktion von Gewalt und Diskriminierung deutlich. Zum anderen lässt sich rückschließen, wie eine homofeindliche Beschämung auch die Funktion haben kann, sich selbst ‚auf der sicheren Seite‘ zu verorten, d.h. eine eigene kohärente geschlechtliche und sexuelle Identität darüber überhaupt erst zu behaupten, dass sie bei anderen angezweifelt wird. Ein bedeutender Grund für diskriminierendes Verhalten liegt so gesehen in der vorherrschenden Vorstellung von feststehenden, einer heterosexuell-zweigeschlechtlichen Matrix folgenden Identitäten, wie sie u.a. mit dem Konzept der sexuellen Orientierung transportiert wird. Dieses Konzept geht von einer fixen sexuellen Identität aus, die gesucht und gefunden werden kann, wie ein Gegenstand, den man verloren hat. Dabei werden Identitäten von hegemonialen Diskursen, sozialen Praktiken und Beziehungen abgekoppelt gedacht. Es ist ein solches essentialistisches Verständnis von Sein bzw. von Anders-Sein, das sexuelle Wünsche und Handlungen zu Persönlichkeitsmerkmalen transformiert und die jeweiligen Menschen zu einer Art (anderer) ‚Spezies‘ macht. Wenn sie diesen hegemonialen Identitätsvorstellungen folgen, stehen Jugendliche vor einer Entweder-oderEntscheidung: entweder ‚normal‘ oder ‚anders‘ zu sein, sich entweder zur Gruppe der vermeintlich ‚Normalen‘ zugehörig zu positionieren oder zu einer Gruppe von ‚Anderen‘ zurechenbar zu werden und damit dem Prozess des Othering ausgeliefert zu sein und fortlaufende Diskriminierungen zu riskieren.13

13 Gleichzeitig ist zu beachten, dass nach den herrschenden Normen gar nicht vorgesehene Identifizierungen, Bindungen und Ausdrucksweisen nicht nur zu Gewalt und Diskriminierung führen können, die von außen gegen die vermeintlich ‚Anderen‘ gerichtet wird. Sie können vielmehr auch „innerpsychisch als durchgängiger, wenn nicht tödlicher Selbstzweifel in Erscheinung treten“ (Butler 2009: 187).

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Welche Möglichkeit bietet Pädagogik Jugendlichen angesichts abverlangter Entweder-oder-Entscheidungen mit widersprüchlichen Impulsen in sich umzugehen – mit Uneindeutigkeiten, die unabhängig von der expliziten Positionierung doch zu allen Menschen gehören? Denn: Während der dominante Diskurs von einem Entweder-oder gekennzeichnet ist – entweder weiblich oder männlich, entweder homo- oder heterosexuell – verweisen psychoanalytische Erkenntnisse auf einen inneren, durch widersprüchliche Impulse und Mehrdeutigkeiten gekennzeichneten Möglichkeitsraum. Ilka Quindeau (2014) stellt angesichts des grundsätzlich konflikthaften Charakters von Sexualität ein identitäres Verständnis in Frage. Ihres Erachtens ergibt sich die postulierte identitätsbildende Funktion „weniger aus der Sexualität selbst, als vielmehr aus der Setzung normativer Heterosexualität und der Ausgrenzung des davon Abweichenden“ (ebd.: 41). Auch Judith Butler (1993) verdeutlicht, wie über den gesellschaftlichen Imperativ heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit ein Zwang zur Vereindeutigung innerpsychischer Ambivalenzen transportiert wird und wie starre Identitäten als Hinweis auf verleugnete Identifizierungen gelesen werden können. Das vorherrschende Verständnis von geschlechtlicher wie sexueller Identität als ein Entweder-oder erweist sich so gesehen als kulturelle Fiktion, Differenz – nicht Einheit – als deren konstitutives Element. Entsprechend bleibt die durch den Imperativ heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit nach außen hergestellte kohärente Identität und Normeneinpassung immer fragil und ihr Scheitern mit Blick auf das Unbewusste stets möglich. Diese Erkenntnisse verweisen nicht nur darauf, wie tief und ambivalent charakterisiert die subjektiven Möglichkeiten, Geschlecht und Sexualität zu leben, innerpsychisch wurzeln, sie verweisen erneut auch auf die Funktion von Trans*und Homofeindlichkeit in einer Gesellschaft, die nur zwei sich ausschließende geschlechtliche und sexuelle Identitäten als sozial lebbar bereithält und jeweils eine mit dem Stigma der Andersartigkeit versieht: Eigene, wenn auch latente Impulse in Richtung homo oder trans* werden häufig durch Projektion auf Andere abgewehrt, die darum zugleich bedrohlich wie begehrenswert wirken. So gesehen ist die nicht nur bei Jugendlichen zu beobachtende demonstrative, zum Teil verächtliche Abgrenzung gegenüber LGBTIQ+ durch eigene innerpsychische Ambivalenz orchestriert und untrennbar mit dem identitätslogischen Konzept des Mann/Frau- und des Homo/Hetero-Binarismus verbunden. Diese strukturellen Zusammenhänge lassen sich angesichts existenzieller Wünsche nach ungefährdeter Zugehörigkeit auch über „die eindringlichsten Appelle an Schüler, Toleranz gegenüber dem ‚Anderen‘ walten zu lassen“, oder ausgeklügelte Methoden zur Empathieerzeugung kaum überwinden (Klauda 2008: 26). Sie werden in der Regel aber auch nicht Gegenstand einer bildenden Auseinandersetzung.

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Da Othering als ein umfassendes Phänomen zu verstehen ist, bei dem es zentral auch um die Legitimierung und Sicherung ungleicher Verteilung von sozialen Ressourcen und Privilegien sowie um die Reproduktion bestehender Machtverhältnisse geht (vgl. Riegel 2016: 54), liegt ein alternativer Ansatzpunkt darin, die Bedingungen von Anerkennung, Zugehörigkeit und Handlungsfähigkeit zu befragen, Mechanismen der Selbstvergewisserung und die damit verbundene „Absicherung einer privilegierten Position wie der hegemonialen sozialen Ordnung“ (ebd.: 53) zu erkennen – dabei der eigenen Beschränkung, normativen Verhaftung und inneren Rigidität auf die Spur zu kommen – und an deren Veränderung zu arbeiten. In diese Richtung weisen auch Überlegungen der Kritischen Psychologie (vgl. Holzkamp 1987), die in der Beschäftigung mit Gründen für selbst- und fremdschädigendes Verhalten das Konzept der subjektiven Funktionalität entwickelt hat. Wird eine subjektwissenschaftliche Perspektive eingenommen, kommen Bedingungs-Bedeutungs-Begründungs-Zusammenhänge und damit auch der subjektive Sinn des Handelns der Jugendlichen sowie mehr Möglichkeiten für Veränderung in den Blick. Soziale Bedeutungen – die gesellschaftliche Bedingungen, Diskurse und kulturelle Praktiken umfassen – und das subjektiv begründete Denken und Handeln der Individuen werden in Wechselbeziehung zueinander gesehen und das aktive Verhältnis der Subjekte zu den Bedingungen und Bedeutungen als Ansatzpunkt von Veränderungen erkannt. Die wenigsten Menschen handeln einfach so aus Feindseligkeit heraus. Ihr Denken und Handeln „hat eine Funktion jenseits mangelnder Aufklärung, persönlicher Böswilligkeit oder schlechter Erziehung/Kultur“ (Debus 2015: 81). Die Kritische Psychologie betont die zugrundeliegende Funktion, in Situationen und Kontexten, die das Subjekt herausfordern und/oder verunsichern, möglichst handlungsfähig zu bleiben. Doch erleben Subjekte angesichts nicht verhandelbarer gesellschaftlicher Anforderungen – etwa angesichts des Imperativs zur Vereindeutigung innerpsychischer Ambivalenzen – Ohnmachtsgefühle, die ihnen scheinbar nur zwei Möglichkeiten lassen: Entweder sie arrangieren sich mit den gegebenen Bedingungen und unterwerfen sich den Anforderungen oder sie verhalten sich alternativ und verändernd und gehen damit das Risiko ein, zu scheitern oder sanktioniert zu werden. Dies wird mit Blick auf den Möglichkeitsraum der Einzelnen als eingeschränkte bzw. als erweiterte Handlungsfähigkeit bezeichnet. Risikobehaftet ist die zweite Möglichkeit insbesondere deshalb, weil das Subjekt nicht ohne Anerkennung zu existieren vermag. Auch wenn die vorgegebenen Identitätskategorien begrenzen oder schmerzen – um im gesellschaftlichen Rahmen lebensfähig zu sein, sind Menschen auf die sozialen Normen angewiesen. Diese Abhängigkeit macht dann, wenn man den Normen nicht gerecht werden

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kann oder will, in spezifischer Weise verletzlich. Eine Chance verändernden Handelns liegt so gesehen darin, die Bedingungen der Ohnmachtserfahrungen zu verschieben und die Handlungsfähigkeit von sich und anderen nachhaltig zu erweitern. Folgen wir dem Konzept der subjektiven Funktionalität menschlichen Verhaltens, dann können wir diskriminierendes Verhalten – wie angedeutet – statt als Folge individueller Vorurteile, mangelnden Wissens oder fehlender Empathie als ein Zeichen eingeschränkter Handlungsfähigkeit vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Ordnungssysteme und damit verbundener potenzieller Ohnmachtserfahrungen verstehen. Es ist dann als Teil eines Ringens um eigene Anerkennung und um Abwehr der eigenen Verletzlichkeit zu begreifen. Für pädagogische Zugänge erscheint es so gesehen notwendig zu fragen, wie eine erweiterte Handlungsfähigkeit von allen ermöglicht werden kann. Ein Ansatz hierfür liegt darin, sich selbst und andere gegenüber den einschränkenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu sensibilisieren, die eigene Verstrickung in diese zu reflektieren und gemeinsam Schritte zu entwickeln, um verändernd tätig werden zu können. Dabei scheint es zentral, die ungleichen Machtverhältnisse nicht nur im Außen zu sehen, sondern vielmehr auch als Motor des eigenen Verhaltens kritisch unter die Lupe zu nehmen. Wenn uns z.B. bewusst wird, dass homofeindliche Verhaltensweisen als ein Hinweis darauf gelesen werden können, dass wir selbst entsprechende Impulse in uns verdrängen, werden wir diese Verhaltensweisen ggf. weniger extensiv an den Tag legen (müssen). Wenn wir uns klar machen, dass alle Menschen nie nur das eine oder das andere, sondern durch vielfältige Identifizierungen wie vielfältiges Begehren charakterisiert sind, produzieren entsprechende Impulse vermutlich nicht mehr solch starke Ängste und müssen nicht mehr mit solch einer Vehemenz verdrängt bzw. auf andere projiziert und in ihnen bekämpft werden. Aber nicht nur Jugendliche, auch pädagogische Fachkräfte bewegen sich, insbesondere wenn sie mit Differenzkategorien beschäftigt sind, in diesem Spannungsfeld von Reproduktion der gegebenen Bedingungen und deren möglicher Veränderung. Auch hier liegt es nahe zu fragen, welche subjektive Bedeutung ein bestimmtes Verhalten für sie hat, inwiefern es subjektiv funktional ist und welches erweiterte Handeln entwickelt werden könnte. Ihr Handeln lässt sich „immer auch im Hinblick auf die darin liegende ‚doppelte Möglichkeit‘ des Handelns […] betrachten, das sich im Spannungsfeld von ‚reproduzierend versus überschreitend‘, ‚restriktiv versus verallgemeinernd‘ vollzieht“ (Riegel 2016: 74). Auch im Blick auf geschlechtsvariant und/oder queer auftretende Jugendliche erweitert sich die Perspektive: Zweifellos sind sie at risk, sind sie verletzenden Diskriminierungen ausgesetzt. Erkennbar wird nun jedoch auch, wie sie die vorherrschenden Konzepte heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit herausfor-

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dernd as risk wahrgenommen werden (können) (vgl. Pearlman 2006). Sie führen anderen Menschen vor, was diese auch leben könnten und ggf. nicht zulassen können oder wollen. Um erweiterte Handlungsfähigkeit für alle zu ermöglichen, scheint ein Hebel der Veränderung darin zu liegen, das erweiterte Verhalten von Anderen nicht mehr als Risiko wahrnehmen und abwehren zu müssen. So zeigen empirische Studien über Eltern von Transgender-Kindern, die sich einem solchen Auseinandersetzungsprozess stellen, wie diese ihr Verständnis von Geschlechtsidentität – z.B. hin zu einem Verständnis von Geschlecht als einem Kontinuum – verändern (ebd.). Wie sehr ein Denken in Übergängen, das Entweder-oder-Binaritäten überschreitet, entgegen vorherrschender Annahmen an die Lebensrealität vieler Menschen anknüpft, zeigt z.B. das Fotoprojekt Self Evident Truths von iO Tillett Wright. Es dokumentiert die Gesichter von 10.000 NordAmerikaner_innen, die sich selbst „nicht als 100 % heterosexuell“ definieren.14 Entsprechend erkennt Antke Engel (2008: 338) eine „übergreifende Herausforderung“ darin, „Differenz anders als identitätslogisch [zu] denken“. Doch sind im Jugenddiskurs zu sexueller Vielfalt verhandelte Phänomene wie das sogenannte Coming-out eng mit westlichen Modellen sexueller Orientierung und damit auch mit Vorstellungen einer essentiellen Identität verwoben. HeinzJürgen Voß (2014) kritisiert, dass das Coming-out einen kulturellen Code repräsentiert, der Menschen eine klare identitäre Verortung abnötigt. Dabei werde der entsprechende Bezug auf sexuelle Identitäten im Diskurs überbewertet, weil er den lebensweltlichen Hintergrund und das Selbstverständnis vieler Menschen gar nicht treffe. Von Beratungsangeboten, die auf LGBTIQ+ ausgerichtet sind, fühlten sich fast ausschließlich weiße mehrheitsdeutsche Personen der Mittelklasse angesprochen, während alle anderen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören, von ihnen kaum erreicht würden. Voß fordert neue Konzepte, die den spezifischen Lebenslagen z.B. von Jugendlichen mit familialen Migrationserfahrungen besser Rechnung tragen: „Statt jeder und jedem Jugendlichen das klare Selbstbekenntnis abzuverlangen, das notwendig mit der Abgrenzung von Möglichkeiten und eigenen Wünschen verbunden ist, könnte es aussichtsreicher und diskriminierungsärmer sein, das Identitätskonzept aufzugeben und stattdessen Räume zu eröffnen, in denen sich Kinder und Jugendliche selbst geschlechtlich und sexuell verorten und ausprobieren können. Sie müssen dann nicht befürchten, aufgrund ihres sexuellen Tuns zu den ‚anderen‘ zu werden oder sich eigene gleichgeschlechtliche Wünsche nicht erfüllen zu können. Dass das Ausprobieren

14 Self Evident Truths: www.selfevidentproject.com (23.09.2018).

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schon stattfindet – bei Mädchen mehr als bei Jungen –, zeigen Jugendstudien.“ (Voß 2016: 81f)15 Auch wenn sich das Konzept des Coming-out in der Praxis für viele Jugendliche als eine „relevante Bewältigungsstrategie“ gesellschaftlicher Anforderungen erweist, so lässt es sich auch begreifen als ein „ambivalenter Prozess, der sich in sozialen Praktiken zwischen Zwängen, Zuschreibungen und Positionierungsmöglichkeiten abspielt“ (Kleiner 2015: 35). In der Regel bleibt im pädagogischen Diskurs das Mittun an der eigenen Subjektpositionierung unbefragt, erscheinen geschlechtliche Identität und sexuelle Orientierung abgekoppelt von einem biografischen und damit immer auch kollektiven Prozess. Wer wir geschlechtlich und sexuell überhaupt sein können, unterliegt jedoch in einem hohen Maß den bestehenden sozialen, gesellschaftlichen und diskursiven Bedingungen (vgl. Schirmer 2014: 172). Dennoch liegen viele pädagogische Zugänge vor, die essentielle Zuschreibungen und die mit diesen verbundenen hierarchisierten Ordnungen und Wertungen unhinterfragt weitertragen. Dies zeigt sich z.B. in sprachlichen Wendungen, wenn auf ein „sich als homosexuell Bekennen“ Bezug genommen wird (Breckenfelder 2015: 8). Solche Formulierungen implizieren eine – mit Michel Foucault (1977) als Aufforderung zum Geständnis interpretierte – Bindung an die eigene Identität und den Druck, diese dann, wenn sie nicht den heterosexuellen Normalitätserwartungen entspricht, explizit zu offenbaren. Alternativ könnte eine selbstbestimmte Sexualität „auch bedeuten, sich nicht in feste Kategorien einfügen zu müssen, ‚zu sich selbst zu stehen‘ könnte heißen, Raum für sich einzufordern, sich selbst auszuprobieren“ (Voß 2015: 4). Christoph Oliver Mayer (2015: 220) bezeichnet die auf eine frühe identitäre Festlegung gerichteten expliziten wie impliziten Aufforderungen zum Coming-out gar als einen „geschickten Schachzug zur Stärkung der Heteronormativität“. Diese finden ihre Entsprechung in immer früher in der Adoleszenz beginnende Coming-out-Prozesse bei LGBTIQ+-Jugendlichen (vgl. Krell 2013: 22ff). Pädagogik ist herausgefordert zu fragen, wie das, was gegenwärtig vorwiegend als Risiko erlebt wird, im Sinne einer good news for all (vgl. Nothdurfter/ Nagy 2017) als ein bereichernder Möglichkeitsraum erfahrbar gemacht werden könnte. Wie könnte der vorherrschende Druck zu normativ fixierten Identitäten abgemildert werden? Wie könnte die Möglichkeit der Nicht-Identifizierung gleichen Raum erhalten wie die Option auf Identität? Zunächst ginge es darum, den Imperativ eindeutiger geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung nicht selbst weiterzutragen. Im Unterschied zu vielen pädagogischen Zugängen, die

15 Voß bezieht sich hier auf die Studien zu Jugendsexualität von Weller (2013).

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sich zwar gegen eine Hierarchisierung geschlechtlicher und sexueller Identitäten wenden, diese zugleich jedoch als eindeutige Differenzen festschreiben, werden Identitäten in kritisch-dekonstruktiven Ansätzen grundlegend hinterfragt und in ihrer binären Struktur verflüssigt. Dieser Perspektive folgend ginge es nicht mehr länger um Fragen des Seins: Wer oder was bin ich?, sondern um Fragen des handelnden Lebens: Wie begreife ich mich und mein Leben und wie will und kann ich mich und mein Leben gestalten? 2.4 Pädagogische Zugänge zum Themenkomplex – Kristallisationspunkte eines Professionalisierungsprozesses Die bisherige Diskussion hat die Relevanz vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen für Jugendliche und – vorausgesetzt, Pädagogik will Jugendlichen Reflexionsräume für die sie beschäftigenden Themen bieten – für die Jugendbildung nachvollziehbar gemacht. Dementsprechend setzt sich in der pädagogischen Fachdebatte seit Mitte der 2000er Jahre zunehmend die selbstkritische Erkenntnis durch, dass die Lebensrealitäten, Rechte und Bedürfnisse junger queerer Menschen, von lesbischen Mädchen* und schwulen Jungen* sowie von trans* und inter* Kindern und Jugendlichen bislang kaum berücksichtigt wurden und selbst in der geschlechterreflektierenden Jugendarbeit marginalisiert sind (vgl. Pohlkamp 2010). Auch nimmt der Anspruch zu, den Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ als Bildungsinhalt zu implementieren. Dabei haben soziale und pädagogische Bewegungen auf entsprechende Sachverhalte und professionellen Bearbeitungsbedarf schon lange hingewiesen und bereits in den 1980er Jahren erste Zugänge zum Thema entwickelt. Als zentrale Faktoren eines noch jungen Professionalisierungsprozesses soll im Folgenden skizziert werden, wie das Themenfeld auf paradigmatischer, organisationsbezogener, politischstruktureller und konzeptuell-didaktischer Ebene bislang aufgegriffen worden ist und inwiefern sich Heteronormativitätskritik dabei als ein grundlegendes Konzept qualifiziert hat. In den 1970er Jahren entwickelte sich eine zunächst als feministische, später häufig als Geschlechterpädagogik bezeichnete Strömung im Feld der Pädagogik, die geschlechterkritische Bildung zunächst als einen Weg entwarf, Lebensperspektiven von Mädchen und Frauen zur Geltung zu bringen, Sensibilisierungsprozesse gegenüber verfestigten Machtunterschieden zwischen den Geschlechtern zu initiieren und einen Beitrag zum Abbau von Geschlechterungleichheiten

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zu leisten.16 Erst ab Mitte der 1990er Jahren begann sich in der Geschlechterpädagogik die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Frage nach einem emanzipatorischen Umgang mit der Geschlechterdifferenz ebendiese voraussetzt und damit die zweigeschlechtliche Ordnung unhinterfragt bekräftigt. Zum Teil parallel dazu, zum Teil verbunden damit, bildeten sich seit den 1980er Jahren Interessengruppierungen mit dem Ziel, Ausblendungen und Verzerrungen von lesbischen und schwulen Lebensweisen in der Pädagogik aufzuheben und diesbezüglich pädagogische Maßnahmen zu entwickeln. Diese folgten dem Anspruch kritischer Pädagogik, die Lebensrealitäten von marginalisierten Menschen bzw. Gruppen sichtbar zu machen und ihre Perspektiven zur Sprache zu bringen. In Lesbenund Schwulenorganisationen wurden Aufklärungsprojekte entwickelt und auch in den Erziehungswissenschaften wurde eine Auseinandersetzung mit Fragen zu ‚Homosexualität und Erziehung‘ angeregt. Neben dieser Ebene ‚lesbisch-schwuler‘ Bildungsarbeit, die sich an alle denkbaren Adressat_innen unabhängig von ihrer jeweiligen Lebensweise richtete, entwickelten Pädagog_innen und Wissenschaftler_innen in Auseinandersetzung mit der Situation von lesbischen Mädchen und schwulen Jungen pädagogische Ansätze speziell für diese Zielgruppen. Zentraler Inhalt beider Zugänge war die Auseinandersetzung mit lesbischen und schwulen Lebensweisen. Studien zeigen, dass viele der damit verbundenen Konzepte auf eine Reflexion von Heteronormativität verzichteten und zumeist weiter in einer Dichotomie von gleich- und gegengeschlechtlichen Lebensweisen verharrten (vgl. Hartmann 2002; Timmermanns 2003). Vorherrschend war und ist an vielen Orten ein essentialistisches Verständnis sexueller Orientierung, das der Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt (1996: 124) als „eingelassen in Stahl und Beton“ kennzeichnet. Seit Ende der 1990er und mit Beginn der 2000er Jahre werden jedoch zunehmend auch dekonstruktive Perspektiven aufgegriffen, die von dynamischen statt von essentiellen Identitäten ausgehen und konstruktiv dekonstruktiv (Recla/ Schmitz-Weicht 2015) Ansätze einer queeren Bildungsarbeit entwickeln. Die Pädagog_innen der Heimvolkshochschule Alte Molkerei Frille (vgl. Busche et al. 2010) richteten – feministische Mädchenarbeit weiterdenkend – z.B. ‚TransRäume‘ ein, die sie als offene Geschlechterräume verstanden, in denen Bedeutungen und Begegnungen quer zur Eindeutigkeit möglich werden sollten. In der Kooperation von Mädchen- und Jungenarbeitsansätzen entstand z.B. das Projekt

16 Diese Strömung steht in der Tradition kritischer pädagogischer Bewegungen, die eine soziale Differenzkategorie in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung stellen und pädagogische Interventionsmöglichkeiten entwerfen, um den mit diesen verbundenen Unrechtserfahrungen zu begegnen.

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MeinTestgelände, in dem seit 2013 über ein Online-Gendermagazin Jugendliche aller Geschlechter eingeladen sind, aktiv zu werden und Geschlechtervielfalt auf kreative Weise sichtbar werden kann (vgl. Kap. 2.2). Zunehmend entwickeln sich feministische, geschlechtsbewusste, lesbisch-schwule und queere Pädagogiken weiter, indem sie sich wechselseitig befruchten und verschiedene Perspektivenwechsel durchlaufen. Genderreflektierende Ansätze verbinden sich vermehrt mit heteronormativitätskritischen. Im skizzierten Zeitraum von ca. 30 bis 40 Jahren entwickelte sich das pädagogische Feld zum Thema enorm. Im Rahmen ‚lesbisch-schwuler‘ Bildungsarbeit formulierte das Bildungsprojekt KomBi17 einen der wohl umfassendsten Ansätze der 1990er Jahre. KomBi ging es in seinem Konzept der Lebensformenpädagogik um Antidiskriminierungsarbeit, Gewaltprävention, allgemeine Sexualpädagogik und politische Bildung (vgl. Kugler 1995). Das Bildungsprojekt führte Aufklärungsveranstaltungen mit Jugendlichen aus Schulen und dem Jugendfreizeitbereich, Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte sowie Projektberatung und -begleitung durch. In den Bundesländern etablierten sich in den 1990er Jahren viele aus der schwul-lesbischen Bewegung heraus erwachsene Aufklärungsprojekte, die bis in die Gegenwart bestehen. Deren junge ehrenamtliche Mitarbeitende berichten dem Peeransatz folgend z.B. in Schulklassen über ihre eigenen Erfahrungen als LGBTIQ+-Jugendliche. Dieser Ansatz beruht auf Ergebnissen der Vorurteilsforschung, dem zufolge Vorurteile durch persönliche Begegnung in Frage gestellt und aufgelöst werden können (vgl. Klocke 2012: 91f). Die Projekte vernetzen sich bundesweit. Einrichtungen wie z.B. SCHLAU18 leisten mit der wiederkehrenden Diskussion und Verabschiedung von Qualitätsstandards einen Beitrag zur Professionalisierung entsprechender Zugänge (vgl. Timmermanns 2003: 199ff, 205f). Zunehmend entwickeln pädagogische Fachkräfte als Expert_innen konkrete Handlungsmöglichkeiten für den pädagogischen Alltag und legen themenspezifische (Unterrichts-)Handreichungen vor (z.B. Bildungsinitiative QUEERFORMAT und Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V.).19 Anknüpfend an die Arbeit einiger Pionier_innen

17 ‚KomBi‘ steht für Kommunikation und Bildung und ist eine Berliner Bildungseinrichtung zu Diversity, Gender und Queerer Bildung (http://www.kombi-berlin.de/). 18 ‚SCHLAU‘ steht für eine Aufklärung zu Schwul Lesbisch Bi Trans*, die zusammen mit Sensibilisierung und politischer Bildung zu geschlechtlicher Vielfalt und sexueller Orientierung von ehrenamtlichen Aufklärungsteams in Schulen verschiedener Bundesländer durchgeführt wird (z.B. www.schlau.nrw). 19 Die ‚Bildungsinitiative QUEERFORMAT‘ bietet „Queere Bildung mit Format“ in Form von Fortbildungen, Beratungen und Materialien zu den Themen geschlechtliche

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öffnen sich mittlerweile auf organisationaler Ebene immer mehr Einrichtungen dem Themenbereich gegenüber und leisten einen wichtigen Beitrag zu seiner Verbreitung im pädagogischen Feld. Beispielhaft genannt sei das Projekt ‚Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie‘ mit seiner stetig steigenden Zahl an teilnehmenden Projektschulen, die sich auf vereinbarte Qualitätsstandards verpflichten und öffentlich sichtbar das Label anbringen: „Come in. Wir sind OFFEN lesbisch, schwul, bi, hetero, trans*“ (www.schule-der-vielfalt.de). Daneben war und ist es meist noch immer vom Interesse und der Bereitschaft einzelner Pädagog_innen abhängig, ob und wie vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen mit Jugendlichen thematisiert werden. Erst allmählich wurden auch auf politisch-struktureller Ebene Richtlinien erlassen. Das Engagement von Mädchen- und Jungenarbeitskreisen, entsprechenden Netzwerken und AGs, z.B. zu Mädchenpolitik, führte in den 1990er Jahren zur Implementierung von kommunalen Leitlinien zur Förderung der Mädchenarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe. Ein Jahrzehnt später fand deren Weiterentwicklung z.B. in der Verabschiedung eines Orientierungsrahmens für genderbezogene Kinder- und Jugendarbeit in Frankfurt am Main seinen Niederschlag. Hier heißt es in der Präambel: „Genderorientierte Pädagogik geht von der Uneindeutigkeit und Unbestimmbarkeit von Geschlecht aus und wendet sich gegen einseitige, binäre, heteronormative Zuschreibungen. Sie vertritt eine prinzipielle Offenheit gegenüber eigenwilligen Definitionen von Mädchen und Jungen hinsichtlich ihrer Geschlechtlichkeiten und ihrer Identitäten und ermutigt sie dazu ausdrücklich“ (Jugend- und Sozialamt der Stadt Frankfurt am Main 2013: 4). Kurz zuvor initiierte 2009 das Land Berlin das bereits erwähnte Programm ‚Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt‘ (vgl. Senat von Berlin 2010). Über Weiterbildungen sollen Multiplikator_innen aus Pädagogik, Sozialer Arbeit und Polizei im respektvollen Umgang mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt geschult und dazu befähigt werden, in ihren Arbeitsfeldern für das Thema zu sensibilisieren. Für 2019 beabsichtigt die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in Berlin eine Fachstelle ‚Queere Bildung‘ einzurichten (vgl. Landesverwaltungsamt Berlin 2018: 4047). Bundesweite Vernetzungsstrukturen wie durch den Verein ‚Queere Bildung‘ oder das Bundesnetzwerk ‚Schule der Vielfalt‘ tragen mit ihrem Engagement wichtige Impulse zu solchen Entwicklungen bei.

und sexuelle Vielfalt (www.queerformat.de). ‚Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V.‘ ist ein Beratungs-, Bildungs- und Forschungsinstitut zum Thema Geschlechterverhältnissen (www.dissens.de) u.a. mit dem Modellprojekt Intervention für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt (https://interventionen.dissens.de/).

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Mit Blick auf Schulpolitik hat das Thema insbesondere dadurch öffentliche Aufmerksamkeit erhalten, dass es Eingang in schulische Bildungspläne gefunden hat, was etwa in Baden-Württemberg heftig umkämpft war. Während die Landesregierung im Entwurf eines neuen Bildungsplans vorsah, Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, verschiedene Lebensweisen von LGBTIQ+ kennen, reflektieren und akzeptieren zu lernen, wandte sich eine Online-Petition gegen dieses Vorhaben. Auch wenn es der Gegenbewegung, aus deren Reihen in einer oftmals polemischen Kampagne immer wieder LGBTIQ+-Menschen herabgesetzt wurden, nicht gelang, die Aufnahme des Themas in den Bildungsplan zu verhindern, erschwerte sie eine differenzierte Ausarbeitung und bewirkte, dass das Vorhaben abgeschwächt umgesetzt wurde. Gerade der Vorwurf der ‚Umerziehung‘ von Kindern und Jugendlichen gemäß einer vermeintlichen ‚GenderIdeologie‘ erwies sich als strategisch geschickt, insofern Befürworter_innen des Bildungsplans, die sich dagegen verwehren wollten, teils ihrerseits auf biologistische Begründungen zurückgriffen und so häufig die ohnehin bestehende Gefahr einer naturalistischen Engführung der Debatte verstärkten. Die heteronormative Ordnung wird damit jedoch weniger in Frage gestellt denn reproduziert. So ließen sich in der öffentlichen Debatte ständig Hinweise auf eine angeblich erwiesene biologische Ursache der Homosexualität finden, was den Eindruck entstehen lassen konnte, dass nur das Begehren berechtigt und tolerierbar sei, das unwiderruflich gegeben ist und auf das Menschen keinerlei Einfluss haben. Der Versuch, mit „dem Nachweis der ‚Natürlichkeit‘ von Homosexualität gegen ihre Stigmatisierung und Verfolgung zu streiten“ (Voß 2013: 50), lässt sich seit der Herausbildung einer homosexuellen Identität in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (im Unterschied zu schon immer existierendem gleichgeschlechtlichen Sex) feststellen. Der Biologe Heinz-Jürgen Voß macht darauf aufmerksam, wie anfällig der daran anschließende Versuch einer „Selbstermächtigung“ von Schwulen und Lesben jedoch ist. Zum einen zeigt sein historischer Überblick über die naturwissenschaftliche Forschung, wie diese der Dualität von Normalität und Abweichung folgt und mehrheitlich auf „Ausmerzung“, „Heilung“ oder „Umerziehung der Homosexualität“ angelegt ist. Zum anderen verweist er darauf, dass zwar manche Menschen Homosexualität eher akzeptieren, wenn sie diese als ‚natürlich‘ gegeben erachten, dass andere jedoch gerade dann umso stärker an Stereotypen festhalten (vgl. ebd.: 66).20

20 Interessant scheint mir Voß’ (2013: 62) Erkenntnis zu sein, wie widersprüchlich und unzureichend die häufig als erwiesen diskutierten naturwissenschaftlichen Ergebnisse letztendlich sind. Ihm gelingt es auf überzeugende Weise nachzuzeichnen, über welch fragwürdige Forschungsdesigns diese Ergebnisse hervorgebracht wurden und dass

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So haben wir es mit einer Gleichzeitigkeit disparater Entwicklungen zu tun. Während die pädagogische Relevanz des Themas ‚sexuelle und geschlechtliche Vielfalt‘ zunehmend anerkannt und es in die Aus-, Fort- und Weiterbildung integriert wird und während ein Modellprojekt wie All Included! auf Bundesebene ausgezeichnet wird, bleibt nicht nur die Problematisierung der zugrunde liegenden Machtverhältnisse und die Infragestellung gegebener und polarisierter Identitäten als zentrale Bildungsinhalte umstritten, sondern auch die öffentliche Meinung gespalten. Mehr noch, Abwehr und Bekämpfung des Themas nehmen zu, wobei die Gegenseite oft denunziert und befürwortende Positionen verzerrt darstellt. Dies mag Pädagog_innen verunsichern, ob und wie sie das Thema aufgreifen und umsetzen wollen. Pädagogisches Arbeiten steht so vor neuen Herausforderungen, die zu reflektieren Anspruch pädagogischer Professionalität und Aufgabe von Erziehungswissenschaft und Ausbildungseinrichtungen zu sein hat. Ein Bedarf an durch Ausbildung gestützter Professionalisierung wird auch angesichts der Erkenntnisse einer Studie unterstrichen, die die Sicht von Lehramtsstudierenden auf die Wirkung der Norm Heterosexualität in Bildungsprozessen in- und außerhalb der Schule analysiert. Magnus und Lundin (2016) konnten feststellen, wie die befragten Lehramtsstudierenden bei einer grundsätzlichen Bejahung von Diversität in ihren Sichtweisen und Vorschlägen gleichwohl durch heteronormative Annahmen eingeschränkt waren und keine Beispiele zu entwickeln vermochten, wie sexuelle Vielfalt nicht nur – einer Antidiskriminierungs-Perspektive folgend – als ein zu behandelndes Problem, sondern vielmehr positiv als Mehrwert aufgegriffen werden kann. Deutlich zeigt die Untersuchung, wie zukünftige Pädagog_innen sich auch bei einer aufgeschlossenen Haltung gegenüber Diversity in einem „heteronormative corridor“ (ebd.: 82) bewegen. Um diesen verlassen zu können, müssen Pädagog_innen zunächst selbst trans- und homofeindliche Stereotype, aber auch subtilere heteronormative Mechanismen zu erkennen und kritisch zu reflektieren lernen. Dies ist die Voraussetzung, um sie im pädagogischen Kontext wiederum wahrnehmen, hinterfragen und aufweichen zu können. Humanitäre Werte und guter Wille alleine reichen nicht aus, um die Diskrepanz zwischen „dem Ziel der Diversität und der Möglichkeit, dieses zu erreichen“ (Magnus/Fereidooni 2017: 100), aufzuheben. Hier zeigt sich die Relevanz eines Professionalisierungsprozesses, der didaktische Fragen der pädagogischen Arbeit ins Zentrum rückt und qualitative Unterschiede des pädagogischen Umgangs mit Vielfalt, Differenz und Ungleichheit reflektiert.

Untersuchungen, die durchaus auch zu gegenteiligen Erkenntnissen kommen, in deren Präsentation ausgespart bleiben.

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Mit Blick auf didaktisch-konzeptuelle Fragen hat Sabine Hark bereits Ende der 1990er Jahre herausgearbeitet, wie zentral die gesellschaftliche Setzung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit als unhinterfragte Normalität für die Lebensbedingungen lesbischer Mädchen und schwuler Jungen ist. Dementsprechend habe gerade Heteronormativität ein Ansatzpunkt pädagogischer Arbeit zu sein. Ohne eine Reflexion vorherrschender Normalitätsvorstellungen gerate „die zwar notwendige verstärkte Aufmerksamkeit für junge Lesben und Schwule in die Gefahr, die bestehende Hierarchie zwischen selbstverständlicher heterosexueller Normalität und problematisierter homosexueller Abweichung zu reproduzieren statt wirkungsvoll zu durchbrechen. Erst eine Gesellschaft, die die heteronormative Verfasstheit ihres Selbstverständnisses und ihrer Institutionen anerkennt, ist in der Lage, den solcherart zur Minderheit gemachten das Recht auf Verschiedenheit aktiv zuzugestehen.“ (Hark 1997: 3) Heteronormativitätskritische Perspektiven aufgreifend folge ich (Hartmann 2002) mit dem Entwurf einer ‚Pädagogik vielfältiger Lebensweisen‘ dem emanzipatorischen Anspruch kritischer Pädagogik, verändernd in gesellschaftliche Verhältnisse einzugreifen, sowie der Erkenntnis, dass menschenwürdiges Zusammenleben ohne normative Orientierungen, die einer ständigen Aushandlung gegenüber offenbleiben, undenkbar ist. Entsprechend schlage ich einen ethisch motivierten Zugang zur Auseinandersetzung mit geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen vor, der Vielfalt enthierarchisierend und entnormalisierend von der Vielfalt aus denkt. Mit dem Term der Vielfältigkeit umreiße ich eine Perspektive auf das Thema, die die vorherrschende Struktur von Norm und Abweichung zugunsten einer Gleichwertigkeit in der Vielfalt dekonstruiert sowie Aspekte von Uneindeutigkeit, Widersprüchlichkeit und Ambivalenz innerhalb der Subjekte berücksichtigt. Für die pädagogische Praxis schlage ich vor, die vorfindlichen Lebensweisen unabhängig von ihrem quantitativen Vorkommen wertschätzend sowohl als Teil einer umfassenderen Vielfalt wie auch in ihrer eigenen Vielfältigkeit zu vermitteln und darüber hinaus für Normen und Machtverhältnisse zu sensibilisieren. Mit einer ‚Pädagogik vielfältiger Lebensweisen‘ wird eine pädagogische Haltung angeregt, die daran orientiert ist, vorherrschende Identitätsannahmen und Normalitätsvorstellungen produktiv zu irritieren, die Dualitäten von Geschlecht und Sexualität zu verflüssigen sowie deren Konstruktionsmechanismen und normative Rahmung zum Gegenstand pädagogischer Auseinandersetzung zu machen. Heteronormativitätskritische Intervention in ethnisierend-rassistische Zuschreibungen reproduzierende Diskurse in der Jugendarbeit diskutiert Olaf Stuve (2009) mit Blick auf das Projekt ‚Homosexualität in der Einwanderungsgesellschaft‘. Hier geht es bei der Entwicklung pädagogischer Materialien für die Ar-

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beit mit multikulturell zusammengesetzten Gruppen darum, den Jugendlichen eine Beschäftigung mit dem Thema Homofeindlichkeit zu ermöglichen, ohne – wie allzu oft – mit der Unterstellung konfrontiert zu sein, selbst homophob zu sein. In den „Handreichungen für emanzipatorische Jungenarbeit“ berichten Eltern, Geschwister und Kolleg_innen türkischer und kurdischer Lesben und Schwulen unter der Überschrift „Wer hat das Problem? Was ist das Problem?“, wie es ihnen ging, als sie z.B. von der lesbischen Lebensweise ihrer Schwester erfuhren und wie sich ihr Welt- und Selbstbild in der Auseinandersetzung mit den Reaktionen auf diese Lebensweise verändert hat. Stuve (2009: 10) macht auf die didaktische Qualität aufmerksam, die darin liegt, dass den Jugendlichen ermöglicht wird nachzuvollziehen, wie die erwachsenen „Personen erkennen, dass sie selbst das Problem gewesen sind – und den schwulen und lesbischen Töchtern, Söhnen, Kolleg_innen und Geschwistern das Leben mit ihrer Einstellung schwer gemacht haben“. Auf verschiedenen Ebenen des pädagogischen Feldes lassen sich – hier nur beispielhaft ausgewählt – bereits zahlreiche Ansatzpunkte für den noch jungen Professionalisierungsprozess zum Thema vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen finden und dabei die Relevanz heteronormativitätskritischer Perspektiven in der Migrationsgesellschaft nachvollziehen. Im Folgenden soll weiter der didaktisch-konzeptuellen Ebene gefolgt werden. Hier gilt ein kompetenter Umgang mit Pluralität und Ungleichheit als eine wichtige Qualifikation. Dabei unterscheiden Veronika Kourabas und Paul Mecheril (2015) differenzaffirmative und diversitätsreflektierende Zugänge. Während bei Ersteren Differenzen als quasi natürlich und feststehend betrachtet und durch ihre Thematisierung immer wieder als solche festgeschrieben werden, begreifen diversitätsreflektierende Zugänge Differenzen als sozial vermittelt, gesellschaftlich-kulturell hervorgebracht und daher gestaltbar. Auch wenn die zugrunde liegenden Referenztheorien sich nicht einfach in zwei diametrale Ansätze aufspalten lassen, bietet diese Unterscheidung eine hilfreiche Orientierung für heteronormativitätskritische Zugänge, die dem Anspruch einer kritisch-dekonstruktiven Reflexion der Differenz folgen (vgl. Kap 6.4).

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2.5 Bildung als erschließende Auseinandersetzung mit vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen – Professionalisierungsherausforderungen pädagogischen Handelns Im Unterschied zum alltäglichen Verständnis von Bildung als Wissensanhäufung steht Bildung im Fachdiskurs für die Reflexivität der einzelnen Menschen gegenüber ihren Möglichkeiten. Bildung soll dazu befähigen, in einer reflexiven Einstellung Sorge und Verantwortung für das eigene Leben zu tragen und dabei ggf. auch gegen vorgegebene Denkweisen und Ordnungsmuster zu handeln. In ihrer ursprünglichen Bedeutung und weiteren Entwicklung steht Bildung für eine veränderliche Form der Kritik und Befreiung von Fremdbestimmung, für nichttriviale Veränderungen, die ein Mehr an gutem Leben ermöglichen. Es sind Selbstbestimmung und Emanzipation, die in der Tradition moderner Pädagogik einen zentralen Stellenwert einnehmen und zu den klassischen Leitmotiven von Bildungstheorien geworden sind. Über das Leben der Einzelnen hinaus impliziert dies eine Pluralisierung von Lebensweisen als positivem Wert. Zugleich steht der Begriff Bildung dafür, das eigene Verhältnis zur Welt, zu anderen und zu sich selbst differenziert zu gestalten. Dabei gilt es zu erkennen, dass Subjektivität verstanden als die historisch veränderliche Art und Weise, wie wir uns selbst und unser Leben verstehen, immer auch geschlechtlich und sexuell markiert ist. Hier liegt ein Scharnier zwischen Bildungstheorie und den poststrukturalistischen Gender und Queer Studies (vgl. Hartmann 2013). Lange widmete sich kritische Pädagogik vor allem der Frage, wie Macht- und Herrschaftsverhältnisse über Bildung auf Subjekte wirken und daran teilhaben, diese in ein hierarchisches Verhältnis zueinander zu setzen bzw. sie darin zu halten. Dies entspricht der Perspektive der Sozialkritik, die die Wirkung von Macht zwischen dem Differenten, z.B. zwischen Homo- und Heterosexualität, untersucht und sich gegen die Verknüpfung von Differenz mit Diskriminierungsmechanismen richtet. Aktuelle bildungstheoretische Debatten wenden sich seit einiger Zeit jedoch wie die Queer Theory auch den macht- und subjekttheoretischen Überlegungen von Michel Foucault und Judith Butler zu. Dabei steht die Vorstellung eines souveränen Subjekts, das sich in seiner Kritik den gesellschaftlichen Verhältnissen einfach gegenüberzustellen vermag, zur Disposition und somit auch eine einfache Konzeption von Bildungszielen wie Emanzipation und Selbstbestimmung. Einem diskurstheoretischen Verständnis zufolge ist das Subjekt selbst von Macht durchdrungen in dem Sinne, dass es über vorherrschende Diskurse konstituiert, nicht jedoch determiniert wird. Unsere Vorstellungen davon, was etwa eine heterosexuelle, lesbische, bisexuelle oder transgeschlecht-

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liche Frau jeweils ist und wie und warum sie dies ist – und damit auch wie und warum wir uns selbst so verstehen, wie wir das jeweils tun –, sind dieser Perspektive entsprechend zutiefst von dominanten Diskursen strukturiert wie von möglichen Transformationen derselben begleitet. (Hartmann 2017: 170f) Mit der Perspektiverweiterung von der Sozial- zur Subjektkritik ist kritische Pädagogik herausgefordert, auch eine tiefer liegende Dimension von Machtverhältnissen in den Blick zu nehmen, die im gesellschaftlich-kulturellen Herstellungsprozess des Differenten selbst liegt. Und es ist der Diskurs über Bildung selbst – und damit auch der Diskurs über die Beschäftigung mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in Bildungseinrichtungen –, der als ein Ort des Bildungsgeschehens und damit als ein Motor geschlechts- und sexualitätsregulierender Macht ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Fragen, die damit verbunden sind, sind die folgenden: Werden Identitäten in dieser Debatte eher als feststehend gesetzt – sei es als biologisch gegeben oder als psychogenetisch festgeschrieben – oder werden sie explizit als soziale Kategorien thematisiert, deren Gewordenheit rekonstruiert, deren historische wie lebensgeschichtliche Transformation analysiert und deren Ordnung und Funktionalität hinterfragt werden können? Welchen Raum erhält die Reflexion der „soziale[n] Normen, die unsere Existenz bestimmen“ (Butler 2009: 10) – und zwar nicht nur im Blick auf das Verhältnis zu anderen, sondern auch auf das Selbst, auf geschlechtliche und sexuelle Selbstverständnisse? Bildung folgt so gesehen sowohl einem gesellschafts- wie einem subjektbezogenen Anspruch, die in der Praxis idealerweise nicht gegeneinandergestellt, sondern ineinandergreifend verfolgt werden. Für Wolfgang Klafki (1990) zielt Bildung in einer Einheit von Gebildet-Werden und Sich-Bilden auf ein doppeltes Erschließen: Der Mensch erschließt sich durch Bildung die Welt und wird gleichzeitig durch die Welt erschlossen. Dabei sieht auch er eine zentrale Aufgabe von Pädagogik darin, über Machtverhältnisse und Gerechtigkeitsfragen nachzudenken. Unter dem Label ‚kritisch‘ verbindet Bildungstheorie die Analyse politischer, ökonomischer und sozialer Interessen der Gesellschaft mit pädagogischen Fragestellungen. Als ein führender Vertreter einer kritischen Bildungstheorie betont Klafki den allgemeinbildenden Gehalt der Auseinandersetzung mit Schlüsselproblemen der Gesellschaft und bezeichnet Bildungsfragen als Gesellschaftsfragen. Der Themenkomplex ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ gehört heute zweifelsohne hierzu. Zugleich macht es einen Unterschied, ob vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der Pädagogik nur als individuelle und zwischenmenschliche Lebensrealitäten oder vielmehr auch als soziale, gesellschaftlich bedeutende Herausforderung und damit als ein Schlüsselthema der Gegenwart begriffen

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werden und ob damit verbunden die Notwendigkeit einer Professionalisierung der entsprechenden pädagogischen Arbeit erkannt wird. Aber was kennzeichnet professionelles Handeln in diesem Feld und wie kann sich hier ein Professionalisierungsprozess im Sinne einer ständigen Weiter-Entwicklung professionellen Handelns vorgestellt werden? Ein Kennzeichen von Professionalität liegt in einer ausgewiesen theoretischen Fundierung der der pädagogischen Arbeit zugrunde gelegten Kategorien Geschlecht und Sexualität. Sollen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt nicht nur vermittelnd dargestellt, sondern darüber hinaus subjekttheoretischen und gesellschaftskritischen Perspektiven folgend auch vorherrschende Machtverhältnisse reflektiert werden, so erweisen sich – wie schon gezeigt – Ansätze der poststrukturalistischen Gender und Queer Studies, insbesondere das Konzept der Heteronormativität, hierfür als eine geeignete gender- und sexualitätstheoretische Fundierung. Diese theoretische Fundierung wird im Folgenden auch durch die Verwendung des Begriffs der vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen angezeigt (vgl. Kap. 2.4). Weiterhin gilt Reflexivität, also reflektiertes und reflektierendes Handeln, als Kernkompetenz pädagogischer Professionalität. Praktisches Gelingen professionellen Handelns wird als an einen kontinuierlichen Reflexionsprozess im jeweiligen Praxisfeld gebunden gesehen. Ein Teil der Professionalisierungsherausforderung besteht dann darin, die Komplexität des Themenfelds erfassen und reflektierend vermitteln zu können. Ein anderer Teil der Professionalisierungsherausforderung liegt im reflektierten Umgang mit Antinomien und den eigenen paradoxalen Verstrickungen. Werner Helsper (1995) hat herausgearbeitet, wie pädagogische Felder durch strukturell widersprüchliche Handlungsprobleme gekennzeichnet sind. Hegemoniale Verhältnisse, wie etwa Heteronormativität, spiegeln sich in Bildungseinrichtungen und selbst in kritischen, differenzsensiblen Projekten wider. Bildung bleibt in sich widersprüchlich, transportiert emanzipatorisches Potenzial wie normierende Aspekte, sie reproduziert immer wieder auch zugleich, was sie kritisch hinterfragt. Pädagogisches Handeln bewegt sich daher stets in Spannungsverhältnissen, ist selbst immer „herausfordernd und äußerst ambivalent“ (Riegel 2016: 7). Entsprechende Paradoxien anzunehmen und nicht zu verdrängen, sie ins Zentrum der Überlegungen zu stellen und zu balancieren, markiert aus Sicht strukturtheoretischer Professionstheorien Professionalität. Viel diskutiert hinsichtlich der „‚antinomischen‘ Lagerung der sozialpädagogischen Arbeit“ (Combe/Helsper 2002: 36) sind die Balancierungsforderungen zwischen Nähe und Engagement auf der einen sowie Distanz und Reflexion auf der anderen Seite, was dann als „engagierte Rollendistanz“ (ebd.: 37) bezeichnen werden kann. Weitere Widersprüche pädagogischer Praxis liegen zwischen Produkt- und Pro-

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zessorientierung, zwischen einem Fokus auf Individuen und deren Biografien einerseits und auf gesellschaftlich-strukturellen Bedingtheiten andererseits oder auch zwischen einer geplant reflexiven und einer spontan nicht-reflexiven Dimension von Bildung. Mit Widersprüchen, Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen umzugehen, ist herausfordernd. Sie stellen jedoch kein Hindernis dar, sondern einen „qualitativen Bestandteil von Bildung“ (Riegel 2016: 118). Aber welche spezifischen Paradoxien sind mit Blick auf das Feld geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen zu beachten? Da ist z.B. die Zerrissenheit, Kategorien überwinden zu wollen und sie doch aufrufen zu müssen, um dekonstruierend mit ihnen arbeiten zu können. Eine dekonstruktive Praxis bewegt sich im paradoxen Raum, zunächst aufzurufen, was sie verschieben will. Ein verqu(e)erer Zugang kann nicht jenseits kulturell überlieferter geschlechtlicher und sexueller Kategorien und Identitäten agieren, was aber nicht heißt, dass er sie zwangsläufig bestätigt. Gleichwohl bleibt dies, wie Jacques Derrida hinsichtlich der Dekonstruktion betont, als Gefahr bestehen. Begleitet werden sollte eine dekonstruktive Pädagogik daher von einer „unaufhörlichen Analyse: denn die Hierarchie des dualen Gegensatzes stellt sich immer wieder her“ (Derrida 1986: 88). Ein weiterer Konflikt mag zwischen der anerkennenden „performativen Erzeugung von Differenz und der Besonderung“ derselben liegen (Riegel 2016: 112). Doch geht es nicht nur um Anerkennung sonder auch um Verteilungsgerechtigkeit. Die Paradoxien sind strukturell verankert und „durch individuelles Agieren und pädagogisches Handeln allein nicht aufzulösen“ (ebd.: 113). Weiter gilt es, eine Zerrissenheit zwischen vorherrschenden identitätsorientierten Imperativen zu kohärenten Geschlechtsidentitäten und den innerpsychischen Ambivalenzen und Verlustspuren zu erkennen (vgl. Kap. 2.3). Und da ist das Spannungsverhältnis, das zwischen geschlechtlicher und sexueller Identität auf der einen und einem Recht auf geschlechtliche und sexuelle Nicht-Identifizierung auf der anderen Seite aufgespannt ist (vgl. Offen 2017: 127). Eine weitere Spannung lässt sich auch zwischen dem bildungspolitisch und medial dominant gewordenen, jedoch theorieungesättigten Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ und einem theoriefundierten didaktischen Konzept einer heteronormativitätskritischen Pädagogik vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen erkennen.

3. Museen als Bildungsorte – Queere Inhalte auf dem Weg ins Museum Tobias Nettke

VieL*Bar untersuchte mit All Included! am Jugend Museum Berlin ein Projekt, das sich mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt beschäftigte. Daher interessierte uns zunächst die Frage, inwiefern diese Thematik bisher von Museen bzw. Museumsverbänden sowie der museologischen Fachliteratur behandelt wurde und welche Rolle sie gerade auch in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit von Museen spielt (Kap. 3.1). Ein weiteres Kennzeichen von All Included! war der besondere Anspruch, Schüler_innen an der inhaltlichen Konzeption einer Ausstellung zu beteiligen sowie Besucher_innen zum Mitmachen anzuregen. Vor dem Hintergrund dieser Ziele skizzieren wir den museologischen Kontext: Ausstellungen, die Besucher_innen zum Interagieren und Mitmachen anregen, stoßen nicht nur beim Publikum auf Interesse, sie sind auch aus psychologischer und lernwissenschaftlicher Perspektive interessant, da derartige Ansätze die Auseinandersetzung mit den Museumsinhalten fördern können (Kap. 3.2). Nachdem der museologische Kontext erläutert wurde, möchten wir im Überblick aufzeigen, mit welchen museumspädagogischen Formaten das Jugend Museum in All Included! arbeitete (Kap. 3.3). 3.1 Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen als Thema der Museumsarbeit Museen sind Orte der Bildung, die sich über immer vielfältigere Angebotsformate einem diversen Publikum zuwenden (vgl. Noschka-Roos 2012; Nettke 2016a). Diese Ausdifferenzierung erfolgt gemäß dem Selbstverständnis von Museen, „im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung“ zu wirken (ICOM Deutschland 2010: 29). Dabei sind Museen keine neutralen Orte: Mit jeder Entscheidung, was

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und wie ein Museum sammelt, bewahrt, forscht, ausstellt und vermittelt, kann der Dienst an der Gesellschaft ganz unterschiedlich vollzogen werden. Für die auf Menschenrechten und Demokratie basierende Institution Museum sollte es selbstverständlich sein, systematisch darauf zu achten, die ganze Vielfalt der Gesellschaft im Blick zu haben. Doch Studien zeigen, dass es der Mehrheit der Museen noch nicht gelungen ist, dauerhaft Publikumsgruppen außerhalb bildungsbürgerlicher Milieus zu erreichen (Mandel 2013: 20; Mandel 2016: 191). Es bleibt eine Herausforderung für Museen, die Diversität ihres Publikums zu erhöhen und attraktive Inhalte für bisher wenig repräsentierte Gruppen zu bieten. Der britische Museumsforscher Richard Sandell fordert in diesem Zusammenhang eine Neusichtung und Neubewertung der Sammlungsobjekte in Museen sowie eine entsprechende Überarbeitung der Präsentation und Vermittlung zu den betroffenen Objekten und Themen. Sandell weist auf die radikalen Konsequenzen und den paradigmatischen Wandel für die Arbeit in Museen hin, wenn diese in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung und in ihrem Bildungsauftrag die Perspektiven der Inklusion bzw. der sozialen Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie der Diversity umsetzen möchten (z.B. Sandell 2000)2. Er fordert Museen deshalb dazu auf, sich für Menschenrechte stark zu machen, unter anderem indem sie geschlechtliche Vielfalt und vielfältige Lebensweisen aktiv thematisieren, auch wenn die dadurch ausgelösten öffentlichen Reaktionen und Debatten die Öffentlichkeitsarbeit von Museen herausfordern (z.B. Sandell 2012, 2017). Die Vermittlung von Wertschätzung der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt sowie anderer Formen von Vielfalt in der Gesellschaft ist somit Teil des Bildungsauftrages, mit denen Museen ihren Dienst an der Gesellschaft verrichten. Geschlecht und Sexualität als grundlegende Modi menschlicher Vergesellschaftung und als immanente Elemente der Geschichte spielten in Museen schon immer eine Rolle, wenn auch zumeist nur implizit. Sie sind schon immer Teil der gesammelten Exponate oder der mit diesen zusammenhängenden Geschichten sowie Bezugspunkte der in den Museen arbeitenden Menschen. Erst seit wenigen Jahren beginnen einzelne Museen, sich den Kategorien Geschlecht und Sexualität auch jenseits von heteronormativen Interpretationen – losgelöst von

1

Mandel stützt sich in ihrer Analyse etwa auf Keuchel/Larue 2012, Renz 2015, Kirch-

2

Sandell beschreibt die Prozesse der sozialen Exklusion in Museen (vgl. auch Sandell

berg/Kuchar 2016. 1998) und fordert, Museen sollten vielmehr Agenten sozialer Inklusion sein (vgl. Sandell 2002, 2003). Besonders hebt er die Bedeutung eines Diversity Managements und hierbei eines diversen Museumspersonals hervor, um sich auf die Vielfalt in der gesellschaftlichen Wirklichkeit einzustellen (Sandell 2007).

