Henriette Feuerbach: Stille und Grösse einer Frau [1 ed.]
 9783896447975, 9783896730244

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Henriette Feuerbach Stille und Größe einer Frau

Bildnachweis: Bild 1

Henriette Feuerbach, Gemälde von Anselm Feuerbach, 1867, Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin Bild 2

Henriette Feuerbach, Gemälde von Anselm Feuerbach, 1878, Archiv für Kunst und Geschichte, Berlin Bild 3

Friedrich Anselm Feuerbach, Gemälde von Anselm Feuerbach, 1846, Privatbesitz Bild 4

Anselm Feuerbach, Selbstbildnis, 1878, Bilderdienst Süddeutscher Verlag

Für die Überarbeitung des Manuskriptes danken wir Herrn Christian Wurr. Für die Unterstützung bei der Datensuche danken wir Herrn Dr. Schimpf, Speyer.

Harald Neumann

Henriette Feuerbach Stille und Größe einer Frau

Verlag Wissenschaft & Praxis

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Neumann, Harald: Henriette Feuerbach : Stille und Größe einer Frau. / Harald Neumann. - Sternenfels ; Berlin : Verl. Wiss, und Praxis, 1997 ISBN 3-89673-024-X

ISBN 3-89673-024-X

© Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 1997 Nußbaumweg 6, D-75447 Sternenfels Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094

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Printed in Germany

Inhalt Einleitung

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Die Familien Heydenreich und Feuerbach

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Henriette Feuerbachs Elternhaus

9

Der Kriminalist Anselm Feuerbach

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Weitere Mitglieder der Familie Feuerbach

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Drei Lebensphasen der Henriette Feuerbach

21

Das freudlose Dasein mit dem Archäologen Anselm Feuerbach

21

Die Sorge um den Sohn Anselm nach dem Tod des Ehemannes

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Henriette Feuerbachs Aufopferung für den Nachruhm des Malers

56

Aspekte der Persönlichkeit Henriette Feuerbachs

61

Dimensionen ihrer Geisteswelt

63

Die stilistische Meisterin Henriette Feuerbach

67

Psychiatrische Einschätzung der Ursachen Feuerbachschen Leidens

72

Kurzer Blick auf die A nfänge der Psychiatrie

73

Versuch einer Diagnose der psychischen Auffälligkeiten der Feuerbachs

74

Anmerkungen

99

5

1851



;

•*



;

_____ ;

-

------------------

Amalie Keerl i m c icin

1798

Anselm Feuerbach Archäologe

-

1834

-

1880

**

*• *

1829

-

1843

1

1804 -

1872

Ludwig Feuerbach Philosoph

m 1- n Eheschließung 1834

------------------

1827 - 1873

Emilie Feuerbach

________

1803

Eduard Feuerbach Jurist

" ......................................................

Anselm Feuerbach __ Maler

________

1800

Karl Feuerbach Mathematiker

1833

-

1754

-

1892

-

1798

-

1857

J

1800 - 1865

Christian Heydenreich Amtsrichter

________ ___

Friederike Christine Freudei

------------------

Wilhelm Heydenreich Arzt

1814

_

-----------------Johann A.

Henriette Heydenreich 1812

1885

-

1883

1813 -

1809

1808 - 1888

Familie Heydenreich

1880

Elise

Feuerbach

Leonore Feuerbach

Magdalene Feuerbach

Heydenreich _ _ Pfarrer

1806

Friedrich Feuerbach Indologe

1774 - 1852

-

1775

Eva

Wilhelmine Tröster

Anselm Feuerbach Kriminalist

Familie Feuerbach

Einleitung Bringt man heute in ein Gespräch den Namen Feuer­ bach ein, so ist man erstaunt, wie unterschiedlich die Antworten ausfallen: wer das humanistische Gymnasi­ um besuchte, denkt an den Maler Anselm Feuerbach mit seiner Iphigenie, das „Land der Griechen mit der Seele suchend“, einem Land der irdischen Vollkom­ menheit - auch wenn man nach der Schule doch nach und nach erfährt, daß diese Griechen keineswegs so friedlich und so urdemokratisch gewesen sein können; denn 6 000 wahlberechtigten Athenern standen 60 000 rechtlose Sklaven zur Verfügung, und selbst ein Phidias galt ihnen nur als ein schlichter Handwerker. Somit war der Maler Anselm Feuerbach letztlich nur ein Klassizist geworden, wirkend im Abendrot einer untergehenden Epoche, hier nochmals das Bild der „edlen Einfalt und stillen Größe“ malend.

Doch welcher in humanistischen Gedankengängen auf­ gewachsene junge Mensch hat sich nicht von seiner „Iphigenie“, einem der erhabensten Bilder, ergreifen und bezaubern lassen? Trotz späterer Kenntnisse über die Fragwürdigkeit des klassischen Griechenbildes: steht man in Darmstadt vor diesem Bild, so fragt man sich, wie man sehnsuchtsvolles Verlangen hätte vollkomme­ ner malen können. Mischt sich nun in ein solches Gespräch ein Jurist ein, dann denkt dieser zuerst an den Juristen Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach, der die psychologische Zwangs- und Abschreckungstheorie im Rechtswesen entwarf und auch im bayrischen Strafrecht einführte. Er forderte die strenge, gesetzliche Bindung des Richters an das Gesetz, formulierte scharfe dogmatische Begriffe und brachte nicht zuletzt psychologische Einsichten 7

ein. Jedoch findet sich im Gesetzbuch von Feuerbach kein Passus betreffs einer verminderten Schuldfähigkeit; ganz im Gegenteil, Feuerbach hat sich in heftigen Wor­ ten gegen Arzte mit psychiatrischer Tendenz gewehrt, die doch nur den Übeltäter vor der gerechten Strafe schützen wollten. Allerdings hatten schon damals kluge Richter unbemerkt diesen Passus eingeschoben.

Vor allem fällt vielen Menschen bei dem Juristen Ritter von Feuerbach sein Werk „Merkwürdiges Verbrechen“ ein. Jeden Badener berührt auch seine Abhandlung über das Findelkind von Ansbach, das der Jurist von Feuer­ bach in seinem Buch: „Aktenmäßige Darstellungen merkwürdiger Verbrechen bzw. Verbrechen am Seelen­ leben eines Menschen“ schildert.1

Tritt nun ein Politiker in den Gesprächskreis ein, so wird er bei dem Namen Feuerbach vor allem an den materialistischen Philosophen Ludwig Feuerbach den­ ken (1804 - 1872), der das Wirkliche nicht im absoluten Geist suchte, wie sein Lehrer Hegel, sondern in den körperlichen Empfindungen fand. Gott sei aus dem Bedürfnis des Menschen abgeleitet, mehr jedoch nicht dies war die Hauptthese in seinem bedeutendsten Werk: „Das Wesen des Christentums“ (1841). Er war der gei­ stige Ziehvater anderer Sozialisten, z. B. von Engels.

Bei einer solchen Unterredung wird sich jedoch kaum jemand an Henriette Feuerbach erinnern; vielleicht ahnt man dunkel, sie habe mit dem Buch „Das Ver­ mächtnis“ des Malers Anselm zu tun.

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Die Familien Heydenreich und Feuerbach Henriette Feuerbachs Elternhaus

Wer war nun diese Henriette Feuerbach? Sie kam am 13. August 1812 in dem kleinen Dorf Ermetzhofen bei Steinach in Franken als Tochter des Pfarrers Johann Alexander Heydenreich zur Welt. In der Familie Heydenreich hatte es schon in mehreren Generationen Geistliche der evangelischen Kirche gege­ ben. Henriette Feuerbach stand um eine Reihe von Jahren hinter den Brüdern Wilhelm (1798 - 1857) und Christian (1800 - 1865) zurück, ihr Vater starb mit 60 Jahren, zwei Jahre nach ihrer Geburt. Ihre Mutter stammte aus der hochangesehenen Ansbacher Familie Freudei; ihr Bruder war der vielgenannte Erlanger Uni­ versitätskurator. Sie mußte unter dem Druck der sehr bescheidenen fi­ nanziellen Verhältnisse in die Heimatstadt Ansbach zu­ rückkehren, zumal das Universitätsstudium der beiden Söhne bevorstand. Das Verhältnis der Henriette zu ihrer Mutter war etwas eigenartig. Sie schrieb nach dem Tode des Bruders Wilhelm an dessen Witwe, sie besitze von ihrer Mutter Briefe aus einem Zeitraum von 3 Jah2 ren. In einem Brief vom Ostersonntag 1840 an den Bruder Christian teilt sie mit, sie habe an den stillen Feiertagen eine unendliche Sehnsucht nach der Mutter. Sie schreibt am 1. April 1841, ebenfalls an den Bruder Christian, von ihrer verklärten Mutter.3 Dennoch findet man in ihren vielen Briefen keinen Hinweis eines persönlichen Gefühls für ihre Mutter. Mehr berichtet sie von ihrem Vater, der ihr durch die Erzählungen ihrer Brüder näherkam.

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Mit den beiden Brüdern verband sie ein inniges Ver­ hältnis, sie lernte mit ihnen Latein und Griechisch von einem regelrechten Schulbesuch ist nirgends die Rede. Der älteste Bruder Wilhelm ließ sie an seinen naturwissenschaftlichen Problemen teilhaben, sie schau­ te auch bei seinen Experimenten zu.

Noch stärker fühlte sie sich mit dem jüngeren Bruder Christian verbunden, vor allem weil dieser musikalisch begabt war, und Henriette Feuerbach um die eigene hohe musikalische Begabung wußte. Mit einer gewissen Verbitterung schrieb sie als 76jährige Frau an ihren Neffen, ihr Musiktalent sei „größer und tiefer als das der Frau Schumann“ gewesen - sie hatte Clara Schu­ mann gekannt, die sich einmal lobend über die Kompo­ sitionen des Bruders Christian Heydenreich geäußert hatte. In diesem Osterbrief heißt es weiter, sie hätte auch das Zeug zu manchem Guten gehabt, was ihr und den Ihrigen hätte nützen können. Jedoch: „Ich war ein dummes Kind und wußte nichts. Niemand hat mir gera­ ten, niemand geholfen und in dem wilden Strudel der Feuerbachschen Familie bin ich untergegangen“4. Beide Brüder waren nach den Zeugnissen der Henriette Feuerbach resigniert oder auch verbittert, vor allem der jüngere Bruder Christian, da sie am Ende ihres Lebens eingestehen mußten, ihren Lebenssinn nicht erfüllt zu haben. Der ältere, Wilhelm Heydenreich wurde Arzt, bildete sich zuletzt in den großen Kliniken in Berlin aus, doch waren keine Mittel vorhanden, um die Universitäts­ laufbahn einzuschlagen und die einkommenslose Zeit eines Privatdozenten zu überbrücken. Wahrscheinlich war er zwar hochgebildet, jedoch zu dünnhäutig. So schreibt die Schwester: „Unendlich fein und tieffüh­ lend, leicht verletzlich und zur Melancholie geneigt“5

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sei er gewesen. Im engen Wirkungskreis eines prakti­ schen Arztes starb er 1857 in Ansbach. Diesen Wilhelm Friedrich Heydenreich findet man im „Biographischen Lexikon der hervorragenden Arzte aller Zeiten und Völker“, wo seine zahlreichen Veröffentlichungen auf­ geführt sind. Einen Nachruf verfaßte sein Freund, der Philosoph Ludwig Feuerbach; er setzte dem „rastlosen Arbeiter im Dienste der leidenden Menschheit und Wissenschaft ein kleines Denkmal“6. Der Arzt Heyden­ reich soll dem Philosophen die grundlegenden natur­ wissenschaftlichen Begriffe und Kenntnisse vermittelt haben.7 Der lebhaftere, vor allem musikalisch begabte Christian fühlte sich zwar zum Kapellmeister und Komponisten berufen, doch war „in seinen Jünglingsjahren der Keim schon abgestickt“. Ob allerdings die Auffassung von Henriette Feuerbach zutrifft, daß ihr Bruder Christian „in Kraft der Erfindung das bedeutendste Talent nach Mozart und Beethoven“8 gewesen sei, muß doch offen bleiben. Aber er habe die notwendigen Schritte für eine etwaige künstlerische Ausbildung nicht gehen können, denn „im Drang der schöpferischen Jugend“ wisse man selbst nicht um diese Notwendigkeit, dazu müsse man Rat und Hilfe haben, die jedoch fehlten. „Unsere Mut­ ter hatte ihr ganzes Leben auf dem Dorf gelebt, sie kannte und wußte von all’ dem nichts.“ Nachdem er den Beruf erwählt und geheiratet hatte, „da war es vor­ bei“. Christian Heydenreich amtierte lange als Amts­ richter in Pfaffenhofen/Niederbayern, zuletzt kam er als Landrichter nach Kronach und ist dort verstorben.9

Beide Brüder seien wegen ihres Charakters und ihrer umfassenden Bildung hoch geachtet und angesehen gewesen, doch in einem allzu kleinen Wirkungskreis gebannt geblieben. Henriettes Brüder waren mit den

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gleichaltrigen Söhnen des „verrückten“ Kriminalisten und Präsidenten Anselm Feuerbach (1775 - 1833) be­ freundet. Sie selbst verband mit der jüngsten Tochter Elise Feuerbach (1813 - 1893) eine lebenslange Freund­ schaft.

Der Kriminalist Anselm Feuerbach

Der Kriminalist war ausgesprochen schöpferisch; er schrieb bereits mit 22 Jahren sein erstes Buch und veröf­ fentlichte zwischen seinem 25. und 30. Lebensjahr all­ jährlich ein wissenschaftliches Werk.

Dabei war ihm, wie aus einem Brief vom 23. März 1820 an den Sohn zu ersehen, die Jurisprudenz von frühester Jugend an „in der Seele zuwider“; Geschichte und Phi­ losophie habe er geliebt, doch dann seine spätere Frau kennengelernt und ein Fach gewählt das schneller als Philosophie zu Amt und Brot verhelfe, so habe er sich mit „raschem und festem Entschluß von der geliebten Philosophie zur abstoßenden Jurisprudenz“ gewandt.10

1813 gab er das „Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern“ heraus, das maßgebend für die Entwicklung des Strafrechtes in vielen europäischen Staaten wurde. Er war der Urheber des Grundsatzes: Nulla poena sine lege. Nur, was das Gesetz erfaßt, kann zur Bestrafung führen. Dadurch stellte er den Rechtsbrecher unter den Schutz des Gesetzes und entzog ihn der alten feudalen Willkürjustiz. Er lehrte als Professor für Rechtslehre in Jena, Kiel und Landshut, bevor Ludwig I. die Universität 1827 nach München verlegte, und war auch Geheimer Rat im königlichen Kabinett in München. Wegen seines, wie man sagte, „vulkanischen Temperaments“ recht ver­

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schrien, zeitweilig auch außergewöhnlich schwierig, schob man ihn später als Präsident der Appellations­ gerichte nach Bamberg ab. Er kam 1817 von dort nach Ansbach und hielt am 21. April 1817 bei der Übernah­ me des neuen Amtes eine Rede über die hohe Würde des Richterstandes; ihr Inhalt zeigte den Ansbachern in aller Deutlichkeit sowohl den Willen als auch das Tem­ perament ihres höchsten juristischen Beamten. Er hatte auch in jenen schweren Straffällen, wo der bayerische König möglicherweise von seinem Begnadigungsrecht Gebrauch machen konnte, nicht nur die juristischen, sondern vor allem auch die menschlichen Seiten der Übeltäter darzustellen, eine Aufgabe, der er durch seine vorzügliche Begabung, anderes Seelenleben zu erfassen und zu gestalten, gewachsen war. Seine „Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen“ (1828) erlebte bis in die Jetztzeit, wenn auch verkürzt, immer neue Auflagen. Noch heute bereitet es einen Genuß, den Fall des bayrischen Michael Kohlhaas (nämlich des Ludwig Steiner) zu lesen, der laut Anselm Feuerbach ein Mör­ der aus Rechthaberei und Rachsucht geworden war.

Am bekanntesten ist Feuerbach allerdings durch das Buch über ein Kind Europas, den eigenartigen Findling Kaspar Hauser geworden, als Beispiel für ein „Ver­ brechen am Seelenleben des Menschen“, so die Über­ schrift der ersten Ausgabe von 1832. Er starb am 29. Mai 1833 in Frankfurt/Main, wohin er zur Aussöhnung mit seiner Schwester gereist war. Der Schweizer Psychiater TheodorSpoerri (1924 - 1973) hat in „Genie und Krankheit“ überzeugend dargestellt, daß der Kriminalist Anselm Feuerbach an einer soge­ nannten Temperamentskrankheit litt, an manischdepressiven Störungen, die bei ihm in typischer Weise jahrzehntelang in den gegensätzlichen Erscheinungs­

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formen einer gesteigerten oder einer krankhaft trauri­ gen Verstimmung abliefen.11 Der Kriminalist Anselm Feuerbach, ein Mann von starker sinnlicher Kraft, hatte eine Wilhelmine Tröster geheiratet, die, ohne je selbst krank zu werden, aus einer mit Schizophrenie belaste­ ten Familie stammte. Ihre Großmutter war ein illegiti­ mes Kind des herzoglich-weimarischen Herrscher­ hauses, aus dem auch eine Linie zu dem später geistes­ kranken König Ludwig II. von Bayern (gest. 1886) und seinem ebenfalls geisteskranken Bruder Otto (gest. 1916) führte.

Während einer lange anhaltenden manisch-euphori­ schen Phase holte der Kriminalist eine Geliebte in sein Haus und zeugte mit ihr zwei Söhne, die als unauffällige Normalbürger lebten und starben. Mit seiner Ehefrau, die ihn zu seinem großen Verdruß wegen seiner Untragbarkeit auch einige Zeit mal verlas­ sen hatte, zeugte er 5 Söhne und 3 Töchter; die Töchter Leonore (1809 - 1885) und Elise Feuerbach (1813 - 1883) lebten als ledige, der Kunst aufgeschlossene Frauen in Nürnberg.

Weitere Mitglieder der Familie Feuerbach

Die 1808 geborene Tochter Magdalena („Helene“) Feu­ erbach heiratete später den Freiherrn von Dobensack, nachdem sie sich vorher Paganini aufgedrängt hatte, vor ihm jedoch entsetzt zurückwich, als er zu weiterem schreiten wollte.

Sie reiste viel durch das westliche Europa, ihre Schwä­ gerin Henriette fürchtete sich schon 1840 vor ihrem Besuch in Freiburg/Br. Sie versuchte sich auch, unter­ geschlupft bei ihren Schwestern in Nürnberg, als Schü­ 14

lerin eines Kupferstechers, kam dann später in das Bas­ ler Missionshaus, nachdem man, wie Henriette Feuer­ bach am 14. Juni 1847 an ihre Freundin Emma Herwegh schrieb, jahrelang nicht gewußt hatte, wo sie sich aufhielt. Sie warf sich dann einem Mönch in die Arme, wurde katholisch und Nonne. „Von der Neigung zur Schauspielerin ohne Talent kann man auch Nonne ohne Talent werden“, meinte Henriette Feuerbach in einem ausführlichen Brief vom 17.11.1847.12 Helene Feuerbach war allerdings vorher schon in der damaligen angesehenen Heil- und Pflegeanstalt Winnenthal (bei Winnenden/Württemberg) wegen einer schizophrenen Psychose behandelt worden, bzw. hospitalisiert gewe­ sen. Später irrte sie in Rom umher, ihr Neffe Anselm konnte oftmals ihre „Lamentationen“ nicht mehr ertra­ gen. Zuletzt vermochte er das Zeug nicht mehr zu hö­ ren und hat seine „Tante hinausgeschlossen“13. Sie lebte zuletzt in einem kleinen Zimmer in der Nähe der Peterskirche, wo ihr Leben 1888 erlosch.

Der zweite Sohn des Kriminalisten, der Mathematiker Karl (1800 - 1834) entdeckte als frühreifes Talent schon mit 22 Jahren den „Feuerbachkreis“, dessen Radius halb so groß ist wie der Umkreis des Dreiecks. Er galt poli­ tisch als Radikaler. Der Maler Anselm schreibt in „Vermächtnis“ über diesen, „auf tragische Weise früh untergegangenen Onkel“, er sei in den Jahren der Dem­ agogenverfolgung als staatsgefährlicher Mensch im wei­ ßen Turm in München eingekerkert gewesen, hier seien ihm zwei Selbstmordversuche mißglückt.14

Bei ihm scheint, wie bei manchem Hochbegabten, der subtile Reiz der anlaufenden schizophrenen Psychose eine schöpferische Produktion entfacht zu haben. Zu seiner später ebenfalls schizophren gewordenen Schwe­ ster Helene hatte der Bruder Karl einen Inzest, sie er­

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schien ihm, wie später bei Trakl, als Retterin, die ihn vor dem Abgrund bewahre. Nach dem zweiten schizo­ phrenen Schub wirkte er deutlich wesensverändert, nach dem dritten Schub lebte er noch sechs Jahre als Pflegefall. In den letzten Stunden seines Daseins soll sich sein Geist aufgehellt haben. Im „Vermächtnis“ meinte Henriette Feuerbach, Karl Feuerbach sei eine im höchsten Grade geniale Natur und hochbegabt in seinem Fach als Mathematiker ge­ wesen, doch der unglücklichen Demagogenverfolgung im Jahre 1824 zum Opfer gefallen. Nach den zwei Selbstmordversuchen aus dem Gefängnis in München befreit, habe man ihn zur Pflege in das befreundete Haus des Hofrates von Thiersch gegeben, doch sei er in eine unheilbare Geisteskrankheit verfallen und am 12. März 1824 in Erlangen verstorben.15

Eduard Feuerbach, der Jurist (1803 - 1843), verknöcherte früh und blieb einsam, freudlos und steif. In der Jugend hatte er eine Neigung zu fingierten Krankheiten. Später kamen zunehmend paranoide Ideen verschiedenen In­ halts hinzu, vor allem fühlte er sich von den Verwand­ ten des Kaspar Hauser verfolgt und steigerte sich in einen gewissen Verfolgungswahn. Er glaubte auch die Gabe der Prophetie zu haben. Nach einer Grippe soll er an Hirnhautentzündung verstorben sein. Henriette weiß zu berichten, Eduard habe seinen Bruder Ludwig in Bruckberg besucht und sei nach einer kaum zehn­ stündigen Erkrankung „dahingerafft“ worden.16 Der bekannteste Sohn des Kriminalisten wurde der dritte, der in Landshut geborene Philosoph Ludwig Feuerbach (1804 - 1872). Nach Theologiestudien in Heidelberg ließ er sich für Hegel gewinnen, ging 1824 nach Berlin, hörte ihn dort und verschrieb sich dann allein der Philosophie. Bald hatte er sich von Hegel

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abgesetzt, „diese rationelle Mystik“. Er suchte nicht wie Hegel das Wirkliche im absoluten Geist, sondern in der körperlichen Empfindung. Die schon durch „Das Le­ ben Jesu kritisch betrachtet“ des David Friedrich Strauß erschütterte historisch-theologische Religiosität hat Feuerbach auch psychologisch zu entwurzeln versucht. Er leitete Religion aus dem Wunschbedürfnis des Men­ schen ab. Somit war Religion für ihn ein Produkt des menschlichen Egoismus. Alle Züge Gottes sind Wie­ derholungen menschlicher Eigenschaften. „Der Mensch - dies ist das Geheimnis der Religion - vergegenständ­ licht sein Wesen und macht dann wieder sich zum Ge­ genstand dieses Vergegenständlichten, in ein Subjekt, eine Person verwandten Wesens.17 Die weltzugewandte Lebensführung des Vaters hatte dieser Sohn nicht mitbekommen. Von 1828 - 1832 hielt er Vorlesungen in Erlangen über Cartesius und Spinoza, über Logik und Metaphysik. In einer anonym erschie­ nenen Schrift („Gedanken über Tod und Unsterblich­ keit“) verneinte er die persönliche Unsterblichkeit. Da­ durch rief er die Anfeindungen der Theologen hervor und mußte seinen Lehrstuhl aufgeben. Anders als sein in guten Zeiten wortmächtiger Bruder, der Archäologe, wirkte der Philosoph in seinem Vortrag mühselig; er war unbeholfen in seiner Wortwahl. Seine Frau mußte Phasen einer reizbaren Verstimmung wie auch einer heftigen Rücksichtslosigkeit hinnehmen. Obwohl sich der Philosoph durch einen pedantisch eingeteilten Ta­ gesablauf eine gewisse seelische Hygiene schuf, äußerte er zeitweilig Verfolgungsideen. Seine Produktion ver­ sickerte in den letzten Jahren und seine stufenweise Entfremdung von der Wirklichkeit behinderte ihn be­ reits mit 56 Jahren, sich an seinen Alterssitz Rechenberg zu gewöhnen. - Richard Wagner widmete ihm „Das

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Kunstwerk der Zukunft“. Von der Grundidee des Phi­ losophen Feuerbach, Kern und Ziel jedes Philosophie­ rens sei allein der Mensch, ging Max Stirner in seinem Hauptwerk „Der Einzige und sein Eigentum“ (1845) aus. Von den radikalen Gedankengängen seines geisti­ gen Schülers Stirner distanzierte sich allerdings Feuer­ bach, auch wenn er ihre geistreiche und unbarmherzige Folgerichtigkeit anerkannte.