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bisherigen Tabuisierungen und Umdeutungen und mit Blick auf eine existierende geschlechtliche und sexuelle Vielfalt – zuzuwenden, Objekte zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen, auszustellen und zu vermitteln. Bezogen auf die Museumspädagogik wird in Deutschland jedoch noch wenig zur Thematik geschlechtlicher und sexueller Vielfalt bzw. der Heteronormativitätskritik im Museum gearbeitet.3 Es existieren hier kaum Ansätze, die geschlechtliche und sexuelle Diversität thematisieren und das Thema in Vermittlungsformate umsetzen. So ist geschlechtliche und sexuelle Vielfalt auch in den bisherigen Standard-Handreichungen der Museumsverbände in Deutschland (wie auch in Österreich und der Schweiz) noch kein Thema. Zwar gab der Deutsche Museumsbund (DMB) als einziger bundesweit agierender Berufsverband aller Museumsmitarbeiter_innen den Leitfaden Museen, Migration und kulturelle Vielfalt heraus, worin er sich zu Transkulturalität und einem Diversity-Ansatz bekennt sowie angibt, eine „Wertschätzung jeder Unterschiedlichkeit bspw. in Bezug auf kulturelle und ethnische Hintergründe, Sexualität, Glauben und Lebensstile“ anzustreben (DMB 2015: 32). Jedoch liegt dessen Fokus eindeutig auf dem Themenkomplex „Migration und kulturelle Vielfalt“. Der Aspekt der Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen und seine Herausforderungen für die Museumsarbeit mit dem Publikum werden nicht weiter ausgeführt. „Sexualität“ wird lediglich noch im Glossar als ein Merkmal von Diversität genannt. Die Kategorien Geschlecht bzw. Gender werden weder in der deutschen noch in der englischsprachigen Ausgabe des Leitfadens behandelt. Auch in anderen deutschsprachigen Leitfäden der Museumsverbände suchten wir erfolglos nach einem Statement zur geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt. In den bisherigen DMB-Standards ist Inklusion in weiten Teilen auf Barrierefreiheit reduziert, häufig im Kontext von Dis-/Ability. So taucht das Thema auch im Leitfaden Das Inklusive Museum – ein Leitfaden für Barrierefreiheit und In-

3

In Form von temporären Ausstellungen finden sich auch Beispiele, in denen Alternativen zur heteronormativen Geschichtsdarstellung gezeigt werden. So präsentierten das Deutsche Historische Museum (DHM) und das Schwule Museum Berlin (SMU) vom 26. Juni bis 1. Dezember 2015 gemeinsam die Ausstellung Homosexualität_en. Und das Werkbundarchiv – Museum der Dinge in Berlin zeigte vom 5. Mai bis zum 1. Oktober 2018 die Ausstellung Erotik der Dinge. Sammlungen zur Geschichte der Sexualität. Das SMU behandelt als einziges deutsches Museum seit seiner Gründung 1985 stetig die Geschichte und den Alltag homo- und transsexueller Menschen sowie die Vielfalt sexueller und geschlechtlicher Lebensweisen. Andere deutsche und auch europäische Museen zur Sexualität oder Erotik fokussieren das Thema überwiegend aus heteronormativer Sicht.

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klusion des DMB (vgl. DMB et al. 2013) nicht auf. Barrieren für andere Gruppen als Menschen mit Behinderung bleiben meist unerwähnt. Die Thematik geschlechtlicher und sexueller Vielfalt wird auf der Ebene der Berufsverbände bisher auch nicht intersektional bearbeitet.4 Ähnliches gilt für eine in diesem Tätigkeitsfeld grundlegende Publikation, das Handbuch Kulturelle Bildung: Auch hier erfolgt die Bearbeitung von Inklusion nicht intersektional und ohne geschlechtliche und sexuelle Vielfalt einzubinden (vgl. Bockhorst et al. 2012, darin z.B. Keuchel/Wagner 2012; Wagner 2012; Sliwka 2012). Vergleichbar scheint es im europäischen Ausland zu sein. Zwar beschäftigen sich die großen Museumsorganisationen etwa in Großbritannien mit Diversity, meist jedoch hinsichtlich der Dimensionen Herkunft und Migrationserfahrung. Wir stießen darauf, dass sie sich – wie etwa bei einem Diversify Toolkit der Museums Association UK (2010) – zwar zur Antidiskriminierung geschlechtlicher oder sexueller Vielfalt bekennen, allerdings auch hier bloß bei der Aufzählung dessen verharren, was ein diverses Publikum auszeichnet.5 Interessant war für uns in diesem Zusammenhang vor allem die Stellungnahme der American Alliance of Museums (AAM 2016), die LGBTQ-Welcoming Guidelines. Hierin werden alle Museumsaufgaben, die mit dem Sammeln, Forschen, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln einhergehen, bzw. sämtliche Service-Angebote dahingehend hinterfragt, wie moderne Museen ihrem Publikum mit vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen tatsächlich ein Willkommen-Sein vermitteln. Es werden darin auch knappe Empfehlungen für die Ausstellungskonzeption und Museumspädagogik formuliert.6 In der deutschsprachigen Fachliteratur finden sich einige hilfreiche Studien zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt bzw. Gender in Museen, die auf damit verbundene Defizite und noch unausgeschöpfte Möglichkeiten hinweisen. Muttenthaler und Wonisch analysieren Ausstellungen unter Gender- (2010) bzw. Gender-Race-Class-Perspektiven (2006) kritisch und rekonstruieren hierbei die durch Ausstellungen (re-)produzierten dichotomen Geschlechterbilder. Hauer et al. (1997) haben die Inszenierung von Geschlecht in Ausstellungen aus femi-

4

Das heißt, die Überlagerungen von verschiedenen Formen des Bedarfs an Inklusion und Barrierenabbau werden kaum thematisiert (etwa wenn es um Diskriminierungen auf anderen Ebenen wie etwa Gesundheit, Ethnie, Religionszugehörigkeit, Klasse, Besitz usw. geht). Zur Intersektionalität allgemein vgl. Kap. 4.

5

Verfügbar unter: https://www.museumsassociation.org/download?id=98529 (21.09.

6

Mehr zu dem rund 60-seitigen Werk unter https://www.aam-us.org/professional-

2018). networks/lgbtq-alliance/ (21.09.2018).

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nistischer Perspektive untersucht. Die genannten Studien haben jedoch weder die Kategorie Sexualität noch die Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen im Fokus, auch geht es in ihnen nicht um museumspädagogische Fragen mit der Zielgruppe Kinder und Jugendliche. Harrasser et al. (2011) haben aus der Perspektive der Cultural Studies die Konstruktion von Geschlechtlichkeit in (natur-)wissenschaftlichen Kinderausstellungen untersucht. Hierbei stand die Frage im Vordergrund, wie Wissenschaft präsentiert und Wissen konstruiert wird und welche Formen der Vergeschlechtlichung sich dabei beobachten lassen. Ebeling (2016) hat einen Leitfaden Museum & Gender veröffentlicht, der auf der Grundlage von Gender-Analysen in kleineren Regionalmuseen entwickelt wurde.7 Ebelings Arbeit macht deutlich, wie Museen die Kategorien Weiblichkeit und Männlichkeit in einem heteronormativen Sinne über ihre Objektauswahl, ihre Texte usw. konstruieren und damit althergebrachte Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität reproduzieren. In den USA weist Levin (2012) anhand von Ausstellungsanalysen auf die Notwendigkeit hin, heteronormative Gender-Darstellungen kritisch zu hinterfragen. Im Sammelband Gender, Sexuality and Museums (2011) zeigt Levin als Herausgeberin anhand internationaler Beispiele auf, wie Gender-Zuordnungen und tradierte Geschlechterrollen in Sammlungen und Ausstellungen durchbrochen werden können. In den Beiträgen wird deutlich, wie Museen daran arbeiten, die ‚queeren Geschichten‘ ihrer Exponate zu recherchieren und in Ausstellungen zu kommunizieren. Ebenfalls in den USA arbeitet Sanders an der Frage, wie Kunstpädagogik in Schulen und Museen eine queere Perspektive einnehmen und die in der Kunstvermittlung verbreitete Heteronormativität kritisch hinterfragen kann. Sanders zeigt auch auf, wie queere Kunst thematisiert bzw. wie mit queeren Künstler_innen im Unterricht zusammengearbeitet werden kann (vgl. Sanders 2007, 2008; Sanders/Gubes Vaz 2014). Auf der Ebene einzelner Museen finden sich etwa in Großbritannien einige Beispiele, wie sexuelle Vielfalt in Ausstellungen aufgegriffen werden kann. Hierbei fällt auf, dass die Thematik teils permanent in den Einrichtungen verankert ist: Ausgehend von einer kleinen Sonderausstellung im British Museum London von Mai bis Oktober 2017 mit dem Titel „Desire, love, identity. Exploring LGBTQ histories“, bietet das Museum einen Trail zum Selbsterkunden an („Desire and diversity“), der die Thematik anhand von 17 originalen (archäolo-

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Zu weiteren kritischen Analysen von Gender-Darstellungen in Ausstellungen vgl. Ebeling 2017. Für Bibliotheken und Archive gibt es als Broschüre einen LSBTILeitfaden von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Berlin: https://www.berlin.de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2017/pres semitteilung.645784.php (21.09.2018).

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gischen) Objekten der Weltgeschichte erläutert.8 Zudem führt das Museum Workshops für Schulklassen zum Rahmenlehrplanthema ‚Relationship and Sex Education‘ durch, bei denen eine auf diese Thematik spezialisierte Künstlerin und Pädagogin die Museumsobjekte sowie diverse methodisch-didaktische Materialien nutzt (Rose/Cooper 2018).9 Auch das Victoria and Albert Museum in London arbeitet an der Thematik. Einerseits erfolgt hinter den Kulissen die Verschlagwortung in Kategorien, die mit dem Thema sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Zusammenhang stehen, sodass entsprechende Informationen nachhaltig dokumentiert sind und für Ausstellungs- und Vermittlungszwecke genutzt werden können (Hoskin/Clayten 2018). Außerdem finden nicht nur während des queer history month, sondern regelmäßig Veranstaltungen und Events zum Thema statt, etwa die monatlichen LGBTQ-Touren.10 Das People’s History Museum (PHM) in Manchester bietet ebenfalls einen Rundgang zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt an. In der Dauerausstellung sind dazu bei zahlreichen ausgewählten Exponaten zusätzliche gelbe Labels angebracht, betitelt mit „Never going underground. The Fight for LGBT+ Rights“, ein Hinweis auf das gleichnamige Sonderausstellungsprojekt mit Community-Kurator_innen, das von Februar bis September 2017 präsentiert wurde. Bei den britischen Beispielen handelt es sich nicht um Museen, die sich auf diese Thematik spezialisiert haben, und auch nicht nur um temporäre Angebote im Rahmen von Sonderausstellungen. Vielmehr sind hier vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen Bestandteil des in der Dauerausstellung präsentierten Themenkanons. Aber allein die geringe Zahl von Beispielen zeigt: Die wissenschaftliche Debatte zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen in der Museologie, insbesondere bezogen auf die Theorie und Praxis der Museumspädagogik, ist noch nicht weit entwickelt. Sie ist noch nicht in der Breite der Museumslandschaft bzw. in den Museumsorganisationen angekommen. Doch zugleich wird deutlich, dass die wissenschaftliche Debatte zu Geschlechterkonstruktionen international wie auch im deutschsprachigen Raum Fahrt aufgenommen hat und sich erste Museen auch der Thematik der vielfälti-

8

http://www.britishmuseum.org/visiting/planning_your_visit/object_trails/desire_and_ diversity.aspx#7 (21.09.2018). Siehe auch: https://www.britishmuseum.org/explore/ themes/same-sex_desire_and_gender/same-sex_desire.aspx (21.09.2018).

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https://www.britishmuseum.org/learning/schools_and_teachers/sessions/sex_and_rela tionship_education.aspx (21.09.2018)

10 https://www.vam.ac.uk/event/bgBXMpPl/lgbtq-tour-2018 (21.09.2018). Außerdem bietet es über die Webseite ebenso eine Zusammenstellung von Objekten für eine selbstgeführte Tour an: https://www.vam.ac.uk/info/lgbtq (21.09.2018).

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gen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen annehmen. Im Folgenden fokussieren wir das Thema der Partizipation als wichtigen Bestandteil der Vermittlungsarbeit in diesem Feld. 3.2 Ausstellungen zum Aktivieren und Mitgestalten Das Publikum zu einer aktiven und zielführenden Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten zu animieren, stellt eine permanente Herausforderung für Museen und andere Bildungseinrichtungen dar. Museumspädagog_innen haben diese mit jeder neuen Ausstellung und jedem neuen Vermittlungsangebot zu bewältigen (vgl. Nettke 2016a: 37f, 2016b: 173). Zahlreiche Museumsstudien belegen diesbezüglich, wie bedeutsam Interaktionen für das Erleben und Lernen in Museen sind (z.B. Falk/Dierking 2000, 2013; vom Lehn/Heath 2011; Witcomb 2011).11 Schlagworte in diesem Zusammenhang sind objektangemessene, handlungsorientierte Vermittlung und spielerisches Lernen. Sie haben gerade in der Bildungsarbeit der Kinder- und Jugendmuseen eine lange Tradition (vgl. Gesser/ Kraft 2006). Zudem spielt in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit von Museen die Partizipation als Ziel an sich und als pädagogischer Ansatz eine große Rolle (vgl. Nettke 2016a: 38f). Partizipation im Sinn einer Teilhabe am Kulturangebot einer Gesellschaft ist Ziel jeglicher kultureller Bildung und damit auch der Museumspädagogik. Ein partizipativer Ansatz in der Bildungs- und Vermittlungsarbeit geht aber zugleich darüber hinaus, da er darunter z.B. sowohl die Sichtbarkeit der Beiträge des Publikums (als user-generated content) als auch die aktive Beteiligung von Gruppen des Museumspublikums in der Ausstellungs- sowie Veranstaltungsentwicklung fasst. Sind partizipative Ansätze in die Bildungs- und Vermittlungsarbeit eingebunden, so zielen sie auf Lernen bzw. Aneignung ab. Inhalte werden gemeinsam betrachtet, aus verschiedenen Perspektiven diskutiert und dabei wird voneinander gelernt. Somit ergänzen partizipative Ansätze die vom Museum erarbeiteten Inhalte und ermöglichen eine Multiperspektivität (Nettke 2018: 35f). Wie in anderen Kontexten auch spielen dabei die psychologischen Grundbedürfnisse, wie sie Deci und Ryan (1985) formuliert haben, nach wie vor eine

11 Für Museumsausstellungen sowie für die Museumspädagogik gilt in der Fachliteratur, dass gerade Formate, die mit einer aktiven Hinwendung zu den Inhalten auch die sozialen Interaktionen fördern, zu positiven Museumserfahrungen und nachhaltigen Lerneffekten führen können (z.B. Black 2012; Falk/Dierking 2000, 2013; Hein 2011; Hooper-Greenhill 2007; Nettke 2013, 2016a, 2016b).

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beachtenswerte Rolle: Menschen fühlen sich eher dann motiviert sich mit einer Sache zu beschäftigen, wenn ihre Bedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit berücksichtigt sind. Auch lernwissenschaftliche Studien unterstreichen die Bedeutung von Mitbestimmung und Beteiligung in den Museen. Die Studien von Falk und Dierking (2000, 2013) bzw. das von ihnen entwickelte contextual model of learning belegen, dass Lernen unterstützt wird, wenn Menschen, wie es in Museen charakteristisch ist, die Möglichkeit haben, Inhalte selbst auswählen zu können und in der Auseinandersetzung mit ihnen die Kontrolle zu wahren (Wahl und Kontrolle im persönlichen Kontext). Lernfördernde Kategorien sind außerdem die Qualität der Interaktion mit weiteren Lernenden innerhalb der Gruppe bzw. Peergroup (z.B. mit Mitschüler_innen) sowie die Interaktion mit Begleitpersonen (z.B. Pädagog_innen).12 In Museen finden sich verwirrend viele Formen, die für sich beanspruchen, partizipativ zu sein.13 Insofern gilt es immer wieder neu herauszustellen, welche Form der Partizipation genau vorliegt. Entscheidend wird diese Debatte geprägt von der US-amerikanischen Museologin Nina Simon14, die folgende Grade oder Dimensionen von partizipativer Museumsarbeit unterscheidet:

12 Falk/Dierking sprechen von Museumslernen bzw. Museumserleben. Bei den untersuchten ‚All Included!‘-Workshops handelte es sich um Museumsbesuche nicht im Kontext von Freizeit, sondern von Schule. Während bei unbegleiteten Museumsbesuchen Lernen informell erfolgt, hat es in pädagogischen Formaten wie Führungen oder Workshops einen nonformalen Charakter. Die Zusammenarbeit zwischen Museen und Schulen sowie die hierbei auftretenden Lern- und Partizipationsformen, die in unterschiedlichen Formaten zum Ausdruck kommen, werden näher beschrieben bei Wagner/Dreykorn 2007; DMB et al. 2011; Lewalter/Noschka-Roos 2012; Kolb 2014; Rupprecht 2016. 13 Viele der als partizipativ titulierten Angebote werden teils dem Partizipationsanspruch nicht mehr gerecht, wenn schon der Besuch der Ausstellung bzw. die Teilnahme an einer Veranstaltung oder die stattfindenden Interaktionen als Partizipation bezeichnet werden. Ein derartig inflationärer Gebrauch verwässert den Partizipationsbegriff. 14 Andere Autor_innen definieren Partizipation enger als Simon: Gemäß der von Wright et al. (2010) entwickelten Pyramide zum partizipativen Forschen beginnt Partizipation erst bei der Mitbestimmung, während das Einbeziehen von Gruppen noch als Vorstufe gilt. Im Kontext einer Partizipation in der Gesundheitsförderung unterscheiden Wright et al. (2010: 42) folgende Stufen:

• •

Nicht-Partizipation: Stufe 1 – Instrumentalisierung, Stufe 2 – Anweisung Vorstufe der Partizipation: Stufe 3 – Information, Stufe 4 – Anhörung, Stufe 5 – Einbeziehung

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Partizipation im Sinne von Beitragen (contribution) Bei diesem Partizipationsgrad steuert das Publikum innerhalb eines exakt festgelegten Rahmens Inhalte bei. Weil mit dieser Partizipationsform zugleich das Maß an Interaktivität zwischen den Besuchenden in der Ausstellung steigen kann und weil potenziell alle Besuchenden – bei relativ wenig Zeitinvestition auf der einen Seite und relativ wenig Betreuungsaufwand auf der anderen Seite – mitwirken können, ist diese niedrigschwellige Form der Partizipation sehr verbreitet. Hierfür stehen Ausstellungselemente, die das Publikum auffordern, Kommentare, Ideen oder Erfahrungen beizutragen. Partizipation im Sinne von Mitarbeit (collaboration) Diese Partizipationsform richtet sich an Publikumsgruppen, die in einem höheren Maße an den Inhalten mitarbeiten (wollen). Simon (2010: 235ff) unterscheidet hier zwei Formen: Bei der ersten zieht das Museum in konsultativen Projekten (consultative projects) gesellschaftliche Gruppen bzw. Stakeholder hinzu, um deren Perspektive auf die Inhalte des Projekts einfließen zu lassen. Zum Beispiel werden bestimmte Communities von Museen eingeladen, ihre Meinungen, Fragen und Erfahrungen dem Museum mitzuteilen, welche in ein Ausstellungsprojekt einfließen und explizit ausgestellt werden. In der zweiten Form (co-development projects) arbeitet die jeweilige Gruppe auch am Umsetzungsprozess mit, wobei weiterhin das Museum den Projektverlauf steuert und den Rahmen der Inhalte bestimmt (vgl. auch Pointek 2017: 197ff). Bei dieser Form arbeiten die Kooperationspartner_innen im Rahmen eines längeren Prozesses regelmäßig mit dem Museum. Partizipation im Sinne von Mitgestalten (co-creation) Hier liegt die Entscheidungsinstanz innerhalb des vorgegebenen Rahmens nicht beim Museum, sondern gleichermaßen bei der partizipierenden Gruppe. Beide Seiten arbeiten von Projektbeginn an auf Augenhöhe zusammen und entwickeln die Ausstellungselemente gemeinsam (vgl. Simon 2010: 263f; Piontek 2017: 201ff; Blankenberg 2014: 174ff). So kann es sein, dass sich etwa beim Erarbeiten von Ausstellungsinhalten auch die Ansichten der mitgestaltenden Gruppe gegen die der Kurator_innen durchsetzen. Um Professionalisierungsprozesse voranzutreiben, wären daher Beschreibungen und Analysen wünschenswert, in denen genau hingeschaut und der partizipative



Partizipation: Stufe 6 – Mitbestimmung, Stufe 7 – Teilweise Entscheidungskompetenz, Stufe 8 – Entscheidungsmacht



Über Partizipation hinausgehend: Stufe 9 – Selbstorganisation.

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Gehalt von Museumsangeboten kritisch geprüft und somit in seiner Entwicklung weiter angeregt wird. Unter anderem darauf zielte das Praxisforschungsprojekt VieL*Bar bei seiner Untersuchung des Modellprojekts All Included!. 3.3 Das Modellprojekt All Included! und seine pädagogischen Formate Bildungs- und Vermittlungsarbeit erfolgt in einer Chronologie von Abläufen und in einem räumlichen Kontext. In diesem Kapitel soll ausgehend von den Zielen des Modellprojekts All Included! zunächst erläutert werden, welche Entwicklung das Projekt nahm und wie dabei eine temporäre Ausstellung entstand, die wiederum in den vom Forschungsprojekt VieL*Bar begleiteten museumspädagogischen Veranstaltungen im Zentrum stand. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend förderte das Modellprojekt ‚All Included! – Museum und Schule gemeinsam für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt‘ von Januar 2015 bis Dezember 2019. Das am Jugend Museum in Berlin-Schöneberg angesiedelte Projekt gliederte sich in mehrere Phasen: Die Pilotphase mit ‚All Included on Tour‘ und ersten WorkshopVeranstaltungen erfolgte im Frühjahr und Sommer 2015, um zum Thema ‚sexuelle und geschlechtliche Vielfalt‘ erste Interessen, Vorstellungen und Wünsche von Kindern und Jugendlichen in Erfahrung zu bringen. In einer zweiten Phase im September 2015 erarbeiteten Schüler_innen im Rahmen mehrtägiger Lernwerkstätten konkrete Inhalte. In einer dritten Phase von April bis Oktober 2016 stellte das Jugend Museum die Ergebnisse der zweiten Phase in einer Werkschau aus und bot im Rahmen der Ausstellung Workshops an, welche vom VieL*BarTeam begleitet und erforscht wurden (vgl. Tabelle 1). All Included! hatte die museumspädagogischen Prinzipien der Interaktion und Partizipation explizit zum Anspruch. Der partizipative Zugang des Jugend Museums wurde in dem formulierten Vorhaben deutlich, nicht alle Inhalte des Modellprojekts von vornherein festzulegen, sondern sie von Beginn an mit den Kindern und Jugendlichen gemeinsam zu erarbeiten: „Die enge Zusammenarbeit mit Schulen wird im gesamten Projektverlauf als grundlegend und bedeutsam angesehen.“ (Jugend Museum 2016: 61) Hierbei wurde die konkrete Arbeitsgemeinschaft, d.h. der direkte Austausch mit den Kindern betont: „Die zentrale Idee von ‚All Included‘: In verschiedenen Modulen […] Bildungsangebote zu entwickeln und erproben, um mit Kindern und Jugendlichen die Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen über ästhetisch-museale Bildung zu bearbeiten.“ (ebd.). Der partizipative Ansatz, bei dem Jugendliche und Museumsmitarbeiter_innen gemeinsam Inhalte entwickeln, hat im Jugend Museum ei-

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ne lange Tradition.15 Das Museum hat zudem den dabei zugrunde liegenden pädagogischen Anspruch, mit seinem Publikum handlungsorientiert zu arbeiten bzw. ein eigenaktives Lernen zu ermöglichen, in seinem Profil verankert: „Wir experimentieren mit Lernformen und fordern dazu auf, selbst aktiv zu werden […].“16 Die Pädagog_innen im All Included!-Projekt In den meisten Museen sind diejenigen, die tatsächlich mit Kindern und Jugendlichen pädagogisch arbeiten, nicht angestellt. Vielmehr handelt es sich um freie Mitarbeiter_innen. Im Rahmen ihrer freiberuflichen Tätigkeit arbeiten sie oft für verschiedene Träger und bringen pädagogische Erfahrungen aus unterschiedlichen Bildungsbereichen ein (z.B. aus dem Bereich Social Justice, Bildung gegen Antisemitismus oder aus der Theaterpädagogik). Ihre Arbeit ist durch eine ausgeprägte Handlungsautonomie und Flexibilität, aber auch durch hohe Erwartungen an ihre zeitliche Verfügbarkeit und einen prekären Status gekennzeichnet, da die Auftragslage in der Regel die Beschäftigungsmöglichkeiten strukturiert. Die Tiefe und Ausrichtungen der Auseinandersetzungen mit dem Thema variieren, je nachdem ob es sich um ein- oder mehrtägige Fort- oder Weiterbildungen handelt. Da die Zusammensetzung der Teams einer feldspezifischen Fluktuation unterliegt, müssen für eine dauerhafte gemeinsame Verständigungsbasis vergleichbare Fortbildungen wiederholt angeboten (und finanziert) werden. Dies trifft auch für das Jugend Museum und die Bildungsarbeit zur Thematik der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt zu. Die freien Mitarbeiter_innen weisen ganz unterschiedliche Hintergründe auf: Nur einige der Pädagog_innen haben Gender Studies studiert oder studieren es noch und haben damit eine potenzielle „‚akademische Spezialausbildung‘ für Geschlechter-Expert_innen“ (Riegraf/ Vollmer 2014: 44) durchlaufen. Von daher kommen den Teamfortbildungen mit externen Trainer_innen, die das Jugend Museum organisiert, eine große Bedeutung zu, um ein gemeinsames Basiswissen herzustellen. (Busche/Streib-Brzič 2019)

15 So spielte dieser partizipative Ansatz im Rahmen der Ausstellungsentwicklung auch schon bei der Gestaltung der Dauerausstellung Villa Global – the next Generation eine Rolle. Hier arbeitete das Jugend Museum sehr eng mit Gruppen aus der Stadtgesellschaft in Berlin-Schöneberg zusammen. Gast-Kurator_innen und das Museumsteam richteten die Ausstellungsräume gemeinsam ein. Vgl. http://www.museentempelhof-schoeneberg.de/villa-global.html (21.09.2018). 16 https://www.museen-tempelhof-schoeneberg.de/ueber-das-museum-47.html 2018).

(21.09.

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Die Werkschau mit begleitenden Workshops Auch die Werkschau All Included, eine Sonderausstellung des Jugend Museums, wurde kooperativ entwickelt. Sie mit bestimmten Schulkassen vorzubereiten und zu verwirklichen, war das Ziel der pädagogischen Angebote der ersten Monate des Projekts (Partizipation im Sinne der Partizipationsform Mitarbeit/collaboration). In der Werkschau wurden die Ergebnisse aus den gemeinsamen Veranstaltungen der Öffentlichkeit präsentiert. Nachdem die Werkschau konzipiert war, bildete sie über sechs Monate den Ausgangspunkt der pädagogischen Aktivitäten, sie war Grundlage für die begleitenden Workshops mit weiteren Schulklassen (zum Überblick über die Formate vgl. Tabelle 1). Zugleich wurden die Inhalte der Werkschau bzw. der Workshops durch die Beiträge und das dokumentierte Feedback dieser Schulklassen weiterentwickelt, sodass daraus später ein Methodenset – das ‚All Included!‘-Toolkit – für Lehrkräfte entwickelt werden konnte sowie ein über spezielle Koffer transportables Ausstellungsformat mit interaktiven Modulen für den Einsatz in Schulklassen – das Konzept ‚All Included! mobil‘.17

17 Mehr dazu unter: http://www.all-included.jugendmuseum.de/aktuell.html (21.09. 2018).

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Tabelle 1: Chronologie und Genese der Werkschau All Included im Jugend Museum April 2015

2 (Pilot-)Workshops „Think Outside the Box“ (2-mal 5. Klasse)

Mai und Juni 2015

All Included on Tour (an 6 Partnerschulen mit dem JuMuMobil)

Sommerferien 2015

3 Ferienworkshops: „Mach dir selbst ein Bild!“ „Total normal, oder?“ „Typisch Mädchen? Typisch Jungs?“

September 2015

11 mehrtägige Lernwerkstätten mit Klassen der Stufe 4 bis 10: „Gender Check“ (8. Klasse), „Queeres Schöneberg“ (6. Klasse), „We are Family!“ (4. Klasse), „Deine Freiheit, meine Freiheit“ (8. Klasse + 9. Klasse), „Queer leben“ (9. Klasse), „Trans*-Menschen“ (6. Klasse), „Produkt der Zukunft“ (5. Klasse), „Gender Marketing“ (8. Klasse + 10. Klasse), „Queer Fashion“ ( 6. Klasse)

15. April bis 3. Oktober 2016

Werkschau All Included dazu diverse begleitende Workshops und Veranstaltungen (parallel Beobachtungen und Befragungen im VieL*Bar-Projekt)

Da sich die im Praxisforschungsprojekt VieL*Bar untersuchte pädagogische Arbeit in diesen Formaten abspielte und auch die Interviews sich immer wieder auf diese bezogen, werden die verschiedenen Formate im Folgenden vorgestellt, wobei auf die Formate der Werkschau (in Kap. 5) gesondert eingegangen wird.

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All Included on tour – Mit dem JuMuMobil in die Schulen Abb. 1: Das All Included-JuMuMobil

Foto: Marco Ruhlig

Das eigens entwickelte ‚All Included-JuMuMobil‘ (kurz: JuMuMobil) war ein entsprechend gestalteter Bauwagen, der eine kleine vom Museumsteam entwickelte Ausstellung zum Thema ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ enthielt, die im Rahmen von Projekttagen auf Schulhöfen an Berliner Schulen präsentiert wurde. Insgesamt zielte das Mobil darauf ab, mit den Schüler_innen ins Gespräch zu kommen sowie die Bereitschaft zur Mitarbeit zu erhöhen. Einzelne Elemente zielten auch auf die Partizipationsform ‚Beitragen‘ ab, etwa ein Element zur Positionierung mit Klebepunkten. Im JuMuMobil sowie im Klassenzimmer fanden Veranstaltungen mit kooperierenden Klassen statt. Über das JuMuMobil verfolgte das Jugend Museum bereits die didaktischen Ansprüche, die auch in der Folgezeit für All Included! bestimmend waren: „Hier konnten sich die Schüler_innen zum Thema informieren und über interaktive Wahrnehmungsübungen oder Wissensfragen selbst tätig werden“ (Jugend Museum 2016: 62). In den Pausen sowie vor und nach dem Unterricht stand das Mobil für alle weiteren Interessierten offen. Durch den hierüber zustande kommenden Kontakt konnte das Museumsteam mehr über den Interessens- und Wissenstand der Schüler_innen erfahren, „die dem Museumsteam eine Orientierungshilfe für die Weiterarbeit gaben.“ (ebd.). Dabei wurden aber neben Interessen auch Herausforderungen wie Ablehnung, Vorbehalte und Missverständnisse sichtbar, die es im pädagogischen Konzept zu berücksichtigen galt. Ein Veranstaltungstag mit einer

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Klasse und dem JuMuMobil war durch wechselnde Phasen an beiden Lernorten – JuMuMobil und Klassenraum – gekennzeichnet, er lief in der Regel nach folgendem Schema ab: Tag 1: • Begrüßung, Einführung im Klassenraum und Kennlern- und Aufwärmspiel, Aufteilung in 3 Kleingruppen (ca. 40 Minuten) • Hofpause 1 (ca. 20 Minuten) • Kleingruppenarbeit mit Besuch des JuMuMobils, Übung ‚Familienbilder legen‘, Gespräch und verschiedenen Übungen zu diversen Familienkonstellationen – die Gruppen rotieren und haben jeweils ca. 40 Minuten im Mobil bzw. pro Phase (ca. 90 Minuten) • Hofpause 2 (ca. 20 Minuten) • Letzte Arbeitsphase zu Familienkonstellationen / im JuMuMobil (ca. 30 Minuten) • Abschlussgespräch und Abschied (ca. 15 Minuten) Tag 2: • Begrüßung, kurze Erinnerung an Tag 1, Aufteilung in die bereits etablierten Gruppen • Intensivierung eines Themas, das die Teilnehmenden am ersten Tag besonders interessiert hat, Vertiefung von Inhalten und ästhetische Umsetzung in Form von Fotostorys, kurzen Theaterszenen, o.Ä. • Nach der 2. Hofpause: Präsentationen in der Gesamtgruppe (ca. 30 Minuten) • Gemeinsamer Abschluss und Ausblick auf Lernwerkstatt im Jugend Museum Beschreibung ausgewählter Elemente der Ausstellung im JuMuMobil Wer das Innere des JuMuMobils betrat, blickte zunächst auf eine große grüne ‚Was-denkst-du-Wand‘ mit 14 interaktiven Ausstellungsobjekten, die dazu aufforderten, etwas aufzuklappen, zu drehen, zu ziehen oder zu schieben, um Informationen zu erlangen, oder dazu, Inhalte zu kommentieren. Auf ihr war mittig die Frage „Was denkst du?“ zu lesen. Der untere Teil der Wand bot Platz für Notizen und Anmerkungen der Besucher_innen. Zu den 14 Exponaten zählte ein Bildschirm, auf dem der etwa dreiminütige Film Love Has No Labels der gleichnamigen Kampagne der Organisation Ad

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Council lief.18 Er zeigt mehrfach hintereinander je zwei Personen, die auf einer Bühne auf einem öffentlichen Platz hinter einer Leinwand stehen. Vom Publikum aus sind hinter der ‚Röntgen-Wand‘ nur sich bewegende, tanzende, sich küssende und sich umarmende Skelette zu sehen. Nacheinander kommen die Paare hinter der Wand hervor, sodass das Publikum sieht, wer sich hinter den miteinander agierenden Skeletten verborgen hat: Nacheinander folgen Szenen mit einem lesbischen Paar (Einblendung „love has no gender“), zwei Kindern, wovon man einem eine Behinderung ansehen kann (Einblendung „love has no disability“), ein Heteropaar mit unterschiedlicher Hautfarbe (Einblendung „love has no race“) usw.19 Ein weiteres Video-Exponat zeigt ebenfalls einen Kurzfilm, dessen Titel „Finde den Fehler!“ zugleich eine Handlungsaufforderung darstellt:20 Der Film ist im Splitscreen-Verfahren in zwei Hälften geteilt, die jeweils das gleiche Szenenbild zeigen. Ein Liebespaar, links ein Mann* mit einem zweiten Mann*, rechts derselbe Mann* mit einer Frau*, sitzen zusammengekuschelt auf dem Sofa, trinken Sekt und schauen sich augenscheinlich einen Film an. Die Auflösung am Ende des Videos offenbart den ‚Fehler‘: Jeweils am linken Bildrand neben dem Sofa steht eine kleine Pferdefigur, die einmal nach links und einmal nach rechts gedreht ist. Die Filme machen neugierig darauf, worin der Fehler besteht bzw. wer sich hinter dem Screen verbirgt. Beide Filme erzeugen Momente der Irritation, indem sie Antworten geben, die heteronormativen Erwartungen nicht entsprechen und damit gewohnte Wahrnehmungsmuster in Frage stellen.

18 Ad Council: Love Has No Labels, 3.3.2015, https://www.youtube.com/watch?v= PnDgZuGIhHs (21.09.2018). 19 Die Kampagne zielt darauf ab, Vorurteile abzubauen. Über 59 Millionen Menschen haben das Video bereits auf YouTube gesehen (Stand September 2018). 20 Quelle: Zeitimpuls: Finde den Fehler! Gewinner Deutscher Menschenrechts-Filmpreis (2014, Regie Gerhard Prügger), 28.11.2014, https://www.youtube.com/watch?v=9h9oWhcNJs (21.09.2018).

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Abb. 2: Die grüne Wand im All Included-JuMuMobil

Foto: Marco Ruhlig

Im JuMuMobil gab es zudem an beiden Enden jeweils ein Kompartiment, die wie eigene kleine Ausstellungsräume wirkten. Gleich rechts hinter dem Eingang befand sich ein bordeauxroter Vorhang, der eine Kammer mit einer gepolsterten roten Bank als Chill-Area abtrennte. Über der Bank lagen Kopfhörer aus, hier waren z.B. thematisch passende Lieder von Nina Hagen, Conchita Wurst oder Katy Perry zu hören. Auf der einen Seite der Kammer waren sechs ovale Bilderrahmen mit Porträts bekannter Persönlichkeiten zu sehen: Georgette Dee (Künstler* und Diseuse), Zadiel Sasmaz (Bauchtänzer), Klaus Wowereit (Ex-Oberbürgermeister Berlins), Judith Arndt (Profi-Radfahrerin), Heidi Hetzer (Unternehmerin und Rallye-Fahrerin) und Romy Haag (Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin usw.). Biografische Informationen zu den Personen fand mensch in entsprechenden Heftchen. Auf einem kleinen Tisch lagen Stifte, darüber waren eine Halterung mit an die sechs vorgestellten Persönlichkeiten adressierten Postkarten, ein Briefkasten sowie das Hinweisschild „Schreibe eine Postkarte!“ angebracht. Die Tapete, Stoffe, Bilder und die Beleuchtung erzeugten eine gemütliche Atmosphäre. Am linken Ende des JuMuMobils befand sich ein weiteres Kompartiment, eine Dunkelkammer mit Schwarzlichtbeleuchtung (‚Multiple Box‘21), die mit einem Vorhang vom übrigen Teil des Mobils abgetrennt war. Auf einem großen roten Pfeil neben einer Stoppuhr war als Impulsgeber die Aufschrift zu lesen: „TRITT EIN! Du hast genau 3 Minuten Zeit. Wähle aus und leg die Dinge auf das Pult. Drücke den Auslöser fürs Foto. Hänge die Tafeln zurück an die Wand.“ 21 http://www.all-included.jugendmuseum.de/bisher.html (21.09.2018).

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Auf dem Pult befand sich eine Reihe von Magnettäfelchen mit Symbolen von Alltagsgegenständen, die im Schwarzlicht leuchteten. Einige dieser Symbole sind im dominanten Diskurs geschlechtlich konnotiert. Zur persönlichen Zusammenstellung konnten die Nutzer_innen die Symboltafeln, die sie am meisten interessierten, in ein durch weiße Klebestreifen begrenztes Rechteck legen. Darüber war eine Kamera angebracht, die über einen von der Decke hängenden Auslöser bedient werden konnte. Insgesamt zählte dieses Ausstellungselement zu den beliebtesten des JuMuMobils. Es wurde daher in abgewandelter Form auch in der Werkschau präsentiert (Kap. 5.3). Abb. 3: Dunkelkammer mit Blick auf die grüne Wand des ‚All Included!‘-JuMuMobils

Foto: Marco Ruhlig

Die Lernwerkstätten Elf Schulkassen wurden ins Museum eingeladen, um die Inhalte in sogenannten Lernwerkstätten zu vertiefen und damit die Kompetenz zur Reflexion der Schüler_innen zu stärken: „Sie machten sich Gedanken über Geschlechtergerechtigkeit und Rollenbilder, überprüften gesellschaftliche Klischees und eigene Vorurteile“ (Jugend Museum 2016: 62). Als eines der wesentlichen Ziele der Lernwerkstätten führt das Jugend Museum in seinem Magazin an, den Schüler_innen einen pädagogisch gerahmten und damit geschützten Raum zur Auseinandersetzung bieten zu wollen: „Im ‚Schutzraum‘ Jugend Museum fanden die Schüler_innen Zeit und Raum, in einer vorurteilsbewussten Atmosphäre Fragen zu stellen, miteinander zu diskutieren, eigene Haltungen und Einstellungen zu hinterfragen“ (ebd.). Daher erfolgte die pädagogische Arbeit in längeren Phasen in Kleingruppen, die durch ein bis zwei Pädagog_innen begleitet wurde (pro Klasse waren es drei bis fünf begleitende Pädagog_innen). Zudem stellte der außerschu-

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lische Lernort Museum aufgrund seiner eigenen Charakteristika und die Begleitung durch Museumspädagog_innen eine andere Rahmung als in der Schule dar. Als mehrtägige Veranstaltungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten liefen die Lernwerkstätten alle sehr verschieden ab. Dennoch lassen sich als kennzeichnende Merkmale festhalten, dass ein Wechsel an Arbeitsformen sowie an Methoden erfolgte, wobei in den Anfangsphasen Elemente der Theaterpädagogik eingesetzt wurden und später lange Phasen der Eigenaktivität und eine abschließende Präsentation der Ergebnisse aus den Gruppenarbeiten charakteristisch waren. Die elf Lernwerkstätten – wie auch die schon aufgeführten zwei PilotWorkshops mit dem Titel „Think Outside the Box“ und drei Ferienworkshops mit den Titeln „Mach dir selbst ein Bild!“, „Total normal, oder?“, „Typisch Mädchen? Typisch Jungs?“ – hatten die zusätzliche Agenda, Inhalte in Form von Objekten, Fotos, Filmen und Texten für die Werkschau zu generieren. Der Begriff der Lernwerkstatt legt nahe, dass bei diesem Format der Ansatz des entdeckenden Lernens greifen soll, bei dem Kinder und Jugendliche sich relativ selbsttätig und durch vielfältige Materialien der Lernumgebung inspiriert mit Phänomenen auseinandersetzen, wobei die Pädagog_innen als Lernbegleiter_innen agieren, die die Lernerfahrung der Teilnehmenden unterstützen. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen prägen hier die Interessen und Lernwege der Lernenden und nicht Lehrimpulse von Pädagog_innen die Vorgehensweisen (vgl. Kekeritz et al. 2017; Wedekind 2006).22

22 In einem Praxisprojekt im Studiengang ‚Museumsmanagement und -kommunikation‘ wurde etwa die Hälfte der Lernwerkstätten in teilnehmender Beobachtung begleitet (vgl. Drengwitz et al. 2016). Die Untersuchung der Studierenden zeigt, dass die Lernwerkstätten neben Phasen des entdeckenden Lernens ebenso Phasen des angeleiteten direktiven Lernens enthielten. Dahinter stand die Herausforderung, zwei sich teilweise widerstrebenden Ansprüchen gerecht zu werden: einerseits dem Anspruch, der Eigendynamik der Gruppe zu folgen und die durch die Kinder und Jugendlichen aufgeworfenen Themen und Fragen pädagogisch zu bearbeiten, und andererseits dem Anspruch, gemeinsam die Exponate für die Werkschau zu produzieren.

4. Multiperspektivisch & partizipativ – Zum Forschungsdesign des Praxisforschungsprojekts VieL*Bar Mart Busche, Jutta Hartmann

Das Praxisforschungsprojekt ‚VieL*Bar: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der Bildungsarbeit – Didaktische Potentiale und Herausforderungen museumspädagogischer Zugänge‘ (Laufzeit April 2016 bis März 2018) hat sich, sensibilisiert durch die in den Kapiteln 1., 2., 3.1 und 3.2 dargelegten Theorien und Konzepte, auf den Weg gemacht zu untersuchen, wie genau der Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ in der pädagogischen Praxis des Modellprojekts All Included! aufgegriffen wurde. Mittels einer Triangulation von Methoden der qualitativen Sozialforschung wurden pädagogische Interaktionen, Perspektiven der pädagogisch Handelnden sowie die (Re-)Aktionen und entwickelten Lern-Produkte der Kinder und Jugendlichen analysiert. Das Was und das Wie der Bildungsarbeit fokussierend interessierte uns, welche Bedingungen sich als geeignet erweisen, um vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der (musealen) Bildung interaktiv und partizipativ in einer heteronormativitätskritischen Weise zu bearbeiten. Welche Möglichkeiten einer kritisch-dekonstruktiven Öffnung sind mit verschiedenen Zugängen verbunden und welche Herausforderungen dabei jeweils zu beachten? Um eine möglichst umfassende Perspektive auf den Forschungsgegenstand der Bildungsarbeit zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt zu erhalten, haben wir Daten anhand verschiedener Quellen sowie zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten erhoben (vgl. Kap. 4.1). Mit dem Ziel, einen Beitrag zur empirisch gestützten Professionalisierung von Bildungsangeboten zum Thema zu leisten, wurden entsprechend einem partizipativen Handlungsforschungsansatz erste Ergebnisse zeitnah an das pädagogische Team des Jugend Museums zurückgemeldet, um so eine unmittelbare qualitative Weiterentwick-

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lung der erforschten pädagogischen Arbeit zu ermöglichen. Das hierfür gewählte Format der Reflecting Group ermöglicht Wissenschaftler_innen und Praktiker_innen in einer wechselseitig befruchtenden Weise Herausforderungen der Praxis im Lichte wissenschaftlicher Wissensbestände zu diskutieren und dabei „neue Anknüpfungspunkte zwischen praktischem Erfahrungswissen und wissenschaftlichem Wissen“ zu finden (Becker-Lenz et al. 2012: 12) (vgl. Kap. 4.1). Ziel war es, die aus der Perspektivität heteronormativitätskritischer Forschung gewonnenen Erkenntnisse zurück zur konkreten Praxis zu führen und hier nicht nur für diese fruchtbar werden zu lassen, sondern vielmehr auch reflexiv zu überprüfen. In Form von Orientierungslinien sollen die gewonnenen Erkenntnisse darüber hinaus praxisorientiert für das pädagogische Feld bereitgestellt werden (vgl. Kap. 7.). Im Unterschied zu Evaluationsforschung, die häufig als Auftragsforschung oder Dienstleistung den Nutzen eines Programms bewertet und letztlich dessen Legitimation dient, stellt Praxisforschung ein theoriegeleitetes empirisches Projekt dar, das systematisch auf Praxisentwicklung wie Theoriebildung bzw. auf eine ethisch begründete Veränderung der Praxis ausgelegt ist. Das Forschungsprojekt VieL*Bar hat sich orientiert 1. an den Erkenntnissen der poststrukturalistischen Gender und Queer Theory, konkret am Konzept der Heteronormativität und seiner Kritik, 2. an Erkenntnissen kritischer Bildungstheorie und Professionsforschung, konkret am Konzept einer Pädagogik vielfältiger Lebensweisen mit seiner kritisch-dekonstruktiven Perspektive auf die Kategorien Geschlecht, Sexualität und Lebensform und an strukturtheoretischen Professionalisierungstheorien, 3. an Konzepten der Intersektionalität mit ihrem Anspruch, das Zusammenwirken verschiedener machtvoller Differenzkategorien zu untersuchen, sowie 4. an Modellen der Interaktion und Partizipation in Museen (vgl. Kap. 2. & 3.). An der Schnittstelle von Gender und Queer Studies und Bildungs- bzw. Professionalisierungsforschung stehen Fragen zu pädagogischem Handeln mit Blick auf das Themenfeld, das aktuell unter dem Schlagwort ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ verhandelt wird. Entlang dieser geht es uns um präzise Einblicke, um Beschreibungen von Situationen und Explikationen von Erfahrungen, die entsprechend der angezeigten Perspektivität der Forschung in spezifischer Weise erfasst und ‚erkannt‘ werden. Intendiert ist es, die Wahrnehmung zu sensibilisieren und Zusammenhänge besser zu verstehen. Eine übergreifende These ist, dass pädagogisches Handeln zum Themenfeld der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt in Antinomien eingebunden ist, die eine kontinuierliche kritische Auseinandersetzung als Teil eines kollektiven Professionalisierungsprozesses notwendig machen (vgl. Kap. 2.5). Zugleich stellt der Professionalisierungsprozess

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selbst einen herausfordernden Prozess dar, in dem ständig konstruiert, rekonstruiert und dekonstruiert wird – und zwar im Hinblick auf intersektional unterschiedliche Differenzkonstruktionen und -verhältnisse. 4.1 VieL*Bar – Didaktischen Potenzialen und Herausforderungen auf der Spur Die Laufzeit von VieL*Bar begann kurz nach der Eröffnung der Werkschau von All Incuded! (vgl. Kap. 3.3). Ein wesentlicher Bestandteil der Datenerhebung bestand daher zunächst in der Dokumentation ausgewählter Exponate der Werkschau und des Bauwagens anhand von Fotografien und einer präzisen Beschreibung der einzelnen Stationen. Es galt, die vermittelten Inhalte, die Art und Weise der Vermittlung und ihr Partizipationsangebot festzuhalten. In der Materialanalyse wurde vor dem Hintergrund museumspädagogischer Zugänge untersucht, welche Sinngehalte bzw. Symbole sich in den visuellen Kommunikant_innen finden, also in Bildern, Filmen, Objekten oder Texten, die Informationen, Gefühle, Aktivierungsangebote etc. übermitteln. Wie wird die museale Kommunikation zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen hier gestaltet? Und wie kann diese für eine partizipative bzw. interaktive Auseinandersetzung mit dem Thema genutzt werden (vgl. Kap. 5)? Zugleich fanden in 18 Workshops, welche die Werkschau begleiteten und die auch anhand von Feldprotokollen dokumentiert wurden, teilnehmende Beobachtungen statt. Es handelte sich um eine Form der passiven teilnehmenden Beobachtung (vgl. Atteslander 2008: 85), bei der die Forschenden zwar als Beobachtende am Geschehen teilnahmen, wie auch zuvor offengelegt wurde, aber ohne aktiv in dieses einzugreifen oder es über ihre Anwesenheit hinaus zu beeinflussen. Leitende Aufgabenstellung für die systematische Beobachtung war es, allgemeine Abläufe, den Kontakt zwischen Teilnehmenden, Pädagog_innen und Exponaten im Museum sowie die Art und Weise, wie Geschlecht und Sexualität thematisiert wurden, wahrzunehmen und in Feldprotokollen festzuhalten. Dabei ging es darum, den eigenen Empfindungen strukturiert Ausdruck zu verleihen, von einer „eher passiven Wahrnehmung zur aktiven Suche“ (Merkens 1992: 218) nach heteronormativitätskritischen Potenzialen zu kommen und die ‚Regeln des Feldes‘ zu erschließen. Die Reflexion dieser Entwicklung stellte bereits den ersten Teil der Auswertung dar und generierte offene Fragen. Aus der Reflexion der abgeschlossenen Feldbeobachtung wurde der erzählgenerierende Teil des Leitfadens für Einzelinterviews mit dem Team des Jugend Museums entwickelt. Im Auswertungsverlauf wurde immer wieder auf die Feldprotokolle zurückge-

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griffen, z.B. um Interviewsequenzen zu entschlüsseln oder bestimmte Abläufe von Methoden nachzuvollziehen. Ein Kernstück der Forschung stellen die 14 leitfadengestützten Einzelinterviews dar, die teilweise mit erzählgenerierenden Impulsen verbunden waren. In ihnen wurden die pädagogischen Mitarbeiter_innen des Jugend Museums zu Herausforderungen, Gelingensbedingungen und anderen konkreten Erfahrungen im Kontext von All Included! befragt. Im Fragebogen befanden sich wissensorientierte Fragen, wie z.B. „Welche Ziele verfolgst du mit deiner pädagogischen Arbeit bei All Included?“. Zudem haben wir auch erzählgenerierende Fragen zum Erleben konkreter Situationen gestellt, die eine Möglichkeit zum Darstellen praktischen Handlungswissens boten, z.B. „Welche Erfahrungen hast du mit Abwehrreaktionen gemacht?“, „Wie gehst du mit Abwehr um?“. Zum Abschluss der Einzelinterviews wurde eine Strukturlegemethode (in Anlehnung an Scheele/Groeben 1984) angewandt, die das Potenzial hatte, Elemente, die „zum Gelingen einer produktiven heteronormativitätskritischen Lernsituation in einer pluralen Gesellschaft“ beitragen (VieL*Bar-Fragebogen, Hervorh. i. Orig.), zu visualisieren.1 Als Kontextmaterial wurden zusätzlich drei leitfadengestützte Interviews mit Lehrer_innen/Sozialpädagog_innen realisiert, die mit ihren Schüler_innen an All Included! teilgenommen hatten. Hier wollten wir etwas über die schulische Einbettung der Workshops und ihre Wirkungen erfahren. Alle Interviews wurden vollständig transkribiert und anschließend pseudonymisiert. Um Geschlechtszuschreibungen einzugrenzen, die zwangsläufig entstehen, wenn männlich oder weiblich konnotierte Vornamen verwendet werden, haben wir uns für eine Pseudonymisierung mit geschlechteroffenen Vornamen entschieden. Schließlich wurden drei Gruppendiskussionen in Reflexions-Workshops durchgeführt, bei denen Mitarbeitende des Jugend Museums und in zwei Fällen auch weitere Expert_innen aus der Bildungs-, Beratungs- und Museumsarbeit zugegen waren. Hierbei wurden Beobachtungen und erste Erkenntnisse der Forschung präsentiert und eine Relationierung unterschiedlicher Wissensbestände versucht (vgl. Kap. 6.5). Um die Fachdebatte voranzubringen, erschien es sinnvoll, nicht nur das Gelingen herauszustellen, sondern insbesondere auch auf die Herausforderungen und Mechanismen zu blicken, die dazu führen können, dass entgegen besserer Absicht hierarchische Verhältnisse zwischen den Lebenswei-

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Eine strukturierte Auswertung konnte in der Kürze der Projektlaufzeit nicht erfolgen, einzelne Aussagen flossen aber in die empirische Analyse ein. Mit dem Material der Strukturlegetechnik wurde zudem von Franzi Fiene und Hannah Meyer eine gemeinsame Masterarbeit zur Frage des pädagogischen Könnens in der Bildungsarbeit zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt an der Alice Salomon Hochschule verfasst.

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sen reproduziert und/oder (einzelne) Akteur_innen des Bildungsprozesses (in ihrem Selbstverständnis oder ihrer Lebensweise) verletzt oder überfordert werden. Die Reflexions-Workshops zeichneten sich durch große Diskussionsfreude bei den Pädagog_innen und den anwesenden Kooperationspartner_innen aus. Da jede Methode durch ihre jeweilige Herangehensweise charakterisiert ist, bringt sie auch den Forschungsgegenstand auf je spezifische Weise hervor. In der Auswertung wurde ein Between-Method-Ansatz verwendet, bei dem bestimmte ‚Stärken‘ der verschiedenen Methoden genutzt werden, während sich ihre ‚Schwächen‘ möglichst gegenseitig nivellieren (vgl. Denzin 2009: 310). Lassen sich z.B. mit der Qualitativen Inhaltsanalyse große Materialmengen theoriegeleitet abstrahieren und ordnen, blendet diese Methode Spezifika einzelner alltagsrelevanter Problemstellungen aus, die sich vor allem in Schilderungen konkreter Situationen zeigen. Diese wurden daher, um Handlungsorientierungen rekonstruieren zu können, mit der Dokumentarischen Methode exemplarisch ausgewertet, verglichen und typisiert. Hierbei wurden zwar normative Imperative aufgenommen, diese aber nicht hinsichtlich ihrer Produktionsmechanismen und dethematisierten Verweise analysiert. Dies zu leisten, kommt wiederum der Diskursanalyse mit ihrem macht- und normenkritischen Blick zu. Es ging uns bei dieser Methodentriangulation also nicht nur darum, methodische Einschränkungen durch Einsatz weiterer Methoden zu kompensieren, sondern auch darum, durch methodische Vielfalt zu einer größeren Präzision, Tiefe und Breite der Analyse zu kommen, um dem Erkenntnisgegenstand möglichst gerecht zu werden. Um diese mehrperspektivische Herangehensweise durch eine theoretische Reflexion abzusichern (vgl. Wrana 2014: 622), wird im Folgenden kurz auf die einzelnen Methoden, ihre Reichweiten und Aufgaben eingegangen. Mit der Qualitativen Inhaltsanalyse lassen sich „Texte systematisch analysieren, indem […] das Material schrittweise mit theoriegeleitet am Material entwickelten Kategoriensystemen bearbeitet“ (Mayring 2016: 114) wird. Mit dieser Methode konnten die großen Textmengen geordnet und entlang bestimmter Themen sortiert werden, sodass sie übersichtlich wurden. Kategorien, die für eine heteronormativitätskritische Bearbeitung interessant waren, wurden zusammengefasst und ihre Sinnelemente herausgearbeitet. Es wurde analysiert, was Pädagog_innen als herausfordernde und gelingende Situationen deuten und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen (vgl. Kap. 6.1 & 6.2). Die Qualitative Inhaltsanalyse stellt eine querschnittlich-thematische Auswertung anhand der theoriegeleitet entwickelten Kategorien des Interviewleitfadens zur Verfügung. Da dieser maßgeblich auch erzählgenerierende Fragen enthielt, wurden weitere Kategorien induktiv aus dem Material gewonnen. Wir verstehen die Qualitative Inhaltsanalyse hierbei als interpretativ-deskriptives Verfahren, da es mit der An-

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ordnung der Kategorien möglich ist, einen Gegenstand zu beschreiben, die Zuordnung zu Kategorien jedoch ein interpretativer Akt ist, insbesondere in der Bearbeitung narrativer Interviewanteile. Die Resultate der thematischen Codierung ermöglichten Aussagen sowohl zu Bedingungen der herausfordernden Situationen als auch zu potenziellen Entwicklungsfeldern, z.B. für die Bereiche der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die sich queerfeindlich äußerten oder zur notwendigen Ausstattung mit geschlechtsbezogenem Fachwissen. Ergebnisse der Inhaltsanalyse wurden auch in den Reflexions-Workshops genutzt, um den Pädagog_innen geordnetes Wissen zur Verfügung zu stellen. Dabei wurde mit einem diskursanalytischen Blick auch das in der so hergestellten Ordnung Abwesende ergänzt. Im Sinne der Methodentriangulation wurde das Interviewmaterial zugleich mit der Dokumentarischen Methode bearbeitet, welche als rekonstruktiv-interpretatives Verfahren die Dimension des impliziten Wissens fokussiert. Im Anschluss an Karl Mannheim wird in der dokumentarischen Methode nach kommunikativem, theoretisch vermitteltem Wissen und konjunktivem, implizit verhandeltem Wissen unterschieden, wobei Letzteres vor allem bei der Kommunikation zwischen Personen mit derselben Sozialisationsgeschichte oder im gleichen Handlungskontext zum Tragen kommt. Bei der Rekonstruktion des impliziten Wissens interessiert vor allem die Herstellung von Realität im Vollzug von Handlungen (vgl. Bohnsack et al. 2001: 11). Im Praxisforschungsprojekt VieL*Bar bildeten Oberkategorien aus der Qualitativen Inhaltsanalyse (z.B. „Abwehrreaktionen“) die relevanten Themenbereiche, innerhalb derer verschiedene Sequenzen miteinander kontrastiert wurden. Die teils deduktiv, teils induktiv gewonnenen Unterkategorien (z.B. „Abwehr in Bezug auf Thema Sexualität“) wurden als Vergleichsmerkmale genutzt und erschienen z.B. als begrenzende oder prozessorientierte Orientierungshorizonte im Umgang mit queerfeindlichen Reaktionen auf Seiten der Kinder und Jugendlichen (vgl. Kap. 6.3). Im Umgang mit sozialen Differenzen wurde eine Typisierung von Handlungsorientierungen bei den Pädagog_innen herausgearbeitet, die 1. auf das Herstellen von Nähe und persönlichem Bezug zu den Kindern und Jugendlichen ausgerichtet war, 2. das Leben der Kinder und Jugendlichen als widersprüchlich und als Bewältigungsaufgabe in den Blick nahm und 3. den Kontakt zur Zielgruppe distanziert-begleitend gestaltete (vgl. Kap. 6.4). Der erste Typus ist dadurch charakterisiert, dass in der pädagogischen Interaktion aufscheinende soziale Differenzen affirmiert und tendenziell reifiziert werden; dies steht einem heteronormativitätskritischen Zugang eher entgegen. Der zweite Typus greift lebenspraktische Fragen auf und adressiert die Vereinbarkeit unterschiedlicher, vermeintlich widersprüchlicher Identitätsfacetten und eröffnet aufgrund eines Bewusstseins über gesellschaftliche Diskurse die Möglichkeit, im Kontext der

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eigenen Lebensbedingungen über Zugehörigkeiten als unterschiedlich vermittelt zu reflektieren. Der dritte Typus reflektiert die Äußerungen von Kindern und Jugendlichen, in denen Differenzen affirmiert werden, in ihrer Funktion und stellt alternative Wissensangebote neben die postulierten Positionierungen, um die Absolutheit der Äußerungen offensiv zu kontrastieren und porös werden zu lassen. Bei diesem Typus entsteht damit auch die Möglichkeit, nicht-heteronormative Optionen zu eröffnen, da hier Differenzen hinterfragt und irritiert werden. Anhand der exemplarischen Rekonstruktionen mit der Dokumentarischen Methode können auch die komplexen Problemstellungen des pädagogischen Alltags nachgezeichnet werden und in der ausführlichen Darstellung wird durch die Durchsetzung mit reflexiven Einlassungen deutlich, wie sehr die Arbeit durch Selbstbeobachtungen und theoretisierendes Nachdenken strukturiert ist. Diskursanalysen intervenieren in die Produktion unhinterfragter Selbstverständlichkeiten, indem sie Diskurse darauf hin untersuchen, inwieweit sie normative Ordnungen reproduzieren, transformieren oder in neuer Weise hervorbringen (vgl. Hartmann 2002: 177ff). Dabei werden Diskurse als eine Verbindung von Wissen und Macht begriffen. Diskurse scheiden Sagbares und Nichtsagbares, bringen hegemoniales und marginalisiertes Wissen in Umlauf, konstituieren damit auch entsprechende Subjektivierungsweisen sowie bestimmte Verständnisse vom Selbst und der Welt und ermöglichen oder begrenzen somit das jeweilige Handeln der Subjekte. Um heteronormative Muster in den erhobenen Daten zu identifizieren und zu analysieren, galt es zu betrachten, welche geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen überhaupt sichtbar und welche Wirklichkeiten, welches Wissen, welche Wahrheiten hervorgebracht werden. Es galt weiter zu fragen, inwiefern nichthegemoniale Lebensweisen, die im Datenmaterial aufscheinen, in der Gesellschaft bekannt, repräsentiert und grundsätzlich anerkennbar sind und inwiefern dieser Status in der pädagogischen Situation reflektiert wird. Dies erscheint wichtig, da der Zugang zu einem handlungsfähigen Subjektstatus über Anerkennungsdiskurse hergestellt wird. In der Diskursanalyse ist die Produktion von (normativen) Differenzen besonders von Interesse: Welche Differenzen und differenziellen Figuren werden in der Bildungsarbeit hervorgebracht und wie werden sie ggf. normativ aufgeladen? Aus einer diskursanalytischen Perspektive wurden einzelne Aspekte in der Werkschau bzw. in den Feldprotokollen der teilnehmenden Beobachtung hinsichtlich Normsetzungen, Differenzkonstruktionen und Mechanismen des Otherings (siehe Beispiel in Kap. 4.2) betrachtet.2 So analysierten wir beispielsweise einen in einer Lern-

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Ausgewählte Erkenntnisse sind bereits veröffentlicht (Hartmann/Busche 2017; Busche 2018; Hartmann/Busche 2018).

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werksatt produzierten und in der Werkschau ausgestellten Videofilm, in dem zwei Jugendliche, deren Mitschüler_innen das Publikum bilden, die in Berlin lebende DJ und Produzentin İpek İpekçioğlu anhand vorbereiteter Fragen zu ihrem lesbischen Leben und zu ihrer familiären Migrationsgeschichte befragen (vgl. Hartmann/Busche 2017). Wir arbeiteten heraus, wie der dominante heteronormative Diskurs und die vorherrschende weiße Mehrheitsperspektive in ihren überkommenen Darstellungs- und Wahrnehmungsmustern durch eine – hier aus transkultureller, lesbischer Perspektive erzählte – Lebensgeschichte durchbrochen werden und die vorherrschende normative und defizitorientierte Verbindung von ‚homo/trans‘ und ‚Problem‘ zugleich in Frage gestellt wird. Eine Selbstverständlichkeit von Biografien, in denen sich queere Sexualitäten und transkulturelle Zugehörigkeiten überlagern (vgl. Kosnick 2010: 146f), konterkariert gängige Vorstellungen, denen eine Aufspaltung in eine homophile weiße Moderne und eine homophobe türkische Tradition zugrunde liegt. Diese vorherrschenden Verbindungen können so als Teile eines heteronormativen wie rassistischen Diskurses erkenn- und bearbeitbar werden. In den Reflexions-Workshops (Reflecting groups) wurde sowohl mit offenen Diskussionen gearbeitet wie mit methodisch strukturierten Formaten. Die Methode des Reflecting Team beruhte dabei darauf, dass die Praktiker_innen in einem Stuhlkreis sitzen und sich über frei gewählte Aspekte eines zuvor von den Wissenschaftler_innen präsentierten Forschungsergebnisses austauschten, während die außerhalb sitzenden Forschenden nur lauschten.3 Wie Annegret Wigger et al. (2012) beschreiben, führt die Methode bei beiden Gruppen zu neuen Erkenntnissen, indem sie sie dazu anleitet, „sich wechselseitig den jeweils andersartigen Wissensfundus zu erschließen, miteinander bedeutsame Anschlussstellen zu identifizieren und dann mit jeweils verschiedener Perspektive die Relationierung zu leisten“ (ebd.: 256). Während die offenen Diskussionsformate eher ein gemeinsames Suchen nach Deutungen und Lösungen beinhaltete, konturieren sich in der Methode des Reflecting Team im Innenkreis die feldspezifischen Wissens- und Erfahrungsbestände wesentlich deutlicher. Der Grundgedanke, Hierarchieebenen zu flexibilisieren und den Praktiker_innen Reflexionsräume anzubieten, in denen sie unter Bezugnahme auf die empirischen Erkenntnisse Anschlussstellen wählen und vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen überprüfen, zurückweisen, integrieren oder weiterdenken können, war für uns als Wissenschaftler_innen-Team handlungs-

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Der Ansatz wurde im Rahmen der systemisch-lösungsorientierten Therapie entwickelt (Anderson 1990) und ist seitdem für andere Bereiche, wie die der Mediation, Supervision und Intervision sowie der Pädagogik, adaptiert worden.

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leitend, als wir uns entschlossen, die Methode in den Reflexions-Workshops einzusetzen.4 Die Auswertung ausgewählter Sequenzen erfolgte mit einem diskursanalytischen Instrumentarium, mit dem Othering-Prozesse in den Blick genommen werden konnten, sowie mit Auswertungstechniken der Dokumentarischen Methode, mit denen z.B. die Diskursorganisation betrachtet wurde. Es ging hierbei jedoch nicht darum, das gemeinsame Handlungswissen herauszuarbeiten, sondern die Relationierung unterschiedlicher Wissensbestände zu analysieren und Eckpunkte einer weiteren Professionalisierung zu markieren (vgl. Kap. 5.5). Unser theoretisches Instrumentarium (vgl. Kap. 1., 2. & 3.) haben wir durchgehend im Sinne ‚sensibilisierender Konzepte‘ (vgl. Blumer 1954) angewandt, insofern wir es nicht normativ eingesetzt haben, um etwa Aussagen über eine gelingende oder misslingende Professionalität zu treffen, sondern deskriptiv im Sinne der Grounded Theory (Alheit 1999). Als „Denkinstrumente“ begriffen liefern sensibilisierende Konzepte „die theoretischen Konzepte und Begriffe, mit denen die Forscherinnen in der Konfrontation mit der Empirie arbeiten“ (Dausien 1994: 140). Diese bestimmen die Perspektive, bleiben jedoch offen für andere Sichtweisen. In Anlehnung an Polat (2017: 197f) ging es uns darum, einen „zirkulierenden Dialog zwischen Theorie und Empirie“ zu führen, in dem einerseits die sensibilisierenden Konzepte heuristisch zum Verständnis der empirischen Daten herangezogen und andererseits aus der Empirie die theoretischen Ansätze weiterentwickelt werden können. Dem Gebot der Intersubjektivität folgten wir insoweit, als wir im Rahmen von zweiwöchentlichen Teambesprechungen in einem ständigen gemeinsamen Reflexionsprozess der Forschenden standen. Zusätzlich waren die wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen durch die Begleitung eines_r teilnehmend forschenden Studierenden des Masterstudiengangs ‚Praxisforschung in Pädagogik und Sozialer Arbeit‘ der ASH Berlin beständig herausgefordert, ihre Rolle, Sichtweise und ihr Einflusspotenzial zu hinterfragen. Darüber hinaus sorgten wir durch einen kontinuierlichen Austausch mit den Beforschten – nicht nur in den ReflexionsWorkshops – für Transparenz und Verständigung. Damit verbunden war auch der Versuch, unseren Standpunkt als weißes, kaum beeinträchtigtes Forschungsteam mit unterschiedlichen geschlechtlichen und sexuellen Selbstverständnissen und Lebensweisen – cisgeschlechtlich und non-binary, lesbisch, queer und heterosexuell – in selbstreflexiver Distanz bewusst zu halten.

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Dabei ist kritisch anzumerken, dass wir mit vielen Inhalten in sehr begrenzter Zeit hantiert haben und dass hier längere Diskussionszeiten angeraten gewesen wären, um einzelne Aspekte tiefergehend zu bearbeiten.

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4.2 Critical Fellows – Einen kritisch-dekonstruktiven Blick anbieten Wir begreifen Heteronormativitätskritik als ein umfassendes Konzept, das nicht bei der Frage nach Sichtbarkeit von LGBTIQ+ oder nach Anti-Diskriminierung stehen bleibt, sondern vielmehr auch eine macht- und identitätskritische Ausrichtung umfasst (vgl. Kap. 2.3 & 2.5). Unserer Erfahrung nach stellt es allerdings für die Bildungsarbeit wie für die Forschung zu pädagogischen Ansätzen im Feld geschlechtlicher und sexueller Vielfalt eine große Herausforderung dar, die Aspekte von Kritik und Dekonstruktion – d.h. die Infragestellung von bestehenden Machtverhältnissen und von (vermeintlich) feststehenden Identitäten – nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn dies von Seiten der Pädagogik aus gewünscht ist, kann die Forschung die Aufgabe eines Critical Fellows5 übernehmen und bezogen auf die genannten Aspekte immer wieder kritische Rückmeldungen geben. Diese Aufgabe stellt wiederum insofern eine Herausforderung dar, als zum einen auch die Forschung beim Eintauchen ins Feld Kritik und Dekonstruktion aus dem Blick verlieren kann. Zum anderen sind im Verhältnis zwischen wissenschaftlicher und pädagogischer Praxis Machtgefälle und -dynamiken wahrscheinlich und selbstkritische Reflexionen von (möglichen) Spannungsverhältnissen wichtig. Die Herausforderung für eine Forschung zu pädagogischer Praxis liegt damit in einem Ausbalancieren von wertschätzendem und kritischem Feedback, mehr noch: in der Suche nach einem Verhältnis, in dem beide Seiten in einer Erörterung queertheoretischer Perspektiven miteinander zu neuen Erkenntnissen kommen und dabei Verbündete in einem kollektiven Professionalisierungsprozess sein können. Im Praxisforschungsprojekt VieL*Bar haben wir versucht, dies durch die gemeinsamen Reflexions-Workshops umzusetzen und im Dialog von Wissenschaftler_innen und Pädagog_innen einen wechselseitigen Erkenntnisgewinn mit Motivation zur Selbstreflexion und Weiterentwicklung der eigenen Arbeit zu verbinden. Wichtig dabei war und ist es, immer wieder zu betonen, dass es sich bei den meisten der im Forschungsprozess festgestellten und rückgemeldeten Phänomene und Mechanismen um solche handelte, die nicht nur bei All Included! auftreten, sondern die paradigmatisch für weite Teile der Fachdebatte zu sein scheinen. Da wir im Rahmen dieses Buches die diskursanalytischen Betrachtungen nicht vertiefen können, möchten wir an dieser Stelle ein Beispiel darstellen, welches wir in einem Reflexions-Workshop ausführlich diskutiert haben und in dem

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In Anlehnung an das pädagogische Konzept der Critical Friends (Costa/Kallick 1993) sprechen wir für den Forschungskontext von Critical Fellows.

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Mechanismen sichtbar werden, die häufig auch jenseits von All Included! in der pädagogischen Arbeit auftreten. Es geht um das beobachtete Phänomen des Hervorbringens von Anderen, um den Prozess des Otherings. Im Rahmen der Postcolonial Studies entwickelt, markiert dieser Begriff die Konstruktion der_des Anderen als einen „machtvolle[n] Prozess des Different-Machens, der Ausgrenzung und der Hineinrufung in eine untergeordnete Position“ (Riegel 2016: 54). In der Werkschau von All Included! gab es eine Station mit dem Titel „Trans*Menschen“. Auf dem erläuternden Stationsschild wurde unter der Frage „Was?“ kurz begründet, wie es zur Bearbeitung des Themas in einer Lernwerkstatt kam, dann wurde folgende Intention formuliert: „Eines der Ziele war sichtbar zu machen, dass Trans*-Menschen nicht außerhalb der Gesellschaft lebten und leben, sondern mitten unter uns.“ Doch von welchem Standort aus wird so auf Trans*Menschen geblickt? Welche Perspektive wird angeboten, um den eigenen Blick auszurichten? Es ist ein Wir, aus dem Trans*-Menschen von vornherein ausgeschlossen sind. Demgegenüber würde kaum ein Mensch auf die Idee kommen, in einer Ausstellung zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt festzustellen, dass Heterosexuelle mitten unter uns sind. – Nebenbei: Warum eigentlich nicht? Vielleicht wäre eine solche Irritation der Denkgewohnheiten eine sehr gute Möglichkeit, um die gängigerweise unmarkierte und unhinterfragte Selbstverständlichkeit als solche bewusst werden zu lassen. Den Mechanismus des Otherings finden wir auch darin, dass – obwohl der Untertitel von All Included! „Museum und Schule gemeinsam für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“ lautet – ein nicht unbedeutender Teil dieser Vielfalt ausgeblendet bzw. nur ganz selten explizit angesprochen wurde: heterosexuelle Lebensweisen und Cis-Geschlechtlichkeit. Es wirkte fast so, als stehe der Term ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ gleichbedeutend für LGBT bzw. manchmal auch erweitert für LGBTI. Dies gilt genauso für weite Teile der Fachdebatte. Nun könnte argumentiert werden, dass heterosexuelle Lebensweisen und CisGeschlechtlichkeit in Schule, Medien, Werbung allgegenwärtig sind und der kostbare Raum, der z.B. im Jugend Museum für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt zur Verfügung steht, mit den ansonsten zu kurz gekommenen, den Kindern und Jugendlichen nicht so geläufigen Lebensweisen gefüllt werden sollte. Diesem Argument ist zuzustimmen und zugleich zu widersprechen. Es ist zu bedenken, dass, wenn wir unter ‚Vielfalt‘ nur LGBTIQ+ thematisieren, wir statt der vormaligen Gegenüberstellungen von homo- und heterosexuell, cis- und transgender die Dichotomie von Norm vs. Vielfalt aufzuspannen beginnen. Dies reproduziert das Grundmuster von Norm vs. Abweichung und lässt Vielfalt quasi zum modernisierten Code für das Andere werden. Provokant gefragt: Ist ‚Vielfalt‘ die neue ‚Abweichung‘? Auch mit einer inhaltlichen Fokussierung auf

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LGBTIQ+-Lebensweisen ist so gesehen ein Prozess des Otherings verbunden. Indem etwas als Besonderes Benennung erfährt, verbleibt das vermeintlich Eigentliche – und das ist entscheidend – mitsamt seinen Privilegien und sozialen Ressourcen unmarkiert und fungiert unhinterfragt weiter als das Selbstverständliche und Allgemeine. Die Norm bleibt ohne Namen. Die Soziologin GudrunAxeli Knapp hebt hervor, dass „die Nicht-Markierung des dominanten Allgemeinen […] die Perfektion eines überaus wirksamen […] Exklusionsmechanismus der Moderne“ (Knapp 2010: 227) darstellt – und dies steht deutlich im Kontrast zum angestrebten Ziel der Inklusion. Auch diesen Mechanismus finden wir häufig in der Debatte zu ‚geschlechtlicher und sexueller Vielfalt‘ in der Pädagogik. Ein Modellprojekt zu untersuchen, das sich in Sachen heteronormativitätskritische Bildung gerade auf den Weg begibt und dem gängigen Topos folgend ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ zum Inhalt außerschulischer Bildungsarbeit macht, erfordert einen behutsamen Umgang. Die Herausforderung liegt darin, anknüpfend an bestehende Theoriedebatten empirische Erkenntnisse und neue theoretische Einsichten zu produzieren, die hilfreich für heteronormativitätskritische pädagogische Handlungsweisen sein können. Welche Elemente und Wissensbestände finden sich in diesem spezifischen Feld? Wo liegen Fallstricke? Welche Widersprüche werden zu ständigen Begleiter_innen? Diese Einsichten gilt es dann so zu vermitteln, dass heteronormativitätskritische Professionalisierungsprozesse in der pädagogischen Praxis unterstützt werden können. Durch ein Nachvollziehbar-Machen von Mechanismen, mit denen in der pädagogischen Bearbeitung des Themas ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ entgegen der eigentlichen Intention dazu beigetragen wird, hierarchische Verhältnisse zwischen den Lebensweisen zu reproduzieren oder in neuer Weise hervorzubringen, kann möglicherweise zu einer weiteren Annäherung an die eigenen (theoretischen) Ansprüche beigetragen werden. Pädagog_innen wie Forscher_innen sind gefordert, den schwierigen Spagat zu versuchen, Komplexität einerseits punktuell geschickt zu reduzieren und gleichzeitig aufrechtzuerhalten, um das Gesamtphänomen nicht aus dem Blick zu verlieren. Für die Forschenden gilt in besonderem Maße, kontinuierlich die eigene Arbeit nicht nur auf eigene Ausblendungen und unhinterfragte Selbstverständlichkeiten, sondern auch darauf hin zu überprüfen, inwiefern die eigene theoretische Orientierung auch tatsächlich beibehalten und nicht auf normalistische Wege eingebogen wird. Die Forschung von VieL*Bar fand in einem zeitlich eng begrenzten Rahmen von zwei Jahren statt. Dies ermöglichte nur ausschnitthafte Einsichten in das auf fünf Jahre angelegte Modellprojekt All Included!. Schließlich macht der begrenzte Raum dieser Buchpublikation eine Auswahl der erzielten Erkenntnisse

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nötig. Gleichwohl hoffen wir, mit der vorliegenden Publikation einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Forschungsfeldes wie der Praxis zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen zu leisten.

5. Vermittlungsarbeit mit Ausstellungselementen – Die Werkschau All Included! Tobias Nettke

Da die Räume und die in diesen über Ausstellungselemente dargebotenen materiellen Impulse prägend für museumspädagogische Vermittlungsarbeit sind (Nettke 2016a: 33f), soll im Folgenden auch der räumliche Kontext der LehrLern-Settings, d.h. die Gliederung der Ausstellungsräume und die Struktur der dargebotenen Ausstellungselemente beschrieben werden (Kap. 5.1). Es wird herausgestellt, dass die gemeinsame Beschäftigung mit der Ausstellung ein wesentliches Element der Workshops mit den Kindern und Jugendlichen war (Kap. 5.2). Aufbauend darauf werden ausgewählte Inhalte und Methoden beschrieben und analysiert, um Potenziale, Herausforderungen und mögliche Lösungswege herauszuarbeiten (Kap. 5.3-5.6). Schließlich ordnen wir das Beschriebene verschiedenen Partizipationsformen zu (Kap. 5.7). Ein besonderer Fokus liegt auf der Betrachtung der Impulse, die zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema bzw. den ausgestellten Materialien auffordern, sowie auf den jeweiligen Reaktionen der Akteur_innen auf diese Impulse (die Handlungen oder Interaktionen untereinander). Impulse können Textlabels sein, die zur Nutzung von Objekten oder Materialien einer Station aufrufen, oder auch verbale Aufforderungen, sich einer Tätigkeit zuzuwenden. In der Regel leiten sie die Aktivität in einer Vermittlungsmethode ein (Nettke 2016b: 181). Aber auch nonverbale Reize, also Objekte können Impulse sein, insofern sie über ihre Qualität, ihre Struktur, Farbe, Größe, Bewegung oder andere Besonderheiten Interesse bei den Betrachtenden wecken und sie ggf. dazu animieren, sich ihnen zuzuwenden, sie anzufassen, auszuprobieren oder darüber mit anderen zu kommunizieren. Impulse finden sich somit a) in den Ausstellungselementen, die Museumspädagog_innen und teilnehmende Kinder und Jugendliche gemeinsam

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entwickelten, und b) in Aussagen der Pädagog_innen und der Kinder. Diese wurden über teilnehmende Beobachtung in den Workshops sowie über Interviews mit den Pädagog_innen erhoben. Dabei interessierte uns die übergreifende Fragestellung: Über welche Inhalte und Formen werden Kinder und Jugendliche in einer Ausstellung zu einer aktiven und heteronormativitätskritischen Auseinandersetzung mit dem Thema ‚vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen‘ angeregt? 5.1 Die Struktur der Werkschau-Ausstellung Bevor ausgewählte Bereiche sowie die Vermittlungsarbeit über darin befindliche Stationen vorgestellt werden, erfolgt ein Überblick über den strukturellen Aufbau der Werkschau-Ausstellung. Die räumlich-thematische Gliederung Das Jugend Museum befindet sich in einer geräumigen alten Villa im Berliner Stadtteil Schöneberg. Die Ausstellung war im Erdgeschoss untergebracht. Sie war in drei Räume mit je einem übergeordneten Themenschwerpunkt gegliedert. In jedem Raum wiederum befanden sich drei bis fünf Themenbereiche. Die insgesamt elf Bereiche waren durchnummeriert und mit Titeln versehen (vgl. Abb. 4). Im ersten Raum – hier war der Themenschwerpunkt ‚Geschlechterrollen und Gender‘ verortet – erfolgte die Einführung. Der mittlere Raum behandelte den Schwerpunkt ‚Queer leben‘ und der letzte Raum den Schwerpunkt ‚Gender Marketing‘. Somit repräsentierte die Gliederung der Ausstellung in elf Themenbereiche auch die Chronologie und Titel sämtlicher partizipativ angelegter, initiierender Workshops bzw. Lernwerkstätten zwischen April und September 2015 (vgl. Kap. 3.3).1

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Der erste Themenbereich zeigte Inhalte der ersten beiden (Pilot-)Workshops „Think Outside the Box“. Der zweite Themenbereich ‚All Included on Tour‘ fasste die Inhalte zusammen, die an den sechs Partnerschulen in den Schulbesuchen mit dem JuMuMobil erarbeitet worden waren. Die Themenbereiche Nr. 3 (‚Gender Check‘) bis Nr. 11 (‚Queer Fashion‘) präsentierten die Ergebnisse aus Lernwerkstätten mit Klassen der Stufe 4 bis 10 aus den Partnerschulen.

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Abb. 4: Struktur der Werkschau-Ausstellung

Die Interpretationsebenen der Werkschau Innerhalb eines jeden der elf Themenbereiche der ‚All Included!‘-Werkschau fand sich eine ähnliche Struktur, in der mehrere wiederkehrende Elemente präsentiert wurden (vgl. Abb. 5-11). Die Ausstellungselemente hatten die Funktion, verschiedene Zugänge und mehrere Formen von Auseinandersetzung (Lernen) mit ihnen auf verschiedenen Ebenen zu ermöglichen. Im englischen Sprachraum hat sich dafür in der Ausstellungsentwicklung der Begriff interpretation durchgesetzt (vgl. EdCom 2005).2 Jede der Interpretationsebenen war jeweils charak-

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Interpretation meint im Museumskontext „Medien/Aktivitäten, über die ein Museum seine Mission und seinen Bildungsauftrag wahrnimmt“ (EdCom 2005: 11). Dies entspricht ungefähr dem weiten Verständnis des Vermittlungsbegriffs im deutschen Sprachraum. Der interpretation-Ansatz betont eine auf Lernen und Erfahrung ausgerichtete Vermittlung, die zentral von authentischen Objekten wie z.B. Artefakten und Phänomenen im Museumskontext ausgeht, und verweist auf Zugangsmöglichkeiten über mehrere Interpretationsebenen (vgl. Nettke 2016a: 37). Ein wichtiger Bestandteil der medialen Vermittlung in der Ausstellungsentwicklung ist es, die Ebenen der Interpretation in einem interpretive plan zu definieren und diese schließlich zur Umsetzung in einer Wandabwicklung der Ausstellung abzubilden. Somit können die vielseitigen Interpretationsangebote für Besucher_innen einer Ausstellung intuitiv erfasst werden.

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teristisch gestaltet und anhand des stringenten Ausstellungsdesigns voneinander unterscheidbar. Jeder Themenbereich war gekennzeichnet durch ein einführendes Textlabel (einen Bereichstext, der in den Kontext eines Ausstellungsbereichs einführt) in einem einheitlichen Ausstellungsdesign. Es erläuterte unter den Überschriften „WER?“ und „WAS?“, welche Schulkasse welche Ausstellungsinhalte erarbeitet hatte. Die Rückseite dieses klappbaren Bereichstextes enthielt eine Reihe von beschrifteten Fotos, die den Prozess der Entwicklung der Ausstellungselemente nachzeichnete. Zusammenhängende Ausstellungselemente wurden durch ein orange-rotes Farbband gerahmt und damit als thematisch zusammengehörig markiert. Innerhalb der Themenbereiche zeigte die Ausstellung im Kern eine Fülle von verschiedenen Exponaten, Medien und Objekten, die von den Kindern und Jugendlichen selbst entwickelt und gestaltet worden waren: Texte, Collagen, Poster, Taschen, Boxen, Werbung für erdachte Produkte oder Kleidungsentwürfe sowie Medien wie Filme von selbst geführten Interviews, Legetrickfilme oder Protestplakate. Neben den von den Kindern und Jugendlichen erarbeiteten und ausgestellten Objekten eines Themenbereichs befand sich in der Regel ein kleines rundes Textlabel, ein Erklärpunkt, welcher erneut die Nummer des Bereichs trug und einheitlich mit einem orangefarbenen Rahmen markiert war. Ebenfalls auffällig gekennzeichnet waren die Impulse bzw. Aufgaben in jedem Bereich. Diese gaben in knappen Sätzen an, was die Ausstellungsnutzer_innen in diesem Bereich selbst tun sollten. Damit diese Impulse sich auch deutlich von den dargebotenen sonstigen Informationen hervorhoben, waren die pinken Labels prägnant mit einem neongelben Stern markiert. Ein anderes wiederkehrendes Element waren Zitate aus den Workshops in Schreibschrift und grünen Rahmen, viele davon in Form einer Sprechblase. Kommuniziert wurden hier einfache Aussagesätze bzw. Kommentare oder Fragen, die sich die Kinder und Jugendlichen zum Thema gestellt hatten. Die Gestaltungsmittel erzeugten somit den Eindruck der Nähe zu ihren Arbeitsprozessen. Ein weiteres Element stellten Glossartexte dar, kurze Begriffsdefinitionen, die auf schwarzen Plakaten mit orangefarbenem Rand oberhalb der Exponate und Installationen an den Wänden angebracht waren. Definiert wurden die in den Themenbereichen besonders relevanten Begriffe wie Regenbogenfamilie, Ehe, Homophobie, Gender oder Cisgender. Somit wurden die Zitate der Kinder und Jugendlichen und die dargestellten Arbeitsprozesse durch Fachbegriffe gerahmt und ergänzt. Die Vielseitigkeit der ausgestellten Materialien, ihr self-made-Charakter, aber auch die Vorläufigkeit ‚als Werkschau‘ von Ergebnissen aus Lernwerkstätten sowie ein breites Spektrum von Haltungen zum Thema und damit durchaus verbundene

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Darstellungen von Abwehr gegen Aspekte des Themas ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ betonen den Grad der Partizipation. Das Spektrum der Haltungen – von kritisch bis begeistert – wurde etwa in Zitaten der museumspädagogisch betreuten Kinder und Jugendlichen deutlich und bewusst ausgestellt. Anders als in den meisten klassisch kuratierten Ausstellungen waren die Widersprüche somit als Teil der Ergebnisse von collaborativen Projekten sichtbar, was den Werkschau-Charakter hervorhob. 5.2 Einbettung der Werkschau in den Ablauf der begleitenden Workshops Die Werkschau zeigte die Ergebnisse der Zusammenarbeit und präsentierte die von den Kindern und Jugendlichen erarbeiteten Inhalte sowie die methodische Vorgehensweise. Die Ausstellung lud mit einigen Elementen auch andere Kinder und Jugendliche ebenso wie erwachsene Besucher_innen dazu ein, „selbst Position zu beziehen und kreativ zu werden“ (Jugend Museum 2016: 3). Ein wichtiger Teil des Publikums waren Berliner Schulklassen, die sich zu Workshops angemeldet hatten und in diesem Kontext die Werkschau kennenlernten. Die begleitenden Workshops während der Werkschau, die teils vom VieL*Bar-Team beobachtet wurden, griffen immer aktiv auf die Werkschau-Ausstellung und die Stationen darin zurück. Diese Workshops liefen in der Regel nach folgendem Schema ab: • Begrüßung, Einführung im Stuhlkreis und Kennlern- und Aufwärmspiele,

z.B. Bingo und „Alle, die …“ (ca. 30 Minuten) • Theaterpädagogisch inszenierter Gender-Vortrag durch ‚Professor_in‘ und

moderiertes Lehrgespräch (ca. 30 Minuten) • Ausstellungsrundgang (ca. 30 Minuten) • Pause (ca. 30 Minuten) • Aufteilung in drei Kleingruppen und paralleles Arbeiten in drei Räumen,

teils in der Ausstellung (ca. 70-80 Minuten) • Präsentationen in der Gesamtgruppe (ca. 40-50 Minuten) • Abschlussgespräch im Stuhlkreis und Abschied (ca. 10 Minuten)

Hier wird der im doppelten Sinne partizipative Anspruch der Ausstellung deutlich: Einerseits wird das Ergebnis eines partizipativen Prozesses öffentlich transparent gemacht, anderseits ist auch das Publikum der Werkschau aufgefordert, sich aktiv zu beteiligen und eigene Inhalte beizutragen.

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Die Kinder und Jugendlichen waren in den die Werkschau begleitenden Workshops aufgefordert, sich zu überlegen, welche Themen bei ihnen persönlich das meiste Interesse weckten. Um einen analytischen Blick auf die Ausstellung zu unterstützen, wurden die Kinder als ‚Forscher_innen‘ angesprochen. In ihre Rollen als Forscher_innen sollten sie auch äußerlich schlüpfen, indem ihnen von den Pädagog_innen Namensschilder („Forscherausweis“) und Umhängebänder sowie Klemmbretter, Raumpläne und Stifte ausgehändigt wurden – ähnlich wie Wissenschaftler_innen auf einer Konferenz. Im Format der ‚Konferenz‘ sollten sich die Kinder und Jugendlichen am Ende gegenseitig ihre Ergebnisse präsentieren und darüber diskutieren. Die ausgehändigten Raumpläne boten Orientierung. Darauf waren sämtliche Themenbereiche bzw. die darin befindlichen MitmachStationen benannt. Hier trugen die Kinder nicht nur ihren Namen ein, sie sollten sich auch, ganz in Forscher_innen-Manier, Notizen zu Inhalten machen.3 Es ließ sich häufig beobachten, dass viele Kinder es in der vorgegebenen Zeit ohne Begleitung nicht bewerkstelligten, sich einen Überblick über alle elf Themenbereiche zu verschaffen.4 Viele verweilten von Beginn an bei einer Station ihres Interesses, insbesondere dort, wo Videofilme zu sehen waren.5 Einige der Pädagog_innen gingen mit dieser Herausforderung so um, dass sie die Kinder und Jugendlichen dabei unterstützten, sich einen Überblick zu verschaffen, in-

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Ein_e Pädagog_in formulierte den Impuls so: „Da kann man hinschreiben, was ihr kennenlernt, was ihr seht.“ (BP 12 – BP steht für Beobachtungsprotokoll) In einem anderen Workshop sagte der_die Pädagog_in: „Ihr dürft gleich in die Ausstellung. Wenn ihr was seht, was ihr nicht so richtig findet, könnt ihr das Prof. Hassun mitteilen.“ Und nachdem er_sie den Raumplan gezeigt hatte: „Versucht so viel wie möglich mitzunehmen […].“ (BP 15)

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Als „Auftrag“ an die Schüler_innen wurde formuliert, sie sollten „sich erstmal einen Überblick verschaffen“ (BP 14) oder – beim zweiten Begehen der Werkschau – sie sollten „schauen, was sie anspricht“ bzw. „wo ihre Augen hängen bleiben“ (BP 9).

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Diese Beobachtung wurde auch in den Interviews bestätigt: „Und ich hab immer gesehen, dass die Kinder ganz viel an den Bildschirmen hängen“ (Grey, 661f). Die vereinnahmende Wirkung von Videos erschwerte somit nicht nur den Auftrag, sich einen Überblick zu verschaffen, auch die Aufgabe, sich zu zweit oder zu dritt mit einem Bereich auseinanderzusetzen, wurde dadurch untergraben: „[…] ja, die Kinder untereinander, ich würde sagen, es hat insgesamt nich gut funktioniert, weil sie schon sehr schnell einfach äh zu den Bildschirmen und den Kopfhörern gestürmt sind und dann findet keine Interaktion mehr statt […].“ (Alex, 1067-1070)

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dem sie sie in einem gemeinsamen Rundgang führten.6 Dabei lenkten sie die Aufmerksamkeit nacheinander auf alle Bereiche: Sie zeigten dort knapp, welche Themen angesprochen und welche Interaktions- oder Partizipationsformen hier möglich waren, d.h., „was man da machen kann“ (BP 6). Andere Pädagog_innen setzten in der gleichen Phase allein auf das selbstständige Erkunden der Kinder, waren dabei beratend/betreuend anwesend und boten ihnen immer wieder aktiv ihre Unterstützung an.7 Der Rundgang durch die Ausstellung war in zwei Phasen unterteilt, denn die Kinder wurden zwischendurch zu einer Erweiterung des Erkundungsauftrags zusammengerufen.8 Die Adressierung als Forscher_innen hatte nicht nur die Funktion, die rollenkonforme Auseinandersetzung mit den Inhalten zu befördern. Über die damit für die Kinder verbundene Formulierung ihrer Interessen sollte auch die vertiefende Phase (nach der Pause) vorbereitet werden. Nachdem sich die Kinder einen Überblick über die Ausstellung verschafft hatten, erhielten sie zusätzlich den Auftrag, auf ihrem Raumplan einen Klebepunkt an den für sie interessantesten Bereich zu kleben (oder zwei – das war davon abhängig, ob die Aufteilung der Klasse später in zwei oder drei Gruppen erfolgen sollte). Die Frage lautete: „Welche Station interessiert dich besonders?“ Nach dem Rundgang sammelten die Pädagog_innen die mit Interessenspunkten beklebten Raumpläne ein und besprachen noch letzte Fragen.9

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„Bevor sich alle eine Station für das vertiefte Arbeiten aussuchen, macht S. eine Überblicksführung.[Meine] Einschätzung: Orientierung geben, Schüler_innen mit Infos versorgen, so dass sie handlungsfähig sind (Entscheidungsgrundlage herstellen)“ (BP 9). In einem Pädagog_innen-Interview wird diese Phase so kommentiert: „[…] und ich glaube, dass das auf jeden Fall immer nen größeren qualitativen Sinn hatte, wenn man pädagogisch das mitgelei/ begleitet hat, als sie einfach nur rumlaufen zu lassen […].“ (Sam, 920-961)

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„[…] und dann, wenn man dann dazukam, sagt: ‚Aha, guckt mal, is en Ratespiel, schaut mal, also wie sieht die Person aus, wie wirkt die auf euch, welche interessiert euch?‘ Dann gab’s auch immer wieder zwei Personen, die immer wieder gewählt wurden […].“ (Sam, 155-158)

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„Die Mädchen* sollen sich zu zweit zusammentun und 20 Minuten lang vertieft eine Station ansehen.“ (BP 9) „[…] welche Stationen am meisten interessieren“ (BP 15).

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„Über Mikro wird nun von Teamer_in durchgegeben, dass sich alle TN [Teilnehmenden] zwei Stationen aussuchen sollen, mit denen sie sich näher beschäftigen wollen (Punkte auf Ausstellungsplan kleben). Die Pläne werden dann von den Teamer_innen in der Pause ausgewertet und drei Gruppen gebildet.“ (BP 6)

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Das Pädagog_innen-Team gab nach der Pause erneut das Forscher_innen-Equipment an die Kinder aus und die Zuordnung in die Gruppen bekannt. In der folgenden Phase wurden die Kinder als Expert_innen für ihr Thema angesprochen. Als Gruppe besprachen sie die für ihren Themenbereich relevanten Inhalte und damit verbundenen Fragen. Sie gingen ein weiteres Mal in die Werkschau-Ausstellung, um als Expert_innengruppe für ihr Thema weiter an den Inhalten zu arbeiten und zugleich auch Ideen zu sammeln für das, was sie als Gruppe den Mitschüler_innen der anderen Gruppe(n) auf der ‚Konferenz‘ am Ende präsentieren wollten. Bei einer späteren Auswertung der von den Kindern und Jugendlichen beklebten Ausstellungspläne aus 33 Workshops ergab sich, dass drei Stationen10 von den Kindern und Jugendlichen am häufigsten genannt wurden, wobei deren Popularität sich auch in den Beobachtungsprotokollen bestätigte, sodass wir, das VieL*Bar-Team, uns entschlossen, diese besonders unter die Lupe zu nehmen. Im folgenden Kapitel werden diese drei Bereiche sowie ein vierter näher vorgestellt. 5.3 Der Bereich ‚Think Outside the Box‘ und die Station ‚Selbstbild mit Dingen‘ Der Themenbereich ‚Think Outside the Box‘ war der erste von elf, der beim Betreten der Ausstellung in Raum 1 einzusehen war. Der Raum hatte den Schwerpunkt ‚Geschlechterrollen und Gender‘, der neben ‚Think Outside the Box‘ auch die beiden Themenbereiche ‚All Included on Tour‘ sowie ‚Gender Check‘ umfasste. Raum 1 diente als Auftakt dazu, das ‚All Included!‘-Projekt einordnen zu können sowie grundlegende Kategorien der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt kennenzulernen. Wie die Datenanalysen ergaben, zählte die Station ‚Selbstbild mit Dingen‘ bzw. ein Leuchttisch darin, der im Folgenden näher beschrie-

10 Bei der Frage, welche der elf Stationen sie vertiefen wollten, stand auf Platz eins mit Abstand ‚Selbstbild mit Dingen‘ – der Abpaus-Tisch. Ähnlich wurde auch bei einer Befragung von Museumsmanagement-Studierenden, die Workshops beobachtend begleiteten, den Kindern und Jugendlichen die Frage gestellt, welche Station ihnen gefallen bzw. weniger gefallen habe (vgl. Fischer et al. 2016, 2017). Hier landeten die gleichen Stationen auf den ersten drei Plätzen wie bei der Abgabe der markierten Ausstellungspläne: Auch hier der ‚Abpaus-Tisch‘ auf Platz 1, dahinter die Station ‚Duftprobe‘ (vgl. Kap. 5.4) und das ‚Design-Studio‘ zum Entwerfen von T-Shirts (vgl. Kap. 5.6).

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ben wird, zu den beliebtesten Stationen der teilnehmenden Kinder und Jugendlichen während der Begleitworkshops. Der Themenbereich ‚Think Outside the Box‘ gliederte sich in drei Abschnitte. Ein Zeitstrahl rechts vom Eingang an der Wand diente als Quiz für die Besuchenden, verbunden mit der Aufforderung, die zugehörigen Karten mit historischen Fakten und Fragen im Zeitstrahl einzuordnen. Zum Beispiel war eine Frage: „Wann sprach der erste Profifußballer in Deutschland zum ersten Mal in der Öffentlichkeit darüber, schwul zu sein?“11 An einer Ausstellungswand gegenüber vom Eingang zeigte eine Gender-Tafel eine Figur, anhand derer die Kategorien Identität, Begehren, Ausdruck und Geschlecht unterschieden wurden. Mit einem Schieber unter jeder Kategorie konnte das Publikum zwischen Dimensionen wie männlich/weiblich bzw. Mann/Frau bzw. Männer/Frauen den Regler positionieren. Daneben war die Impulsfrage „Wo würdest du dich einordnen?“ angebracht. Neben dem Gender-Schieber hing ein Bildschirm mit Kopfhörern. Hier wurde der Professor_innenvortrag über Geschlechterformen gezeigt, der live auch Bestandteil der Begleitworkshops war. Links vom Eingang stand – somit als dritter Abschnitt und dritte Station mit Interaktionsmöglichkeit – der Leuchttisch (vgl. Abb. 5 & 6). Die Station wurde in der Werkschau – anders als die sehr ähnliche Station der Dunkelkammer mit Schwarzlichtbeleuchtung im JuMuMobil – als Leuchttisch offen präsentiert, d.h. als quadratischer Kasten-Tisch, dessen Oberfläche von innen heraus leuchtete. Die Oberfläche bestand aus einer schwarzen Folie, auf der durch das Licht weiß scheinende Aussparungen in Form unterschiedlichster Objekte zu sehen waren. Die dargestellten 61 Objekte stammten aus verschiedenen Bereichen wie Freizeit, Haushalt oder Essen, z.B. sah mensch eine Flöte, einen Fußball oder eine Waschmaschine. Es galt dann, eine persönliche Zusammenstellung von Symbolen mit einem Stift auf ein Blatt abzupausen. Anders als in der Dunkelkammer im JuMuMobil sollten hier anschließend ‚Wörter‘ hinzugefügt werden. Insgesamt sind es 41, davon fünf Verben und 36 Adjektive. Der durch einen neongelben Stern gekennzeichnete Impuls der Mitmach-Station lautete:

11 Die Antwort lautete: „Im Januar 2014 erklärte der Fußballspieler Thomas Hitzlsperger öffentlich, dass er homosexuell ist. Er war damit der erste deutsche Profifußballer, der sich dies traute. Im Interview sagte er, dass er zwar früher mit einer Frau zusammen war, dann aber gemerkt hat, dass er Gefühle für Männer hat und auch mit einem Mann zusammen leben möchte. Ein halbes Jahr später hat er seine Fußballkarriere beendet.“

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WIE BIN ICH? SELBSTBILD MIT DINGEN. Nimm ein Blatt und pause alles durch, was zu dir passt. Such dir Wörter aus, die dich beschreiben, und sortiere sie dazu. Wirf den Zettel in den Kasten. Ein weiterer Impuls, der den eben genannten konkretisierte, befand sich unmittelbar dahinter: Auf einem Schreibbrett direkt hinter dem Leuchttisch war ein Papierblock im DIN-A4-Format befestigt. Er enthielt senkrecht angeordnete schwarz-weiße Vordrucke von Aktivblättern. Darauf stand die Stationsnummer ‚1‘ sowie direkt daneben: Diese Dinge und Eigenschaften passen zu mir: Entsprechende Eigenschaften waren auf der Wand oberhalb des Tisches und somit im Blickfeld zu lesen. Die Verben umfassten die Worte ‚schreien‘, ‚lachen‘, ‚weinen‘, ‚kreischen‘ und ‚brüllen‘; die Adjektive waren z.B. ‚sportlich‘, ‚selbstbewusst‘, ‚angeberisch‘, ‚albern‘ oder ‚hilfsbereit‘. An der Wand links neben dem Leuchttisch hingen in Form offener Schubladen Fotos von Kartons, die Kinder der beiden fünften Klassen während der (Pilot-)Workshops ‚Think Outside the Box‘ gestaltet hatten – gefüllt mit Wörtern von der Wand und Dingen vom Leuchttisch sowie je mit einem Vornamen beschriftet. Die sieben Beispiele enthielten selbst verfasste Attribute: Symbole von Noten, einen Notenschlüssel, die Wörter ‚hübsch‘ und ‚surfen‘. Links von ihnen befand sich ein kleines rundes Textlabel, ein Erklärpunkt, auf dem stand: „Im Workshop haben die Kinder eine individuelle Box befüllt. Gefragt waren Symbole und Eigenschaften, die ihre Persönlichkeit widerspiegeln.“ (Vgl. Abb. 5 & 6)

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Abb. 5 und 6: Links die Station ‚Selbstbild mit Dingen‘, rechts der Leuchttisch in der Werkschau

Fotos: Jugend Museum

Worauf zielte die Station ab? Das Ziel und die Themen der Station formuliert das Museum im Bereichstext und im Ausstellungsmagazin folgendermaßen: „Unter dem Motto ‚Think Outside the Box‘ setzten sich die Kinder mit Geschlechterrollen auseinander. Der Lernwerkstatt-Workshop sollte Raum bieten, Zuschreibungen zu hinterfragen und eigene Vorstellungen jenseits von Schubladendenken zu entwickeln.“ (Jugend Museum 2016: 5) Die Zusammenstellung von bildhaften Symbolen von Dingen aus dem Alltag kann Lust auf die Auseinandersetzung mit eigenen Interessen und damit auch einem Teil der eigenen Persönlichkeit wecken. Da die Vielfalt der Symbole unterschiedliche Kombinationen ermöglicht, mag die dahinterliegende Intention sein, dass sich der jeweils bunte Mix in den Zusammenstellungen nicht auf binär-geschlechtliche Zuordnungen reduzieren lässt. In der pädagogischen Begleitung kann die Besprechung der Ergebnisse dazu führen, dass die Kinder und Jugendlichen ein Gespür für die eigene Vielfältigkeit entwickeln und zugleich Widersprüche in binären Geschlechterzuordnungen bemerken und diese kritisch beleuchten. Gerade in den beobachteten Workshops wurde daran gearbeitet. Was leistete die Station? • Die Station ist intuitiv zu verstehen und einfach zu nutzen.12 Der Impuls ist thematisch relativ offen formuliert, lediglich der die Station umgebende Kontext legt den Bezug zu Gender-Fragen nahe.13 12 Die Einfachheit der Nutzung kommt auch in dieser Beobachtung zum Ausdruck: „Kinder können sich mit ihren Aktivitäten und Vorlieben sichtbar machen. Dies ist auch immer wieder beim Abpausen (Stat. 1) der Fall, welches durchgängig gut an-

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• Durch die hinterleuchteten Symbole wird ein visuell beeindruckender Effekt









erzielt. Die Kinder haben relativ schnell und auch ohne künstlerische Ambitionen das Erfolgserlebnis, persönliche Dinge gezeichnet zu haben.14 Die Besonderheit beider Varianten ist, dass die Nutzer_innen der Station ein persönliches Produkt kreieren. Die Aussicht, etwas mitnehmen zu können, womit mensch sich beschäftigt hat und woran mensch auch außerhalb des Museums noch anknüpfen kann, enthält das Potenzial, das Museumserleben im Sinne des contextual model of learning (Falk/Dierking 2000; vgl. Kap. 3.2) zu verstärken. Die Besonderheit der Dunkelkammer im JuMuMobil (vgl. Kap. 3.3) war zudem, dass die Nutzenden die Zusammenstellung in einer anonymen Atmosphäre gestalten konnten. Der Schutz der Dunkelheit und die geheimnisvolle Atmosphäre des Schwarzlichts in der Kammer können dazu ermutigen, womöglich auch ungewöhnliche Dinge auszuwählen, weil keine Interaktion und potenzielle Beeinflussung stattfindet. Es macht Sinn, neben den visuell attraktiven Gegenständen auch Worte bzw. Attribute in die persönliche Zusammenstellung aufzunehmen. Dadurch bekommt diese mehr Facetten und einen noch individuelleren Charakter. Dieser Aspekt fehlte im JuMuMobil noch. Auch die Ergebnisse müssen nicht ‚öffentlich‘ werden. Das Pult in der Kammer wird wieder aufgeräumt hinterlassen, die Zettel können gefaltet und mitgenommen werden (auch wenn das nicht expliziert kommuniziert wird).

Welche Fallstricke und Herausforderungen waren mit der Station verbunden? • Geringe Auswahl: Eine derartige Station mit einer vorgegebenen Auswahl an Symbolen und Worten kann von einigen als nicht ausreichend empfunden

kommt.“ (BP 12) Auch die Variante im JuMuMobil ist bei den Kindern beliebt: „‚Die Dunkelkammer wird stark frequentiert“. In der Abschlussrunde taucht sie unter der Rubrik ‚Was war schön‘ […] am häufigsten auf: „Dunkelkammer (10x).“ (BP 8) 13 „Auswertung […]: Alle TN erzählen lebhaft vom Abpausen [offenbar ist das etwas, das sie angesprochen hat und das evtl. auch unverfänglich war??]“ (BP 6) 14 In einem Interview wird die Möglichkeit für die Kinder und Jugendlichen als Stärke betont, an dieser Station selbstbestimmt und selbstständig arbeiten zu können. „[…] und was die Kinder selber alleine eben gemacht haben, das waren eben T-Shirt malen oder dieser Abpaus-Tisch“ (Alex, 1083-1085). In einem Workshop sagte ein Kind z.B.: „So gut habe ich noch nie gezeichnet“. Und es war stolz auf sein Ergebnis: „Das habe ich gemacht.“ (BP 5)

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werden, weil ihnen Alltagsgegenstände bzw. persönliche Objekte fehlen, die sie eher mit sich verbinden. • Geringer Bezug zu Gender-Themen: In unbegleiteter Nutzung wurde kaum von alleine ein Bezug zu Geschlecht expliziert, obwohl die Station das ja intendiert.15 Um einen Bezug zur Heteronormativitätskritik deutlicher herzustellen und damit ihr Potenzial eher zu entfalten, könnte pädagogisches Begleiten zur Reflexion und kritischen Hinterfragung von binären Geschlechterzuordnungen führen. • Reproduktion von Geschlechterklischees: Wenn Symbole mit überspitzten männlichen und weiblichen Zuschreibungen verwendet werden (wie etwa bei schematischen Superheld_innen-Abbildungen, bei denen er sehr große Muskeln und breite Schultern und sie eine sehr schmale Taille und einen großen Busen hat) oder wenn die dem Klischee entsprechenden Symbole ungleich verteilt sind (etwa wenn weiblich konnotierte Objekte überwiegen, die der Kategorie ‚Kleidung/Körper‘ zugewiesen werden können), besteht die Gefahr der Reproduktion von Geschlechterklischees. Dass der Impuls nicht eindeutig genug war, zeigt sich daran, dass einige Kinder deutlich machten, dass sie die Zielsetzung der beliebten Station nicht verstanden haben: So zeigt sich, dass ein_e Schülerin_ sich verteidigen musste, weil Mitschüler_innen ihr_ihm vorwarfen, sie würde ihre_seine Auswahl zu wenig geschlechtsspezifisch zusammenstellen.16 • Erwartungswidersprüche: Wer sich die Mühe gemacht hat, einen persönlichen Symbol-Mix zusammenzustellen – egal ob nun in der Dunkelkammer gelegt oder auf Papier gepaust –, möchte diesen womöglich auch gerne behalten können. Insofern ist das Zusenden des digitalen oder die Mitgabe des ausge-

15 Ein Beobachtungsprotokoll beschreibt, wie Trauben von Kindern an der Abpausstation stehen und einige trotz mehrfacher Aufforderung, auch andere Stationen zu nutzen, weiter ‚abmalen‘ und sich über die Objekte unterhalten – allerdings ohne Gender-Bezug. „Beim Abpausen sprechen Kinder über die abgebildeten Gegenstände, Kinder erklären sich teilweise gegenseitig, was mensch machen kann oder was interessant ist“ (BP 12). 16 „Bilder vom Abpaustisch. Emely und ein anderes Mädchen* präsentieren ihre Bilder unter der Überschrift: ‚Was mir wichtig ist‘. Die anderen Kids befragen: ‚Aber das ist doch gar nicht typisch Mädchen!‘ Antwort: ‚Aber ich mag es‘“ (BP 13). In dem Beispiel wird deutlich, dass nicht alle Kinder verstanden haben, dass sie bei dieser Station ihre Interessen jenseits von Geschlechterrollen beschreiben können und dass es hier gerade nicht um Zuschreibungen geht. Eine pädagogische Begleitung in der Auswertung ist also unerlässlich, um Auswahllogiken zu reflektieren.