Die in ihrem Glauben feste, keineswegs schwärmerische Henriette Feuerbach hat „Das Wesen des Christen­ tums“ als im Inhalt erschreckend aufgefaßt: Ludwig Feuerbach stoße Gott von seinem Thron und setze sich selbst hinauf, d. h. „Gott existiert nicht, sondern ist nur eine Idee der Menschheit, der Gattung ... Die Idee der menschlichen Vollkommenheit ist unser Gott, folglich ist das Erscheinen Christi eine bloße Allegorie, eine Dichtung.18 Henriette wunderte sich nicht, daß er keine Anstellung mehr bekäme, denn dies schien ihr nun wirklich unmöglich. In der Tat waren auch die Bemü­ hungen um eine passende Stelle in der Schweiz und Frankreich, sogar in Griechenland für Ludwig Feuer­ bach völlig erfolglos, wenn er auch im Wintersemester 1835/36 seine Lehrtätigkeit in Erlangen wieder auf­ nahm. Er heiratete im November 1837 die Tochter des Inspektors der Porzellan-Fabrik in Bruckberg (bei Ans­ bach) und lebte von dem kleinen Vermögen, das seine Frau in die Fabrik gesteckt hatte, sowie den Erträgen einer Pension, die „alle unversorgten Feuerbachschen Kinder haben“, in sehr bescheidenen Verhältnissen. Mit treffsicheren Worten schilderte Henriette Feuerbach in einem Brief vom 14. Juni 1841 an den Bruder Christian Heydenreich das Leben dieses Ludwig Feuerbach: Seit Jahren sitze er „in dem Nestchen, von Gott und aller Welt geschieden, weil er am wohlfeilsten leben kann

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und in der Fabrik freie Wohnung hat. Keine Reise, kaum Zerstreuung.19 Engels hat später notiert, man müsse die befreiende Wirkung Feuerbachs erlebt haben, um sich davon eine Vorstellung machen zu können. Nach dem Bankrott der Porzellanfabrik 1854 geriet Ludwig Feuerbach in bedrängende Verhältnisse, mußte 1860 nach Rechen­ berg bei Nürnberg umziehen, konnte sich jedoch dort nicht eingewöhnen. Seine Armut wuchs und erst eine öffentliche Sammlung im Jahre 1871 nahm ihm seine Geldsorgen ab. Nach dem ersten Schlaganfall 1867 konnte er sich erholen, den zweiten überwand er nicht und starb am 13. September 1872 an einer Lungenläh­ mung. Wegen seines Charakters und seiner gewinnen­ den Güte bei Freunden und Bekannten beliebt, war er doch ausgesprochen weltfremd und unfähig, aus Erfah­ rungen zu lernen und das Minimum an lebensnotwen­ diger Anpassung aufzubringen. Unübersehbar waren zeitweilige Anflüge von Größenwahn. Hervorstechend für seine Schwägerin war, daß es unerquicklich war mit ihm zu leben, vor allem sei er in äußeren Dingen bis zur Krankheit unentschlossen gewesen.20 Seine Frau Berta scheint es nur wegen des Kindes bei ihm ausgehal­ ten zu haben, sie schrieb geradezu verzweifelte Briefe an Henriette Feuerbach.21 Die Tochter Eleonore Feuer­ bach, das in den Briefen mehrfach erwähnte Lorchen, blieb ledig und hütete das Erbe des Vaters.

Der jüngste Sohn Friedrich (1806 - 1880), der sogenannte Indologe, lebte als Junggeselle und geruhsamer, furcht­ samer Bürger in Nürnberg; ihm stand als Kind eines Geheimen Staatsrates in Bayern die kärgliche Pension von 30 Gulden zu, davon konnte er leben. In seinen kleinen Schriften wies er sich als trockener Nachbeter seines doch größeren Bruders Ludwig aus.

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Drei Lebensphasen der Henriette Feuerbach Das freudlose Dasein mit dem Archäologen Anselm Feuerbach Der älteste und in der Tat auch begabteste der 5 Söhne des Kriminalisten war der Archäologe Anselm Feuer­ bach (1798 - 1851). Trotz der nicht wenigen Versetzun­ gen des Vaters scheint die Erziehung des überdurch­ schnittlich begabten Jungen - dessen Sohn Anselm wie­ derum galt in der Schule in Freiburg als Wunderkind und war jahrelang der Primus der Klasse - nicht gelitten zu haben. Seine Neigungen galten der Musik - er spielte vorzüglich Klavier und Harfe - aber auch der Zeichen­ kunst. Die Natur liebte er, schon frühzeitig machte er eigene poetische Versuche. Jedoch mußte der empfind­ same und tief religiöse Student, ohne daß ein belasten­ des Ereignis vorausgegangen war, eine seelisch-geistige Krise hinnehmen, er hatte - wie man sagte - „Erschüt­ terungen wie auch innere Kämpfe“ durchstehen müs­ sen. Erst nach Monaten tastete er sich wieder ins Leben zurück, hier geführt von einer „engelsgleichen“ jungen Frau, der Amalie Keerl; sie holte ihn aus der „Zer­ rissenheit“ heraus. Ihr Vater war ein Kollege des Juri­ sten Anselm Feuerbach und wie dieser Appellations­ gerichtsrat in Ansbach.

Nach seiner 1825 glänzend bestandenen großen Staats­ prüfung kam der Archäologe Feuerbach 1825 nach Speyer/Rhein und wirkte dort als „begeisterter und be­ geisternder Lehrer“ für Latein und Griechisch bis 1836 am Königlich-Bayrischen Gymnasium. Er heiratete am 2.10.1826 Amalie Keerl (1805 - 1830), eine aus einer an Akademikern und Künstlern reichen Familie stammen­ de zarte Frau, belastet aber auch mit der familiären 21

Neigung zu schweren Depressionen, vielleicht aber auch zur Schizophrenie. Der junge Ehemann schrieb am 2. Oktober 1826 an seinen väterlichen Freund und ehemaligen Lehrer Friedrich Thiersch nach München, er sei „unaussprechlich glücklich“ verheiratet, seine Gesundheit habe sich auffallend gebessert und sein Lei­ den sei „gänzlich weggetilgt“.

Nach seinen Worten hatte er ein gutes Verhältnis zu den Schülern. In den Berichten des Gymnasiums findet man das beste Zeugnis für ihn ausgestellt: er wäre glei­ chermaßen ausgezeichnet gewesen durch Geist und Gemüt. In allen Vorkommnissen des Lebens habe er sich als treuer Freund erwiesen. Und im Vorwort seines Beitrages zum Schulprogramm von 1828 sagte er von seiner Lehrtätigkeit, sie sei ihm mehr gewesen als ein Brothandwerk/ Seine Frau Amalie gebar am 19. September 1827 als erstes Kind die Tochter Emilie und am 12. September 1829 den Sohn Anselm, den Maler. Danach stand sie, an Tuberkulose erkrankt, nicht mehr vom Krankenlager auf. Um der jungen Mutter zur Seite zu stehen, war ihre älteste Schwester Friederike aus Ansbach herbeige­ eilt; leider trug diese Schwester den Keim einer Schwindsucht in sich, sie erlag ihrer Erkrankung, erst 25jährig, am 11. Mai 1829. Da man damals weder den Erreger noch den Infektionsweg kannte - erst 1882 wurden die entsprechenden Erkenntnisse durch Roben Koch erlangt - steckte sie ihre Schwester Amalie an, die am 1. März 1830 verstarb. Amalie hatte Gedichte geschrieben und die Harfe ge­ spielt, eine „Gestalt gewordene Muse der Romantik“. Schon als junges Mädchen war sie jedoch von der „Himmelssehnsucht“ erfüllt; sie verlor auch im Bewußt­ sein ihres nahen Endes nichts von ihrer angeborenen

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Heiterkeit. Am späten Nachmittag des 1. März 1830 verschied sie „friedlich und gottergeben“. Man begrub sie auf dem Alten Friedhof in Speyer (heute AdenauerPark), auf dem Grabstein steht nur: „Anselms Mutter“. Der Archäologe Anselm Feuerbach hat diesen Verlust seiner Amalie nie überwunden, die Tote stand immer als Schatten zwischen ihm und der zweiten Frau Hen­ riette. Unter sorgfältiger Analyse der Symptome hielt es Spoerri für durchaus denkbar, daß bei Amalie Feuer­ bach, einer extrem hyperästhetischen, autistisch-schizo­ iden Frau, auch eine beginnende Schizophrenie vorge­ legen haben könne. Dies trifft auch zu, wenn man die zeitgeschichtlichen Einstellungen, der späten Romantik zugehörig, hier in Abzug bringt.

Nach dem Tod seiner Frau brachte der hilflose Witwer, zugleich kleinmütig und lebensungeschickt und doch von hohem Selbstgefühl getragen - alle Feuerbachs waren ehrgeizig und stolz - seine Kinder bei den Schwiegereltern und seinem Vater in Ansbach unter. Der Vater Feuerbach hatte dem gebeugten Sohn mitge­ teilt: „Suche Dich so bald als möglich von Speyer los­ zumachen und komme mit Deinen kleinen Waisen in das Vaterhaus.23

Der Archäologe hat einmal diese 11 Jahre in Speyer als die glücklichsten in seinem Leben bezeichnet - man muß hier jedoch einige Abstriche machen: zwar hatte er 12 Tage nach seiner Eheschließung an Thiersch ge­ schrieben, er wolle rüstig seine Arme für sein zartes und geliebtes Wesen rühren, daß ihr somit frohe und doch ruhige Tage als Entgelt würden für „so manche schmer­ zensvolle Stunde“, die sie für ihn „durchgeblutet“ habe. Obwohl also des Archäologen Leben von Glück erfüllt gewesen sein sollte, mußte seine junge Frau eine erneute

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Verdüsterung seines Gemütes mit ansehen und erdul­ den. Die zunehmende Reizbarkeit des bis dahin allseits beliebten Lehrers verstörte das Verhältnis zu seinen Schülern, sie seien an ihm „irre“ geworden. Die junge Frau sah in dem langsam wachsenden, um­ fangreichen Buch ihres Mannes die Ursache seiner Ver­ störung: „Ach, wenn nur der mächtige Apollo einmal unser Hüttchen räumen und sich in die Druckerei be­ geben wollte“24, schrieb sie ihrer Mutter. Der Archäo­ loge hatte bereits am 2. September 1828 aus seinem Manuskript „Apollo von Belvedere und das Verhältnis der griechischen Plastik zur Tragödie“ öffentlich vorge­ lesen, anläßlich der Preisverteilung für die Schüler - so steht es auf dem Titelblatt des Schulprogramms von 1828. Allerdings verzögerte sich die Fertigstellung des Buches durch eine monatelange Lethargie des jungen Witwers. Der Ertrag der Jahre in Speyer erschien 1833 als „Der vatikanische Apollo“ mit dem Untertitel „Reihe archäo­ logisch-ästhetischer Betrachtungen“. Das Buch errang einen glänzenden Erfolg, Lob und Anerkennung ström­ ten von allen Seiten auf seinen Verfasser ein, ja man verglich ihn mit Lessing und Winckelmann und reihte ihn ein unter die führenden deutschen Archäologen seiner Zeit. In dem 400 Seiten umfassenden Werk krei­ sen die Gedanken und Überlegungen des Autors nicht nur um seinen „Apollo“, vielmehr wirft er auch Fragen der Kunst auf, besonders der Plastik, als deren Wesen er das „Erhabene“ nennt - wer wird hier nicht an den Sohn mit seinen großen, statuarischen und unerotischen Frauengestalten erinnert? Man denke an „Dante und die edlen Frauen von Ravenna“, 1858 gemalt.

Der Archäologe mußte sich bei seinen Studien mit ei­ nem Gipsabguß des „Apollo“ begnügen. Erst auf seiner

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lang erhofften, elfmonatigen Italienreise 1839 - 1840 stand er am 1. Dezember 1839 seinem „Apollo“ gegen­ über: „Wie längst vorbereitet war ich - und doch über­ rascht, denn dieser Marmor hat Leben und Wärme und eine Leichtigkeit der Bewegung, von welcher der Gips nicht die leiseste Ahnung gibt“ , läßt er in einem Brief vom 1. Dezember 1839 seine Familie wissen. An Weih­ nachten sah er die Statue noch einmal gegen Abend im Schein der Fackeln: „Wie ein Lebewesen stand er da, schwebend, leicht, gewaltig, von Freiheit und Kraft und doch fast wie körperlos“26. Nach dem Tod des Kriminalisten Anselm Feuerbach am 26. Mai 1833 in Frankfurt/Main - er hatte sich dorthin begeben, um sich mit seiner Schwester Magdalena Ruhland, geborene Feuerbach (1782 - 1849) zu versöhnen - mußte sein Sohn, der Archäologe, die Kinder zurücknehmen.

Er fand bald in Henriette Heydenreich die zweite Mut­ ter für seine Kinder. Vorangegangen war, daß der Gymnasialprofessor Feuerbach nach dem Ende seines Urlaubes an die Schule in Speyer zurückkehren mußte, seine älteste Schwester Magdalena begleitete ihn zwar, wurde allerdings „in seinem Haus gemütskrank“, wie Henriette in der Biographie ihres Mannes festhielt. Diese Henriette Heydenreich war mit den gleichaltri­ gen Söhnen des Präsidenten Feuerbach befreundet, denn mit Elise Feuerbach (1813 - 1883) hatte sie eine innige Freundschaft geschlossen. Des Archäologen geist­ reiche Liebenswürdigkeit wie auch sein bedeutendes Klavierspiel - „sein schönes Phantasieren“ - hatte die junge, unerfahrene Frau für ihn eingenommen. Sie ver­ ließ nach der Trauung am 13. April 1834 in Poppenreuth/Oberpfalz ihre Heimat, wie sie am 5. Januar 1858 der Schwägerin Sophie Heydenreich mitteilte. Im „Ver­ mächtnis“ konnte man später lesen: „Grenzenloses Mit­ 25

leid mit dem Anblick eines unpraktischen Mannes und zweier Waisen mag unsere zweite Mutter zu diesem gesegneten Schritt veranlaßt haben.27 In dem stillen Speyer bezog die Familie Feuerbach eine Mietwohnung in der Allerheiligenstraße. Mit ihrer Ver­ ehelichung begann für Henriette Feuerbach ein sorgen­ volles, zeitweilig unerträgliches und sehr bescheidenes Leben. Zwar konnte der Archäologe mit seinem Buch „Der Vatikanische Apollo“ mit einem Schlag in die vordere Reihe der damaligen Archäologen vorstoßen und zunächst auf eine Berufung an eine Universität hoffen, zumal die Münchner Philosophische Fakultät ihn einstimmig als Nachfolger des Archäologen Schorn vorgeschlagen hatte. Jedoch war Ludwig I. wegen des Staatsrates und Juristen Anselm Feuerbach so von Ab­ neigung gegen die Familie Feuerbach erfüllt, daß er ablehnte. Einen Ruf an die deutschsprachige Universität Dorpat in Estland konnte Feuerbach wegen seiner Kin­ der nicht annehmen, folgte jedoch seiner Berufung an die Universität Freiburg/Br. Im Sommer 1836 wechsel­ te die Familie dorthin über und bezog ein Haus am damaligen Stadtrand, in der Nähe des Schwabentores. Man brach dieses Haus in den 60er Jahren ab, da es kulturell von geringem Wert sei. Wegen seiner Geistig­ keit, der Freiheit der Unterhaltungen und den musikali­ schen Anregungen der Hausfrau gehörte das Haus des Archäologen zu den anregendsten in der damals kleinen Universitätsstadt. Sie spielte mit dem Ehemann vier­ händig auf dem Klavier, wie der Malersohn Anselm später festhielt. Die Pfarrerstochter Henriette Feuer­ bach wußte um ihre pianistischen Fähigkeiten; so zog sie im Herbst 1855 durch Vermittlung ihrer Klavier­ schülerin Luise von Noer von Heidelberg nach Paris, um ihr Klavierspielen bei einem dortigen Meister zu

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vervollkommnen. Sie galt als eine überdurchschnittliche Pianistin, die jedoch nur im engen Bekanntenkreis spie­ len konnte, was sie selbst wußte und worüber sie nach­ sann: in gezwungener Gesellschaft reagiere sie mit ex­ tremer Schüchternheit und spröder Verschlossenheit, so auch beim Besuch der Kostleute Anselms in Düsseldorf: „Ich konnte kein Wort mit ihnen reden“28. In Freiburg führte die junge Frau für die Spielgefährten ihrer Stief­ kinder Emilie und Anselm am Sonntagnachmittag selbstgedichtete Märchenspiele in einem Puppentheater auf. Die geistigen Beziehungen der Familie waren zahl­ reich. In bunter Abwechslung kamen Freunde, Bekann­ te und Verwandte ins Haus. So herrschte, von außen gesehen, in der Feuerbachschen Wohnung am Vieh­ markt in Freiburg eine lebendige Geistigkeit und Auf­ geschlossenheit.

Wie schwer jedoch für die junge Frau das Leben schon in Speyer anfing, erhellt ein Brief - er ist der einzige erhaltene aus dieser Zeit, immerhin drei Jahren - vom 23. Mai 1836, geschrieben an den Bruder Christian Heydenreich: sie habe lange, lange nicht geschrieben. Ihr Mann Anselm bereitete sich mit allem Ernst auf die akademische Laufbahn vor, was viel Arbeit und viele Sorgen koste, wie er überhaupt jederzeit ein „Virtuose in der Selbstquälerei“ sei. Ohne sie wäre ihr Ehemann schon in Speyer verloren gewesen, jedoch hoffe sie, daß die Dozentur in Freiburg „Heilung für den krankhaften Zustand seines Wesens“ bringen werde. „Gott lasse ihn finden, was er sucht, sonst will ich ja gar nichts wün­ schen und verlangen.“ ... „seht, ich habe in diesen zwei bis drei Jahren viel gelitten, oft gezagt, tausend und abtausend Tränen des Schmerzes und der Sehnsucht geweint.“ Ihr Glaube sei jedoch eine starke Stütze und

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die Kinder ihres Bruders Christian und seiner Frau seien auch die ihrigen, „eigene werde ich nie haben“29.

Sie charakterisiert sich am 26. Juli 1842 in einem Brief, wiederum an den Bruder Christian, geradezu über­ scharf: „Ich bin recht dumm ins Leben hineinge­ plumpst. Alles hätt’ ich werden sollen, nur keine Frau. Im Gemüt zu weich, um willkürlichen Verletzungen Trotz zu bieten und doch wieder zu fest und eigensin­ nig, um mich geistig unterzuordnen, mit einer Menge Herzensforderung und gänzlichem Mangel an Sinnlich­ keit, bin ich geistig und körperlich nicht für die Ehe qualifiziert“30. Dabei hatte der Archäologe und leiden­ schaftliche Liebhaber der Antike Anselm Feuerbach endlich im Winter 1839/40 die ersehnte Reise nach Italien durchführen können. Er sei jedoch als ein nie­ dergebrochener und stiller Mann mit der Einsicht, es sei zu spät, nach Hause zurückgekehrt.31 Weder die Frei­ heit draußen noch eine eigentliche Tätigkeit in seinem Beruf, aber auch nicht seine aufopferungswillige Frau konnten bei dem erblich belasteten Archäologen den unaufhaltsamen eigengesetzlichen Verlauf seiner see­ lisch-geistigen Störung aufhalten. An ihre wohl engste Lebensfreundin Erna Herwegh sie war die Ehefrau des Dichters und Revolutionärs Georg Herwegh (1817 - 1875) - schrieb sie am 14. Juni 1847, sie habe von ihrer Schwägerin Berta Feuerbach der Frau des Philosophen - vor zwei Monaten einen ganz verzweifelten Brief erhalten, er habe wie ein Testa­ ment geklungen, sie habe ihr die Sorge für ihr Teu­ erstes, ihr Kind übertragen: „Gott - welch ein Abgrund von Leiden und Unglück in dieser Familie ... seltsames Verhängnis, so überschwenglich begabt und alle - alle unglücklich, da ist auch kein Anhaltspunkt, der Ab­ grund ist geöffnet.32“ 28

Im Brief vom 7. November an den Bruder Christian heißt es, daß die „mattenschweren Dünste eines ausge­ brannten Vulkans“ (= des Ehemannes), sie fast zu Bo­ den drückten.33 „Glücklich ist der, welcher einen ge­ liebten Toten im Grab betrauert, gegen denjenigen zu nennen, der einen bei lebendigem Leibe Toten beklagen muß! So geht mir’s. Anselm ist - ach ich weiß selbst nicht wie - ein ausgebrannter Vulkan. Ob es bloße Krankheit ist ... oft können mehrere Tage vergehen, ohne daß es nur möglich ist, eine Antwort aus ihm herauszubringen.“ Der Briefwechsel mit dem Bruder sei ihr einzig Labsal auf dieser dummen, verkehrten Welt. „Ich wollt, ich wär drauß fort!34“. „Hör ich doch in Monaten oft kein gutes freundliches Wort, ich, die ge­ wohnt war, von Kindheit an von Liebe getragen und ernährt zu sein. Und doch ist’s nicht böse gemeint, man kann nicht zürnen, sondern nur bemitleiden. Das Mit­ leid aber für einen Mann ist schlechtweg für Hochach­ tung und Liebe. Wen man bemitleiden muß, hört auf, ein Mann zu sein.“35 Hier sei eingefügt: Ihre Klagen in den Briefen richtete Henriette Feuerbach ausschließlich an ganz Vertraute und Verschwiegene.

Am 7. November 1841: „Bei uns ist Nacht, schwarze, finstere Nacht. Ich will sehen, was das alles für ein Ende nimmt“36. Und furchtbar ist auch ein Satz zu lesen, im Brief vom 14. März 1842 wiederum an den Bruder Christian: „Ich möchte wissen, wie es einem zumute wäre, wenn man eine halbe Stunde lang im Leben keine Sorgen und keinen Kummer hätte!“37. Nach und nach distanziert sich die Frau von ihrem Ehemann und betrachtet ihn zunehmend mit der Kühle einer Pflegerin (26. Juni 1842). „Ich kann je mehr, je weniger an ihm hinaufschauen, und das ist mein Un­ glück ... er will das Rechte und tut es auch, aber so von 29

tausend Befürchtungen und Ängsten und Schwankun­ gen umgeben und verfolgt, so daß man solche Kämpfe nur mit dem tiefsten Bedauern ansehen kann. Keine Freiheit des Willens und des Charakters, wohl einer großen Anschauung, aber keiner großen Handlung fähig, nach fremder Autorität haschend. Im Inneren voll versteckten Selbstgefühls und doch völlig unselb­ ständig. Andere Individualität scharf auffassend und in sich selbst in einem Pfuhl von phantastischen krankhaf­ ten Vorstellungen wühlend. Im Herzen voller Güte und doch im Moment nur sich selbst fühlend und beden­ kend, ist er nur geboren, sich selbst und die ihm am nächsten stehen unglücklich zu machen ... weil nie eine Übereinstimmung, ein Gleichgewicht in dies’ zerrissene Wesen kommt, bringt er auch handelnd und schreibend nichts Ganzes mehr zustande, und ich sehe zu und muß daneben stehen, wie dieser reiche Geist, die herrlichen Gemütsanlagen ... immer tiefer und tiefer dem Abgrund sich zuneigen und endlich versinken werden. Und großer Gott -, ich bin noch dazu kalt und denke, nun so sei es denn, da es sein muß. Das mag wohl sein, weil ich nicht mehr hoffen kann.“38 Der Mann halte seine Kollegien, sitze den ganzen Tag am Schreibtisch, bringe „aber leider nichts zusammen“. „Ach, das ist ein betrüb­ tes Leben“39.

Im Frühjahr 1847 machte der Archäologe eine Erholungs- und Badereise; auf Rat seines Hausarztes bekam er Sturzbäder mit kaltem Wasser in Gleisweiler bei Lan­ dau. Diese Kaltwasserheilanstalt wurde 1844 gegründet, gestaltete sich später als Sanatorium für Nerven- und Stoffwechselkranke und bestand noch bis 1929. Doch war bei Feuerbach nicht der geringste Erfolg zu sehen. „Sein völliges Unvermögen, sich zu beschäftigen.“ Eini­ ge Monate vorher läßt sich Henriette Feuerbach an

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Frau Herwegh so aus: „Bisher lebten wir elend, jetzt wird’s ein Tod bei lebendigem Leibe sein; ich meine oft, ich kann’s und kann’s nicht mehr ertragen. Mein Ver­ langen nach einer freundlicheren Umgebung, nach Hei­ terkeit und Seelenruhe ist oft wie ein schmerzhafter Kampf, ich sterbe vor brennendem Durst danach, ich winde und ringe mich ab, unter der Last eines Schick­ sals, das zu schwer, zu hart für meine Natur ist.“ Und danach folgt ein wesentlicher Satz, der das Leiden eines normalen Familienangehörigen mit einem seelisch Kranken zusammenfaßt: „Ein großes Unglück, das ein­ schlägt wie der Blitz, das könnt’ ich eher ertragen, aber dieser fortgesetzte Druck, den der Einfluß eines durch und durch erkrankten Gemütes auf mich ausübt, saugt nach und nach alle Lebenskraft aus den Adern des Gei­ stes.“40 Am 6. März 1848: „Ich habe nie eine edlere Na­ tur in so schmachvollen Sklavenketten gesehen wie ihn. Es ist ein Schauspiel zum Verzweifeln. Die Zeit, ja frei­ lich an der Zeit ist er zugrunde gegangen, aber wenn er nicht so eine kranke Natur hätte, so wär’s nicht so ge­ worden.“41 Am 6.4.1848: „ Ach, lieber Gott, wenn Feu­ erbach nur geistig gesund wäre, wie glücklich könnten wir sein und so ruht ein Fluch auf unserem Haus, der jedes frische Gedankenflämmchen gleich im Keime erstickt.“42 Im Gegensatz zu vielen Äußerungen der letzten Jahr­ zehnte, allein soziale Bindungen verursachten eine see­ lisch-geistige Störung, wobei man nur an die sogenannte „schizophrenogene Mutter“ denken muß, die durch ihr Verhalten ihr Kind geisteskrank mache - unendlich viel Leid kam dadurch über die Mütter von schizophrenen Kindern -, erkannte Henriette Feuerbach nach jahre­ langer Beobachtung des Ehemanns und seiner Geschwi­ ster, daß dem biologisch Vorgegebenen die entschei-

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dende Rolle zukommt - ein Wissen, das lange Zeit durch viel gedrucktes Papier verschüttet war, jetzt je­ doch nach und nach wieder zum Durchbruch gekom­ men ist. Und schon vor über hundert Jahren stellte die hellwache Frau zu ihrem eigenen Erstaunen fest, daß der kranke Ehemann bei den turbulenten Abläufen der Revolution von 1848 und den Kämpfen in Freiburg sich geradezu unauffällig und situationsangepaßt verhalten hatte: „Feuerbach merkwürdig besser und ich ohne besondere Klagen“ hält sie im Brief vom 15. Juli 1848 an die Schwägerin Sophie Heydenreich fest. Bereits im Mai 1848, war ihr aufgefallen: „Gegen Fremde versteht er sich zusammen zu nehmen und etwas vorzustellen“. Und große Ereignisse gäben einem Menschen neben allem Verletzenden einen moralischen Halt, der helfe dann auch der Körperkraft auf, hingegen - und hier stehen die wesentlichen Worte - die „gemeinen alltägli­ chen Widerlichkeiten“ ließen jeden Widerstandsversuch im Keime erlahmen. Und zu welcher Erkenntnis kam nach vielen Umwegen die heutige Psychiatrie? Die kleinen, oft andauernden Nadelstiche des Lebens kön­ nen auf Dauer einen Menschen „verstören“. Dieses Wissen besaß auf Grund leidvoller Erfahrungen Hen­ riette Feuerbach. Ein solcher, der Öffentlichkeit kaum bekannt gewordener Nadelstich war die Absage aus Heidelberg am 22.12.1846 - also zwei Tage vor dem Weihnachtsfest - er bekomme nicht die ersehnte Stelle als Dozent; danach soll der Archäologe noch mehr als vorher in sich versunken sein. Es geht mit ihm sozusa­ gen in kleinen Schritten bergab. In dem bereits erwähn­ ten Brief der Henriette Feuerbach steht der erschüt­ ternde Schlußsatz: „Ich bin mein eigenes Grabmal“. Man führt von geistesgeschichtlicher Seite an, das Grund­ thema für den Archäologen sei die „Auseinandersetzung

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eines geistigen, idealistischen Menschen mit dem Leben“ gewesen, wobei man sich auf eine Bemerkung der Hen­ riette Feuerbach gegenüber J. V. Widmann beruft, der Hauptgrund für das Unvollendete seiner genialen Anla­ gen sei sein „mangelndes Selbstvertrauen“ gewesen.43 Jedoch heißt es hier weiter zu fragen: aus welchem Ur­ grunde stammte dieses mangelnde Selbstvertrauen, das mit einem hohen Selbstgefühl einherging? Auch eine starke Frau wie Henriette Feuerbach wird durch diese dauernden täglichen Belastungen in die Knie gedrückt: Im Herbst 1848 geht sie „tödlich erschöpft“ zu ihren Verwandten nach Ansbach, Ehemann und Stieftochter Emilie hatte sie für einen „Winteraufent­ halt“ in Heidelberg untergebracht. Sie selbst hatte die „fast sichere Überzeugung“ gewonnen, das Zeitliche zu segnen, sie war geradezu von einer „tiefen Sehnsucht“ erfüllt, sich „in die heimatliche Erde für immer zu le­ gen“. Ihre Abwehrkräfte lagen so darnieder, daß sie, wie sie weiter berichtete, eine „sehr heftige und gefährliche Hirnhautentzündung“ bekam. Ihr Bruder habe sie durch die allersorgsamste Behandlung und Pflege in drei Wochen wieder „aufgebracht“44. Man äußerte später über diese Erkrankung, aus vielen ihrer nachfolgenden Briefe gehe hervor, daß es der Beginn „einer Anfällig­ keit am Kopf“ bei Henriette Feuerbach gewesen sei, welche ihre geistige Produktivität stark beeinträchtigt und sich im Alter zunehmend ausgewirkt habe.