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druckten Fotos bzw. die Mitnahme des Abpauspapiers wichtig. Was mit den Digitalfotos passierte, erfuhren die Kinder und Jugendlichen nicht. Welche weiteren (museums-)pädagogischen Potenziale und Ideen lassen sich hier ableiten? • Die Station wäre so zu erweitern, dass die Kinder und Jugendlichen eigene Symbole zu den angebotenen Symbolen hinzuzufügen können, wie dies in Lernwerkstatt-Workshops auch schon praktiziert wurde. Solche neuen Symbole können etwa mit einem Schwarzlichtfarben-Stift auf leere schwarze Karten oder einfach auf den Abpausblock gemalt werden (das böte wesentlich mehr Spielraum). Einen Sofortdrucker17 bereitzustellen oder eine Sofortbildkamera zu verwenden, wären die teureren Varianten. • Stärkerer Bezug zum Thema durch weitere Impulse bzw. Fragen: „Überlegt, welche der Dinge interessieren alle Geschlechter? Welche Erwartungen, Eigenschaften sind möglicherweise nicht an ein Geschlecht gebunden? – und warum?“ • Die Unterteilung einer Ausstellung bzw. eines pädagogischen Raums in Kompartimente wie die Dunkelkammer bietet den Vorteil der verstärkten Anonymität und nutzt den Reiz des Geheimnisvollen. 5.4 Der Bereich ‚Gender Marketing‘ und die Station ‚Duftprobe‘ Der Themenbereich ‚Gender Marketing‘ befand sich im dritten Ausstellungsraum. Im gleichen Raum und unmittelbar im Umfeld waren die Themenbereiche ‚Produkt der Zukunft‘ und ‚Queer Fashion‘ verortet. Neben dem klappbaren einführenden Bereichstext waren an der einen Wand mehrere von den Jugendlichen gestaltete Collagen-artige Displays zu sehen, die mit Gedanken- und Sprechblasen kommentiert waren. Ebenso hingen an der Wand Faschingskostüme – die Kleidung einer Prinzessin und eines Piraten sowie die Maske einer aus dem alten Ägypten stammenden geschminkten Person, die sich nicht geschlechtlich einordnen ließ (die Kostüme wurden in den Workshop von den Kindern und Jugendlichen oft abgehängt und getragen). Prägend für diesen Bereich war ein mitten im Raum platziertes Regal, in dem sich einerseits reale Produkte aus dem

17 In der Ausstellung Non-Binary, die vom 1. Dezember 2017 bis 8. April 2018 im Jugend Museum mit Fotos von Parker Rebecca Hirschmüller präsentiert wurde, standen auf Basis der Erkenntnisse z.B. ein Sofortdrucker und eine Sofortbildkamera zur Verfügung.

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Handel wie Shampoos, Spielzeuge, Scheren, Getränkeflaschen und Süßigkeiten befanden, die jeweils entweder Mädchen oder Jungen zur Zielgruppe hatten. Andererseits wurden hier zahlreiche Skulpturen präsentiert, welche die Kinder und Jugendlichen aus eher genderneutralen Produkten gefertigt hatten. Gleich an der Wand daneben befanden sich zwei Stationen, die zum Mitmachen aufforderten. Die Station ‚Farb-Stimmung‘ zeigte bunte Fotokartonstreifen, geordnet in Schachteln. Der durch einen neongelben Stern markierte Impuls lautete: „Was verbindest du mit welcher Farbe? Beschrifte leere Farbstreifen und sortiere sie dann in die linke Kiste ein.“ Unmittelbar daneben befand sich die sehr beliebte Station ‚Duftprobe‘. Ähnlich wie schon bei dem vorgestellten Abpaustisch bildeten sich hier durchaus kleine Trauben von Kindern, die regen Gebrauch von den aufgestellten Parfümflakons machten (vgl. Abb. 7). Die Duftstation bestand unter anderem aus einem Tisch sowie einer an der Wand angebrachten Parfümflasche mit einer weißen, unkenntlich gemachten Verpackung. Der Impuls hier lautete: DUFTPROBE Teste das Parfüm in der Kiste! Was denkst du über den Duft? Auf dem Block kannst du deine Einschätzung hinterlassen. Einen weiteren Impuls, der den eben genannten konkretisierte, gab es unmittelbar davor auf einem Aktivblatt-Abreiß-Block, der unterhalb der Duftprobe auf einem Tisch lag. Darauf stand: Wer benutzt den Duft? Wie könnte der Duft heißen? Der Duft könnte … heißen. Der Block zeigte unterhalb dieser Frage links das Symbol für weiblich, das über eine gepunktete Linie verbunden war mit dem rechts befindlichen Symbol für männlich. Der Zettel mit der eigenen Antwort konnte in einen Kasten eingeworfen und dem Museum überlassen werden. Das Museum hatte für das zu testende Parfüm einen als ‚genderneutral‘ geltenden Duft ausgewählt.

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Eine visuell auffällige Besonderheit dieser Station bildeten zwei Parfümflakons. Sie standen zur Veranschaulichung des Themas unmittelbar über dieser Station in einem Regal – einer entsprach in Form und Farbe auffällig weiblichen, der andere auffällig männlichen Körperformenklischees. Daneben standen auch die rosa bzw. hellblauen Originalverpackungen. Darüber befand sich ein kleines rundes Textlabel, ein Erklärpunkt, auf welchem stand: „Ohne die Verpackung zu sehen, überlegten die Jugendlichen, von wem der Duft benutzt wird und kreierten einen Parfüm-Namen.“ Somit hatten die beiden Flakons auch die Funktion, auf die Tätigkeit während der Workshops mit den Jugendlichen zu verweisen. Worauf zielte diese Station ab? Die Duftstation regte anhand der Qualität eines unbestimmten, mehrdeutigen Duftes und der zugehörigen Impulse sowie des Gesamtkontextes dazu an, über binäre Geschlechterzuordnungen nachzudenken. Sie initiierte anhand von Düften die Reflexion von Stereotypen, also auch Abb. 7: Die Station ‚Duftprobe‘ von männlich oder weiblich konnotierten im Bereich ‚Gender Marketing‘ Farben oder Formen. Das Ziel dieser Station formulierte das Museum im einführenden Bereichstext und Ausstellungsmagazin nicht direkt, deutete die Ziele des gesamten Themenbereichs aber in den dort formulierten Fragen an. Die Aktivitäten sollten verdeutlichen, „wie stark Geschlechterklischees im Marketing präsent sind“, formulierte es ein begleitender Lehrer als Erkenntnis aus dem Workshop (Jugend Museum 2016: 53). Tatsächlich zeigten die ausgefüllten Karten, dass der zu beschreibende Duft sehr unterschiedlich gedeutet wurde. Einige ordneten den Duft als neutral ein und benannten ihn auch so, z.B. „for you and me“, „freedom“, „for all Duft“, „deo chemie duft“, „Boys and Girls“ etc. In ihrer Foto: Jugend Museum Benennung des Dufts legten sich viele Kinder und Jugendliche zwar nicht auf ein Geschlecht fest, sie blieben aber binär, wenn der Duft durch im Namen immer wieder „beiden“ und nur selten „allen“ zugeordnet wurde.

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Andere ordneten den Duft einem Geschlecht zu, allerdings zeigte der Überblick, dass sich keine Mehrheit bildete: Dem männlichen Geschlecht zugeordnet wurden z.B. Bezeichnungen wie „Cookie Man“, „Stränk“, „streng“, „Playboy“, „Der Starke“, „Strong Man“. Jemand gab dem Parfüm den Namen „Eau de trans“ (ergänzt durch die Zuordnung „Frau + Mann“). Parfümnamen wie „Rosenwasser“, „Sweet Flower“, „Flower power“ oder „Kind looks“ wurden explizit Frauen zugeordnet. Was leistete die Station? • Der Bereich ‚Gender Marketing‘ liegt nahe an der Lebenswelt der Kinder.18

Das Thema begegnet ihnen über Werbung und Konsum im Alltag. • Die eigentliche Duftstation bot den Reiz des Selbst-Aktivwerdens in der Ausstellung, des Ausprobierens und Entdeckens von Düften. Zudem bot die Aufgabe bei der Beschreibung, Benennung und Diskussion von Düften ein kreatives sowie interaktives Potenzial.19 • Eine sinnliche Ebene, hier die olfaktorische, hat eine starke Anziehungskraft. Sie wird in der Bildungsarbeit zu selten berücksichtigt.20 • Zudem war die an der Station geforderte offene und assoziative Merkmalsbeschreibung des Dufts ein kreativer Prozess, den mensch gerade mit Begleitpersonen besprechen kann.21

18 „Und / klar, wie viele sich Gender Marketing auswählen, weil sie’s einfach / diese Farben sie auch ansprechen und Produkte, und [sie diese] haben wollen“ (Grey, 655f). 19 „Die Diskussion zu Männer- und Frauenparfüm war toll!“ (BP 14) „Aber das Thema [Gender Marketing] an sich glaub ich war dann aber bei den Kindern auch / is es sehr gut angekommen, weil sie dann auch tatsächlich das so nachvollziehen konnten und das dann plötzlich auch beobachten oder sich erinnert haben, dass sie das beobachtet hatten, und ähm auch ganz schnell ne Meinung dazu beziehen konnten. Ähm, auch gerade was so Produkte betrifft, und dann kam auch oft dann Protest und sowas und das war dann auch spannend.“ (Sam, 821-827) 20 „Die Station mit dem Parfüm ist sehr beliebt, dort steht eine Traube von Kindern, die sich auch teilweise damit einsprühen.“ (BP 5) 21 „Ähm, die Gender Marketing-Ecke fand ich auch spannend, […] also man musste sehr, sehr viel sprechen, um da wirklich ähm viel weg/ äh viel rauszuholen aus dem Thema, weil es war en spannendes Thema, es hat auch fremde Fragen aufgeworfen, es war auch ein=ein se/ also das mocht ich auch sehr gern, zu diesem Thema mit den Kindern zu arbeiten. Ähm, da kam aber selbst bei Erwachsenen manchmal en großer Aha-Effekt.“ (Sam, 801-808)

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Welche Fallstricke und Herausforderungen waren mit der Station verbunden? • Es bestand die Gefahr der Reproduktion von Stereotypen, gerade weil die Flakons als ausdrucksstarke Exponate, die männliche und weibliche Klischees bedienen, zu sehen waren und die Arbeit an der Station beeinflussten. • Im Rahmen der festgelegten grafischen Vorgabe, d.h. entlang einer eindimensionalen Linie, an deren Enden jeweils das Symbol für weiblich und für männlich stand, war es nur schwer möglich, sich von binären Geschlechterzuordnungen loszulösen. Welche weiteren (museums-)pädagogischen Potenziale und Ideen lassen sich hier ableiten? • Da auch andere Geschlechtersymbole neben dem weiblichen und dem männlichen in der Ausstellung erläutert wurden, wäre es bei der Frage nach der Zuordnung des Duftes auf den Abreiß-Zetteln durchaus möglich gewesen, auch diese Symbole zu verwenden. • Als weitere Variante dieser Methoden bzw. Stationen wäre es denkbar, dazu aufzufordern, genderneutrale Parfümflakon-Varianten zu entwerfen (mit verschiedenen Farben, Farbverläufen, Bezeichnungen, Formen), die Assoziationen zum Charakter der Duftnote anstatt zu Gender-Stereotypen wecken. • Derartige selbstgestaltete Flakon-Entwürfe ließen sich auch per E-Mail bzw. per Messengerdienst verschicken. • Die Kinder könnten in Workshops oder in der Ausstellung auch Briefe an die Firmen verfassen, die in ihrer Werbung und ihren Designs die schlechtesten Klischees verwendeten. Das Museum könnte diese Briefe sammeln und dann gebündelt versenden. 5.5 Der Bereich ‚Trans*-Menschen‘ und die Station ‚Gender-Schieber‘ Der Themenbereich und Kontext der Station Insgesamt waren der Bereich ‚Trans*-Menschen‘ und seine verschiedenen Ebenen wieder durch das festgelegte Ausstellungsdesign gestaltet. Wie in allen Ausstellungsbereichen fanden sich auch hier oben an den Wänden die schwarzen Plakate mit den Glossartexten, welche die Begriffe ‚trans*‘, ‚queer‘ sowie den § 175 erläuterten. Der Themenbereich gliederte sich in vier Teilbereiche: 1.

Optisch am auffälligsten waren in diesem Bereich die 17 verschiedenfarbigen Papiertaschen, die an Haken an der Wand hingen. Sie enthielten Rechercheergebnisse aus den Lernwerkstätten, in denen die Teilnehmenden in

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der Rolle von Forscher_innen Interviews mit Berliner_innen geführt bzw. Biografien von historischen Persönlichkeiten recherchiert hatten, die das ihnen bei Geburt zugewiesene Geschlecht ablehn(t)en oder erweiter(te)n. Zu den erforschten Persönlichkeiten zählten etwa Berthold Buttgereit, Charlotte von Mahlsdorf, Hilde Radusch und Lotte Halm, aus der heutigen Zeit unter anderem Georgette Dee und Tom Neuwirth alias Conchita Wurst.22 Die Papiertaschen beinhalteten z.B. Kopien von offiziellen Dokumenten, kleinformatige Bilder, biografische Daten und Zitate der jeweiligen Personen. Jede Tasche war mit zwei weißen Papierkreisen beschriftet, auf denen der Name der Person stand sowie das Wort ‚trans*‘, versehen mit einem Fragezeichen. Die Frage „trans*?“ auf den Taschen weckte Neugierde und legte nahe, keine voreilige Zuweisung vorzunehmen. Die Taschen ließen sich vom Haken nehmen und durchsuchen. Zwischen den Papiertaschen waren die Logbücher ausgelegt. Sie dokumentierten die Interviews der Kinder mit drei Trans*-Personen im Jugend Museum. Über dem mittleren Logbuch war zudem ein Buch ausgestellt, das sämtliche gesammelte Fragen der Kinder enthielt. Auf der rechten Seite dieses Themenbereichs hing an der Wand ein kleiner Bildschirm mit Kopfhörern, der einen 17-minütigen Film mit Interviews zeigte, in denen Kinder sich zu Fragen nach dem Motto „Was wäre wenn?“ äußerten. Die befragten Kinder sprachen über ihre Haltung zu Verhaltensweisen, die sie als weiblich oder männlich lesen, über Ausgrenzung von Trans*-Personen, darüber, wie sie damit umgehen würden, wenn sich eine_r ihrer Freund_innen für eine Transition entscheiden würde, und über mögliche Reaktionen des eigenen Umfelds, wenn sie sich selbst ihrem zugeschriebenen Geschlecht nicht mehr zugehörig fühlen würden. Im Zentrum des Themenbereichs stand ein kleiner Tisch mit Hockern. Auf einem quadratischen Tisch mit einer Holzplatte befand sich der GenderSchieber, der gleich näher erläutert wird. Kleine Hocker aus Pappe und Plastik standen zwischen dem Gender-Schieber, den Taschen und dem Interview-Video und luden zum Verweilen ein (vgl. Abb. 8).

An der Station ‚Gender-Schieber‘ konnten Besucher_innen an zwei Seiten eines Tischs Platz nehmen, wo sie je ein identisch aufgebautes Schiebe-Element vorfanden: Auf beiden Seiten des Tischs konnten in einem mittig angeordneten 22 Weitere Interviewpartner_innen waren Karl M. Baer, Sebastian K., Emy Fem, Petra K. und Mario H. Auch zum Arzt und Sexualforscher Magnus Hirschfeld, der seit dem späten 19. Jahrhundert unter anderem zu Transgeschlechtlichkeit forschte, gab es eine Tasche.

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Sichtfenster über einen Schieber Inhalte ausgewählt werden, und zwar vier verschiedene Schwarz-Weiß-Porträtfotos auf der einen Seite, vier verschiedene Zitate auf der anderen (vgl. Abb. 9). Darunter befanden sich auf beiden Seiten des Schiebers je vier verschiedene Knöpfchen, die auf einer horizontalen Skala in zwei Richtungen geschoben werden konnten. Gemäß den folgenden Kategorien konnten die Nutzer_innen der Station so das ausgewählte Foto oder Zitat im Sichtfenster einordnen: Geschlechtsidentität Mann / männlich__________________________________ Frau / weiblich Geschlechtsausdruck männlich ______________________________________ weiblich Biologisches Geschlecht Mann / männlich __________________________________ Frau / weiblich hingezogen fühlen zu … Männern / männlichen Frauen / weiblichen Menschen / Männlichkeit ___________________ Menschen / Weiblichkeit. Der Impuls zum Gender-Schieber lautete: Schiebe ein Foto oder ein Zitat in das Sichtfeld. Nun schau dir die vier Skalen darunter an. Was glaubst du, wo die Person sich selbst einordnen würde? Ziehe die Knöpfe an die entsprechende Stelle. Welcher Satz und welches Bild zu welcher Person gehört, steht in dem Heft, das am Tisch hängt.

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Abb. 8 und 9: Links der Bereich ‚Trans*-Menschen‘, rechts die Station ‚GenderSchieber‘

Fotos: Franzi Fiene

Auswählbar waren auf der einen Seite des Tisches Schwarz-Weiß-Fotos von Mario H., Sebastian E., Petra K. und Charlotte von Mahlsdorf. Auf der anderen Seite fanden sich folgende Zitate: • „Weil meine Stimme damals nicht männlich war, habe ich mich kaum getraut,

was zu sagen“ (Mario H.). • „Meine Mutter wollte mir für einen Ausflug neue Schuhe kaufen, aber die, die sie ausgesucht hatte, wollte ich nicht. Die waren zwar blau, aber Mädchensandalen. Die Schuhe sind sehr teuer gewesen, ich hatte sie nur einmal angehabt und dabei kaputtgemacht“ (Sebastian E.). • „Niemand hat sich jemals getraut, etwas zu sagen, wenn die Friseuse mit tiefer Stimme gefragt hat: ‚Na, was machen wir denn heute?‘“ (Petra K.). • „Einmal, als ich so vorm Spiegel stand, mich ansah und dachte, warum ich nicht immer so herumlaufen kann, kam meine Tante herein. Ich hatte natürlich im ersten Moment Angst, weil ich wusste, dass sie streng ist. Ich habe im Spiegel ihr Gesicht gesehen und als sie näherkam, ging ein Lächeln über ihre Lippen …“ (Charlotte von Mahlsdorf). Über eine Art ‚Lösungsheft‘, das seitlich am Tisch angebracht war, ließ sich überprüfen, ob die vorgenommene Zuordnung von Zitat und Foto stimmte. Eine Auflösung des Eingeordneten in die Dimensionen der vier Skalen war an der Station nicht zu finden, allerdings waren die dargestellten Personen ausführlicher in den bunten Trans*?-Taschen vorgestellt, sodass sich Anhaltspunkte finden ließen.

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Worauf zielte die Station ab? An der Station sollen die Nutzer_innen lernen können, zwischen Identität, Geschlechtsausdruck, zugeordnetem Geburtsgeschlecht und sexueller Orientierung zu differenzieren, um somit auch ein Grundverständnis von Transgeschlechtlichkeit zu entwickeln. Im Vordergrund stand die Aufgabe, sich in eine Trans*-Person hineinzuversetzen. Die dabei beabsichtigte Aufklärung kann Vorurteilen und Diskriminierung vorbeugen.23 Die im Themenbereich und an der Station dargestellten Beispiele konnten verdeutlichen, dass einfache Veränderungen von Kleidung, Frisur, Schminke etc. die Möglichkeit bieten, den gewünschten Geschlechtsausdruck nach außen zu zeigen. Zugleich wird auf Irritationen hingewiesen, die das auslösen kann. Was leistete die Station? • Die Thematik ‚trans*‘ ist für viele Kinder wenig alltäglich und weckt großes Interesse. Die Station bot hierzu Einblicke in alltägliche Lebenssituationen.24 • Eine quizartige Anordnung bzw. Fragen der Begleitperson konnten über den Reiz des Ratens bei einigen Betrachtenden Neugierde bzw. Interesse wecken.25 • Die Zweier-Anordnung an dem Tisch legte einzelnen Besucher_innen nahe, einmal die Seite zu wechseln – von der Auswahl der Fotos zur Auswahl der Zitate oder andersherum. Bei einem Besuch zu zweit oder in Gruppen konnte die Anordnung auch zum abwechselnden Ausprobieren der Station führen, womit die Interaktion bzw. der Austausch zwischen Besuchenden gefördert werden konnte. • In der Kombination mit den Trans*?-Taschen entfaltete der Gender-Schieber seine Wirkung, indem er das Interesse an Trans*-Personen mit ihren individuellen Lebensentwürfen und -situationen weckte bzw. vertiefte. Durch das Lesen der Dokumente in den Taschen weitete sich der Blick bezüglich der über den Schieber nur sehr eingeschränkt präsentierten Personen. Die in den Taschen versteckten Geschichten halfen, diese lebendig werden zu lassen, da die

23 Dass hier tatsächlich ein Bedarf lag, zeigte sich etwa darin, dass die Kinder in Gesprächen auch abwertende Bezeichnungen benutzten, was die Teamer_innen als Anlass zu klärenden Ausführungen nutzen (z.B. BP 5, BP 8, BP 9), oder dass sich einige darüber lustig machen: „Niklas und Tobias schauen Video-Interview ‚hihi, transgender‘“ (BP 6). 24 „Große Themen waren Homo- und Transsex.“ (BP 6) 25 „Aufgrund der Hinweise der_des Teamer_in bleiben Kinder an der Gender-SchieberStation und probieren diese Aufgabe zu ‚raten‘.“ (BP 6, siehe auch BP 13, BP 14)

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17 Taschen unterschiedliche Facetten verdeutlichten. Sie zeigten etwa, welchen unterschiedlichen Herausforderungen die Porträtierten in unterschiedlichen Zeiten und unter unterschiedlichen gesellschaftlichen Umständen begegneten, wie unterschiedlich sie ihre eigene Geschlechtlichkeit beschreiben und wie sie es schaff(t)en, selbstbestimmt ihre Geschlechtlichkeit zu leben.26 • Die Station der Trans*?-Taschen zeigte auch Wege, wie (junge) Menschen mit ihrem Trans*-Sein umgehen. Dies kann Kinder und Jugendliche empowern, sich mit dem Thema zu beschäftigen und ggf. nicht entmutigen zu lassen. • Das Recherchieren und das Durchführen der Interviews während der Entstehung des Themenbereichs enthielten große Lernpotenziale. Beide Tätigkeiten ermöglichten viel Mitbestimmung, da die Kinder bei den Recherchen, den Vorbereitungen und Auswertungen der Interviews eigene Schwerpunkte setzen konnten. Dies förderte auch soziale Kompetenzen – etwa hinsichtlich der Reflexion der Wortwahl bei den Interviews.27 Wie die ausgestellten Materialien zeigen, reflektierten die Schüler_innen, welche Fragen sie wem wie stellen könnten. Sie wuchsen in den Interviewsituationen und bekamen bei Grenzüberschreitungen auch Feedback. Welche Fallstricke und Herausforderungen waren mit der Station verbunden? • Möchte mensch die Vielfalt der geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen wertschätzend vermitteln, so sind Zuordnungen (auch wenn sie vier Ebenen unterscheiden), die weiterhin in einem binären Schema verhaftet sind, problematisch. Ziel von All Included! war es doch gerade, Klischees zu hinterfragen und Vorurteile abzubauen (Jugend Museum 2016: 3). Berücksichtigt wurde dies insoweit, als es keine ‚richtigen Antworten‘ auf die Einordnungsversuche in dem Bereich gab. An diesem Punkt bestünde die Möglichkeit, aus Perspek-

26 Im Pädagog_innen-Interview werden die Trans?*Taschen als Beispiel für eine gelungene aktive Beteiligung genannt (Helge, 640-642; Grey 698; Tony 1661). 27 „[…] wenn man Dinge / wenn man rausgeht zum Beispiel und Dinge erforscht oder die Kinder und / als Reporter_innen losgehen und sich darauf vorbereiten und die Fra/ äh, irgendwie an den Fragen arbeiten und sich ähm / ja, da sind sie=da sind sie dann auch so emotional verknüpft, weil sie sind dann aufgeregt, sie sind jetzt die Reporterinnen und Reporter und gehen dann los, fragen dann / ja, forschen wirklich an ner Sache, sprechen mit Menschen, kommen dann mit den Ergebnissen wieder zurück und das haben sie gemacht, so, in dem Moment, wo sie=wo sie wirklich so reingehen in die Forschung und da irgendwie wirklich aktiv sind, das sind immer die Momente glaub ich, die denen am meisten auch im Gedächtnis bleiben.“ (Luca, 926-935)

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tive von Trans*-Personen – aber auch darüber hinaus – auf den Unterschied zwischen (legitimer) Selbsteinordnung und (nicht erwünschter) Fremdeinordnung einzugehen. Lediglich eines von vier Zitaten der Station ist positiv konnotiert, zwei eher negativ. Die Herausforderung ist, eine Ausgewogenheit von problembezogenen und möglichkeitsbezogenen Aussagen abzubilden bzw. eher Letztere überwiegen zu lassen. Wenn trans* überwiegend als Problem thematisiert wird, besteht die Gefahr, Narrative zu bedienen, die Trans*-Personen vor allem als Opfer und bemitleidenswert darstellen. Damit wird Empowermentund Emanzipationspotenzial verschenkt. Das Thema trans* generiert Fragen, für deren Beantwortung Community-bezogenes, juristisches, historisches, biologisches und medizinisches Fachwissen notwendig ist. Da es sich bei trans* um ein vielschichtiges Phänomen bzw. sehr unterschiedliche Lebensweises handelt, sind hier oft mehrere Perspektiven einzunehmen. Es zeigte sich, dass die vier Dimensionen von Geschlecht am Gender-Schieber sich einigen Kindern nicht erschlossen.28 Da die Begriffe für einige erklärungsbedürftig sind, bietet es sich an, sie eher in begleiteten Formaten zu behandeln. Bezogen auf das Thema Interaktion und Partizipation war diese Station für den unbetreuten Rundgang weniger animierend. Der Aufforderungscharakter der Station richtete sich vor allem auf das Hinschauen und Lesen. Die Eigentätigkeit und Interaktion war – verglichen mit den anderen Stationen – weniger ausgeprägt.

Welche weiteren (museums-)pädagogischen Potenziale und Ideen lassen sich hier ableiten? • Dass Lebensgeschichten von unterschiedlichen interessanten Personen kombiniert mit abwechslungsreichen Fotos Interesse wecken können, steht außer Frage. Das Äußere der Taschen könnte – über bunte Farben hinaus – durch verschiedene Bildausschnitte und Fragen zusätzlich neugierig auf die story behind machen.

28 „Aber schon, als sie sich hingesetzt ham, ham sie nich verstanden, was sie da machen sollten, […] wo man so’n Schieber hin und her schicken konnte auf Polaritäten und dann ebend / oder zwischen, und es war schon so, dass sie ‚Hä, was bedeutet das überhaupt‘, ja? […] und dann hörte das quasi schon auf, dass sie dann aufgestanden sind […].“ (Sam, 147-155)

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• Zur Förderung einer heteronormativitätskritischen Haltung sollte eine derarti-

ge Station noch mehr junge – und dabei nicht nur weiße – Personen vorstellen und mehr empowernde Momente aufzeigen. Sie sollte deutlich machen, wie vielschichtig trans* ist: Transsexuelle Personen, transidente, transgender, eventuell auch nicht binär positionierte Personen. Trans* kann sich innerhalb einer zweigeschlechtlichen Logik bewegen oder aber diese unterwandern. • Zur gemeinsamen Nutzung der Station könnte noch expliziter aufgefordert werden. Sinngemäß etwa in folgenden Impulsen: „Diskutiert gemeinsam! Was lässt sich alles nicht zuordnen?“, „Überlegt: Unter welchen Umständen möchtet ihr euch in besonderer Weise stylen oder anziehen?“, „Wie würdet ihr euch nennen, wenn ihr euch selbst einen Namen aussuchen könntet?“. 5.6 Der Bereich ‚Queer Fashion‘ und die Station ‚Design Studio‘ In der Werkschau war der Themenbereich dreiteilig aufgebaut: Ausgestellt war ein Sofa, von dem aus der Bereich einzusehen war. Darüber hingen drei verschiedene Collagen, die Kinder einer 6. Klasse im Rahmen eines viertägigen Workshops erstellt hatten: Je eine Collage zeigte männlich bzw. weiblich konnotierte Mode, und eine dritte Collage mit dem Transgender-Symbol zeigte geschlechtsneutrale Mode und als androgyn bezeichnete Models. Alle Collagen waren mit Kommentarzetteln mit der Meinung der Kinder und Jugendlichen zu einem Kleidungsstück oder Model versehen. Neben den drei Collagen befanden sich zudem Bilderrahmen mit Zitaten aus einer Umfrage, in der die Kinder und Jugendlichen Menschen auf der Straße und in Modegeschäften zum Thema Mode interviewt hatten. Daneben hing der in allen Themenbereichen übliche einführende Bereichstext, auf dessen Rückseite Fotos den Entstehungsprozess des Themenbereichs nachvollziehbar machten. Mitten im Raum stand eine Art offener Gitterspind, in dem selbstgestaltete T-Shirts, aber auch eine Kopfbedeckung sowie eine eigens kreierte Tasche präsentiert wurden. Diese Objekte waren alle im ‚Atelier‘ im Rahmen des Schüler_innen-Workshops angefertigt worden. Am Gitterspind waren auch selbsterstellte großformatige Mode-Magazine mit dem Titel „Sonderausgabe Queer Fashion“ befestigt, die Informationen zur Geschichte der Mode und zu unterschiedlichen Modekulturen enthielten sowie kleinformatige Bücher mit weiteren Rechercheergebnissen. Ein Zitat in einer Sprechblase an der Wand besagte: „In Deutschland tragen nur Mädchen Kleider. Das ist aber nicht in allen Ländern so.“ Die Glossartexte erklärten die Worte ‚Unisex‘ sowie ‚Agender‘ (vgl. Abb. 10).

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Abb. 10 und 11: Links der Themenbereich „Queer Fashion“, rechts die Station „Design Studio“

Fotos: Jugend Museum

Anregungen zum Selbst-tätig-Werden enthielt der zweite Teil des Themenbereichs: die Station ‚Design-Studio‘ zur T-Shirt-Gestaltung mit diversen Beispielen von Entwürfen der Kinder und Jugendlichen aus Pappe. Doch bevor dieses wahrgenommen wurde, fiel zunächst – inszeniert durch Lichtspots – der Entwurf eines Kleids in leuchtend roter und schwarzer Farbe ins Auge. Als relativ großes und gut ausgeleuchtetes Objekt zog es die Aufmerksamkeit auf sich. Unmittelbar davor stand ein Schreibpult mit einem Zeichenblock, wobei auf jedem Blatt bereits ein T-Shirt-Umriss zum Ausgestalten war. Der Impuls der Mitmach-Station lautete: DESIGN-STUDIO Stell dir vor, du bist Modedesigner_in. Deine Aufgabe: ein Motiv (Zeichen) für ein T-Shirt zu entwerfen, das für alle Geschlechter passt. Als zusätzlicher Impuls stand auf jedem Blatt: Gedanken zum Entwurf: ____________________________________________________________

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In eine briefkastenartige Box an der Wand konnten die Entwürfe eingeworfen werden bzw. es konnten dort Motiv-Vorschläge von Anderen eingesehen werden. Am linken Rand des Design-Studios waren Kleidungsentwürfe aus Pappe aufgehängt. Daneben waren Fotos zu sehen, die Kinder zeigten, wie sie diese Entwürfe tragen. Das kleine runde Textlabel, der Erklärpunkt, teilte mit: „Spiel mit Kleidung und Accessoires aus Pappe. Jedes Kind konnte daraus ein Outfit zusammenstellen und präsentieren.“ Somit informierte die Station einerseits über das, was die Teilnehmenden im Workshop entwickelt hatten, andererseits dienten die ausgestellten Beispiele zugleich als Inspiration für die Besucher_innen der Werkschau, ihre eigenen Entwürfe zu entwickeln (vgl. Abb. 11). Beispiele für die von den Kindern entwickelten Ergebnisse Die von den Kindern an dieser Station abgegebenen Ergebnisse zeigten, dass sie der Aufforderung, zu entwerfen und zu kommentieren, tatsächlich folgten: • Ein Entwurf zeigte ein Muster aus unterschiedlichen Linien und Flächen. Er

war kommentiert mit „Dieses Oberteil ist für Jungs und Mädchen“. • Ein anderes T-Shirt zeigte als Motiv das Gesicht einer langhaarigen Person mit

Nasenring und Kinnbart. In den Gedanken zum Entwurf stand: „you do you: du darfst dich verändern, du darfst Sachen ausprobieren, du darfst sich selbst sein, du darfst sich selbst lieben“. Einige Kinder lehnten sich in ihren Entwürfen an Motive der Jugendkultur an und nutzten bzw. veränderten Motive von Musik- bzw. Sportgruppen oder Kanälen auf Youtube: Ein T-Shirt-Entwurf zeigte z.B. als eine Art Emblem eine stilisierte Szene mit kleiner Insel und Palme, davor Haiflossen. Darunter der Kommentar: „Alles passt für alle Geschlechter […] Das auf dem Bild ist von ner sehr coolen Punk Band […]“. Worauf zielte die Station ab? Auch ohne dass das Museum im einführenden Bereichstext und Ausstellungsmagazin ein explizites Ziel formulierte, wurde deutlich, dass es um die Frage ging, welche Schönheitsideale und Geschlechterrollen in den Medien und in der Mode vermittelt werden (Jugend Museum 2016: 55). Die Station zielte darauf ab, dass die Teilnehmenden ein Verständnis von Kleidung als Ausdrucksmittel entwickeln und über Alternativen zur binären Geschlechtszuordnung von Kleidung nachdenken. Damit verbunden ging es hier um eine Wertschätzung der Vielfalt über non-binary-Kleidung und ein Stück weit auch darum, die Kinder

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und Jugendlichen dazu zu empowern, auf Mode bezogene Geschlechternormen im eigenen Alltag selbstbewusst in Frage zu stellen.29 Was leistete die Station? • Die Station ‚Design-Studio‘ war einfach zu verstehen und wurde schnell erfasst. • Die Thematik Kleidung und Mode knüpfte erst einmal grundsätzlich an die Erfahrungen der Kinder und an diverse Interessen und Vorlieben an.30 • In unseren Beobachtungen und Befragungen stellten wir fest, dass Kinder und Jugendliche das in diesem Themenbereich ausgestellte Material wie Kleidungsstücke, Mode-Accessoires, Perücken etc. auch in den BegleitWorkshops selbst nutzten, um sich spontan zu verkleiden und in Rollen zu schlüpfen, indem sie etwa verkleidet im Workshop mitwirkten, interagierten, durch gespielte Selbstdarstellung die Aufmerksamkeit suchten, in der Rolle flirteten etc. • Die Station bot einen sinnlichen Zugang (Stoffe, Farben, Materialien) zum Thema. Teils eigneten sich die Kinder die Inhalte durch einen eigens gewählten spielerischen Zugang (Möglichkeiten zu Interaktion und Spaß) und damit verbundene Erfahrungen an.31

29 „[…] wir kamen zu Sachen, die sie stören so an den Geschlechterrollen und an dieser Aufteilung, sehr klar, dass ein paar von den Mädchen sich in der großen Gruppe sich total aufgeregt haben, dass die immer lazy, lasziv rumhängen müssen […], und paar von den Jungs meinten dann auch, sie finden‘s total doof, dass die Männermode immer nur so grau und blau is, dass es keine Farben gibt, dass irgendwie, was weiß ich, die Mädchen viel mehr Auswahl ham […]“ (Toni, 1194-1203). 30 „Dann war ich mal bei den/ mit denen im Kostümgeschäft, […] wir ham dann erst mal geguckt, was für Mode gibt’s überhaupt für wen so, das fanden sie total spannend, weil Mode hat sie schon interessiert.“ (Toni, 1153-1156) 31 „[…] dieses Verkleiden war toll, das [Kind] hat jetzt auch nich darüber nachgedacht, warum die Kostümteile da hingen, aber es war toll damit rumzulaufen.“ (Sam, 920961) „Objekte zum ‚Anfassen‘ (Maske Nofretete, Bauhelm und Diadem) (Raum 3) ein Junge stolziert mit dem goldenen Diadem durch die Ausstellung und zeigt sich mit betonter femininer Körpersprache, lacht (und scheint die Rolle auch zu genießen)“ (BP 6, JuMu AI-WS).

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Welche Fallstricke und Herausforderungen waren mit der Station verbunden? • Es bestand gerade in den unbetreuten Situationen die Gefahr der Reproduktion von Klischees und der nur oberflächlichen Auseinandersetzung mit queerer Mode. Somit konnte die Station missverstanden werden. 32 Wie Geschlechternormen in der Mode kritisch hinterfragt werden können, übten die Gruppen mit der pädagogischen Begleitung, z.B. in den Gesprächen über unterschiedliche Bilder aus Modemagazinen, die Stereotype bedienten oder aber unterliefen. Ohne Begleitung fehlte die Sensibilisierung für das, was queere Mode ausmacht. • Bei einem derartig omnipräsenten Thema wie Mode besteht die Gefahr, dass die Motive auf den Shirts beliebig werden bzw. der Bezug zur Genderthematik bzw. zu queerer Mode nicht sichtbar ist, was die damit angestrebte Reflexion erschweren kann.33 • Es braucht gerade für diese Thematik tatsächlich pädagogisch ergiebige Situationen in einem ungezwungenen, geschützten Rahmen. Bevor die Kinder und Jugendlichen selbst Entwürfe entwickeln können, sind ausreichend Zeit für die intensive Beschäftigung mit dem Begriff ‚queer‘ und mit ‚queerer Mode‘ sowie anschließend ein spielerisch-kreativer Umgang mit verschiedenen modischen Ausdruckformen nötig. Stehen zu wenig Zeit zur Verfügung und gibt es zu wenige Anregungen, bleibt die Auseinandersetzung oberflächlich.

32 „Beobachtung: Erklärung zu Station zu den Produkten im letzten Raum: Es ging um Sachen aus dem Laden für Mädchen oder für Jungs und die, die für beide sind. […] ‚Dass Rosa/Hellrosa für Mädchen und Blau für Jungs ist, wusste ich schon, aber ich habe gelernt, dass orange eher für beide als Farbe ist.‘ […] Beobachtung: Station daneben: Es geht um das Designen von Produkten für beide. Hier wird sich ganz klar nur in der bipolaren Dichotomie von männlich und weiblich bewegt. Es heißt ‚für beide‘ und nicht ‚für alle‘“ (BP 16). 33 „Die Kinder wirken auf die Beobachterin engagiert in der Sache. Sie finden schnell Motive, die sie drucken möchten. Diese haben kaum einen Bezug zur Ausstellung, und sehr wenige davon haben einen deutlichen Bezug zum Thema Geschlecht (ein Mädchen wählt das Venus-Symbol für Weiblichkeit).“ (BP 17 und BP 18)

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Welche weiteren (museums-)pädagogischen Potenziale und Ideen lassen sich hier ableiten? • Eine Station zum T-Shirt-Gestalten wäre mit verschiedenen Möglichkeiten der Farbgestaltung, etwa mit verschiedenen Buntstiften, Wachsfarbe etc., für einige Kinder und Jugendliche gewiss sehr attraktiv, wobei nicht nur die Motive, sondern auch die Wahl der Farben einen Reiz bieten könnten. • Eine Station mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Kostümen und Accessoires aus verschiedenen Zeiten, Kulturen und modischen Strömungen (z.B. mit Modekatalogen und Kleidungsstücken aus den 1950ern, 1970ern, HipHopund K-Pop-Styles), aber auch aus der eigenen Lebenswelt, kann Kinder und Jugendliche anregen, sich aktiv mit (musealen) Exponaten auseinanderzusetzen, die von ihnen auch als Ausdruck geschlechtlicher Identität, queerer Lebensweise oder der bewussten Distanzierung von geschlechtlichen Zuordnungen reflektiert werden können. • Das an der Station praktizierte Sich-(Ver-)Kleiden kann Kinder und Jugendliche auch dazu bringen, sich aktiv in verschiedene Rollen der geschlechtlichen Identität, des geschlechtlichen Ausdrucks etc. zu versetzen, was den eigenen Denkraum erweitern bzw. die Empathie fördern kann. 5.7 Charakterisierung der Partizipationsformen Zusammenfassend lassen sich die Ausstellungs- und Vermittlungselemente des ‚All Included!‘-Projekts unterschiedlichen Partizipationsformen zuordnen (vgl. die ausführliche Vorstellung der Partizipationsformen in Kap. 3.2). Partizipation im Sinne von Beitragen (contribution) Diese Partizipationsform des Mitwirkens oder Beitragens war an diversen Stationen, in denen junge Besucher_innen des JuMuMobils und der Werkschau aufgefordert wurden, sich durch Punkte-Kleben auf einer Skala zu positionieren, ihre Einschätzung zu äußern, Ausgestelltes zu kommentieren etc. zu finden. Auch in den betreuten Workshops spielten explizite Fragen und Impulse oder Arbeitsaufträge eine wichtige Rolle, bei denen die Kinder und Jugendlichen gefordert waren, sich mündlich, schriftlich, gestalterisch oder über eine szenische Darstellung zu beteiligen. Partizipation im Sinne von Mitarbeiten (collaboration) Eine stärkere Form der Partizipation, das Mitarbeiten, war phasenweise in einigen die Werkschau begleitenden Workshops möglich, in denen die Teilnehmenden betreut durch die Pädagog_innen gemeinsam Inhalte ausarbeiteten. Bei den partizipativ angelegten Lernwerkstätten handelt es sich um consultative projects,

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weil die Partizipierenden in die Entwicklung von Konzepten aktiv eingebunden waren und in diesem Rahmen auch Einfluss auf die Inhalte nehmen konnten. Phasenweise kann auch von co-development projects gesprochen werden, da die Schüler_innen spätere Ausstellungselemente gestalteten und beschrifteten. Zwar war hier eine geteilte Autorschaft, d.h. die ‚Handschrift‘ der Kinder und Jugendlichen, erkennbar – z.B. kamen auch die Vorbehalte und das den Projektzielen Widerstrebende bei einigen Kinder in den Texten und Objekten zum Ausdruck. Dennoch steuerte das Museum den Projektverlauf und bestimmte den Rahmen der Inhalte (vgl. auch Pointek 2017: 197ff). Das Museum arbeitete – gemäß der Arbeitsteilung – diese Ergebnisse ästhetisch durch Anpassung an ein Ausstellungsdesign und eine Informationshierarchie weiter auf, es sorgte also für Vereinheitlichungen in der Gestaltung oder strukturierte diese ‚Produkte‘ für ein Publikum, das den Entwicklungsprozess nachvollziehen können sollte. Partizipation im Sinne von Mitgestalten (co-creation) Die mehrtägigen Lernwerkstätten zur Ausstellungsentwicklung der ‚All Included!‘-Werkschau lassen sich bezogen auf wenige Phasen als co-creation, d.h. als Mitbegründen, Mitgestalten, einordnen (vgl. Nettke 2018). Schüler_innen arbeiteten zum Teil vom ersten Kontakt mit dem JuMuMobil, also von Projektbeginn an, mit dem Museum zusammen. Allerdings waren die Möglichkeiten zum Mitentscheiden im ‚All Included!‘-Projekt begrenzt. Die Entscheidungsinstanz lag dann bei den Kindern und Jugendlichen, wenn diese Recherchen in Geschäften tätigten, wenn sie Interviews konzipierten und durchführten oder wenn sie eigenständig Collagen, Magazine oder größere Objekte gestalteten und dazu eigene, nicht vom Museum redigierte Texte verfassten. Viele derartig entwickelte ‚Produkte‘ bzw. ‚Forschungsergebnisse‘ wurden unbearbeitet ausgestellt, d.h. das Museumsteam ließ durchaus in den erarbeiteten Materialen teils enthaltene Unzulänglichkeiten auch Widersprüche oder Abwehrhaltungen in die Werkschau einfließen, was den partizipativen Charakter betonte. Jedoch waren der thematische und zeitliche Rahmen sowie auch der methodische Fokus vom Museum vorgegeben. Einige Kinder hielten den Kontakt zum Museum und arbeiteten als Guides, d.h. sie boten Führungen durch ‚ihre‘ Ausstellung an.

6. Pädagogische Interaktionen und Haltungen – Herausforderungen guter Praxis Mart Busche, Uli Streib-Brzič

Mit dem Ziel, heteronormativitätskritische Jugendbildung weiter zu befruchten, stellen wir im Folgenden empirisch generierte Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitung von All Included! vor. Wir haben dazu vor allem Interviews mit pädagogischen Mitarbeiter_innen des Jugendmuseums, aber auch Feldprotokolle aus der teilnehmenden Beobachtung und Gruppendiskussionen aus Transfer-Workshops ausgewertet (vgl. Kap. 4.1). In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit ausgewählten Gelingensbedingungen (6.1) sowie besonderen Herausforderungen (6.2) pädagogischer Arbeit zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt, wobei wir das Thema ‚queerfeindliche Abwehr‘ separat behandeln (6.3). Dieses Thema ist uns in den Interviews wie auch auf Tagungen und Workshops, wo wir erste Ergebnisse präsentiert haben, als thematischer ‚Dauerbrenner‘ begegnet. In den ersten drei Unterkapiteln sind vorwiegend Ergebnisse zusammengestellt, die mit der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) herausgearbeitet wurden, wobei wir bezüglich der Abwehrsituationen auch sich dokumentierende Handlungsorientierungen (vgl. Bohnsack et al. 2007) vorstellen. Im nächsten Unterkapitel (6.4) fokussieren wir drei Handlungstypen, die wir mittels dokumentarischer Rekonstruktion bei den Pädagog_innen mit Blick auf Situationen herausgearbeitet haben, in denen sie hinsichtlich der Teilnehmenden und/oder Themen mit sozialen Differenzen konfrontiert waren. Im letzten Unterkapitel (6.5) steht die Relationierung unterschiedlicher Wissensbestände aus Praxis und Wissenschaft anhand von Sequenzen aus verschiedenen Gruppendiskussionen im Mittelpunkt der Analyse, deren Reflexion für eine weitere Professionalisierung heteronormativitätskritischer Bildungsarbeit wichtige Hinweise liefert. Hierbei wurde ebenfalls der Analysezugang der Dokumentarischen Me-

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thode genutzt. Wo es sich anbot, haben wir nach den jeweiligen Analysen Anregungen für heteronormativitätskritische Erweiterungen eingewoben. 6.1 Bedingungen für gelingende pädagogische Arbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt Woran machen Pädagog_innen Gelingen in diesem pädagogischen Feld außerschulischer Jugendbildung fest, das sich durch offene Formate und vorab kaum zu planende Dynamiken auszeichnet und in dem das Gelernte zumeist nicht messbar ist? Wir haben die Pädagog_innen danach gefragt, wann sie den Eindruck hatten, der gesamte Workshop oder etwas im Workshop sei so richtig gut gelungen. Sie wurden gebeten, genau zu beschreiben, woran sie das Gelingen festmachen, und zu überlegen, was zu diesem Gelingen beigetragen habe. Weiter haben wir die Pädagog_innen gefragt, was sie noch hätten gebrauchen können und was ihrer Ansicht nach die notwendigen Bedingungen seien, damit Bildungsarbeit zum Thema vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen gelingt. Die Interviewten erklärten, dass sie Gelingen an beobachtbaren Veränderungen und Effekten bei den Kindern und Jugendlichen festmachen, also z.B. daran, dass • Neugier und Interesse bei den Adressat_innen wahrgenommen werden kann

und eine emotionale Beteiligung zu spüren ist, • ein konstruktiver Austausch innerhalb der Gruppe der Kinder und Jugendli-

chen stattfindet, • Kinder und Jugendliche im Workshop-Verlauf eine reflektiertere, kritischere oder offenere Perspektive auf das bearbeitete Thema zeigen als zu Beginn, • die Adressat_innen den Input mit ihren Erfahrungen und ihrem vorhandenen Wissen verknüpfen und so einen Wissenszuwachs erfahren und neue Erkenntnisse gewinnen, • sich Kinder und Jugendliche in einem erweiterten Geschlechterverständnis ausprobieren können und dies als bestärkend erfahren. Welche pädagogischen Situationen werden von den Pädagog_innen überhaupt als gelungen beschrieben? Was sind die Bedingungen, die eine Bildungsarbeit zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen benötigt, um angestrebte Bildungsziele erreichen zu können? Die drei Kategorien ‚offener Raum‘ (6.1.1), ‚geeignete Themen und Zugänge‘ (6.1.2) und ‚ausreichend Zeit‘ (6.1.3) stellen wir hier anhand der von den Pädagog_innen als relevant markierten Elemente dar.

Pädagogische Interaktionen und Haltungen | 117

6.1.1 „Ein atmosphärisches Ding“ – Einen offenen Kommunikationsraum herstellen Als eine zentrale Bedingung dafür, Situationen zu gestalten, die als gelungen bewertet werden, nennen die Pädagog_innen sehr häufig die „Herstellung von Räumen“: eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, in der offen und angstfrei miteinander kommuniziert werden kann und die gleichzeitig gewährleistet, dass sich alle Teilnehmenden durch eine klar positionierte Leitung ausreichend geschützt fühlen, falls abwertende und verletzende Äußerungen vorkommen. Die Herstellung von „Räumen für offene Kommunikation, […] scheint mir schon eine sehr fundamentale Bedeutung zu haben, […] für alle produktiven Lernsituationen und für die heteronormativitätskritischen ganz besonders“, so Cato (1902-1905). Auch Grey bestätigt, dass es wichtig sei, miteinander „ins Gespräch [zu] kommen“ (1185), damit Vertrauen aufgebaut und eine Beziehung hergestellt werden kann. Ganz wesentlich ist, wie Sam betont, Neutralität zu bewahren, den Statements der Kinder und Jugendlichen mit Interesse und Wertschätzung zu begegnen, um den Adressat_innen die Sicherheit zu vermitteln, „dass sie frei sprechen dürfen“ (2259f) und als sozial erwünscht angenommene Äußerungen, die Grey als „freundliche Mauer“ (50) beschreibt, vermieden werden können. Es sei gelungen, Offenheit herzustellen, wo „Kinder […] plötzlich eine andere Seite von sich gezeigt haben oder ne Geschichte von sich erzählt haben, die ich fand sehr, sehr persönlich war, aber anscheinend ein Rahmen geschaffen wurde, wo sie’s Vertrauen hatten, diese Geschichte zu teilen“ (640644). Vertrauen, so stellen Pädagog_innen fest, entsteht dann, wenn die Teilnehmenden sich wohlfühlen und „Spaß“ (Grey, 124) an der Bearbeitung des jeweiligen Themas haben, wenn eine Ebene gefunden wird, „wo sie einsteigen können“ (ebd.). Darüber hinaus gehört zu einem Raum für offene Kommunikation, dass sich Kinder und Jugendliche „respektiert, akzeptiert fühlen mit dem, was sie sagen“ (Grey, 1186f). Das offen-neugierige Interesse an den Gedanken und Ideen der Kinder und Jugendlichen wird als eine „Grundbedingung“ für pädagogisches Gelingen genannt, „das ist ein atmosphärisches Ding, dass man signalisiert, ihr dürft […] hier alles sagen“ (Alex, 1219-1221). In diesem offenen Raum kann jedoch ein Spannungsfeld entstehen, wenn Kinder und Jugendliche Haltungen äußern, die andere Teilnehmende abwerten und damit verletzen. Ein_e Pädagog_in bemerkt, dass als essentielle Grundbedingung ein solcher offener Raum daher von Regeln des Umgangs miteinander gerahmt sein sollte: „Also ich finde, man muss dann auf jeden Fall sagen, dass es wichtig ist, dass auch jeder […] die Meinung sagen darf […], dass es

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aber klar ist, dass wir [im] Jugend Museum zum Beispiel keine Beleidigungen dulden, keine Anfeindungen“ (Luca, 310-314).1 Die so geschaffene WorkshopAtmosphäre kann damit zu einem kreativen Denk-Raum werden, es entstehen „Freiräume“ (Toni, 2323), in denen vorherrschende Normalitäten hinterfragt werden und Kinder und Jugendliche motiviert werden können, „die eigenen Standpunkte und Bedürfnisse zu artikulieren“ (Mitja, 1296). Insgesamt werden so kritisches Denken, Entwicklung von alternativen Vorstellungen und eigenständiges normenreflektiertes Handeln ermöglicht (Alex, 1540f). 6.1.2 „Eine Treppe bauen“ – Geeignete Themen und Zugänge wählen Als bedeutsam schätzen die Pädagog_innen auch den Einstieg ins Thema ein. Dieser soll an die Erfahrungswelten der Kinder und Jugendlichen anknüpfen: „Und dann halt [ein] Eingangsthema finden, zum Beispiel Liebe ist halt genau ein Eingangsthema […], mit dem alle was anfangen können“ (Jay, 1958-1960). Einstiegsthemen sind jene Themen, die den Kindern und Jugendlichen vertraut sind, und die – wie zwei Pädagog_innen es formulieren – sich damit „sicherer“ anfühlen (Grey, 129f; 1229f; Jay, 1960). Die Themen Liebe, Familie, Geschlechterrollen oder auch Ausgrenzungserfahrungen werden von den Pädagog_innen als Einstiegsthemen als besonders gut geeignet eingeschätzt, um Kinder und Jugendliche auf eigene Erfahrungen anzusprechen und sie dann zu einer heteronormativitätskritischen Reflexion anzuregen (Kim, 209-219). Auch das Thema Familie eigne sich gut als Anknüpfungspunkt, zumal es sich mit theaterpädagogischen Elementen gut bearbeiten lässt, z.B. indem die Adressat_innen die Möglichkeit bekommen, sich ganz unterschiedliche Beziehungs- und Zusammenlebensweisen experimentell-kreativ in Theaterszenen zu erschließen, wie Sam es beschreibt (Sam, 264-278, 289). Neben vertraut erscheinenden Themen wecken auch noch unbekannte Inhalte Neugier und Interesse, z.B. die Themen trans* und inter* (Kay, 174-178). Kinder und Jugendliche werfen hierzu Fragen auf, weil sie bei diesen Themen weitaus weniger Vorwissen haben – etwa im Unterschied zum Thema Homosexualität, mit dem sie durch die verstärkte mediale und gesellschaftliche Präsenz in den letzten Jahren zumeist bereits Berührungspunkte haben. Die Wichtigkeit des

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Thomas Kugler und Stephanie Nordt von der Bildungsinitiative QUEERFORMAT schlagen als Expert_innen vor, auf queerfeindliche Äußerungen zumindest mit einem „symbolischen ‚Autsch!‘“ zu reagieren (VieL*Bar_Reflexions-Workshop am 19.01. 2018).