In der Familie Heydenreich scheint es auch entspre­ chende Anlagen zu haben: der ältere Bruder Wilhelm, der Arzt, hatte vom 15. bis zum 25. Lebensjahr „das Gesicht von nahen und entfernten Feuersbrünsten und Erdbeben“, wie Henriette Feuerbach am 5.1.1858 an Heinrich Heydenreich, den Sohn Ihres Bruders Christi­ an, darlegte. 33

Konnte der Archäologe bei seinem langsamen geistigen Niedergang noch seinen Verpflichtungen als Hoch­ schullehrer nachkommen? Kurt Baumann stellte in Freiburg/Br. aus alten Ver­ zeichnissen und Akten zusammen, daß Anselm Feuer­ bach über verschiedene Themen las: „Geschichte der bildenden Kunst bei den Griechen und Römern“, später erweitert auf „bei den Völkern des Altertums“; ferner über griechische Mythologie, römische Rechtsalter­ tümer sowie über Homer, Cicero, Tacitus und Horaz. Außerdem hielt er noch Seminare ab. Die Direktion des Seminars wechselte jährlich, hierbei gab es mit dem Kollegen Baumstark zunehmende Unverträglichkeiten, Spannungen, dann auch gegenseitige Angriffe, die schließlich zu Beschwerden beim Ministerium in Karls­ ruhe führten. Dort mußte man sich schon vorher mehr­ mals mit dem Professor und späteren Hofrat Feuerbach beschäftigen, seinen Urlaubs- und Krankheitsgesuchen, der Benachrichtigung, er habe seine Vorlesungen abge­ brochen, später abgesagt, um schließlich ganze Semester ausfallen zu lassen. Sein Pensionierungsgesuch reichte Feuerbach 1850 ein, die Fakultät befürwortete es, das Ministerium teilte am 2. September 1851 dem Senat die Versetzung Feuerbachs in den Ruhestand mit - der Mann war erst 53 Jahre alt; er verstarb fünf Tage später (am 7. September 1851).45 Woran starb der Archäologe? Nach dem Scheitern seines Wunsches, in Heidelberg anzukommen und aus dem für ihn dumpfen Dunstkreis der kleinen Universität Freiburg erlöst zu werden, tra­ ten bei ihm „heftige Nervenanfälle“ auf, teilweise mit einer Lähmung der rechten Hand, welche den Dienst des Schreibens schließlich völlig versagte, wie die be­ sorgte Ehefrau später schrieb. Wegen des heftigen

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„Blutandranges“ habe man auch immer wieder einen Schlagfuß (= Schlaganfall) befürchtet. Wahrscheinlich lagen bei dem Archäologen damals sogenannte cerebrale ischämische Attacken vor, akute, intermittierende Durchblutungsstörungen des Gehirns, die bei dem Rechtshänder Feuerbach in der linken Hirnhälfte auf­ traten. Bedenklich ist, daß auch die „sorgfältigste Pflege und ärztliche Betreuung nur wenig genutzt“ hatte. Denn der Kranke habe sich tröst- und hoffnungslos gefühlt. Die „Konsultation“ mit Herrn Direktor Roller, Direktor der Irrenanstalt in Illenau, führte zu einem achtwöchigen Aufenthalt in einem kleinen reizenden Badeort - so die Ehefrau Henriette. Es muß sich hier um das alte badisch Bad Hub bei Ottersweier gehandelt haben, „da nur 14 Stunde von Illenau enternt, welch letztere er so häufig als möglich auf seinen Spaziergän­ gen besuchte“46. Es heißt dann bei der Eherau weiter: „Die ersten Wochen unter der sorgfältigsten und liebe­ vollen Behandlung des edlen Arztes zeigten eine ganz überraschende Besserung“, jedoch hielt diese nicht an: „Es war das letzte Aufleuchten der Lebensraft.“ Nach der Rückkehr nach Freiburg zeigte sich der Archäologe „gemütlich beruhigt“, litt jedoch zunehmend unter Herzbeschwerden und Atemnot, das Gehen fiel ihm schwer, sein Gang war langsam und gebückt. Mitte 1850 steigerten sich diese Beschwerden, körperlich ver­ fiel der Archäologe so sehr, daß sein Hausarzt und Freund Dr. Schwörer den Zustand „als eine beginnende Nervenauflösung (und) für hoffnungslos erklärte“. In­ folge der Abnahme seiner Herzkraft trat im Verlaufe des Winters eine „Herzwassersucht“ auf; körperlich war Feuerbach so schwach, daß er, was er bis dahin nie ge­ mocht hatte, sich vorlesen ließ - mit Pausen. Bis zum Herbst 1851 schwankte „die Krankheit auf und ab“. Vier Wochen vor seinem Tod lähmte ein neuer Schlag­

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anfall die rechte Körperhälfte, vor allem aber die Spra­ che, „meine Sprache, meine Sprache“, jammerte der kranke Mann, wobei er mit dem Rest eines höheren Selbstbewußtseins hinzufügte, „und welche Sprache“. Die allgemeine Schwäche nahm zu. Beim Anhören eines Adagio von Mozart, gespielt von dem Violinquartett eines Nachbarn, hörte der Archäologe seine Amalie rufen, „so süß und reizend ... ja, ich werde sanft und selig entschlafen - ganz gewiß - ganz sanft - ganz seli|. - „Dies waren seine letzten verständlichen Worte.4 Einen Tag später erlitt Feuerbach einen erneuten Schlaganfall mit vollem Ausfall der Sprache und deutli­ cher Trübung des Bewußtseins, gegen Mitternacht des 7. Septembers 1851 verschied er, also zwei Tage vor seinem 53. Geburtstag. Der Sohn hatte gemeint, wie im Vermächtnis nachzulesen, der Vater sei an seinem 53. Geburtstag verstorben. Der Tod des Archäologen beendete die Freiburger Lei­ denszeit seiner Frau Henriette. In den letzten Stunden seines Lebens soll - wie man sagte - „eine lichte Verklä­ rung“ eingetreten sein, ein Sachverhalt, der seit Jahr­ zehnten auch Psychiatern bekannt ist: in den letzten Stunden des Abschiedes von dieser Welt tritt die see­ lisch-geistige Störung zurück, und solche Kranke wen­ den sich wie in ihren guten Zeiten wieder an die näch­ sten Angehörigen. So auch bei dem Archäologen.

Er verstarb in der Erinnerung an seine erste Frau, seine Worte der Verabschiedung vom Dasein könnten auch die ihrigen gewesen sein. Seine Witwe schildert in ih­ rem Brief vom 11. September 1851 an den Sohn An­ selm, der zu dieser Zeit in Paris weilt, der Tod des Va­ ters sei eine „selige Erlösung aus schwerer, schwerer Gefangenschaft“ gewesen. Seine „lichte Verklärung“ solle dem Sohn Trost und zugleich Ansporn sein, denn

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sie habe seinen letzten Brief an den Vater mit ihm ins Grab als „sein Gelöbnis“ gegeben. Seine letzte Freude seien die Rezensionen der Bilder seines Sohnes gewesen, er habe darüber - und hier kommt wieder der kühle Blick der zur Pflegerin gewordenen Ehefrau zum Tra­ gen - „in seiner schwächlichen Reizbarkeit einen gan­ zen Tag vor Freude geweint.48 Man begrub ihn auf dem Alten Friedhof in Freiburg, wo man noch heute sein klassizistisches Grabmal sehen kann: Eine sich neigende Frauengestalt ist als Relief dargestellt.49

Den ersten Bericht vom Heimgang des Ehemannes richtete die Witwe jedoch nicht an dessen Mutter50, da sie sich „in diesem Augenblick unmöglich verstellen“, also die tieftrauernde Witwe heucheln könne, sondern an Elise Feuerbach, die Schwester des Verstorbenen. Denn nach diesen jahrelangen Belastungen mit einem zunehmend kränker werdenden Ehemann ist sie auch später zu ehrlich, um rückhaltlos ihren Schritt in diese Ehe und die Übernahme zweier Kinder an Mutterstatt gut zu heißen. In ihrem Nachruf auf den verstorbenen Ehemann führt sie aus, die Verlobung im Herbst 1833 sei für beide Teile ein ernster Schritt gewesen, „die Ausheilung dieser nach innen und außen so völlig zer­ rissenen Existenz zu versuchen“. Zurückhaltend und zugleich schonend schreibt sie weiter: „Wenn die tiefste und treueste Hingabe und ein unbegrenztes Vertrauen beglücken kann, so war auch diese zweite Verbindung eine der glücklichsten zu nennen“51.

Theodor Heuss bringt diesen Satz und führt dann aus, der zarte Takt dieser Formulierung verhülle die schmerzhafte Resignation, die den Ausgang des gemein­ samen Weges beschattet habe52, jedoch unterläßt es Heuss, auf den folgenden Satz der Henriette Feuerbach einzugehen, wo sie deutlich die vorausgegangene Dar­

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Stellung einschränkt: „Aber der frische poetische Früh­ lingsmorgen war vorüber, der heiße Lebenstag wollte durchkämpft sein, mit seiner Schwüle und seinen Ge­ wittern, und das Glück der Vereinigung bestand darum mehr in einem steten Tragenhelfen der Last und der Bürde des Lebens als im Zusammengenießen der Le­ bensfreuden, wie liebevolles Verständnis und Einigkeit es sonst zu verschaffen vermögen“53. Unüberhörbar weist die Ehefrau Henriette Feuerbach auf ihren schwe­ ren Lebensweg an der Seite eines unglücklichen und verstörten Ehemannes hin. Im Frühjahr 1852 zog Henriette mit ihrer Stieftochter Emilie nach Heidelberg. Die fast 25 Jahre dort (1852 1876) waren nach ihren Worten die glücklichsten in ihrem Leben; sie fand hier das „heitere geistesfreie Uni­ versitätsleben“, das sie in Freiburg/Br. vermißt hatte.

Ihr - aber auch in dieser Stadt - hartes Tagewerk streif­ te sie einmal in einem Brief an Conrad Fiedler: sie habe an diesem Tag fünf Klavierstunden gegeben und vier­ zehn Stunden gearbeitet. An die Stelle des kranken Ehemannes trat nach und nach ihre Tochter Emilie. Diese zwei Jahre ältere Schwester Anselms war in vie­ lem das Abbild ihrer infantilen Mutter; sie entwickelte künstlerische Ansätze als Blumenmalerin und Kinder­ buchverfasserin, blieb jedoch kapriziös und launisch, und wurde wohl auch zunehmend schwieriger im Um­ gang. Ihre geistige Störung steigerte sich 1856/57 so stark, daß die „Leidensfähigkeit“ der Mutter an ihre Grenzen kam, sie sich „innerlich ganz auf- und wund­ gerieben“ fand. Die Frauen trennten sich 1858. Die letzten fünf Jahre ihres Lebens verbrachte Emilie in einem Pflegeheim in Freiburg; sie verstarb am 3. März 1873.

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Woran litten nun Vater Anselm und seine Tochter Emilie? Man sagt von dem Archäologen, er habe eine sogenann­ te Mischpsychose gehabt, also eine Erkrankung, bei der manische Symptome - der Vater war ja gemütskrank und litt an manischen und depressiven Phasen - sowie schizophrene Symptome gemischt auftreten. Diese Vermutung hat wenig für sich, bedenkt man, daß schon der junge Student Anselm Krankheitsschübe durch­ machte, die deutlich über das Depressive hinausgingen, er schon in Speyer bei einem äußerlich sicher abgerun­ deten und erfüllten Leben in eine seelische Störung hineinglitt, die sich auch durch seine Berufung nach Freiburg nicht zurückbildete, sondern im Gegenteil nach und nach stärker wurde, so daß er sogar aus der seit Jahren heiß ersehnten Italienreise bedrückter zu­ rückkehrte, als er abgereist war. Eine sogenannte schi­ zophrene Psychose mit der langsamen Zerstörung und Spaltung des Lebens war hier an ihrem unheimlichen Wirken. Man kann deutlich drei schizophrene Schübe unter­ scheiden: Der erste traf den in Erlangen historisch­ philologische Studien treibenden Studenten in seinem 18. Lebensjahr, wo vor allem die mystisch-theologi­ schen Vorträge eines Professors auf ihn gewirkt hatten. Dieser - mit Namen Kanne - rühmte sich persönlicher Erscheinungen des Heilandes und eiferte seine Schüler an, dieses seltenen Glückes teilhaftig zu werden. „So durchwachte der arme Jüngling nun in wahnsinnigen Gebeten die Nächte, auf Erscheinungen und Offenba­ rungen harrend, die er dem Himmel abringen zu müs­ sen glaubte“, wie sein Bruder Friedrich (1806 - 1880) über ihn aus diesen Zeiten berichtete; Henriette Feuer­ bach übernahm diese Darstellung.54 Durch die Pflege

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seiner Mutter in Bamberg erholte sich Anselm, doch blieb seine geistige Störung unverändert. Der Vater entschloß sich, den kranken Sohn seiner Freundin Elise von der Recke in Dresden zur weiteren Betreuung zu geben; hier besserte sich dann im Laufe des Winters 1819/1820 sein Zustand, Anselm distanzierte sich von seinem Wunsch, Theologie zu studieren, er hatte das Glück, in einer geistvollen und warmherzigen Umge­ bung der Elise von der Recke und ihrer Schwester, der Herzogin Dorothea von Kurland, zu leben; man reiste mit ihm auch nach Karlsbad. Dort konnte er am 1. Mai 1820 mit Goethe sprechen, für ihn ein unvergeßliches Erlebnis, wie er am gleichen Tag noch an seinen Vater schrieb. Von Herbst 1820 bis 1822 studierte Feuerbach klassische Philologie und Archäologie in Heidelberg; er hörte Voß, Creuzer und Schlosser; öffnete sich auch dem heiteren studentischen Leben, der „Bardenjüngling Anselmus“ brillierte mit seinem Harfenspiel, dichtete aber auch mutwillige Possen und ging übermütigen Streichen nicht aus dem Wege. Jedoch kam es auch hier zu einer sogenannten „nervösen Depression“, die ihn unfähig machte weiterzustudieren und die nach seiner eigenen Schilderung tief reichte. Erst durch die „engels­ gleiche“ Amalie Keerl gesundete er nach und nach; sie habe die Geister der „Schwermut“ verjagt, vor allem seine Selbstquälereien, aber auch einen schützenden Wall vor seinem allzu verletzlichen Ich errichtet. Ob­ wohl also im Frühling 1823 für ihn der „lieblichste Stern“ seines Lebens aufgegangen war und er sich mit Amalie Keerl verlobt hatte, konnte er seine Studien in Heidelberg nicht weiter durchführen, verließ im Früh­ winter 1823 die Stadt und kam zu seinem Großvater nach Frankfurt am Main, wo er mehrere Monate blieb. Er kehrte dann, wie Henriette Feuerbach ausführt,

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zwar nicht völlig hergestellt, doch um vieles gebessert, von Frankfurt zurück. Gleichzeitig mit seiner erwachten Liebe zu Amalie Keerl kam Feuerbach die Idee für sein späteres Buch „Der Vatikanische Apollo“. Der Gedanke an diese Ar­ beit verwob sich mit seinem ehelichen Glück durch die nächsten Jahre, allerdings ist hier die Einschränkung zu machen: nur das erste Jahr verfloß gänzlich ungetrübt. Am 10. November noch teilte er dem Vater mit: „Ich bin durch Amalie ein anderer Mensch geworden ... Meine Klassenarbeiten gehen mir spielend leicht von der Hand. Heiter trete ich unter meine Schüler, heiter verlasse ich sie.“ Doch schon im zweiten Jahr begann der Himmel sich zuzeiten leise zu umwölken, wie Allgeier berichtet. „Die alten, scheinbar vollständig verschwundenen Übel, Reizbarkeit und Schwermut, verdüsterten, wenn auch zunächst noch rasch wieder vorüberziehend, doch für Augenblicke das friedliche kleine Paradies.“ Diese er­ neute Verdüsterung ihres Mannes betrachtete die junge Frau zunehmend mit Sorge. Auch spätere Forscher glaubten, diese erneuten Erkrankungen eines hochbe­ gabten und damals auch hochgemuten Mannes auf eine Überarbeitung und Überbeanspruchung seiner geistigen Kräfte bei der Abfassung seines Buches zurückführen zu können. Auch hier kommt das uralte Kausalitätsbe­ dürfnis der Menschen zum Tragen, es müsse eine Ursa­ che vorliegen, da ein solcher überdurchschnittlich be­ gabter und glänzender Mann ja frei geboren sei und nicht aus sich heraus krank werden könne. Jedoch kann man nicht umhin, sich klarzumachen, daß Feuerbach aus einer mit schizophrener Psychose geschlagenen Familie stammt und man somit dem erbmäßig Vorge-

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gebenen die letztlich entscheidende, vielleicht sogar alleinige Ursache seiner Erkrankung zuschreiben muß. Er sei seines Gemütes nicht mehr Herr geworden, heißt es von ihm, was mit der alltäglichen Erfahrung eines Krankenhauspsychiaters übereinstimmt, daß nach ei­ nem solchen schweren, dritten schizophrenen Schub es nur in den seltensten Fällen zu einer völligen Gesun­ dung kommt. „Feuerbachs beste Kraft war schon ge­ brochen, als er Speyer verließ“, hielt seine zweite Frau fest. Und der Kranke selbst teilte seinem Bruder Eduard mit: „Aber Speyer - das Ufer ist verflucht für mich, hier blüht kein Segen mehr.“ Ein solcher, von einer furchtbaren Krankheit angeschlagene Mann fühlt sein Anderssein und schreibt daher mutlos in seinem Buch über seinen Apollo, es seien hier „die zusammengelese­ nen Trümmer eines gescheiterten Lebens“. Um hier nochmals die Frage zu stellen: Lag in der Tat eine sogenannte endogene Psychose aus dem schizophre­ nen Formenkreis bei dem Archäologen Feuerbach vor? Bei einer Diskussion darüber mit den alles verstehenden und erklärenden Psychoanalytikern hilft es kaum, wenn man darauf hinweist, daß von den acht ehelichen Kin­ dern des Juristen Feuerbach der Sohn Karl, der Mathe­ matikprofessor in Erlangen, mit 34 Jahren eindeutig an einer schizophrenen Psychose zugrunde ging und die älteste Tochter Magdalena ebenfalls manifest schizo­ phren erkrankte. Man hatte sie ja einige Zeit in der sogenannten Heil- und Pflegeanstalt Winnenthal bei Winnenden/Württemberg behandeln müssen. Als Kon­ vertierte und Nonne in Rom hatte sie mit ihren „Lamentationen“ ihrem Neffen Anselm, wie erwähnt, erheblich zugesetzt. Bei der Einordnung der psychi­ schen Defekte hilft ein Blick auf die Kraepelinsche Zweiteilung (= Dichotomie): einerseits die seelisch­

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geistige Störungen in den beiden Formen der schizo­ phrenen Psychosen als eigentlichen Geisteskrankheiten und andererseits der Zyklothymien als den sogenannten Temperamentserkrankungen. Sie wurde in dieser Aus­ schließlichkeit nicht von der französischen Psychiatrie übernommen, obwohl man darauf hinweisen muß, daß Kraepelin diese Einteilung selbst in seinen Büchern immer wieder geändert hat, bis zu seiner 1920 heraus­ gekommenen Schrift über sein Lebenswerk, wo er auch mit Zweifeln nicht hintanhielt. Denn bei dieser Zwei­ teilung sind sehr viele Zwischenerscheinungen nie recht einzuordnen gewesen. Festzuhalten ist hier ohne Zwei­ fel, daß bei dem Archäologen ein sogenannter minima­ ler Residualzustand nach seinem dritten Schub, also bereits in Speyer eingetreten war, wobei man hier eine durch die geistige Störung hervorgerufene allgemeine Senkung seines gesamtseelischen Energieniveaus ver­ steht. Ferner ist bei ihm festzuhalten, daß er zu den unglücklichen Geisteskranken gehörte, die ihre eigenen Mangelerscheinungen selbst sehen und auch schildern können, so im September 1848 in seinem Notizbuch: „Über meine Gesundheit wenig sichere Hoffnung auf Besserung, auf völlige Genesung gar keine.55 Dieses deutliche Wissen und Empfinden um die krankhafte Veränderung seiner Person erlaubten ihm aber noch, seine Reizbarkeit vor seinen Kindern zu verbergen, wie der Sohn schrieb, „so gut er konnte“56.

Hierbei ist auf einen weiteren Faktor hinzuweisen: Nach der eindringlichen Schilderung seiner Ehefrau Henriette hat der überpedantische Mann sich bei der Abfassung von wissenschaftlichen Arbeiten selbst im Wege gestanden, weil er auch den unbedeutendsten Brief nur in der allerbesten Form herauszugeben geneigt war. Für ihn mußten Stil und Schrift, einschließlich des

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goldgeränderten Papiers, über allen Tadel erhaben sein. Diese Überpedanterien erinnern an die anankastische Wesensart mancher Menschen, die aus lauter Genauig­ keit immer neu überprüfen, ob z. B. auch wirklich die Haustür abgeschlossen ist oder der Brief in den Brief­ kasten gefallen ist usw. und die deshalb kaum mit etwas fertig werden. Die Psychiatrie hat hier schon sehr früh gesehen, daß eine solche zwanghafte Genauigkeit oft verhindert, daß es zu einem stärkeren Zerfall eines Menschen im Verlaufe seiner schizophrenen Erkran­ kung kommt. Nach den neuesten Einteilungen über die sogenannten, schizophrenen Defekte oder den Residual­ zustand muß man bei dem Archäologen einen solchen Defekt annehmen, also eine Störung des Antriebes und des Denkens, der kaum je rückbildungsfähig ist. Denn auch die zugrundeliegende schizophrene Psychose schwelte bei dem Archäologen immer weiter; in gerade­ zu erschreckender Weise hat seine Frau dies feststellen und in ihren Briefen niederlegen müssen. Es war also bei ihm nicht eingetreten, was in anderen günstigen Fällen zu sehen ist, daß zwar ein sogenannter schizo­ phrener Residualzustand bzw. reiner Defekt vorliegt, jedoch die zugrundeliegende Grundkrankheit, die schi­ zophrene Psychose, abgeklungen ist. Somit ist dem Anlagemäßigen, dem Ererbten, dem biologisch Vorge­ gebenen bei dem Archäologen Anselm Feuerbach die entscheidende Rolle für den Verlauf seines Lebens zu­ zuschreiben. Nochmals ist zu betonen, es lag keine erlebnisbedingte Neurose bei dem Archäologen vor - man weist in die­ sem Sinne gerne bedeutungsvoll auf die Belastungen des heranwachsenden jungen Menschen durch seinen übermächtigen Vater hin. Henriette weiß über diesen Schwiegervater, der vor ihrer Verehelichung bereits

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1833 verstorben ist: „Der Vater hatte es so entschieden, das war den Söhnen genug, die über Wahl und Dauer ihres Aufenthaltes noch selten eine Stimme hatten. Die Autorität des Vaters war eine große und völlig unbe­ strittene (...) Die eigentümliche Mischung von tiefster Hochachtung, Zärtlichkeit und zugleich von ängstlicher Furcht, welche das Verhältnis des Sohnes zum Vater bezeichnete, hat auf Anselm durchaus nicht immer wohltätig gewirkt“57. Allerdings haben vielfache Nach­ untersuchungen ergeben, daß diese sogenannte früh­ kindliche Prägung keineswegs ein Leben bestimmen muß, der Mensch ist viel lebenskräftiger, als man nach Freud annahm. Man sagt also heute, daß die Jugend keineswegs immer und ausschließlich die Weichen für die Zukunft stellt. Wie ist aber, so könnte man weiter fragen, damit zu vereinbaren, daß ein solcher geistig-gestörter Mann solche gewandten Briefe aus Italien schreiben konnte? In der Tat zeigen diese ein hohes stilistisches Niveau bei anschaulicher Darstellung. Hierbei ist für psychiatrische Laien daran zu erinnern, daß geisteskrank zu sein kei­ neswegs heißt, auch geistesschwach zu sein. Ein solcher Kranker hat jedoch nicht mehr die volle Verfügbarkeit über seine geistigen Fähigkeiten. Jedoch auf ihren von Jugend an eingefahrenen Gleisen können sie später noch weiter fortfahren, aber es fällt ihnen nichts Neues mehr ein. Übereinstimmend schrieben die Ehefrau und der Sohn, der Vater sei als „ziemlich stiller Mann von Italien heimgekehrt“, sein geistvoller Redefluß, der ihm in seinen guten Stunden eigen gewesen sei, sein feiner Humor, der zündende Witz, dies alles sei großenteils versiegt gewesen. Feuerbach plante zwar noch - wie seine Frau äußerte - seine Reise unter dem Titel „Archäologische Spaziergänge“ zu bearbeiten, kam je­

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doch über einige Ansätze nicht hinaus. Das gleiche gilt für einen noch größeren Plan, die berühmtesten Statuen des Altertums, jede einzeln als Mittelpunkt der Ge­ schichte, der Kunst und Poesie in Zusammenhängen der Gliederung nach der Art seines „Apollo“ zu betrach­ ten.58 Dabei verfügte Feuerbach über eine gute formale Begabung, mehrfach werden seine „vollendet schönen Vorträge bei seinen Vorlesungen“ gerühmt. Aber die Kraft zu einem großen Werk war nicht mehr vorhan­ den, und neue Ideen strömten ihm nicht mehr zu. Jeder einigermaßen erfahrene Psychiater kennt Gelehrte, unverkennbar durch eine Schizophrenie geschädigt, die trotzdem ein glänzendes Kolleg z. B. über Nietzsche halten können, allerdings durch ihre äußerliche Ver­ wahrlosung befremden. „Der stinkt ja vor Dreck“, meinte eine von einer Vorlesung begeisterte Studentin, die ihre Begeisterung über seine Vorlesung dem Profes­ sor selbst gegenüber geäußert hatte und ihm dabei fata­ lerweise nahe gekommen war.

Henriette Feuerbach führte Tagebücher, die sie zwar später vernichtete, aus denen sie aber die Biographie ihres Mannes als Anhang zu seinen gesammelten Auf­ sätzen schöpfte; sie beschreibt darin nüchtern und ob­ jektiv den unaufhaltsamen geistigen Verfall ihres Man­ nes. Seine Tochter Emilie, wie bereits erwähnt, glich nach den Worten ihrer Stiefmutter sehr dem Vater, war letztlich lebensuntüchtig und verstarb als Pflegefall. Auch wenn keine objektiven Berichte über sie vorlie­ gen, so kann man aus den Schilderungen der Mutter Henriette erkennen, daß sie an der gleichen Erkran­ kung litt wie ihr Vater.

Nach dem Tod ihres Mannes rückte sein Sohn Anselm, der Maler, in den Mittelpunkt des Lebens von Henriette Feuerbach, zumal sie dem Ehemann in seiner Sterbe­ 46

stunde versprochen hatte, für ihn zu sorgen, so gut sie es vermöge. Wie schon gesagt, konnte Henriette Feuer­ bach ihren Mann nicht in ein Heim oder in Anstalts­ pflege geben, da der Stiefsohn Anselm mit Geld nicht haushalten konnte, er in einem Jahr in Düsseldorf mehr verbrauchte, als Eltern und Tochter Emilie in Freiburg benötigten. Später hat er auch ein gewisses, geradezu aufdringliches Stutzertum in Rom gepflegt, überschüt­ tete seine beiden Modelle und Geliebten Anna Risi wie auch Lucia Brunacci mit Geschenken und Geld. Man stellt sich immer wieder die Frage, wie Henriette Feu­ erbach ihre laufenden Geldzuweisungen an den Sohn auch bei äußerster Einschränkung des Lebens hatte durchstehen können. Dieser Stiefsohn Anselm hat sei­ nem „Genius“, wie er in seinen Briefen an seine Stief­ mutter immer wieder betont, offenbar alles unterge­ ordnet, Dinge und Menschen.

Die Sorge um den Sohn Anselm nach dem Tod des Ehemannes

Im April 1852, nicht ganz ein halbes Jahr nach dem Tod ihres Mannes, zog Henriette Feuerbach mit der Tochter Emilie nach Heidelberg, die Jahre dort von 1852 - 1876 hat sie, wie erwähnt, immer als die glück­ lichsten ihres Lebens betrachtet; in der heiteren und geistigen Luft der Stadt, im Verkehr mit klugen und kunstaufgeschlossenen Menschen blühte sie geradezu auf, obwohl sie selbst wegen der laufenden Zuwendun­ gen an den Sohn sich oftmals einschränken mußte. So ging z. B. auch das Honorar für die 2. Auflage des „Apollo“ an den Sohn, man mußte sogar die Mitgift der Tochter Emilie angreifen. Der Sohn hatte unbedingt Maler werden wollen, ließ die Aufgaben in der Schule „schleifen“, wo er in den ersten Jahren der vielbewun-

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derte Primus gewesen war und setzte durch, daß er mit 15 Jahren zur Akademie nach Düsseldorf gehen konnte (1845). Nach drei Jahren siedelte er für kurze Zeit nach München über (1848); damals waren die Geldsorgen der Familie so drückend, daß ein reicher, kinderloser Jugendfreund, der in München lebte, ihn dort aushielt. Aber er ließ sich mehr aufs Leben als auf sein Studium ein, war oft hin und her gerissen, wo er sich weiter ausbilden könne, ging im Herbst 1851 erst nach Antwerpen, dann nach Paris und später nach Rom und Venedig - immer abhängig und unterstützt von den Eltern, später allein von der Mutter.

Die Preise für seine Bilder waren überhöht, da er es unter seinem Genius fand, sich am Markt zu orientie­ ren. Der großmütige Großherzog von Baden Friedrich I. beugte sich geradezu den Forderungen des - wie er meinte - „zu etwas Exaltation geneigten jungen Künst­ lers“ und bezahlte den geforderten Preis von 3 000 Gul­ den für den „Dante“. Später kam es durch das ungezü­ gelte Verhalten des Malers zum Bruch mit seinem Lan­ desherrn. Auf einen Bittbrief der Henriette Feuerbach kaufte ihr der Kapellmeister Levi den „Tod des Pietro Aretinos“ für 1 000 Gulden ab; später zahlte er noch 700 Gulden nach, auf dem Empfangsschein notierte Levi, das Bild habe ihn 3 000 Mark gekostet, eine nach der damaligen Kaufkraft gemessen enorme Summe. Die unverkäuflichen Bilder des Malersohnes bedeckten die Wände in der Wohnung der Mutter sowohl in Heidel­ berg wie in Nürnberg. Gelang der Mutter nach vielen Mühen und Bittbriefen, endlich ein Bild zu verkaufen, so mußte sie den Verkaufspreis gegenüber dem Sohn verheimlichen. Wenn er nach einer Schilderung der Schwestern Artaria, die er in Heidelberg malte, feinste weiße Anzüge oder Samtröcke trug, dazu elegante,

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kunstvoll geschlungene Krawatten und buntseidene Mützen, so ahnte kaum ein Mensch, mit welchen Op­ fern die Mutter ihm das ermöglicht hatte. Sie vereinigte zwar in ihrer Wohnung höchste geistige Kultur, jedoch bei bescheidensten äußeren Verhältnissen. Sie mußte alle Kräfte anspannen, um ihre „Existenz über Wasser zu halten59“, gab Stunden, erstellte Rezensionen und konnte sich trotzdem nicht einmal „eine Magd halten“.

1862 war sie auf einem Tiefstand angekommen, als durch die hochfahrende Überheblichkeit des Sohnes Anselm die Verbindung zu dem badischen Großherzog abgerissen war. Der Sohn verlangte von ihr auch die von ihm gewünschten Rahmen für seine Bilder. „Die Preise werde ich bestimmen, denn nur ich, der ich weiß, was sie (seine Bilder - der Ref.) sind, kann be­ rechnen, was zu fordern ist.60“ Sie muß die Bilder für die einzelnen Ausstellungen verpacken, ihm auch seine letztlich unsinnigen Reisen finanzieren, die ganze Kor­ respondenz für ihn führen, dabei immer gewärtig, von ihm in seinen Briefen abgekanzelt zu werden. „Sie nahm seine ständige seelische Unausgeglichenheit, seine schlechtesten Launen und Manieren hin“, sagt Horst Vey in dem Katalog zur Ausstellung der Gemälde und Zeichnungen Feuerbachs in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe (5. Juni bis 15. August 1976).61 Für den Sohn nahm sie sogar Bittgänge auf sich, die sie für sich selbst niemals auch nur erwogen hätte. In „Vermächtnis“ äu­ ßerte sie einmal, von wenigen Ausnahmen abgesehen hatten die Bilder des Sohnes „jahrelange Wanderungen zu bestehen, ehe sie eine Heimat fanden, Wanderungen von 5 bis zu 25 Jahren, und die Bedingungen, unter welchen diese Heimat errungen werden mußte, waren wieder mit wenigen Ausnahmen - derart, daß die Jetztheit die Schätzung, in Zahlen gefaßt, nicht begreifen

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würde“62. Neben der Rolle als Agentin und finanzielle Stütze, war sie doch auch immer die Vertraute in seinen künstlerischen Problemen wie auch seine Seelentröste­ rin bei den depressiven Verstimmungen durch die steti­ gen Mißerfolge - die er aber überwiegend selbst herbei­ geführt hatte. Und was war der Dank des Sohnes? Im Brief vom 4. Juni 1863 an Julius Allgeyer: „Anselms Briefe sind fast immer ein Dolchstoß für mich, ich weiß nicht, wie das so fortgehen kann“63. Nur einmal gab es einen Lichtblick, als eine ältere Dame - Fräulein Marie Röhrs aus Hannover - 1869 für den „Platon“ einen „Dritteil ihres Vermögens“ hingegeben hatte, so Hen­ riette Feuerbach in ihrem Brief vom 21. November 1869 an den „geistigen Sohn“ J. V. Widmann.64 Dabei hat sie in geradezu nüchterner Klarheit Anselms enge Grenzen erfaßt und auch gegenüber Widmann ausge­ führt, daß sie befürchte, daß Anselm den Gipfel der Kunst auf Kosten des Glückes seines Lebens erreichen werde - „der Mensch in ihm ist nicht groß genug für den Künstler“65. Sicherlich wußte sie auch, daß die Nachwelt die Briefe des Sohnes an sie als ergreifende Dokumente eines Einsamen, Heimat-, aber auch Halt­ losen werten würde, der „in der Mutter Halt und Trost gesucht und gefunden hat“66.

Zur Mutter kehrt der Ruhelose und ewig Unzufriedene immer wieder zurück, um auszuruhen und sich zu er­ holen, wobei er auf dem Altan sitzend, bei Dämmerung und Mondenschein ihrem Spiel zuhörte, das man als beseelt schilderte. Sein Lieblingsstück war Schuberts Psalm 132.67 - Im April 1876 kam Anselm enttäuscht von Wien, schwer erkrankt - „Gelenkrheumatismus und chronische Lungenentzündung“, schreibt die Mut­ ter im Brief vom 6. Juni 1877 - zu ihr zurück und lag 50

sieben Wochen darnieder. Nur unter dem Druck des Sohnes, der gegen Heidelberg eine zunehmende Abnei­ gung empfand, siedelte sie nach Nürnberg über. Gera­ dezu ahnungsvoll hatte sie schon am 6.3.1848 an Emma Herwegh geäußert, ihr Sohn fürchte sich nicht vor ihr, denn „er weiß wohl, daß ich armes Ding unter dem Pantoffel meines Herrn Sohnes stehe“68. Das Heimweh nach Heidelberg hatte sich schon in der ersten Zeit in Nürnberg bei ihr eingestellt, wie eine schlimme Krank­ heit, „periodisch wie ein Fieber und unüberwindlich, unerreichbar für alle vernünftigen Bestrebungen“69. Nach dem Höhepunkt der Heidelberger Jahre ging es mit Henriette Feuerbach bergab, sie wußte dies auch, vor allem litt sie unter dem Verlust geistiger Anregun­ gen, die sie in Nürnberg nicht mehr fand. Die zuneh­ mende Verbitterung und Vereinsamung des Sohnes sieht und spürt die Mutter, steigert ihre Bemühungen um ihn, als Rettung erscheint ihr der Plan, dem Sohn in Deutschland eine Wohnung zu verschaffen, doch sind seine Ansprüche nach Größe, Art und Lage der Woh­ nung kaum zu erfüllen; die Mutter aktiviert Hermann Levi in München, sich nach einer entsprechenden Woh­ nung umzusehen. Aber sie muß diesem am 30. Januar 1878 schreiben: „Anselm ist schwierig, die Verhältnisse sind schwierig, und am schwierigsten ist meine Aufga­ be, die beides vermitteln soll“70. Der Kelch, mit dem nur als Gast tragbaren Sohn zusammen wohnen zu müssen, ging zu ihrem Glück an ihr vorüber. Sie schränkte sich noch weiter ein: Aus der in bester Ge­ gend liegenden Villa in Nürnberg, Rosenau 17, zog sie zum 1. Februar 1878 in eine Etagenwohnung, Prater­ straße 34, die zwar ruhiger lag, aber einen sozialen Ab­ stieg bedeutete. In Nürnberg feierte sie mit ihrem An­ selm am 9. September 1879 still seinen 50. Geburtstag. Er fuhr nach Italien zurück. In dem letzten Brief vom 51

20 . Dezember 1879 spricht sie ihm Mut zu, versucht, ihm Zuversicht zu geben und verspricht ihm nach Neu­ jahr noch 1 000 Mark, „damit es nicht fehlt“. Diese Summe kann man, gemessen an ihrer damaligen Kauf­ kraft, nur als enorm bezeichnen, man meint, sie habe sich das Geld abgehungert, aus brennender Sorge um den Sohn, dessen langsamen Niedergang sie mit dem ihr eigenen seismographischen Gespür erfühlt hatte. Theodor Heuss schrieb in seinem Lebensbild über Hen­ riette Feuerbach: „Er (der Sohn, der Ref.) ist in seiner künstlerischen Unbedingtheit nur zum Teil, in seiner moralischen Haltung kaum, in seiner baren Existenz­ möglichkeit gar nicht ohne diese Frau zu denken, die über ihn wacht, ihn ermuntert und tröstet, ihn lenkt und wieder hält, die ihm Geschäfte und Peinlichkeiten abnimmt, als sei das eine Selbstverständlichkeit, und die er ihr in seiner Hilflosigkeit überläßt71.“ Seine „spätere dauerhafte Gesundheit“ hatte Anselm einem ungebun­ denen Straßenleben in Freiburg zugeschrieben, wo es Prügel hin und her und manchmal auch große Schlach­ ten gegeben habe. Doch seit seinem Brief vom 20. Ja­ nuar 1856 aus Venedig berichtet Anselm immer wieder von Unpäßlichkeiten. Es fing damit an, daß sein Übel nicht gefährlich gewesen sei, doch habe es Geduld er­ fordert, er habe Drüsenanschwellungen am Unterleib gehabt, „unerträgliche Mattigkeit, besonders Fieber, will im Bett liegen, warm, ruhig halten das Erforderliche“. Im Brief vorher vom 13. Januar 1856 erwähnt er so nebenbei, er sei einen vollen Monat krank gelegen.72 Doch bedrohlicher klingt es im Brief vom 12. Februar 1857, in Rom geschrieben, nachdem er 1855 und 1856 in Venedig und Florenz gelebt hatte: „In Florenz schlug mich das Schicksal darnieder. Doch es mußte >auf diese Träumerei die Prosa kommen. Der Arzt gab mich auf

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und wollte mich nach Deutschland schicken, es war die schrecklichste Stunde meines Lebens. Ich gehe nach Li­ vorno und bin durch liebevolle Pflege eines deutschen Arztes, der mich beinahe anderthalb Monate behielt, gerettet worden ... ich mag durch keine Silbe mehr dar­ an erinnert werden - ich habe die Feuerprobe bestanden“73. In seinen Zeilen vom 13. April 1860 aus Rom spricht Anselm von „Kopfweh zum Wahnsinnigwerden“74. Offensichtlich wegen besorgter Anfragen der Mutter nach seiner Gesundheit beruhigte er sie immer wieder, er fühle sich gesund und leistungskräftig, doch da es ihm ein Bedürfnis sei, auch über seine Erkrankungen („all diese Dinge“) zu sprechen, schreibe er ihr. Doch in keinem der Briefe spricht er sich genauer aus, auch wenn er aus Rom Anfang Februar 1862 mitteilen muß, er habe eine schwere Krankheit durchgemacht, ohne dies zu wissen, „denn ich war ganz außer mir zuzeiten“, doch betrachte er sich, da seine Natur kräftig sei, jetzt als „gesund und gerettet“. Aber zweieinhalb Jahre spä­ ter, am 20. September 1864 muß er sagen, er sei Anfang Sommer in Rom hart an einer Hirnhautentzündung „vorbeigestreift“, die schnelle Hilfe durch einen Gene­ ralarzt der französischen Armee habe ihn rasch geret­ tet.75 Im Brief vom 19. Dezember 1867 heißt es dann weiter, er habe eine Krisis heldenmäßig überstanden, er habe nicht gewußt, wie krank er gewesen sei, erst als ihm „die Beine den Dienst versagten“, habe er dies ge­ merkt, es seien dann „mehrere peinliche Stunden des Kampfes gefolgt“, er glaube aber, „der Unmut und star­ ke Wille hat mich herausgerissen“76. Wenn er jedoch die geringsten Anzeichen einer erneuten Erkrankung be­ merke, werde er Rom sofort verlassen und „ruhig sechs bis acht Monate in Deutschland bleiben“77. Im nächsten

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Brief, Weihnachtsabend 1867, äußerte er, er sei voll­ ständig hergestellt, doch werde er seinen Körper beob­ achten, lege sich „die Aufregung“ nicht, dann werde er „eine rapide und energische Kur machen“78. Am 17. Mai 1875 beschreibt er seinen Zustand: „Recht wohl fühle ich mich nie“79. Fast die gleichen Worte findet man in seinem letzten Brief aus Venedig vom 21. De­ zember 1879: „Fühle mich nicht wohl, so halte ich mich ruhig, da ich nicht zu forcieren brauche“80.

Somit kommt Theodor Heuss zu der eher bedrücken­ den Lebensbilanz über den Maler Anselm Feuerbach: „Schwere Krankheit lähmt, 1880 schließt ein früher Tod das große, an Beglückungen arme, in der Selbstbe­ hauptung starke und reiche Leben des Mannes“81. Am 4. Januar 1880 findet man Anselm Feuerbach in seinem Hotel in Venedig tot auf. Er hatte sich dort 1855 eine syphilitische Infektion zugezogen, mußte in den näch­ sten 25 Jahren Rezidive des Sekundärstadiums durch­ machen, zweimal hatte er anscheinend eine Hirnhaut­ entzündung mit Kopfschmerzen und Schwindel und mußte wochenlange Quecksilberschmierkuren durch­ stehen. Die Spezifität seiner Behandlung weist unüber­ sehbar und unbestreitbar auf eine syphilitische Infektion hin; Spoerri hatte auch 6 Briefe an einen Vertrauten namens Giovanni Wolf auswerten können, die in diese Richtung deuten. Bei seinem ausgesprochenen Rein­ lichkeitsbedürfnis muß Feuerbach als der Maler hoher Bilder unter dieser scheußlichen Erkrankung und den Schmierkuren besonders gelitten haben. Ob die Mutter von dieser venerischen Infektion gewußt hatte, wissen wir nicht, er ließ von einem „hitzigen Fieber“ verlau­ ten. Aber in ihrem, wie sie schreibt, „langen und wahr­ scheinlich übel geratenen“ Brief vom 16.3.1880 an Heinrich Holtzmann, damals Professor der Theologie

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in Heidelberg (er fühlte sich mit Henriette tief freund­ schaftlich verbunden) kann man lesen: der Sohn sei sanft und schmerzlos aus dem Leben gegangen. Durch diesen raschen Tod sei er „einer peinvollen Krankheit entgangen, die schon im Beginn hervorgetreten“ sei. Und diese „Krankheit“ habe „seine herrliche kraftvolle Natur ergriffen“, sie sei das Werk „der elenden Verhält­ nisse und der bösen Menschen“ gewesen; und „das Mär­ tyrertum hätte gerade ihn verschonen sollen“. Wußte also die Mutter um diese furchtbare Erkran­ kung?82 Möglicherweise starb Anselm Feuerbach an einem plötz­ lichen großen Schlagaderriß infolge einer spezifischen Gefäßwanderkrankung. Im Totenbuch vermerkte man: „Herzlähmung“. Jedoch war Anselm Feuerbach schon „geraume Zeit“ vorher nach den Beobachtungen Passinis „leidend“ und „sehr gealtert“ bei auffallend blasser Gesichtsfarbe.83 Die tief aufgewühlte Mutter schrieb am Beerdigungstag (12.1.1880), morgens um 5 Uhr, Anselm sei nicht krank gewesen, er sei „am gebrochenen Her­ zen“ verstorben.8 Man begrub Anselm Feuerbach am 12.1.1880 auf dem Johannis-Friedhof in Nürnberg. Spoerri äußerte in seiner Studie über die Familie Feuer­ bach, er werde den Nachweis der syphilitisch bedingten Aortenruptur bei Anselm Feuerbach nachreichen, doch kam er nicht mehr dazu, da er am 18. November 1973 an Nierenkrebs (= Hypernephrom) verstorben ist.

Der frühe Tod bewahrte Anselm Feuerbach vor einem weiteren Leben mit möglichem Siechtum, entweder infolge einer syphilitischen Infektion oder auch - dies aber wohl weniger - wegen des Nachlassens seiner Ab­ wehrkräfte gegen das Ausbrechen seiner erblichen Bela­ stung.

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Henriette Feuerbachs Aufopferung für den Nachruhm des Malers Wie solche Ausgänge im letzten Stadium einer fort­ schreitenden luischen Infektion aussehen, kann man bei zwei Malern zeigen: Alfred Rethel war infolge seiner Syphilis bereits mit 36 Jahren unheilbar geisteskrank, nach jahrelangem Siechtum verstarb er in seinem 43. Lebensjahr. - Eduard Manet verstarb mit 51 Jahren an seiner luischen Erkrankung, das letzte Jahr seines Le­ bens konnte er kaum mehr den Pinsel halten.85 Und den anderen möglichen Ausgang einer fortschreitenden syphilitischen Erkrankung in eine „Rückenmarksstarre“ (= Tabes dorsalis) mußte Heinrich Heine erleiden. Bei ihm kam es bereits im 33. Lebensjahr zu einer langsam fortschreitenden Lähmung aller Muskeln, 1848 - damals war Heine 49 Jahre alt - waren beide Beine gelähmt, schon zwei Jahre zuvor fing die ebenfalls langsam fort­ schreitende Lähmung der Hirnnerven an; die Heinesche „Matratzengruft“ sah in Paris der 1822 in Teplitz gebo­ rene Alfred Meißner, der dort Heine 1847 aufsuchte und 1856, gleich nach dessen Tod, seine „Erinnerungen an Heinrich Heine“ niederschrieb, später überarbeitete und für die Nachwelt somit die Hauptquelle für ihre Kenntnisse des Lebens des Dichters und seiner Frau geworden ist. Da Heine bis zuletzt bewundernswert hell im Geiste geblieben war, sind letzte Zweifel an seiner luischen Erkrankung nicht ganz ausgeräumt j 86 worden. Mit dem Tod ihres Sohnes glaubte Henriette Feuer­ bach, „den Inhalt des Lebens“ verloren zu haben, wie sie im Brief vom 16.3.1880 meinte. Der Maler war ohne eine „gesetzliche Verfügung“ plötzlich verstorben, des­ halb war die Mutter, wie es amtlich hieß, vom Erbe „vollkommen ausgeschlossen“. Jedoch erwarb Henriette

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Feuerbach schon fünf Tage nach der Beerdigung des Sohnes von den Erben den gesamten künstlerischen Nachlaß und übernahm auch die darauf ruhenden Schulden. Die Erbschaftslasten in Höhe von ungefähr 15 000 Mark löste sie mit dem Verkauf ihrer eigenen Bilder und Möbel ein, an die Erben zahlte sie 20 000 Mark. Sie hatte von ihrem Neffen, dem Rechtsanwalt Heydenreich in Bayreuth, diese Summe vorgestreckt bekommen. Brahms teilte sie am 18.10.1881 mit, sie habe alle größeren, ihr teuren Sachen weggeben müs­ sen, um die große Kaufsumme des Nachlasses an die Erben zu entrichten. Der Lebenssinn ihrer letzten 12 Jahre bestand darin, den Nachruhm ihres Stiefsohnes zu festigen und zu verbreiten. Seit 1874 hatte Anselm sich bekenntnishaft über seine künstlerischen Absichten ausgelassen und an diesem Manuskript praktisch bis zu seinem Tode gear­ beitet, Feuerbach stellte sich dies als eine Abrechnung mit seinen Gegnern vor. Aus diesen Streit-, vielleicht auch Schmähschriften „merzte die Mutter alle persönli­ chen Beleidigungen“ aus. Sie stilisierte auch Anselm Feuerbach in die edle klassische Richtung. Auf der ersten Seite seiner „Bekenntnisse“ hatte Anselm geschrieben, von einer solchen Mutter wie der Amalie Keerl zur Welt gebracht, müsse er seine Geburt als vier­ faches Unglück betrachten: einmal, daß er überhaupt geboren wurde; dann, daß der Vater ein deutscher Pro­ fessor gewesen sei, dessen Sinn und Geist damals von seinem Buch „Der Vatikanische Apollo“ erfüllt gewesen sei. Drittens habe man ihm mit der Muttermilch die Klassizität eingetränkt. Deshalb habe er viertens, da auf menschlich Großes und Wahres gerichtet, dann auch nicht verfehlt sein „Leben zu einem hoffnungslosen Kampf gegen seine Zeit zu gestalten“87.