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Themas unterstreichend berichtet Jay, dass sich die Kinder und Jugendlichen oftmals „ganz komische Sachen zusammengesponnen“ hätten und „es auch anatomisch begreifen“ wollten (Jay, 57f). Dies erfordert von den Pädagog_innen fundiertes themenspezifisches Wissen mit Praxisbezug und sexualpädagogische Kenntnisse. Neben Wissensthemen werden emotionale und erfahrungsbezogene Dimensionen angesprochen. Es finden sich in den Interviews unterschiedliche Beispiele dafür, wie Pädagog_innen Elemente ihrer eigenen Biografie als Zugang nutzen. Damit ermöglichen sie Kindern und Jugendlichen, eigene Erfahrungen und Befindlichkeiten auf der angebotenen Folie einordnen zu können, oder konfrontieren sie im Lernraum des Workshops auch mit den emotionalen Effekten von Ausgrenzungs- und Diskriminierungsnarrativen. Alex beschreibt es z.B. als eine Brücke, wenn sie_er eigene Ausgrenzungserfahrungen mitteilt und diese als etwas Schmerzliches, das aber überwunden werden kann, vermittelt: „Ich sag dann mal, dass ich auch mich oft ausgegrenzt gefühlt habe oder […] bei was nich mitspielen durfte, das sind ganz simple Situationen, die aber ne tolle Wirkung haben können. […] da gab’s ein’ Tag, da durft ich nich mitspielen und ich wusste nich, warum. Und das ham die mir auch nich erklärt, und […] dass ich da einfach richtig traurig war und dann am nächsten Tag auch mich nich getraut hab wieder hinzugehen. So, ja? […] und dann sprudeln sie oft. ‚Ja, stimmt‘ und so, ‚Ja, und das hatt ich auch schon mal‘ oder sowas Ähnliches. Ich denk, da darf man schon auch […] eine Treppe bauen“ (Alex, 1425-1436). Die methodische Verknüpfung von ‚All Included!‘-Inhalten und eigenen Erfahrungen wird an vielen Stellen betont. Dass Kinder und Jugendliche dabei Antworten auf eigene Fragen finden bzw. Eigenes in den Biografien wiedererkennen, wird als empowernd beschrieben: „[A]lso es gab auch ein Kind in nem Workshop, das selber wahrscheinlich transident war, und das war für das Kind ein ganz tolles Erlebnis, [an diesem] Workshop da teilgenommen zu haben und im [JuMuMobil] Romy Haag zum Beispiel zu sehen“ (Luca, 279f). Nicht zuletzt wurde von den Pädagog_innen angemerkt, dass sie gerade die Begegnungen der Kinder und Jugendlichen mit realen Personen, die sich als LGBTIQ+ identifizieren, für sehr geeignet halten, um Vorurteile und Ängste abzubauen: „[R]eale Begegnung […], Begegnungen mit Menschen […] helfen auch, die Kinder oder Jugendlichen zu entspannen, im Rahmen eines schwierigen Themas, dass sie merken ‚Ah ja, man kann ja mit den Menschen, die sie vorher als so komplett anders vorgestellt haben, auch reden und sind auch wie du und ich‘“ (Alex, 311-313). Es gab bei den Lernwerkstätten weitere Interviews mit ‚realen‘ Personen und Rechercheaufgaben, die mit Kiezspaziergängen verbunden waren. Die Päda-

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gog_innen schätzen diese Elemente des Workshop-Konzepts durchgängig positiv ein. Nicht zuletzt gestalteten die Kinder und Jugendlichen mit der kreativen Entwicklung und Erstellung der Ausstellungsobjekte die Werkschau mit, z.B. durch Fotogeschichten oder Videos. Dies wird von den Pädagog_innen als sehr geeignet angesehen, ihnen Erfahrungen von Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit zu vermitteln. Einige Ausstellungsobjekte waren zudem so gestaltet, das sie auf Partizipation und Interaktion ausgerichtet waren (vgl. Kap. 3.3 & 5.7). „[A]lle Stationen, wo’s etwas zum Selbermachen gibt“ (Cato, 174), wurden als förderlich für die Initiierung von Bildungsprozessen eingeschätzt. So hatten einige Objekte einen doppelten partizipativen Nutzen: im Moment der Erstellung wie auch hinterher bei ihrer weiteren Verwendung in der Werkschau (vgl. Kap. 3 & 5). Der Aspekt von Partizipation als Gelingensbedingung findet sich auch in einigen Methoden. Theaterpädagogische Elemente wie Rollenspiele, szenische Darstellungen mit unterschiedlichen Verläufen sowie Elemente aus der Standbild- und Skulpturarbeit werden von mehreren Pädagog_innen angewendet und insbesondere deswegen als gute Methoden eingeschätzt, weil hierdurch eine hohe Beteiligung und Interaktion der Kinder und Jugendlichen initiiert werden kann (Kim, 134). Zudem wird durch theaterpädagogische Elemente ein Perspektivwechsel angeregt. Die Kinder und Jugendlichen werden auf der emotionalen Ebene angesprochen und bestärkt, ihre eigene Haltung zu einem Thema bzw. gegenüber anderen Positionen zu reflektieren (Luca, 274). Insbesondere die Initiierung eines Perspektivwechsels wird als bedeutsam eingeschätzt, um eine Auseinandersetzung mit eigenen Bildern, mit Vorurteilen und Abgrenzungstendenzen herzustellen und Empathie zu ermöglichen. Es gehe dabei nicht nur darum „zu spielen, sondern auch so die Emotionen, vielleicht mal en kurzen Moment Pause, um zu reflektieren, was geht grad in dem Menschen vor“ (ebd.). Es werden also bewusst Pausen in die szenischen Abläufe eingebaut, die für das Imaginieren der Gefühlswelten anderer Personen genutzt werden. Auch Bilder einzusetzen und mit Metaphern zu arbeiten, wurde von Pädagog_innen als hilfreich eingeschätzt: „[V]iele wussten auch gar nich, was schwul is, die benutzen das als Schimpfwort, aber wussten eigentlich gar nich so richtig, was es is, […] kann man sich das aussuchen, in wen man sich verliebt oder was man mag, […] du magst Zitroneneis und ich mag Schokoeis, und […] macht es Sinn, jetzt deswegen jemanden zu ärgern […]? [Man] versucht einfach

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irgendwie Bilder zu finden. […] Und das hat bei [den Kindern und Jugendlichen] ganz gut funktioniert.“ (Toni, 78-84) 2

Indem die Adressat_innen angeregt werden, spielerisch ungewohnte, neue Rollen oder Perspektiven einzunehmen, können (Berührungs-)Ängste überhaupt erst einmal wahrgenommen, bearbeitet und damit perspektivisch verringert werden (Toni, 32-36). Als sehr wichtige Rahmenbedingung wird die Arbeit in Kleingruppen genannt, sie sei eine „Voraussetzung“ (Jay, 502), um den Anspruch einer zielgruppengerechten partizipativen pädagogischen Arbeit umzusetzen (Jay, 508-512)3. Das Kleingruppensetting ermöglicht ein differenzierteres Eingehen auf einzelne Kinder und Jugendliche: auf ihre Hintergründe, das Wissen, das sie mitbringen, wie auch die Fragen, die sie beschäftigen. Pädagog_innen betonen die gemeinsame Diskussion und die Möglichkeit für stillere und zurückhaltendere Teilnehmer_innen, sich mit ihrer Erfahrungen einzubringen: „[…] in ner Großgruppe kann man […] sich nich austauschen […], und ähm es gehen halt auch viele Leute unter, die vielleicht ähm sich dann nich trauen oder ähm gewohnt sind, erstmal äh andere Leute vorher sprechen zu lassen, und Angst haben irgendwie was falsch zu machen. Und in der kleinen Gruppe ähm kriegt man solche Sachen auch […] mit“ (Jay, 2088-2094). Die Kleingruppe als Gelingensbedingung für partizipative pädagogische Arbeit ist auch eng mit dem Thema des vorhergehenden Unterkapitels verknüpft, dem Herstellen kommunikativer Räume. 6.1.3 „Zu einem guten Ende bringen“ – Mit begrenzter Zeit umgehen Als wichtige Rahmenbedingung für gelingende Arbeit benennen die Pädagog_innen den Faktor Zeit. Grundsätzlich wird Zeit als ein begrenzender Aspekt, als zu knappe Ressource wahrgenommen, und die Pädagog_innen müssen abwägen, was sie erreichen können: „[…] hab ich hier noch ne Chance das irgendwie zu nem guten Ende zu bringen“ (Alex, 887). 2

Wir haben die meisten Interview-Zitate sprachlich geglättet. Bei dokumentarisch ausgewerteten Interviewsequenzen wurde aufgrund der methodischen Nachvollziehbarkeit in Kapitel 6.4 die Feintranskription belassen. Die Transkriptionsregeln finden sich im Anhang. Die Angaben in Klammern hinter den Zitaten beziehen sich auf die Zeilennummer(n) im Interviewtranskript.

3

Das Workshop-Konzept im Rahmen von All Included! sah einen Wechsel von Großund Kleingruppenarbeit vor. Innerhalb der vierstündigen Workshops wurde ca. die Hälfte der Zeit in Gruppen à 5-10 Teilnehmenden gearbeitet.

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Für den Aufbau von Vertrauen wie auch für intensive Themenarbeit wird in der pädagogischen Arbeit als unabdingbar bewertet, dass genug Zeit zur Verfügung steht (Ray, 1531-1534). Dies gilt insbesondere für Situationen, in denen durch weitreichende Fragen, Reaktionen eigener Betroffenheit oder den Austausch von kontroversen Meinungen Erkenntnisprozesse ausgelöst werden (Sam, 18861890; Grey, 981-991). Manche Lernsettings waren deshalb so konzipiert, dass zu Beginn aufkommende Themen von besonderem Interesse in Lernwerkstätten vertieft werden konnten (Kay, 519-537). Vor diesem Hintergrund werden die Kurzzeitformate der vierstündigen Workshops im Rahmen des Projekts All Included! kritisch betrachtet, weil die Pädagog_innen des Öfteren in Situationen geraten, in denen direkt vor Workshop-Ende noch wichtige Fragen aufgeworfen werden oder Statements aufkommen, deren weitere Bearbeitung ihnen ein Anliegen wäre. „‚So, jetzt wären wir so weit [lachend], schade‘“ (Grey, 90), fasst ein_e Pädagog_in seine_ihre Gedanken aus einer solchen Situation zusammen, ein_e andere_r fragt Bezug nehmend auf eine schwierige Situation: „[…] ham wir noch schön Zeit, wo wir sagen können, wir machen richtig was draus?“ (Alex, 892f). Insgesamt überwiegt jedoch die Einschätzung, dass es auch in Kurzzeitformaten möglich ist, bei der Zielgruppe Neugier am Thema zu wecken, Aha-Erlebnisse und Erkenntnisgewinne zu initiieren – sofern die Inhalte didaktisch so aufbereitet sind, dass sie an den Wissensstand der Teilnehmenden anknüpfen. Damit, so resümiert Mitja, könne auch ein vierstündiger Workshop „immer was bringen, […] und wenn es nur bedeutet, dass Leute zum ersten Mal von Dingen hören, von denen sie vorher noch nie gehört haben“ (Mitja, 811-815). In den Formaten der mehrtägigen Lernwerkstätten mit kooperierenden Schulen stand die benötigte Zeit dann eher zur Verfügung. Im Zusammenhang mit der knappen Ressource Zeit äußern sich die Pädagog_innen häufig kritisch zur Produktion von Arbeitsergebnissen zum Abschluss der Workshops (Mitja, 22-25; Sam, 1534-1538). Luca fände wünschenswert, „bisschen Druck rauszunehmen, am Ende […] auch so’n Ergebnis zu präsentieren. In was für einer Form auch immer. Ob es ein Theaterstück ist, ob es irgendwie ein Gedicht ist, ein Rap oder irgendwie nur so Standbilder, […] wenn man dann so darauf hinarbeitet, dann ist man […] im Wettlauf mit der Zeit und das ist unangenehm.“ (Luca, 1465-1470) Stattdessen gibt es Vorschläge, in einer gemeinsamen Abschlusspräsentation eher digitale Fotos aus dem Arbeitsprozess zu zeigen (Luca, 1662-1666), um so mehr Zeit für anderes zu haben.

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Gelingensbedingungen für eine heteronormativitätskritische Jugendbildung aus Sicht der Pädagog_innen zusammenfassend, lässt sich bezüglich der Kategorien ‚Raum‘, ‚Themen und Zugänge‘ und ‚Zeit‘ festhalten: Grundsätzlich erscheint ein fundiertes spezifisches Fachwissen notwendig, um Kinder und Jugendliche ins Themenfeld ‚vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen‘ einzuführen und bei der Auseinandersetzung damit zu begleiten. Nicht nur trans* und inter* sind Themenbereiche, die grundlegende Kenntnisse auf theoretischer Ebene, in Bezug auf mediale Diskurse wie auch auf das in der Community etablierte Wissen erfordern. Auch kreativ auf Bilder oder auf ein breiteres Allgemeinwissen zurückgreifen zu können, ist von Vorteil, um Fragen angemessen beantworten zu können und um neues Wissen, indem an vorhandenes angeknüpft wird, einordnen zu können. Ein Beispiel hierfür ist die Frage eines Grundschülers, der, nachdem der_die Workshop-Leitende die Begriffe Homo- und Heterosexualität erklärt hatte, gefragt hatte: „Wieso heißt es denn dann homo sapiens?“ (BP 11) Neben einer produktiven Atmosphäre, in der Kinder und Jugendliche in Auseinandersetzung gehen können und die Multiperspektivität in der jeweiligen Gruppe sichtbar werden kann, braucht es auch Methoden und Materialien, die Reflexion und Austausch über unterschiedliche Standpunkte anregen. Dabei kann es u.E. hilfreich sein, sich auf eher wenige Themen zu konzentrieren, diese aber konsequent zu verfolgen und aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass die Konfrontation mit Neuem auch bedeutet, sich ein Stück weit aus der eigenen ‚Komfortzone‘ herauszubewegen. Aus den Interviews geht hervor, dass sich Pädagog_innen als Brückenbauer_innen im Verstehensprozess (vgl. Kap. 6.1.2, siehe auch Combe/Helsper 2002: 40) ansehen und als „Bezugspersonen, die die Verunsicherung beim Lernen des Neuen reduzieren“ (Dollase 2013: 87). Es braucht dabei eine gewisse Flexibilität in der Gestaltung des Programms, wenn ein noch unerprobtes Herangehen an ein Thema ausprobiert und dynamisch und zielgruppengerecht angepasst werden soll. Zugleich ist eine Bewegung festzustellen, die zwischen dem Hantieren mit bekannten und unbekannten Aspekten eines Themas changiert. Sich wohlfühlen und irritiert werden kann dabei als produktives Spannungsverhältnis begriffen werden.

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6.2 Herausforderungen in der pädagogischen Arbeit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt Was haben die befragten Mitarbeiter_innen des Projekts All Included! nun aber als herausfordernd bei der Konzeption, Ausgestaltung und Umsetzung ihres Projekts erfahren? Die von ihnen genannten Herausforderungen lassen sich in solche auf gesellschaftlich-politischer Ebene bei Bekanntmachung und Etablierung des Projekts (6.2.1) und in solche der direkten pädagogischen Arbeit bei der Durchführung der Workshops unterteilen (6.2.2). 6.2.1 „Lassen Sie Ihren Sohn doch einfach mitmachen“ – Herausforderungen in der Bekanntmachung und Etablierung des Projekts Bereits zu Beginn des Projekts zeigten sich Herausforderungen, als es für das Jugend Museum darum ging, politische Entscheidungsträger_innen als Unterstützer_innen und Leitungen umliegender Schulen im Bezirk Berlin-Schöneberg als Kooperationspartner_innen zu gewinnen sowie das gesamte Projekt bekannt zu machen. Die folgenden Beispiele beziehen sich auf die Ebenen der lokalen Stakeholder, der Eltern potenziell teilnehmender Kinder und den Umgang mit Medien und Öffentlichkeit. Kay, die_der bei der Konzeption des Projekts mitgewirkt hat, beschreibt, wie sie_er vorab nicht einschätzen konnte, welche Reaktionen die Präsentation der Projektidee in einem Bezirksgremium zeitigen würde: „Der erste Kontakt sozusagen mit der Herausforderung war, dass wir im [Bezirksgremium] das Projekt vorgestellt haben […], und das hatte was von Sich-Outen in der Runde. […] eigentlich habe ich ein gewisses Training darin, trotzdem […] war es so’n Gefühl von, ja, wir wollen da was und wir wollen die gewinnen.“ (Kay, 16-21) Outing stellt ein in heteronormativen Gesellschaften oft als notwendig empfundenes bzw. diskursiv auferlegtes Öffentlichmachen einer nicht-heteronormativen Lebensweise dar, um als Subjekt in Einklang mit dieser leben zu können und im sozialen Umfeld Anerkennung zu erfahren. Dabei besteht das Risiko, abgelehnt zu werden. Der Eindruck eines ‚Outings‘ bei der Präsentation des Projekts weist auf den diskursiven Mechanismus hin, denjenigen, die sich für LGBTIQ+-Lebensweisen einsetzen – wie hier in Form der pädagogischen Thematisierung –, eine entsprechende Lebensweise zu unterstellen. Es erfordert Selbstbewusstsein, sich öffentlich auf überzeugte (und überzeugende) Weise mit die-

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sem Thema zu präsentieren und keine Kontrolle darüber zu haben, ob und welcher Rückschluss auf die eigene Lebensweise erfolgt.4 Als herausfordernd wird auch eine angemessene Reaktion auf die befürchtete Möglichkeit genannt, Eltern könnten sich gegen ein Projekt zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt positionieren – Annahmen, die derzeit durch national-konservative bzw. rechtspopulistische Gruppierungen wie die ‚Besorgten Eltern‘ besonders forciert werden. So beschreibt Kay eine Situation, in der ein Vater sie_ihn anrief: „[…] der sagte […], er wollte nur mal sagen, dass er nich einverstanden damit is, […] wenn wir so tun, als wären Familien, die aus Mutter und Mutter oder Vater und Vater bestehen, dass das normal wäre […]. Und dann hab ich nur gesagt: ‚Ah ja, das höre ich, ja, es geht schon auch um Familie und um Vielfalt und um Geschlechterrollen und […], nö, lassen Sie mal Ihren Sohn ruhig mitmachen‘, so ganz freundlich, und ich hab das weder dementiert noch / so. Ich hab gesagt: ‚Ja, das höre ich und lassen Sie Ihren Sohn doch mal einfach mitmachen‘, so. Und dann kam auch nichts mehr“ (Kay, 57-73). Kay beschreibt, wie sie_er auf die vorgebrachten Normalitätsvorstellungen eines Elternteils reagiert, indem sie_er freundlich-offen signalisiert, dass er_sie die Gegenposition verstanden hat, und Transparenz darüber schafft, welche Themen adressiert werden. Anstatt eine Gegenrede vorzunehmen, lässt sie_er die Argumente stehen und spricht entdramatisierend eine Einladung aus, den Sohn „ruhig“ bzw. „doch mal einfach“ teilnehmen zu lassen. Diese Einladung trägt zugleich einen appellhaften Charakter und erkennt die Position des Vaters an, der letztendlich über die Teilnahme des Sohnes entscheidet („lassen Sie …“). Ein_e weitere_r Vertreter_in des Jugend Museums, die_der die Konzeptentwicklung und Antragstellung initiiert und das Projekt mit zu verantworten hatte, beschreibt, wie er_sie erstaunt und sehr erfreut zur Kenntnis nahm, wie viel Anerkennung und Zuspruch das Projekt bereits in der Konzeptionsphase er-

4

Das Outing erscheint hier als singuläres Ereignis in einem bestimmten Setting. Bei Personen ist ein Coming-out jedoch oft als lebenslanger Prozess zu verstehen, der nicht zuletzt auf die heteronormative Verfasstheit der Gesellschaft hinweist, weil nur das Leben entlang nicht-heteronormativer Geschlechter- und Sexualitätsnormen ein Outing erfordert. Butler (1996: 19) schreibt: „[…] ‚out‘ zu sein hängt immer in gewisser Weise damit zusammen, ‚in‘ zu sein; es gewinnt seine Bedeutung nur innerhalb dieser Polarität.“ Durch ein Outing würde zwar das homosexuelle Begehren offenbart, es sei aber völlig unklar, was dies genau bedeute (ebd.: 18). Angesichts der Logik von Norm und Abweichung und der Unklarheit darüber, wie die Kategorie ‚out‘ genau gefüllt ist, ist die Perpetuierung dieses Konzepts also auch kritisch zu sehen. (Vgl. auch Kap 2.3)

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hielt und dass Schulen daran interessiert waren, sich zum Thema ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ auszutauschen und das Projekt als Kooperationspartner_innen mitzugestalten. Sie_Er vermutet, dass die Schulen den Bedarf und die Notwendigkeit sahen, dem Thema Raum zu geben, und dass das Jugend Museum gerade für Schulen, die das Museum bereits von Ausstellungsbesuchen mit Schüler_innen kannten und von der Qualität der Arbeit überzeugt waren, als Türöffner fungieren konnte. Damit erhielt das Museum bereits in der Anfangsphase sehr positive und bestärkende Rückmeldungen. Als die Berliner Boulevardzeitung B.Z. zum öffentlichkeitswirksam kommunizierten Projektstart einen negativen und an entscheidenden Punkten auf falschen Fakten beruhenden Artikel veröffentlichte, wurde, wie Florin berichtet, dem Modellprojekt die vorbehaltlose Unterstützung einer Stadträtin zuteil, die „selber einen wunderbaren Antwortbrief geschrieben […] und sich ganz schützend vor dieses Projekt gestellt hat“ (Florin, 162-164). Dies erschien Florin auch deshalb bemerkenswert, weil es sich bei der Stadträtin um eine CDU-Politikerin handelte. Diese eindeutig befürwortende Stellungnahme der Politik, die sich bereits durch die finanzielle Förderung über das Programm ‚Demokratie leben!‘ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigte, gab dem Modellprojekt eine sichere Basis. Zusammenfassend lässt sich zur Beantragung, Bekanntmachung und Etablierung eines Projekts zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt festhalten, dass bei der Vermittlung auf gesellschaftlich-politischer Ebene die Möglichkeit besteht, nicht nur in der professionellen Rolle gesehen zu werden, sondern auch auf der Ebene der persönlichen Lebensweise mit Projektionen konfrontiert zu sein. Anders als bei weniger umstrittenen Bildungsinhalten kann bei auf Lebensweisen bezogenen Themen eine Identifizierung der Akteur_innen mit den Inhalten stattfinden und das Thema auf eine ‚Betroffenenpädagogik‘ reduziert werden. Hier ist es hilfreich, auf die Setzung eines professionellen Rahmens zu achten und sich z.B. auf gesetzliche Grundlagen und Richtlinien oder auch auf Forschungsergebnisse zu queeren Lebenswelten von Jugendlichen zu beziehen (vgl. Kap. 2.1 & 2.2). Des Weiteren zeigt sich, wie wichtig die Rolle von Stakeholdern als Verbündeten in der bildungspolitischen Landschaft ist. Im Umgang mit öffentlichkeitsbezogenen Herausforderungen erweisen sich auch bei der Etablierung neuer Themen langjährige Kooperationen sowie das Engagement von Schlüsselpersonen aus der Politik als hilfreich. Alte Bündnisse zu pflegen, zu erweitern und neue zu etablieren,5 kann somit zu einem ‚queeren Mainstreaming‘ beitra-

5

Siehe z.B. das 2016 gegründete Netzwerk ‚Museen Queeren Berlin‘, https:// museenqueerenberlin.wordpress.com/.

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gen, bei dem der Einbezug queerer Themen auf allen relevanten Inhalts- wie Planungsebenen zunehmend auf selbstverständliche Weise erfolgt. 6.2.2 „Alles als was Gemachtes angucken“ – Herausforderungen in der pädagogischen Praxis Mit Blick auf die Durchführung der Workshops mit Kindern und Jugendlichen und die Führungen durch die Werkschau beschreiben die Pädagog_innen folgende Aspekte der pädagogischen Praxis als besonders herausfordernd: • die altersgemäße Vermittlung des Themas und Berücksichtigung unterschied-

licher Wissensstände bei der Konzipierung der Workshops, • die Abgrenzung von bzw. Überschneidung mit dem Themenfeld der Sexual-

pädagogik, • die Positionierung der Pädagog_innen bzw. das Einbringen der eigenen Person. Bei der altersgemäßen Entwicklung von Workshops spielt z.B. die Frage eine große Rolle, wie eine auf die Zielgruppe ausgerichtete Erläuterung fachspezifischer Termini des Themenfeldes anhand von Konzepten wie queer, Trans- und Intersexualität, biologisches und soziales Geschlecht, Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit als Konstruktion aussehen kann (Luca, 505-512; Jay, 40-42, 1612-1661; Mitja 97-99). Wie wichtig es ist, gerade Grundschüler_innen Begriffe verständlich zu vermitteln, beschreibt Grey, die_der unter anderem die Begriffe „biologisch“ und „sozial“ als „erwachsene Worte“ einordnet (Grey, 790), die nicht von der Zielgruppe verstanden werden, und dafür plädiert, die Komplexität zu reduzieren, um z.B. das Thema trans* in einer jugendgemäßen Sprache vermitteln zu können. Jay erläutert, wie er_sie den Jugendlichen die Idee, dass „Geschlechterrollen“ gesellschaftliche Konstruktionen darstellen, anschaulich zu vermitteln versucht: „[…] wenn ich ‚konstruieren‘ dann auch gesagt hab, dann sagen: ‚Was=was konstruiert man denn?‘, ‚Häuser.‘ ‚Genau, so etwas Aufgebautes, was bedeutet denn aufbauen und wer baut denn dann sozusagen Stereotype auf, Klischees, wer baut denn Vorurteile auf?‘ […] das war mir als [Pädagog_in] wichtig zu sagen: ‚Ok, wir müssen uns das alles angucken als was Gemachtes, es wird gemacht, es is nich was, was da is“ (Jay, 309-317). Indem Jay ein Haus als etwas Konstruiertes betrachtet, verweist sie_er auf entnaturalisierende Weise auf das Herstellen von Geschlecht. Während einerseits also eine einfache Sprache und eine Übersetzung bestimmter Begriffe in diese als Herausforderung erkannt und geleistet wird, verdeutlicht dieses Beispiel andererseits, wie Vergleiche und Analogien die Vermittlung zentraler Konzepte erleichtern können.

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Pädagog_innen schildern, dass sie in der Vermittlungsarbeit einerseits mit Heterosexualität als unmarkierter Norm konfrontiert sind und diese zu fassen bekommen müssen, zugleich haben sie mit klischeehaften Vorstellungen und stereotypen Narrativen zu tun, wenn es um Homosexualität oder queere Lebensweisen geht. Vieles, was mit Heterosexualität zu tun hat, wird von den Kindern und Jugendlichen tendenziell als so ‚selbstverständlich‘ empfunden, dass vielen selbst der Begriff unbekannt ist und daher einer Erläuterung bedarf: „Heterosexualität […] war so unsichtbar für die [Kinder und Jugendlichen], die wussten nich, was das is“ (Mitja, 85-87). Der Term Homosexualität dagegen ist den meisten Kindern und Jugendlichen bekannt, die Kenntnisse darüber sind jedoch oftmals durch mediale Reduzierungen geprägt und von daher klischeehaft: „[D]urch Medien […] [ist] das Thema einfach präsenter […]. Es gibt halt verschiedene Sexualitäten, Menschen, die sich outen und so, das ist irgendwie präsenter, ‚[…] meine […] Mama hat auch einen ganz schwulen Freund, der ist ganz nett‘, ‚die sind so lieb‘. ‚Ich liebe Schwule‘, das höre ich auch sehr oft. […] Und wo ich dann sage: ‚Puh, da könnte ich dir einige nennen, die schwul sind und […] [m]it denen möchte ich nichts zu tun haben, ganz ehrlich.‘“ (Kim, 1072-1079). Hier besteht die Herausforderung, das vorhandene Wissen der Kinder und Jugendlichen zu erweitern und homogenisierte Bilder zu differenzieren. Jay stellt ergänzend dazu dar, dass sie_er es als herausfordernd erlebt, einen guten Umgang mit Wörtern aus dem Themenfeld ‚sexuelle und geschlechtliche Vielfalt‘ zu finden, welche die Kinder und Jugendliche kennen und verwenden, die bei ihnen aber oftmals rein negativ konnotiert sind: „Weil diese Begrifflichkeiten, sie kennen ‚Transe‘, sie kennen ‚Zwitter‘, sie kennen ‚schwul‘, also ne? So die Begriffe kennen sie, aber in nem negativen Kontext, und das dann wieder anders zu verpacken und das zusammenzubringen, also fand ich persönlich herausfordernd.“ (Jay, 326-329) Es wird deutlich, dass nicht nur neues Wissen vermittelt werden muss. Vielmehr geht es auch darum, bereits vorhandenes Wissen zu entstereotypisieren oder neu zu rahmen. Als weitere Herausforderung beim Thema ‚sexuelle und geschlechtliche Vielfalt‘ erachten die Pädagog_innen insbesondere in der Arbeit mit älteren Kindern und Jugendlichen die Überschneidungen bzw. Abgrenzungen zu sexualpädagogischen Themen. Alex beschreibt, dass für sie_ihn eine Herausforderung darin besteht, „den Kindern (1) die Angst davor zu nehmen, dass wir jetzt was machen, was irgendwie mit Sexualität zu tun hat oder mit Sex und so […], oder die Angst davor zu nehmen, dass es peinlich wird […]. Also das war immer wieder sehr herausfordernd, auch äh klarzumachen, dass wir jetzt nich zum Beispiel Körperfunktionen durchgehen, dass wir kein’ Sexualkundeunterricht machen“ (Alex, 70-85). Hier bestätigt sich die irreführende Konnotation des Topos

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‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ in einer stark sexualisierten Lesart. Kinder kamen oft schon mit Vorstellungen in Formate von All Included!, was dieses Thema an Sexuellem beinhalten könnte, und verbanden dies mitunter mit Ängsten vor unangenehmen und schamvollen Situationen. Es ist eine Gratwanderung, hier einen passenden Umgang mit dem Thema ‚sexuelle Vielfalt‘ und dem Sexuellen zu finden. Denn einerseits ist Sexualpädagogik ein Querschnittsthema und hinsichtlich Aufklärung, Wissensvermittlung und Reflexion eigener Positionen ein wichtiger Bestandteil der Bildungsarbeit zu vielfältigen Lebensweisen. Andererseits ist es wichtig, eine Auseinandersetzung mit vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen nicht zu sexualisieren und einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Kinder und Jugendlichen wohl und sicher genug fühlen, um sich einzubringen. Daneben zeigt sich, dass tiefergehendes Wissen über sexuelles Begehren, sexuelle Praktiken und physische Beschaffenheiten von Körpern von großem Interesse für viele Kinder und Jugendliche ist, insbesondere dann, wenn es um ihnen unbekannte Sexualitäten geht. Auch bei der Thematisierung von Intergeschlechtlichkeit oder körperverändernden Operationen von Trans*-Personen ist die Notwendigkeit der Vermittlung von Wissen offensichtlich und wird von den Kindern auch eingefordert. So fragte z.B. ein Junge in einem Workshop sehr interessiert nach, ob „Transmenschen auch Kinder bekommen“ können (BP 11), eine andere Jugendliche nutzte eine Workshop-Pause, um die Pädagogin im Zwiegespräch zu fragen, wie Jugendliche bemerken, dass sie intergeschlechtlich sind (BP 6). Viele Pädagog_innen betonen, dass es hier sinnvoll sei Zeit einzuplanen, um Fragen Raum zu geben. Um Ängste und Projektionen aufs Thema möglichst gering zu halten, kann eine genaue Vorabinformation über den Workshop-Inhalt hilfreich sein. Wie schon für den öffentlichen Raum antizipiert, besteht auch hinsichtlich der Arbeit im Museum oft die Annahme, dass, wer zu diesem Thema arbeitet, auch selbst queer lebt. Cato beschreibt seine_ihre Wahrnehmung so: „[Also] waren die [Kinder] immer der Meinung, es sei völlig klar, dass […] wir […] feste Bestandteile der homosexuellen Szene sind, weil wir in einer Ausstellung, die von Homosexualität handelt, führen, und […] deswegen war für die halt völlig klar so, äh: ‚Ah, heute ham wir einen Schwulen kennengelernt‘ oder so, was nich der Fall war. Also wir ham das dann auch immer aufgeklärt, wo das aufgefallen is“ (Cato, 636-642). Positionieren sich die Pädagog_innen nicht explizit, geht Cato davon aus, durch die Kinder wie nebenbei eingeordnet zu werden.6 Cato

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Pädagog_innen erleben es aber auch, dass Kinder und Jugendliche gar nicht auf die Idee kommen, ihre sexuelle Lebensweise mitzubedenken, und dass die Benennung der eigenen sexuellen Identifizierung – gerade dann, wenn sie unvermittelt und glaubwür-

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vermutet, dass die Kinder der Annahme folgen, dass alle, die sich für das Thema einsetzen und sich bemühen, Vorurteile gegenüber LGBTIQ+ abzubauen, dies in ihrem eigenen Interesse als queer lebende Menschen tun. Cato erachtet es als wichtig, dieser Annahme entgegenzutreten, sie richtigzustellen und dafür zu sorgen, dass „das […] aufgeklärt“ wird. Kim weist auf die Erfahrung hin, auf das Schwul-Sein reduziert zu werden: Sie_er wurde immer auf ihre_seine Sexualität angesprochen und darauf, mit wem er_sie eine Partner_innenschaft lebt, „je nachdem, wie es dann weiterging, ob ich vielleicht mich geoutet habe oder nicht, entsprechend war dann auch kein anderes Thema mehr möglich“ (Kim, 202f). Hier wird das große Interesse der Kinder am Thema homosexuelle Lebensweisen deutlich, zugleich müssen sich Pädagog_innen gut überlegen, ob und wie sie ihre persönlichen Geschichten nutzbar machen wollen und wie sie wieder zu anderen Themen überleiten können. Die Pädagog_innen im Jugend Museum verfolgen den Ansatz, persönliche Aspekte nur dann zu benennen, wenn es der betreffenden Fachkraft situativ sinnvoll erscheint. Etwa wenn es darum geht, anhand der eigenen Geschichte ausgewählte Aspekte, wie den Umgang mit Ausgrenzung oder das Sich-zu-Hause-Fühlen in einer Community, zu verdeutlichen und sich als ‚lebendes Beispiel‘ zur Verfügung zu stellen. Aus einer heteronormativitätskritischen Perspektive können die Annahmen und ‚Anrufungen‘ der Kinder und Jugendlichen als Gelegenheit betrachtet werden, um die stereotypisierten Bilder, die von LGBTIQ+ medial hervorgebracht und (nicht nur) von Kindern reproduziert werden, als solche bewusst zu machen. Möglich wäre, die Frage nach der sexuellen Einordnung nicht sofort zu beantworten, sondern in der Schwebe zu halten und die Neugierde der Zielgruppe zu nutzen, um mit den jugendlichen Teilnehmenden zu erkunden, ob es eindeutige Merkmale geben kann, die schwul lebende Männer, lesbisch lebende Frauen, trans* lebende Personen auszeichnen. Solch eine Diskussion kann dafür genutzt werden, einerseits den Wissensstand der Kinder und Jugendlichen kennenzulernen und andererseits die homogenisierten Bilder und die vereindeutigenden Zuordnungen zu differenzieren sowie Festschreibungen zu verflüssigen, indem die Bandbreite der Selbstverständnisse und Repräsentationsmöglichkeiten von LGBTIQ+-Personen zum Thema gemacht wird. Hierbei könnte auch der Standpunkt von nicht-queer lebenden Personen als allies, die sich als Verbündete von LGBTIQ+-Personen positionieren, sichtbar gemacht werden.

dig platziert wird – eine unerwartete Wirkung mit Strahlkraft in unterschiedliche Richtungen entfalten kann (siehe hierzu das Beispiel von Kay in Kap. 6.3.3).

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6.3 Queerfeindlichkeit? Reflexion des Abwehrverhaltens bei Kindern und Jugendlichen und des pädagogischen Umgangs damit Geschlechtliche und sexuelle Vielfalt so zu vermitteln, dass Teilnehmende sie als eine Erweiterung ihres Handlungsspektrums erleben können, stellt für Pädagog_innen eine Herausforderung dar. Dies gilt insbesondere in Kurzzeitformaten, wenn neben queeren Themen auch auftretende Ängste oder Abwehrreaktionen von Kindern und Jugendlichen fruchtbar bearbeitet werden sollen. Unseres Erachtens ist es nicht per se als problematisch anzusehen, dass mit Abwehr reagiert wird. Vielmehr ist von Interesse, wie Pädagog_innen darauf reagieren und inwiefern es ihnen gelingt, begrenzendes und diskreditierendes Denken nicht zu verfestigen, sondern für neue Möglichkeiten zu öffnen und zu erweitern (vgl. Kap. 2.3). In einem Überblick zeigen wir zunächst, wie die Pädagog_innen abwehrende Reaktionsweisen einordnen. Mit welchen Haltungen und Positionierungen sie ihnen begegnen, welche Strategien sie mit welchen Effekten einsetzen, soll danach an ausgewählten Interviewsequenzen aufgezeigt werden (6.3.1-6.3.3). Laut den Pädagog_innen kommen queerfeindliche Reaktionen seltener vor, als sie bei der Projektentwicklung befürchtet hatten. Einige zeigen vor Beginn des pädagogischen Vermittlungsprozesses eine negative Erwartungshaltung („es wird regelmäßig zu irgendwelchen ganz (.) schlimmen Situationen kommen“, Cato, 107f), die sich letztendlich aber so nicht bestätigt. Es kann angenommen werden, dass hier die im medialen Diskurs sehr präsenten konservativ-rechten Positionen, die vielfach Missinterpretationen (‚Frühsexualisierung‘) verbreiten, manche Pädagog_innen verunsichert haben (vgl. Kap. 2.4). Zugleich wird von den Pädagog_innen eine Beobachtung zum Zusammenhang von Alter und queerfeindlichen Haltungen geäußert, die auch in anderen Forschungsarbeiten bereits aufgezeigt worden ist: je jünger die Kinder sind, desto akzeptierender oder offener ist ihre Haltung gegenüber Trans*-Personen (vgl. Zick et al. 2016) bzw. gegenüber Lesben, Schwulen oder bisexuellen Personen (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2008; Albert et al. 2015; Steffens/Wagner 2004). Im Folgenden werden mithilfe der Inhaltsanalyse nach Mayring (2015) herausgearbeitete abwehrende und distanzierende Reaktionsweisen der Kinder und Jugendlichen aufgezeigt, wie sie von den Pädagog_innen beschrieben wurden. Die genannten Abwehrreaktionen können drei unterschiedlichen Ebenen zugeordnet werden:

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• affektive Abgrenzung und Distanznahme durch Kichern, Lachen oder undiffe-

renzierte ablehnende Gefühlsreaktionen, • höfliche Distanz (‚freundliche Mauer‘), d.h. pädagogische Situationen, in de-

nen sich die jugendlichen Adressat_innen dem Eindruck der Pädagog_innen zufolge ‚sozial erwünscht‘ verhalten, sich also eher passiv-rezipierend beteiligen und keine persönlichen Bezüge und kein Sich-Einlassen aufs Thema erkennen lassen, • argumentative Verweigerung und offensive Abwehr, d.h. eine offen geäußerte Blockadehaltung dem Thema gegenüber, begründet über moralische Normen, Religion oder persönliche Abneigung, oder explizit beleidigende, aggressivabwertende, diskriminierende Statements. Im Folgenden stellen wir einige typische Schilderungen der Pädagog_innen zu den drei genannten Abwehrreaktionsebenen vor und rekonstruieren ggf. darin dokumentierte Handlungsorientierungen bzw. negative oder positive Orientierungshorizonte. Wir haben hierzu Verfahrensweisen der Dokumentarischen Methode genutzt und greifen teilweise auch auf Feldprotokolle der teilnehmenden Beobachtung zurück.7 6.3.1 „Dann sind sie plötzlich auf ner ganz anderen Ebene“ – Affektive Abgrenzungen und Distanznahmen durch Kichern, Lachen und ablehnende Gefühlsäußerungen Die Pädagog_innen beobachten Verhaltensweisen wie Kichern und Lachen vor allem bei jüngeren Zielgruppen (Grundschule) und gehen mit diesen unterschiedlich um. Kichern wird dann beobachtet, wenn Aspekte von Sexualität, erotischem Begehren oder Körperlichkeit virulent werden, also Themen, die von den Kindern potenziell selbst gerade entdeckt und erkundet werden, ohne dass schon die entsprechende Sprache bzw. eine gewisse Abgeklärtheit vorhanden ist. Diese Themen müssen dabei nicht unbedingt explizit sein: So kam z.B. bei Viertklässler_innen, die das Thema Familienkonstellationen bearbeiteten, eine sehr alberne Stimmung auf, ohne dass es im engeren Sinne um Sexualität gegangen wäre (BP 7). Gekichert wird auch, wenn Worte wie ‚Pimmel‘ fallen oder es 7

Die dokumentarischen Rekonstruktionen sind vor allem in Kapitel 6.3.3 dargestellt, weil zum Thema Abwehr die ausführlichsten Schilderungen vorgenommen wurden und diese – in Abgrenzung zu Alltagstheorien, Meinungen und Bewertungen – für eine dokumentarische Auswertung, die ja das Handlungswissen fokussiert, am geeignetsten sind. Wir haben dabei jedoch keine eigene sinngenetische Typisierung vorgenommen, da wir der Kategorisierung durch die Qualitative Inhaltsanalyse gefolgt sind.

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um Darstellungen von Personen geht, deren Brust- oder Achselhaare zu sehen sind. Analog zur Allgegenwärtigkeit pornografisch-sexistischer Darstellungen werden diese Abbildungen in der (nicht nur) kindlichen Kommunikation als Tabu erlebt: „Es gab Schulklassen, da hab ich sofort gemerkt, für die is das irgendwie sehr tabuisiert oder sie haben das Gefühl, in der Erwachsenenwelt ist das tabuisiert und da muss man gucken, was man damit macht“ (Alex, 73-75). Lachen und Kichern können grundsätzlich als eine Form der Distanzierung und eine erste, spontane Reaktion der Entlastung und des Spannungsabbaus gesehen werden, die erfolgt, wenn ein Thema unvertraut ist und erst einmal auf Distanz gehalten werden soll, um es dann mit dem selbst gewählten ‚Sicherheitsabstand‘ zu betrachten. Gleichzeitig können Kinder und Jugendliche Geschlecht über Lachen und Kichern insofern performativ aufführen, als sie sich darüber – im Sinne einer Arbeit an der Abgrenzung – ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit versichern bzw. diese erst herstellen („borderwork“, Thorne 1994: 64ff; vgl. auch Goffman 2001).8 Wie reagieren die Pädagog_innen nun auf solche Positionierungen? Die Pädagog_innen beschreiben unterschiedliche Situationen und Interventionen in den Interviews: Eine Strategie war, wenn das Lachen einzelne Kinder betrifft, sie erst einmal „ne Runde kichern“ zu lassen (Alex, 98f). Pädagog_innen geben den betreffenden Kindern einen zeitlich begrenzten Raum, damit sie ihre Anspannung ausagieren können, um sie dann wieder in die Gruppensituation zurückzuholen. Dies kann aber auch die ganze Gruppe betreffen: „Manchmal is es auch so, dass es eigentlich total angenehm is und ein Kind sagt dann plötzlich ‚Pimmel‘ und dann is [lacht] vorbei. Ähm, dann sind sie plötzlich auf ner ganz anderen Ebene. […] ich hab gemerkt, das is immer wieder ne Herausforderung, eigentlich bei jeder Lernwerkstatt, bei jedem Workshop neu, gab’s Momente, wo ich gemerkt hab: ‚Aha, jetzt äh müssen wir uns alle mal entspannen und nochmal kurz klarmachen, was wir eigentlich wollen‘, und das ähm, ja, man auch mal ne Runde kichern kann, und wie kann 8

Ervin Goffman nennt eine solche „geschlechtergebundene individuelle Verhaltensweise“ (2001: 112) individuellen Genderismus, den er von institutionellem Genderismus, etwa der Trennung von Umkleidekabinen gemäß einer zweigeschlechtlichen Ordnung, abgrenzt. In einem völlig anderen Sinne verwenden Rechtspopulist_innen den Begriff, wenn sie im Rahmen eines antifeministischen und verschwörungstheoretischen Narrativs Genderismus als übertriebene und gefährliche Liberalisierung sexueller und geschlechtlicher Normen brandmarken, die die Zerstörung der heterosexuellen Kleinfamilie vorantreibe. Im Goffman’schen Verständnis wären es aber gerade die Rechtspopulist_innen, die auf übertriebene Weise (kollektiven) Genderismus betreiben.

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man es dann wieder darauf lenken, dass es / dass wir die Vielfalt zeigen wollen, dass wir darüber reden wollen, dass wir empowern wollen und so weiter? Ja.“ (Alex, 95-101)

Der beschriebene Stimmungswechsel kommt regelmäßig vor und kündigt sich nicht an, sondern erfolgt plötzlich und unterbricht den laufenden Prozess („dann is vorbei“). Hier wird deutlich, dass Alex sich nicht auf die Ebene des Gesagten begibt und zu ergründen versucht, was genau den Stimmungsumschwung ausgelöst hat. Sie_er ist vielmehr darauf orientiert, diese als Spannung erlebte Dynamik wieder zu entspannen, d.h., er_sie sieht die getätigte Äußerung in einem affektiven Funktionszusammenhang und ordnet die Situation („dann sind sie plötzlich auf ner ganz anderen Ebene“) als kurzfristig und gut zu bewältigen ein. Er_sie sieht es als eine hilfreiche Strategie an, sich in solchen Momenten auf die übergeordneten Ziele zu besinnen9 und sich zu überlegen, wie der Weg von einer aufgeladenen Situation dorthin zu bewerkstelligen ist. Auf eine Nachfrage der interviewenden Person zu dieser Situation („Was war da los?“) wird deutlich, dass Alex die Reaktionen auf das Berühren eines tabuisierten Bereichs zurückführt und einen entsprechenden Gegenhorizont entwirft: „Wird lange gelacht und ähm das ähm reizt natürlich dann auch ähm andere Kinder, da en bisschen mit einzusteigen, einfach, weil es was Lustliches is und was Verbotenes is. Zumindest glaub ich, dass sie denken, dass es irgendwie was Verbotenes is. Das macht ja auch Spaß und dann gerade gegenüber einem Erwachsenen auch so’n bisschen provozierend, ne? Und dann darf man sich da / man darf nich in so’n Kampf einsteigen und jetzt versuchen das zu unterdrücken, sondern vielleicht eher zu g/ ich hab damals eben eher gedacht: ‚Seht ihr, und deswegen find ich so schön, dass wir Zeit haben für diesen Vormittag, dass wir das, worüber ihr sonst nich sprechen könnt, mal besprechen können‘, ne? […] schätze mal, das waren vielleicht zehn Minuten, wo das wirklich sehr albern war, //Ja.// aber mein Gott, dann kann man auch en bisschen mitalbern und ich möchte einfach auf jeden Fall vermeiden, dass sie von mir die Botschaft bekommen, dass es [ein] problematisches Thema is, sondern es soll ein leichtes Thema sein, zumindest will ich versuchen das zu vermitteln.“ (Alex, 145-166)

Alex berichtet von einer Gruppendynamik, in der das Lachen andere Kinder ansteckt. Der Begriff „lustlich“ macht die Verbindung des Lustvollen und des Lus-

9

Entgegen dem von den Pädagog_innen in einer Gruppendiskussion geäußerten, sehr kritischen Blick auf Ziele, die dort als einengend empfunden kommuniziert werden (vgl. Kap. 6.5), zeigt sich hier, wie diese doch als Orientierung geeignet begriffen und genutzt werden, wenn sie entsprechend breit gefasst und flexibel gehandhabt werden können.

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tigen deutlich, die für Kinder hier eine Rolle spielen kann, wenn sie etwas vermeintlich Verbotenes tun. Alex ordnet dies auch als Provokation ihr_ihm gegenüber ein, empfiehlt aber, nicht auf diese einzusteigen, sondern schildert ein eher offensives Adressieren des vermeintlich Verbotenen bzw. Tabuisierten („worüber ihr sonst nich sprechen könnt“) und betont den ermöglichenden Aspekt des Besprechens innerhalb der Workshop-Zeit. Als negativer Orientierungshorizont erscheint die Koppelung von Sexuellem und Problematischem, die sie_er auf keinen Fall vermitteln will. Alex lässt sich begrenzt auf die Interaktionen der Kinder ein („dann kann man auch en bisschen mitalbern“) und erhofft sich davon, dass sie_er die vergnüglichen Aspekte des Themas unterstützt und ihm so eine gewisse Leichtigkeit verleiht. Die Annahme, dass bestimmte Themen und Begriffe privatisiert bzw. tabuisiert werden, tätigen auch andere Pädagog_innen. In der Praxis ließ sich beobachten, dass zudem der Aspekt der Gewöhnung handlungsleitend wirken kann. Als sich z.B. das Lachen auf den Großteil der Gruppe übertrug, weil Geschlechtsteile benannt wurden, intervenierte ein_e Pädagog_in der Form, dass er_sie den teilnehmenden Grundschüler_innen vorschlug, so oft ‚Penis‘ oder ‚Vagina‘ zu sagen, bis „es zur Gewohnheit“ geworden sei (BP 10). Er_sie besteht dabei nicht auf der Umsetzung des Vorschlags, vielmehr macht sie_er durch die Bezugnahme auf Routinen deutlich, dass sich das Verhältnis zu diesen Begriffen ändern kann, wenn sie selbstverständlicher werden und es einen Gewöhnungseffekt gibt. Ebenfalls auf Privatisierung und Tabuisierung Bezug nehmend führt Jay an, dass sich die Qualität der Besprechbarkeit im Kontext der Pubertät ändere. Er_sie erklärt im Interview dazu: „Ja, weil es einfach keine Berührungen [mit dem Thema Genitalien] gibt, also wenn=wenn ne Nase irgendwie n Intimbereich wäre, dann würden Leute auch bei Nase lachen […]. Also ich glaub, es gab in allen=allen Altersstufen Interesse oder Desinteresse, aber es hat sich doch anders, also es war ein anderer Scham, weil ich hab’s Gefühl gehabt, so ab der Pubertät is es / hat das was mit einem selber zu tun, davor is es erst ‚hihihihi, ja, das is / das darf man nich und hihihi‘. Aber so dann […], da is irgendwie auch so, gerade was Sexualität angeht, is so Interesse innerhalb der Klasse und man=man merkt, [sie] ham sich so damit auseinandersetzen müssen, ich glaub nich mal, dass sie das wollen immer, aber ähm sind jetzt in nem Alter, wo das so verlangt wird gesellschaftlich, und dieser Druck von der Klasse und so, dass es da ne andere Form angenommen hat, dass es eher so nach innen gerichteter Scham is und davor eher so’n Scham, der auferlegt is, so das darf man nich, wenn man nich irgendwie n Schimpfwort sagen darf oder sowas.“ (Jay, 717724)

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Wie andere Pädagog_innen ist sich Jay bewusst, dass es im Themenfeld ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ Überschneidungen mit sexualpädagogischen Themen geben kann, z.B. wenn es wie hier um die Enttabuisierung von Genitalien geht. Zugleich wird hier mit dem Bezug auf die Pubertät eine Dimension des körperlich-sozialen Reifeprozesses und seiner Anforderungen angesprochen, nämlich selbst einen Umgang mit den eigenen Genitalien und ihren sexuellen Bedeutungen zu finden. Jay merkt an, dass diese Auseinandersetzung nicht unbedingt freiwillig abläuft, und problematisiert gesellschaftliche und Peergruppen-bezogene Anforderungen („Druck“). Diese beeinflussen die Verlagerung der Befangenheit („Scham“) in Bezug auf das Thema Sexualität von einer äußeren Sphäre, in der das Thema im Rahmen von Verboten und Sprachregelungen mit Bedeutung aufgeladen wird, hin zu einer persönlicheren Sphäre („nach innen gerichteter Scham“). Während Jay in allen Gruppen Interesse wie auch Desinteresse wahrnimmt, wird Albernheit eher den jüngeren Zielgruppen zugeschrieben, während bei Jugendlichen in oder nach der Pubertät weniger ein Reiz im Übertreten des Verbotenen liegt als ein (aufoktroyierter) Druck hinsichtlich einer Auseinandersetzung mit sich selbst vorliegt. Eine weitere Intervention bei Abwehrverhalten bezieht sich auf solche Kinder und Jugendlichen, die sich situativ aus dem Workshop-Geschehen zurückziehen. Wenn es darum geht, „Kinder oder Jugendliche wieder zu interessieren, die erstmal zumachen“ (Alex, 148f), berichtet Alex neben vielen interessanten thematischen Anknüpfungspunkten, die sie_er bei All Included! gegeben sieht, auch von einer persönlich gerahmten pädagogischen Intervention: „Oder man kann auch von sich was erzählen, das is natürlich irgendwie ein Trick, aber sa/ wenn man dann sagt: ‚Ja, ich fand auch das und das früher peinlich mal als Kind oder ähm mir war auch mal was unangenehm oder ich war mir mal unsicher oder ich hab auch mal das und das gedacht‘, dann kommt man auf ne persönliche Ebene und kann von da aus dann wieder den Übergang schaffen zu den inhaltlichen Themen, die man sich vorgenommen hat.“ (Alex, 138-141)

Alex ist bemüht, den Kindern eine passende Situation aus der eigenen Biografie zu erzählen, die an jeweils vermutete Gefühlslagen („peinlich“, „unangenehm“, „unsicher“) anschließt. Zugleich baut sie_er eine gewisse Distanz zum Erlebten ein, indem über die Vergangenheitsform markiert wird, dass Unangenehmes überwunden wurde und nun besprechbar ist. Alex markiert dieses Vorgehen als „Trick“, also als Kunstgriff, der auf einfache Weise ein Problem lösen soll: Er_Sie wechselt kurz auf die Ebene des Persönlichen und nimmt sich selbst als Beispiel, damit zieht er_sie die Aufmerksamkeit auf sich und es kann auf Seiten

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der Teilnehmenden etwas Abstand zur vorhergehenden Situation gewonnen und dann zum Thema zurückgeführt werden. Zusammenfassend lässt sich eine Tendenz feststellen, dass die Pädagog_innen die von ihnen wahrgenommenen abwehrenden Äußerungen, durch die der Workshop unterbrochen wurde, direkt auf die Gefühlslagen der Kinder und Jugendlichen („ungewohnt“, „unangenehm“ etc.) beziehen und/oder den Gefühlen erst einmal Raum geben, damit sie ausagiert werden können. Es geht dabei darum, Wege zum eigentlichen Thema zurückzufinden. Hierbei kann ein kurzer Besinnungsmoment hilfreich sein, um dann die entsprechenden Brücken, etwa über thematische oder biografische Anknüpfungspunkte, bauen zu können. Aus dem Vergleich mit anderen Situationen ist ersichtlich, dass affektive Äußerungen von diskriminierenden, verletzenden Äußerungen unterschieden und nicht als grundsätzliche Störungen des Workshops wahrgenommen werden – anders als wenn etwa bestimmte queerfeindliche Stimmungen in der Gruppe zutage treten (siehe Kap. 6.3.3). Während bei queerfeindlichen Stimmungen eher deren Begrenzung oder Bearbeitung im Vordergrund steht, geht es den interviewten Pädagog_innen bei situativ auftretenden und affektiv geäußerten Abwehrhaltungen um deren Überwindung: Die Kinder und Jugendlichen werden unterstützt, ihre Empfindungen durch Kichern oder Herumalbern temporär begrenzt auszuagieren. Die Pädagog_innen ordnen die beschriebenen Reaktionen in einen Kontext zu bewältigender Entwicklungsaufgaben in der Auseinandersetzung mit dem eigenen (sexuellen) Heranwachsen ein. Dies wird in Verbindung gebracht mit gesellschaftlicher Tabuisierung und der Problematisierung von Genitalien, Sexualität und geschlechtlich-sexuellen Lebensweisen. Es wird ein positiver Horizont deutlich, vor dem die Themen Sexualität, Körper und sexuelle und geschlechtliche Lebensweisen behandelt werden sollten: Leichtigkeit, Interesse wecken und die Entlastung von Peinlichkeiten und innerem Druck. 6.3.2 Die ‚freundliche Mauer‘ – Höfliche Distanz Die ‚freundliche Mauer‘ bezeichnet eine Blockade, der die Pädagog_innen stellenweise begegnet sind, wenn die inhaltliche Auseinandersetzung das als sicher empfundene Terrain verlässt. Der ‚freundlichen Mauer‘ gehen Wortbeiträge seitens der Kinder und Jugendlichen voraus, mit denen sie den Pädagog_innen zeigen, dass sie schon genug über das Thema ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ wissen. Möglicherweise beabsichtigen sie damit, das unterstellte Bildungsziel performativ vorwegzunehmen, indem sie dezidiert tolerante Einstellungen vertreten, die oft äußerst höflich, freundlich und respektvoll kommuniziert werden. Dieser Performance, anzutreffen vor allem bei älteren Jugendlichen, mag

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aber auch eine (nicht unbedingt bewusste) Abwehr dagegen zugrunde liegen, sich mit dem Thema eingehender und auch persönlich zu beschäftigen (vgl. Kap. 2.3). Grey beschreibt, dass er_sie sich dann vor die Herausforderung gestellt sieht, „wie komm ich ins Gespräch, (3) wenn es so=so ähm diese Höflichkeit oder diese [lachend] freundliche Art Mauer gibt“ (Grey, 49f). Es besteht das Problem, einen Weg zu finden, ins Gespräch zu kommen, „um mitzukriegen, was denken die Kinder oder die Jugendlichen oder welche Fragen ham sie“ (Grey, 57-59), jenseits dessen, „was die uns brav aufsagen“ (Toni, 71). Dies ist eine Herausforderung, die sich in mehreren Interviews findet: Ängste und Abwehr zu überwinden und eine Kommunikation über die damit verbundenen Fragen herzustellen, die insofern riskant sind, als sie Notwendigkeit umfassen, sich auch als Person zu zeigen. Wie können Pädagog_innen, wenn sie auf jene ‚freundliche Mauer‘ stoßen, ihr pädagogisches Ziel weiterverfolgen, nämlich z.B. Neugier auf das Thema bei den Kindern und Jugendlichen wecken und thematische Bezüge zum eigenen Selbstverständnis und der „Realität, in der sie leben“ (Kim, 261), herstellen? Diese Frage soll anhand einer pädagogischen Situation erörtert werden, in der ein historisches Beispiel – die Pathologisierung von Homosexualität – mit einer theaterpädagogischen Methode bearbeitet wurde. Die Jugendlichen entwickelten dabei eine Szene, in der lesbische Frauen in einer Klinik ‚umerzogen‘ werden sollen, schlussendlich aber protestieren und die Ärzt_innen davonjagen. Unseres Erachtens gelang es Toni dabei, die ‚freundliche Mauer‘ der Jugendlichen zu überwinden bzw. einen Durchgang zu öffnen: „[D]as Verrückte war, alles so lief super glatt, was heißt glatt, die ham=die ham total gesprudelt vor Ideen, ich musste gar nich viel machen, aber als es an die Besetzung ging, wollte plötzlich niemand mehr die Patientinnen spielen. […] Und da ging’s dann so ans Eingemachte, da meinte dann die eine so äh irgendwie: ‚Meine Mutter is religiös, christlich religiös ähm und ich hab / ich glaub die fänd das nich so gut, wenn ich das jetzt machen würde‘, und äh von nem anderen Mädchen kam was Ähnliches, irgendwie auch eher so religiöse Einwände oder / also die hatten plötzlich alle Angst, was ihre Eltern denken. Ähm was irgendwie ganz spannend war, da ham wir da noch ein bisschen drüber geredet, wie sie darauf kommen, oder ob das mal Thema war zu Hause ähm zum Glück hatten wir auch die Zeit, da drüber / so ähm zu sprechen en bisschen. Und dann ham sie sich aber doch en Herz gefasst, also dann gab’s dann zwei, die meinten: ‚Ach, wir machen das, wir spielen das Paar‘, und dann gab’s vier, dann gab’s fünf ähm und dann hat das so’ne Eigendynamik gekriegt irgendwie […] und das war so’n bisschen wie (.) sich den Eltern gegenüber vielleicht auch durchsetzen oder so […]. Und es war für die wirklich was irgendwie fast Empowerndes, die waren total stolz hinterher und äh / dass sie das gespielt haben. Ähm also das war so’n=so’n Fall, wo ich fand (.) also wo ich das irgendwie irre fand,

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dass es so lange gedauert hat, bis überhaupt / also sozusagen um an diese Ebene ranzukommen, so was dann die Ängste eigentlich sind.“ (Toni, 115-159)

Toni nimmt wahr, dass die Mädchen die Rolle der lesbischen Frauen ins Verhältnis zum eigenen Leben bringen und sie damit auch eine Frage bearbeiten, welche sich queeren Personen im ‚echten‘ Leben zumeist stellt: Was werden die anderen denken? Wie werden sie mich einordnen, ansehen, behandeln? Bleibe ich zugehörig oder werde ich ausgegrenzt? Das Risiko des Sich-sichtbar-Machens, dessen Folgen unklar sind und sich nicht kontrollieren lassen, tritt hier deutlich zutage. Die Zurückhaltung der Jugendlichen, die Rolle lesbischer Frauen einzunehmen, wird mit dem Bezug auf das eigene Leben in Form einer Übernahme der Perspektive der Eltern auf sich selbst begründet. Diese als Angst wahrgenommene Blockade wird von Toni angesprochen und dadurch ein Raum eröffnet, in dem einige den nötigen Mut aufbringen („sich ein Herz fassen“). Aus Sicht der_des Pädagog_in gelingt es, die mit der Rolle verknüpften Ängste zu überwinden, die vor allem im generationalen Verhältnis verankert werden („sich den Eltern gegenüber vielleicht auch durchsetzen“). Der_die Pädagog_in antizipiert ein antagonistisches Verhältnis zwischen Kindern und Eltern. Bedeutsam ist dabei, dass sie_er sich fragend an die Ängste herantastet und mit den Kindern zusammen eruiert, welche Anzeichen die Haltung der Eltern plausibel machen („wie sie darauf kommen oder ob das mal Thema war zu Hause“). Darüber, dass die Ängste geteilt werden, sich mehrere Kinder damit sichtbar machen und ihnen nichts Schlimmes dabei passiert, kann die Übernahme einer lesbischen Rolle ihren Schrecken verlieren. Der Faktor Zeit spielt Toni hier ebenfalls in die Hände, da sich der Workshop noch nicht in der Schlussphase befindet: Sie_er hat genug Zeit, den Ablauf des Rollenspiels zu unterbrechen und Raum zu schaffen für eine Besprechung der Bedenken. Was leitet hier die pädagogischen Handlungen, welche Rahmung dokumentiert sich und welche alternativen Handlungsweisen sind denkbar? Mit seiner_ihrer Intervention folgt der_die Pädagog_in unmittelbar den kommunikativen Aussagen und Interpretationen der Jugendlichen: Sie_Er geht auf die Befürchtung ein, was die religiöse Mutter denken könnte. In Anlehnung an die von Heike Radvan (2010) in ihrer Studie zu Antisemitismus in der offenen Jugendarbeit entwickelte Typologie kann dies als eine ‚immanente Beobachtungshaltung‘ begriffen werden. Diese orientiert sich auf die Lebenswelten der Jugendlichen und ist auf deren Verstehen ausgerichtet (ebd.: 249). Toni fragt nach den Erfahrungshintergründen der Jugendlichen und nähert sich deren Herkunftsmilieus so etwas an: Der Rückbezug auf ein elterliches Verbot ist ein sozial akzeptiertes Argument, das hier im Gespräch differenziert wird („wie sie darauf kommen oder ob das mal Thema war zu Hause“). Eine ‚rekonstruktive Beobachtungshaltung‘, die

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von Radvan als „auf die Genese und Funktion gerichtete Analysehaltung“ (ebd.) beschrieben wird,10 hätte darüber hinaus noch ermöglicht, nach weiteren ‚guten Gründen‘ der Mädchen im Kontext gesellschaftlicher Dominanzverhältnisse zu forschen, deretwegen sie womöglich zögerten, die selbst entworfenen Rollen zu spielen. Das hätten Befürchtungen sein können, selbst als lesbisch gelesen zu werden, und sei es nur für den begrenzten Zeitraum des Theaterspiels. Denn indem einige ihre Angst davor benennen, was Andere (Eltern), die nicht im Raum sind, denken könnten, drücken sie implizit auch die Frage aus, was die Anwesenden denken. Dass aber überhaupt etwas – quasi reflexartig – gedacht wird, sobald das Thema Homosexualität angesprochen wird, wird im Interview nicht reflektiert. Mit dem historischen Beispiel der Pathologisierung von Homosexualität hätte es dabei bereits einen geeigneten Anknüpfungspunkt gegeben, z.B. für eine Debatte über Zuschreibungsprozesse. Ein weiterer Grund für das Zögern bei der Rollenbesetzung könnte auch darin liegen, dass, auch wenn die lesbischen Frauen in der Szene am Ende eine handlungserweiternde Entwicklung vollziehen (die Ärzt_innen aus der Klinik jagen), sie zunächst einmal den Status von devianten Subjekten zugewiesen bekommen, indem sie in ihrem sexuellen Begehren als falsch, krank und behandlungsbedürftig eingeordnet werden. Die Darstellung einer als abweichend oder als Opfer markierten Figur ist emotional negativer besetzt als die Darstellung eines_einer mit Autorität, Ansehen und Macht ausgestatteten Arztes_Ärztin. Im solidarischen Zusammenschluss der lesbischen Frauen liegt aber zugleich der Gewinn einer – auch historisch reflektierten – emanzipatorischen Erfahrung, nämlich genau diese gesellschaftlichen Normen ‚auf den Kopf‘ zu stellen. Der Reiz der theaterpädagogischen Bearbeitung liegt mitunter darin, einen ganzen sozialen Entwicklungsprozess in komprimierter Form abbilden zu können und an verschiedenen Stellen Verbindungen zu den Leben der Teilnehmenden herzustellen – falls dies nicht wie im geschilderten Beispiel ohnehin geschieht. Lassen sich Kinder und Jugendliche dann hinter der ‚freundlichen Mauer‘ hervorlocken, bedarf es des pädagogischen Könnens, geeignete Rahmungen für den jeweiligen Erkenntnisprozess anzubieten.

10 Ein dritter von Radvan herausgearbeiteter Typus ist der der stereotypen Betrachtungsweise, bei dem die Jugendlichen abstrakt und unter Verwendung von Homogenisierungen, Essentialisierungen und bewertenden Zuschreibungen beschrieben werden (Radvan 2010: 252). Eine solche Beobachtungshaltung haben wir in unserem Material kaum gefunden, sodass wir eine eigene Typik der Beobachtungsformen hinsichtlich sozialer Differenzen entwickelt haben, die wir in Kap. 6.4 näher beschreiben.

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Über dieses Beispiel hinaus könnte heteronormativitätskritisch z.B. in folgende Richtung weiter gedacht werden:: Historische Beispiele eignen sich gut, um Herstellungsprozesse und Funktionen von Machtverhältnissen und Normen zu thematisieren, d.h. die Hintergründe und Wirkmechanismen von Ungleichheit zu reflektieren. Ausgangspunkt war im vorangegangenen Beispiel die lange Zeit übliche Pathologisierung von Homosexualität, die sich z.B. durch Zeitdokumente und Bezugnahme auf homosexuelle und queere Bewegungsgeschichte veranschaulichen ließe. Hierbei können Krankheitsbilder als Konstruktionen einer bestimmten Zeit und gesellschaftlichen Verfasstheit erschlossen werden. In diesem Zuge könnte ggf. auch die Pathologisierung intergeschlechtlicher Menschen und der sozialen Kämpfe dagegen thematisiert werden, um zu zeigen, wie normative Geschlechterregime nicht nur in Bezug auf (Hetero-)Sexualität, sondern auch auf Zweigeschlechtlichkeit ihre Hegemonie zu behaupten versuchen. 6.3.3 „Da kommt man nicht drum herum, das insgesamt zu thematisieren“ – Argumentative Verweigerung und offensive Abwehr Wie aus den Interviews deutlich wird, sind Pädagog_innen zuweilen mit explizit queerfeindlichen Abwehrhaltungen konfrontiert, bei denen sie eine unmittelbare Notwendigkeit sehen, diese zu bearbeiten. Dies ist z.B. der Fall, wenn sie bemerken, wie einzelne Jugendliche eine LGBTIQ+-ablehnende Atmosphäre erzeugen, die sich auf die Gruppe überträgt und andere Stimmen zum Schweigen bringt. Dies bringt sie oft aufgrund des kurzzeitpädagogischen Formats in die Situation, entscheiden zu müssen, auf welche Weise sie mit den vorgebrachten queerfeindlichen Äußerungen umgehen. Es lassen sich zwei entgegengesetzt erscheinende Handlungsweisen finden: 1.

2.

die Handlungsweise des Grenzen-Setzens („Das möcht ich nich hören!“), die davon ausgeht, dass sich die Abwertung aktuell nicht produktiv bearbeiten lässt und sie stattdessen als solche markiert und zu unterbinden sucht, ggf. einen Methoden- oder Themenwechsel vornimmt und die Bearbeitung der Abwertung auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt, die Handlungsweise des Raum-Gebens („Raus damit!“), die davon ausgeht, dass nur abwertende Haltungen, über die gesprochen wird, auch kritisch reflektiert und bearbeitet werden können, und die entsprechend Ressourcen im Workshop bereitstellt.

Die Handlungsweise des Grenzen-Setzens lässt sich in mehreren Interviews finden. Diese zeigt sich, wenn die Pädagog_innen bemerken, dass ein bestimmtes

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Maß an abwertendem, diskriminierendem Sprechen überschritten wird, das – wie Alex es formuliert – „die Basis der Menschenrechte verlässt“ (Alex, 858): „Aber es gibt auch ganz klar Sachen, wo ich sage ‚Nee, das möchte ich hier nich hören‘ ähm Beschimpfungen, Lächerlichmachung und Diskriminierung ähm da bin ich, egal bei welchem Alter, auch ganz strikt, […] also wenn es die, sag ich mal / ich denke, ich kann hier für das Haus sprechen, die Basis der Menschenrechte verlässt, dann ähm gibt’s da auch kein / keinen Diskussionsspielraum mehr. Und rassistische oder sonstige diskriminierende Äußerungen äh die fallen, dann kann man das aufgreifen, aber man muss dann auch sagen, nich nochmal äh ich mach das / ich ähm formulier das oft eben so, dass wir hier im Haus diese Regel haben //Ja.// und ähm man kann aber auch, wenn wir zum Beispiel nich im Haus unterwegs sind, sagen: ‚In meiner Gegenwart möcht ich das nich hören‘, und so. […] Das geht auch, da gibt’s schon auch en Einsehen, also / und es […] is nie die ganze Gruppe, es sind immer zwei, drei, die mal äh auch was provozieren wollen, was ausprobieren.“ (Alex, 852-872)

Alex beschreibt unterschiedliche Ausprägungen von Rigidität bezüglich des Begrenzens der Äußerungen der Kinder und Jugendlichen und adressiert explizit Akte von „Beschimpfungen, Lächerlichmachung und Diskriminierung“. Sie_Er setzt persönlich gerahmte Grenzen innerhalb des eigenen Workshops („In meiner Gegenwart möcht ich das nich hören“). Zugleich verweist er_sie auf gemeinsame Regeln des Teams des Jugend Museums, die auch den Ausschluss von Teilnehmenden der Workshops umfassen können, sollten sich diese auf bestimmte Weise menschenverachtend verhalten. Den übergeordneten Bezugsrahmen bilden für das Team dabei die Menschenrechte. Auch wenn es bei manchen Verhaltensweisen der Teilnehmenden „keinen Diskussionsspielraum“ gibt, werden auch Abstufungen in den pädagogischen Reaktionsweisen sichtbar: Bei einzelnen und zum ersten Mal getätigten abwertenden Äußerungen schlägt Alex vor, diese sowohl zu besprechen als auch eine Grenze zu setzen, um ihre Wiederholung zu unterbinden („rassistische oder sonstige diskriminierende Äußerungen, äh, die fallen, dann kann man das aufgreifen, aber man muss dann auch sagen, nich nochmal“). Erfahrung mit gesetzten Grenzen beschreibt Alex als positiv: „Das geht auch, da gibt’s schon auch en Einsehen.“ Anders als Cato im vorhergehenden Beispiel macht Alex deutlich, dass er_sie sich hier nicht auf die Dynamik einer ganzen Gruppe bezieht, sondern auf die Aktionen einiger weniger Teilnehmer_innen, die die Grenzen austesten („es sind immer zwei, drei, die mal äh auch was provozieren wollen, was ausprobieren“). Das heißt, dass hier im Umgang mit Abwehr zwischen verschiedenen Qualitäten differenziert wird: Bei verletzenden Äußerungen und Akten („Lächerlichmachung“) wird eine rigidere

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Grenze gezogen, als wenn die Betreffenden dem Anschein nach vor allem provozieren und austesten wollen, wie weit sie gehen können. Die Pädagog_innen differenzieren in ihrer Handlungsorientierung zwischen abwertenden Einzeläußerungen und (teilweise eskalativen) abwertenden Gruppenstimmungen; Auf letztere folgt laut den Pädagog_innen oft ein sofortiges Eingreifen. Dies zeigt das folgende Beispiel, bei dem sich die_der Pädagog_in auch selber als queer lebend sichtbar macht und der Situation eine neue Rahmung gibt. Der pädagogischen Intervention von Kay geht eine Diskussion darüber voraus, ob Männer, die rosa tragen, schwul seien, woraufhin homofeindliche Äußerungen fallen, auf die mehrere Teilnehmende aus der Gruppe offensiv einsteigen. Dies – so beschließt Kay – darf keinesfalls unkommentiert stehen bleiben, sondern erfordert eine wirksame Reaktion: „Und dann hab ich mich entschieden, mich zu outen mit dem Duktus, dass ich sage: ‚Wenn du so sprichst, und du weißt nie, […] es gibt welche, die betrifft es, die jetzt vielleicht noch gar nich im Raum sind, aber es kann sein, da sitzt jemand in ner Runde und is davon richtig getroffen. Ich nämlich.‘“ (Kay, 783-788) Nicht sofort, so Kay weiter, habe der Wort führende Teilnehmer seine Meinung revidiert – die_der Pädagog_in weiß allerdings, dass dies insbesondere vor einer Gruppe mit der Gefahr verbunden wäre, das Gesicht zu verlieren. Damit ordnet Kay das „Gegenhalten“ (Kay, 788) des Jugendlichen als gruppendynamisch begründete Reaktionsweise ein. Allerdings entfaltet die Intervention auch auf andere Teilnehmende eine Wirkung, denn die Tatsache, dass sie_er sich mit einer sexuellen Positionierung und ihrem_seinem emotionalen Betroffen-Sein zeigt, ermöglicht einer_m jugendlichen Teilnehmer_in ihr eigenes Betroffen-Sein aufgrund diskriminierender Handlungen zu äußern: „Und dann aber meldete sich ein Mädchen zu Wort, die nichts vorher darüber erzählt hat, und ganz ne Ruhige, ne Aufgeschlossene, so, und die war total aufgeregt und sagte, ihre beste Freundin sei gerade zu Hause rausgeworfen worden, weil sie sich geoutet hat, und die Eltern wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben und die würde gerade bei ihr wohnen und ihr erzählen, was für Erlebnisse sie hat, nämlich, dass sie zum Bäcker geht und Brötchen kaufen will und der Bäcker sagt […] zu ihr: ‚Mit Dir Scheißlesbe wollen wir nichts zu tun haben.‘ Und wie furchtbar das für sie ist und wie furchtbar das für sie als Freundin ist mitzukriegen […], und die hätte das nie erzählt, wenn ich nicht / also wenn es nicht diesen Moment dieses=dieses Gesprächs gegeben hätte.“ (Kay, 794-803)

Indem Kay anhand des eigenen Betroffen-Seins auf die Unsichtbarkeit von Homosexualität und die damit verbundene Gefahr der Verletzung anwesender Personen verweist, ermöglicht er_sie eine Vervielfältigung von Positionen innerhalb der anwesenden Gruppe und eröffnet den Raum für die Thematisierung einer

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weiteren Erfahrung emotionaler Betroffenheit. Der Fokus verschiebt sich damit von den diskriminierenden Äußerungen auf die Situation derer, die diesen ausgesetzt sind. Das Aufzeigen von Konsequenzen abwertender Äußerungen und die folgende Offenbarung der eigenen Betroffenheit verdeutlicht, dass das Sichtbarmachen des eigenen homosexuellen Begehrens bewusst als pädagogisches Mittel eingesetzt werden kann, z.B. um eine direktere Auseinandersetzung mit dem abwertend sprechenden Jugendlichen zu ermöglichen oder als Intervention in eine Gruppendynamik. Deutlich wurde, wie in die Strategie des Grenzen-Setzens bei abwertenden Äußerungen oft das Eröffnen eines Raumes eingelassen ist: Über Nachfragen, Neue-Themen-Anbieten oder das eigene Positionieren wird gezielt darauf gesetzt, anderen Meinungen in der Gruppe Gehör zu verschaffen. Es geht darum, zu zeigen, „es gibt auch Menschen, die das anders sehen“ (Alex, 903), und nicht den dominanten Sprecher_innen den Raum zu überlassen oder das Schweigen der Anderen oder auch ihr Einstimmen in den Chor der abwertenden Äußerungen vorschnell als Übereinstimmung zu missinterpretieren: „Wenn ich aber merke, da gibt’s in der Gruppe insgesamt zum Beispiel ne starke homophobe Stimmung, dann ähm kommt man glaub ich nich drum rum, als das insgesamt zu thematisieren. […] wenn man da so’n=so’n Wind hat, dann muss man das aufgreifen und (1) oft auch nachfragen. Das hilft total viel, wenn sie erzählen können, was sie meinen und das is dann oft heftig, was kommt, und wo ich dann auch manche frage, will ich das alles hier im Raum haben, aber man kommt da glaub ich nich drum rum, man muss dann natürlich auf jeden Fall drauf achten, dass es nich irgendwo so stehen bleibt, da muss man die Ruhe im Kopf haben, da muss man gucken, in welchem Rahmen befinde ich mich gerade, wie lange is das jetzt in den letzten zehn Minuten des Workshops rausgebrochen, hab ich hier noch ne Chance, das irgendwie zu nem guten Ende zu bringen //Ja.// oder ham wir noch schön Zeit, wo wir sagen können, wir machen richtig was draus. Ähm wir gucken mal und sagen: ‚Es gibt hier aber noch andere Meinungen.‘ […] wenn äh sie bei schwierigen Fragen, wie zum Beispiel, wenn man da ne homophobe Grundstimmung hat, gemerkt haben oder wenigstens ein Kind gemerkt hat: ‚Aha, es gibt also noch andere Meinungen, ne, es gibt nich nur die Meinung von den Meinungsführern oder -führerinnen in meiner Klasse, sondern es gibt auch Menschen, die das anders sehen und ähm die sich / die sogar Fürsprecher sind zum Beispiel für Schwule.‘ Auch das würde ich sagen is en Erfolg, das kann Kinder be/ bestärken oder es kann Kinder zu/ zumindest ähm en Stückweit st/ so stark machen, dass sie nich anfällig sind, einfach mitzumachen bei diskriminierenden Grundstimmungen oder auch Aktionen“ (Alex, 852-908).

Es wird ein Abwägen deutlich zwischen Begrenzen („will ich das alles hier im Raum haben“) und dem Zulassen schwieriger Positionierungen, deren Bearbei-

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tung als notwendig erachtet wird („man kommt da glaub ich nich drum rum“). Alex beschreibt, welche Aspekte dabei ggf. berücksichtigt werden müssen: ein Statement nicht unbearbeitet stehen lassen, die eigene Ruhe im Umgang damit, der Faktor Zeit, ein Zugang zur Vervielfältigung von Meinungen. Als positiver Orientierungshorizont erscheint die offensive und kreative Umarbeitung: „[W]ir machen richtig was draus.“ Im Idealfall können Kinder und Jugendliche Meinungsvielfalt und Solidarität mit marginalisierten Gruppen erleben, wovon sich Alex erhofft, dass es Kinder widerstandsfähig gegen abwertende Äußerungen und Handlungen macht und zum kritischen Hinterfragen ermutigt. Eine klare Position zu schwierig empfundenen Äußerungen mit dem Verweis auf die eigene Person zu beziehen und gleichzeitig mit einer offen-neugierigen, nicht-abwertenden Haltung auf die Jugendlichen zuzugehen, ist eine Gratwanderung. Wie Kindern und Jugendlichen durch Nachfragen signalisiert werden kann, dass es um ein Verstehen-Wollen ihrer Meinungen geht, wird in der folgenden Sequenz beschrieben. Erneut zeigen sich die Dynamik und unvorhersehbare Folgen pädagogischer Interventionen, die Helsper (2004a, 2004b) als konstitutive Antinomie zwischen Vermittlungsversprechen, struktureller Ungewissheit und Riskanz der professionellen Intervention beschrieben hat. Kay beschreibt ein Dilemma im Rahmen der Kleingruppenarbeit mit fünf männlichen, sich mehrheitlich queerfeindlich äußernden Jugendlichen, die sich für eine Fotogeschichte als Plot einen Auftragsmord an einem schwulen Jungen ausdenken: „Ich war in dem Dilemma, sag ich mal, zu überlegen, kann ich das jetzt zulassen, diese ungefilterte äh (1) / ja, es war / es / feindlich könnt ich gar nich mal sagen, es war einfach klar, dass dieses Problem nur auf diese Weise gelöst werden kann […], also was ich gebremst hab, war, sie hätten ungefähr hundert Fotos davon machen können, wie dieser Junge malträtiert wird auf alle mögliche Art und Weise, das hab unter/ ja, -bunden, hab ich gesagt, ein Foto, wo nich / ne? Wo man ne Ahnung davon kriegt, aber das wird jetzt nich ausgereizt, so äh weil das reicht, um die Geschichte zu erzählen.“ (Kay, 421-430)

Kay beschreibt hier ihren_seinen inneren Entscheidungsprozess, die engagierten Jungen zwar die brutale Geschichte erzählen zu lassen, sie aber in der Umsetzung zu begrenzen. Sie_er weiß darum, dass die Umsetzung „dieses Gewaltvolle[n] oft auch was Lustvolles ist“ (Kay, 431f) und dass seine_ihre Entscheidung von Anderen als heikel angesehen wird. Er_sie fällt die Entscheidung sehr bewusst, einerseits weil er_sie zuvor mit dem Versuch, Empathie für queere Lebensweisen zu wecken, nicht erfolgreich war, da sich die Jugendlichen mit ihren eigenen Ausgrenzungserfahrungen nicht mit den Ausgrenzungserfahrungen

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queerer Menschen verbinden konnten.11 Kay erhofft sich andererseits, im weiteren Verlauf des pädagogischen Formats noch andere Positionen sichtbar zu machen, denn es schloss sich noch eine mehrtägige Lernwerkstatt an den Workshop an, in deren Rahmen auch ein schwules Antigewalt-Projekt besucht werden sollte. Bei der weiteren Umsetzung der Fotostory nimmt der_die Pädagog_in eine zweite Intervention vor: „Und erstmal ist die Bedingung [um verfestigte Haltungen zu bearbeiten]/ erstmal fand ich das total wichtig, dass sie das Gefühl haben, raus damit, die können jetzt hier ungefiltert erstmal alles raushauen und so richtig mit großem Elan diese Fotostory machen, wo’s echt dann bis zum bitteren Ende / äh ich hab sie allerdings, man könnte beinahe sagen, genötigt, ein Ende zu machen äh wo man nochmal mitkriegt, wie geht es eigentlich diesem Auftragskiller und dem=dem Cousin, der das erzählt hat, und dem Vater. ‚Ich will, dass ihr sozusagen, ne, einen Schritt weiter, wie geht's / ne?‘ […]: ‚Stellt Euch vor, du bist der Vater, du bist jetzt nich du, du bist der Vater, du hast deinen Sohn umbringen lassen, wie geht es dir jetzt damit?‘ Und das war ganz spannend. Also der Cousin zum Beispiel, der saß dann, das letzte Bild, was / das mussten sie ja auch als Bild umsetzen, der äh / da ham sie dann vorher ein Bild von dem gemacht, der der Cou/ also der schwule Junge war, und er saß dann mit diesem Bild in der Hand ähm und guckte sich so betrübt das Bild an. So. Und das is / find ich auch ne Aussage […]. Aber dieses letzte Bild, der Vater, der hat dann auch so irgendwie so’n bisschen sinnend dagesessen […], der trauerte um seinen Sohn so, und der Auftragskiller is ins Gefängnis gekommen. Das war dann die / das Ende der Geschi/ also insofern löst es sich nich auf, es blieb nich stehen mit dem, wir bringen den um und dann is vorbei, dann haben wir das Problem gelöst, sondern noch einen Schritt weiter.“ (Kay, 474-500)

Hier tritt deutlich zutage, dass die Strategie des Raum-Gebens bedeutet, diesen mitzugestalten und in diesem Fall die Jugendlichen mit den Konsequenzen zu konfrontieren, die sie durch ihre Fotostory selber angelegt haben. Wie schon anhand der theaterpädagogischen Übung dargestellt, werden über bestimmte Zugänge Perspektivwechsel oder -verschiebungen ermöglicht. Kays Bericht fol11 Dies war zum Beispiel der Fall, insofern Homosexualität als unnatürlich und etwas, das verboten werden sollte, angesehen wurde. Damit folgt die Ausgrenzung anderen Konstruktionsbedingungen als etwa der von den Jugendlichen erlebte Rassismus. Einige der Jugendlichen werden in der Erzählung als türkeistämmig identifiziert bzw. beziehen sich auf den Islam. Wir haben diese Information hier im Fließtext weggelassen, um der_dem geneigten Leser_in die Gelegenheit zu geben darüber nachzudenken, ob es einen Unterschied macht, diese Information nicht zu haben, und wenn ja, welchen.

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gend war es im diskutierten Beispiel eine entschiedene pädagogische Intervention („ich hab sie allerdings, man könnte beinahe sagen, genötigt“), die diesen Raum eröffnet. Die Schilderung der Bekümmertheit des ‚Cousins‘ bzw. des ‚Vaters‘ zeigt, wie dies von Kay tatsächlich auch als ein Sich-darauf-Einlassen wahrgenommen wird. Da wir in unserer Feldforschung und in den Interviews nachvollziehen konnten, dass Kinder und Jugendliche in einigen Workshops ähnliche queerfeindliche Geschichten inszeniert haben, ist es unseres Erachtens wichtig die Notwendigkeit zu betonen, den Einsatz relativ offener, unstrukturierter Methoden sowie die eigenen ggf. notwendig werdenden Interventionen sorgfältig vorzubereiten und die Verantwortung als Pädagog_in besonders bewusst zu halten. So ist z.B. zu beachten, dass es häufig schwer ist, die beiden Ebenen von spielerischer und realer Rolle für sich getrennt zu halten. Insbesondere wenn die ‚Opferrolle‘ mit einer Person besetzt wird, die auch im ‚echten‘ Leben Abwertungen ausgesetzt ist, bzw. eine ‚Täterrolle‘ mit einer Person besetzt wird, die in der Gruppe eher eine dominante Position innehat oder sich durch Abwertungen anderer hervortut, birgt die Situation (Re-)Traumatisierungspotenzial für die eine spielende Seite und ein Perspektivwechsel wird für beide nur schwer möglich. Im Hinblick auf Gewaltprävention und Opferschutz erscheint es deshalb sinnvoll, die Interaktionen und Rollenverteilungen in der Gruppe zuvor gut zu beobachten und eine andere Rollenbesetzung als die beschriebene zu bevorzugen. Auch ist sorgfältig auf das Eintreten in und vor allem auf das bewusste wieder Heraustreten aus der übernommenen Rolle zu achten. Da Gruppen sich in einer wenig vorstrukturierten Inszenierung recht dynamisch verhalten können, sind Pädagog_innen gut beraten, sich vorab zu überlegen, ab welchem Punkt und wie sie intervenieren möchten.12 Dies gilt insbesondere auch angesichts der immer wiederkehrenden Gewaltfantasien gegen Queers, die von manchen Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Kreativmethoden vorgeschlagen werden. Wenn die Pädagog_innen sich dafür entscheiden, diesen Raum geben zu wollen, dann sind sie herausgefordert, durch ihre Interventionen – wie oben geschildert z.B. durch Einhegung der Gewaltdarstellung oder indem sie neue Anforderungen setzen – nicht nur dafür zu sorgen, dass sich normative Gewalt nicht ungehindert Bahn bricht, sondern auch dafür, dass Ambivalenzen, ‚gemischte Gefühle‘ oder Einsprüche angemessenen Raum erhalten.

12 Anregungen für Interventionen im Alltag gibt die Broschüre „Schwule Sau!“ „Du Transe!“ „Kampflesbe“- Was tun bei Beschimpfungen und diskriminierenden Äußerungen? der Bildungsinitiative QUEERFORMAT (4. Aufl. von 2015), als Download auf deren Website erhältlich, https://www.queerformat.de/broschuerenquartett-wiesie-vielfaeltige-lebensweisen-in-ihrer-schule-unterstuetzen-koennen/ (18.8.2018).

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Aus heteronormativitätskritischer und intersektionaler Perspektive sind – insbesondere wenn in einem Gruppenkontext queerfeindliche Haltungen unverrückbar und persistent erscheinen – die Funktion von Trans*- und Homofeindlichkeit, eigene, wenn auch latente queere Impulse durch Projektion auf Andere abzuwehren (vgl. Kap. 2.3), ebenso mitzubedenken wie die Herstellungsprozesse von Männlichkeiten, die das Bestreben evozieren, eine Fremd- und Selbstidentifikation mit marginalisierter (z.B. schwuler) Männlichkeit zu vermeiden.13 Mit der Fokussierung auf das, was als legitim empfunden wird, bzw. das, was sanktioniert wird, könnten Herstellungsmechanismen von Männlichkeit, aber auch CisGeschlechtlichkeit insgesamt sowie Heterosexualität im Rahmen gesellschaftlicher Strukturen in den Blick genommen werden, innerhalb derer die Kinder und Jugendlichen handeln und deren Reflexion eine der Aufgaben politischer Bildung ist. Das Balancieren von individueller – aber nicht individualisierter – Unterstützung und Kritik an gesellschaftlichen Strukturen ist als pädagogische Herausforderung dieses Feldes zu verstehen (vgl. Kap. 2.5). Mit dieser lässt sich auch ein theoretischer Rückbezug auf die affektiven Reaktionen der Kinder und Jugendlichen verbinden: Diese können als zugleich intime und allgemeine Erscheinungen verstanden werden, in denen „die Dimension des Gesellschaftlichen und Politischen und die Dimension des Persönlichen und Individuellen als unauflösbar verflochten“ (Baier et al. 2014: 20) begriffen werden können. Ein hete-

13 Mitja diskutiert z.B. mit den Teilnehmenden eines Workshops Körperkontakt zwischen Jungen und erlebt auch hier Abwehr: „[…] und dann zu fragen so: ‚Ach so‘ ähm eben nachzufragen: ‚Habt ihr das nich manchmal, dass äh ihr ähm auch mal jemanden in den Arm nehmt oder so?‘ Und […] wir sind dann im Gespräch darauf gekommen, dass es einfach auch viel an so Formulierungen lag, ne, weil zum Beispiel den Arm um die Schulter legen is ok, in den Arm nehmen is nich ok. Ja? Also so ne ganz kleinen Differenzierungen. […] ich hab dann andere Begriffe versucht ähm zu verwenden und sie auch nach Situationen zu befragen, wo sie sich das vielleicht mal wünschen, mal irgendwie getröstet zu werden […]. Und wie=wie passiert das dann, weil / also wie tröstest / wie=wie werdet ihr getröstet oder wie tröstet ihr jemanden, also so wirklich / meine, manchmal kommt man sich auch so’n bisschen blöd vor, das so rauszukitzeln, aber so dieses, ne, ‚Ok, du bist traurig, wie möchtest du getröstet werden?‘ […] ‚Wer soll dich dann trösten? En guter Freund, ok‘, das heißt umarmen, den Ar/ in den Arm genommen zu werden oder den Arm um die Schulter gelegt zu bekommen von nem guten Freund is auch ok. Also ne? Also sich so ganz vorsichtig, so nach und nach dran rantasten. Also das nochmal so zu zerlegen ähm um / wie so von hinten aufrollen. Um diese Abwehrmechanismen irgendwie zu umgehen, weiste? Ja. Is mühsam, aber es lohnt sich glaub ich.“ (Mitja, 1240-1263)

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ronormativitätskritischer Zugang reflektiert dabei, wie dominante Normen sich in Gefühle übersetzen und auf die Körper zugreifen, und gibt pädagogisch vermittelt Einsichten in ihre Produktionsmechanismen. Wie Stefan Timmermanns (2013: 261) anmerkt, ist es für die pädagogische Arbeit wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass Kinder und Jugendliche nicht ohne Weiteres von einem queerfeindlichen zu einem akzeptierenden Verhalten wechseln können. Das heißt, dass Kurzzeitformate wenig geeignet sind, verfestigte Haltungen umgehend aufzulösen, aber die Kinder und Jugendlichen können in ihnen Reflexionsangebote erhalten, die erste Entwicklungsschritte hin zu einer queerfreundlichen Haltung für sie attraktiv machen. Hierzu brauchen Pädagog_innen eine Einschätzung dessen, was möglich ist. Die Pädagog_innen des Jugend Museums wählen den Weg über das „Raus damit!“ bezüglich queerfeindlicher Einstellungen zumeist dann, wenn genug Zeit und eigene Ressourcen vorhanden sind, diesen Weg mitzugestalten und queerfeindliche Äußerungen oder Handlungsweisen nicht unkommentiert bzw. unkonfrontiert stehen zu lassen. Die Handlungsorientierung „Raus damit!“ bedeutet also nicht, dass der Workshop-Raum ohne aktive Steuerung des_der Pädagog_in unkontrolliert mit diskriminierenden Äußerungen befüllt wird. Vielmehr erfordert diese Handlungsorientierung eine klare Strukturierung des Prozesses, d.h. die Entscheidung darüber, wann und auf welche Weise eine Positionierung der Workshop-Leitung erfolgt und mit welcher Haltung und welchen Leitfragen der Reflexionsraum geöffnet wird. In der beschriebenen Handlungsweise des Grenzen-Setzens wird das Anliegen sichtbar, den Workshop-Raum für queere Jugendliche als einen ‚sicheren Ort‘ zu gestalten, an dem sie – zumindest weitgehend – vor Diskriminierung geschützt sind. Demgegenüber wird aus dem Gegenhorizont des „Raus damit!“ argumentiert, dass die Beweggründe für queerfeindliche Äußerungen oder eine homophobe Haltung nur erschlossen und bearbeitet werden können, wenn darüber gesprochen wird. In dieser Auseinandersetzung wird bedeutsam sein, welche die Kinder und Jugendlichen möglicherweise herausfordernden Erklärungen – zusätzlich zu den ggf. von ihnen selbst artikulierten Gründen – die Pädagog_innen für queerfeindliches Verhalten anbieten können, die die Funktionalität und eigene Verstrickungen erkennen lassen (vgl. Kap. 2.3). Darüber hinaus scheint die „Raus damit!“-Haltung ein unvereinbarer Widerspruch zu dem Anspruch zu sein, einen diskriminierungsfreien, geschützten Raum bereitzustellen. Eine hilfreiche Strategie für die eigene Klarheit kann darin bestehen, hinsichtlich des Grenzen-Setzens im Team bzw. der Institution abzustimmen, bei welchen Äußerungen es keinen ‚Diskussionsspielraum‘ gibt, wo also queerfeindliches Verhalten konsequent begrenzt wird. Im Team des Jugend Museums be-

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stand Einigkeit darüber, dass bereits die Gegen-Positionierung der WorkshopLeitenden einen entscheidenden Unterschied markiert – sowohl für diejenigen, die die abwertenden Äußerungen tätigen, als auch die, die sie betreffen. Aus einer heteronormativitätskritischen Perspektive ist zugleich zu fragen – ohne damit das Bemühen um eine wertschätzend-respektvolle Atmosphäre infrage zu stellen –, ob das Ziel von ‚diskriminierungsfreien Schutzräumen‘ queer positionierten Menschen nicht eine zu große Vulnerabilität bzw. Schutzbedürftigkeit unterstellt und das Wilde und Widerständige, die Lust daran, sich ‚quer zu stellen‘, Normalität und Normativität zu durchkreuzen, zu sehr marginalisiert.14 6.4 „Die waren irgendwo ganz anders“ – Orientierungen im Umgang mit sozialen Differenzen In diesem Kapitel untersuchen wir die in den Expert_inneninterviews von den Pädagog_innen beschriebene pädagogische Arbeit hinsichtlich der mit ihr verbundenen Differenzkonstruktionen. Dabei sind Differenzkonstruktionen auf zwei Ebenen von Interesse: Zum einen geht es um die Differenzkonstruktionen der Pädagog_innen in Bezug auf ihre Zielgruppe, zum anderen um den Umgang der Pädagog_innen mit den Differenzkonstruktionen der Jugendlichen. Im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Individuen und Gruppen im pädagogischen Geschehen liegt es nahe, dass diese sich nicht immer und nicht ohne Weiteres verstehen. Immer bedarf es einer gegenseitigen Interpretationsleistung. Im Folgenden wird an ausgewählten Interviewsequenzen, die mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet wurden, aufgezeigt, welche Handlungsorientierungen sich im Umgang mit Differenzen identifizieren lassen. Wir rekonstruieren die Produktionsweisen dieser Differenzkonstruktionen in den Schilderungen der Pädagog_innen und unterscheiden affiziert-reflektierende (6.4.1), integrativreflektierende (6.4.2) und kritisch-reflektierende (6.4.3) Haltungen. Insgesamt ist die Herstellungsweise der artikulierten Erfahrungen der Pädagog_innen – der Modus operandi – als reflektierend zu bezeichnen: Die Erzählungen sind stark

14 Ganz in diesem Sinne sprechen die beiden Sexualpädagog_innen vom British Museum in London, Melany Rose (Education Manager: Schools and Young Audiences) sowie Chloe Cooper (Artist and Educator), die wir für einen Workshop bei der VieL*Bar-Abschlusskonferenz eingeladen hatten, in ihren „11 top tips for delivering Sex and Relationship Education in Museums“ von einem „brave space“ statt von einem „safe space“. Sie geben in diesem Kontext z.B. folgende Tipps: „Be explicit!“, „Be brave!“, „Ask participants to reflect on wider society“, „It’s ok to change your mind“ (Powerpointpräsentation auf der VieL*Bar-Abschlusstagung 19.01.2018).

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durchsetzt mit theoretischen Einlassungen oder selbstkritisch-abwägenden Bemerkungen. Deshalb enthalten die Bezeichnungen aller drei herausgearbeiteten differenzbezogenen Haltungen den Begriffsteil ‚reflektierend‘. Reflektiert werden dabei unterschiedliche Dinge, z.B. die Möglichkeiten des In-KontaktKommens oder gesellschaftliche Stereotype. Die drei unterschiedenen Haltungen sind hier analytisch voneinander getrennt, sie treten aber je nach Situation durchaus in enger Verzahnung miteinander auf bzw. es findet sich bei einer Person mehr als nur eine der beschriebenen Handlungsorientierungen: • Als ‚differenzaffiziert‘ verstehen wir einen Umgang mit Differenzen, der diese

wahrnimmt, sie aber nicht als soziale Konstruktionen adressiert und sie im Kontakt manchmal als Hindernis erlebt und zu überwinden versucht. Orientiert am Ideal eines Wir-Gefühls werden Pädagog_innen im Kontakt mit ihren Teilnehmenden so affiziert, d.h. emotional gebunden, dass sie für den Beziehungsaufbau ihre ‚eigene pädagogische Rahmung‘ ein Stück weit verlassen und in die Bedeutungsgebungen der Kinder und Jugendlichen eintauchen. Dies kann für das pädagogische Miteinander und die Atmosphäre sehr zuträglich sein. Wenn jedoch kein Abstand zu den Differenzkonstruktionen genommen wird bzw. diese nicht der Reflexion zugänglich gemacht werden, können hierarchisierende, stereotypisierende oder homogenisierende Unterschiede entgegen dem eigenen Anspruch mitgetragen werden und die pädagogischen Handlungen können nur schwerlich heteronormativitätskritisches Potenzial entfalten. • ‚Differenzintegrativ‘ sind solche Haltungen zu Differenz, die die von den Jugendlichen reklamierten Zugehörigkeiten aufgreifen und durch weitere, mitunter unvereinbar erscheinende ergänzen und den Jugendlichen so eine Idee widersprüchlicher, aber handhabbarer eigener Vielfältigkeit anbieten. Die sozialen Unterschiede werden dabei nicht naturalisiert, die in den Interviews thematisierte Handlungsebene bezieht sich aber vor allem auf die Effekte dieser Unterschiede und die Ermöglichung von Handlungsfähigkeit im Umgang mit ihnen. Die Analyse der Konstruktionsbedingungen von Ungleichheitsverhältnissen und die Funktion differenzaffirmierender Artikulationen der Jugendlichen und Kinder steht dabei weniger im Zentrum als bei einer differenzkritischen Haltung. • ‚Differenzkritisch‘ sind solche pädagogischen Haltungen, die Artikulationen von Differenz auf ihre Konstruiertheit, ihren Kontext und ihre Funktion hin überprüfen und sich damit in eine analytische Distanz begeben, und pädagogische Handlungsweisen, welche die vorgenommenen Differenzkonstruktionen irritieren, in Widersprüche verwickeln oder auf andere Weise nicht einfach stehen lassen. Sie erkennen Differenzordnungen als machtvoll und fordern

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heraus zu begreifen, dass Pluralität „nicht schlicht etwas ist, was anzuerkennen ist“ (Mecheril/Plößer 2011: 73), sondern eine „kritisch-reflexive Anerkennung von Vielfalt und Auseinandersetzung im Hinblick auf ihre Machtwirkungen“ (ebd.) erfordert. Wir geben im Folgenden jeweils ein bis zwei Beispiele, die den jeweiligen Typ repräsentieren. Wo es sich anbietet, gehen wir über die analytische Rekonstruktion der Beispiele hinaus und versuchen, die pädagogischen Handlungsweisen in heteronormativitätskritischer Hinsicht weiterzudenken und Szenarien für eine kritisch-dekonstruktive pädagogische Praxis zu entwerfen. 6.4.1 „Was wollen diese alten weißen Frauen von uns?“ – Affiziert-reflektierende Haltungen zu Differenzkonstruktionen Einige Pädagog_innen machten gleich zu Beginn eines Workshops – oder auch wie im folgenden Beispiel gleich zu Beginn einer mehrtägigen Lernwerkstatt – die Erfahrung von Differenz und richteten daraufhin in einigen Fällen ihre Vorgehensweise neu aus. Dies geschah vor allem dann, wenn die Thematisierung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt nicht gleich an die Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen anschloss und es mit dem didaktischen WorkshopKonzept nicht gelang, die Zielgruppe zu erreichen und für das Thema zu begeistern. Zwei zentrale Fragen, mit denen sich die Pädagog_innen in diesem Zusammenhang beschäftigen, sind: 1. Wie komme ich mit den Kindern und Jugendlichen in Kontakt bzw. wie stelle ich eine funktionale Arbeitsbeziehung her, in deren Rahmen sich die Zielgruppe für die das Thema öffnet? 2. Wie kann ich den Einstieg ins Thema gestalten, um bei den Kindern und Jugendlichen Interesse und Neugier am Thema zu wecken. Wie herausfordernd dies – insbesondere hinsichtlich eines neuen Themas, bei dem noch nicht alle Bildungsmaterialien erprobt und auf ihre Fallstricke hin reflektiert werden konnten – sein kann, beschreibt Toni, die_der vorhatte, mit einer Gruppe von männlichen Jugendlichen zum Thema ‚queere Mode‘ zu arbeiten. Auf den zum Einstieg gezeigten Film, der gängige Modedarstellungen wie auch Genderordnungen unterläuft, reagieren die Jugendlichen in Tonis Wahrnehmung mit Abwehr und Distanzierung. Er_Sie schildert dies unter anderem so: „Die waren irgendwo ganz anders. Die ham ja sich totgelacht bei diesem Film, den wir gezeigt haben irgendwie, wo’s um queere Mode ging“ (Toni, 1092f). Toni nimmt die Reaktionen der Jugendlichen, die sich unter anderem auf abwertende Weise über ältere Frauen im Minirock lustig machen, auf und verän-

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dert den Ablauf der Lernwerkstatt. Danach gefragt, wie dieses ‚Umsteuern‘ aussieht, schildert Toni aber erst einmal einen Eindruck vom Beginn des Workshops, in dem er_sie eine Differenzwahrnehmung artikuliert, die mit einer Unterstellung unklarer Erwartungen auf Seiten der Jugendlichen verbunden wird:15 „Also das äh=h und das war irgendwie klar nach diesem Film schon eigentlich dass wir mit denen nich queere Mode (.) machen können. //Ok.// Also da ham wir dann so’n bisschen umgesteuert. //Nämlich?// Nämlich (.) also (.) erstmal ich hatte so wir hatten ja Kleingruppenarbeit dann die waren auch schon so 17 (.) und ich hab gemerkt ganz / das war schon am Anfang ähm (.) die denken sehen uns, und denken nur so was wollen diese weißen alten Frauen von uns [lacht] […] Und dann hab ich nur gedacht wir saßen dann so am Tisch und dann dacht ich so hey irgendwie müssen wir überhaupt erstmal en Kontakt kriegen (.) also solange die mich als Feindin oder irgendwie sehn dann bringt das ja gar nichts also da kann ich ja noch was erzählen das geht nur nach hinten los.“ (Toni, 11151145)

Toni benennt den Wechsel in eine Kleingruppenphase und markiert die Jugendlichen in diesem Zusammenhang als eher älter („schon so 17“). Angesichts der von den Jugendlichen zu Beginn der Lernwerkstatt gesendeten Signale vermutet sie_er bei diesen eine Differenzwahrnehmung entlang der Kategorien Ethnisierung/Kulturalisierung, Alter und Geschlecht.16 Zugleich unterstellt sie_er, dass

15 Diese Unterstellung findet sich auch in Schilderungen anderer Pädagog_innen, z.B. bei Cato: „[…] dass quasi so irgend so eine Kartoffel in Anführungsstrichen heute kommen wird und irgendwas erklären wird zu irgendwas und dann wollen die wieder irgendwas“ (Cato, 152-155). Die Pädagog_innen unterstellen reflexive Verhaltensanpassungen, die als Anforderungen erlebt werden. Die Pädagog_innen erwarten, dass die Jugendlichen erwarten, dass die Pädagog_innen nach erfolgtem Input etwas von ihnen erwarten. Bei einer Erwartung handelt es sich jedoch „nur um eine vorgezogene Festlegung, die bis zum erwarteten Ereignis selbst noch revidierbar ist“ (Luhmann 1984: 414). Dies beinhaltet für Pädagog_innen die Chance, sich über ihre eventuell auf Zuschreibungen basierende Erwartungen klar zu werden, bevor diese handlungsleitend werden. 16 Es handelt sich dabei vor allem um (vermeintlich) sichtbare Differenzmarker, Klasse und sexuelle Lebensweise tauchen z.B. nicht auf. Ein_e andere_r Pädagog_in erlebt eine Selbstmarkierung der Jugendlichen als „Ausländer“ und eine Differenzmarkierung über die Profession, den Staat/die Nation sowie den daran gebundenen GenderDiskurs, nämlich dass er_sie „in mehrfacher Hinsicht als völlige Außenperson gekennzeichnet wurde, also nicht nur weil erwachsen und Pädagoge, sondern gleichzei-

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die Jugendlichen davon ausgehen, dass die Pädagog_innen etwas von ihnen wollen und sie nicht in Ruhe lassen werden; es wird dabei Skepsis ausgedrückt, dass es zu einer produktiven Begegnung kommen könnte. Die hier erlebte Identifizierung als ‚anders‘ wird später noch mit der Information unterfüttert, der zufolge die Teilnehmer türkisch-arabische Jungen aus einer „ghettoartigen“ Schule waren. Damit wird zwar ein Stereotyp bedient, dieses wird aber nicht aufgerufen, um die Jugendlichen zu beschreiben, sondern ihre Bildungsbedingungen, die von Toni als „echt bitter“ bewertet werden. Toni beschreibt auch den Unwillen eines Lehrers, sich mit seinen Schülern zu beschäftigen („er war froh, die loszuwerden“, 1140f). Dies macht deutlich, wie die Pädagog_innen sich immer wieder in die Lebensrealität der Jugendlichen hineinzuversetzen suchen und darüber nachdenken, welche Hintergründe und Strukturen zur Erklärung bestimmter Sachverhalte dienen können. Sie suchen diese Erklärungen sehr selten in den Personen selber, sondern betonen ihr Geworden-Sein durch gesellschaftliche Strukturen. Der Lehrer dient Toni als negative Abgrenzungsfolie und er_sie fragt sich, wie die Jugendlichen in ein anderes pädagogisches Verhältnis zu bringen sind. Davon ausgehend, dass sich durch das eingesetzte Material keine gemeinsame Perspektive auf das Thema und auch kein reziproker Kontakt auf der sozialen Ebene herstellen lässt, sieht Toni eine antagonistische Konstellation, worauf vor allem die Verwendung des Begriffs „Feindin“ hindeutet. Vor dem Hintergrund dieser doppelten Differenzerfahrung – sozial wie auch inhaltlich – dokumentiert sich im Interview eine Orientierung, die Fremdheit durch Kontakt zu überwinden. Der_Die Pädagog_in macht hierfür die Erfahrungswelten der Jugendlichen zum Gegenstand. Toni entschließt sich, den Jugendlichen erst einmal Raum für ihre Themen zu geben, sie in den Fokus zu rücken und sich selbst in die Rolle des_der Zuhörer_in zu begeben. Der Raum, den die Pädagog_in eröffnet, wird dann tatsächlich mit Themen gefüllt, die die Jugendlichen bewegen. Sie schildern unter anderem, dass sie als gewaltbereite Islamisten wahrgenommen werden. Toni interpretiert dies als Veranderungs- und Ausgrenzungserfahrungen. Im weiteren Verlauf des Interviews schildert Toni eine Situation im Rahmen einer Exkursion in ein Bekleidungsgeschäft. Das Thema Mode habe die Jungen sehr interessiert, und obwohl es zuvor Probleme mit dem Einstieg in das Thema ‚queere Mode‘ gab, macht sie_er hier deutlich, dass dies nicht an dem Thema ‚Mode‘ an sich lag. Im Geschäft hat sich die Gruppe Bekleidung und Kostüme angeschaut und zu bestimmen versucht, auf welche „Geschlechterrollen“ (Toni, 1166) diese verweisen. Toni wird dann Zeuge_in einer rassistischen Diskrimi-

tig auch noch Deutscher und als solcher Anhänger von irgendwelchen merkwürdigen äh fremden Theorien zu Geschlecht oder so“ (Cato, 131-135).

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nierung der Jugendlichen durch die Angestellten und nimmt diese Erfahrung als Wendepunkt in der Beziehung zu den Jugendlichen wahr: „[…] also auch durch dieses gemeinsame Erlebnis glaub ich ähm hat sich echt was geändert“ (1183f). Die Situation und ihre anschließende Besprechung ermöglichten es ihr_ihm, die Distanz zwischen den Adressat_innen und ihr_ihm zu verringern und Kontakt herzustellen. „Wir ham dann viel dadrüber gere=geredet, ich hab auch viel ihre Geschichten mir angehört so (.) und wir ham dann irgendwie en Kontakt gefunden das war ganz lustig die ham (.) mich dann irgendwie akzeptiert und ham mir immer die Taschen getragen also sie wurden dann sehr gentlemanmäßig [geräuschvolles Einatmen] ähm und ham sich auch / ham viel persönliche Fragen gestellt so […].“ (Toni, 1184-1189)

Dass Toni an einer rassistischen Begebenheit in der Lebenswelt der Jugendlichen teilhat, sich kritisch zu der Begebenheit positioniert und diese nachbespricht, verändert den Kontakt zwischen ihm_ihr und den Jugendlichen („die ham mich dann irgendwie akzeptiert“) und stellt für die_den Pädagog_in eine Gegenerfahrung zu der anfangs erlebten Differenz als „alte weiße Frau“ bzw. „Feindin“ dar. Während Toni für den Anfang der Lernwerkstatt eine Verunsicherung formuliert und wahrgenommene Differenzkategorien und unklare Erwartungen aneinanderkoppelt, hat nun ein gemeinsames Erleben stattgefunden, welches für Anerkennung und einen respektvollen Umgang sorgt, das jenseits des formulierten Feindschaftsverhältnisses liegt. Die Anerkennung wird allerdings vergeschlechtlicht ausgestaltet und heteronormativ gerahmt („[sie] ham mir immer die Taschen getragen, also sie wurden dann sehr gentlemanmäßig [geräuschvolles Einatmen]“17). Der Gentleman als Sinnbild von Anstand und männlicher Ehre ist ein Gegenentwurf zu den von den Jungen geschilderten Erfahrungen der rassistischen Stereotypisierung als Terrorist sowie letztlich auch zu ihrem Verhalten beim Ansehen des Mode-Films. Beide Situationen bleiben dabei innerhalb eines Rahmes unhinterfragter Zweigeschlechtlichkeit, bei dem es jeweils eine negative (Abwertung von Frauen, Fremdzuschreibung als „Terrorist“) und eine positive (Fremdzuschreibung als „Gentleman“) Ausgestaltung von Männlichkeit gibt, die mit einer ethnisierten Zugehörigkeitskonstruktion zusammenwirkt. Der Kontakt mit Toni wird von dieser_m als Reflexionsraum gedeutet: „Ok, die merken schon selber, dass sie auch so’n bisschen (4) heftig drauf sind, vielleicht wolln sie das auch gar nich unbedingt (.) ähm (2) und die 17 Das starke Luftholen an dieser Stelle weist auf einen emotionalen Gehalt des Gesagten. kann ein Hinweis darauf sein, dass Toni diese Situation durchaus problematisch erlebt hat und ihr_ihm die zugewiesene Rolle darin zu eng war.

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wollten dann schon auch irgendwie Kontakt haben“ (Toni, 1191-1193). Dadurch, dass Toni die „gentlemanmäßig[en]“ Gesten entgegennimmt und als Beziehungsangebot anerkennt, ermöglicht sie_er den Jugendlichen zwar eine Gegenerfahrung zu der zuvor berichteten Erfahrung, als tendenziell gefährliche Gewalttäter wahrgenommen zu werden. Eine traditionelle, zweigeschlechtliche Rahmung bleibt dabei jedoch erhalten und wird nicht reflektierend zum Thema gemacht.18 An Beispielen des affiziert-reflektierten Handlungstypus fällt auf, dass Pädagog_innen die Teilnehmenden an einigen Stellen als homogene Gruppe präsentieren. Bei Toni wird z.B. in den durchgängig gewählten Pluralkonstruktionen in ihrer Erzählung das Bild einer Gruppierung gezeichnet, die dieselben (Diskriminierungs-)Erfahrungen, Positionen und Meinungen teilen und gemeinsam handeln. Toni folgt dabei – durchaus im Impetus der Anerkennung – wahrgenommenen Differenzkonstruktionen und antizipiert teilweise die Perspektive der Jugendlichen, was an den empathischen Schilderungen und Unterstellungen, was die Jugendlichen denken oder erleben, sichtbar wird. Durch ein Eintauchen in die Lebenswelt der Jugendlichen und eine Übernahme bzw. ein Antizipieren ihrer Differenzkonstruktionen im Sinne eines going native besteht allerdings die Schwierigkeit, einen distanziert-analytischen Blick zu halten bzw. einen solchen überhaupt einzunehmen (vgl. Radvan 2010: 166). Kontakt mag so zwar zustande kommen, ein produktiver Dissens und das Hinterfragen von Selbst- und Fremdkonstruktionen werden aber erschwert. Nicht nur in diesem Beispiel zeigt sich, dass die pädagogische Beziehung als eine essentielle Grundbedingung dafür angesehen wird, Wissensvermittlung und Bildungsprozesse gelingend gestalten zu können. Dies scheint umso schwerer zu sein, je weniger gemeinsame Anknüpfungspunkte sich zu Beginn ergeben. Wenn soziale Differenzen bei den Pädagog_innen mit Fremdheitserfahrungen einhergehen, sich z.B. an keiner Stelle gemeinsame Perspektiven auf ein Thema und auch kein reziproker Kontakt auf der sozialen Ebene ergeben, kann dies ihre Handlungssicherheit zuerst einmal erschüttern. Von Differenzen affiziert zu werden bzw. sich ein Stück weit in die sozialen Lebenswelten und Erfahrungen der Jugendlichen hineinzubegeben, kann eine Möglichkeit sein, den Rahmen für Handlungsmöglichkeiten auszuloten und neu zu setzen. Gerade wenn Pädagog_innen einem hegemonialen Milieu

18 Dennoch wird es für die_den Pädagog_in möglich, das ursprünglich vorgesehene Thema des Workshops partiell aufzugreifen. Sie_er wählt einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema ‚Geschlechterrollenreflexion‘ und initiiert dazu mit den Jugendlichen eine Diskussion über Bilder aus Modezeitschriften. Er_sie kann aber am Ende nicht einschätzen, „was da jetzt […] vielleicht was Kleines bewirkt hat“ (Toni, 1208).