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Da Anselm der ersehnte Durchbruch nicht gelungen war, verbitterte er zunehmend und begann, wie bereits dargestellt, 1874 mit der Niederschrift seiner mit den Zeitgenossen abrechnenden Streit- und Schmähschrift. Nach seinem unerwarteten Tod hat seine Stiefmutter, die weiterhin Ausstellungen mit seinen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht verkaufbaren Bildern beschickte, mit allen möglichen Käufern verhandelte, Vorschüsse eingetrieben und sogar Darlehen für sich aufgenommen, um aus diesen Streitschriften und Brie­ fen das berühmte „Vermächtnis“ zusammenzustellen. Sie entschärfte, glättete und akademisierte alle ihre Vor­ lagen in eine „edle und klassische Richtung“. Selbst hatte sie ja erlebt, wie der Vater bei einer Erkrankung seines Sohnes an dessen Bett saß, griechische, dem Kind völlig unverständliche Texte vorlas und sie ihm dann übersetzte. Dabei hat Henriette Feuerbach sowohl die beleidigenden Briefe des Sohnes an sie, wie auch ihre eigenen Briefe, soweit sie derer habhaft werden konnte, vernichtet. Ihr „Vermächtnis“ war eine vollendete und zugleich wirksame Verteidigungsschrift des klassisch­ romantischen Malers, geschrieben von einer stilistischen Meisterin, in einer poetischen und vollendeten Sprache, getragen von einem hohen, reinen, antiken Idealen ver­ pflichtetem Geist. Es entstand das Bild eines von der Umwelt verkannten Künstlers; im Streben nach dem Höchsten in seiner Kunst habe er sich verzehrt. - Hier war somit kein Platz mehr für die - wenigen - Karika­ turen des Maler-Sohnes (z. B. „Begräbnis eines Hofnar­ ren“), die zu veröffentlichen sie in ihrem Schreiben vom 23.3.1886 an Jordan, den Direktor der Nationalga­ lerie in Berlin, zu verhindern suchte: „Was die Karika­ turen angeht, so würde man meinen Sohn ganz und gar mißverstehen, wenn man seinen momentan sprühenden Humor mit seiner ernsten Gesinnung verwechseln

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wollte“: Daher möchte sie diese Bilder unter Verschluß und vor jedem Mißbrauch gesichert wissen. „Das Vermächtnis“ erlebte von 1882 - 1926 nicht weni­ ger als 45 Auflagen. In ihrem letzten, wegen der fast totalen Erblindung diktierten, jedoch nicht abgeschick­ ten Brief an Wilhelm Lübke bittet sie ihn, die weiteren Auflagen von „Das Vermächtnis“ zu übernehmen. Es stehe in diesem Buch kein Wort, das nicht ihr Sohn in den guten Stunden seiner letzten Jahre geschrieben, diktiert und gesprochen habe. Sie habe noch zwei Briefe zu schreiben, nach Berlin und nach München, dann seien ihre irdischen Geschäfte so ziemlich abgewickelt und „ich warte, Gott sei Dank, mit vollkommen ruhi­ ger Seele auf die Botschaft aus der ewigen Heimat“88. Ihre tiefe, stark naturmystisch gefärbte Religiosität hatte sich im Laufe ihres Lebens immer mehr von allem Kon­ fessionellen entfernt. Aus ihrer geräumigen Villa in Nürnberg war Henriette, wie bereits erwähnt, in die Praterstraße 34 gezogen: die neue Wohnung gefalle ihr besser, meinte sie einmal. Am 2. November 1880 siedel­ te sie dann in das billigere Ansbach über. Jedoch heißt es in ihrem Brief an J. V. Widmann vom 14. Dezember 1885: „Ansbach ist ein schlimmer Ort für mich, Mangel an jeder Geisteserquickung.“

Freunde in München setzten die Erwerbung des Nach­ lasses durch den bayrischen Staat durch und sicherten Henriette Feuerbach eine Lebensrente. Dies und ihre kleine badische Pension genügten ihr durchaus. Auf eine Anregung, sich an die deutsche Schillerstiftung zu wenden, schrieb sie ein Jahr vor ihrem Tode: „Ich brauch’ so wenig, daß ich immer im Überfluß bin.“ Einige Zeit nach dem Tod des Sohnes hatte sich seine Stiefmutter wieder einigermaßen gefaßt - Schwankun­ gen blieben jedoch nicht aus -, sicherlich mitbedingt

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durch die Mühen und Belastungen, den Nachlaß zu regeln und vor allem, „Das Vermächtnis“ zusammenzu­ stellen. Auch im Auf und Ab ihrer Gefühle und Stim­ mungen konnte sie bereits am 16.3.1880 niederschrei­ ben, es scheine ihr, daß sie eine Gesundheit von Stahl und Eisen besitze, denn es habe ihr die ganze schreckli­ che Zeit nichts gefehlt.89 Allerdings hatte sie treue Hel­ fer, wie Hermann Levi (1839 - 1900), der Bilderverkäufe vermittelte, sich bei Hof in München für sie verwende­ te, selbst Bilder kaufte und über den verlangten Preis hinausgehend noch Beträge nachlieferte, außerdem aber auch Henriette in die Tonkunst von Richard Wagner einführte. Dieser hatte ihm die Uraufführung des „Par­ sifal“ in Bayreuth anvertraut (1882): am Abend zuvor spielte Levi Anselms Mutter den Klavierauszug vor90: sie selbst erlebte mit gläubigem Herzen diese Erstauf­ führung in Bayreuth, meinte jedoch zu Hause beim Nachsinnen, sie könne mit diesem „Raffinement der neuen Zeit“ nicht mitgehen und kehre zu ihrem Mozart zurück. Nach Abschluß der wesentlichen Arbeiten und „Erfüllung ihrer Lebensaufgabe“ - so am 15.2.1886 zu ihrer Klavierschülerin in Heidelberg, Gräfin Noer konnte Henriette Feuerbach größere Reisen unterneh­ men, bis zur Ostsee, nach Berlin und Leipzig. Sie lernte auch Frankfurt, Hannover und Hamburg kennen. Bereits 1870 hatte Henriette Feuerbach darauf aufmerk­ sam gemacht, daß sie ohne eine Brille nicht lesen und schreiben könne, „abends gar nicht“. Das Starleiden schritt weiter; sie erwähnte am 28.1.1887, der Star sei auf dem einen Au^e fast reif, auf dem anderen sei er im Anfang begriffen. Sie drohte zu erblinden; mit Gelas­ senheit wies sie darauf hin. Die bis dahin eifrige Leserin und Briefschreiberin brauchte nun eine Vorleserin, jedoch wollte sie ihre Briefe bis zuletzt selbst schreiben.

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Im Frühjahr 1891 führte man in Würzburg eine Star­ operation durch. Dazu hatte Lina Weber geraten, die einzige Tochter des Historikers Weber. Bei den Eltern Weber wohnte Henriette im Sommer 1887, sie schrieb sich mit der Tochter Lina, die den Theologieprofessor Holtzmann in Heidelberg geheiratet hatte. In einem warmen Dankesbrief an diese Lina Holtzmann be­ schreibt Henriette Feuerbach nüchtern und sachlich diese Operation. Sie konnte ihr aber nur einen Auf­ schub verschaffen, jedoch soviel Licht, als man „zum Leben unumgänglich notwendig braucht“, so an Levi, wobei sie ihm versichert, sie sei ihm dankbar, „ob sie es sage oder nicht“. Kurze Zeit später war allerdings „nunmehr ihr rechtes Auge in aller Eile auch blind ge­ worden“. Sie verstarb still und ohne Kampf am 5. Au­ gust 1892.

Ihrem Wunsche entsprechend begrub man sie nicht neben dem Sohn auf dem Johannis-Friedhof in Nürn­ berg, sondern man brachte sie auf dem Ansbacher Friedhof neben ihrer Mutter zur Erde.

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Aspekte der Persönlichkeit Henriette Feuerbachs Dimensionen ihrer Geisteswelt

Henriette Feuerbach betätigte sich schon in Freiburg literarisch. Friedrich Kampe, der Verleger aus Nürn­ berg, brachte 1839 einen kleinen Beitrag von ihr heraus: „Gedanken über die Liebenswürdigkeit der Frauen“, worin die anonyme Verfasserin zum Teil Erinnerungen an die Zusammenkünfte mit Freundinnen bearbeitet hatte. Ihre schriftstellerische Begabung hätte Henriette Feuerbach auch gerne in Freiburg gepflegt. Dabei war sie sich über die Grenzen und Eigenheiten ihres Stils durchaus im klaren: die Gabe einer anmutigen Verbrei­ tung in Schrift und Wort gehe ihr ab, sie könne nicht über ihre Gewohnheit hinauskommen, sich immer an das Wesentliche zu halten, dies sei eben ihre Natur. Alles, was sie rede und schreibe, neige zur Kürze, wobei - leider - manche Blume zur Seite falle, aber sie könne es nicht ändern. Die darstellerische Kraft der Henriette Feuerbach blitzt geradezu auf, wenn sie das revolutionäre Geschehen in Freiburg schildert. Kennt man das Leben des revolutio­ nären Politikers Friedrich Hecker, geb. am 28.9.1811 in Eichtersheim (Baden), verstorben am 24.3.1881 in St. Louis/USA, der als Rechtsanwalt bereits 1842 Mitglied der badischen zweiten Kammer war, ein sprachgewalti­ ger, oftmals jedoch auch ein unbedenklicher und von Machtwillen getriebener Volkstribun, so findet man die Schilderung der Henriette über die sogenannte Volks­ wehr geradezu köstlich: „In blauen Blusen, rot-schwarz­ gelbem Gürtel mit Gewehr und kurzem Säbel, die An­ führer theatralisch abenteuerlich aufgestützt, eine große rote oder schwarze Feder auf dem Hut, eine rot-schwarz-

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goldene lange Schärpe über die Schulter, der eine mit dem Schleppsäbel, der andere mit dem Hirschfänger, der dritte mit einem Stutzen, die Fremdenlegion auch in Blusen, teilweise von schwarzem feinem Wachstuch, mit Gewehr und Säbel, in blutroter Schärpe, Pistole und Dolch, Bärte bis auf den Gürtel herab, Gesichter erzfarben gebrannt, auch fünf Amazonen, unter ihnen die junge Tochter Robert Blums, in der gewöhnlichen Blusentracht, aufgeflochtene Zöpfe an der Seite unter dem Freischärler Hut“ - doch waren diese bedauerns­ werten Menschen zum großen Teil nicht freiwillig ge­ kommen, vielmehr hatte man sie unter die Fahnen ge­ preßt. Und es traf zu, was Henriette Feuerbach schrieb: „Welches unsägliche Elend hat diese unglückselige, wahnsinnige Schildererhebung über das ganze Land und über so viele tausende Familien im einzelnen gebracht, und was für Menschen waren die Hebel dieser mächti­ gen Bewegung - geistige Bankerottires, spitzbübische Advokaten. Lest die christliche Rechtfertigung Brenta­ nos, ... in ihr ist die ganze Geschichte unserer klägli­ chen Revolution enthalten.“ Und über Breisach/Rhein, dem einzigen offenen Weg nach Frankreich, wälzten sich an Henriette Feuerbach vorbei Tausende und Abertausende von Flüchtlingen nach Frankreich hin­ ein. „Es war ein Getümmel, das recht lächerlich ausge­ sehen hätte, wenn es nicht so gar traurig gewesen wäre.“ Und im Brief vom 15. Juli 1854 an ihre Schwägerin schreibt sie u. a., sie habe in Breisach einige Führer des Aufstandes gesehen. Stuve und Hanich seien beide ebenfalls über den Rhein gegangen.92

Henriette Feuerbach war wegen der Auseinanderset­ zungen in Freiburg/Br. mit der Tochter Emilie nach Breisach/Rhein ausgewichen, um jederzeit ins Elsaß hinübergehen zu können. Der Ehemann war schon vor­

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her ins Elsaß und dann nach Basel in die Schweiz ge­ flüchtet. In Retheis „Totentanz“ trägt der Tod, der auf die ahnungslose Stadt zureitet, einen Heckerhut. „Die barbarische Roheit und der Terrorismus, welcher unter unseren provisorischen Regierungen herrschen, läßt nichts zu hoffen und zu wünschen übrig.“ Und einige Zeilen vorher: „Die Preußen sind eingerückt, Gott weiß es, in diesem Moment ein Rettungsengel.“ Im Jahre 1849 schrieb sie an die Schwägerin Sophie Heydenreich: „Unser armes, armes schönes Land, es verblutet sich an dieser Wunde und die, die es in diesen Abgrund von Elend geführt, die genießen jetzt im Ausland die golde­ nen Früchte ihres Bubenstücks“93. Gegen die heute geradezu modische Überhöhung der Revolution von 1848 rückt auch hier die sich nur gelegentlich politisch äußernde, aber auch hier scharfsichtige Henriette Feuer­ bach, die Dinge etwas zurecht. Sie nahm bis zuletzt Anteil am geistigen und politischen Geschehen: Am 23. Juni 1886 schreibt die 74jährige an die Gräfin Noer und bedankt sich für deren verständ­ nisvolle Anteilnahme an der furchtbaren Katastrophe, die Bayern getroffen habe, nämlich den Tod ihres Kö­ nigs. Diese verhängnisvollen 3 Tage, in denen stündlich Telegramme eingetroffen seien, immer drängender, immer beängstigender „bis endlich der Blitz einschlug“. Noch jetzt sehe sie, anstatt ordentlich zu schaffen, stets die öde weite Wasserfläche vor sich und die mächtige Gestalt darin vorschreitend, dem Tode entgegen, den er sich durch einen Mord erkämpft. Erinnert man sich an die immer neuen Versionen über den Tod des Bayri­ schen Königs Ludwig II., so ist man geradezu erstaunt über die treffsichere Erfassung des ganzen Vorganges durch diese Frau. Und sie sah auch richtig, daß sein Bruder Otto, „der jetzige König, blödsinnig sei“94. Die

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78jährige Frau läßt sich über die in verletzender Form erzwungene Entlassung Bismarcks durch den jugendli­ chen 29jährigen Kaiser in einem Brief an den Neffen so aus: „Jetzt fürchte ich, daß wir schon auf der schiefen Ebene rückwärts sind. So hätte der Gründer des Deut­ schen Reiches nicht beseitigt werden wollen ... Wenn der Kaiser jetzt nach oben steuert und nicht in Untiefen versinkt, dann ist er ein halber Gott an Einsicht und Tatkraft.“ Und zum Schluß gehört noch, „der dringen­ de Wunsch, der Kaiser möge keine Dessert-Reden mehr halten. Diese sind geradezu immer schlecht“95. Und etwa vier Monate vor ihrem Tod, am 30.3.1892, äußerte sie in einem Brief an eine Freundin, sie wolle viel lieber noch ein oder zwei Jahre die halbblinde Frau Feuerbach sein, „als einen Tag in Glanz und Pracht der Kaiser von Deutschland, der alles wissen, alles verstehen, alles tun will, alles anfängt und nichts zu Ende führen wird“. Das gezeichnete Bild ist geradezu vernichtend.96 Aber die spätere Geschichte hat Henriette Feuerbach bestätigt. Beim Lesen ihrer Zeilen denkt man unwillkürlich an die ebenfalls vernichtende Charakterisierung Wilhelms II. durch den in seinem Alterssitz Friedrichsruh grollen­ den in Sorgen um das von ihm geschaffene Reich sich fast verzehrenden Bismarck. Sein dritter Band von „Ge­ danken und Erinnerungen“ konnte bekanntermaßen erst 1921 nach der Abdankung Wilhelms II. erscheinen, zwar eine „Racheschrift“ (Theodor Heuss) gegen den Kaiser und somit der Natur nach unter dem Niveau der beiden ersten Bände liegend, aber trotzdem auch heute noch lesenswert. Der Kaiser, dieses „fleischgewordene Unglück der jüngeren deutschen Geschichte vor Hitler“ (Thomas Nipperdey), prozessierte von seinem Exil in Doorn/Holland vergeblich gegen die zu frühe Veröf-

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fentlichung, die nach Bismarcks Anordnung erst nach des Kaisers Tod erfolgen sollte. Henriette Feuerbach stand, was hier zu ergänzen wäre, Bismarck recht kritisch gegenüber, zumindest bis nach der Reichsgründung. Den Historiker Treitschke konnte sie noch als alte Frau nicht lesen, weil ihr seine Waffen­ seligkeit zu bedenklich erschien und ihr sein wonnevol­ les Wühlen in den Schrecknissen des Schlachtfeldes für einen Geschichtsforscher unwürdig vorkam. Denn sie haßte das gedruckte Schimpfen.97 Allerdings mag dies vielleicht daher kommen, daß sie mit dem Elend von verwundeten und erkrankten Soldaten vertraut war. Als Vorstandsmitglied des Heidelberger Frauenvereins hatte sie, zusammen mit der Großherzogin von Baden, in 18 Lazaretten bei der Betreuung von 1400 - 1500 deutschen und französischen Soldaten mitgewirkt; sie erhielt dafür mehrere Orden, darunter das Verdienst­ kreuz von 1870/71 von Kaiser Wilhelm I. und den Ba­ dischen Luisenorden. Jedoch stand sie über diesen Din­ gen, in ironischem Ton schrieb sie am 12.10.1871 an Widmann, sie sei viermal dekoriert worden, er werde ihr aber glauben, wieviel sie sich daraus gemacht habe.

Die stilistische Meisterin Henriette Feuerbach

Als letztes Beispiel für die hohe Stilkunst von Henriette Feuerbach sei ihre Beschreibung des Freiburger Mün­ sters vorgestellt. Wohnt man in der Nähe dieses sicher­ lich schönsten Kirchturms der Christenheit (so J. Burck­ hardt), weiß man nicht, wie man Besseres verfassen könnte: „Das Münster ist übrigens selber halbe Musik, wenig­ stens bewirkt der Anblick ein ähnliches Gefühl, so von Außen als von Innen. Der Turm steigt in aller Pracht 67

seiner Verzierungen so leicht und schwebend in die Höhe, daß man kaum begreifen kann, wie an diesem wundervollen Geschöpf Menschenhände einen Stein in den anderen gefügt haben, besonders abends, wenn die untergehende Sonne durch die durchbrochene Pyrami­ de schimmert, zu deren Füße die dunkle Kirche wie ein schlummernder Koloß ruht, da hat der Bau etwas Über­ irdisches - oder auch, wenn es mondhell ist in der Nacht und man leise in dem Schatten hingeht, den die Kirche auf den großen einsamen Platz wirft, da dacht ich neulich: So wandeln auch ganze Völker in dem Schatten, den ein großer Mensch auf sein Jahrhundert wirft“98. Vor ihrem Umzug nach Nürnberg schenkte Henriette Feuerbach dem Heidelberger Frauenverein ein von dem Stiefsohn 1867 gemaltes Bild, ihr sogenanntes „Heidel­ berger Porträt“. Es befindet sich jetzt im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg. Das elf Jahre später gemalte, aber nicht fertiggestellte Porträt - das sogenannte „Berliner Bild“ - zeigt eine schon deutlich altersverän­ derte Frau mit weißen Haaren und einem gütigen Ge­ sichtsausdruck. Die gehaltene Traurigkeit - so erläutert Theodor Heuss dieses Bild - fange den Dank des Sohnes für die klaglosen Schmerzen, „die diese Frau um ihn und mit ihm erlitten hatte"“ ein. Für den Maler war seine Stiefmutter „die Freundin meiner Seele“. Aber erst in Heidelberg - der Sohn Anselm lebte in Rom - nutzte die Mutter die Abende zu literarischer Tätigkeit: sie gab die Geschichte und die nachgelassenen Schriften ihres Mannes heraus, dann kam eine Neuauflage des Werkes „Der Vatikanische Apollo“, später übernahm sie ein­ zelne Abschnitte über griechische Kultur der Weberschen Weltgeschichte wie auch der Oserschen „Welt­ geschichte für das weibliche Geschlecht“. Bei diesem

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wehrt sich jedoch ihr „Selbstgefühl“: es sei ein Buch, in dem die unbewußte Dummheit die absichtliche über­ treffe.100 Darüber hinaus schrieb sie zahlreiche Referate, Rezensionen und Nachrufe. Uber die beiden RokokoDichter ihrer fränkischen Heimatstadt Ansbach ließ sie 1866 bei Wilhelm Engelmann in Leipzig, einen „bio­ graphischen Versuch“ erscheinen: „Uz und Cronegk Zwei fränkische Dichter aus dem vorigen Jahrhundert.“ Für die Bände 2 - 4 „Nachgelassene Schriften von An­ selm Feuerbach“ zeichnete als Herausgeber Hermann Hettner, der Archäologe hatte ihn 1848 während eines Aufenthaltes in Heidelberg kennengelernt.101 Von hohem, zeitweilig höchstem literarischen Rang sind jedoch ihre Briefe; sie umfassen nicht ganz einen Zeitraum von 60 Jahren, zeichnen ein Bild vom Leben jener Zeit und ihrer - meist bedeutenden - Menschen, sie sind spontan, oft geradezu aus innerem Drang her­ aus verfaßt. Sie gilt als eine der größten Briefschreibe­ rinnen aller Zeiten. - Ein bis zuletzt sprachempfindli­ cher Dichter wie Hugo von Hofmannsthal, - dies blieb er trotz seines schöpferischen Versickerns etwa nach seinem 25. Lebensjahr - nahm in seinem Werk „Deutsches Lesebuch“ (die erste Ausgabe erschien 1923 im Verlag der Bremer Presse) sowohl einen Brief der Henriette wie auch des Sohnes Anselm Feuerbach auf. In ihrem Brief, geschrieben am 1. Dezember 1856 in Heidelberg, berichtet sie als Rekonvaleszentin von ih­ rem „Kopfweh und nervösem Erbrechen“, sie meint, es sei so gewesen, als wenn eine „unbarmherzige gewaltige Hand“ ihr „mit scharfem Griffel in einer Nacht über das Gesicht gefahren wäre - davon sind zwei tiefe Fur­ chen unter den Augen geblieben“. Der Brief des Sohnes aus Rom (vom 4. Juni 1863) ist wie so oft ein Klagebrief, er habe die „Pieta“ nicht ver­

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kaufen können und wisse nicht recht, wie es weitergehe - auch dieser Brief trägt (seine bedachtsame Mutter drückte sich so in dem oben erwähnten Brief aus) wie immer den „Stempel der äußersten Haltlosigkeit“102. Zwar hatte der Maler Anselm das ererbte Feuerbachsche Schreibtalent mitbekommen, doch überragte ihn die Mutter an stilistischer Kraft; der Sohn zeigte auch vor der überlegenen Diktion der Mutter „großen Re­ spekt“, zumal ihr sprachlicher Einfluß überall in seinen Briefen nachzuweisen ist. Henriette Feuerbach wußte aber auch um ihre hohe geistige Herkunft und pflegte nicht selten ihren Geburtsnamen Heydenreich unter wichtige Schreiben und Anzeigen zu setzen, so auch unter die Todesanzeige für den „geliebten Sohn“ vom 5. Januar 1880, auch hier sachlich und knapp: „Henriette Feuerbach, geb. Heydenreich zugleich im Namen der übrigen Verwandten“103. Hinausgehend über ihre frü­ here Einstellung, sich nur zur Persönlichkeit bilden zu wollen, nimmt nach und nach der Gedanke von ihr Besitz, sich für eine große Idee einzusetzen, der ihr in den seelischen Krisen den nötigen Halt gebe: Anselms Kunst sei für sie ihr ideales Leben, äußerte sie am 28.4.1888 an Hermann Levi.104 Und nach dem vielleicht geahnten, sicherlich befürchteten Tod des Sohnes An­ selm, der sie bis ins Mark erschütterte, bleibt von da an ihr einziges Lebensziel, sich für seine Anerkennung und seinen Nachruhm einzusetzen: Sie stellt „Das Ver­ mächtnis“ zusammen. Ihre Sorge galt auch dem Gedan­ ken, wer nach ihrem Tod „Das Vermächtnis“ weiter herausgeben könnte. So diktierte, wie schon erwähnt, die praktisch blinde Frau „kurz vor ihrem Tod“ einen Brief an Wilhelm Lübke, der „hochgeehrte Herr Geheimrath“ möge ihr Büchlein nach ihrem Tod weiterbe­ treuen. Sie wußte aber schon, daß der Nachruhm ihres

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Stiefsohnes, „ein Genie erster Größe“, sie überdauern würde.

Was war nun mit diesem Stiefsohn Anselm? War er etwa in gleicher Weise geistesgestört bzw. geisteskrank wie sein Vater? Seine Schwester Emilie mußte sie nicht wegen ihrer Lebensuntüchtigkeit infolge der „Geistes­ störung“ die letzten fünf Jahre gepflegt werden?

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Psychiatrische Einschätzung der Ursachen Feuerbachschen Leidens Kurzer Blick auf die Anfänge der Psychiatrie Zunächst einmal stellt sich die Frage: Konnte man da­ mals überhaupt schon eine Geisteskrankheit feststellen? Wußte man, woher sie kam, wie sie ablief und welchen Ausgang sie nahm? Der deutsche Psychiater Bernhard von Gudden (1824 1886) amtierte seit 1872 als Direktor der Münchener Kreisirrenanstalt, aus der dann mit Kraepelin 1904 die Nervenklinik der Ludwig-Maximilian-Universität Mün­ chen erwuchs. Von 1872 bis 1882 arbeitete bei Gudden der junge Arzt Emil Kraepelin als Assistenzarzt. Bei der Visite auf dem Hof mit der Ansammlung von vielen Kranken soll Gudden zu dem verwirrenden Gewimmel der bald unzugänglichen, bald zudringlichen Kranken unter dem Gefühl seiner Ohnmacht in bezug auf das ärztliche Handeln geseufzt haben: wer könne hier durchblicken, wer könne sich hier ein klinisches Bild verschaffen? Dabei hatte man damals schon begonnen, die einzelnen geistigen Erkrankungen zu trennen: in seiner Pariser Dissertation von 1822 hat der junge fran­ zösische Student A. L. J. Bayle (1799 - 1858) die Spätfol­ gen einer luischen Erkrankung dargestellt. Die deut­ schen Arzte F. R. Esmarch und Jessen legten 1857 dar, daß es sich bei der progressiven Paralyse um eine post­ syphilitische Krankheit handle. Klinisch konnte man dann eine Neurolues mit Sicherheit diagnostizieren, nachdem 1869 in Edinburgh der Arzt Douglas Argyll Robertson die fehlenden Lichtreaktionen der Pupillen bei erhaltener Konvergenzreaktion beschrieben hatte. Nach ihm stellten der deutsche Neurologe Wilhelm Erb und der Pariser Alfred Fournier anhand ihrer statisti-

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sehen Unterlagen fest, daß die Tabes dorsalis (= Rükkenmarksstarre) als Endausgang einer Syphilis aufzufas­ sen sei, jedoch hat man diese Erkenntnis nicht gleich allgemein anerkannt und noch bis etwa 1900 daran ge­ zweifelt.

Ein weiterer Fortschritt ergab sich durch die gleichzei­ tige Beobachtung durch Wilhelm Erb und den Berliner Psychiater Karl Westphal, daß der Patellasehnenreflex vornehmlich bei Tabikern fehlte. Hier ist daran zu er­ innern, daß in den sogenannten Anstalten um 1900 etwa 30 % aller Insassen Paralytiker gewesen sind. Trennte man diese und wenige andere Gruppen (wie z. B. die Epileptiker) ab, so blieben die sogenannten „Blöd­ sinnigen“ übrig, die man in immer neue Formen und Untergruppen einzuteilen nicht müde wurde, bis Emil Kraepelin mit seinen ersten wesentlichen Forschungser­ gebnissen ab 1893 hervortrat, um 1899 in der 6. Auflage seines Lehrbuches die endgültige Aufstellung der zwei Krankheitsgruppen, Dementia praecox einerseits (seit 1911 Schizophrenie), und der manisch-depressiven Ge­ mütserkrankung andererseits, durchführte.

Versuch einer Diagnose der psychischen Auffälligkeiten der Feuerbachs Nach diesem kurzen Überblick über die Entwicklung der Psychiatrie im 19. Jahrhundert kann man jetzt sa­ gen: Bei dem Archäologen Anselm Feuerbach konnte man zu seiner Zeit nur eine sogenannte „Seelenstörung“ feststellen; es handelte sich jedoch, wie wir heute er­ kennen können, zweifellos um einen schizophrenen Prozeß, dessen zerstörerischen Ablauf seine Ehefrau geradezu meisterhaft geschildert hat. Sein Sohn, der Maler Anselm, mußte zwar eine luische Infektion 74

durchmachen, doch sind bei ihm keine deutlichen gei­ stigen Anfälle durch diese Erkrankung festzustellen. Wenn ihm der Endausgang einer syphilitischen Ver­ blödung, der sogenannten progressiven Paralyse, erspart blieb, so ist anzumerken, daß nur ungefähr 5 -10 % aller mit einer luischen Infektion geschlagenen Menschen diese schwere Störung hinnehmen müssen. Warum dies so ist, weiß man nicht.

Wie steht es aber mit seiner deutlichen erblichen Bela­ stung, offensichtlich von Vater-, aber auch wohl von Mutterseite her? Seine vagen Verfolgungsideen kann man noch durchaus im Rahmen seiner fast lebenslangen geldlichen und auch künstlerischen Misere auffassen. Er gehört sicher­ lich zu jener Menschengruppe, die man heute mit dem Begriff „abnorme Persönlichkeit“ erfaßt und beschreibt, ein Wortwandel für den früheren Begriff „psycho­ pathische Persönlichkeit“, der durchaus richtig war, jedoch einem „Dauerbeschuß“ durch Psychologen, Psy­ choanalytikern und Daseinsanalytikern zum Opfer gefallen ist. Zwar ist „der Psychopath“ tot, aber der Psychopath lebt weiter und gehört zum Leben. Im Katalog der Ausstellung der Gemälde und Zeich­ nungen des Malers Anselm Feuerbach in Karlsruhe (5. Juni bis 15. August 1976) findet sich ein von Rudolf Leppin erstelltes sogenanntes Psychogramm, dem man durchaus folgen kann: Im Gegensatz zu seiner Schwe­ ster Emilie war der zwei Jahre jüngere Bruder Anselm wesentlich gesünder. Seine schon von der Mutter beob­ achtete Eitelkeit, daß es dem Zehnjährigen kaum ein Schneider noch ein Schuster recht machen konnten, verstärkte sich im Laufe seines Lebens zu einem Nar­ zißmus, womit man ein beständiges Mit-sich-selbstBeschäftigtsein, eine Selbstüberschätzung, weiterhin 75

Ichhaftigkeit und Kontaktarmut bezeichnet. Solche Narzißten sind hochgradig verletzlich und überemp­ findlich in bezug auf sich selbst, jedoch kühl bis kalt in ihrem Verhalten gegenüber Mitmenschen. Dabei konn­ te sich Anselm nie ganz vom Elternhaus, vor allem seiner Mutter, lösen, ein Zeichen für seinen Infantilis­ mus, einem auf manchen Gebieten Zurückbleiben auf einer kindlichen Entwicklungsstufe. Zeitlebens behielt er sein ständiges Protestieren und Aufbegehren bei, war nicht fähig, aus seinen Fehlern und deren Folgen zu lernen. Deshalb sind seine vielen Herzensergüsse ge­ genüber der siebzehn Jahre älteren, großgewachsenen Stiefmutter - im Gegensatz zu dem grazil kleinen An­ selm - nur Ausdruck einer lebenslangen Abhängigkeit, aber auch seiner sorgsamen Beachtung, in Notlagen immer finanziell von der Mutter unterstützt zu werden. Ein Zug von Feminität ist bei ihm nicht zu übersehen, mit ein Grund, daß er keine Freunde auf Dauer gewin­ nen konnte. Den ihm treu ergebenen Kupferstecher Julius Allgeyer behandelte er oft schlecht und kalt­ schnäuzig; die Mutter Henriette mußte hier immer wieder schlichten.

Das Verhältnis des Malers zu Frauen erschöpft sich nach den Briefen in immer neuen Anfragen an die Mut­ ter nach einer Heirat mit einer reichen, aus guter Fami­ lie stammenden Frau, die zu seinem Genius hochschau­ en sollte. Eine echte menschliche Bindung an eine Frau konnte er nicht aufbringen, nicht zuletzt deshalb lief ihm seine Nanna, mit der er vierspännig durch Rom fuhr, nach sechs Jahren wegen eines wohlhabenden Engländers davon. Nicht zu übersehen ist fernerhin, daß Feuerbach zu seinen Bildern eine starke Bindung hatte, wenn er auch einige in einem Wutanfall zertram­ peln konnte - wiederum ein Hinweis auf seine starken

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Stimmungsschwankungen. Diese wurden jedoch ge­ stützt, man möchte sagen, unterfüttert durch ein teil­ weise übersteigertes Sendungsbewußtsein. Als die Ranucci, viele Jahre nachdem sie ihn verlassen hatte, ihn auf der Straße in Rom anbettelte, wehrte er sie mit der Hand ab und ging weiter. Sie habe sich an seinem Ge­ nius versündigt, schrieb er der Mutter. Sein mangelnder Wirklichkeitssinn, der ihn immer wie­ der Pläne schmieden, verwerfen oder unter den Tisch fallen, die Preise für seine Bilder immer höher treiben ließ, so daß sie fast alle unverkäuflich blieben, resultier­ te aus seinem übersteigerten, gelegentlich geradezu maß­ losen Sendungsbewußtsein in bezug auf sein malerisches Schaffen. „Meine Bilder haben nichts mehr Menschli­ ches an sich“.

Für die überzogenen Geldforderungen des Malers An­ selm Feuerbach seien einige Beispiele gebracht: Im Frühjahr 1878 konnte die Mutter ihm berichten, die Nationalgalerie in Berlin wolle für das „Gastmahl“ die Summe von 30 000 Mark geben, jedoch hielt der Sohn ein etwaiges Eingehen für eine Verschleuderung, er wollte mindestens 45 000 Mark, später sogar 50 000 Mark bekommen, oder das Bild eben behalten. Ein Jahr später hielt Anselm die Summe von 1 000 Mark für sein Nürnberger Bild für zu gering, er wolle es lieber der Stadt testamentarisch schenken. Aus einer verzweifelten Geldnot heraus verkaufte die Mutter im November 1878 das „Gastmahl“ für 20 000 Mark. Der Sohn träumte davon, im Sommer des nächsten Jahres nach London zu gehen, um dort Bildnisse zu malen: „Bei meinen Manieren, meinem Namen, genügt ein Damenporträt aus der Aristokratie und ich bin in drei Jahren ein reicher Mann: ä la van Dyck wird mir auch gelingen.“105

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Seit 1874 führte Anselm lange und weite Reisen durch, „raptus“ nannte sie seine Mutter - die viel kosteten, jedoch praktisch nichts einbrachten. Auffällig bleibt allerdings, daß seine Produktion in den letzten drei Jahren deutlich nachließ. Einmal schrieb die Mutter entsetzt, der Sohn habe im davorliegenden Dreiviertel­ jahr keinen Strich gemalt. Offen muß hier bleiben, ob sich ein biologisches Geschehen infolge seiner luischen Erkrankung bemerkbar machte oder es nur zu einer Zuspitzung seines bionegativen Erbes gekommen war, hier sind Deutungen möglich, führen aber nicht weiter. Man findet somit bei dem Maler Anselm Feuerbach Unausgeglichenheit und Widersprüchlichkeit, Empfind­ lichkeit, Reiz- und Kontaktarmut sowie einen ausge­ prägten Narzißmus. Auf diese Eigenschaften stößt man auch bei den sogenannten abnormen Menschen in ver­ stärkter Form. Somit war im Gegensatz zum Vater und zu seiner Schwester Emilie der Sohn und Bruder An­ selm Feuerbach nicht geisteskrank. Der in Speyer/Rhein wirkende Feuerbach-Forscher Schimpf schreibt, es scheine ihm sehr gewagt, aus dem Verhältnis von Stiefmutter Henriette und dem Stief­ sohn Anselm „eine Ödipus-Situation abzuleiten“106. Im allgemeinen Sprachgebrauch versteht man unter einer „Ödipus-Situation“ die Intimsituation von Mutter und Sohn. Man muß sich klarmachen, daß Freud nur einen Gesamtkomplex der Gefühle von Liebe und Haß mein­ te, die ein Kind gegenüber seinen Eltern empfindet. Im vorliegenden Fall hätte also Anselm Feuerbach in einer frühen genuinen Phase, etwa zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr, in Analogie zur antiken Ödipussage zu seiner Mutter Inzestwünsche bekommen müssen, während er gegenüber dem Vater Haß- und Eifersuchts­ gefühle zu entwickeln gehabt hätte. Freud unterschied

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von dieser positiven Form seines Ödipuskomplexes die negative Form, wo es zum Haß gegenüber dem gleich­ geschlechtlichen Elternteil kommen soll. Bis heute gilt bei den orthodoxen Freudianern der Ödi­ puskomplex als das grundlegende Erklärungsmuster schlechthin für die Entwicklung eines Menschen; darauf werden alle möglichen weiteren Störungen zurückge­ führt. Jedoch kann man weit eher annehmen, daß ein solcher Komplex, wenn überhaupt, nur als Durch­ gangsstufe in der Entwicklung junger Menschen eintritt und keine weiteren destruktiven Folgen hervorruft.

Man kann ferner darauf hinweisen, daß die sogenannte Tiefenpsychologie nur mit Deutungen aufwarten kann, mehr jedoch nicht. Welcher Psychiater kann jedoch andererseits bestreiten, daß er irgendwann einmal der kraftvollen und zugleich eindringlichen Sprache eines Sigmund Freud wenigstens zeitweilig nicht erlegen wä­ re? Die Zweifel kommen zunehmend mit der klini­ schen Ausbildung und Erfahrung. Es gibt aber immer noch hochgebildete Nervenärzte, die sich davon nicht freimachen können. Hoimar von Ditfurth berichtet z. B. von seinen drei Chefs in der Würzburger Ner­ venklinik: über die Nr. 1 sei nicht viel und über die Nr. 3 nichts Gutes zu sagen, er meinte mit der Nr. 1 Zutt mit seiner Pose des elitären Gelehrten, der auch seine wissenschaftliche Tätigkeit in hohem Maß als Vehikel zu genußvoller Selbstdarstellung benutzt habe. Die Nr. 3 war ein kalter, despotischer Pascha, bei dem jede noch so vorsichtige Rückfrage zum „sofortigen Entzug der allerhöchsten Gunst107“ geführt habe. Allerdings sei diese Art des allerpersönlichsten Regimes eines Klinik­ direktors damals in den Würzburger Kliniken keine Ausnahmeerscheinung gewesen. So habe der Chef der Kinderklinik sich an heißen Sommertagen einen Spaß 79

daraus gemacht, die vier Staatsexamenskandidaten in dunklem Anzug am Rand des Schwimmbeckens auf und ab marschieren zu lassen, während er ihnen vom Wasser aus, wo der Herr Professor seine Bahnen zog, seine Prüfungsfragen zurief, und umstehende Würzbur­ ger Bürger in Badekleidung feixten und mit spöttischen Kommentaren nicht sparten. Hingegen kann Hoimar von Ditfurth nicht genug des Lobes über den allzeit beherrschten, freundlichen, sich auch um den letzten Mitarbeiter väterlich kümmernden Professor von Gebsattel äußern. Eben dieser Menschen­ freund habe eine „Achillesferse“ gehabt: Es sei sein fe­ ster Glaube an die Wahrheit der Freudschen Lehre ge­ wesen. Allerdings fanden Hoimar von Ditfurth und andere Kollegen unter den nicht wenigen Neurotikern in der Klinik keinen einzigen „echten Neurotiker“, und auch von Gebsattel konnte ihnen trotz Mühens keine typische Freudsche Neurose, bzw. einen solchen Neu­ rotiker vorstellen. Er besaß allerdings die Größe, kei­ nen seiner Fälle aufzufrisieren, sondern immer zu be­ merken, dieser soeben durchgesprochene Fall sei in diesem oder jenem Punkt „nicht wirklich typisch“. Doch kam auch ein Wissenschaftler vom geistigen Ran­ ge eines von Gebsattel nicht auf den einfachen Gedan­ ken, für die Vergeblichkeit seines Suchens sei der Grund eben in dem fehlerhaften Ansatz der Freudschen Typologie zu suchen.

Auch mit einem anderen orthodoxen Freudianer setzt sich Hoimar von Ditfurth kritisch auseinander. Karl Eissler veröffentlichte ein 1 700 Seiten umfassendes Buch über den jungen Goethe bis 1786, er legte also sozusagen Goethe posthum auf die Couch. Bei der psy­ choanalytischen Interpretation Eisslers von Goethes

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schriftlichen Äußerungen handelte es sich jedoch, wie von Ditfurth schreibt, „um blühenden Unsinn“. Die Psychoanalyse befindet sich zur Zeit weltweit auf dem Rückzug, vor allem in den USA, wo sie besonders nach der Emigration deutscher Psychoanalytiker nach 1933 einen erheblichen Aufschwung genommen hatte. Jedoch mißt man in den USA mit nüchternem Blick die Psychoanalyse an den Ergebnissen ihrer Bemühungen und da sieht es eben nicht gut aus. Niemand wird be­ streiten, daß Freud nachdrücklich auf die kindliche Prägung, die Bedeutung des Unterbewußten und die Sexualität hingewiesen hat, aber dies taten schon Vor­ gänger, die zu zitieren er meist unterließ. Jedoch konn­ ten alle diese Vorgänger nicht das Lehrgebäude wie Sigmund Freud errichten, keiner hat bis heute so nach­ haltig wie er in alle kulturellen Bereiche eingewirkt. Nur ihre Grenzen, die sahen die orthodoxen Freudianer nie und tun es auch heute noch nicht. Meines Erachtens kann das seriöse Schrifttum über Henriette Feuerbach auf jedes psychoanalytische Voka­ bular verzichten, es ist mehr als unwahrscheinlich, daß zwischen Henriette Feuerbach und ihrem Stiefsohn jemals so etwas wie eine „Odipussituation“ bestand. Man kann auf die früh gealterte Frau und Matrone und auch den Altersunterschied von immerhin 17 Jahren hinweisen. Entscheidend war jedoch die tiefreichende Kontaktarmut des Malers, die gegen einen solchen bio­ logischen Ablauf spricht.

Zu der „nervösen Erkrankung“, wie man in den nicht­ medizinischen Veröffentlichungen über Anselm und seine Stiefmutter zu sagen pflegt, hat bis heute nur der Psychiater Spoerri in einem kurzen Satz erklärt, Hen­ riette Feuerbach habe in späteren Jahren selbst „schwere Depressionen“ gehabt. 08 81

Möglicherweise hat Uhde-Bernays aus den über 2 000 Briefen, die im Laufe der Jahre 1910 bis 1912 durch seine Hand gingen, nur diejenigen herausgesucht, die relativ unverfänglich waren. Allerdings hatte Henriette Feuerbach in ihrer „Depression“ - wie man zu sagen pflegt - auch viele Briefe verbrannt, vor allem diejeni­ gen, die sie an den Sohn geschrieben hatte, aber auch Briefe des Sohnes, die anzüglich oder beleidigend wa­ ren. Anselm kannte in seinem „forcierten Selbstgefühl“ (Spoerri) auch hier keine Schranken. Aber auch Hen­ riette wies 1873 in ihren Briefen mehrfach auf die ihr von der Natur mitgegebene Eigensinnigkeit hin, womit sie sicherlich auch eine tüchtige Portion Willenskraft meinte. Aber ihr, wie sie meint, sonst kräftiger Wille habe nicht über ihre „nervöse Erkrankung triumphie­ ren“ können. Die schon erwähnte „Hirnhautent­ zündung“ in der Heimat 1848 scheint auch für psychia­ trische Laien keineswegs nur eine Episode gewesen zu sein. Schimpf läßt sich dahingehend aus, daß diese Krankheit, wie aus vielen späteren Briefchen hervorge­ he, der Beginn einer Anfälligkeit im Kopfe der Henriet­ te Feuerbach gewesen sei, die ihre geistige Produktivität stark beeinträchtigte und sich darüber hinaus verstärkt im Alter auswirkte.109 Bereits in einem Brief, geschrieben am Karfreitag 1861 an Bernays, spricht sie von Trugwahrnehmungen des Gehörs - sogenannten akustischen Halluzinationen. Sie unterscheiden sich jedoch von den in Kliniken und psychiatrischen Krankenhäusern gewohnten Sinnestäu­ schungen des Gehörs und scheinen auch nur einige Jahre bestanden zu haben. Zumindest ging Henriette Feuerbach in späteren Briefen nicht mehr genauer dar­ auf ein. Wenn im Frühling die ersten Knospen aufgin­ gen, hörte sie zwei Stücke spielen: „Muß i denn, muß i

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denn ...“ - und dann „den letzten Gedanken Webers“ mit einem höchst kindischen Baß in den Quinten gleich einem Dudelsack. Zu ihrem Erstaunen „hat der Spieler seit Jahren nicht den kleinsten Fortschritt gemacht“110. Bei musikalisch begabten Schizophrenen sieht man nicht selten, daß sie immer nur ein bestimmtes Klavier­ stück herunterspielen, immer in der gleichen Auffas­ sung, nie im Ausdruck variiert, man denkt an eine Drehorgel. Mit dem unmerklich fortschreitenden Ver­ fall kommt es nach und nach dazu, daß ein zu Beginn seiner Geisteskrankheit vorzüglicher Schifferklavier­ spieler sein Instrument immer weniger beherrscht, es fällt ihm nichts Neues mehr ein, und eines Tages legt er es zur Seite und rührt es nicht mehr an, obwohl man ihn zum Spielen ermuntert. Bei Henriette Feuerbach wäre hier noch daran zu erinnern, daß sie als eine über­ durchschnittliche Pianistin galt. Unüberhörbar sagt Henriette selbst in einem Brief vom 20. Mai 1869 an den jungen „Seelenfreund“ J. V. Widmann, daß sie ihm seit Monaten habe schreiben wollen, dies jedoch nicht fertiggebracht habe, da sie ein „wenig nerven- und ge­ mütskrank“ gewesen sei. Es habe sie eine furchtbare Anstrengung gekostet, ihre Gedanken zu sammeln, und sie habe nur noch formelle Geschäftsbriefe zu Papier bringen können. „Denken Sie, daß ich 7 Monate lang beinahe schlaflos war und in letzter Zeit ganze Nächte hindurch in meinem Kopf sprechen hörte, zuletzt auch hinter den Wänden, auf der Straße“. Jetzt stehe sie un­ ter ärztlicher Kontrolle und hoffe, sich dem Leben wie­ der zuwenden zu können. Eines der ersten Zeichen dieser Umkehr zur Gesundheit sei, daß sie ihm jetzt schreiben könne. Vier Wochen früher wäre das noch nicht möglich gewesen: „Der böse Nervendruck hat die Gedankenarbeit völlig in Verwirrung gebracht.“ Dabei

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war es mit ihrer Emilie „leidlich“ zu Ende gegangen, auch habe man die schwere Zeit des Jahres 1862, dank der Hilfe des Grafen Schack, schon längere Zeit über­ wunden gehabt. Sie fährt weiter fort, sie habe viel gelit­ ten, „die Spuren werde ich doch schwerlich verwinden können. Wer weiß, ob ich zu einer Geistesarbeit je noch fähig bin“111. Schon in Heidelberg - für sie die schönste Zeit ihres Lebens - scheinen Phasen der Besse­ rung mit denen der Verschlechterung abgewechselt zu haben. So muß sie am 12. Oktober 1871 wiederum dem Brieffreund mit „Sohnesrechten“ Widmann mitteilen, es mache dies alles sie traurig,“ ... zu der willenlosen Verwirrung, die ohnedem so quälerisch ist, weil die Gedanken keinen Herrn fühlen und sie kreuz und quer fahren, was wehe tut - nun die Wahrheit mit einem Wort zu sagen, ich bin ein wenig gemütskrank, und daß ich es mit Bewußtsein bin, das ist noch der einzige Trost dabei ,..“112. „Meine Nerven werden dergestalt irritiert, daß ich 3 Wochen lang den Tag des Ausbruchs eines Nervenfiebers erwartete“113. Und sogar den ver­ wöhnten Sohn, von dem sie sonst alles Unangenehme fernhielt, läßt sie am 20. Mai 1874 wissen, die jetzige Frühlingsschönheit sei märchenhaft, jedoch könne sie nicht von Grund auf dies alles recht genießen, „weil ich nie einen freien Kopf habe, aber ich weiß es wenigstens und das ist auch schon etwas“114. Am 8. Februar 1876 schreibt sie wiederum an Anselm, nachdem sie das Geschäftliche erledigt und ihm auch den Umzug nach Nürnberg erklärt hatte: „Ich habe viel Klage über meinen Kopf und Verstand, aber rührend ist es mir selber, wie die Musik in mir aufsteht, gleich lieb­ lichem Abendsonnenschein, tiefinnerlichstes Verständ­ nis. Was die Gedanken nicht mehr erreichen, das fasse ich mir unterwegs ab und es kommt mir entgegen. Au-

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ßerliches habe ich nicht zu erzählen. Ich gehe nicht aus.“ Man kann hier erwägen, die Musikhalluzinosen seien durchaus von den akustischen Halluzinationen zu trennen. Alte Menschen geben an, ständig Musik im Kopf zu hören, z. B. die Stimmen von Heino oder Freddy Quinn. Jedoch findet man diese Phänomene nur selten allein, und fast immer sind es nur alte und vorgealterte Menschen, bei denen Schwerhörigkeit und Ohrenklingen (Tinnitus) mit vorliegen. Von diesen musikalischen Sinnestäuschungen muß man auch solche trennen, die z. B. bei der Alkoholhalluzinose auftreten, jedoch haben diese „Stimmen“ immer einen schimpfen­ den oder bedrohlichen Charakter. Bei Vergiftungen sieht man andererseits praktisch nur optische Halluzi­ nationen. Bei alten Menschen mit einer senilen Demenz findet man jedoch nicht selten solche musikalischen Trugwahrnehmungen; ein berühmtes Beispiel bietet hier Immanuel Kant. Eine rauschende Kriegsmusik zog er jeder anderen Musik vor, er hegte eine nicht geringe Abneigung gegen eine hohe Musik. Die Trauermusik auf Moses Mendelssohn empfand er als ewiges und lä­ stiges Winseln, er habe beinahe „Reißaus“ genommen. Spricht man von der später deutlichen Altersverände­ rung von Kant, so darf man nicht vergessen, daß er, 1724 geboren, erst in seinem 57. Lebensjahr die „Kritik der reinen Vernunft“ herausbrachte (1781), der er 1788 sein zweites Hauptwerk „Kritik der praktischen Ver­ nunft“ folgen ließ. Obwohl diesem hohen Geist seine geistige Tätigkeit über allem stand und er auch durch einen penibel ein­ gehaltenen Lebenslauf seinem schwächlichen Körper ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit abverlangte, glitt er später in eine senile Demenz. In seiner nie abreißen­ den Sorge um seinen Körper hat er sich immer für neue

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Gedanken und Systeme der Medizin interessiert. Schon 1799 äußerte Kant, als seine Umgebung kaum irgend­ welche Altersveränderungen an ihm bemerkte, er sei halt alt und schwach, „Sie müssen mich wie ein Kind betrachten“. Sein Altersbetreuer, der Pfarrer Wasianski, überlieferte diesen Ausspruch und wies auch auf die spätere Unfähigkeit des Greises hin, sich auf Diskussio­ nen einzulassen. Kant glaubte in der Elektrizität die Ursache für seiner „Kopfbedrückungen“ zu erblicken, womit er sein wachsendes Unvermögen bezeichnete, nicht, wie in gesunden Tagen, scharf und leicht denken zu können. „Kant, der große Denker, hörte nun auf zu denken“ (Wasianski). Gegen Ende des Winters 1802 fing Kant an, über unangenehme und ihn aufschrekkende Träume zu klagen: „Oft tönten Melodien der Volkslieder, die er in der frühesten Jugend von Knaben auf der Straße singen gehört hatte“ in seinem Kopf. Diese Sinnestäuschungen des Gehörs waren Kant ausge­ sprochen lästig. Er konnte „bei aller angestrengten Ab­ straktionskraft“ sich nicht davon freimachen, sie verzö­ gerten sein Einschlafen. Wahrscheinlich hielten diese Musikhalluzinosen bei Kant bis zu seinem Ende am 12. Februar 1804 an: „Sein Tod war ein Aufhören des Le­ bens und nicht ein gewaltsamer Akt der Natur“115 (Wasianski).