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weißer Deutscher zugeordnet werden und die Jugendlichen einem Milieu mit Marginalisierungserfahrungen, kann eine Unterstützung der Jugendlichen darin bestehen, ihnen den Raum zu lassen, um rassistische Erfahrungen zu teilen und den_die privilegierte_n Erwachsene_n darin als interessiert, anerkennend, rassismuskritisch und ggf. als Verbündete_n zu erleben. Auch für die Jugendlichen kann es interessant sein, anhand persönlicher Erzählungen die Lebenswelt des_der Pädagog_in kennenzulernen und so in einen wechselseitigen Austausch über die jeweiligen Lebensumstände einzutreten. Sich als Pädagog_in von den konkreten sozialen Differenzen im Raum affizieren zu lassen, kann aber auch bedeuten, die thematische Ebene des Workshops aus den Augen zu verlieren. In der Einstiegssequenz mit dem Film zu queerer Mode äußern sich die Jugendlichen abwertend über die gezeigten Frauen in Miniröcken. Dies bietet einen Anknüpfungspunkt zum Thema ‚Kleidernormen‘, zumal sich die Jungen am Beispiel der Posen männlicher Modells in Modemagazinen über die eingeschränkte Darstellungsweise der business masculinities beklagen (Toni, 1194ff). Es sind weitere Anschlüsse für die Vermittlung einer heteronormativitätskritischen Perspektive denkbar. Eine Möglichkeit bestünde darin, Männlichkeitskonstruktionen im Zusammenhang mit den Bedrohlichkeits-Zuschreibungen („ISIS-Kämpfer“), mit denen sich die migrantisierten männlichen Jugendlichen konfrontiert sehen, aufzugreifen und die dahinterliegenden Konstruktionen aus einer intersektionalen Perspektive zu betrachten („Wieso bekommt ihr diese Sprüche? Welche Vorstellungen liegen dahinter?“). Weiter könnte überlegt werden, wie verandernden Zuschreibungen jeweils begegnet werden könnte. Alternative Reaktionsweisen auf die von den (männlichen) Jugendlichen initiierten „gentlemanmäßig[en]“ freundlich-zuvorkommenden Gesten, die heteronormativ gerahmt waren und den_die Pädagog_in als (hilfsbedürftige, männlichen Schmeicheleien zugeneigte etc.) Frau adressierten, wären ebenfalls denkbar. Ohne die positiven Absichten dieser Beziehungsangebote der Jugendlichen zurückzuweisen, könnten sie möglicherweise irritiert bzw. flexibilisiert werden, indem sie gespiegelt und offensiv zum Thema gemacht werden. Die Themen Schutz und Macht versus Hilfsbedürftigkeit und Schwäche könnten hier bezogen auf das Genderverständnis reflektiert werden. Die Herausforderung und zugleich Chance einer eher kritisch-reflektierenden Haltung bestünde darin, innerhalb einer Gruppe z.B. Selbstethnisierungen – sowohl der Jugendlichen als auch der Pädagog_innen – wahrzunehmen und diese in ein gesellschaftliches Verhältnis einzuordnen. Es könnte auch darum gehen, auf das Identitätsverständnis bezogen Differenzierungsanlässe zu schaffen. Dies würde die Möglichkeit eröffnen, Widersprüche und ‚Vielstimmigkeiten‘ – sowohl bezogen auf die Gruppenzusammensetzung als auch auf die jeweils einzelnen Personen –

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zuzulassen und ihnen von vornherein Raum zu geben sowie sie in ihrer Komplexität einer Reflexion zugänglich zu machen. 6.4.2 „Wo fühlt ihr euch denn zu Hause?“ – Integrativreflektierende Haltungen zu Differenzkonstruktionen Selbstethnisierungen, die mit queerfeindlichen Positionierungen verknüpft werden, spielen in den Interaktionen mit den Kindern und Jugendlichen eine Rolle und werden als Herausforderung von manchen als weiß und mehrheitsdeutsch positionierten Pädagog_innen thematisiert. Eine Antinomie wird sichtbar, die auf einem widersprüchlichen Anspruch beruht: Einerseits soll die Lebenserfahrung der Kinder und Jugendlichen, als anders positioniert zu werden und sich dies als Selbstpositionierung anzueignen, anerkannt und nicht aus einer dominanten Position heraus abgesprochen werden. Andererseits – und dies erscheint als ebenso sinnvoll wie schwierig – soll eine solche Positionierung nicht als alleinige Identifizierung verstanden werden. Kinder und Jugendlichen sollen nicht auf Diskriminierungserfahrungen reduziert werden, sondern ihre Positionierungen können als (strategische) Zugehörigkeitskonstruktion innerhalb eines hegemonialen Zuschreibungsgefüges erkennbar und besprechbar gemacht werden. Die Kunst liegt darin, die Art und Weise, wie hierarchisierende Bedeutung innerhalb dieses Zuschreibungsgefüges produziert wird, als das eigentlich Problematische zu adressieren, ohne die gemachten Diskriminierungserfahrungen – die nicht die Erfahrungen privilegiert positionierter Pädagog_innen sind – zu missachten. Da es sich bei intersektionalen Verschränkungen von Zugehörigkeitskategorien mitunter um komplexe Formationen handelt, kann es ein hilfreicher Zugang sein, in der Thematisierung zuerst nur ein Differenzverhältnis, z.B. kulturelle Zugehörigkeitskonstruktionen, zu fokussieren. Von dort können Brücken zu weiteren Differenzkategorien geschlagen bzw. ihre immer schon vorhandene intersektionale Verquickung sichtbar gemacht werden. Da die Begehrensweisen der Kinder und Jugendlichen in der Regel nicht Gegenstand der Workshops sind und somit in dieser Hinsicht nur selten explizite Positionierungen jenseits von Abgrenzungen vorgenommen werden, thematisieren die Kinder eher ‚offensichtlichere‘ Zuordnungen. Am folgenden Beispiel soll gezeigt werden, wie mit einer integrativ-reflektierenden Haltung Zugehörigkeitskonstruktionen porös gemacht werden können. Auf die Frage, wie Luca in ihrer_seiner Bildungsarbeit mit der Inszenierung von Gruppenzugehörigkeiten umgeht, sagt er_sie: „[…] ich merk das oft bei Kindern die zum Beispiel (.) türkeistämmig sind oder so (.) mh (.) dass sie ganz schnell sagen ja aber bei (.) uns is das so oder ich bin kein (.) ja aber ich bin Türke aber sie sind hier aufgewachsen zum Beispiel und (.) ich merke halt dass (.) das

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was die Gesellschaft (.) also was die Gesellschaft eigentlich mit den Kindern gemacht hat. so zum Bei/ weiß nich was das überleg ich grad (leiser) also das (.) also das Thema Identität und Zugehörigkeit is total is immer en Thema es is bei Kindern von meinem Gefühl her die zum Beispiel sogenannten Migrationshintergrund haben en viel größeres Thema für die is auch immer wichtig wo kommen wir her (.) und für andere Kinder is das überhaupt kein Thema (.) ähm und man merkt aber auch in Gesprächen mit denen (.) dass sie da in so’nem vielleicht in so’nem Kon/ Konflikt stehen weil sie sind halt Berliner aber diese ganzen medialen Debatten zum Beispiel sagen ihnen nee du bist en / du bist der Türke der kein Deutsch kann du kommst aus Neukölln und (.) und wie die / und=und solche Dinge also dass sie so’n (.) dass sie ja Teil sind und hier aufgewachsen sind aber (.) gleichzeitig auch so stigmatisiert werden und dass das für sie zum Beispiel en Konflikt is (.) und dann (.) sprech ich mit denen drüber ja du kommst auch / bist=bist du in Berlin geboren? ja du bist in Berlin geboren. aha fühlst du dich dann ähm auch als Berliner oder fühlst du dich hier auch ähm zu Hause? Was bedeutet es? Wo fühlt ihr euch denn zu Hause? (.) und so. und da find ich’s interessant dass sehr viele Kinder dann immer sagen ja irgendwie is schon unser zu Hause aber eigentlich eher die Türkei zum Beispiel obwohl sie ja vielleicht nur einmal im Jahr zum Urlaub hinfahren oder so aber (2) ja.“ (Luca, 695718)

Luca schildert hier, dass es ihm_ihr aufgefallen sei, dass z.B. türkeistämmige Kinder „Identität und Zugehörigkeit“ stärker verhandeln als andere Kinder. Sie_er beschreibt, dass diese Kinder in der kurzen gemeinsamen Zeit sehr bald Unterschiede benennen. Luca gibt die Wir-Konstruktion („bei [.] uns“) wieder, wobei dieses Wir von einem nicht benannten Anderen abgegrenzt wird. Ein zweiter Unterschied wird an der Frage der Nationalität bzw. kulturellen Zugehörigkeit festgemacht, auch hier wird die Abgrenzungskategorie nicht benannt: „[…] ich bin kein (.) ja aber ich bin Türke“. Die Kinder sind in Berlin aufgewachsen, was Luca in einem Widerspruch („aber“) zur Selbstethnisierung sieht. Sie_er schildert, dass ihm_ihr bewusst wird, dass es sich um gesellschaftliche Effekte handelt, z.B. von Mediendiskursen, die auf die Kinder einwirken. Dem Thema ‚Identität und Zugehörigkeit‘ wird große Bedeutsamkeit bei den Kindern verliehen („total“, „immer“). Luca markiert vorsichtig den Eindruck, dass die Frage der Herkunft einen Unterschied zwischen Kindern aus einem bestimmten Migrationskontext und Kindern ohne einen solchen markiert. Dabei distanziert er_sie sich vom Konzept des Migrationshintergrundes („sogenannten“). Weitergehend benennt Luca Gespräche mit den Kindern und Jugendlichen, in denen ein potenzieller Konflikt für sie_ihn sichtbar wird. Die Annahme eines Konflikts begründet er_sie damit, dass die Kinder unveränderlich („halt“) Berliner_innen seien, ihnen diese Zugehörigkeit von Mediendiskursen aber verwehrt werde. Dabei personifiziert sie_er die Mediendiskurse, lässt sie die Kinder direkt anspre-

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chen und ihnen eine Nationalität, mangelnde Sprachkenntnisse und einen migrantisierten Stadtteil zuweisen: „[…] du bist der Türke, der kein Deutsch kann, du kommst aus Neukölln“. Ohne die Gegenfolie des Deutschseins zu benennen, verweist Luca hier auf gesellschaftlich verbreitete rassistische Stereotype. Sie_er abstrahiert dann das Gesagte noch einmal hinsichtlich des Konflikts: Einerseits benennt er_sie die lokal-biografischen Bezüge der Kinder, andererseits die negative Markierung der Kinder als nicht zugehörig. Luca gibt dann in ihrer_seiner Schilderung in direkter Rede die Fragen der Kinder wieder und verbalisiert auch ihren Verstehensprozess, indem er_sie die Antwort in ihre_seine Rede einbaut. Dabei kommt er_sie von den Tatsachen (Geburtstort Berlin) zum Zugehörigkeitsgefühl (sich als Berliner_in fühlen, sich zu Hause fühlen) und es wird deutlich, dass hinsichtlich des Geburtsorts keine zwangsläufige Zugehörigkeit zu diesem Ort gesetzt wird. Sie_er beschreibt dann die Zerrissenheit der Kinder, die Berlin zwar „irgendwie“ als Zuhause empfinden, sich aber dennoch „eigentlich eher“ zur Türkei zugehörig fühlen, obwohl diese nur selten und zu Urlaubszwecken besucht wird. Daran zeigt sich, dass Zugehörigkeiten nicht über Aufenthalt oder real stattfindende Begegnungen hergestellt werden. Auf die Frage der interviewenden Person hin, welche Werkzeuge Kindern und Jugendlichen an die Hand gegeben werden könnten, um die Widersprüche zu bearbeiten, antwortet Luca weiter abstrahierend: „(4) Also zum Bei/ also es is immer en gutes Beispiel wenn man von sich selber oder von Beispielen die man aus’m Freundeskreis auch äh kennt erzählt (.) und vielleicht so über die eigene Biografie erzählt und=und sagt wo vielleicht mal Probleme waren was man aber auch vereinbaren kann oder dass man eben ähm Beispiele findet […] dass es für manche Menschen kein Konflikt is sondern dass sie vieles in sich vereinen können und dass es ok is also dass das / das was du fühlst was du bist dass du das / dass das du bist dass das ok is das zu vereinen also dass du da […] vielleicht auch mit deiner eigenen Geschichte oder Beispiele die du kennst (3) oder ja (1) dass sie auch untereinander vielleicht in der / also in der Klasse auch das Gespräch suchen so wie geht’s denn den anderen Mitschüler_innen.“ (Luca, 758-770)

Luca schlägt vor, entweder anhand der eigenen Person, anhand von Beispielen von Anderen oder im Gespräch mit den Schüler_innen Möglichkeiten aufzuzeigen, wie mit Problemen oder Konflikten bezüglich der (Zuweisung von) Zugehörigkeiten und potenziellen Widersprüchlichkeiten umgegangen werden kann. Dabei liegt ein starker Fokus auf der Anerkennung des eigenen Seins und der eigenen Positioniertheit und der Integration der unterschiedlichen Anteile („dass es ok is also dass das / das was du fühlst was du bist dass du das / dass das du bist dass das ok is das zu vereinen“). Die Reflexion betrifft an dieser Stel-

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le weniger die Produktion von sozialen Differenzierungen, sondern vielmehr lebenspraktische Fragen. Die als widersprüchlich konstruierten Zugehörigkeiten werden hier als miteinander vereinbar dargestellt und diese Vereinbarkeit wird anhand von Beispielen veranschaulicht. Einerseits reflektiert Luca dabei kritisch die gesellschaftspolitischen Bedingungen, die ihr_ihm zufolge die Positionierung der Kinder und Jugendlichen rahmen. Andererseits stellt er_sie sich aber weniger die Frage, wie diese Verhältnisse mit den Kindern und Jugendlichen reflektiert werden können, sondern fokussiert deren Identitätsebene bzw. die Ebene innerer Konflikte. Auf dieser Ebene neue Perspektiven anzubieten, ‚Identitätsfacetten‘ in Bewegung zu halten und ggf. geschlechtliche und sexuelle Bezüge einzubauen, steht der Reduktion einer Person auf ein bestimmtes Merkmal entgegen. Der Wahrnehmung widersprüchlicher Botschaften und Anforderungen, die an die Kinder und Jugendlichen gerichtet werden, folgt in diesem Handlungstypus eine Orientierung auf die Sensibilisierung und Integration der eigenen Ambivalenzen und Vielfältigkeiten.19 Die Gefahr an einer integrativen Handlungsorientierung besteht allerdings darin, dass diese „Integrationsarbeit‘ dem Individuum zulasten gelegt wird und ein Scheitern daran möglicherweise als persönliches Versagen empfunden werden kann. Dies muss aber nicht zwangsläufig so sein: Der Zugang zur eigenen inneren Vielfältigkeit hängt z.B. auch davon ab, inwiefern im Kontext von Bildungsangeboten lebbare Biografien und Erfahrungen kennengelernt werden, die im Rahmen gesellschaftlicher Anforderungen an Integrationsleistungen kritisch kontextualisiert sind (vgl. auch Kap. 2.1, 2.3 und 7.2). Um das Anbieten von eigenen Geschichten auf professionelle Weise durchführen zu können, bedarf es nicht nur einer Reflexion dessen, welche Beispiele sich überhaupt eignen und welche Punkte für die Kinder und Jugendlichen relevant sind; es bedarf vor allem auch pädagogischer Fachkräfte, die eigene vielfältige Erfahrungsdimensionen und Zugehörigkeitsmöglichkeiten mitbringen, die sich mit denen der Zielgruppen verbinden lassen. Möglichst vielfältig zusammengesetzte und mit intersektionalen Reflexionsfähigkeiten ausgestattete Teams sind herausgefordert, sich darüber auszutauschen, wie aus welcher Positionierung heraus entsprechende Angebote aussehen können. Aus heteronormativitätskritischer Perspektive ist zu beachten, dass die Auseinandersetzung nicht auf einer individualisierenden Ebene verbleiben sollte, sondern gerade über die Botschaften und Anforderungen, die Kinder und Jugendlichen wahrnehmen, auch die Herstellungsmechanismen und Machtverhältnisse von Zugehörigkeitsordnungen in den Blick genommen werden. Geschlechtliche und sexuelle Ordnun-

19 Luca versteht Identität als „Mosaik aus vielen Teilen“, „Prisma“ (1564) oder auch „Kaleidoskop“ (1811).

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gen lassen sich durchaus ausgehend von anderen Differenzverhältnissen adressieren und intersektionale Verschränkungen lassen sich dabei sichtbar machen. 6.4.3 „Es gibt ja Sachen, die unterschiedlich noch nich gehört wurden, und das bedeutet ja nich, dass sie nich existieren“ – Kritisch-reflektierende Haltung zu Differenzkonstruktionen Einige der Pädagog_innen konfrontieren die Differenzkonstruktionen der Jugendlichen mit gesellschaftlichen Realitäten, die einen Widerspruch erzeugen und die jugendliche Positionierung hinterfragen. In einigen Beispielen werden im Rahmen ethno-natio-kultureller Zugehörigkeiten (vgl. Mecheril 2002: 108) auch religiöse Positionierungen von den Kindern und Jugendlichen vorgebracht, die sich von Homosexualität abgrenzen. Die folgende Schilderung von Jay ruft einen Widerspruch zu einer solchen Positionierung auf und unterläuft damit eine im dominanten Diskurs häufig angetroffene Verengung auf ein antimuslimisches Stereotyp. Jay berichtet: „[…] es war einmal von nem Schwarzen christlichen ähm (.) Jungen, der halt christlich zu Hause aufgewachsen is, und der […] meinte so nee, das=das=das gibt’s nich und das darf nich sein und das Christentum ähm erlaubt das nich, […] und ich hätte einmal […] mitbekommen im Raum dass sich ähm zwei muslimisch Sozialisierte aus / also sie meinten sie sind hier geboren aber (.) kommen aus muslimisch-türkischen Familien die dann meinten bei den Interviews mit DJ Ipek und so weiter ih, das is ja voll eklig. hab ich das halt gehört dann bin ich hingegangen meinte so ey was findst du denn da eklig (.) und dann so äh is voll haram und so und / genau, dann meinte ich ja was bedeutet denn haram für dich und (.) ne und dann wars […] auch erstmal so oh [die_der] weiß was haram is oder [die_der] kennt sich irgendwie mit dem Islam aus […] und dann ähm (.) hab ich halt so mit denen geredet und meinte (.) ähm es gibt aber schon auch viele äh Muslime die homosexuell sind / nee das gibts nich und das darf nich sein und so weiter und dann (.) hab ich halt son bisschen von meinen Erfahrungen erzählt […] also ich erzähl nie von mir persönlich sondern/ dass ich immer sage nein ich hab ganz viele ähm Freunde die muslimisch sind und ähm die sich als queere Muslime äh bezeichnen […] und äh nee das gibts nich das hab ich noch nie gehört und so (.) meinte ich so ja es gibt ja Sachen die unterschiedlich / noch nich gehört wurden (.) und das ähm bedeutet ja nich dass sie nich existieren […].“ (Jay, 608-649)

Hier nimmt ein_e Pädagog_in inhaltliche Differenzen in Form einer emotional gerahmten Abwehrreaktion („eklig“) wahr, auf die sie_er spontan reagiert. Jay sucht gezielt den Dialog, fragt nach und lässt sich die abwehrende Haltung erläutern. Sie_er hält das Gespräch insgesamt auf einer persönlichen Ebene, adressiert

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sowohl die Jugendlichen persönlich („was ist haram für dich“) und auch das Beispiel queerer Muslim_innen wird mit einem persönlichen Bezug gerahmt („also ich erzähl nie von mir persönlich sondern/ dass ich immer sage nein ich hab ganz viele ähm Freunde die muslimisch sind und ähm die sich als queere Muslime äh bezeichnen“), d.h., neben der fragenden Gesprächsführung nutzt er_sie Gegenbeispiele aus dem eigenen Umfeld bzw. der eigenen Biografie und stellt diese neben die Äußerungen der Jugendlichen. Dies ermöglicht, die Position der Jugendlichen, die Religiosität und Homosexualität als Widerspruch erscheinen lassen, zu flexibilisieren und ihren exklusiven Wahrheitsanspruch infrage zu stellen. Der Aussage der Jugendlichen auf der Erfahrungsebene („hab ich noch nie gehört“) begegnet Jay, indem sie_er einen Vorstellungsraum für Neues, Nochnicht-Gehörtes öffnet und sich gleichzeitig mit einem Statement positioniert: „ es gibt Sachen die unterschiedlich noch nich gehört wurden (.) und das ähm bedeutet ja nich dass sie nich existieren.“ Durch die nicht personalisierte Passivformulierung vermeidet Jay eine direkte Konfrontation, in der die Perspektiven in Konkurrenz stehen, vielmehr stellt er_sie seine_ihre Perspektive neben die Aussage der Jugendlichen und eröffnet ihnen damit die Möglichkeit, noch nicht Gedachtes zu denken und sich mit anderen möglichen Lebensrealitäten zu konfrontieren. Nicht auf eine zu persönliche Ebene zu gehen, sondern eine gewisse Distanz zu wahren, kann den Vorteil haben, dass ein ‚Reden über‘ möglich ist und kein Preisgeben ganz persönlicher Informationen erfolgen muss – was auch stumm machen könnte. Jay setzt auf die Pluralisierung der Lebensrealitäten von Muslim_innen und macht deutlich, dass sie vielfältige Begehrensformen leben, auch wenn die Jugendlichen bisher nur von heterosexuell lebenden Muslim_innen wissen. Es entspinnt sich daraufhin eine Diskussion mit weiteren Anwesenden und Jay verlässt die Werkschau, um sich vorerst ihrer eigenen Workshop-Gruppe in einem anderen Raum zuzuwenden. Etwas später nutzt Jay dann die Gelegenheit, die betreffenden Jugendlichen in ihren_seinen Workshop einzubinden. In diesem führen Kinder ein selbstentwickeltes Hiphop-Stück vor, das eine positive Haltung zu Homosexualität transportiert. Jay lädt die Jugendlichen ein, dabei zuzuschauen. In ihrer_seiner Reflexion der Situation antizipiert Jay zwar generell einen gemeinsamen Erfahrungsraum einiger Kinder aus dem Workshop und der Jugendlichen als migrantisierte Personen, arbeitet darin aber ihre unterschiedlichen inhaltlichen Positionierungen zum Thema ‚sexuelle Vielfalt‘ heraus. Sie_Er erläutert, dass die Kinder zumindest in der Präsentation eine andere Haltung einnehmen, und sieht sie als Vorbilder; Jay ‚nutzt‘ die Jugendlichen als Zuschauer und bringt sie vordergründig für die Kinder in eine bedeutsame (Unterstützungs-)Rolle, indem sie als ‚Externe‘ Feedback geben und so aktiv partizipieren:

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„[…] es lief halt von den Kids zu den Jugendlichen und und die waren voll begeistert ham voll geklatscht und (.) ham / also ich glaub jetzt nich dass sie mit nem anderen (1) Bild da rausgegangen sind aber ich glaube noch mal son Zugang zu ja krass (.) äh das sind Kinder die vielleicht ähnlich aufgewachsen sind wie wir die vielleicht anders denken. (.) vielleicht das noch mal so (.) zu sehen fand ich spannend und dass sie dann auch nich / vor den Kindern ham sie nich gesagt ähm eklig oder sowas im Gegenteil die waren interessiert ham geklatscht und=und ham gesagt so hey gut habt ihr das gemacht.“ (Jay, 685-687)

Während der Erfahrungsraum des Migrantisiert-Werdens als verbindendes Element von Jay gesetzt wird, dient die Altersdifferenz bzw. die generationelle Position (Jugendliche vs. Kinder) quasi als pädagogisches Mittel, mit dem die Kinder und Jugendlichen in bestimmte Rollen hineingerufen werden (Vorbilder/ Unterstützer). Jay reflektiert also deren gesellschaftliche Positionierung und ermöglicht vor allem den Jugendlichen – auch wenn der über die Situation hinausgehende Effekt hinsichtlich einer weniger queerfeindlichen Haltung hier zwangsläufig ungewiss ist – eine Interaktion mit anderen, in der sie eine spezifische Bedeutsamkeit als Anerkennungsgeber erfahren und selbst wichtig werden. Auch in diesem Beispiel wird die Kontaktorientierung einer_s Pädagog_in sichtbar: Jay hält nach einer konfrontierenden Situation den Kontakt zu den Jugendlichen aufrecht bzw. nimmt ihn wieder auf, indem sie_er sie in den Workshop einlädt und hiermit eine potenzielle Lern- und Erfahrungssituation schafft, die das zuvor abgelehnte Thema Homosexualität auf anderer Ebene wieder aufgreift. Das heißt, dass die Kontaktorientierung die Konfrontation und den Dissens einschließt und die von den Jugendlichen gesetzten Differenzen als kritisierbar behandelt. Sie werden als Ausdruck religiös gerahmter Distinktion gewertet, die auch christliche Jugendliche vornehmen, wie die Einleitung des Beispiels zeigt („das Christentum erlaubt das nich“). Dabei verliert Jay die Kritik an der queerfeindlichen Positionierung nicht aus dem Blick. Auch wenn keine Gewissheit über einen Erkenntnisgewinn bei den Jugendlichen besteht, so wurden hier doch in zweifacher Weise Situationen geschaffen, die einen solchen zumindest potenziell ermöglichen. Ein subjektorientiertes Interesse wird deutlich, wenn Jay versucht den Erfahrungsraum der Jugendlichen zu erschließen („was bedeutet denn haram für dich“) und diesen mit anderen Realitäten – der Existenz queerer Muslime – zu konfrontieren. Zudem führt Jay im Workshop eine Situation herbei, in der die Jugendlichen sich erneut queerfreundlichen Positionen aussetzen, die (auch) von migrantisierten Personen geäußert werden. Sie_Er irritiert damit mehrfach die dominante Verklammerung von Islam, Migration und unterstellter Homofeindlichkeit und versucht in dieser kurzen Begegnung eine kritisch-reflektierte Handlungsweise umzusetzen, die anhand neuer Erfahrungen auch neue Perspektiven für die Jugendlichen eröffnet. Essentialistisch-religiöse

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Positionierungen der Jugendlichen werden nicht als gegebene Realitäten verhandelt, sondern als sozialisationsbedingte Aussagen, wobei Sozialisation von dem_der Pädagog_in als veränderungsoffen konzipiert wird. Zwischen den hier aufgezeigten drei Handlungstypen liegen nur graduelle Abstufungen, die sich zugespitzt in einer Fokussierung auf wahrgenommene Differenzen als Hindernisse im Kontakt, als zu integrierende Widersprüchlichkeiten und Vielstimmigkeiten in Personen und Gruppen und als Ausdruck eines größeren kulturell-gesellschaftlichen Funktionszusammenhangs unterscheiden. Dennoch wird deutlich, wie diese Wahrnehmungen im Kontext der jeweiligen Workshop-Situation unterschiedliche Handlungsweisen folgen lassen. Die analysierten Typen sollen dazu anregen, eigene Positionierungen und eigene Erfahrungen zu reflektieren und auch die Handlungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der jeweiligen Settings auszuloten. Wenn es um soziale Differenzen geht, ist nicht zuletzt aus einer intersektionalen Perspektive die Frage zu stellen, ob Ungleichheitsverhältnisse im Umgang mit diesen nicht eher legitimiert werden, z.B. indem bestimmte Differenzen als fraglos gegeben anerkannt werden. Weiterführend lässt sich fragen, wie ein Bezug auf soziale Differenzen zu einem Abbau von Ungleichheitsverhältnissen beitragen kann. Grundsätzlich sollte in der Vorbereitung von heteronormativitätskritischen Bildungsformaten überlegt werden, wie bzw. inwieweit funktionale Abgrenzungsbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen antizipiert und einbezogen, ihre Produktionszusammenhänge adressiert und erwartbaren Kollektivvorstellungen („wir Deutsche“, „wir Ausländer_innen“) die Grundlage entzogen werden können. Dies kann etwa durch die Darstellung einer Vielzahl unterschiedlicher queer lebender Menschen mit diversen kulturellen Zugehörigkeiten geschehen. So hat z.B. das Video von DJ Ipek in der Werkschau mehrfach für Gespräche zum Thema Religion und Homosexualität gesorgt. Da dieses Video als einziges das Thema Religion zumindest streift, wäre es aus heteronormativitätskritischer Perspektive wünschenswert, hier noch mehr Material zur Verfügung zu haben, das die Genese verschiedener Haltungen unterschiedlicher Religionen zum Thema queer sowie eine Vielzahl religiös lebender queerer Protagonist_innen sowie religionskritischer Positionen zeigt. Auch inwieweit die eigene Position als Pädagog_in aufgrund bestimmter Merkmale oder sozialer Positioniertheiten Abgrenzungsreaktionen bei Kindern und Jugendlichen hervorrufen kann, sollte Bestandteil einer reflektierten Vorbereitung sein. Dabei kann es hilfreich sein, der eigenen Verstricktheit in Machtverhältnisse nachzuspüren. Um Vielfalt und Ambivalenzen sichtbar zu machen, kann nicht zuletzt auch das Parat-Haben von ‚Mini-Interventionen‘ in Form kurzer Entgegnungen, die Widersprüche offenlegen, nützlich sein: „Ich wette mit dir um 10.000 €, dass es gläubige Muslime gibt, die schwul

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sind“, „Auch wenn eine Person intergeschlechtlich ist, kann sie eindeutig Mann oder Frau sein“, „Kannst du dir vorstellen, dass es auch Väterinnen gibt?“. 6.5 Im Spannungsverhältnis von Vielfalt und (Hetero-)Normativitätskritik – Erkenntnisse aus Reflexions-Workshops Ein bedeutendes Kriterium von Professionalität liegt in der Reflexion des eigenen theoretischen Bezugsrahmens wie auch des eigenen Handlungswissens. Im Forschungsprojekt VieL*Bar wurden Beobachtungen und empirische Erkenntnisse mit den Beforschten zusammen diskutiert, überprüft und ggf. Nachjustierungen für den weiteren Verlauf von All Included! angedacht. Dafür wurde in verschiedenen Reflexions-Workshops im Sinne des Konzepts der Reflecting Group (in Anlehnung an Wigger et al. 2012; Anderson 1990) ein kooperatives Arbeitsbündnis aus dem pädagogischen Team des Jugend Museums, verschiedenen externen Expert_innen aus dem Bereich Fortbildung, Beratung und Museum sowie den praxisforschenden Wissenschaftler_innen begründet und mit verschiedenen Formaten wie Fallbesprechungen, theoretischen und empirischen Inputs, offenen Diskussionsrunden (6.5.1) oder Reflecting Teams (6.5.2) bespielt (vgl. Kap. 4.1). Während die offenen Diskussionsformate eher ein gemeinsames Suchen nach Deutungen und Lösungen beinhalteten, konturieren sich in der Methode des Reflecting Team im Innenkreis die feldspezifischen Wissens- und Erfahrungsbestände wesentlich deutlicher.20 Wir wollen im Folgenden zeigen, wie in der Zusammenführung von wissenschaftlichem Wissen und beruflichem Erfahrungswissen Anknüpfungspunkte diskutiert, neues Wissen generiert und eine unmittelbare qualitative Weiterentwicklung und Professionalisierung der pädagogischen Arbeit angeregt werden konnten. Dazu stellen wir zwei Diskussionssequenzen vor, in denen Professionalisierungsprozesse im Sinne einer Wissensreflexion und -generierung nachvoll-

20 Das grundsätzliche Bestreben, Hierarchieebenen zu flexibilisieren und den Praktiker_innen Reflexionsräume anzubieten, in denen sie unter Bezugnahme auf die empirischen Erkenntnisse Anschlussstellen wählen und vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen überprüfen, zurückweisen, integrieren oder weiterdenken konnten, war für uns als Wissenschaftler_innen-Team handlungsleitend, als wir uns entschlossen, die Methode in den Reflexions-Workshops einzusetzen. Dabei ist kritisch anzumerken, dass wir mit vielen Inhalten in sehr begrenzter Zeit hantierten und dass längere Diskussionszeiten von mehr als 15 Minuten angeraten gewesen wären, um einzelne Aspekte tiefergehend zu bearbeiten.

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ziehbar werden. Die erste Sequenz zielt auf einen verbesserten Umgang mit einem Thema, das integraler Bestandteil des Wissenskorpus im Bereich vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen ist: das Thema trans*. Hierbei kommen auch Problematiken zum Tragen, die den Umgang mit Aktivist_innenbzw. Community-Wissen in pädagogischen Räumen betreffen. In der zweiten Sequenz geht es um das übergeordnete Thema der Ziele der Bildungsarbeit; hierbei kam unter anderem die genannte Methode des Reflecting Team zum Einsatz. 6.5.1 „Wo versteckt sich denn der Widerspruch?“ – Wissensebenen und Antinomien beim Thema Trans* In der ‚All Included!‘-Werkschau war ein Video zu sehen, in dem Jugendliche den Transgender-Aktivisten Jayrôme C. Robinet interviewen und ihn unter anderem nach seinem abgekürzten Vornamen befragen. Ein Kind sagt: „Wir haben ein Blatt bekommen, wo halt Ihr Name draufstand, wo Jayrôme C. Robinet stand. Und ich wollte, und wir wollten auch wissen, was das C-Punkt für ein Name war.“ Der Befragte ordnet die Frage sofort ein als eine, die Menschen oft gestellt bekommen, wenn sie ihr Geschlecht verändern, und fragt zurück, was daran interessant sei. Ein Kind antwortet: „Na, das war ja Ihr echter Name. Früher.“ Jayrôme C. Robinet informiert sie darüber, dass dies mitunter eine heikle Frage sein kann, da nicht alle Trans*-Personen nach ihrem vorherigen Leben befragt werden möchten. Er lenkt ihren Blick darauf, dass der neue Name möglicherweise als „viel echter“ angesehen werden kann, da er ja selbstgewählt ist. Diese Video-Sequenz wurde in einem Reflexions-Workshop im Hinblick auf potenziell inhärentes Othering als ein „machtvoller Prozess des Different-Machens, der Ausgrenzung und der Hineinrufung in eine untergeordnete Position“ (Riegel 2016: 54) sowie auf alternative pädagogische Möglichkeiten diskutiert (vgl. Kap. 2.1 & 2.3). Vom Wissenschaftsteam wurde dabei aus diskursanalytischer Perspektive unter anderem auf die Reduzierung von vor allem transgeschlechtlichen Personen auf Namens- und Körperveränderungen hingewiesen und wie solche von diesen als Grenzüberschreitung verstandene Sprechakte auch in diskriminierungssensibler Bildungsarbeit vorkommen können. Als es um die Verbindung zu stereotypisierenden Haltungen der Mehrheitsgesellschaft ging, intervenierte Kay aus dem Team des Jugend Museums in die Deutungen des wissenschaftlichen Teams: Mika (VieL*Bar): […] Zusätzlich wär eine andere Perspektive, dass die Kinder eine Frage stellen, die das diskriminierende Verhalten der Mehrheitsgesellschaft widerspiegelt. […]

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Kay: Wieso findet ihr, dass die Frage [nach dem C] ihn auf sein Trans*-Sein zurück/ äh reduziert? Ich habe das nicht verstanden. Mika: Ja. Also wir hatten das so interpretiert sozusagen, dass nur das Trans*-Sein im Fokus steht, also es steht/ Kay: Aber sie fragen […] doch eigentlich, was das C bedeutet. Erstmal nicht mehr //?: Mhm// und nicht weniger. Und er antwortet nicht auf die Frage. ?: Mhm. ?: Ja. Kay: Aber die Frage //?: Mhm. [zustimmendes Gemurmel]// ist die Frage nach dem C. Also würde ich jetzt so interpretieren. Mika: Genau mit der Intention sozusagen, [unv.] was der Name der Person gewesen war. [Gemurmel im Hintergrund] Kay: Nee, das fragen sie nicht. Sie sagen, sie haben einen Zettel gekriegt, da steht Jayrôme C. Robinet drauf, und wir wollen wissen, was das C bedeutet. ?: Ja. Kelly (VieL*Bar): Nee, was das C für ein Name (1) war. Also, ich hab genau so reagiert wie du am Anfang //Kay: Jaha// ja sorry, da kann man doch mal fragen, was der zweite Name da ist, C-Punkt, was heißt das denn? Kay: Ja. Kelly: Aber das Interessante ist die Vergangenheits//form.// Kay:

//Gut, die// Vergangenheitsform, ok.

[Gemurmel] […] Kelly: Was darauf hinweist, die wissen schon, worum es geht. Luan (VieL*Bar): Es wird ja auch im Verlaufe des Gesprächs dann auch deutlich, dass die/ es kommt ja auch sehr schnell da. Daran wird schon klar, dass das Interesse darauf liegt. Kay: Aber ich finde das echt ein bisschen heikel //?: Mhm// weil die Kinder fragen erstmal nach dem C //?:Mhm// sie sagen nicht: „Was war denn dein früherer Name?“ ?: Mhm. Kay: Auf seine Erklärung, dass er immer nach dem Namen, nach dem früheren Namen und der Operation und auch dem Geschlecht gefragt wird, da fragen sie dann nach dem echten Namen. Da gehen sie ja wieder drauf ein. […] Marian (extern): Aber wenn jemand trans* ist, dann will ich doch auch wissen, was ist daran so spannend als Kind [unv., Gemurmel] dann interessiert mich nichts anderes als, wo versteckt sich denn der Widerspruch //Kay: Mhm.// von dem was jetzt ist und gewesen ist und dann vielleicht liegt es in dem C. [Zustimmendes Gemurmel] (TP-WS 2_Diskussion Jayrôme I, 1-59)

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Die Deutung des VieL*Bar-Teams findet hier vor dem Hintergrund einer Analyse statt, die die Äußerung der Kinder in einen Rahmen von Stereotypen einordnet. Dieser Rahmen wird von Kay nicht geteilt, sie_er plädiert dafür, die anfängliche Frage der Kinder als eine offene zu deuten, die erst durch die Intervention des Interviewten die Unterscheidung in den „echten“ und den selbstgewählten Namen hervorbringt. Sie_Er bezieht sich auf die Ebene des wörtlich Gesagten und geht hier den Schritt einer darüber hinausreichenden Einordnung nicht mit. Kelly aus dem VieL*Bar-Team räumt ein, dass Kays Deutung zunächst plausibel erscheint, erläutert dann aber, dass sie im Forschungsprozess verworfen wurde, und zwar unter Bezugnahme auf die Zeitform und darauf, dass die Kinder keineswegs naiv gefragt hätten („die wissen schon, worum es geht“). Kay bewertet diese Deutung als problematisch („heikel“) und beharrt darauf, an dieser Stelle keine Engführung der Frage der Kinder vorzunehmen, sondern diese erst im Zusammenhang mit der Reaktion des Interviewten zu sehen. Interessant ist auch die Deutung des_der externen Expert_in Marian, der_die Trans*-Lebensweise als Widerspruch rahmt, der irgendwo erkennbar sein könnte. Das Wissen um trans* wird also mit der Suche nach Anzeichen für eine Unvereinbarkeit verknüpft, die in einer Spurensuche nach dem vorherigen Leben im anderen Geschlecht besteht. Damit übernimmt Marian wie auch Kay die Perspektive der Kinder und bringt eine Deutung auf den Punkt, die die kindliche Neugier ins Zentrum setzt. Im Video geht es dann im weiteren Verlauf darum, dass Trans*-Personen außer nach dem früheren Namen oft noch nach etwas anderem gefragt würden, über das sie nicht unbedingt Auskunft geben möchten: nach einer operativen Veränderung der Genitalien. Dieses Thema greifen die Kinder dann dennoch auf: „Haben Sie noch einen Unterleib oder so?“ Jayrôme C. Robinet weist erneut auf den intimen Charakter der Frage hin und bringt Vergleiche zur in der Regel unbefragten Cis-Geschlechtlichkeit an, wie etwa Fragen nach der Körbchengröße beim BH oder nach der Penislänge. Er fordert die Jugendlichen auf, darüber nachzudenken, ob die Frage der Befriedigung der eigenen Neugier oder der Unterstützung der befragten Person dient. Dies wird von einer_m Pädagog_in auch kritisch gesehen: „Ich finde, [Jayrôme] guckt nicht, wie ist der Hintergrund der Kinder, was ist die Motivation. Da wollte ich auch was ihr meintet mit Othering. Also ich find teilweise, wir kommen aus dem Wissenschaftlichen, benutzen dann so Sachen wie Othering, vergessen dabei aber zu betonen, es könnte ja ein Othering sein, aber für mich ist die Frage der Machtverhältnisse. Also haben jetzt die Jugendlichen wirklich die Macht, ein Othering einer Trans*Person gegenüber zu betreiben oder ist der Vorgang ein Othering-Vorgang, der aber in dieser Zielgruppe kein Othering ist, sondern eher ne Neugierde um Verständnis //Mhm// ähm für ihre Ü/ Überfordertheit vielleicht in der Gesellschaft, jetzt nicht in der Situation,

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sondern als Heranwachsende. Also ist es wirklich Othering oder ist es was anderes?“ (Jay, TP-WS 2_Diskussion Jayrôme II, 61-69)

Jay unterscheidet zwischen der Form des Vorgangs, der wie ein Othering daherkommt, aber aufgrund der Positioniertheit der Sprechenden als Heranwachsende nicht die Veranderung der befragten Person zum Ziel hat, sondern einer Neugier entspringt. Aus Jays Perspektive machen die angenommenen Motive der Kinder hier den Unterschied, wonach sie entweder intentionales Othering betreiben und dies aus einer durchaus machtvollen Position heraus tun oder es ihnen ums Verstehen-Wollen geht, wobei ihre Frage der Form nach einem Othering nur ähnelt. In der zweiten Option werden die Jugendlichen als gesellschaftlich nicht machtvoll positioniert („ihre Überfordertheit in der Gesellschaft“). Jay schlägt zu Beginn vor, dass sich die Interviewpartner_innen mehr mit der Situation der Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen sollten. Sie_er markiert damit eine Anforderung für den pädagogischen Raum, nämlich die Motive von Kindern und Jugendlichen einschätzen zu können und entsprechend danach zu handeln (und in diesem Fall z.B. den Raum durch die Markierung unerwünschter Fragen nicht zu begrenzen, sondern die Fragen zuzulassen und damit etwas zu ermöglichen). In der abschließenden Diskussion der Sequenz im Reflexions-Workshop stand dann auch diese Frage im Zentrum, wie ein Interview mit einer queeren Person angemessen vorbereitet und gerahmt werden kann. Hierbei ging es um die Ambivalenz von Fragen und das Thema der Neugierde wurde nochmals aufgegriffen: Einerseits sollen Kinder und Jugendliche das vertraute Terrain verlassen, um etwas lernen zu können, und dazu seien neugierige Fragen notwendig. Andererseits sei es in dieser Situation schwierig, keine Äußerungen mit Diskriminierungspotenzial aufzurufen, etwa wenn Trans*-Personen bestimmte Fragen so gestellt werden, dass sie zum Anschauungsobjekt gemacht werden, anstatt dass sie ihre individuelle Lebensweise darstellen können, in der die Trans*-Thematik eine Facette unter vielen ist. Allerdings seien die verschiedenen Interviewpartner_innen explizit als Aktivist_innen in die Lernwerkstätten eingeladen worden. Das Statement, „wenn mensch Aktivist_innen einlädt, dann haben die eine Botschaft“, wird in der Diskussionsrunde mit allgemeinem Lachen quittiert. Dieses macht deutlich, dass die Herausforderung, zwischen politischer Botschaft und pädagogischem Anliegen zu vermitteln, ein geteilter Wissensbestand im Team ist. Mitja greift die Trennung zwischen Aktivismus und Pädagogik auf, stellt sie aber auch in Frage, indem sie_er sie als Auseinandersetzung unter den Pädagog_innen beschreibt und eine stärkere Reflexion einfordert: „[…] diese Interviewthematik, die betrifft uns ja auch in der pädagogischen Arbeit ganz doll. Genau die gleichen Fragen, die wir uns für die Interviews stellen, müssen wir uns

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teilweise auch ganz stark als Pädagog_innen stellen. Dann dachte ich, ja gut, da gibt’s einen Unterschied, […]das eine ist Aktivismus, das andere Pädagogik, gleichzeitig dachte ich, wie stark ist der Unterschied eigentlich? Weil als Pädagog_innen haben wir ja einen Auftrag, den wir so mitnehmen oder vielleicht auch einen impliziten Aktivismus, den wir mehr oder weniger auch mit uns rumschleppen //Gekicher// da wär es wahrscheinlich sinnvoll, den auch bei uns selber klarzukriegen //?: Mhmhm// auch bei so einer internen Reflexion […], wie offen, wie offen sind wir eigentlich, was sind eigentlich unsere normativ gesetzten Ziele, die wir eigentlich erreichen wollen?“ (TP-WS 2_Diskussion Jayrôme II, 195-208)

Mitja stellt einen Zusammenhang her zwischen implizitem Aktivismus und dem expliziten pädagogischen Auftrag. Sie_Er überträgt also die Diskussion, die anhand der Person Jayrôme C. Robinet geführt wurde, auf sich selbst und das Team und meldet Bedarf an, die eigenen Grenzen und Normen stärker der Reflexion zugänglich zu machen. Dabei wird auch deutlich, dass insbesondere die aktivistischen Bestandteile schwer wiegen („herumschleppen“) und ihr impliziter Einfluss für die Arbeit bekannt ist, wie das Kichern anzeigt. Viele der Pädagog_innen haben ein politisches Verständnis ihrer Arbeit und hohe normative Ansprüche. Hier zeigt sich ein Verständnis des politischen Raumes, dem zufolge dieser nach anderen Regeln und mit anderen Wissensbestandteilen funktioniert als der pädagogische Raum, wobei die Mitarbeiter_innen als ‚Aktivist_innenPädagog_innen‘ die unterschiedlichen Wissensbestandteile und Ansprüche miteinander verbinden bzw. sie an den pädagogischen Raum anpassen müssen. Anhand dieser Diskussion aus einem Reflexions-Workshop werden verschiedene Wissensarten und Handlungslogiken sichtbar, die sich aus dem Aufeinanderprallen einer politisch-aktivistischen Sphäre und einer pädagogischen Sphäre ergeben, und zugleich wird das Bemühen sichtbar, diese beiden Sphären zu relationieren. Die Zusammenarbeit mit queer lebenden (nicht-pädagogischen) Personen wird nicht verworfen, aber es wird mehrfach der Vorschlag geäußert, sie bei der Vorbereitung der Interviews besser auf die Zielgruppe vorzubereiten. Anhand der Diskussion wird ebenfalls deutlich, dass der pädagogische Raum so gefasst wird, dass es in ihm um Wissenserweiterung bei den Kindern und Jugendlichen und das Entwickeln eines eigenen Standpunktes geht. Dies kann den Unterstützungsforderungen von Aktivist_innen zunächst zuwiderlaufen, da ihre Position erst einmal erkundet werden muss. Weiter ist zu überlegen, ob es auf der praktischen Ebene für diesen Prozess tatsächlich Protagonist_innen im Sinne einer ‚queeren Infobox‘ braucht oder ob nicht Pädagog_innen – vor allem wenn sie selber aktivistisch tätig und zum Perspektivenwechsel fähig sind – dieses Wissen vermitteln können und wie eine Vorbereitung der Interviewpartner_in-

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nen aussehen kann, damit die Wissensexploration der Kinder und Jugendlichen im Interview heteronormativitätskritischer eingebettet werden kann. 6.5.2 „Dass das Ziel nicht im Weg steht“ – Das Ringen um Inhalte und Ziele „Was ist dein pädagogisches Ziel?“ Diese Frage wurde den Mitarbeiter_innen des Jugend Museums in Einzelinterviews mit Blick auf die Durchführung der Workshops gestellt. Ihre Antworten wurden in einer Qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet und das vorläufige Ergebnis wurde ihnen dann in einem ReflexionsWorkshop zurückgespiegelt. So fiel in der Analyse auf, dass die Pädagog_innen vor allem allgemeine Ziele nannten, aber kaum konkrete Ziele im Hinblick auf das Thema der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt artikulierten. Es wurden zudem Aussagen gefunden, die sich von einer konkreten Zielformulierung dezidiert abgrenzten: „[…] ich hab jetzt nicht so’n konkretes Ziel, sondern für mich [sind] einfach alle Berührungen mit den Themen irgendwie wichtig, egal wie sie laufen“ (Jay, 898-900). Diese Aussage steht im Widerspruch zu anderen Schilderungen in den Einzelinterviews. In diesen Erzählungen dokumentieren sich ganz offensichtlich absichtsvoll inszenierte pädagogische Interventionen, die z.B. darauf gerichtet waren, Identitätsverständnisse zu flexibilisieren und Normen zu entselbstverständlichen. Während wir auf der Ebene des Handlungswissens sehr wohl eine Orientierung an konkreten heteronormativitätskritischen Zielen rekonstruiert haben (vgl. Beispiele in Kap. 6.4.3), wird bei der Frage nach konkreten Zielen eine inhaltliche Festlegung also interessanterweise eher vermieden. Diesen auffallenden Widerspruch zwischen der beobachteten oder beschriebenen pädagogischen Praxis auf der einen Seite und der Angabe von nicht oder nur vage formulierter Zielen auf der anderen machten wir zum Thema einer Reflecting Group. Zu Beginn des Gesprächs bestätigten die Teampädagog_innen die bereits festgestellte Tendenz, Ziele als einengend, starr, begrenzend, als dem pädagogischen Handeln „im Weg stehen[d]“ (TP-WS 3_II, 330) zu empfinden, als potenzielle Hindernisse, die Flexibilität und ein angemessenes Eingehen auf die jeweilige Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen verhindern. Sich Ziele für die pädagogische Arbeit zu setzen, assoziierten die Pädagog_innen damit, diese mit Anstrengung „durchsetzen“ (TP-WS 3_II, 261) zu wollen und ein darauf ausgerichtetes „Konzept durchziehen“ (TP-WS 3_II, 265) zu müssen. Dies – so wurde weiter antizipiert – berge für die_den Pädagog_in das Risiko, bei den Adressat_innen „auf Abwehr“ (TP-WS 3_II, 265) und „keine Lust“ (TP-WS 3_II, 266) zu stoßen. Damit sei zu befürchten, dass die pädagogische Situation stagniere und letztendlich scheitere. Stattdessen – und dies kann als Gegenhorizont be-

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schrieben werden – wurden erneut „in Kontakt“ kommen (TP-WS 3_II, 262) und einen „Raum öffnen“ (TP-WS 3_II, 392) als Grundprämissen der pädagogische Arbeit hervorgehoben und einer klaren Ausformulierung und Operationalisierung inhaltlicher Ziele gegenübergestellt. Weiter wurde bei einigen Pädagog_innen deutlich, dass sie mit hohen Erwartungen und genauen Zielvorstellungen in die Workshops mit den Kindern und Jugendlichen gegangen waren: „Ich schaue, was passiert. Weil ich eben anfangs sehr gefrustet nach Hause gegangen bin und dachte, da, da tut sich irgendwie nichts. Weil ich im Kopf so konkret und so eng war und dachte, da muss das und das doch jetzt gehen und passieren. […] Und je offener ich damit umgegangen bin […], habe ich mehr gesehen, dass sich was tut oder auch kleine Ziele gesehen. Und das finde ich für meine Arbeit angenehmer […], wenn ich weiß, okay, es geht ja um das Thema Vielfalt […]. Ich möchte einen Raum öffnen und gucken, dass Kinder sich in dem Raum/ dass sich was bewegt.“ (Tomke, TP-WS 3_II, 385-393)

Der_Die Pädagog_in hatte im Workshop-Prozess nach anfänglichem Frust bestimmte Zielvorstellungen losgelassen und dann festgestellt, dass „kleine Ziele“ sehr wohl im pädagogischen Handeln zu erreichen waren. Die anfängliche Debatte unter den Pädagog_innen im Stuhlkreis verdeutlichte uns, dass a) Zielformulierungen mit einem Druck, dass bestimmte Ergebnisse erreicht werden müssen, assoziiert werden und dass b) die Erfahrung, vorab festgelegte Ziele möglicherweise nicht erreichen zu können, Versagensgefühle hervorrufen kann. Dies lässt nachvollziehbarer erscheinen, weshalb konkrete Zielformulierungen als hinderlich erlebt und zuweilen bewusst vermieden werden. So bestätigen die Pädagog_innen die wissenschaftlichen Analysen und konfrontieren sie zugleich mit einer großen Ambivalenz und der Frage der Machbarkeit in der Praxis. „Ich möchte gerne viel, aber / und darum denke ich die Aussagen, die ihr vorher gezeigt habt, dass ist das, was wir glaube ich erreichen können, darum waren die auch so ähm ja auf so einem Level, wo ihr vielleicht sagt: Wollt ihr nicht mehr? Doch, ich glaube schon //Lachen; mehrfache Zustimmung// dass wir mehr wollen. Viel, viel mehr. […] Also, es ist glaube ich wichtig zu überlegen: Was möchte ich denn? Was möchte ich und was kann ich //Mhm [mehrfache Zustimmung]// vermitteln in der Zeit? Und dann sind glaube ich die Ziele für dieses Konzept erstmal wirklich so, wie es eben da auch stand. Und ob ich damit dann auch die Zufriedenheit habe und ich sage: Ich habe irritiert, ich habe ein bisschen was angestoßen. Ähm, ich kann es nicht überprüfen.“ (Tomke, TP-WS 3_I, 1102-1119)

Hier spiegelt sich, was Helsper (2004a, 2004b) als pädagogische Antinomie ausgeführt hat, dass sich Pädagog_innen in einer Ungewissheit zwischen Vermitt-

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lungsversprechen und Erfolgsrisiko bewegen, d.h., dass es keine Garantie geben kann, ob das, was mit einer bestimmten Intervention beabsichtigt ist, auch erreicht wird (vgl. Kap. 2.5). Weiter wird deutlich, wie die eigene Zufriedenheit damit verknüpft ist, eventuell gesetzte Ziele auch zu erreichen. Da zwischen eigenem Anspruch und realen Möglichkeiten hinsichtlich Zeit und Zielgruppe vermittelt werden muss, werden abstraktere Zielformulierungen als angemessener für das Kurzzeitkonzept der museumspädagogischen Veranstaltungen empfunden. Als konjunktives Wissen im Team der Pädagog_innen scheint zu gelten, dass zu anspruchsvolle und zu konkret formulierte Ziele in ihrer Umsetzung in der pädagogischen Praxis überfordern und zu Misserfolg und Unzufriedenheit führen können und damit besser Abstand von ihnen genommen wird. Die Validierung der Forschungsergebnisse, Ziele eher abstrakt zu halten bzw. ihre Notwendigkeit in Frage zu stellen, macht deutlich, dass im pädagogischen Team ein anderes Verständnis von Zielen vorherrscht als im wissenschaftlichen Team. Während Letzteres Ziele als Ausgangspunkt für die Planung des pädagogischen Handelns, die Auswahl der konkreten Inhalte und Methoden ansieht und damit als ein hilfreiches Instrument, das der pädagogischen Arbeit Kontur zu verleihen vermag, versteht das pädagogische Team darunter vor allem eine Festlegung, die ihre Flexibilität einschränkt, die Interaktionen mit der Zielgruppe behindert sowie eine Überprüfbarkeit nahelegt, die im Rahmen des Workshop-Formats nicht einzuholen ist. Statt konkreter Zielformulierungen präferieren die Pädagog_innen daher eher eine Prozess- und Zielgruppenorientierung, bei der Ziele (und teilweise auch Inhalte) situativ bestimmt werden. Spielräume, aber auch Wissen, Handwerkszeug und Erfahrung werden stark gemacht: „Ich glaube auch, bei dieser Flexibilität ist auch wichtig, dass ähm eine pädagogische Kraft auch ein gewisses Selbstbewusstsein und eine Selbstsicherheit hat. […] Und dass man dann einfach in dieser ganzen Thematik, diesen hypersensiblen Begriffen einfach unglaublich sicher sein muss […]. Und dann kann ich glaube ich auch/ ist man natürlich auch selber sicher, ist auch ein bisschen flexibler und braucht halt nicht so stark, so strikt an einem Plan entlang sich bewegen“. (Sam, TP-WS 3_II, 293-301)

Das strikte Verfolgen eines Plans wird hier mit Unsicherheit konnotiert und als Gegenhorizont zur Flexibilität gesetzt. Zugleich wird aber auch deutlich, dass der Plan das Grundgerüst des eigenen Handelns bildet und dass eine Abweichung vom Plan durchaus möglich ist, wenn Handlungssicherheit und Fachwissen vorhanden ist. Den weiteren Gesprächsverlauf unter den Pädagog_innen kennzeichnete, dass zunehmend auch kritische Haltungen den eigenen unspezifischen Zielformulierungen gegenüber eingenommen wurden. Als ein hilfreiches Scharnier

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zwischen untersuchtem Handlungswissen der Pädagog_innen und Forschungswissen der Wissenschaftler_innen erwies sich der Hinweis einer_s der pädagogischen Expert_innen, dass sich die pädagogische Situation ohne Ziele kaum von einem unstrukturierten Gesprächskreis unterscheide und die Gefahr der Beliebigkeit gegeben sei. Fehlende Zielstellungen könnten dazu führen, dass der Fokus „aus den Augen verloren wird“ (TP-WS 3_II 338). Letztlich blieb die Frage im Raum stehen, wie „wir mit Zielen nochmals bisschen genauer arbeiten können […], damit aber äh so umzugehen, dass das Ziel nicht im Weg steht“ (Kay, TP-WS 3_II 329). Der Gesprächsverlauf zeigt auf, wie bei der Diskussion der Forschungsergebnisse Gedanken in Bewegung kamen, Positionen reflektiert und neue Fragen aufgeworfen werden konnten. Zugleich wurden wir Forscher_innen angeregt darüber nachzudenken, dass spezifische Ziele möglicherweise dann keine hilfreiche Rahmung mehr darstellen, wenn Anwender_innen „sich in einem komplexen, dynamischen Umfeld befinde[n], in dem nicht von vorneherein geklärt werden kann, wie ‚richtiges Handeln‘ konkret auszusehen hat“ (Storch zit. n. Birgmeier 2009: 185). Es mag fraglich erscheinen, ob Kurzzeitpädagogik hierfür hinreichend komplex ist. Zugleich muss aber bedacht werden, dass sie sich tatsächlich als sehr voraussetzungsvoll darstellt, wenn dabei die Prozess- und Zielgruppenorientierung, zumal im noch neuen und teilweise unkonturierten Themenfeld der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt, berücksichtigt wird. Soll eine dezidiert heteronormativitätskritische Perspektive eingenommen werden, z.B. das Durchschauen von Vergeschlechtlichungsprozessen in MarketingStrategien (‚Gender Marketing‘), und ihre zweigeschlechtliche Logik vermittelt werden, dann können Ziele als eine wichtige Vorbereitungshilfe dienen – und auch als eine Vorkehrung, um nicht in inhaltliche Beliebigkeit zu rutschen. Sich über Ziele zu verständigen, heißt sich klar darüber werden, was ich der Zielgruppe in der Bildungssituation ermöglichen möchte, und meinen didaktischen Zugang danach auszurichten. Ziele können vor allem in der Vorbereitung herausfordern, in der Durchführung können sie ein stabiles Grundgerüst bilden, auf dem die konkrete Arbeit in verschiedene Richtungen entwickelt werden kann. Da sie auf das Spannungsfeld von Anspruch und Wirklichkeit verweisen, ist die Herausforderung, sie zu balancieren und auszuhalten, wenn sie nicht vollständig erreicht werden konnten. Mit den beiden Beispielen konnten ausgewählte Aspekte eines Professionalisierungsprozesses im Bereich der heteronormativitätskritischen Bildungsarbeit sichtbar gemacht werden. Hierbei wurde einerseits deutlich, wie wichtig eine Vergegenwärtigung der Widersprüche und Fallstricke (im ersten Beispiel anhand des Themas trans*) sowie eine Verständigung über gemeinsame Orientierungen

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und Zielverständnisse (zweites Beispiel) für die pädagogische Praxis ist. Andererseits konnte nachvollziehbar gemacht werden, wie sich diese beiden Aspekte in der Frage einer guten Vorbereitung verbinden. Der Austausch insgesamt zeigte, dass, während allgemeingültig-abstrakte Ziele zu wenig inhaltlichmethodische Handlungsanregungen bieten und eng formulierte Ziele aus Sicht der Pädagog_innen zu wenig Handlungsspielraum lassen, Ziele ggf. dann hilfreich sein können, wenn sie zwar deutlich inhaltsbezogen ausformuliert, dabei aber zugleich so offengehalten werden, dass sie hinsichtlich verschiedener Formate, Zielgruppen und Inhalte weiter ausdifferenziert und in ihrem Einsatz flexibel gestaltet werden können. Es wurde ebenfalls deutlich, dass nicht nur verschiedene Wissensbestände wie aktivistisches Community-Wissen und pädagogisches Handlungswissen in einem Spannungsverhältnis stehen, sondern auch hiermit verbundene biografie- und feldabhängige Logiken Ambivalenzen hervorbringen können, die Pädagog_innen relationieren müssen, (nicht nur) wenn sie selber in beiden Feldern ‚zu Hause‘ sind. Die dargestellten Kontroversen zeigen auch, wie wissenschaftliches Analysewissen und pädagogisches Handlungswissen jeweils von einer Eigensinnigkeit charakterisiert ist, die sich nicht ohne Weiteres in das jeweils andere Feld übersetzen lässt. Sich im Reflexionsraum als unterschiedliche Professionen zu begegnen, Inhalte und Haltungen anzuerkennen oder zurückzuweisen und dabei auch Kontroversen zu führen und Unvereinbarkeiten stehen zu lassen, bedeutet auch, sich grundsätzlich einander in seiner Andersheit zuzumuten und einen wechselseitig anregenden wie wertschätzenden Umgang damit zu üben: ein hilfreiches Können im Spannungsfeld zwischen Vielfalt und Normenkritik.