Erkwoh und sieben Mitarbeiter berichteten über einen sorgfältig beobachteten und untersuchten Fall von mu­ sikalisch-sprachlichen Halluzinationen: Ein 52jähriger Elektroinstallateur hatte über 30 Jahre lang nur in der Nachtschicht gearbeitet. Nach seinen Worten ein Ein­ zelgänger, hörte er im Hinterkopf Solostimmen und Männerchöre, ferner auch „Sprechstimmen“, die an ihn banale, aber korrekt formulierte Floskeln richteten. Phantomstimmen fragten ihn nach seinem Empfinden

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und luden ihn zum Einkäufen ein. Erkwoh und seine Mitarbeiter legen dar, ihr Fall gehöre weder zur Gruppe der jüngeren Epileptiker (16 bis 35 Jahre), wo akusti­ sche Halluzinationen zum Anfallsgeschehen gehören, noch zur Gruppe der älteren Menschen mit langjähriger Schwerhörigkeit und Taubheit. In einem speziellen Hirnstrombild waren jedoch Aktivitäten in der tempo­ ralen Hirnrinde nachzuweisen; somit könne man an­ nehmen, daß Störungen der Hirnfunktionen in Teilen des bitemporalen Cortex das mutmaßliche Substrat dieser akustischen Halluzinationen abgeben. Mit Carbamazepin brachte man diesem Patienten eine gute Besserung. Hingegen hält Henriette Feuerbach mehrfach fest, sie habe schon 17 Jahre diese Ohrgeräusche, die jedoch ihr Hörvermögen nicht minderten. Als geradezu begnadete Musikfreundin und Klavierspielerin wäre ihr ein sol­ ches Nachlassen des Hörvermögens zweifelsohne aufge­ fallen. Somit ist festzuhalten, daß eine sogenannte Mu­ sikhalluzination, wie bei manchen vorgealterten oder alten Menschen mit Schwerhörigkeit, bei Henriette Feuerbach nicht bestand. Zwar hat sie sehr unter dem Abschied von Heidelberg gelitten, als sie in die Einsam­ keit nach Nürnberg ging, die auch nicht durch die bei­ den ledigen Schwägerinnen aufgewogen wurde, trotz­ dem ist es nicht Heimweh, was aus ihrem Brief vom 10. Oktober 1876 klingt. Sie könne sich leider immer noch nicht beschäftigen. „Mein Kopf ist eben schwach und obwohl ich in der Stille etwas mehr in Ordnung kom­ me, so ist ein erwärmter Ideenfluß, wie ich ihn früher hatte, ganz außer meiner Sphäre. Ich fürchte, daß ich für immer entsagen muß. Ich kann mich nicht versen­ ken, nichts aus der Tiefe holen, der Schacht ist ver­ schüttet“117. An die Freundin Emma Riebeck schreibt

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sie am 22.11.1887, es sei noch gar nichts mit irgendeiner Arbeit. „Es liegt eine dicke Nebeldecke auf dem See, aus dem ich Gedanken holen könnte“118. Und am Schluß ihrer Zeilen stellt sie die Frage, ob ihre schmerzliche Sehnsucht nach Geisteshelle vielleicht ein schwaches Zeichen der Besserung sei? Erst im Januar 1877 scheint eine geringe Besserung des Zustandes eingetreten zu sein. Sie teilt ihrer Freundin mit, sie käme noch vor dem Frühling nach Heidelberg, vorerst jedoch bedürfe ihr Körper der Ruhe. „Ich liege viel auf dem Sofa und kann die Ruhe aushalten, was ein großer Fortschritt ist. Auch die Nächte sind besser, laßt mir Zeit, mich zu erholen - ihr wißt nicht, wie ich seit einem Jahr gelitten habe! Niemand weiß es und ich selbst mag es am wenig­ sten rekapitulieren, spüren muß ich es freilich“119. Und eine alte Freundin in Basel, eine Tochter von Goethes Lotte in Wetzlar, ließ sie am 6. Juni 1877 wissen: „Ich war im letzten Jahr monatelang in einem Zustand, der nahe an Geisteskrankheit grenzte - Gedächtnis, Ge­ danken und Willenskraft, alles war bedroht, ob ich noch einmal in alter Weise Herr meiner Fähigkeiten werde, weiß ich nicht. Wenigstens bin ich ruhiger ge­ worden und kann auch wieder zu etwas Schlaf kom­ men, der ganz verloren war“120. Einige Monate darauf spricht sie davon, es sei schlimm mit dem Gedankenund Gedächtnisvermögen: „Das habe ich dem steten Ohrensausen zu danken, das andauert, ohne daß ich bis jetzt schwerhörig geworden bin.“ Es sei dem Alter zu­ zuschreiben, das mit Macht komme, aber es finde sie bereit und ergeben. - Später datiert sie dieses „Ohren­ sausen“ auf das Jahr 1871 zurück: „Seit 16 Jahren Oh­ rensausen“ so im Brief vom 28.1.1887.

Nach einer kurzzeitigen Besserung muß sie 1881 in eine neue Krise geraten sein. Sie teilte Johannes Brahms am

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9 . September 1881 mit, sie ginge noch diesen Monat für vier Wochen an die Ostsee „wegen eines widrigen Ner­ venleidens im Kopfe, das mir am Verstand zehrt“. Wie gefährdet sie jedoch immer wieder gewesen war, darauf weist unübersehbar ihr bis heute unveröffent­ lichter Brief an Levi vom 15. Oktober 1883 hin: Er wisse wohl, schrieb sie, daß ihre ganze Existenz sich durch seine Fürsorge in einem verhängnisvollen Mo­ ment zum Guten gewandt habe, „wo ich wirklich an einem Abgrund stand, über den keine Brücke führte“121.

Von diesen „psychotischen Episoden“ lassen sich deut­ lich ihre reaktiven Zustände trennen: Sie war nach dem Tod von Anselm tief verstört, auch wenn sie - so nach den Briefen - bald anfing, mit diesem Schicksalsschlag fertig zu werden, wobei ihr sicherlich die Arbeit der Sicherstellung des in Venedig liegenden Nachlasses und Erbes half. Jedoch steigert sich nach kurzer Zeit ihr Schmerz fast ins Unerträgliche: „Ich bin mutlos und der Schatten des Todes (des Sohnes, der Ref.) verdunkelt alles, was ich denke. Ich habe eben alles verloren, und das wollte ich noch tragen, wenn’s mir nicht in der Seele brennte, daß Anselm sein Leben im Leben hat verlieren müssen“. Und dann kommt die wesentliche Begründung, warum sie so im Leid versunken ist: „Aber Anerkennung, Ruhm und Ehre bohrt den Stachel noch tiefer ein“122. Denn nach dem Tod von Anselm Feuer­ bach, zu dessen Beerdigung sich eine auffallend große Menschenmenge versammelt hatte, brach geradezu plötzlich sein Ruhm auf. Ohne daraus irgend eine dia­ gnostische Folgerung zu ziehen, sollte man darauf hin­ weisen, daß Henriette Feuerbach viele Monate nach dem Tod des Sohnes in ihren Briefen nächtliche Zwie­ gespräche mit ihm erwähnt. Wer kennt nicht Ähnliches 89

von Frauen, die den Sohn oder Ehemann im Krieg plötzlich verloren haben, und danach abends in ein Gespräch mit ihm einzutreten glauben, sich ihm nahe fühlen und so den Schmerz des Verlustes mildern, der sich bei solchen einseitigen Zwiegesprächen allerdings auch steigern kann. Den Zustand einer inneren Leere schildert Henriette Feuerbach in einem Brief vom 13.8.1881 an Johannes Brahms, der ein Jahr nach dem Tod von Anselm ihr seine „Nänie“ gewidmet hatte: „Nichts hoffen, nichts fürchten, nichts begehren, keine Freude, kein Leid des Tages und der Stunde, ist ein eigentümlicher Zustand, von dem ich früher keine Vorstellung hatte“ - hat man nicht etwas Ähnliches schon mal gelesen? „Es war eine entsetzliche Leere in ihm, er fühlte keine Angst mehr, kein Verlangen, sein Dasein war ihm eine notwendige Last“ - In Georg Büchner Fragment „Lenz“ steht es, in einer kaum glaublichen Einfühlung hatte Büchner die­ sen Zustand eines durch den schizophrenen Prozeß „ausgebrannten“ Hochbegabten geschildert, und die trockenen Aufzeichnungen des Pfarrers Oberlins, auf die er sich gestützt hatte, zu einer erschütternden Aus­ sage gebracht, mit dem Schlußsatz: „So lebte er hin“ man spürt schon das Ende dieses Lebens auf einer Stra­ ße in Moskau. Und alle sogenannten psychologischen Einfühlungen in sein Scheitern sind witzlos, allein die Geisteskrankheit hat ihn vernichtet. So läuft Büchners Fragment ins Leere aus, jedoch nicht das Leben von Henriette Feuerbach, die den Grund ihrer Verzweif­ lung angeben kann: „Ich habe das Leben meines Lebens verloren, da ist weiter nichts zu machen“123.

Wie jedoch ihre Gemütslage sich ändern konnte, erhell­ te ihr Brief an Levi von 28. Dezember 1881: Es sei ihr fester Vorsatz, die ihr noch gegebenen Jahre „richtig 90

auszuniitzen und des Vergangenen würdig zu bleiben“. In einem erneuten Tief richtete sie einen Brief am 27. Juni 1882 an Widmann, sie habe keinen Lebensinhalt mehr und sei doch verurteilt, fortzuleben. In Ansbach wohne sie in großer Geistesöde, doch bleibe sie ruhig und lebe sich im Stillen aus.

Man könnte hier zur Diskussion stellen, ob an Stelle der Diagnose „schwere Depression“ der Begriff „Me­ lancholie“ angebrachter wäre, zumal dieser mehr um­ greift. Glatzel bemühte sich aufzuzeigen, wie sehr die Psychiatrie verlöre, wenn sie unter Berufung auf feh­ lende Kompetenz und im Namen wissenschaftlicher Effizienz sich ihrer geisteswissenschaftlichen Fundie­ rung vergäbe, die z. B. bei der Verwendung des Begriffs „Melancholie“ beibehalten würde. Ohne dies ausdrück­ lich zu sagen, glaubt Glatzel mit der heute üblichen Verwendung von „Depression“ werde dem „Labor“ zu viele Ehre gegeben. Hingegen besäße die „Melancholie“ eine jahrhundertalte Verbindung mit dem Geistesleben. Wenn aber - um auf Henriette Feuerbach einzugehen „Melancholie“ ein trauriges Herabgestimmtsein bedeu­ tet und man hier des weiteren findet: eine Unfähigkeit zum sozialen Kontakt, Unzulänglichkeit, Resonanzlosigkeit, Überangepaßtheit und Schuldgefühle124, so waren bei Henriette Feuerbach noch viel tiefreichendere Symptome aufgetreten: Stimmenhören, gedankliche Beeinflussungserlebnisse, körperliche Veränderungsge­ fühle und andere mehr. Außerdem ist bemerkenswert, daß sie nicht das bei Depressiven auftretende Morgen­ tief hatte. Allerdings konnte sie nach ihren Worten in den Zeiten der Anfechtung morgens bloß zwei Stunden arbeiten, dann war sie erschöpft und konnte keine wei­ teren Briefe mehr schreiben.

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Im heutigen Sprachgebrauch bedeutet Melancholie nichts anderes als eine endogene Depression, also eine aus dem Inneren eines Menschen aufsteigende Verdüste­ rung. In seiner Abhandlung „Luther“ („Heidnischeantike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten“ - 1922) geht der zeitweilig wegen seiner Depression behandlungsbedürftige Aby Warburg auf die „Melan­ cholie“ ein; sie sei eine Renaissance-Krankheit gewesen. Neben medizinischen Indikationen habe der Philosoph und Arzt Marsilio Ficino als Heilmittel die innere gei­ stige Konzentration empfohlen. Offen muß jedoch bleiben, ob diese geistige Selbsthilfe geholfen hat, und nicht - wie oft - die Zeit als großer Heilfaktor gewirkt hat. Dieser Arzt Marsilio Ficino (1433 - 1499) stand an der Spitze der Platonischen Akademie in Florenz, er war ein Freund des humanistischen Arztes Antonio Benivieni (geboren 1502), der in seinem Buch „De abditis morborum causis“ nicht nur Symptome, Diagnose und Therapie vorstellte, sondern auch - was damals ganz selten war - die Ergebnisse von zwanzig Autopsien eingeflochten und somit seine Thesen selbst nachge­ prüft hatte.

Die Leitsterne für Marsilio waren Galenos von Perga­ mon und Platon - er übersetzte alle Schriften Platons neu, außerdem verschiedene Schriften der Neuplatoniker Plotinos und Hamblichos, sowie des Pseudo Diony­ sios Areopagita. Seine Pestschrift war zu damaliger Zeit sehr verbreitet.125

War Henriette Feuerbach eventuell eine „borderline“Patientin? In der Klassifikation psychiatrischer Krankheiten nach dem Internationalen Diagnosenschlüssel (ICD „Inter­ national Classification of diseases“) findet man unter der Nummer 295,5 den Begriff „latente Schizophrenie“ und 92

oft auch die „borderline“-Schizophrenie aufgeführt. Man sagt, ein „borderline“-Kranker sei „stabil in der Instabilität“ und zeige typische Symptome, die regelhaft in Verbindung ständen: a) frei flottierende Angst, b) polymorph perverse Sexualität, c) hypochondrische Dysmorphobie, also eine zwanghafte Vorstellung, durch wirkliche oder vermeintliche Körperfehler unter Menschen unangenehm aufzufallen, d) Wut gegen sich selbst, e) episodischer Verlust der Ichkontrolle und an­ dere mehr - alles in allem, kein Symptom trifft auf Henriette Feuerbach zu, es sei denn, man hilft sich mit dem in psychoanalytischen Kreisen üblichen Hinweis, diese Symptome lägen „latent“ vor, so wie Urvater Freud bei dem Senatspräsidenten Schreber eine latente Homosexualität ausgemacht hatte! Außerdem sollen nach anderen Autoren diese Symptome bei den Er­ krankten rasch und regellos wechseln; bei Henriette Feuerbach aber zogen sich die Störungen über Monate hin. Hingegen hat sich bei kritischen und bedachtsamen psychiatrischen Autoren die Überzeugung herausgebil­ det, daß es eben Krankheitserscheinungen gibt, die man nicht eindeutig den Neurosen oder den beiden endoge­ nen Psychosen zuordnen kann. In der Jetztzeit einer allgemeinen sexuellen Libertinage mag es antiquiert und überholt klingen, wenn man die starke religiöse Bindung der Henriette Feuerbach be­ tont, die sich jedoch nicht in herkömmlichen kirchli­ chen Bahnen bewegte. Der Glaube war ihr der letzte Halt in den Abgründen ihrer seelisch-geistigen Verdü­ sterungen, wie sie immer wieder betonte. Sie finde den unmittelbaren Ausdruck ihres Wesens nur dann, wenn sie vor Gott kniee. „Darin liegt das ganze Geheimnis meines Glaubens und Wesens eben, weil sich dann alles, was sonst in mir streitet, zu seliger Einigkeit auflöst.“

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Am 13.8.1880, also sieben Monate nach dem Tod ihres Sohnes, beschreibt Henriette Feuerbach in einem Brief an die ihr vertraute Sophie Kayser ein mystisches Er­ lebnis: „In dieser Nacht hatte ich einen solchen Verklä­ rungsmoment, den stärksten, den ich bis jetzt empfand. Die Natur hat mich überwältigt, Unendlichkeit in der engsten Begrenzung, die Stille, die mit tausend Zungen redet, das ewige Leben in Zeit und Tod. In jener Nacht habe ich meine Seele in aller Klarheit mit vielen Tränen Gott hingegeben, und ich fühlte, daß diese Stunde eine Stufe aufwärts war“126. Ähnliche Erlebnisse kann man bei Mystikern aller Zeiten und aller Völker finden, ohne daß man daraus allein irgendwelche diagnosti­ schen Schlüsse ziehen könnte, oder auch nur dürfte.

Streicht man das örtliche Geschehen des grauen Stars ab, das bei manchen Menschen zu depressiven Ver­ stimmungen führt, so ist darauf hinzuweisen, daß Hen­ riette erst spät daran erkrankte und ihr lebenskräftiges Christentum eine solche Belastung ruhig hinnahm. Ihr Hörvermögen scheint bis zuletzt gut gewesen zu sein, trotz des nach ihren Worten bereits seit 17 Jahren be­ stehenden Ohrensausens. Viel aufschlußreicher sind ihre Bemerkungen, daß sie etwa seit dem Herbst 1868 bis zum Mai 1869 sieben Monate beinahe schlaflos war und hier eindeutige akustische Halluzinationen hatte, nicht nur Zuhause, sondern auch auf der Straße. Deut­ lich schildert sie auch die Erschwerung ihrer Konzen­ tration, die sie davon abhielt, mehr als gerade mal das Geschäftliche schreiben zu können. Diese akustischen Halluzinationen gehen doch deutlich über einen depres­ siven Erkrankungszustand hinaus; vielleicht kann man von einer psychotischen Episode sprechen, die aller­ dings immer wieder heraufkam, wenn auch abge­ schwächt.

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Denn ein sogenannter „nervöser Erschöpfungszustand“ wie auch ein sogenannter „nervöser Zusammenbruch“ führt niemals zu diesen schweren Zuständen des Stim­ menhörens, der Schlaflosigkeit, der Minderung oder Aufhebung des Konzentrationsvermögens und des An­ triebes. Bewundernswert bleibt, wie diese Frau in ihren Briefen immer wieder betont, daß allein die Arbeit ih­ ren Zustand besserte, vor allem, als sie die letzten 12 Jahre ihres Lebens unter der eigenen Verantwortung stand, für den Nachruhm ihres Sohnes zu sorgen. Diese psychotischen Episoden sehen Nervenärzte kaum je in ihrer Sprechstunde, sie werden - wenn überhaupt - nur kurz in den Lehrbüchern gestreift. Wie Jaspers immer wieder betonte, kann der Einzelne die Gesamt­ heit aller Lebenstatsachen nicht umfassen; hier ist bei jedem Autor das Blickfeld mehr oder minder eingeengt, zumal die klinischen Autoren fast nur schwere Fälle von Erkrankten sehen, und nur leicht Erkrankte kaum ihren Fuß ins ambulante Sprechzimmer eines klini­ schen Autors setzen.

Die vom Verfasser gebrauchte Bezeichnung psychoti­ sche Episode sollte mögliche Festlegungen meiden, auch wenn die Erkrankung bei Henriette Feuerbach darüber etwas hinausgeht, da nämlich, wie bereits erwähnt, ein Residualzustand nicht zu übersehen war. Ein kritischer Psychiater könnte hier einwerfen, der Ausdruck „psy­ chotische Episode“ besage kaum etwas, man müsse den in der allgemeinen Psychiatrie geläufigen Begriff einer atypisch endogenen Psychose heranziehen. Endogen heiße nur, von innen herauskommend, endogen habe mit der Anlage eines Menschen zu tun. Allerdings hat man sich in der Psychiatrie sehr bemüht, diese Gruppe zwischen den beiden Hauptgruppen, der affektiven Psychose (= bipolare affektive Psychose) und den schi­ 95

zophrenen Psychosen zu unterscheiden: In dem Ab­ grenzungsfeld zwischen zyklothymen und schizophre­ nen Psychosen sprach man - nach dem Tübinger Klini­ ker Robert Gaupp - bei nicht eindeutigen Erkrankun­ gen von einer Mischpsychose. Daneben fanden sich zahlreiche andere Beziehungen, die je nach der psychia­ trischen Schule angewandt wurden: atypische Psycho­ sen (Karl Leonhard), komplizierte Aufbaupsychose (Karl Birnbaum), schizoaffektive Psychose und anderes mehr.

Hierbei ist zu beachten, daß man Übergänge von einer schizophrenen Psychose zu einer zyklischen Psychose wie auch umgekehrt von einer zyklischen zu einer schi­ zophrenen Psychose beschrieben hat. Außerdem muß man des weiteren betonen, daß es bei Henriette Feuer­ bach immer wieder zu einer seelisch-geistigen Störung kam; somit könnte man von einem phasischen Verlauf, also von einer Mischpsychose sprechen - spräche hier nicht dagegen, daß es schon nach der ersten Erkran­ kung zu einer Persönlichkeitsveränderung gekommen war, also zu einem Residualzustand, den ein medizini­ scher Laie wie Schimpf klar aufzeichnete. Man kann auch von einem anderen Standpunkt aus fragen, ob es bei dieser Frau zu einer Erkrankung ge­ kommen war, die in dem Grenzbereich zwischen Neu­ rose und Psychose anzusiedeln sei. Hier käme der in den letzten Jahren fast nur von US-Psychoanalytikern hervorgeholte Begriff einer „borderline-Erkrankung“ zum Zuge, eine - wie bereits dargelegt - durchaus un­ scharfe Begriffsbildung. Schon 1884 sprach man von einem „Borderland of insanity“ als einem Grenzland, bewohnt von Menschen, die das ganze Leben in der Nähe der Grenze bzw. des Streifens zwischen Neurose und Psychose verbrächten.

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Eine solche Auffassung läßt sich jedoch keineswegs aus der Biographie von Henriette Feuerbach ableiten. „Leiden an seelisch Erkrankten“ lautet die Überschrift dieser Abhandlung, ein Satz, der in der heutigen Zeit der Verharmlosung und der Verniedlichung von psy­ chischen Erkrankungen ganz ungewohnt klingen mag. Von sogenannten fortschrittlichen Seelenärzten wird heute gefordert, man müsse solche Kranke ins Leben zurückholen; sie vergessen jedoch meistens, daß bei Heilungsfällen fast immer der größte Psychotherapeut gewirkt hat - die Zeit. Vor etwa 180 Jahren begann man Heil- und Pflege­ anstalten zu bauen, so Sonnenstein bei Pirna (1811), Siegburg (1825), Sachsenburg (1830) und Winnenthal (1834), wo immerhin ein Griesinger in 21 Monaten seines dortigen Daseins seine Psychiatrie lernte und stilistisch gewandt in einem Buch verwertete.127 Im badischen Raum eröffnete man 1842 die Illenau, die bis etwa 1880, in der Zeit der Eröffnung der Universitäts­ kliniken, als führende Anstalt in Deutschland galt. Zur Entstehung der Psychiatrie als Wissenschaft im 19. Jahrhundert, vor allem der Entwicklung der sogenann­ ten Heil- und Pflegeanstalten, veröffentlichte vor ca. 40 Jahren Joachim Bodamer eine heute noch gültige Ab­ handlung.128 Heute will man diese Anstalten durch „Austrocknung“ nach und nach verschwinden lassen, wobei man sich jedoch fragt: Was kann man als Ersatz dafür bieten? Denn Geistesstörungen gab es immer und wird es immer wieder geben. Warum gab es denn schon zur Zeit der Emilie Feuerbach Pflegeheime bzw. Fami­ lienpflege, wo man solche Kranke hingeben konnte? Letztlich doch nur aus einem bedrängenden, sonst kaum zu bewältigenden Notzustand heraus. Zugegeben, heute hat man es ungleich besser mit den von der che­

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mischen Industrie entwickelten und den Psychiatern zur Verfügung gestellten Psychopharmaka. Nur deshalb kann man jetzt im „Spektrum“ geradezu triumphieren, man habe bis Ende 1992 insgesamt 63 „Psychiatrische Abteilungen an Allgemeinen Krankenhäusern mit Ver­ sorgungspflicht129“ eingerichtet. In diesem umfangrei­ chen Blatt findet sich kein Hinweis darauf, warum es überhaupt heute möglich ist, solche psychiatrischen Abteilungen zu eröffnen. Hat man dies nicht früher mit der Herausbildung der Psychiatrie in der Zeit der Auf­ klärung und danach versucht?

Johann Heinrich Ferdinand Autenrieth (1772 - 1835) richtete mit Tatkraft und organisatorischem Geschick in Tübingen im Gebäude der alten Burse ein erstes Kli­ nikum ein, wodurch er die Möglichkeit eines eigentli­ chen klinischen Unterrichtes schuf. Schon früh interes­ sierte er sich für die psychisch Kranken, er wollte die „Verwirrten“ mit Bestimmtheit und Strenge, aber ohne Grausamkeit wieder zur Vernunft bringen. In seinem Klinikum hatte er von Anfang an drei Zimmer für die Aufnahme von Geisteskranken vorgesehen. Im Laufe der Zeit haben jedoch negative Erfahrungen in der Pra­ xis bei ihm zu einer deutlichen Resignation geführt. Im April 1811 schlug sich dies in seinen Zeilen an den Kanzler der Universität Tübingen nieder, es habe ihn „schon genug gereut, überhaupt für Narren eine Ein­ richtung getroffen zu haben, sie sind die allerbeschwer­ lichsten Kranken“130. Um erregte Geisteskranke halten zu können, ersann Autenrieth das sogenannte Palisa­ denzimmer, durch einen Ofen heizbar, in dem die aus jungen Tannen geschnittenen, glatten und runden Pali­ saden so aufgestellt waren, daß der Kranke weder ans Fenster noch an den Ofen gelangen konnte. „Die Tol­ len“ erforderten jedoch eine Maske und eine sogenannte

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Birne, um sie am Schreien zu hindern; da er sie nicht fesseln wollte, band Autenrieth ihnen die Hände kreuz­ weise auf den Rücken mit einem „baumwollenen Gar­ ne“ zusammen. Wahrscheinlich hat Autenrieth auch Hölderlin so be­ handeln müssen. Der treueste der Freunde, Isaak von Sinclair, aus altem schottischem Geschlecht stammend sein Vater war Prinzenerzieher des Landgrafen von Hessen-Homburg - hatte den fünf Jahre jüngeren Freund, der geistesgestört bei der Mutter in Nürtingen untergekommen war, im Sommer 1804 nach Homburg geholt; vorher hatte er den Landgrafen bewogen, Höl­ derlin zum homburgischen Hofbibliothekar zu ernen­ nen (so nur wollte Hölderlin später angesprochen wer­ den!). Eine Sinclair gewährte Gehaltserhöhung von jährlich 200 Gulden ließ dieser auf Hölderlin über­ schreiben. Obwohl Hölderlin sozial abgesichert war und er in der heute so vielgerühmten Freiheit lebte, verschlechterte sich sein Zustand infolge des eigenge­ setzlichen Fortschreitens seiner Geisteskrankheit.

Der Arzt Dr. Müller untersuchte den ihm schon vor dessen Weggang von Homburg (1800) bekannten Höl­ derlin, er legte seine Beobachtungen in einem Bericht vom 9. April 1805 nieder: Man habe mit dem Kranken kein vernünftiges Wort sprechen können, er habe sich unausgesetzt in heftigen Bewegungen befunden. Dr. Müller wiederholte seine Besuche, fand jedoch den Kranken jedesmal schlimmer vor, unverständlich in seinen Reden, und jetzt sei „sein Wahnsinn in Raserei übergegangen und daß man sein Reden, das halb Deutsch, halb Griechisch, halb Lateinisch zu lauten scheinet, schlechterdings nicht mehr versteht!“131. Nach der Gründung des Rheinbundes mediatisierte man am 12. Juli 1806 die Landgrafschaft Hessen-Homburg zu­ 99

gunsten von Hessen-Darmstadt, Hölderlin war somit die materielle Grundlage entzogen, zumal auch, wie Sinclair der Mutter mitteilen mußte, „die Entwicklung seiner Krankheit die Lage schon an sich unhaltbar ge­ macht hatte“. Sinclair geleitete Hölderlin nach Tübin­ gen - der zeitweilig erregte Kranke zerkratzte auf der Fahrt den Pflegern das Gesicht - und brachte ihn in der Autenriethschen Klinik unter; dort war der Kranke von August 1806 nicht ganz ein Jahr, bis man ihn bei dem „Schreinerobermeister Ernst Zimmer“ versorgen lassen konnte. Der psychiatrische Laie Wilhelm Michel schreibt in schöner Sicherheit: Die Behandlung in der Klinik „führt keine Besserung, eher eine Verschlechte­ rung seines Leidens herbei“1 . Dabei weiß schon ein junger Psychiater, daß eine schizophrene Psychose - an der Hölderlin ohne Zweifel litt - immer Monate braucht, um langsam abzuklingen, auch ohne Behand­ lung, es sei denn, man lastet den Ärzten der Auten­ riethschen Klinik eine falsche Behandlung an; wir besit­ zen Rezepte für Hölderlin, die Justinus Kerner ausge­ stellt hatte. Mit umwerfender Sicherheit legte ein Pierre Bertaux (1907 - 1986) nieder: Der gewaltsame Abtrans­ port von Homburg nach Tübingen, die Einlieferung in das Irrenhaus Autenrieths, die Behandlung mit Zwangs­ jacke und vielleicht mit Autenriethscher Maske - „das alles scheint völlig auszureichen, um zu erklären, wieso denn Hölderlin von da an als gebrochener Mensch da­ hinlebte. Man hatte ihn zum geistigen Krüppel geschla­ gen. Diese psychische Situation hat mit Geisteskrank­ heit nichts zu tun; ein Krüppel, auch ein seelischer Krüppel, ist noch lange kein Geisteskranker“!133 Dabei gilt immer noch, was Jaspers 1922 mit behutsamer Ein­ dringlichkeit formuliert hatte: Die Einzigartigkeit Höl­ derlins entspringe daraus, „daß ein ganz ungewöhnli­ cher Dichter, der ohne Krankheit ein solcher ersten

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Ranges war, in dieser Weise schizophren wird. Diese Kombination gibt es kein zweites Mal“l134. Wie dank­ bar hätte Autenrieth, zweifelsohne ein Menschen- und Irrenfreund nach einem heute gebräuchlichen Psycho­ pharmakon gegriffen? Wäre nicht auch Henriette Feuerbach dankbar gewe­ sen, wenn damals im Verlaufe des psychischen Elendes des Ehemannes ein Chemiker ihr ein Psychopharma­ kon in die Hand bzw. in die des Hausarztes Dr. Schwö­ rer gegeben hätte? Vor Jahren jubilierte man auf allen Straße, vor allem auf denen, die zu einem Psychiatrischen Krankenhaus führten, „allein die Freiheit wird Euch gesund und frei machen“, was jedoch nur eine Wiederholung früherer Ansichten war: Hölderlin habe das „Glück“ gehabt, bei dem Schreinermeister Zimmer eine Art Pflege gefunden zu haben, die ihm ein eigeneres Leben ermöglichte „und ihm zusätzliche Schädigungen“, also durch Arzte, „er­ sparte135“. Jedoch wußten die Psychiater seit der Zeit, als sie schreiben und veröffentlichen konnten, daß eine schizophrene Psychose, die unübersehbar nach der Rückkehr Hölderlins aus Bordeaux (1802) bestand, nach etwa 5 Jahren sich zu beruhigen beginnt, nachdem bei ihm schon im Herbst 1802 dank Sinclairs Hilfe „die Anfälle der Raserei allmählich seltener“ geworden wa136 ren.

Jedoch wer glaubt, Hölderlin habe sozusagen als ruhi­ ger und friedlicher Pensionär bei der Familie Zimmer in seinem „Turm“ am Neckar gelebt, übersieht den Be­ richt Waiblingers in „Friedrich Hölderlins Leben, Dich­ tung und Wahnsinn“. Als Achtzehnjähriger hatte der frühreife Primaner Wilhelm Waiblinger 1822 Hölderlin besucht und ihn während seiner Tübinger Studienzeit (1823 - 1826) häufig gesehen. Kurze Zeit vor seinem 101

frühen Tod in Rom (17. Januar 1829) verfertigte Waib­ linger seinen Bericht. Bei aller bewundernswerter Ein­ fühlung in das Seelenleben seines verehrten Idols kann er nicht verschweigen, daß der Dichter großartiger Hymnen in der ersten Zeit bei dem Tischler Zimmer „noch sehr viele Anfälle von Raserei und Wut“ gehabt hatte, so daß sein Pflegevater es „nötig hatte, seine derbe Faust anzuwenden und dem Wütenden tüchtig mit Schlägen zu imponieren“. Einmal habe Hölderlin sogar „sämtliche Gesellen aus dem Hause gejagt und die Tür geschlossen“137. Über Hölderlins Leben in der „Um­ nachtung“ (Michel) berichteten mehrere Zeitgenossen, wobei den meisten Besuchern die „konvulsivischen Zuckungen“ auffielen, „die sein Gesicht durchliefen, verschraubte Blicke, Verzerrungen138“ des Mundes. Erscheinungen, die mancher der heutigen Psychiater, die niemals mehr einen unbehandelten Schizophrenen in späteren Jahren sahen, den Psychopharmaka anlasten würden, jedoch vergessen, daß es kein Heilmittel ohne Nebenwirkungen gibt, und die schizophrene Psychose eine Tragödie nicht nur für den Kranken ist, sondern auch für seine Angehörigen. Hier ist erneut an Henriet­ te Feuerbach zu erinnern.

Es werden aber trotz der heutigen Möglichkeiten, Psy­ chopharmaka anzuwenden, wenigstens bis zum jetzigen Zeitpunkt, Fälle übrigbleiben, tief gestörte Menschen, die man hospitalisieren muß. Es sei denn, man nimmt in Kauf, daß die Angehörigen solcher Kranken in die Knie gehen, selbst neurotisiert werden und zu abnor­ men Reaktionen neigen, wie man es in nicht seltenen Fällen sieht.

Auf dem Hintergrund des Leidensweges der Henriette Feuerbach dieses Problem aufzuzeigen, war mit Sinn dieser Studie. 102

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Feuerbach, Paul Anselm: Merkwürdiges Verbrechen. 1828/29. Jetzt als Taschenbuch 512 des Insel Verlages (1981), Frankfurt am Main, Suhrkamp. Hrsg.: Schrage, Rainer Uhde-Bernays, Hermann (Hrsg.): Henriette Feuerbach, ihr Leben in ihren Briefen. Berlin, Wien: Meyer und Jessen (1912). S. 10, Briefe vom 5.1.1888. (Im weiteren: Feuerbach, Henriette: Briefe) Ibd., S. 51 Ibd., S. 443, Briefe Ostermontag 1888 Ibd. S. 8, Brief vom 5. Januar 1858 Bibliographisches Lexikon der hervorragenden Arzte aller Zei­ ten und Völker. Berlin 1931. 3 Bd., S. 124 - 125. Den Nekrolog verfaßte Ludwig Feuerbach. In: Briefwechsel und Nachlaß. Hrsg.: Karl Grün, Leipzig und Heidelberg, S. 421 - 425. In: Anselm Feuerbach, seine Familie und ihre Zeit. - Beiträge zur Speyerer Stadtgeschichte, Heft 3 (1975). Bezirksgruppe des Historischen Vereines der Pfalz. Anmerkung, S. 119. Später hier zitiert als: Speyerer Stadtgeschichte. Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 13 Am 28. Juni 1865 teilte Henriette Feuerbach den Tod ihres Bruders ihrem „Herzenssohn“ Widmann mit: „Ich habe meinen einzigen Bruder und seine Tochter, meine einzige Nichte, inner­ halb einer Woche verloren, den ersten nach kurzem, die andere nach langem qualvollen Leiden“ (Josef Viktor Widmann: Brief­ wechsel mit Henriette Feuerbach und Ricarda Huch. - Zürich Stuttgart, Artemis Verlag (1965), S. 41 Feuerbach, Henriette (Hrsg.): Anselm Feuerbachs Leben, Briefe und Gedichte. Braunschweig, Vieweg und Sohn (1853), S. 25 Spoerri, Theodor: Genie und Krankheit, eine psychopatholo­ gische Untersuchung der Familie Feuerbach. Basel, KargerVerlag (1952), S. 46 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 130 Kern, Guido J. u. Uhde-Bernays, Hermann (Hrsg.): Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter. Berlin (1911), Band 2, S. 165 Feuerbach, Henriette (Hrsg.): Ein Vermächtnis von Anselm Feuerbach. Wien (1882), 1. Auflage, S. 4 Feuerbach, Henriette: Anselm Feuerbachs Leben, a.a.O., 2. An­ merkung, S. 193 Ibd., a.a.O., S. 61

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Feuerbach, Ludwig: Das Wesen des Christentums, Leipzig (1841), hier zitiert nach Österreich: Die deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart. In: Ueberwegs Grund­ riß der Geschichte der Philosophie. Wissenschaftliche Buchge­ meinschaft Tübingen (1951), Seite 223 ff Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 67. (Briefe von Ende Juli 1841 an den Bruder Christian Heydenreich) Ibd., S. 61 Ibd., S. 104 Ibd., S. 110 und S. 117 Baumann, Kurt, in: Beiträge zur Speyerer Stadtgeschichte, Heft 3, Historischer Verein der Pfalz (1975), S. 94 Feuerbach, Henriette: Anselm Feuerbachs Leben, Briefe und Gedichte, a.a.O., S. 49 Baumann, Kurt, in: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 95 vgl. Goethes Eindrücke in der „Italienischen Reise“: „Rom, den 9. November. - Und so hat mich Apoll von Belvedere aus der Wirklichkeit hinausgerückt. Denn wie von jenen Gebäuden die richtigsten Zeichnungen keinen Begriff geben, so ist es hier mit dem Original von Marmor gegen Gipsabgüsse, deren ich doch sehr schöne gekannt habe.“ Baumann, Kurt, in: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 98. - Seit Winckelmanns hymnischer Beschreibung galt der Apollo von Belvedere als Inbegriff der Vollendung der griechischen Plastik. Feuerbach übernahm die wenigen Seiten seines Vorgängers. Er konnte, wie alle vor ihm, nicht wissen, daß er nicht vor dem Original stand, sondern vor einer meisterhaften römischen Ko­ pie, etwa aus der Zeit Hadrians. Als Zweifel auftauchten, ob in der Tat diese griechischen Kunstwerke hell und glänzend gewe­ sen seien, vielmehr Farbspuren auf ihre Bemalung hinwiesen, konnte der seelisch-geistig veränderte Feuerbach hier nicht recht zustimmen. Gott Apollo wird in dem Augenblick gezeigt, als er Orest gegen die unversöhnlichen und rachedurstigen Erynnien schützt, indem er ihnen mit seinen Geschossen Tod und Verder­ ben androht. Feuerbach, Anselm: Das Vermächtnis, a.a.O., S. 2 Schimpf, Hans, in: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 65 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 29 Ibd., S. 83 Der Sohn Anselm: „Im Frühjahr 1840 kehrte mein Vater als ein ziemlich stiller Mann von Italien heim. Der geistvolle Redefluß, der ihm in seinen guten Stunden eigen war, der feine Humor,

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der zündende Witz, das alles schien großenteils versiegt.“ in: Das Vermächtnis, a.a.O., S. 11 32 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 117 u. S. 118 33 Ibd., S. 40 (Am 26. Mai 1841) 34 Ibd., S. 53 u. S. 54 35 Ibd., S. 66 36 Ibd., S. 69 37 Ibd., S. 81 38 Ibd., S. 83 39 Ibd., S. 83 40 Ibd., S. 109 41 Ibd., S. 140 42 Ibd., S. 139 43 Widmann, J. V.: Briefwechsel mit Henriette Feuerbach und Ricarda Huch, a.a.O., S. 125, Anmerkung 58 44 Brief vom 29.1.1858 an Sophie Heydenreich 45 Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 99 46 Feuerbach, Henriette: Anselm Feuerbachs Leben, a.a.O. (1853), S. 66. Die Verbindung Rollers mit der Familie Feuerbach scheint auch danach nicht abgerissen zu sein: Im „Vermächtnis“ berichtet der Maler von seinem 1851 in Paris entstandenen Bild „Grablegung Christi“. Seine Mutter bemerkt in den Anmerkungen über dieses Bild, es sei Eigentum des „Herrn Dr. Roller in Achern“ (Ver­ mächtnis, a.a.O., S. 193), während Allgeyer von diesem 1,18 m breiten, 0,85 m hohen Bild später berichtete, es sei im Besitz der Geheimratswitwe Roller in Berlin (Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach. - Berlin - Stuttgart (1904) Verlag Spemann, Bd. 2, S. 516). Christian Friedrich Wilhelm Roller (1802 - 1878) erbaute nach seiner bereits 1831 erschienenen Schrift: „Die Irrenanstalt nach allen ihren Beziehungen“ 10 Jahre später die Anstalt Illenau bei Achern, die er bis zu seinem Tod leitete. Roller begründete zu­ sammen mit Damerow und Flemming 1844 die „Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie“, für die nächsten zwei bis drei Jahr­ zehnte das führende Blatt der Psychiatrie in Deutschland, bis Griesinger sein „Archiv“ herausbrachte. Nach Jaspers gehört Roller zu diesen Anstaltspsychiatern, die fern vom Verkehr ihr Leben gemeinsam mit ihren Kranken führten. „Aus dieser An­ staltspsychiatrie hat sich unsere Wissenschaft (die Psychiatrie, der Ref.) im 19. Jahrhundert entwickelt“ (Jaspers, Karl: Allge­ meine Psychopathologie. Berlin-Heidelberg (1948) Springer Ver-

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lag, S. 705). Die bedeutendsten Vertreter dieser sogenannten IIlenauer Schule waren der dritte Direktor der Illenau, Heinrich Schüle (1840 - 1916), und Krafft-Ebing (1840 - 1902), der zwar Hochschullehrer an Kliniken wurde (1872 Straßburg, 1873 Graz, 1889 - 1902 in Wien), sich jedoch immer als Anstaltspsychiater fühlte. Mit der Errichtung der Universitäts-Psychiatrischen Kli­ niken in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ging der Einfluß der Illenau zurück, man löste sie 1940 auf und richtete eine nationalpolitische Erziehungsanstalt ein. 1945 übernahm die französische Besatzungsmacht die Gebäude. Die Bemühungen des letzten Direktors, Römer, diese einstmals berühmte Anstalt wieder zu eröffnen, scheiterten. Einen liebevollen Bericht über das familiäre Leben in der Illenau gab Heinrich Hansjakob, ein badischer religiöser Volksschrift­ steller und Priester, geboren 1837 in Haslach im Kinzigtal, wo er 1916 starb. Sein Vater Philipp Hansjakob hatte sich wegen Angstgefühlen, Schwermut und Schlafstörungen bereits in der Il­ lenau behandeln lassen müssen. Der Sohn mußte wegen fast glei­ cher Störungen Anfang 1894 die Illenau aufsuchen. Sein Tage­ buch „Aus kranken Tagen“ erzählt über diesen dreimonatigen Aufenthalt; das Buch erschien 1895 im Verlag Weiß in Heidel­ berg und wurde bis in die Neuzeit immer wieder aufgelegt. Schüle behandelte Hansjakob selbst, ohne ihm jedoch wirklich helfen zu können, was er auch in einem ärztlichen Zeugnis vom 14.5.1910 für den Erzbischof in Freiburg darlegte. Feuerbach, Henriette: Anselm Feuerbachs Leben, a.a.O., S. 69 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 227 Abgebildet in: Dorneich, Julius: Der Alte Friedhof in Freiburg im Breisgau. Freiburg (1974), Herder, S. 21 Wilhelmine Feuerbach, geborene Tröster (1778 - 1853) mußte, wie der Enkel Anselm am 2. Dezember 1853 an seine Mutter bemerkte, im hohen Alter den Tod von drei lieben Söhnen erle­ ben (Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter, Berlin 1911, Verlag Mever und Jessen, S. 302): den Tod des Archäologen (1798 - 1851), des Mathematikers Karl (1803 - 1843) und des Juri­ sten Eduard (1803 - 1843). - Dem Kind Anselm, damals von dem Vater und Witwer nach Ansbach gebracht, „fiel bald die Schön­ heit der Großmutter Feuerbach auf“, sie war aber schon erblin­ det (Vermächtnis, a.a.O., S. 2) Henriette Feuerbach: Anselm Feuerbachs Leben, a.a.O., S. 227 Heuss, Theodor: Deutsche Gestalten. Stuttgart u. Tübingen (1947), Rainer Wunderlich Verlag, Hermann Leins, S. 295 Feuerbach, Henriette: Anselm Feuerbachs Leben, a.a.O., S. 33 ff Ibd., S. 17

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Ibd., S. 64 Feuerbach, Henriette: Ein Vermächtnis, a.a.O., S. 8 Feuerbach, Henriette: Anselm Feuerbachs Leben, a.a.O., S. 15 Ibd., S. 61 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 235 Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter, a.a.O., Band 1, S. 566. (Brief aus Rom vorn 2.4.1860) Vey, Horst: Anselm Feuerbach, Gemälde und Zeichnungen. Im: Katalog der Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe vom 5. Juni bis 15. August 1976, S. 19 Feuerbach, Henriette (Hrsg.): Ein Vermächtnis, a.a.O., S. 230 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach, Berlin - Stuttgart. (1904) Verlag Spemann, Band 2, S. 12 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 275 Dankbar erinnert sich auch Anselm an diesen Verkauf, er habe nur zweimal in Deutschland einen Erfolg gehabt, einmal durch seine „Pieta“, zum anderen durch das „Gastmahl“, welches eine kunstverständige Dame erstanden und ihn aus schwierigen, be­ denklichen Verhältnissen gerettet habe, es sei „die Malerin Fräu­ lein Röhrs aus Hannover“ gewesen (Vermächtnis, a.a.O., S. 89) Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., s. 274 Schimpf, Hans, in: Speyerer Stadtgeschichte, S. 121, Anmerkung 26 Ibd., S. 83 sowie Anmerkung 62 u. 39 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 137 Ibd., S. 309 Schimpf, Hans, in: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 84 Heuss, Theodor: Deutsche Gestalten, a.a.O., S. 298 Feuerbach, Anselm: Briefe, a.a.O., S. 399 u. 401 Ibd., S. 460 Ibd., S. 567 Ibd., S. 128 Ibd., S. 196 Ibd., S. 196 - 197 Ibd.; S. 198 Ibd., S. 362 Ibd., S. 447 Heuss, Theodor: Deutsche Gestalten, a.a.O., S. 302

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Gert Mattenkott und Mitarbeiter nahmen diesen Brief auf in: Deutsche Briefe 1750 - 1950. S. Fischer Verlag (1988), Frankfurt/Main, 2. Auflage, S. 185. Der Brief umfaßt zweieinhalb Seiten. Mattenkott und Mitarbei­ ter bringen in ihrem o. g. Buch auch den Brief von Henriette Feuerbach vom 12.8.1861, worin sie von dem jedesmal im Früh­ jahr zu hörenden Spinettspieler berichtet, S. 28 Allgeyer, Julius: Anselm Feuerbach, a.a.O., 2. Band, S. 507 Henriette Feuerbach: Briefe, a.a.O., S. 361 Springer, B.: Die genialen Syphilitiker. Berlin Nikolassee (1926) Meißner, Alfred: Die Matratzengruft. Baden-Baden (1947), Keppler Verlag Feuerbach, Henriette (Hrsg.): Ein Vermächtnis von Anselm Feuerbach, a.a.O., S. 1 (vgl. Brief vom 21. Januar 1880) Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 464 Ibd., S. 366 Levi schrieb nach dem Tod Anselm Feuerbachs in Venedig an den dort wohnhaften Wiener Maler und Zeichner Ludwig Jo­ hann Passini, er möge ihm einen Abguß der Totenmaske des Anselm zukommen lassen (Unveröffentlichter Brief, im Besitz der Landesbibliothek Speyer, zitiert nach Schimpf, a.a.O., S. 86 bzw. Anmerkung 67) Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 439 Ibd., S. 157 Ibd, S. 153 Ibd, S. 430 Ibd, S. 452 Ibd, S. 460 Ibd, S. 379 (Brief vom 26.3.1881 an Heinrich Heydenreich, aus Ansbach geschrieben) Ibd, S. 39 ff (Brief vom 27. April 1840 an den Bruder Christian Heydenreich) Heuss, Theodor: Deutsche Gestalten, a.a.O, S. 304 zitiert nach: Schimpf, Hans, in: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O, S. 125, Anmerkung 60 (Brief vom 4. Juni 1856 an Bernays) Hermann Hettner, geboren am 12.3.1821 in Leiderleisersdorf/ Schlesien, war zuletzt Museumsleiter in Dresden, wo er am 29.5.1882 verstarb. Seine umfangreiche „Literaturgeschichte des 18. Jahrhunderts“ gab man noch 1929 heraus. Er stand im Brief­ wechsel mit Gottfried Keller.

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Hofmannsthal, Hugo von: Deutsches Lesebuch. Frankfurt/Main (1952), S. Fischer Verlag, S. 409 bzw. 411 Schimpf, Hans, in: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 86 Ibd., S. 60. Bisher unveröffentlichtes Original in der Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer Katalog der Ausstellung in Karlsruhe, a.a.O., S. 39 Schimpf, Hans: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 123, An­ merkung 46 Ditfurth, Hoimar von: Innenansichten eines Artgenossen. Ham­ burg, 2. Auflage 1989, Verlag Claassen, S. 314 ff u. 291 ff Spoerri, Theodor: a.a.O., S. 103 Schimpf, Hans, in: Speyerer Stadtgeschichte, a.a.O., S. 120, Anmerkung 13 Ibd., S. 80 Widmann, Josef V.: Briefwechsel mit Henriette Feuerbach und Ricarda Huch, a.a.O., S. 21 Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 225 Ibd., S. 292 Ibd., S. 306 Wasianski, E. A. Ch.: Immanuel Kant in seinen letzten Lebens­ jahren. Königsberg/Ostpreußen, Verlag Gräfe und Unzer, 2. Auflage, o. J., S. 40 bzw. 67 Man bemängelte an Wasianski Bericht vor allem seine „Kleinig­ keitskrämerei“ (Jakob Grimm), obwohl seine klare Schilderung, wie Kant geistig verlöscht und ein Besucher zuletzt nur noch seine „Hülle“ sah, auch heute noch die Diagnose einer senilen Demenz zu stellen erlaubt. Das Modewort „Alzheimer“ hat sich auch Kants bemächtigt, doch kann man klinisch die Alzheimersche Krankheit und eine senile Demenz recht genau trennen, schon vor der Computertomographie. - Die von psychiatrischen Laien Kant auch zugedachte „Zerebralsklerose“ gibt es nicht, sondern nur eine Arteriosklerose der Hirngefäße. Auch wenn man zu Kants Lebzeiten noch keinen Blutdruck messen konnte, so erlaubt die Darstellung Wasianskis, Kant habe zuletzt große Mengen von Kaffee vertragen, die Diagnose, daß Kant einen zu niedrigen Blutdruck hatte, er also zu den Hypotonikern (= Un­ terdrucklern) gehört, die sogar im Alter Kaffee vertragen. Für die „Unterdruckler“ ist der Kaffee, abends in ausreichender Menge genossen, ein Schlaftrunk, da er in der Nacht den sonst absinkenden Blutdruck anhebt. Erkwoh, H. und Mitarbeiter: Der Nervenarzt 63 (1992), S. 169 174

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Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 315 Ibd., S. 319 Ibd., S. 322 Ibd., S. 324 Diese Charlotte Kestner (1788 - 1877) war das neunte Kind der Charlotte Buff, die Goethe in „Die Leiden des jungen Werther“ verewigte. In seinem Roman „Lotte in Weimar“ zeichnet Tho­ mas Mann sie als spöttisch-ironische Tochter der alten Mutter und Witwe Charlotte Kestner, die jedoch ihrerseits ihre aufsässi­ ge Tochter mit Lob bedacht, da sie die Kinder des früh verwit­ weten Bruders im Elsaß versorgte. In der Tat war Charlotte Kestner achtzehnjährig zu ihrem behinderten Bruder nach Thann ins Elsaß gezogen und hatte ihm in seiner „hilflosen La­ ge“ die Sorgen um seine zwei und drei Jahre alten Kinder abge­ nommen; deren Mutter - eine Französin - war verstorben. In ihrem Nachruf für die verstorbene Freundin Charlotte Kestner führte Henriette Feuerbach aus, das junge Mädchen habe die Liebe zu einem Mann für ihren Bruder geopfert, wobei sie durchblicken ließ, sie habe mit der Eheschließung mit dem Ar­ chäologen ebenfalls eine „edle Neigung“ zum Opfer gebracht, nämlich ihre Begabung (Hans Schimpf, a.a.O., S. 60). Der Nach­ ruf der Henriette Feuerbach für Charlotte Kestner in: Allgemei­ ne Zeitung vom 29. Juni 1877, Augsburg, Beilage; zitiert nach Schimpf, a.a.O., S. 126. Anselm Feuerbachs Porträt der Charlot­ te Kestner, 1867 in Basel gemalt, beurteilte man verschieden; man bemängelte vor allem, daß die auf dem Gemälde so hohe Gestalt nicht zum kleinen, hinfälligen und buckeligen Körper der Dargestellten gepaßt habe. Feuerbach, Henriette: Unveröffentlichter Brief vom 15.10.1882, im Besitz der Pfälzischen Landesbibliothek in Speyer, zitiert nach Hans Schimpf, a.a.O., S. 124, Anmerkung 48 Schimpf, Hans: a.a.O., S. 124, Anmerkung 48. (Brief vom 13. März 1880) Feuerbach, Henriette: Briefe, a.a.O., S. 369 Glatzel, Johann: Melancholie und Wahnsinn. Darmstadt (1990), Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S. 98 u. 101 ff Zitiert nach: Meyer-Steineg, Th. u. Sudhoff, Karl: Illustrierte Geschichte der Medizin. Stuttgart (1965), Verlag Gustav Fischer, S. 187 Feuerbach, Henriette: Brief vom 13.8.1880 an Sophie Kayser, in: Briefe, a.a.O., S. 375 Griesinger, Wilhelm: Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten. Stuttgart (1845), 1. Auflage

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Bodamer, Joachim: Zur Entstehung der Psychiatrie als Wissen­ schaft im 19. Jahrhundert. Förtsch, d. Neurologie und Psychia­ trie 21 (1953), S. 511 - 534 Spektrum der Psychiatrie und Nervenheilkunde. 21. Jahrgang, Heft 4, August 1992 Autenrieth, Johann, H. F., in: Psychiatrie zur Zeit Hölderlins. Ausstellungskatalog der Universität Tübingen Nr. 13 (1980); Be­ arbeitet von Gerhard Fichtner, S. 26 u. 35 Michel, Wilhelm: Das Leben Friedrichs Hölderlins. Wissen­ schaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt (1963), S. 523 Ibd., S. 543 Bertaux, Pierre: Friedrich Hölderlin, Frankfurt/Main, Suhr­ kamp (1978), S. 633 Jaspers, Karl: Strindberg und van Gogh. Bremen (1949), Johs. Storm Verlag, S. 139 Michel, Wilhelm: a.a.O., S. 543 Ibd., S. 461 Isaak von Sinclair (1775 - 1815) wurde vom Schwärmer für die Französische Revolution im Laufe der Zeit zum vaterländischen Kämpfer; er machte als Hauptmann im österreichischen Gene­ ralstab den Feldzug gegen Napoleon mit, ging im Herbst 1814 nach Wien, um dort bei dem Kongreß für seinen Fürsten tätig zu werden. Nach der Rückkehr Napoleons von Elba wollte er mit dem Homburgischen Erbprinzen ins Feld ziehen, hörte dann, man habe ihn zum österreichischen Major befördert. Um seine Ausrüstung zu vervollständigen, suchte er ein Kleiderge­ schäft auf; hier wurde ihm unwohl und er verstarb kurz darauf. Da er keine Papiere bei sich trug, konnte man seine Identität erst nach zwei Tagen feststellen. Waiblinger, Wilhelm: Friedrich Hölderlins Leben, Dichtung und Wahnsinn. Hamburg (1947), Verlag Heinrich Ellermann, S. 19 Michel, Wilhelm, a.a.O., S. 545

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