7. Where to go on? Mögliche nächste Schritte im Professionalisierungsprozess Jutta Hartmann, Mart Busche, Tobias Nettke, Uli Streib-Brzič

Der Einblick in konkrete Formate des Modellprojekts All Included! und die Erörterung von mit den jeweiligen Zugängen verbundenen Potenzialen haben gezeigt, dass wichtige Schritte in Richtung einer heteronormativitätskritischen Jugendbildung gegangen wurden. Auch konnten neue Handlungstypen einer reflexiven Pädagogik und Differenzbearbeitung rekonstruiert werden. Zugleich weisen die sichtbar gewordenen Herausforderungen und Spannungsverhältnisse über das untersuchte Projekt hinaus. Als paradigmatisch für das spezifische pädagogische Themenfeld begriffen legen sie anhaltende Professionalisierungsbemühungen nahe. So hat unsere Studie gezeigt, dass es schwieriger ist, als es auf den ersten Blick erscheint, den Topos ‚geschlechtliche und sexuelle Vielfalt‘ pädagogisch umzusetzen, ohne entgegen besserer Absicht heteronormative Mechanismen zu reproduzieren. Zwar kann es gar nicht ganz ohne deren Reproduktion gehen, gibt es doch kein Außerhalb der normativen Macht, doch sind alle eingeladen, immer wieder selbstkritisch die eigene Arbeit zu überdenken und auf heteronormativitätskritische Weise weiterzuentwickeln. Dies unterstreicht die Bedeutung von Wissen und Reflexion – auf den Ebenen der einzelnen Pädagog_innen, des pädagogischen Teams, des erziehungswissenschaftlichen Fachdiskurses – und nicht zuletzt die Wichtigkeit des laufenden kollektiven Professionalisierungsprozesses, zu dem wir mit unserer Forschung einen Beitrag leisten wollen. In diesem abschließenden Kapitel werden wir zunächst die in unserer Studie als zentral erkannten Herausforderungen herausstellen (7.1), um im nächsten Schritt didaktische Bedingungen in Form von Orientierungslinien zu beschreiben, die wir als besonders förderlich erachten, um vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der (musealen) Bildung partizipativ und in

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einer heteronormativitätskritischen Weise bearbeiten zu können (7.2). Sich daran zu orientieren sind all diejenigen eingeladen, denen es um eine Bildungsarbeit geht, „die sich am Schnittpunkt von Bildungstheorie und Queer Theory als ein kritisch-dekonstruktives Projekt entwirft und nicht nur an einer Freiheit von: Diskriminierung, sondern auch an einer Freiheit zu: eigensinnigen Lebensweisen orientiert ist“ (Hartmann 2016a: 118; Hervorh. i. Orig.). 7.1 Specific needs: Paradigmatische Herausforderungen Das Reden über die Vielfalt von geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen im Kontext von Bildungsarbeit hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich erweitert. Manche Lebensweisen, wie z.B. lesbische und schwule, sind präsenter geworden, andere sind es weiterhin (noch) nicht. Die Vielfalt, die unter dem Term Trans* versammelt ist, wird selten ausbuchstabiert. Inter*- oder NonBinary- und weitere neue Selbstverständnisse, wie asexuelle oder freundschaftszentrierte Lebensweisen, werden kaum aufgegriffen. Aber auch die (widersprüchlichen) Realitäten des Cis-Frau-, Cis-Mann- und Heterosexuell-Seins werden selten als Teil der geschlechtlichen und sexuellen Vielfalt begriffen. Des Weiteren sind explizite Bezugnahmen auf gesellschaftlich-strukturelle oder kulturell-normative Zusammenhänge wie dekonstruktive Perspektiven auf die vermeintliche Klarheit und Kohärenz geschlechtlicher und sexueller Identität eher marginal. In identitätskritischen Vorstellungen von Subjektivität, wie sie die poststrukturalistischen Gender und Queer Studies vertreten, scheint eine besondere Herausforderung für die pädagogische Umsetzung zu liegen. Während ‚Antidiskriminierung‘ und ‚Empowerment‘ als übergeordnete pädagogische Ziele gleichwertig nebeneinander zu stehen scheinen, neigt die pädagogische Bearbeitung vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen dazu, den Schwerpunkt auf die Verhütung von Diskriminierung zu setzen. Dabei ist jenes doppelte Ziel aufgrund der mit ihm verbundenen Beschränkungen und impliziten Vorannahmen jedoch auch fraglich und nicht per se macht- und identitätskritisch ausgerichtet. Zum einen vergegenständlicht ‚Empowerment‘ Identitäten dann, wenn er als ein ausschließlich affirmativer Bezug auf Identitätskategorien versäumt, deren Hervorgebracht-Sein zu thematisieren, sodass sie wie „eingelassen in Stahl und Beton“ erscheinen (Schmidt 1996: 124). Zum anderen läuft ein Aufrufen von – sozial und gesellschaftlich dringend zu überwindenden – hierarchisierenden, entwertenden und verletzenden Situationen im Namen der Antidiskriminierung dann Gefahr, deren hierarchisierte Struktur in den Köpfen von Kindern und Jugendlichen zu verfestigen, wenn dieses Aufrufen den Einstieg zum Thema darstellt, wenn es wiederholt geschieht und/oder wenn nicht in

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gleicher Intensität auch Handlungsstrategien und andere, gerade auch visionäre Realitäten Raum erhalten. Auch lässt das die Lebensweisen, die vorwiegend entsprechenden Diskriminierungen ausgesetzt sind, dann als wenig attraktiv erscheinen. Bildungstheoretisch betrachtet müsste eines der übergreifenden Ziele ganz einfach auch sein, Jugendlichen wertschätzend eine Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten für ihr eigenes Leben anzubieten und – im Sinne einer good news for all – vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen als gesellschaftlich-kulturelle Realität und Horizont der eigenen Lebensgestaltung für alle selbstverständlich werden zu lassen. Herausforderungen bestehen auch hinsichtlich der immer wieder auftretenden Abwehr der Thematik durch Kinder und Jugendliche. Besonders bei einem sehr offenen Einstieg ins Thema und dem Einsatz von kreativen (Gruppen-)Methoden bringt das einerseits die Vorteile der Mitbestimmung mit sich, andererseits ist die hohe Wahrscheinlichkeit zu bedenken, dass die in der jeweiligen Gruppe vorherrschenden Diskurse erneut dominant hervortreten. Wenn diese von Abwehr oder gar von stark negativen bis queerfeindlichen Positionen gekennzeichnet ist, gilt es situationsbezogen verantwortungsvoll zu handeln. Gegebenenfalls ist zu entscheiden, was jetzt sinnvollerweise wie viel Raum erhalten oder beiseite gestellt werden muss. In einer weiteren Studie könnte geprüft werden, inwiefern stärker strukturierte Methoden alternativen Perspektiven mehr Raum zur Entfaltung bieten und ob eine solche Wirkung auch dann erzielt werden kann, wenn sehr offene Zugänge erst nach einer intensiven Auseinandersetzung mit vielfältigen Lebensweisen bzw. nach postheteronormativen Zugängen zum Thema (s.u.) zum Einsatz kommen. Ein weiteres Ziel von Jugendbildung müsste daher sein, einerseits die subjektive Notwendigkeit von Abwehrreaktionen zu minimieren und andererseits Abwehr so zu bearbeiten, dass sich der eigene Lebenshorizont erweitern kann. Mit dem didaktischen Blick auf das Was und das Wie der pädagogischen Arbeit liegt eine weitere übergreifende Herausforderung der Bearbeitung vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen darin, sich der eigenen Verstrickung in heteronormative Verhältnisse stets bewusst zu sein und auftretende Antinomien zu reflektieren, d.h. Spannungsverhältnissen zwischen: Konstruktion und Dekonstruktion von Differenz, Antidiskriminierung und Empowerment, moralisch-politischer und bildungstheoretischer Fundierung, Angeboten zur Identifizierung und Optionen zur Nicht-Identifzierung, subjektbezogener und gesellschaftlich-struktureller Fokussierung, engagierter Nähe und reflektierender Distanz, Prozessorientierung durch beteiligende Formate und inhaltsgesättigte, strukturierte Lenkung zu den Zielen der Bildungsarbeit etc. In der pädagogischen Praxis gilt es, solche Antinomien situationsangemessen auszubalancieren und sie

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nicht – soweit es sich vermeiden lässt – zugunsten einer Richtung aufzulösen. Die auftretenden Spannungsverhältnisse sind dabei keine unerwünschten Nebeneffekte, sie sind vielmehr charakteristische Merkmale dieses Feldes, die in einer professionellen pädagogischen Arbeit andauernd im Blick behalten und reflektiert werden müssen. 7.2 How to: Orientierungslinien für heteronormativitätskritische Bildungsarbeit Mit den folgenden Orientierungslinien geht es uns darum, ein Angebot für pädagogische Fachkräfte und Multiplikator_innen bereitzustellen, die den Themenbereich ‚vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen‘ in ihrem jeweiligen Arbeitskontext aufgreifen und aus einer heteronormativitätskritischen Perspektive bearbeiten wollen. Da die Kontexte variieren, geben wir sowohl allgemeine Hinweise wie auch exemplarisch praxisfeldspezifische mit Blick auf Museen. Die mit den Orientierungslinien verbundene Intention ist es, ein fundiertes, an Heteronormativitätskritik orientiertes Handeln im Themenfeld zu unterstützen und bei der konzeptuellen Entwicklung und Planung von Bildungseinheiten Hilfestellung zu bieten. Die Orientierungslinien sollen didaktisches Planen in Bezug auf Inhalt und Methodik erleichtern und dabei insbesondere auch der Gefahr entgegenwirken, trotz guter Absichten hierarchische Verhältnisse zu reproduzieren. Quasi als sensitizing concept flossen bereits publizierte Orientierungslinien von Jutta Hartmann (z.B. 2002; 2015) auch schon in die Forschung und in den Austausch mit den Praktiker_innen ein. Bei den Orientierungslinien handelt es sich bewusst nicht um Checklisten, die direkte Anleitungen liefern. Konkrete didaktische Planung benötigt immer eine Kontextualisierung, die nicht vorweggenommen werden kann. Es geht daher nicht um Leitfäden, sondern um eine Ausrichtung, die nicht standardisierbar ist und deren Umsetzung somit einen Teil professionellen Handelns ausmacht. Auch entfalten Orientierungslinien ihren tieferen Sinn nur im Verbund miteinander. Ziel eines solch kombinierten Zugangs ist es, vielfältige Lebensweisen so zu thematisieren, dass für die Adressat_innen – wie auch immer sie leben und sich selbst begreifen – eine öffnend-emanzipative Einladung transportiert wird und auf einer sozialen bzw. gesellschaftlichen Ebene transformative Impulse insofern angestoßen werden, als im sozialen und gesellschaftlichen Miteinander Hierarchien in Frage gestellt werden und Neues entstehen kann. Im Rahmen des VieL*Bar-Forschungsprojekts erwiesen sich die folgenden Orientierungslinien als zentral. Wir nennen sie zunächst im Überblick, bevor wir sie ausführlich einzeln nochmals erläutern:

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Inhalte ‚raufbrechen‘: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen als Fachthema begreifen & Bildungsziele heteronormativitätskritisch vergegenwärtigen Postheteronormative Zugänge wählen: Vielfalt von der Vielfalt aus denken & neue Selbstverständlichkeiten etablieren Ins Verhältnis setzen: Normen und Machtstrukturen reflektieren & nach der Funktionalität diskriminierender Verhaltensweisen fragen In Bewegung bringen: Überkommene Selbstverständlichkeiten produktiv irritieren & Identitäten als gesellschaftlich-kulturell vermittelt, in sich widersprüchlich und wandelbar aufgreifen Vielfalt zulassen: Unterschiedliche Erklärungsansätze zu geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen vermitteln & Geschichten präsentieren, die lebbar sind Partizipation ermöglichen: Themenbezogen Möglichkeiten zum Mitentscheiden und Mitgestalten bieten & sinnliche und spielerische Zugänge zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen initiieren Für Selbstbezug sorgen: Pädagogisch geschützte Räume schaffen & Zeiten für persönliche Zugänge, eigene Erfahrungen und freie Ideen mit thematischem Bezug gestalten ‚Differenzen_können‘: Prozesse des doing difference reflektieren & Konstruktionsmechanismen zum Gegenstand der pädagogischen Auseinandersetzung machen

Inhalte ‚raufbrechen‘: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen als Fachthema begreifen & Bildungsziele heteronormativitätskritisch vergegenwärtigen Um den Themenkomplex in pädagogischen Settings qualifiziert aufgreifen zu können, braucht es eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Themenfeld. ‚Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen‘ als Fachthema zu begreifen bedeutet, einen theoretisch fundierten Umgang mit der Komplexität der Inhalte in der Bildungsarbeit anzustreben. Im Kontext von Kunstpädagogik plädieren Danja Erni (2018: 168) und Kolleg_innen dafür, aus der „verbreiteten Gegenüberstellung von Theorien und ihrer Anwendung (‚runterbrechen‘)“ herauszutreten. Demgegenüber empfehlen sie, in die Entwicklung von Bildungsmaterialien programmatisch ein „Raufbrechen“ (ebd.) einzuweben, d.h. theoretisch fundiert zu arbeiten und auftretende Widersprüchlichkeiten nicht zu glätten. In Bezug auf unser Thema geht es für Pädagog_innen darum, eine intersektional ausgerichtete, gender- und queertheoretisch informierte Reflexivität in den Bereichen Wissen, Wollen, Können auszubilden und damit eine Art heteronorma-

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tivitätskritische Kompetenz1 zu entwickeln. Diese besteht zunächst ganz wesentlich aus einer thematisch-inhaltlichen Sachkompetenz: Eine solche umfasst deutlich mehr als nur Wissen um Lebenslagen und Diskriminierungserfahrungen von Menschen, die als zu einer geschlechtlichen und sexuellen Minderheit zugehörig gerechnet werden. Hier geht es auch um Grundkenntnisse aus inter- und transdisziplinären Diskursen zur Pluralisierung und Normierung von Lebensformen, zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen inklusive ihren jeweiligen Widersprüchlichkeiten, Uneindeutigkeiten und innerpsychisch gegebenen Ambivalenzen, zur Hervorbringung und Hierarchisierung von Geschlechterverhältnissen, zu Macht- und Ressourcenverteilungen sowie zu verschiedenen – auch historischen – Erklärungsansätzen, wie Geschlecht und Sexualität verstanden werden kann. Alle Menschen verfügen über Alltagstheorien zu Geschlecht und Sexualität. In der Bildungsarbeit sollten diese vor der Folie relevanten Fachwissens reflektiert bzw. ergänzt werden. Mögliche Fragen wie „Können Trans*-Menschen Kinder bekommen?“ oder „Welches Geschlecht haben Inter*-Menschen?“ sollten entweder kompetent beantwortet werden können oder es sollte gewusst werden, wie Informationen zu entsprechenden Fragen zeitnah und ggf. auch gemeinsam beschafft werden können. Des Weiteren stellen die Diskurse einer Pädagogik vielfältiger Lebensweisen und einer intersektionalen Diversity Education sowie Kenntnisse zu verschiedenen Handlungskonzepten zu geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in der Pädagogik einen sinnvollen Hintergrund dar. Bei einem gesellschaftlich so aufgeladenen Themenbereich gilt es zudem, über Wissen um aktuelle politisch-gesellschaftliche Diskurse und um zentrale Kontroversen der Debatte zu verfügen. In Teams sollte sich über das jeweils vorhandene Verständnis von Geschlecht und Sexualität verständigt und dieses theoretisch fundiert werden. Bei einer Nicht-Verständigung über den theoretischen Status besteht die Gefahr, dem dominanten Verständnis von Geschlecht und Sexualität Vorschub zu leisten, die Veränderlichkeit von Geschlecht und Sexualität, die Vielfalt in und Bewegung zwischen den Kategorien verdeckt zu lassen, einer enthistorisierenden und essentialisierenden Naturalisierung von Geschlecht und Sexualität zuzuarbeiten und auch unbeabsichtigt Macht- und Dominanzverhältnisse eher zu bestätigen als abzubauen. (Hartmann 2014: 26) Darüber hinaus bedarf es einer Handlungskompetenz, d.h. konkreter methodisch-didaktischer Kenntnisse, um das Thema angemessen umsetzen und für die

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In Anlehnung an und Unterscheidung von einer „Regenbogenkompetenz“, wie sie Ulrike Schmauch (2016: 43) vorschlägt.

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Zielgruppe zugänglich machen zu können. Zugänge konstituieren das Thema. Zugänge und Materialien sollten daher bereits schon selbst kritisch-dekonstruktiv angelegt sein und nicht lediglich darauf abzielen, eine entsprechende Perspektive zu initiieren (so z.B. darüber, dass Stereotype mit der Intention aufgerufen werden, sie über ein anschließendes Infragestellen abzubauen; zu groß ist dabei die Gefahr, sie entgegen besserer Absicht durch das Wiederaufrufen erneut zu bekräftigen). Zugleich ist nicht zu vergessen, dass Bildungsprozesse immer komplex sind. Niemand kann alles vorhersehen und vorab planen. Als sinnvoll erweist sich eine Art „Genderkompetenzlosigkeitskompetenz“ (Kleiner/Klenk 2017). Diese weist darauf hin, dass aus vorhandenem Wissen und erfolgten Reflexionen nicht zwangsläufig Können und Gelingen in konkreten pädagogischen Situationen erfolgen, ein ‚Scheitern‘ im widerspruchs- und facettenreichen Feld der Geschlechter- und Queerpädagogik möglich ist und viele Antworten, aber keine fertigen Lösungen existieren (ebd.: 113f). Dies zu erkennen widerspricht jedoch nicht der Erfordernis, die eigene Arbeit theoretisch zu fundieren und sich die eigenen, mit der Bildungsarbeit verbundenen thematisch-inhaltlichen Ziele zu vergegenwärtigen sowie zu versuchen, sie heteronormativitätskritisch auszubuchstabieren. Im Bereich der Sozialkompetenz geht es um Kommunikations-, Konflikt- und Kooperationsfähigkeit, die insbesondere mit Blick auf häufig anzutreffende Abwehrhaltungen zentral sind und die eine gut durchdachte Vorbereitung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Intervention bei verletzenden Äußerungen und bezüglich der Zusammenarbeit mit Vertreter_innen der diversen Communities umfassen sollten. Nicht zuletzt bedarf es der Selbstkompetenz, des Willens und der Fähigkeit, das eigene Denken und Handeln, die eigenen Ambivalenzen, Gefühle, vielleicht sogar Ängste, aber auch Werte sowie – ggf. stereotype – Vorstellungen in Bezug auf das Thema ‚vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen‘ kontinuierlich zu reflektieren. Hier geht es um Interaktions- und Reflexionsprozesse, in denen auch Deutungsmuster zum Thema sowie die eigene Identität und die eigene Haltung zum Gegenstand im Fokus stehen oder irritiert werden können und als jeweils eine Möglichkeit unter vielen anerkannt werden sollten. Dabei gilt es, sich selbstkritisch zu fragen: ‚Welche Lebensweisen sind für mich denkbar? Was ist für mich diesbezüglich sagbar? Selbstprüfende Fragen an eine heteronormativitätskritische pädagogische Praxis gelten z.B. der Repräsentation: Welche Subjekte und Lebensweisen werden in meiner pädagogischen Arbeit thematisiert und so jeweils mit hervorgebracht und ermöglicht? Sie beziehen sich weiter auf die eigene Sprache: Welche normierenden, normalisierenden, kritischen, öffnenden Äußerungen mache ich bzw. unterlaufen mir? Und sie gelten dem Diskurs und der Struktur: Inwiefern mache ich die Norm zum Thema, werden in meiner

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pädagogischen Praxis Konstruktionsmechanismen rekonstruiert? Sind meine Ziele mehr an den Mehrheiten oder mehr an den Minderheiten orientiert oder liegen sie quer dazu? Heteronormativitätskritische Pädagogik geht über die Dualität von Antidiskriminierungsarbeit (mit der Intention, dass die cisgeschlechtliche und heterosexuelle Mehrheit Empathie und Akzeptanz entwickelt und sich gegen Diskriminierung engagiert) und Empowerment (mit der Intention, queere Menschen zu ermutigen und zu bestärken) hinaus. Sie zielt auch darauf ab, vielfältige Lebensweisen, die gesellschaftlich in unterschiedlichem Maße anerkannt und hierarchisiert sind, als in dieser Weise hervorgebracht zu vermitteln und Ermöglichungsräume wie kritische Handlungsräume für alle zu eröffnen. Darin liegt die Chance für Bildungsarbeit, auf kritisch-dekonstruktive Weise inklusiv zu sein. 2.

Einen postheteronormativen Zugang wählen: Vielfalt von der Vielfalt aus denken & neue Selbstverständlichkeiten etablieren Bei der zweiten Orientierungslinie geht es darum, Vielfalt enthierarchisierend und entnormalisierend von der Vielfalt selbst aus zu denken. Auf diese Weise soll versucht werden, Prozesse des Otherings erst gar nicht aufkommen zu lassen. Und dies, indem lesbische, intergeschlechtliche, cisgeschlechtliche, heterosexuelle, schwule, transgeschlechtliche und weitere Lebensweisen selbstverständlich als Teil der Vielfalt sichtbar, benennbar und nachvollziehbar werden und in ihrer Bedeutung für oder ihrem Bezug zu Inhalten, Bebilderungen, Zielgruppen, Ansprechpartner_innen, Kolleg_innen erkannt werden. Dies sollte ganz unabhängig davon geschehen, wie sich die Menschen in einem Team oder in einer Adressat_innengruppe geschlechtlich und sexuell begreifen oder in welchen familiären, freundschaftlichen, amourösen und anderen Konstellationen sie mit anderen zusammenleben. Wenn wir oben „und weitere Lebensweisen“ schreiben, markiert dies: Es können nie alle angesprochen werden. Es gibt immer eine Auswahl. Das unterliegt auch einer zeitlichen Entwicklung. Es kommen immer wieder neue Lebensweisen hinzu, wie z.B. polyamoröse, asexuelle oder freundschaftszentrierte. Die Vielfalt selbst zum Ausgangspunkt zu nehmen, überschreitet die Struktur von Norm und Abweichung und die eines Entweder-oders. Der Term ‚postheteronormativ‘ zeigt an, dass mit dieser Orientierungslinie intendiert ist, Situationen und soziale Räume herzustellen bzw. anzustreben, in denen heteronormative Verhältnisse weitgehend überwunden sind. Hier erhalten all jene Menschen, die sich quer zu Zweigeschlechtlichkeit und zur Dichotomie von Hetero- und Homosexualität bewegen, den gleichen Raum, wie die, die sich cisgeschlechtlich und heterosexuell verstehen, ohne sich erklären oder legitimieren zu müssen. Die empfohlene Orientierungslinie ‚Vielfalt von der Vielfalt aus

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denken‘ setzt voraus, dass heterosexuelle und cisgeschlechtliche Lebensweisen als Teil einer umfassenderen Vielfalt explizit benannt und nicht länger – häufig gerade durch ihre Unbenanntheit – als selbstverständlich vorausgesetzt werden. Ein entsprechender Zugang zum Thema ermöglicht allen, sich und ihre Lebensrealität wiederzufinden. Die Orientierungslinie folgt einer Perspektive der Ermöglichung und sieht ein pädagogisches Ziel darin, allen Kindern, Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen, unabhängig von ihrer gegenwärtigen Lebensweise, eine Vielzahl möglicher Lebensweisen als Reflexionsgrundlage für ihr eigenes Selbstverständnis anzubieten und optativ neue Welten zu eröffnen. Die Konzepte von Vielfalt und Diversity inklusiv anzulegen heißt, genau solche Räume und Ermöglichungsbedingungen zu schaffen. Kontinuierlich umgesetzt, können so neue Selbstverständlichkeiten entstehen. Auch wenn wir noch nicht in einer postheteronormativen Gesellschaft leben, können wir immer wieder auch postheteronormativ handeln und neue Selbstverständlichkeiten etablieren. 3.

Ins Verhältnis setzen: Normen und Machtstrukturen reflektieren & nach der Funktionalität diskriminierender Verhaltensweisen fragen Entscheidet sich ein Team, heteronormativitätskritisch zu arbeiten, geht es darum, Bildungsprozesse so anzustoßen, dass auch spezifische Zusammenhänge, wie die zwischen individuellem Leben und gesellschaftlichen Möglichkeitsbedingungen, erkennbar werden. Denn unterschiedliche Lebensweisen in ihrer Vielfalt sind nicht nur unterschiedlich sichtbar und bekannt. Es ist auch wichtig zu sehen, dass sie in ihrem jeweiligen So-Sein gesellschaftlich-kulturell geworden sind. Aus heteronormativitätskritischer Perspektive formuliert: Sie werden immer wieder neu über machtvolle Diskurse hervorgebracht und zu anderen Seinsweisen in ein hierarchisches Verhältnis gesetzt. Will Pädagogik nicht einer individualisierenden Perspektive folgen, dann reflektiert sie immer auch die Wirkung von Macht, indem sie z.B. bei der Arbeit mit Biografien mit berücksichtigt, dass und wie diese durch normative Erwartungen und gesellschaftliche Strukturen bedingt sind und somit immer auch Ergebnis einer eigenwilligen Auseinandersetzung der jeweiligen Subjekte mit diesen darstellen. Auch legt sie eine verstärkte Aufmerksamkeit auf die Auseinandersetzung mit dem Engagement von Menschen gegen Diskriminierung und für eine Anerkennung des Differenten sowie mit Widerstand gegen die vorherrschenden Machverhältnisse. Mit dem Ziel, die Handlungsfähigkeit aller zu erweitern, gilt es, sich selbst und andere gegenüber den einschränkenden gesellschaftlichen Verhältnissen zu sensibilisieren, die eigene Verstrickung in diese zu reflektieren und gemeinsam

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Schritte zu entwickeln, um aktiv Veränderungen bewirken zu können. Dabei scheint es zentral, die ungleichen Machtverhältnisse nicht nur im Außen zu sehen, sondern vielmehr auch als Motor des eigenen Verhaltens kritisch unter die Lupe zu nehmen. Sind Diskriminierungen und Abwehr gegenüber dem Thema ‚vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen‘ nicht einfach auf fehlendes Wissen über vielfältige Lebensweisen zurückzuführen, sondern viel grundsätzlicher damit verknüpft, dass die eigene Subjektpositionierung in Abgrenzung zu einem geschlechtlich und sexuell Anderen überhaupt erst hervorgebracht wird (vgl. Kap. 2.3), dann mag es hilfreich sein, die Erkenntnis zu vermitteln, dass wir – innerpsychisch betrachtet – alle eine Vielfältigkeit an geschlechtlichen und sexuellen Identifizierungen und Begehrenslinien in uns tragen und die damit verbundenen Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten lediglich in unterschiedlicher Weise zulassen und leben (können oder wollen). Aber nicht nur aufgrund innerpsychischer sondern auch angesichts weiterer, z.B. dominanzkultureller Funktionalitäten (vgl. Kap. 2.1 & 2.2) geht es um ein – situativ angemessenes – Befragen der subjektiven Bedeutung von diskriminierendem Verhalten und um ein gemeinsames Überlegen, welches alternative, ‚erweiterte‘ Handeln denkbar sein könnte. 4.

In Bewegung bringen: Überkommene Selbstverständlichkeiten produktiv irritieren & Identitäten als gesellschaftlich-kulturell vermittelt, in sich widersprüchlich und wandelbar aufgreifen Bei diesem Punkt geht es um pädagogische Zugänge, die anregen, den eigenen, häufig dominanten Diskursen folgenden Denkgewohnheiten auf die Spur zu kommen. Im günstigsten Fall kann mit den Mitteln der Irritation und Überraschung ein Aha-Effekt genau das Phänomen des eigenen Verhaftetseins mit dem vorherrschenden Denken heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit erkennbar werden lassen.2 Solche Zugänge irritieren insofern produktiv, als festgefahrene Denkweisen als solche bewusst werden und neue Perspektiven auf die Welt entstehen können. Auch hier kommt eine postheteronormative Perspektive zum Tragen. Zentral für diese ist es, Heteronormativität in einer Weise kritisch zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen, die diese nicht wiederholend aufruft, sondern an etwas über sie Hinausweisendes ansetzt. So kann Heteronormativität quasi zurückblickend bearbeitet werden, ohne konstitutiv für die Thematisierung zu sein. Insofern er die gesellschaftliche Ordnung nicht reprodu-

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Vgl. z.B. die Kurzfilme Finde den Fehler und Love Has No Labels in Kap. 3.3.

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ziert, sondern durchbricht, enthält ein solcher Zugang bereits selbst ein kritischdekonstruktives Moment. In der Lernforschung wird Erkenntnissen, die über Irritationen vermittelt werden, ein besonderes Lernpotenzial zugeschrieben (vgl. Siebert 2005: 90). Irritation stellt auch einen zentralen Aspekt dekonstruktiver Perspektiven dar und zielt hier auf eine öffnende Auseinandersetzung, die sich einem Entweder-oder, einem Positivieren und Verdinglichen von Existenz- und Lebensweisen widersetzt und den Raum zwischen Dualitäten erhellt. Dekonstruktive Perspektiven in der Pädagogik arbeiten daher nicht nur mit mehr als zwei geschlechtlichen Subjektpositionen im Sinne von Identitäten und öffnen damit den Raum des ‚Dazwischens‘. Sie zielen auch darauf ab, das Identitätsprinzip mit seiner essentialistisch-naturalistischen Grundierung von Differenz als Grundlage einer machtvollen und letztlich stets hierarchisierenden Normalisierung hinter sich zu lassen. Die konstitutive Abhängigkeit des Einen vom Anderen betonend greifen sie auf, wie hierarchisch angeordnete Gegensatzpaare – z.B. hetero/homo oder cis/trans* – in ihren Bedeutungen aufeinander verweisen und die Differenz des Anderen damit letztlich in sich selber tragen. Gleichzeitig gilt es dabei nicht aus dem Blick zu verlieren, dass Ambivalenz und Zweifel auf der Ebene geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen auch für cisgeschlechtlich und heterosexuell lebende Menschen existent sind. Es ist das dynamisierende Moment innerpsychischer wie intersektionaler Differenz, das nahelegt, Vielfalt in einer Weise enthierarchisierend zu bearbeiten, die nicht länger auf feststehende Identitäts- bzw. Differenzkategorien zurückgreift. 5.

Vielfalt anbieten: Unterschiedliche Erklärungsansätze zu geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen vermitteln & Geschichten präsentieren, die lebbar sind Beim Themenkomplex vielfältiger geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen soll es nicht nur darum gehen, wie verschieden Menschen leben, sondern auch darum, wie unterschiedlich Menschen sich selbst verstehen und die von ihnen gelebten Differenzen begreifen. Diese Orientierungslinie empfiehlt daher auch, eine Vielfalt an unterschiedlichen Identitätskonzepten und Selbstverständnissen aufzugreifen und diese der Zielgruppe angemessen zu vermitteln. Unseres Erachtens können Auseinandersetzungen darüber, wie Differenz und damit geschlechtliche und sexuelle Vielfalt entsteht und welche Erklärungsansätze dafür zirkulieren, sehr anregend sein. Denn während manche Menschen ein essentialistisch-naturalistisches Selbstverständnis vertreten und sich das eigene So-Sein dominanten Diskursen folgend über Biologie oder frühkindliche Prägung erklären, verstehen sich andere als über normative Vorgaben sozialisiert und diesen

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gegenüber zugleich als handlungsfähig. Während manche – essentialistischen Diskursen entsprechend – den Eindruck haben, ihre geschlechtliche oder sexuelle Identität nicht wählen zu können, geben andere – konstruktivistischen Diskursen entsprechend – an, hier durchaus über Gestaltungsräume zu verfügen. Hinzu kommen auch historisch und kulturell differierende Erklärungsmuster. Sie alle wirken auf komplexe Weise auf unser Selbstverständnis. Unseres Erachtens ist es sinnvoll, auch über diese Vielfalt aufzuklären. Kinder und Jugendliche haben ein Recht, über unterschiedliche Erklärungsansätze etwas zu erfahren. So können z.B. bei der pädagogischen Arbeit Lebensgeschichten und Interviewpartner_innen ausgewählt werden, die es ermöglichen, dass auch diese Vielfalt besprechbar wird. Weiter sollten lebbare Bilder zu und Geschichten über vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen angeboten werden, um sichtbar und erfahrbar zu machen, wer und was wir alle sein und wie wir leben können. Dabei braucht es mehr als Persönlichkeiten wie Schauspieler_innen oder Politiker_innen, die den jugendlichen Lebenswelten eher fern sind, oder Lebensgeschichten, in denen ein starker Fokus auf die Erzählung von Diskriminierungen gelegt ist. Sinnvoll erscheint es, Geschichten – aus dem eigenen Leben, dem Bekanntenkreis oder der Literatur – anzubieten, die alltäglich sind und lebbar in dem Sinne, dass sie eine gewisse Attraktivität haben und Herausforderungen umfassen, die zu bewältigen sind. „Use (your) stories!“ kann heißen, nach Geschichten und Konstellationen zu suchen und in eine erzählbare Form zu bringen, die nicht-heteronormative Anteile wie vermeintliche Inkongruenzen und Vielfältigkeiten beinhalten. Eventuell erscheinen aktuelle Begehrensweisen dabei als potenziell temporär oder es existieren verschiedene Geschlechterkonzepte nebeneinander, die gesellschaftlich eher als widersprüchlich definiert werden. Es kann überlegt werden, unter welchen Bedingungen fluideres Begehren oder eine Verbreiterung des geschlechtlichen Handlungsspektrums möglich wäre. Eigene Erfahrungen können mit den Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen verknüpft werden, z.B. wenn es um verweigerte oder erfolgte Anerkennung z.B. von eigenen Ideen, Vorschlägen oder auch Meinungen durch Freund_innen und Peers geht. Hinsichtlich der Positionierungen der Kinder und Jugendlichen können die dahinterliegenden Geschichten erfragt und diese als Äußerungen in einem gesellschaftlichen Funktionszusammenhang gelesen werden. Die darin aufscheinenden Differenzen lassen sich unterschiedlich adressieren: Entweder sie werden erst einmal nachvollzogen oder es wird nach Möglichkeiten für Perspektivwechsel und Integration von Widersprüchlichkeiten gesucht oder sie werden in gesellschaftliche Rahmungen eingebettet und als Teil von Ungleichheitsverhältnissen hinterfragt.

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Partizipation ermöglichen: Themenbezogen Gelegenheiten zum Mitentscheiden, Mitgestalten bieten & sinnliche und spielerische Zugänge zu vielfältigen geschlechtlichen und sexuellen Lebensweisen initiieren Wenn Museen und andere Bildungseinrichtungen ihrer Aufgabe, „im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung“ (ICOM Deutschland 2010: 29) zu wirken, gerecht werden möchten, so müssen sie sich auch für eine Einbeziehung ihres Publikums bzw. bei der Ansprache von vielfältigen gesellschaftlichen Gruppen bzw. Communities engagieren. Sie sollten dann ihre Ausstellungen und Vermittlungsprogramme so gestalten, dass sie solche Gruppen, und zwar auch und gerade jene, die als Minderheiten gelten, aktiv an Fachdebatten beteiligen und ihnen im Sinne von Menschenrechten und Demokratie eine Plattform bieten. Das heißt auch z.B. LGBTIQ+-Gruppen mit ihren Perspektiven aktiv einzubeziehen sowie eine heteronormativitätskritische (Neu-)Interpretation von historischen Gegenständen, Dokumenten bzw. von damit zusammenhängenden Sinngehalten und Geschichten vorzunehmen. Beim Mitentscheiden und Mitgestalten können Partizipierende ihren tatsächlichen – und nicht den ihnen unterstellten – Interessen nachgehen und diese in Ausstellungen oder Programmangeboten deutlich machen. Bei den meisten Themen in Museen bietet sich die damit verbundene Perspektivenerweiterung an. Dazu muss weder die Teilhabe der Gruppen noch die heteronormativitätskritische Perspektive in Form eines Sonderthema oder einer Sonderausstellung kommuniziert werden. Beides ist vielmehr, wo immer es sinnvoll ist, explizit in die Ausstellungs- und Vermittlungsarbeit zu integrieren. Dass sinnliche und spielerische Zugänge Lernprozesse anregen können, ist in der Pädagogik und der Psychologie allseits bekannt. In einer Umgebung mit vielen sinnlich erfahrbaren Objekten werden Nahsinne eingesetzt, spezifische Gehirnareale angeregt und zusätzliche Erinnerungsspuren gebahnt. Lassen sich diese in einen für die Teilnehmenden relevanten Kontext einbetten und mit spannenden Ereignissen verbinden, so wird Lernen wahrscheinlicher (vgl. Weidenmann 2008: 103). Eine Information wird unter anderem „umso besser behalten, […] je mehr und je unterschiedlichere Operationen mit ihr ausgeführt werden“ (Weidenmann 2006: 438). Museen bieten aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Objekte (Originale, Nachbildungen, didaktische Materialien, Alltagsgegenstände, Kunstobjekte, Medien etc.) ein optimales Umfeld für eine Pädagogik der Dinge (vgl. Stieve 2008; Nohl 2011). Gleiches gilt für den spielerischen Zugang. Rollenspiele, szenische Spiele oder Elemente des Konfrontationstheaters können – wenn sie didaktisch gut vorbereitet und altersangemessen reflektiert werden – Empathie fördern und Vielseitigkeit im empowernden Sinne vermitteln und da-

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bei Beispiele aufzeigen, ohne zu „sensationalisieren“ (Levin 2012: 166) oder zu exotisieren. 7.

Für Selbstbezug sorgen: Pädagogisch geschützte Räume & Zeiten für persönliche Zugänge, eigene Erfahrungen und freie Ideen mit thematischem Bezug gestalten Auch und gerade unter den Bedingungen der Kurzzeitpädagogik braucht es Raum zum Lernen, d.h. einen Raum zum Erkunden, zum Austesten, zum FehlerMachen. Es braucht einen Raum, in dem offen gesprochen werden kann, also ein Kommunikationsraum für einen diskriminierungssensiblen Austausch. Zugleich braucht es einen Raum mit Schutz vor Diskriminierung und Fremdzuschreibungen, in dem das Sich-Reflektieren möglich ist, ohne zu viel von sich ‚öffentlich‘ preisgeben zu müssen. Dafür ist ausreichend Zeit einzuplanen und eine Aufteilung in Kleingruppen hilfreich. Werden vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in den von den Bildungseinrichtungen Museum und Schule behandelten „universellen Themen wie Liebe, Begehren, Familie und so weiter“ (Sandell 2012: 205) aufgegriffen, bietet auch dies Anschlüsse an die Sinn- und Alltagswelt der Teilnehmenden. Den Lernort diskriminierungssensibel zu gestalten, ist bei einer expliziten selbstbezüglichen Reflexion besonders wichtig. Sinnvoll kann es sein, Methoden auszuwählen, die Teilnehmenden verschiedene Optionen bieten, sich auszudrücken oder mitzuteilen. Eine Möglichkeit ist, dass Pädagog_innen in von ihnen moderierten Gruppengesprächen anonymisiert geäußerte Fragen und Positionierungen der Teilnehmenden einbringen. Dabei tragen sie die Verantwortung, auch in Kontroversen für einen wertschätzenden Umgang zu sorgen. 8.

‚Differenzen_können‘: Prozesse des doing difference reflektieren & Konstruktionsmechanismen zum Gegenstand der pädagogischen Auseinandersetzung machen Der Begriff ‚Differenzen_können‘ meint sowohl die Kompetenz, Differenzen zu erkennen, sie und sich ins Verhältnis zu setzen und einen produktiven Umgang damit zu finden, als auch ein pädagogisches Können. Der Begriff lässt sich also als Verb wie auch als Substantiv verwenden. Der wichtigste Bestandteil ist dabei, Prozesse des doing difference zu reflektieren. Damit meinen wir dreierlei: Es bedeutet zum Ersten, sensibel zu sein für Homogenisierungsprozesse, sowohl für die eigenen als auch die in der Zielgruppe. Eigene Homogenisierungen können so aussehen, dass ich z.B. die Zielgruppe mit ihren Erfahrungsdimensionen als mir fremd erlebe und daher die Unterschiedlichkeiten innerhalb der Gruppe übersehe. Homogenisierungstendenzen der Zielgruppe können z.B. hin-

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sichtlich Selbstethnisierungen und anderen Zugehörigkeitsbekundungen auftreten, in deren Namen anti-queere Positionierungen vorgenommen werden. Für einen professionellen Umgang damit geht es darum, diese Homogenisierungen wahrzunehmen und ihre Funktion für die Konstruktion gesellschaftlicher Wir/Ihr-Verhältnisse zu reflektieren. Dazu gehört, heteronormativitätskritische Bildungsarbeit von Anfang an intersektional und aus der Perspektive der Migrationsgesellschaft zu denken, um sowohl die Vielschichtigkeit von Erfahrungsund Ungleichheitsdimensionen als auch ihre Überlagerung und gegenseitige Verdeckung in den Blick zu bekommen. So kann in einer Situation beispielsweise eine kulturalisierte Differenz in den Vordergrund und ihre Verknüpfung mit Geschlecht dadurch aus dem Sichtfeld rücken. Auf der Ebene der eigenen Handlungsorientierung sollte zudem der Blick auf das Bedürfnis nach Harmonie und Gemeinsamkeiten gerichtet werden, welches zuweilen Homogenisierungstendenzen verstärkt: Fokussiere ich mich auf Gemeinsamkeiten oder bestehe ich auf grundsätzlichem Anderssein? Und wie strukturiert die jeweilige Entscheidung mein Handeln? Will ich Eintracht herstellen oder Unterschiedlichkeiten betonen? Welchen Zugehörigkeitsmerkmalen lasse ich Wertschätzung zukommen, welchen nicht? Adressiere ich vor allem Diskriminierungsverhältnisse oder finde ich auch empowernde und ermöglichende Zugänge und unterlaufe Reduzierungen auf ‚Betroffenheit‘? Zum Zweiten haben wir den Ansatz der Widerspruchstoleranz (Ambiguitätstoleranz), der auf die Psychoanalytikerin Else Frenkel-Brunswik (1949) zurückgeht, aus der Bildungsarbeit gegen Antisemitismus (vgl. KIgA 2013) auf unser Feld übertragen. Widerspruchstoleranz als Ziel von Bildungsarbeit umfasst zweierlei: einerseits Ungewissheiten, Uneindeutigkeiten, Widersprüchlichkeiten, unterschiedliche Erwartungen wahrzunehmen, zu erkennen und auszuhalten, andererseits mit diesen Dingen auch pädagogisch umgehen zu können. Zugleich erfordert Widerspruchstoleranz eine diesbezügliche Selbstreflexionskompetenz. Reflexionsfragen wären z.B.: Wie viel Unterschiedlichkeit halte ich aus, wo stolpere ich darüber? Machen bestimmte Unterschiede mich eher ängstlich oder eher neugierig? Hat meine Angst etwas mit fehlendem Wissen und fehlender Erfahrung zu tun? Zum Dritten geht es in dieser Orientierungslinie darum, heteronormative doing-difference-Prozesse auf der Ebene von Erwartungen zu entschlüsseln. Wenn verengende geschlechtliche und sexuelle Anrufungen von Kindern oder Jugendlichen getätigt werden, bietet sich die Chance, diese zu unterlaufen, d.h. heteronormative Rahmungen aufzubrechen oder zu verschieben. Eine solche verengende Anrufung kann z.B. auf der Ebene eines heterosexuellen Flirtangebots stattfinden, mit dem Teilnehmende die Grenzen ihres Handlungsspielraums

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austesten. Es kann sich aber auch als Aufforderung zu männlicher Komplizenschaft bzw. ‚Männerbündelei‘ darstellen, z.B. wenn ein Junge den männlichen Pädagogen zu autoritär-strukturierendem Handeln herausfordert bzw. sich als Unterstützung darin anbietet. Hier geht es darum herauszufinden, ob dies ein Beziehungsangebot darstellt, dem ein Wunsch nach persönlichem Kontakt und Anerkennung zugrunde liegt, oder sich die Absicht dahinter verbirgt, an der Machtposition der männliche Autoritätsperson teilzuhaben, um die eigene Position aufzuwerten. Hier ist ein fachlicher Austausch wichtig, um Unterscheidungen und Überschneidungen identifizieren zu können und geeignete Interventionen zu entwickeln, die ohne eine Beschämung des Gegenübers die instrumentelle Rahmung sichtbar macht. Um solch einer Rahmung auf die Spur zu kommen, ist es hilfreich darüber nachzudenken, in welchem Funktionszusammenhang sie steht und auf welche Differenzverhältnisse rekurriert wird. Für eine geeignete Intervention ist die Betrachtung der Produktion von Differenz hilfreich: Machtkritische Denker_innen wie Michel Foucault, Jacques Derrida, Audre Lorde oder Judith Butler haben gezeigt, dass im Auseinanderfalten von Konstruktionsmechanismen das Potenzial liegt, deren Wirkkraft zu stören. Dieser Überlegung folgend, will diese Orientierungslinie auch dazu anregen, adressat_innengerecht Herstellungsprozesse von Geschlecht, Sexualität, Lebensformen und anderen Differenzverhältnissen zu erörtern. Wird die Aufmerksamkeit der pädagogischen Adressat_innen auf den konstruierten Charakter von Identitäten in Differenz- bzw. Ungleichheitsverhältnissen gerichtet, so ist damit intendiert, den Eindruck von Natürlichkeit und Normalität zu hinterfragen. Dies mag einen Weg ebnen, der Abstand nimmt von einem Affirmieren angebotener Identitäten und Wir/Ihr-Positionierungen und der zum Verflüssigen deren Grenzen beiträgt. Um Differenzverhältnisse und ihre Konstruktionsmechanismen zum Gegenstand von Selbstreflexion und pädagogischer Ausendersetzung zu machen, erweist sich auch das Motto der ersten Werkschaustation von All Included! als ein anregender Merksatz: „Let’s think outside the box(es)!“

8. Praxisforschung aus der Sicht der Beforschten – Das letzte Wort Ellen Roters

Das Jugend Museum wurde 1995 als integraler Teil des regionalhistorischen Schöneberg Museums in Berlin gegründet. Erste Projekte und Ausstellungen zu gesellschaftsrelevanten Fragen wie Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung als Resonanz auf die Anschläge in Rostock, Hoyerswerda und Solingen sollten den Grundstein für das Selbstverständnis des Jugend Museums legen – ein Selbstverständnis, das auf der Zielsetzung beruht, jungen Menschen über die Auseinandersetzung mit Geschichte ein Verständnis von sich selbst als aktivem Teil der Gesellschaft zu vermitteln und sie zu ermutigen, Respekt gegenüber Menschen, Dingen und sich selbst zu entwickeln oder zu stärken. Durch partizipative Projekte, interaktive Ausstellungen und Veranstaltungen ist ein lebendiger Ort entstanden, an dem sich Kinder und Jugendliche mit historischen und aktuellen gesellschaftspolitischen Themen auseinandersetzen und in einer vorurteilsbewussten Atmosphäre mit ästhetisch-künstlerischen Zugangsweisen eigene Positionen und Haltungen dazu zum Ausdruck bringen. ‚Kulturelle Bildung‘ war in den Anfangsjahren des Jugend Museums noch kein verbreiteter Begriff und das Museumsteam war stets an einer Reflexion der Ausstellungs- und Projektarbeit mit Expert_innen anderer Felder der politischhistorischen Arbeit und der ästhetischen Bildung sowie der Weitergabe erprobter Impulse und Formate interessiert. Es ist seitdem bemüht, Augen und Ohren offenzuhalten für neue und ungewöhnliche Inhalte, Herangehensweisen und Zugänge. In diesem Sinne wurde für das 2015 gestartete Modellprojekt ‚All Included! Museum und Schule gemeinsam für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt‘ schon zu Beginn der Projektentwicklung nach Fachkolleg_innen aus unterschiedlichen Disziplinen gesucht, die bereit wären, während der Projektlaufzeit von insgesamt fünf Jahren in einen fachlichen und methodischen Austausch zu

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treten. Für ein unterstützendes Netzwerk konnten so Lehrkräfte, zivilgesellschaftliche Akteur_innen mit Expertise im Bereich der Bildung und Pädagogik zu vielfältigen Lebensweisen sowie Fachkräfte aus der universitären Forschung an der Schnittstelle von Pädagogik und Museologie gewonnen werden. Die Etablierung des flankierenden Forschungsprojekts VieL*Bar schon in den ersten Monaten von All Included! ist für die Umsetzung des Modellprojekts selbst und für das Jugend Museum überhaupt als Glücksfall zu bezeichnen: Dem Projekt-Team des Jugend Museums bot sich hiermit die Möglichkeit, in einen intensiven Austausch mit Fachkräften aus der Wissenschaft und aus der pädagogischen Praxis zu gehen, also mit Partner_innen, die sich zum Teil seit Jahren mit der Erforschung und pädagogischen Vermittlung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt sowie zu partizipativen Herangehensweisen im musealen Bereich befasst hatten. Die Projektarbeit von Fachpersonen aus dem Gebiet studieren und analysieren zu lassen, bot die einzigartige Chance, eigene Haltungen und Handlungsansätze zu hinterfragen, im nächsten Schritt daraus zu lernen und das eigene professionelle Handeln weiterzuentwickeln. Gerade das stellte insbesondere für das durchführende pädagogische und kuratorische Team von All Included! aber auch eine Herausforderung dar: Auf der einen Seite geht die Entwicklung eines Modellprojektes zwangsläufig damit einher, innovative Ideen zu kreieren und unerprobte Formate auszuloten – kurz: etwas Neues zu wagen. Das fachlich und didaktisch gut ausgebildete interdisziplinäre Team war und ist somit beständig gefordert, die eigene Expertise auszuweiten und sich in unbekannte Bereiche zu begeben. Auf der anderen Seite erforderte das gemeinsame Anliegen, aus der Projektarbeit möglichst tiefgreifende Erkenntnisse zu generieren, unmittelbare Einblicke des Teams von VieL*Bar in die Abläufe des Projektes. So wurde die Projektentwicklung und -umsetzung schon in den ‚zarten Anfängen‘ zum Forschungsfeld, das von externen – im Team zum Teil als fachlich ‚überlegen‘ wahrgenommenen – Expert_innen genauestens analysiert wurde. Dies war für das Team des Jugend Museums eine ungewohnte, gleichermaßen spannende wie spannungsreiche Situation. Dass die Zusammenarbeit von VieL*Bar und dem Museum in diesem Spannungsfeld so außerordentlich gut gelungen ist, hat nach meiner Einschätzung folgende grundlegende Ursachen: • Eine große Wertschätzung des jeweiligen Gegenübers und das Vermögen, dies

glaubhaft zum Ausdruck zu bringen. • Die ehrliche Motivation, gemeinsam Fallstricke und Knackpunkte in der Pro-

jektarbeit aufzudecken, daraus zu lernen und die entsprechenden Erkenntnisse wiederum anderen zur Verfügung zu stellen, um kontinuierlich das professionelle Handeln zu verbessern.

Praxisforschung aus der Sicht der Beforschten | 195

• Die Fähigkeit und das Vertrauen, Irritationen, Fragen und Kritik offen zu äu-

ßern (auf der einen) und damit aktiv umzugehen (auf der anderen Seite). Die mehr als zweijährige enge Zusammenarbeit mit VieL*Bar war für das Projekt All Included! und das damit betraute Team in vielerlei Hinsicht weiterführend und hat entscheidenden Einfluss auf Inhalte und Ausrichtung des Modellprojektes genommen. Für diese außerordentlich fruchtbare Zusammenarbeit sei dem Team von VieL*Bar und an dieser Stelle auch dem Team von All Included!, das die Herausforderung mit großer Bereitschaft und Offenheit angenommen hat, herzlich gedankt!

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Transkriptionsregeln

(.) (4) . , ? = / //Nämlich?// Fettdruck [lacht]

sehr kurze Pause Länge einer Pause in Sekunden sinkende Intonation schwach sinkende Intonation fragende Intonation Wortverschleifung (oft bei schnellem Sprechen) Satz- oder Wortabbrüche. Einwurf, Überlappung Betonung parasprachliche Äußerung

Museum Ann Davis, Kerstin Smeds (eds.)

Visiting the Visitor An Enquiry Into the Visitor Business in Museums 2016, 250 p., pb., numerous ill. 39,99 € (DE), 978-3-8376-3289-7 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3289-1

Bernadette Collenberg-Plotnikov (Hg.)

Das Museum als Provokation der Philosophie Beiträge zu einer aktuellen Debatte Januar 2018, 286 S., kart., zahlr. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4060-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4060-5

Andrea Kramper

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Museum NÖKU-Gruppe, Susanne Wolfram (Hg.)

Kulturvermittlung heute Internationale Perspektiven 2017, 222 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3875-2 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3875-6

Carmen Mörsch, Angeli Sachs, Thomas Sieber (Hg.)

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Robert Gander, Andreas Rudigier, Bruno Winkler (Hg.)

Museum und Gegenwart Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel 2015, 176 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3335-1 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3335-5

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